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Full text of "Literarhistorische Forschungen 51.1912"

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Franz Tyroller 

Die Fabel von dem Mann und dem Vogel 
in ihrer Verbreitung in der Weltliteratur 






LITERARHISTORISCHE 


HERAUSGEGEBEN 


Dr. M. Mm WAIDBERG 

Professor mßpt. Universität 


Dr. JOSEF SCHICK 

Professor an der Universität 
München 


Heft 51 


FRANZ TYROLLER 


DIE FABEL VON DEM MANN UND DEM VOGEL 


BERLIN 

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Verlag Von Emil Pelber 
1912 




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Franz Tyroller 


Mit einem Stammbaum 


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Verlag von Eni 11 feibfcr 

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Die Fabel von dem Mann und dem Vogel 
in ihrer Verbreitung in der Weltliteratur 




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HERAUSGEQEBEN 


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Dr. jOSEF SCHICK 

Professor an der Ifniversität 
München 


FRANZ TYROLLER 

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DIE FABEL VON DEM MANN UND DEM VOGEL 
IN IHRER VERBREITUNG IN DER WELTLITERATUR 


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Dr. Franz Tyroller 


Mit einem. Stammbaum 


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Verlag von Emil Felb.fir 

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Alle Rechte Vorbehalten 


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Sächsische Maschinensatz-Druckerei, O. m. b. H., Werdau i. Sa. 



Vorwort. 


Die vorliegende Schrift ist aus einer Seminararbeit 
erwachsen, deren Thema ich meinem verehrten Lehrer 
Herrn Prof. Schick verdanke, und deren Bearbeitung ich 
zuerst im Wintersemester 1907/08 unternahm. Im 
Jahre 1910 diente sie mir als wissenschaftliche Ab¬ 
handlung bei der Ablegung meines Examens für den 
bayerischen Staatsdienst. Bis zu ihrer Verwendung als 
Doktorarbeit ist sie dann nur mehr an einzelnen Stellen 
ergänzt worden. Besonderen Dank für manche freund¬ 
liche Anregung und Hilfe schulde ich außer Herrn 
Professor Schick noch den Herren Professoren Hommel 
in München und Hell in Erlangen, sowie für die so 
unentbehrliche praktische Hilfe meinem lieben Bruder 
Max. 

Barcelona, im November 1911. 

Der Verfasser. 






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Franz Tyroller 

Die Fabel von dem Mann und dem Vogel 
in ihrer Verbreitung in der Weltliteratur 





LITERARHISTORISCHE 


HERAUSGEGEBEN 


M. Ffb. v. WALDBERG 

PVofe^sär 4n der Universität 


Dr. JOSEF SCHICK 

Professor an der IJaiversität 
München 


FRANZ TYROLLER 

L VON DEM MANN UND DEM VOGEL 
VERBREITUNG IN DER WELTLITERATUR 


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Alle Rechte Vorbehalten 


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Sächsische Maschinensatz-Druckerei, O. m. b. H. t Werdau i. Sa. 



Vorwort. 


Die vorliegende Schrift ist aus einer Seminararbeit 
erwachsen, deren Thema ich meinem verehrten Lehrer 
Herrn Prof. Schick verdanke, und deren Bearbeitung ich 
zuerst im Wintersemester 1907/08 unternahm. Im 
Jahre 1910 diente sie mir als wissenschaftliche Ab¬ 
handlung bei der Ablegung meines Examens für den 
bayerischen Staatsdienst. Bis zu ihrer Verwendung als 
Doktorarbeit ist sie dann nur mehr an einzelnen Stellen 
ergänzt worden. Besonderen Dank für manche freund¬ 
liche Anregung und Hilfe schulde ich außer Herrn 
Professor Schick noch den Herren Professoren Hommel 
in München und Hell in Erlangen, sowie für die so 
unentbehrliche praktische Hilfe meinem lieben Bruder 
Max. 

Barcelona, im November 1911. 

Der Verfasser. 




8 




Inhaltsverzeichnis 


Einleitung Seite 

1. Übersicht über die bisherige literarische Forschung 1 

2. Die Aufgabe vorliegender Arbeit.20 

Erster Abschnitt 

Die Quelle von Lydgate’s Gedicht ‘The Chorle and the 
Bird’ und die von der Disciplina clericalis ausgegange¬ 
nen Bearbeitungen der Erzählung .23 

1. Lydgate’s Gedicht.23~ 

2. Die als Episode in den ‘Donnei des Amants’ einge¬ 
schalt. altfranz. Bearbeitg.28 

3. Die Erzählung in der Disciplina clericalis des Petrus 

Alphonsi .37 

4. Die Erzählung in der altfranz. Prosaversion der Dis¬ 
ciplina clericalis.39 

5. Die Erzählung im Chastoiement 1.39 

6. Die Erzählung im Chastoiement II.40 

7. Das Lai de l’Oiselet.42 

8. Die Erzählung in den *R6cits d’un Menestrel de 

Reims au XIII siöcle’.50 

9. Wielands Gedicht ‘Der Vogelsang oder die drei 

Lehren’.. 63 

10. Nicolay’s Gedicht ‘Der Mann und das Vögelein’ . . 55 

11. Le Grand d’Aussy’s Bearbeitung des Lai de l’Oiselet 56 

12. G. L. Way: ‘The Lay of the Little Bird’.58 

13. Die Erzählung im ‘Libro de los Exemplos’.59 

14. Die ältere isländische Version.60 

15. Die Neubearbeitung der Erzählung der Disc. der. 

in Steinhöwels Äsop.60 

16. Die Erzählung in Steinhöwels deutscher Bearbeitung 

seines Äsop.63 



















- Vlll — 

Seite 


17. Hans Sachsens Gedicht ‘Drey guter nützlicher lehr 

einer Nachtigall’.63 

18. Die Erzählung in Julien Macho’s franz. Bearb. von 

Steinhöwels Äsop.64 

19. Die Erzählung in Caxton’s engl. Übersetz, des Äsop 

nach dem Französ.66 

20. Die Erzählung in der spanischen Übersetzung von 

Steinhöwels Äsop.67 

21. Die Erzählung in Sebastian Brants revidierter Aus¬ 
gabe des Steinhöw. Äsops.67 

22. Die Erzählung in den äsopischen Fabeln des Came- 

rarius .68 

23. Die Erzählung in Luthers Tischreden.69 

24. Die Erzählung in Kirchhofs Wendunmuth.70 

26. Die Erzählung in der metr. latein. Bearbeitung des 

Pantaleon Candidus .71 

26. Die jüngere altisländische Version .72 

27. Das mittelhochdeutsche Gedicht ‘Des Vögeleins drei 

Lehren ..72 


Zweiter Abschnitt 

Die von dem griechischen Roman ‘Barlaam und Joasaph’ 

abgeleiteten Versionen unserer Erzählung.74 

1. Die Parabel im griechischen Barlaam.75 

2. Die Parabel in der mittelalterl.-latein. Übersetzung 

des griech. Barlaam.. . . 78 

3. Die Parabel in Bromyard’s ‘Summa praedicantium’ . 79 

4. Die Parabel im Dialogus creaturarum des Nicolaus 

Pergamenus.80 

5. Die Parabel als exemplum des Jacobus Vitriacensis 81 

6. Die Parabel in der ‘Scala celi’.. . . . 82 

7. Die Parabel in des Vincentius Bellovacensis abge¬ 
kürzt. Bearb. des lat. Barl.82 

8. Die Parabel im ‘Seelentrost’.83 

9. Van Duyse’s Gedicht ‘De Les des Nachtegaals’ ... 85 

10. Die Parabel der in die Legenda aurea aufgenomm. 

gekürzt. Fass, des lat. Barl.85 

11. Die Parabel im mittelfranz. und mittelengl. Versio¬ 

nen der Legenda aurea, insbesondere aber in Cax¬ 
ton’s Golden Legend .86 

12. Die Parabel in den ‘Narrationes’ des Odo von Cerington 88 























IX 


Seite 

13. Die Erzählung in den Gesta Romanorum. 89 

14. Die Erzählung in verschiedenen Übersetzungen der 

Gesta... 91 

15. Das mhd. Gedicht ‘Der Jäger und die Nachtigall* in 

Lassbergs Liedersaal. 93 

16. Die Erzählung in Boners Edelstein .. 93 

17. Die fälschlich dem Stricker zugeschriebene ;mhd. 

Bearbeitung der Erzählg. 95 

18. Die Parabel in den altfranz. Bearb. des mittelalt.- 

lat. Barl., insb. bei Gui de Cambrai. 96 

19. Die Par. in der provenz. u. in den ital. Bearb. des 

lat. Barl., sowie bei Piovano Arlotto . 97 

20. Die Parabel im ‘Cavallero Cifar’.102 

21. Die Parabel -in den deutschen Bearbeitungen des 

mittelalt.-latein. Barl.104 

22. Die Parabel in den englischen Bearbeitungen des ^ 

mittelalt.-latein. Barl.105 

23. Die Parabel in den skandinavischen Bearbeitungen 

des mittelalt.-lat. Barlaam.106 

24. Die Parabel in der jüng. von Billius verf. lat. 

Übers, des griech. Barl. u. in deren Derivaten . . 107 

25. Die Parabel in den vom griech. Barl, ausgegang. 

osteur. u. Orient. Bearbeitungen.108 

Dritter Abschnitt 

Die Parabel in den orientalischen Barlaamversionen und 

die von ihr ansgegangenen Einzelbearbeitnngen ... 114 

1. Allgemeines .114 

2. Die orientalischen Barlaamversionen.116 

3. Die Parabel in den einz. Vers.; Versuch einer Re- 
konstr. des Textes in der Urform des Barl. .... 119 

4. Die von Ibn Chisdai ausgegangenen jüdischen Be¬ 
arbeitungen der Erzählung.127 

5. Die beiden aus dem Orient. Barl, geflossenen per¬ 
sisch. Einzelversionen der Erzählung.129 

6. Die bugische Einzelversion und ihre Bedeutung 

als Bindeglied zwischen der Parabel des orientali¬ 
schen Barlaam u. der Gruppe der arab. Einzel¬ 
versionen .134 

7. Die Erzählung der Disciplina im Zusammenhang der 

arab. Einzelversionen.144 





















X 


Seite 

8. Die mit der Fabel vom Vogel und von der Falle 

verbünd. Versionen der Erz.146 

' I. Nafhatu ’l-Jaman ... . 148 

II. Tausend und eine Nacht.. . 149 

Ila. Die Dependenzen von ‘Tausend und eine Nacht’ 150 
III. Die hindostanische Version.162 

9. Die kleinen orientalischen Versionen.157 

i • Vierter Abschnitt 
Spuren unserer Erzählung in Indien und sonstwo . . . 164 

Anhang 

Texte.... 177 

1. Lydgate: The Chorle and the Bild. . 177 

2. Le Donnei des Amants .. 189 

3. Petri Alphonsi Disciplina clericalis, cap. XXIII (XX) 195 

4. Discipline de Clergie. Traduction de l’ouvrage de 

Pierre Alphonse (conte XX).196 

5. Conte XX: Du vilein et de l’oiselet, du Chastoie- 

ment L. 197 

6. Conte XIX: Du Vilein et de l’oiselet, du Chastoie- 

ment n . .. 199 

7. Das Lai de l’Oiäelet . ..203 

8. Die Erzählung in den Röcits d’un Menestrel de 

Reims . . 7 ‘ .213 

9. C. M. Wieland: Der Vogelsang oder die drei Lehren 214 

10. Nicolay: Der Mann und das Vögelein.225 

11. Le Grand d’Aussy: Le Lai de l’Oiselet . . . . 226 

12. Way: The Lay of the Little Bird.. . 229 

13. El Libro de los Exemplos .. 233 

14. [Af böndai einum er fekk fugl i eplagaröi] .... 234 

15. Steinhöwels Neubearbeitung der Erzählung der Dis- 

ciplina.. . . 235 

16. Die Erzählung in Steinhöwels deutscher Bearbeitung 

seines Äsop . . ... . . 236 

17. Hans Sächs: Drey guter nützlicher lehr einer Nach- ; 

1 tigall . . . . . . . ; p . . 237 

18. Julien Macho: La. VI. fable düng laboureur et düng 

rossignol . . . .. . 242 

l9! Die Erzählung in Oaxton’s Aesop. :....• 243 

20. Die Erzählung im spanischen Aesop ........ 244 


























XI 


Seite 


21. Die Erzählung in Sebastian Brants Aesop.245 

22. Die Erzählung in den Äsopischen Fabeln des Came- 

rarius.246 

23. Die Erzählung in Luthers Tischreden.246 

24. Die Erzählung in Kirchhofs Wendunmuth.247 

25. Die Erzählung in der Bearbeitung des Pantaleon 

Candidus.248 

26. Die jüngere altisländische Version.248 

27. Des Vögeleins drei Lehren.249 


28. Die Parabel des griechischen Barlaam-Romanes . 252 

29. Die 7 “ Parabel des mittelalterlich-lateinischen Barlaam 252 

30. Die Parabel in Bromyard’s Summa praedicantium . 253 

31. Die Parabel im Dialogus Creaturarum des Nicolaus 

Pergamenus . ..254 

32. Die Parabel als Exemplum des Jacobus Vitriacensis 255 

33. Die Parabel in der ‘Scala celi’.256 

34. Die Parabel bei Vincentius Bellovacensis.256 

35. Die Parabel in ‘Den Dobbelen Zielentroost’ .... 257 

36. Van Duyse: De Les des Nachtegaals.258 

37. Die Parabel in der Legenda aurea.259 

38. Die Parabel in der me. Bearbeitung der Legenda 

aurea vom Jahre 1438 .. . 260 

39. Die Parabel in Caxton’s Golden Legend.261 

40. Die Erzählung in den Gesta Romanorum.262 

41. Das mhd. Gedicht: Der Jäger und die Nachtigal . 264 

42. Die Erzählung in Boners Edelstein.266 

43. Die Erzählung in der Sammlung altdeutscher Bei¬ 
spiele .268 

44. Die Parabel im franz. Barlaam des Gui de Cambrai 270 

45. Die Parabel im sürselvischen Barlaam.273 

46. Die Erzählung in den Fazetien des Piovano Arlotto 274 

47. Die Erzählung in der ‘Historia del Cavallero Cifar’ 275 

48. Die Parabel im engl. Barlaam des Cod. Bodl. 779 278 

49. Die Parabel im engl. Barlaam des Cod. Vernon . 279 

50. Die Parabel im engl. Barlaam des Cod. Harl. 4196 280 

51. Die Parabel im altnorwegischen Barlaam.282 

62. Die Parabel im altschwedischen Barlaam.283 

53. Die Parabel in der lat. Barlaamübersetzung des 

Billius.284 

54. Die Erzählung in der Fabelsammlung des Armeniers 

Vartan.285 
























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Seite 

55. Die Parabel im Kitäb Balauhar wa-Büdäsaf . . . 286 

56. Die Parabel im arabischen Barlaam-Auszug .... 287 

57. Die Parabel in Meiseis Übersetzung des hebr&ischen 

Barlaam.288 

58. Die Parabel des hebräischen Barlaam nach Stein¬ 
schneiders Übersetzung.298 

59. Die Erzählung im Simchäth hannefesh.297 

60. Die Erzählung in Tendlaus Buch ‘Fellmeiers Abende’ 298 

61. Die Erz. in der pers. Bearb. des Dschelaleddin 

Dschaafer Ben Ferchani.300 

62. Die Erz. in der persischen Geschichtensammlung 

‘Mahbüb al-Kulüb’.302 

63. Die Erzählung in der bugischen ‘Geschichte von 

König Indjilai’.305 

64. Die Erzählung in der Bearbeitung des Nafhatu 

i’-Jaman.308 

65. Die Erzählung im Anhang von ‘Tausend und eine 

Nacht’.310 

66. Die Erzählung in der arab. Version d. Ms. Pot. .... 317 

67. Die Erzählung in der hindostanischen Version . . . 321 

68. Die Erzählung in der arab. Version von al-G’auzl 322 

69. Die Erz. in der syrischen Anekdotensammlung des 

Bar-Hebraeus.323 

70. Die Erzählung in der malaischen Hikäyat-Baktiyär 324 

71. Die Erzählung in der Version von al-Damtrl . . . 324 

-72. Die Erzählung in der Version von al-Tantawl . . . 325 

73. Die Erzählung in der awarischen Version.326 

Nachtrag. 327 

Stammbaum 














Einleitung. 


1. Übersicht über die bisherige literarische 

Forschung. 

Die Anfänge der literarischen Forschung über die 
in der ganzen Weltliteratur verbreitete Erzählung von 
,,Mann und Vogel“ fallen in die Mitte des 18. Jahrhun¬ 
derts, also in eine Zeit, in welcher alles mittelalterliche 
Schrifttum gänzlich vergessen schien, und waren dem¬ 
gemäß sehr bescheiden. Wenn wir von dem ganz ver¬ 
unglückten und selbst in gelehrten Kreisen nahezu un¬ 
bekannt gebliebenen Versuche Barbazan’s 1 ) unter anderen 
Schätzen der altfranzösischen Literatur auch unsere Er¬ 
zählung im alten Gewände neu zu beleben, absehen, so 
treffen wir den Beginn einer vergleichenden Forschung 
bezeichnenderweise auf deutschem Sprachgebiet, indem 
Breitinger 2 ) zu Nr. 92 der sich später als Boner’s 
Eigentum entpuppenden Fabeln eine aus einer mittel¬ 
hochdeutschen Handschrift der Gesta Romanorum ent¬ 
nommene ‘Erzählung’ verglich, „damit man den Stoff 

*) Fabliaux et Contes, Paris 1756, 3 vol.; Castoiement 1760 
[Ebert, Allg. Bibi. Lex. I, p. 135, Nr. 1623] ; im ersteren Werke 
das Lai de l’Oiselet vol. I, p. 179 [Wieland, Werke, Bd. XVIII, 
p. 365, Fußnote]. 

2 ) Fabeln aus den Zeiten der Minnesinger, Zürich, 1757, 8°, 
pp. 219, 242; übe/ Breitingers Verfasserschaft dieses anonymen 
Buches vgl. Goedeke, Grundriß, zu Boner. 


Tyr oller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 


1 



2 


zu dergleichen kritischen Arbeiten bei der Hand habe“. 
Aber dieser Anlauf blieb auf deutscher Seite lange Zeit 
vereinzelt. 

Der nächste Schritt geschah unabhängig von dem 
soeben geschilderten, und ausgehend von Lydgate’s Ge¬ 
dicht ‘The Chorle and the Bird’, auf englischer Seite, 
wo Tyrwhitt 3 ) im Tntroductory Discourse to the Canter- 
bury Tales’ gelegentlich auf das Gedicht zu sprechen 
kommt und die Verfasserschaft Lydgate’s anderweitigen 
Behauptungen gegenüber feststellt, zugleich aber auch als 
Erster auf die von Petrus Alphonsi in der Disciplina cleri- 
calis erzählte Geschichte aufmerksam macht. Ein paar 
Jahre später [1781] konnte ein zweiter bekannter eng¬ 
lischer Forscher, ThomasWarton 4 ), von Kap. 167 der Gesta 
ausgehend, diesen Hinweis erneuern und zugleich als 
Erster auf das .wichtigste Verbreitungsgebiet der Er¬ 
zählung, ‘the Greek legend of Barlaam and Josaphat’ 
das Augenmerk lenken, und zwar auf die lateinische 
Übersetzung derselben in der Baseler Ausgabe der Werke 
des Joannes Damascenus und in des Surius Legenda 
Sanctorum; dazu fügte» er als Parallele die Version in 
Caxton’s Golden Legend. 

Unterdessen schien p,uf französischem Boden ein 
bedeutender Fortschritt gemacht und sogar die Urquelle 
der Erzählung aufgedeckt [worden zu sein. Es hatte 
nämlich [1779] Le Grand d’Aussy 5 ) im Anschluß an 


8 ) The Canterbury Tales of Chaucer, London, 1775—1778; 
mir liegt vor die Ausgabe London 1828, 8°, wo die angezogene 
Stelle vol. I, p. 156, Anm. 31 sich befindet. 

*) Dissertation on the Gesta Romanorum, London 1781; in 
der Hist, of Engl. Poetry (L. 1871) v. I, p. 285. 

6 ) Fabliaux ou Contes du XII e et du XIII8 siede etc., Paris 
1779, 8°; mir liegt die Stelle vor in tome III jj. 436 der 2. fünf- 
bänd. Auflage (Paris, 1781, 12°). 



3 


das Lai de l’Oiselet mit der Behauptung ‘ce conte est 
imite de Bidpai’ auf eine kleine orientalische Erzählung 
hingewiesen, die, wenn schon sie nicht die Quelle unse¬ 
rer Geschichte sein kann, dennoch mit ihr in gewissen 
Beziehungen steht. Le Grand hat zuerst auch die Fabel 
der Marie de France ‘Le Vilain et le Loup’ mit dem Lai 
de I’Oiselet in Zusammenhang gebracht 6 ) und, was er 
sonst selten tut, eine ganze Reihe (anscheinender) Paral¬ 
lelen in italienischen und französischen Novellisten be¬ 
nannt. Die Behauptung Le Grand’s betreffs der Quelle 
des Lai hat dann [1796] G. Ellis 7 ) mit einiger Reserve 
wiederholt, außerdem auch nach Tyrwhitt und Warton 
das Gedicht Lydgate’s in neuerliche Erinnerung gerufen, 
‘but the translator (Way) had not the opportunity of 
ascertaining its relation to the French fabliau’. 

Einen weiteren Schritt vorwärts tat wiederum ein 
Deutscher, der Münchener Bibliothekar B. J. Docen 8 ), 
der [1813] aus dem bis dahin noch ungedruckten grie- 


6 ) tome IV, pp. 413/14; hiebei ist Le Grand ein m. W. noch 
nirgends gerügter Irrtum unterlaufen, wenn er behauptet, Marie de 
France habe außer der Fabel ‘le vilain et le loup* auch das ‘lai 
de Toiselet’ als Fabel behandelt; die trois (in Wahrheit bloß zwei) « 
maximes, die er daraus anführt, sind aber dem bei Barb.-Meon ver- 
öff. Castoiement entnommen. 

7 ) Fabliaux or Tales, abridged from French Mss. of the XII th 
and XIII th cent. by M. Le Grand, Selected and translated into 
English verse by the late G. L. Way, with a preface, notes and 
appendix by G. Ellis, London 1796—1800, 2 vols. 8°; mir liegt 
vor die dreibänd. Ausg. Lond. 1815, 8°; die betreffende Stelle vol. I, 
pp. 166/7. 

8 ) Über die Äsopischen Fabeln, in Beyträge zur Geschichte und 
Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der königl. Hof- und Central¬ 
bibliothek zu München, hg. von Joh. Chr. Freyh. von Aretin, Bd. 
IX, pp. 1233 ff, die betr. Stelle pp. 1247—49; der Band trägt 
zwar das Datum 1807, erschien aber erst 1813 (vgl. ebd. p. 1325) ; 
Docens Beitrag trägt den Vermerk: München, im August 1812. 

V 



chischen Barlaam unsere Parabel mitteilte, zugleich aber 
auch auf das französische lai und als Erster auf Wie¬ 
lands Bearbeitung desselben hinwies. Wie wenig man 
aber noch den Zusammenhang zwischen den bisher ge¬ 
wonnenen kärglichen Ergebnissen ahnte, beweist Docens 
Vermutung, die Quelle des Altfranzosen sei im Barlaam 
oder in den Gesta zu suchen. Seinem am gleichen Orte 
gegebenen Versprechen „bei anderer Gelegenheit einige 
neue Materialien mitzuteilen“, kam Docen nach, indem 
er im selben Jahre [1813] aus einem Würzburger 
Kodex, der nach seiner Meinung ‘Strikers Fabelbucli, 
genannt die Welt’ enthielt, das ‘von einem vogeler’ be¬ 
titelte mhd. Gedicht veröffentlichte 9 ). 

In Frankreich war unterdessen [1808] durch Meon’s 
Neuausgabe des vergessenen Barbazan 10 ) nicht nur das 
Vorkommen der Erzählung im ‘Castoiement’, sondern 
auch dessen Charakter als einer Übersetzung der Dis- 
eiplina clericalis mit aller Deutlichkeit nachgewiesen 
worden, so daß Douce 11 ) und Roquefort 12 ) diese Tat¬ 
sachen einem weiteren Leserkreise vermitteln konnten. 

Nicht ohne Verdienst war dann [1824] die Anmer- 


9 ) Aus des Strikers Fabelbuch, genannt die Welt, in Alt¬ 
deutsche Wälder, hg. durch die Brüder Grimm, Siebent. Heft (erstes 
des 2. Bd.), Cassel 1813, 8°, pp. 1 ff; die betr. Stelle pp. 5—7. 

10 ) Fabliaux et Contes des Poetes Francois des XI, XII, XIII, 
XIV et XV e siecles, tires des meilleurs auteurs, p. p. Barbazan. 
Nouvelle ed. p. M. Meon, Paris 1804, 4°, 3 vol; vgl. bes. vol. II, 
p. IX u. pp. 140 ff. 

u ) bei G. Ellis, Specimens of Early English Metrical Ro- 
mances, sec. ed. Lond. 1811, App. I, pp. 133—142; in der mir 
vorliegenden, von J. 0. Halliwell besorgten New Edition London 
1848, p. 42. 

12 ) Po6sies de Marie de France, Paris 1820, 2 vol. 8°; vgl. 
tome I, p. 29 Anm. 3; tomc II, p. 324, Anm. 1. 



5 


kung des Rev. Charles Swan 13 ) zu chap. 167 seiner Über¬ 
setzung des Vulgärtextes der Gesta, welche die Angaben 
Warton’s wiederholte und neuerdings an Lydgate er¬ 
innerte, zugleich aber auch Way’s schwer zugängliche 
Bearbeitung des franz. lai nach Le Grand vollständig 
mit abdruckte. 

Im selben Jahre [1824] besorgte Labouderie in Ver¬ 
bindung mit Meon für die Societe des Bibliophiles fran- 
gais eine Ausgabe der Disciplina und zweier altfranzö¬ 
sischen Übersetzungen derselben in 25 Exemplaren 14 ). 
Die kritische Stellung der Herausgeber zur Geschieht/! 
unserer Erzählung ist noch jene von Le Grand. 

Die erste ausführlichere und zusammenhängende 
Darstellung über die ( bis dahin bekannt gewordenen 
Texte unserer Geschichte gab einige Jahre später [1827] 
Fr. Wilh. Val. Schmidt 15 ) zu cap. XXIII seiner editio 

13 ) Gesta Eomanorum, Entertaining Moral Stories, London 
1824, 2 vols, 8°; liegt mir vor in dem von E. A. Baker ein¬ 
geleit. einbänd. Neudr. London 1905 (Libr. of early novelists 6) ; 
die Anmerkung hier pp. 457—60. 

14 ) Disciplina clericalis; auctore Petro Alphonsi, Ex-Judaoo 
Hispano; gegenüber: Discipline de Clergie; Traduction de l’Ouvrage 
de Pierre Alphonse. Premiere Partie. Soc. des Bibi. fr. Paris, de 
rimprimerie de Rignoux. MDCCCXXIV. (XVI u. 208 S. in kl. 
4°); der 2. Band: Le Chastoiement d'un Pere a son Fils, Traduction 
en vers frangais [de] Touvrage de Pierre Alphonse etc. (IV u. 240 
S. Kl. 40); vgl. ebd. pp. III, IV. 

lö ) Petri Alphonsi Disciplina Clericalis. Zum erstenmale hg. . 
Ein Beitrag zur Geschichte der romantischen Literatur, Berlin 1827, 
4°; pp. 150—154; vgl. auch -Schmidts Einleitung. — Schmidt ver¬ 
weist p. 151 gelegentlich des Barlaam auf alle von Ebert in dessen 
Bibi. Lex. aufgeführten Bearbeitungen dieses Romans und trägt 
dazu das afz. Mystere du Roy Advenir nach, von dem er aus 
Melanges tires d’une grande Bibi. IV, p. 362 und Parfaict, Hist, 
du Theätre Frangais, II, p. 475 Kenntnis hat. Diese Stelle haben 
spätere Forscher so aufgefaßt, als habe Schmidt das Vorkommen 



6 


(princeps) der Disciplina. Er verwertete nicht nur alles 
bisher Geschriebene, sondern gab obendrein eine ganze 
Reihe von neuen Nachweisungen und Andeutungen. Zum 
erstenmale finden wir .hier eine schärfere Scheidung 
zwischen den aus der Disciplina und den aus dem Bar- 
laam geflossenen Bearbeitungen, welch letzteren die 
Priorität vor den ersteren zuerkannt wird. Zu den 
einen stellt Schmidt die im Castoiement und in Stein- 
höwels Äsop enthaltenen, zu den anderen die in den 
Gesta, bei Boner und in Caxton’s Legend (als einer Be¬ 
arbeitung der Legenda aurea) befindlichen Versionen. 
Für die angebl. Bearbeitung des Strikers, für das Lai 
de l’Oiselet, die Fabel der Marie de France, das Gedicht 
von Lydgate, das er nicht aus eigner Lektüre kennt, 
und für die von ihm zuerst beigebrachten Versionen von 
Hans Sachs, H. W. Kirchhof und L. H. Nicolay gibt er 
keinen geschichtlichen Zusammenhang an. Die Anmer¬ 
kung Schmidts, welche sich nicht auf die bloße Auf¬ 
zählung der Parallelen beschränkt, sondern meist auch 
kurze charakteristische Bruchstücke gibt, ist für die 
nächsten Jahrzehnte der Ausgangspunkt aller weiteren 
Forschung geblieben. 

Auch Jacob Grimm 16 ) hat sich für unsere Erzäh¬ 
lung interessiert; sie stellt ihm eine Ausnahme von sei¬ 
ner Theorie dar, wonach die Tierfabeln der einzelnen 
morgen- und abendländischen Völker in einem Verhältnis 
der Urverwandtschaft zu einander stehen. 

Mit den Angaben Schmidts verglichen, sind jene von 


uns, Erz. in den beiden genannten Werken andeuten wollen, und 
haben so ‘Melanges’ und ‘Parfaict’ als Nachweise aus Schmidt 
übernommen. Tatsächlich wird die Parabel in dem noch unedierten 
mystere kaum Vorkommen. 

16 ) Reinhart Fuchs, Berlin 1834, 8°, p. CCLXXXI, Fußnote. 



7 


A. Loiseleur Deslongchamps 17 ) [1838] weit weniger klar 

und inhaltsreich; so z. B. läßt er den Petrus Alphonsi 

* 

aus dem Barlaam schöpfen. Als neue Nachweise bringt 
er namentlich die französische Barlaamübersetzung des 
Jean de Billy und deii'Apolog des Erzbischofs Rigaud 
aus der Chronique de Rains (Recits d’un Menestrel). 
Außerdem stellt er fest, daß die von Le Grand ver¬ 
glichene Fabel Bidpai's nur in zwei Versionen desselben, 
in den persischen Anvär-i Suhaili und dem türkischen 
Humayün Nämeh, vorkommt, und erkennt überdies in 
ihr nur ‘un rapport bien eloigne avec le lai de l’oiselet’. 

Im Jahr 1840 veranstaltete J. O. Halliwell 18 ) eine 
Ausgabe von Lydgate’s Gedicht und erklärte in der 
Einleitung dazu das Lai de l’Oiselet für die wahrschein¬ 
liche Quelle Lydgate’s, Was freilich unzutreffend ist. 
Das lai selbst ist nach Halliwell eine Verschmelzung der 
beiden Castoiements, der altfranzösischen Übersetzungen 
der Disciplina clericalis. 

Die nächsten Jahre brachten Beiträge aus den Fe¬ 
dern verschiedener deutschen Forscher. Zunächst machte 
Franz Pfeiffer 19 ) [1842] darauf aufmerksam, daß im 
mhd. Barlaam des Rudolf von Ems im Gegensatz zu 
jenem! des Bischofs Otto die Parabel vom Vogelsteller 
nicht übersetzt sei. Im selben Jahr trug J. G. Th. 
Grässe 20 ) zu Kap. 167 seiner deutschen Übersetzung 

17 ) Essai sur les Fables Indiennes et leur introduction en 
Europe, Paris, 1838, 8°, p. 71, Anm. 11; vgl. denselben in Mille 
et un Jours, Contes Persans, Paris, 1838, 8°, p. 448 Anm. 

18 ) A Selection from the Minor Poems of Dan John Lydgate, 
London, 1840, 8° (Percy Soc.) pp. 179 ff. 

10 ) Der Laubacher Barlaam, in ZfdA. II (1842), pp. 361/2. 

20 ) Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legenden¬ 
buch des christlichen Mittelalters zum erstenmale vollständig aus 
dem Latein, ins Deutsche übertragen, 2. Hälfte, Dresden und 
Leipzig 1842, 8°, p. 276. 



8 


der Gesta die letzte Literatur nach und fügte als neuen 
Nachweis cap. 100 von Pergamenus’ Dialogus Crea- 
turarum bei. Sonst verdient noch seine Ansicht Be¬ 
achtung, die Disciplina sei die Quelle des lai gewesen. 
Im Jahre 1846 veröffentlichte dann Adelbert Keller 21 ) 
aus einem Münchener Kodex ein weiteres mhd. Gedicht 
‘des Vögleins drei Lehren’ und brachte eine schon 1822 
in Lassbergs Liedersaal herausgegebene mhd. Bearbei¬ 
tung in Erinnerung. Sein Versprechen Mehreres über 
diesen Stoff bei den Gesta Romanorum mitzuteilen, hat 
Keller nicht eingelöst, denn der zweite Band seiner Aus¬ 
gabe der lat. Gesta — der erste kam 1842 heraus —, 
welcher die Anmerkungen enthalten sollte, ist niemals 
erschienen. 

Das Jahr 1847 gab mit M. Steinschneiders 22 ) Über¬ 
setzung der Parabel nach Ibn Chisdai’s hebräischer Be¬ 
arbeitung des Barlaam einen weiteren Beleg für das 
Vorkommen der Erzählung und der in ihr enthaltenen 
Gedanken in der orientalischen Literatur. 

In Frankreich brachte gleichzeitig [1847] der XIX. 
Band der großen Histoire Litteraire 23 ) nebst einem Ab¬ 
druck des Apologs des Erzbischofs Rigaud ausführlichere 
Nachweise, von welchen jener der Vitae Patrum des H. 
Rosweydus neu ist. Edelestand du Meril 24 ) teilte [1854] 

21 ) Altdeutsche Gedichte, Tübingen, 1846, 8°, p. 12. 

22 ) Manna, Berlin, 1847, 8°, pp. 41—46; Anmerkung dazu 
p. 98. 

23 ) Paris, 1847, 4°, p. 621, gelegentlich der Lebensbeschreibung 
des Erzb. Eudes Rigaud; ferner bei der Besprechung der Chronique 
de Rains, p. 717; die betreffenden Artikel sind mit den Initialen 
V. L. C. unterzeichnet. — Ungefähr dieselben Nachweise wiederholt 
Hist. Litt. t. XXIII (1856) p. 77 in einem ebenfalls V. L. C. Unter¬ 
zeichneten Artikel über die fabliaux. 

24 ) Poesies inedites du moyen äge, Paris 1854, 8°, pp. 144 bis 
146, die Anmerkung dazu p. 146. 



9 


ebenfalls den erwähnten Apolog mit und gab im An¬ 
schluß daran eine kurze zusammenfassende Darstellung 
von der Verbreitung der Erzählung, die wegen des Nach¬ 
weises der fabula rhythmica ‘de lupo poenitentiam agente’ 
und überhaupt wegen der versuchten Anknüpfung unse¬ 
rer Geschichte an die Fabel von den drei Wahrheiten, 
für deren indischen Ursprung er eintritt, wertvoll ist. 

In Deutschland schritt unterdessen die Forschung 
rüstig vorwärts. Zwar brachte Felix Liebrechts 25 ) An¬ 
merkung zur Parabel des Barlaam wenig Neues, dafür 
aber besprach [1853] K. L. Roth 20 ) zum erstenmal die 
armenische Version Vartan’s und verglich, noch vor 
du Meril, zu unserer Erzählung die Fabel von den drei 
Wahrheiten nach Babrios ,,Wolf und Fuchs“ und Äsop 
,,Wolf und Kind“. — Eine dankenswerte Zusammenstel¬ 
lung der bisher bekannt gewordenen deutschen Bearbei¬ 
tungen mit einem Neudruck der angeblichen Version des 
Strikers gab im nächsten Jahre [1854] Karl Goedeke 27 ). 
— Auch Ludwig Uhland 28 ) hat sich mit unserem Stoffe 
beschäftigt und eine recht übersichtliche und feinsinnige 
Skizze der Verbreitung desselben mit Inhaltsangabe nach 
dem griechischen Barlaam und dem Lai de l’Oiselet ver¬ 
öffentlicht. Besonders hervorgehoben zu werden verdient 
seine scharfe Scheidung zwischen den Disciplina- und 


25 ) John Dunlop’s Geschichte der Prosadichtungen, aus dem 
Engl, übers. . . Berlin 1851. 8°, p. 462, Anm. 74. 

26 ) Über die äsopische Fabel in Asien, im Philologus VIII 
(1853), p. 140. 

27 ) Deutsche Dichtung im Mittelalter. Hanovcr, 1854, 8°, pp. 
640, 650, 671. 

28 ) Der Rath der Nachtigall, in d. Germania III (1858), 
p. 140 ff., wiederholt in Uhlands Schriften zur Geschichte der Dich¬ 
tung und Sage, dritter Band: Alte hoch- und niederd. Volkslieder 
mit Abhandlungen und Anmerkungen. Zweiter Band: Abhandlung. 
Stuttgart 1866, 8°, pp. 89 ff., 101 —108. 



10 


den Barlaam-Versionen. — Das Jahr 1859 brachte dann 
das für die Geschichte der Fabel- und Märchenliteratur 
bahnbrechende Werk Theodor Benfeys 29 ), der auch für 
unsere Erzählung in Indien Anknüpfungspunkte suchte 
und außerdem als neuen Parallelennachweis das mä§äl 
des ‘Simchoth hanefesh’ lieferte. — Auf Benfeys Ver¬ 
suche hat dann [1860] F. Liebrecht 30 ) im Zusammen¬ 
hänge mit dem Barlaam, über dessen indischen Ursprung 
er ja schon früher Gewißheit verbreitet hatte, neuer¬ 
dings hingewiesen. Kurzei Beiträge sind außerdem zu 
verzeichnen von *M. Steinschneider 31 ), der eine ganz 
kurze hebräische Version in einem alten Drucke nach¬ 
wies, und außerhalb Deutschlands von Gayangos 32 ), der 
zu cap. LIII des von ihm edierten Libro de los Exemplos 
das cap. XXIII der Disciplina clericalis als Quelle 
erkannte. 

Eine Literatur- und Parallelenzusammenstellung, so 
vollständig, wie sie damals überhaupt irgendwie möglich 
war, lieferte im Jahre 1869 Hermann österley 33 ) pu 

29 ) Pantschatantra: Fünf Bücher indischer Fabeln, Märchen 
und Erzählungen, aus dem Sanskrit übersetzt. Erster Theil: Ein¬ 
leitung. Über das indische Grundwerk und dessen Ausflüsse, so¬ 
wie über die Quellen und Verbreitung des Inhalts desselben. Leip¬ 
zig, 1859, 8°, pp. 380/1 et passim. 

30 ) Die Quellen des Barlaam und Josaphat, in Jahrb. f. rom. 
u. engl. Lit. II (1860), p. 332; wiederholt in F. Liebrecht, Zur 
Volkskunde, Heilbronn, 1879, 8°, p. 458. 

81 ) Catalogus Libr. Hebr. in Bibi. Bodleiana, Berolini 1852 
bis 1860, 4°, p. 605, Nr. 3870, sub 1. Mir nicht zugänglich. Vgl. 
G. Paris, Legendes du Moyen Age, p. 230, Anm. 2, wo bemerkt ist, 
daß unsere Erzählung in diesem Drucke ganz ähnlich der Parabel 
des griech. Barlaam ist. 

32 ) Autores Espanoles LI, Madrid 1860, 4°, p. 460 Fußnote; 
vgl. dazu Puymaigre, Les vieux auteurs castillans, Paris-Metz 1862, 
8°, tome I, p. 446. 

33 ) Wendunmuth von Hans Wilhelm Kirchhof, hg. v. H. ö. f 
Bd. V, p. 107/8 (Tübingen 1869, 8°; Lit. Ver. IIC). 



11 


der schon von Schmidt beigebrachten Erzählung Kirch¬ 
hofs. Neu sind die Nachweise des Vorkommens der Ge¬ 
schichte bei Bromyard, in der Scala celi, bei Camerarius, 
Pantaleon Candidus, im spanischen Ysopo, im Seelen¬ 
trost und in Luthers Tischreden. Allerdings erkennt 
Österley an, daß er viele seiner Nachweisungen Benfey, 
insbesondere aber Goedeke verdanke 554 ). — So ziemlich 
(dasselbe Material zählte der gelehrte Forscher 1872 
zu cap. 167 seiner Ausgabe der lateinischen Gesta 35 ) 
auf, so daß er 1873 in seiner Ausgabe Steinhöwels 36 ) 
auf die beiden vorausgegangenen Werke einfach ver¬ 
weisen konnte 37 ). 

Während so auf deutscher Seite die erfreulichsten 
Fortschritte gemacht wurden, bewies 1873 der Fran¬ 
zose Charles Louandre 38 ) gelegentlich seiner Prosaauf¬ 
lösung des lai de l’oiselet mit der Behauptung: ,‘la 
morale du Lai de 1’Oy seiet n’est, comme ce lai lui-meme, 

34 ) ebd. pp. 15/16. — Der Nachweis österleys ‘Agricola 201’ 
bezieht sich auf eine Erzählung, die Johann Agricola (1494—1566) 
zur Erläuterung eines seiner Sprichwörter (1. Samml. 1529) gibt, 
und die zwar in einigen Zügen an die Parabel anklingt, aber offen¬ 
bar mit ihr nichts zu tun hat; deswegen ist auch in den 'Gesta* 
diese Nachweisung nicht wiederholt. — Die auf das lai du Laustic 
bezügliche, auch in den ‘Gesta’ gebrachte Nach Weisung ‘Marie de 
France bei Roquef. I, 314’ ist ganz ungerechtfertigt. 

85 ) Gesta Romanorum, Berlin 1872, 8°, p. 739. 

36 ) Steinhöwels Äsop, Tübingen 1873. 8° (Lit. Ver. CXVII), 
p. 312 Anm. 

37 ) Auch Grässe in seiner Ausgabe des Pergamenus: Die bei¬ 
den ältesten lat. Fabelbücher des Mittelalt. Tüb. 1880, 8° (Lit. 
Ver. CXLVIII), p. 306, begnügt sich mit einem Hinweis auf 
österleys Gesta. Merkwürdig genug verweist Sidney J. H. Herrtage, 
The Early Engl. Versions of the G. R., Lond. 1879, 8° (E. E. T. 
S. e. s. XXXIII), p. 528, obwohl er sonst die Resultate österleys 
benützt, nicht auf dessen, sond. noch auf Schmidts Notizen. 

88 ) Les vieux conteurs fran^ais, in d. Revue des deux Mondes, 
43 e ann6e, sec. per., tome 107 (1873). pp. 434—36. 



12 


que l’exacte reproduction de la fable indienne [de Bid- 
pai] ; mais comment cette fable est-elle arrivee des bords 
du Gange aux bords de la Seine? C’est un mystere que 
la science n’a pas encore eclairci’ eine vollkommene Un¬ 
kenntnis der einschlägigen Fragen und der bisher er¬ 
schienenen Literatur. 

Im gleichen Jahre [1873] fügte M. Steinschnei¬ 
der 59 ) seinen früheren Notizen noch Tendlau’s Bearbei¬ 
tung der Erzählung hinzu. Desgleichen machte R. Köh¬ 
ler zu Nr. XV von A. Schiefner’s Awarischen Texten 40 ) 
neuerdings auf die Parabel Ibn Chisdais und deren Über¬ 
setzungen, insbesondere auf die W. A. Meiseis aufmerk¬ 
sam. Einige Jahre später [1882] gab Max Grünbaum 41 ) 
zu seinem Abdruck des mäsäl aus dem Simchoth hanefesh, 
für das er Ibn Chisdai als Quelle vermutet, zuerst den 
Hinweis auf die ‘Passer et Auceps’ betitelte arabische 
Erzählung in Arnolds Chrestomathie, und Köhler 42 ) 
fügte dazu noch die italienische Version des Piovano 
A rlotto. 

So waren denn mehr als hundert Jahre zwar nur 
gelegentlicher, aber doch nie aussetzender Forschung 
verflossen, als das Jahr 1884 eine erste selbständige 
Monographie brachte, und zwar aus der Feder des gro¬ 


ss) Zu Kalila we-Dimna, in Z. D. M. G. XXVII (1873), 
p. 562. 

40 ) Memoires de l’Academie Imperiale des Sciences de St. 
Pötersbourg. VII e serie, tome XIX, Nr. 6 (1873), p. XXVI; die 
hier gegeb. Verweise wiederholt (mit Zusätzen) in Joh. Bolte, 
Kleinere Schriften zur Märchenforschung von Reinhold Köhler, 
Weimar, 1898. 8°, p. 575. 

41 ) Jüdischdeutsche Chrestomathie, Leipzig 1882, 8°, p. 251 
(u. p. 587). 

42 ) in seiner Besprechung von Grünbaums Buch in Anz. f. d. 
Alt. IX (1883). p. 405; wiederholt in Köhler-Bolte, p. 580. 



13 


ßen Gaston Paris 43 ), der in dem liebenswürdigen lind 
doch so viel Lebensweisheit bergenden afz. lai seinem 
Neffen ein feinsinniges Hochzeitsgeschenk widmete. G. 
Paris hat in der introduction die vorhandene Literatur 
vollkommen verwertet und alle bekannt gewordenen 
Parallelen mindestens anmerkungsweise besprochen. Ja, 
er hat vieles aus eigenen Notizen nachgetragen und mit 
verarbeitet, so die persische Version des ‘Chamsah va- 
Quhquhah’, die hindustanische in dem Roman ,,die Rose 
von Bakawali“ befindliche Parallele, die lateinischen 
Bearbeitungen bei Jacques de Vitry und Odo von Sher- 
rington und endlich die afz. im Donnei des Amanz ent¬ 
haltene Episode. Ohne schon hier auf die Resultate 
dieser bedeutenden Arbeit 44 ) im einzelnen einzugehen, 
sei Nachfolgendes zur allgemeinen Übersicht bemerkt: 
G. Paris geht vom griechischen Barlaam aus und behan¬ 
delt (unter Mitteilung von Texten) mit besonderer Aus¬ 
führlichkeit die ihm bekannten orientalischen Versio¬ 
nen, die er zu folgender auf die gegenseitige Ähnlich¬ 
keit begründeten Kreiskette anordnet: griech. Barlaam 
— Ibn Chisdai — Disciplina — Bakawali — Passer et 
Auceps — awarischer Text — Vartan — griech. Bar- 

43 ) Le Lai de l’Oiselet, poeme frangais du XIII e siecle, publie 
d’apres les 5 mss. de la Bibliotheque Nationale et accompagne d’une 
introduction, Paris, *1884, kl. 8° [Lit. Centralblatt, 1884, pp. 1526/7]. 
Ist als ‘Per Nozze’ nur in wenigen Exemplaren gedruckt worden 
und nicht in den Handel gekommen, so daß es (mit der einzigen 
Ausnahme Sauersteins) zwanzig Jahre lang für die Forschung so 
gut wie nicht existierte. Erst mit der Aufnahme von Text und 
introduction in die ‘Legendes du Moyen Age par Gaston Paris. 
Paris, 1903, 8° (introd. pp. 223—291) ist die wertvolle Arbeit 
einem weiteren Kreise zugänglich gemacht worden. 

**) eine eingeh. Würdigung derselben namentlich nach der 
method. Seite findet man bei A. G. van Hamei, Gaston Paris en 
zijne Leerlingen, im 59. Jhg. (1895) der Zeitschrift ‘de Gids\ 
pp. 511—513. 



14 


laam. Die Knappheit des Materials verhindert ihn frei¬ 
lich ein bestimmtes Urteil über die Zusammengehörigkeit 
dieser verschiedenen Bearbeitungen abzugeben, aber er 
ist dem wahrscheinlichen Sachverhalt doch sehr nahe 
gekommen. Insbesondere hat sich G. Paris auch mit 
großer kritischer Schärfe auf die von der Disciplina 
ausgehenden abendländischen Bearbeitungen eingelassen, 
ist aber weder mit Bezug auf das lai noch auf das Ge¬ 
dicht Lydgate’s zu einem abschließenden Resultate ge¬ 
langt. Alles in allem bedeutete G. Paris’ introduction 
einen ganz gewaltigen Schritt vorwärts. 

Ins Gebiet der Anglistik führt uns wieder eine 
Dissertation von P. Sauerstein 45 ), die u. a. auch eine 
kleine Skizze über das Vorkommen unserer Erzählung in 
der älteren englischen Literatur gibt, aber hie und da 
an Gründlichkeit zu wünschen übrig läßt. Betreffs Lyd¬ 
gate’s Gedicht wird die zurückhaltende Meinung G. 
Paris’ wiederholt. Aber selbst auch die Übersicht über 
die Geschichte der Erzählung, welche der bekannte For¬ 
scher W. A. Clouston 46 ) zur Version des ‘Shamsah ü 
Kahkahah’ im Jahre 1889 schrieb, hält sich von Irr- 
tümern 47 ) nicht frei und bringt auch nichts wesent¬ 
lich Neues. Literaturnachweise gaben ferner [1889] 
Joseph Jacobs 48 ) in nicht immer vorsichtiger Auswahl 
nach Österley, jedoch mit dem Hinweis auf die beiden 

45 ) Über Lydgate’s Äsop-Übersetzung, Halle a. S., 1885, pp. 6 ff. 

46 ) A Group of Eastern Romances and Stories from the Per- 
siau, Tamil and Urdu. Privately printed. [Glasgow] 1889, 8°, 
pp. 563—568. 

47 ) in der Behauptung, daß in der Form wie im griechischen 
Barlaani die Geschichte auch in der Disc. vorkomme, und daß sic 
von dieser in die Gesta Rom. übergegangen sei (p. 564). 

48 ) The Fables of Aesop as first printed by William Caxton 
in 1484; vol. I: History of the Aesopic Fable, London 1889, 8°, p. 
265 (zu fabula collecta no. 6). 



15 


von Gering in den Islendzk Aeventyri gedruckten alt¬ 
nordischen Versionen Neu,eS* bietend; und [1890] F. 
Crane 49 ), der etwas näher nur auf die Versionen des 
Pergamenus, Bromyard und der Scala celi einging. 

Inzwischen war die Barlaamfrage selbst wieder in 
neuen Fluß gekommen, weswegen unsere Parabel in den 
betreffenden Schriften 50 ) öfter genannt und dann von 
N. Weisslovits 51 ) nach dem hebräischen, einem arabi¬ 
schen (Ms. Halle) und dem griechischen Barlaamtext, 
unter Zuhilfenahme von Benfeys Ausführungen im 
‘Pantschatantra’, vergleichend behandelt wurde. Zu 
Weisslovits trug dann [1893] M. Steinschneider 52 ) die 
hebräische Bearbeitung von Schemtob ibn Gaon nach. 
Ja auch der Gelehrte, der über die Geschichte des Bar- 
laam in so epochemachender Weise neues Licht ver¬ 
breitet und dadurch für Einzeluntersuchungen erst eine 
feste Grundlage geschaffen hatte, Ernst Kuhn 53 ) selbst 


* 9 ) The Exempla or Illustrative Stories from the Sermoncs 
Vulgares of Jacques de Vitry, London 1890, 8° (Publ. of the Folk- 
Lore Society XXVJ), p. 144/5 (zu exemplum XXVIII). 

50 ) namentlich von Hommel und Kuhn; siehe des letzteren 
sogleich zu nennende Monographie über Barlaam und Joasaph. 

61 ) Prinz und Derwisch, München, 1890, 8°, pp. 112—114. 

6i ) Die hebräischen Übersetzungen des Mittelalters, Berlin, 
1893, 8°, 2 Bde. mit fortl. Seitenzahl; p. 864, Anm. 99 und p. 
XXXIII (Zusätze). — Die oben erwähnte Parallele konnte nicht 
untersucht werden. — Der Verweis ‘Pertsch, cat. I, 191 n°. 106 4 ’ 
bezieht sich auf eine Erzählung „von einem Gespräch Salomons mit 
verschiedenen Vögeln“, die kaum hieher gehören wird; der Verweis 
‘Pertsch, Cat. I, 63, n°. 27 6 ’ geht auf die Parabel von den drei 

Freunden, ist also ein Irrtum; die Hinweise: ‘Or. u. Occ. II, 133’ 

und ‘Simrock, Quellen des Shakesp. *1, 353’ beziehen sich auf All¬ 
gemeines und wurden nicht berücksichtigt; die übrigen Verweise 

gehen auf bereits bekannte Dinge. 

6# ) Barlaam und Joasaph. Eine bibliogr.-literargesch. Studie, 



16 


beschäftigte sich auch iin einzelnen mit der Verbreitung 
unserer Parabel, indem er die seit Österley angesammelte 
Literatur verzeichnete und als Erster auf die arabische 
Version in den 1890 in Beyrouth erschienenen Contes 
Arabes du P. A. Salhani hinwies. 

Ungefähr gleichzeitig [1893] besprach auch Joseph 
Bedier 54 ) unsere Erzählung, und zwar in ihrem Verhält¬ 
nis zur schriftlichen und mündlichen Überlieferung. 

Die nächsten Jahre lieferten namentlich vonseiten 
der Orientalisten reichlicheres Material. So stellte 
[1894] Bruno Meissner 55 ) in der Geschichte bei Salhani 
eine Verbindung der im Haikär-Roman enthaltenen Fabel 
,, Vogel und Vogelstock“ mit unserer Erzählung fest und 
machte auf die im Magäni befindlichen Parallelen auf¬ 
merksam. Im selben Zusammenhang lenkte [1896] Nöl- 
deke 56 ) das Augenmerk auf zwei Gothaer Handschriften 
und die Version bei Damiri. Ungefähr dieselben Nach¬ 
weise, teilweise mit ausführlicher Analyse, gab M. Hart¬ 


in Abhandl. der philos.-philol. Classe der K. Bay. Ak. d. AViss. XX 
(München 1894), p. 75. — Vgl. dazu G. Paris in Romania XXIII 
(1894), p. 313. 

5 *) Les Fabliaux, Etudes de litt. pop. eh d’liist. litt, du moyen 
äge, Paris, 1893, 8°, pp. 103/4, 109, 111. 

55 ) Quellenuntersuchungen zur Haikargeschichte, in Z. D. M. 
G. IIL (1894), p. 184, Anm. 1. 

56 ) gelegentlich der Bespr. von Lidzbarski’s Neuaramäischen 
Texten, in Z. D. M. G. L (1896) p. 306. — Der Verweis ‘Basset, 
Les Aventures de Temim ed-Dari, p. 12* (wiederholt von M. Hart* 
mann in Z. d. V. L Vk. VII (1897) p. 106, ferner bei Chauvin 
VI p. 110) bez. sich auf einen Artikel Basset's im Giornale della 
Soc. as. ital. V, p. 12, wo der Inhalt einer arab. Sammelhandschr. 
aufgezählt wird. In derselben findet sich auch die Fabel ,,Vogel 
und Vogelstock“, aber nicht unsere Erzählung. 



17 


mann 57 ) an verschiedenen Orten. F. Müller 58 ) verdan¬ 
ken wir die Namhaftmachung der von Brandstetter über¬ 
setzten bugischen Version, die in der Geschichte von 
König Indjilai enthalten ist. 

Das Jahr 1896 brachte auch von nichtorientalisti- 
scher Seite einige wertvolle Beiträge. Josteph Jacobs 59 ) 
sprach sich abwägend ;über die Wahrscheinlichkeit der 
indischen Abstammung der Erzählung aus und wieder¬ 
holte außerdem die in seinem Äsop beigebrachten Paral¬ 
lelen. E. Gattinger 60 ) behandelte ausführlich Lydgate’s 
Gedicht und kam unabhängig zu einem ähnlichen Resul¬ 
tat wie G. Paris bereits zwölf Jahre früher. Eine sehr 
wertvolle Bereicherung des Vorhandenen bildete dann 
noch die Veröffentlichung des ‘Donnei des Amanz’ durch 
G. Paris 61 ), der die darin enthaltene Version unserer 
Erzählung zwar auf Petrus Alphonsi zurückleitet, aber 
merkwürdigerweise! ihre Beziehung zu Lydgate’s Gedicht 
nicht erkennt 62 ). 

•Von den geringeren Beisteuern aus den folgenden 


57 ) Aus dem Volkstum der Berber, in Zeitschr. d. Ver. f. 
Volksk. VI (1896), p. 270; das hier zum Vergleich herangezogene 
Volksmärchen der Berber gehört auf keinen Fall hieher; ferner in 
Z. d. V. f. Vk. VII (1897), p. 106; und Orientalist. Lit.-Z. II 
(1899), p. 341. 

58 ) Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, X 
(1896), p. 160. 

59 ) Barlaam and Josaphat, English Lives of Buddha, London, 
1896, 8°, pp. LXXX/I, CXXI/II. 

60 ) Die Lyrik Lydgate’s, Wien u. Leipzig, 1896, 8° (Wiener 
Beiträge IV), passim. 

61 ) Le Donnei des Amants, in Romania XXV (1896), pp. 
497 ff, die Anmerkungen pp. 540/1. 

62 ) Vermutlich lag ihm der Halliwell’sche Text gerade 
nicht vor. 

Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 2 



18 


Jahren sind jene von G. Amalfi 63 ) und M. Rösle 64 ), 
weil nur einiges schon Bekannte aufzählend, weniger 
wichtig. Den Zusätzen von Joh. Bolte 65 ) zu R. Köh¬ 
lers Notizen verdanken wir den Nachweis der Parallele 
bei Bar-Hebraeus in der Ausgabe von Budge. Außerdem 
ist hier die mit großem Apparat in Angriff genommene, 
aber aussichtslos begonnene und ebenso aussichtslos endi¬ 
gende Arbeit von G. Schleich 66 ) über die Quelle Lyd- 
gate’s zu nennen, welche bereits durch die dem Verfasser 
allerdings nicht bekannte Veröffentlichung des 'Donnei’ 
überflüssig geworden war. Nur kurz gestreift sei eine 
holländische Schrift über den Barlaam von Dr. S. J. 
Warren 67 ), der wohl den griechischen Text der Parabel 
abdruckt, aber auf ihren Ursprung und ihre Verbreitung 
mit keinem Worte eipgeht. 

Nunmehr tritt aber ein Forscher auf den Plan, 
dessen Bemühungen erst die Inangriffnahme einer zu¬ 
sammenfassenden Darstellung, wie sie vorliegende Arbeit 
sein will, ermöglicht haben, der gelehrte und unermüd¬ 
liche Victor Chauvin 68 ), der dreimal zu unserer Er- 

63 ) Wer hat die Facetien des Piovano Arlotto kompiliert? in 
Z. d. V. f. Vk. VII (1897), p. 379. 

64 ) Le Castoiement d’un Pere a son Fils. Beilage zum sie¬ 
benten Jahresbericht der Kgl. Luitpold-Kreisrealschule in München 
[1898], 8°, p. 40. 

65 ) Kleinere Schriften zur Märchenforschung von Reinhold 
Köhler, Weimar, 1898, 8°, pp. 576, 580. 

66 ) Über die Quelle von Lydgate’s Gedicht The Chorle and the 
Bird, in Herrigs Archiv IC (1897), pp. 425—435. 

67 ) De Grieksche christelijke roman Barlaam en Joasaf en 
zijne parabels, Rotterd. 1899, 4°. 

68 ) Bibliographie des Ouvrages Arabes ou relatives aux arabes, 
publies dans TEurope chretienne de 1810 ä 1885. — Zuerst behan¬ 
delt Chauvin unsere Geschichte beim Barlaam, tome III (Liege 
1898), pp. 103/4 im Anschluß an den Bombay-Text; dann bei 
Tausend und eine Nacht, tome VI (Liege 1902), p. 110; endlich bei 



19 


Zahlung das Wort ergriffen und eine Keihe neuer Paral¬ 
lelen angegeben hat: bei Tantavy, in zwei Berliner ara¬ 
bischen Kodizes, bei Louandre, im Cavallero Cifar und 
bei Ga^uzi. Mit großer Dankbarkeit muß anerkannt 
werden, wie leicht die Orientierung in Chauvin’s Werk 
gemacht, wie vollständig die Literatur zusammengetra¬ 
gen und wie übersichtlich sie angeordnet ist. 

Noch vor das Erscheinen der Legendes du Moyen 
Age, in welchen G. Paris’ Abhandlung über das Lai 
de l’Oiselet allgemeiner zugänglich gemacht wurde, rei¬ 
chen zurück die Anfänge einer Arbeit von A. de Cock 69 ), 
die zuerst am 7. Juni 1903 in einer Sitzung der Brüs¬ 
seler ‘societe pour le progres des etudes philologiques et 

der Disciplina (tome IX) p. 30. — Bemerkungen: 1. Obwohl mehrere 
Ausgaben des von Chauvin zitierten Buches des Jesuiten Caussin, 
La Cour Sainte, eingesehen wurden, konnte doch das Vorkommen 
unserer Erzählung dort nicht verifiziert werden. Die Ausgabe 
Bruxelles 1665 (I, 576), nach der Ch. zitiert, habe ich allerdings 
nicht vor mir gehabt; 2. mit dem Verweis Tläm, 148* ist wohl 
d. Kitäb i‘läm annubuwwah des al-Mawardi gemeint, es war mir 
aber unmöglich das Vorkommen unserer Erzählung dort festzu¬ 
stellen ; 3. mit dem Verweis ‘Qalyoubi, 173* ist gemeint das 1856 
in Indien s. 1. erschienene Book of Anecdotes, Wonders etc. by 
al-Qolyoobi, ed. by W. Nassau Lees and Mawlawi Kabu al-din; 
doch findet sich an der betreffenden Stelle nur der Dialog zwischen 
Vogel und Falle, der in and. Versionen mit unserer Erzählung ver¬ 
bunden ist; 4. in dem ebenfalls von Chauvin zitierten Buche von 
Hammer-Purgstall, Geschichte der osmanischen Dichtkunst, Pesth 
1837, Bd. II, p. 397, gibt der Verfasser an, daß sich in einer 
türkischen Handschrift im Besitz der K. K. Hofbibi, in Wien die 
Apologie von dem Vogel, der dem Vogelfänger Lehren gibt, findet 
und »an der betr. Stelle zur Erhärtung der Wahrheit dient, daß 
die Zunge die Quelle allen Unheils ist. Das Verhältnis dieser Be¬ 
arbeitung zu den anderen orientalischen Versionen bleibt noch zu 
untersuchen. 

69 ) De vogelaar en de nachtegaal, in Dietsche Warande en 
Beifort, 1904, n°2, pp. 113—137. 


2 




20 


historiques’ gelesen und dann nach G. Paris’ introduction 
verbessert wurde, aber trotzdem von Mißverständnissen 
und Irrtümern nicht ganz frei ist. Der Hauptwert der 
Abhandlung liegt darin, daß ausgehend von einer hier 
zum ersten Male namhaft gemachten modernen hollän¬ 
dischen Version von Prudens van Duyse der Text einiger 
niederländischen prosaischen Bearbeitungen mitgeteilt 
wird. 

Das jüngste Buch, welches hier zu nennen ist, ist 
eine Berliner Dissertation von Max Plessow 70 ), die in 
ähnlicher Weise wie schon Sauerstein die Verbreitung 
der Erzählung in England kurz skizziert, aber leider 
keine allzu große Sachkenntnis auf unserem Gebiete 
entwickelt. 


2. Die Aufgabe vorliegender Arbeit. 

Die Hauptaufgabe der vorliegenden Arbeit besteht 
naturgemäß darin, das vorhandene Material in mög¬ 
lichster Vollständigkeit sachgemäß und übersichtlich zu 
verarbeiten. Daneben konnte aber der Gedanke nicht 
außer Acht gelassen werden, daß die Forschung über 
das Geschichtchen von „Mann und Vogel“ noch keines¬ 
wegs abgeschlossen sein dürfte, sondern daß immer noch 
neue Parallelen, namentlich aus dem Orient, bekannt 
werden dürften, die schließlich in absehbarer Zeit eine 
Neubearbeitung des vorliegenden Themas zur Folge 
haben müssen. In diesem Falle würde sich dann, wie 
hier, abermals die Notwendigkeit ergeben, die gesamte 
überaus verzettelte Literatur von neuem zu durchstö- 

7 9) Geschichte der Fabeldichtung in England bis zu John 
Gay (1726). 1906, pp. XXXVI, XLIII (auch im 52. Heft der 
Palästra). 



21 


bern, eine ^ußerst zeitraubende und unfruchtbare Arbeit, 
die sich aber trotzdem nie umgehen lassen würde, da 
immer unter einem Haufen von Spreu auch dies oder 
jenes Fruchtkörnchen verborgen £st. All diese Mühe 
möchte nun meine Arbeit Späteren ersparen, und ich 
hoffe, auch das wird dankenswert sein. 

Dem Einwurf, daß nach der Arbeit eines G. Paris 
doch keine dringende Notwendigkeit vorliege den Stoff 
neuerdings zu behandeln, ist leicht begegnet. Einmal 
behandelt G. Paris die Geschichte unserer Erzählung 
sozusagen nur aphoristisch, insbesondere was die vom 
lateinischen Barlaam und von der Disciplina ausgehen¬ 
den europäischen Bearbeitungen anlangt, die er bloß 
anmerkungsweise erledigt. Außerdem fiel seine Arbeit 
noch vor die bedeutsamen Entdeckungen, die um 1890 
auf dem Gebiet des orientalischen Barlaam geschahen 
und die einen großen Teil seiner Ausführungen anti- 
quieren mußten. Dazu kommt endlich eine Fülle von 
neu bekannt gewordenen Parallelen, die vielfach ganz 
neue Ergebnisse zeitigen. G. Paris ist noch nicht im¬ 
stande gewesen, die Verbreitung und Filiation der Er¬ 
zählung in einem Stammbaum zu resümieren, und ge¬ 
rade das ist notwendig, wenn anders eine derartige 
Arbeit ein handlicher Baustein zur Literaturgeschichte 
der einzelnen Völker sein soll. Überdies ist die Arbeit 
G. Paris’ auch durch ihre Aufnahme in die Legendes du 
Moyen Age noch so wenig bekannt geworden, daß ps 
sicherlich nicht unverdienstlich jst, den Stoff einmal 
in deutscher Sprache und in einer allgemein zugäng¬ 
lichen Form zu behandeln. 

Über einen anderen Einwurf, den entgegengesetzten, 
ob es denn bei dem eingestandenermaßen unvollkomme¬ 
nen Material überhaupt möglich sei eine für die ge¬ 
samte nachfolgende Forschung grundlegende Arbeit zu 



22 


schaffen, möge diese selbst entscheiden. Ich hoffe einem 
solchen Einwurf möglichst viel von seiner Berechtigung 
entzogen zu haben. 

Und nun den Mitteln und Wegen, durch die 
ich bestrebt war, meiner doppelten Aufgabe gerecht zu 
werden. Diese sind hauptsächlich folgende: 

1. Vollständige Verarbeitung der vorhandenen Lite¬ 
ratur in der Weise, daß jedem späteren Forscher die 
zeitraubende Mühe erspart bleibt sich selbst darin Um¬ 
sehen zu müssen. Dieses Mittel ist bereits im ersten 
Abschnitte der Einleitung angewandt und wird sich bei 
jedem einzelnen Kapitel der folgenden Ausführungen 
wiederholt angewendet finden. 

2. Sorgfältige Besprechung und Vergleichung der 
sämtlichen bisher bekannt gewordenen Parallelen, so¬ 
weit es überhaupt in meinen Kräften stand, in der 
Weise, daß die einzelnen Texte tunlichst in der Ur¬ 
sprache der Arbeit angehängt werden, und so eine leich¬ 
tere Orientierung, aber auch eine kritische Nachprüfung 
der in der Darstellung selbst gebotenen Ausführungen 
ermöglichen. 

3. Übersichtliche Zusammenstellung der Hauptresul- 
tate am Schlüsse der Arbeit in einem Stammbaum, der 
namentlich dem Fernerstehenden gegenüber die Quint¬ 
essenz des Ganzen enthalten soll. 

Den Ausgangspunkt der Arbeit möge das Gedicht 
Lydgate’s bilden, damit die Eigenschaft des Verfassers 
als eines englischen Philologen doch auch äußerlich 
dokumentiert werde. 



Erster Abschnitt. 


Die Quelle von Lydgate’s Gedicht Ä The 
Cliorle and the Bird’ und die von der 
Disciplina clericalis ausgegangenen Be¬ 
arbeitungen der Erzählung. 

1. Lydgate's Gedicht [Anhang No. 1]. 

John Lydgate’s 71 ) Gedicht ‘The Chorle and the 
Bird’ 72 ) ist zwar ohne den Namen des Verfassers über¬ 
liefert, wurde jaber nach dem Zeugnisse von Stephen 
Hawes’ ‘Passetyme of Pleasure’ (vf. um 1506, gedr. 

71 ) Über das Leben dieses bedeutendsten von Chaucer’s Schü¬ 
lern siehe G. Körting, Grundriß der Geschichte der engl. Litt., 
Münster 1905 4 , p. 198, und die dort zitierte Literatur. 

72 ) Im ganzen 386 fünftaktige tonjamb. Verse in Strophen zu 
7 Zeilen mit der Reimstellung ababbcc, die letzte Strophe hat 8 
Zeilen mit der Reimfolge ababbaba. — Ausgaben: 1. London 1818 
(u. 1822), 4° Roxburghe Club, pres. by Sir Mark Masterman Sykes 
[Chauvin III, p. 104 u. a.] ; 2. A Selection from the Minor Poems 
of Dan John Lydgate, ed. by J. O. Halliwell, London 1840, 8° 
(Percy Society 2), pp. 179 ff; 3. J. Lydgate, A lytell treatyse of 
the horse, the sheep, and the ghoos. The churl and the bird. trans- 
lated from the French. Cambridge, Univ. Press [Jahresbericht über 
die Erscheinungen auf dem Gebiete der germ. Phil., XXVIII (1906), 
2. Teil, p. 43]. — Inhaltsangaben bei Clouston, pp. 564/5 u. Gat- 
tinger, pp. 50—55; die Analyse bei Sauerstein p. 10 ist offenbar 
unrichtig und bezieht sich in der dort gegebenen Form auf die 



1517) sicher von Lydgate geschrieben 73 ) und zwar wohl 
noch vor 1400, da es der Dichter im envoy (v. 379 ff) 
an: seinen ‘maister’ richtet, unter dem wohl kaum ein 
anderer als der 1400 verstorbene Chaucer gemeint sein 
kann 74 ). Die Dichtung, nach des Verfassers eigener An¬ 
gabe (v. 33—35) aus einem ‘Frenssh paunflet’ übersetzt, 
gehört anerkanntermaßen 75 ) zu den besten Schöpfungen 
Lydgate’s und muß seinerzeit sehr beliebt gewesen sein, 
da außer mehreren ^Handschriften 76 ) noch eine Reihe 
von alten seltenen Drucken 77 ) auf uns gekommen ist. 

Parabel im Barlaam. — Auf den Chorle and Bird haben im Zu¬ 
sammenhänge mit unserer Untersuchung verwiesen: Tyrwhitt (1822, 
I, pp. 156/7, Anm. 31); Warton (-Hazlitt, 1871, I, p. 241 Anra. 
1); G. Ellis bei Way (1815, I, p. 167); Douce bei G. Eilis (1848, 
I, p. 42): Swan (-Baker 1905, p. 460); Schmidt, pp. 152/3; 
Halliwell, p. 179; E. du Meril, p. 146; österley, Wendunm. V, pp. 
107/8, Gesta, p. 739; Herrtage, p. 528; G. Paris, Lai (1903, p. 
252/3); Sauerstein pp. 6, 9, 10, 13, 30; Clouston, pp. 564/5; 
Jacobs, Aesop I, p. 265; Schick, Lydgate’s Temple of Glas, London 
1891, 8° (E. E. T. S. e. s. LX), pp. CXVII/VIII; Gattinger, 
passim; Jacobs, Barl. pp. LXXX, CXXII; Chauvin III, p. 104; 
Schleich, passim; Plessow, pp. XXXVI, XLIII. 

73 ) Halliwell, p. 179; Sauerstein, p. 10. 

74 ) Schick, pp. XCI, C. 

76 ) G. Paris, Lai (1903, p. 252): ‘gracieux petit poeme’; 
Clouston, pp. 565/6: ‘many fine passages’; ten Brink, Geschichte 
der engl. Litt., II, p. 239: ,,Von seiner besten Seite zeigt sich L. 
vielleicht in der Geschichte vom Bauern und vom Vogel . . . Die 
Sprache erreicht hier zuweilen wirklich musikalischen Wohllaut, 
und der Gegenstand hat etwas rührend Symbolisches . . .“; Gattin¬ 
ger, p. 13: ,,Das Gedicht ist unter allen die anmutigste Schöp¬ 
fung L.’s, und in ihm hat der Dichter wohl den Höhepunkt seines 
dichterischen Schaffens erreicht. . 

76 ) solche zählen auf Halliwell, p. 179; Sauerstein p. 10; 
Schleich, pp. 434/5. 

77 ) von W. de Wörde, W. Copland, R. Pinson (London); J. 
Mychel (Canterbury); vgl. Lowndes-Bohn, Part V, p. 1418, wo in¬ 
des, im Gegensatz zu Halliwell und Sauerstein ein Druck v. Caxton 
nicht genannt ist. 



25 


Später muß das Gedicht mitsamt dem Verfasser in 
Vergessenheit geraten sein. Zwar führt es noch 1598 
bis 1602 Speght in der seiner Chaucerausgabe angehäng¬ 
ten Liste von Lydgate’s Werken auf 78 ), aber schon 1652 
gab Elias Ashmole 79 ) den berühmten Raimundus Lullus 

G. Ellis bei Way (1815, I, p. 167). 

79 ) Theatrum Chemicum Britannicum etc., London, Printed by 
J. Grismond for Nath. Brooke, at the Angel in Cornhill, MDCLL1, 
4°. In diesem Buche hat Ashmole, der sich selbst Mercuriophilus 
Anglicus nennt, eine Anzahl poetischer alchymistischer Texte, sog. 
‘hermetique mysteries*, teils wirklich solche, teils nur vermeint licht*, 
gesammelt. So findet sich hier außer Chaucer’s Chanones Yemanncs 
Tale auch unser Gedicht, unter dem Titel Hermes Bird, pp. 213 
bis 226. Nach Strophe 35 sind 7 Strophen, und nach Strophe 40 
ist noch eine weitere Strophe eingeschoben, also im ganzen acht 
Strophen, nicht zehn, wie Lowndes-Bohn, Pt. V, p. 1418 angibt. 
In diesen Einschüben, die formell und inhaltlich recht mangelhaft 
sind und wahrscheinlich keinen andren als Ashmole selbst zum 
Verfasser haben, schildert der Vogel, der sich als Bryde of Turmes 
zu erkennen gibt, den unvergleichlichen Wert und die märchenhafte 
Geschichte des fabelhaften Edelsteines in seinem Magen. Über die 
Umstände der Abfassung des Gedichtes fabelt Ashmole in einer 
Anm. p. 467 folgende Geschichte zusammen: Der Abt Cmner, 
auf einer Italienreise mit Lullus zusammengetroffen, vermochte 
diesen nach England zu kommen. Dort bereicherte Lullus durch 
seine Kunst den König Eduard III, wofür ihm dieser einen Kreuz¬ 
zug gegen die Türken und wohltätige Gesinnung gegen die Kirche 
geloben mußte. Doch statt dessen wandte der König seine Waffen 
gegen Christenmenschen, die Franzosen. Da Lullus deswegen den 
weiteren Geldforderungen des Königs nicht mehr entsprach, wurde 
er in den Tower geworfen, entkam aber endlich nach Frankreich, 
wo er, wie Ashmole hinzufügt, wahrscheinlich das vorlieg. Gedicht 
▼erfaßt habe. So bezog Ashmole jedenfalls das Gedicht in erster 
Linie auf die Flucht des Lullus aus der Gewalt des gierigen Königs, 
legte ihm aber folgenden allgemeineren Sinn daneben unter: ‘The 
whole work is parabolical and allusive, yet truly philosophical: 
and the bird (that entitles it) the Mercury of the Philosophers 
(whose virtues and properties are therein largely described). Bv 
the word ‘Chorle* is meant the covetous and ignorant artist, the 



26 


ala Verfasser und den Abt Cremer von Westminster, 
einen Schüler des Raimundus, als englischen Über¬ 
setzer an. 

Mit Tyrwhitt 80 ), der Ashmole’s Behauptungen be¬ 
richtigt, beginnt die Forschung nach der Quelle von Lyd- 
gate’s Gedicht. Doch erblickte er, und nach ihm War- 
ton 81 ), trotz dem von dem Dichter selbst gegebenen Fin¬ 
gerzeig, die Quelle in der damals noch recht unbekann¬ 
ten Disciplina clericalis. Freilich ist auch nicht zu ver¬ 
kennen, daß damit wenigstens der rechte Weg gewiesen 
war. Halliwell 82 ), der Herausgeber des Gedichtes für 
die Percy Society, identifizierte 1840 das von Lydgate 
als Vorlage benannte ‘French pamflet’ mit dem auf die 
Disciplina zurückgehenden afz. Lai de l’Oiselet. G. 
Paris 83 ) hat indes, allerdings ohne auf Einzelheiten 
einzugehen, jede unmittelbare Beziehung Lydgate’s zu 
dem lai mit Entschiedenheit abgelehnt; nach ihm hätte 
der englische Autor aus einer möglicherweise mit einem 
der beiden äfz. Chastoiements identischen französischen 


garden is the vessel or glass, and the hedge the furnace.’ All das 
wird um so klarer, wenn wir den allgemeinen Standpunkt Ashmole’s, 
von diesem in der Einleitung seines Buches niedergelegt, zum Ver¬ 
gleich heranziehen. Darnach besteht die wahre Weisheit (des Alchy- 
misten) nicht darin, in das Geheimnis der Natur einzudringen und 
dadurch Reichtum und Macht zu erwerben, sondern trotz des 
erworbenen geheimen Wissens sich von dem materiellen Bedürfnis 
loszulösen und seine Freude nur in der Betrachtung des sinn¬ 
vollen Naturgetriebes zu suchen. — Die ganze obige Geschichte 
widerlegt Tyrwhitt (a. a. O.) mit dem Hinweis, daß Lullus 
bereits zwanzig Jahre, bevor Eduard III. Gold zu prägen be¬ 
gann, tot war. 

80 ) a. a. O. p. 157 Anm. 

81 ) a. a. O. p. 241 Anm. 

82 ) a. a. 0. p. 179. 

8S ) a. a. 0. p. 252; nach ihm Sauerstein, p. 10; vgl. ferner 
Schick und ten Brink (a. a. O.). 



27 


Übersetzung der Disciplina geschöpft. Recht skeptisch 
stellte sich auch Clouston 84 ) zu dieser Frage. Gattin- 
ger 85 ) hat dann, unabhängig von G. Paris, den ausführ¬ 
lichen Nachweis erbracht, daß das afz. lai Lydgate’s 
Quelle nicht gewesen sein könne; seine Schlußfolgerung 
war genau jene des großen französischen Gelehrten. 
Nichtsdestoweniger wurden Gattingers Aufstellungen 
von Schleich 86 ) heftig bekämpft; er vertrat von neuem, 
wenn auch etwas modifiziert, die von Halliwell ge¬ 
äußerte Ansicht und gelangte zu folgendem, mit der 
klaren Angabe des englischen Gedichtes keineswegs zu 
vereinbarendem Resultate: 1. Das afz. lai müsse dem 
Dichter bekannt gewesen sein; 2. solange keine einheit¬ 
liche Quelle nachgewiesen sei, sei die Vermutung be¬ 
rechtigt, daß L. außerdem noch wahrscheinlich die Dis¬ 
ciplina und sicher die Legenda aurea oder die Gesta 
Romanorum benutzt Jhabe. Konnte dieses Ergebnis an 
und für sich keineswegs befriedigen, so war die Arbeit 
noch dazu verfehlt, weil sie ohne Kenntnis einer kurz 
vorher herausgegebenen afz. Version der Erzählung 
unternommen worden war, die sich mühelos als die tat¬ 
sächliche Quelle Lydgate’s, als sein ‘Frenssh paunflet’ 
erweisen läßt. Von dieser Bearbeitung im nächsten 
Kapitel 87 ). 

8 *) a. a. 0. pp. 564—66. 

85 ) a. a. O. pp. 51—54. 

86 ) a. a. O. passim; die Zusammenfassung pp. 433/4. 

87 ) Als eigene Zutat L.'s heben sich schon bei oberfläch¬ 
lichem Zusehen die ersten sechs Strophen des Gedichtes ab, welche 
als Einleitung die vom Dichter gewählte Form der Fabel mit dem 
Hinweis auf den Vorgang der Bibel und so vieler Fabeldichter ver¬ 
teidigen. Auf die hier herangezogene Stelle des Alt. Test. (Lib. Jud. 
IX, 8—15) weist Gattinger, p. 37 hin (vgl. Sauerstein, p. 13). 
Andere Anspielungen, auch im Hauptteil, beziehen sich auf allg. 
bekannte Fabeln, wie z. B. auf den ‘auceps lippus* (v. 187). 



28 — 


2. Die als Episode in den ‘Donnei des Amants ’ einge- 
schaltete altfranzösische Bearbeitung [Anhang No. 2]. 

Das uns in meiner in England gefertigten Hand¬ 
schrift 88 ) überlieferte anglonormannische, aus den letz¬ 
ten Jahren des 12. Jahrhunderts stammende Gedicht 
‘Donnei des Amants’ 89 ), d. i. „Gespräch der Liebenden“, 
erzählt die Unterhaltung eines vom Dichter überraschten 
und belauschten Liebespaares. Dies gibt den Rahmen 
ab für eine Reihe von Geschichtchen, Beispielen und 
Reflexionen, welche den Hauptbestandteil des Werkes 
ausmachen. Unsere Erzählung 90 ) dient dabei zum Be¬ 
leg einer vom Liebhaber (ausgehenden Mahnung, nicht 
gleich alles zu glauben, was man höre. 

Läßt schon der äußere Umstand der englischen 
Herkunft dieser Bearbeitung die Vermutung zu, daß 
sie recht wohl die Quelle Lydgate’s gewesen sein könne, 
so erhebt eine eingehende Vergleichung der beiden Texte 
diese Vermutung zur Gewißheit. 

Die sechsstrophige Einleitung Lydgate’s hat natür¬ 
lich im französischen Gedicht kein Äquivalent. Die Verse 
43 — 56 bei Lydg. entsprechen sodann den Versen 1— 3 

88 ) ms. 3713 der Bibi. Philipps in Cheltenham; engl. Ursprung 
unzweifelhaft; sie soll ehemals dem Kloster Wilton (Wiltshire), 
einer Benediktinerinnenabtei, gehört haben; die ziemlich unregel¬ 
mäßige Schrift weist auf das Ende des 13. oder den Anfang des 
14. Jh. [G. Paris, Donn. p. 497]. 

89 ) 1244 achtsilb. Verse, Torso, gerade vor uns. Erzählung 
Lücke; Vf. unbekannt. — Ausgabe von G. Paris in llomania, 
XXV (1896), pp. 497 ff. — Auf diese Version hat in unserem 
Zusammenhang zuerst hingewiesen G. Paris, Lai (1903, p. 249, 
An in. 1 auf p. 250), a^er • weder hier noch auch gelegentlich 
seiner Ausg. erkannte er die Bezieh, zu Lydgate. Auf die Aus¬ 
gabe verweisen Chauvin VI, p. 111; de Cock, p. 137. 

90 ) v. 929—1160 auf pp. 516—520 der Ausgabe von G. Paris; 
im ganzen also 232 achtsilb. Verse. 



29 


im Donn., bei ihrer Wiedergabe klammert sieh Lydg. 
an ‘bei verger’ und führt eine Beschreibung des Gar¬ 
tens durch, die, dem damaligen Ideal einer gärtnerischen 
Anlage entsprechend, mit ähnlichen Schilderungen in 
anderen Versionen 91 ) manchen Vergleichspunkt bietet, 
ohne daß an eine gegenseitige Beeinflussung zu denken 
wäre. Die V. Donn. 3—6 (der Garten ein Stelldichein 
der Vögel zur Sommerszeit) sind bei Lydg. nicht anzu¬ 
treffen, ebenso wenig wie die V. Donn. 7 8 (der Bauer 
pflegt dem Gesänge der Vögel zu lauschen). Dagegen 
entsprechen den V. Donn. 9—14 (das Vöglein und sein 
wundervoller Gesang) die V. Lydg. 57—75, wohin be¬ 
reits zwei Einzelheiten, die Donn. erst später bringt, 
gezogen sind: der Lorbeerbaum (Donn. v. 55; Lydg. v. 
57), und der Gesang am Morgen und Abend (Donn. v. 
56;-Lydg. v. 62—70) 92 ). Die V. Donn. 15—24 (Be¬ 
gierde des Bauern nach dem Besitze des Sängers, seine 
Vorkehrungen zu dessen Gefangennahme) sind von Lyd- 
gate wieder übergangen, und nur das Einfangen selbst 
ganz kurz erwähnt (Donn. v. 25/6; Lydg. v. 76/7). Wei¬ 
ter fehlt bei Lydg. die Übersetzung der ersten Anrede 
des Vogels an den Bauer (Donn. v. 27—32), in welcher 
jener fragt, warum er denn eingefangen worden sei. Da¬ 
durch, daß im Donn. v. 33—42 der Bauer antwortet, er 
habe es getan um sich von dem Vöglein in einem Käfig 
Vorsingen zu lassen, wird dieses über das ihm bevor¬ 
stehende Schicksal aufgeklärt und richtet sein weiteres 
Verhalten darnach ein. Lydg. hat dieses Zwiegespräch 
nicht, sondern läßt (v. 78—82) den Vogel dadurch, 


91 ) so im Chastoiement II; im Lai de l’Oiselet u. s. w., vgl. 
diese später. 

92 ) Außer diesen beiden gewiß auffallenden Einzelheiten hat 
Lydg. v. 59 auch die goldgelbe Farbe des Vögeleins, die sich sonst 
nirgend findet, aus dem- Donn. v. 10 übernommen. 



30 


daß dieser den Landmann einen Käfig anfertigen sieht, 
sein künftiges Geschick erraten. Lydg. unterläßt es fer¬ 
ner das Versprechen des Bauers (Donn. v. 39/40) dem 
Vogel reichliche Nahrung zu spenden, zu übersetzen und 
verzichtet dadurch auf das Motiv zu seinen Versen 
122—133. 

Bis zu diesem Punkt zeigt sich bei Lydg. unver¬ 
kennbar das Bestreben seiner Vorlage möglichst frei 
gegenüber zu stehen. Von jetzt an aber wird der An¬ 
schluß an das Original sichtlich enger und enger. Die 
V. Donn. 43—64, die erste längere Rede des Vogels, 
finden bei Lydgate v. 83—140 in allen ihren drei Tei¬ 
len eine entsprechende Wiedergabe: Donn. 45—50 (Wei¬ 
gerung des Vogels in der Gefangenschaft zu singen) ent¬ 
spricht Lydg. 85—112, hier allerdings reichlich erwei¬ 
tert und verallgemeinert; Donn. 51—60 (Versprechen 
des Vogels jederzeit auf Wunsch im Garten zu singen) 
entspricht Lydg. 113—119; Donn. 61—64 (letzte Wei¬ 
gerung des Vogels, begründet mit dem Hinweis auf die 
mangelnde Stimmung eines Gefangenen) entspricht 
schließlich Lydg. 120—140. Bemerkenswert ist aller¬ 
dings, daß dieser letzte JHinweis bei Lydg. schon im 
ersten Teile der Rede des Vogels verwertet ist, und daß 
die strikte Weigerung zu singen umgekehrt erst am 
Schluß (v. 134/5) steht. Nun folgt Donn. 65—74 das 
Ultimatum des Bauers pait der dem Vogel gestellten 
Alternative, entweder im Käfig zu singen oder in die 
Küche zu wandern. Diese Partie finden wir bei Lydg. 
141—147 wieder; unerklärlicherweise spricht aber Lydg. 
hier (v. 143) von einer. Wahl zwischen drei Dingen. 
Die ziemlich lange Antwort des Vogels Donn. 75—92 
ist von Lydg. in zwei Strophen wiedergegeben (v. 148 
bis 162). Der Unterschied zwischen ‘quire’ und ‘en 
: ost’, der, wie wir sehen werden, bis auf Petrus Alphonsi 



31 


zurückgeht, ist bei Lydg. verwischt, und der starke 
Ausdruck ‘chars de treiz veals’ (trium vitulorum carnes 
in der Disciplina) durch ein ganz anderes Bild ver¬ 
drängt (v. 161). Die nunmehr folgende Aufforderung 
des Bauers die drei Lehren zu sagen, mit der vorläufig 
ablehnenden Antwort des Vogels (Donn. 93—104) hat 
Lydg. (v. 162—168) in eine Strophe zusammengedrängt. 
Dagegen ist die Einwilligung des Bauers, gefolgt von 
der Freilassung des Gefangenen (Donn. 105—116) bei 
Lydg. (v. 169—194) mit Benützung mancher Parallele 
aus der damals kursierenden Fabelliteratur ansehnlich 
verbreitert worden; im Gegensatz zu der fz. Vorlage ist 
diese Stelle bei Lydg. in direkter Rede gehalten. Nun 
kommen die drei Lehren (Donn. 117—138, Lydg. 195 
bis 217), und zwar in beiden Gedichten, sowohl was die 
Einleitung als auch was die Anordnung und die Ge¬ 
staltung im einzelnen ,anlangt, in vollkommener Über¬ 
einstimmung 93 ), nur daß bei Lydg. entsprechend seiner 
Neigung zum Lehrhaften, alles ausführlicher ist. Nicht 
übersetzt ist bei Lydg. die Mahnung von Donn (v. 
124/5), die erste Lehre nicht gering zu schätzen, denn 
die spezielle Veranlassung dazu fiel ja im englischen 
Gedicht weg. — Weiterhin sind die V. Donn. 139—144 
(Entschluß des Vogels zur Rache) zwar im allgemeinen 
von Lydg. (v. 218—224) übernommen, aber bei ihm tritt 
das Gefühl der Rachsucht gegenüber dem der Freude 
über die wiedergewonnene Freiheit zurück: Lydg. war 
Priester. Die darauffolgende Hohnrede des Vogels im 
Donn. (v. 145—158) ist bei Lydg. (v. 225-—280) gewal¬ 
tig ausführlich geworden. Hauptsächlich werden die 
wertvollen Eigenschaften des fabelhaften Steines in allen 

9S ) Nur Lydgate und Donnei haben gerade diese Gestalt der 
drei Lehren, ein weiterer Beweis aus einer Einzelheit für die 
Abhängigkeit des einen vom anderen. 



Tonarten gepriesen, dann aber wird schon dieser Ab¬ 
schnitt der Erzählung von Lydg. benützt um den nichts¬ 
würdigen Sinn des ‘chorle’ recht bloßzustellen 94 ). In 
den V. 159—178 schildert Donn. die Untröstlichkeit des 
Bauern über seinen vermeintlichen Verlust, übersetzt 
bei Lydg. v. 281—294, jedoch ohne Wiedergabe der 
Selbstpeinigung des Bauern. Die Schilderung der be¬ 
friedigten Rachgier des Vogels (Donn. v. 179—184) hat 
Lydg. ebenfalls unterdrückt, wie Ähnliches schon oben 
geschah: eine mildernde Tendenz ist also bei Lydg. 
ganz unverkennbar. Nun folgt im Donn. (v. 184—226) 
die Schlußrede des Vögelchens mit der Aufklärung des 
törichten Mannes, welcher Abschnitt bei Lydg. (v. 295 
bis 364) abweichend dadurch eingeleitet ist, daß der 
Vogel noch einmal in die Nähe des Bauern zurückkehrt. 
Der Nutzanwendung der ersten Lehre im Donn. (v. 
187—200) entsprechen die V. 302—322 bei Lydg., der 
aber nunmehr im Vergleich zum Donnei eine Umstellung 
vornimmt, indem er dem Bauer zuerst seinen Verstoß 
gegen die dritte Lehre Vorhalten läßt (v. 323—329, im 
Donn. erst v. 211—216), und dann erst jenen gegen die 
zweite (v. 330—333, bei Donn. schon v. 201—210), 
auf die dann gar nicht mehr näher eingegangen wird. 
Der Schluß der langen Rede klingt im Donn. (v. 217 ff.) 
daraufhin aus, daß es verlorne Liebesmüh’ gewesen sei 
den Bauer zu belehren, daß aber dieser dafür auch um 
Edelstein und Vogel gekommen sei. Bei Lydg. (v. 324ff.) 
ist es ähnlich, nur ist die Ausführung breiter; hier 
schließt die Rede des Vogels mit dem Vorsatze nie mehr 
vor einem Bauern zu singen. 


94 ) Durch seine Invektive gegen die Tölpelhaftigkeit des Bau¬ 
ern überhaupt erreicht Lydgate eine bemerkenswerte Übereinstim¬ 
mung mit dem Lai de l’Oiselet (v. 187 ff), die indes keineswegs 
Abhängigkeit von diesem beweist, da solche Ausfälle viel zu nahe 
liegen. 



33 


Der Schluß der beiden Bearbeitungen ist je nach 
der verschiedenen Absicht ein verschiedener, bei Lydg. 
werden namentlich noch einige schon in der Ausführung 
vorgekommene Gedanken kurz wiederholt. 

So schließen sich beide Bearbeitungen im ganzen 
Verlaufe der Erzählung trotz mancher kleinen Verschie¬ 
denheiten doch recht eng aneinander, ja manche Einzel¬ 
heiten wären für sich allein schon ein hinreichender 
Beweis für die gegenseitige Abhängigkeit der zwei Ver¬ 
sionen. Freilich ist Lydgate’s Gedicht keineswegs eine 
bloße Übersetzung aus dem Französischen, und wörtliche 
Anlehnungen gehören zu den Ausnahmen. Doch helfen 
auch noch die wenigen, die sich auffinden lassen 95 ), 
unseren Beweis stützen. 

Und nun zu der neuen Frage, welches denn die 
Quelle für die im Donnei des Amants eingeschobene Er¬ 
zählung selbst gewesen ist. Im allgemeinen läßt sich 
sagen, daß sie deutlich die Struktur der von der Dis- 
ciplina clericalis abgeleiteten Versionen (im Gegensatz 
zu den aus dem griechischen Barlaamroman geflossenen) 
aufweist: der Mann ist wie in diesen ein Bauer, der 
Vogel ist unbenannt und wird wegen seines Gesanges 
gefangen, die Freilassung erfolgt vor der Erteilung der 
drei Lehren. Aber neben der Disciplina selbst existieren 
zwei von einander unabhängige Übersetzungen derselben 
ins Französische, die sog. Chastoiements, welche beide 
die Erzählung enthalten. Außerdem haben wir die aus¬ 
führliche ebenfalls ursprünglich auf die Disciplina zu¬ 
rückgehende Einzelbearbeitung des Lai de l’Oiselet. Wel¬ 
ches von diesen vier Werken war nun tatsächlich die 


9S ) Lydg. v. 64, vgl. 82: Donn. 37; Lydg. v. 100: Donn. 
v. 45; Lydg. v. 112: Donn. v. 61, vgl. 112; Lydg. v. 162, vgl. 
168: Donn. v. 101/2; Lydg. v. 178: Donn. v. 116; bes.. Lydg. 
v. 339/40 vgl. 275: Donn. v. 222. 

Tyroller ( Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 


3 



34 


Quelle der Version im Donnei? Das Lai auf keinen 
Fall, weil es, .außer umfangreichen Teilen, die es in 
gleicher Weise von Donnei und Disciplina scheiden, 
jedenfalls später .anzusetzen ist als das noch in die 
letzten Jahre des 12. Jahrhunderts fallende Donnei 96 ). 
Dagegen könnten zeitlich die beiden Chastoiements 
welche von G. Paris 97 ) ins Ende des 12. oder in den 
Anfang des 13. Jahrhunderts gesetzt werden, recht wohl 
die gesuchte Vorlage gewesen sein. In der Tat hat 
auch Chastoiement I 98 ) einiges, was ihm und dem Donnei 
im Gegensatz zur Disciplina eigen ist 99 ), dem aber über¬ 
gewichtig manches gegenübersteht, was es gegen Donnei 
und Disciplina geändert hat 100 ), so daß an eine Ab¬ 
hängigkeit der Version des Donnei von dem Chast. I 
nicht gedacht werden kann. 

Schwieriger liegt der Fall bei dein ausführlicheren 
Chast. II 101 ), mit dem das Donnei durch eine Reihe 
von Übereinstimmungen gegenüber der Disciplina ver¬ 
bunden ist. In beiden Bearbeitungen wird 1. der Mann 
von Anfang an ein Bauer (paisans, vilains) genannt, 
während ihn die Disciplina erst am Schluß als ‘rusticus’ 
bezeichnet; 2. dem Vogel wird beiderseits angekündigt, 
daß er in einem Käfig (cage) singen müsse (Donn. v. 


96 ) Das lai fällt in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts 
[Gr* Paris, Lai (1903, p. 264)]. 

97 ) Lai (1903, p. 250). 

98 ) siehe unten p. 39. 

99 ) Donn. v. 7: Chast. v. 10 (entrer i seit); Donn. v. 4: 
Chast. v. 15 (oisel i souloient entrer); namentlich aber Donn. v. 
51—60: Chast. v. 30 (Versprechen des Vogels, wenn frei, zu singen; 
vgl. Chast. II). 

10 °) so Chast. v. 50 (sa parinesse li demanda); insbesondere 
aber der Umstand, daß der Mann in Chast. I ‘preudom*, *danz 
vassaux’, nur einmal eigentümlicherweise ‘vilain’ genannt wird. 
101 ) siehe unten p. 40, wo nähere Angaben gemacht sind. 



35 


38 — Ch. II, v. 52); 3. der Vogel verspricht im Falle 
der Freilassung auf den Wunsch des Bauern jederzeit 
zu singen (Donn. v. 51—60 — Ch. II v. 78); 4. der 
Vogel setzt sich sofort nach der Freilassung auf einen 
Baum: (Donn. v. 109 — Ch. II v. 93); 5. die Nutz¬ 
anwendung zu einer der Lehren ist ganz ähnlich ge¬ 
geben (Donn. v. 207/10 : Chast. v. 146). Auch im Aus¬ 
druck scheinen beide Versionen hie und da aneinander 
anzuklingen. Außerdem wäre es begreiflicher, wenn die 
232 Verse enthaltende Version des Donnei aus der 152 
Verse zählenden des Chast. II geflossen wäre als aus 
der ganz kurzen Geschichte in der Disciplina. Faßt man 
aber die Übereinstimmungen zwischen Donnei und Chast. 
II genauer ins Auge, so erscheint die erste deswegen 
kaum beweiskräftig, weil ja der Mann schließlich doch 
auch in der Disciplina ein ‘rusticus’ genannt wird; was 
die zweite anlängt, so ist der Gedanke an den Käfig zu 
naheliegend, als daß er nicht zweimal unabhängig durch 
den Zufall hätte eingegeben werden können; bei der 
dritten Übereinstimmung tritt Chast. I unabhängig zur 
Seite 102 ), ein Beweis dafür, wie ungemein leicht eich 
aus dem Begriff ‘retenta’ der Disciplina der gegenteilige 
Begriff ‘in Freiheit’ entwickelte, so daß also auch hier 
kein fester Anhaltspunkt zu gewinnen ist; auch bei den 
zwei noch übrigen Punkten ist der Zufall keineswegs 
ausgeschlossen. Entschieden gegen die Möglichkeit einer 
Abstammung der Donnei-Version von dem Chast. II 
spricht aber der Umstand, daß der Ausdruck der Dis¬ 
ciplina ‘trium vitulorum carnes’ von Donnei .wortge¬ 
treu mit ‘les chars de treis veals’ übersetzt ist, während 
Chast. II das Bild geändert hat und in der einen Les¬ 
art ‘treis gras oisels’, in der anderen ‘treis grant eigne’ 


102 ) siehe die vorhergehende Seite, Anm. 99. 

3 * 



hat 103 ). So müssen wir denn mit G. Paris 104 ) die Dis- 
ciplina clericalis als die unmittelbare Vorlage des un¬ 
bekannten Verfassers des Donnei ansehen. 

Nicht uninteressant ,ist es kurz die Hauptunter¬ 
schiede aufzuzählen, welche die Bearbeitung des Donnei 
von allen drei Versionen der Disciplina gemeinsam tren¬ 
nen. Vor allem tritt im Donnei die Schilderung des Gar¬ 
tens und des Gesanges der Vögel im allgemeinen sehr 
zurück. Der Baum hat eine nähere Bezeichnung (lorer), 
die Art des Vogels ist etwas eingehender beschrieben. 
Der Bauer will die drei Lehren zuerst vor der Freilas¬ 
sung des Vogels hören, doch dieser weist mit Erfolg auf 
das Ungeziemende daran und auf die Unvereinbarkeit 
von Gefangenschaft und Lehrerwürde hin. Nach der 
Freilassung wird geschildert, daß der Vogel nunmehr 
gegen alle Nachstellungen gefeit sei. Den auffallendsten 
Unterschied weisen die drei Lehren auf, deren zweite 
sich sonst in keiner Bearbeitung der Disciplina findet, 
sondern auf die unserer Erzählung entsprechende Para¬ 
bel des Barlaamromanes 105 ) zurückgehen muß, ebenso 
wie» ein Teil der dritten Lehre 106 ). Neu ist auch die Er¬ 
klärung des Verhaltens des Vögleins als Bache für die 
erlittene Kränkung. 


105 ) Die Konjektur G. Paris’, Donnei p. 540: ‘treis gras veels' 
für Chast. II v. 89 wird durch die in beiden mss. des Chast. II 
dem Sinne nach vorhandene Übereinstimmung hinfällig. 

i°4) Donnei, pp. 540/1. 

108 ) aber nicht auf die Legenda aurea, auf Vinc. Bellov., 
Jacobus Vitriac. oder gar die Gesta Romanorum, da diese und 
andere Kompilationen später als das Donnei entstanden sind. Ver¬ 
gleiche Näheres darüber im zweiten Abschnitt. 

106 ) Donnei, v. 138; vgl. dazu den Wortlaut des lat. Barlaain: 
‘ne doleas de re perdita quam recuperare non potes’. 



37 


3. Die Erzählung in der Disciplina clericalis des Petras 
Alphonsi [Anhang No. 3]. 

Die schon öfter genannte Disciplina clericalis 107 ) 
des Petrus Alphonsi 108 ) enthält unsere Erzählung im 
23. Kapitel. Sie ist nach Art des Werkes eingeleitet 
durch einen lehrhaften Spruch, dessen zweiter Teil sich 

107 ) Ausgaben: 1. Disciplina clericalis; auctore Petro AlpJionsL. 
Ex-Judaeo Hispano; gegenüber: Discipline de Clergie; Traduction 
de TOuvrage de Pierre Alphonse, Premiere Partie. Soc. des Bibi, 
frang. Paris, de lTmprimerie de Rignoux. MDCCCXXIV, 12° 
[besorgt v. Labouderie] ; 2. Petri Alphonsi Disciplina clericalis. 
Zum ersten Mal hg. mit Einl. u. Anm. von Fr. Wilh. Val. Schmidt. 
Berlin 1827, 4°; 3. Patrologiae cursus completus . . . accurante 
J.-P. Migne, tomus CLVII, Lutetiae Par. 1854, 4° pp. 671 ff. (Ab¬ 
druck des Textes von Labouderie); 4. H. Gering, Islendzk Aventyri. 
Halle, 1883, 8°, II, pp. 139 ff hat von 28 Erzählungen der Dis¬ 
ciplina nach den Ausgaben von Labouderie und Schmidt einen 
neuen Text hergestellt. — Die Erzähl, bei Laboud. (fab. XX) pp. 
136—140, bei Schmidt pp. 67/8, Migne p. 695, Gering, pp. 389/90; 
Analysen bei G. Paris, Lai (1903, pp. 233/4), de Cock, pp. 128/9, 
Chauvin IX, p. 30. — Auf die Erz. haben in uns. Zus. verwiesen 
Tyrwhitt (1822, I, p. 213 Anm.); Warton (-Hazlitt, 1871, I, pi 
241 Anm. 285); Douce bei Ellis (1848, p. 42); Swan (-Baker, 
1905, p. 457); Schmidt, pp. 150/51; Grimm, p. CCLXXXI Fußn.; 
Loiscleur, Essai, p. 71, Anm. 11; Halliwell, p. 179; Grässe, Gesta. 
pp. 276/7; Steinschneider, Manna, p. 98; Hist. Litt. XXI, pp. 620, 
717; E. du Meril, p. 146; Goedeke, Mittelalt., p. 640; Hist. Litt. 
XXIII, p. 77; Uhland, Nachtigall, pp. 140/1, Schriften pp. 102/3; 
Österley, Wend. V, p. 107, Gesta, p. 739, Steinh. p. 312; G. Paris, 
Lai (1903, pp. 232—236 etc.); Sauerstein, pp. 6, 10; Clouston, p. 
564; Jacobs, Aes. I, p. 285; Crane, pp. 144/5; Weissl. p. 114; 
Schick, p. CXVIII; Bedier, pp. 103/4, 111; Gattinger, pp. 50/1, 
54; G. Paris, Donn. pp. 540/1; Jacobs, Barl. pp. LXXX, CXXI; 
Amalfi, p. 379; Schleich, passim; Chauvin III, p. 103; de Cock, 
pp. 123, 128/9, 130, 135; Plessow, pp. XXXVI, XLIII; Chauv. 
IX, p. 30. 

108 ) Der jüdische Rabbi Moses, geboren in Huesca (Aragon), 
ließ sich 1106 am Tage Sankt Peters taufen und nahm diesen 
Namen an, dem er den seines Paten Alfonso I von Aragonien bei¬ 
fügte [Petri Alph. Dialogi contra Judaeos, bei Schmidt, pp. 3—5]. 




38 


gegen den Schmerz über Verlorenes wendet. Den Schluß 
bildet ebenfalls eine lehrhafte Sentenz, der Ausspruch 
eines Philosophen, des Inhalts, nicht alles zu glauben, 
was man lese. Offenbar soll die Erzählung diese beiden 
Lehren illustrieren, wobei sich aber sofort die Inkon¬ 
gruenz ergibt, daß das Vögelein drei, nicht zwei Lehren 
verkündet. In der Nutzanwendung wird freilich nur 
mehr auf die beiden außerhalb der Erzählung geäußer¬ 
ten Sprüche zurückgekommen. Ganz besondere Beach¬ 
tung verdient der Wortlaut der zweiten Lehre: quod 
tuum est habe semper (si potes), dem gegenüber die 
entsprechende Lehre im Donnei eine vom Barlaamroman 
veranlaßte Neuerung ist. 

Was die Quellei der Erzählung in der Disciplina 
anlangt, so gibt Petrus Alphonsi in der Einleitung seines 
Buches 109 ) selbst einen allgemeinen Fingerzeig auf die 
arabische Fabelliteratur, mit dem die meisten For¬ 
scher 110 ) sich begnügt haben, während andere 111 ) gar in 
der Parabel des griechischen Barlaam die Quelle sahen. 
Nur G. Paris 112 ) und A. de Cock 113 ) haben Versucht wei¬ 
ter in das Dunkel vorzudringen. Der erstere hat die 
Erzählung der Disciplina neben die Version im hebräi¬ 
schen Barlaam des Ihn Chisdai 114 ), der letztere neben die 
Parabel im arabischen Barlaam des Bombay-Buches 114 ) 

i°9) Schmidt, p. 34: ‘. . . libellum compegi, partim ex prover- 
biis philosophorum et suis castigationibus, partim ex proverbiis et 
castigationibus arabicis et fabulis et versibus, partim ex animalium 
et volucrum similitudinibus’. 

u°) Warton, Tyrwhitt, Douce, Meon, Schmidt, Grimm, Uhland, 
Clouston, Bedier (a. a. 0.). 

lu ) Loiseleur (Essai), Grässe (Gesta), mit Modifikation Crane; 
an den orientalischen Barlaam oder an eine andere direkt nach 
Indien zurückführende Quelle denkt Jacobs (Barlaam). 

112 ) Lai (1903, pp. 230 ff). 

113 ) pp. 122/3. 

1U ) siehe im dritten Abschnitt. 



39 


gestellt. Für uns wird sich ein Eingehen auf diese Fra* 
gen erst im dritten Abschnitte ermöglichen. Zuvor seien 
alle diejenigen Versionen unserer Erzählung erledigt, 
die von der lateinischen Disciplina clericalis ihren Aus¬ 
gang genommen haben. 

4. Die Erzählung in der französischen Prosaversion der 

Disciplina clericalis [Anhang No. 4]. 

Von der Disciplina 'clericalis existiert eine allem 
Anscheine nach aus dem 15. Jahrhundert stammende 
französische Prosaversion 115 ), die Meon seinerzeit Jean 
Miellot zugeschrieben hat. Von unserer Erzählung ist 
hiebei nichts weiter zu sagen, als daß sie eine leidlich 
wörtliche Übertragung des lateinischen Textes ist, mit 
Ausnahme der Nutzanwendung der dritten Lehre, die 
logisch richtiger als in der Vorlage ist. 

5. Die Erzählung im Chastoiement 1 [Anhang No. 5]. 

Wie in der Disciplina dient auch in dem aus der 
Wende des 12. und 13. Jahrhunderts stammenden Cha¬ 
stoiement I 116 ) die Erzählung zur Erläuterung von Leh¬ 
ren, die aber hier beide der eigentlichen Geschichte 

115 ) Hg. zusammen mit der Disciplina von J. Labouderie für 
die Bibliophilen, siehe im 3. Kap. dieses Abschnittes; die Erzähl, 
dort pp. 137—141; die oben gern. Ang. dort p. XI. 

116 ) Ausgabe zuerst 1760 von Barbazan, erneuert 1808 durch 
MAon, Fabliaux et Contes des Poetes Francois . . . Tome second, 
Paris 1808, pp. 39 ff. unter dem Titel: Le Castoiement d’un PAre ä 
son Fils. Conte XX: ‘du vilein et de ToiseleP pp. 140—143, mit 
der Einleitung 88 achtsilbige Verse. — Hinweise gaben: Roquefort 
I, p. 29, Anm. 3, II, p. 324 Anm. 1; Schmidt, pp. 150/1; Grimm, 
p. CCLXXXI, Fußn.; Halliwell, p. 179; Hist. Litt. XXI, pp. 620, 
717, XXIII, p. 77; Uhland, Nacht, pp. 140/1, Schrift, pp. 101/2; 
österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, 
pp. 250 ff); Jacobs, Aes. I, p. 265; Gattinger, p. 154; G. Paris, 
Donn. pp. 540/1; Schleich, pass.; Chauvin IX, p. 30. 



40 


vorangehen 117 ). Diese selbst schließt sich ziemlich genau 
an das lateinische Original an und stimmt Absatz für 
Absatz mit ihm überein. Einige unwesentliche Abwei¬ 
chungen kennzeichnen sich als Vereinfachungen oder 
Kürzungen. Auch die wenigen Zusätze sind von keiner 
besonderen Bedeutung und ergeben sich aus dem logi¬ 
schen Zusammenhang von selbst 118 ). Zu der zweiten 
Lehre (v. 53/4) ist gleichsam eine Anwendung gefügt, 
die auf das bei der ersten Lehre nicht mit übersetzte 
lat. promissis zurückgreift. Auffallend ist nur die Be¬ 
zeichnung des Mannes, der in der Disciplina erst gegen 
Ende ‘rusticus’ genannt wird, als ‘preudom’, ‘danz 
vassaux’ (v. 47), während er späterhin (v. 69) doch 
wieder ein ‘vileins’ heißt, eine kaum recht gut zusam- 
menzureimendö Willkür. Nachdem am Schlüsse die 
zweite Mahnung wiederholt worden ist, geht Chast. I 
zu einem neuen conte über. 

0. Die Erzählung im Chastoiement II [Anhang No. 6]. 

Die Erzählung im Chastoiement II 119 ) könnte man 
als eine dichterisch ausschmückende Erweiterung des 
lateinischen Originals bezeichnen. Von Anfang an wird 

117 ) v. 1—8; wenn der Vf. von ‘trois manieres de sens’ spricht, 
so spaltet er die 2. in 2 identische. 

118) V gi y io, 20, 28—30, 50, wozu teilw. die beim Donnei 
gemachten Ausf. zu vergleichen sind. 

119 ) Ausgabe von Labouderie (-Meon): Le Chastoiement d’un 
Pere ä tpon Fils, traduction en vers frangais [de] l’ouvrage de Pierre 
Alphonse. Seconde Partie. Soc. des Biblioph. fr. Paris, de l’impri- 
merie de Rignoux. MDCCCXXIV, 12°. — Neuausgabe, auf Grund 
des ms. 730 der f. öttingenschen Bibliothek zu Maihingen veran¬ 
staltet von M. Rösle, Le Castoiement d’un Pere ä son Fils, Mün¬ 
chen, 1898, 8°. — Die Erzählung, 152 paarw. reim. Achtsilbler, 
bei Laboud. pp. 130—136, Rösle pp. 40—42. — Hinweise geben 
in unserem Zusammenhang: Halliwell. p. 179; Hist. Litt. XXIII, 



41 


der Mann ein Bauer genannt. Die Schilderung des Gar¬ 
tens und des Gesanges der Vögel nimmt einen weit 
breiteren Raum ein als in der Disciplina und ist mit 
viel Reiz durchgeführt. Fast jeder Abschnitt wird er¬ 
weitert, allerdings weniger dem Inhalte als den Worten 
nach. Der Dichter liebt es einen und denselben Gedanken 
zu variieren und erreicht dadurch am Schlüsse einzelner 
Reden eine bemerkenswert kräftige Abrundung. Dem 
allgemeinen Charakter der Bearbeitung entsprechend ist 
manches, was im Original zwischen den Zeilen zu lesen 
war, genauer ausgeführt (v. 29ff., 32—35, 35—42, 52, 
92). Als neue Züge können gelten das Sommer und 
Winter grüne Gras (v. 7/8), die Gefangennahme des 
Vogels bei seiner Rückkehr in den Garten (v. 40), der 
Käfig (v. 52), das Versprechen des Vogels zu singen 
(v. 78), die Wunderkraft des Edelsteins (jacinctus, v. 
115/6). Bemerkenswert ist des Bearbeiters Vorliebe für 
drastische Ausdrucksweise (v. 63—67 ; v. 72/3; v. 89/90; 
v. 144; v. 147/8, übrigens eine Anspielung auf die da¬ 
mals geläufige, schon Horaz bekannte und sich auch 
unter den Fabeln der Marie de France findende Fabel 
vom Bauer [alias Berg] und der Maus). Mangelhaft 
ist die Übersetzung der zweiten Lehre 120 ). Die wich¬ 
tigsten Abweichungen sind wohl, daß bei der Übertra¬ 
gung von ‘trium vitulorum carnes’ das Bild durch Er¬ 
setzung der Kälber durch Vögel 121 ) wesentlich geändert 


p. 77; G. Paris, Lai (1903, pp. 250 ff); Crane, p. 144; G. Paris, 
Donn. pp. 540/1; Schleich, passim; de Cock, p. 129; Chauvin IX, 
p. 30. 

120 ) v. 99/100. Dem Übersetzer lag vielleicht ein lat. ms. mit 
der Lesart habebis statt habe vor, wie G. Paris, Lai (1903, pp. 
251/2) annimmt. 

m ) Welche von den beiden Lesarten: ‘oisels’ oder ‘eigne’ 
richtig ist, kann ich nicht entscheiden. 



42 


worden ist (v. 89); ferner, daß der Vogel den Garten 
für immer verläßt. 

7. Da$ Lai ded VOiselet [Anhang No. 7]. 

An die Fassung der Erzählung in der Disciplina 
clericalis ist im allgemeinen auch das berühmte 122 ) in 
der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts von einem Un¬ 
bekannten verfaßte Lai de l’Oiselet 123 ) anzuschließen. 

122 ) Bemerkenswert ist der Gegensatz zwischen dem Urteil 
zweier so bedeutender Männer wie Uhland (Nachtigall, p. 142, 
Schriften, p. 104): ,,Die Verbindung des feudalistischen Märchens 
mit dem indischen Apolog ist nicht sonderlich gelungen. Zweimal 
des Vögleins Lehren, und so verschiedenartig, daß beide Teile ohne 
inneren Zusammenhang nebeneinander stehen; der Fluch des hin¬ 
wegfliegenden Wundervogels verliert alle Wirkung, wenn dieser 
gleich am Abend in den Garten zurückkehrt. Dennoch ist das 
Dichterische des Grundgedankens nicht zu verkennen: eine ganze 
Ritterwelt, hochgetürmte Burg, Sommerwonne, Frauendienst, Waf¬ 
fenruhm wird von dem kleinen Geschöpfe heraufgesungen und 
schwebt an dem Zauber seiner süßen, belebenden Stimme. Gewiß 
war dieser Gedanke dem ungeschickten und weitschweifigen Ver- 
doppler der Fabel nicht eigen . . .“ und G. Paris (Lai, 1903, pp. 
264/5): ‘[L’auteur . . .] avait un heureux g6nie . . . il a su en 
general revetir sa pens6e d’expressions precises et gracieuses. Son 
petit oiseau nous charme autant que son lourd vilain nous amuse, 
et ce petit poeme peut etre regarde ocmme un des joyaux les plus 
finement taillfe de notre vieille poesie.' 

i28) 410 paarweise reim. Achtsilbler, in einem Dialekt, der auf 
einen zwischen Ile-de-France und Picardie gelegenen Landstrich 
weist [G. Paris, Lai (1903, p. 264)]. — Der Text des lai de 
l’oiselet, zum erstenmale 1756 von Barbazan gedruckt, fand in der 
Neuausgabe von M6on 1808 im 3. Bd. pp. 114 ff. seine Stelle (424 
Verse). Die im J. 1884 von G. Paris nach den fünf erhaltenen 
sämtlich in der Bibi. Nat. befindl. mss. veranstaltete Ausgabe kam 
nicht in den Handel, indessen wurde der Text 1903 der in die 
Legendes du Moyen Age auf genommenen Abhandlung desselben Vf. 
über das lai, pp. 271—291 angehängt. — Inhaltsangaben: 1. bei 
Le Grand, t. III, p. 430; da sich Le Grand in künstlerischer Ab- 



43 


Doch sind die Wandlungen, die das Gedicht mit der 
überkommenen Erzählung vorgenommen hat, ganz be¬ 
deutende zu nennen. 

Das Hauptcharakteristikum dieser Bearbeitung ist, 
daß der Garten der Disciplina in einen um ein magi¬ 
sches Schloß herum gelegenen Zaubergarten, verwandelt 
ist, in welchem Liebende in allen Forderungen der ‘cour- 
toisie’ neu befeuert und bestärkt werden, und zwar durch 
den hier geheimnisvoll-wunderbar gewordenen Gesang 
deä Vögleins, das als Träger des ganzen Zaubers er¬ 
scheint, insofern als die Existenz des Gartens an das 
tägliche Erscheinen des Vögeleins gebunden ist und mit 
dessen endgültigem Abschied für immer aufhören muß. 
Dieses Äußerste tritt tatsächlich ein und erscheint 
hauptsächlich als gerechte Vergeltung für des Bauers 

sicht einschneidende Änderungen erlaubte, die wieder anderwärts 
übernommen wurden, ist seine Bearbeitung als eigene Version zu 
betrachten; 2. bei Uhland, Nächtig, pp. 141/2, Schrift, pp. 103/4; 

3. bei Ch. Louandre (1873), in einer kürzeren [Revue des deux 
Mondes, t. 107, pp. 435/6] und einer längeren [Chefs-d'oeuvre 
des Conteurs Frangais (t. I), pp. 27—32] Fassung, welch letztere 
als Erneuerung des afz. lai in mod. pros. Gewand gelten kann; 

4. bei de Cock pp. 123—125. — Hinweise auf das Lai de l’Oiselet 
gaben in uns. Zus.: Le Grand III, pp. 430—39, IV, pp. 330, 
412—415; Ellis bei Way (1815, I, pp. II, 167—169); Douce bei G. 
Ellis (1848, p. 42); Docen, Aes. Fab. p. 1247; Roquefort I, p. 29, 
II p. 324; Hist. Litt. XVI, p. 229; Schmidt, pp.152/3; Grimm, p. 
CCLXXXI; Loiseleur, Essai, p. 71, Mille et un Jours, p. 448 
Anm. 1; Hist. Litt. XJX, p. 791; Halliwell, p. 179; Grässe, Gesta, 
p. 276; Keller, Altd. Ged. p. 12; Hist. Litt. XXI, pp. 620, 717; E. 
du M6ril, p. 146, Anm. 2; Hist. Litt. XXIII, pp. 76/7; Uhland, 
Nacht, pp. 140—142, Sehr. pp. 102/3; Österl. Wend. V, pp. 107/8, 
Gesta p. 739; Louandre, a. a. O.; G. Paris, Lai (1903, p. 253 ff); 
Sauerstein, pp. 6, 10; Clouston, pp. 564—66; Bedier, pp. 104, 109; 
van Hamei, pp. 511—513; Jacobs, Barl, p. CXXII; G. Paris, 
Donn. pp. 524, 540/1; Gattinger, pp. 12, 50—54; Schleich, passim; 
Chauvin III, p. 104 ; de Cock, pp. 113, 123 ff. 



44 


‘vilenie' (Gegensatz zur ‘courtoisie’), nur nebenbei als 
Strafe für die Nichtbeherzigung der drei Lehren. 

Mit der Änderung der allgemeinen Auffassung gin¬ 
gen natürlich (Verschiebungen im einzelnen Hand in 
Hand. Vor allen Dingen mußte motiviert werden, wie¬ 
so sich der Bauer im Besitze des Schlosses und des Wun¬ 
dergartens befinden konnte: deswegen die Erzählung von 
dem; Bankrott des verschwenderischen Rittersprößlings 
(v. 23—28). Entsprechend der gehobenen Rolle, welche 
einerseits der Garten, andrerseits der Gesang des Vogels 
spielen, nimmt die Schilderung beider einen bedeutenden 
Raum in der Ökonomie des Ganzen ein, so daß erst spät 
(v. 126) die gewöhnliche Erzählung beginnt, und zwar 
mit der Schilderung, wie der Bauer dem Gesang des 
Vogels lauscht. Aber gleich hier ist die Motivierung 
wieder geändert, indem der Vogel nach Vollendung sei¬ 
nes ‘lai’ einen Schmähgesang gegen den vilein und seine 
niedrige Sinnesart losläßt, demzufolge das Hauptmotiv 
des Einfangens die Rache des Bauern wird, wenngleich 
daneben der Wunsch desselben den Gesang des Vogels 
beständig zu hören, nicht geschwunden ist. Was nun 
weiterhin folgt, ist ganz ähnlich erzählt wie in der 
Disciplina und ihren beiden afz. Nachahmungen. Ein 
ganz neuer Zug ist nur der, daß der Bauer mit den 
vom Vogel empfangenen Kluglehren nicht zufrieden ist, 
sondern bei jeder ,einwendet, solche Sprüche seien ihm 
schon längst bekannt, worauf ihm dann das Vöglein auf 
der Stelle nach weist, wie wenig er sie verstanden. Den 
Schluß bildet, wie ob der vilenie des Bauern der Vogel 
den nunmehr in nichts verschwindenden Garten auf 
immer verläßt. 

Mit der Forschung nach der Quelle des Lai de 
l’Oiselet hat schon Le Grand 124 ) mit seiner Angabe 

m ) t. III, p. 436; hier seine kurze Inhaltsangabe der Fabel 



45 


begonnen: ‘ce conte est imite de Bid-Pai’. Bei dem da¬ 
maligen mangelhaften Stande der vergleichenden Lite¬ 
raturwissenschaft konnte allerdings Le Grand keine 
Ahnung davon haben, daß die mit dem lai verglichene 
Fabel sich nur in solchen Versionen des uralten indi¬ 
schen Fabelbuches findet, die im Mittelalter nie ins 
Abendland gedrungen sind. 125 ). Verfrüht war auch Do- 
cen’s 12G ) Vermutung, die Quelle des lai sei entweder 
im lateinischen Barlaam oder in den Gesta Romanorum 
zu suchen. Seitdem dann Schmidt 127 ) und Loiseleur 128 ) 
die von Le Grand ausgegangene Vermutung unbedingt 
abgelehnt hatten, stellte Grässe 129 ) das lai zur Dis- 
ciplina, während ßchon vorher Halliwell 130 ) das Pro¬ 
blem auf folgende Weise zu lösen versucht hatte: ‘The 
fabliau [das lai] is only an enlargement of the tale 
from the different old French metrical versions of the 
Disciplina clericalis, known by the title of Chastoiement 
or Castoiement’. Das letzte selbständige Urteil über die 


Bidpai’s: un paysan . . . a un rosier qui tous les jours produit un 
bouton. Un rossignol vient plusieurs fois de suite le bequeter et 
l’empecher d’6clore. L’oiseau destructeur est enfin pris au piege; 
mais il obtient sa liberte par ses prieres, et en reconnaissance il 
enseigne au paysan un tresor, cache au pied de l’arbre.’ Über den 
mutmaßlichen Zusammenhang dieser Fabel mit unserer Erzählung 
siehe den vierten Abschnitt. 

12 £) Diese Versionen sind die pers. Anvar-i Suhaili und das 
von diesen ausgegangene türkische Humayün Nämeh, dessen fran¬ 
zösische Übersetzung durch Galland (1724) Le Grand Kenntnis von 
der Fabel Bidpai’s verschafft haben wird. Le Grand’s Ansicht ver¬ 
tritt zuletzt noch Louandre (a. a. O.). 

126 ) a. a. O. p. 1247. 

127) a . a . O. p. 153. 

128 ) a. a. O. p. 71. 

129 ) a. a. O. p. 276; ebenso auch bei Uhland, a. a. O. 

13°) a. a. O. p. 179. 



46 


Sache, das wir haben, ist jenes von G. Paris 131 ): ‘II 
parait probable qne l’auteur du lai a connu la seconde 
de nos versions poetiques de Pierre Alphonse [d. i. 
unser Chast. II], mais qu’a cöte d’elle, il a consulte, soit 
le texte latin, soit une autre Version plus fidele 132 ). Je 
pencherais pour la seconde hypothese. Rien n’indique, 
en effet, que cet auteur ait ete un clerc . . . 133 )’. 

Die Unsicherheit dieser Entscheidung ist für uns 
Anlaß genug die Frage einer gründlichen Nachprüfung 
zu unterziehen. Der allgemeinen Sachlage nach könnte 
der Verfasser des lai entweder die Disciplina selbst, oder 
aber eines der beiden Chastoiements oder auch die Epi¬ 
sode des Donnei als Vorlage benutzt haben. 

Ein Vergleich des lai mit der Bearbeitung im Don¬ 
nei ergibt zwar einige kleine Übereinstimmungen im ein¬ 
zelnen, die jedoch keineswegs von der Art sind, daß 
sie nicht dem Zufall zugeschrieben werden könnten. Auf 
der andern Seite hat das lai so viel mit der Disciplina 
gemein, was im Donnei ganz anders gewendet ist, daß 
von einem unmittelbaren Zusammenhang auch nicht im 
entferntesten die Rede sein kann. So ist z. B. im Donnei 
die Beschreibung des Gartens mit dem Brunnen fast 
gänzlich verschwunden, während in der Disc. und im 
lai alles das in breitester Ausführlichkeit sich findet. 
Von ausschlaggebender Bedeutung ist namentlich die 
Gestalt der drei Lehren, für die sich im Donnei starker 
Einfluß des Barlaam nachweisen ließ, während das 
lai sich eng an die Lehren der Disciplina anschließt. 

131 ) Lai (1903, pp. 254—256); ihm schließt sich an de Cock. 
p. 129. 

132 ) Das hat G. Paris später (Donn., pp. 540/1) nicht auf 
die Version des Donnei bezogen. 

133 ) D. h., daß er soviel Latein verstanden habe, um die 
Disciplina lesen zu können. 



— 47 


Bezüglich des Verhältnisses zwischen dem lai und 
Chast. I hält es schon G. Paris 134 ) für schwer, einen 
nur diesen beiden Bearbeitungen gemeinsamen Zug auf¬ 
zudecken. An kleinen Übereinstimmungen kämen etwa 
in Betracht, daß der Bauer jeden Morgen den Garten 
betritt, (und daß er hier wie) dort den freigelassenen 
Vogel mahnt sein Versprechen der drei Lehren zu hal¬ 
ten. Wichtiger sind Abweichungen, in welchen sich das 
Chast. I in gleicher Weise von der Disciplina und dem 
lai entfernt: im Chast. wird der Mann ein ‘preudom’, 
‘danz vassaux’, nur einmal ‘vilain’ genannt; der Vogel 
gibt vor dem Versprechen der drei Lehren jenes auf 
Geheiß des Bauern jederzeit zu singen; für das ‘secu- 
rus promissis’ der Disc. findet sich nichts Entsprechen¬ 
des im Chast. I, wohl aber im lai (v. 256—258). Dazu 
fügt G. Paris 135 ) noch: ‘il me parait probable que si 
l’auteur du lai avait eu cette* Version sous les yeux, il 
lui aurait emprunte la traduction de hyacinthus par 
jagonce, d’autant plus qu’elle lui fournissait une rime 
avec-once 136 ). 

So löst sich bezüglich des Donnei und des Chast. I 
unsere Frage ziemlich einfach im negativen Sinn. An¬ 
ders steht es mit dem Chastoiement II, welches mit dem 
Lai eine ganze Reihe von Übereinstimmungen aufweist. 
G. Paris 137 ) zählt kurz folgende auf: ‘dans l’une comme 
dans l’autre, le maitre du jardin est, des l’abord, appele 
un paysan; le charme particulier du chant de l’oiselet 
est mis en relief; l’oiseau est pris au lacs quand il 
revient dans le jardin apres l’avoir quitte; le vilain 

1M ) Lai (1903, p. 254). 

135 ) Lai (1903, p. 254). 

136 ) Lai, v. 355 ff, wo nur von einem ,,Stein“ im Gewicht 
von drei Unzen die Bede ist. 

13T ) Lai (1903, pp. 255/6). 



48 


monte sur l’arbro pour s’emparer de lui; il annonce 
ä l’oiseau qu’il le mettra dans une cage; le desespoir 
du vilain est decrit avec complaisance; enfin, et sur- 
tout, l’addition faite au troisieme reproche de l’oiseau: 

Qui plores que tu as perdu 

Ce qui n’est ne onques ne fu (v. 146) 

pourrait etre l’origine de la modification, dans le lai, 
du conseil correspondant: 

Ne pleure pas ce qu’ainc n’eüs; 
et le recit se termine par ces vers: 

Quant le vilain out mout laidi 
Li oiseles et escharni, 

Chantant s’en torne, sil laissa, 

Ainc puis el vergier n’abita. 

dont le dernier, auquel rien ne correspond dans le latin, 
peut fort bien avoir suggere a l’auteur du lai, non 
seulement son denouement, mais toute la conception du 
role si original et si merveilleux qu’il a donne a l’ioiseau.’ 
Dazu könnte man noch nachtragen: in beiden Bearbei¬ 
tungen ist bei der Beschreibung des Gartens auch von 
Bäumen und Früchten die Bede; der Garten ist hier 
wie dort sowohl im Winter als auch Sommer beständig 
grün (Chast. II, v. 7/8: Lai, v. 49, 70); der Vogel setzt 
sich in beiden sofort nach der Freilassung auf einen 
Baum; in beiden Versionen wird dem Steine große Wun¬ 
derkraft zugeschrieben. 

Wenn nun G. Paris trotz dieser vielfachen Über¬ 
einstimmungen — daß es nicht noch viel mehr sind, 
rührt wahrscheinlich von der radikalen Umarbeitung 
her, welcher die Erzählung durch den Verfasser des 
Lai unterworfen worden ist — sich bewogen fühlt neben 
dem Chast. II noch eine andere Quelle anzunehmen, so 



49 


sind ihm dafür folgende zwei Erwägungen 138 ) ma߬ 
gebend *. 1. Tauteur du lai, tout en modifiant l’avis qui 
repond ä quod tuum est semper habe, l’arrange de fagon 
ä montrer qu’il n’a pas eu sous les yeux le contre-sens 
de cette Version’ [d. i. d. Chast. II, v. 99/100: Lai, v. 
332/3] et 2. il a conserve le trait, omis par eile, du 
contraste entre la grosseur de l’oiseau et celle de la 
pierre qu’il pretend ötre dans son corps’. Nun ist es 
aber ad 1. einesteils nicht unbedingt notwendig in der 
Lehre des Chast. II einen contre-sens zu erblicken 139 ), 
andresteils wäre, selbst wenn der contre-sens zuträfe, es 
gar nicht unmöglich, daß der Neubearbeiter vermöge 
seines gesunden Menschenverstandes die Stelle dennoch 
richtig deutete; ad 2. muß ich offen gestehen, daß mir 
der Sinn der Worte von G. Paris nicht recht verständlich 
ist; in der Tat, wenn man die betreffenden Stellen in 
den drei in Frage kommenden Versionen miteinander 
vergleicht — Disciplina: Quomodo credis quod in me 
sit jacinctus qui sit ponderis unius unciae, cum ego 
tota non sum tanti ponderis? — fernerhin Chastoie- 
ment II (v. 135—138): 

Et creiz-tu or donc par ta fei 
Que il est pierre dedenz mei 
Oü il ait une once pesant, 

Quant je trestot ne pois pas tant! 

— und endlich Lai (v. 371—375): 

«8) G. Paria, Lai (1903, p. 255). 

189 ) Die Übereinstimmung des Textes in den beiden vorhan¬ 
denen Ausgaben des Chastoiem. II belehrt uns über die Ursprüng¬ 
lichkeit der in ihnen gemeinsam vertretenen Lesart. Wenn also ein 
Fehler gemacht wurde, fällt dieser dem Verfasser, nicht einem Ab¬ 
schreiber zur Last. War nun die Stelle der Disciplina, selbst wenn 
sie habebis statt habe enthielt (siehe oben p. 41, A. 120), wirklich 
so schwer, daß sie der sonst nicht ungeschickte Verf. nicht verstehen 
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 4 



50 


Puis lui a dit: «Chetis vilains, 

Quant tu me tenis en tes mains, 

G’ierej plus legiers d’un moisson, 

D’unq masenge ou d’un pin$on, 

Qui ne poise, pas demie once.» 

sp wird man unmöglich G. Paris in der Konstatierung 
eines so bedeutsamen Unterschiedes beipflichten können. 
Vielmehr sei es uns gestattet, die beiden einzigen von G. 
Paris erhobenen Einwände als nicht stichhaltig eben¬ 
so entschieden als bescheiden zurückzuweisen und hie- 
mit endgültig Chastoiement II als Quelle, des lai fest- 
zustellen 140 ). 

8. Die Erzählung in den ‘Recits d'un Menestrel de 
Reims au XIID siecle ’ [Anhang No. 8]. 

An das Lai de l’Oiselet reiht sich an eine mit 
unserer Geschichte identische Erzählung in den ‘Recits 
d’un Menestrel de Reims au XHIe siecle 141 ), einem 

konnte, oder hat er einfach nur, in einer allerd. latinisierenden Kon¬ 
struktion, das Futur für den Imperativ gebraucht? 

140 ) Uhland [Nächtig, p. 142, Schrift, p. 103] nimmt, um 
den Ursprung des Lai de TOiselet zu erklären, eine ursprüngliche, 
besser abgeschlossene Vorlage in Liedesform (daher der Name lai’) 
an, mit Ritterschloß und Garten als Hauptthema. Nachdem mög¬ 
licherweise schon früh die Lehrfabel aus dem Orient in Einzel¬ 
heiten auf dieses lai* eingewirkt habe, sei erst nachher die syste¬ 
matische Verknüpfung beider zu dem uns überlieferten lai vollzogen 
worden. — Über sonstige im Lai verwertete Motive und Gedanken 
vgl. G. Paris, Lai (1903, pp. 257 ff) und Le Grand, t. III, pp. 
437—439. — Das von Chauvin, t. III, p. 104 angemerkte ‘Lay de 
TOiselet’ in Bibliotheque Universelle des Romans . . . Juillet 1776, 
sec. vol. pp. 195—198, hat mit unserem lai nicht das Mindeste zu 
tun. Der Titel scheint von einer irrtümlichen Reminiszenz an das 
wirkliche Lai de TOiselet herzurühren. 

U1 ) Ed. pr. Louis Paris, La Chronique de Rains, Paris 1837, 
8 °; hier die Erz, pp. 236/7; der Text derselben wurde 1847 in t. 



51 


Werke, welches Geschichte enthält, aber Geschichte, wie 
sie beim Volk im Umlauf war und von den jongleurs 
ihren Zuhörern erzählt wurde. Der unbekannte Verfas¬ 
ser schrieb sein Buch, nachdem er den Inhalt zweifels¬ 
ohne vorher vorgetragen hatte, im Jahre 1260 in Keims 
nieder. Seiner Erzählung zufolge verlor im selben Jahre 
König Ludwig IX. seinen erstgebornen, damals sechzehn¬ 
jährigen Sohn Ludwig und geriet dadurch in die tiefste 
Schwermut, in welcher ihm die Geschichte von dem Vög- 
lein aus dem Munde des Erzbischofs Eudes Kigaud 
von Rouen (1248—1275) Trost gewährte. Gegenüber 
der Ansicht von Natalis de Wailly, dem der ganze Her¬ 
gang unwahrscheinlich dünkt, ist mit G. Paris im Hin¬ 
blick auf die Eigenart mittelalterlicher Geistesrichtung 
an der Richtigkeit der Erzählung des menestrel fest¬ 
zuhalten 142 ). Damit haben wir an unserer Geschichte 
ein weiteres Beispiel geschichtlich bedeutsam gewordener 
Fabeln und können sie den berühmten Apologen, die 
Nathan dem David und Agrippa den Plebejern vorhiel¬ 
ten, würdig an die Seite stellen. 

Was die Quelle des recit anbelangt, so verraten un¬ 
trügliche Anzeichen seinen engeren Zusammenhang mit 


XXI pp. 618/9 der Hist. Litt, in einen V. L. C. gez. Art. über 
den Erzb. Eudes Rigaud aufgen. und 1854 von E. du Meril, Poesies 
inedites du Moyen Age, pp. 144—146 neuerd. abgedruckt. Die 
zweite Ausgabe des Gesamt Werkes besorgte Natalis' de Wailly unter 
dem entsprechenderen Titel: ‘Recits etc.*, Paris 1876, wo die Erz. 
pp. 461—465; daraus der Text uns. Erz. mit leichten form. Än¬ 
derungen bei G. Paris, Lai 1884 (1903, pp. 266—268). — Hin¬ 
weise: Loiseleur, Essai, p. 71 Anm. 11; Hist. Litt. XXI, pp. 618 
♦bis 620, 717; E. du Meril, pp. 144—146; Hist. Litt. XXIII, pp. 
76/7; Benfey I, p. 381; österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; 
G. Paris, Lai (1903, pp. 265—269); Chauvin, II, p. 104. 

142 ) Die Barlaamparabel war geradezu das stereotype ‘exem- 
plum* gegen übermäßige Trauer bei Todesfällen ; vgl. pp. 80, 81 

4 * 



52 


dem Lai de l’Oiselet. Im recit ist zwar der Vogel nicht 
namenlos, sondern heißt ‘une masenge’, aber das könnte 
wohl eine Reminiszenz an v. 374 des lai sein; wie dieses, 
verwendet das recit zur Bezeichnung der Lehren nur 
das Wort ‘sens’ 143 ); hier wie dort setzt sich der Vogel 
gleich nach der Freilassung auf einen Baumast; in der 
ersten Lehre stimmt das recit mit der entsprechenden 
dritten des lai, welche eine auffallende Fassung zeigt, 
wörtlich überein, was kein Zufall sein kann, da sich 
in der Nutzanwendung beiderseits der gleiche Wortlaut 
wiederholt; ferner: das Lai war bisher die einzige Ver¬ 
sion, in welcher der Bauer mit den drei Lehren unzu¬ 
frieden ist; dieselbe Darstellung hat nun auch das recit; 
von den v. 345 ff. des Lai zeigen sich im recit ebenfalls 
noch deutliche Spuren. Andrerseits finden wir Anzei¬ 
chen von der Benutzung einer fremden Quelle, so im 
dritten ‘sens’, wo die Form des Barlaam: ‘ne doleas de 
re perdita quam recuperare non potes’ unverkennbar 
nachwirkt, während ebenso ‘ues de geline’ sichtlich ein 
Nachklang von ‘struthionis ovum’ im Barlaam ist. Als 
ganz neuer Zug des recit sei noch erwähnt, daß der 
vorgebliche Edelstein, dem übrigens, wie im Lai, keine 
nähere Bezeichnung gegeben ist, seinen Sitz im Kopfe 
des Vögleins hat. 

Im allgemeinen lassen die vorhandenen Merkmale 
erkennen, daß' trotz mancher Verschiedenheiten im ein¬ 
zelnen das Lai de l’Oiselet die Hauptquelle des recit 
gewesen sein muß, daß aber auch der damals sicherlich 
schon viel gelesene lateinische Barlaam mitgewirkt hat, 
während andres willkürlicher Umwandlung im Volks¬ 
munde zu verdanken ist. Denn im recit des menestrel 


1A3 ) Auch Chastoiem. II verwendet dieses Wort, aber nicht 
von Anfang an. 



53 


haben wir zweifelsohne eine Version unseres Geschicht- 
cliens angetroffen, die wenigstens eine Zeit lang in der 
Volkstradition lebendig war 144 ). 

V. Wielunds Gedicht ‘der Vogelsang oder die drei Lehren' 

[Anhang No. 9]. 

Eine deutsche Nachbildung des afz. Lai de l’Oiselet 
haben wir in Wielands Gedicht ‘der Vogelsang oder die 
drei Lehren’ 145 ). Der Dichter hat dabei insoferne eine 
Änderung vorgenommen, als er seinen Standpunkt in die 
Gegenwart verrückt und das französische Milieu in ein 
deutsches umgewandelt hat 146 ), namentlich um gelegent¬ 
licher satirischer Seitenhiebe 147 ) nicht entraten zu müssen. 
Um eine Anpassung an das Verständnis seiner Zeitge¬ 
nossen zu finden, hat er des Vögleins ‘lai’, welches vom 
ursächlichen Einklang weltlicher und geistlicher Liebe, 
von courtoisie und vilenie handelte, zu einem dem moder- 

144) Wohl im Hinblick auf das recit spricht Bedier, p. 109 
von dem Lai de l’Oiselet als einer Erzählung, die tatsächlich im 
Volksmunde gelebt habe. 

145 ) Im ganzen 438 Verse; das Gedicht erschien zuerst in ‘Der 
Teutsche Merkur’ vom Jahre 1778, erstes Vierteljahr, pp. 193—211; 
in etwas veränderter Fassung in k C. M. Wielands Sämmtliche Werke. 
Achtzehnter Band. Erzählungen und Märchen.’ Leipzig 1796, 8°, 
pp. 365—387. — Wieland gibt selbst am Anfänge in einer Fu߬ 
note seine Quelle an: „Nach dem Lays de l’Oiselet in den Fabliaux 
et Contes etc. Vol. I, p. 179“, womit nur der erste Band von 
Barbazan (1756) gemeint sein kann; vgl. Schmidt, p. 153. — Hin¬ 
weise bei Docen, Aes. Fab. p. 1247; Schmidt, pp. 153/4; Keller, 
Altd. Ged. p. 12; Goedeke, Mittelalt. p. 640; Österley, Wend. V, 
p. 107/8, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 270); Jacobs, 
Aes. I, p. 265; Barl. pp. LXXX, CXXII. Gattinger, p. 64; 
Schleich, p. 433; de Cock, p. 134. 

146 ) aber erst in ‘Sämmtl. Werke’, siehe Text im Anhang, 
v. 1, 2, 5, 35 etc. 

147 ) v. 19; v. 35 (Schmidt a. a. O. empfindet diese Anspielung 
als störend und unbegreiflich). 



54 


nen Leser verständlicheren Preislied auf ehrlich und 
treu gemeinte Liebe umgemodelt. 

Einzelne Abänderungen mehr willkürlicher Art sind 
1. ein frei eingeschalteter Hymnus auf die Reize des 
Landlebens (v. 58—70), veranlaßt durch die Beschrei¬ 
bung des Gartens; 2. bei der Schilderung des Gartens 
fehlt die Erklärung, daß er durch ‘nigromance’ entstan¬ 
den sei; dem Übersetzer scheint die entsprechende An¬ 
gabe beim Gesang des Vogels (v. 115 ff.) genügt 'zu 
haben; 3. eine eigene Schilderung des immergrünen Bau¬ 
mes (Lai, v. 60—73: uns pins) fehlt,, wie überhaupt 
das Moment, daß es des Vögleins Gewohnheit war von 
einem bestimmten Baume herab zu singen; 4. die Eigen¬ 
tümlichkeit, daß der Garten in erster Linie ein Liebes- 
garten ist, ist verdunkelt worden; 5. an der Stelle, wo 
von der Gepflogenheit Hansens täglich dem Gesang des 
Vogels zu lauschen, die Rede ist (v. 123—128 = Lai 
v. 126—128), wird vorbauend gleich bemerkt (v. 124 
bis 144), daß dies nicht etwa; einem Drang edleren Emp¬ 
findens beim Bauer entspricht, sondern daß für diesen 
nur niedrige Beschäftigungen Reiz haben. Im Lai kommt 
dieser Gedanke erst später (v. 188—194). Wieland hat 
durch die Vorwegnahme unzweifelhaft eine bessere Motiv¬ 
folge erzielt und ein Mißverständnis, welches sich nach 
dem französischen Text leicht bilden könnte, nämlich 
daß der Bauer (durch das Gehör, welches er dem Ge¬ 
sänge des Vogels schenkt, zum mindesten einiges Ver¬ 
ständnis für das Schöne zeige, vereitelt; 6. die Verse 
178—186 sind eine von Wieland ganz neu eingefügte 
Partie, welche dazu dienen soll, den urplötzlichen im 
Lai nicht recht motivierten Gesinnungswechsel des Vogels 
gegenüber dem Bauern, den er doch nicht zum ersten 
Male sieht, zu rechtfertigen; 7. die Nutzanwendung der 
letzten zwei Lehren schenkt sich der Übersetzer lals 
selbstverständlich und überflüssig. 



55 


Schon Schmidt rühmt dem Gedichte „pikant naiven 
Ton“ und einschleichende) Glätte der Verse nach. G. 
Paris gibt zwar zu, daß sich das Gedicht mit Vergnügen 
lese, setzt es aber an Wert dem Lai nach. Meines Er¬ 
achtens hat sich Wieland mit recht viel Glück bemüht, 
die an manchen Stellen mangelhafte Motivierung seiner 
Vorlage zu verbessern und das Ganze mehr dem deut¬ 
schen Geschmacke anzupassen. So dürfte denn die Lek¬ 
türe der Wielandschen Nachdichtung für einen Deut¬ 
schen jener des afz. lai vorzuziehen sein. 


10. Nicolay's Gedicht ‘der Mann und das Vögelein' 

[Anhang No. 10]. 

Schwierigkeiten in Bezug auf die Einreihung macht 
das kleine Gedicht Ludwig Heinrich von Nicolay’s (1737 
bis 1820): ‘Der Mann und das Vögelein’ 148 ). Der Vogel 
gibt, um die Freiheit wieder zu erlangen, einen Spruch, 
der nur mehr die eine von den drei Lehren, nicht alles 
gleich zu glauben, enthält, allerdings nicht ohne daß 
auch von der letzten Lehre, sich über Verlornes nicht zu 
kränken, Spuren vorhanden wären (v. 13/14). Der Mann 
ist von dem Spruche nicht recht erbaut, läßt aber trotz¬ 
dem! den Vogel, dessen Wert ihm zu gering erscheint, 
frei. Das Vöglein erzählt nun das Märchen von dem 
Edelstein in seinem Leib, und der Mann, der vorher die 
Lehre so gering geachtet, gerät in die größte Betrübnis. 
Die Nutzanwendung .überläßt (der Dichter dem Leser. 


148 ) Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, von Herrn 
Ludwig Heinrich von Nicolay. Erster Theil. Berlin und Stettin 
1792, 8°, pp. 62/3 (37 Verse). — Hinweise auf das Gedicht haben 
in unserem Zusammenhang gegeben Schmidt, p. 154; Goedeke, 
Mittelalter, p. 640; österley, Wendunmuth, V, p. 107/8, Gesta, p. 
739; G. Paris Lai (1903, p. 270); de Cook, p. 134. 



56 


Auf den Barlaam als Quelle würde der Umstand 
weisen, daß der Vogel erst nach der Erteilung seines 
Spruches freigelassen wird; aber für den Kreis der 
Disciplina spricht die einfache Bezeichnung „Vögelein“, 
wofür erst später „Zeisig“ eintritt. Speziell auf das 
Lai de l’Oiselet oder Wielands Verdeutschung desselben 
weist der zweifellos (entscheidende Umstand, daß der 
Mann mit der Lehre unzufrieden ist, und zwar kann 
Wielands Dichtung, als verhältnismäßig am weitesten 
verbreitet, noch am ehesten dem Verfasser Vorgelegen 
haben. 

II. Le Grand d’Aussy’s Bearbeitung des Lai de l'Oiselet 

[Anhang No. 9]. 

Le Grand’s Bearbeitung des Lai de l’Oiselet 149 ) ist 
in mehr denn einer Beziehung als selbständige 150 ) Ver- 

U9 ) In der ersten dreibänd. Ausg. von Le Grand’s Fabliaux 
ou Contes, Paris, 1779, 8°, in t. III, pp. 313—319; in der zweiten 
fünfb. Ausg. Paris, 1781, 12°, die mir allein vorliegt, t. III, 
pp. 430—436; in der dritten, ebenf. fünfbänd. Ausg. Paris, 1829, 
8 ° in t. IV, pp. 27—34. Von Le Grand’s Werk gibt es auch eine 
deutsche Übersetzung, Halle und Leipzig, 1797, 8°, wo die Gesch. 
Bd. IV, p. 104 steht [Schmidt, p. 152]. Eine ausf. Analyse, mit 
Versen Way’s untermischt, bei Clouston, pp. 566—8. — Hinweise 
bei G. Ellis bei Way (1815, I, pp. 169, 171/2); Douce bei G 
Ellis (1848, p. 42); Roquefort I, p. 29, II, pp. 47, 324; Schmidt, 
pp. 152, 154; Loiseleur, Essai, p. 71, Anm. 11; Grässe, Gesta, 
p. 276; Hist. Litt. XXI, pp. 620, 717; XXIII, p. 77; Benfey 
I, p. 381; österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris, Lai 
(1903, pp. 269/70); Jacobs, Aes. I, p. 265; Clouston, p. 566; 
Weisslovits, p. 114; Jacobs,- Barl. p. CXXII; Rösle, p. 40; Chauvin 

III, p. 104; de Cock, pp. 113, 123, 125; Chauvin IX, p. 30. 

16 °) G. Ellis bei Way (1815, I, p. 169) erklärt sich die Ab¬ 
weichungen Le Grand's vom Texte Barbazan’s mit dem Hinweise 
auf folg. Bemerkung Le Grand’s [t. I, p. XCVII] : *il n’y a presque 
pas de fabliaux dont je n’aie trouve plusieurs copies; et presque 



57 


sion unserer Erzählung mit künstlerischer Absicht zu 
betrachten, welcher die ausschließliche Berufung auf 
handschriftliche Vorlagen nur als eine Art Existenz¬ 
legitimierung dienen soll. 

Im ersten Teil, der Beschreibung der wunderbaren 
Landschaft, befleißigt sich Le Grand noch einer nahezu 
wörtlichen Treue. Aber schon das ‘lai’ des Vögeleins 
wird nur in seinen Anfangsworten wiedergegeben 151 ). 
Gleich darauf erlaubt sich der Verfasser die wichtige 
Änderung, daß er das im Gedichte geschilderte Zusam¬ 
mentreffen des Vogels mit dem Bauern das erste sein 
läßt, welches überhaupt zwischen den beiden stattfin¬ 
det. Dadurch erreicht er natürlich eine ausgezeichnete 
Motivierung für den Schmähgesang. Die hauptsäch¬ 
lichste Abweichung folgt aber erst bei den drei Lehren. 
Durch die in das Zwiegespräch nach der Mitteilung des 
ersten Rates eingeflochtene Bemerkung des Vogels: ‘il 
est bon 'de te le rappeier; ,tu l’avais oublie, retiens-le jpour 
la vie’ deutet der Vf. an, daß er die erste Lehre, nicht 
gleich alles zu glauben, vom Vogel auf dessen Ver¬ 
sprechen beziehen läßt, er werde dem Bauer im Falle 
der Freilassung 'trois secrets merveilleux’ mitteilen. Die 
zweite Lehre des Vogels ist abgeändert: ‘il faut se con- 
soler de ce qu’on n’a plus’; in dieser Form bezieht sie 
sich natürlich auf den Vogel, den der Bauer törichter¬ 
weise aus der Hand gegeben hat, und so ist auch die 
zweite Lehre schon bei der Erteilung eine offenkundige 

toujours ces copies differaient entre elles ... [p. C] ... j’en 
ai tir6 partie en les refondant ensemble, et me suis permis toutes 
les fois que je l’ai pu, d’inserer dans la Version principale que 
je suivais, les traits les plus agreables qui se rencontraient dans les 
autres ... les contes y ont gagne . .’ Dem widerspricht in unse¬ 
rem Falle die Übereinstimmung der 5 Pariser Handschriften des lai. 

161 ) Der Hauptinhalt ist dafür kurz in einer Anmerkung 
skizziert. 



58 


Verhöhnung des Landmannes. Die nun folgende dritte 
Lehre ist nur mehr die positive Seite der vorausgegan¬ 
genen zweiten. Der Bauer will den Vogel wieder ein¬ 
fangen, um dann die dritte Lehre zu beherzigen, aber 
der Vogel entflieht und der Zauber verschwindet. Durch 
diese Änderungen wird das Märchen vom kostbaren Edel¬ 
stein im Magen des Vogels überflüssig und Le Grand 
Jiat tatsächlich dasselbe wie auch die sonst übliche Nutz¬ 
anwendung fallen gelassen. Somit ist eine ganz neue 
Version hergestellt, bei welcher die Dummheit des Bauern 
in seinem Eingehen auf den Vorschlag des Vogels und 
nicht in seinem mangelhaften Verständnis der drei Leh¬ 
ren besteht. 


12. G. L. Way: l The Lay of the Little Bird'. 

[Anhang No. 12]. 

Ein großer Teil von Le Grand’s Bearbeitungen afz. 
Stücke ist von G. L. Way 152 ) in englische Verse über¬ 
tragen worden, darunter auch das Lai de l’Oiselet als 
‘The Lay of the Little Bird’. Dieses schöne Gedicht, 
welches sich neben Lydgate’s Gedicht recht wohl sehen 
lassen kann, ist die genaue Wiedergabe von Le Grand’s 
‘abridgement’. 


152 ) Das sehr seltene Werk erschien zuerst unter dem Titel: 
Fabliaux or Tales, abridged from French Mss. of the XII t * ie and 
XIIl the centuries by M. Le Grand, selected and translated into 
English verse by the late G. L. Way, with a preface, notes and 
appendix by G. Ellis, London, 1796—1800, 2 vis, 8° [Allibone, III, 
p. 2617], Mir liegt vor die dreibänd. Neuausg. Lond. 1815, 8°, hier 
das Gedicht (144 zehnsilbige, tonjambische Verse) pp. 51—59. Der 
Text desselb. wurde 1824 von Swan in seine Gesta, p. 348, aufge¬ 
nommen und mit diesen 1905 neugedruckt (pp. 458—460). Die 
meisten Forscher scheinen Way’s Buch nicht gekannt zu haben. 



59 


13. Die Erzählung im 'Libro de los Exemplos■ 
[Anhang No. 13]. 

Das ‘Libro de los Exemplos’ 153 ), eine spanische 
Sammlung von Predigtbeispielen aus dem 14. Jahr¬ 
hundert, enthält unsere Erzählung zunächst im ejemplo 
LIII, dessen lateinische Überschrift (mit metrischer spa¬ 
nischer Übersetzung) die zwei Lehren wiedergibt, welche 
in der Einleitung und am Schlüsse des cap. XXIII der 
Disciplina stehen, als dessen wörtliche Übersetzung sich 
das ejemplo auf den ersten Blick zu erkennen gibt 154 ). 
Nur die Stelle ist nicht mitübersetzt, wo von dem Gar¬ 
ten als dem Stelldichein der Singvögel die Rede ist. 
Außerdem wird der Vogel, in der Disciplina namenlos, 
‘un ruiseiior’, eine Nachtigall genannt. Das legt die 
Annahme einer Einwirkung des lateinischen Barlaam 

da sie beständig nach Swan zitieren. — Auf Way’s Gedicht haben 
in unserem Zusammenhang verwiesen: Douce bei G. Ellis (1848, 
p. 42); Swan (-Baker, 1905, pp. 458—460); österley, Wendunm. 
V, p. 107/8, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 270); Jacobs, 
Aes. I, p. 265; Clouston, pp. 566/7. 

153 ) Hg. von Gayangos in Autores Espanoles, 51 (Madrid 
1860); die beiden ejemplos dort p. 460 und p. 518. — Die aus 
385 ejemplos bestehende Kompilation stammt aus der Zeit nach 
dem Infanten Don Juan Manuel (1282—1348); der Verf. ist un¬ 
bekannt. Mit dem Conde Lucanor des Infanten hat das Libro de los 
Exemploä gemein, daß der philosophische Gehalt der einz. Bei¬ 
spiele, wie dort am Schlüsse, so hier am Anfänge der Erzählungen 
durch versifizierte Sprüche angegeben ist. — Hinweise in uns. 
Zusammenh.: österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris, 
Lai (1903, p. 252 Anm.); Jacobs, Aes. I, p. 265; Crane, p. 145; 
Jacobs, Barl. p. CXXII; Chauvin III, p. 104, IX, p. 30. 

154 ) Den Zusammenhang mit der Disciplina hat schon der 
erste Herausgeber Gayangos [p. 460, Fußnote] erkannt; vgl. dazu 
Paymaigre, Les vieux auteurs castillans, Paris-Metz 1862, 8°, 
tome I, p. 446. 



60 


nahe, eine Vermutung, .die durch die Überschrift des 
ej. CCC, wo ‘ballestero’ dem ‘sagittarius’ des Barlaam 
entspricht, zur Gewißheit wird. 

14. Die ältere isländische Version [Anhang No. 14]. 

Auf Island muß schon früh eine freie Bearbei¬ 
tung der Disciplina clericalis vorhanden gewesen sein, 
die in die Hände eines Mannes gelangte, dem auch der 
lateinische Originaltext zugänglich war, und der in der 
Abschrift, die er nahm, jene freie Bearbeitung durch 
eine wörtliche Übertragung ersetzte. Aus dieser Kopie 
mag eine Handschrift geflossen sein, von welcher im 
Jahre 1690 der Isländer Jön Vigfüsson eine Abschrift 
herstellte, welche heute den cod. Holm, chart. 66 fol. in 
Kopenhagen bildet. Aus diesem Kodex hat Hugo Ge¬ 
ring 155 ) nebst 27 anderen Geschichten der Disciplina 
auch unsere Erzählung herausgegeben. Die Übersetzung 
ist wörtlich; es fehlt nur wie im Libro de los Exemplos 
die Stelle, wo der Garten als Zusammenkunftsort der 
Vögel geschildert wird. Beachtenswert ist auch die Über¬ 
setzung ‘mikit fe’ für ‘trium vitulorum carnes’. 

15. Die Neubearbeitung der Erzählung der Disciplina 
clericalis in Steinhöwels Äsop [Anhang No. 15]. 

Eine neue Ära weiter Verbreitung erlebte die Er¬ 
zählung des cap. XXIII der Disciplina clericalis, als sie 
in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts als 
No. 6 der fabulae collectae in die vielfach in die mo- 

155 ) Islendzk JEventyri. Isländische Novellen und Märchen. 
Erster Band. Text. Halle a. S. 1882, 8°, pp. 196/7. Vergleiche 
dazu und zu den obigen Angaben pp. XXIX—XXXI, und Zweiter 
Band. Anmerkungen und Glossar, Halle a. S. 1883, 8°, pp. 139 
u. 389/90. — Hinweis auf diese Version bei Jacobs, Aes. 1, 
p. 265. 



61 


deinen Sprachen übersetzte lateinische Äsop-Kompilation 
Steinhöwels 156 ) aufgenommen wurde. 

Indessen war die Herübernahme aus der Disciplina 
keine unbedingt wörtliche, ja die Bearbeitung weist sogar 
in sachlicher Hinsicht manche Besonderheiten auf, die 
hier kurz zusammengestellt seien: 1. Der Mann wird 
von Anfang an ‘rusticus’ genannt; 2. es ist auch von 
‘floribus’ im Garten die Rede; 3. der Bauer wird ge¬ 
schildert, wie er in den Garten eintritt; 4. er läßt 
sich ‘sub pomo arbore’ nieder; 5. die Frage des Bauers 

156 ) Heinrich Steinhöwel, dector utriusque medicinae, ca. 1420 
in Weil der Stadt geboren, war seit 1450 Stadtarzt von Ulm und 
starb 1482 [Keller, Decameron von Heinr. Steinhöwel, Stuttgart, 
1860, 8° (Bibi, des Lit. V. 51), pp. 674—76]. — Die erste Aus¬ 
gabe des Äsop erschien um 1480 s. 1. a. et typ. bei Sorg in 
Augsburg und wurde zweimal neu aufgelegt; sodann bei Leeu 
1482 ‘in opido Goudensi' und 1486 Antverpie [Herrn. Knust, Stein¬ 
höwels Äsop, in Zeitschr. f. deutsche Philol. XIX (1887), p. 197] ; 
zusammen mit Steinhöwels eigener deutscher Übertragung bei Joh. 
Zeiner in Ulm s. a., ebenfalls schon um 1480 [Knust, p. 20U; 
Österley, Steinh. p. 3; Keller, Decam. p. 679]; nach diesem außer¬ 
ordentlich seltenen Buche hat dann Österley 1873 eine Neuaus¬ 
gabe [Steinhöwels Äsop, Bibi, des Lit. Ver. in Stuttg. CXVII] 
veranstaltet, wo der lateinische Text der Erz. pp. 312/3 abgedruckt 
ist. — Das Werk besteht aus der Lebensbeschreibung Äsops, einer 
Rezension der Fabeln des Romulus, aus 17 als Extravaganten be¬ 
zeichnten Stücken, aus 27 Fabeln des Avian, 17 Erzählungen aus 
der Disciplina [ex Adelfonso’] und 6 Fazetien des Poggio; die 
beiden letzten Kategorien sind als ‘collectac’ zusammengefaßt. — 
,, Steinhöwels Werk hat eine außerordentlich rasche und weite 
Verbreitung gefunden, und darin hauptsächlich liegt . . . die Be¬ 
deutung desselben für die Literaturgeschichte, indem die Sammlung 
das unbedingt wichtigste Vehikel, die geradezu unerschöpfliche 
Quelle für die Verbreitung der mittelalt. Fabel seit der Erfindung 
der Buchdruckerkunst geworden ist.“ [österley, Steinh. pp. 2/3]. 
— Auf Steinhöwel wiesen in unserem Zusammenhang hin: Schmidt, 
pp. 151, 152; österley, Gesta, p. 739; Jacobs, Barl. p. CXXIT; 
Rösle, p. 40; Chauvin, IX, p. 30. 



62 


‘quam utilitatem?’ ist ausgeschaltet; 6. das ‘securus 
promissis’ der Disciplina fehlt; 7. die erste Lehre hat 
den Zusatz: ‘signanter illis que verisimilia non sunt’; 
8. zur dritten Lehre ist, jedenfalls in Erinnerung an den 
Barlaam, beigefügt: ‘que recuperare non potes’; 9. die 
Stelle ‘qui aciem oculorum clausit’ der Disciplina ist 
ganz frei wiedergegeben; 10. vom vorgeblichen Steine 
sagt der Vogel: 'nam hoc invento ipse mire ditatus 
fuisset et ego vivus non evasissem’; 11. die übermäßige 
Trauer des Bauers in der Disciplina ist sehr abge¬ 
schwächt; 12. die Stelle der Disciplina: ‘quoniam dictis 
fidem praebuerat aviculae’, wobei sich ‘dictis’ offenbar 
auf des Vogels Fabulieren vom Rubin in seinem Magen 
bezieht, ist von Steinhöwel zu einer direkten Rede des 
Bauersmannes umgewandelt worden: ‘ve mihi, quod ver- 
bis avicule dolose crediderim, et quam habui non ser- 
vavi!’ In dieser Änderung bezieht sich ‘verbis’ auf das 
Versprechen der drei Lehren, und der Sinn der Erzäh¬ 
lung in der Disciplina wird dadurch gänzlich verschoben, 
da nunmehr der Bauer die drei Lehren für eitel Spott 
hält; 13. der Beginn der Antwort des Vogels ‘o fatue’ er¬ 
innert abermals an Barlaam; 14. die Nutzanwendung 
der ersten Lehre steht nicht wie in der Disciplina an 
erster Stelle, sondern folgt nachher; dabei ist der Be¬ 
griff ‘dragma’ neben ‘uncia’ neu eingeführt; 15. ganz 
neu ist die Nutzanwendung zur zweiten Lehre, welch 
letztere, jetzt auf den vermeintlichen Edelstein, wie oben 
auf den Vogel selbst bezogen, hypothetisch gehalten ist, 
ebenso wie die zur dritten Lehre, welche außerdem auch 
das ‘recuperare’ wieder aufnimmt; hier kehrt der lo¬ 
gische Fehler des Petrus Alphonsi: ‘pro hyacintho qui 
in me e s t’ nicht wieder. Dadurch, daß Steinhöwel die 
erste und zweite, implicite auch die dritte Lehre so¬ 
wohl auf den Vogel selbst, bzw.. sein Versprechen der 



63 


drei Lehren, als auch auf das Märchen vom Edelstein 
bezieht, geht die ursprüngliche Einfachheit der Erzäh¬ 
lung verloren und macht einer gesuchten Überladung 
Platz. 

Iß. Die Erzählung in SteinhöweU deutscher Bearbei¬ 
tung seines Äsop [Anhang No. 16]. 

Seinen lateinischen Äsop übersetzte Steinhöwel selbst 
ins Deutsche, ‘nit wort uß wort, sunder sin uß sin 157 ). 
Die Übertragung unserer Erzählung ,,von dem vogler 
und vögelin“ ist bei ziemlich freier Bewegung der 
Sprache doch eine getreue zu nennen; neu ist nur der 
einleitende Satz. Anzumerken sind Übersetzungen wie 
virgultum hölczlin; pomo arbore apfelboum; unius uncie 
zweyer lot; dragmam ain quintlin. Nicht verdeutscht 
ist jacinctus. Bei der Nutzanwendung ist die erste Lehre 
wieder vorangestellt wie in der Disciplina. 

17. Hans Sachsens Gedicht ‘Drey guter nützlicher lehr 
einer Nachtigall' [Anhang No. 17]. 

Hans Sachsens im Jahre 1556 verfaßtes Gedicht 
‘Drey guter nützlicher lehr einer Nachtigall’ 158 ) trägt 

157 ) Zuerst erschienen zus. mit dem lat. Text bei Joh. Zei- 
ner s. a. in Ulm (ca. 1480), woraus österley wie den latein. 
so auch den deutschen Text seiner Ausgabe nahm (pp. 313—315); 
allein erschien darauf der deutsche Text s. 1. a. et typ. (bei Günth. 
Zainer in Augsburg) u. später oftmals [Knust, p. 200]. 

158 ) Das erst Buch Sehr Herrliche Schöne und warhaffte Ge¬ 
dicht . . Durch . . . Hans Sachsen . . . Getruckt zu Nürmberg bey 
Christoff Heußler 1560, 2°. Das Gedicht, fol. 428 a —429*, mit 
dem Datum ‘Anno Salutis MDLV, Am XVI. Tag Januarij* umfaßt 
174 paarw. reim, vierf. tonjamb. Verse und zerfällt in zwei Teile, 
deren erster, v. 1—124, die eigentl. Erz. enthält, während der 
zweite, der ‘beschluß’, v. 125—174, in etwas breiter Art eine ein- 
dringl. Lehre gibt, die sich jedoch aus dem Munde eines Hans 



64 


die gewöhnlichen Merkmale der in den Kreis der Dis- 
ciplina gehörigen Versionen. Eine genauere Betrach¬ 
tung zeigt, daß es mit der in Steinhöwels Äsop ange¬ 
troffenen Form enger verwandt ist, und zwar insbe¬ 
sondere mit dessen deutscher Bearbeitung. Die Benen¬ 
nung des Vogels als Nachtigall ist das einzige, was mit 
Sicherheit an den Barlaam erinnert. Dagegen finden 
sich sehr viele Steinhöwel eigentümliche Züge wieder, 
teilweise sogar in wörtlicher Übereinstimmung 159 ). Der 
Apfelbaum ist verschwunden, dafür heißt der Baum, auf 
den das Vöglein fliegt (v. 74), eine Linde. Der jacinct 
ist ein Karfunkelstein geworden, der drei (nicht zwei) 
Lote schwer ist, während am Schlüsse der Vogel sein 
Eigengewicht nicht mit einem ‘quintlin’, wie im deut¬ 
schen Äsop, sondern mit einem Lot angibt. Ausführlich 
ist namentlich der Gesang des Vogels (v. 14—18) ge¬ 
schildert, ebenso das Versprechen der Nachtigall Wort 
zu halten (v. 50—56). Neu ist der Wunsch des Bauern 
den Vogel wieder in seine Gewalt zu bekommen (v. 93 
bis 97), vielleicht ein Anklang an den Barlaam. Die 
wahnsinnige Wut des sich betrogen Glaubenden kommt 
in Hans Sachsens Gedicht (v. 87—89) wiederum in ähn¬ 
licher Weise zum Ausbruch wie in der Disciplina. 

18. Die Erzählung in Julien Macho's französischer Be¬ 
arbeitung von Steinhöwels Äsop [Anhang No. 18]. 

Kurze Zeit nachdem Steinhöwel die deutsche Über¬ 
setzung seines Äsop vollendet hatte, arbeitete Bruder 

Sachs recht wohl hören läßt. — Verweise bei Schmidt, p. 153 
(weiß keine Quelle anzugeben); Goedeke, Mittelalt. p. 640; österley, 
Wend. V, p. 107/8, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 262., 
Anm. 2: stellt das Gedicht ganz allg. zur Disc.); Jacobs, Aes. I, 
p. 265, Barl. p. CXXII; de Cock, p. 134. 

169 ) wie v. 23; v. 41/2; v. 60—62, 64, 67/8 (Die drei 
Lehren); v. 82; v. 84; v. 91—93; v. 102 ff. (hier speziell wie im 
deutschen Äsop); v. 114; v. 115 ff. 



65 


Julien Macho an einer französischen Übertragung des¬ 
selben Werkes 160 ). Die Erzählung: ‘düng laboureur et 
düng rossignol’ zeigt im Vergleich zu Steinhöwel, obwohl 
im allgemeinen mit ihm übereinstimmend, manche .Be¬ 
sonderheiten. So schwingt sich der Vogel sofort nach 
seiner Freilassung auf einen Baum und preist statt 
Gottes selbst ‘le filz de dieu tout puissant’. Einen ganz 
besonderen Einfluß muß auf diese Bearbeitung der la¬ 
teinische Barlaam geübt haben, wasf uns ja bei einem 
Mönche nicht wunder nehmen würde: der Vogel ist 
‘ung roussignol’ geworden; die dritte Lehre, welche schon 
bei Steinhöwel an den Barlaam anklingt, ist hier dem¬ 
selben (1. Lehre) noch mehr genähert; auch das in den 
Barlaamversionen geläufige Straußenei begegnet uns 
hier; und die Stelle: ör a ceste heure congnois ie bien 
que tu es ung fol’ ist genau die Übersetzung von ‘nunc 
cognovi certissimo te esse fatuum’ im Barlaam. Hervor¬ 
gehoben zu werden verdient außerdem, daß der vorgeb¬ 
liche Stein hier ein ‘dyamant’ ist. Wichtiger ist für die 
ganze Anlage, daß die bei Steinhöwel anzutreffende 
Überladung des Sinnes geschickt vermieden ist, indem 
der Bauer sich nur allgemein über den Verlust einer so 
schönen Beute beklagt. Am Schlüsse wird das Fazit ge¬ 
zogen, daß es Torheit sei einen Narren belehren zu wol¬ 
len, da er sich doch nicht daran kehre. 


160 ) Erschienen zuerst 1484 in Lyon bei Matthis Huez; Knust 
(p. 203) zählt nach Brunet I, p. 93 ff. bis 1532 im ganzen neun 
verschiedene Ausgaben auf. Mir liegt vor: Les subtilles f&bles de 
Esope . . . Imprimees a Lyon par Claude nourry dit le Prince: et 
Pierre de vingle. Lan de grace Mil CCCCCXXVI in 4°. Das Buch 
hat keine Paginierung, aber Reihenfolge und Zählung der einzelnen 
Pabeln sind dieselben wie im lateinischen und deutschen Stein¬ 
höwel. Unsere Erzählung ist durch einen Holzschnitt illustriert. 

Tyroller, Die Fabel von dem Manne und dem Vogel. 5 



66 


19. Die Erzählung in Caxton's englischer Übersetzung 
des Ä8op nach dem Französischen [Anhang No. 19]. 

Auf. Julien Macho’s französischer Übersetzung von 
Steinhöwels lateinischem Äsop beruht W. Caxton’s noch 
im Frühling 1484 (neuen Stils) verfaßte und gedruckte 
englische Übertragung 161 ). Unsere Erzählung, unter dem 
Titel ‘of the labourer and of the nyghtyngale’, ist wört¬ 
lich aus dem Französischen herübergenommen. Auffallend 
ist nur, daß die dritte Lehre sich genau dem lat. Text 
Steinhöwels anschließt, während Macho davon abweicht; 
für ,,Gottes Sohn“ steht Jiier wieder „Gott“ wie bei 
Steinhöwel; der Vergleich des Diamanten mit dem Strau¬ 
ßenei, den Macho abweichend von Steinhöwel hat, fehlt, 
dafür aber auch die Gewichtsangabe ‘unius uncie pon- 
deris’, und bei der Nutzanwendung heißt ies dement¬ 
sprechend nur: ‘a precious stone more of weyght than 
I am’. 

Zur Erklärung dieser Abweichungen ist entweder 
anzunehmen, daß Caxton neben dem französischen auch 
der lateinische Text des Äsop zur Verfügung gestanden 
hat, oder wahrscheinlicher, daß die späte Ausgabe der 
Übersetzung Macho’s von 1526 infolge verschiedener Um¬ 
gestaltungen des Textes in den oben erwähnten Punkten 


161 ) Here begynneth the book of the subtyl historyes and 
Fables of Esope whiche were translated out of Frensshe in to Eng- 
lysshe by william Caxton. At Westmynstre In the yere of oure 
Lorde M. CCCC. LXXXIII. Nach dieser nur mehr in drei 
Exemplaren vorhandenen Ausgabe veranstaltete 1889 J. Jacobs in 
2 Bänden einen Neudruck, der unsere Erzählung im II. Bd. pp. 
269—271 enthält. Vgl. Jacobs, Aes. I, pp. XI—XIV; Knust, p. 
203; österley, Steinhöwel, p. 3. — Hinweise bei Douce bei Ellis 
(1848, p. 44); Rösle, p. 40; Jacobs, Barl. p. CXXI; Köhler-Bolte 
I, p. 576; Plessow, p. XXXVI. 



67 


von der ersten (von Caxton benützten) Ausgabe von 
1484 differiert 162 ). 

20. Die Erzählung m der spanischen Übersetzung von 

Steinhöwels Äsop [Anhang No. 20]. 

Schon frühzeitig erschien auch eine spanische Aus¬ 
gabe von Steinhöwels Äsop 163 ). Die Übertragung der 
Erzählung, die hier ‘del rustico y del avezilla’ betitelt 
ist, ist absolut wörtlich. Neu sind nur der vorangestellte 
Spruch: ‘Un grossero ingenio no cabe sotil doctrina’, 
und die Erklärung zu una dragma: ‘que es tanto como 
un dinero’. 

21. Die Erzählung in Sebastian Brants revidierter Aus¬ 
gabe des Steinhöwelschen Äsop [Anhang No. 21]. 

Einer kleinen Änderung unterworfen erschien 1501 
der Text von Steinhöwels lateinischem Äsop in einer von 

162 ) Die holländische 1485. in Antwerpen, 1498 in Delft er¬ 
schienene, nach Macho gearbeitete Übersetzung [Enust, p. 203], 
ferner die vermutlich in Prag 1487 oder 1488 erschienene Cechische 
[Knust, pp. 205/6] und Tuppo's italienische Übersetzung des Stein¬ 
höwelschen Äsop von 1485 [Jacobs, Aes., Pedigree] haben mir nicht 
Vorgelegen. 

16S ) Zuerst in Saragossa 1484 und in Burgos 1495 erschie¬ 
nen. Das Buch ist bis herauf ins 19. Jh. vielfach neu aufgelegt 
worden [Enust, p. 206]. Mir liegt vor eine spätere offenbar sehr 
wenig veränderte Ausgabe: Las fabulas del clarissimo y sabio 
fabulador Ysopo, nuevamente emendadas. A las quales agora se 
anadieron algunas neuvas muy graciosas, hasta aqui nunca vistas ni 
irnprimadas. Con su vida, maneras, costumbres y muerte: y mas 
una Tabla de lo que en este libro va declarado. M. D. 2ELVI. 
Vcndensa en Enveres por Juan Steelsio, en el escudo de Borgo na 
12°. Der Text der Erz. pp. 174*—175 a . Hingewiesen hat auf den 
spanischen Ysopo österley, Wend. V, p. 107/8 u. Gesta, p. 739. — 
Nach einem spanischen Texte von 1796 ist das Buch Steinhöwels 
auch ins Katalanische übertragen worden unter dem Titel: Faulna 

5* 



6.8 


Sebastian Brant (1458—1521) revidierten Gestalt 164 ]. 
Jeder von Steinhöwel nur in Prosa mitgeteilten Fabel 
ist eine versifizierte Bearbeitung derselben oder wenig¬ 
stens eine auf sie bezügliche Moral in Distichen voran¬ 
gestellt. Unsere Erzählung ist durch vier die drei Lehren 
enthaltenden Distichen eingeleitet. 

22. Die Erzählung in den Äsopischen Fabeln des Camc- 
rarius. [Anhang No. 22]. 

Auch der gelehrte Humanist Joachim Camerarius 
(1500—1574) veranstalte (1538) eine beträchtlich ver¬ 
mehrte Neuausgabe der Äsopischen Fabeln 165 ), bei wel¬ 
cher aber die Anordnung Steinhöwels nicht mehr gewahrt 
blieb. Dem Herausgeber wird zur 261. Fabel, die unter 
dem Titel ‘aviculae praecepta’ unsere Erzählung ent¬ 
hält, außer anderen Drucken wohl auch die Brantsche 
Ausgabe Vorgelegen haben. Der Vorgang Brants mag 
ihn veranlaßt haben auch seinerseits die drei Lehren 
des Vögleins zu versifizieren. Der Hexameter, in wel¬ 
chem er dies tut, läßt an Knappheit und präziser 
Schärfe nichts zu wünschen übrig. Auch sonst ist die 
Fabel ganz bedeutend gekürzt, namentlich im ersten 

de Isop, Filosof moral . . . Barcelona, s. a. (1808?) [Knxist, p. 215], 
erst 1885 wieder in Barcelona neugedruckt [Knust, Nachtrag, p. 
237]. Der katalan. Text war mir nicht zugänglich. 

164 ) Esopi appologi sive mythologi cum quibusdam carminum 
et fabularum additionibus Sebastiani Brandt (bl. l a ) . . Impressi 
Basilee opera et impensa magistri Jacobi de Pfortzheim: Anno 
dominice incarnationis primo post quindecim centesimum (letzt, 
bl.); (vgl. Knust p. 199); ohne Paginierung. 

165 ) Fabulae Aesopi, iam denuo multo emendatius quam antea 
editae, authore Joachimo Camerario Pabergensi . . . Norimbergac 
apud Georgium Wachterum [1538] 8°, ohne Paginierung. Hinweis 1 
in uns. Zus.: österley, Wend. V p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris. 
Lai (1903, p. 252, Anm. 2). 



69 


Teil, wo die Schilderung des Gartens ganz wegfällt 
und das Zwiegespräch nur angedeutet ist. Das Vöglein 
spricht dem antikisierenden Zuge der Zeit entsprechend 
statt Gott dem magnus Juppiter seinen Dank für die 
Befreiung aus. Der hyacinthus ist in einen smaragdus, 
später schlechthin gemma genannt, verwandelt. Statt 
des Gewichtes einer geringen dragma legt sich der Vogel 
‘semiunciae podus’ zu. Am Schlüsse ist eine doppelte 
Nutzanwendung gezogen, deren zweiten Teil wir in etwas 
veränderter Form schon früher angetroffen haben. 

23. Die Erzählung in Luthers Tischreden 
[Anhang No. 23]. 

Die Version unserer Erzählung in Luthers Tisch¬ 
reden 166 ) geht, wie schon allein die Herübernahme des 
Hexameters beweist, auf die Fabel im Äsop des Came- 
rarius zurück. Sie ist dem ‘Dominus Philippus Melanch- 
thon (1497—1560) 167 ) am Tische Luthers in den Mund 
gelegt. Da Luther 1546 gestorben ist, muß das betref¬ 
fende Gespräch zwischen 1538 und 1546 stattgefunden 
haben. 

Die Hauptmoral, der ersten Lehre bei Steinhöwel 
entsprechend, steht in der Überschrift an der Spitze. 

166 ) Colloquia oder Tischreden D. Martin Luthers . . auffs 
newe corrigieret, M. D. LXX. fol. (von Johannes Aurifaber, Pfarr- 
herr zun Predigern in Erffort). Die Fabel steht hier im 78. Haupt¬ 
stück Vom Beruf f’ pp. 55l a —551 b unter dem Titel: ‘Man sol 
nicht zu viel vertrawen*. — Hinweise bei österley, Wend. V, p. 
107/8, Gesta, p. 739; Jacobs, Aesop, p. 265, Barlaam, p. CXXII. 

167 ) Dieser hat selbst die Fabeln des Camerarius (darunter 
die unserige allerdings nicht) für den Schulgebrauch zurecht gemacht 
und so ein noch lange Jahre im Gebrauch gebliebenes Schulbuch 
geschaffen. Mir liegt z. B. vor: Fabellae Aesopicae quaedam no- 
tiores et in scholis usitatae, a. J. Camerario compositae, Cygneae, 
1660, wo noch eine Vorrede Melanchthons abgedruckt ist. 



70 


Folgendes sind dann die sich leicht aus der mündlichen 
Überlieferung erklärenden Abweichungen von der Fas¬ 
sung bei Camerarius: 1. das Vöglein verspricht, nicht 
im Falle der Freilassung drei Lehren zu geben, sondern 
dem Mann ‘einen köstlichen gemmam’ 168 ) zu geigen; 
2. der Mann traut dem Vogel nicht, worauf ihn dieser 
auffordert mit ihm zu gehen; damit der Vogel die 
Führerrolle übernehmen kann, muß er freigelassen wer¬ 
den ; 3. nun zeigt es sich, daß der Vogel mit dem Aus¬ 
druck ‘gemma’ nur die drei Lehren symbolisch be¬ 
zeichnen wollte, die er jetzt in der Form des Hexa¬ 
meters von Camerarius erteilt. Mit dessen Verdeut¬ 
schung schließt das Ganze, ohne daß weiter von einem 
kostbaren Stein die Rede j.st. So ist die Episode des 
Edelsteins mit den drei gehren in Eines zusammen¬ 
geschoben 169 ). Auf diese Weise ist auch die Überladung 
des Sinnes in den von Steinhöwel ausgehenden Bearbei¬ 
tungen vermieden worden. Darüber erfahren wir aller¬ 
dings nichts, wie sich der Geprellte mit seiner Lage ab¬ 
gefunden hat. Der Sinn ist wohl der, daß er, nachdem 
er zwei Torheiten begangen und damit gegen die beiden 
ersten Lehren gefehlt hat, sich nunmehr bedenkt und 
die dritte: ‘quae periere relinque’ beherzigt. 


24. Die Erzählung in Kirchhofs W endunmuth. 

[Anhang No. 24]. 

Die Fabel in der Gestalt, wie sie in Luthers Tisch¬ 
reden steht, hat der unermüdliche Sammler von allen 
möglichen Geschichtchen und Anekdoten, Hans Wilhelm 

168 ) Jedenfalls eine ßeminiszenz an ‘gemma* = ‘smaragdus’ 
bei Camerarius. 

169 ) Vergleiche die ähnliche Kürzung bei Le Grand und Way. 



71 


Kirchhof 170 ), in das vierte Buch seines Wendunmuth 171 ), 
welches er am 4. Juni 1601 in die Welt hinausschickte, 
auf genommen. 

Der ganze Unterschied zwischen ihm und seiner 
Vorlage besteht lediglich darin, daß die Einleitung, wo¬ 
nach Melanchthon bei Luther :das Geschichtchen auf¬ 
tischte, weggelassen ist, daß das Wort ‘gemma’ durch 
‘Edelstein’ ersetzt und daß am Schlüsse angefügt ist: 
‘rewen hilfft nicht zum widerbringen’. Den Beschluß 
bildet eine Sentenz des Epicharmus. Auch die daran 
angefügten Verse stammen teilweise aus Luther. Sie 
passen freilich nicht alle zu der von der kleinen Fabel 
vermittelten Moral. 

25. Die Erzählung in der metrischen lateinischen Bear¬ 
beitung des Pantaleon Candidus [Anhang No. 25]. 

An die Fassung der Fabel bei Camerarius schließt 
sich auch an die 31 lateinische Hexameter zählende 
Fabel ‘auceps et aviculae praecepta’ des Pantaleon Can¬ 
didus (1540—1608) 172 ). An Camerarius erinnert schon 
die Überschrift, dann aber [insbesondere der bekannte 


17 °) Geb. ca. 1525, seit 1583/4 Burggraf in Spangenberg, 
gest. nach 1602; literar. außerord. tätig [öst. Wend. V, pp. 3—6]. 

m ) Wendunmuth von H. W. Kirchhof, hg. v. Herrn, öster- 
ley 1869, 5 Bde. (iLit. Ver. XCVII). Die Fabel Bd. III pp. 36/7 
(No. 34). Hinweise bei Schmidt, pp. 151, 153; Goedeke, Mittel¬ 
alt. p. 640; österley, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 252, 
Anm. 2); Jacobs, Aesop I, p. 265, Barlaam p. CXXII; Crane, 
p. 144; Chauvin III, p. 103. 

172 ) Fabulae, Francof. 1604, woraus die Fabel als No. 186 
in Johann. Schultze, Mythologia Metrica et Moralis, Hamburg, 
1698, 8°, pp. 207/8 übergegangen ist. Erst kürzlich hat A. L. Stie¬ 
fel, Herr. Arch. CXXV, p. 102—127, cf. p. 108, festgestellt, daß 
von den 152 Fabeln des Pant. Cand. nicht weniger als 142 aus 
Cam. stammen. 



72 


Hexameter. Auch sonst findet sich kaum die geringste 
Abweichung von dem Original. 

26. Die jüngere altisländisrhe Version. 
[Anhang No. 26]. 

Eine altisländische Version unserer Erzählung ist 
auch erhalten im cod. Holm, chart. 67 fol. (Papier) zu Ko¬ 
penhagen, der im Jahre 1687 von Jön Eggertson nach einer 
älteren Vorlage abgeschrieben würde 173 ). Da diese Fas¬ 
sung verschiedene Besonderheiten hat, für die sich sonst¬ 
wo kein Beleg findet, ist der Herausgeber Hugo Ge¬ 
ring 174 ) der Ansicht, sie scheine aus dem Gedächtnis 
niedergeschrieben zu sein. Doch weist manches auf 
Steinhöwels Rezension hin, und geradezu apodiktisch 
beweist den Zusammenhang mit dem ‘Aesop’ der Satz 
des Bauern: ‘Vei mer at ek trüÖi hans orÖum ok olepti 
honum f>d [er] hann var mer i hendi!’ Falls das Ge- 
schichtchen in dieser Form nicht etwa vereinzelt ist, 
wäre in ihm ein Anzeichen dafür zu sehen, daß der 
Aesop Steinhöwels auch eine altisländische Bearbeitung 
fand, von der bis jetzt nichts bekannt war. 

27. Das m'id. Gedicht l des Vögeleins drei Lehren' 
[Anhang No. 27]. 

Eine sehr freie Bearbeitung der Erzählung ist das 
von Adelbert Keller 175 ) unter dem Titel ‘des Vögeleins 

173 ) Hugo Gering, Islendzk ventyri I, p. XXXII; Abdruck 
des Textes (LXXV B) ebd. pp. 197/8; das Geschichtcben ist das 
einzige, welches dem obigen Kodex für Gerings Publikation ent¬ 
nommen ist. 

174 ) Islendzk iE ventyri, II, p. 139. 

175 ) Altdeutsche Gedichte, Tübingen 1846, 8°, pp. 12—14. 
Das Gedicht umfaßt 90 paarweise reimende Verse von verschiedener 
Länge. — Hinweise darauf haben in unserem Zusamir.enhg. gegeben: 



73 


drei Lehren’ herausgegebene mhd. Gedicht aus cod. germ. 
monac. 1020, paphs. 15 Ih. 4°, fol. 18«—20«. Bei allen 
Veränderungen läßt sich die Herkunft von der Disci- 
plina dennoch erkennen, nämlich daraus, daß der Vogel¬ 
fänger ein Bauer ist, namentlich aber aus der Reihen¬ 
folge und dem Wortlaut der drei Lehren. Von diesen 
ist insbesondere die zweite entscheidend, während die 
dritte leise an den Barlaam anklingt. Neu ist die Ein¬ 
führung eines ersten Versuches des Vogels die Frei¬ 
heit zu erlangen durch das Versprechen, seine Jungen, 
sobald sie aufgezogen, dem Vogel zu bringen 176 ). Die 
Freilassung erfolgt wie im Barlaam erst nach den drei 
Lehren, und auf das Versprechen des Vogels hin, jeder¬ 
zeit auf den Ruf des Bauern zu ihm zurückzukehren. 
Der Vogel aber hütet sich wohl dies zu tun, jsondern 
klärt den Mann über seine Dummheit auf, seinem Ver¬ 
sprechen Wert beigelegt und ihn nicht behalten zu 
haben. Als nun der Mann sich ärgert, wird ihm auch 
sein'Verstoß gegen die dritte Lehre vorgehalten. Durch 
diese Veränderungen wird die ganze Episode mit dem 
vorgeblichen Edelstein im Magen des Vogels über¬ 
flüssig 177 ). 


Goedeke, Mittelater, p. 671; österley, Wend. V, p. 107/8; Gesta, 
p. 739; Uhland, Nachtigall, p. 142, Schriften, p. 102; de Cock, 
p. 134. 

17e ) Dieser Zug ist einem beliebten Fabelmotiv entlehnt, das 
sich vielfältig nachweisen ließe. 

177 ) Vgl. die ähnlichen Kürzungen in den Versionen von Le 
Grand-Way und Luther-Kirchhof. Die Tatsache, daß drei Ver¬ 
sionen unabhängig von einander zu einer und derselben bedeut¬ 
samen Veränderung der Erzählung gekommen sind, ist äußerst lehr¬ 
reich und mahnt zur Vorsicht bei der Konstruktion von Beziehungen 
zwischen verschiedenen Bearbeitungen eines und desselben Stoffes. 


■ 


äT 


i 



Zweiter Abschnitt. 


Die von dem griechischen Roman Ä Bar- 
laam undJoasapli’ abgeleiteten Versionen 
unserer Erzählung. 

Nachdem die Geschichte der ,von der iDisciplina 
clericalis ausgegangenen Versionen erschöpft ist, müssen 
wir eine andere nicht minder wichtige Gruppe von Be¬ 
arbeitungen ins Auge fassen, nämlich jene, welche jn 
dem mittelgriechischen Roman ‘Barlaam und Joafcaph’ 
ihren Ursprung hat. Denn Von diesem aus hat sich 
unsere Erzählung einen breiten Weg nicht nur zu den 
abendländischen Völkern, sondern auch nach Osteuropa 
und dem Orient gebahnt. 

Leider wird sich im Verfolge dieses Abschnittes 
herausstellen, daß es oft schwer ist, einzelnen Bearbei¬ 
tungen unserer Geschichte in der Abstammungsreihe 
des Barlaamromanes den richtigen Platz anzuweisen. 
Denn während sich die zur Gruppe des Barlaam ge¬ 
hörigen Versionen von den aus der Disciplina stam¬ 
menden auf den ersten Blick unterscheiden, fehlen ähn¬ 
lich charakteristische Merkmale oftmals, wenn es gilt 
zu bestimmen, ob eine Version dem oder jenem Zweige 
der Bearbeitungen des Barlaamromanes angehört. Indes 
wird uns die vortreffliche Monographie Ernst Kuhns 



75 


über Barlaam und Joasaph 178 ), die uns im Folgenden 
der Hauptsache nach zur Richtschnur dienen wird, über 
viele dieser Schwierigkeiten hinweghelfen. 

1. Die Parabel im griechischen Barlaam 
[Anhang No. 28]. 

Die uns aus der Disciplina clericalis wohlbekannte 
Erzählung vom Mann und vom Vogel finden wir, wenn 
auch in einer vielfach abweichenden Gestalt, wieder in 
der zweiten Parabel des griechischen christlichen Ro¬ 
mans ‘Barlaam und Joasaph’ 179 ), dem ein um ungefähr 

178 ) E. K., Barlaam und Joasaph. Eine bibliographisch-literar- 
gesch. Studie, in den Abhandlungen der philos.-philol. Classe der 
K. Bay. Ak. der Wiss. XX. München 1894, 4°, pp. 1—88. 

179 ) Hg. von J. Fr. Boissonade in Anecdota Graeca, vol. IV, 
Paris 1832, 8°. — Die Parabel hier pp. 79—81; schon vorher war 
der Text derselben mitgeteilt worden von B. J. Docen in v. Aretins 
Beiträgen zur Geschichte und Literatur, Bd. IX (1807/13), pp. 
1247/8; einen verbesserten Text der Parabel lieferte H. Zotenberg in 
Notiees et Extraits, XXVIII (1886) pp. 109—111 nach 8 Pariser 
hss; derselbe Text findet sich mit gegeniiberstehender holländischer 
Übersetzung abgedruckt bei Dr. S. J. Warren, De Grieksche christe- 
lijke roinan B. en J. en zijne parabels, Rotterdam, 1899. 4°, pp. 
18—20. — Auf die Parabel verwiesen Warton (-Hazlitt 1871, p. 
285); Docen. Äs. Fab. p. 1247, Striker, p. 5 Anm.; Wiener Jahrb. 
1824, p. 28; Swan (-Baker, 1905, p. 457); Schmidt, p. 151; Loise- 
leur, Essai, p. 71 Anm. 11; Grässe, Gesta, p. 276; Keller, Altd. 
Ged. p. 12; Hist. Litt. XXI, pp. 619, 711; Roth, p. 140; Goedeke, 
Mittelalt. p. 640; E. du Meril, p. 146 Anm. 2; Hist. Litt. XXIII, 
p. 76; Uhland, Nächtig, p. 142, Sehr. pp. 101/2; Benfey I, p. 381; 
Liebrecht, Quellen, p. 332; Österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta, 
p. 739; Köhler bei Schiefner p. XXVI; G. Paris, Lai (1903, pp. 
225—228); Sauerstein, p. 6; Clouston, pp. 563/4; Jacobs, Aes. 1, 
p. 265; Crane, p. 144; Weisslovits, p. 114; Bedier, p. 109; Kuhn, 
pp. 21, 23, 25; van Hamei, pp. 512/13; Jacobs, Barl. pp. LXXX, 
CXXI; de Cock, pp. 113, 120 ff. — Inhaltsangaben bei Chianti, 
G. Paris, Clouston. van Hamei (a. a. O.), Jacobs, Barl. p. CXXI 
(hier unrichtig die Übersetzung: eagles egg). 



76 


fünf Jahrhunderte höheres Alter 180 ) als der Disciplina 
zukommt, und der die Bekehrung des indischen Königs¬ 
sohnes 'ho&oarp zum Christentum durch die mit einer 
Anzahl der berühmtesten Apologe untermischten Lehren 
des Asketen Baglaa/x schildert. 

Die Hauptunterschiede zwischen der griechischen 
Parabel und der lateinischen Erzählung in der Disci¬ 
plina sind folgende 181 ): 1. die Parabel hat außer- der 
ihr selbst innewohnenden, in den drei Lehren zum Aus¬ 
drucke kommenden Moral noch eine weitere, symbolische 
Bedeutung; sie dient im Rahmen von Barlaams Beleh¬ 
rungen dazu die Torheit des Glaubens der Götzendiener 
nachzuweisen; 2. der Garten der Disciplina fällt im 
Barl, fort; 3. der rusticus) der Disc. ist im Barl, ein 
l^evrfjg (Vogelsteller); 4. der in der Disc. namenlose 
Vogel heißt im Barl, eine ärjdatv (Nachtigall); 5. in 
der Disc. ist das Motiv; des Vogelfanges der süße Ge¬ 
sang des Vogels, erst späterhin wird dem Gefangenen 
mit dem Schlachten gedroht; bei Barl, fehlt dieses Mo¬ 
tiv, der Vogelsteller macht sofort Anstalten die Nachti¬ 
gall zu töten; 6. in der Disc. wird der Vogel vor, im 
Barl, nach Erteilung der drei Lehren freigela'ssen; 
7. die drei Lehren haben in den beiden Versionen eine 
verschiedene Reihenfolge; außerdem steht statt der Lehre 


180) Nach der früher allgemein angenommenen Ansicht sollte 
der Kirchenvater Joannes Damascenus (lebte ca. 670—760) der 
Verf. sein. Neuerdings hat Zotenberg zu erweisen gesucht: 1. daß 
die Geschichte von einem in den theologischen Parteikämpfen des 
7. Jh. mitten innestehenden Manne verfaßt sei, und zwar wahr¬ 
scheinlich noch vor 634; 2. daß sie jedenfalls das Bestehen des 
Säsaniden-lteichss voraussetze, also ein unter dem Islam schrei¬ 
bender Vf. unbed. auszuschließen sei [Kuhn, pp. 8/9]. 

!8i) Zu dieser Zusammenstellung lassen sich die mehr oder 
minder ausführlichen Darlegungen verwerten, welche Schmidt p. 
151, Uhland, G. Paris, de Cock (a. a. O.) gegeben haben. 



77 


der Disc., das was man habe festzuhalten, im Barl, jene, 
nicht nach Unerreichbarem zu streben; 8. das Vöglein 
gibt in der Disc. vor einen hyacinthus, im Barlaam, 
einen /uagyaghrig (Perle) im Leibe zu haben; 9. das 
Unglaubliche an der Rede des Vogels wird in der Disci- 
plina durch das Gewicht (unius unciae), Jim Barl, 
durch die Größe (vneQe%o)v t 6> /ueyedei oTQOvdoHa/xrjXov coöv) 
des Edelsteines dargestellt; 10. im Barl, sucht der Vogel¬ 
fänger die freigclassene Nachtigall wieder zu erhaschen, 
in der Disc. macht der Mann dazu keine Miene, ein Um¬ 
stand, der mit der Verschiedenheit der vom Vogel er¬ 
teilten Lehren zusammenhängt; in der Disc. fehlt über¬ 
haupt eine Nutzanwendung zu der ihr eigentümlichen 
Lehre: quod tuum est habe pemper. 

Außer diesen Hauptunterschieden könnte man noch 
eine ganze Menge von anderen weniger gewichtigen Ver¬ 
schiedenheiten hervorheben. So ist z. B. das Gespräch 
zwischen Mann und Vogel in der Disc. durch die 
größere Häufigkeit der Hin- und Widerreden viel be¬ 
lebter als im Barl.; die etwas sonderbaren Küchendetails 
der Disc. fehlen im Barl.; der Grieche läßt den Mann 
sich über die ungewohnte Erscheinung des .redenden 
Vogels verwundern, ebenso bewundert der Vogler die 
Weisheit der drei Lehren; auch werden wir in der Pa¬ 
rabel über den Beweggrund des Vogels, den Mann schein¬ 
bar so zu hänseln, aufgeklärt: der Vogel wollte wissen, 
ob der Mann in den tieferen Sinn der drei Lehren ein¬ 
gedrungen sei. In der Disc. von all dem nichts 182 ). 

l82 ) Man könnte versucht sein System dahinter zu vermuten. 
Wenn wir statt der ernsten Absicht des Vogels im Barl, den Mann 
auf die Probe zu stellen, in der Disc. am Schluß nur ‘rustico 
deriso’ lesen, wenn wir ferner in der Disc. gar nichts darüber 
vernehmen, wie der Mann die Lehren aufgenommen hat, und damit 
den Umstand vergleichen, daß das Vöglein darauf dringt noch vor 
der Erteilung der drei Lehren freigelassen zu werden, so möchten 



78 


Wenn im Vorausgehenden die Unterschiede zwischen 
der griechischen Parabel und der lat. Erzählung in der 
Disc. zusammengestellt worden sind, so sollte damit 
noch nichts über das genetische Verhältnis beider Ver¬ 
sionen ausgesagt werden, eine Erörterung, welche erst 
der dritte Abschnitt bringen soll. 

2. Die Parabel in der mittelalterlich-lateinisohen Über¬ 
setzung des griechischen Barlaam [Anhang No. 29]. 

Schon frühzeitig entstand eine wörtliche lateinische 
l bersetzung des griechischen Barlaamromanes 183 ), welche 


wir leicht zu der Ansicht kommen, als ob diese Darstellung durch 
den Gedanken veranlaßt worden wäre, daß der Vogel nach Er¬ 
teilung der Lehren, in denen sich der simple Landmann vielleicht 
ein 'Zauberwort zur Erlangung von Schätzen erwartet, wohl nicht 
mehr losgekommen wäre; bei dieser Sinnesart des Mannes wäre 
der Hohn des Vogels freilich vollauf berechtigt. — Die spätere 
Untersuchung (im 3. Abschn.) wird ergeben, daß für die Disc. 
ein solcher Gedankengang noch nicht anzunehmen ist, wie ihn der 
Vf. des Lai de l’Oiselet und Steinhöwel aus ihr herausgelesen haben. 

188 ) Als Vf. galt in der Humanistenzeit merkwürdigerweise 
Georgius Trapezuntius (f 1484), obwohl die ältesten hss. um mehrere 
Jahrhund, älter sind als dieser. Über die Annahme der Verfasser¬ 
schaft des Anastasius Bibliothecarius (f 886) vgl. Kuhn, pp. 53/4. -— 
Aufgenommen wurde der lat. Barl, in die Ausgaben bzw. lat. Übers, 
der Werke des Joannes Damascenus, welche während des 16. Jahrh. 
bei Henricus Petri in Basel gedruckt wurden. Mir liegt die Aus¬ 
gabe von 1535 vor, welche den Roman unter dem Titel ‘Joann. 
Damasceni Historia duorum Christi militum e Graeco in Latinum 
versa’, und die Parabel pp. 29/30 enthält. ’— Bemerkenswert ist, 
daß in dieser lateinischen Übers, und in allen ihren Bearbeitungen 
der Name Joasaph mit Anlehnung an die Bibel in Josaphat ver¬ 
wandelt worden ist. — Eigene Nachweise zu der lat. Übers, nur 
bei Docen, Äs. Fab. p. 1247; Schmidt, p. 151; Grässe, Gesta, p. 
276; österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris, Lai 
1903, p. 249 Anm. 1, vgl. p. 227, Anm. 1, 2); de Cock, pp. 120/1. 



79 - 


der Ausgangspunkt für fast alle späteren westeuro¬ 
päischen Übersetzungen der Legende geworden ist. 

Zu unserer Parabel |st hierbei anzumerken, daß 
1. dem Übersetzer eine griech. Handschrift .Vorgelegen 
zu haben scheint, welche statt i£evxri<; die Lesart xo£evxtjg 
hatte, denn der lat. Text hat ‘sagittarius’, iund 
dieses ist so ziemlich in alle westeuropäischen Bearbei¬ 
tungen übergegangen; 2. daß die Fassung der zweiten 
Lehre der lateinischen Übersetzung mit ihrem Zusatz 
‘ [re . . .] quam recuperare non potes’ dem logischen 
Zusammenhang, der in der Urform der Erzählung vor¬ 
ausgesetzt werden muß, besser entspricht als di© zweite 
Lehre des griechischen Textes 184 ); 3. daß die lat. Über¬ 
setzung in der Nutzanwendung bei derselben Lehre deren 
Bezug auf den Verlust desi Vogels nicht ausdrücklich 
hervorhebt, während die meisten griechischen Hand¬ 
schriften es tun 185 ). 

Aus dieser mittelalterlich-lateinischen Übersetzung 
des Barlaam ist die Parabel, aus ihrem Zusammenhänge 
losgelöst, in verschiedene geistliche Werke des .Mittel¬ 
alters übergegangen. 

3. Die Parabel m Bromyard'8 Summa praedieantium 

[Anhang No. 30]. 

Der englische Dominikaner Johannes, nach seinem 
Geburtsort Bromyard in Herefordshire zubenannt, ver¬ 
wertete die Parabel in seiner Summa praedicantium 186 ) 

184 ) Daß der griechische Text selbst diesen Zusatz urspr. 
nicht hatte, erweist der Wortlaut der oriental. Terxte; vgl. 3. Ab¬ 
schnitt, pp. 122/3 und G. Paris, Lai (1903, p. 227 Anm. 2). 

186 ) *xal idov ovvE%v{h\g rfj kvjzfl on aov rag x e ^9 a ^ i$£<pvyov. 
so Boiss. u. Zot., nicht Doc. u. lat. Übers. 

186 ) Vf. in der Mitte des 14. Jh., 1485 von A. Koberger in 
Nürnberg, zuletzt 1586 in Venedig gedruckt [Dict. of N. B.]. 



80 


beim Kapitel ‘Mors’, wie er selbst angibt, nach dem Bar- 
laam. Anlaß dazu ist die zweite Lehre, über Verlorenes 
nicht (übermäßig) zu trauern, doch werden auch jdie 
zwei anderen Lehren untergebracht, der sonstige Verlauf 
der Erzählung aber als bekannt vorausgesetzt. Ein mit¬ 
wirkender Einfluß der Disciplina scheint sich aus fol¬ 
genden Einzelheiten zu ergeben: 1. der Name des Vogels 
ist nicht genannt; 2. die Reihenfolge der Lehren ist die 
der Disciplina; 3. in der zweiten Lehre bei Bromyard: 
quod non nitatur nimis apprehendere quod apprehensum 
teneri non poterit, scheinen die beiden grundverschie¬ 
denen Lehren des Barlaam: num quam aliquid coneris 
comprehendere eorum quae apprehendi non possunt, und 
der Disciplina: quod tuum est habe semper, in Eins zu¬ 
sammengeflossen zu sein. 

4. Die Parabel im Dialogus, creaturarum des Nicolaus 
Pergamerms [Anhang No. 31]. 

Auch Nicolaus Pergamenus hat die Parabel aus dem 
Barlaam in seinem Dialogus creaturarum 187 ) kurz als 
Beispiel angeführt, und zwar im hundertsten ‘de leone 
venatore’ betitelten Dialog. Der Löwe hat über der Ver¬ 
folgung einer besseren Beute, die er nicht einholen kann, 
auch die geringere verloren. Schon bei der Auslegung 

Die Par. unt. d. Buchst. M, XI, 78. — Hinw. bei österley, 
Wend. V, p. 107/8, Gesta, p. 739; Crane, p. 145; Jacobs, Barl, 
p. CXXI; Plessow, p. XXXVI. 

187 ) Hg. v. J. G. Th. Grässe, Die beid. ältest, lat. Fabel- 
bücher des Mittelalt., Tüb. 1880 (Lit. Ver. CXLVIII), pp. 127 ff. 
Der dial. 100 pp. 249/50. — Von dem Vf. wissen wir sehr wenig 
Sicheres, er kann nicht über die Mitte des 14. Jh. zurückdatiert 
werden [Grässe, pp. 302/3]. — Hinweise bei Grässe, Gesta p. 276; 
Österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris, Lai (1903, 
p. 249, Anm. 1); Jacobs, Aes. I, p. 265; Crane, pp, 144/5; Jacoos, 
Barlaam, p. CXXI. 



81 


dieses bekannten Fabelstoffes kommen die drei Lehren 
des Barlaam zum Vorschein. An einen Ausspruch Kö¬ 
nig Davids über die maßlose Trauer bei Todesfällen 188 ) 
schließt sich dann unter ausdrücklicher Berufung /auf 
den Barlaam dessen zweite Lehre an. Die Erzählung 
selbst wird nur ganz leise angedeutet. 

5. Die Parabel als exemplum des Jacobus Vitriacensis 

[Anhang No. 32]. 

Von den vielen Predigtsammlungen des Mittelalters 
gehören zu den berühmtesten jene des Jacobus Vitria¬ 
censis 189 ), der in einem ,seiner ‘sermones vulgares ad 
status’ auch unsere Parabel als exemplum verwendet hat. 
Er wendet sich dort gegen jene Priester, welche, statt 
sich in die Weisheit der alten, anerkannten Väter zu ver¬ 
tiefen, durch ungereimtes Geschwätz den Leuten den 
Kopf verdrehen, nur um sich selbst möglichst in den 
Vordergrund zu schieben, wobei denn die Zuhörer jenem 
törichten leichtgläubigen Vogelsteller der Fabel vergleich¬ 
bar seien. Die nun folgende Parabel ist etwas gekürzt, 


188 ) bei Bromyard ist ein anderer, ähnlich bezogener Aus¬ 
spruch Davids angeführt; vgl. oben p. 51 (Recits). 

189 ) Jacques de Vitry fgeb. ca. 1180, f vor 1240), Prediger 
zum Kreuzzug gegen die Albigenser und ins heilige Land, Bischof 
von Akkon. Die in den Serm. vulg. verwerteten exempla hat ge¬ 
sammelt F. Crane, The Exempla or Illustrative Stories from the 
Sermones Vulgares of J. de V., London 1890, 8° (Publ. Folk-L. 
Soc. XXVI). Unsere Parabel, verwendet beim 15. sermo (‘that we 
should refresh ourselves in the treasury of the Scriptures before 
refreshing others’ an die predig. Geistl.), bildet in Crane’s Samm¬ 
lung die No. 28, pp. 10/11, englische Übersetzung dazu p. 144; 
vgl. pp. XXII—LIII, bes. XL—XLIII ebd. — Hinweise bei G. 
Paris, Lai (1903, p. 249, Anm. 1); Bedier, p. 109; Jacobs, Barl, 
p. CXXI; de Cock, p. 114. 

Ty roll er, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 


6 



82 


schließt sich aber inhaltlich genau an die lateinische 
Vorlage an. 

6. Die Parabel in der ‘Scala cell 
[Anhang No. 33]. 

Das ‘Scala celi’ betitelte lateinische Erbauungs¬ 
buch 190 ) erzählt die Parabel beim Kapitel ‘avaritia’, 
und zwar werden, wie aus der moralisatio ersichtlich, 
sämtliche drei Lehren auf dieses Laster bezogen. Die 
Form der Parabel ist gekürzt. Von der Fassung der¬ 
selben in der Legenda aurea oder in den Gesta Romano¬ 
rum ist sie nicht beeinflußt, weil sie nach der Erteilung 
der Lehren den Passus hat: ‘voluit probare eius sapien- 
tiam’, welcher in beiden fehlt. Möglich wäre indes, daß 
Vincentius Bellovacensis die Quelle ist. Bemerkenswert 
ist in dieser Version der Zusatz zu margarita: ‘virtutis 
eximie’, den wir in, ähnlicher Gestalt schon bei anderen 
Versionen getroffen haben. 

7. Die Parabel in des Vincentius Bellovacensis abge¬ 
kürzter. Bearbeitung des lateinischen Barlaam 
[Anhang No. 34]. 

Der gelehrte Dominikaner Vincentius Bellovacen¬ 
sis 191 ) nahm um die Mitte des 13. Jahrhunderts u. a. 


■ 190 ) 1480 als Inkunabeldruck in fol. bei Joh. Junior in Ulm 
erschienen; hier die Par. fol. 7 b . Hinw. bei österley, Wend. V, 
p. 107/8, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 249 Anm. 1); 
-Jacobs, Aes. I p. 265; Crane, p. 145; Jacobs, Barl. p. CXXI. 

191 ) Vincent de Beauvais (f ca. 1264), der Lehrer von Lud¬ 
wigs IX. Söhnen, verarbeitete ein enzyklopädisches Wissen in sei¬ 
nem Speculum quadruplex. Der Barlaam bef. im Spec. hist. lib. 
XVI, cap. 1—64 (in den Inkun. von 1473 u. 1483; im lib. XV, 
cap. 1—64 in den Ink. v. 1474 u. 1494 u. in d. Ausg. Venetiis 1591, 



83 


auch den lateinischen Barlaam in seinem Speculum hi- 
storiale auf. Die Fassung des Romanes seihst ist ge¬ 
kürzt, aber die Parabel ist unter dem Titel: Fabula 
de Philomena contra cultores idolorum inducta in voller 
Ausführlichkeit übernommen. Nur hier und, da zeigen 
sich leichte Abweichungen im Ausdruck und Verbesse¬ 
rungen grammatikalischer Formen. 

8. Die Parabel im ‘Seelmtrost’ [Anhang No. 36]. 

Schon recht früh 192 ) muß der Barlaamroman und 
mit ihm unsere Parabel in den sog. ‘Seelentrost’ aufge¬ 
nommen worden sein, ein weitverbreitete^ ursprünglich 
hochdeutsches 193 ), dann aber auch ins Niederdeutsche 
und Niederländische 194 ) übersetztes Volksbuch, welches 

vgl. Kuhn, p. 86 unten). Die Parabel selbst steht im cap. XII. Auf 
sie hat in unserem Zusammenhang eigens hingewiesen nur G. Paris, 
Lai (1903, p. 249, Anm. 1). — Es besteht die Möglichkeit, daß 
manche von den nach dem Lateinischen gearbeiteten Versionen des 
Barlaam auf Vinc. de Beauvais zurückgehen. Da aber die meisten 
derselben mir unzugänglich sind, und ferner die Parabel bei 
Vincenz sich von der des separaten Barlaam so gut wie nicht 
unterscheidet, so ist es meist unmöglich, die Herkunft der Parabel 
genau festzustellen. — In dem cod. hispan. 10 der Univ.-Bibl. in 
Straßburg findet sich eine Barlaamversion: ‘Estoria del rey Anemur 
e de Josaphat e de Barlaam’ (hg. von Fr. Lauchert in Romanische 
Forschungen VII, pp. 331 ff, unsere Parabel cap. XII. p. 345), 
welche selbst Vinc. Bell, als ihre Quelle angibt. Die Übersetzung 
der Parabel ist, abgesehen von einigen Fehlern, welche wohl auf 
Rechnung der Handschrift zu setzen sind, vollkommen wörtlich nach 
Vincent de Beauvais. 

192 ) Das Alter des Seelentrost ist vor 1407 anzusetzen, 4 a 
die älteste datierte hs., die niederdeutsche in Oldenburg, dieses 
Datum trägt [Joh. Geffcken, Der Bilderkatechismus des 15. Jh. 
und die catechetischen Hauptstücke in dieser Zeit bis auf Luther, 
Bd. I, Die zehn Gebote, Leipz. 1855, 4°, p. 47]. 

193 ) Goedeke, Grundriß, I, p. 473. 

194 ) Geffcken (pp. 47, 111) zählt 7 hss. auf, unter denen 
sich allerdings keine niederländische befindet. Von 11 bekannten 

6 * 



84 


insbesondere die Zehn Gebote behandelt und die Legende 
von Barlaam und Josaphat (mit anderen mehr) als Bei¬ 
spiel zum ersten Gebot verwendet 195 ). In einem latei¬ 
nischen Vorwort 196 ), welches die benützten Quellen an¬ 
gibt, wird unter anderem auch das Speculum historiale 
genannt, so daß Vincent de. Beauvais ohne Zweifel der 
Gewährsmann des ‘Seelentrost’ für den Barlaam ge¬ 
wesen ist. 

Für die Vergleichung der Parabel im ‘Seelentrost* 
mit Vincent de Beauvais ^teht mir nur der Text der¬ 
selben in der holländischen Ausgabe von 1759 zur Ver¬ 
fügung, ohne daß sich entscheiden ließe, ob dessen ge- 

Drucken (Geffcken, pp. 48/9) sind 3 hochdeutsch (der erste 1478 
von Anton Sorg in Augsburg), 3 niederdeutsch (sämtlich in Köln, 
zuerst 1484, ersch.), und 5 niederländ. (zuerst Utrecht 1479, 
später Harlem, Zwoll, Antwerpen, Martensdijk). Das Buch scheint 
in Holland sich dauernder Gunst erfreut zu haben; so erwähnt 
de Cock (pp. 115 ff), allerdings ohne eine Ahnung von dem Alter 
des Buches, ein zweifellos mit dem mittelalt. Seelentrost ident. 
Werk aus der Mitte des 18. Jh.: ‘Den dobbelen Zielentroost ende 
vaderlyke leeringe . . . verklaerende de Tien Geboden Gods . . . 
Tot Gend, by J. Begyn . . . 1759’, aus welchem er auch unsere 
Parabel abdruckt (p. 116). Diese erscheint im Vergleich mit Vinc. 
etwas gekürzt. Der Schütze fängt die Nachtigall auf der Jagd im 
Walde; der wunderbare Stein ist nicht näher bezeichnet u. dgl. 

195 ) Geffcken, p. 56. 

196 ) in der hochd. Gießener hs. No. 850 aus d. J. 1460 
und jedenfalls auch im Original (Geffcken, p. 47). Auch der 
‘Dobbele Zielentroost’ von 1759 hat noch diese Vorrede (de Cock, 
p. 118), de Cock hält aber von den als Quellen bez. Werken irrtüml. 
‘den Vaders-Boek’ (in der Gieß. hs. = vitae patrum), und noch 
dazu die ganz junge Rosweydische Rezension der Vitae Patrum 
(Utrecht 1615, holl. Antw. 1617) für die Vorlage der Par. im 
Seelentrost. Aber die mittelalt. Vitae Patrum enthielten den Bar¬ 
laam noch nicht. In keiner der sehr zahlreichen hss., die Rosweydus 
zur Verf. standen, ist sie enthalten (mit Ausn. einer einzigen a 
rccenti manu’, die aus einem alten Druck abgeschrieben zu sein 



85 


ringe Abweichungen bereits im Original des ‘Seelen¬ 
trost’ sich fanden oder nicht 197 ). 

9. Van Duyse's Gedicht *De Les des Nachtegaals' 
[Anhang No. 36]. 

Aus dem ‘Dobbelen Zielentroost’ hat nach eigener 
Angabe Prudens van Duyse (1804—1859) den Stoff zu 
seinem Gedicht ‘De Les des Nachtegaals 198 ) genommen, 
welches sich im allgemeinen ziemlich getreu an die Vor¬ 
lage anschließt. 

10. Die Parabel m der ian 1 j die Legenda aurea auf ge¬ 
nommenen gekürzten Fassung des lat. Barlaam 
[Anhang No. 37]. 

Ähnlich wie Vincent de Beauvais bearbeitete {auch 
der Erzbischof Jacobus a Voragine von Genua (f 1305) 
den lat. Barlaam in einer kürzeren Form, und zwar für 
seine ca. 1260/70 entstandene ungemein beliebt und be¬ 
kannt gewordene Legenda aurea (seu Historia Lom- 

scheint). Zum erstenmal wurde die Legende in die ed. secunda 
Coloniensis der Vitae Patr. von Gaspar Gennepaeus 1548 auf¬ 
genommen, und zwar noch nach der lat.-mittelalterlichen Über¬ 
setzung [Rosweydus, p. LVIII/IX; Kuhn, p. 55]. Die Ausgabe 
der Vitae Patrum von Rosweydus 1615 hat (lib. I, pp. 242 ff) 
die Legende nach der Neuübersetzung des Billius. Da es sich aber 
hier nur um die mittelalterlichen Vitae Patrum handeln kann, so 
ist de Cock’s Annahme abzuweisen. 

197 ) Auf* die Parabel im ‘Seelentrost’ verweisen in uns. Zus.: 
österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739 (nach dem Druck Collen 
1484, fol. 14 b ); Jacobs, Barlaam, p. CXXII; de Cock, p. 115 ff. 

198 ) In der Sammlung ‘Het Klaverblad’, Brussel, Greuse 1848, 
pp. 161/2, wonach Abdruck bei de Cock, pp. 114/5, der zum 
erstenmal auf das Gedicht verwiesen hat. Dieses besteht aus 42 
fünfsilbigen tonjamb. Versen, deren je 6 zu einer Strophe mit 
der Reimfolge abcbdb vereinigt sind. 



86 


bardica 199 ). Auch der Wortlaut unserer Parabel er¬ 
scheint vielfach geändert und gekürzt, obwohl das Origi¬ 
nal noch überall durchschimmert. Als besondere Kenn¬ 
zeichen des Textes der Parabel in der Legenda aurea 
können gelten 1. das Fehlen des mit ‘admiratus . . 
beginnenden Passus nach der Erteilung der drei Lehren, 
2. das Fehlen der mit ‘philomena igitur voleus jp r o - 
bare’ anfangenden Stelle, 3. das Fehlen des mit ‘susci- 
piens . . beginnenden Satzteiles. 

11. Die Parabel in mittelfranzösischen und mitteleng¬ 
lischen Versionen der Legenda aurea, insbesondere aber 
in Caxton's Golden Legend [Anhang No. 38, 39]. 

Von den bis in die aller neueste Zeit angefertigten 
Übersetzungen der Legenda aurea seien die allermeisten 
mit Stillschweigen übergangen. Etwas näher gehen uns an 

a) zwei altfr^nzösische Prosabearbeitungen, deren frü¬ 
here von Jehan Belet, die spätere von Jehan de Vignay 
(ca. 1380) verfaßt ist, beide noch nicht veröffentlicht. 
Wichtig sind diese beiden Versionen, weil mit ihnen 
näher Zusammenhängen soll 

b) eine mittelenglische Bearbeitung aus dem Jahre 1438, 
die in 4 hss. vorhanden ist 200 ). Auf dieser Version soll 
wiederum, mindestens teilweise, beruhen 

199 ) Ausgabe: Jacobi a Voragine Legenda Aurea vulgo Historia 
Lombardica dicta. Ad optimorum librorum fidem recensuifc Dr. Th. 
Grässe. Dresdae et Lipsiae 1846, 8°; hier der Barlaam cap. 180. 
pp. 811—823, die Parabel pp. 815/16. — Auf diese haben in uns. 
Zus. hingewiesen Schmidt p. 151; Hist. Litt. XXI, pp. 620, 717; 
E. du Möril, p. 146 Anm. 2; österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta, 
p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 249 Anm. 1); Jacobs, Aes. I, 
p. 265; Crane, p. 144; Jacobs, Barl. p. CXXII; de Cock, pp. 
113, 120. 

20°) ygi # Körting, Grundriß, 1905 4 , p. 152. Aus dieser Be^ 
arbeitung hat speziell die Barlaamlegende (und mit ihr unsere 



87 


c) William Caxton’s Golden Legend aus den letzten 
Jahrzehnten des Mittelalters 201 ). 

Das Verhältnis, in welchem diese vier Übersetzungen 
der Legenda zueinander stehen, ist bis heute noch nicht 
genügend geklärt 202 ). Körting 203 ) gibt, ,allerdings mit 
Vorbehalt, die folgende Abstammungsreihe: Legenda — 
J ehan de Belet — I. de Vignay — me. Bearbeitung — 
C'axton. Es wäre verfehlt anhand unseres geringfügigen 
Textbruchteils eine eingehende Nachprüfung dieser Auf¬ 
stellung vorzunehmen. Alles was wir tun können, ist, 
uns zu vergewissern, ob der Text der Parabel in den ver¬ 
schiedenen Versionen zu der obigen Annahme stimmt. 
Und selbst dabei müssen wir uns noch, da die beiden 
französischen Texte nicht zugänglich sind, auf die zwei 
englischen Bearbeitungen beschränken. 

Die Parabel in der me. Version von 1488 weist im 
Vergleich zum lat. Barlaam eine gekürzte Fassung auf 
und stimmt ungefähr mit der charakteristischen Form 
der Legenda aurea überein, könnte also recht wohl mittel¬ 
bar oder unmittelbar auf sie zurückgehen. Anzumerken 
ist, 1. daß der Edelstein im Magen des Vogels keinen 

Parabel) nach Ms. Egerton 876 herausgegeben C. Horstmann im 
Programm des Gymnasiums zu Sagan 1877, wo die Parabel pp. 
10/11 nachzulesen ist. 

201 ) Gedruckt von Caxton 1483, 1487, von W. de Wörde 
1498 (vgl. Jacobs, Barl., Pedigree). Einen Neudruck spez. von ‘The 
Lyf of Saynt balaam’ hat 1896 Jacobs, Barlaam and J., pp. 1 
bis 33 herausgeg., wo die Parab. pp. 13/14 nachzulesen ist. — 
Hinweise auf die Par. bei Caxton: Warton (-Hazlitt 1871, p. 
285); Swan (-Baker 1905, p. 457); Schmidt, p. 151; Loiseleur, 
Essai, p. 71 Anm. 11; Oesterl. Gesta, p. 739; Jacobs, Aes. I, 
p. 265. 

2°2) auch nicht durch die Diss. von Pierce Butler, Legenda 
aurea — Legende doree — Golden Legend, Baltimore 1899; vgl. 
Anglia, Beibl. XIV, pp. 360 ff. 

203 ) a. a. O. p. 152. 



88 


Namen hat, 2. daß der Vogel schon vor der Erteilung 
der drei ‘wisdomes’ freigelassen wird 204 ). 

Vergleichen wir hierzu den entsprechenden Abschnitt 
bei Caxton, so ist zwar im allgemeinen einige Ähnlich¬ 
keit im Ausdruck zu konstatieren, aber von einem Ab¬ 
druck der me. Version bei Caxton kann nicht die Rede 
sein, da die paar Eigentümlichkeiten des ,me. Textes 
bei Caxton fehlen und zwischen diesem und dem latei¬ 
nischen Text der Legenda eine ungemein nahe Überein¬ 
stimmung herrscht 205 ). 

12. Die Parabel in den, l Narrationes' des Odo von Ce- 

rington. 

Auch das in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts 
verfaßte Fabelwerk Odos von Cerington 206 ) enthält un¬ 
sere Parabel, aber nur am Ende einer einzigen Hand¬ 
schrift 207 ) und in einer mit der Fassung der Legenda 

204 ) Kennzeichnet sich als junge Änderung durch den Satz 
nach der Erteilung der Lehren: ‘whanne the bridde was fre from 
hym* (so Ms. Egerton; Ms. Harl. hat ‘ ferre was aber auch 
nicht paßt). 

205 ) Jacobs, Barlaam (Pedigree), der sich freilich sonst nicht 
zur Sache äußert, nimmt als Vorlage des Barlaam in Caxtons 
Legend einfach die lat. Leg. aurea an; dem steht auch gar nichts 
im Wege. Wir vermögen aber nach dem Obigen Jacobs nicht bei- 
zustimmen, wenn er (a. a. O.) die me. Prosabearb. von 1438 von 
irgend einer der später zu besprechenden drei me. poetischen Einzel¬ 
bearbeitungen des Barlaam abstammen läßt. 

206 ) Eudes de Ch6riton (Kent), schrieb ca. 1219/21 eine 
Sammlung von ca. 75 Fabeln, die dem Mittelalter unter den ver¬ 
schiedenen Namen Brutarium, Bestiarium, Parabolarum sexaginta 
Opus etc. bekannt war [L6op. Hervieux, Les Fabulistes Latins, t. 
IV: Eudes de ChÄriton et ses dÄrives. Paris 1896, 8° p. 1]. 

207 ) Ms. 184 de la Bibi. publ. d’Arras, wo die Parab. die 
No. 77 (de philomela et sagittario) bildet [Hervieux, p. 252]. 
Hinweise bei G. Paris, Lai (1903, p. 249 Anm. 1); Chauvin III, 
p. 104. 



89 


aurea vollständig übereinstimmenden Form, so daß in 
Anbetracht des Zeitunterschiedes zwischen Odo (1219/21) 
und Jacobus a Voragine (1260/70) die Parabel sich als 
ein später Zusatz zu den Fabeln Odos erweist. 

13. Die Erzählung in den Gesta Romanorum 
[Anhang No. 40]. 

Aus der Legenda aurea ging, wie die vielfache Über¬ 
einstimmung der beiden Texte unwiderleglich dartut, 
unsere Erzählung in die berühmte Sammlung der Gesta 
Romanorum 208 ) über. Bemerkenswert sind nur folgende 
geringe Abweichungen von der Legenda: 1. Nach der 
Freilassung stimmt die Nachtigall einen Gesang an: 
hier ist wohl Einfluß der Disciplina anzunehmen; '2. 
beim Versuch des Mannes den Vogel wieder zu fangen, 
lesen wir die Einzelheit: ‘rete suum expandit’; 3. bei den 
Lockungen des Vogelstellers ist eingefügt: ‘propriis ma- 
nibus te pascam’; ebenso ist das Versprechen der ehren¬ 
vollen Entlassung modifiziert in ‘ad tuam voluntatem 
te volare permittam’; 4. bei der Nutzanwendung der 
ersten Lehre fällt ‘cum nequeas meo itinere pergere’ 


* 08 ) Ausgaben von A. Keller 1842 (mir nicht zugänglich); 
Herrn, österley, Berlin 1872, 8°. Hier die Erz. p. 554 (cap. 167), 
in der deutschen Übersetzung von Grässe (1842) pp. 102/3. — Hin¬ 
weise auf die Gesta in uns. Zus.: Warton (-Hazlitt 1871, p. 285); 
Docen, Äs. Fab. p. 1247; Swan (-Baker 1905, p. 457); Schmidt, 
pp. 151/2; Loiseleur, Essai, p. 71, Anm. 11; Grässe, Gesta, p. 
276; Hist. Litt. XXI, pp. 620, 717; E du M6ril, p. 146, Anm. 
2; Goedeke, Mittelalt. p. 671; Uhland, Nacht, p. 140, Schriften p. 
102; österley, Wend. V, p. 107/8, Steinhöwel p. 312; Herrtage, 
p. 528; Grässe, Fabelb. p. 306 (0); G. Paris, Lai (1903, p. 249, 
Anm. 1); Sauerstein, pp. 6, 8; Jacobs, Aes. I, p. 265; Clouston, 
p. 564; Crane, p. 144; Weislovits, p. 114; Jacobs, Barl. p. CXXI; 
Schleich, passim; Chauvin III, p. 103; de Cock, p. 120; Plessow, 
p. XXXVI. 




90 


weg, dafür steht der unter 2. genannten Änderung ent¬ 
sprechend ‘et tarnen per rete tuum temtasti’; 5. am 
Schlüsse sind einige selbstverständliche Sätzchen ange¬ 
fügt ; 6. die Verwendung der Erzählung in den Gesta ist 
eine ganz andere geworden als im Barlaam. Sie ist 
hier aus dem Zusammenhänge der Legende vollständig 
losgelöst und mit der Überschrift ‘de audiendo bono con- 
silio’ versehen; aber die symbolische Ausdeutung ist 
deswegen nicht aufgehoben, sondern noch viel gesuchter 
und umständlicher als im Barlaam. 

Die Aufnahme unserer Erzählung in die Gesta hat 
sich nicht auf einmal vollzogen, wie denn ja der Werde¬ 
gang der Gesta selbst eine lange Entwicklung ist. In 
der ältesten Gruppe der Gesta 208 ), den sog. anglo-la- 
teinischen (Ende des 13. Jahrhunderts), finden wir sie 
noch nicht, ebensowenig wie in den Drucken, die nach 
Handschriften der englischen Gesta von Wynkyn de 
Worde bis herein ins 18. Jahrhundert gefertigt worden 
sind 209 ). In der zweiten, jüngeren, aus lateinischen und 
deutschen Handschriften bestehenden Gruppe der Gesta, 
welche sich nach Verpflanzung der englischen Sammlung 
auf den Kontinent ausgebildet zu haben scheint, muß 
dann die Erzählung allmählich 210 ) in Aufnahme ge- 

*°® a ) Ich schließe mich im Folgenden an die Resultate an, 
welche österley’s Forschungen (in der Einleitung seiner Ausgabe 
der Gesta) gezeitigt haben. Die Ergebnisse österleys findet man 
auch, kurz und übersichtlich zusammengestellt, bei Herrtage, pp, 
XVI/VII, und Swan-Baker, pp. IX—XI. 

209 ) Sauerstein (p. 8) braucht sich also nicht zu verwundern, 
daß aus den anglo-lat. hss. der Gesta uns. Erzählung nicht mit 
in die englischen hss. übergegangen ist, denn sie befand sich nie 
darin. 

21 °) Viele von den in österleys Einleitung aufgezählten hss. 
der kontinentalen Gesta kennen die Erzählung überhaupt nicht, 
andere haben sie unmittelbar vom Barlaam (mit dessen Anwendung: 



91 


kommen sein. In dem aus dieser zweiten Gruppe her* 
vorgegangenen lateinischen ‘Vulgärtext’ der Gesta 211 » 
mit seinen 181 Kapiteln bildet dann unsere Erzählung 
ständig das 167. Kapitel. 

14. Die Erzählung in verschiedenen Übersetzungen der 

Gesta. 

Den Text der Parabel in den deutschen Gesta 
können wir vergleichen 1. nach den ‘Gesta Romanorum 
Das ist der Roemer Tat’ 212 ), wo sie unter dem Titel ‘von 
einem schützen und von einer nachtigal’ enthalten ist. 
Sie entfernt sich, was den Ausdruck anlangt, in ihrem 
zweiten Teil etwas von dem lateinischen Vulgärtext; 
2. nach einem schon von Breitinger 213 ) veröffentlichten 
Text, der sich vom lateinischen Text noch etwas weiter 
entfernt: 1. der Mann wird kein Schütz, sondern eiiw 
Vogler 214 ) genannt; 2. er fängt außer der Nachtigall 
noch andre Vögel und, bringt diese um; 3. ‘stupefactus’ 
der lateinischen Vorlage ist nicht übersetzt; 4. die Nach¬ 
tigall fliegt nach der Freilassung auf ein Dach; 5. ‘mar- 
garita’ ist nur durch ‘einen edeln stain’ verdeutscht; 


similes sunt idolorum cultores), der nicht unbeträchtliche Best 
aber nach der Legenda aurea. 

211 ) Diesen allein haben Keller und österley herausgegeben, 
Grässe und Swan übersetzt. 

212 ) Hg. v. Adelbert Keller, Quedlinburg u. Leipzig 1841, 8°. 
nach dem cod. germ. monac. 54 fol. aus dem 14./15. Jahrhundert. 
Dieser Text umfaßt 111 Kapitel, deren 59. (Keller, pp. 89/90) die 
Erzählung ist. 

213 ) Fabeln aus den Zeiten der Minnesinger, Zürich 1757, 
8°, p. 242, nach einer ca. 100 Kapitel enthaltenden Handschrift 
aus dem 14. Jahrhundert. 

2U ) Auch im Titel der Erzählung in einigen der in österleys 
Einleitung genannten hss. lesen wir von einem *auceps seu sagit- 
tarius’. 



92 


3. mit dieser Fassung stimmt fast ganz genau überein 
die Geschichte in der 1489 bei Hanns Schobser in Augs¬ 
burg gedruckten Inkunabel 215 ), wo nur der ( Umstand 
verschieden ist, daß der Vogel nach der Freilassung auf 
einen Baum fliegt 216 ). 

Die Erzählung in der französischen, am Anfang 
des 16. Jahrhunderts erschienenen und verschiedentlich 
wiederholten Ausgabe der lat. Gesta 217 ) konnte nicht 
verglichen werden. 

Ins Englische wurde der Vulgärtext der Gesta erst 
im 19. Jahrhundert von dem Rev. Charles Swan 218 ) 
übersetzt. Die Übertragung der Erzählung kann Als 
wortgetreu bezeichnet werden. Die moralisazio der lat. 
Vorlage allerdings ist, da sie für die Spätzeit, in welche 
die Übersetzung fällt, so ziemlich alles Interesse ein- 

• 215 ) Sie repräsentiert nach österley am besten die deutsch- 

lateinische Gruppe der Gesta; unsere Erzähl, dort fol. 111 b (No. 
83) mit der als Überschrift dienenden Inhaltsangabe: ‘Von dem 
vogler der eyn nachtgallen fienge die im drey rate gäbe den er doch 
nitt volget: unnd sy ward ledig dardurch und flog hinweg*. Der 
betr. Vermerk im Register lautet: ‘von dem vogler der ein nacht¬ 
gallen oder lerchen fienge . . .’, wonach der Inkunabel verschiedene 
hss. zugrunde zu liegen scheinen, mit der Bezeichnung ,,Nachtigall“ 
bezw. ,,Lerche“ für den Vogel. 

216 ) Hinweise auf die deutschen Gesta bei Schmidt, p. 152; 
Goedeke, Mittelalt. p. 671; österley, Wend. V, p. 107/8. 

217 ) Le violier des histoires romaines moralisez, von G. Brunet 
(Paris 1858) neu hg. [österley, Wend. V, p. 107/8]. 

218 ) G. R., Entertaining Moral Stories etc., London 1824, 8°, 
2 vis. (die Erz. vol. II, p. 339). Dieser Druck wurde 1877 von 
Wynnard Hooper für Bohn’s Library und 1905 (in einem Bd.) 
als No. 6 der Library of Early Novelists von E. A. Baker erneuert 
(die Erz.: Of Hearing of Good Counsel pp. 347/8). — Swan über¬ 
setzte nach dem 1508 bei Heinr. Gran in Hagenau ersch. Druck 
[Swan-Baker, p. XI]. — Hinweise in uns. Zusammenhang bei 
Loiseleur, Essai, p. 71 Anm. 11; österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta 
p. 739; Clouston, p. 564. 



93 


büßt hatte, von dem Verfasser in der ‘application’ nur 
kurz angedeutet worden. 

15. Das mittelhochdeutsche Gedicht ‘der Jäger and die 
Nachtigall' in Laßbergs Liedersaal [Anhang No. 41]. 

Von den drei bisher bekannt gewordenen und heraus¬ 
gegebenen mhd. Gedichten, welche im Anschluß an die 
Barla amform unsere Geschichte erzählen, dürfte das in 
Laßbergs Liedersaal 219 ) unter dem Titel ‘Der Jäger und 
die Nachtigal’ veröffentlichte wohl auf die lateinischen 
Gesta zurückgehen. Die beiden Anfangsverse scheinen 
die lat. Überschrift: de audiendo bono consilio wieder¬ 
geben zu sollen. In den moralischen Schlußversen (v. 
70—76) könnte sich der lateinische Passus ‘stultus es ...’ 
widerspiegeln. Ferner finden sich die beiden in der Le- 
genda und den Gesta gegenüber dem lat. Barlaam weg¬ 
gelassenen Stellen (‘admiratus’, ‘probare’) auch in dieser 
Bearbeitung nicht. Andrerseits ist von den Stellen, 
welche die Gesta von der Legenda unterscheiden (abge¬ 
sehen von Überschrift und Schluß) nur eine (v. 42) 
wiederzufinden, welche das ‘dulciter cantavit’ der Gesta 
wiederzugeben scheint. Ein wichtiges Charakteristikum 
der vorliegenden Bearbeitung ist, daß der Vogel (v. 4£> 
bis 52) behauptet, einen (nicht näher bezeichneten) faust¬ 
großen Wunderstein in seinem Herzen zu tragen. 

16. Die Erzählung in Boners Edelstein [Anhang No. 42]. 

Die zweite mhd. poetische Bearbeitung unseres Stof¬ 
fes nach der Barlaamform finden wir in dem aus (der 

219 ) Bd. II (1822), pp. 654 ff; 76 paarweise reimende ton- 
jambische Verse. Hinweise bei Keller, Altd. Ged. p. 12; Goedeke, 
Mittelalt. p. 650; Uhland, Nächtig, p. 140, Schrift, p. 102; öster- 
ley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 249 
Anm. 1); de Cock, p. 134. 




94 


ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammenden ‘Edel¬ 
stein’ Ulrich Boners 220 ), der bezüglich seiner Quelle nur 
ganz allgemein sagt, er habe seine Fabeln aus dem La¬ 
teinischen ins Deutsche gebracht. Bei unserer Erzählung 
spricht in gleicher Weise für die Legenda und die Gesta 
das Fehlen des ‘probare’ und ‘admiratus’. Für die Gesta 
insbesondere spricht die Bezugnahme der sich durch Ein¬ 
fachheit und Wahrheit empfehlenden Moralisierung (v. 
67 ff) nicht auf die Torheit der Götzendiener (so im 
Barlaam und in der Legenda), sondern auf die Torheit 
der Menschen überhaupt; insonderheit scheinen die Verse 
84 i’f. der lateinischen Überschrift de audiendo bono con- 
silio zu entsprechen. Außerdem kann man anführen, 
daß sich der Vogel nach der Freilassung auf einen 
Baum setzt (v. 33), gerade wie im Schobserschen Text 
der deutschen Gesta. Freilich wird niemand behaupten 
können, daß dies alles mehr als bloße Anzeichen sind. 

Bemerkenswert bei dieser Bearbeitung ist noch 1. die 
Umstellung der drei Lehren, die im Vergleich mit der 

22 °) Predigermönch aus alter Berner Familie, kommt 1324—49 
oft in Urkunden vor [Pfeiffer, p. XI]. Der ‘Edelstein’ ist eine 
Sammlung moralisierter Fabeln, von denen die meisten dem Avian 
und dem sog. Anonymus des Nevelet entlehnt sind; hg. zuerst 
1767 in Zürich (von Breitinger) in den anonymen ‘Fabeln aua 
den Zeiten der Minnesinger’ (Boners Verfasserschaft war damals 
noch unbekannt); die letzte Ausga.be ist: Der Edelstein von Ulrich 
Boner. Hg. v. Franz Pfeiffer, Leipzig 1844, 8° (Dichtungen 
des deutsch. Mittelalt. IV). Die Erzählung, 88 acht.silb., tonjamfl)., 
paarw. reim. Verse, ist die No. 92, bei Breitinger pp. 219—222 
(ohne Überschrift), bei Pfeiffer pp. 163—165: von einer Nachtegal, 
wart gevangen. Von weltlicher törheit. — Hinweise bei Lassberg, 
Lieders. II, p. 654; Schmidt, p. 152; Grimm, p. CCLXXXI; 
Goedeke, Ma. pp. 640, 671; E. du Meril, p. 146, Anm. 2; Uhland, 
Xaeht. p. 140, Schrift, p. 102; Österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta, 
p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 249, Anm. 1); Rösle, p. 40; G'hauvin 
11T. p. 104: de Cock, p. 134. 



95 


sonstigen Reihenfolge in der Ordnung 3, v 2, 1 gegeben und 
; m Schlüsse wiederholt werden; 2. der Edelstein, dem 
verschiedene wunderbare Eigenschaften zugeschrieben 
werden, ist nicht näher bezeichnet (v. 39 ff); 3. die 
Lockrede des Mannes ist weggefallen. 

17. Die fälschlich dem Stricker zugeschriebene mhd. Be¬ 
arbeitung der Erzählung [Anhang No. 43]. 

Eine dritte mhd. poetische Bearbeitung unserer Er¬ 
zählung nach der Barlaamform findet sich in einer 
Sammlung von altdeutschen Beispielen 221 ), von Docen 292 ) 
fälschlich dem Stricker zugeschrieben. Da alle diese 
Beispiele bereits vor 1250 223 ) geschrieben sind, in einer 
Zeit, wo weder Vincentius Bellovacensis noch Jacobus 
a Voragine ihre Kompilationen verfaßt hatten, und wo 
von deutschen Bearbeitungen des Barlaam erst die von 
Rudolf von Ems (seit ca. 1220) vorlag 224 ), in der merk¬ 
würdigerweise unsere Parabel fehlt, so kann das Gedicht 
nirgendwo anders entlehnt sein als aus dem mittelalter¬ 
lich-lat. Barlaam. Die Erzählung folgt auch im allge¬ 
meinen dem Barlaam, nur hier und dort finden Kürzun¬ 
gen statt. Auffallend ist allerdings, daß der Vogel eine 

221 ) Zum erstenmal in Auswahl hg. von B. J. Docen in den 
Altdeutschen Wäldern II (1813), pp. 1 ff. (unser Gedicht ‘von 
einem vogeler’ pp. 5—7) nach der aus dem 14. Jh. stammenden 
Würzburger Pergamenthandschrift. — Eine andere Auswahl nach 
derselben und drei weiteren hss. veröffentlichte Franz Pfeiffer. 
Z. f. d. A. VII (1849) pp. 318 ff (Das Gedicht ‘des Vögleins 
Lehren’ pp. 343—345). — Verweise bei Schmidt, p. 152; Goedeke, 
Mittelalter, p. 640; E. du Meril, p. 146 Anm. 2; Uhland, Nacht, 
p. 140, Schrift, p. 102; österley, Wend. V p. 107/8, Gesta p. 739; 
G. Paris, Lai (1903, p. 249 Anm. 1); de Cock, p. 134. 

222 ) a. a. O. p. 1; vgl. dazu Pfeiffer, a. a. O., pp. 319/20. 

222 ) Pfeiffer, a. a. O. p. 319. 

22 *) Vgl. Kuhn, p. 68. 



96 


Lerche genannt wird 225 ). Die drei Lehren sind in unge¬ 
wöhnlicher Folge gegeben, die Nutzanwendung greift ,nur 
auf zwei von ihnen zurück. Die merkwürdigste Ver¬ 
schiedenheit aber bietet die ganze Auffassung des 
Stückes. Der Schwerpunkt der Moral liegt darin, daß 
der Mann dem Versprechen des Vogels drei Lehren zu 
geben, nicht blindlings hätte vertrauen sollen. Danach 
richtet sich auch die ziemlich lange Moralisierung am 
Schluß (v. 46—64), welche mit jener im Barlaam nicht 
das Geringste mehr gemeinsam hat: man solle nichts 
von der Hand geben, wofür man nicht Bürge oder Pfand 
habe; denn sonst lasse der Schaden samt dem Spotte 
der Leute nicht auf sich warten. 


18. Die Parabel in den alt französischen Bearbeitungen 
des mittelalterlich-lateinischen Barlaam, insbesondere bei 
Gui de Caxyribrai [Anhang No. 44]. 

Von afz. Bearbeitungen des mittelalt.-lat. Barlaam 
zählt Kuhn 226 ) außer einer unveröffentlichten Prosa¬ 
übersetzung aus dem 13. Jahrhundert, „welche sich zwar 
dem lat. Texte ziemlich nahe anschließt, aber doch na¬ 
mentlich den dogmatischen Teil sehr abgekürzt wieder¬ 
gibt 227 ), und ein paar Drucken des 16. und 17. Jahr¬ 
hunderts drei poetische Versionen auf. Von diesen letz¬ 
teren ist die eine, anonym aus dem 13. Jahrhundert, 
noch nicht veröffentlicht; in die zweite, anglonorman¬ 
nische von Chardry 228 ), Anf. des 13. Jahrhunderts, Ist 


225 ) Vgl. die Parallele bei den deutschen Gesta von Schobser. 

226 ) a. a. O. pp. 57—59. 

227 ) Diese Version enthält demnach jedenfalls die Parabel; 
vgl. übrigens die Anm. zum provenz. Barl. 

228 ) Chardry’s Josaphaz, Set Dormanz und Petit Plet, hg. 
von John Koch, Heilbr. 1879, 8° (Försters Afr. Bibi. 1). 



97 


die Parabel nicht mit aufgenommen, die dritte ist von 
Gui de Cambrai 229 ) in der ersten Hälfte des 13. Jahr¬ 
hunderts verfaßt. Sie gibt unsere Parabel verhältnis¬ 
mäßig frei wieder, namentlich im zweiten Teil derselben 
kann von einer genauen Übersetzung nicht mehr ge¬ 
sprochen werden. Anzumerken ist, daß dem Vogel (lou- 
signoit) im Falle der Rückkehr nicht die Freiheit, son¬ 
dern ein Käfig versprochen wird (v. 54), in dem er in 
Freuden leben könne, und daß nach dem vorliegenden 
Texte dem Vogel sowohl vor (v. 17/18) als auch nach 
der Erteilung der drei Lehren (v. 35) die Freiheit 
wiedergegeben wird 230 ). 

19. Die Parabel in der provenzalischen und in, den itar 
lieni8chen Bearbeitungen des mitt eialt .-lat. Barlaam, so¬ 
wie in den Fazetien des Piovano Arlotto 
[Anhang No. 45, 46]. 

Die provenzalische Prosa-Bearbeitung des Barlaam 
aus dem 14. Jahrhundert 231 ) ist, namentlich in ihrem dog¬ 
matischen Teile, noch mehr abgekürzt als die erwähnte 
französische Prosaversion aus dem 13. Jahrhundert, 
während der Rahmen selbst sowie die Parabeln treu bei¬ 
behalten sind. 

Die zahlreichen italienischen Barlaamversionen zer- 


229) Barlaam und Josaphat, franz. Ged. des 13. Jh. von 
G. de C., hg. von H. Zotenberg u. P. Meyer, Stuttgart, 1864, 8° 
(Litt. V. LXXV). Die Parabel (93 Verse) hier pp. 60 ff. 

28 °) Offenbar ein Fehler der von den Herausgebern benützten 
hs. (Bibi. nat. fonds fran?. 1553). 

2S1 ) in einer Pariser hs. (Bibi. nat. fonds fran<j. 1049) 
[Kuhn, p. 61]. In den von Bartsch (Provenz. Chrest.) und Zoten¬ 
berg-Meyer (a. a. O.) mitgeteilten Auszügen befindet sich unsere 
Parabel nicht, ihr Text konnte also nicht verglichen werden. 

Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 7 



98 


fallen nach Kuhn 232 ) „oberflächlich betrachtet, in zwei 
Hauptklassen, eine vollständigere (‘Storia’), und eine 
stark verkürzte (‘Vita’) Bearbeitung, von denen die er¬ 
ster« dem provenzalischen Texte nahezustehen scheint 233 ), 
während die letztere . . . durch mancherlei Anklänge 
noch ihre Abhängigkeit von der vollständigeren Bear¬ 
beitung verraten soll“. 

Von den Texten der ‘Storia’, von .welcher Kuhn 
außer verschiedenen Handschriften auch zwei . Drucke 
von 1734 und 1816 aufzählt, hat mir keiner Vorge¬ 
legen. Über die ‘Vita’ steht mir als Material zur Ver¬ 
fügung nur die sürselvische Übersetzung irgendeines Vita- 
Textes 234 ) nebst der dazu von G. J. Ascoli verfaßten 
und mit Anmerkungen versehenen italienischen Über¬ 
setzung 235 ). Danach gelange ich zu folgenden Feststel¬ 
lungen : 

Bei den Texten der Vita, (in (welchen nach Kuhn 
die meisten Parabeln ausgelassen sind, muß geschieden 
werden zwischen einer älteren Gruppe, welche speziell 
unsere Parabel noch enthält, und einer jüngeren Gruppe, 
in welcher sie sich nicht mehr findet. 


232 ) PP- 61-—66; seine Aufstellung will indes Kuhn selbst 
nur als eine sehr vorläufige betrachtet wissen. Jaocbs, Barl. 
(Pedigree) nimmt Kuhns Klassifikation auf, koordiniert aber (ich 
weiß nicht, auf Grund welchen Materials) die ‘Storia’ mit dem 
provenz. Text und macht beide von der franz. Prosaversion des 13. 
Jh. abhängig; freilich schreibt er dazu ein großes Fragezeichen. 

283) unentschieden, ob als Ausfluß oder als Vorlage. 

284) Vi er aürselvische Texte, hg. u. mit Einl. vets. von Dr. 
C. Dectirtins, i im . Archivio glottologico Ital. VII (1880—83), pp. 
149 ff. Hier die ‘Vita de Soing Giosaphat’ pp. 255—296, die Para¬ 
bel pp. 273/4. Die Übersetzung ist spätestens Anfang des 17. Jahr¬ 
hunderts niedergeschrieben. 

285) Versione Letterale etc., di G. J. A., -ebenfalls Arch. gl. 
J. VII, pp. 365 ff (Par. pp. 382/3), Annotazioni pp. 406 ff. 



99 


Die ältere Gruppe ist, soweit das Material eine Ein¬ 
sicht hierin zuläßt, vertreten a) durch eine im Dialekt 
von Siena geschriebene Handschrift, gedruckt bei T. 
Bini, Birne e prose del buon secolo della lingua . , . 
Lucca 1852, pp. 124—152; b) durch einen veneziani- 
sierenden undatierten Druck des 15. Jahrhunderts. Beide 
stimmen, abgesehen von den sprachlichen Verschieden¬ 
heiten, gut miteinander überein und enthalten die Pa¬ 
rabel 236 ). 

Die jüngere Gruppe ist, soweit mein Material dar¬ 
über Aufschluß gibt, vertreten a) durch einen unda¬ 
tierten Florentiner Druck aus dem 19. Jahrhundert, 
welcher im Vergleich zur älteren Vita eine jedenfalls 
noch oft genug aufgelegte ‘versione popolare’ darstellt; 
hier liest man die Parabel nicht mehr; b) durch den 
schon genannten sürselvischen Text, der mit der ver¬ 
sione popolare und dem Sieneser Text verwandt ist, doch 
näher mit der ersteren 237 ): ‘la concordanza della lezione 
popolare con la versione soprasilvana non e giä piena 
e intera, ma e grandissima’; auf der anderen Seite: ‘dove 
la soprasilvana diverge da codesta lezione, o non vi trova 
il passo parallelo, suole essa all* incontro convenire col 
testo di Bini’, so daß die Schlußfolgerung unausbleiblich 
ist: ‘il quäle cosi si accosta alle condizioni d’un genera- 
tore commune’, allerdings wohl mit einer Zwischen¬ 
stufe 238 ), da der sürselvische Text der versione popo¬ 
lare doch noch näher steht als der Sieneser Vita. Der 
sürselvische Text enthält nun im Gegensatz zum Floren¬ 
tiner Druck noch die Parabel, sie muß also auch in der 
gemeinsamen Vorlage, der älteren Gruppe der Vita, vor- 

236 ) Ascoli, p. .420 Anm. 1. 

237 ) Ascoli, p. 418. 

238 ) Dieser würde ungefähr die von Ascoli gefertigte Rück¬ 
übersetzung des sürselvischen Textes ins Italienische entsprechen. 

7* 




100 


atisge etzt werden, und hat, falls Kuhns Klassifikation 
zutriff zweifellos auch in der Storia gestanden. Erst 
in der versione popolare ist sie, vielleicht allmählich, 
verschwunden 239 ). 

Hier ist nun der Ort, die eigentümliche Gestalt 
und Verwandlung zu besprechen, welche die Parabel im 
sürselvischen Barlaam hat. Sie dient nämlich im Zu¬ 
sammenhänge des Romans nicht dazu die Torheit der 
Götzendiener nachzuweisen, sondern soll den Josaphat 
aneifern die vernommenen Heilswahrheiten zu behalten 
und sic nicht so zu vergessen, wie der törichte Mann 
der Parabel die Lehren des Vögleins in den Wind ge¬ 
schlagen hat. — Der Mann selbst heißt abweichend von 
der sonstigen Gepflogenheit ein ‘pur’ (contadino), der 
Vogel einfach ‘utschi’ (uccello). Der Hinweis des Vogels 
auf seine geringe Größe und die Kleinheit des von ihm 
bei der Schlachtung zu erwartenden Nutzens fehlt. Von 
den drei Lehren lautet die zweite wie die entsprechende 
der Disciplina, aber die Reihenfolge des Barlaam bleibt 
gewahrt. Nach der Erteilung der Lehren fliegt der Vogel 
auf einen hohen Baum. Die Art des kostbaren Steines 
ist nicht genannt, er ist größer wie ein Gänseei, befindet 
sich im Kropf und wiegt ‘un gran tesoro’ auf. Von der 
Betrübnis des Bauers nach der Vorspiegelung des Vogels 
ist nicht ausdrücklich die Rede, dagegen wird sein Ver¬ 
such des Entflohenen wieder habhaft zu werden, in 
eigentümlicher Weise geschildert: ‘tosto incominciö a 
andargli dietro in ogni cespuglio per nuovamente pigli- 
arlo’. Die Nutzanwendung der drei Lehren geschieht • 


289 ) Nach einem Venezianer Druck der Vita von 1600 ver¬ 
anstaltete Nicholas Herrick (?) 1711 eine englische Obersetzung 
in Prosa, welche nur mehr eine Parabel (of the Nightingale and 
the Fowler, also unsere) enthält. Siehe Kuhn, p. 64, No. 10, nach 
ßhys Davids, Buddhist Birth Stories I, pp. XCVI/VII. 





101 


in etwas veränderter Reihenfolge. Am Schlüsse ver¬ 
sichert der Vogel dem Bauer, daß er ihm keine Beleh¬ 
rung mehr werde zukommen lassen. . 

Aus der Bezeichnung des Mannes als Bauer 240 ) und 
aus dem Wortlaut der zweiten geht mit Sicherheit her¬ 
vor, daß die Fassung der Disciplina auf die Parabel 
unseres Textes Einfluß geübt hat. Nun erhebt sich aber 
die Frage: zeigt sich die fremde Einwirkung bloß im 
siirselvischen Texte, oder ist sie schon in der italienischen 
Vorlage zu verzeichnen, und wenn so, von wann und 
wo datiert sie ? Die wesentliche Entscheidung dieser 
Fragen liefert uns der Text jener Version unserer Erzäh¬ 
lung, welche gegen Ende des Mittelalters in den Fazetien 
des Piovano Arlotto 241 ) Aufnahme gefunden hat. 

Schon die Überschrift und namentlich die Einleitung 
verraten für die Erzählung des Piovano dieselbe Ten¬ 
denz, wie wir sie im sürselvischen Barlaam trafen: ein 
Freund, der sich um die Ermahnungen des Piov. Arl. 

240 ) nicht auch aus der bloßen Bezeichnung ‘uccello’, denn 
‘lusignolo’ beim Piovano Arlotto und ‘nightingale’ in Herrick’s 
englischer Übersetzung des Vita-Textes von 1600 belegen die Be¬ 
zeichnung ,,Nachtigall“ auch nach der Einwirkung der Disciplina. 

241) Florentiner Geistl. (f 1483/4), an dessen Namen sich eine 
große Zahl von Anekdoten knüpft, deren erste Sammlung allerd. 
erst ca. 1500 gedruckt wurde, und die auch nachher noch durch 
mancherlei Zusätze bereich, worden sind [Amalfi, pp. 261 ff]. — 
Die Ausg.: Les contes et faceties d’Artbtto de Florence, avec introd. 
et notes par P. Risteihuber, Paris, 1873 (hier die Erz. No. 38) 
[Köhler, Anz. f. d. A. IX (1883), p. 405] war mir nicht zur 
Verf., sond. nur folg. Ex. der Münch. Staatsbibi.: Facetie: Piace- 
vuleze: Fabule: e Motti del P. A. Prete Fiorentino, homo di grande 
inzegno. Opera molto dilettevole vulgate in lingua Toscha historiata, 
e nouvamente impressa. Am Ende: Ad instantia de Matthio Pagan 
in Frezaria a linsegna de la Fede (8°, s. a. ohne Pag., 2 Kolumn.). 
Hinweise bei Köhler, Anz. f. d. A. IX (1883), p. 405; G. Paris, 
Lai (1903, p. 249, Anm. 1); Chauvin VI, p. 110. 



102 


nicht kümmert, erhält von ihm zuletzt unsere Geschichte 
erzählt. Diese selbst stimmt in ihren Haupteigentümlich¬ 
keiten mit dem sürselvischen Text überein. Abweichun¬ 
gen: der Name des Vogels (un bello lusignolo) ist ge¬ 
nannt; die zweite Lehre hat die etwas abweichende Fas¬ 
sung : ‘sappi tenere quella cosa di che hai dibisogno’; 
der Stein besitzt den Wert ‘duna citta’; die Nutzanwen¬ 
dung geht in andrer Reihenfolge vor sich. Trotz der ge¬ 
ringen Verschiedenheiten ist der enge Zusammenhang 
beider Texte fraglos und jedenfalls so zu erklären, daß 
der Text bei Piovano Arlotto aus demselben italienischen 
Barlaam geflossen ist, dem auch die sürselvische Ver¬ 
sion ihr Entstehen verdankt. Möglich deshalb, daß die 
im sürselvischen Text und im Piovano auftretende Misch¬ 
form unserer Erzählung schon in der Storia sich findet, 
in der Vita ist sie sicher nachweisbar. 

20. Die Parabel im ‘Cavallero Cifar' [Anhang No. 47]. 

Von spanischen Bearbeitungen des mittelalterlich¬ 
lateinischen Barlaam weiß Kuhn 242 ) nur die Version So- 
lorzano’s aus dem Jahre 1608 anzuführen, welche übri¬ 
gens nicht einmal ihm zugänglich gewesen ist. Indessen 
findet sich eine spanische Übersetzung unserer Erzäh¬ 
lung nach dem Barlaam 243 ) als Episode des umfang¬ 
reichen aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts stam¬ 
menden Romans ‘Historia del Cavallero Cifar’ 244 ). 


3 42 ) a.a. O. p. 66. 

243 ) wie der ganze Gang der Erzählung beweist; die hier 
sich findenden Reflexe von ‘admiratus’ und ‘probare’ lassen auch 
eine Abstammung von der Legenda aurea nicht zu. 

244 ) Verfaßt von einem toledanischen Geistlichen (1 hs.), ge¬ 
druckt 1512 von Jakob Cronberger aus Sevilla, Neudruck für den 
Lit. Ver. von H. Michelant, Tübingen 1872, 8° (No. CXII d. L. V.); 
hier die Erzählung pp. 180 ff. Hinweis bei Chauvin III, p. 104. 




Die Erzählung als solche hat manche Besonderheit. 
Aus der Nachtigall ist eine ‘calandria’ geworden; die 
drei Lehren sind ‘semejantes uno de otro’ gemacht, na¬ 
mentlich die letzten beiden; der freigelassene Vogel ent¬ 
eilt und gibt sich dem Jäger erst später wieder zu er¬ 
kennen, um ihn auf die Probe zu stellen; die nicht näher 
bezeichnete ‘piedra preciosa’ hat ihren Sitz im Kopfe 
des Vogels und ist so groß wie ein Greifenei; mit dem 
Stein 'würde dem Vogel die menschliche Stimme verloren 
gegangen sein, während der Jäger Kraft zur Durch¬ 
setzung aller Wünsche erlangt hätte; der Mann wehrt 
sich gegen den Vorwurf des Vogels, die drei Lehren nicht 
gut verstanden zu haben, ebenso, wie er schon weiter 
oben den Versicherungen, er sei betrogen worden, nicht 
hat Glauben schenken wollen. Die Nutzanwendung durch 
den Vogel ist sehr breit ausgeführt; bei jener der dritten 
Lehre (nach Unerreichbarem nicht zu streben) kommt 
etwas ganz Neues herein. Der Vogel fordert den Jäger 
auf von ihm zu lassen, denn fliegen könne er ja doch 
nicht, das sei wider seine Natur. Der Jäger aber will 
mitnichten; er geht in die Stadt und erholt sich bei 
einem kundigen ‘trasechador’ Rates, wie er fliegen lernen 
könne. Auf dessen Belehrung hin versieht er sich mit 
einem Federkleid und will von einem hohen Turm aus 
den Flug unternehmen, stürzt aber zerschmettert nieder 
und macht das Sprichwort wahr: ‘dios de alto fase caer 
a los sobervios’, welches der Vogel ihm zur Beherzigung 
empfohlen. So verbindet sich ein uraltes Sagen- und 


— Der Roman zerfällt in drei Teile, deren erster die eigentliche 
Geschichte des Ritters Cifar, im wesentlichen eine Version der 
Eustathius-Placidus-Legende, erzählt, während der zweite, in dessen 
4. Kapitel unsere Geschichte eingeschaltet ist, rein didaktisch oder 
paränetisch ist: Cifar gibt seinen scheidenden Söhnen gute Rat¬ 
schläge; der dritte Teil schildert die Irrfahrten eines der Söhne. 



104 


Fabelmotiv 240 ) init unserer Erzählung, allerdings nicht 
zu ihrem Vorteil. 

21. Die Parabel in den deutschen Bearbeitungen des 

mittelalterlich-lateinischen Barlaam. 

\ 

Von den bei Kuhn 246 ) aufgezählten drei mhd. poe¬ 
tischen Bearbeitungen des lat. Barlaam, die sämtlich 
dem 13. Jahrhundert angehören, enthält die wichtigste, 
von Rudolf von Ems verfaßte, merkwürdigerweise unsere 
Parabel nicht 247 ) ; in der zweiten noch nicht veröffent¬ 
lichten des Bischofs Otto findet sie sich wieder 248 ); von 
der dritten sind nur Bruchstücke vorhanden, welche 
die Parabel nicht überliefern. 

Von den beiden bei Kuhn 249 ) aufgeführten Inku¬ 
nabeln konnte die erste 250 ) inbezug auf die Parabel ver¬ 
glichen werden; sie bietet keine Besonderheit. Auch die 
von Kuhn 251 ) genannten beiden Drucke des 17. Jahr¬ 
hunderts 252 ) enthalten die Parabel, aber ohne jegliche 
Abweichung von der lateinischen Vorlage. 

Die moderne Bearbeitung des deutschen Barlaam 
durch Christoph von Schmid 253 ) und jedenfalls auch die 


245) Ygi Dädalus und Ikarus; im Mittelalter war die flie¬ 
gende Schildkröte der Spiegel des Hochmuts. 

246 ) PP- 68/9. 

247 ) Z. f. d. A. II (1842), p. 362. 

248 ) Kuhn, pp. 68, 76. 

2 * 9 ) pp. 69/70. 

25 °) Bibi. reg. Monacensis Inc. s. a. 157 b fol. (Günther 
Zainer in Augsburg). 

251) p. 70. 

2Ö2 ) Der eine von Ulrich Satler verfaßte (Dillingen 1603) 
enthält die Parabel pp. 59/60, der andere, von den beiden Grafen 
von Helffenstein und Hohenzollern, gedruckt bei S. Bauch in 
München 1684, enthält sie pp. 127—130. 

* M ) Kuhn, p. 70. 





mir unzugängliche Glaubenstragödie von San Marte ,.des 
Kreuzes Prüfung“ 254 ) enthalten die Parabel nicht. 

22. Die Parabel in den engl. Bearb. des mittelalt.-lat. 
Barlaam [Anhang No. 48, 49, 50]. 

Kuhn 255 ) zählt drei mittelenglische poetische stark 
gekürzte Bearbeitungen des lateinischen Barlaam auf, 
die unabhängig voneinander entstanden sind. Sämtliche 
sind von C. Horstmann 256 ) herausgegeben. 

a) Bei der einen Bearbeitung (Cod. Bodl. 779, 16. 
Jahrhundert) 257 ) ist die Kürzung der Parabel hauptsäch¬ 
lich erreicht durch Beschneidung des verbindenden Tex¬ 
tes, während die Reden verhältnismäßig ausführlich ge¬ 
halten sind. Die Gruppierung der ‘Pre wisdomes’ ist 
am Anfänge wie auch am Schluß des Textes eine vom 
Lateinischen abweichende. Der Name des ‘lytil brid’ 
sowie des ‘ryche ston’ ist nicht genannt, der letztere ist 
nur so groß wie ein gewöhnliches Ei, dafür besitzt er 
aber ‘gret vertu’. Die Lehre, nach Unerreichbarem nicht 
zu streben, wird damit begründet, daß solche Wünsche 
nur aus eitlen Gedanken entstehen. Dem Vogel wird 
im Falle der Rückkunft nicht die Freiheit, sondern nur 
eine goldene Gefangenschaft ‘in a feyr cage’ verheißen. 
Dem enteilenden Vogel folgt der Mann mit seinem ‘bouj’ 
um ihn zu schießen, der Vogel ruft ihm aber spöttisch 
aus sicherer Ferne den Vers zu ‘beter is have than 


2Ö *) Kuhn, p. 71. 

2 * 5 ) p. 71. 

266 ) Altenglische Legenden, aus den verschied. Mss. zum ersten 
Male hg., Paderb. 1875, 8°. — Auf die me. Bearbeitungen unserer 
Erzählung im Barlaam haben hingewiesen Sauerstein, p. 6; Plessow, 
p. XXXVI. 

257 ) f. 288 b —302, Horstm. pp. 113—118, die Par. pp. 124/5 
von ▼. 385—428, also 44 (12 silb. paarw. reim.) Verse. 



106 


weche . . So weist diese Version manche beachtens¬ 
werte Einzelheit auf. 

b) Die zweite Bearbeitung, in Cod. Vernon zu Ox¬ 
ford aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts 258 ) 
wahrt einen engen Anschluß an das Lateinische. ‘Ad- 
miratus’ und ‘probare’ finden jedoch keine Wiedergabe. 

c) In der Parabel der dritten Bearbeitung, Cod. 
Harl. 4196 des Brit. Mus. aus dem 14. Jahrhundert? 59 ) 
ist der Mann ein ‘foster’, der unter anderem Wild einen 
nicht näher bezeichneten ‘brid’ fängt. Dieser muß vor 
Erteilung der drei Lehren, welche zuerst in einem lat. 
Distichon und dann in dessen englischer Übersetzung 
erfolgt, auf einen nahen Baum entlassen werden. Der 
‘margerite’ ist so groß wie ein Greifenei 260 ). Das Ver¬ 
sprechen der Entlassung der Rückkehr des Vogels fehlt. 
Die Anordnung der drei Lehren ist etwas abweichend. 
Also wiederum manche Besonderheit. 

23. Die Parabel in den skandinavischen Bearbeitungen 
des mittelalterlich-lateinischen Barlaam 
[Anhang No. 51, 52]. 

Die Parabel in der um die Mitte des 13. Jahrhun¬ 
derts entstandenen altnorwegischen Bearbeitung 261 ) des 


258 ) fol. 100 ff, Horstm. pp. 215—225, die Parabel pp. 220/1, 
von v. 421—476, also 56 achtsilbige, paarweise reimende Verse. 

269 ) fol. 199 b ff., Horstmann pp. 226—240, die Parabel pp. 
232 ff, von v. 501—551, also 51 achtsilbige paarweise reimende 
Verse. 

26 °) Siehe den ähnlichen Vergleich im ‘Cavallero Cifar’. 

261 ) 1250/57 für den König Hakon den Jüngeren (geb. 1234, 
f 1257) verfaßt. Ausgabe: Barlaams ok Josaphats Sag*. . . Udgivet 
af R. Keyser og C. R. Unger. Christiania, 1851, 8°; hier die 
Parabel p. 39 (im 45. Kapitel). Hinweis zuerst bei österley, 
Gesta, p. 739. 



107 


lat. Barlaam schließt sich genau an den lateinischen 
Text an. 

Die Parabel in der altschwedischen Version des Bar¬ 
laam aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts 262 ) 
hält sich genauer an den lateinischen als an den soeben 
genannten altnorwegischen Text 263 ). 

24. Die Parabel in der jüngeren von Billius verfaßten 
lateinischen Übersetzung des griechischen Barlaam und 
in deren Derivaten [Anhang No. 53]. 

,,In Anbetracht der großen Mangelhaftigkeit der 
mittelalterlichen Übersetzung [des Barlaam] veranstal¬ 
tete JacobuS Billius (1535—1581), Abt zu S. Michel in 
der Bretagne, eine neue direkt nach dem griechischen 
Original. Dieselbe erschien zuerst in der von ihm be¬ 
sorgten lateinischen Ausgabe der Werke des Joannes 
Damascenus, Paris 1577“ 264 ). Der Text der Parabel 265 ) 
nähert sich mehr dem klassischen Latein, ist aber sonst 
sin treues Abbild der griechischen Vorlage. Zwei Unge¬ 
nauigkeiten der älteren Übersetzung sind vermieden, in¬ 
dem lievrijg richtig mit auceps und auch 1 die grie- 

262 ) handschriftlich in Stockholm; hg. von G. E. Klemming 
in Samlingar utgifna af Svenska Fornskrift-Sällskapet. Prosa 
dikter fr an Medeltiden. Första Haftet [Barlaam och Josaphat]. 
Stockholm, 1887, 8° (Heft 91 der ganzen Samml.); die Par. pp. 
33/34. Nach Kuhn (p. 73) haben Keyser u. Unger angenommen, 
daß zur Anfertigung dieser Übersetzung die altnorwegische Version 
benützt worden sei. 

263 ) Die von Kuhn p. 72 genannte moderne dänische Über¬ 
setzung des altnorwegischen Textes habe ich nicht vergleichen 
können. 

2 *±) Kuhn, p. 56. 

265 ) in der 1593 gleichzeitig zu Köln und Antwerpen erschie¬ 
nenen Ausgabe, deren vollständ. Titel bei Kuhn p. 56 nachzulesen 
ist, p. 98 (caput X). 



108 


chische zweite* Lehre richtiger mit ‘numquam rei prete- 
rite te peniteat’ wiedergegeben ist. 

Die Übersetzung des Billius wurde in die Vitae 
Patrum des Rosweydus 266 ) wie auch in deren nieder¬ 
ländische Übersetzung 267 ) aufgenommen; ebenso (wahr¬ 
scheinlich seit 1581) in mehrere Auflagen von Lauren¬ 
tius Surius* Werk ‘De probatis sanctorum historiis 268 ). 

Von mehreren bei Kuhn 269 ) aufgeführten Übertra¬ 
gungen des Testes von Billius in die Volkssprachen ist 
nur die spanische von Fr. Baltasar de Sancta Cruz 
verfaßte und 1692 zu Manila auf den Philippinen ge¬ 
druckte 270 ) inbezug auf unsere Parabel verglichen wor¬ 
den. Letztere gibt das lat. Original in etwas breiterer 
Ausführung getreu wieder. Der Vogel heißt ‘un ßil- 
guero’. Mit der auf diesem Text wahrscheinlich beruhen¬ 
den tagalischen Übersetzung des Barlaam 271 ) ist die Pa¬ 
rabel jedenfalls auch ins Tagalische übergegangen. 

25. Die Parabel in den vom griechischen Barlaam aus¬ 
gegangenen osteuropäischen und orientalischen Bearbei¬ 
tungen [Anhang No. 54]. 

Von den kirchenslavisch-russischen und rumänischen 
Bearbeitungen des griechischen Barlaam ist mir nichts 

266 ) Antwerpen 1615 u. 1628, Neudruck bei Migne, Patrol. 
ser. lat. t. LXXIII; in der Ausgabe von 1615 befindet sich 
die Parabel pp. 263/4; hier zitiert von d. Hist. Litt. XXI. 

p. 620. 

267 ) Antwerpen 1617; hier die Parabel p. 220, abgedruckt 
bei de Cock, pp. 118—120, der sie irrtümlicherweise für die Quelle 
der Parabel im Dobbelen Zielentroost hält. 

268 ) Kuhn, p. 57; bei Surius weist die Parabel schon nach 
Warton (-Hazlitt 1871, p. 285, Anm. 1) nach der Ausgabe von 
1618, p. 565 (Nov. 27). 

269 ) PP- 57, 60, 71, 73 (polnische metrische Übersetzung von 
Kuligowski 1688). 

27 °) Kuhn, p. 66; die Parabel fol. 62 b . 

271 ) Kuhn, p. 57. 



109 


zugänglich. Ich muß daher für eine eingehendere Unter¬ 
suchung der Parabel in diesen Versionen auf die von 
Kuhn 272 ) zusammengetragene Literatur verweisen. 

Schon frühzeitig ist der griechische Roman, mit Bei¬ 
behaltung der christlichen Tendenz, ins Arabische 273 ) 
übersetzt worden. Was Zotenberg 274 ) von dieser Version 
im allgemeinen sagt: ‘cette Version se distingue par 
la tendance ä representer mot ä mot le texte original’, 
gilt in demselben Maße auch von unserer Parabel. Der 
Mann wird ein sajjäd (Jäger), der Vogel suhrür (kind of 
singing bird: Francis Johnson) genannt; das Wort ß.vxo 
Xai ist mit asjä’ übersetzt; der Vogel behauptet in 
seinen ah§ä’ (Eingeweide) eine durrah (Perle), größer 
als das Ei eines Straußes (na‘äm) zu bergen. Diese 
Einzelheiten seien hier deswegen so stark hervorgehoben, 
um zu zeigen, daß diese christlich-arabische Version der 
Parabel mit den später zu nennenden arabischen Be¬ 
arbeitungen nichts zu tun hat 275 ). 

272 ) p. 53. 

273 ) Kuhn (pp. 50/1) zählt 10 hss. auf, von denen eine aus 
dem 18. Jh. mit Miniaturen geschmückt ist, unter denen sich auch 
die Darstellung des Vogels in der Schlinge befindet [Bulletin de 
la classe historico-philologique de Tacademie imperiale des Sciences 
de St.-Pet., IX (1852), p. 315]. Von den 7 Pariser hss. geben zwei 
‘la Version arabe teile qu’elle est sortie de la plume du traductcur 
avec toutes ses erreurs et toutes les imperfections de langage’, wäh¬ 
rend die anderen ‘offrent tous une redaction plus ou moins remaniee 
de la Version primitive*. Die älteste hs. ist aus dem 13. Jh. 

274 ) Notice sur le texte et sur les versions orientales du livre 
de B. et J. (Notices et Extraits XXVIII, 1887), p. 80, wo auch 
der Text der Tarabole de TOiseau’ in dieser christlich-arabischen 
Version pp. 143—146 nach den 7 Pariser Handschriften jnit- 
geteilt ist. 

275 ) Nach einem Texte der christlich-arabischen Barlaamversion 
verfaßte ein gewisser ‘Enbäqom i. J. 1553 auf Befehl des Königs 
Galäwdeos eine äthiopische Übersetzung, von der in Paris (1) und 



Auch eine Anzahl von armenischen Bearbeitungen 
des griechischen Barlaam ist vorhanden 276 ;: eine eigent¬ 
liche Übersetzung, eine verkürzte Bearbeitung und eine 
poet. Bezension von dem Erzbischof Arakhel. alle ziem¬ 
lich spät: die christliche Legende von den Heiligen Bar¬ 
laam und Josaphat scheint erst am Anfang des 15. Jahr¬ 
hunderts in Armenien bekannt geworden zu sein 277 ). 

Indes begegnen wir schon bedeutend früher, unge¬ 
fähr um die Mitte des 13. Jahrhunderts, einer arme¬ 
nischen Einzelversion unserer Erzählung. Es ist dies 
eine durch viele Besonderheiten auffallende, aber trotz¬ 
dem ihren Ursprung noch ganz deutlich verratende Be¬ 
arbeitung. welche in die dem gelehrten Armenier Var- 
tan (t 1271) zugeschriebene Fabelsammlung 278 ) aufge- 

London (2) hss. vorhanden sind "Kuhn. pp. 51 2; Zotenberg. pp. 
92/3]. Nebst anderen Textproben hat Zotenberg pp. 162/3 auch 
den Text unserer Parabel nach den 3 hss. veröffentlicht, aber lei¬ 
der keine Übersetzung beigefügt. Jacobs. Barlaam (Pedigree) bringt 
die äthiopische Version fälschlich in Zusammenhang mit den rauham- 
medanisch-arabischen Barlaamversionen. 

27€ ) Kuhn, p. 52: Zotenberg. pp. 93—95.. Mir ist keine von 
diesen Versionen zugänglich. 

277 ) Zotenberg, p. 94. 

278 ) Die Autorschaft Vartans und damit der Zeitpunkt der 
Abfassung ist nicht sicher, deshalb die Abstammung der Fabel von 
einer der oben auf geführten arm. Vers, des Barlaam nicht schlechter¬ 
dings unmöglich. Eine Auswahl aus der Sammlung Vartan’s nach 
einem aus dem Jahre 1615 stammenden und 168 Nummern ent¬ 
haltenden Pariser Manuskript wurde schon 1825 in Paris im 
Aufträge der Societe Asiatique de Paris unter dem Titel ‘Choix 
de Fables de Vartan’ (von Saint-Martin und Zohrab) veröffent¬ 
licht, und zwar der armenische Text von 45 Fabeln mit gegenüber- 
stehender französischer Übersetzung; unsere Geschichte, No. 13 der 
Auswahl, dort p. 26 (armenisch) und p. 27 (französisch). — Auf 
Vartan verwiesen in uns. Zus.: Roth, p. 140; Benfey I, p. 381; 
österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris, Lai (1903, 
pp. 242’—44, wo unter Mitteilung der französischen Übersetzung der 



111 


nominell worden ist. Die Geschichte ist da in Verbindung 
gebracht mit einem, wie es scheint, in der Sammlung 
sehr beliebten 279 ) und auch in unseren mittelalterlichen 
Fabelbüchern recht häufigen 280 ) Motiv: ein Tier, in 
die Gewalt eines anderen Tieres gefallen, befreit sich 
durch eine List. Auch die Rollen sind hier anders be¬ 
setzt: aus dem Vogler ist ein Fuchs, aus der Nachtigall 
ein Sperling geworden. Die Reihenfolge in der Handlung 
ist im Vergleich zur griechischen Parabel einfach umge¬ 
kehrt: zuerst verspricht der Vogel, um sich zu befreien, 
ein kostbares Ei (später eine „Perle“ genannt, was na¬ 
türlich das Ursprüngliche ist) von der Größe eines 
Straußeneis zu legen; freigelassen, macht er den Fuchs 
auf seine dumme Leichtgläubigkeit aufmerksam, und 
dann erst kommt die Lehre Unglaublichem nicht (mehr) 
Glauben zu schenken. Auch der nun folgende Versuch 
des Fuchses des Entflohenen wieder habhaft zu werden, 
wird zuerst vereitelt, bevor die zweite (und letzte) Lehre 
erteilt wird, nach Unerreichbarem nicht zu streben. 
Also: im Armenischen kommt zuerst die Praxis und 

Version eine ausführliche Bespr. gew. ist); Jacobs, Aes. I p. 265; 
Weisslovits, p. 114; Jacobs, Barl. p. CXXI; Chauvin III, p. 103. 

279 ) Es kommt außer in unserer Geschichte in der Auswahl 
noch dreimal vor: No. IV (l’agneau et le loup): Der Wolf wird 
verleitet seine (schöne) Stimme erschallen zu lassen; No. XI (le 
loup et Taue): Der Wolf zieht dem gef. Esel einen Dorn aus 
und gerät so unter dessen Hufe ; No. X^II (le renard et la perdrix): 
Das gefangene Rebhuhn veranlaßt den Fuchs vor der Mahlzeit zu 
beten und entwischt aus seinem geöffneten Rachen. Diese letzte 
Fabel war offenbar von unmittelbarem Einfluß auf unsere Er¬ 
zählung (No. Xjlll), indem der Fuchs den Vogler, auf den sich 
das Motiv nicht gut übertragen ließ, verdrängte. 

280 ) Ich mache hier nur auf Chaucer's Nonne Prestes Tale 

aufmerksam, wo der gefangene Hahn den Fuchs veranlaßt seinen 
Verfolgern ein Trutzwort zuzurufen, und aus dem geöffneten Rachen 
entfliegt. . 



112 


dann erst die Theorie, im Griechischen ist es umge¬ 
kehrt. Wie man sieht, ist System im Ganzen, und das 
verrät nicht etwa einen ungeschickten Kompilator, son¬ 
dern einen denkenden Geist. Daran ändern auch die 
Zusätze zu den beiden Lehren nichts, die G. Paris etwas 
übereilt als ‘addition inepte’ bezeichnet. So sonderbar 
sie auf den ersten Blick erscheinen mögen, bei näherer 
Betrachtung enthüllt sich doch ihr Zusammenhang mit 
den unmittelbar vorher ausgesprochenen Lehren: neben 
einer baufälligen Mauer schlafen ist gleich unvorsichtig 
wie alles leichthin zu glauben; und sich in fremden Fa¬ 
milienzwist einmischen ist von gleich geringem Erfolg 
wie das Streben nach Unerreichbarem im allgemeinen. 
Gerade in der Disparität der zusammengestellten Vor¬ 
stellungsgebiete liegt die Kunst des Darstellers. 

Was die Quelle 281 ) dieser Version anlangt, so dürfte 
sie mittel- oder unmittelbar im griechischen Barlaam 282 ) 


281 ) K. L. Roth (a. a. O.) hat die armenische Bearbeitung 
für eine Art Vorstufe zu der Parabel des griechischen Barlaam 
ungesehen: „So sind in Fab. 13 schon die wesentlichen Grundzüge 
des aus Barlaam und Josaphat bekannten Apologes vom Vogel¬ 
steller, dem die Nachtigall drei Lehren gibt, enthalten, wenn schon 
noch Fuchs und Sperling den Dialog führen.“ G. Paris (a. a. O.), 
der ebenfalls den griechischen Barlaam für die Quelle Vartan’s hält 
ist Roth's Vermutung (wohl ohne sie zu kennen) entgegengetreten: 
‘II y a bien des cas dans lesquels on peut prouver qu’un recit dont 
b»s personnages primitifs etaient exclusivement des animaux les a 
plus tard remplaces en tout ou en partie par des hommes; maia 
la conformite des autres versions et l’etat visiblement altere de cellc- 
ci nous font ecarter. sans hesiter, une semblable hypothese pour le 
cus qui nous occupe.* — Über die von Roth an der gleichen Stelle 
angeführten Parallelen zu unserer Erzählung aus dem klassischen 
Altertum (Fabeln des Babrios), die er, wie es scheint, ihrer¬ 
seits als Vorstufe zu Vartan betrachtet, vergleiche im 4. Abschnitt. 

282 ) wo hl kaum von irgend einer der orientalischen Barlaam- 
versionen (siehe über diese im 3. Abschnitt), auf welche allerdings 



113 


zu suchen sein, mit dem das Geschichtchen, trotz aller 
Verschiedenheiten, doch im wesentlichen zwei Lehren, 
insbesondere aber das „Straußenei“ gemeinsam hat. 

die Bezeichnung des Vogels als ,,Sperling“ weist, wogegen aber 
das ,,Straußenei“ (welchem im arabischen Barlaam ,,Gänseei“ ent¬ 
spricht) mit viel größerer Sicherheit auf den griechischen Text 
deutet. — In letzter Linie käme noch als Quelle in Betracht die 
verlorene Pahlavi- oder auch die syrische Barlaamversion, nach 
welcher eine ältere armenische Barlaamversion existiert haben muß, 
von der eine geringe Spur merkwürdigerweise in der ebenfalls 
Vartan zugeschriebenen armenischen Geographie erhalten ist [Kuhn, 
p. 35, Anm. 4], Denn für die ursprüngliche Gestalt der Parabel 
im Urbarlaam läßt sich nicht erweisen, ob sie ,,Sperling“ und 
,Gänseei“, oder „Nachtigall“ und „Straußenei“ las. Vgl. das 3. 
Kapitel des 3. Abschnittes. 



Tyroller, Die Fabel von dem Mann und iem Vogel. 


8 



Dritter Abschnitt. 


Die Parabel in den orientalischen 
Barlaamversionen und die yon ihr 
ausgegangenen Einzelbearbeitungen. 

1. Allgemeines. 


Wenn in dem vorhergehenden Abschnitte alle die¬ 
jenigen Versionen unserer Erzählung aufgezählt wurden, 
die sich in letzter Linie bis auf den griechischen Bar- 
laam zurückverfolgen lassen, so sollte damit nicht aus¬ 
gesprochen werden, daß die Parabel des griechischen 
Romanes die Urform der Erzählung überhaupt sei. Dies 
konnte umsoweniger behauptet werden, als der grie¬ 
chische Barlaam selbst kein Original ist, kein terminus 
a quo, sondern ‘a mere junction 283 ), und zwar nach 
dem fernen Orient hin, zu einer Reihe von teils erhal¬ 
tenen, teils zu substituierenden morgenländischen, in 
verschiedenen Sprachen abgefaßten Barlaamversionen. 
Die weite Fernsicht, die sich so für den Roman eröffnet, 
tut sich mit ihm auch für unsere Parabel auf, die nicht 
in der griechischen Rezension zum erstenmal auftritt,, 
sondern in allen hierher gehörigen Bearbeitungen des 


288) Jacobs, Barlaam, p. XXVI; vgl. dazu die Ausführungen 
über unsere Parabel auf p. LXXX/I. 



115 


Barlaam vertreten ist 284 ). Daraus ergibt sich mit voll¬ 
kommener Gewißheit» daß unsere Erzählung älter ist als 
der selbst schon sehr alte griechische ßoman. Ebenso 
folgt aber auch daraus, daß sie bereits in der gemein¬ 
samen uns nicht mehr erhaltenen Urform des Barlaam 
enthalten gewesen sein muß. Wenn nun für den ßoman 
als solchen mit Sicherheit indischer Ursprung ange¬ 
nommen worden ist — hat man ja doch in der Gestalt 
des indischen Königssohns Joasaph Buddha selbst wie¬ 
dererkannt — so gilt dasselbe für die in ihn eingeschal¬ 
tete Parabel. 

Derjenige, welcher sich von der Untersuchung der 
einzelnen hierher gehörigen Versionen des Barlaam für 
die Geschichte unserer Erzählung keine besonderen Er¬ 
gebnisse verspräche, wäre im ßechte, wenn die verschie¬ 
denen Bearbeitungen die Parabel ganz auf die gleiche 
Weise erzählten. Aber einmal ist dies nicht der Fall, 
und dann existiert auch eine ganze Beihe von morgen¬ 
ländischen Einzelversionen unseres Geschichtchens, die 
zweifellos ihre Wurzel in letzter Linie im orientalischen 
Barlaam haben; deren Ausgangspunkt gilt es nun in 
der Entwicklung des ßomanes genau zu bestimmen. So 
kann es uns denn keineswegs erspart bleiben, wie bei 
der Durchnahme der abendländischen Barlaamversionen, 
so auch bei den morgenländischen Einzelheit um Einzel¬ 
heit zu untersuchen. 

Freilich kann es dabei unsere Aufgabe nicht sein, 
bloß anhand unserer Parabel uns eine unabhängige An¬ 
sicht auf dem trotz aller Fortschritte der Wissenschaft 
noch äußerst schwierigen Gebiet der Geschichte des 


® 84 ) und zwar mit derselben Tendenz gegen die Götzendiener, 
die G. Paria, Lai (1903, p. 228) wegen ihres christlichen Anstrichs 
für eine Neuerung des Redaktors des griechischen Romans halten 
zu müssen glaubte. 

8* 



116 


orientalischen Barlaam zu bilden, wir können vielmehr 
nur die Aufstellungen der neuesten Wissenschaft inbe- 
zug auf die Filiation der morgenländischen Bärlaam- 
versionen uns vor Augen führen, um uns nach der je¬ 
weiligen Einzeluntersuchung der Parabel zu fragen, ob 
das Verhältnis, in welchem die Gestaltungen derselben 
in den verschiedenen Bearbeitungen zueinander stehen, 
mit jenen Aufstellungen sich vereinbaren läßt oder nicht. 
Hierbei wird wiederum die treffliche Monographie 
Kuhns, welche namentlich hinsichtlich der orientalischen 
Geschichte des Barlaam epochemachend gewirkt hat, un¬ 
sere Führerin sein 285 ). 


2. Die orientalischen Barlaamversionen. 

Von den in diesem Abschnitt zu besprechenden Bar¬ 
laamversionen sind schon seit älterer Zeit bekannt 

a) eine aus dem 13. Jahrhundert stammende von 
dem spanischen Juden Abraham Ibn Chisdai verfaßte 
poetische hebräische Bearbeitung mit dem Titel Ben ha- 
Melech we ha-näzir (Prinz und Derwisch), welche in 
verschiedenen Handschriften, Drucken und Übersetzun- 

f 285 ) Erst- in zweiter Linie die Schrift, in welcher 1896 
JoäejA Jacobs die Resultate Kuhn’s einem weiteren Leserkreise 
mundgerecht gemacht hat: Barlaam and Josaphat. English Lives of 
Buddha. London 1896, 8° (vol. X. der Bibliotheque de Carabas). — 

r. Paris, Lai (1903, pp. 228/9) von der 
Barlaam gab, stützte sich hauptsächlich 
auf die Angaben Zözenbergs in dessen gemeinsam mit P. Meyer 
ve^anSrtÄftfeteri v Aufgabe des Gui de Cambrai (1864). Sic wurde 
schon lS^/idutfch’ Zötenbergs Notice meist antiquiert und ist durch 
die neueren Forschungen vollkommen unbrauchbar geworden. Ver¬ 
gleich^ übrigens ,G.. i l > ^ris l Lai (1903, p. 231,„Ana. 2), wp er eine 
Vorahnung^, dqsj .ripfttigen Sachverhaltes ausspripht, und seine, be- 
geißtertp zu Kuhn’s Ergebnissen in Romania XXIII 

0894), pp! 312/3 N . ,, . 


Djc ki^r^e- Skizze, welche < 
Filiation des orientalischen 



117 


gen verbreitet ist 286 ). Diese Version soll hier nach der 
Übersetzung von Meisel 287 ) zitiert werden; b) der ara¬ 
bische ‘Auszug aus dem Buche eines der ausgezeichne¬ 
ten Weisen Indiens’, handschriftlich in einer im Besitze 
der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Halle 
befindlichen Sammelhandschrift vom Jahre 1688 288 ). 

In der neuesten Zeit erst sind bekannt geworden 

c) eine georgische (grusinische) Bearbeitung mit 
dem Titel: Mudrost’ Balavara 289 ) (Weisheit Balavars), 

d) ein arabischer Text, enthalten als Episode in dem 
theologischen Werke Kamal ad-din wa-tamäm an-ni‘mat 
des Schiiten Abü Ga'far Muhammad ibn ‘Abi ibn Bä- 
bawaih al Qummi (f 381 d. H. = 991 A. D.), hand¬ 
schriftlich in der K. Bibliothek zu Berlin. Davon exi¬ 
stiert in einem Ms. des Brit. Mus. eine altertümliche 
persische Übersetzung, welche die nicht unglaubwürdige 
Angabe hat, daß die Quelle für Bäbawaih gewesen sei 

2 ®6) Vgl. Weisslovits, pp. 17/18; Chauvin, t. III. Weisslovits 
hat einen brauchbaren Prosaauszug von Ibn Chisdai geliefert. 

287) p r i nz und Derwisch oder die Makamen Ibn Chisdais, 
Pest 1860 2 , 8°. Die „Mär vom Gärtner und vom Vögelein“ pp. 
234 ff (21. Pforte). Auf diese Parabel verwiesen: Steinschneider, 
Manna, p. 98; Köhler bei Schiefner, p. XXVI, Anz. f. d. A. IX, 
p. 405; Grünbaum, p. 251; G. Paris, Lai (1903, pp. 230—232); 
Weisslovits pp. 112—114; Kuhn, passim; Steinschneider, Übers, p. 
864, Anm. 99; Jacobs, Barl. p. CXX.I; Chauvin III, p. 103; de 
Cock, p. 123. 

288) H g. von Fritz Hommel in ‘Verhandlungen des VII. intern. 
Orientalist.-Congr. (Wien 1886), Sem. Scct., Wien 1888, pp. 138 
bis 162 (die Par. p. 158), und nach diesem Abdruck übersetzt von 
E. Rehatsek (Book of the King’s Son and the Ascetic) im Journ. 
of the Roy. As. Soc., N. S., XXII (1890), pp. 119—155 (die 
Parabel pp. 148/9). 

289 ) 1888 mit Anmerkungen teilweise herausgegeben von N. 
Marr in den Zapiski vostocnago otdelenija imperatorskago russkago 
archeologiceskago ob§cestva III, pp. 223—260. Der Text der Parabel 
ist nicht mitgeteilt. 



118 


Muhammad ibn Zakarija, d. h. nach v. Rosen und Hom- 
mel 290 ) mit aller Wahrscheinlichkeit der berühmte Arzt 
Abü Bakr Muhammad ibn Zakarija ar-Razi (f 320 
d. H. = 931 A. D.), 

e) ein dritter arabischer Text mit dem Titel: Das 
Buch Balauhar und Büdäsaf in Ermahnungen und 
Gleichnissen voll Weisheit, auf Verantwortlichkeit des 
Mekkapilgers Scheich Nur ad-din ibn G'iwäkhän, Buch¬ 
händlers und Besitzers der Haidaritischen und Safdari- 
tischen Druckerei, gedruckt in der Safdar. Druck, zu 
Bombay, im Jahre 1306 (= 1888/9), 286 pp, 8°. 291 ) 

Was nun die Forschungsergebnisse Kuhns anlangt, 
so stellt er die drei arabischen Texte mit dem hebräischen 
zusammen, ohne sich in bindender Weise über ihr nä¬ 
heres gegenseitiges Verhältnis auszulassen. Der Bom¬ 
bay-Text, von dem Ms. Halle nur ein Auszug wäre, 
scheint ihm der ursprünglichste Text zu sein, und er 
steht nicht an ihn im wesentlichen mit dem in dem be¬ 
kannten literarhistorischen Werke Kitäb al-Fihrist ge¬ 
nannten Kitäb Yüdäsaf wa-Balauhar, welches nach ihm 
die ursprüngliche und einzige arabische Originalversion 
des Barlaam gewesen ist, zu identifizieren. Als End¬ 
resultat einer gründlichen Vergleichung der Paralleltexte 
stellt dann Kuhn 292 ) folgenden Stammbaum auf. 

x 

— 1 - 1 

y 

i 

Ge(orgisch) Gr(iechisch) 

29 °) bei Weisslovits, pp. 131, 134. 

291 ) die Parabel hier pp. 85/6; das Buch stand mir durch 
die Güte des H. Prof. Hommel zur Verf. Hinweise bei Kuhn, pass., 
Jacobs, Barl. p. CXXI; Chauvin III, p. 103 (kurze Inhaltsanalyse), 
de Cock, pp. 121—123 (ebenso). 

292 ) p. 34. 


A(rabi8ch) 



119 


Für y ist er geneigt einen syrischen oder im christlich- 
palästinensischen Dialekt abgefaßten Text anzunehmen, 
während er sich bei x für einen Pahlavi-Text entscheidet, 
dessen Heimat nach ihm 293 ) das östliche Jran mit seiner 
nördlichen Nachbarschaft ist: dort sei im Wettstreit 
der Keligionsparteien (zoroastrische, manichäische, nesto- 
rianische) noch lange vor dem Islam eine christliche 
Umarbeitung der Buddha-Legende mit asketischer Ten¬ 
denz entstanden, ohne daß dabei eine ganz bestimmte 
buddh. Vorlage ausgebeutet worden sei 294 ). 

3. Die Parabel in den einzelnen Versionen. Versuch 
einer Rekonstruktion des Textes in der Urform des 
Barlaamromanes [Anhang No. 55, 56, 57]. 

Eine eingehende Vergleichung des Textes der Pa¬ 
rabel im Bombay-Buch, im Auszug Halle und bei Ibn 

2»8) p. 36. 

294 ) J. Jacobs (a. a. O.) ist in einigen nicht unerheblichen 
Punkten anderer Ansicht als Kuhn; er hält z. B. den Pahlavi- 
Text für die bloße Übersetzung eines indischen Originals; auch ist 
er gegen Kuhns Annahme eines christlichen Verfassers für den 
Pahlavi-Text; am einschneidendsten wäre seine auf nicht unwahr¬ 
scheinlich klingenden etymologischen Erwägungen begründete Tren¬ 
nung des georgischen Textes von dem griechischen und dessen Ver¬ 
pflanzung in die Verwandtschaft der arabischen Texte; wenn er 
ferner für die arabischen und die hebräische Version eine gemein¬ 
same verlorne Grundform annimmt, während Kuhn dieselbe im 
wesentlichen noch im Bombay-Buche erhalten glaubt, so ist das 
mehr oder minder ein Streit um Worte, denn es ist klar, daß das 
erst 1889 gedruckte Bombay-Buch eine man darf sagen tausend¬ 
jährige Geschichte hinter sich haben muß, in welcher Veränderungen 
unausbleiblich waren, weshalb man das Bombay-Buch wohl als den 
Sprößling einer verlorenen Urform ansprechen kann; sioher falsch 
ist es aber, wenn Jacobs trotz der klaren Ausführungen Kuhns 
den Bombay-Text aus Ibn Bäbawaih fließen läßt (Jacobs, Barlaam^ 
Pedigree). 



120 


Chisdai sowie ihre Gegenüberstellung mit dem Text 
der griechischen Parabel soll uns in erster Linie über 
ihr gegenseitiges Verhältnis unterrichten, dann aber auch 
die ursprünglichste Fassung der Parabel in der arabi¬ 
schen Originalübersetzung und soweit möglich auch im 
Pahlavi-Urtext Kuhns feststellen helfen. Zu diesem 
Zwecke teilen wir die Erzählung in sieben Abschnitte: 

I. Bis zur Gefangennahme des Vogels. 
Bomb., Ausz. und Chisdai berichten übereinstimmend 
von einem Manne (einfach ragul), dem Besitzer eines 
Gartens, der einen Obst plündernden Sperling (Bomb. 
Ausz. ‘usfür = Sperling, avicula; Chisd. uck = avi- 
<jula, etym. Entsprechung) in einer Schlinge fängt. 
Dieser ganze Passus wird demnach so in der ursprüng¬ 
lichen arabischen Version gestanden haben. Demgegen¬ 
über ist der entsprechende Abschnitt im Griechischen 
sehr kurz ausgefallen: von einem Garten ist überhaupt 
nicht die Bede 295 ); der Mann heißt ein It-evTrjs, welcher 
eines von den ganz kleinen orgovMa (Sperlinge), ärjdwv 
genannt, erjagt. Die letztere Bezeichnung ist viel¬ 
leicht eine Neueinführung des Griechischen; i&vrrjs 
läßt sich möglicherweise als Einwirkung einer Über¬ 
schrift erklären, ähnlich wie auch im Ausz. der Mann 
in der Überschrift §ajjäd (Jäger) heißt, obwohl in der 
Fabel selbst von einer gewerbsmäß. Betätigung nicht 
die Rede ist. 

II. Zwiegespräch bis zu den drei Lehren. 

Der Wortlaut vom Bomb., Ausz. und Chisdai scheint 
auf eine Gestalt des ursprünglichen arabischen Textes 


295) Das Vorhandensein des Gartens und des Motives der 
Fruchtplünderung läßt sich demnach für die Urform der Parabel 
nicht erweisen. Vgl. unten im vierten Abschnitt. 



zu führen, die mit der Fassung in Bomb, so ziemlich 
identisch gewesen sein muß. Ms. Halle in seiner prä¬ 
gnanten Kürze beweist seinen Charakter als Auszug 296 ); 
das Hebräische schließt sich so ziemlich der Urform 
an, nur daß das Zwiegespräch um eine Rede und Ant¬ 
wort, deren ursprüngliches Vorhandensein durch Ausz. 
bestätigt wird, gekürzt ist, indem das Vöglein, ohne 
vorher eine Anspielung zu machen, gleich auf den Rat, 
den es allenfalls zu erteilen bereit wäre, zu sprechen 
kommt. Die Dreizahl der Weisheiten ist bei Chisd. erst 
viel später (v. 158) in einer jedenfalls von ihm neu 
eingeschobenen Partie genannt. Außerdem gibt Chisd. 
(v. 11—34) eine Art elegischer Arie des Vögelchens über 
das Thema, wie beklagenswert es sei, daß die Menschen 
den Vogelgesang, dessen Verstehen sie vor manchem 
Unstern bewahren könnte, nicht verstünden. Der Rest 
dieses eingeschobenen Teils ist eine Art Erklärung dafür, 
warum der Gärtner den Gesang des Vogels dennoch ver¬ 
stehen kann. — Der griechische Text hat gegenüber dem 
arabischen mit seinem dreimaligen Wechsel von Rede 
und Gegenrede nur einen einmaligen, und dies sowie der 
Umstand, daß die Erwiderung des Mannes in indirekter 
Rede gegeben iät, nimmt dem Griechischen das Merk¬ 
mal der Ursprünglichkeit. Auch der Verfasser dieser 
Version fühlt sich gleich Chisd. verpflichtet eine Er¬ 
klärung dafür zu geben, daß der Mann die Sprache des 
Vogels versteht, und er macht seine Sache jedenfalls 
geschickter als der Hebräer, indem er sich durch die 
Annahme eines Wunders hilft: tdöfh) (pcovr) ^vagd'Qog; 
demgemäß muß der Grieche auch das Erstaunen des 

m ) Rehatsek setzt im letzten Satz dieses Abschnittes: not 
tili thou swearest to set me at liberty, zwischen me und at ein 
'first' ein, aber ganz sinnwidrig, da der Vogel doch erst nach 
der Erteilung der drei Lehren freigelassen wird. 



122 


Mannes über diese wunderbare Erscheinung betonen. 
Aber beide Erklärungsversuche, der des Griechen so 
gut wie der des Hebräers, erweisen sich eben durch ihre 
Verschiedenheit als spätere Zusätze, deren die ursprüng¬ 
liche, märchenhaft einfache Form der Erzählung nicht 
bedurfte. — Einige andere geringfügige Verschieden¬ 
heiten des griechischen Textes gegenüber dem arabischen 
erweisen sich als unwesentliche Zusätze, die allerdings 
zu einer glatten Gedankenfolge auch mit beitragen. Daß 
der Schwur des Mannes im arabischen Text im Grie¬ 
chischen zu emrjyye'daxo abgeschwächt ist, muß wohl 
auf Rechnung des griechischen geistlichen Verfassers 
gesetzt werden. 

III. Die drei Lehren. 

Bomb, und Chisd. leiten gegen Ausz. die drei Lehren mit 
einer Aufforderung zur Beherzigung ein, wohl wie in 
der ursprünglichen Übersetzung. Was die Reihenfolge 
der drei Lehren anlangt, ,so hieweist das übereinstimmende 
Zeugnis von Ausz. und Chisd., daß in Bomb, die ur¬ 
sprüngliche Folge: ,,verzweifeln“, ,,suchen“, „glauben“ 
gestört worden ist. Chisd. hat bei der ersten Lehre dem 
Sinne gemäß „Unersetzliches“ statt „Verlornes“ einge¬ 
setzt, dürfte aber damit den genauen Wortlaut der 
Urschrift nicht getroffen haben, da „Verlornes“ auch 
durch das Griechische erhärtet wird. Der Hebräer hat 
übrigens in den Versen 51—128 und 132—135 einen 
unverhältnismäßig langen Einschub, der im wesent¬ 
lichen eine merkwürdige Einkleidung zu den drei Leh¬ 
ren bildet, umflochten von dem üppigen Rankenwerk 
jüdischer Sage 297 ). — Der griechische Text hat die drei 

m ) Steinschneider, Manna, p. 98, und Meisel in seiner Über¬ 
setzung geben mehrfach Nachweise, hier wie an anderen Stellen des 
Gedichtes, die zu verfolgen nicht unsere Sache ist, da sie mit dem 
Kern der Erzählung nichts zu schaffen haben. 



123 


Lehren im selben Wortlaut, wie die arabische Version, 
die Mahnung zur Beherteigung steht hier am Schluß. 
Die Lehre vom „Glauben“ finden wir auch hier an 
letzter Stelle, so daß ihr auch im Pahlavi-Text dieser 
Platz zukommt. Die beiden anderen Lehren stehen in 
umgekehrter Folge wie beim Araber; welches die ur¬ 
sprüngliche war, läßt sich nicht entscheiden. 

IV. Die Entlassung des Vogels. 

Der Wortlaut von Bomb, scheint gemäß seiner wesent¬ 
lichen Übereinstimmung mit dem etwas volleren bei 
Chisd. und dem etwas knapperen des Auszugs die ur¬ 
sprüngliche arab. Fassung gewesen zu sein; nach ihr 
setzt sich der entflohene Vogel auf einen Ast. Im grie¬ 
chischen Text dagegen ist von einem Baum nicht die 
Rede, und gleich nachher wird der Vogel als in den 
Lüften schwebend geschildert; aydi/xevog scheint nur 
ein späterer Zusatz, um iganeoTede noch näher zu 
motivieren. 


V. Des Vögleins Probe. 

Auch hier geht aus einem Vergleiche zwischen Bomb., 
Ausz. und Chisd. der eristiere Text als der ursprüngliche 
hervor. Die Zwischenfrage des Mannes ist für die ara¬ 
bische Originalversion gesichert. Der Edelstein im Ma¬ 
gen des Vogels heißt in allen drei Versionen eine 
Perle 298 ), die nach Bomb, und Ausz. so groß wie 
ein Gänseei ist (durrah ka-bai-dati ’l-iwazza^h); dem 
gegenüber hat der hebräische Text nrrrn nara 2 ") 

298) Die Übersetzung Meiseis „Edelstein“ durch jene in Stein¬ 
schneiders Manna „Perle“ berichtigt. 

299) Weisslovits, p. 112. 



124 


(Straußenei), was aber nichts anderes sein dürfte als 
eine nachträgliche Reminiszenz ans Griechische 300 ). — 
Die griechische Parabel hat auch hier wieder die Zwie¬ 
sprache zu einer bloßen Anrede des Vogels vereinfacht. 
Die Stelle . . . dsXovoa fxa'&elv . . . scheint wieder¬ 
um eine erklärende Beifügung, deren die ursprüngliche 
naive Form der Erzählung wohl nicht bedurfte. 
Der juagyaghris stimmt vorzüglich zu durrah, aber 
statt des Gänseeis finden wir im griechischen Texte 
OTQov'&oxa/u.^Xov d>ov (Straußenei), über dessen Be¬ 
rechtigung in der Urform der Erzählung sich streiten 
ließe 301 ). 

VI. Der Mann besteht die Probe nich't. 

Mit Ausnahme des ersten Satzes, (von der Reue des 
Mannes über die Freilassung handelnd), welcher bei 
Bomb, jedenfalls aus einem Versehen ausgefallen ist, 
bietet Bomb, zweifellos die ursprüngliche Fassung der 
arabischen Version. Fraglich ist nur, ob bei ihm der 
fehlende erste Satz nach der kräftigeren Form von Chisd. 
oder nach der farbloseren im Ausz. rekonstruiert werden 
soll. — Der griechische Text stimmt in diesem Abschnitt, 
man möchte fast sagen, wörtlich zu Bomb., wir haben 
also hier ein Stück des Urtextes fast intakt erhalten. 

VII. Die Nutzanwendung des Vogels. 

Auch hier bietet Bomb, ohne Zweifel die ursprünglichste 
Fassung unter den oriental. Versiönen. Ihr zufolge 

300 ) Simchath hanefesch (siehe unten p. 128), welches sicher auf 
Ibn Chisdai zurückgeht, hat ,,Gänseei“ erhalten, es muß also auch 
im ursprünglichen Text Chisdais gestanden haben. 

S01 ) Vielleicht war ,,Gänseei“ das Ursprüngliche, und der 
Grieche nahm die Änderung vor, um einen Kontrast zu konstruieren, 
der wegen der Ähnlichkeit der Wörter oTgovfilov und orgov^oxdfjtrjXog 
um so wirksamer sein mußte. 



125 


kommt zuerst eine bei Chisd. fehlende, im Äusz. anders 
gestellte Partie, in welcher der Vogel dem Manne zuruft, 
er hätte ihn nicht freilassen sollen. Die Stellung dieses 
Satzes am Anfänge der Rede des Vogels wird durch die 
bugische Einzelversion unserer Erzählung 302 ) erwiesen. 
Das Griechische hat keinen diesem Satz entsprechenden 
Passus, weswegen sein Vorhandensein in der Urschrift 
sich nicht erweisen läßt. Diese auf den ersten Blick 
etwas sonderbar anmutenden Worte des Vogels haben 
insoferne innere Berechtigung, als er damit vielleicht 
sagen wollte: du hast von mir absolut keinen Nutzen 
durch die drei Lehren gehabt, hättest also in deinem 
Interesse besser getan mich zu behalten. Übrigens lie¬ 
fert uns diese Stelle einen äußerst wichtigen Anhalts¬ 
punkt dafür, wo der Ausgangspunkt für eine ganze 
Reihe von orientalischen Einzelversionen anzusetzen 
ist 303 ). — Nach dieser etwas zweifelhaften Stelle muß 
im ursprünglichen arabischen Text, wie in Bomb., die 
Konstatierung des Vogels gekommen sein, daß der Mann 
keinen Nutzen von den drei Lehren gehabt habe. Dieser 
folgte die einfache Repetition der drei Lehren (auch hier 
hat Bomb, wieder eine jüngere Reihenfolge), und den 
Schluß bildete die Anwendung derselben auf den spe¬ 
ziellen Fall des Mannes (hier hat Bomb, die ursprüng¬ 
liche Folge erhalten). Die Nutzanwendung der dritten 
Lehre im Auszug i^t ziemlich geschraubt und 'wird 
kaum das Urbild repräsentieren. — Der griechische Text 
beginnt wie die arabischen mit der Anrede des Mannes 
als eines Toren, die Stelle aber, wo diesem gesagt wird, 
er hätte die Beute nicht freilassen sollen, fehlt. In 
de£äjuevos jiqo&vuo)<; ist sichtlich' nachträglich der 


302 ) siehe unten 134 ff. 

303 ) siehe unten 136 ff. 



126 


Kontrast zu ovde/utav äxpiXeiav inexTrjooi konstruiert. Die 
drei Lehren werden beim Griechen ebenfalls 'wieder¬ 
holt, aber die Nutzanwendung ist immer gleich bei jeder 
einzelnen angeknüpft. Der ganze Abschnitt ist wort¬ 
reicher gehalten- als beim Araber, die Moral als die 
Hauptsache mußte eben von dem lehrhaften Griechen 
genügend hervorgehoben werden. 

Ein Abschluß der Parabel wie etwa: ,,Der Vogel 
flog davon“ oder ähnlich findet sich in keiner der hier 
verglichenen Versionen. 

Das Schlußresultat unserer Untersuchung kann 
nicht zweifelhaft sein: in den allermeisten Fällen gehen 
Bomb., Ausz. und Chisd. eng miteinander, und zwar 
scheint fast immer Bomb, den ursprünglichen Text zu 
haben, da manchmal auch durch auffallende Überein¬ 
stimmung mit dem griechischen Text seine Originali¬ 
tät nach weist. Diesen drei Versionen gegenüber geht 
die griechische Bearbeitung so ziemlich ihren eigenen 
Weg, namentlich hat sie die lebhafte dramatische Gang¬ 
art, die wir wohl im Original voraussetzen dürfen, 
durch Kassierung der Beden des Mannes und durch 
mancherlei erklärende Beifügungen erheblich abge¬ 
schwächt. 

Nach diesen Feststellungen können wir die von 
Kuhn für die Barlaamversionen des Orients erschlossene 
Filiation mit gutem Gewissen als auch für unsere Pa¬ 
rabel zutreffend bezeichnen. 

Bei der Fixierung der ursprünglichen Fassung der 
Parabel in der für Bomb., Ausz. und Chisd. gemeinsamen 
Vorlage stoßen wir auf geringe Schwierigkeiten, für die 
Rekonstruktion des Textes in Kuhns Pahlavi-Original je¬ 
doch ist die Unzugänglichkeit des georgischen Textes 
ein schmerzliches Hemmnis, dessen Beseitigung erst in 
vielen Punkten die nötige Sicherheit (gewährleisten würde. 



127 


4. Die von Ihn CMsdäi ausgegangenen jüdischen Bear¬ 
beitungen unserer Erzählung [Anhang No. 58, 59, 60]. 

Ibn Chisdai’s hebräische BarlaamVersion ist in jü¬ 
disch-deutscher, und darnach in hochdeutscher und hol¬ 
ländischer Sprache verschiedentlich bearbeitet »worden, 
ein Kapitel, auf das hier nicht näher eingegangen wer¬ 
den kann 304 ). 

Die hochdeutsche gereimte Übersetzung Meiseis, in 
der unsere Parabel, 190 Verse umfassend, unter dem 
Motto: „Wer alles glaubt, was er vernommen, — Ist 
um das Seine schnell gekommen“ steht, ist bereits im 
letzten Kapitel verwertet worden. 

Schon vor iMeisel ist übrigens die Parabel Ibn Chis- 
dai’s für sich allein von Moritz Steinschneider 305 ) ins 
Hochdeutsche übersetzt worden, Ineist in gereimter Prosa. 
Das Motto ist hier so übertragen: „Wer alles glaubt — 
dem wird geraubt— was er zusammengeklaubt.“ 

Hier ist auch die jüdisch-deutsche Version unserer 
Erzählung zu nennen, welche als bin im Erbauungs- 
buchecc:n rnevs 306 ) (Seelenfreude) aufgenommen worden 
ist. Diese Bearbeitung schließt sich fast in jeder 


804 ) Siehe die betreffenden Verweise im letzten Kapitel, wozu 
noch Kuhn, p. 45 und de Cock, p. 117 zu fügen ist. 

305 j Manna, Berlin 1847, 8°, pp. 41—46, Anmerkungen dazu 
p. 98. — Verweise auf diese Übersetzung in unserem Zusammenhang 
bei Steinschneider, Catal. p. 605, No. 3870; ders. zu Kalila we- 
Dimna, p. 562; Köhler bei Schiefner, p. XXVI; Kuhn, p. 75; 
Steinschneider, Übersetzer, p. 864, Anm. 99. 

906 ) Gedruckt 1706 zu Frankfurt a. M., 1718 zu Sulzbach; 
Vf. Hendel Kirchhahn; Grtinbaum, Jüdisch-deutsche Chrestomathie, 
pp. 249—251 (vgl. 238), hat das bc’B in latein. Umschrift ab¬ 
gedruckt. Hinweise bei Benfey I, p. 381; Österley Wend. V; p. 
107/8, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 231 Anm. ,1); 
Jacobs, Aes. I, p. 265; Weisslovits, p. 114; Steinschneider, Über¬ 
setzer, p. 864, Anm. 99. 



128 


Einzelheit an die Parabel Ibn Chisdai’s an, so in der auf¬ 
fallenden Umstellung der drei Lehren bei der Nutzan¬ 
wendung, in den Worten des Vogels nach der Erteilung 
der drei Lehren: ‘die dreierlei werstu mit der Zeit er- 
farn, was der nutzen dervon is’, in dem Niederfallen 
des Mannes ob dem Schreck über seinen Verlust, und 
in seiner Versicherung den Vogel zu halten wie sein Kind 
und zu hüten wie seinen Augapfel. Demgegenüber fällt 
uns die Auslassung fast sämtlicher Partien, die wir 
im vorigen Kapitel als Einschübe Ibn Chisdai’s gekenn¬ 
zeichnet haben, nicht allzu sehr auf, da diese Interpola¬ 
tionen sich leicht als solche erkennen lassen und für den 
Gang der Erzählung ganz unwesentlich sind. Auch der 
Umstand, daß der Vogel des bca ‘alle tag’ kommt um 
seinen Schaden anzurichten, wird kaum in die Wag¬ 
schale fallen. Schwierig ist nur das eine, daß das 
3T2B wie die arabischen Barlaamjversionen von einem 
„Gänseei“ spricht, während Ibn Chisdai „Straußenei“ 
liest. Es bleibt nur die eine Erklärung übrig, daß in 
den von Steinschneider, Meisel und Weißlovits einge¬ 
sehenen Exemplaren des hebräischen Barlaam zwar 
„Straußenei“ steht, daß aber in anderen ursprüng¬ 
licheren Handschriften und Drucken, auf welche das 
zurückgeht, das auch durch den Vergleich mit 
dem arabischen Barlaam geforderte „Gänseei“ sich noch 
richtig vorfand. 

Mit der soeben besprochenen jüdischen Version 
hängt zusammen eine hochdeutsche Bearbeitung unserer 
Erzählung von A. Tendlau 307 ) mit dem Titel ‘der ver- 

s°7) i n (J em seltenen Büchlein: Fellmeiers Abende. Mährchen 
und Geschichten aus grauer Vorzeit. Frankfurt am Main, Litte- 
fiarische Anstalt (J. Rütten), 1856, 8° (X und 290 S.). Das Ge- 
schichtehen (No. 21) hier pp, 147—149. (Hinweise bei Steinschnei¬ 
der, Zu Kalila we-Dimna p. 562; Köhler bei Schiefner p. XXVI; 



129 


geßliche Schüler’. Wir treffen hier im Vergleich mit 
dem hebräischen iBarlaam dieselbe Kürzung wie im 
obigen bsa, zudem stimmt der Ausdruck vielfach, 
namentlich bei der zweiten und dritten Lehre, wörtlich 
mit dem des jüd. Erbauungsbuches überein. Nur ist 
am Anfang die Schilderung des Gartens etwas ausge¬ 
führt, die drei Lehren sind außer in der überkommenen 
Form auch je durch ein versifiziertes Sprüchlein ge¬ 
geben, und endlich ist die Reihenfolge der Lehren bei 
der Nutzanwendung dieselbe wie bei der Erteilung. 

5. Die beiden aus dem orientalischen Barlaam geflos¬ 
senen persischen Einzelversionen der Erzählung [An¬ 
hang No. 61, 62]. 

Die arabische Barlaamversion des Ibn Bäbawaih 
wurde schon sehr früh ins Persische übertragen, 308 ), 
und so gelangte auch unsere Parabel ins persische 
Sprachgebiet hinein. Wenn wir nun bisher zwei per¬ 
sische Einzelversionen unserer Geschichte kennen, deren 
nahe Verwandtschaft mit der Parabel des orientalischen 


Kuhn, p. 75; Steinschneider, Übers, p. 864, Anm. 99.) Merkwürdig 
ist die Einkleidung dieser Gesehichtensamml. Der Vf. erzählt aus 
seiner Jugendzeit, wie alle Winter ein bejahrter Mann in auf¬ 
fallender Kleidung in sein Geburtsstädtchen gekommen und in sei¬ 
nem Vaterhaus, der Wirtschaft zum Rebhuhn, Wohnung genommen 
habe. Wegen seines Handels mit Fellen habe man den Alten, der 
Meier geheißen, kurzweg nur den Fellnieier genannt. Dieser Mann 
nun pflegte hie und da abends den Kindern des Hauses Geschichten, 
Sagen und Märchen zu erzählen. Als dem Vf. in seinen späteren 
Jahren manch eines von jenen Büchern zur Hand kam, aus denen 
diese Erzählungen entlehnt sein mochten, erwachte in ihm der Ge¬ 
danke die alten Geschichtchen neu zu erzählen und damit zugleich 
auch dem ersten Erzähler ein Denkmal zu setzen [Tendlau, pp. 
V/VI]. — Eine Quelle ist zu unserer Erzählung nicht angegeben. 

808) Vergl. oben p. 117. 

Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 


9 



130 


Barlaam unverkennbar ist, so ist es nicht unwahrschein¬ 
lich, daß sie vom persischen Barlaam ihren Ausgang 
genommen haben. 

Die eine von ihnen stammt von einem ungefähren 
Zeitgenossen des Hafis (f 1389), Dschelaleddin Dschaa- 
fer Ben Ferchani 309 ). Die persische Eigenart verleugnet 
sich in ihr nicht, wie z. B. die Schilderung des Gartens 
allein 12 Verse umfaßt. Allerdings ist der sprachliche 
Ausdruck noch lange nicht so geschraubt wie in der 
zweiten persischen Version. Bis zur Gefangennahme des 
Vogels (v. 1—22) herrscht vollkommene Übereinstim¬ 
mung mit der von uns rekonstruierten ursprünglichen 
arabischen Version. Der Name des „Vögleins“ ist aller¬ 
dings nicht genannt, doch macht uns das wegen der 
unbestimmten Bedeutung von ar. ‘usfür’ keinerlei Be¬ 
denken. — In dem nun folgenden Abschnitt ist das 
Zwiegespräch gänzlich beseitigt, indem der Vogel allein 
spricht und noch dazu an die Versicherung, daß seine 
Tötung keinen Vorteil bringen werde, in einem Atem 
die drei Lehren anknüpft, ohne sich vorher zu verge¬ 
wissern, ob denn der Mann sich überhaupt auf einen 
solchen Handel einlasse. Die drei Worte sind in der 
Weise umgestellt, daß „Glauben“ an die erste Stelle 
rückt. Die Entlassung (v. 41—45) vollzieht sich in 
der gewohnten Weise. Bei der Probe des Vogels (v. 46 


309 ) ,,einem reichen Landmann, der Dichtern gerne diente, 
weil er selbst ein Dichter war. Er trat in die Fußstapfen Saadi's 
und verfertigte in beiläufig tausend Versen ein Seitenstück zum 
Magazin der Geheimnisse Nisami's. Dewletschah [in seinen Bio¬ 
graphien der Dichter, Hamm. p. VII] gibt daraus die folgende 
Geschichte . . .“ So die Worte v. Hammers, Geschichte der schönen 
Redekünste Persiens, Wien 1818, p. 222, als Einleitung zu seiner 
gereimten deutschen Wiedergabe des persischen Textes, die 81 Verse 
umfaßt. — Auf Hammer verweist Chauvin III, p. 103. 



131 


bis 51) ist das Zwiegespräch abermals zu einer bloßen 
Anrede des Vogels geworden. Statt der Perle von der 
Größe eines Gänseeis finden wir nur einen „Edelstein, 
groß wie ein Ei“ 310 ). Ganz in derselben Weise wie im 
Bombay-Text ist die Schilderung gehalten, wie der Mann 
die Probe nicht besteht (v. 52—61); etwas ungeschickt 
ist die Einfügung, wonach der Mann den Vogel dadurch 
zu ködern sucht, daß er ihm erklärt, er (der Vogel) sei 
mehr wert als Edelstein. Im letzten Abschnitt der Er¬ 
zählung, der Nutzanwendung (v. 62—79), scheint der 
Text 311 ) etwas unzuverlässig zu werden, indem manches 
nicht mehr recht verständlich ist. Die Verse 64/5 gehen 
dem Sinne nach wohl auf die Stelle der arabischen Ver¬ 
sion zurück, wo der Vogel dem Manne zuruft, er hätte 
ihn nicht aus den Händen lassen sollen. Die eigentliche 
Nutzanwendung erfolgt in ziemlich freier Weise und in 
andrer Folge als die Lehren selbst erteilt worden sind. 
Damit wäre die Erzählung zu Ende; auch hier wird 
das Enteilen des Vogels nicht eigens erwähnt. Den 
tatsächlichen Abschluß bilden zwei Verszeilen (v. 80/81), 
welche die von dem Bearbeiter statt der Ausschlachtung 
gegen die Götzendiener neu in die Geschichte hinein¬ 
gelegte Moral enthalten: Dein Sinn soll nicht nach 
Beichtum stehen 312 ). 

Die zweite jüngere persische Version, welche mit 
der vorausgehenden wohl in keinem Zusammenhänge 
steht, findet sich in dem aus dem Anfang des 18. 
Jahrhunderts stammenden Werke Mahbüb al-Kulüb 


31 °) vielleicht nur eine Ungenauigkeit der Hammerschen Über¬ 
setzung. 

811 ) oder nur Hammers Übersetzung ? 

31i ) Diese Moral ist in dem Gedichte selbst (v. 55) schon 
einmal angedeutet. Wir erinnern uns hiebei an das Lai de l’Oiselet, 
die Scala celi etc., die eine ähnliche Moral predigen. 


9 



132 


(Entzücken der Herzen) des Barkhwardär bin Mahmud 
Turkmän Farähi 313 ). Zur allgemeinen Charakteristik 
der Bearbeitung sei vorausgeschickt, daß der Verfasser 
sie mit allen bizarren und gesuchten Floskeln des ge¬ 
künsteltsten persischen Stiles umkleidet hat, eine Eigen¬ 
art, die den Genuß sehr verringert. Im einzelnen folgt 
die Erzählung den Grundzügen der orientalischen Pa¬ 
rabel. So gleich im ersten Abschnitt, wo freilich inso- 
ferne kleine Abweichungen zu konstatieren sind, als der 
Name des ,,kleinen Vogels“ nicht genannt ist 314 ), als 
der Garten einem reichen Mann in der Stadt Balkh ge¬ 
hört, und endlich, insoferne als der Vogel sein Zer¬ 
störungswerk längere Zeit betreibt, so daß der Gärt¬ 
ner ihn öfters dabei überraschen kann. — Im zweiten 


313 ) genannt Mumtäz, der während der Regierung des Schahs 
Sultan Husain (1693—1722) blühte. Über die merkwürdigen vom 
Verfasser selbst erzählten Schicksale dieses (auch ‘Shamsah ü Kah- 
kahah* genannten) Werkes vergleiche man Clouston, pp. XXII bis 
XXIV. Der persische Text dieser großen Sammlung von Erzäh¬ 
lungen ist 1852 in Bombay gedruckt worden; zwei handschriftliche 
Exemplare befinden sich im British Museum (Clouston, pp.XXIV/V). 
Edward Rehatsek wählte eine Anzahl Geschichten aus diesem Werke 
aus und veröffentlichte sie in englischer Übertragung 1871 in 
Bombay unter dem Titel ‘Amusing Stories’, unsere Erzählung dar¬ 
unter als No. XXVIII, p. 154 [G. Paris, Lai (1903, p. 232 
Anm. 1)]. Einige Stücke aus dieser Auswahl hat dann 1889 
Clouston einer Durchsicht unterzogen und in seinem Buch ‘A Group 
of Eastern Romances and Stories’ neu abgedruckt, darunter unsere 
Erzählung mit dem Titel ‘The Gardener and the Little Bird’ 
pp. 448—452. 

3U ) Die Übersetzung Rehatsek’s hat „Staar“ (‘etourneau’, G. 
Paris, a. a. O.), worauf zweifellos Clouston’s Bemerkung (a. a. O. 
p. VII) sich bezieht: ‘I have taken a few liberties [with JMr. 
Rehatsek’s translations from the Persian], but had he revised them 
himself, I feel sure he would have made very similar alterations’. 
Übrigens läßt sich ,»kleiner Vogel“ ganz gut mit ar. ‘usfür’ ver¬ 
einbaren. 




133 


Abschnitt, der Zwiesprache zwischen den beiden, ist 
der Hinweis des Vogels auf seine geringe Größe weg¬ 
gefallen nnd dafür eine weitschweifige Schachtelerzäh¬ 
lung des Vogels eingefügt, mit welcher er dem Mann 
beweisen will, daß er nur deswegen das Obst zerstört 
habe, weil es infolge einer Heimsuchung Gottes in dem 
eben laufenden Jahr giftig geworden sei. In dieser Er¬ 
zählung wird auch auf den sagenhaften Verkehr des 
Königs Salomo mit den lapwings or hoopoes ange¬ 
spielt. Nach diesem Einschub geht es regelrecht im 
alten Geleise weiter, indem der Vogel seinen Vorschlag 
der drei Lehren macht. Der Charakter des Zwiege- 
spiächs ist weder hier noch auch späterhin erheblich 
geschmälert. Was nun die drei Weisheiten selbst an- 
langt, so ist hier „Glauben“ die zweite und „Bereuen“ 
die dritte, statt „Streben“ ist aber eine neue eingeführt: 
‘never trust persons of a low and uncongenial disposi- 
tion’, offenbar mit der Lehre „Unmöglichem nicht Glau¬ 
ben schenken“ nahe verwandt. — Die Entlassung und 
die Probe des Vogels werden in der gewohnten iWjeisq 
erzählt; statt „Gänseei“ lesen wir „Entenei“, eine wegen 
der nahen Verwandtschaft der beiden Arten wohl ganz 
unerhebliche Verschiedenheit. Die Art und Weise, wie 
der Mann seine Probe nicht besteht, ist hier etwas ge¬ 
ändert, nicht ohne den Einfluß der bei den drei Lehren 
vor sich gegangenen Änderung. Nachdem die Lehre, 
nach Unerreichbarem nicht zu streben, aus dieser Ver¬ 
sion verschwunden ist, sollte man meinen, daß konse¬ 
quenterweise auch die Übertretung dieser Lehre durch 
den Mann gestrichen worden wäre; das ist aber nicht 
der Fall, nur wird die Zuwiderhandlung in der Nutzan¬ 
wendung vom Vogel nicht mehr moniert. Der Vor¬ 
gang ist jetzt so: zuerst kommt die sehr übertriebene 
Reue des Mannes, dann folgt dessen Versuch zur Wie- 




134 


dererlangung, wobei aber keine Schmeichelworte Ver¬ 
wendet werden; der Vogel aber setzt sich auf einen 
noch höheren Baum als vorher und gibt dem Manne, 
jedoch ohne Bezugnahme auf eine vorhergehende Lehre, 
zu verstehen, daß er sich nicht mehr fangen las¬ 
sen wolle; darauf neue Zeichen der Reue und dete 
Schmerzes bei dem Manne, was den Anknüpfungspunkt 
für die eigentliche Nutzanwendung abgibt, in der die 
three maxims nacheinander mit sofortigem Nachweis 
der Übertretung wiederholt werden. Den Schluß bildet 
die Schilderung, Wie der Vogel den Augen des Mannes 
entschwindet. 

Es kann wohl kein Zweifel bestehen, daß die vor¬ 
liegende Version durch die in ihr sich findenden nach¬ 
träglichen Änderungen nicht allzuviel gewonnen hat, 
und daß sie von der Naivität und Ursprünjglich'keit 
des Originals jedenfalls weit entfernt ist. 

6. Die bugische Einzelversion unserer Geschichte und 
ihre Bedeutung als Bindeglied zwischen der Parabel des 
orientalischen Barlaam und der Gruppe der arabischen 
Einzelversionen [Anhang No. 63]. 

Im unmittelbaren Zusammenhänge mit dem ara¬ 
bischen Barlaam soll hier eine Einzelversion unserer 
Erzählung besprochen werden, die teils noch sehr deut¬ 
liche Spuren ihrer Herkunft aus der Parabel enthält, teils 
aber schon eine Reihe von Eigentümlichkeiten aufweist, 
welche sie zu einem ungemein wichtigen BindeglieÜe 
zwischen der Parabel und einer ganzen Gruppe von 
Einzelversionen machen. Die Heimat dieser Bearbei¬ 
tung ist sonderbar genug Celebes, die Sprache, in der 
sie abgefaßt ist, das Bugische, ein mit dem Malaischen 
verwandtes Idiom. 



135 


Die tragische Bearbeitung ist, man möchte fast 
sagen, organisch verbunden mit einer Version der in 
der Weltliteratur so weit verbreiteten Eustathius-Pla- 
cidus-Legende, nämlich mit der Geschichte vom König 
Indjilai 315 ), deren Verlauf ungefähr folgender ist: Ein 
Heiliger, der dem König wohlwill, sieht, daß dieser 
ohne sein Eingreifen die ihm von Allah gestellte Lebens¬ 
aufgabe nicht erfüllen könne. Er läßt sich deshalb 
in der uns bekannten Weise in der Gestalt einer Turtel¬ 
taube von dem Könige fangen und entkommt nach Er¬ 
teilung der drei Lehren wieder. Die Dummheit, der 
sich der König bei dieser Gelegenheit schuldig gemacht 
hat, vernichtet sein Ansehen beim Volke, und er wird 
samt seiner Frau und seinen z!wei Söhnen vertrieben. 
Auf der Flucht hält er unter einem Feigenbäume Bast, 
auf dem dieselbe Turteltaube, die gerade abwesend ist, 
ihr Nest hat. Der König holt auf Bitten eines seine(r 
Söhne das Junge der Turteltaube zum Spielen vom 
Baum herunter, und dafür trifft ihn der Fluch des alten 
Vogels. Die ganze Familie wird zerstreut, aber nach 
einer Zeit der Prüfung und Läuterung schließlich glück¬ 
lich wieder vereinigt. 

Man sieht, die Einfügung unserer Geschichte hat 
keinen anderen Zweck als die Vertreibung der Königs¬ 
familie zu motivieren, und die Verschmelzung, mag sie 
auch ziemlich ungeschickt sein, ließ sich insoferne leicht 


816 ) Autor, Ort und Zeit der Abfassung sind gänzlich un- 
kannt; hg. von Matthes in seiner Bug. Chrestomathie I, pp. 28 
bis 64 (mir nicht zugänglich), ins Deutsche mit sachlichen und 
sprachlichen Anmerkungen übersetzt von Renward Brandstetter, 
Malaio-Polynesische Forschungen, IV (1895), die Übers, der Erz. 
hier pp. 1—5; Hinweise in uns. Zus. von F. Müller, Wiener 
Zeitschr. f. d. Kunde des Morgenl. X, pp. 159/160; M. Hartmann, 
Z. d. V. f. Vk. VII, p. 106: Orientalist. Lit.-Z. II, p. 341. 



136 


bewerkstelligen, als man die fluchende Turteltaube der 
ursprünglichen Indjilai-Sage nur mit dem die Lehren 
spendenden Vogel zu identifizieren brauchte. So er¬ 
klärt sich denn gleich das Verschwinden des „Sper¬ 
lings“ und die Verwandlung des einfachen Landmanns 
in den König. Die Gefangennahme mittels eines Blas¬ 
rohres, die Einzelheiten bei der Verfolgung des Vogels 
durch den König sowie jedenfalls auch der Feigen¬ 
baum sind dem veränderten Milieu zuzuschreiben, wir 
können also von diesen Verschiedenheiten als unwesent¬ 
lich absehen. 

Aber dennoch weist die bugische Erzählung im 
Vergleich mit der Parabel des orientalischen Barlaam 
noch ganz bemerkenswerte Eigentümlichkeiten auf: 

1. Eine Andeutung des Gartens ist zwar noch vor¬ 
handen, jedoch fehlt der Umstand, daß der Vogel 
die Früchte plündert, und damit das Motiv der 
Gefangennahme. 

2. Während im Bajrlaam der Vogel dem Mann das 
Versprechen ojder den Schwur abnötigt, ihn nach 
der Erteilung der drei Lehren freizulassen, ist 
in der bugischen Version das Verhältnis gerade 
umgekehrt: Der Vogel muß dem Manne ver¬ 
sprechen, nach der Freilassung die drei Worte 
zu sagen. 

3. Die drei Lehren sollen in der bug. Vers, in drei 
Stufen erteilt werden, und zwar auf drei ver¬ 
schiedenen immer höher liegenden Ästen des 
Feigenbaums.N 

4. Von den drei Lehren werden nur zwei, „Glau¬ 
ben“ und „Bereuen“ in der versprochenen Weise 
gegeben; statt der dritten, die ganz fehlt, kommt 
gleich die Probe des Vogels. 



137 


5. Die Probe hat die Besonderheit, daß der Vogel 
statt einer Perle in der Größe eines Gänseeis 
drei Bubine, jeder so groß wie ein Entenei, im 
Magen zu haben vorgibt. 

6. Der König besteht zwar ähnlich wie im Barlaam 
die Probe nicht, bemerkenswert ist aber, daß er 
nicht versucht den Vogel durch Schmeichelworte 
anzulocken, sondern daß er ohne weiteres die 
Verfolgung aufnimmt, welche drei Tage und drei 
Nächte dauert und den König an Leib und Klei¬ 
dern zu Schaden bringt. 

7. Die Nutzanwendung des Vogels beginnt wie im 
Barlaam mit der Anrede des Königs als Dumm¬ 
kopf. Auch finden wir den Zuruf des Vogels 
wieder, der König hätte die Beute, die er schon 
in seinen Händen hielt, nicht entschlüpfen lassen 
sollen, aber dieser Hinweis geschieht hier mit 
ganz besonderem Nachdruck, ja durch die Zäh¬ 
lung als „erstens“ wird dieser Satz indirekt mit 
den beiden vom Vogel erteilten Lehren auf eine 
Stufe gestellt. Die Nutzanwendung zur letzten 
Lehre verdient noch deswegen Beachtung, weil 
in ihr zusammen mit dem „Bereuen“ auch das 
Streben des Königs des Vogels wieder habhaft 
zu werden, gerügt wird, ein Umstand, der uns 
über das Verschwinden vor „Streben“ als Lehre 
aufklärt. Dem Neubearbeiter der Parabel er¬ 
schien offenbar diese Lehre so eng verwandt mit 
der vom „Bereuen“, daß er sie eigens gar nicht 
mehr zum Aufdruck bringen lassen wollte. Von 
der geheiligten Dreizahl der Lehren abzugehen 
konnte er sich dennoch nicht entschließen, und 
so läßt er den Vogel zwar noch drei Lehren ver- 



138 


sprechen, aber schon nach der zweiten entfliehen 
und mit der Probe einsetzen. 

8. Die bug. Vers, hat einen eigenen Schluß, der 
allerdings schon durch ihre Verkettung mit der 
Indjilai-Sage gefordert wird: Die Turteltaube 
kehrt in ihr Nest, der König nach Hause zurück. 

Die Geschichte von König Indjilai ist eine freie Be¬ 
arbeitung der malaisdhen Hik. Guspa Wiradja 316 ). Dar¬ 
aus erklärt sich auch, daß die Einkleidung sowie die 
meisten Namen der Geschichte arabisch sind 317 ). Be¬ 
saßen ja doch die Araber .seit alters im ostindischen 
Archipel, insbesondere unter den Malaien, großen Ein¬ 
fluß und verbreiteten mit ihrer Religion auch ihre Lite¬ 
ratur. So ist denn auch wohl die Verbindung unserer 
arabischen Erzählung mit der Geschichte vom König 
Indjilai einem unbekannten malaischen Autor zu ver¬ 
danken. 

Eine andere Frage ist die, ob die Vorlage des ost¬ 
indischen Bearbeiters für unsere Erzählung noch die 
Form hatte, welche wir im orientalischen Barlaam an¬ 
treffen, oder ob sie bereits eine Gestalt hatte, welche 
mit der bugischen Fassung Ähnlichkeit besaß. Dabei 
ist es unwesentlich, ob diese Vorlage noch die Parabel 
irgend einer Barlaamversion war, oder eine Einzelver¬ 
sion. Die angeschnittene Frage können wir nur durch 
einen Vergleich der bugischen mit den noch unbespro- 


316) Dr. G. K. Niemann [Bijdragen tot de Taal-Land-en Vol- 
kenkunde van Nederlandsch-Indie, Zesde Volgreeks, Eerste Deel 
(1895), p. 351] : ‘de geschieden« van zekeren Sultan Indjilai [is] 
eene geheel vrije omwerking van het Maleische verhaal Hik. Guspa 
Wiradja. Van dit geschrift bestaat . . . ook eene Makassaarsche be- 
werking, die geheel overeenkomt mit de Boeginesche, maar nog niet 
is uitgegeven’. 

9l7 ) Vgl. Brandstetter, p. 1; Müller, a. a. O., p. 159/160. 



139 


chenen arabischen oder aus arabischen Quellen geflos¬ 
senen Einzelversionen 318 ) entscheiden. Falls diese letz¬ 
teren sämtlich oder teilweise wichtige Züge mit der 
bugischen Version gemeinsam haben, die sie mit ihr 
von der Parabel des orientalischen Barlaam unterschei¬ 
den, so muß die Antwort sein: es hat eine Version 
bestanden, welche die gemeinsame Quelle für die bugische 
und all die anderen Bearbeitungen gewesen ist. 

Tatsächlich existieren solche gemeinsame Züge. 
Diese sind nach den von uns oben aufgestellten Unter¬ 
scheidungspunkten zwischen der Parabel und der bug. 
Vers, folgende: 

ad 1. Der Garten fehlt zwar, in den meisten zu 
vergleichenden Versionen, pur in der Disciplina ist er 
erhalten. Aber diese sehr alte Bearbeitung macht den 
Garten unbedingt auch in der Vorlage der bugischen 
Version zur Voraussetzung. Das Motiv der Frucht¬ 
zerstörung finden wir aber in gar keiner Bearbeitung 
‘wieder, es kann also ganz wohl schon in der vorauszu¬ 
setzenden gemeinsamen Bearbeitung gefehlt haben, es 
ist aber auch nicht unmöglich, daß diese das Motiv des 
schönen Gesanges, welches Disc. hat, besessen hat. 

ad 2. Hier stimmen mit der einzigen Ausnahme von 
Tausend und eine Nacht und ihrer Dependenzen, die 


318 ) als solche kommen in Betracht: (a) cap. XXIII der Dis¬ 
ciplina clericalis, 

(b) die Geschichte ‘Passer et Ausceps’ in Arnolds Chresto¬ 
mathie (nach Nafhatn ’l-Jaman), 

(c) die Geschichte vom Sperling, der Falle und dem Jäger 
(im Anhang zu Salhäni’s Ausgabe von Tausend und eine 
Nacht) nebst 2 Dependenzen, 

(d) eine Reihe kleinerer Einzelversionen: G'awzi, Damiri, 
Assarisi, Tantavi, Bar-Hebraeus, ferner eine raalaische, 
awarische und hindostanische Version. 

Näheres über die einzelnen bringen die nächsten Kapitel. 



140 


sich mit Sicherheit als späte Umarbeitungen erweisen 
lassen, alle Versionen ganz oder im wesentlichen mit 
der bugischen uberein. 

ad 3. Auch hier herrscht, mit Ausnahme von T. 
u. e. N. und Disc., 'welche überhaupt keine Stufen 
haben, wesentliche Übereinstimmung. Nur sind die Stu¬ 
fen in den verschiedenen Bearbeitungen verschiedene. 
Die ursprünglichere Gruppe (Nafhatu ’l-Jaman, awar. 
Vers.) hat die Stufen ,,Hand, Strauch (unten), Strauch 
(oben)“; die andere Gruppe ,,Hand, Strauch, Berg (Fel¬ 
sen)“. Die erste Stufe ,,Hand“ bedingt natürlich, daß 
der Vogel erst nach dejr ersten Lehre freigelassen wird, 
aber eine Freilassung bevor der Vogel sein Versprechen 
eingelöst hat, bleibt es doch. Daß die Stufenfolge der 
bugischen Version die ältere ist, beweist die Disciplina, 
welche vor den drei Lehren ‘permisit abine’ hat, was 
nur zu erklären ist, wenn ihre Vorlage die Stufen der 
bugischen Version hatte. Diese deckt sich übrigens mit 
ihrem Satz: „Die Turteltaube wurde von König I. frei¬ 
gelassen“ vollkommen mit der Disciplina. 

ad 4. Auch hier kann eine vollkommene Überein¬ 
stimmung konstatiert werden, bis auf die Disc. und T. 
u. e. N. Aber auch diese haben von den alten Lehren 
der Parabel nur „Glauben“ und „Bereuen“. Disc. hat 
außerdem, was nach der bug. Vers, und sicherlich auch 
nach deren Vorlage recht naheliegend war, den Zuruf 
des Vogels in der Nutzanwendung: „hättest du mich 
doch behalten, als du mich in Händen hieltest!“ vorweg¬ 
genommen und zu der in ihrer Vorlage fehlenden drit¬ 
ten Lehre gemacht. T. u. e. N. (nebst seinen Dependen- 
zen) verleugnet auch hier ihren späten Umarbeiter nicht 
und fügt eine recht wenig passende dritte Lehre ein. 

ad 5. Hier herrscht insoferne Übereinstimmung, als 
gerade die ursprünglicheren Versionen (Disc., Nafh., 



141 


auch die hindost. Vers.) von einem oder mehreren Ru¬ 
binen sprechen. Demgegenüber bezeichnet allerdings 
die weniger ursprüngliche Gruppe den oder die Edel¬ 
steine als Perle(n) oder bloß Juwel(en), was mit der 
Parabel des Barlaam enger zusammenzustimmen scheint. 
Aber teils muß bei den arabischen Einzelversionen viel¬ 
fach mit mündlicher Überlieferung gerechnet werden, 
teils scheint auch die eigentümliche Ausdrucks weise der 
Araber Einfluß gehabt zu haben. In der noch ziemlich 
ursprünglichen Version von Nafhatu ’l-Jaman wird z. 
B. zur Bezeichnung des Begriffes .„Rubin, Hyazinth“ das 
Wort gauhar (Edelstein, aber auch Perle) mit dem Zu¬ 
satz min al-jaküt verwendet. Dieser Zusatz konnte leicht 
wegfallen (wie tatsächlich in T. u. e. N.), und da^in 
stand nichts im Wege, daß in der späteren Überliefe¬ 
rung gauhar als „Perle“ gefaßt und sogar - durch das 
synonyme durrah ersetzt wurde, welches tatsächlich un¬ 
abhängig voneinander die Dependenzen von T. u. e. N. 
und die kleineren arabischen Versionen haben und da¬ 
durch zufällig an die Parabel des orientalischen Bar¬ 
laam anklingen. — Was die Anzahl der Edelsteine an¬ 
langt, so spricht das Vorbild des Barlaam, die Disc. und 
die allerdings späte Bearbeitung von T. u. e. N. gegen 
die bugische und verschiedene arabische Versionen, dar¬ 
unter Nafh., für die Einzahl in der allen gemeinsamen 
Vorlage. — Hier sei dann sofort noch die überaus wich¬ 
tige Konstatierung angefügt, daß im Gegensatz zur bu- 
gischen Version alle anderen Bearbeitungen (mit ein¬ 
ziger Ausnahme des awarischen Textes) die Abnormität 
des Edelsteins im Vogelmagen nicht durch Veraugen- 
scheinlichung von dessen Größe, sondern von dessen 
Gewicht hervorheben. Dieser Umstand beweist pin¬ 
mal, daß die bugische Version der Parabel noch viel 
näher steht als alle anderen Bearbeitungen, er beweist 



142 


aber auch, daß all diese anderen Versionen von einer 
gemeinsamen Wurzel äusgehen. Diese kann unmöglich 
die bugische Erzählung oder ihre malaische Vorlage 
gewesen sein, sondern steht zweifellos mit dieser in 
einer Art von Geschwisterverhältnis. 

ad 6. Wir haben gesehen, daß in der bugischen Ver¬ 
sion die „Lockung“ der Parabel fortgefallen ist. Tat¬ 
sächlich findet sie sich auch in keinem der zu ver¬ 
gleichenden Texte mehr, außer in der weitläufig aus¬ 
geführten Bearbeitung von T. u. e. N., wo das sehr 
naheliegende Motiv leicht nachträglich wieder Aufnahme 
gefunden haben kann. Statt der „Lockung“ hat die bu¬ 
gische Version die langwierige Verfolgung, die sich in 
sonst keiner Version mehr vorfindet und wohl nur eine 
Umwandlung der in der Vorlage der bug. Bearb. noch 
vorhandenen „Lockung“ ist, welche die Torheit des dar¬ 
aufhin vertriebenen Königs besonders stark hervorheben 
sollte. Erst in der gemeinsamen Wurzel der arabischen 
Versionen scheint die „Lockung“, die ja wegen des Ver¬ 
schwindens der entsprechenden Lehre vom .„Streben“ 
keinen rechten Sinn mehr hatte, ganz verschwunden zu 
sein. Als eine Art Ersatz scheint die sehr starke Be¬ 
tonung des Schmerzes des Mannes herangezogen worden 
zu sein. 

ad 7. Die Nutzanwendung erstreckt sich in allen 
zu vergleichenden Versionen (selbst in der Disc. mit 
ihrer wiederhergestellten Dreizahl der Lehren) ebenso 
wie in der bugischen Erzählung nur auf die zwei vom 
Vogel wirklich verkündeten Lehren. Die Version in T. 
u. e. N. zeigt ihre nachträgliche Umgestaltung, indem 
sie nicht imstande ist die Nutzanwendung ihrer dritten 
Lehre sachgemäß auszuführen. — Die übrigen arab. 
Versionen weisen wieder auf eine gemeinsame Wurzel, 
indem überall der Hinweis des Vogels, der Mann solle 



143 


ihn doch behalten haben, und das Hereinbeziehen von 
„Streben“ in die Nutzanwendung von „Bereuen“ weg¬ 
gefallen ist. 

ad 8. Auch der Schlußsatz, der vom Abgang der 
dramatis personae handelt, findet sich fast in jeder 
der verglichenen Versionen wieder, ist also wohl in der 
allen gemeinsamen Quelle als vorhanden anzusetzen. 

So hat sich den aus der vorhergehenden Unter¬ 
suchung ergeben, daß wir einmal für die bugische und 
alle anderen hieher bezogenen Bearbeitungen unserer Er¬ 
zählung eine gemeinsame Quelle x, dann aber auch für 
alle aus der arabischen Literatur stammenden Versi¬ 
onen eine gemeinsame Wurzel y anzusetzen haben. 

Als Merkmale für x haben sich herausgestellt: 
Der Garten (vielleicht mit dem Motiv des schönen Vogel¬ 
gesangs) ; Freilassung des Vogels 319 ) auf Versprechen der 
drei Lehren vor deren Erteilung, die in drei Stufen, 
wahrscheinlich wie im Bugischen, geschehen soll; nur 
„Glauben“ und „Bereuen“ werden in der versprochenen 
Weise erteilt, alsdann folgt die Probe; der vorgebliche 
Edelstein ist (wohl) ein Rubin von der Größe eines 
Gänse- (oder Enten-) Eis; der Mann lockt (verfolgt ?) 
den Vogel; die Nutzanwendung, begonnen mit dem nach¬ 
drücklichen Hinweis, der Mann hätte seine Beute nicht 
freigeben sollen, erstreckt sich auf die zwei erteilten 
Lehren, in deren letzte die ehemalige Lehre vom „Stre¬ 
ben“ einbezogen ist; Abgang der beiden. 

Als Merkmale für y sind anzunehmen so ziemlich 
dieselben wie für x; aber die Abnormität des Edelsteins 
ist durch sein Gewicht (zweifellos „von einer Unze“, 


S19 ) sicher „Sperling“, bewiesen durch 'us für’ der Parabel, 
von Nafh., T. u. e. N. etc., und avicula der Disc. Einige Ver¬ 
sionen sprechen von einer Lerche; siehe unten pp. 158, 160. 



144 


wie in der uralten Disc. und in T. u. e. N.) veranschau¬ 
licht ; der Mann macht weder durch Locken noch durch 
Verfolgen einen Versuch des Entflohenen wieder hab¬ 
haft zu werden, sondern wird in den allergrößtjen 
Schmerz, der sich sogar durch Selbstverwundung äußert, 
versetzt. Aus der Nutzanwendung von „Bereuen“ muß 
„Streben“ bereits verschwunden gewesen sein, aber der 
höhnische Zuruf des Vogels, der Mann solle ihn doch 
behalten haben, war noch vorhanden, da sich nur aus 
ihm die Darstellung der Disciplina erklärt. 

7. Die Erzählung der Disciplina. im Zusammenhang der 
arabischen Einzelnersicmen [Anhang No. 3], 

Von der substituierten arabischen Version y löst 
sich zunächst los die Erzählung in cap. XXIII der Dis¬ 
ciplina clericalis (aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts), 
und zwar hauptsächlich durch die Tatsache, daß in 
ihr die Stelle der Nutzanwendung, wonach der Vogel 
dem Manne höhnisch zuruft, er hätte ihn in seinem 
Besitze behalten sollen, vorweggenommen und als neue 
dritte Lehre (in der Reihenfolge der Disciplina die 
zweite) verwertet worden ist. Allerdings ist der Um¬ 
stand, daß die Vorlage des Petrus Alphonsi nur zwei 
Lehren enthielt, noch ganz unverkennbar. Unsere Er¬ 
zählung dient nämlich in der Disc. nur dazu zwei 
Wahrheiten zu bekräftigen, deren eine: ‘ne doleas de 
amissis reTbus, quoniam dolore nihil erit recuperabile’ 
in der Einleitung, und deren andere: ‘quicquid invenies 
legas, sed non credas omni quod legis’ am Schlüsse des 
Kapitels steht, beide offenkundig mit der ersten und 
dritten Lehre des Vogels, die allein in der arabischen 
Vorlage gestanden haben müssen, identisch. Außerdem 
werden in der Nutzanwendung der Disc. eben nur diese 
beiden Lehren, aber nicht auch die neu eingesetzte, 



146 


wieder auf gegriffen, genau wie in der von uns sub¬ 
stituierten Vorlage 320 ). 

Aber außer der eben besprochenen hat sich der Ver¬ 
fasser der Disciplina noch eine andere wichtige Ände¬ 
rung erlaubt, indem er die Stufenfolge bei der Erteilung 
der drei Lehren einfach gestrichen hat. Doch ist noch 
eine sehr deutliche Spur des alten Zustandes vorhanden, 
indem der Vogel nicht sofort nach der Freilassung, wie 
man natürlicherweise erwarten sollte, ‘arborem ascendit’, 
sondern erst nach der Erteilung der drei Lehren. Diese 
Stelle ist nichts anderes als ein Versehen des Über¬ 
setzers, welcher hier den Flug des Vogels auf den höch¬ 
sten und sichersten Ast des Baumes vor Augen hatte, 
ohne die dadurch begangene Störung des Sinnes zu be¬ 
achten 321 ). 

Einem Manne, der in dieser Weise mit seiner Vor¬ 
lage verfährt, ist es wohl zuzutrauen, daß er sich auch 
in anderen Punkten durch sie nicht gebunden hielt: Das 
Motiv, nach welchem der Vogel seines schönen Gesanges 
wegen gefangen wirfd, könnte, da es sich sonst in keiner 

#2 °) Damit erledigt sich von selbst die allerdings einen wahren 
Kern bergende Annahme Schmidts (p. 151): „Auf die zweite 
Lehre . . . macht der Vogel den Mann hier gar nicht aufmerksam, 
wohl, weil die Anwendung zu nahe lag, indem der Vogel, den jener 
eben in der Hand gehabt, nunmehr auf dem Baume frei saß." — 
Eine andere, von M. Steinschneider (Manna, p. 98) ausgesprochene 
Vermutung, daß Petr. Alph. vielleicht in Erinnerung an Jesid: 
„Man muß nicht begehren das Unerreichliche und nicht fürchten das 
Unvermeidliche“, oder an Perlen, 16: „Der Verstand besteht im 
Unterscheiden des Wirklichen vom Unmöglichen und Entsagen dem 
Unerreichlichen", den zweiten Spruch in der Nutzanwendung habe 
fallen lassen, ist schon deswegen unbegründet, weil der Vf. die 
proverbia philosophorum immer in wörtlichen Zitaten bringt. — 

®*i) Die meisten der von der Disciplina ausgegangenen abend¬ 
ländischen Versionen haben bewußt oder unbewußt diese Inkongruenz 
beseitigt. Siehe darüber im 1. Abschnitt. 

Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 


10 



146 ~ 


der orientalischen Versionen wieder vorfindet, sehr wohl 
von dem Verfasser der Disciplina selbst erfunden sein, 
ebenso das etwas komische Küchendetail, für das sich 
ebenfalls sonstwo kein Analogon bietet 322 ). Doch ist ein 
einigermaßen sicheres Urteil hier kaum möglich. 

Was die Bezeichnung der Handelnden (homo, rusti- 
cus; avicula) sowie andere Einzelheiten der Erzählung 
(z. B. unius unciae hyacinthus) 'anlangt, so können sie als 
erhaltenes älteres Gut angesehen werden. 

8. Die mit der Fabel vom Vogel und von der Fable ver¬ 
bundenen Versionen unserer Erzählung 
[Anhang No. 64f —67]. 

Wenn wir uns fragen, ob a,üch die nach der Ablö¬ 
sung der Disciplina clericalis noch übrigen orientalischen 
Einzelversionen gemeinsame Züge aufweisen, wodurch 
sie insgesamt (von der Vorlage der Disciplina unter¬ 
schieden werden, so ergibt sich, daß die Frage bejaht 
werden muß. Diese gemeinsamen Unterschiede sind fol¬ 
gende: 1. Wie in der Disc. ist der höhnische Ruf des 
Vogels in der Nutzanwendung, der Mann hätte ihn nicht 
aus den Händen lassen sollen, verschwunden (mit Aus¬ 
nahme von T. u. e. N., wo er wohl nachträglich wieder 
eingeführt worden ist); 2. als erste Stufe bei der Er¬ 
teilung der drei Lehren haben all diese Bearbeitungen 
(mit Ausnahme der späten Rezension von T. u. e. N.) 
die Hand des Mannes, der Vogel wird also erst nach der 
ersten Lehre freigelassen; 3. der Mann fordert, nachdem 
er die Probe schlecht bestanden hat, den Vogel auf ihm 
die dritte versprochene Lehre zu erteilen, der Vogel 
lehnt es aber mit der Begründung ab, daß ja die beiden 
ersten Lehren nichts gefruchtet hätten. 

***) außer vielleicht in Tausend und eine Nacht und Dopen- 
denzen, wo aber alles ganz anders gewendet ist; ein Zusammenhang 
ist aber nicht ausgeschlossen. 



147 


Diese drei gemeinsamen Punkte, welchen bei jeder 
einzelnen Version mannigfache Verschiedenheiten im ein-» 
zelnen gegenüberstehen, berechtigen uns auch hier zur 
Annahme einer für alle noch übrigen Bearbeitungen ge¬ 
meinsamen Wurzel, die wir, da keiner der erhaltenen 
oder bekannten Texte den Bedingungen »einer solchen 
vollkommenen entspricht, hier der Kürze halber mit 
z bezeichnen wollen. 

Mit z dürfte wohl zu identifizieren sein die Vorlage 
zu dreien von unseren Einzelversionen, in welchen die 
Erzählung von dem die Lehren spendenden Vöglein in 
Verbindung getreten ist mit der Fabel vom Vogel und 
von der Falle 323 ). Diese drei Versionen sind die Erzäh- 

328 ) Sie berichtet das Zwiegespräch zwischen einem Vogel 
(Sperling) und einer Falle (al-fahh), welche unter dem heuchlerischen 
Vorgeben, sie sei ein Asket (fäkir), der es sich zur Aufgabe mache, 
die hungrigen Wanderer zu speisen, den Vogel zum Auf picken des 
Kornes verleitet, um ihn dann beim Kragen zu packen. Diese 
Fabel ist in ihrer ursprünglichen Gestalt bis jetzt nirgends separat 
auf gefunden worden. Chauvin, der im 3. Bande seiner Bibliographie 
ein Korpus aller ihm bekannten arabischen Fabeln zusammenstellt, 
kennt sie nicht. Sie kommt tatsächlich nur in der Geschichte des 
weisen Haikär vor, jener märchenhaften Erzählung, welche mit 
dem mittelalterlich-griechischen und -lateinischen Äsoproman ver¬ 
wandt ist. und deren Ursprünge örtlich in Syrien und zeitlich im 
2. Jh. (v. Chr. -zu suchen sind. Mark Lidzbarski (Die neu aramäischen 
Hss. der K. Bibi, zu Berlin, Weimar 1896, 8°, II. Bd. p. 4) hat 
einstweilen folgenden Stammbaum aufgestellt: 

Original (hebr. od. aram., weniger wahrscheinlich syrisch) 

I 

syrisch 

I 

arabisch 


[griechische Übersetzung] griechische Bearbeitung im Äsoproman. 


die slavischen Versionen. 


10 * 




148 


lung in Nafhatu ’l-Jaman, in Tausend und eine Nacht, 
und die hindostanische Bearbeitung. Zunächst kurz ein 
Wort über jede einzelne von den dreien. 

I. Nafhatu ’l-Jaman. 

In '^der Erzählung des Nafhatu ’l-Jaman 324 ) ver¬ 
spricht der Vogel dem Manne, die erste Lehre noch in 

Im griechischen Äsoproman findet sich die Fabel nicht; die ver¬ 
schiedenen slavischen Versionen postulieren für die ihnen zugrunde 
liegende mittelgriech. Übers, in der Fabel statt des Vogels einen 
Hasen (V. Jagic. Der weise Akyrios, in Byzant. Zeitschr. I [1892] 
p. 125). Von den syrischen hss. ist bis jetzt nichts veröffentlicht. 
Bei den arabischen sind zwei verschieden alte Stufen zu unter¬ 
scheiden. Die ältere ist vertreten durch cod. Sachau 339 (arabisch 
mit neuaram. Übers.) und erzählt die Fabel noch recht einfach 
(vier Hin- und Widerreden). Die jüngere Stufe ist durch ver¬ 
schiedene hss. vertreten, in denen die Fabel aus dem Zusammen¬ 
hang der Haikärgeschichte losgetrennt und mit unserer Erzählung, 
die in diesen hss. hinter jener folgt, als Einleitung verbunden ist, 
wobei die Fassung der Fabel erweitert ist ( 7 / g und mehr Hin- und 
Widerreden; ähnlich erweitert ist die Fabel bei G’auzi hinter 
unserer Erz., und bei Tantavi, etwas verändert bei Damiri p. 140, 
Kaljübi p. 173 und noch einmal bei G’auzi). Hss., in denen die 
bezeichnete Verpflanzung vor sich gegangen ist, sind: Ms. 1723 
der Bibi. Nat. (‘Histoires tirees la plupart des Mille et une Nuits, 
Supplement Arabe, vol. de 742 pages’), wonach Burton seine eng¬ 
lische, und mittelbar Henning (XXII, p. 5) seine deutsche Über¬ 
setzung der Geschichte vom Vöglein bewerkstelligt hat (vgl. Chauvin 
VI, p. 110, u. IV, pp. 199/200) ; ferner die dem Bairuter Druck 
(Salhäni 1890) zugrunde gelegte hs. (vgl. Chauvin VI, p.* 110, 
u. IV, p. 202), und die Gothaer hs. No. 2652, wo unsere Erzählung 
jener von Haikär vorangeht (vgl. Chauvin, VI, p. 110 u. iy, 
p. 204; Pertsch IV, pp. 404/5). 

324 ) Mir zugänglich unter dem Titel ‘Passer et Auceps’ in 
Arnold, Chrestomathia arabica, pp. 34 ff. Nafhatu ’l-Jaman ist der 
Titel einer 1811 in Calcutta gedruckten arab. Chrestomathie, ‘selec- 
tgd on original’ von ‘Shuekh Uhmud bin Moohummud Shurwanee-ool- 
Yumanee/ — Hinweise in uns. Zus. bei Grünbaum, p. 251; G. 



149 


dessen Hand, die zweite unten am Fuße, die dritte auf 
dem Gipfel des Baumes zu verkünden. Zuerst wird die 
Lehre vom „Bereuen“, dann jene vom „Glauben“ in der 
versprochenen Art und Weise gegeben. Als aber der 
Vogel auf der Höhe des Baumes ist, verrät er dem 
Manne, daß in seinem Magen (hausalah; so schon im 
arabischen Barlaam) zwei Bubine (gauharatäni min al- 
jäküti) im Gewichte von je 50 mitkal seien. Der Mann 
beißt sich vor Ärger in den Finger; endlich fordert er 
die dritte Lehre, diese wird ihm aber verweigert. 

II. Tausend und eine Nacht. 

Die Geschichte im Anhang von Tausend und (eine 
Nacht 325 ) ist die längste Version unserer Erzählung im 
Orient und verrät schon dadurch, sowie auch durch die 
massenhaft eingestreuten Zitate aus Dichtern ihren Cha¬ 
rakter als freie Umarbeitung einer älteren einfacheren 
Vorlage. Hier kann nur auf die Hauptzüge der Erzäh¬ 
lung eingegangen werden. Das Vöglein (‘usfür, wie üb¬ 
lich) verspricht den Mann nicht nur drei Worte der 
Weisheit zu lehren, sondern ihm auch einen Schatz 


Paris, Lai (1903, pp. 239/40, verkürzte franz. Übers.); F. Müller 
in Wien. Zeitschr. f. d. Kunde des Morgenl. X (1896), p. 160; 
Nöldeke, Z. D. M. G. L. (1896) p. 306; Hartmann, Z. d. V. f. 
Vk. VII (1897) p. 106; Chauvin III, p. 103; de Cock, p. 131 Anm. 

32ß ) Über die hss., in denen sich die Geschichte vorfindet, 
vergleiche Chauvin VI, p. 110. Mir liegt der arabische Text vor 
in der fünfbändigen Rezension des Textes von Tausend u. e. Nacht, 
welche der P. Salhäni S. J. in Bairut herausgegeben hat, Band V 
(1890), Anhang, pp. 91—98 und in der nach Burton’s englischer 
Übertragung veranstalteten deutschen Übersetzung von Henning (bei 
Reclam), XXII, pp. 118—126. — Hinweise bei Kuhn, p. 75; Mei߬ 
ner, p. 184 Anm. 1; Nöldeke, Z. D. M. G. L (1896) p. 306; Hart¬ 
mann, Z. d. V. f. Vk. VII (1896) p. 270; Chauvin III, p. 103; 
VI, p. 110; de Cock, p. 122 Anm. 3. 



160 


und ein Paar aschgraue Falken zu zeigen. Von einer 
Stufenfolge bei der Erteilung der Lehren, ist keine Spur 
vorhanden. Von den beiden uns bekannten Lehren ist 
>,Trauern“ auch hier die erste. Aber zwischen ihnen 
ist eine neue dritte, aber wenig passende, einjgefügt, 
wahrscheinlich als Pendant zur ersten. Den Schatz und 
die beiden Falken will der Vogel erst nach der Freilas¬ 
sung zeigen. Diese erfolgt, und nun macht der Mann 
den Vogel auf sein Versprechen aufmerksam 326 ), erhält 
aber die Antwort, er sei betrogen, denn er, der Vogel 
habe in seinem Kropf (so die Übersetzung Hennings; im 
Text steht wie üblich hausalah) ein Juwel (g'auhar) 
im Gewichte von einer Unze. Der Mann ist tief beküm¬ 
mert und sucht den Vogel durch allerlei Lockungen wie¬ 
der in seine Gewalt zu bringen. Doch dieser enthüllt 
ihm nunmehr die Wahrheit. 

Ila. Die Dependenzen von Tausend und ein ; 

Nacht. 

Als abhängig von der soeben besprochenen Version 
verrät sich auf den ersten Blick eine arabische Bear¬ 
beitung, die sich in einer ausführlicheren und in einer 
abgekürzten Fassung Jn zwei Berliner Handschriften 327 ) 
findet. Der Mann, hier ein armer Wüstenbe'wohner, 
trifft auf der Jagd ein buntfarbiges Vöglein (‘usfür) an, 
und stellt ihm eine Falle. Das Vöglein kommt an die¬ 
selbe heran und pickt die Körner auf, bis auf da£ letzte, 
das gefährlichste. Mit einer Aufforderung des Jägers, 

32# ) Vielleicht ein Nachklang der Bitte des Mannes um die 
dritte Lehre in den verwandten Versionen. 

327 ) Ms. Pet. 259 fol. 109 b —112 b und Ms. Pet. 110, 4 fol. 
49 b » 50 [Ahlwardt, VIII, pp. 67 u. 52, No. 9105 u. 90661 mit der 
Oberschr. Kissatu ’s-sajjädi ma'a ’l-'usfüri. Hinweis bei Chauvin 
III, p. 103.” 



161 


auch dieses zu nehmen, beginnt das Zwiegespräch, wel¬ 
ches hier po gedacht ist, daß anstelle der unbelebten 
Falle, allerdings die Rolle derselben übernehmend, der 
Jäger selbst spricht. Das Folgende ist, mit vielen wört¬ 
lichen Anlehnungen ähnlich erzählt wie in T. u. e. N., 
bis zu den drei Lehren hin, die der Vogel erst verkünden 
will, wenn er freigelassen ist, da er dem Jäger, dessen 
Tücke er schon einmal erfahren, nicht mehr traut. Der 
Mann geht tatsächlich darauf ein. Nun fliegt der Ypgel 
auf einen hohen Baum und verkündet die drei Lehren: 
„Betrüben“, „Glauben“ und eine hier neueingeführte: 
„Selbst wenn du so schnell liefest wie eine Gazelle, so 
würde dir doch nur zuteil werden, was dir vom Schick¬ 
sal bestimmt ist“ 328 ). Außer den drei Lehren hat der 
Vogel sonst nichts versprochen. Bei der Probe des Man¬ 
nes spricht der Vogel von einer kostbaren Perle (durrah) 
in seinem Magen (bausalah), gibt aber kein Gewicht an. 
Die Nutzanwendung ist fast ganz geschwunden. Da¬ 
gegen ist am Schlüsse ein Moti,v ausgeführt, welches in 
T. n. e. N. nur angedeutet war: Der Vogel will den 
armen Mann entschädigen und bezeichnet ihm eine 
Stelle, wo er einen vergrabenen Schatz finden könne. 
Der Mann gräbt nach und entdeckt einen mit Gold ge¬ 
füllten Krug, so daß er zeitlebens mit seinen Kindern 
von aller Not befreit ist 329 ). 


828 ) Auf diese Weise ist die dritte Lehre des Barlaam, nach 
Unerreichbarem nicht zu streben, wohl zufällig wieder hergestellt. 
— M. Hartmann in Z. V. f. Vk. VI (1896), p. 270 Anm. 1, teilt 
mit, daß in einem Ms. (No. 119) seiner Sammlung die dritte Lehre 
ebenso lautet; also wird die Erz. in dieser hs. mit jener in den 
beiden Berliner hss. identisch sein. 

329) Über dieses Schatz-Motiv vergleiche den vierten Abschnitt. 



152 


III. Die hindostanische Version. 

Die hindostanische Version unserer Erzählung jist 
als Episode in den Roman „Die Rose von Bakawali 330 ) 
eingelegt. Der Zusammenhang ist folgender: Der Po¬ 
lizeipräfekt von Scharkistan erzählt dem Minister von 
der Gründung einer wunderbaren Stadt, nach welcher 
als dem Ziele ihrer Hoffnung viele Leute aus dem Lande 
heimlich sich entfernen. Der Wesir will diesem fabel¬ 
haften Berichte keinen Glauben schenken, [namentlich 
scheint ihm unmöglich, daß ein Mensch die wunder¬ 
bare Gründung habe ausführen können. Dieser seiner 
Meinung verleiht er Ausdruck durch die Erzählung 
unserer Geschichte, natürlich nur deswegen, weil auch 

3S0 ) Dieser ursprünglich indische (hindi) Roman wurde 1712 
von Izzat ullah (aus Bengalen) unter dem Titel Gul-i Bakawali ins 
Persische und daraus 1801/02 unter dem Titel Mazhab-i ischc (la 
<lodtrine de l’amour) von dem Munschi Nihäl Chand ins moderne 
Hindustani (Urdu) übersetzt. Hg. zuerst 1804 von Gilchrist, dann 
1815 von Roebuck, beidemale in Calcutta. Garcin de Tassy lieferte 
1835 eine verkürzte franz. Übers., unter dem Titel: ‘Abrege du 
Toman hindoustani intitule la Rose de Bakawali, in Bd. XVI des 
Nouveau Journal Asiatique (pp. 193 ff; hieraus entnehme ich die 
meisten bibliogr. Angaben); vollständig erschien diese Übersetzung 
in seinen ‘Allegories, Recits poetiques et Chants populaires, traduits 
de l’Arabe, du Persan, de THindoustani et du Turc. Paris 1876, 8°, 
pp. 306 ff. Englische Übersetzungen erschienen 1851 von R. P. 
Anderson in Delhi und 1859 von Thomas Philip Manuel in Cal¬ 
cutta. Nach Manuel’s Übers, und Garcin de Tassy’s Abrege lie¬ 
ferte dann W. A. Clouston auf pp. 237 ff. seines Buches A Group 
of Eastern Romances (Glasgow 1889) eine neue engl. Übertragung. 
Aber weder hier noch in G. de Tassy’s Abrege ist uns. Erz. auf¬ 
genommen, sondern (soweit mir die Bücher vorliegen) nur in dess. 
Vf. vollständige Übersetzung von 1876, pp. 351—353; hiernach hat 
sie G. Paris, Lai (1903, pp. 236 ff) wieder abgedruckt, jedoch mit 
willkürlichen Änderungen. — Hinweise: zuerst bei G. Paris (a. a. 
O.), dann bei Clouston p. 281 Anm. 1; Chauvin III, p. 103; de Cock, 
p. 132. 



153 


das Vöglein die Meinung vertritt, Unmöglichem dürfe 
man nicht Glauben schenken. Diese Lehjre ist ganz 
dem Zusammenhang entsprechend gehalten: bei ,Gott 
sei zwar kein Ding unmöglich, aber wenn man von einem 
Menschen Unmögliches höre, so sei davon nicht viel 
zu halten 331 ). 

Von dem moineau (offenbar = ar. ‘u§für) werden 
nun zwei anscheinend ganz unzusammenhängende Aben¬ 
teuer erzählt, die er mit zwei Fakiren zu bestehen hat. 
Gerade das erste Abenteuer scheint gar nicht in den 
Rahmen des Romans zu passen. Der Grund, warum 
es trotzdem dasteht, ist kein anderer, als daß wir es 
mit einer ganz freien Umarbeitung der Fabel vom Vogel 
und der Falle zu tun haben, die der Verfasser des Ro- 
manes irgendwo mit unserer Erzählung verbunden vor¬ 
fand und, obwohl sie nicht recht paßte, in den Roman 
mit herübernahm. Der Grundgedanke seiner Umarbei¬ 
tung und jener der ursprünglichen Fabel ist ganz der¬ 
selbe: hier wie dort fällt der Ahnungslose dem schein¬ 
heiligen Heuchler zum Opfer, nur mit dem Unterschiede, 
daß in dem hindost. Roman dem Sperling vor dem 
Richterstuhl Salomonis sein Recht wird. In der Fabel 
gibt sich die Falle als Fakir, im Roman ist es ein wirk¬ 
licher, aber ebenfalls heuchlerischer „Heiliger“. Ja sogar 
den Stab der Falle in der Fabel finden wir in dem Stab, 
mit dem der Fakir nach dem Sperling schlägt, wieder. 

Die eigentliche Erzählung ist von dem eben er¬ 
wähnten Abenteuer durch einen Zeitraum von einigen 
Tagen getrennt. Der Sperling wird abermals von einem 
Derwisch, der seine Würde jedenfalls von dem Fakir 

SS1 ) Nachdem so die (erste) Lehre „Glauben“ recht wohl vor¬ 
handen ist und noch dazu die Hauptrolle spielt, erledigt sich G. 
Paris’ (a. a. O.) willkürlicher Einschub einer dritten Lehre: ‘Ne 
crois pas tout ce qu’on te dit’ als unbegründet. 



164 


des ersten Teiles entlehnt hat, gefangen und in einen 
Käfig gesteckt. Zwei Lehren, zuerst Glauben“, dann 
„Bereuen“, werden auf der Hand des Mannes erteilt, 
die dritte will der Vogel nur in der Freiheit geben. Los¬ 
gelassen macht er dem Derwisch' die bekannte Vorspiege¬ 
lung von einem sehr wertvollen Rubin in seinem Magen. 
Der Mann fingt vor Verzweiflung die Hände, begehrt 
vergebens die jdritte Lehre und wird endlich über seine 
Torheit aufgeklärt. 

Nach diesem kurzen Einblick in die Eigenart einer 
jeder von diesen drei Versionen ist nun zunächst darauf 
aufmerksam zu machen, daß die Möglichkeit besteht, 
daß die Fabel von Vogel und Falle mit jeder der drei 
Bearbeitungen einzeln verbunden worden ist. Denn es 
besteht hinreichend Grund zu der Annahme, daß die 
beiden ihrer ganzen Art nach verwandten Stoffe oft¬ 
mals unmittelbar nebeneinander erzählt worden sind 332 ). 
Indes läßt sich für Nafhatu ’l-Jaman und T. u. e. N. 
aus gewissen Einzelheiten 333 ) der unzweifelhafte Nach¬ 
weis führen, daß sie trotz ihrer auffallenden Verschie¬ 
denheiten unter sich näher als zu irgend einer anderen 
Version verwandt sind. Auch für die hindostanische 
Bearbeitung ist pine getrennte Verbindung der beiden 
Fabeln nichts weniger als wahrscheinlich, da sonst das 
Vorhandensein des ersten Abenteuers in (dem Roman 
ganz unverständlich werden würde. Es ist demnach, 
soweit wir das Feld überschauen, die Fabel von dem 1 
Vogel und der Falle nur einmal in einer bestimmten 


88») J n einem Buch finden sich beide Erzählungen vor bei 
G’auz!, Damiri, im Magänl und bei TantavI, beim ersten und 
letzten unmittelbar nebeneinander. 

888) Als für sich allein schon beweisend sei nur angeführt, 
daß der Vogel erklärt, sein ganzes Leibesgewicht mache keine 10 
mitkäl (in T. u. e. N: Drachmen) aus. 



156 


Bearbeitung mit unserer Erzählung verbunden worden, 
und die anderen Versionen, wo wir dieselbe Kombination 
antreffen, sind ihre Ausflüsse. 

Welches ist nun diese bestimmte Bearbeitung? Ist 
es eine von den drei soeben aufgezählten? Naflj. scheint 
die meisten Ansprüche darauf zu besitzen, denn in 
diesem Text ist verhältnismäßig viel mehr altes Gut 
erhalten als in den beiden anderen. Aber auf der an¬ 
deren Seite sind T. u. e. N. und die hindost. Version 
in einem sehr wichtigen Punkte ursprünglicher als Nafh., 
nämlich in der Einzahl des Edelsteins. Dazu hat T. 
u. e. N. noch das ursprüngliche Gewicht desselben von 
einer Unze erhalten, welches in Naflj. geändert in der 
hindost. Version ganz beseitigt ist. So müssen wir denn 
zu dem Schlüsse kommen, daß in keiner der drei Bear¬ 
beitungen uns der Text erhalten ist, in welchem die 
Kombination der beiden Erzählungen zum erstenmale 
vollzogen ist, sondern daß wir ihn zu substituieren 
haben. 

Die nächste Frage ist nun die, wie diese Version 
wohl ausgesehen haben mag. Daß in ihr von dem Garten 
(wie in der Disc.) noch die Rede war, darauf scheint der 
Anfang von ,T. u. e. N. zu deuten. Aber da der Garten 
überall sonst weggefallen ist und nach der Voranstel¬ 
lung der fremden Fabel auch jeden Zweck verloren 
hatte, ist sein Vorhandensein in der gemeinsamen Quelle 
recht unwahrscheinlich. Auch das Motiv des Käfigs, 
welches die hindostanische Version ganz vereinzelt hat, 
dürfen wir in ihr nicht voraussetzen. Was nun die 
Stufenfolge bei der Erteilung der drei Lehren anlangt, 
so ist sie freilich aus T. u. e. N. und der hindost. Version 
anscheinend verschwunden. Doch beweist Naflj. durch 
die wesentliche Übereinstimmung mit der bugischen und 
allen nachfolgenden Bearbeitungen das Vorhandensein 



der Stufenfolge in dem vorauszusetzenden Texte. Auch 
ist ihr Fehlen in den beiden anderen Texten nur schein- 
bar. Der Umstand, daß das Vöglein in T. u. e. N. den 
Schatz und die Falken erst nach der Freilassung zeigen, 
und daß es in der hindost. Version die dritte Lehre eben¬ 
falls nur unter dieser Bedingung sagen will, ist Beweis 
genug, daß das ursprüngliche Verhältnis ähnlich war 
wie in Nafh. Die Arb der Stufenfolge kann jene der bu- 
gischen Version nicht gewesen sein, weil sowohl Nafh- 
als auch die hindost. Version unzweifelhaft auf die erste 
Stufe ,,Hand“ hinweisen; die Darstellung der Vorlage 
kann aber auch nicht jene der hindost. Version oder 
gar die von T. u. e. N. (von deren späteren Zusäjtzjen 
abgesehen) gewesen sein, denn dadurch würde ,die ganze 
ursprüngliche Stufenfolge, welche in Nafh. noch so schön 
ausgeprägt ist, zur Unkenntlichkeit verwischt worden 
sein. Somit kann die Stufenfolge der gemeinsamen 
Quelle nur die in Nafh- gewesen sein. — Die Reihen¬ 
folge der in der Vorlage erteilten Lehren ist nach dem 
übereinstimmenden Zeugnisse von Nafh. und T. u. e. 
N. (gegen die hindost. Version) „Bereuen“, „Glauben“. 
Die Frage des Mannes nach der dritten Lehre wird für 
die gemeinsame Quelle sowohl durch Nafh. und die hin¬ 
dost. Version als auch durch die entsprechende Stelle 
in T. u. e. N., wo der Mann nach dem Schatz und dien 
Falken fragt, belegt. Wie schon früher angedeutet, muß 
die Vorlage die Vorspiegelung des Vogels in der Weise 
gehabt haben, daß von einem Rubin, eine Unze schwer, 
im Magen des Vogels die Rede war. Demgegenüber sind 
die zwei Rubine mit ihrem' Gewicht von je 50 mitkäl in 
Nafh. eine bei dieser sonst konservativen Bearbeitung 
auffallende Neuerung. .— Darüber, wie der Mann seinen 
Schmerz in der Vorlage geäußert haben mag, läßt sich 
nichts Bestimmtes sagen. Die Lockung des Mannes in T. 



167 


u. e. N. ist wohl die zufällige Wiedereinführung des 
schon länger »verlornen gleichen Motives der Barlaam- 
parabel. 

Nach diesen Auseinandersetzungen dürfte sich wohl 
kein ernsthafter Einwand geltend machen, 'wenn wir 
die für Nafl)., T. u. e. N. und die hindost. Version zu 
substituierende gemeinsame Wurzel mit der als z be- 
zeichneten unbekannten Version identifizieren. Was das 
Alter derselben anlangt, so kann sie auf keinen Fjäll 
später als in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts 
entstanden sein. Denn die älteste, der aus der Erzählung 
in Nafh. später hervorgegangenen kleinen Versionen, 
die bei Gauzi (f 1201), gehört selbst noch in das 12. 
Jahrhundert. 

9. Die kleinen orientalischen Versionen 
[Anhang No. 68—73J. 

Nunmehr ist noch eine Reihe von klein§n Einzel¬ 
versionen unserer Erzählung zu besprechen, die meist 
die Geschichte ganz kurz, in der Art eines abrege, geben 
und in ihrer oft wörtlichen Übereinstimmung unterein¬ 
ander trotz mancher kleinen Verschiedenheiten einen 
gemeinsamen Ausgangspunkt für sich zur Voraussetzung 
machen. Gleich im vornhinein sei bemerkt, daß die 
Fassung in all diesen Versionen sich enger an Naflj. 
denn an irgend eine andere im Vorausgehenden bespro¬ 
chene Bearbeitung anschließt. 

Auf eine Stufe scheinen zuvörderst folgende drei 
Versionen zu stellen zu sein: 

1. Die Erzählung in der Anekdotensammlung al- 
Gauzf’s (f 1201) 334 ). Der Vogel heißt hier absonder- 

8»*) Kitäb al-Adkijä’. Kairo 1306 (1889), pp. 178/9. Auf 
diese Version hat Chauvin VI, p. 110 hingewiesen: er zitiert nach 
der Ausgabe von 1277 (p. 211). 



158 


licherweise eine kunburah (Lerche). Die Erteilung der 
Lehren soll in den Stufen: „Hand“, „Baum“, „Berg“ er¬ 
folgen. Von den Lehren wird zuerst „Bereuen“, dann 
„Glauben“ gegeben. Auf dem Hügel angekommen bringt 
der Vogel statt der dritten Lehre die Vorspiegelung, 
in seinem Leibe (hausalah) seien zwei Perlen (durra- 
täni), deren jede 20 mitfcäl wiege. Der Mann beißt sich 
in seine Lippen. Seinem Verlangen nach der dritten 
Lehre wird nicht entsprochen. 

2. Die Erzählung in der syrischen Anekdotensamm¬ 
lung des Bar-Hebraeus (f 1286) 335 ). Der Vogel heißt 
hier ‘a house-sparrow’. Die Stufen sind ‘hands’, ‘tree’, 
‘rock’. Die Beihenfolge der Lehren ist ‘repent’, ‘believe’. 
Die Vorspiegelung lautet: ‘thou wouldst Jbave found. 
in my stomach two precious stones which are beyond 
price’. Der Mann beißt sich vor Ärger in seine Finger. 
Gemäß der Nutzanwendung besteht die Leichtgläubig¬ 
keit des Mannes darin, daß er nicht bedachte, es sei doch 
noch nie ein kostbarer Stein im Bauche eines Sper¬ 
lings gesehen worden. Das Gewicht der beiden Edel¬ 
steine ist bei Bar-Hebraeus demnach nicht angegeben; 

3. die Erzählung, welche mit einer großen Anzahl 
anderer kleiner Geschichten in eine fragmentarische ma- 

335 ) Oberhaupt der Jakobitischen Kirche von 1264—1286. Der 
syrische Text seiner 727 Nummern umfassenden Sammlung wurde 
mit englischer Übersetzung erst jüngst herausgegeben: The Lau- 
ghable Stories Collected by Mär Gregory John Bar-Hebraeus, ed. 
by E. A. Wallis Budge, London 1897, 8° (Luzac's Semitic Text and 
Translation Series. Vol. I). Der syr. Text uns. Erz. p. 73 von 
hinten, der englische Text p. 93 von vorne (No. 382). Hinweise bei 
Köhler-Bolte, p. 576; Moritz Hartmann, in Orientalist. Lit.-Z. II 
(1899), p. 341. — Bar-Hebraeus verfaßte selbst eine arabische 
Übersetzung seiner ‘Laughable Stories* unter dem Titel Daf‘ al- 
Hamm (Verscheuchung der Betrübnis), wovon nur wenige hss. 
existieren sollen (Budge, p. XX). 



159 


laische Bearbeitung der Geschichte von den 10 Wesiren 
(Hikäyat Baktiyär) eingeschoben ist 336 ). Ein Prinz ge¬ 
langt auf der Jagd in den Besitz einer Nachtigall (bul¬ 
bul). Die {Stufen, in welchen diese die Lehren mitteiien 
will, sind ‘hand’, ‘boom’, ‘heuvel’. Die Reihenfolge der 
Lehren ist ‘toben’, ‘gelooven’. Die Vorspiegelung spricht 
von ‘twee juweelen, ieder van twintig miskaal’. Der 
Fürst beißt sich vor Ärger auf seine Finger. Seine 
Bitte um die dritte Lehre wird abgeschlagen. 

Die syrische und die malaische Version sind zweifel¬ 
los aus einer arabischen Vorlage geflossen. Diese kann 
unmöglich G’auzi gewesen sein, da er offensichtlich in 
wesentlichen Punkten weniger ursprünglich ist, als die 
beiden anderen Texte. Alle drei gehen demnach auf eine 
gemeinsame Vorlage zurück, welche viel Ähnlichkeit mit 
Nafh. gehabt haben muß, aber unmöglich mit dieser 
Version identisch gewesen sein kann, da sie nach dem 
übereinstimmenden Zeugnisse aller drei uns jetzt be¬ 
schäftigenden Texte bereits die drei Stufen „Hand“, 
„Baum“, „Hügel“ gehabt haben muß, während in Nafh. 
noch eine ältere Stufenfolge vertreten ist. Die gemein¬ 
same Vorlage, die wir mit u bezeichnen wollen, kann so 
ihrerseits nach allem nur ein Ausfluß der in Nafh. 
erzählten Geschichte sein, in welcher aber der erste Be¬ 
standteil der Erzählung, den man ja immer noch als 
Fremdkörper fühlt, die Fabel von dem Vogel und der 
Falle, nicht berücksichtigt gewesen sein kann. Der Vogel 
Aiuß in u wie in Nafh. ein Sperling gewesen sein, den 
die syrische Version im Gegensatz zu den beiden anderen 
beibehalten hat. Die Reihenfolge muß “wie in Na^fh. 

*W) Den Inhalt uns. Gesch. teilt mit J. Brandes, Nadere 
opmerkingen over de Maleische bewerkingen van de geschieden» 
der 10 vizieren etc., in Tijdschrift voor Indische Taal-, Land- en 
Volkenkunde, Deel XXXVIII (1895), p. 255. 



160 


und den drei Ausflüssen „Bereuen“, „Glauben“ gewesen 
sein. Ebenso wird die Zweizahl der Edelsteine für u 
durch alle drei Versionen belegt. Als Gewicht derselben 
muß u nach dem Zeugnis der arabischen und der ;ma- 
laischen Version 20 mitral gehabt haben, was gegen¬ 
über Nafh. eine Neuerung bedeutete. Bei der Bezeich¬ 
nung der Edelsteine scheint u den Zusatz ‘min al-jakut’ 
von Nafh. zu ‘gauharatäni’ fortgelassen zu haben, wor¬ 
aus sich zunächst die Ausdrücke ‘juweelen’ und ‘pre- 
cious stones’ der malaischen und syrischen, und in 
letzter Linie auch ‘durratäni’ der arabischen Version 
G'auzi’s erklären dürften 337 ). Seinen Ärger hat der 
Mann in u, wie- in Nafh-, der syrischen und malaischen 
Version, jedenfalls durch Beißen auf die Finger ausge¬ 
drückt, wogegen das Beißen auf die Lippen bei G'auzi 
eine willkürliche Änderung ist. Die Abfassung der ver¬ 
lornen oder noch unbekannten arabischen Version u kann 
wegen G'auzi (f 1201) nicht später als im 12. Jahr¬ 
hundert angesetzt werden. 

Mit der Version von G'auzi sind, da sie wie er den 
Vogel eine Lerche, den Edelstein, (bei G'auzi allerdings 
zwei) eine Perle (durrah) nennen und den Mann seinen 
Schmerz durch Beißen auf die Lippen zum Ausdruck 
bringen lassen, näher verwandt folgende kleinere Be¬ 
arbeitungen : 

1. Die Erzählung bei Damiri (f 1405) 338 ); 

2. die Erzählung bei A§§ari§i 339 ); 


337) Vgi oben p. 141 die Bemerkung über die Bedeutung von 
gnuhar. 

888 ) in dem großen Sammelwerk Hajat al-haiwän II, pp. 
284/5 (Büläk 1284). Hinweise von Nöldeke, ZDMGr. L (1896), p. 
306; M. Hartmann, Zeitschr. d. Ver. f. Volksk. VI (1897), p. 106; 
Chauvin III, p. 103. 

889 ) in der großen Bairüter Chrestomathie Magam al-adab II, 



161 


3. die Erzählung bei Tantavi (f 1871) 340 ), wo die 
Stufenfolge verdreht ist in „Hand“, ,,Hügel“, „Baum“. 

Da die Angaben, welche die kleinen arabischen Ver¬ 
sionen teilweise 341 ) über ihre Quellen, seien es schrift¬ 
liche, seien es mündliche, machen, wenig geeignet sind 
uns vorwärts zu bringen, so muß auf eine vollkommene 
Klärung der Abstammungsverhältnisse einstweilen wohl 
verzichtet werden. Wir sind nicht unberechtigt für die 
drei letztgenannten Versionen eine gemeinsame Wurzel 
(v) anzunehmen, welche die Zweizahl der Perlen zuerst 
vereinfacht hat. Damiri kann diese Wurzel nicht sein. 
Denn wenn man, wozu man hier wohl berechtigt ist, die 
bei Handschriftenvergleichungen übliche Methode auf die 
Texte bei G’auzi, Damiri und Tantavi anwendet, so 
ergibt sich, daß-die beiden letzteren nebeneinander auf 
einen G'auzi nahestehenden Text zurückgehen müssen. 
Für unsere Zwecke wird es genügen, wenn wir mit 

pp. 80 ff (No. 119), worauf zuerst B. Meißner, p. 184, Anm. 1; 
dann unter Beifügung einer ausführl. Inhaltsangabe M. Hartmann,, 
Z. d. V. f. Vk. VI (1896), p. 270 hingewiesen hat. Da das Mün¬ 
chener Exemplar des Magani wohl eine Dublette zum dritten, aber 
keinen zweiten Band hat, tritt für mich anstelle des arabischen 
Textes die Übersetzung von M. Hartmann, die allerdings nicht an¬ 
gibt, welcher Art der Vogel ist; doch dürfte es sicherlich eine 
Lerche sein. » 

840 ) im Anhang des Traitd de la langue arabe vulgaire par 
lc Scheikh Mouhammad Ayyad El-Tantavy. professeur de la langue 
arabe a Tinstitut des langues orientales et a Tuniversitd impöriale 
de St. Petersbourg etc. Leipsic 1848, 8°, pp. 226/7. Hinweis bei 
Chauvin III, p. 103. 

S41 ) Damiri beruft sich für die Erz. auf den Imäm Häfiz 
Abh Bar al-Hatfb al-Bagdädl, dem sie wieder durch Dftwid Ibn 
Abi Hind zugekommen sei. G’auzi gibt als Gewährsmann Ag-Sa l bi (?) 
an. Solche Angaben zeigen nur, wie lebhaft derartige Geschicht- 
chen im Munde der Erzähler kursierten und trotzdem ihre Gestalt 
nur wenig änderten. 

Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 


11 



162 


einiger Berechtigung einen aus G‘auzi geflossenen Text 
v annehmen können, aus dem sich dann die drei oben zu¬ 
sammengestellten Versionen ableiten lassen. 

Zu allerletzt ist noch eine Bearbeitung unserer Er¬ 
zählung zu besprechen, die zwar unbedenklich den 
kleinen orientalischen Versionen zugezählt werden darf, 
deren Einreihung in den von uns soeben fertiggestellteh 
Stammbaum jedoch immerhin einige Schwierigkeit bietet. 
Gemeint ist jene Version, welche bei den Awaren, einer 
kleinen tatarischen Völkerschaft am Westufer des Kas¬ 
pischen Meeres, wahrscheinlich einem Überbleibsel jener 
einst ganz Europa furchtbaren Horde, im Volksmunde 
lebendig gewesen sein muß 342 ). 

Der Vogel ist nicht näher bezeichnet, wir dind also 
berechtigt, eine (arabische) Vorlage anzunehmen, in wel¬ 
cher der Vogel noch ‘u?fur genannt war. Eines der sonst 
wichtigsten Kennzeichen versagt hier vollständig, da 
,,Gold so groß wie ein Hühnerei“ im Magen des Vogels 
sich auf den ersten Blick als nachträgliche. Änderung 
zu erkennen gibt. Der Umstand, daß der Mann sich im 
Ärger in den Finger beißt, bringt uns einer Entschei¬ 
dung schon näher, indem er uns hinsichtlich der Quelle 

342 ) Die Geschichte ist in einer hs. aufgezeichnet, welche 
von 'Baron Uslar in Temir-Chan-Schura vom Untergang gerettet 
worden ist. Gedruckt erschien sie zuerst 1868 in Temir-Chan-Schura 
mit russ. Übersetzung, 1869 ebenso in Tiflis, endlich 1873 als No. 
15 der von A. Schiefner in St. Petersburg herausgegebenen Awari- 
schen Texte (Memoires de TAcademie imperiale des Sciences de St. 
Petersbourg, VII e serie, tome XIX, No. 6, pp. 101 ff) mit darunter¬ 
gesetzter deutscher Übersetzung. Über die bibliogr. Einzelheiten ver¬ 
gleiche dortselbst pp. I ff. — Hinweise: Köhler bei Schiefner p. 
XXVI, in Anz. f. d. Altert. IX (1883), p. 405; G. Paris, Lai 
(1903, pp. 241/2) gibt eine französische Übersetzung; Kuhn, p. 
75; de Cock, pp. 131—133, übersetzt die Erzählung nach G. Paris 
ins Holländische. 



163 


nur die Wahl zwischen Nafhatu 1-Jaman und dem zu 
substituierenden Text u läßt. Für das erstere ent¬ 
scheidet dann endgültig, daß der Vogel verspricht, die 
erste Lehre in der Hand des Mannes, die beiden anderen 
auf dem Strauche zu erteilen. Somit haben wir in dem 
awarischen Text eine Schwesterversion von u zu sehen, 
die ebenfalls den fremden ersten Bestandteil der Er¬ 
zählung im Nafb., die Fabel von dem Vogel und der 
Falle, abgestreift hat. 


il 



Vierter Abschnitt. 


Spuren unserer Erzählung in Indien 
und sonstwo. 

Wir sind im vorigen Abschnitt den Forschungen 
Kuhns bis hart an die Grenzen des nordwestlichen In¬ 
diens gefolgt und haben erfahren, daß schon um die 
Wende des ersten Halbjahrtausends unserer Zeitrech¬ 
nung - unsere Erzählung in einer Form, die wir fast noch 
in allen ihren einzelnen Zügen zu erkennen vermeinen, 
als Parabel in den Pahlavi-Roman ‘Barlaam und Joa- 
saph’ 343 ) verwoben war. Wenn wir auch wohl mit Kuhn 
annehmen dürfen, daß der Verfasser desselben keine 
indische Vorlage hatte, die den Stoff schon so, wie er ihn 
brauchte, darbot, so ist doch unbestreitbar, daß die 
Hauptquellen sowohl für den Rahmen als auch für die 
einzelnen Parabeln (des Romanes aus der indischen Lite¬ 
ratur geflossen isind. Wir sollten demgemäß erwarten, 
daß unsere ^Parabel sich in dem klassischen Heimat¬ 
lande der Parabeln und Apologe, in Indien, müßte wie¬ 
derfinden lassen. Aber während bei anderen Märchen 
und Geschichten längst das indische Vorbild entdeckt 
worden ist, blieb ein derartiger Fund in unserem Falle 
leider versagt. Trotzdem hat sich noch nirgends auch 

S4S ) Ich gebe hier der Bequemlichkeit halber die griechischen 
Namensformen. 



165 


nur der leiseste Zweifel an der indischen Herkunft der 
Parabel erhoben, man hat vielmehr gesucht, ob sich 
nioht wenn auch entfernte Spuren unserer Erzählung 
in irgend einer der großen Märchen- und Geschichten¬ 
sammlungen, die wir in Indien selbst oder als Ausflüsse 
indischer Quellen antreffen, entdecken ließen. Freilich 
sind auch diese Versuche seit Benfey, der in der Ein¬ 
leitung seiner Pancatantra-Übersetzung auf einige Par¬ 
allelen hinwies, jnicht wieder aufgenommen worden, es 
haben sich eher Stimmen der Skepsis, wie G. Paris u. J. 
Jacobs, über ein solches Beginnen geltend gemacht, ohne 
indes dem Verfahren Benfeys positiv alle Berechtigung 
abzusprechen. Wenn nun im Folgenden trotzdem neuer¬ 
dings daran gegangen werden soll neue Anknüpfungs¬ 
punkte zu suchen, oder vielmehr die alten entsprechend 
auszubauen, so bin ich mir des unsicheren Bodens, auf 
dem ich wandle, wohl bewußt und möchte daher, um 
allen Eventualitäten vorzubeugen, den nachfolgenden 
Ausführungen im vornherein nur den Wert bloßer Ver¬ 
mutungen beigemessen wissen. 

Benfey 344 ) bringt die Parabel, allerdings ziemlich 
äußerlich, zunächst mit zwei wahrscheinlich urverwand¬ 
ten indischen Erzählungen /zusammen. DieJ eine derselben 
befindet sich im türkischen und persischen Tuti-Np,meh 
(Papageienbuch) 345 ) : (ein kluger Papagei isl, in die Häinde 
eines Jägers gefallen. Um sich vom Tode zu retten, 
macht er den Mann mit seinen Fähigkeiten bekannt 


344 ) Die Literatur für die folgenden Darlegungen ist zu¬ 
nächst Benfey I, pp. 380/1, 246—249, 291/2, 229/30 und sonst; 
Liebrecht, Quellen, p. 332; G. Paris, Lai (1903, pp. 245—247 et 
passim); Kuhn, p. 75; Jacobs, Barlaam, pp. LXXX/I, CXXI. 

846 ) in Georg Rosen's Obersetzung der türkischen Version: 
Tuti-Nameh. Das Papageienbuch. Eine Sammlung orientalischer 
Erzählungen. Erster Theil. Leipzig 1858, 8°, pp. 136—146. 

/ 



166 


und redet ihm ein ihn zu verkaufen, da er dann einen 
sehr hohen Preis für ihn erhalten werde. Der Jäger geht 
darauf ein und verkauft den Vogel um schweres Geld 
an den todkranken König, der sich von den Künsten des 
Papageis Heilung erhofft. Der König wird tatsächlich 
geheilt, den Papagei aber plagt das Heimweh. Um seine 
Freiheit zu erlangen, greift er zu einer List. Er bittet 
den König ihm für seine Dienste ein Hofamt zu ver¬ 
leihen. Der König, dadurch der Meinung geworden, der 
Vogel wolle nicht mehr fort, öffnet ahnungslos den Käfig 
und der Papagei entfliegt. Bestürzt versucht der König 
durch schmeichlerische Worte den Entflohenen jzur Rück¬ 
kehr zu bewegen, aber vergebens. Der Vogel ruft ihm 
vielmehr höhnisch von der Höhe eines Daches herab zu, 
er werde sich nie wieder fangen lassen; weder der tö¬ 
richte Jäger noch der König selbst hätten seinen wahren 
Wert erkannt, er verstehe sich auf alle Künste und 
Zaubereien, insbesondere auf die Schatzgräberei; viel 
besser wäre es für den König gewesen ihn in einem 
eisernen Käfjig festzuhalten. Mit diesen Worten entfliegt 
er. — In der S’ukasaptati, dem sanskritischen Grund¬ 
werk, findet sich diese Erzählung nicht, aber wohl nur 
deshalb, weil sie einen bloßen Auszug darstellt. 

Die andere mit der eben skizzierten offenbar ver¬ 
wandte Erzählung finden wir im Pancatantra 346 ). Sie 
handelt von dem goldkackenden Vogel Simbhuka. Ein 
Jäger sieht den wunderbaren Vorgang, stellt dem Vogel 
nach und fängt ihn. Aber aus Furcht, die Entdeckung 
des kostbaren Fanges möchte ihm den gefährlichen Neid 
des Königs erwecken, getraut er sich nicht den Vogel zu 
behalten und überbringt ihn mit einem entsprechenden 
Berichte dem hocherfreuten König. Indes überredet ein 

346 ) in der 13. Erzählung des 3. Buches; bei Benfev, Bd. II, 
pp. 167/8. 



167 


Minister mit dem Hinweis, daß die Unmögliches be¬ 
hauptenden Worte des Jägers keinen Glauben verdienten, 
den König den Vogel wieder freizulassen. Der entflie¬ 
gende Vogel läßt im Flug goldene Exkremente fallen 
und verschwindet mit den höhnischen Worten: ,»Zu¬ 
erst war ich allein töricht, alsdann der Vogelfänger, 
nachher der König samt Bäten, wahrlich ein ganzes 
Narrenhaus!“ 

Diese Erzählung kommt erst in der jüngsten Rezen¬ 
sion des Paiicatantra vor und ist so sicher ein später 
Zusatz, der vielleicht ein ganzes Jahrtausend später mit 
dem Paiic. verworben Wurde als die Parabel !mit dem Bar- 
laam. Sie zeigt mit der vorigen Erzählung ganz Auffallende 
Ähnlichkeiten: ein Jägersmann fängt einen Vogel, dessen 
absonderlicher Wert ihm unzweifelhaft ist, er behält in¬ 
des den Gefangenen nicht selbst, sondern überbringt 
ihn dem Könige. Aber durch die Torheit des Königs, 
der sich in dem einen Fall von dem Vogel selbst, [in 
dem anderen von dem siebengescheiten Minister täu¬ 
schen läßt, wird der Vogel wieder befreit und offenbart 
dem Könige seine Dummheit, indem er seine wahre Art 
und die Größe seines Wertes scheidend kundtut. Diese 
Züge müssen auch der für beide Erzählungen zu sub¬ 
stituierenden indischen Vorlage eigen gewesen sein. Und 
da die Form im Tuti-Nameh die ältere von den beiden 
ist, so gehen wir vielleicht nicht fehl, manche Einzel¬ 
heiten desselben, (die im Paiicatantra anders gewendet 
sind, ebenfalls der Vorlage zuzuschreiben, wie z. B. 
daß der Vogel durch seine eigene List den König betört, 
oder daß der König einen Versuch macht den Vogel 
wieder einzufangen. 

Alles dieses wohl überschaut, kann es uns nicht 
schwer fallen zwischen der Parabel des Barlaam und 
der für Tuti-Nameh und Paßcatantra gemeinsamen Vor- 



168 


läge eine Reihe von ähnlichen Zügen herauszufinden. 
Allerdings müßten wir, um näher an die Parabel heran¬ 
zukommen, den Jäger und den König in Tut. und Panc. 
zu einer einzigen Person ineinanderschieben. Dann 
würde sich ungefähr folgende Gestalt der Erzählung 
ergeben: Ein Jäger fängt einen Vogel, dessen besonderer 
Wert ihm nicht verborgen bleibt. Aber trotzdem läßt 
er sich in seiner Torheit durch eine List des Vogels ver¬ 
leiten ihn freizugeben. Der Vogel macht ihn dann höh¬ 
nisch auf die Größe seines Verlustes aufmerksam, kehrt 
aber trotz aller Lockungen nicht mehr zurück. 

Damit haben wir eine Reihe von zusammenhängen¬ 
den Motiven gewonnen, die in derselben Verbindung auch 
in der Barlaamparabel Vorkommen. Auch hier fängt 
der Mann einen Vogel, dessen Wert ihm allein schon 
aus dem Versprechen der drei Lehren offenbar werden 
müßte. Allein er verpfändet sein Wort ihn freizu¬ 
lassen und wird dann von dem Vogel höhnisch auf den 
Verlust, den ihm seine Torheit verursacht, aufmerksam 
gemacht. Allerdings ist das Letzte in der Parabel nur 
eine Vorspiegelung. Allein das ursprüngliche Verhält¬ 
nis erhellt noch aus dem Satz, mit dem in der ältesten 
arabischen BarlaamVersion die Nutzanwendung beginnt: 
,,Du Tor, du hättest mich nimmer freilassen sollen!“ 347 ) 
Diese Reihe von zusammengehörigen Motiven, die, ob¬ 
wohl außerhalb der Parabel stehend, dennoch mit einem 
großen Teil derselben identisch ist, soll von uns kurz 
‘ers'te Motivreihe, vom gefangenen Wun¬ 
dervogel’ genannt werden. 

Das Motiv, wie eih Vogel Früchte zerstört oder 
plündert und dafür gefangen, aber bald wieder freige¬ 
lassen wird, finden wir ebenfalls außerhalb der Barlaam- 

347) Freilich ist diese Stelle für das Pahlavt-Original einst¬ 
weilen nicht sicher zu erweisen; siehe oben p. 126. 



169 


parabel in einigen orientalischen Erzählungen wieder, 
die zweifellos auf eine gemeinsame indische Quelle zu- 
rückgehen. Die eine derselben stammt aus einer chine¬ 
sischen nach indischen Vorlagen angelegten Kompilation 
des 16. Jahrhunderts 348 ). Ein Papagei sorgt liebevoll 
für seine blinden Eltern. Da hört er einmal, wie ein 
Säemann die Aussaat im vornherein als Almosen für 
die Armen gelobt. Der Papagei handelt darnach, wird 
aber bei der Plünderung der Ähren von dem erzürnten 
Landmann gefangen. Indessen, die Vorstellungen des 
Vogels über das Ungerechte der Gefangennahme und die 
Aufklärung, daß die Körner für die blinden Eltern 
bestimmt seien, bewegen den Mann zur Freilassung des 
Gefangenen. 

Eine ähnliche Erzählung befindet sich als später 
Einschub in einer der persischen Bearbeitungen des 
Pancatantra nach dem Arabischem, den aus dem 15. 
Jahrhundert stammenden Ä^ar-i Suhaili des Husain 
Vä’iz 349 ), ferner in deren türkischen Übersetzung, dem 
Humayun Nameh des Ali Tschelebi Ben Saleh 350 ). Hier 
ist das Motiv der Kindesliebe nicht vorhanden. Eine 
Nachtigall zerstört täglich die Knospen eines Bosen¬ 
busches und wird deswegen von dem erzürnten Gärtner 
gefangen. Auch ihrem Zureden gelingt es den Mann zu 
überzeugen, daß er wegen des kleinen Vergehens zur 

348 ) mit dem Titel Yu-lin (Foret des Comparaisons), vf. v. 
Youen-thai. Die betr. Erz. ‘le laboureur et le perroquet* ist n° XIII 
p. 68 (vgl. pp. VIII/IX) in Les Avadänas, Contes et Apoiogues 
Indiens, traduits p. M. Stanislas Julien, Paris 1859, 8°, vol. I. 

3i9 ) in der Übers, von Edw. B. Eastwick, Hertford 1854, 
gr. 8°, pp. 147—149; in der französischen (gekürzten) Übersetzung 
des Livre des Lumieres von David Sahid d’Ispahan, Paris 1654, 
pp. 114/5. 

S5 °) in Galland's franz. Übersetzung: Les Contes et Fables 
Indiennes de Bidpai et de Lokman, Paris 1724, pp. 69—74. 



170 


Gefangenhaltung oder Tötung nicht berechtigt sei, wor¬ 
auf denn #,uch die Nachtigall freigelassen wird 351 ). Neu 
ist aber im Vergleich zur vorigen Erzählung, daß der 
Vogel dem (Mann durch die Entdeckung eines Schatzes 
Dai>k erzeigt 352 ); peu ist ferner die Frage des Mannes, 
warum der Vogel die Schlinge nicht habe sehen können, 
da ihm ja doch auch der Schatz in der Erde nicht ver¬ 
borgen gewesen sei, mit der Antwort des Vogels: „Gegen 
das Schicksal hilft keine Vorsicht!“ 363 ) 

Die den beiden Erzählungen gemeinsamen Züge: 
die Verwüstung der Blüten oder Früchte, die Gefangen- 

351 ) Diese Erzählung hat, wie oben p. 45 berichtet, Le Grand 
für die eigentliche indische Quelle unserer Erzählung gehalten. G. 
Paris, Lai (1903, pp. 264/7) hat dagegen die Ansicht ausgesprochen, 
daß unsere Parabel die obige Geschichte beeinflußt habe, eine Be¬ 
hauptung, die namentlich wegen des jungen Alters der Anvar-i 
Suh. im Vergleich zum Barlaam durchaus nichts Unmögliches 
besagt. 

352 ) Dasselbe Motiv ist mit einer arabischen Einzelversion 
organisch verbunden; vgl. oben p. 151. 

353 ) Daß dieser letztere Teil nicht ursprünglich mit dem 
Übrigen verbunden war, zeigt sein einzelnes Vorkommen in anderen 
oriental. Werken, z. B. in Fäkihatu ’l-hulafä'i (ed. Freytag, pp. 
91/2): ‘la huppe qui, avertie d‘ailleurs par un imäme comprenant 
son langage, connait le piege, mais qui y tombe cependant, parce 
qu’ainsi le veut le destin* (Chauvin), und im Merzbäne Nämeh 
(Chauvin II, p. 213). In Verbindung mit dem Schatzzeigen als Lohn 
für Loskauf aus fremder Gefangenschaft findet sich sodann das 
,,Schicksalsmotiv“ im Kaliiah wa-Dimnah jüngerer Rezension (in 
der Übersetzung von Phil. Wolff Das Buch des Weisen in lust- 
u. lehrreichen Erzählungen des ind. Philos. Bidpai. 2. Aufl. 1. 
Theil. Stuttgart 1839, pp. 119—121) und in den Anvar-i Suh. 
(Eastwick, pp. 645/6), so daß es im letzteren Werke zweimal er¬ 
scheint. — Das ,,Schicksalsmotiv“ hat sich in die Parabel des 
hebr. Barl, verirrt und ist von Weisslovits (p. 113) benützt wor¬ 
den um für Chisdai eine größere Ursprünglichkeit zu beanspruchen 
als die anderen Orient. Barl.-Vers., da diese Stelle direkt nach Indien 
weise. Doch findet sie sich, wie man sieht, auch sonst im Orient. 



171 


nähme, das gütliche Zureden des Vogels und die endliche 
Freilassung, finden wir alle in derselben Anordnung 
auch in 4 er Parabel des Barlaam wieder. Wir können 
sie kurz ,als ‘zweite Motivreihe, vom plün¬ 
dernden Vogel’ bezeichnen. Legen wir die beiden 
außerhalb der Parabel aufgefundenen Motivreihen zu¬ 
sammen, so ergibt sich beinahe das vollständige Ge¬ 
rippe der Parabel. Nur die drei Lehren fehlen noch. 

Was diese anlangt, so ist zu ihnen von keinejm 
Forscher noch eine Parallele aus Indien seihst beige¬ 
bracht worden, wenn man vielleicht von dem ganz all¬ 
gemein gehaltenen Hinweis Benfeys auf die in indischen 
Schriften mehrfach hervortretende Wertschätzung von 
Sprüchen, die sich in unserer Erzählung offenbare, ab¬ 
sieht. Aber mit Recht hat dann Jacobs 354 ) betont, daß 
‘there is nothing specifically Indian in those ideas’. Das 
könnte uns veranlassen, den Blick fremden Literaturen 
zuzuwenden, um zu sehen, ob sich bei einem Volke, das 
jemals Beziehungen literarischer Art mit Indien unter¬ 
halten hat, etwas Ähnliches wie unsere drei Lehren 
findet. Wir brauchen nicht lange zu suchen, denn das 
griechische Altertum weist ein ganz auffallendes Ana¬ 
logon 355 ) auf, für welches das älteste Zeugnis die 53. 
Fabel des (Babrios 356 ) ist. Ein alter Fuchs ist einem 
Wolfe in die Hände gefallen' und bittet ihn um sein 
Leben. Der Wolf schwört bei Pan ihn zu schonen, wenn 
er ihm drei Wahrheiten sage. Der Fuchs: ,,Hätt’ ich nie 

854 ) Barlaam, p. LXXXI. 

35ö) zuerst von Roth, p. 140 Anm., neuerd. von Chauvin III, 
p. 104, VI, p. 110 zu unserer Erzählung bezogen. 

366 ) Hartung, Babrios u. die ältesten Jambendichter, Leipz. 
1858, 8°, pp. 86/7 (mit deutsch. Übersetzung); O. Crusius, Babrii 
Fabulac Aesopeae etc., Lipsiae (Teubner) 1897, 8°, p. 51, vgl 
p. 287. 



172 


von dir gewußt! O wärest du blind gewesen, ehe wir 
uns kannten! Möchte dich der Henker bald holen, und 
ich nur nie mehr etwas mit dir zu tun haben!“ Hier 
bricht die Fabel kurz ab. Die Lehre lautet: oxc JioXXaxig 
ai jieQioräoeis Jieqpvxaai xai nagä yvw/urjv xd oiyrjg &£ia eig 
rovjU(pav£G äyeiv. Auch im griechischen Prosa-Äsop, der wie es 
scheint, auf Babrios zurückgeht* 57 ), treffen wir diese Fabel, 
und zwar zweimal: das erstemal 358 ) ungefähr in der¬ 
selben Fassung wie bei Babrios, das anderemal 359 ) in 
einer etwas veränderten Gestalt, und zwischen einem 
Wolf und einem Kind sich abspielend. Es wird aus¬ 
drücklich erklärt, daß der Wolf xd äyjsvdeg avxov anerkennt, 
und das Kind freiläßt. Demgemäß heißt auch die Lehre: 
dxi noXXdxig fj äXtj&eia xai nagä. TioXe/uioig loyvei 960 ). 

357 ) Jacobs, Aesop I (Pedrigee). 

S5S ) Fabulae Aesopicae Collectae ex recognitione Caroli Halmii, 
Lipsiae (Teubner) 1852, 8°, p. 132, No. 271. 

359 ) Halm, pp. 132/3, No. 271 . 

36 °) Einschaltungsweise sei hier erwähnt, daß diese Fabel 
auch dem Mittelalter nicht unbekannt blieb und manche Neube¬ 
arbeitung erlebte, die wegen ihrer Ähnlichkeit mit unserer Erz. 
des öfteren als Ausflüsse von ihr angesehen worden sind, ohne 
daß ein nachträglich wieder enger gewordener Zusammenhang sich 
in Abrede stellen ließe. Sonderbarerweise handelt es sich in diesen 
mittelalt. Bearb. um einen Wolf, alias Fuchs, der drei Wahrheiten 
(nicht Weisheiten wie in uns. Gesch.) als Fergenlohn gibt. Am 
reinsten hat den Sinn der alten Fabel noch der Romulus Anglicus 
Hervieux* [t. II (18942), pp. 640/1, n° CXXI ‘de lupo et nauta’J, 
wo der nauta nichts anderes fordert als ‘tria vera mihi dicas pro 
precio*; die vera selbst lauten: ‘bene facit qui benefacit*, ‘qui sic 
non facit, peius facit*, ‘quidquid boni fit perverso, perditum est 
ex integro*; das letzte verum deutet den Sinn an, welchen die 
mittelalt. Fabel neu erhalten hat. Ähnlich ist die 79. Fabel der 
Marie de France ‘dou leu et d’un vilein* (Roquefort II, pp. 
324—326). Der vilein ist nichts anderes als ein batelier; statt 
‘tria vera* heißt der Ausdruck hier, schon an die Parabel an¬ 
genähert, ‘treiz paroles de saveir*, diese sind aber so wie die 



173 


Diese griechische Fabel nun ist möglicherweise nach 
Indien gelangt, dort in didaktischem Sinne umgewandelt 
und mit den oben festgestellten beiden Motivreihen zu 
einem Ganzen, unserer Parabel, verknüpft worden. Ge¬ 
wiß ist, daß griechische Fabeln namentlich seit der 
Zeit Alexanders und der Diadochen nach dem Osten 
fewandert sind. Eine beträchtliche Anzahl von den im 
Pancatantra vorkommenden Fabeln stammt tatsächlich 


vera im Romulus Anglicus; Moral: verkehre nicht mit Schurken» 
du wirst übel dafür belohnt. Dieselben Wahrheiten hat ^och eine 
fabula rhythmica ‘de lupo |Kßnitentiam agente* (bei Th. Wright, 
A Selection of Latin Stories, Lond. 1842, 8°, pp. 170/1), welche 
sich aber am Anfang ebenfalls von der ursprünglichen Fassung 
entfernt und uns. Erzählung sich annähert: ‘genitor meus prophe- 
tavit; tria quondam monita mihi commendavit, — haec monstrabo 
licet fieri secreta, rogavit’. — Diese drei Bearbeitungen würden 
nach dem Stammbaum von Jacobs Derivate des Phaedrus sein, so 
daß auch dieser klassische Autor die alte Fabel von den drei 
Wahrheiten gehabt hätte. — In anderen mittelalt. Fabelbüchern, 
so bei Odo von Sherrington und Johannes von Sheppey (Hervieux 
IV, p. 218, n° XLVI; p. 431) hat sich der Wolf in einen Fuchs 
verwandelt, die drei Wahrheiten sind ganz verschwunden, aber der 
Sinn der Fabel: qui malo servit servitium suum perdit ist wie 
in den früh. Bearb. geblieben. — Dazu sind außerdem zu ver¬ 
gleichen die von G. Paris, Lai (1903, p. 247 Anm. 1), der diese 
Gruppe irrtümlicherweise für ‘une sorte de parodie de notre conte’ 
hält, genannt. Bearb.: Pauli, Schimpf und Ernst No. 380, u. 
Libro de los Gatos No. 49; dann alle Vers., welche Le Grand zur 
Fabel der Marie de France aufzählt [t. IV, pp. 44/5: Poggio, 
Chasse-ennui, Gibeciere de Mome, Courier facätieux, Faceticux 
Biveille-Matin, Passa-tempo de ’Curiosi: batelier et komme; Tresor 
des R6creations, Fameux Arlotte, Contes de Desperriers, Facetiae 
Frischlini: pelerin et aubergiste ]. Ebenfalls im Zusammenh. mit 
uns. Par. hat dann schon E. du Meril (p. 146, Anm. 2) auf Kap. 
58 des Vulgärtextes der Gesta Romanorum verwiesen, wo ‘on voit 
aussi un homme racheter sa vie en disant trois vdrites*; dazu 
vergleiche man die Nachweise, welche H. österley zu diesem Kapitel 
in seiner Ausgabe der Gesta geliefert hat. 



174 


aus äsopischen 361 ). Daß dann aus den drei Wahrheiten 
der griechischen Fabel in der indischen drei Weisheiten 
geworden wären, würde zu dem Charakter der indischen 
Fabel 362 ) ganz gut passen, es würde dadurch auch das 
äußere Gefüge der griechischen Fabel dadurch nicht 
geändert worden sein: - Freiheits- und Lebenserkaufung 
durch drei Worte 363 ). 

Verfolgen wir unsere Idee weiter, so müßte die nun¬ 
mehr auch in den drei Worten didaktisch gewordene 
Fabel mit den oben skizzierten zwei Motivreihen in dem 
Kopfe eines phantasiebegabten und märchenkundigen Be¬ 
arbeiters in ein Ganzes verschmolzen worden sein, wobei 
denn Fuchs (oder Kind) und Wolf der Fabel durch 1 
Mann und Vogel der beiden Motivreihen verdrängt wor¬ 
den wären. Freilich hat 364 ) sich diese Zusammenschwei¬ 
ßung doch nicht ganz schlackenlos bewerkstelligen las¬ 
sen. Die drei Weisheiten hatten nämlich neben ihrem 


361 ) Benfey I. pp. X, XXI. 

362 ) Benfey I, p. XXI: ,.Während das äsop. Kunstwerk die 
Tiere ihrem eigenen Charakter entsprechend handeln ließ, behan¬ 
delte sie die indische Fabel, ohne Rücksicht auf ihre spezielle 
Natur, gewissermaßen wie in Tiergestalt verhüllte Menschen. Da¬ 
zu mag teils die wesentlich — und in Indien nur — didakt. 
Natur der Tierfabel beigetragen haben, teils auch der in Indien 
herrsch. Glaube an die Seelenwanderung.“ 

36S ) ‘Thre proverbis payed for raunsoun ’ist noch für Lyd- 
gate (v. 38) der Hauptinhalt der von ihm so ausf. behänd. Gesch., 
und der Vers paßt ebensogut auf die altgriech. Fabel wie auf die 
Parabel des Barlaam. 

3ö4) Trotz des Indikativs hier soll das natürlich auch nichts 
anderes als Vermutung sein. — Übrigens ist es ebenso wahrschein¬ 
lich, daß das Motiv vom plündernden Vogel erst mit der Parabel 
dos arabischen Barl, verknüpft worden ist, als daß dies schon 
in der Urform der Parabel geschah. Vgl. oben p. 120 Anm. 



175 


didaktischen Zlweck (noch einen Nebenzweck, der sich 
mit jenem nicht ganz vereinbaren ließ, der aber durah 
die erste Motivreihe bedingt war: Die drei Leeren ver?- 
traten zu gleicher Zeit die Stelle der List, durch welche 
sich der Vogel in der ersten Motivreihe die Freiheit 
verschaffte. Daher der auffallende Hohn des Vogels am 
Schluß: Du Tor hättest mich überhaupt nicht freilassen 
sollen, ein Satz, der an und für sich geeignet wäre, dem 
Wert der drei Lehren in den Augen des Mannes so¬ 
wohl wie auch des Lesers Abbruch zu tun 365 ). Die Stelle 
der ersten Motivreihe, in welchem der Vogel dem Ge¬ 
täuschten höhnisch seinen wahren Wert und den an 
ihm erlittenen Verlust offenbart, ist ebenfalls mit in 
die Neubildung übergegangen, aber da durch sie der 
Wert der drei Lehren illusorisch geworden wäre, wenn 
der Vogel Tatsächliches berichtet hätte, so mußte sie 
zu einer bloßen Vorspiegelung gemacht werden, welche 
zu gleicher Zeit dazu diente den Mann auf die Probe zu 
stellen und dadurch das Motiv seiner Torheit, welches 
namentlich in der ersten Motivreihe so stark betont 
war, aber durch die Freilassung des Vogels auf das 
Versprechen wirklich gediegener Lehren hin nahezu aus¬ 
geschaltet worden wäre, zu erhalten. All dieses mecha¬ 
nische Getriebe wurde natürlich ins Werk gesetzt von 
dem schöpferischen Gedanken des Autors, auf dessen 
Wink sich die einzelnen Teile zu einem harmonischen 
Ganzen zusammengliederten. 

Auf diese Weise könnten wir uns etwa die Ent¬ 
stehung der Parabel des Barlaamromanes, die mit diesem 

365 ) Doch ist diese Stelle für den Pahlavi-Roman nicht ge¬ 
sichert. Vgl. oben p. 125, wo eine andere mögliche Erklärung dieser 
Stelle gegeben worden ist* — Die griechische kunstvolle Bearbeitung 
des Barlaam hat diese letzte Schlacke der Parabel beseitigt. 



176 


und dann auch für sich allein in so vielen Zungen und 
beinahe in allen Weltgegenden erzählt worden ist, ver¬ 
mutungsweise erklären: ein griechisches Pflänzchen, im 
indischen Wundergarten gezogen und veredelt, das sich 
in reicher Fülle durch alle Länder zu Nutz und Freud 
von Tausenden verbreitet. 



Anhang: Texte 



No. 1. Lydgate: The Chorle and the Bird. 

J. O. Halliwell, A Selection from the Minor Poems of Dan John 
Lydgate, London 1840, 8° (Percy Society) pp. 179 ff. — Elias 
Ashmole, Theatrum Chemicum Britannicum, London 1652, 4°, pp. 
213 ff. Emendationen vorgeschlagen von Paul Sauerstein, Über 
Lydgate’s Äsopübersetzung, Halle 1885 (Diss.) p. 13; von E. 
Gattinger, Die Lyrik Lydgate’s, Wien u. Leipz. 1896, 8° (Wien. 
Beitr. IV), pp. 84/6 u. v. G. Schleich, Über die Quelle von Lyd- 
srate’s Gedicht The Chorle and the Bird, in Herrigs Archiv Io 

(1897), pp. 425—435. 

1. Problemys of olde likenese and figures, 

Whiche proved been fructuous of sentence, 

And have auctoritö grownded in scriptures, 

By resemblaunces of nobille apparence, 

Withe moralitäs concluding on prudence, 5 

Like as the Bibylle, rehersithe by writing, 

How trees somtyme chese hemself a kyng. 

2. First in their choise thay named the olive 

To reigne amonge hem, Judicum dothe expresse, 

But he hymselfe gan excuse blyve, 10 

He myghte not forsake his fatnesse 
Ner the figge tree his amorows swettnes, 

Ner the vyne his holsom fresshe talage, 

Whiche geveth comforte to al maner age. 

8. And semlably Poetis Laureate, 

By dyrke parables ful convenient, 

Feyne that birddis and bests of estate, 

As royalle egles and lyons, be assent 
Sent out writtes to holde a parlement, 

And made degrees, brefly for to saye, 

Some for to have lordshippe and some for obeye. 
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 


15 


20 

12 



178 


4. Egles in the eyre highest take hir flighte, 

Power of lyouns on the grounde is sene, 

Cedre among trees highest ys of sight. 

And the iawrer of nature is ay grene, 25 

Of flowres all Plora goddes and quene: 

Thus of al thing ther beene diversit6s, 

Some of estate and some -of lowe degrds. 

5. Poetes writen wonderfulle liknesses, 

And under covert kepe hemself ful closse; 30 

They take bestis and fowles to witnesses, 

Of whos feyninges fabilles first arosse. 

And here I cast unto my purpose 
Out of the Frenssh a tale to translate, 

Whiche in a paunflet I redde and saw but late. 35 

6. This tale whiche I make of mencioun, 

In gros rehersethe, playnly to declare, 

Thre proverbis payed for raunsoun 

Of a faire birdde that was take in a snare, 

Wondir desirous to scape out of hir care. 40 

Of myne au tour folwyng the processe, 

So as it fei, in order I shal expresse. 

7. Whilom ther was in a smal village, 

As myn autor maketh rehersayle, 

A chorle the whichie hadde lust and grete corage 45 

Within hymself, be diligent travayle 
To array his gardeyn withe notable apparayle 
Of lengthe and brede yeliche square and longe, 

Hegged and dyked, to make it sure and strong. 

8. Alle the aleis were made playne with sond, 50 

The benches coverid with newe turvis grene, 

Sote herbes, withe condites at the honde, 

That wellid up agayne the sonne shene,. 

Lyke silver stremes, as any cristalle clene, 

The burbly wawes up ther on boyling. 65 

Eounde as byralle ther beamys out shynynge. 

9. Amyddis the gardeyn stode a fressh Iawrer, 

Theron a bird, syngyng bothe day and nyghte, 

With shynyng fedres brightar than golde weer, 



179 


Whiche with hir song made hevy hartes lighte. 60 
For to beholde it was an heyenly sighte, 

How toward evyn and in the dawnyng 

She dyd her payne most amourous to synge. 

10. Esperus . enforced hir corage 

Toward evyn, whan Phebus gan to west, 

Among the braunches to hir avauntage 
To syng hir complyn, and than go to rest, 

And at the rysing of the quene Alcest 
To synge agayne, as hit was hir due, 

Er ly on morowe the day sterre to salue. 70 

11. It was a verray hevenly melodye 

Evyne and morowe to here the byrddis songe. 

And the soote sqgred armonye 
Of uncouthe warblys and tunys, drawenon longe 
That al the gardeyne of the noyse rong: 75 

Til on a morwe, whan Tytan shone ful eiere, 

The birdd was trapped and kaute with a pantere. 

12. The chorle was gladde that he this birdde 
Mery of chere, of looke and of visage. 

And in al haste he caste for to make 
Within his house a pratie litelle cage 
And with hir songe to rejoise his corage, 

Til at the last the sely birdde abrayde 
And sobirly unto the chorle she sayde: 

13. ‘I am now take and stand undir daunger, 

Holde straite, that I may not flee. 

Adieu, my songe and alle notes clerel 
Now that; I have lost my liberte, 

Now am I thralle that somtyme was fre: 

And trust, while I stand in distresse, 

I canne not synge ner make no gladnesse. 

14. And thowe my cage forged were of golde. 

And the pynacles of birrale and cristall: 

I remembre a proverb, said of olde: 

Who lesethe his fredam, in faith he loseth all. 95 

For I hadd levyr upön a brauüche smale 


hadde take, 

80 

85 

90 



180 


Merely to synge amonge the wodesi greine 
Than in a cage of golde brighte and shene. 

lö. Song and prison have noon acoordaunoe.; 

Trowest thou I wolle synge in prisoun? 100 

Song procedethe of joy and of plesaunce, 

And prison cause the dethe and destruecioun; 

Rynging of fetires makethe no mery sown. 

Or how shulde he be glädde or jocounde 

Agayne his wylle, that lighte in chaynes bounde? 105 

16. What avaylethe it a lyon to be kyng 
Of bestes, alle shette in a towre of stone, 

Or an egle, undir strayte kepyng, 

Called also king of fowles everichone? 

Fy on lordshippe, whan libertö is gone! 110 

Answere herto and lat it not asterte: 

Who syngeth merily that syngeth not of herte? 

17. But if thou wilt rejoise of my syngyng, 

Lat me go flye free from al daunger, 

And every day in the mornyng 115 

I shall repayre unto thi lawrer 

And freshly syng withe lusty notes clere 

Undir thy chambire or afore thyne halle 

Every season, whane thou list me calle. 

18. To be shett up and pyned undir drede 120 

Nothing accordethe unto my nature. 

Thouhe I were fedde with mylke and wastelbrede. 

And soote cruddes browte unto my pasture, 

Yet had I lever to do my besy eure, 

Erly in the morowe to shrapyn in the dale 125 

To fynde my dyner amonge the wormes smale. 

19. The laborare is gladdare at his ploughe 
Erly on morne to fede hym withe bacon, 

Than sum man is that hathe tresoure inoughe 

And of alle deyntes plentö and foison, 130 

And no fredom with his possessioun 
To go at large, but as bere at the stäke 
To passe his boundis but if he leve iake. 



181 


20. Take this aunswere for full conclusion: 

To synge in prison thou shalt me not constrayne, 135 
Till I have fredpm in wodes up and downe 
To flien at -large on boughes rough and playne. 

And of resoun thou shuldest not disdayne, 

Of my desire but laugh and have good game; 

But who is a chorle wolde eche man were the same.’ 140 

21. ‘Wele’, quod the chorle, ‘syth it will not be 
That. I desire, as be thy talkyng, 

Magry thi will thou shalt chese on of thre: 

Withinne a cage merily to synge, 

Or to the kechen I shall thy body bringe, 145 

Pulle thi fedris that bene so brighte and clere, 

And aftir rooste and baake to my dyner.’ 

22. ‘Than’, quod the birrdde, ‘to resoun saye not nayl 
Towching my songe a fülle aunswer thou haste ; 

And when my fedres pulled been away, 150 

Yf I be rosted outher bake in paste, 

Thou shalt of me have a fülle smal repaste. 

But yf thou wijt werke by my conseille, 

Thou mayest by me have passing gret availe. 

23. Yf thou wilt unto my rede assent 165 

And suffre me go frely fro prisoun 

Without raunsoun or ony other rent, 

I shal the yeve a notable gret gwerdoun, 

Thre grete wysdoms according to resoun, 

More of valewe, take hede what I do profre, 160 

Than al the gold that is shet in thi cofre. 

24. Trust me wele, I shall the not disceyvel’ 

‘Wele’, quod the chorle, ‘teile oon, anone let sei’ 

‘Nay’, quod the byrdde, ‘thou must afore conceyve: 

Who that shal teche must of reason go free. 165 

It sittethe a maister to have his über16 

And at large to teche his lesson. 

Have me not suspecte, I mene no tresonel’ 

25. ‘Well*, quod the chorle, ‘I holde me content, 

I trußt the promys which thou hast made to me.’ 170 
The birdde fley forthe, the chorle was of assent. 



176 


% 

und dann auch für sich allein in so vielen Zungen und 
beinahe in allen Weltgegenden erzählt worden ist, ver¬ 
mutungsweise erklären: ein griechisches Pflänzchen, im 
indischen Wundergarten gezogen und veredelt, das sich 
in reicher Fülle durch alle Länder zu Nutz und Freud 
von Tausenden verbreitet. 



Anhang: Texte. 


No. 1. Lydgate: The Ghorle and the Bird. 

J. O. Hailiwell, A Selection from the Minor Poems of Dan John 
Lydgate, London 1840, 8° (Percy Society) pp. 179 ff. — Elias 
Ashmole, Theatrum Chemicum Britannicum, London 1652, 4°, pp. 
213 ff. Emendationen vorgeschlagen von Paul Sauerstein, Über 
Lydgate’s Äsopiibersetzung, Halle 1885 (Diss.) p. 13; von E. 
Gattinger, Die Lyrik Lydgate’s, Wien u. Leipz. 1896, 8® (Wien. 
Beitr. IV), pp. 84/5 u. v. G. Schleich, Über die Quelle von Lyd- 
siate’s Gedicht The Chorle and the Bird, in Herrigs Archiv Ic 

(1897), pp. 425—435. 

1. Problemys of olde likenese and figures, 

Whiche proved been fructuous of sentence, 

And have auctorite grownded in scriptures, 

By resemblaunces of nobille apparence, 

Withe moralit&a concluding on prudence, 5 

Like as the Bibylle, rehersithe by writing, 

How trees somtyme chese hemself a kyng. 

2. First in their choise thay named the olive 

To reigne amonge hem, Judicum dothe expresse, 

But he hymselfe gan excuse blyve, 10 

He myghte not forsake his fatnesse 
Ner the figge tree his amorows swettnes, 

Ner the vyne his holsom fresshe talage, 

Whiche geveth comforte to al maner age. 

3. And semlably Poetis Laureate, 

By dyrke parables ful convenient, 

Feyne that birddis and bests of estate, 

As royalle egles and lyons, be assent 
Sent out writtes to holde a parlement, 

And made degrees, brefly for to saye, 

Some for to have lordshippe and some for obeye. 

Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 


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20 

12 



182 


And toke hir flighte upon the lawreer tre. 

Than thought she thus: ‘Now that I stand fre, 

With snares, panters I cast not al my lyve 

Ner withe no lyme twygges ony more to stryve. 175 

26. He is a fole that scaped is daunger 

And broken his fetres and fled is fro prisoun, 

For to resort; for brent childe dredethe fire. 

Eche man beware of wisdom and resoun 
Of sugre strowed that hydethe fals poysonl 160 

Ther is no venome so parlious in sharpnes 
As whan it hathe of treacle a lyknes. 

27. Who dredeth no parelle in parelle he shal falle; 

Smothe waters ben ofte sithes depe; 

The quayle pype can moste falsly calle, 185 

Till the quayle undir the net doth crepe; 

A blery-eed. fowler trust not though he wepe, 

Eschewe his thombe, of weping take noon hede, 

That smale birddes can nype be the hede. 

28. And now that I such daungeres am escaped, 190 

I wil t>e wäre and afore provide 

That of no fowler I wil no more be japed; 

From their lyme twygges I will flee fer asyde; 

Where perell is, gret perelle is to abyde. 

Come nere, thou chorle, take hede to my speche, 195 
Of thre wisdoms that I shal the teche! 

29. Yeve not of wisdom to hasty credence 
To every tale nor to eche tyding, 

But considre of resoun and prudence: 

Among talis is many gret lesyng; 200 

Hasty credence hathe caused gret hyndring; 

Reporte of talis and tydinges broute up newe 
Maketh many a. man to beholde untrewe. 

bO. For oon partie take this for thy rounsoun. 

Lerne the secund grownded in scripture: 205 

Desire thou nott be no condicioun 
Thing which is impossible to recurel 
Wordly desires stand alle in aventure, 



183 


And who desireth to clymbe high on lofte 

By soden torne felethe ofte his fal unsofte 210 

31. The thirdde is this: beware bothe even and morowe, 
Borget it not, but lerne this of me: 

For tresoure loste make never to gret sörowe, 

Which in no wise may not recovered bei 
For who takethe sorowe for losse in that degr6 216 
Reknethe first his losse and aftir rekneth his peyne 
And of oon sorowe makethe he sorowes tweyne.' 

32. Aftir this lessone the birdde begane a songe, 

Of hir escape gretly rejoysing. 

And she, remembryng also of the wrong 220 

Don by the chorle first at hir takynge, 

Of hir affray and hir enprisonyng, 

Gladde that she was at large and out of drede, 

Said unto hym, hovyng above his hedde: 

33. ‘Thou were’, quod she, ‘a very naturall fole 225 

To suffre me departe of thy lewdnesse; 

Thou oughtest oft to complayne and make dole 
And in thyne herte to have gret hevynesse 
That thou hast loste so passing gret richesse 
Whiche myght suffice, by valewe in rekenyng, 230 
To pay the raunsoum of a myghty kyng. 

34. There is a stone whiche qalled . is jagounce, 

Of olde engendred withinne myne .entrayle, 

Whiche of fyne golde peyssethe a gret unce, 

Cytryne of colour, lyke garnettes of entayle, 236 

Which maketh men victorious in batayle, 

And who so ever bere on hym this stone 
Is fully assured agayne his mortal foone. 

36. Who that hathe this stone in possessiou 

Shal suffre no povert ner indigence, 240 

But of tresour have plent6 and foysoun. 

And every man shal do hym reverence, 

And non enemy shal do hym offence. 

But fro thyne handis now that I am gone, 

Pleyne if thou wilt, for thi parte is hone. 


245 



*) (35a. Ab y the abrayde her before, 

Of a stone now that I had: 

The wych now thow hast forlore; 

Be alle reson thow schuldys ben sad, 

And in thi hert nothyng glad: 

Now chorle y the tel in my device, 

I was eyred and bred in swite Paradyce. 

35b. Now mo namys y schal the tel, 

Of my stone that y cal Jagownce: 

And of hys vertuis with hys smel; 

That ben so swete and so odeferous, 

Wyth Ennock and Ely hath be my servis:' 

My swete songe that sowndeth so scherpe, 

Wyth Angelles voyse that passeth eny harpe. 

36c. The nigrum deamond that ys in Morienis sees 

And the white Charbonkkel that rolleth in wave; 
The setryne Reby of ryche degrees: 

That passeth the stonys of comen sawe, 

In the Lapidery ys grown by olde lawe; 

He passeth all stonys that ys under hevyn, 

After the cowrse of kynde by the Planets sevyn. 

35d. Hyt ys for none Chorle to have schuch tresour, 
That exsedeth alle Stonys in the lapidery: 

And of alle vertuis he bereth the flowr, 

Wyth all joy and grace yt maketh man mery, 
That in thys worlde schal never byn sory; 

Now very Chorle thow passeth thy gras, 

Y am at my leberte even as I was. 

35e. As Clerkys fyndeth in the Bybell, 

At Paradys yatis whan he was cast; 

By an Angel both fayr and styll, 

A downe Kyng Elysawnder ther I threst, 

And of all stonys yt was y lest; 

Soche stonys in place few ben y brought, 

Soroful ys the Chorle and hevy in hys thowte. 


*) Diese pnd die folg, eingeklammert. Strophen sind 
Ashmole eingesohoben. 



185 


35f. Now more Chorle yt tel y can, 

And thow wolt to me take hede: 

The Byrde of Ermes ys my name, 

In all the worlde that ys so wyde, 

Wyth gletering of grace by every syde, 

Hose me myght have in hys covertowr, 

He wer rychcher than eny Emperowr. 

35g. Elysawnder the conquerowr my Stone smot downe. 

Upon hys helme whan hyt pyght: 

No mor then a pese that ys so rownde, 

Hyt was ther to manys syght, 

That leyde so pleyne the manly Knyght; 

Now y tel the wyth melde Stevyn, 

Thys myghty grace oam owte fro Hevyn.j 

36. It causethe love, it makethe men gracious 
And favorable in every mannys sighte, 

It makethe acorde betwene folke envyous, 

Comforteth sorowfull and maketh hevy hertes lighte, 
Lyke topasion of colours sonnyssh bright. 250 

I am a foole to teile al at ones, 

Or to teche a chorle the price of precious stones. 

37. Men shuld not put a precious margarite, 

As rubies, saphires, or othir stones Ynde, 

Emeraudes ner rounde perles whi(gh)te 255 

Byfore rüde swyne that loven draffe of kynde; 

For a sowe delightethe, as I fynde, 

More in foule draffe hir pigges for to glade 
Than in al the perr6 that comethe out of Garnade. 

38. Eche thing draweth unto his semlable, 260 

Fysshes in the see, bestes on the stronde; 

The eyere for fowllis of nature is convenable, 

To a ploughe man for to tille the londe, 

And to a chorle a mokeforke in his honde. 

I lese my tyme ony more to tarye 265 

To teil a churle of the lapidarye. 

39. That thou haddest thou gettest never agayne; 

Thi lyme twiggys and panters I defye; 

To lete me go thou wäre foule over sayne, 



18 Ü 


To lese thi richeise only of folye. 270 

I am now fre to synge and to flye 
Where that me lust, and he is a foole at alle 
That gothe at large and makethe hymself thralle. 

40. To here a wisdom thyn eares been half deef, 

Lyke an asse that listithe on an harppe; 

Thou mayst go pype in an yve leffe; 

Better is to me to synge on thornes sharppe 
Than in a cage withe a chorle to carppe; 

For it was sayd of folkes yore a gone; 

A chorles chorle is ofte wo begone.' 

[40b. Now Chorle y have the her tolde, 

My vertuys her wyth grete experience; 

Hyt were to sume man better than Golde, 

To the yt ys no fructius a sentence, 

A Chepys Croke to the ys better than a Launce: 

Adew now Globbe wyth herte sore, 

In Chorles clowchys com y never more.J 

41. The chorle feit his herte parte in twayne, 

For verray sorowe, and asondire ryve. 

‘Alias!’ quod he, T may wele wepe and pleyne, 

As a wreche never lyke to thryve, 

But for to endure in povert al my live. 285 

For of foly and of wilfulnesse 

I have now lost al holy my richesse. 

42. I was a lorde, I crye out of fortune, 

And hadde gret tresoure late in my keping 

Whiche myghte have made me long to contynu- 290 

With that stone to have lyved lyke a kyng; 

Yf that I hadde sett it in a ryng, 

Borne it on me, I hadde had goode inowe, 

Than shuld I no more have goon to the ploughe.’ 

43. Whan the birdde sawe the chorle thus murne 295 

And houghe that he was hevy of his chere, 

She toke hir flighte and gan agayne retorne 
Towards hyin and said as ye shal here: 

‘O dul chorle wysdoms for to lere! 


275 


280 



187 


That I the taughte al is lefte behynde, 300 

Raked away and clene out of thy -mynde. 

44. Taughte I the not thies wisdam in Sentence, 

To every tale broughte to the of newe 
Not hastily to yeve therto credence 

Unto tyme thou knew that it were trewe? 306 

Al is not golde that shynethe goldisshe hewe, 

Nor stonys al by nature, as I fynde, 

Be not saphires that shewethe colour Ynde. 

45. In this doctryne I loste my laboure 

To teche the suche proverbis of substaunce; 310 

Now mayst thou see thyn owne blynde errour, 

For al my body peyssed in balaunce 

Weiethe not an unce. Hude is thi remembraunce; 

I to have more payce closyd in myne entrayle 
Than al my body set för countirvayle I 315 

46. Al my bodye weieth not an unce; 

Hough myght I than have in me a stone 
That peyssith more than dothe a gret. jagounce? 

Thy brayne is dul, thy witte is almoste gone; 

Of thre wisdoms thou hast forgetyn oon: 320 

Thou shuldest not after my sentence 
To every tale yeve hastily credence. 

47. I badde also: beware bothe even and morowe, 

For thiiig lost of soden aventure 

Thou shuldest not make to mekelle sorowe, 325 

Whan thou seest thou mayst not it recure. 

Here thou faylest which doste thi husy eure 
In thi snare to .kache me agayne; 

Thou art a fole, thi labour is in vayne. 

48. In the thirdde also thou doste rave; 330 

I badde, thou shuldest in no manner wyse 

Coveyte thing the whiche thou maist not have; 

In whiche thou hast forgetyn myne empryse. 

That I may Sey, pleynly to devyse: 

Thou hast of madnesse forgöten al thre 335 

Notable wysdoms that I taughte the. 



188 


„49. It wäre but foly withe the more to carpe 
Or to preche of wysdoms more or lasse; 

I holde hym madde that bryngeth forth his harppe 
Therone to teche a rüde fordulle asse; 340 

And madde is he that syngeth a fole a masse; 

And he is moste madde that doth his besynesse 
To teche a chorle the termys of gentilnesse. 

50. And semlably in Apprille and in May, 

Whan gentille birddes most make melodye, 

The cokkowe synge can than but oon lay, 

In othir tunes she hathe no fantasye. 

Thus every thing, as clerks do specifye, 

As frute and trees, and folk of every age, 

Fro whens they come, thei take a tallage. 

51. The vintere treteth' of his holsom wynes, 

Of gentille frute bostethe the gardener, 

The fyssher casteth his hokes and his lynes 
To kache fyssh in every fressh rever, 

Of tilthe of londe treteth the boueer, 

The gentylman tretyth of genterye, 

The chorle de lytith to speke of ribaudrye. 

62. Al oon to the a faucon and a kyte, 

As good an owle as a popingaye, 

A downghille doke as deyntd as a snyte. 

Who servethe a chorle hathe many a carfull day. 

Adewel sir chorle farwelel I flye my way. 

I caste me never aftir my life anduring 
Afore a chorle any more to syngl’ 

63. Ye folke that shal this fable se or rede, 865 

New forged talis I counsaille you to flee; 

For losse of goode takethe not to gret hede; 

Bethe not to sorowfull for noon adversitd; 

Coveitethe no thing that may not be, 

And remembre, wher ever that ye goone, 370 

A chorles chorle is ofte woo begone. 

54. Unto purpos this proverb is full ryfe, 

Redde and reported by olde remembraunce: 

A childes birdde and a knavis wyfe 


345 


350 


355 


360 



i89 


H»ve often sythys sorowe and myBchaunce. 
Who hathe fredom hathe al suffisaunce, 

Bettir is fredom withe litelle in gladnesse 
Than to be thralle withe all worldly richesse. 

55. Go, gentille quayer! and recommaunde me 
Unto my maister with humble affectioun; 
Beseke hym lowly, of mercy and pitA 
Of this rüde makyng to have oompassion. 

And as touching the translacioUn 

Oute of Frensshe, hough ever the Engüsshe be, 

Al thing is saide undir correctioun, 

With supportacioun of your benignitA 

No. 2. Le Donnei des Amants. 

Q. Paria, Le Donnei des Amanta, in Romania XXV. (' 
497 ff. Die nachfolgende Episode pp. 516—520, v. 

Un vilein a un tens esteit, 

Ki asaez pres d’un boia maneit, 

Li quels aveit un bei verger 
Ou suelent oiseus repeirer 
E faire joie el tens d’eate, 

Quant flurs et foilles s’unt mustrA 
En cel verger soleit venir 
leist vilain pur chant oir; 

Kar illtiee aveit a custume 
Un oiselet od gaune plome 
Ke duz chant fit od melodie, 

Onques tele ne fud ole: 

Tuz chanz d’oiseals sout contrefere 
Od sun chanter, en sa manere. 

Li vilein quant l’ol chanter, 

Mut en aveit grant joie en euer; 
Estreitement se purpensa 
Sovent, quantes feiz i ala, 

Coment preist il cel oisel 
Ke tant saveit de chant novel. 

Mut cointement asist la?uns 
E as branches . e as ramuns: 

Tant cointement les ad asis 


376 


380 


386 


1S96) np. 
929 n. 


5 


10 


15 


20 



190 


Ke li petit oisel est pris; 

Par ses engins e par sa glu 
L’oisel petit ad retenu. 

Dune dit li oisel al vilein, 

Quant il le teneit en sa mein: 
«N’estut lerer en champ n’en veie 
«Grant cri pur ci petite preie: 
«Pris sui de la$uns e de glu; 

«A quel pru m’avez retenu?» 
Respunt li vilain a l’oisel: 

«Servise avrai de tei novel, 

«Tel servise que mut desir: 

«De chanter tei covient .servir. 
«Pur conforter le tuen corage 
«Jo tei ferai mut bele cage; 

«Assez tei dorai a manger 
«E a beivre quant ert mester; 

«Iluc dedenz me chanteras 
«E joius de tun chant me fräs.» 
Dit li oisel: «Ja n’en parlez: . 
«Grant folie quidee ,avez. 

«Quideus que jo vus chant en cage? 
«Dune prenge mei la male rage 
«Si ja nul chant fas en prisun! 
«Iluecques n’ad si dolour nun: 
«Prisuns de chanter n’unt talent 
«Ki atendent lur jugement. 

«Mes leissez mei quite aler, 

«Sanz retenir, sanz mal aver, 

«Si vendrai ci pur ■ vostre amur 
«Treiz fez ou quatre chescun jor. 
«Si chanterai sur cel lorer 
«E seir e mein pur vus haiter; 

«E quant vodreiz olr men chant, 
«Apellez mei trestut errant: 

«A vostre pleisir tost vendrai 
«Pur vus servir al meuz ke sai; 
«Kar en prisun od triste quer 
«Nen chanterai ja ä nul fuer: 
«D’assez poreie maiz plorer 
;;Ke de bon quer rire ou chanter.» 


25 


30 


35 


40 


45 


50 


55 


60 



191 


Fej^ li vilein: «Geste feintise 65 

«Ne t’at mester en nule guise. 

«Quant tu Vers mei paroles si, 

«Or te dirai un gu parti; 

«Le quel ke vus si esliras, 

«D’un de ces dous n’eschaperas: 70 

«Ou de tun chant averai sesine, 

«Ou tu vendraz en la quisine; 

«Ou tu en cage chanteras, 

«Ou tu en fin mangä seras.» 

Resfpunt li oiselet e dit: 75 

«Mut i avret un mes petit; 

«Mut poi vail jo pur en pot quire; 

«Uncore en rost serreie pire; 

«Ki sur espei ou en pot nie met 

«Petit i avra morselet. 80 

«Mes or creez le men conseil, 

«Sil vus dirai bon e feeil: 

«Relevez mei de la prisun, 

«Si vus dorrai tel reangun 

«Dunt vus serrez mult avancez 85 

«E a tus dis plus enseignez. 

«Treis granz savers vus aprendrai; 

«Si granz, si beus les vus dirai 

«Pur la meie char rechater 

«De mort e de prisun geter, 90 

«Ne prendrez tant a vos estaus 

«Pur vendre les ehars de treis veals.» 

Quant li vilein ad 90 oY, 

A l’oiselet respunt issi: 

«Di mei les sens, si t’eq. iras 95 

«E tuz dis m 6 s quite serras.» 

Li oisel dit: «Qo n’ad mester: 

«Liez ne voil ja enseigner; 

«Cil que tenir deit lieu de mestre 

«Tuz dis deit frans e quites estre. , 100 

«Ver mei ja n’eies suspeciun: 

«N’i avra rens de traYsun; 

«Ben vus tendrai le covenant, 

«Ja mar irrez de 90 dotant.» 



Li vilein ;dit tut d’eindegrä 1 ):; 
«Seit dunques sur ta leaute. 

«Ton covenant or i parra.» 

Ovre ses meins, e eil s’en va; 
Sur cel lorer s’est halt asis: 

Hoi mes ne crent ses enemis, 

Kar del vilain fu si hastez 
A tuz tis mös ert plus senez; 

De lui prendre n’i ad m6s ren, 
La 9 uns e glu conust or ben; 

De la prisjun trop lui sovent: 

L’en dit qu’eschaud6s eve crent 2 ). 
Li oiselez ad grant noblei 
Dit al vilein: «Entendez mei, 

«Si vus dirai hoi mes purveir 
«Tut par ordre chescun saver. 

«Li premer sen est, beus amis, 
«Des treiz ke jo vus ai pramis: 
«Ne creez pas quanque l’em dit 
«Cest sen ne tengez a petit, 
«Kar maior est que n’entendez. 
«L’autre saveir aprös orrcz: 

«Ce ke aver ne poez nent 
«Ne desirez trop durement. 

«Dous promesses solses vus ai; 
«Le terz saver or vus dirai: 

«Ja pur perte ke vus aiez 
«De nul chatel trop n’esmaiez, 
«Ne trop n’en dolez pur la perte 
«Od tristesce de lerme aperte. 
«Ke pert sa chose e trop en dolt 
«D’un damage dous fere sout; 
«Plorer sa perte n*at mester 
«Quand mös n’i ad a recovrer.» 

Quant li oisel aveit dit tant, 

Si comence ben haut sun chant. 
En sun corage pence a plein 
De sei venger de cest vilein; 
Pence de li fere tristur, 

Ke li ot fete la poür. 

«Vilein, fet il, Deu loi6 seit 



193 


«Ke si volz oilz covert teneit 

«K’aperceivre ren ne poüstes 

«Quel chose vus en mein eütesl 

«Quant m’avlez, tut a estrus 

«Tresor tenites preciüs: 160 

«En cest cecle n’ad argent n’or 

«Ke seit per a cel fin tresor. 

«Dedenz mei ad une jagunce 
«Ki de fin or ben peise une unce: 

«Ki cele eüst propre en baillie 156 

«Ne serreit povres jor de vie. 

«E Deus en ait graces e .los 
«Ki si les oilz vus teneit clos I» 

Quant 90 ol li fol vileins, 

Trait ses chevols e tort ses meins; 160 

A tere chet e bat sun piz, 

Si leve noisse e plurs e criz, 

Si se dbmente e pleint assez: 

«Ahil fet il, maleürezl 

«Tant fui riches e nel soi mie, 166 

«Quant tel tresor oi en baillie! 

«Unque manans, or sui mendifs, 

«Une estorez, or sui chetifs 3 ), 

«Si ne serrai mös estorez: 

«L’eür k'aveie m’est emblez. 170 

«De mei ai fait dolent frarin; 

«Jo mels mes fis tel larcin. 

«L’en me deüt ben a resun 
«Pendre plus halt de nul larun.» 

II plure e dolt a demesure, 176 

Da sa vie, 90 dit, n’ad eure; 

Tant est dolent e tant irez 
A poi que n’ad les oilz sachez. 

Quant li oiseals ad ja veü 

K’est si mat e si irascu, 180 

Mut richement se tent pai 6 

E de sa poür ben vengö; 

M 6 s nequedent plus al derein 
Dit li oisel al fol vilein: 

«Tant estes dur pur ben aprendre 186 

«E pur lessun lire e entendret 
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 13 



194 


«Mut avez obli6 par tena 

«Le premerein de vos treis sens 

«C’un poi devant vus oi apris ; 

«Für nent eates a lesaun mis. 190 

«Jo vua di primes en respit 
«Pa8 ne creiez quanque l’em dit: 

«E pur quei dunque8 volez creire 

«Qo ke vu8 diz a cho8e veire 

«De la jagunce dedenz mei? 105 

«Cuidez lo vua en leie fei? 

«Coment poreit une jagunce 
«Ke de fin or peiasast une unce 
«Dedenz mun ventre eatre manant, 

«Quant tut mun coro ne peise tant? 200 

«Le premer aens fut obliez, 

«E de l’autre point ne aavez: 

«Qo vi par vostre marrement. 

«Dit vua avoie apertement * 

«Ke ne coveitiasez pur veir 205 

«Chose que ne poez aver: 

«Jagunce avez ci desiree 
«Ke ja par vus n’ert conquestee 
«Ne veüe tut a estrus, 

«Kar ne l’avum ne jo ne vus. 210 

«Le terz saver tut ensement 
«Retenistes mult malement: 

«Jo vus deffendi al derein 

«Ke pur perte ne seir ne mein 

«Ou recovrir ne put aver 215 

«Ne dussez ja trop doluser. 

«Tuz les treiz sens que jo vus dis 
«Avez, vilein, en obli mis. 

«En proverbe diönt la gent 
«E jo le pus dire ensement: 220 

«Sun travail perd sanz recovrer 
«Cil qui aprent asne a harper*): 

«Autretel eat de vus, vilein: 

«Apris vua ai trestut en vein, 

«Ore alez ent deduire bei: 

«N’avez jagunce ne oisel.» 

A tant a’en est l’oisel ale/.. 


225 



19ö 


JE li vilein remaint gabez; 

Gabez remist, po est la veire, 

Kar trop esteit hastif de creire. 280 

Pur po di jo, ma chere amie, 

Trop creire en haste est folie. 

[Remarques:] *) Cette expression ‘d f eindegr6’ = ‘de plein gr6' 
. est d’origine anglaise et ne se trouve que dans des textes 
anglonormands . . . ein ou eine 6tant l'ancien angl. eign, angl. 
mpd. oum. . . 2 ) Sur ce proverbe, voy, le n° 195 des Praverbea 
du vilain et la note de M. Tobler. 3 ) Unque, unc semblent avoir 
Ie sens de naguere . 4 ) La locution qui dit qu’un ignorant est 
däplacc ä l’audition d’un po&me come asnes a harper est fre¬ 
quente. Le proverbe eite ici est plus rare. 

No. 3. Petri Alphonüi Disciplma cl&rioalis, 
cap. XXIII (XX). 

Ed. Labouderie (1824) pp. 136—140; ed. Schmidt (1827) pp. 
67/8; Migne, Patrol. CLVII, p. 695; Gering, Islendzk Aeventyri, 
II, pp. 389/90, No. LXXV. Der folgende Text ist der von Gering. 

[Aliu8 [philosophus]: Ne desideres res alterius et ne doleas 
de amissis rebus, quoniam dolore nihil erit recuperabile, unde 
dicitur:] 

Quidam homo habuit virgultum, in quo rivulis fluentibus 
herba viridis erat, et pro habilitate loci conveniebant ibl 
volucres, modulamine vocum cantus diversos exercentes. Quadam 
die, dum idem vir in suo fatigatus quiesceret pomerio, quaedam 
avicula super arborem cantando delectabiliter consedit. Quam 
ut vidit et eius cantum audivit, deceptam laqueo sumsit. 
Ad quem avis ait: Cur tantum laborasti me capere, vel quid 
profieuum in mea captione speravisti habere? Ad haec homo: 
Solos cantus tuos audire desidero. Cui avis: Nihil tibi prodest, 
quia retenta nec prece nec pretio cantabo. At ille: Nisi canta- 
veri8, te comedam. Et avis: Quomodo comedes? Si cömederis 
coctam in aqua, quid avis valebit tarn parva? Et etiam caro 
erit hispida, et si assata ero, multo minor fuero. Sed si abire 
me permiseris, magnam utilitatem ex me consequeris. At ille 
respondit: Quam utilitatem? Avis: Ostendam tibi tres sapientiae 
maneries, quas maioris pretii facies quam trium vitulorum car- 
nes. At ille securus promissis avem permisit abire. Cui avis 
ait: Unum est de promissis: ne credas omnibus promissis vel 
dictis; secundum: quod tuum est semper habe; tertium est: 
ne doleas de amissis. Hoc dicto avicula arborem ascendit et 


13 * 



196 


dulci canore dicere coepit: Beuedictus deus, qui tuorum aciem 
oculorum clausit et sapientiam tibi abstulit, quoniam si intesti- 
norum plicas meorum perquisisseB, unius unciae ponderis jacinc- 
tum invenisses. Haec audiens ille coepit flere et palmia pectus 
percutere, quoniam dictia fidem praebuerat aviculae. At avis 
ait illi: Cito, oblitus es aensus quem dixi tibi. Nonne dixi tibi: 
ne credas quidquid dicetur? Quomodo credis quod in me eit 
jacinctus qui sit ponderis unius unciae, cum ego tota non sim 
tanti ponderis? Et dixi tibi: ne doleas de rebus amissis; quare 
pro jacincto qui in me est doles? Talibus dictis et rustico 
deriso avis in nemoris avia devolavit. 

[Philosophus suum castigavit discipulum dicens: Quicquid 
invenies legas, sed non credas quicquid legeris. Ad haec disci- 
pulus: Credo non esse verum quicquid est in libris, nam simile 
huic legi in libris et proverbiis philosophorum: Multae sunt 
arbores, sed non omnes faciunt fructum; multi sunt fructus, 
sed non omnes commestibiles . . .]. 

No. 4. Discipline de Clergie. Traduction de l'Ouvrage 
de Pierre Alphonse. 

Ed. Labouderie (1824) pp. 137—141. 

Jadis un homme estoit qui avoit un vergier oü les ruis- 
seaulx couroient parmi l’erbe verde, et pour la beaute du lieu 
s’assembloient illec les oyseaulx oü ilz chantoient delitablement. 
Avint un jour que l’omme estoit traveilliez et reposoit en son 
gardin, un oisel seoit sur um rain d’un arbre, et chantoit douce- 
ment. Quant l’omme l r eut veu et oy, il tendy ä lui et le prist. 
L’oysel qui se trouva pris, lui dist: Pourquoy t’es-tu tant tra¬ 
veilliez de moy prendre? quel prouffit cuides-tu avoir de ;ma 
prison? L’omme respondy: Je convoite ä oyr ton chant. Dist 
l’oysel: C’est pour neant, car je ne chanteray ne pour promesse 
ne pour avoir. Respondy 1’omme: se tu ne chantes, je ,te 
mengeray. L’oysel dist: Comment me mengeras-tu? Se tti me 
euis en eaue, que vauldra si petit oisel, et si en sera la char 
dure. Se je suis rosty, aincoires serai-ge moindres; mais se tu 
me laisses aler, tu en aras grant prouffit. Quel prouffit, dist 
le bon homme? Dist l’oisel: je te monsterray trois manieres de 
sapience qui mieulx te vauldront que la char de trois veaulx. 
Quant l'omme fut seur de sa promesse, si laisse l’oisel aler, et 
l’oisel lui dist: L’une maniere de sapience est, ne croy pas 



197 


tout ce que tu ob dire. Le seoonde est, tiens bien ce que tu as; 
et la tierce, ne maine pas long dueil pour ta perte. Quant 
I’oisel eut ce dit, il vola sur un arbre, et dist doucement en 
sa chanson: Beney soit Dieu qui couvry tes yeulx et te tolli 
sapience, car se tu eusses bien quis dedens inon ventre, tu y 
eusses trouv6 une jagonce d’une onche pesant. Quant le bon 
homme oy ce, il commenpa ä plourer et ä debatre ses palmes, 
car il cuidoit que l’oysel dist v6rit6. Dist l’oisel: Pourquoy 
as-tu oubli6 le sens que je t’avoie maintenant apris, et ne 
t’ai-je dit: Ne croy pas tout ce que tu os dire? Comment crois- 
tu qu’il ait dedens möi jagonce d’une onche pesant, et je ne 
poise pas tant? Et si te dys, ne maine pas dueil pour ta perte, 
et tu te dueilz pour ce que tu m’as perdu, ce que tu ne pu6s 
recouvrer. Quant l’oisel eut ainsi gabö le villain, il s’envola. 

No. 5. Conte XX: Du vilein et de l’oiselet, du Ca¬ 
stoiement I. 

ed. Barbazan-Meon (1808) II, pp. 140—143. 

[Beax Filz, gardes ne croire pas 
Tote la rjens que tu orras; 

Ne por perte trop doloser 
Quant tu ne pofras recovrer, 

Que tu aies perdu le bien, 5 

Qu'apr&s ne t’en plaignes de rien, 

Trois manieres de sens t’ai dit, 

Si te conterai un respit.] 
i Un preudom ot un bei jardin, 

Entrer il seit chascün matin 10 

En la saison quant par delit 
Chantent oisel grant et petit. 

Une fontenele i sordoit 
Qui le liu raverdir faisoit: 

Oisel i souloient entrer, 15 

Et molt douce noise lever. 

Le Preudhom un jor i entra, 

En cel beau liu .se reposa: 

Un oiselet i oit chanter, 

Cel prist forment ä desirer. 20 

A un laz cel oiselet prist. 



L’oisel li demanda et dist: 

«Por quoi te vosis travaillier 
«Por moi depoivre et engignier ? 

«Por quoi me vosis decevoir? 

«Quel preu i cuides-tu avoir ?» 

«Ge vueil, dit-il, que tu me chantes.» 
Li oiseax dit: «Se me cröantes 
«Que ge m’en aille oü ge vorrai, 
«Tant com tu voldras chauterai; 
«Mais jä taut com tu me tenras, 

«De ma bouche chanter u’orras.» 

«Si tu ne velz chanter por moi, 
«Enqui te mengerai, ce croi.» 
«Manger, dit l’oiselet, commentj 
«Ge sui trop petit vraiement: 

«Jä home qui me mengera, 

«Certee de mielz ne l’en sera; - 
«Se ge sui en rost quire mis, 
«Donques serai sds et petiz. 

«Ne sai comment m’atornissiez, 
«Dont riens vos i delitissiez; 

«Mais se vos aler me laissiez, 

«Certes molt grant preu i auriez; - 
«Quar ge te dirai jii por voir 
«Tex trois menieres de savoir 
«Que tu priseras, Danz Vassax, 
«Plus que la char de trois veax.» 

Li Preud(h)ons aler le laissa, 

Sa parmesse li demanda. 

Li oiseax dit isnele pas, 

«Ne croi pas quanque tu orras; 
«Garde bien ce que tu auras, 

«Par pramesse nel perdre pas; 

«Ne trop ne soies confondu 
«Por nule riens qu’aies perdu: 

«Ce sont li trois savoir, amis, 

«Que ge ä dire te pramis.» 

Atant sor un arbre s'asist, 

Molt doucement chanta et dist: 

«Qui t’a des elz tant aveuglö,. 
«Benoit soit Diex de MajestS, 



199 


«Et t’a tolu sens et pavoir, 

«Por qu’as perdu si grant avoir. ■: 

«Se dedenz cerchiö m’öussjez, 66 

«Une jagonce i troviasiez 

«En mon jusier, se ge ne ment, 

«Qui poise une once droitement.» 

Et quant li vileins l’entendi, 

Plora et plaint et se bati, V: 70 

Et sovent prist k regreter. 

C’onques laissa l’oisel aler. 

«Musarz, dit l’oisel, estordi, . 

«Or as-tu tot mis en oubli 

«Les trois manieres, ce m’est vis, 76 

«Du savoir- qu’orendroit te dis: .1 
«Ge di que-croire ne devroies. 

«Tote la riens que tu orroies: 

«Por quoi crois-tu sr de legier 

«C’une pierre eust en mon jusier, 80 

«Jagonce d’une once pesant, 

«Quant ge toz ne poise pas tant? 

«Ge te dis, se te puet membrer, 

«Tu ne dois pas trop dolouser i 

«Ne trop estre si confondu ■ 86 

«De riens que tu aies perdu.» 

Atant li oiseax s’en ala 
Et vers le bois tost s’en torna. 

[Beax Pilz, gar que ne laisses pas 

Ce que tu as quant tu l’auras.] - 90 

No. 6. Conte XIX ‘Du Vilehin et de l'Oiselet ’ du Cha- 

stoiement II. 

Ed. Labouderie (tome II), pp. 130—136; M. Rösle, pp. 40- 42. 

Uns palsans jadis estöit 

Qui un mult bei vergier avoit; 

De divers arbres ert plantös 
Et si i avoit amen6s 

Les ruissiax qui par mi couroient 6 

Des fontaines qui pres estoient. 

Et en yver et en est6 
Y avoit vert herbe a plent6 



O les fleurs qui soes oloient 
De divers fruis qui i croissoient. 

Par la grant delitabletö 
S’i assambloient en est6 
Tuit li oisel de la conträe ; 

Au matin et a la vespr6e 
I oXssiös tel chantäis ; 

L’uns cantoit bas, l’autre a haus cris. 
Mult s’i faisoit ben arester 
Pour les divers cans escouter 
Que li oiselet i cantoient 
Qui de partout s’i aünoient. 

Un jour en son vergier entra 
CJnl cui il ert, et se ooucha 
Sor la fresche herbe a reposer 
Et commenoha pour escouter 
O grant entente et o grant eure 
Li dous chans et l’envoisöure 
Que li oiselet demenoient 
Qui el vergier se delitoient. 

Uns petis oiseles seoit 
Sor l’arbre ou chil se gisoit, 

Qui si tres douchement cantoit 
Que li vilains qui l’escoutoit, 

Ne s’en quesist jamais partir, 

Se tous tans le pöust olr. 

Quant il ot le canter laissie, 

Li vilains ot apareilliö 
Un petit lachet, si l’a mis 
La ou li oiseles avoit sis. 

Li oiseles ne se garda 
Del lacet, quant il repaira. 

Pris fu, et li vilains sali, 

En l’arbre monte, sei saisi, 

Et li oiseles li a dit: 

«Vilains, fait il, se diex t’aXt, 

«Que cuides avoir gaagniö? 

«Por quoi fies or tant travailli6 
«En prendre mei? Si grant travail 
«N’iest pas saus, car petit vail. 
«Volentiers völroie savoir ' 



201 


«Quel preu tu i cuides avoir.» 

Dist li vilains: «Jel te dir&i, 

«En une cage te metrai, 

«Iluec te voil olr canter, 

«Car el n’i quier jou conquester.» 
«Che, dist l'oißiaus, ne plache dieu 
«Que je ja chant en itel lieuJ 
«Ne pour doner ne pour prametre 
«Ne me porroit nus a ce metre 
«Que ja de moi ölst canchon 
«Tant com je serai en prison. 

«Ja chertes mot ne sonerai 
«Devant qu’a mon talent serai.» 

«Par me foi, ce dist li vilains, 

«Je te metrai fors de mes mains, 
«Mais ne riras pas el vergier, 

«Je ne t’i lairai repairier, 

«Car, par fei,' je te mengerai.» 

«Et tu comment?» «Je te cuirai.» 
«Cuiras?» «Voire, en eaue ou en rost.» 
«Mult en seras delivres tost, 

«Car quant en l’eaue m’aräs cuit, 
«Ensamble en metroies tels uit 
«En ta bouche com je serai. 

«Et au rostir mult decroistrai; 

«Ja mengiers n'iert ne bons ne biax 
«Qui sera fait de tels oisiax. 

«Mais se tu me laisser aler, 

«Si me porras olr canter, 

«Et autre pourfit i auras 
«Dont tous jors mais mieldres seras.» 
«Et quel pourfit ?» dist li vilains, 
«Bien en voil estre anchois chertains.» 
Dist li oisiax: «Jel te dirai; 

«Treis manieres de grant sens sai 
«Que je t’aprendrai, jel t’afi, 

«Lues que partis serai de ti; 

«Et miels te valront a olr, 

«Se tu les vels bien retenir, 

«Que treis grant eigne 1 ) ne feroient, 

«Se cuit a ton mengier estoient.» 


60 


65 


60 


65 


70 


75 


80 


85 


90 



II li afie et eil le lait. 

Li oisels grant joie fait, 

Desor un arbre s’est asis, 

Bendre velt ehe qu’il aprainis. 
«Vilains, dist-il, entent a moi:. 

«L’un des sens qu’aprendre te doi 
«Si est que tu ne croies pas •. 

«A tous les dis que tu orras. 

«L’autre si est que tu auras 
«Che qui tien ert, ja n'i fauras. 

«Li tiers que ne dois pas plorer 
«Ne ne te deiz desconforter 
«Se perdu as aucune rien. 

«Or as tes trois sens, sis retienl» 
Quant li oiseles ot pe dit, 

En une branque amont se mist, 

A douch cant commencha a dire: 
«Vilains, dist il, dex nostre sire 
«Soit hui lo6s et graetäs 
«De che que tu es engigniäs 
«Et que si as le sens perdu. 

«Car se tu Busses v6u 
«Dedens moi, quant tu (me tenis, 
«Riehes fuisses mais a toudis; 

«Car une pierre preci'euse 
«I trovaisses mult vertueuse 
«Qui apelöe est Jacinctus, 

«Une onche poise bien ou plus; 

«N’a sous chiel tresor qui le vaille. 
«Mais qui caut? Pour noient traväille 
«Hom qui n’a sens de retenir, 

«Dont sans travail puisse garir.» 
Quant li vilains a che ol, 

Ses dous puins ensamble feri. 

Des ex plore, du euer souspire, 

Son piz bat et quevex tire; 

Orant duel a pour noient coilli 
De che que. .l’oiselet cr6i. 

L’oisials l’esgarde, si* li crie: 

«Vilains, dist il, diex te maldiel 
«Mult as or tost ,en oubli mis 



203 


«Le sens - que je t’avoie apris. 

«Che t’apris ge que fols seroies 
«Se toutes paroles cr6oies; 

«Et crois tu ore, par ta foi, 135 

«Que il ait pierre dedens moi ■ 

«Ou il ait une once pesant, 

«Quant je tres tous ne pois pas tantl- 
«Encor t’apris je autre sens, 

«Mais trop l’as oubll6 par temps, ' 140 

«Que ne dois duel pour perte faire. 

«Or te voi tes chavels detraire, 

«Tes poins tordre, forment plorer: 

«Mal leu te puissent devorer 

«Qui pleures que tu as perdu 145 

«Che qui n’est ne n’onques ne ful 
«Plus n’a il pierre ,dedens moi 
«Que cauve soris dedens toll» 

Quant le vilaln ot mult laidi 

Li oiseles et escarni, 150 

Cantant s’en torne, sil laissa 
Ainc puis el vergier n’abita 2 ). 

Bemerkungen: *) so bei Bösle; Lab: treis gras oisels. 2 ) so 
Lab; Bösle: Puis nel vit n’adonc, nel baisa. ( 

No. 7: Das Lai de VOiselet. 

Das Folgende ist der Text von G. Paris (Legendes du Moyen Age, 

pp. 274—291). 

11 avint jadis a un tans, 

Bien a pass£ plus de cent ans, 

Qu’il estoit uns riches vilains; 

De son nom ne sui pas certains, 

Mais riches ert de grant maniöre 5 

De pr6s, de bois et de riviöre, 

Et de quant qu’afiert a riche ome: 

Se dire vos en vueil la some, 

Il avoit un manoir si bei 

N’a borc, n’a vile, n’a chastel, 10 

Se le voir vos en vueil conter, 

En tout le monde n’out son per, . 

Ne si bei ne si delitable; 



204 


Li contes vos sembleroit fable, 

Qui vos en diroit Ja fa$on; 15 

Je ne cuit que ja mais face on 
Tel donjon ne si riche tor; 

La riviöre coroit entor, 

Qui tot enclooit le porpris; 

Et li vergiers qui fu de pris 20 

Estoit d’arbres et d’eaue enclos: 

Cil qui le fist ne fu pas fos, 

Ains fu uns Chevaliers gentis ; 

Aprfcs je p6re l’out li fis, 

Qui le vendi a cel vilain; 26 

Ainsi ala de main en main: 

Bien savös que par mauvais oir 
Dechibent viles et manoir. 

Li vergiers fu beaus a devise: 

Erbes i out de mainte guise, 30 

Que je ne sai mie nomer; 

Mais por voir vos puis raponter 
Qu’il i avoit roses et flors 
Qui getoient mout grans odofs, 

Et espices de tel maniöre 35 

Qu’une ame gisant en Iitibre 
Qui malade fust et enferme 
S’en alast tote saine et ferme, 

Por tant que el vergier geüst 

Tant qu’une nuit passöe fust. 40 

De bones erbes fu garnis; 

Et li preeaus fu si onis 
Qu’il n’i avoit ne mont ne val; 

Et li arbre tuit par igal 

Estoient d’un grant contre mont: 45 

Si bei vergier n’avoit el mont. 

Ja cel fruit ne demandissiös 
Que vos trover n’i peüsstäs, 

Et si estoit il en tos tans: 

Cil qui le fist fu mout sachans; 50 

II fu tos fais par nigromance, 

Laens avoit mainte provanbe. 

Li vergiers fu et beaus et Ions, 

Tos fu fais a compas reons; 



205 


En mi avoit une fontaine, 56 

Qui bele estoit et ctere et saine, 

Et sordoit de si grant randon 
Com s’ele bolist a bandon, 

Et s’estoit froide come marbres; 

Ombre li faisoit uns beaus arbres, 60 

Dont les branches loins a'estendoient, 

Qui sagement duites estoient; 

Pueilles i avoit a plent6: 

En tot le plus lonc jor d'este, 

Quant ce venoit el mois de mai, 65 

N’i peüsstes choisir le rai 
Dou soleil, tant par ert ramus; 

Mout par doit estre chiers tenus, 

Quar il est de tele nature 

Que tos tens sa fueille lui dure: 70 

Vena ne orös, tant ait de force, 

N’en abat fueille ne escorce. 

Li pins ert deliteus et beaus. 

Chanter i venoit uns oiseaus 

Deus fois le jor et plus noient, 75 

Et si sachtes a escient 
Qu’il i venoit la matinee 
Et l’autre fois a la vespröe. 

Li oiseaus fu merveilles gens: 

Mout seroit grans detriemens 80 

Qui vos en diroit la fagon; 

II estoit mendre d’un moisson 
Et pou graindre ’ d’un roietel, 

Si chantoit si bien et si bei 

Loissignuels, merle, ne mauvis, 85 

Ne l’estorneaus, ce m’est avis, 

Chans d’aloe ne de calendre, 

N’estoit si plaisans a entendre 
Com ert li siens, bien le sachtes. 

Li oiseaus fu si afaittes 90 

A dire lais et noveaus sons 
Et rotruenges et chanpons, 

Gigue ne harpe ne viele 
N’i vausist pas une cenele. 

El chant avoit une merveille, 95 



206 


Qu’ains nus on n'oi sa pareille: 

Quar tel vertu avoit li chans 
Que ja nus ne tust si dolans, 

Por que l’oisel chanter ölst, 

Que maintenant ne s’esjolst 100 

Et obliast ses grans dolore; 

Et s'ainc n’etist parl6 d’amore, 

S’en fust il maintenant espris, 

Et cuidast eetre de tel pris 

Com est emperdrea ou rois, 105 

Mais qu'il fust vilains ou borjois; 

Et se eüst cent ans pass6s. 

Et en cest siede fust rem6s, 

S’il ölst de l’oisel le chant 

Si li semblast il maintenant 110 

Qu’il fust mescbins et damoiseaus, 

Et si cuidast estre si beaus 
Qu’il fust ames de damoiseles, 

De meschines et de puceles. 

Et une autre mervyeille i out, 115 

Que li vergiers durer ne pout 
Se tant non que li oisillons 
I venist chanter ses dous sons: 

Car dou chant issent les amors 

Qui en vertu tienent les flors 120 

Et les arbres et tot le m6s; 

Mais que li oiseaus fust rem6s, 

Maintenant li vergiers sechast 
Et la fontaine restanchast, 

Qui par l’oisel sont en vertu. 125 

Li vilains cui li estres fu 
I venoit deus fois par costume 
Por olr cele soatume. 

A la fontaine sos le pint, 

Par une matin'öe vint, 130 

Son vis lava a la fontaine; 

Et li oiseaus a haute alaine, 

Qui ert sor le pint, li chanta 
Un lai ou deliteus chant a. 

Li lais est mout bons a entendre: 135 

Exemple i porroit on bien prendre 



207 


Dont mieus en vaudroit en la fin. 
Li oiseaus dit en son latin: 
«Entend6s, fait-il, a mon iai, 

«Et Chevalier et clerc et lai, 

«Qui vos entremetäs d’amors 
«Et qui en soffräs les dolors; 

«Et a vos le di je, puceles, 

«Qui estes avenans et beles, 

«Qui le siede voles avoir: 

«Je vos di vraiement por voir 
«Vos dev6s Dieu amer avant, 

«Tenir sa loi et son comant, 
«Volentiers aler au mostier, 

«Et si oir le Dieu mestier: 

«Quar dou Service Dieu oir 
«Ne puet a nului maus venir; 

«Et por verite vos recort 
«Dieus et Amors sont d’un acort. 
«Dieus aime onor et cortoisie, 

«Et fine Amors ne les het mie; 
«Dieus het orgueil et faussetö, 

«Et Amors les tient en vilt6; 
«Dieus escoute bele proi6re, 

«Amors ne la met pas arri6re; 
«Dieus convoite sor tot largece, 

«11 n’i a nule male tece: 

«Li aver sont li envios, 

«Et li tenant li convoitos, 

«Et li vilain sont li mauvais, 

«Et li felon sont li punais; 

«Mais sens, cortoisie et onors 
«Et loiautä maintient Amors; 

«Et se vos a ce vos tenes, 

«Dieu et le siede avoir poes.» 

Ce dit li oiseaus en son chant. 

Et quant voit le vilain seant 
Qui desos le pint l’escoutoit, 

Qui fei et envios estoit, 

Si a chante d’autre maniSre: 

«Quar laisse ton corre, rivide 1 
«Donjons, perisl tors, quar deohiesl 


140 


145 


160 


155 


160 


165 


170 


175 



208 


«Matissies, florsl erbos, sechiösl 
«Arbres, quar laissi6s le porter 1 
«Ci me soloient escouter 
«Giere et dames et Chevalier 
«Qui la fontaine avoient chier, 

«Qui a mon chant se delitoient, 

«Et par amors mieus en amoient, 

«Si en faisoient les largeces, 

«Les cortoisies, les proeces, 

«Maintenoient chevalerie, 

«Or m’ot eil vilains pleins d’envie, 

«Qui aime assds mieus le denier 
«Qu’il ne face le donoier. 

«Cil me venoient escouter 
«Por deduire et por mieus amer 
«Et por lor cuers mieus aaisier; 

«Mais eist i vient por mieus mangier!» 

Quant ce out dit, si s’en vola. 196 

Et li vilains qui remest la 
Pense, se il le pooit prendre, 

Asses tost le porroit chier vendre. 

Et se vendre ne ^e pooit, 

En jaiole le meteroit, 200 

Si li chanteroit tart et tempre. 

Son engin a fait, si l’atempre. 

Et enquiert et guaite et porvoit 

Tant que les branches aperpoit 

Ou cil s’aseoit plus sovent: 206 

Iluec fait las, si les i tent, 

Mout a bien sa chose atempräe. 

Et quant ce vint a la vesprde, 

Li oiseaus ou vergier revint; 

Et quant il s’asist sor le pint 210 

Si fut maintenant pris au las. 

Li vilains, li chetis, li las, 

Monte a mont: l’oisillon aert. 

«Tel loier a qui vilain sert,» 

Fait li oiseaus, «ce m’est avis. 216 

«Mal av6s fait qui m’av4s pris: 

«En moi a povre raenpon.» . 

«— Aina en avrai mainte chanpon,» 


180 


186 


190 



209 


Fait li vilains, «de ceste prise. 

«Servi av6s a vo devise, 220 

«Or servirös a ma partie.» 

«— Ceste cheance est (mal partie, 

«J’en ai le peior a moi pris. 

«Je suel avoir a mon de vis 
«Champaigne, bois, rivtere et pres: 

«Or ier en jaiole enserres, 

«Ja mais n’avrai deduit ne joie; 

«Je soloie vivre de proie: 

«Or me donra l’on a mangier 
«Si com un autre prisonier. 

«Latestes moi aler, beaus amis, 

«Et bien soies seürs et fis 
«Ja en prison ne chanterai.» 

«— Par foi, et je vos mangerai: 

«Ja par autre tor n’en ir6s.» 

«— En moi povre repast avr6s, 

«Quar je sui lasches et petis: 

«Ja n’en acroistra vostre pris 
«Se vos ocies tele rien. 

«Laissies m’aler, si feres bien: 

«Pechte feres se m’ocies.» 

«— Certes por noient en partes, 

«Car com plus protes en seroie 
«Sachtes que je meins en feroie.» 

«— Certes, fait li oiseaus, «c’est drois, 246 

«Car ainsi l’aporte la lote: 

«Douce raisons vilain al're, 

«Mainte fois l’avons ol dire. 

«Mais uns dis nos enseigne et glose: 

«Besoins fait faire mainte chose. 250 

«Ma force ne m’i puet tenser; 

«Mate se vos me laissies aler, 

«De trois sens vos feroie sage 
«Qu’aine ne sout on de vo lignage, 

«Si vos porroient mout valoir.» 256 

«— Se seürtd en puis avoir,» 

Fait li vilains, «tost le ferai.» 

«— Tel fiance come je ai,» 

Tjrroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 14 


226 


230 


236 


240 



210 


Fait li oiseaus, «vos en creant.» 

Et eil le lait aler a taut. 

Li oiseaus sor l’arbre e’en vole, 

Qui eschapös fu par parole: 

Mas estoit et tos herici 6 s, 

Car laidement fu raanoiös, 

Tenus out est 6 contre laine; 

A son bec ses plumes ramaine 
Et rasiet au mieus que il puet. 

Li vilains, cui savoir estuet 
Les trois sens, le somont qu’il die. 

Li oiseaus fu pleins de voisdie, 

Si li dist: «Se tu bien entens, 
«Aprendre porras un grant sens: 

«Ne croi pas quant que tu os dire.» 

Li vilains fronce le n 6 s d’ire, 

Et dit: «Je le savoie bien.» 

«— Beaus amis, donques le retien, 
«Garde que tu ne l’oblier.» 

«— Or me puis je bien apenser,» 

Fait li vilains, «de sens aprendre I 
«Musage me fais a entendre, 

«Qui ce me rueves retenir. 

«Je te voudroie ja tenir: 

«Bien sai quant tu m’eschaperoies 
«Ja mais autrui ne gaberoies. 

«Mais je m’en vois a tart vantant; 
«Cestui sai bien: di l’autre avant.» 

«— Enten i bien, «fait li oiseaus; 

«Li autres est et bons et beaus: 

«Ne pleure pas ce qu’ainc n’eüs.» 

Li vilains ne fu mie mus, 

Ains respondi par felonie: 

«Tu m’as ta fiance mentie. 

«Trois sens me devoies aprendre, 

«Si com tu me fels entendre, 
«Qu’onques ne sout tos mes lignages; 
«Mais de ce est tos li mons sages; 

«II n’est si fos n’onques ne fu 
«Qui plorast ce qu’ainc n’out eü. 

«Tu m’as mout largement menti.» 


260 


265 


270 


275 


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290 


295 



211 


Et li oiseaus lui respondi: 

«Veus tu donc que jes te redie» 
«Si que tu ues oblies mie ? 

«Vos entendds tant au plaidier 
«Que peor ai de l’oblier: 

«Je cuit que ja nes retendrds.» 

«— Je les sai mieus de vos assds,» 
Fait li vilains, «de grant piece a. 
«Dehd qui grd vos en savra 
«D’aprendre ce dont ii est sagesl 
«Je ne sui mie si sauvages, 

«Par mon chief, com vos me tends. 
«Por ce se m’estes eschapds, 

«M’alds vos ore ainsi gabant; 
«Mais se vos me tends convant, 
«Vos m’aprenderds l'autre sen, 

«Car des deus ai je bien l’asen. 
«Or le dites a vo voloir, 

«Car sor vos n’ai point de pooir: 
«Dites quds est il, si l’orrai.» 

«— Entent i bien, sil te dirai: 

«Li tiers es tds, qui le savroit 
«Ja mais povres on ne seroit.» 
Mout durement s’en esjol 
Quant la vqrtu dou sen oi, 

Et dist: «Cestui m’estuet savoir, 
«Que durement tent ä l’avoir.» 

Qui li velst l’oisel coitierl 

«II est», fait il, «tans de mangier; 

«Quar le me dites errantment.» 

Et quant li oisillons l’entent, 

Si dit: «Je te chasti, vilains, 

«Que ce que tu tiens en tes mains 
«Ne gietes pas jus a tes pids.» 

Li vilains fu mout porrocids; 

Et quant il s’est teüs grant pose, 

Si dist: «N’estoit ce autre chose? 
«Ce sont adevinail d’enfant; 

«Quar je sai bien a esciant 
«Tds est povres et soffraitos 
«Oui aussi bien le set com vos. 


300 


305 


310 


315 


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335 


340 


14 



212 


«Menti m’aves et engignie: 

«De quant que m’avds enseignie 
«Estoie je sages devant.» 

Li oiseaus respont maintenant: 

«Par foi, se tu cel sen seüsses, 345 

«Ja laissid aler ne m’eüsses; 

«Quar si tu m’eüsses tue, 

«Si com tu eüs en pense, 

«Ja mais ne fust jors, par mes ieus, 

«Qu’il ne t’en fust durement mieus.» 350 

«— A.1 por Dieu, que s6s tu donc faire?» 

«— Ahil fei vilain de put aire, 

«Tu ne s6s qu’il fest avenu: 

«H fest durement mescheü; 

«II a en mon cors une piere 355 

«Qui tant est precieuse et chiere, 

«Bien est de trois pnces pesans, 

«La vjertis en li est si grans, 

«Qui en son demeine l’avroit, 

«Ja rien demander ne eavroit 360 

«Que maintenant ne li fust preste.» 

Quant li vilains entendi ceste, 

Debat son pis, deront ses dras, 

Et se claime chetif et las, 

Son vis a ses ongles depiece. 365 

Li oiseaus en fait grant leece, 

Qui de sor l’arbre l’esgardoit; 

Tant a atendu que jl voit 

Qu’il a tos ses dras depecies 

Et qu’il s’est en mains lieus blecids; 370 

Puis lui a dit: «Chetis vilains, 

«Quant tu me tenis en tes mains, 

«G’i6re plus legiers d’un moisson, 

«D’une masenge ou d’un pin?on, 

«Qui ne poise pas demie once.» 375 

Cil qui de felonie gronce 
Li dist: «Par foi, vos dites voir.» 

«— Vilains, or pues tu bien savoir 
«Que de la pi6re t’ai menti.» 

«— Or le sai je,» fait il, «de fi, 380 

«Mais certes or ains le cüidai.» 



213 




«— Vilains, or en droit provö t’ai 
«De cel sen que pas nel savoies ; 

«Et de ce que tu me disoies 

«Nus n’est si fos n’on ques ne fü 886 

«Qui plorast, ce qu’ainc n’out eü, 

«Maintenant, ce m’est vis, ploras 
«Ce qu’ainc n’eüs, ne ja n'avras; 

«Et quant me tenis en tes las, ' ' 

«Qu’en mains eüs as pi6s ruas. 390 

«Des trois sens estes abosmös: 

«Beaus amis, or les reten6s; 

«II fait bon aprendre bon mot. 

«On dit que t6s n’entent qui ot 

«Et t6s parole par grant sens 396 

«Qui en soi a pou de porpens; 

«T6 b parole de cortoisie 
«Qui ne la savroit faire mie, 

«Et t6s cuide estre bien sen6s 
«Qui a folie est assen^s.» 400 

Quant ce out dit, si s’en vola 
Et de tel eür s’en ala 
Qu’ainc puis el vergier ne revint: 

Les fueilles chelrent dou pint, 

Li vergiers failli et secha, 406 

Et la fontaine restancha; 

Li vilains perdi son deduit. 

Or sachent bien totes et tuit 
Li proverbes dit en apert: 

Cil qui tot convoite tot pert. 410 ' 


No. 8. Die Erzählung in den Recits d'un Menestrel 

de Reims. 

Der nachfolgende Text ist entnommen den Legendes du Moyen. 

Age, pp. 266—268. 

Atant es vous l'arcevesque Rigaut de Rouen qui le vint 
veoir et conforter, et mout lui disoit de bons mos de l’escriture 
et de la patience saint Job, et li conta un essemple d’une 
masenge qui fu prise en une masengiere ou jardin d'un palsant. 
Quant li palsans la tint, si li dist qu’il la mangeroit, et la 
masenge respondi au palsant: «Se tu, dist eile, me manjues, 



214 


tu ne seras gaires saoulös, car je sui une petite chosete; mais 
si tu me vouloies laissier aler, je t’apenroie trqis sens qui 
t'avroient grant mestier se tu les vouloies metre. a uevre. — 
Bar foi, dist li palsans, «et je te lairai aler». Et lasche la main, 
et la masenge se. trait seur une branche, et fu merveilles li6e 
de ce qu’elle fu eschapöe. «Or t’apenrai», dit la masenge au 
palsant, «se tu veus, mes trois sens. — Oll voir», dist il. — 
«Or escoute», dit la; masenge: «je te lo (et si le retien bien) 
que ce que tu tiens ä tes mains que tu ne getes a tes pite, 
et que tu ne croies pas quant que tu orras, et que tu ne meines 
mie trop grand duel de la chose que tu ne pourras avoir ne 
recouvrer. — Que est ce?» dist li vilains: «n’en diras-tu el? Par 
le euer Beul se je te tenoie, tu ne m’eschaperoies huimais. — 
En non de moi», dit la masenge, «tu avroies droit, car j’ai en 
ma teste une pierre pröcieuse aussi grosse comme. uns ues de 
geline qui bien vaut cent livres.» Quant li palsans l’ol, si 
debat ses poins, et destire ses cheveus et demeine le plus 
grant duel dou monde. Et la masenge commenpa a rire, et 
li dist: «Soz vilains, mauvaisement as entendu et mis en uevre 
les trois sens que j,u t’avoie dit; saches de voir que tu i6s de 
tous trois deceüs. Tu me tenoies en ta main, si me getas a tes 
pies quant tu me laissas aler; et me crels de ce que je te fis 
entendant que j’avoie en ma teste une pierre precieuse qui 
estoit aussi grosse comme uns ues de geline, et: je' toute ne 
sui si grosse; et si meines duel de moi a cui tu ne recouverras 
jamais, car je me garderai mieus que je ne me sui gardüe.» 
Atant bati ses 61es et s’en vola, et laissa le palsant son duel 
fesant. «Sire,» dist li arcevesques, «vous veez bien que vous ne 
pouez recouvrer a vostre fil, et bien devez croire que il est en 
paradis, si vous devez conforter.» Li rois vit bien et sot que 
li arcevesques li disoit vrai, si se conforta -et oublia auques son 
duel. 


No. 9. C. M. Wieland: Der Vogelsang öder die drei 

Lehren. 


Das Nachfolgende ist der Text in C. M. Wielands Sämmtlichen 
Werken (1796), XVIII, pp. 365—387) 


Vor etwa siebenhundert, Jahren 
Und drüber lebt’ in; meinem Schwabenland 
Ein reicher Erdensohn, von Nanien unbekannt, 



215 


(Weil seine Ahnen stets geheim geblieben waren) 
Und drum kurzweg der reiche Hans genannt. 

Von Gottes Gnaden hatte der 
Ein schönes Schloß, — das Bessern einst als er 
Zum Aufenthalt gedient — man weiß nicht wie 
Wie nun einmal in dieser Unterwelt 
Nichts lange seinen Herrn behält, 

Und, was ein braver Mann begonnen, 

Durch einen schlechten wieder fällt; 

Genug, Hans hatt’ es nun gewonnen, 

Das schönste Schloß, das von der lieben Sonnen 
Je angeschienen ward, seitdem 
Es Schlösser gibt. Es lag gar wunderangenehm. 
Gebaut von schönen Quadersteinen, 

Geräumig, stattlich und bequem; 

Von ferne konnt’s das schönste Kloster scheinen. 
Ich sage nichts von all dem feinen 
Geräte drin, den langen Reihn 
Von Sälen, Zimmern, groß und klein, 

Und wie da ringsum alles schimmert 
Und widerscheint und blitzt und flimmert 
Von Silber, Gold und edlem Stein; 

Nichts von den Kellern voller Wein, 

Von weißen, purpurnen und gelben. 

Aus Welschland, Frankreich und vom Rhein, 
,Noch von den Kammern und Gewölben, 

Bis oben an mit allem voll. 

Was, nach dem alten Spruch, ein Weiser 
Gern haben, leicht entbehren soll. 

Ein Wort für tausend, selbst der Kaiser 
Zu Wien in seinem alten Schloß 
(Geleit* ihn Gott auf seinen Reisen I) 

Hat kaum mehr Reichtum aufzuweisen 
Als Hans in seiner Burg verschloß. 

Wie er’s handhabte und genoß. 

Das wird sich' in der Folge weisen. 

Und eine schöne Treppe ging 
Vom Schloß herab in einen Garten, 

Der hundert Morgen wohl umfing. 

Den wie ein Gärtner zu beschreiben. 

Damit geschäh’ euch, wie ich weiß, 


5 

gewonnen; 

1 (> 

16 

20 

26 

30 

86 

40 



216 


Kein großer Dienst; drum laß ich’s bleiben: 45 

Genug, es war ein Paradies. 

Alles, was Aug’ und Gaum und Nase 
Gelüsten kann, das fand man hier. 

Nicht bloß im Treibhaus hinter Glase, 

Frei stand es da im frischen Grase 60 

Und blüht’ und reifte für und für. 

Auch war in diesem Blumenreich 
Die Luft so heilsam, rein und weich, 

Daß Leute, die zum Sterben lagen, 

Auf ihrem Bette hieher getragen 65 

Und unter Bäume auf den Rasen 
Gelegt, in Einer Nacht genasen. 

Es geht doch, sagt mir was ihr wollt. 

Nichts über Wald- und Gartenleben, 

Und schlürfen ein dein trinkbar Gold, 60 

0 Morgensonn’, und sorglos pchweben 
Daher im frischen Blumenduft, 

Und mit dem sanften Weben 
Der freien Luft, 

Als wie aus tausend offnen Sinnen, 65 

Dich in sich ziehn, Natur, und ganz in dir zerrinnen — — 
Wo war ich? — Gutes Volk, verzeiht! 

Ich ließ euch doch nicht lange warten? 

Der Abweg ist zum Glück nicht weit; 

Wir sind ja noch in Hansens Garten. 70 

Das war nun, wie gesagt, ein zweites Paradeis; 

Und mitten drinnen stand ein siebenfacher Kreis 
Von alten himmelhohen Linden, 

Die ihre Äste wechselsweis 

So vielfach ineinander winden, 76 

So dicht, daß ihre grüne Nacht 

Den hellen Tag zur Dämmrung macht. 

Im engsten Kreise zog ein Kranz von Rosenhecken 
Sich her um einen vollen Quell, 

Der, kalt wie Eis und spiegelhell, 80 

Sein perlend Wasser in ein Becken 

Von grünem Marmor gofJ. Des Sommers strengste Glut, 

Der schärfste Strahl der schwülen Mittagsstunde, 

Erlosch in diesem kühlen Grunde; 

Ein lieblich scharfer Geist, erfrischet hier das Blut, 86 



Frischt Laub und Gras, und nährt mit ew’ger Fülle 
Den immer grünen Hain; und wie in seine Stille 
Ein Denker tritt, so freut er sich, allein, 

Und ists ein Liebender, so wünscht er zwei zu sein. 

Nun merket auf! — Ein Vögelein 
Kam jeden Abend, jeden Morgen, 

Und füllte diesen Ort mit lieblichem Gesang. 

Es sang in dichtem Laub verborgen, 

Und aller Vögel Sang und Klang 
Verstummte flugs, sobald es sang. 

Der Vogel schien, so anzusehen, 

An Federn ein gemeiner Spatz, 

Und kleiner noch: doch zum Ersatz 
Für beides, hatten ihn die Feen 
Gar sonderbar begabt, zu singen frank und froh 
Ballade, Virelai, Rondeau, 

Und tausend schöne Melodeien, 

Die einem Leib und Seel’ erfreuen. 

Da war kein Schmerz noch Gram so groß. 

Der nicht in seinem Sang zerfloß: 

Ihn singen hören oder trinken 
Aus Lethes Flut war einerlei. 

Sang er von Liebe, (zumal im Mai) 

So wars unmöglich nicht zu sinken 
In wonnigliche Träumerei; 

Und sang er Freud im bunten Kranz, 

Gleich hob sich jeder Fuß zum Tanz; 

Und wenn er Rittertaten sang, 

Ward einem stracks nach Kämpfen bang. 

Der Vogel hatte noch was Sonderlich?* an sich; 
Denn wie er von dem Garten wich, 

Fiel alles Laub, die schönen Bäume 
Verdorrten um die Quelle her, 

Die schöne Quelle sprang nicht mehr. 

Und jede Blum’ erstarb im Keime; 

Das ganze Paradeis verschwand, 

Nichts blieb als Fels und dürres Land. 

Hans, dem dies alles zugehörte, 

Kam täglich einmal, zweimal auch 
Gewackelt in den Hain, und hörte 
Dem Vogel zu, das war sein Brauch, 



218 


Sobald er morgens aus dem Bette 
Oestiegen war, und kurz vor Licht; 

Doch, daß er was empfunden hätte, 

Das war nun seine Sache nipht. 130 

Denn essen und trinken zum Zerplatzen, 

Und schlafen, und im — Kopfe kratzen, 

Und täglichtags sein Porzellan 
Und seine goldnen Becher wischen, 

Und mit dem Amtmann und Kaplan 136 

Die Dame ziehn und Karten mischen. 

Auch dann und wann in Wintertagen 
Ein Häschen durch die Saaten jagen, 

Und flacken auf dem Ruhebett, 

Und, wenn ihm alles sonst will fehlen, 140 

Sich schließen in sein Kabinett 
Und seine Rostenobel zählen — 

Dies Hansens Tun und Lassen war 
Zwölf Monat lang in jedem Jahr. 

Einst stand der lappichte Geselle 145 

Und wusch die Augen aus der Quelle; 

Da wirbelt aus dem Laub hervor 
Dies Liedchen in sein dickes Ohr: 

„Ihr Ritter und ihr Frauen zart, 

„So rot von Mund und Wang’, 150 

„Und junge Knappen edler Art, 

„Horcht alle meinem Sang! 

„Seid eurem Liebchen treu und hold; 

„Und dient ihr um der Minne Sold, 

„So seis auf lebenslang! 155 

„Dem Mann, der ohne Liebe bleibt 
„Und doch vor innerm Drang 
„Sich rastlos hin und wieder treibt, 

„Ist.s in der Haut so bang! 

„Ist alles ihm so kalt, so tot! 160 

„Er ist wie Wangen ohne Rot, 

„Und Geigen ohne Klang. 

„Doch Liebe sonder Ehre war’, 

„Ein Feuer ohne Glanz, 

„Ein Sommerwölkchen, bunt und leer, 166 

„Ein welker Blumenkranz. 

„Ein Biederherz ist wahr und frei, 



„Und wenn es liebt, so liebt es treu, 

„Und gibt sich rein und ganz. 

„■Was hebt uns bis zum Götterrang? 

„Das tut die Liebe, traun I 
„Drum horchet alle meinem Sang, 

„Ihr Ritter und ihr Fraun! 

„Wollt ihr den echten Minnesold, 

„Seid eurem Liebchen treu und hold 
„Und liebt auf lebenslang!“ 

Hans, der nicht fern am Brunnen stand, 

Horcht nach dem Sänger unverwandt; 

Denkt bei sich selbst: Potz Stern, das wäre 
Ein Tausch! Der König, wie ich höre, 

Liebt die Musik, er gäbe mir. 

Wenn ich den Vogel ihm verehre, 

Wohl einen Meierhof dafür 1 

Zwar singt er hübsch; allein, was schere 

Ich'mich um seine Dudelei? 

Kommt doch zuletzt nichts 'raus dabei! 

Der Vogel hörte Wort für Wort 
Was jener mit sich selbst , gesprochen, 

Und sang aus voller Kehle: „O du holder Ort, 

„Was so Arges hast du wohl verbrochen, 

„Daß du einem dienst, der deinen Wert nicht fühlt, 
„Der, so lang er lebt, nie in den Ring gestochen, 
„Nie des Ruhmes, nie der Liebe Preis erhielt? 
„Fallt, ihr schönen Erker, Türme, Hallen, 

„Und ihr grünen dichten Bäume, laßt es fallen, 
„Euer Laub! und du, die zwischen Blumen spielt, 
„Kühle Quelle, höre auf zu wallen, 

„Und vertrockne, daß dies Immergrün 
„Sterb’ und alle Blumen stracks, verblühn! 

„Unter euren Schatten, hohe Linden, 

„Gingen wackre Ritter einst und edle Herrn, 

„Und aus euch, ihr Rosen,' Kränze binden 
„Sah ich Frauen, schöner als der Morgenstern! 
„Und sie hörten meine Lieder gern; 

„Denn sie hatten Lieb’ im Herzen! Desto lieber 
„War ich ihnen und mein Liederspiel, 

„Und vor wonniglichem, pressendem Gefühl 
„Gingen manche klare Äuglein über; 



220 


„Und der liederwerten Taten wurden viel, 

„Viel getan, und mancher Dank erstritten, 210 

„Und sie lohnten des der Lieb’ und mir; 

„Denn noch wohnten adelige Sitten, 

„Ritterschaft, Gesang und Minne hier. 

-„Und es sollte nun mich nicht verdrießen, 

„Daß mich so ein Schuft besitzen soll? 215 

„Der dies alles hat und vom Genießen 
.„Nichts versteht — ein roher grober Knoll, 

-„Der sich selbst nur lebt und seinen Lüsten, 

-„Nichts begehrt als ewig Bauch und Eisten 
-„Anzufüllen, fühllos bei Gesänge bleibt, 220 

„Und die Zeit dabei mit Gähnen sich vertreibt I“ 

So sang das Vögelein und flog davon. 

-„Gut, schimpfe nur, du kleiner Hurensohn, 

.„(Denkt Hans) du sollst mir jedes Wort bezahlen, 

.„Und mit Provision 1“ 225 

Als nun der Abend kam, kam mit den letzten Strahlen 
Auch, wie gewohnt, mein Vögelein 
Zurück in seinen lieben Hain, 

Sein frohes Abendlied zu singen. 

Indessen hatte Hans die Linde und den Ast, 230 

Wo es zu sitzen pflag, sehr wohl ins Aug’ gefaßt, 

Und überall soviel geheime Schlingen 
Im Laub versteckt, daß sich das arme Ding, 

Sowie’s geflogen kam, in einer Schleife fing. 

Der Schalk, von einer grünen Mauer 235 

Verborgen, eilt herzu, sobald ers zappeln hört, 

Macht den Gefangnen los, der tausend Kronen wert 
Ihm unter Brüdern däucht, und steckt ihn in ein Bauer. 

Der Sänger spricht: „Ich seh’ es schon, 

„So wie der Herr, so auch der Lohn. 240 

„Das hab’ ich nun für all mein Singen 1 
-„Doch dürft’ ichs sagen, wohl getan 
„Wars eben nicht mich so zu fahn; 

.„Es wird euch wenig Rosen bringen.“ 

„Du sollst nur desto baß mir singen 1 245 

„Sonst sangst du oder schwiegst auch still: 

-„Jetzt sollst du singen, wenn ich will.“ 

„Da (sprach der Vogel) irrt er sich! 

-..Der Käfig ist mir stark zuwider. 



221 


„Ich liebe freien Himmel, ich, 250 

„Und Wald und Wiesen, setze mich 
„W 08 mir beliebt, im Grünen nieder, 

„Und wiege mich nach Herzens Lust 
„Auf meinem Ast; und sing’ ich Lieder, 

„So sing* ich sie aus freier Brust. 265 

„Drum, lieber Herr, seid nun so bieder, 

„Und schenkt mir meine Freiheit wieder: 

„Denn glaubt mir, da geht nichts davon, 

„Im Bauer sing’ ich keinen Ton.“ 

„Dem (spricht der Laur) ist bald geraten; 260 

„So dreh’ ich dir den Hals, mein Sohn, 

„Und esse dich für einen Braten.“ 

„O Herr, das lohnte wahrlich nicht 
„Die Mühe, nur den Tisch zu decken; 

„Bin gar ein kleiner magrer Wicht, 265 

„Ich blieb euch zwischen den Zähnen stecken, 

„Bis in den Magen käm’ ich nicht. 

„Mein guter Junker, laßt mich leben! 

„Was hättet ihr von meinem Tod? 

„Euch kann er wenig Vorteil geben, 270 

„Und mir ist länger Leben not. 

„Am End’ ist doch nichts über Leben!“ 

„Hör’ auf zu bitten, sag’ ich dir, 

„Mit Bitten kriegt man nichts von mir.“ 

„Nun (spricht der Vogel) seh’ ich wohl, 275 

„Das alte Sprichwort ist nicht hohl: 

„Mit groben Leuten höflich sein 
„Heißt Wasser gießen auf einen Stein; 

„Der Stein wird nicht durch Wasser weich, 

„Der Laur nicht wild durch Höflichkeit. 280 

„Doch sagt ein andrer Spruch zugleich: 

„Der Weise schickt sieh in die Zeit. 

„Drum, Lieber, macht den Bauer auf, 

„Und laßt mir wieder meinen Lauf: 

„Will Euch zum Dank drei Dinge lehren, 285 

„Die nie kein Mann von eurem Stamm 
„Gewußt, von Sinn gar wundersam; 

„Die sollen Euch groß Gut gewähren 1“ 

„Was gibst du mir zum Unterpfand?“ 

„Mein Ehrenwort“, versetzt der Sänger; 290 



222 


„Es gilt für bar im ganzen Land.“ 

„Wohl,“ denkt der schlaue Vogelfänger, 

„Es kann doch was dahinter sein; 

„Ich nehm’ es mit, kann alles brauchen: 

„Und du, hochweises Vögelein, 296 

„Sollst dir die Füßchen bald verstauchen; 

„Bis morgen bist du wieder mein!“ 

Somit schiebt er den Bauer auf 
Und läßt dem Vogel seinen Lauf. 

Der schnurrt heraus aus seiner Höhle, 300 

So froh wie eine arme Seele, 

Die aus des Fegfeu’rs Flammennacht 
Ein frommer Klausner frei gemacht. 

Er hüpft und tanzt im Kreis umher, 

Ala ob er neu geboren wär’. 305 

Setzt dann, indes der Junker paßt, 

Sich wohlgemut auf einen Ast. 

„Nun spitz’ die Ohren, edler Knecht I 
„Merk’ jedes Wort und faß’ es recht, 

„So wird dirs bringen viel Gewinn; 310 

„Es liegt darin ein großer Sinhl 
„Glaub’ nicht gleich alles, was du hörst!“ 

„Daß du dem Geier im Schnabel wärst!" 

Versetzt der Junker grimmiglich; 

„Das wußt’ ich lange ohne dicht“ 315 

„Gut, bis dus brauchst, halts warm indessen! 

„So etwas ist gar leicht vergessen." 

„Nun seh’ ich wohl, mein saubrer Gast, 

„Daß du mich nur zum Besten hast. 

„Das Erste, was du mich gelehrt, 320 

„Ist keinen roten Heller wert! 

„Du hast den Lohn umsonst genommen. 

„Doch sei’s! Laß’ nur das Andre kommen!“ 

„Merk’ wohl aufs Wort,“ (der Vogel spricht) 

„Du wirst es brauchen! — Weine nicht 326 

„Um etwas das du nicht gehabt!“ 

Hans schreit: „Da haben wirs ertappt! 

„Ein fein Arkanum, Gott verdamm’ es! 

„Daß ich der erste meines Stammes 

„Sein sollte, der von dir das noch 330 

„Erst lernen müßte! Hätt’ ich doch 



„Den Schelmenhals dir umgedreht I“ 

„Der Wunsch (spricht jener) kommt zu spät. 
„Indessen, daß du sehen magst, 

„Wie ungerecht du mich verklagst, 

„Sei nochmals beides dir empfohlen I 
„Soll ich dirs etwa wiederholen? 

„Von Herzen gern!“ — „Du mußt mich wohl, 
(Schreit Hans) um so mit mir zu walten, 

„Für einen großen Esel halten? 

„Denn hätt’ ich auch ein Haupt von Kohl 
„Mit Spreu gefüllt, so kahler Lehren, 

„Zum Henker! könnt’ ich doch entbehren. 
„Doch weil du nun im Vorteil bist, 

„Laß immer noch 1 das Letzte hören! 

„Wer weiß, obs nicht das Beste ist!“ 

„Das (spricht der Vogel) könnte sein. 

„Nur faß es wohl! — Es gleicht dem Stein 
„Der Weisen. Wer den machen kann, 

„Der wird gewiß kein armer Mann! 

„Merk’ auf mit Fleiß! Wiewohl es heut 
„Zu spät kommt, kanns zu andrer Zeit 
„Dir viel vergebliche Reu’ ersparen. 

„Narr, was du in den Händen hast, 

„Halt fest, und laß es nimmer fahren!“ 

Wie Hans dies hört, ergrimmt er fast. 

„So (schreit er) hältst du dein Versprechen? 
„O! könnt’ ich 1 dir die Beine brechen! 

„Ist dies dein Wort? ist dies mein Dank?" 

„Nun, guter Freund, was soll der Zank? 
„Gab ich dir nicht drei goldne Lehren? 

„Wie kannst du wohl noch mehr begehren?“ 
„Ein fein Geschenk, bei meiner Treu’! 

„Man dächte, was dahinter peil 
„Ich wußt’ in meinen Kindertagen 
„Dergleichen schockweis aufzusagen.“ 

„So gut als irgend eine Gans,“ 

Versetzt der Vogel. „Mein guter Hans, 

„Die Augen aus dem Kopf gegeben 
„Mit Freuden hättest lieber du, 

„Und beide Ohren noch dazu, 

„(Wärst du gescheit) als mir das Leben.“ 



224 


„Wie so? wie so? Was hätte mirs 
„Geholfen, dich zum Koch zu tragen?“ 

„Gar viel geholfen hätte dirsl 376 

„Unglücklicher! In meinem Magen 
„Hättst du gefunden einen Stein, 

„Drei Unzen schwer und hell an Schein 
„Wie Diamant, der auf der Stätte 

„Zum reichsten Mann gemacht dich hätte. 380 

„Denn wer den Stein besitzt, der weiß 
„Was künftig ist und was vergangen; 

„Die Geister kommen auf sein Geheiß; 

„Er darf nur wünschen, nur verlangen, 

;,So steht es da, ist alles seinl 385 

„Dein guter Engel gab dir ein, 

„Mich heute noch am Spieß zu braten; 

„Hättst du gefolgt, der Stein war dein! 

„Doch einem Narr’n ist nicht zu raten.“ 

Hans, wie er diese Nachricht hört, 390 

Sich wütend in die Haare fährt, 

Schlägt mit der Faust sich vor den Magen, 

Zerreißt sein Wams und seinen Kragen 
Von Spitzen, hundert Taler wert, 

Und füllt den Wald mit lauten Klagen. 396 

. Der Vogel sieht in großer Ruh 
Dem Spuk von seinem Baume zu; 

Sagt nicht ein Wort, bis Mantel, Kragen, 

Und Wams und Wange, Bart und Haar, 

Sich Hans zerfetzt hat ganz und gar. 400 

Drauf ruft er: „Narr, hör’ auf zu zagen, 

„Der Schade darf dich so nicht plagen; 

„Es ist kein Wort von allem wahr, 

„Was ich vom Stein dir vorgetragen.“ 

„Wie? was? So wärs nur Lug und Trug?“ 406 

„Du sagtest ja, du seist so klug, 

„Man könnte dir nichts Neues sagen ? 

„Du wissest alles schon vorher? 

„Als du mich fingst, du dummer Bär, 

„Da war ich keine Unze schwer; 410 

„Wo käme denn in meinem Magen 
„Ein Kiesel von drei Unzen her?“ 

„Nun seh’ ichs freilich nur zu sehr," 



225 


Erwidert Hans mit nassem Blicke; 

„Wer aber hätt’ auch solche Tücke 
„Dir zugetraut ?" — „Begreifst du nun, 

„Tor? Worte sind nur leere Schalen, 

„Der Sinn ist alles, der Sinn, der Sinn! 

„Allein für dich ist keiner drin! 

„Die Lehre magst du nun bezahlen! 

„Du wußtest alles längst zuvor — 

„Was half dein Wissen? Pinsel, Tor! 

„Hättet du verstanden es auszuüben, 

„Dein Kragen und Wams wär’ ganz geblieben I 
„So merk’ nun meine Lehren dir, 

„Und sieh dich künftig besser fürl 
„Sie kommen dir hoch genug zu stehen! 

„Hiermit leb’ wohl, auf Wiedersehen!“ 

Der Vogel flog davon und soll 
Noch wiederkommen. Dumm und toll 
Steht Hans; ihm ist, als ob ihm träume: 

Und, wie er steht, o wundervoll! 

Fällt alles Laub, die schönen Bäume 
Verdorren plötzlich ringsumher. 

Die schöne Quelle springt nicht mehr. 

Die Blumen sterben all im Keime, 

Weg ist das ganze Feenland, 

Und ihm bleibt nichts als dürrer Sand. 

No. 10. Nicolay: Der Mann und das Vögelein. 

Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, I, pp. 62/3. 

Ein Vogler fing ein Vögelein, 

Das sprach zum Vogler: „Sieh, wie klein, 

„Wie leicht ich bin! Was nütz’ ich dir? 

„Laß mich zum Walde wiederkehren! 

„Aus Dankbarkeit will ich dafür 6 

„Dich auch ein schönes Sprüchlein lehren.“ 

„So laß denn sehn", versetzt der Mann, 

„Was mich ein Zeisig lehren kann.“ , 

Das Vögelein war herzlich froh, 

Und sagte zu dem Vogler so: 10 

„Mein Spruch ist der: Ein weiser Mann 
„Glaubt nur, was er begreifen kann, 

Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 15 

/ 


416 


420 


426 


430 


436 



226 


„Und grämet sich! zu keiner Frist 
„Um etwas, das unmöglich ist." 

„Ein schöner Spruch!“ versetzt der Mann, 15 

„Den jedes Band mir sagen kann. 

„Wer glaubt wohl ungereimte Dinge? 

„Jedoch dein Wert ist so geringe, 

„Daß ich damit zufrieden bin. 

„So fliege denn nur wieder hin, 20 

„Du Närrlein, ich! entlasse dich.“ 

Das Vögelein, sobald es sich 
Auf einen nahen Baum gesetzt, 

Denkt: „Laß nur sehen, ob der Mann, 

„Der meinen Spruch! so wenig schätzet, 25 

„Nun auch die Probe halten kann.“ 

„O!“ fängt es zu dem Vogler an, 

„Ol seht ihn doch, den dummen Mann, 

„Den auch ein Zeisig äffen kannl 

„Denn wisse nun, mein Leib enthält 30 

„Das größte Kleinod in der Welt, 

„Den herrlichsten Karfunkelstein. 

„Zwei Tonnen Goldes waren dein, 

„Die hast du mit mir fliegen lassen.“ 

Weg fliegt der Zeisig, doch nicht weit. 35 

Uneingedenk des Spruchs und der Unmöglichkeit, 

Weiß sich der Mann, der Tor, vor ßeue kaum zu fassen. 

No. 11. Le Grand d'Aussy: Le Lai de VOiselet. 

Fabliaux ou Contes, 1781 2 , t. III, pp. 430—436. 

Au temS passe, il y a bien cent ans de cela, vivait un 
villain, dont je n’ai pu savoir le nom; mais qui ötait si puissam- 
ment riche qu’il possödait prös, bois et riviöres, *en un mot, 
tout ce que possöde l’homme le plus noble. II avait surtout un 
manoir dölicieux, et tel que jamais bourg, ville ni chäteau 
n’en a offert un pareil. Je crains, ä dire le vrai, de vous 
en faire la description, de peur que vous ne soyez tente de la 
regarder comme une fable. Aussi je votis pröviens que ce lieu 
fut fait par art de nöcromancie. II appartint d’abord ä un 
Chevalier. Aprös la mort de celui • ci son fils en hörita; mais 
le fils, ruinö par ses döbauches, se vit oblige de le vendre, 
et ce fut notre villain qui l’acheta. Vous savez que dans une 



227 


famille, pour d6truire villes et chäteaux, il ne faut souvent 
qu’un h6ritier prodigue. 

Ce s6jour consistait en une forte tour aveo donjon, bfttie 
au centre d’un vaste terrain qu’enfermait une riviöre. Du 
eourant d’enceinte se detachait un bras d’eau qui venait isoler 
circulairement dans l’enclos un verger charmant. La se trou- 
vait des roses, des fleurs et des 6pices de toute espöce, et en 
teile abondance que si on y eüt apportö un mourant pour lui 
faire respirer le bäume qu’elles exhalaient, eiles Peussent dans 
l’instant rappelt ä la vie. Le terrain 6tait uni et sans asp6rite. 
Les arbres, quoique fort 61ev6s, avaient tous une hauteur 6gale, 
et quelque fruit qu’il vous plüt de demander, ils pouvaitent 
vous l’offrir. Au milieu du verger s’elevait, en bouillonnant, 
une fontaine qui allait perdre dans la rivtere ses eaux claires 
et fraJches. Elle 6tait ombragee par un pin dont les rameaux 
6 pais et 6ternellement verts, aux jours les plus brülants de 
l’annäe la döfendaient du soleil. 

Mais ce qui augmentait surtout les dälices de ce lieu 
incomparable, c’6tait la prösence d’un oiseau merveilleux. Deux 
fois le jour, le matin et le soir, il venait sur le pin, chanter 
Lais, Refrains et Chansons amoureuses. Sa voix divine et 
enchanteresse, aupres de laquelle les gigues, les violons et les 
harpes ne sont rien, avait en outre une teile vertu, qu’elle 
eüt suffi pour ramener la joie dans le coeur de l’amant le plus 
d6sesp6r6. A son chant et ä sa präsence dtaient attach^es 
l’existence et la beaut6 du verger: avec lui, arbres, fleurs et 
fontaine, tout devait disparaitre. Voici quelle 6tait sa chanson: 
«Ecoutez mon Lai, Chevaliers, Clercs et Lalcs, vous tous qui 
aimez et qu’Amour afflige. Ecoutez-le surtout, vous jeunes 
Pucelles; et mettez ä profit les le^ons que vous alle^ en-* 
tendre t . 

Mais la premiere fois qu’il vit approcher le villain, il 
s’ecria: «Rivi^re, remonte vers ta source; et vous, donjon, 
tour et chäteau, que la terre vous engloutisse! fleurs bril¬ 
lantes, ombrages frais, dess6chez-vous. Chaque jour sous ces 
beaux arbres venaient jadis s’6battre Dames aimables et gentils 
Chevaliers. Ils se plaisaient ä 6couter mon chant, et ne se 
retiraient qu’en se promettant, les uns d’aimer davantage, les 
autres de märiter encore plus d’amour ä force de Iib6ralit6, de 
prouesses et de courtoisie. Mais ä präsent quel sort! nous avons 

15 * 



214 


tu ne seras gaires saoul6s, car je sui une petite chosete; mais 
si tu me vouloies laiasier aler, je t’apenroie trqis eens qui 
t'avroient grant mestier se tu les vouloies metre. a uevre. — 
Bar foi, dist li palsans, «et je te lairai aler». Et lasche la main, 
et la masenge se l: trait seur une branche, et fu merveilles lide 
de ce qu’elle fu eschap6e. «Or t’apenrai», dit la masenge au 
palsant, «se tu veus, mes trois sens. — Oll voir», dist iL — 
«Or escoute», dit la: masenge: «je te lo (et si le retien bien) 
que ce que tu tiens ä tes mains que tu ne getes a tes piös, 
et que tu ne croies pas quant que tu orras, et que tu ne meines 
mie trop grand duel de la chose que tu ne pourras avoir ne 
recouvrer. — Que est ce?» dist li vilains: «n’en diras-tu el? Par 
le euer Beul se je te tenoie, tu ne m’eschaperoies huimais. — 
En. non de moi», dit la masenge, «tu avroies droit, car j’ai en 
na teste une pierre pr6cieuse aussi grosse comme. uns ues de 
geline qui bien vaut cent livres.» Quant li palsans 1’oX, si 
debat ses poins, et destire ses cheveus et demeine le plus 
grant duel dou monde. Et la masenge commenfa a rire, et 
li,: dist: «Soz vilains, mauvaisement as entendu et qm en uevre 
les trois sens que j,e t’avoie dit; saches de voir que tu i6s de 
tous trois deceüs. Tu me tenoies en ta main, si me getas a tes 
pies quant tu me laissas aler; et me crels de ce que je te fis 
entendant que j’avoie en ma teste une pierre precieuse qui 
pstoit aussi grosse comme uns ues de geline, et: je' toute ne 
sui si grosse; et si meines duel de moi a cui tu ne recouverras 
jamais, car je me garderai mieus que je ne me sui gardde.» 
Atant bati ses 61es et s’en vola, et laissa le palsant son duel 
fesant. «Sire,» dist li arcevesques, «vous veez .bien que vous ne 
pouez recouvrer a vostre fil, et bien devez croire que il est en 
paradia, si vous devez conforter.» Li rois vit bien et sot que 
li afcevesques li disoit vrai, si se conforta -et oublia auques son 
duel. 

No. 9. C. M. Wieland: Der Vogelsang öder <He drei 

Lehren. 

.1' ’/«' • ’ ' ’ ’. 

Das Nachfolgende ist der Text in C. M. Wielands Sämmtlichen 
.. Werken (1796), XVIII, pp. 365—387) 

, Vor etwa siebenhundert ( Jahren 

Und drüber lebt’ in meinem Schwabenland 

Ein reicher Erdensohn, vop Namen unbekannt, 



215 


(Weil seine Ahnen stets geheim geblieben waren) 
Und drum kurzweg der reiche Hans genannt. 

Von Gottes Gnaden hatte der 
Ein schönes Schloß, — das Bessern einst _als er 
Zum Aufenthalt gedient — man weiß nicht wie 
Wie nun einmal in dieser Unterwelt 
Nichts lange seinen Herrn behält, 

Und, was ein braver Mann begonnen. 

Durch einen schlechten wieder fällt; 

Genug, Hans hatt’ es nun gewonnen, 

Das schönste Schloß, das von der lieben Sonnen 
Je angeschienen ward, seitdem 
Es Schlösser gibt. Es lag gar wunderangenehm. 
Gebaut von schönen Quadersteinen, 

Geräumig, stattlich und bequem; 

Von ferne konnt’s das schönste Kloster scheinen. 
Ich sage nichts von all dem feinen 
Geräte drin, den langen Reihn 
Von Sälen, Zimmern, groß und klein, 

Und wie da ringsum alles schimmert 
Und widerscheint und blitzt und flimmert 
Von Silber, Gold und edlem Stein; 

Nichts von den Kellern voller Wein, 

Von weißen, purpurnen und gelben, 

Aus Welschland, Frankreich und vom Rhein, 
.Noch von den Kammern und Gewölben, 

Bis oben an mit allem voll. 

Was, nach dem alten Spruch, ein Weiser 
Gern haben, leicht entbehren soll. 

Ein Wort für tausend, selbst der Kaiser 
Zu Wien in seinem alten Schloß 
(Geleit’ ihn Gott auf seinen Reisen!) 

Hat kaum mehr Reichtum aufzuweisen 
Als Hans- in seiner Burg verschloß. 

Wie er’s handhabte und genoß, 

Das wird sich' in der Folge weisen. 

Und eine schöne Treppe ging 
Vom Schloß herab in einen Garten, 

Der hundert Morgen wohl umfing. 

Den wie ein Gärtner zu beschreiben. 

Damit geschäh- euch, wie ich weiß, 


6 

gewonnen; 

10 

16 

20 

26 

30 

36 

40 



216 


Kein großer Dienst; drum laß ich’s bleiben: 46 

Genug, es war ein Paradies. 

Alles, was Aug’ und Gaum und Nase 
Gelüsten kann, das fand man hier. 

Nicht bloß im Treibhaus hinter Glase, 

Frei stand es da im frischen Grase 60 

Und blüht’ und reifte für und für. 

Auch war in diesem Blumenreich 
Die Luft so heilsam, rein ünd weich. 

Daß Leute, die zum Sterben lagen, 

Auf ihrem Bette hieher getragen 66 

Und unter Bäume auf den Rasen 
Gelegt, in Einer Nacht genasen. 

Es geht doch, sagt mir was ihr wollt, 

Nichts über Wald- und Gartenleben, 

Und schlürfen ein dein trinkbar Gold, 60 

O Morgensonn’, und sorglos pchweben 
Daher im frischen Blumenduft, 

Und mit dem sanften Weben 
Der freien Luft, 

Als wie aus tausend offnen Sinnen, 65 

Dich in sich ziehn, Natur, und ganz in dir zerrinnen -- 

Wo war ich? — Gutes Volk, verzeiht! 

Ich ließ euch doch nicht lange warten? 

Der Abweg ist zum Glück nicht weit; 

Wir sind ja noch in Hansens Garten. 70 

Das war nun, wie gesagt, ein zweites Paradeis; 

Und mitten drinnen stand ein siebenfacher Kreis 
Von alten himmelhohen Linden, 

Die ihre Äste wechselsweis 

So vielfach ineinander winden, 76 

So dicht, daß ihre grüne Nacht 

Den hellen Tag zur Dämmrung macht. 

Im engsten Kreise zog ein Kranz von Rosenhecken 
Sich her um einen vollen Quell, 

Der, kalt wie Eis und spiegelhell, 80 

Sein perlend Wasser in ein Becken 

Von grünem Marmor gofJ. Des Sommers strengste Glut, 

Der schärfste Strahl der schwülen Mittagsstunde, 

Erlosch in diesem kühlen Grunde; 

Ein lieblich scharfer Geist erfrischet hier das Blut, 85 



Frischt Laub und Gras, und nährt mit ew’ger Fülle 
Den immer grünen Hain; und wie in seine Stille 
Ein Denker tritt, so freut er sich, allein, 

Und ists ein Liebender, so wünscht er zwei zu sein. 

Nun merket aufl — Ein Vögelein 
Kam jeden Abend, jeden Morgen, 

Und füllte diesen Ort mit lieblichem Gesang. 

Es sang in dichtem Laub verborgen, 

Und aller Vögel Sang und Klang 
Verstummte flugs, sobald es sang. 

Der Vogel schien, so anzusehen, 

An Federn ein gemeiner Spatz, 

Und kleiner noch: doch zum Ersatz 
Für beides, hatten ihn die Feen 
Gar sonderbar begabt, zu singen frank und froh 
Ballade, Virelai, Rondeau, 

Und tausend schöne Melodeien, 

Die einem Leib und Seel’ erfreuen. 

Da war kein Schmerz noch Gram so groß, 

Der nicht in seinem Sang zerfloß: 

Ihn singen hören oder trinken 
Aus Lethes Flut war einerlei. 

Sang er von Liebe, (zumal im Mai) 

So wars unmöglich nicht zu sinken 
In wonnigliche Träumerei; 

Und sang er Freud im bunten Kranz, 

Gleich hob sich jeder Fuß zum Tanz; 

Und wenn er Rittertaten sang, 

Ward einem stracks nach Kämpfen bang. 

Der Vogel hatte noch was Sonderlich» an sich; 
Denn wie er von dem Garten wich, 

Fiel alles Laub, die schönen Bäume 
Verdorrten um die Quelle her, 

Die schöne Quelle sprang nicht mehr, 

Und jede Blum’ erstarb im Keime; 

Das ganze Paradeis verschwand, 

Nichts blieb als Fels und dürres Land. 

Hans, dem dies alles zugehörte, 

Kam täglich einmal, zweimal auch 
Gewackelt in den Hain, und hörte 
Dem Vogel zu, das war sein Brauch, 



218 


Sobald er morgens aus dem Bette 
Gestiegen war, und kurz vor Licht; 

Doch, daß er was empfunden hätte, 

Das war nun seine Sache nipht. 130 

Denn essen und trinken zum Zerplatzen, 

Und schlafen, und im — Kopfe kratzen. 

Und täglichtags sein Porzellan 
Und seine goldnen Becher wischen, 

Und mit dem Amtmann und Kaplan 136 

Die Dame ziehn und Karten mischen. 

Auch dann und wann in Wintertagen 
Ein Häschen durch die Saaten jagen, 

Und flacken auf dem Ruhebett, 

Und, wenn ihm alles sonst will fehlen, 140 

Sich schließen in sein Kabinett 
Und seine Ros'enobel zählen — 

Dies Hansens Tun und Lassen war 
Zwölf Monat lang in jedem Jahr. 

Einst stand der lappichte Geselle 145 

Und wusch die Augen aus der Quelle; 

Da wirbelt aus dem Laub hervor 
Dies Liedchen in sein dickes Ohr: 

„Dir Ritter und ihr Frauen zart, 

„So rot von Mund und Wang’, 150 

„Und junge Knappen edler Art, 

„Horcht alle meinem Sangl 

„Seid eurem Liebchen treu und hold; 

„Und dient ihr um der Minne Sold, 

„So seis auf lebenslang I 155 

„Dem Mann, der ohne Liebe bleibt 
„Und doch vor innerm Drang 
„Sich rastlos hin und wieder treibt, 

„Ists in der Haut so bangt 

„Ist alles ihm so kalt, so totl 160 

„Er ist wie Wangen ohne Rot, 

„Und Geigen ohne Klang. 

„Doch Liebe sonder Ehre \?är’, 

„Ein Feuer ohne Glanz, 

„Ein Sommerwölkchen, bunt und leer, 166 

„Ein welker Blumenkranz. 

„Ein Biederherz ist wahr und frei, 



219 


„Und wenn es liebt, so liebt es treu, 

„Und gibt sieb rein und ganz. 

„"Was hebt uns bis zum Götterrang? 170 

„Das tut die Liebe, traun! 

„Drum horchet alle meinem Sang, 

„Ihr Ritter und ihr Fraunl 
„Wollt ihr den echten Minnesold, 

„Seid eurem Liebchen treu und hold 175 

„Und liebt auf lebenslang!“ 

Hans, der nicht fern am Brunnen stand, 

Horcht nach dem Sänger unverwandt; 

Denkt bei sich selbst: Potz Stern, das wäre 

Ein Tausch! Der König, wie ich höre, 180 

Liebt die Musik, er gäbe mir, 

Wenn ich den Vogel ihm verehre, 

Wohl einen Meierhof dafür! 

Zwar singt er hübsch; allein, was schere 

Ich mich um seine Dudelei? 185 

Kommt doch zuletzt nichts 'raus dabei! 

Der Vogel hörte Wort für Wort 
Was jener mit sich selbst , gesprochen, 

Und sang aus voller Kehle: „O du holder Ort, 

„Was so Arges hast du wohl verbrochen, 190 

„Daß du einem dienst, der deinen Wert nicht fühlt, 

„Der, so lang er lebt, nie in den Ring gestochen, 

„Nie des Ruhmes, nie der Liebe Preis erhielt? 

„Pallt, ihr schönen Erker, Türme, Hallen, 

„Und ihr grünen dichten Bäume, laßt es fallen, 195 

„Euer Laub! und du, die zwischen Blumen spielt, 

„Kühle Quelle, höre auf zu wallen, 

„Und vertrockne, daß dies Immergrün 
„Sterb’ und alle Blumen stracks, verblüh»! 

„Unter euren Schatten, hohe Linden, 200 

„Gingen wackre Ritter einst und edle Herrn, 

„Und aus euch, ihr Roseh,' Kränze binden 
„Sah ich Frauen, schöner als der Morgenstern! 

„Und sie hörten meine Lieder gern; 

„Denn sie hatten Lieb’ im Herzen! Desto lieber 205 

„War ich ihnen und mein Liederspiel, 

„Und vor wonniglichem, pressendem Gefühl 
„Gingen manche klare Äuglein über; 



220 


„Und der liederwerten Taten wurden viel, 

„Viel getan, und mancher Dank erstritten, 210 

„Und sie lohnten des der Lieb’ und mir; 

„Denn noch wohnten adelige Sitten, 

„Ritterschaft, Gesang und Minne hier. 

-„Und es sollte nun mich nicht verdrießen, 

„Daß mich so ein Schuft besitzen soll? 215 

„Der dies alles hat und vom Genießen 
-„Nichts versteht — ein roher grober Knoll, 

.„Der sich selbst nur lebt und seinen Lüsten, 

„Nichts begehrt als ewig Bauch und Kisten 
-„Anzufüllen, fühllos bei Gesänge bleibt, 220 

„Und die Zeit dabei mit Gähnen sich vertreibtI“ 

So sang das Vögelein und flog davon. 

-„Gut, schimpfe nur, du kleiner Hurensohn, 

-„(Denkt Hans) du sollst mir jedes Wort bezahlen, 

.„Und mit Provision 1“ 225 

Als nun der Abend kam, kam mit den letzten Strahlen 
Auch, wie gewohnt, mein Vögelein 
Zurück in seinen lieben Hain, 

Sein frohes Abendlied zu singen. 

Indessen hatte Hans die Linde und den Ast, 230 

Wo es zu sitzen pflag, sehr wohl ins Aug’ gefaßt, 

Und überall soviel geheime Schlingen 
Im Laub versteckt, daß sich das arme Ding, 

Sowie’s geflogen kam, in einer Schleife fing. 

Der Schalk, von einer grünen Mauer 235 

Verborgen, eilt herzu, sobald ers zappeln hört, 

Macht den Gefangnen los, der tausend Kronen wert 
Ihm unter Brüdern däucht, und steckt ihn in ein Bauer. 

Der Sänger spricht: „Ich seh’ es schon, 

„So wie der Herr, so auch der Lohn. 240 

„Das hab’ ich nun für all mein Singen I 
-„Doch dürft’ ichs sagen, wohl getan 
„Wars eben nicht mich so zu fahn; 

-„Es wird euch wenig Bosen bringen.“ 

„Du sollst nur desto baß mir singen I 245 

.„Sonst sangst du oder schwiegst auch still: 

„.Jetzt sollst du singen, wenn ich will.“ 

„Da (sprach der Vogel) irrt er sich! 

— Der Käfig ist mir stark zuwider. 



221 


„Ich liebe freien Himmel, ich, 

„Und Wald und Wiesen, setze mich 
„Wos mir beliebt, im Grünen nieder, 

„Und wiege mich nach Herzens Lust 
„Auf meinem Ast; und sing’ ich Lieder, 

„So sing’ ich sie aus freier Brust. 

„Drum, lieber Herr, seid nun so bieder, 

„Und schenkt mir meine Freiheit wieder: 

„Denn glaubt mir, da geht nichts davon, 

„Im Bauer sing’ ich keinen Ton.“ 

„Dem (spricht der Laur) ist bald geraten; 
„So dreh’ ich dir den Hals, mein Sohn, 

„Und esse dich für einen Braten.“ 

„O Herr, das lohnte wahrlich nicht 
„Die Mühe, nur den Tisch zu decken; 

„Bin gar ein kleiner magrer Wicht, 

„Ich blieb euch zwischen den Zähnen stecken, 
„Bis in den Magen kam’ ich nicht. 

„Mein guter Junker, laßt mich leben I 
„Was hättet ihr von meinem Tod? 

„Euch kann er wenig Vorteil geben, 

„Und mir ist länger Leben not. 

„Am End’ ist doch nichts über Leben 1“ 

„Hör’ auf zu bitten, sag’ ich dir, 

„Mit Bitten kriegt man nichts von mir.“ 
„Nun (spricht der Vogel) seh’ ich wohl, 
„Das alte Sprichwort ist nicht hohl: 

„Mit groben Leuten höflich sein 
„Heißt Wasser gießen auf einen Stein; 

„Der Stein wird nicht durch Wasser weich, 
„Der Laur nicht wild durch Höflichkeit. 

„Doch sagt ein andrer Spruch zugleich: 

„Der Weise schickt sieh in die Zeit. 

„Drum, Lieber, macht den Bauer auf, 

„Und laßt mir wieder meinen Lauf: 

„Will Euch zum Dank drei Dinge lehren, 

„Die nie kein Mann von eurem Stamm 
„Gewußt, von Sinn gar wundersam; 

„Die sollen Euch groß Gut gewähren 1“ 

„Was gibst du mir zum Unterpfand?“ 

„Mein Ehrenwort“, versetzt der Sänger; 


250 


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260 


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222 


„Es gilt für bar im ganzen Land.“ 

„Wohl,“ denkt der schlaue Vogelfänger, 

„Es kann doch was dahinter sein; 

„Ich nehm’ es mit, kann alles brauchen: 

„Und du, hochweises Vögelein, 296 

„Sollst dir die Füßchen bald verstauchen; 

„Bis morgen bist du wieder mein!“ 

Somit schiebt er den Bauer auf 
Und läßt dem Vogel seinen Lauf. 

Der schnurrt heraus aus seiner Höhle, 300 

So froh wie eine arme Seele, 

Die aus des Fegfeu’rs Flammennacht 
Ein frommer Klausner frei gemacht. 

Er hüpft und tanzt im Kreis umher, 

Als ob er neu geboren war’. 306 

Setzt dann, indes der Junker paßt, 

Sich wohlgemut auf einen Ast. 

„Nun spitz’ die Ohren, edler Knecht! 

„Merk’ jedes Wort und faß’ es recht, 

„So wird dirs bringen viel Gewinn; 310 

„Es liegt darin ein großer Sinh! 

„Glaub’ nicht gleich alles, was du hörst!“ 

„Daß du dem Geier im Schnabel wärst!“ 

Versetzt der Junker grimmiglich ; 

„Das wußt’ ich lange ohne dich!“ 316 

„Gut, bis dus brauchst, halts warm indessen! 

„So etwas ist gar leicht vergessen." 

„Nun seh’ ich wohl, mein saubrer Gast, 

„Daß du mich nur zum Besten hast. 

„Das Erste, was du mich gelehrt, 320 

„Ist keinen roten Heller wertl 

„Du hast den Lohn umsonst genommen. 

„Doch sei’s! Laß’ nur das Andre kommen!“ 

„Merk 1 wohl aufs Wort,“ (der Vogel spricht) 

„Du wirst es brauchen! — Weine nicht 326 

„Um etwas das du nicht gehabt!“ 

Hans schreit: „Da haben wirs ertappt! 

„Ein fein Arkanum, Gott verdamm’ es! 

„Daß ich der erste meines Stammes 

„Sein sollte, der von dir das noch 330 

„Erst lernen müßte! Hätt’ ich doch 



„Den Schelmenhals dir umgedreht I“ 

„Der Wunsch (spricht jener) kommt zu spät. 
„Indessen, daß du sehen magst, 

„Wie ungerecht du mich verklagst, 

„Sei nochmals beides dir empfohlen I 
„Soll ich dirs etwa wiederholen? 

„Von Herzen gern!“ — „Du mußt mich wohl, 
(Schreit Hans) um so mit mir zu walten, 

„Für einen großen Esel halten? 

„Denn hätt’ ich auch ein Haupt von Kohl 
„Mit Spreu gefüllt, so kahler Lehren, 

„Zum Henkerl könnt’ ich doch entbehren. 
„Doch weil du nun im Vorteil bist, 

„Laß immer noch das Letzte hören! 

„Wer weiß, obs nicht das Beste ist I“ 

„Das (spricht der Vogel) könnte sein. 

„Nur faß es wohll — Es gleicht dem Stein 
„Der Weisen. Wer den machen kann, 

„Der wird gewiß kein armer Mannl 
„Merk’ auf mit Fleiß I Wiewohl es heut 
„Zu spät kommt, kanns zu andrer Zeit 
„Dir viel vergebliche Reu’ ersparen. 

„Narr, was du in den Händen hast, 

„Halt fest, und laß es nimmer fahren!“ 

Wie Hans dies hört, ergrimmt er fast. 

„So (schreit er) hältst du dein Versprechen? 
„0! könnt’ ich' dir die Beine brechen! 

„Ist dies dein Wort? ist dies mein Dank?“ 
„Nun, guter Freund, was soll der Zank? 
„Gab ich dir nicht drei goldne Lehren? 

„Wie kannst du wohl noch mehr begehren?" 

„Ein fein Geschenk, bei meiner Treu’! 

„Man dächte, was dahinter peil 
„Ich wußt’ in meinen Kindertagen 
„Dergleichen schockweis aufzusagen.“ 

„So gut als irgend eine Gans,“ 

Versetzt der Vogel. „Mein guter Hans, 

„Die Augen aus dem Kopf gegeben 
„Mit Freuden hättest lieber du, 

„Und beide Ohren noch dazu, 

„(Wärst du gescheit) als mir das Leben.“ 



224 


„Wie so? wie so? Was hätte mirs 
„Geholfen, dich zum Koch zu tragen?“ 

„Gar viel geholfen hätte dirsl 376 

„Unglücklicher! In meinem Magen 
„Hättst du gefunden einen Stein, 

„Drei Unzen schwer und hell an Schein 
„Wie Diamant, der auf der Stätte 

„Zum reichsten Mann gemacht dich hätte. 380 

„Denn wer den Stein besitzt, der weiß 
„Was künftig ist und was vergangen; 

„Die Geister kommen auf sein Geheiß; 

„Er darf nur wünschen, nur verlangen, 

;,So steht es da, ist alles sein! 385 

„Dein guter Engel gab dir ein, 

„Mich heute noch am Spieß zu braten; 

„Hättst du gefolgt, der Stein war dein! 

„Doch einem Narr’n ist nicht zu raten.“ 

Hans, wie er diese Nachricht hört, 390 

Sich wütend in die Haare fährt, 

Schlägt mit der Faust sich vor den Magen, 

Zerreißt sein Wams und seinen Kragen 
Von Spitzen, hundert Taler wert, 

Und füllt den Wald mit lauten Klagen. 396 

Der Vogel sieht in großer Ruh 
Dem Spuk von seinem Baume zu; 

Sagt nicht ein Wort, bis Mantel, Kragen, 

Und Wams und Wange, Bart und Haar, 

Sich Hans zerfetzt hat ganz und gar. 400 

Drauf ruft er: „Narr, hör’ auf zu zagen, 

„Der Schade darf dich so nicht plagen; 

„Es ist kein Wort von allem wahr, 

„Was ich vom Stein dir vorgetragen.“ 

„Wie? was? So wärs nur Lug und Trug?“ 406 

„Du sagtest ja, du seist so klug, 

„Man könnte dir nichts Neues sagen ? 

„Du wissest alles schon vorher? 

„Als du mich fingst, du dummer Bär, 

„Da war ich keine Unze schwer; 410 

„Wo käme denn in meinem Magen 
„Ein Kiesel von drei Unzen her?" 

„Nun 8eh’ ichs freilich nur zu sehr,“ 



225 


Erwidert Hans mit nassem Blicke; 

„Wer aber hätt’ auch solche Tücke 
„Dir zugetraut?“ — „Begreifst du nun, 

„Tor? Worte sind nur leere Schalen, 

„Der Sinn ist alles, der Sinn, der Sinnl 
„Allein für dich ist keiner drinl 
„Die Lehre magst du nun bezahlen! 

„Du wußtest alles längst zuvor — 

„Was half dein Wissen? Pinsel, Tori 
„Hättet du verstanden es auszuüben, 

„Dein Kragen und Wams wär’ ganz geblieben I 
„So merk’ nun meine Lehren dir, 

„Und sieh dich künftig besser für! 

„Sie kommen dir hoch genug zu stehen 1 
„Hiermit leb’ wohl, auf Wiedersehen!“ 

Der Vogel flog davon und soll 
Noch wiederkommen. Dumm und toll 
Steht Hans; ihm ist, als ob ihm träume: 

Und, wie er steht, o wundervoll! 

Fällt alles Laub, die schönen Bäume 
Verdorren plötzlich ringsumher. 

Die schöne Quelle springt nicht mehr, 

Die Blumen sterben all im Keime, 

Weg ist das ganze Feenland, 

Und ihm bleibt nichts als dürrer Sand. 

No. 10. Nicolay: Der Ma/nn und das Vögeleiri. 

Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, I, pp. 62/3. 

Ein Vogler fing ein Vögelein, 

Das sprach zum Vogler: „Sieh, wie klein, 

„Wie leicht ich bin! Was nütz’ ich dir? 

„Laß mich zum Walde wiederkehren! 

„Aus Dankbarkeit will ich dafür 5 

„Dich auch ein schönes Sprüchlein lehren.“ 

„So laß denn sehn“, versetzt der Mann, 

„Was mich ein Zeisig lehren kann.“ , 

Das Vögelein war herzlich froh. 

Und sagte zu dem Vogler so: 10 

„Mein Spruch ist der: Ein weiser Mann 
„Glaubt nur, was er begreifen kann, 

Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 15 


416 


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226 


„Und grämet sich! zu keiner Frist 
„Um etwas, das unmöglich ist." 

„Ein schöner Spruch!“ versetzt der Mann, 15 

„Den jedes Kind mir sagen kann. 

„Wer glaubt wohl ungereimte Dinge? 

„Jedoch dein Wert ist so geringe, 

„Daß ich damit zufrieden bin. 

„So fliege denn nur wieder hin, 20 

„Du Närrlein, ich entlasse dich.“ 

Das Vögelein, sobald es sich 
Auf einen nahen Baum gesetzt, 

Denkt: „Laß nur sehen, ob der Mann, 

„Der meinen Spruch so wenig schätzet, 25 

„Nun auch die Probe halten kann.“ 

„Ol“ fängt es zu dem Vogler an, 

„Ol seht ihn doch, den dummen Mann, 

„Den auch ein Zeisig äffen kann! 

„Denn wisse nun, mein Leib enthält 30 

„Das größte Kleinod in der Welt, 

„Den herrlichsten Karfunkelstein. 

„Zwei Tonnen Goldes waren dein, 

„Die hast du mit mir fliegen lassen.“ 

Weg fliegt der Zeisig, doch nicht weit. 35 

Uneingedenk des Spruchs und der Unmöglichkeit, 

Weiß sich der Mann, der Tor, vor Eeue kaum zu fassen. 

No. 11. Le Grand d’Aussy: Le Lai de VOiselet. 

Fabliaux ou Contes, 1781 2 , t. III, pp. 430—436. 

Au temsl passe, il y a bien cent ans de cela, vivait un 
villain, dont je n’ai pu savoir le nom; mais qui ötait si puissam- 
ment riche qu’il possödait prös, bois et riviöres, • en un mot, 
tout ce que possöde l’homme le plus noble. II avait surtout un 
manoir dölicieux, et tel que jamais bourg, ville ni chäteau 
n*en a offert un pareil. Je crains, ä dire le vrai, de vous 
en faire la description, de peur que vous ne soyez tentö de la 
regarder comme une fable. Aussi je votts pr6viens que ce lieu 
fut fait par art de nöcromancie. II appartint d’abord ä un 
Chevalier. Aprös la mort de celui-ci son fils en hörita; mais 
le fils, ruinö par ses döbauches, se vit obligö de le vendre, 
et ce fut notre villain qui l'acheta. Vous savez que dans une 



227 


famille, pour dötruire villes et chäteaux, il ne faut souvent 
qu’un höritier prodigue. 

Ce s6jour consistait en une forte tour avec donjon, bfttie 
au centre d’un vaste terrain qu’enfermait une riviöre. Du 
courant d’enceinte se dötachait un bras d’eau qui venait isoler 
circulairement dans l’enclos un verger charmant. La se trou- 
vait des roses, des fleurs et des 6pices de toute espöce, et en 
teile abondance que si on y eüt apport6 un mourant pour lui 
faire respirer le bäume qu’elles exhalaient, elles rieussent dans 
l’instant rappelt 4 la vie. Le terrain 6tait uni et sans aspöritA 
Les arbres, quoique fort 61ev6s, avaient tous une hauteur 6gale, 
et quelque fruit qu’il vous plüt de demander, ils pouvailent 
vous l’offrir. Au milieu du verger s’ölevait, en bouillonnant, 
une fontaine qui allait perdre dans la riviäre ses eaux claires 
et fraiches. Elle 6tait ombragöe par un pin dont les rameaux 
6pais et 6ternellement verts, aux jours les plus brülants de 
l’annöe la döfendaient du soleil. 

Mais ce qui augmentait surtout les dälices de ce lieu 
incomparable, cAtait la pr6sence d’un oiseau merveilleux. Deux 
fois le jour, le matin et le soir, il venait sur le pin, chanter 
Lais, Refrains et Chansons amoureuses. Sa voix divine et 
enchanteresse, aupres de laquelle les gigues, les violons et les 
harpes ne sont rien, avait en outre une teile vertu, qu’elle 
eüt suffi pour ramener la joie dans le coeur de l’amant le plus 
d6sesp6rA A son chant et 4 sa präsence 6taient attachöes 
l’existence et la beautö du verger: avec lui, arbres, fleurs et 
fontaine, tout devait disparaitre. Voici quelle 6tait sa chanson: 
«Ecoutez mon Lai, Chevaliers, Clercs et Lalcs, vous tous qui 
aimez et qu’Amour afflige. Ecoutez-le surtout, vous jeunes 
Pucelles; et mettez 4 profit les lepons que vous alle^ en- 
tendre t . .» 

Mais la premiere fois qu’il vit approcher le villain, il 
8’ecria: «Rivi4re, remonte vers ta source; et vous, donjon, 
tour et chäteau, que la terre vous engloutissel fleurs bril¬ 
lantes, ombrages frais, dess6chez-vous. Chaque jour sous ces 
beaux arbres venaient jadis s’6battre Dames aimables et gentils 
Chevaliers. Ils se plaisaient 4 6couter mon chant, et ne se 
retiraient qu’en se promettant, les uns d’aimer davantage, les 
autres de m6riter encore plus d’amour 4 force de Iib6ralit6, de 
prouesses et de courtoisie. Mais 4 präsent quel sortl nous avons 

15 * 



— 228 


pour maitre un villain dont l’unique bonheur est de manger 
et qui ne donnerait pas un denier pour entendre mon Jai 
si joli ...» 

Apres avoir ainsi parle, l’oiseau indignd s’envola; et le 
manant, loin d’etre humili6 de ses reproches, ne songea qu’ä 
trouver les moyens de l’attraper, dans l’espoir que s’il pouvait 
y röussir il le vendrait fort eher. Son projet fut heureux. II 
tendit sur l’arbre ün filet si adroitement que l'oiseau, quand 
il revint le soir ä son ordinaire, se trouva pris. «Quel tort 
vous ai-je fait, dit alors le captif, et pourquoi vouloir m’öter la 
vie?» «Tu ne mourras pas, repliqua le vilain; mais je veux 
que tu chantes.» — «Eh! ne chantais-je pas tous les joucs, quand 
j’avais, pour voltiger, ces jardins, ces bois et ces pr6s ?» — «Tu 
auras dösormais une belle cage.» — «Je trouvais ici toutes leg 
graines et les fruits que pouvait desirer ma faim.» — «Tu 
n’auras plus la peine de cheroher ä manger, on te nourrira.» — 
«J’etais libre et content. Croyez-vous que dans une prison ce 
spient des Chansons dont on s’occupe?» — «Si tu fais le muet, 
il y a une ressource; on te mettra k la broche.» — «Voyez ma 
taille,- petit cpmme je suis, ce serait une cruaut6 k vous de me 
faire mourir.» Enfin, que vous dirai-je? Le pauvre captif 
demanda gräce et tächa de flöchir le villain, et lui promit 
que s’il voulait le remettre en liberte il lui apprendrait en 
reconnaissance trois secrets merveilleux; mais tellement merveil- 
leux que jamais homme de sa race n’avait oul rien qui en 
approchät. 

A ces paroles le villain ouvrit les oreilles. Il se laissa 
seduire, et lächa l’oiseau, qui s’envola au haut du pin, com- 
menpa par arranger et raccommoder ses plumes. Il fallut le 
Sommer d’exdcuter sa prömesse. «Volontiers, r6pondit-il. ficoute- 
moi attentivement, tu vas entendre I’abr6g6 de la prudence 
humaine. Et d’abord, l’ami, garde-toi de croire trop legerement 
tout qe qu’on te dira.» «N’as-tu que cela ä m’apprendre, röpli- 
qua le laboureur, tu peux le garder pour toi; je le savais d6jä. 
— Il est- bon de te le rappeier; tu l’avais oublie, retiens-le 
bien pour la vie. Mais quoi? Tu fais la grimace. Allons, je 
vais donc t’epseigner la seconde chose. Dresse tes grandes 
oreilles et Sache qu’il faut se consoler de ce qu’on n’a plus.» 

; Le’ vffiaih- s’apercevant qu’on se moquait de lui, se fächa, 
et; reprochä au chanteur de manquer de bonüe foi. «Vous 



229 


m’avieat promis trois merveilles, lui dit-il, et vous me payee 
lä avec des niaiseries que tous les enfants savent parcoegur. La 
troisiöme est-elle de la m6me force?» — Non, la troisi^me est 
un vrai tr6sor, et si un homme la pratique, il peut s'assurer 
de ne jamais devenir pauvre.» 

Cette parole ranima le manant. II crtjt qü’ön avait voulu 
l’eprouver d’abord et qu’on allait enfin le r6compenser de sa 
bonne action. Mais sa honte fut ertröme lorsqu’il entendit: «Ce 
que tu tiens dans tes mains, ne le jette pas ä tes pieds.» «Je 
ne l’oublierai pas, r6pliqua-t-il; et si je te rattrape ...» «Je 
veux t’en 6pargner la peine, reprit l’oiseau.» En disant ces 
mots, il s’envola; et ä l’instant la fontaine tarit, le pin se 
dess^cha, les fruits tomberent de leurs branches, et Ja beautö 
de ce lieu si vert et si frais disparut pour toujours. 

Tel fut le prix de l'avarice du villain, et tel est le sort 
de la cupidit6. En vöulant tout avoir eile perd tout. 

No. 12. Wcvy: The Lay of the Little Bird. 

Fabliaux or Tales (1815), vol. I, pp. 51^-59. 

In days of yore, at least a Century since, 

There liv’d a carle as wealthy as a prince: 

His name I wot not; but his wide domain 
Was rieh with stream and forest, mead and plain; 

To crown the whole, one manor he possess’d 5 

In choice delight so passing all the rest, 

No castle burgh or city might compare 
With the quaint beauties of that mansion rare. 

The sooth to say, I fear my words may seam 

Like some stränge fabling, or fantastick dream, 10 

If. unadvis’d, the portraiture I trace, 

And each brave pleasure of that peerless place; 

Foreknow ye then, by necromantick might 
Was rais’d this paradise of all delight; 

A good knight own’d it first; he, bow’d with age, 15 
Died, and his son possess’d the heritage: 

But the lewd stripling, all to riot bent, ' ■ 

(His chattels quickly wasted and forespent,) 

Was driven to see his patrinaony sold 

To the base carle of whom I lately told. 20 

Ye wot right well there only needs be sought 



230 


One spendthrift heir, to bring great wealth to nought. 

A lofty tower and strong, the building stood 
Midst a vast plain surrounded by a flood. 

And hence one pebble-paved channel stray’d, 26 

That compass’d in a clustering orchard’s shade: 

‘Twaa a choice charming plat; abundant round 
Flowers, roses, odorous spices cloth'd the ground; 
Unnumber’d kinds, and all profusely shower'd 
Such aromatick balsam as they flower’d, 30 

Their fragrance might have stay’d man’s parting breath, 
And chas'd the hovering agony of death. 

The sward one level held, and close above 
Tall shapely trees their leafy mantles wove, 

All equal growth, and low their branches came, 36 

Thick set with goodliest fruits of every name. 

In midst, to cheer the ravish’d gazer’s view, 

A gushing fount its waters upward threw, 

Thence slowly on with crystal current pass’d, 

And crept into the distant flood at last: 40 

But nigh its source a pine’s umbrageous head 
Stretch’d far and wide in deathless verdure spread, 

Met with broad shade the summer’s sultry gleam, 

And through the livelong year shut out the beam. 

Such was the scene: — yet still the place was bless’d 46 
With one rare pleasure passing all the rest: 

A wondrous bird, of energies divine 
Had fix’d his dwelling in the tufted pine; 

There still he sat, and there with amorous lay 
Wak’d the dim morn, and clos’d the parting day: 50 

Match’d with these strains of linked sweetness wrought 
The violin and full-ton’d harp were nought; 

Of power they were with new-born joy to move 
The cheerless heart of long desponding love; 

Of power so stränge, that should they cease to sound, 65 
And the blithe songster flee the mystick ground, 

That goodly orchard’s scene, the pine-tree’s shade, 

Trees, flowers and fount, would all like vapour fade. 

‘Listen, listen to my layl’ 

Thus the merry notes did chime, 

‘All w;ho mighty love obey, 


60 



231 


Sadly wasting in your prime, 

Clerk and laick, grave and gay 1’ 

Yet do ye, before the rest, 

Gentle maidens, mark me teil! 66 

Store my lesson in your breast, 

Trust me it shall profit well: 

Hear, and heed me, and be bless’dl’ 

So sang the bird of old: but when he spied 

The carle draw near, with alter’d tone he cried — 70 

‘Back, river, to thy source; and thee, tall tower, 

Thee, castle strong, may gaping earth devourl 
Bend down your heads, ye gaudy flowers, and fade! 

And wither’d be each fruit-tree’s mantling shade! 
Beneath these beauteous branches once were seen 75 
Brave gentle knights disporting on the green. 

And lovely dames; and oft, these flowers among, 

Stay’d the blithe bands, and joy’d to hear my song; 

Nor would they hence retire, nor quit the grove, 

Till many a vow were past of mutual love; 80 

These more would cherish, those would more deserve; 
Cost, courtesy, and arms, and nothing swerve. 

0 bitter change; for master now we see 
A faitour villain carle of low degree; 

Foul gluttony employs his livelong day, 86 

Nor heeds nor hears he my melodious lay.’ 

So spake the bird; and, as he ceased to sing, 
Indignantly he clapp’d his downy wing, 

And straight was gone; but no abasement stirr’d 
In the clown’s breast at his reproachful word: 90 

Bent was his wit alone by quaint device 
To snare, and seil him for a passing price. 

So well he wrought, so craftily he spread 
In the thick foliage green his slender thread, 

That, when at eve the little songster sought 96 

His wonted spray, his heedless foot was caught. 

‘How have I harm’d you?’ straight he ’gan to cry, 

'And wherefore would you do me thus to die?’ — 

‘Nay, fear not’, quoth the clown, ‘for death or wrong; 

‘I only seek to profit by thy song; 100 

IT1 get thee a fine cage, nor shalt thou lack 





232 


Good störe of kerneis and of seeds to crack; 

But sing thou shait; for if thou play’st the mute. 

I’ll spit thee, bird, and pick they bones to boot.’ 

‘Ah, woe is mel’ the little thrall replied, 106 

*Who thinks of song, in prison doom’d to bide? 

‘And were I cook’d, my bulk might scarce afford 
‘One scanty mouthful to my hungry lord.’ 

What may I more relate? — the captive wigth 
Aussay’d to melt the villain all he might; 110 

And fairly promis’d, were he once set free, 

In gratitude to teach him secrets three; 

Three secrets, all so marvellous and rare, 

His race knew nought that might with these compare. 

The carle prick’d up his ears amain; he loos’d 115 

The songster thrall, by love of gain seduc’d: 
üp to the summit of the pine-tree’s shade 
Sped the blithe bird, and there at ease he stay’d, 

And trick’d his plumes full leisurely, I trow, 

Till the carle claim’d his promise from below: 120 

‘Bight gladly’, quoth the bird; ‘now grow thee wise: 

All human prudence few brief lines comprize: 

Birst then, lest haply in the event it fail, 

Yield not a ready faith to every tale.’ — 4 

Ts this thy secret?“ quoth the moody elf, 126 

‘Keep then thy silly lesson for thyself; 

I need it not.’ — ‘Howbe ’tis not amiss 
To prick thy memory with advice like this. 

But late, meseems, thou hadst forgot the lore; 

Now may’st thou hold it fast for evermore. 130 

Mark next my second rule, and sadly know, 

What’s lost, ’tis wise with patience to forego.’ 

The carle, though rüde of wit, now chaf’d amain; 

He feit the mockery of the songster’s strain. 

‘Peace’, quoth the bird; my third is far the best; 136 
Store thou the precious treasure in thy breast: 

What good thou hast, ne’er lightly from thee cast.’ 

— He spoke, and twittering fled away full fast. 

Straight, sunk in earth, the gushing fountain dries. 

Down fail the fruits, the wither’d pine-tree dies, 140 

Bades all the beauteous plat, so cool, so green, 

Into thin air, and never more is seen. 



Such was the meed of avarice: — bitter costl 
The carle who all woüld gathef, all has lost. 

No. 13. El Libro de los Exemplos. 

Autores Espanoles, LI, p. 460. 

Lin. 

Dolendum non est de rebus amissis, nec impossibilia sunt 
credenda. 

De las cosas perdidas non te debes doler, 

Et las imposibles non debes creer. 

Dijo Pedro Alfonso 4 su fijo: «Non desees las cosas ajenas, nin 
fagas dolor de las cosas perdidas.» Dicen que un homme tenia 
un verjel en que corria agua en que habia yerba verde. £ un 
dia en despues de sus trabajos fuese 4 folgar a aquel verjel, 
d dl estando all, asentöse un ruisenor sobre un ärbol et comenzö 
4 cantar muy dulcemente, e dl puso sus lazos d tomölo, d 
dijole el avecila: «&A que trabajaste tanto por me tomar, 
ö qud provecho esperaste haber en mi presion?» E dijole el 
homme: «Cobdicio oir tus cantos.» E dijole el avecilla: «Non 
te aprovecha nada, ca por precio nin por ruego nunca cantard, 
si non me soltares.» £ respondid: «Si non cantares, yo te 
comere.» £ dijo ella: «t)C6mo me comeräs? Que si me comieres 
cocida, 5 qud te aprovechard cosa tan pequena? £ si asada 
aun serd menor, d la carne aspera; mas si me dejares ir, tu 
habrds gran provecho.» £ el dijo: «5Que provecho?» Dijo el 
ruisenor: «Yo te mostrard tres maneras de sabidoria, que las 
preciaräs maB que carne de tres terneras.» £ dl seyendo seguro 
de lo que le prometiö, soltöla e el ave le dijo: «Lo primero, 
non creas todo lo que te dijeren; lo segundo, lo que tuyo fuere, 
siempre lo guarda d lo tien; lo tercero, por cosa que pierdas, 
nunca ayas dolor.» £ dicho esto, vold encima de un 4rboI d 
comenzö 4 cantar dulcemente e decir: «Bendito Dios, que cerrö 
la lumbre de tus ojos d te tirö el saber, ca si hobieras buscado 
mis tripas hobieres fallado peso de una onza de jacinto que 
es piedra muy preciosa.» £ de que dl oyö esto, comenzö 4 
llörar e ferirse en los pechos, porque creyera el avecilla. £ 
dijole el ruisenor: «Aina te olvidaste el seso que de deje: & y° 
non te höbe dicho non creas todo lo que te dijeren? *»> Cömo 
creyes que en mi ha este jacinto de una onza, ca yo todo no 



234 


pesa tanto? £ yo »> non te dije: non hayas dolor de las cpsas 
perdidas? b Por quö te dueles del jacinto que stü en mi 
cuerpo? Dichas estas cosas 6 el rüstico escarnecido, el ruisefior 
fuese para los montes.» 

[p. 518] CCC 

Perdita res irrecuperabilis non est dolenda. Del ballestero 
que tomö el ruisennor. Desuso lo fallaras en Dolendum. 

No. 14. [Af bönda einum er fekk fugl i eplagaröij. 

Oering, Islendzk jEventyri, I, pp. 196/7. 

Maör nökkurr haffli eplagarö, par runnu smülxkir ok vex 
par grxnt gras umkringis. Einn dag var böndinn möör ok 
villdi hvllaz i eplagaröi sinum. Einn litill fugl settiz i tröit 
yfir honum ok söng listiliga, en böndinn gilldraöi til ok tök 
bann 1 b'nöru. Puglinn mxllti: ‘Hvi starfar pü svü mikit til at 
taka mik, eör hver nytsemö mä per at mör vera?’ ‘Sakir pins 
ymisliga söngs, sagöi böndinn, fysti mik at taka Pik’. Fuglinn 
svarar: ‘Pat kemr pör til einskis, pviat ämeöan ek em halldinn, 
Pü syng ek hvürki meö boöi ne beizlu.' ‘Pü skal ek eta pik’, 
segir böndinn. ‘Pat kemr per til einskis, segir fuglinn, svü 
litill sem ek em soöinn, pü em ek minni steiktr; en ef pü gefr 
mik frjülsam, pü mun ek kenna pör prjü spekingaräö er meira 
gott gjöra en mikit fe, ef pü hefir ä *persu trü.’ Böndinn frelsir 
fuglinn; hann mxllti pü: ‘Pat er eitt af minum rüöum, at pü 
trüir eigi öllum oröum ok heitum; pat annat, at pü halldir vel 
pat er pü ütt; pat er hit priöja, at pü syrgir eigi pü hluti 
sem pü hefir lütit.’ Siöan flö hann i tröin upp ok söng meör 
fagri röddu persi orö: ‘Blezaör se göör guö, at hann gjörOi 
skyggiliga sjön augna pinna ok vit pitt tök frü pör, pviat ef 
pü heföir rannsakat fellingar innyfla minna, pü mundir pü 
hitt ok üt valit hafa jacinctum einn er eyri vegr.’ Ok er bön¬ 
dinn heyröi petta, hugöi hann at sama vxri satt 16t illa. 
Pü mxllti fuglinn: ‘Skjött gleymir pü, böndi, minum heibrxöum 
er ek hefi üör gefit pör ok üör sagt, at pü skylldir eigi trüa 
öllu ok eigi helldr syrgja fenginn skaöa; eör hversu müttu, 
böndi, pvi trüa at ek hafi jafn mikinn eyris punga i kviöi 
mör inni byrgöan ok fölginn, par sem ek veg eigi allr svü 
mikit? eör hvi villtu svü mikilliga syrgja mik, par sem pü 
hefir alldrigi nökkura vün til, at pü füir mik nökkurn tima 



235 


veiddan?’ SiÖan flö fuglinn i pykkvan skög at böndanum eptir 
veranda mjök hryggjum ok haröla mjök sorgfullum. 

No. 15. Steinhöwels N eub earb eitung der Erzählung der 

Disoiplina. 

Steinhöwels Äsop, hg. von H. österley, pp. 313/14. 

De avicula et rustico. 

ßusticus quidam virgultum habuit amenissimum cum lim- 
pidis defluentibus rivulis herbisque et floribus valde ornatum, 
quare aves illud frequentiua inhabitabant. Quadam vero die 
fessus labore, ut animum recrearet, virgultum intravit ac sub 
pomo arbore consedit, super quam avis minima cantavit dulcis- 
sirae. Cuius cantum tarn delectabilem cum rusticus audiret, eam 
laqueo decepit et captam tenuit. Cui avis dixit: Cur tantum 
laborasti, ut me caperes, cum nullum commodum de me capta 
possis consequi? Cui rusticus: Ideo te cepi, ut cantus tuus 
dulcis meum delectet animum. Cui avicula: In vacuum laborasti, 
quia nec prece nec pretio tibi cantabo. At ille: Et nisi canta- 
veris, te comedam. At avis: Et quomodo me comedes? Si 
aqua coctam bolus erit minimus, quem deglutiendo vix senties. 
Si me assaveris, adhuc ero minor et magis hispida; ac si me 
volare dimiseris, magnam utilitatem ex me consequeris. Nam 
tibi tres dabo sapientie doctrinas, quas plus trium vitulorum 
carnibus amabis. Dum vero illud avis rustico promitteret, eam 
ipse permisit avolare. Cui avis ait: Sit ergo prima doctrina, 
ut non credas omnibus dictis, signanter illis, que verisimilia non 
sunt. Secunda, quod tuum est, serva. Tertia, de perditis, que 
recuperare non potes, dolere non debes. His dictis avis arborem 
ascendit et dulcissimo cantu cecinit orationem illam: Bene- 
dictus deus, qui huius aucupis sensus obumbravit et prudentiam 
abstulit, ne manibus tangeret nec oculis videret, neve ratione 
percfiperet lapidem iacinctum unius uncie ponderis, quem in 
meis gero visceribus; nam hoc invento ipse mire ditatus fuisset 
et ego vivus non evasissem. Rusticus hoc audito maxime tur- 
batus pre dolore penitens flevit et mestus ait: Ve mihi, quod 
verbis avicule dolose crediderim, et quam habui, non servavit 
At avis: O fatue, cur cruciaris animo? Es ne tarn cito doctrine, 
quam tibi tradidi, oblitus? putasne aviculam tarn parvam, que 
tota vix dragmam ponderat> unius uncie iacinctum in suis por- 



236 


tare vigceribus ? num quid tibi dixi: His que verisimilia non 
sunt, credere non debes? Et si tuus fuisset, cur non servasti? 
Et si omisisses et recuperare non posses, cur doleres contra 
doctrinas tibi datas? His dictis rustico deriso avis recessit. 

No. 16. Die Erzählung in Steinhöwels deutsch. Bearh. 

seines Äsop. 

Steinhöwels Äsop, hg. v. H. österley, pp. 313—315. 

Von dem vogler und vögelin. 

Dy lere sint ze behalten, die ain vögelin leret; deß höre 
dise fabel. Ain puwr het zemal ain lustigs hölczlin mit anger, 
bomen und bluomen wol gezieret, dardurch von springendem 
brunnei wasser manig luter und clares flüßlin rane. Darumb 
die vögelin mer und lieber da selbist wonten, dann an andern 
enden. Uff ainen tag, als der puer müder von der arbait körnen 
waz, gieng er in das hölczlin, syn beschwertes gemüt wider 
ze erfröwen, und leget sich ze ruow under ainen schönen apfel- 
boum, uff dem gar ain klains vögelin süß, lut und lustlicb mit 
heller stim erklänge. Do der puwr daz so lieplich gesang er¬ 
höret, richtet er dem vögelin so vil strike, daz es gefangen 
ward, und als er es gefangen in der hand hielte, sprach das 
vögelin zuo im: Warumb hast du so vil arbait gehabt, mich ze 
fachen, was nuczes hast du von mir so klainem vögelin? Ant- 
würt. der puwr: Darum das du mir singest. Das vögelin sprach: 
Du vermagst nit, weder durch bitt noch gaub, daz ich dir singe. 
Do sprach der puwr: So wil ich dich essen. Sprach das vögelin: 
Sag mir, wie du mich essen wellest; ob du mich südest, so 
würde ich so klain, daz du myn an dem schlinden hart emp¬ 
finden würdest; wilt du mich dann braten, so würd ich noch 
klainer und ruher. Ob du mich aber fliegen lassest, so .würdet 
du großen nucz von mir erlangen. Wann ich will dir ze wider¬ 
gelt geben dry 1er der wyßhait, die dir nuczer synt, wann dryer 
kelber flaisch. Do der vogel das dem pawren verhieße, ließ 
er in fliegen. Do sprach das vögelin: Die erst 1er ist, daz du 
nit alles das gelouben solt, das man sagt, und voruß daz der 
warhait nit gelych ist. Die ander 1er ist, was dyn' sye, das 
behalt. Die dritt, was du verlörest und nit magst wider bringen, 
des solt du vergessen und dich nit ser darumb bekümern. Nach 
diesen Worten flöge daz vögelin uff ainen boum und fienge an ze 



237 


singen mit heller stimme dieses gebett: Gelobt sye got, der 
disem vogler syne sinn also getunkelt hat und syne vernunfft 
also hingenomen, daz syne ougen nit gesehen haben, noch syne 
hend gegriffen, noch syn vernunfft gemerket den edeln köst¬ 
lichen jacincten in mynem lyb, der wol zweyer lot schwär ist, 
von dem ouch der vogler über rych worden wäre; aber jich 
müste darumb syn gestorben. Do das der pawr erhöret, ward er 
ser betrübt in synem gemüt, und wainend und klagend sprach 
er: Wee mir armen, daz ich den tugenhafften Worten dieses 
schalkhafften vogels habe geloubet, daz ich in nit behalten 
habe, do ich in hette. Do sprach der vogel zuo im: O du tour, 
warum kestiget du dyn gemüt? hast du iecz der lere vergessen, 
die ich dir gegeben habe, du solt nit gelouben, waz der war- 
hait nit gelych ist? wie kan müglich syn, daz ich ainen stain 
zweyer lot schwäre in mir trage, so ich gancz kom ain quint- 
lin wege? und wäre das ouch waur gewesen, so soltest du das 
dyn behalten haben. Darzuo, ob du das hottest verloren und nit 
wider zebringen wäre, so soltest das in vergessen seczen und uß 
dynem gemüt schlahen. Damit fuor es dahin in den wald und 
ließe den pawren mit gespött hinder im. 

No. 17. Hans Sachs: Drey guter nützlicher lehr einer 

Nachtigall. 

Das erst Buch Sehr Herrliche Schöne und warhaffte Gedicht, 

fol. 428“—429a. 

Vor Jaren war ein Pawer alt 

Der het ein sehr lustigen Wald 

Darinn het er ein grünen anger 

Der war von klee und blümlein schwanger 

Dardurch ein Bechlein kam gerunnen 5 

Von einem klaren külen Brunnen 

Darbey hört man der Vögel gsang 

Das es gar wunnigklich erklang 

Und sonderlich ein Nachtigall 

Der stimb erschelt durch Berg und thal 10 

Nun begab sich an einem Tag 
Das müd halben der Pawer lag 
Unter eim Paumen in seiner rhu 
Und höret der Nachtigall zu 
Wie künstlich sie da figuriert 


15 



238 


Jetzt hoch denn nider artlich ziert 
Mit schönen leufftlein unterbrochen 
Das nicht mag werden 'außgesprochen 
Der Pawer im gedencken thet 

O das ich die Nachtigal het 20 

Und stellet ir nach mit verlangen 

Biß das sie endlich wurd gefangen 

Als er sie in der hand nun het 

Die Nachtigall den Mann anredt 

Warumb hast du so lange zeit 25 

Auf mich gelegt so groß arbeit 
Biß du doch hast gefangen mich 
Sag mir nun her, was hilff ich dich? 

Der Pawer sprach zum Vögelein 

Da must du mein Hofierer sein 30 

Mir singen beide Nacht und Tag. 

Die Nachtigal sprach: Ich dir sag 
Du solst und magst mich gar nit zwingen 
Dir ein einiges gsang zu singen 

Der Pawer sprach: Redst so vermeßn 35 

So wiß und das ich dich will eßn 

Must dein trutz zalen mit der haut 

Die Nachtigall sprach' über laut 

Ich kan nit vil gehelffen dich 

Mein Pawer, wo du seudest mich 40 

Wird ich so klein, das du am schünden 

Meines fleisch wirdest kaum entpfinden 

Bretst du mich dann so sag ich dir 

Das ich darvon noch kleiner wir 

Sag, was mücht ich denn speisen dich 45 

So du aber Ust fliegen mich 

Wolt ich drey Weiser lehr dir geben 

Dir wern dir nützen in deim lebn 

# 

Denn guter feister Kelber drey 

Der Pawer antwort wider frey 50 

So thu mir deß ein Eid hie schwern 
Das du mich die drey stuck wilt lehrn 
So bald und ich dich fliegen laß 
Die Nachtigall verhieß im das 
Und sich deß mit Eidspflicht verband 
Da ließ ers ledig auß der hand 


55 



239 


Die flog auff einen Ast hindan 
Und redt den Pawern also an: 

Nun merck mein lehr deß ersten mals 
Das du nit solt gelauben als 60 

"Was man dir sagt, vorauß wo es 
Der Warheit nit ist gleich und gmeß. 

<o Die ander lehr merck der gestalt 
Als was dein ist, das selb behalt 

Mit fleiß, auff das du sein geneust. 65 

vp Die dritte lehr, was du verleust 

Das man nit wider bringen piag 

Das selb auß deinem sinne schlag 

Und thu deß Schadens bald vergeßn 

Thu dich nit drumb kümern noch freßn 70 

So hast du die drey weisen lehr 

Heltst dus, sie helffen dich gar sehr 

Mit dem Die Nachtigall pich schwang 

Hoch auff ein Linden grün und sang: 

Gott sey lob in dem höchsten Thron 75 

Welcher hat disem Pawers Man 

Sein leibliche äugen verblendt 

Das er nit gesehen noch erkendt 

Hat, den köstling Carfunckelstein 

Den ich trag in meim Leibe klein 80 

Der ist wol dreyer lothe schwer 

Darvon mechtig reich worden wer 

Der Pawer, het groß gut erworben 

Ich aber müst drob sein gestorben 

Wann er mir in außm leib het geschnitten 85 

Nun will ich aller freud mich nieten 

Als der Pawer der Red namb war 

Schlug er sein brust und raufft sein har 

Mit seufftzen er weinet und klagt 

O weh mir Armen (er da sagt) 90 

War ich nit meiner sinn beraubt 

Das ich dem Vogel hab geglaubt 

Sein wort, und ließ in fliegen hin 

O het ich jetzund wider ihn 

So müst er gwiß den Todte leiden 95 

Ich wolt auß seinem Leib im schneiden 
Den köstlichen Carfunckelstein 



240 


Da antwort die Nachtigal klein 
O du Thor, was betrübst du dich 
Und trawerst also sehr umb mich 
Hast der drey lehr so bald vergsescn 
Thet ich nit ernstlich dir ermessen 
Das du nicht glauben solt alzeit 
Als, was nit gleich wer der Warheit 
Weßhalb glaubst dann den Worten mein 
Das in mir ein Carfunckelstein 
Sey, der doch weg drey lot zu mal 
Dieweil und ich doch uberal 
Eaum wiege eines lotes schwer 
Zum andern, obs gleich also wer 
Das in mir wer ein solcher stein 
Weil ich war in den henden dein 
Warumb bhielts mich' dann nit darinn 
Sonder du liest mich fliegen hin 
Zum dritten, was trauwrest so fast 
Dieweil du mich verloren hast 
Kanst mich nit mehr herwider bringen 
Was kümerst dich lang mit den dingen 
Sonder solts in vergessen stelln 
Dein hertz nit mit kümmern und queln 
Mit dem schwang sich die Nachtigall 
Frölich hin über Berg und Thal 
Ließ hinter ir den alten Pawern 
Mit gspött sitzen in angst und trawern. 

Beschluß. 

Nun auß diser artlichen Fabel 
Lehrt man als auß einer Parabel 
Drey treffenlicher dapfer lehr 
Eim Menschen sind zu {mercken sehr 
Erstlich das er nit glauben soll 
Als was nit ist zu glauben wol 
Laß sich nit blenden als geschwetz 
Sonder fürsichtig er abschetz 
Bey alln umbstenden, wie, wo und wenn 
Darauß er rechten grund erkhenn 
Ob es könn war sein oder nicht 
Erlogen oder sonst erdicht 


100 


105 


110 


115 


120 


125 


130 


135 



241 


Darmit er trogenhaffter weiß 

Nicht werd gefüret auff ein Eiß 

Wer jedem biliich beutt sein ohr 

Und alles glaubt, der ist ein Thor 140 

Deß hertz wird gar leichtlich gefangen 

Und gleich dem Pawern hinter gangen 

Zum andern, lehrt man drauß das stück 

Was Gott eim gibt und das gelück 

Reichtumb, ehr, gwalt, gunst oder kunst 146 

Dergleich solch hoher gaben sunst 

Das er sich der gebrauchen sol 

Nach seinem Stand Christlich und wol 

Zu notturfft, nutz,; freuden und ehr 

Und sie täglich mit ehren mehr 160 

Jedoch mit auffrichtigem mut 

Halt sie mit fleiß in schütz und hut 

Das auß unfleiß, farlessigkeit 

Er nicht verliere mit der zeit 

Solliche vorgemelte gab. 166 

Und ir mit nachrew mangel hab 

Zum dritten, merck er auch diß stück 

So er durch unfal und Unglück 

Doch on sein schuld mit der zeit kumb 

Umb ehr, gewalt oder reichthumb 160 

Umb gunst, kunst, sterck, schön und gsundheit 

Das er nicht wider mit der zeit 

Kan bringen, sol er das außschlagen 

Sein hertz im nit selb drumb abnagen 

Sonder mit dem Hiob sprechen ebn: 166 

Gott der Herr hat mir das gegebn 

Und wider gnommen' diese zeit 

Sein Nam der sey gebenedeyt 

Der alle ding im besten thut 

Ob das gleich wee thut fleisch und blut 170 

So ist es doch der Seel darbey 
Ein geistlich heilsam artzeney 
Das die sünd abnem und nicht wachs 
In solchem unfal spricht Hans Sachs. 

Anno Salutis, M. D. LV. 

Am XVI. Tag 
Januarij. 

Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 


16 



No. 18. Julien Macho: La. VI. fable düng labourmr 

et düng rossignol. 


Le temps passe ung laboureur estoit qui avoit ung jardin 
bien plaisant et delicieux auquel souvent il alloit pour soy 
esjouyr. Et ung jour au vespre ainsi quil estoit lasse et tra- 
vaille de labourer pour avoir recreation il entra en son jardin 
et ouyt chanter ung rbussignol, et pour en avoir plus grant 
plaisir il trouva facon de le prendre. Et quant il leut prins, 
le rossignol luy demanda: Pourquoy as tu prins tant de peine 
de moy prendre, tu nen peuz pas avoir grant prouffit: et le 
laboureur luy respondit: pour toy joyeusement ouyr chanter je 
tay prins. Et le rossignol luy dist: certes en vain tu as laboure, 
•car pour rien je ne pourray chanter estant en prison. Et lors 
le laboureur luy dist: si tu ne chantes je te mangeray. Et 
le rossignol luy dist: si tu me metz bouillir en ung pot ce 
sera peu de chose de moy. Et se tu me metz rotir ce sera 
encores moins; et pourtant laisse men voler et ce te sera ung 
grant bien et ung grant prouffit; car je te donneray troys 
■doctrines que tu aymeras mieulx que troys vaches bien grasses. 
Adonc le laboureur len laissa voler. Et quant le rossignol fut 
hors de ses mains et quil fut sur larbre, il dist au laboureur en 
•ceste maniere: Mon amy, je tay promis de toy donner troys 
bonnes doctrines. Tu dois scavoir que la premiere doctrine est, 
que tu ne croyes point la chose qui est impossible. La seconde 
doctrine est que tu gardes ce qui est tien. Et la tierce doctrine 
est, que tu nayes point de douleur de recouvrer la chose 
perdue. Et tantost apres le rossignol commenca a chanter, et 
en son chant disoit: Benoist soit le filz de dieu tout puissant, 
qui ma delivre de' la main de ce vilain qui na pas veu ne 
congneu ne pesche ung dyamant que jay en mon ventre qui 
est gros comme ung oeuf daustriche; car sil leust trouve il eust 
este grandement riche, et ne fusse point eschappe de ses mains. 
Adonc le vilain se print a lamenter a par luy, et puis dist: 
Je suis bien malheureux davoir perdu si belle proye. Adonc le 
rossignol luy dist: 0;r a ceste heure congnois je bien que tu es 
ung fol et as douleur de ce que tu ne dois pas avoir, car tu 
as tantost oubliee ma doctrine que je tavoye baillee, cest de ce 
que tu cuydes que en mon ventre ayt une pierre precieuse si 
grosse que loeuf dune austriche, laquelle chose est impossible: 



243 


et. je tay dit que tu ne doia point croyre la chose qui est 
impossible, car cest grant folye a lhomme de croyre la chose 
impossible. Et se, celle pierre fust tienne, pourquoy las tu 
perdue? Et se tu Jas perdue et nullement tu ne la peult 
recouvrer, pourquoy en as tu si grant douleur? Vous voyes par 
ceste fable que cest grant folye de vouloir chastier ung fol 
quant il ne veult croyre la doctrine que on luy donne. 

No. 19. Die Erzählung in Caxton’s Aesop. 

Jacobs, Aesop, II, pp. 269—271. 

The VI fable is of the labourer and of the nyghtyngale. 

Somtyme there was a labourer, whiche had a gardeyn wel 
playsaunt and moche delycious, in to the whiche he ofte wente 
for to take his desporte and playsure. And on a day at even 
when he was wery and had travaylled sore, for to take his 
recreacion he entryd in to his gardyn and sette himself doune 
under a tree, where as he herd the songe of a nyghtyngale. 
And for the grete plesyre and Joye whiche he took therof, he 
sought and at the fast found the meanes for to take ( the 
nyghtyngale, to thende, that yet gretter joye and playsaunce 
he myght have of hit. And whan the nyghtyngale was take, 
he demaunded of the labourer, wherfore hast thow take bo 
grete payne for to take me. For wel thow knowest that of 
me thow mayst not have grete prouffyte. And the vylayne 
ansuerd thus to the nyghtyngale: For to here the songe of 
the I have taken the. And the nyghtyngale ansuerd: Certaynly 
in vayne thou hast payned and laboured. For, for no good I 
wylle synge whyle that I am in pryson. And thenne the 
labourer or vylayne ansuerd, yf thow syngest not wel, T ehalle 
ete the. And thenne the nyghtyngale sayd to hym, yf thow 
putte me within a potte for to be soden, lytyl mete shalt thou 
thenne make of my body, and yf thow settest me for to be 
rosted, lesse mete shalle be thenne made of me. And therfor 
neyther boylled ne rosted shalle not be thy grete bely fylled 
of me, but yf thow lete me flee, hit shall be to the a grete 
good prouffyte. For thre doctrynes I shall teche the whiche 
thou shalt loue better than thre fat kyne. And thene the 
labourer lete the nyghtyngale flee. And whan he was oute of 
his handes, and. that he was upon a 'tree, he sayd to the vylayne 
in this maner: My Frend, I have promysed to the, that I 


16 * 



244 


shall gyve to the thre doctrynes, wherof the fyrst is this that 
thow byleve no thynge whiche is Impossyble. The second is 
that thow kepe wel that thyn is. And the thyrd is, that thow 
take no sorowe of the thynge lost whiche may not be recovered; 
And soone after the nyghtyngale begänne to synge, and in 
his songe sayd thüs: Blessyd be god, whiche hath delyverd me 
oute of the handes of this vylayne or chorle, whiche hath not 
knowen, sene, ne touched the precious dyamond whiche I hav« 
within my bely. For yf he had founde hit, he had be moche 
ryche, and fro his handes I had not scaped. And, thenne the 
vylayne whiche herd this songe, begänne to complayne and to 
make grete sorowe. And after sayd: I am wel unhappy, that 
have lost so fayre a tresour, whiche I had wonne, and now 
I have lost hit. And the nyghtyngale seyd thenne to the chorle: 
Now knowe I wel that thow arte a fool. For thow takest 
sorowe of that wherof thow shofdest have none, and sone thow 
hast forgeten my doctryne, by cause that thow wenest that 
within my bely shold be a precious stone more of weyght than 
I am. And I told and taught to the, that thow sholdest never 
byleve that thynge, which is Impossyble. And yf that stone 
was thyn, why hast thow lost hit. And yf thow hast lost hit 
and mayst not recovere hit, why takest thow sorowe for hit. 
And therfore hit is foly to chastyse or to teche a fole, whiche 
never byleveth the lernynge and doctryne whiche is gyven 
to jhym- 

No. 20. Die Erzählung im spanischen Äsop. 

Las fabulas del clarissimo y sabio fabulador Ysopo, f. 174a— 175 a . 

La VI. Del rustico, y del avezilla. 

*En grossero ingenio, no cabe sotil doctrina. 

Tenia un aldeano una huerta con sus fuentes corrientes limpias 
y muy ornada de yervas y flores, porque muchas vezes venian 
alli las aves, y el se fue como avia de costumbre a holgar ala 
huerta, sintiendo se cansado por recrearse ende [sic] y assento 
se debaxo de un arbol, sobre el quäl cantava una avezilla muy 
suavemente, cuyo canto tan deleytable oyendo el rustico, armole 
un lazo en el quäl la tomo. La avezilla viendo se assi presa, 
dizele, porque tanto trabajaste por tomar a mi, puesque no 
puedes conseguir de mi provecho alguno? Responde el rustico: 



245 


Yo te he prendido, porque tu canto dulze alegre mi corapon, 
dize el avezilla: En vano has trabajado, ca no te cantare por 
precio ni por ruego. El aldeano le dize: Sino me cantas, yo 
te matare y comere. Respondio el ave: En que manera me 
comeras? si cocida en agua, el bocado sera bien pequeno, de 
forma que no me sentiras en to boca; si me asas mucho menor 
sere. mas dexame bolar y ayras gran provecho de mi, porque 
te dare tres doctrinas de sabiduria, las quales amaras mas que 
tres bezerros para comer. E como el avezilla estas cosas le 
prometiesse, el la dexo bolar, e puesta ella en su libertad 
dizele: Esta sea la primera doctrina, que no creas a, todas pala- 
bras que oyeres, senaladamente aquellas que no parecen verda- 
deras. La segunda doctrina que gardes lo que es tuyo. La 
tercera y ‘final, que no te duelas de las cosas perdidas, las 
quales no puedes cobrar. E acabadas estas palabras el ave 
subio en el arbol y canto dulcemente aquesta canpion: Bendito 
sea el seiior Dios, quel sentido deste capador encubriö y cego, 
y le quito su prudencia porque no tocasse ni me mirasse con 
los ojos, ni ente'ndiesse con su entendimiento la piedra preciosa 
llamada jacinto del peso de una onpa que traygo en mis 
entrafias, porque si el supiera que yo trayga tal cosa, yo 
muriera en sus manos y el fuera rico. El rustico como ,oyo 
esto, turbado ensi, pesando le muy fuertemente, porque avia 
dexado el' ayezilla con dolor llorando dixo assi: O desventurado 
de mi, porque crey las palabras del avezilla enganosa y no fue 
para guardar lo que tenia. Al quäl responde ella: O loco, 
porque te atormentas, tan ayna, has olvidado la doctrina que 
te di. Piensas que una ave tan pequena como yo, que toda 
entera no peso una dragma, que es tanto como un dinero, puedo 
traer en mis entranas una onpa de jacinto? No te acuerdas 
que te dixe que no creyesses a todas palabras, y si tuya era, 
porque no me gardaste. E si tu perdiste la tal piedra, pues 
no la puedes cobrar, porque te dueles contra las tres doctrinas 
que te di? Estas cosas dichas escarnesciendo del rustico se 
fue su via el avezilla. 

No. 21. Die Erzählung in Sebastian Brants Äsop. 

[Einleitungszeilen]. 

Non est cunctorum verbis, licet usque benignis 

Melliflui aut dicto semper habenda fides. 



246 


Que tua sunt: cura solerti opera atque fideli 
Conservare velis, ne cito depereant. 

Perdita si fuerit res quam reparare nequibis: 

Non doleas nimium: perdita sitque sinas. 

Has qui doctrinas ternas tenet: hie sapienter 
Vivet: et adverso sepe dolore caret. 

No. 22. Die Erzählung in dm Äsopischm Fabeln des 

Camerarius. 

Fabulae Aesopi . . . authore. Joachimo Camerario, No. 261. 
Aviculae praecepta. 

Captam aviculam aiunt pollicitam aucupi, si se amisisset, 
daturam illi praecepta tria, quibus si uti vellet, beatam vitam 
vivere posset. Cum auceps hac spe et conditione illam avolare 
passus fuisset, de arbore haec accinuisse avicula traditur: — 
Crede parum. Tua serva. Et quae periere relinque. Postea: 
Gratias ago tibi, magne, inquit, Juppiter, qui me de istius manu 
liberaris. Nam in visceribus meis latet smaragdus uncialis, quem 
si ille abditum intra me sciret, numquam vivam amitteret. 
Hoc audito mirificus dolor aucupem invasit, et paenitere eum 
credulitatis suae, qui tarn facile aviculam dimisisset. Ibi illa: 
Nisi sequaris praecepta mea, inquit, nihil illa tibi profuerint. 
Nam cur tu nunc obsecro mihi credis, quae uncialem gemmam 
mihi inesse dixi, cum vix semunciae pondus habeam? Quod 
si verum sit, cur non servabas tuum? Sed et hoc neglexeris, 
restat jscilicet, ne amissa, quae recuperari nequeant, frustra 
requiras, aut desiderio illorum consumaris. Atque his dictis 
relicto aucupe avolavit. 

Explicat fabula utiles maxime sensus ad vitam cum quiete 
degendam. Et hoc etiam ostendit, praecepta bona multos audire, 
paucos sequi. 

No. 23. Die Erzähhmg in Luthers Tischreden. 

Colloquia oder Tischreden D. Mart: Luthers . . fol. 550^/551.9. 

Doctor Martin Luthers Reim: Wer was weis, der schweig. 

Wem wol ist, der bleib. 
Wer was hat, der behalde. 
Unglück das kömpt balde. 
Man sol nicht zu viel vertrawen. 

Dominus Philippus Melanchthon recitiret ein mal über 
Doctor Martin Luthers Tische, diese Fabel von dem Versiculo: 



n 

— 247 — 

Crede parum, tua serva, et quae periere relinque, Und sprach.: 
Es hatte einer ein kleines Vögelein gefangen, und das Vögelein 
were gerne los gewesen, und sagte zu ime: O lieber, las mich 
los, ich wil dir so einen köstlichen Gemmam weisen, der viel 
tausend Gülden werd ist. Ey antwortet derselbige. Du be- 
treugest mich. Nein trawen, sprach das Vögelein, du solt mit 
mir gehen, und den Edelgestein sehen. Der Mann ließ das 
Vögelein los, da flog das Vögelein auff einen Baum, saß droben, 
und gab ime den Gemmam: Crede parum, tua serva et quae 
periere relinque, den schönen Edelgestein lies er ime. Als) 
solt das Vögelein sagen: Da du mich hattest, soltestu mir nicht 
gegleubt haben. Tua serva, das ist: was du hast, das behalte. 
Et quae periere relinque: hastu es verlorn, so mustu gedult 
haben. 

No. 24. Die Erzählung in Kirchhofs Wendurtnmth. 

Hg. von H. österley, III, pp. 36/37. 

34. Man sol nicht zu viel vertrawen. 

Es hette einer ein kleines vögelein gefangen und wolte 
es tödten; das arm vögelein were gern loß gewesen und sagte 
zu ihm: O lieber, laß mich loß, ich wil dir so ein köstlich 
edelgestein zeigen, der viel tausent gülden werth ist. Antwort 
derselbige: Du betreugst mich. Mit nichte, sprach das vöge¬ 
lein, du solt mit mir gehen und den edelen stein selbs erfahrn. 
Und nachdem es loß gelaßen, flog es auff einen bäum und 
sagte: Das ist der edelstein. Crede parum, tua serva, et quae 
periere relinque. Als solte das vögelein sagen: Da du mich 
hattest, soltestu mir nicht geglaubt haben, was du hast, das 
behalte, hastu es denn verloren oder nimmer, so trag gedult, 
denn rewen hilf ft nicht zum widerbringen. Epicharmus sagt: 
Nervi atque artus sapientiae sunt non temere credere. 
Wer alles bald glaubt, das er hört, 

Wird auch dest leichter mit bethört, 

Fürn freund halt, den du hast bewert. 

Oder: 

Welcher was weiss, hör mich, der schweig, 

Welchem wol ist, nicht höher steig, 

Welcher was hat, schaw zu, behalt, 

Denn rewkauff volgt gar mächtig bald, 

Hat manchen mit untrew bezahlt. 



248 


No. 25. Die Erzählung in der Bearbeitung des Pan¬ 
taleon Candidus. 

Mythologia Metrica et Moralis, pp. 207/8. 

Auceps et Aviculae Praecepta. 

Aucupem avis, qui se tenuit, studiosa rogabat, 

Ut libertati sese donaret avitae, 

Facturum illum operae precium memorabile parvae, 

Tema etenim se veile illum praecepta docere, 

Servatis quibus is semper queat esse beatus. 6 

Auceps polliciti gaudens spe divite tanti, 

£ vinclis dimittit avem: super arbore sidens 
Ula suo praecepta tria haec e gutture promit: 

Crede parum, tua serva, et quae periere, relinque. 

Libera avis tales etiam dedit ore loquelas: 10 

Dii superi, vobis magnas ago pectore grates, 

Pro libertatis dono hoc: quod si bouus iste 
Scisset, ego quali thesauro nobilis essem, 

Numquam is me tcneras misisset liberam in auras. 

Namque Smaragdus inest mi, unam qui ponderis ampli 15 
Unciam habet. Simul audivit quae credulus auceps, 

Angit sese animis, et pectore maestus acerbo. 

Paenitet, heu! praedam qui sic demiserit illam, 

Hunc avis affata est istis sermonibus: Ohe, 

Si mea non servas praecepta, iuvare nequibunt. 20 

Cur mihi nam credis, quod tantam in viscere gemmam 
Ipsa meo gestern, quae pondere ad unciam haberet, 

Quando meum integrae non sit semiuncia pondus? 

Quod si hoc est verum, cur me non asservasti? 

Hoc adeo sed cum neglexeris, id modo restat, 26 

Quae repeti haud possunt ne frustra amissa requiras. 

Aut horum desiderio excrucieris inani. 

Aucupe et his missis dictis, procul inde volavit. 

Crede parum, tua serva, et quae periere, relinque. 

Multi multa bona accipiunt praecepta, sed illa 30 

Qui servet, vix est multis e millibus unus. 

No. 26. Die jüngere altisländische Version. 

Gering, Islendzk ^ventyri, I, pp. 197/8. 

Einn böndi 4tti einn fagran lund, vaxinn meö allzkyns 
tr& ok fagrar liljur.. Par var okk eitt vatn pakit meö femA- 



249 


fugla. Eitt sinn gekk böndinn i penna sinn fagra lund ok 
lagöi sik undir eitt tre; ok er bann 14, kom par einn litill fugil 
ok söng ofrliga fagrt ok listiliga vel. Sem böndinn heyröi pat, 
villdi hann fanga fuglinn ok tök ser lim ok brä pvi 4 viöinn, 
ok er fugl inn settiz, p4 varö hann fastr viö eina eik. P4 
sagöi hann viö böndann: ‘Hvi gjöröir pü per umak at n4 mer, 
pviat ek em litill fugl ok p4 er pü hefir mik etit, k'ennir 
pü pers ekki. Gef mer lif, pviat, ek hefi sungit per til skem- 
tanar, ok vil ek gefa per nytsamlig ok göö r4ö sem per eru 
mikklu betri en mitt lif.’ Ok er fuglinn haföi pvi lofat, let 
böndinn hann lausan. SiÖan sagöi hann til böndans: ‘Pat er 
s4 fyrstr lxrdömr eöa r4d sem ek vil kenna per, at pü 
skallt eigi trüa öllu sem per er sagt, pi4t pü xtlir pat satt 
vera; pat annat: Pat sem lukkan vill gefa pör 'pat 14ttu eigi ör 
höndum rakna, helldr skalltu hallda pvi; pat priöja: Pü skallt 
ekki pr4 eptir pvi sem pü kannt ekki at f4, helldr gleyma 
pvi, ok liöa pat viljugr sem verör at vera.’ Sem fuglinn haföi 
petta sagt, flö hann upp i eitt h4tt tre ok söng guöi lof 
ok sagöi: ‘Guö vxri h41eitliga lofaör fyrir pat at persi 
maör vissi ekki, at ek haföi einn dyrmxtan gimstein x minum 
kviöi, af hverjum hann m4tti mjök auöigr veröa.’ Ok er 
böndinn heyröi petta, varö hann mjök hryggr ok sagöi: ‘Vei 
mer at ek trüöi hans oröum ok slepti honum p4er hann 
var mer i hendil’ Fuglinn svaraöi: Pü d4ri, sagöi ek per 
pat ekki, at pü skylldir ekki trüa pvi öllu sem p£r vxri sagt, 
eör 14ta ör hendi rakna pater per veittiz; en nü sem pü 
hefir mist mik ok kannt ekki f4 mik aptr, hvar fyrir villtu p4 
syrgja mik, sem per er ekki utan til illz?’ SiÖan flö fuglinn 
brott, en böndinn för heim. 

No. 27. Des Vögeleins drei Lehren. 

A. Keller, Altdeutsche Gedichte, pp. 12—14. 

Ein gebawer vieng ein vogelin 
Mit eynem herin strickeiein. 

Das vögelin begund sorgen, 

Das es der gebawer wölt würgen. 

Es sprach: Liber frunt, las mich fliegen, 5 

Das ich myn Jungen mög erzihenl 
Die will ich all bringen dir, 

Das soltu glauben mir. 



Er sprach: Ich wil dich nit Ion, 

Ich bin fro, das ich dich hon, 

Ich wille dich diner veddern enblössen 
Und wille dich an eynen spisz stossen. 

Syt das mich din got hat beratten, 

So wil ich dich by eynem fewer braten. 

Do sprach das klein vögelin: 

Was mag ich dir nutz gesin? 

Min gefieder dir nit ensolle, 

Meins fleysches ist kam ein hant vol. 

Was mag das gehelffen dich? 

Da von so las fliegen mich. 

Bis ich mein Jung bring zu dir. 

Ir sint funff was vier, 

Das mag dir wol besser gesin, 

Wan das ich allein wer din. 

Er sprach: Fleugstu mir uff die buochen, 
Wie solt ich dich dann suchen? 

Wan ich wil dich braten by eyner gluot. 
Du bist mir zuo eynem trunck gut. 

Da das vögelin erhört die mere, 

Do erschraek es vil sere 

Und sprach: Wöltestu lassen fliegen mich, 

Ich weit driu dinck leren dich. 

Und gedechtestu flysziglichen daran. 

So wurdestu ein selig man. 

Er sprach: Das soltu leren mich. 

So will ich lassen fliegen dich. 

Es sprach: Was man dir gesagen kan. 

Da hab all zyt nit glauben an. 

Und sihe, das du ümer icht lassest, 

Das du wol gehaben magst. 

Du solt auch keynen jamer han 
Nach dem, das dir nit werden kan. 

Han ich die warheyt geleret dich, 

So soltu lassen fliegen mich. 

Der gebuwer sprach zu dem vögelin: 

Gelob mir uff die trewe din. 

Wann ich ruoff dir, 

Das du her wider kömpst zu mir! 

Es sprach: Uff mein warheyt 



251 


Ich will all zyt wesen bereyt. 50 

Er gab urlab dem vogelin, 

Es flog uff eynen bam hin, 

Do es mit heller stym sang, 

Das es in dem wald erklang. 

Der gebawer wolt das vögelin versuochen 65 

Und begund ym her wider rueffen. 

Do sprach das vögelin zu ym also: 

Ich bin in mynem hertzen fro, 

Das ich dir bin also entrunnen; 

Ich will nit wider zu dir kommen. 60 

Er sprach: Was hastu gelobet mir? 

Es sprach: Ich seyt vor alles dir, 

Das du solt nit glauben han, 

"Was man dir alzyt gesagen kan. 

Davon hastu gelaubet mir, 65 

Das bin ich entpflogen dir. 

Der gebuwer sprach: Het ich das vor bekant, 

Ich hett dich doch in myner hant, 

So sprach aber das vögelin: 

Du hast eynen törechten sin, 70 

Das du usz diner hant lassest, 

Das du wol gehaben macht. 

Do sprach der gebuwer: Du sagst war. 

Darumb han ich verlorn gar, 

Das rüwet von gantzem hertzen mich, 75 

Das ych ye liesz fügen dich. 

Das vögelin sprach: Das is ein warheyt, 

Das du hast grosz hertzenleyt. 

Aber du solt keynen Jamer hon 

Nach dem, das dir nit werden kan, 80 

Als ich dich voran han geleret, 

Da du dich wenig hast angekeret. 

Darumb hon ich dich betrogen. 

Das ich bin von dir geflogen. 

Und wil ni wider me zu dir. 85 

Du solt auch das gelauben mir, 

Das allen den also geschieht. 

Die diser lere volgent nicht. 

Die werdent betrogen an allen tagen. 

Das es in hernach wol mag geschaden. 90 



252 


No. 28. Die Parabel des griechischen Barlaani-Romanes. 

H. Zotenberg, Notice sur le texte et sur les versions orientales 
du livre de B. et J. p. 109. 

. . . ojioioi eioiv oi ziov eidcbXajv ngooxvvrjzai avSgcbnog ilgevxjj og 
xaxio^Ev ev ziov ofiixgozdzcov ozgov&irov. arjdova zovzo • xaXovoi. Aaßibv 
de juaxcugav zov ocpalgai avzo xai cpayeiv, idoftrj zfj dtjdovi qxovt] evug&gog. 
Kai cprjoi ngog zov Vgevzrjv. Ti ooi SxpeXog, äv9ga>ne, zrjg iprjg oq>ayrjg; ov 
dvvfjojj yag di ifxov zr\v orjv ifinXrjoai yaozega. 9 AXX' ei pe ziov deofiibv 
iXev&egcboeig, dcboco. ooi ivzoXag rgetg äg rpvXazzcov jieyaXa nag SXtjv 
oov zfjv igcorjv (btpeXrj'&fjofl. 'O de ftaußrjdeig zfj zavzrjg X.aXiq, inrjyyeiXazo, 
ei xaivov zi nag avzfjg axovoeie, ftäzzov iXev&egiooai zrjg xazo%tjg . 
’Emozgaipeioa de fj arjdojv Xiyei zig dv&gojncg. Mrjdenoze zivog ziov avecpixziov 
emxEigrjöflg icptxeo&ai, xai jiij jtieza/ieXov int ngay/uazi nagsX&ovzt, 
xai ämozov gfjfia ncbnoze fit) mozevofjg. Tavzag di zag zgeig ivzoXag 
q?vXazzE xai ev ooi yevrjzai. ’Aya/ßevog de 6 dvtjg zo evovvonzov xai 
ovvezov ziov grifxdz(ov f Xvoag avzfjv zov deofxov xaza zov aegog iiganeozeiXev . 
'H ovv arjddov d'iXovoa /na&elv ei ineyvro o avfjg ziov Xex&ivz<DV avztp 
gt]/ndzo)v zrjv dvvafuv xai ei ixagncooazo ziva axpeXeiav, Xsyei ngog 
avzov tnzajievrj iv zig aegi. <Pev oov zrjg aßovXiag, ävftgayne • önoiov 
{Xrjoavgov orjfxegov ancoXeoag. vnag%ei yag iv zoig iyxazoig fjiov fiagyagizrjg 
vnegexcov ' zig fieye&ei ozgov&oxajirjXov (bov. c Qg ovv rjxovoe zavza 6 
Vgevzfjg, ovvexv'&rj zfj Xvnrj fiezafieXojievog özi i£i(pvyev fj arjddov ixeivrj 
zag x e ^\Q a $ avzov: xai neigdbfievog avfhg xazaox^v avzfjv eine ; Aevgo 
iv zog oTxcg yov, xai (piXo<pgovt]odjLiev6g oe xaXoog ivzigxog UganoozeXid. 
'H de arjäcbv sqprj avzig. Nvv eyvoov ioxvgcbg dvorjzaiveiv oe; de^djievog 
yag za Xex'Sivzaooi ngodvftoog xai fjdeoog axovoag ovdefjiiav il; avzoov 
tbq?eXeiav inexzfjoco . Einov ooi fxt] fiEzafieXeio&ai ini ngayfiazi nageXftovzi . 
xai idov ovv£Xvftr}g zfj Xvnrj ozi ooi zag x e *Q a S i^iffvyov (AszajieXo - 
uevog ini ngay/uazi nageXd'ovzi. 3 EvezEiXdjLirjv ooi fxtj imxsigeTv ziov 
dvetpixzcov iffixeoftai, xai neigäoai xazaoxetv jie \irj dvvdfievog zrjg ififjg 
irpixeoftai nogeiag . TIgog zovzoig de xai aniozöv ofjfjia jifj niozeveiv ooi 
dieozeiXdfirjv. aXX' idov iniozevoag vnagx^iv ev zoig iyxazoig juov 
jiagyagizr\v vnegßaivovza zo fiezgov zrjg rjXixiag fiov, xai ovx ixpgovtjoag 
ovvievai 8zi oXrj iyco ovx itpixvovjiai zcg fzeye&ei zcov zov orgov^oxafArjXov 
(bidv xai nojg ^lagyagizrjv zoiovzor iyjbgrjoa iv i/uoi; 

No. 29. Die Parabel des mittelalterl.-latein. Barlaam. 

Joann. Damasc. Historia* Duorum Christi Militum, pp. 29/30. 

/ 

... similes sunt idolorum cultores viro sagittario, qui com- 
prehenclit unara de minutissimis aviculis, philomenam hanc 



253 


vocant. Arripiens igitur cultellum, ut occideret eam et com- 
ederet, data est philomenae vox articulata, et ait ad sagit- 
tarium: Quod tibi, o homo, necis meae proficuum est? Non 
enim de me tuum implere ventrem poteris. Sed si me a 
vinculis liberaveris, tria mandata tibi dabo. Quae si custodieris, 
ex his magnam per totam vitam tuam utilitatem consequeris. 
Ille vero stupefactus illius loquela, promisit quod si quid novum 
audiret ab ipsa mox eam a vinculis liberaret. Conversa ita- 
que philomena dicit homini: Numquam aliquid coneris com- 
prehendere eorum quae apprehendi non possunt: et ne doleas 
de re perdita quam recuperare non potes: et verbum incredibile 
non credideris aliquando. Haec tria mandata custodi, et bene 
tibi erit. Admiratus autem vir perspicuam verborum intelli- 
gentiam, solvens eam a vinculo per aera dimisit avolare 
liberam. Philomena igitur volens probare, si recognovit vir 
. dictorum sibi verborum virtutem et lucratus est aliquam ex 
ipsis utilitatem, dicit ad eam volitans in aere: Vae tibi, homo, 
quam malum consilium habuisti, et qualem thesaurum hodie 
perdidisti. Est enim in visceribus meis margarita quae stru- 
thionis ovum pua vincit magnitudine. Ut hoc audivit sagit- 
tarius, contristatus est valde. Paenituit namque eum quod 
evaserit philomena illa de manu sua, et denuo tentans illam 
apprehendere, dixit: Veni in domum meam, et omnem humani- 
tatem tibi exhibebo, deinde honorifice te dimittam. Tune ait 
philomena: Nunc cognovi certissime te esse fatuum. Suscipiens 
namque quae tibi dicta sunt a me, prompte et libenter audiens, 
nullum ex his proficuum assecutus es. Dixi tibi, ne doleres de 
re perdita et irrecuperabili. Mandavi tibi ne tentares incom- 
prehensibilia capere, et tentasti me comprehendere, cum non 
valeas itinere meo pergere. Cum his etiam, ne verbum incre¬ 
dibile credideris, tibi mandavi. Sed ecce credidisti in visceribus 
meis esse margaritam supergredientem mensuram ventris mei, 
et non valuisti intellegere, quoniam ego tota non possim per- 
tingere ad magnitudinem ovi struthionis, et quomodo margaritam 
talem caperem in me? 

No. 30. Die Parabel in Bromyard's Summa pra\edi- 

cantium. 

... Secundum patet per exemplum de libro Barlaam in quo 
ostenditur illorum stulticia: qui de re irrecuperabili dolent, 



254 


per exemplum de iilo qui habuit avem: que eum docuit tres 
sapientias: illa conditione, quod illam avolare permitteret. Quo¬ 
rum prima videtur, quod nou credat rem incredibilem: quam 
▼idelicet oontrariam videt ad oculum: licet totus mundus diceret 
contrarium. Contra quam faciunt, qui credunt mundi gaudium 
esse bonum, longum et delectabile; nec verum, quia quotidie 
vident contrarium, ut videlicet illi qui prius confidunt in mundi 
diviciis et honoribus, turpius decipiuntur. Ex quo ad oculum 
patet: ut non est verum, nec durabile, sed sophisticum et falli- 
bile. Secunda videtur quod non nitatur nimis apprehendere 
quod apprehensum teneri non poterit: quod est contra illos 
qui mundi divicias, delicias, vel honores nimis apprehendere 
nituntur: quia vel non apprehendunt vel non diu retvjent. 
Tertia videtur quod de re irrecuperabili non doleat: quod est 
contra illos qui de rebus perditis quas recuperare non possunt 
dolent, vel de charis mortuis quos reducere non possunt mul- . 
tum dolent. Quibus imperari potest illud ps. LXXXVII: Num- 
quid mortuis facies mirabilia cum lachrymis tuis, aut medici 
suscitabunt eos? . . . 

No. 31. Die Parabel im Dialogus Creaturarum des Nico¬ 
laus Pergamenus. 

Grässe, Die beiden ältest, lat. Fabelbücher des Mittelalters, pp. 

249/50. 

De leone venatore, dial. 100. 

Leo quidam maximus Venator fuit; hie semper eic age- 
bat, cum venabatur: Animalia intuebatur et conspicabatur unum 
de melioribus ipsumque persequebatur. Animal autem illud, 
cum esset in distantia bona ab ipso, quam citius fugiebat, pro 
quo leo contristatus, non habens quod optabat, volens etiam 
de relictis capere, minime valebat, propter quod omnia alia iam 
latitabant. Leo vero amaricatus manebat et nunquam vena¬ 
batur dicens: nunquam dimittamus certum nec relaxemus propter 
incertum. Sic enim nonnulli, cum possunt agere ea, quae compe- 
tunt, nesciunt capere, cupientes meliora. Idcirco saepe deci¬ 
piuntur et ea, quae antea habere poterant, non inveniunt. Vo- 
lunt enim capere, quod non possunt, et recuperare perdita et 
irrecuperabilia, sed non valent, unde amarissime dolent. Con¬ 
tra quos dixit David II 0 Regum XII 0 : nunc quia mortuus est, 
quare vivo? numquid potero revocare eum? ego vadam magis 



255 


ad eum, ille vero non revertetur ad me. Unde fabulatur de 
philomela, quae docuit iuvenem, qui eam cepit: de re perdita 
et irrecuperabili numquam doleas. Ut legitur in Barlaam: est 
enim dementia et perieulum, relinquere rem securam et certam 
pro alia incerta ... 

No. 32. Die Parabel als exemplum des Jacobus Vitriar 

censis. 

The Exempla or Illustrative Stories . . ., ed. by Th. F. Crane, 

pp. 10/11. 

XXVm. Vani sunt [magistri] et singuläres qui nova et 
inaudita adinvenire nituntur, probatos et antiquos magistros 
sequi nolentes, cum tarnen Ecclesiastes dicat, XXXIX: -'‘Anti¬ 
quorum exquiret sapiens.’ Isti autem in magnis ambulant et 
in mirabiiibus super se. In magnis ambulant qui cogitant quomodo 
in hoc seculo magni habeantur et dignitatibus attollantur. In 
mirabiiibus super se ambulant qui cogitant qualiter facere pos¬ 
sint vel dicere utrum homines ammirentur. Verum plerumque 
nova et inaudita fingunt, quibus, licet incredibilia sint, fidem 
adhibent curiosi et stolidi auditores, similes cuidam homini qui, 
cum cepisset phylomenam, dixit ei phylomena: ‘Tu vides quam 
valde sum parva, si me occidas et comedas non multum com- 
modum assequeris, si autem abire me permiseris, docebo te 
sapientiam que prodesse tibi multum poterit.’ At ille: ‘Doce 
me et permittam te abire.’ Cui phylomena ait: ‘Numquam ap- 
prehendere coneria que apprehendere non possis et niinquam 
de re perdita doleas, quam recuperare nequeas, et verbo inere- 
dibili numquam fidem adhibeas.’ Hiis auditis eam avolare per- 
misit. Tune phylomena volens eam probare ait: ‘O miser, quid 
fecisti, quia me dimittere voluisti, habeo in visceribus meis 
margaritam que ovi structionis excedit magnitudinem.’ Hoc 
audiens contristatus est valde et eam apprehendere cona- 
batur. At illa: ‘Nunc cognovi fatuitatem tuam exquod et [sic] 
doctrina mea nihil profecisti; conaris me comprehendere cum 
itineri meo non possis pergere, doles de re perdita quam recu¬ 
perare non potes. Credis in visceribus meis esse margaritam 
ventris mei excedentem mensuram, cum ego tota ad mensuram 
ovi structionis pertingere non possim.’ Sic fatui et decepti sco- 
lares quibnsdam fantasiis et incredibilibus fidem adhibent que, 
tanquam frivola irrisione digna, statim respuere debuissent. 



256 


No. 33. Die Parabel in der Scala celi, fol. 7b. 

. . . Item ad idem [sc. avaricia]: refert Barlaara quod fuit 
auceps qui cepit philomenam quam cum nollet dimittere data est 
ei vox: et. ait: Quid tibi proficit me retinere; nam de me ven- 
trem tuum implere non poteris. Si me liberare volueris, Con¬ 
silia tibi dabo que si servaveris numquam defici&t tibi bonum: 
qui ex eius loquela stupefactus promisit quod si consilia daret 
eam liberaret. Cui avis: Primum documentum est quod num¬ 
quam coneris ad impossibile. Secundum est quod de re perdita 
et irrecuperabili numquam doleas. Tercium quod verbo incre- 
dibili numquam credas.’ Quae mox dimissa voluit probare eius 
sapientiam; dixit: Oquam malum consilium habuisti ut me dimi- 
sisti; nam in visceribus meis habeo margaritam preciosissimam 
et virtutis exiraie, in magnitudine excedens [sic] ovum stru- 
cionis. Quod ille audiens et dolens nitebatur eam capere arte 
et promissionibus. Cui illa: Nunc probavi te esse stultum, quia 
doles de re perdita et irrecuperabili; item conaris me compre- 
hendere cum non possis; credidisti iterum verbo evidentissime 
falso. Et sic fugiens dimisit eum confusum. 

Philomena est mundi prosperitas, venator avarus qui eam 
apprehendens tria hec dicta probat. Primum quod impossibile 
comprehendere non conetur ad plures habendas. Secundum 
ut non doleat de re irrecuperabili: et ideo quia divitiae sunt 
labiles eis perditis non est dolendum. Tercium quod non credat 
verbo incredibili. Ad quorum oppositum conatur avarus scilicet 
divitiis deliciis et honoribus satiari et in eis perpetuo vivere 
quod est impossibile. Item conantur contra secundum documen¬ 
tum, quia de re perdita: nam divitie ad hoc congregantur ut 
ad necessitatem expendantur. Item contra tercium peccant: 
quia cum prosperitas mundi dicat et promittat se habere 
margaritam, id est divitias dantes stabilitatem, dominium 
securitatem, sacietatem, suavitatem, pulcritudinem et regis [siel 
dei acquisitionem et alia multa, cum e converso patet totum 
oppositum et omnino sunt instabiles dantes servitutem et ven- 
dentes Christum. 

No. 34. Die Parabel bei Vincentius Belloracensis. 

XII. Fabula de Philomena contra cultores idolorum inducta. 

... Aiebat mihi vir sapientissimus quidam, quod similes 
sunt idolorum adoratores viro sagittario, qui comprehendit unam 



257 


de minuti8simis aviculis philomenam hanc vocant. Arripiens 
igitur cultellum ut occideret eam et comederet, data est philo- 
mene vox articulata et ait ad sagittarium: Quid tibi, o homo, 
necis mee proficuum est? Non enim de me tuum implere ven- 
trem poteris. Sed si me a vinculis liberaveris, tria mandata tibi 
dabo. Que si custodieris ex his magnam per totam vitam tuam 
utilitatem consequeris. Ille vero stupefactus illius loquela pro- 
misit quod si quid novum audiret ab ipsa mox ipsam liberaret. 
Conversa illa homini dixit: Numquam aliquid coneris compre- 
hendere eorum, que apprehendi non possunt. Et ne doleas de 
re perdita quam recuperare non potes. Et verbum incredibile 
non credas aliquando. Hec tibi mandata custodi et bene tibi 
erit. Admiratus autem vir perspicuam verborum inteUigentiam, 
solvens eam per aerem misit liberam avolare. Illa autem volens 
probare si cognoverit vir dictorum verborum virtutem et lucra- 
tus fuerit ex ipsis aliquam utilitatem, volitando dicit ad eum: 
Ve tibi, quam malum Consilium habuisti hodie, et qualem 
thesaurum perdidisti hodie. Est enim in visceribus meis marga- 
rita, que strucionis ovum sua vincit magnitudine. Quod audiens 
ille contristatus est valde penitens, quod evasisset philomena 
de manu sua. Et denuo temptans illam apprehendere dixit: 
Veni in domum meam, et omnem humanitatem tibi exhibebo 
et deinde honorifice te dimittam. Cui philomena: Nunc cognovi 
certissime te esse fatuum. Suscipiens namque tibi que dicta 
sunt a me prompte et libenter audiens nuUum ex eis profectum 
assecutus es. Dixi tibi, ne doleres de re perdita irrecuperabili; 
et ne temptares incomprehensibilia capere; et temptasti me 
comprehendere cum non valeas pergere itinere meo. Insuper 
dixi tibi: Ne verbum crederes incredibile. Sed ecce credidisti in 
visceribus meis esse margaritam supergredientem mensuram 
ventris mei; et non valuisti intellegere quoniam ego tota non 
possum pertingere ad magnitudinem ovi strucionis. Et quo- 
modo margaritam talem valeam capere in me? 

No. 35. Die Parabel in ‘Den Dobbelen Zielentroost\ 

Dietsche Warande en Beifort, 1904, n° 2, pp. 116. 

Zekeren Schütter, door het Woud jaegende, vangde eenen 
Nagtegael, den welken door een mirakel Gods tot den Schütter 
sprak gelijk eenen mensch en zeyde: Wat helpt u, dat gy my 
gevangen hebt, gy kond met my uwen buyck niet verzaeden, 

Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 17 



258 


ik ben te kleyn; laet my vliegen, ik zal u leeren dry dingen, 
die u nut zullen zijn. Den Schütter verwunderte hem, dat den 
Nagtegael sprak als eenen mensch, en belofde (sic), dat hy hem 
zoude laeten vliegen: het eerste is, gy zult nimmermeer 
tragten, om te begrypen het gene onbegrypelijk is; ten twee- 
den, al is’t dat gy iet verliest het gene gy. wederom niet 
vinden kond, gy zult u daer nogtans niet om bedroeven; en ten 
derden, iet het gene ongeloovelijk is zult gy niet gelooven: doet 
deze dry dingen, zy zullen u nut zijn. Alsdan liet hy den 
Nagtegael vliegen, en hy vloog om hoog in de locht, en sprak 
tot den Schütter: O gy dwaezen! waerom hebt gy my laeten 
vliegen, ik hebbe in myne maege eenen kostelyken steen, die 
grooter is als een struys-ey. Zoo gy dien had, gy zoud rijk 
Vezen. Alsdan wierd den Schütter bedroefd, en meynde, dat het 
üraer was, dede veel moeyte om den Nagtegael te vangen, en 
belofde hem groote eere aen te doen, als hy wilde wederom 
körnen tot hem. Alsdan zeyde hy: Ik bemerke nu, dat gy 
ebnen dwaezen zijt: want ik hadde u geleerd, iet het gene 
ortbegrypelijk was, nimmermeer nae te staen, om te begrypen; 
nü loopt gy dwaezen, om nae my te grypen. En om iet het 
gehe gy veloren had, en niet wederom krygen kond, zoud gy 
u niet bedroeven; en nu betroeft gy u, om dat gy my niet 
wöderom in uwe magt hebt. En iet het gene ongeloovelijk is 
zoüd gy noyt gelooven, en nu gelooft gy dat ik in myne maege 
hebbe eenen kostelyken steen, zoo groot als een struys-ey, en 
mytt geheel lijf is zoo groot niet. 

No. 36. Van Duyse: De Les des Nachtegaals. 

Dietsche Warande en Beifort, 1904, n° 2, pp. 114/5. 

1. «Ach, lieve schütter, laet mij vliegen I» 

Bad met een zucht, de Nachtegael. 

«Nauw kan ik u een bete bieden;, 

’k Ben mager, mijne plunje is kael, 

En zingen kan ik niet in boeien. 5 

Roem op uw vangst, noch zegeprael.» 

« 2. «Welnu, gesteld, ik liet u vliegen, 

(Want niets voor niet), welk waer’ mijn loon?» 

«Ik zoude u, als ge in’t bosch komt dwalen, 
Verkwikken door mijn liefdetoon. 10 



259 


'k Wil u daerbij drie dingen laeren, 

Meer waerd dan de allerrijkste kroon.» 

3. «Laat hoorenl» — «Maek geen jacht naer zaken, 

Die door geen mensch verkrijgbaer zijn; 

Ging’t onhervindbare verloren, 16 

Kwel u met geen vergeefsche pijn; 

Geloof niets ongeloofli jks I» — «Bestigl 
Vlieg heen, verständig vogelijnl» 

4. «Ge laet mij vliegen», sprak de zanger 

Des woudes, van uit boomgebläert, 20 

«En in mijn maeg schuilt een gesteente. 

Een struifei groot, millioenen waerd.» 

«Dwaes die ik was!» denkt onze schütter; 

«Krijge ik u ovit bij vlerk of staert!» . . . 

5. En de olijkert, bevallig fleemend, 25 

Riep: «Lieve, keer: geloof jne vrij, 

Ik zal u vieren, ’k zal u . . .» — «Praetjesl 
De dood is t’ loon der slavernij. 

’t Is nu bewezen, dat ge een dwaes zijt, 

En onverbeterlijk daerbij. 30 

6. Ik leerde u, maek geen jacht naer zaken, 

Die door geen mensch verkrijgbaer zijn: 

Nu luimt en loopt ge, om mij te grijpen. 

Ik leerde u, geen vergeefsche pijn, 

Ging ’t onhervindbare verloren: 36 

Nu wenscht ge opnieuw naer ’t vogelijn. 

7. Geloof niets ongelooflijks, leerde ik: 

Nu denkt ge, dat een puikkleinood, 

Een struifei lijkend, in mijn maeg schuil’, 

En gansch mijn lijf is niet zoo groot I 40 

Geen lesse, die u de oogen open’; 

Vaerwell» De schalkert zweeg, en vlood. 

No. 37. Die Parabel in der Legenda aurea. 

Ed. Grässe, pp. 815/6. 

Sagittarius quidam aviculam parvam, nomine philomenam, 
capiens cum vellet eam occidere, vox data est philomenae 




17 * 



260 


et ait: quid tibi proderit, o homo, si me occideris? neque enim 
ventrem tuum implere valebis, sed, si me dimittere veiles, 
tria tibi mandata darem, que si diligeatius conservares, 
magnam inde utilitatem consequi posses. Ille vero ad eius loque- 
lam stupefactus promisit, quod eam dimitteret, si haec sibi man¬ 
data proferret. Et illa: numquam rem, quae apprehendi jnon 
potest, apprehendere studeas; de re perdita irrecuperabili num¬ 
quam doleas; verbum incredibile numquam credas; haec tibi 
custodi et bene tibi erit. Ille autem, ut promiserat, eam dimi- 
sit, philomena igitur per aera volitans dixit ei: vaeh tibi, homo, 
quod malum Consilium habuisti et quod magnum thesaurum hodie 
perdidisti, est enim in meis visceribus margarita, quae stru- 
thionis ovum sua vincit magnitudine. Quod ille audiens valde 
contristatus est, quod eam dimiserit, et eam apprehendere cona- 
batur, dicens: veni in domum meam et omnem tibi humani- 
tatem exhibebo et honorifice te dimittam. Cui philomena: 
nunc pro certo cognovi te fatuum esse, nam ex his, quae tibi 
dixi, nullum profectum habuisti, quia et de me perdita (et 
irrecuperabili doles et me tentas capere, cum nequeas |meo 
itinere pergere, et insuper marL iritam tarn grandem in meis 
visceribus credidisti esse, cum ego tota ad magnitudinem ovi 
struthionis non valeam pertingere. 

No. 38. Die Parabel in der me. Bearbeitung der Le- 
genda aurea vom Jahre 1438. 

Ed. C. Horstmann, Programm (1877), pp. 10/11. 

An archer toke a bridde that hight a nyntingale. and 
whanne he wolde sie [Harl. have slaine] hym, a voys was yove 
to the bridde and saide: Certis, thou maist not feil thi bely 
[H. bodie] with me: y am so litell; but yef thou wilt lete me 
goo, y shall teche the in wisdomes, where with thou maiste 
gretly profite. the man was sore abashed whanne he herde 
the bridde speke and in hope of these in wisdomes he lete 
hym goo. and thanne the bridde saide: Stody never to take 
that thinge that may not be take, and be never sori of thinge 
loste with oute recovere, leve never thinge that is not ;to 
leve. and whanne the bridde was fre [H. ferre] from hym above 
in the eyre, he seide: Alas thou wreched man, how thou 
hast had this day evell counsailel and how thou hast, loste 
this day a grete tresoür, for y have in myn entrayles a [H. 



261 


a grete tresour, a precious stoone] precious stone as gret as an 
eye of an ostriche! and whanne the man herde this, he was 
sori and enforced hym to take this bridde ayen and saide: 
Come into my hous, and y shall yeve the all that the nedithe 
and lete the go worshipfully. and thanne saide the nytingale: 
Now knowe y well that thou art a fole, for thou hast ,not 
profited in no thinge that y have taught the, for thou art sori 
that thou haste loste me, and yet y am with. oute recovere, and 
yet thou aspiest forto take me; and over that thou wenist that 
there be in me a gret precious stone, and all my body is not 
so grete as an ostriches eye. 

No. 39. Die Parabel in Gaxton's Golden Legend. 

J. Jacobs, Barlaam and Josaphat, pp. 13/14. 

... an archer toke a lytel byrde callyd a nyghtyngale, 
and whan he wold have slayne thys nyghtyngale ther was a 
voys given to the nyghtyngale whyche sayd: O thou man what 
shold it avayle the yf thou slee me. Thou mayste not fylle thy 
bely wyth me, but and yf thou wylt lete me goo, I shal teche 
the thre wysedomes, that yf thou kepe them dylygentely, thou 
mayst have grete prouffite thereby. Thenne he was abasshed 
of his wordes, and promysed that he wold lete hym goo, yf he 
wold teile hym his wysdomes. Thenne the byrde sayd: studye 
never to take that thynge that thou mayst not take, and of 
thynge loste, whiche may not be recoveryd, sorowe never ther- 
fore, ne byleve never thynge that is Incredyble. Kepe wel thyse 
thre thynges, and thou shalte doo wel. and thenne he lete the 
byrde goo as he had promysed, and thenne the nyghtyngale 
fleyng in the ayer sayd to hym: alas thou wretched man, thou 
haste had evyl counceyl, for thou hast loste thys day grete tre¬ 
sour. For I have in my boweljys a precyous margaryte, whyche 
is gretter than the egge of an ostrych. and he herde that, hc was 
moche wroth and sorowed sore by cause he had leten hir goo, 
and enforced hym al that he coude to take hyr ageyne sayeng: 
Come ageyn to my hows, and I shal shew to the al humanyte, 
and gyve to the alle that shal nede the, and after shal lete 
the goo honourably, where as thou wylte. Thenne sayd the 
nyghtyngale to hym. Nowi I knowe wel that thou art a foole, 
fore thou hast no prouffyte in the wysedoms that I have sayd 
te the. For thou art ryght sorowful for me whome thou 



262 


hast loste, whyche am Irrecuperable, and yet thou wenest to 
take me, where thou roayst not come so hyghe as I am, and 
furthermore where thou belevest to be in me a precyous stone 
more thenne the egge of an ostrytch, whan alle my body may 
not atteyne to the gretenesse of suche an egge. 

No. 40. Die Erzählung in den Gesta Romanorum. 

Ed. österley, p. 554 (cap. 167). 

De audiendo bono consilio. 

Sagittarius quandam aviculam nomine philomenam capiens, 
quando volebat eam occidere, vox data est philomenae et ait: 
Quid tibi proderit, o homo, si me oocideris? Ne que enim 
ventrem tuum de me implere valebis; sed si dimittere me veiles, 
tria mandata tibi darem, que si diligentius servares, magnam 
utilitatem inde consequi posses. Ille vero ad eius loquelam stupe- 
factus promisit, ut eam dimittere vellet, si hec tria mandata et 
utilia proferret. Quae ait: Audite ergol Primum est: numquam 
rem, que apprehendi non potest, apprehendere studeas! Audi 
secundum: de re perdita et irrecuperabili nunquam doleasl Audi 
tercium: verbo incredibili numquam credasl Hec tria bene 
custodi et bene tibi erit! Ille autem, ut promisit, eam volare 
dimisit. Philomena enim per aerem volitans dulciter cantavit; 
finito cantu dixit ei: Ve tibi, homo, quia tnalum consilium 
habuisti, et quia magnum thesaurum hodie perdidisti, est enim 
in visceribus meis margarita, que strucionis ovum vincit magni- 
tudine. Ille hoc audiens contristatus est valde, quod eam 
dimisit, rethe suum expandit et conabatur eam apprehendere, 
dicens ei: Veni in domum meam, et omnem humanitatem exhi- 
bebo tibi, et propriis manibus te pascam et ad tuam voluntatem 
te volare permittam. Cui philomena: Nunc pro certo te fatuum 
esse cognosco, nam ex Ulis, que tibi dixi, nullum profectum 
habuisti, quia de re perdita et irrecuperabili doles et me nequeas 
capere; et tarnen per rethe tuum temptasti, et insuper mar- 
garitam in meis visceribus esse credidisti, cum ego tota ad, 
magnitudinem strucionis ovi non valeam pertingere. Stultus es 
et in stultitia tua semper permanebis. Hiis dictis avolavit, homo 
autem dolens et tristis ad domum rediit et philomenam non 
vidit. 

Moralizacio. Carissimi, iste potest dici quilibet bonus Chri¬ 
stianus, qui in baptismo a peccato origin ali est lotus, in quo 



263 


baptismo sagittas acutas recepit scilicet virtutes contra diabo- 
lum, mundum et carnem. Accepit philomenam scilicet dominum 
nostrum Jhesum Christum, quando renunciavit diabolo et Omni¬ 
bus pompis eius. Qui miro modo dulciter cantavit, quando ora- 
cionem patri celesti pro genere humano infudit, sed miser pec- 
cator istam philomenam, scilicet d. n. Jh. Chh., cogitavit occi- 
dere, quotiens cogitavit peccatum mortale perpetrare, sicut dicit 
apostolus: Iterum, quantum est in eis, crucifigunt filium dei. 
Sed diligenter attendite, quod deus dedit tibi tria mandatal 
Que si diligenter homo custodierit, ad magnum profectum per- 
venire posset etc. Rex iste est trinitas, in qua sunt tres per- 
sone et unus deus, quam rem numquam poterimus apprehen- 
dere, quamdiu sumus in hoc mortali corpore, secundum quod 
dicit apostolus: Jam videmus in enigmate, postea videbimus 
sicuti est. Nec fides habet meritum, ubi humana racio prebet 
experimentum. Item salvator in evangelio respondit mulieri 
petenti: Die, ut eedeant hii duo filii mei etc. Respondit salvator: 
Nescitis, quid petatis. Item dicebat Petro, querenti de consum- 
macione seculi etc. Dixit: Non est vestrum nosse tempora vel 
momenta etc. Ecce isti stupebant rem apprehendere, quam 
non potuerunt attingere. 

Aliter istud exemplum potest reduci ad illos, qui appetunt 
honores et divitias. Exemplum de Lucifero, qui rem appetiit,. 
sed impossibile ei apprehendere erat, quando dicebat: Ascendam 
usque ad tercium. Quid ergo sequitur post? In infernum cecidit. 
Item de primo parente, qui per esum pomi deus esse voluisset, 
propter quod a paradiso est expulsus et mortem sibi et • nobis 
omnibus paravit. Consulo ergo, ut vos divites ac mundi poten¬ 
tes nolite rem apprehendere, que apprehendi non potest, sicut 
sunt bona temporalia ac seculi honores, que numquam veraciter 
poterunt sine damno anime apprehendi, sicut dicit apostolus: 
Qui voluerit dives fieri, incidit in laqueos diaboli. Et licet 
bona obtinueris, quando melius speras de eisdem gaudere, 
defraudaberis. Exemplum de illo divite, qui dicebat: Destruam 
horrea mea. Et eadem nocte defunctus est. Secundum manda- 
tum est: de re perdita et irrecuperabili non dolebisl Carissimi, 
debetis scire, quod per rem perditam debemus intelligere cor¬ 
poris sanitatem aut divitias, quas deus aufert ab eo, quem dili- 
git, iuxta illud: Flagellat omnem filium suum, quem diligit. 
Sed cum aliqui facti sunt ceci, claudi, aut membro aliquo 
privati vel divitiis spoliati, et ultra quam credi potest dole;,fc 



264 


et gratias deo non offerunt, sicut Esau multum dolebat, quod 
benedictionem patris amisit et tarnen obtinere non potuit. 
Tercium mandatum est: verbo incredibili non credas! In isto 
verbo, carissimi, multi sunt decepti per diabolum, mundum et 
carnem. Diabolus suggerit multa et falsa promittit, que sunt 
incredibilia, sicut de primo parente, qui credidit diabolo, quando 
dixit: Si comederitis de ligno, eritis sicut dei. Credidit et 
erat deceptus, et ideo a paradiso est expulsus. Promissio diaboli 
erat incredibilis propter duo: primo, quia mendax, secundo, quia 
deus ei predixit: In quacunque hora comederitis de ligno, morie- 
mini. Sic modo aliqui tarnen credunt diabolo, mundo et carni, 
quod statim eis adherent et in peccatis consentiunt et dicunt: 
Ovum est tarn preciosum etc. Per ovum mundus intelligitur, 
qui est rotundus. Mundus dicit homini: Bonum est uti mundo 
in iuventute, quia licet hoc fecerimus et peccatum incideri- 
mus, tuna maior est strucione, i. e. maior est divina miseri- 
cordia, quam nostra miseria. Contra tales dicit Psalmista: Non 
miserearis omnibus, qui operantur iniquitatem. Studeamus 
ergo etc. 

No. 41. Das mhd. Gedicht: Der Jäger und die 

Nachtigal. 

■ Lassbergs Liedersaal, Zweiter Bd., pp. 655—657. 

Wer guti 1er kan behalten 
Der mag an sunder ppot alten. 

Dez sait man uns ze mer: 

Ez vieng ain wildenär 

Ze ainem mal ain nachtegal, 5 

Das sie vor lait sere quäl. 

Schön rette sy zu im: 

Hey, werder wayde man, vernim 
Min red und mercke mich, 

Ich wil ez lan geniezzen dich; 10 

Wiltu mich lazzen leben, 

Dry 1er will ich dir geben, 

Die sint dir an mazze gut 
Ob sy wol behaltet "din mut, 

Und koment dir zu statten. 15 

Du macht dich nit gesatten 
Doch mit minem libe kranck, 



265 


Noch tette nimer me gesanck, 

Ob du nit leben liezzeat mich. 

Wiltu ez tun so sprich. 20 

Er sait: ja ich wil dü 1er. 

Sy sprach: so sol ze ser 
Din hertz nimer stellen 
Nach dem daz sich gesellen 

Dir nimer mag uff erden, 25 

Und daz dir nit kan werden. 

Hestu och icht verloren. 

Das dir gerne were zoren, 

Ob ez verfienge icht 

Und ez ist an Zuversicht, 30 

Darnach soltu nit truren 
Noch lait in din hertz muren; 

Er ist wys der ye ring wag 
Waz er nit erwenden mag. 

Du solt och dez wesen fry, 35 

Waz gar ungelöbig sy. 

Das du ez icht gelobest 
Und dich witze robest. 

Nu behalt die dry 1er, 

Daz wirt dir nutz und er. 40 

Da er verlie dü nachtegal, 

Do wart vil groz ja schall 
Und geriett vast claffen: 

Du bist gelich aim affen, 

Da by man brüff hie und dort, 45 

Daz ich trag riehen hört; 

In minem hercen lit ain stain 
Der allez golt und helffenbain 
Gen im tut aller koste bloz. 

Der ist wol ain funste groz; 50 

Der doch mag vernarn, 

Wann du mich hast gelazzen varn. 

Diz gelobt der tore tumb, 

Und gie allez umb, 

Und begund ir warten 55 

Und vil baschlich zarten, 

Das sy wider zu im kam 
Und sin red vernäm. 



266 


Sy sprach: ain nar du bist, 

Wa nun miner lere list. 80 

Ich mag dir werden nimmer 
Und tribestu ez och yemer, 

Daz sag ich dir für war, 

Und tribestz tusent jar. 

Darzu bin ich och ze clain, 66 

Das ich ain so grozen stain 
Yemer möcht getragen. 

So wänest mich erjagen 
Und ettwe betriegen, 

Alsus tund dü giegen, 70 

Die hörent gute lere wol 
Und blibt in doch ir herce hol. 

Daz mag man yetzo pchowen 
An mannen und frowen, 

Daz daz iant ist toren vol 7ö 

Und aller valsch yetzt git zol. 

No. 42. Die Erzählung in Boners Edelstein. 

Der EdeUtein von Ulrich Boner, hg. v. F. Pfeiffer, pp. 163—165. 

XCII. Von einer Nachtegal, Wart gevangen. 

Von weltlicher törheit. 

Ein weidman vieng ein vögellln 
daz was klein, stolz unde vln, 
ein nahtegal was ez genant, 
als schier erz nam in sine hant, 
und ez ertoedet wolte hän, 
daz vögelln sprach: «nu lä mich gänl 
du macht nicht werden sat von mir 
drl lere wil ich geben dir, 
mit den du sxlden wirdest vol, 
ist daz du si behaltest wol.» 
er sprach: «sag anl waz mag daz sin?» 
dö sprach daz kleine vögellln: 

«du solt gelouben niemer daz, 
daz ungeloublich si. dur waz 
8ol man daz gelouben icht, 
daz nie beschah noch nicht beschicht? 
daz ander ist, daz du kein leit 


5 


10 


16 



267 


solt haben noch kein erebeit 
in dinem herzen umb diu ding, 
diu also hin vervaren sint, 

.daz si her wider nicht mügen komen: 
daz leit nieman kan gevromesn. 
so ist diu dritte löre min, 
daz du nicht solt gevlizzen sin 
umb daz, daz dir nicht werden mag. 
er tuot im selber grözen slag, 
der nicht behaltet diz gebot, 
und mag wol sin der liuten spot, 
dis lör soltu behalten wol, 
so macht du wisheit werden vol.» 
der man der wart der löre vrö, 
daz vögelin liez er vliegen dö 
üf einen boum. dö daz beschach, 
daz vögellin zem manne sprach: 

«du hast unwislich gar getan, 
daz du mich, töre, hast gelän 
vliegen. daz mouz dir schade sin, 
wan ich trag in dem übe min 
ein stein, ist edel unde gröz. 
wer in hät der wirt nicht siglös. 
er zerstört auch alle gift, 
eis strüzes ei er übertrift 
an grözi. den hast du verlorn.» 
der töre hxte wol gesworn, 
ez wxr alles gewesen wär. 
sinr lör hät er vergezzen gar, 
die im der vogel hät gegeben, 
er wart betrüebt als umb sin leben, 
und geloubte, daz unmöglich was, 
und wart gevlizzen ser üf daz, 
wie er den vogel möcht gevän. 
dö sprach daz vögelin zuo dem man: 
«iemer muost ein narre sin! 
niut hästu der löre min 
behebt; du häst geloubt diu ding, 
diu gar ungeloublich sint: 
daz ich hab ein grözen stein 
in mir, dar zuo bin ich ze klein. 


20 


2fr 


3fr 


40 


4fr 


60 


✓fr 



268 


dar zuo leit und praerzen 

hästu in dinem herzen, 60 

daz du mich, töre, häst verlorn. 

ouch ist dinem herzen zorn, 

daz du nicht macht gevähen mich. 

min weg und din sint ungellch. 

du haltest nicht die löre min, 66 

dä von muostu ein töre sin.» 

Ein tör wird dick gelöret wol, 
doch ist sin herze goucheit vol. 
wer daz geloubt, daz nicht mag sin, 
da ist nicht grözer witzen schin. 70 

was än got nieman wenden kan, 
daz sol man hin ze gotte län. 
wer gert daz im nicht werden mag, 
daz ist sinr girde ein niderslag. 
er ist nicht wise, wer des gert, 76 

des er doch niemer wirt gewert. 
wie vil nu höher löre hät 
diu weit, mang mensche dar üf gftt, 
daz er geloubt, daz nicht ist guot, 

Und siner söle schaden tuot, 80 

und vichtet nach den dingen, 

da im muoz misselingen, 

als dirre töre hat getän. 

sin herze muoz in riuwen stän, 

der rechter lör nicht volgen wil. 85 

noch ist der selben tören vil, 

die ich nu nicht wil nennen hie. 

der narre ein töre dannen gie. 


No. 43. Die Erzählung in der Sammlung altdeutscher 

Beispiele. 

Zeitschrift für deutsches Altertum, pp. 343—345 (hg. v. Pr. 

Pfeiffer). 

Ein vogelxre üz gie 

dä er ein lerehen gevie. 

er wolde si toeten an der stat. 

Wan daz si in sö lange bat. 



si sprach ‘herre, lat mich leben: 
ich wil iu dri löre geben, 
der habt ir frum unt Öre.’ 
er sprach ‘ich tuon, nu löre.’ 

'da enköret nimmer iwer gerinc 

an deheiner Blähte dinc 

daz iu ze staten niht gestö. 

noch wil ich iuch lören me: 

swä ein ungeloube geschieht, 

des sult ir ouch gelouben niht; 

unt gewinnet nimmer swxren muot 

umb dehein verlorn guot 

daz ir niht möget wider hän.’ 

also wart diu lerche verlän. 

si vlouo vil höhe unde sprach 

‘owö, daz ez dir ie geschach! 

du müedinc töre du mäht wol klagen 

jä 11t ein stein in mlnem magen, 

der ist groezer denne ein strQzes ei. 4 

hietest du mich gesniten enzwei, 

du gxbest sin nieman ein teil, 

ern hete immer sxlde unt heil.’ 

er sach ir jxmerllchen näch 

unt sprach: ‘jä was mir ze gäch. 

der stein was gröz unde guot. 

ouch köre ich allen mlnen muot 

dun werdest gevangen.’ 

‘du hast übergangen 

min löre unde min gebot. 

nu verbot ich dir bl got 

niht ze glouben daz mxre 

daz ungeloubec wxre. 

wie möhte ein stein komen in mich 

der zwirunt groezer wxre dan ich? 

Dar zuo senest du dich nach mir. 

ja vliuge ich immer vrl vor dir: 

du verliusest allen dlnen list 

den du an mich körent bist: 

ich kum niht mör in dlnen kloben. 

ja wil ich des got loben 



270 


daz ich dich betrogen hän.’ 45 

Einen alwxren man, 
der sich enkan noch enmac 
weder naht noch tac 
behüeten noch gevristen 

vor starken trügelisten, 60 

der niht guote sinne hät, 

sö schiere den bestät 

sines lantmannes list, 

der valsch und ungetriuwe ist, 

der brichet im lachend abe 55 

beidiu Öre unde habe. 

dä vor ist nieman behuot, 

ern künne übel unde guot. 

nu si niemen des sö gähe, 

ob er vögele gevähe, 60 

daz er si läze von der hant, 

ern habe bürgen oder pfant, 

daz im alsam niht gesche, 

wan spot tuot nach schaden wö. 


JNo. 44. Die Parabel im franz. Barlaam des Gui de 

Cambrai. 

Ed. Zotenberg und Meyer, pp. 60 ff. 

Cil sont a .j. archier sanlant 
Ki lousignoit avoit ,pris. 

Li archiers a son coutiel pris 
Et l’osillon voloit ocirre. 

L’oysiaus parla, si prist ä dire: 5 

«Poures porfis si est de mort, 

«Se tu m’ocis tu aras tort 
«Ne ja soeles n’ieres de moi; 

«Biax dous amis, porpense toi: 

«De moi, tu me fais morir, 10 

«N’en poras pas ton ventre emplir; 

«Delivre moi de ces loiens, 

«Molt t’en pora venir grans biens 
«Car por chou te volrai mostrer 
«Trois sens se tu les vels garder.» 


15 



271 


Cil s’esmaie de chou qu’il ot 
Et al plus tost k’il onques pot 
L’a delivrö, et se li prie 
K’il les .in. sens li mostre et die. 

Li oysiax dist: «Or de l’entendre: 20 

«Ne t’esforchier tu ja de prendre 
«Chose que prendre ne poroies; 

«Se tu de par chou te doloies 
«U il n’aroit nul recouvrier, 

«Li dels ne t’i aroit mestier; 2ö 

«Et chose ki ne fait ä croire 
«Ne tenir ja nul jor ä voire. 

«De ces trois sens te prent bien garde, 

«Et si entent de euer et garde: 

«Encor te pora biens venir 80 

«Se tu les voes bien retenir, 

«Car saches bien grant sens i a.» 

Li archiers molt s’esmervilla 
Quant si tres biel l’ol parier, 

«Deslii6 l’a, sei laisse aler; 35 

Li lousegnos s’en est voles 
Et de chou k’il est eschapös 
Estoit moult li6s, car joie trueve, 

Et nequedent l’archier esprueve 

S’il les trois sens avoit bien pris, 40 

Que li oysiaus li ot apris: 

«Archiers, dist il, oi et entent: 

«Tu as estd molt folement 
«Et mal conseil as hui eü 

«Et grant tresor as hui perdu; 45 

«En ta perte gaigne ma vie: 

«El cors ai tele margerie 

«Ki molt est precieuse et riche 

«Et graindre asses d’un oef d’ostriche.» 

Li archiers l’ot, dolans en fu, 50 

Mais il n’a pas bien entendu 
Por coi li lossignos l’esprueve; 

Molt douchement li prie et rueve; 

C’or vigne a lui, buer le fera 



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Jix.f ix: üb. f J<JlL jUl . Voifc 

✓'J <^fc <a't * u:h e: u* paruit 

rJSt yjt'j&i' juem väjuu 
4'ut t\* Int IJiC» cVMi;. 

♦ J. tatvji ovminannt int; :t ais. 

JL tnUtUUifc pL.: u inet CÜä. 

rJK-t tu ;a nt crelsset tuen 

rXt VI C‘- r U-'t nt U:L, 

-t y.". vj-'.>’_ '.'ezzre zi& ^oloxf:'. 

fAjLL^i Wi-'-t. '. _e t’J VV.'J'.'i*S5 

«Ke .VU 1* ; • rV.c Ubt 

«JEjÜSS-e ►„ VeZ'.re et. tei ZA '. 'Ji re 
«Coc: :e iis. zi.*jt .: - zzezti, 

«Car ii re p*ue: e*::e ezsi. 

«Car pl-rs es: grairire ie ;:u tonte. 
«Por eher es: folg er qu; esc: Ute. 
«Quart ü c’eztez: raisräcietzer: 

«Chcu que raisors 'ii s: et r_»pert-> 





273 


No. 45. Die Parabel im sürselvischen Barlaam. 

Archivio glottologico Italiano, VII, pp. 273/4 u. 382/3. 


Sürselvischer Text. 

. . . a per quei sehet Barlaam 
tier Giosafat: Teng char ils 
paupers, ed hagies misericor- 
dia dels amigs de Diu, a quei 
che jau ti hai mussau a deg, 
emblida bucca via a fai bucca 
sco ha giu faig in cert pur 
che ha giu pigliau in utschi, 
il quäl cur che el ha viu dad 
esser Staus pigliaus, ha deg 
tier il pur: Miu amig, sehe 
mi laies larg, sehe ti emper- 
metta jau da dar treis mus- 
saments, che ti vegnes ad 
esser beaus, sehe ti vegnas 
a saver suendar, a veng tei 
biar a gidar. Lura ha il pur 
deg: Jau ti empermetta de 
schar ira, sehe ti mi dies 
quels. Lura ha il utschi deg: 
Ilg emprim ei quest: quella 
caussa, che ti poss bucca ha- 
ver, enquera bucca I II secund 
ei quest: quella caussa, che 
ti has, sapies tenert A il 
tierz mussament ei quest: 
quella caussa che po bucca 
esser, sehe deies ti bucca crer! 
Cur che il pur ha giu udiu 
quests mussamens, gli han ei 
talmein plischiu che el ha 
schau ira il utschi. Quei ei 
sgolaus sin in pumer zun ault 
ed ha clamau il pur sehend: 
O Compogn, per tia disgratias 
has ti laschau ira mei, pertgei 
jau hai en il culiez ina pedra 


Ascolis ital. Übersetzung. 

E perciö disse Barlaam a Gio¬ 
safat: Ama i poveri, e abbi 
misericordia degli amici di Dio, 
e quello, che io t’insengnai e 
dissi, non dimenticartene, e 
non fare come ebbe fatto un 
certo contadino, che avea pig- 
liato un uccello, il quäle come 
vide d’essere stato pigliato, 
disse al contadino: Mio amico, 
se tu mi lasci libero, si ti 
prometto io di darti tre in- 
segnamenti, che tu sarai beato 
se li saprai seguire, e molto 
ciö ti ajuterä. Il contadino 
disse allora: Jo ti prometto 
di lasciarti andare, se tu me 
li dici. Disse allora l’uccello: 
Il primo h questo: La cosa 
che tu non puoi avere, non 
cercarla. Il secondo e questo: 
la cosa, che hai, sappila te- 
nere. E il terzo insegnamento 
h questo: la cosa che non puö 
essere, sl non la devi cre- 
dere. Udito ch’ebbe il conta¬ 
dino questi insegnamenti, gli 
son talmente piaciuti, ch’egli 
lasciö andare l’uocello. Questi 
se ne volö sopra un albero 
ben alto, e chiamö il conta¬ 
dino, dicendo: O eompagno, 
per disgrazia tua m’hai tu las- 
ciato andare, poichfe io ho nel 
gozzo (collo) una pietra pre- 
ziosa, ch’6 piü grande di un* 
uovo d’oea, e vale un ßian 

18 


Ty roll er. Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 



274 


custeivla, che ei pli gronda 
che in jef dad’ ina auca, a 
valla in grond scazi. Cura 
che il pur ha giu udiu quei 
dilg- utschi, ha el ladina- 
meing enciet ad ira suenter 
en mintga caglia per el puspei 
piglar. Lura ha il utschi deg: 
O ti nar, has teniu endament 
schi bien mes mussamens, che 
jau ti hai dau? Jau ti hai 
deg: Questa caussa, che ti has, 
sapies tener! Lauter ei: quella 
caussa, che ti poss bucca sur- 
vegnir, va bucca enquerend! 
Ti mi has giu ed has cha isaviu 
tener; ed ussa enqueres ti da 
piglar mei; aber ti survegnies 
bucca. Il tierz mussamen ei 
stau: quella caussa, che ei 
bucca pusseivel, deies ti bucca 
crer. E ti creies, che jau 
hagi ina pedra custeivla pli 
gronda che in jef de ina auca, 
il quäl po bucca esser, per 
bucca esser ilg ief pli gronds 
che jau ne seigi. Ed el ha 
deg sil davos agli pur: Va alla 
malura, che jau ti vi bucca 
dar pli mussamens, pertgiei 
ti sas bucca tener endament. 


tesoro. Quando il contadino 
ebbe ciö udito dall’ uccello, 
tosto incominciö a andargli 
dietro in ogni cespuglio per 
uuovamente pigliarlo. Allora 
disse l’uccello: 0 tu pazzo, 
cosi bene hai tenuto a mente 
gli insegnamenti miei che io 
t’ho dato? Io ti dissi: La 
cosa che hai, sappila tenere. 
L’altro e: La cosa che non 
puoi conseguire, non l’andar 
eercando. Tu m’hai avuto e 
nonm’hai saputo tenere; eora 
cerchi tu di pigliarmi, ma nol 
consegui. Il terzo insegna- 
mento e stato: La cosa, che 
non e possibile, non la devi 
credere. E tu credi che io 
abbia una pietra preziosa piü 
grande di un uovo d’oca, il 
che non puö essere, per [non] 
esser l’uovo piü grande che 
io non sia. E all’ultimo diss’- 
egli al villano: Va alla malora, 
che io non ti vo’piü dare in¬ 
segnamenti, poiche non li sai 
tenere a mente. . . . 


No. 46. Die Erzählung in den Fazetien des Piovano 

Arlotto. 

Riprensione del piovano ad un amico che non si curava 

admonitione. 

Parlando un giorno el piovano con uno suo amico mölto 
arioso il quäle havea forati li orechi piu di sotto che di sopra, 
e admonendolo de li suoi vitii e mali costumi dopo un longo 
discorse mostro colui non havere inteso o di havere dimenti- 




275 


cato ogni bon precepto del Piovano, onde lui gli disse nellultimo 
questa piacevoleza essemplar come fu uno villano, che prese 
un bello lusignolo, e lui si volto a quello villano con humile 
voce, e disse: se tu me vuoi liberare, e lasciarmi ire, io ti 
prometto di dare tre amaestramenti, che se li terrai a memoria, 
sarai felice in tempo di tua vita, e poterai chiamare in questo 
mon'do beato. Bispose il villano: certo se me li insegni ti 
prometto lasciarti ire. Allhora el lusignolo gli disse: El primo 
amaestramento e desiderare, ne cercare quella cosa, ch’e impos- 
sibile a trovare e havere; el secondo, sappi tenere quella cosa, 
di che hai dibisogno. El terzo e che non debbi creder pro niente 
quella cosa che non puo essere. Datti hebbe li amaestramenti 
che furono al villano multo cari, el villano lo lascio ire. Volato 
el lusignolo insu uno albero molto alto, e logo sicuro per lui, 
parlo al villano, e disse: in mala hora per te m’hai lasciato 
andare. Voglio che tu intenda come io ho nel gozo una pretio- 
sissima pietra grossa poco piu duno uovo doca la quäle e diva- 
lore duna citta. La quäle cosa intendendo el vilano con grande 
instanza per molte macchie, e selve cerco di pigliare el lusi¬ 
gnolo, e dopo qualche tempo el lusignolo disse al villano: o 
insensato matto e di nessuno intelletto, partegli havere tenuto 
amente li tre amaestramenti li quali io ti detti, tu mhai havuto 
e non mhai saputo tenere. Se tu se pazo che tu creda chio 
habbi in gozo una pietra maggior dun uovo di occa che e 
maggiore sei volte di me come votu che la mi stia in gozo. 
Lo terzo amaestramento fu che tu non cerclii la cosa impossi- 
bile, havendomi tu preso un’altra volta: e sendoti uscito delle 
mani come credi tu, io me lasci piu pigliare. Tu perdi tempo 
siche stati in hora spagnuola. 

No. 47. Die Erzählung in der Historia del Cavallero 

Cifar'. 

Ed. Michelant, pp. 180 ff. 

Del enxemplo que dio el fisico al rey del capador e de la 

calandria. 

Disen que un capador fue a capar con sus redes e tomo 
una calandria e non mas, e vinose para casa con ella e puso 
mano al cuchillo para la degollar e la comer. E la calandria, 
quando lo vido, dixole: «Ay, amigo, que gran pecado fases en 
me matar; e non ves que non te podras fartar de mi, que en 


18 * 



276 


mi hay poca vianda para tan grand cuerpo como es el tuyo? 
E porende, tengo que farias mejor en me dar de mano e me 
dexar bivir, e yo darte he tres castigos que son muy buenos, 
de que te podras aprovechar, sy bien quisieres usar dellos.» 
Dixo el capador: «Muchon me plase, ca si un buen consejo me 
dieres, yo te dexare e te dare de mano.» — «Pues dote el 
primer consejo», dixo la calandria, que no creas a ninguno 
aquello que vieres e entendieres, que non puede ser verdad. 
El segundo, que non trabajes muchon enpos de la cosa per- 
dida, si tu vieres que la non puedes aver ni cobrar. El ter- 
cero, que non acometas cosa que entiendes que non podras 
acabar. Estos tres consejos, semejantes uno de otro, te do 
por el uno que me demandaste.» Dixole el capador: «Buenos 
consejos me has dado.» E porende solto la calandria, e diole 
de mano e la calandria andando bolando sobre la casa fiel 
capador, fasta que bido que se tornava a capa para yr a capa 
con sus rredes. E ella se fue bolando a par del por el ayre, 
parandole Jnientes sy se acordarie de los consejos que le 
dixiera, e sy usarie bien dellos. E andando el capador por el 
canpo parando sus rredes e Uamando a las aves con sus 
dulces cantos, dixole la calandria que andava bolando por el 
ayre asy: «Ay, mesquino cuytado, e comon fueste enganado de 
mil» — «E quien eres tu?» dixo el capador. — «Yo teso la 
calandria que diste oy de mano por los consejos que te di.» — 
«Non fuy enganado, segud creo,» dixo el. capador, «ca muy buenos 
consejos me diste.» — «Verdad es,» dixo lo calandria, «sy bien 
los aprendiste.» — «Pero», dixo el capador a la calandria, «por- 
que fuy enganado de ty?» — «Yo te lo dire», dixo la calan¬ 
dria. «Si tu supieras la piedra preciosa que yo tengo en mi 
cabepa, que es tan grande comon un huevo de grifo, cierta so 
que non me dieras de mano, ca tu fueras rrico para en siempre 
jamas, sy me la sacaras, ca yo perdiera la fuerpa e la virtud 
que he da fablar; e tu cobraras mayor fuerpa para acabar todo 
lo que quisieras.» — E el capador, quando esto oyo, finco muy 
triste e muy cuytado, pensando que era asi verdad comon 
la calandria lo desie, e andava enpos della por la engafiar otra 
vegada con sus dulces cantos; e la calandria, comon escar- 
mentada, guardavase del e dixole: «Ay, loco, e que mal apren¬ 
diste los consejos que yo te dil» — «Non,» dixo el capador, «ca 
muy bien me acuerdo dellos.» — «Bien puede ser», dixo la 
calandria, «mas non sabes usar dellos, nin los entendiste bien; 



277 


e sy los entendiste, non obras dellos.» — «E comon non», dixo 
el capador. — «Tu sabes muy bien», dixo la calandria, «que el 
primer consejo que yo te di, que fue este: que non quisieses 
creer a ninguno lo que visieses e entendieses que non podrie 
ser.» — «Verdad es», dixo el capador. — «E pues comon», dixo 
la calandria, «puedes tu creer, que en tan pequeno cuerpo, 
comon es este mio, pudiese aver tan gran piedra comon es 
un huevo del grifo? Ca bien puedes tu entender que non es 
cosa de creer nin podrie ser verdad. El segundo consejo que yo 
te di, fue este: que non te trabajes enpos de la cosa perdida, 
sy tu entendieses que la non podries cobrar.» — «Verdad es,» 
dixo el ca^ador. — «E pues, porque te trabajas», dixo la calan¬ 
dria, «de andar enpos de mi? Ca piensas que me tomaras otra 
ves en los lasos con tus dulces cantos? E non sabes tu que de 
los escarmentados sallen los artes? Pues, bien deves tu en¬ 
tender que pues una vegada escape de tus manos, que me 
guardare otra vegada de me poner en tu poder; ca grand 
derechon serie que me matases comon lo queries faser la otra 
vegada, sy de ty non me guardara. El tercero consejo que te 
di fue este que non acometieses cosa que entendieses que 
non podrias acabar.» — «Verdad es», dixo el ca<?ador — «E pues tu 
vees», dixo la calandria, «que yo ando bolando comon quiero 
por el ayre, e tu non puedes sobir a mi, nin lo as poder de 
faser, ca non lo as de natura, non devies acometer de te yr 
enpos de mi, pues que non puedes bolar asy comon yo». — 
Estonce le dixo el ca$ador: «Pues yo non folgare fasta que 
te tome por arte o por sabiduria.» — «Sobervia dises», dixo la 
calandria, «e guardate, ca Dios de alto fase caer a los sober- 
vios.» E el ca$ador, pensando comon podrie bolar para tomar 
la calandria, tomo sus rredes e fuese para la villa; e fuese 
para un trasechador que estava trasechando en la plasa, 
delante de muy grand gente e dixole asy: «Dime, trasechador, 
tu que demuestras uno por al e fases creer a los omes lo que 
non es nin podrie ser, podries faserme a mi que semejase ave, 
e que pudiese bolar?» — «Bien lo podrie faser esso», dixo 
el trasechador; «toma las penolas de las aves e pegälas a ty 
con cera, e finque todo de penolas el cuerpo, e las piernas e 
los bra^os fasta las unas; e sube en una torre muy alta, e 
salta ayuso; e ayudate de las penolas, quanto pudieres.» E 
el cafador fisolo asy, e quando salto de la torre, cuydo bolar 
e non sopo nin pudo, ca non era de su natura, e cayo en 



278 


tierra e murio. E fue gran derechon, ca non quiso creer el 
buen consejo que le dava la calandria, e creyo el mal consejo 
que non podie ser por rrason nin por natura. 

No. 48. Die Parabel im engl. Barlaam des Cod. 

Bodl. 779. 

Ed. 0. Horstmann, Altengl. Legenden, pp. 124/5. 

A boue mon wente atyrae : ond wit his bowe pleyde; 

A lytil brid he cau 3 te, : pat reuelich to hym seyde: 

I bidde pe for py lordes loue : haue mercy on mel 
For lytil good pu schalt winne : pou pat pu me sie; 

Leet me freliche leue : ond in my wey fle, 5 

Ond I pe wole teche anoin : wisdomes pre; 

Ond 3if pu pem holde, : pu schalt pe beter be. 

Do sey, quap pis oper, : ond pu schalt haue lyf of me. — 

Ne leue pu neuer alle pin 3 : pat pu my 3 t here, 

For men lyep oft moche; : whan pey speke I fere; 10 

Ne sorwe pu nou3t to sore : for ping pat is lore, 

3if it ne may be found; : ne sorw pu nou 3 t per fore; 

Ne desire pu neuer pat pin 3 : pat put my 3 t have nou 3 t, 

For I wis al soche wil : comyp of idil pou 3 t. 

Mafey, quap pis good mon, : sop pu scyst to me. 15 

Ond wit pilke word : pe brid he leet fle. 

Po it was up on hy, : pe brid hym seyd to: 

I wis pu dedist gret foly3e, : po pu leet me go, 

Ffor among my gottes : I have a ryche ston, 

Also gret as an ey 3 , : gret vertu is per on; 20 

Hadde pu me slaue : ond pat ston take, 

Euere pu haddist be ryche : for pe stones sake; 

But for pu hast pe ston lore, : I wis pu hast mys do. 

Po pe mon pis herd, : sykir hym was ful wo, 

Ond for pe lore [sic] of pis ston : he gan to syke sore, 25 

Ond pou 3 te how 3 he my 3 te : pe brid cacche more. 

Brid, he seyde, cum to me, : ond, whil pu art alyue, 

I wole pe finde at py nede; : at hom wit my wyue; 

A feyr cage I ^ville make : for pe loue of pe, 

Ond in joy ond in myrp : per in pu schalt be; 

Moche pu schalt her after : haue py wille; 

Ne be pu nopin3 a drad : pat me [sic] schal pe spille! 

Fforp fley pis lyte brid, : ond nold ,no leng abyde. 


30 




«tlio Uri?, • ; T'j-' %'/& 

. ■ • • 

Herköiii; no\y how : umi I w olle teUe, 

Beter <:$>. .halte pari tveclte/lsiej, ; 6mi go, j»f {ui schult keyte, 

pan üwalle. 

A 3 Um, so gter m an oy, : how ihyjs, tu my wumbe hev 
Al my lu.xi.v is DOUjt stT tfrot.' ; ase och i'uuu üuty s?*. 40 

Pu solo ( l'or I n h.iun pät, pOU TJt* iO V3< CöJÄ® jXM’ tWÖ [sfc], 

For 1 |>e stigge .pu he schult : baue -me ubum-A au*. 

W41 1 tm syl ;Sory, ; for pu me hast lote; 

l-n \iost, per Vjf • 1 for boue i.f pe bu fore. 


JV*. l:j Dk Parabel im englische'!* Barhuim än Qod 

'■kak-' k Pb k. • Vwn&n. ' •: k' 

■ 



yVha;j.r . ’iiti h»ub : ■'& 

f?K ßvi'i s&idf. I.'io/jVih} % jjeyu.. ’J-V 

hA mou . prg('y.-|e }»@j 

Paul) pai jjOti . sic sj.ou Tue. 

W i p ni.e pb % ifevi|t tiAtv.' ; ? y''•. ■;' • 

Perfore $rf pou u-ohiust: tv'if» git<i wÜJft U) 

Lete me gn* hm fone lyoe. 

Prpq 

Ami 3 if.pt! 'fce|8R hem .. ;> •. 

Pqu 6 phait lyhO« .. i'ji hewi .grotir ■ fei '.. ;• •;. . j. / . 

Hi' was a forq . uf ppj sprehe- ' i.ü 

BiJ.j pi' pal, ßii-.l . iiilu M ; ob<e teohe 

Oe . .behütte ihre , ribi fei ... ■ 

& Hr liirr ife. ' !■>!• Buet- nu*. 



i>c* » Ui jliU% JCr U.WR , • 

Ke -sja. 1 be fäufid« -.-sirfre w*U3t ptip Itibe- 
A «von}, paf, is . noujf >.o Ubeeite ; 


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Credence perto . loke pou ne ne 3eue 
Kep peos preo pinges . eueridel 
And euermore . pe schal be wel. 

Pe Archer penne . as he behiht 
Let pe Brid . haue hire fliht. 

Pe Nihtingale fleyh . a boute faste 
And to pe Archer . seide atte laste 
Wo is pe . Mon : 3if pou hit wost 
Uvel counseil. hap mad pe lost 
A gret tresur . sikerly. 

Ffor per is . in my body. 

A Margeri ston . in god fey 
Grettor pen . an Ostriches ei3. 

Whan pat pe mon . herde pis 
Sori i nouh . he was i wis. 

Pat he hedde leten . hire go so 
And hire to take . he peyned him po 
Brid he seide . loke pou ne lete 
Cum to myn hous . and fet pe mete 
And per schaltou haue . ri3t inouh 
And ben lete go . wip outen wouh. 

Pen seide to him . pe Nihtingal. 

Ich wot pou art . a fool at al 
Ffor of al pat euere . i pe tauht 
I seo hit profytep . pe riht nauht. 

Nou for me . pat pou hast lost. 

Pou art sori. wel pou wost. 

And pou art aboute . to cacche me 
And wost riht wel. hit nil not be. 

Pou wenest also . in good fey3 
Pat a Margeri ston . as an Ostriches ey3 
Wip innef my bodi. beo iset 
Whon al my bodi . nis not so gret. 

No. 50. Die Parabel (im engl. Barlaam des Cod. 

Harl. 4196. 

Ed. C. Horstmann, Altengl. Legenden, pp. 232 ff. 

Unto a foater so it betyd: 

O mang his gamin he toke a brid. 

And als he walde pe brid haue slone 



Pe brid spak and said onone: 

Yt helpes pe noght to haue me ded, 

And my lif may stand pe in stede; 

I am not worth pi wombe to fill, 

And wit can I lere pe, yf pou will. 

Pe forster said: pat walde I fayne. 

And pan pe brid answerde ogaine: 

Gyf me laue to lyght on 3on tre, 

And I sali pe thece wisdomes thre. 

I>e forster said pan: er tow sleghe! 

On pat forwarde he lete him fleghe. 

On pe tre pan sat pe nyghtgale, 

To pe forster he tolde pis tale, 

I>at es contened here in two vers, 

And sepin in ynglys to rehers; 

Non pro amissis doleas nec omne quod audis 
Credas nec cupias id quod habere nequis: 
Man, murn pau noght on evyn ne morn 
For ping pou wate pat pou haues lorn; 

Ne trow noght all pat pou heres say; 

Ne 3ern noght pat pou noght get may. 

And yf pou pink wele on pir thre, 

Oft tymes pe may pe better be. 

Pe foster held him full wele payd. 

Bot pan pe brid more to him said: 

Man, and pou wist what pou has lorn, 

Pou walde noping be fain per forn, 

Pat pou walde lat me go so tyte: 

In my wombe es a margarite, 

A precius stone, and it es more 
Pan es a gripe egg; and perfore 
A grete los has pou lost pis day. 

Pan pe forster to him seif gan say: 

Walde god I had pe here o gainel 
And to take it he did his paine, 

And said: walde pau cum me untill, 

Pou solde wende at pine awin will, 

I sali do all pat pou will bid. 

And on pis wise answerde pe brid: 

Pou ert a fole, pat se I wele: 

My wisdomes prophetes pe no dele: 



282 


Pou 3ernes me pat pou may noght gete, 45 

And trows I haue a stone so grete, 

When al my body es noght to se 
So grete als half an egg solde be; 

Pou murnes for I am went pe fro, 

All my thre wisdoms loses pou so, 50 

And in pi wit pou ert bygilde. 

No. 51. Die Parabel im altnorwegischen Barlaam. 

Udg. af R. Keyser og C. R. Unger, p. 39. 

Einn veiöimaör tok einn fugll meö list. Pann er heitir 
filomena a latino. en a norreno heitir susvort. sumir kalla oc 
niktingalo. Oc pa er hann haföe tekit fuglinn. Pa villddi hann 
drepa fuglinn ok eta hann siöan. Oc er swa sagt, at fuglinn 
mxllte viör hann pessom oröom. Pv maör. huat gagne xtlar pv 
per in minum dauöa vera. enga magfylli matt pu per af mer 
gera. En ef pu villt frelsi geva mer. Pa skal ec kenna per 
pau priu raö. er per skolu vera til nytsemdar alla pina daga 
oc til mykyllar gipttu. ef pu kant til at gixta. Nu sem hann 
hoeyröi huat er fuglinn sagöe. pa varö honom annars hugar 
viör oc sagöe at hann skylldi geva honom gott frelsi. en 

hann sagöe honom nokkora nya luti sannlega. Fuglinn sagöe 
honom. Stunnda alldri a pat. at pu meger pvi na er pu matt 
alldrigi fa. Syrg oc alldri eptir pui sem pu tapar oc er von*, 
laust at pu faer. Tru oc alldri pvi er umattolegt er at weröa 
mege. En ef pu kantt pesse priu raö i henndi at hava. Pa 
skal per mykyt gagn af \standda. Oc firir pvi mannenom 
hugnaöe val orö fuglsins. pa loeysti hann fuglinn oc let i brott 
fara. Siöan villdi fuglinn roeyna, ef hann heföi nokkora 
nytsemd af hans raöom tekit. Sem hann sat upp i viöinum 
laus, pa mxllte hann til veiöimannzens. pu vesall. syrg nu 
illt raö er pu tokt af iamgoöo efni sem pu haföir. at pu 

tynddir oc tapaöer sva fagrum feng oc gixtter eigi. pa er 

per var gevin. Ec hevi i kuiöi mer einn mykynn gimstein 

mxtan oc agixtan. meiri at vexti en gambrs egg. Nu varÖ 
veiöimaörenn viör pesse orö goeysi uglaör. oc iöraöezt miok 
at hann haföe fuglinn sua bratt lausan latet. oc villdi nu 
freista ef hann mxtte fa natt honom annat sinni. oc mxllte 
til hans. Fylg mer heim til herbyrgis mins. oc skal ec per 
par scemelega fagna oc meö ollum goövilia geva per loeyvi 



283 


brott at fara. pa suaraöe fuglinn. Nu finn ec pik sannlega 
fol vera oc fullkomet fifl. pvi at pat raö er ec kennöa per. 
Pa kunnir pu vist eigi at nyta. oc tokt pu po glaölega viör. 
Ec reö per pat hitt fyrsta raö. at pu skylldir alldrigi syrgia 
eptir pvi er pu matter eigi fa. Pat reö ec per anuat |raö. 
at pu skylldir eigi fysazt eöa freista at fa pa luti er per vxre 
umattoleger. Oc leitaöer pu nu pegar viör at taka mik. Oc 
mattu meö engo mote fliuga i loppte sem ec. Sua reö ec per 
oc at pu skylldir enggan trunaö a pa luti leggia er allzkostar 
eru untruleger. Oc matt pu nu pegar markka. er ec laug at per 
pa pruöir pu mer. er ec sagöa per at ec haföa in mer pann 
gimstein er alla vega er meiri en ec. Huerssu myndda ec pat 
mega. hylia sua mykynn stein, er ec em allzskostar sialfr 
minni. 


No. 52. Die Parabel im altschwedischen Barlaam. 

Ed. G. E. Klemming, pp. 33/34. 

Mik sagdhe een mykit wiis man at affgudha dyrkara lik- 
nas vidh en skytta huilkin som fik en litin fughel som kallas 
naktergala. han drogh sin kniff viliande fughlin dräpa oc 
redha han sik til mat, gudh gaff fuglenom maal oc han taladhe 
swa til mannin hwat fromar th3 thic at thu dräper mik ey for- 
magh min litle kropper fylla thin bwk oc släkkia thin hunger, 
Slep mic häldir lösan jak vil thic thry god radh känna, gömir 
thu thom, tha faar thu aff thom ä mädhan thu lifuir nytto 
oc froma, mannin vardh mykit undrande at fughlin taladhe oc 
lofwadhe han sleppa om han hanom nokot nyyt vilde berätta, 
Fughlin sagdhe stat aldri äpte at gripa th th3 som ogripelikit 
är, Sörgh äkke äpter th3 thing thu hauir fortappat oc thu kant 
aldri meer atir fa. Oc tro aldri nokontidh th3 som otrolikit är, 
göm thänna thry radh 1 tha faar thu gaghn oc froma ther aff, 
tha fät mannin flygha fughlin, han flögh upp i wädhrit oc 
vilde wtröna om mannin hafdhe thänna ordhana dygd forstan- 
dit oc nokot gaghn aff hans ordhum fangit Oc taladhe til 
hans oc sagdhe O thu folsker dare hwat ondo radhe tok thu 
i dagh o hwat ärlighe hawo thu miste i minom quidh ligger 
een dyyr steen större än et strwz äg hafdhe thu han tha 
wurdhe thu aldri arm, tha mannin Ü13 hördhe, wardh han dröf- 
dher oc angradhe at han fughlin släpte oc widhir frestadhe 



284 


m3 alle mact fughlin atirgripa oc trodhe th3 vara sant han 

sagdhe, The straffadhe fughlin han sighiande, Nu forstar jak 

visselika at thu äst en armber dare, Jak lärdhe thic thry 
radh oc inktc thera hauer thu haldit, jak sagdhe thic at thu 
skulde aldri astunda at gripa th3 thing ogripelikit wäre nu 
löper thu äpter mik oc vilt mic gripa som thic är omöghelighit 
mädhan thu kant äkke minom vägh fölghia, jak sagdhe thic 
oc at thu skulde ey sörghia obötelighan skadha, Oc thu dröfnis 
nu at thu hauer mic mist oc kant mik aldri atirfa, Jak badh 
thic oc ingalund tro th3 som otrolighit är, än nu tror thu at 
i minom quidh ligger en dyr sten större äu et stru 3 äg, Oc thu 
vsal kant ey undirsta, at aldir min licame är ey när swa stör 

som et strud3 äg, huru kan tha swa stör steen lykkias i 

minom qwidh. 


JS'o. 53. Die Parabel in der lat. Barlaamüber Setzung 

des Billius. 

Ausgabe Köln-Antwerpen, p. 98 (cap. X). 

Aiebat enim simulacrorum cultores aucupi similes esse, 
qui cum lusciniam, perexiguam aviculam, cepisset gladiumque 
arripuisset, ut eam iugularet, ac comederet, ea, concessa sibi 
articulata voce, ad aucupem dixit: Quidnam, o homo, ex mea 
nece ad te utilitatis rediturum est? Neque enim per me ven- 
trem tuum explere poteris. At si me vinculis liberaveris, tria 
praecepta tibi tradam: quibus si parueris, magnis per omnem 
vitam commodis afficieris. Ille autem ex ipsius sermone ad- 
miratione commotus, sese facturum recepit, ut si novum ali- 
quid ab ea audiret, statim eam libertate donaret, ac missam 
faceret. Conversa itaque luscinia, homini ait: Numquam rem, 
quam consequi nequeas, aggredere. Numquam rei praeterite^ 
te peniteat. Rei incredibili) numquam fidem adhibe. Hec tria 
mandata serva et praeclare tecum agetur. Ille autem horum 
verborum sagacitatem ac prudentiam admiratus, eam vinculis 
solutam in aerem emisit. Luscinia itaque periculum facere 
cupiens, an ille verborum eorum, que, audierat, vim intellexisset, 
atque aliquam ex ipsis' utilitatem percepisset, per aerem voli- 
tans, ad eum dixit: Proh, quam nihil est in te consilii, o homo! 
qualem thesaurum hodie amisisti I Est siquidem in meis vis- 
■ceribus unio, struthionis ovum magnitudine excedens. Quae 



285 


ut ille audivit, moerore conturbatus est: eumque poenituit quod 
luBcinia ex ipsius manibus effugisset. Atque eam rursum arri- 
pere tentäns, dixit: Veni quaeso in aedes meas: atque ubi prae- 
clare et humaniter a me accepta fueris, honorifice te dimit- 
tarn. Luscinia autem ipsi dixit: Nunc plane te stolidum ac 
vcecordem esse scio. Nam posteaquam ea, quae ad te dicta 
sunt, prompto animo excepisti, ac libenter audiisti, nihi l ex 
eis lemolumenti consecutus es. Admonui enim te, ne ob rem 
preteritam poenitentia ducereris: et ecce moerore conturbatus 
es, propterea quod e manibus tuis fuga me subduxerim, peni- 
tentia videlicet ob rem praeteritam affectus. Precepi tibi, 
ne ea, quae assequi non posses, aggredereris: et tarnen arripere 
me conaris, cum iter meum assequi nequeas. Ad haec id quoque 
tibi dixi ne incredibili sermoni fidem arrogares: et tarnen in 
visceribus meis unionem, staturae meae modum excedentem 
inesse credidisti: neque tantulum tibi prudentiae fuit, ut intel- 
legeres me totam ad ovi struthionis magnitudinem minime 
aocedere. Quonam itaque pacto tantum unionem corpuseulum 
i8tud caperet? 

ZVo. 54. Die Erzählung in der Fabelsammlung des 

Armeniers Vartan. 

Choix de Fables de Vartan, pp. 27, 29. 

Le Renard et le Moineau. 

Le renard tenait un moineau dans sa gueule et voulait 
le manger, quand celui-ci lui dit: II laut que d’abord tu rendes 
gräces ä Dieu, et puis tu me mangeras, car c’est le moment, 
oü je vais pondre un oeuf semblable ä celui d’une autruche. 
C’est un oeuf impayable, mais laisse-moi, pour que je te le 
ponde, et apres mange-moia je te jure que je viendrai ä ta 
volontA Comme le renard le laissa, il s’envola et se plapa sur 
une brauche d’arbre trös-61ev6e. Le renard lui dit alors: Eh 
bienl fais ä präsent ce que tu as d6cid6, et viens comme 
je te le däsire. Crois-tu que je sois un insensö comme toi, 
lui dit alors le moineau, pour que je revienne quand tu le 
dtoires? Pourquoi m’as-tu pu croire, et t’imaginer qu’un aussi 
petit corps püt pondre une teile perle, quand avec tout mon 
corps je ne puis lAgaler. Ecoute donc le conseil que je te 
donne: n’ajoute plus foi ä des paroles extravagantes, et ne 


S 



286 


dors pars aupres d’une muraille chancelante. Le renard lui 
repondit: Dieu te jugera puisque tu m’as trompe. II est 
des mensonges qui sont louables, röpliqua le moineau; Dieu 
donne de grandes recompenses pour le mensonge qui pre- 
serve de la mort ou du danger, ou qui sauvent les autres 
hommes. Le renard se cacha alors tout aupres et se mit ä 
grimper pour saisir le moineau; mais celui-ci lui lanpa de sa 
fiente aux yeux, en lui disant: 0 insensö! öcoute cet autre 
eonseil que je te donne: ne tente pas d’arriver oü tu ne peux 
pas parvenir, et dans les demeles entre mari et femme, ou 
entre les fröres, ne dis aucune parole indiscrete, pour ne pas 
rougir ensuite. 

No. 55. Die Parabel im Kitäb Balauhar wa-Bü^äsaf. 

Übersetzung des arab. Textes pp. 85/86. 

Es sprach Balauhar: Es war ein Mann in der ersten Zeit, 
der hatte einen Garten, den er bebaute und beaufsichtigte. Und 
als er einmal so tat, da sah er in seinem Garten einen Sper¬ 
ling, der auf einem Baum des Gartens saß und dessen Frucht 
zerpickte und verdarb. Dies ärgerte ihn, und er stellte dem 
Sperling eine Falle und fing ihn. 

Aber als er sich anschickte ihn zu schlachten, da öffnete 
der Sperling seinen Mund zu einer Rede und sprach zum Herrn 
des Gartens: „Ich sehe, daß du mich schlachten willst, aber 
es ist doch an mir nichts was deinen Hunger stillen oder 
dich von einer Krankheit kurieren könnte. Möchtest du nicht 
lieber etwas Besseres tun als das, was du vorhast?“ Der 
Mann fragte ihn: „Und was ist dies?“ Der Sperling ant¬ 
wortete: „Laß mich los, und ich will dich drei Worte lehren, 
die, wenn du sie beherzigtest, für dich besser wären als alles 
Hab und Gut.“ Der Mann fragte: „Und welches sind eie?“ 
Der Sperling sagte: „Schwöre mir, daß du mich meines Weges 
ziehen lässestl" Und jener tat es. 

Da sprach der Sperling zu ihm: „Präge dir ein, was 
ich dir sagen werde I Verzweifle nicht über etwas, was du 
verloren hastL Glaube nicht, was nicht möglich istl Strebe 
nicht nach etwas, was du nicht erreichen kannst I“ 

Als der Sperling diese Worte beendigt hatte, ließ ihn 
der Mann seines Weges ziehen, worauf der Sperling sich auf 
’rgend einen Ast im Garten setzte. 



287 


Darauf sprach er zum Manne: „Wenn du wüßtest, was du 
an mir verloren hast, so würdest du auch wissen, daß du 
etwas Großes verloren ,hast." Der Mann fragte: „Und was 
ist dies?“ Der Vogel antwortete: „Wenn du nämlich deine 
Absicht mich zu schlachten (an mir) ausgeführt hättest, dann 
würdest du aus meinem Magen eine Perle zum Vorschein ge¬ 
bracht haben, so groß wie ein Gänseei. Du hättest durch sie 
Reichtum für dein ganzes Leben erlangt und [niemals] Leid 
gehabt.“ 

Da sprach er zum Sperling, um ihn zu täuschen und zu 
fangen: „Laß das Vergangene ruhen! Kehre zurück zu mei¬ 
nem Hause, und ich will dir die Gesellschaft versüßen und 
dich in Ehren halten.“ 

Da sagte der Sperling: „Ich sehe, du Tor, daß du mich 
nicht festhieltest, als du dich meiner bemächtigt hattest. Eben¬ 
sowenig hast du aus den Worten Nutzen gezogen, welche ich 
dich lehrte und um derentwillen du mich selbst von dir gabst. 
Trug ich dir nicht auf, nicht zu verzweifeln über das, was du 
verloren, nicht zu glauben, was nicht möglich ist und nicht 
zu istreben nach dem, was du nicht erreichen kannst? Du 
aber grämst dich über meinen Verlust, und strebst darnach 
mich zur Rückkehr zu bewegen, was dir jedoch nicht gelingen 
wird, und glaubst, daß in meinem Magen eine Perle ist, so 
groß wie ein Gänseei. Aber das Ei einer Gans ist doch größer 
als alles, was an mir ist!“ 

No. 56. Die Parabel in dom arabischen Barlaam-Auszug. 

The Journal of the Royal Asiatic Society, pp. 148/9. 

The Sparrow and the Fowler. 

The ascetic said: ‘It is recorded that a certain man had 
Charge of a garden. When he entered it on the customary day 
he had appointed for the purpose, he beheld a sparrow per- 
ched on a tree, the fruit of which it was plundering. He 
therefore set a snare for it, captured it, and when he was 
about to slay it, the bird said: ‘There is nothing in me to 
satiate thee. Wouldst thou prefer to do something better than 
what thou intendest?’ He asked: ‘And what is it?’ The spar¬ 
row replied: ‘Let me go my way, and I shall teach thee three 
maxims, which, if thou rememberest them, will be better for 
thee than all thou possessest.’ The man said: ‘I agree; then 



288 


inform me of them.’ It said: ‘[Not] tili thou swearest to set me 
[first] at liberty.’ He accordingly did so. 

It then said: ‘Do not fall into despair for what thou hast 
lost; seek not what thou canst not attain; and do not believe 
in ,[a thing] which! will not be.’ 

Then he let go the bird, which flew away, perched on a 
branch, and said to the man: ‘If thou hadst known. what thou 
hast lost in me, thou wouldst be aware that thou hast been 
deprived of a great thing.’ He asked: ‘What is it?’ It replied: 
‘If thou hadst slain me, thou wouldst have found in my gizzard 
a pearl like a goose egg, and wouldst have enjoyed [much 
pleasure for] the price of it all thy life.’ 

When the man heard this, he repented of having set it 
free, and in order to decoy it, spoke as follows: 'Let bygones 
be bygones, remain in my Company, and do not abandon thy 
place, because we are under obligations to each other.’ 

The sparrow then said: ‘0 fool! I see thou hast not 
remembered the [three] maxims, and hast not retained me 
when I feil into thy hands; for now thou grievest on account 
of having lost me, and wantest my re turn, which thou canst 
not attain; and thou [also] believest in [a thing] which cannot 
be, because my {gizzard is the smallest [part] of what is in 
me, whereas the egg [of a goose] is greater than me.’ 

No. 57. Die Parabel in Meiseis Übersetzung des he¬ 
bräischen Barlaam. 

Prinz und Derwisch (Pest 1860 2 ) pp. 234 ff. 

Die Mär vom Gärtner und vom Vögelein. 

Motto: Wer alles glaubt, was er vernommen, 
Ist um das Seine schnell gekommen. 

Es hatte einst an seinem Hause einen Garten 

Ein schlichter Mann, und nun beschäftigt sein zu warten, 

Hat er ein muntres Vögelein erblickt, 

Das auf den Bäumen ihm die Frucht zerpickt. 

Der Gärtner wird darüber gar sehr bös, 5 

Legt klug die Schlinge aus und fanget es. 

Im Zorne nun einmal, dem angefachten, 

Holt er ein Messer schnell und will es schlachten. 

Das Vöglein aber öffnet fein den Mund 

Und macht im Liede klagend kund: 10 



289 


„O wehe, daß die Erdensöhne 
Des Vogels Lieder nicht verstehn. 

Und daß solch geisterfüllte Töne 
Der Menschheit ganz verloren gehn. 

O sieh, wenn alle sich verstünden 16 

Auf meines Liedes tiefen Sinn, 

Sie ließen nimmer ihn entschwinden. 

Kein. Laut ging’ ungenützt dahin. 

So aber müssen herbe Wehen 

Wie mir so euch fortwährend nahn, 20 

Müßt immer weiter ihr euch sehen 
Entfernet von der Heiles-Bahn. 

Glaub’ nicht, daß mir vorm Tode bange, 

Ich hab’ an dich nur dies Gesuch, 

Daß du den Text zu meinem Sange 25 

Verzeichnen möohtest in ein Buch!“ 

Der Gärtner fragt, als er das Lied gehört: 

„Wer hat dich denn so klar verstehn gelehrt 
Gedanken, die der Mund nicht offenbart, 

Und sprechen auch in so geläuf’ger Art?“ 30 

Das Vöglein spricht: „Ich dachte nicht, daß du begriffen 
So klar, was ich nach Vogelart gepfiffen; 

Nun bin ich froh und seh’, daß jeder Wissenschaft 
Gott ihre Förderer und Liebhaber verschafft. 

Nun sieh! Ich kenne wohl dein Trachten, 36 

Es zielt dahin mich nunmehr abzuschlachten. 

Das wäre aber dumm, denn ich bin hager, 

Und noch dazu durch Hunger dünn und mager; 

Mein Fleisch gibt Kraft nicht, wenn du matt, 

Und macht dich, wenn du hungerig, nicht satt. 40 

Doch könntest du die Gier und Bache überwinden, 

So möcht’ ich einen Bat, der köstlich ist, dir künden.“ 

Auf seine Frage drauf fährt so das Vöglein fort: 

„Wenn du mir schwörst beim Himmelshort, 

Daß du mich dann dem Tod nicht weihst, 45 

Und außerdem auch aus der Schling’ befreist. 

Dann künd’ ich dir, was du begehrt.“ 

Der Gärtner kann nicht widerstehn und schwört. 

Das Vöglein spricht: „Du mußt verschlossen tragen 
Im Herzen tief, was ich dir hab’ zu sagen. 60 

Es gibt im Leben nichts, an Werte reich, 

Ty roll er, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 


19 



290 


Auch Gold nicht, meinen weisen Worten gleich. 

Sie werden dich in jeglicher Gefahr beschützen. 

In jedem Zustande dir reichlich nützen. 

Von unsrem Urahn stammen sie, der war 55 

Berühmt schon als bewährt vor tausend Jahr, 

Wir hegten sie getreu in unsrem Bund 
Und pflanzen rein sie fort von Mund zu Mund. 

Ich bin als letzter Sproß nur noch am Leben, 

Und hab’ als teures Erbgut sie zu geben 60 

Dem ältesten und würdigsten der Weisen 
Aus unsres alten Hauses weiten Kreisen.“ 

„Wenn das so wahr, warum wardst du umgarnt, 

Und nicht durch sie vor der Gefahr gewarnt?“ 

„Das künd’ ich dir genau. Die Weisen lehren: 65 

Es ist umsonst sich gegen den Beschluß zu wehren, 

Den das Geschick für irgendwen gefasset hat, 

Und nützt dagegen weder Rat noch Tat. 

Das Schicksal hat beschlossen mich in Haft zu bringen, 

Und mußt’ ich unbedingt geraten in die Schlingen. 70 

Doch wären meine Worte nicht gewesen 
An Wert so groß, an Wirkung auserlesen, 

So war ich schon dem Tode preisgegeben: 

Denn ihretwegen gabst du mir das Leben. 

Du wolltest nicht, wie’n Freund der Wissenschaft, 75 

Daß sie der Tod mit mir dahingerafft. 

So siehst du wohl, daß sie von Not und Pein, 

Ja von dem Tode selber auch befrein.“ 

Dem Gärtner schien sich' alles zu bewähren, 

Und brennt er schier, die Worte bald zu hören; 80 

Er fleht deshalb: „So öffne deinen Mund 

Und mach’ das Wunder nun der Weisheit kund!“ 

Das Vöglein spricht: „Vernimm des Alten 
So weises Wort, um pünktlich es zu halten. 

Er sprachs, als seiner Kinder große Schar 85 

Um ihn nebst allem Hausgesind versammelt war. 

Und er in feierlichster Stunde seinen Willen 
Zum allerletzten male wollt* enthüllen: 

„Kommt, Freunde, her, ihr Kinder mein und Brüder, 

Und hört mein Wort, das lauter, wahr und bieder. 90 

Geschmeid aus Gold .und edeles Gestein 
Und Purpurkleid kann ich euch nicht verieihn; 



291 


Doch Weisheit hab’ ich; nehmt sie willig hin, 

Denn köstlicher als Perlen ist doch ihr «Gewinn. 

Die Könige der Erde und die Fürsten pflegen, 95 

Weil sie so reich an Macht sind und Vermögen, 

Auf ihre Nachkommen bei ihrem Sterben 
Der Güter Überfülle zu vererben, 

Ja, ganze Städte, groß und reich und feste, 

Paläste, Schätze, die gefüllt aufs beste, 100 

Mit Silber, Edelsteinen und mit Gold, 

Mit Gegenständen, reich an Wert und hold. 

Auch andre Menschen reisen, gehn und ziehn 
Im Schweiße, mit Gefahrn und Mühn, 

Zu hinterlassen ihrem Hause Segen, 105 

Je nach der Kraft, an Gütern und Vermögen. 

Bei mir ists also nicht; ich hab’ von meinem Streben 
Euch mehr nicht als drei Worte nur zu geben. 

Doch ist kein König reich genug in aller Welt, 

Gibts keinen Schatz, der soviel Gold enthält, 110 

Um die drei kleinen Worte zu bezahlen, 

Weil sie an Pracht und Helle alles überstrahlen. 

Wollt ihr euch ihnen gläubig ganz erschließen, 

So werdet ihr des Heiles viel genießen; 

Und haltet ihr mit diesen Worten Frieden, 115 

So wird euch seinerzeit das Glück beschieden; 

Es tut Geduld nur not; denn Arzeneien, 117 

Die uns vom Schmerz der Krankheiten befreien, 

Bewähren ihre Wirkung auch erst mit der Zeit 

Und fordern auch Diät und Wachsamkeit. 120 

Drum neigt das Ohr und hört aufmerksam zu. 

Es bringt euch Frieden stets in Seelenruh. 

Mein Großvater hat mich darin belehrt,. 

Wie er vom Ahnherren es selbst gehört: 

In einem Kasten, der mit Büchern beschwert, 125 

Und der dem alten Seher Sem einst angehört, 

Soll eine Smaragdtafel man gefunden haben. 

In der, wie folgt, die Worte waren eingegraben: 

„Mein Sohnl Laß dich vom Unersetzlichen nicht kränken! 
„Mein Sohnl Laß dich zu Unerreichbarem nicht lenken! 130 
„Mein Sohn! Unmöglichem mußt du nicht Glauben schenken!“ 
Und diesen Worten kann an Wert nichts gleichen; 

Kein Mittel gibts je Bessres zu erreichen. 


19 * 



292 


Und sollt’ der Wert sich jetzt dir nicht erschließen. 

Er wirds, bevor noch'Tage dir verfließen I“ 135 

Der Gärtner hörts, und glaubt, daß Großes er erreicht; 

Auch fühlt er sich’ von Mitleid ganz erweicht, 

Drum hält er seinen Schwur nach Pflicht 
Und schlachtet so das kluge Voglein nicht; 

Ja folgt dem Worte gleich so pünktlich treu, ' 140 

Daß er das arme Tier auch lässet frei. 

Das Vöglein rührt behende seine Schwingen, 

Es flieget auf mit hellem, heitren Singen. 

Nachdem es Platz gefunden auf dem hohen Ast, 

Beginnet es sein Liedlein so in Hast: 145 

„Laßt, Preunde, euch nur vor dem Klugen warnen, 

Er hat Verstand, und leicht beherrscht er euch, 

Ein Leichtes ists, den Narren zu umgarnen. 

Sagt, was ihr immer wollt, er glaubt es gleich.“ 

Und rief: „O Tor, wie du doch vorschnell bistl 150 

Denn, wüßtest du, was du nun eingebüßt. 

Du fülltest alle deine Lebenstage 
Mit Seufzern an und bittrer Klage.“ 

„Wie so?“ fragt-er. Es spricht: „Wenn du geschlachtet 
Mich damals gleich, wie dus für gut erachtet, 155 

So wär’ ein unschätzbarer Edelstein, 

Der mir im Magen liegt, schon lange dein, 

So groß, wie’n Ei von einem Strauß, 

Und du wärst reich wie keiner, überaus.“ 

Der Gärtner hört es kaum und stürzt vor Schmerz 160 

Und Weh ob dem Verlust fast erdenwärts. 

Doch er ermannet sich und spricht: „O Vögelein, 1 

Kehr’ um zu mir; ich hüt’ dich wie des Auges Schein, 

Will hegen dich und* pflegen zärtlich-lind, 

Wie’n Vater sein geliebtes Kindl“ . 165 

Er dachte so es schmeichelnd zu betören; 

Das Vöglein aber, klüger, ließ sich hören: 

„O Schande euch! Ihr habt der Augen Licht, 

Euch ist ein Herz und auch Verstand beschert. 

Und doch erfasset ihr die Wahrheit nicht; 170 

Drum ach und wehe dem, der euch belehrt! 

Beneidenswert ist der, des Wort ergeht 
An solchen Hörer nur, der es versteht! 

Du Tor, ich seh’ in deiner ersten Tat 



293 


Dich schon vernachlässigen meinen Rat, 175 

Und wird dir fürder auch nicht frommen 
Die weise Lehre, die du hier vernommen. 

Ich sprach: ‘Dich soll das Unersetzliche nicht kränken, 

Mögst dich zu Unerreichbarem nicht lenken, 

Und dem Unmöglichen nicht Glauben schenken — 180 

Und sieh, du bist bestrebt mich jetzt zu fangen. 

Obgleich du mich nicht kannst erlangen. 

Du fühlest ferner unfruchtbares Bangen 
Nach dem, was unrettbar dir doch entgangen, 

Und endlich glaubst du, Tor, sogar, 185 

Was ganz unmöglich ist und warl 
Du glaubtest, daß in meinem Magen sei 
Ein Edelstein, so groß wie’n Straußesei, 

Und das ist größer ja so viele mal 

Als ich und was ich hab’ zumal.“ 19Q 

No. 58. Die Parabel des hebräischen Barlaam nach 
Steinschneiders Übersetzung. 

M. Steinschneider, Manna, pp. 41 —46. 

Der Mann und das Vöglein von Ibn Chisdai. 

Wer alles glaubt — dem wird geraubt — was er zusammengeklaubt. 

Ein Mann ging einst in seinen Garten — um ihn 'zu 
pflegen und zu warten. — Dia sah er ein Vögelein, das die 
Früchte abpflückte, — und stellte ihm ein Netz, worein es 
sich verstrickte, — sein Zorn erwachte, — die Glut der Wut 
nch anfachte; — da öffnet es den Mund und sagte: 

Weh’, daß die Menschen nimmermehr verstehen 
Des Vogels Sprach’ und Wahrheit übersehen. 

O könnt’ ihr Ohr nur meine Wort’ erspähen. 

Auf daß sie nicht verwehen und vergehen I 
Um mich und euch 1 ertönen meine Wehen, 

Daß ihr versäumt den rechten Pfad zu gehen. 

Ich wollte meinen Tod; könnte ich nur sehen, 

Mein Sprüchlein in ein Buch verzeichnet stehen I 
Der Gärtner dies hörte — und sprach: Wer lehrte — dich 
reden und sprechen wie wir, — daß du sprichst so verständlich 
zu mir? — Und das Vögelein spricht: — Ich dachte nicht, — 
daß du meine Worte erspähest, — meine Rede verstehest, — 



294 


doch nun hör’ ich und weiß heut*, — daß der Herr läßt einen 
Rest von jeder Weisheit I — Doch denk* ich, du stellst meinem 
Leben nach, — und ich bin so hager, mein Leib so schmäch¬ 
tig und schwach, — nicht vermag er deine Magerkeit Eu 
fettigen, — deinen Hunger zu sättigen! — Wolltest du d ei * 
nem Gelöste gebieten, — so wüßte ich dir einen besseren 
Rat zu bieten. — 

Da sprach der Gärtner: Und dieser wäre? — Das Vöge¬ 
lein: Zuvor schwöre — beim Allmächtigen mit bedächtigen auf¬ 
richtigen Sinn und Herzen, — mir zu schenken des Todes 
Schmerzen — und mich zu entsenden; — dann will ich mei¬ 
nen Rat dir spenden. — Der Gärtner war bereit es zu hören, 
— den Eid zu schwören, — und das Vöglein begann: — 

Nimm meine Worte an, — präge sie auf deiner Herzens¬ 
tafel ein, — hege und pflege sie in dem Busen dein; — denn 
mit Geld bezahlst du nicht ihren Wert und Schatz, — kein 
Kleinod bietet für sie Ersatz. — So du sie bewahrst, Wer¬ 
den sie dich schützen, — wenn du sie hütest, dir nützen. — 
Es sind Worte, die unvergleichlich, unerreichlich, — erbliche 
Sprüche meines Ahnes, eines Mannes von Gewähr, — die seit 
tausend Jahren her — wurden aufbewahrt und aufgespart, — 
von den Vornehmsten unter meinen Vätern — von Mund zu 
Mund überliefert den Spätem — bis auf mich, den Letzten, 
der nach Pflicht und Recht, — sie übergebe und vererbe 
einem Weisen und Greisen von meinem Geschlecht. — 

Der Gärtner jedoch spricht: — Lügst du anders nicht, — 
wie kommts, daß sie jetzt dich nicht schützen, — und vor 
dem Netz dir nicht nützen? — Da erwiderte das Vögelein: — 
Denk’ an den Spruch des Weisen fein: — Wenn der Ratschluß 
ist gefällt, — so gibts keinen Rat, der ihn aufhält. — Es war 
mein Geschicke, — daß ich mich verstricke; — doch ohne 
diese unschätzbaren unersetzbaren Lehren, um deren willen 
du auf meinen Tod verzichtet, — hättest du mich gerichtet 
und vernichtet. — Doch, daß du sie begehrtest — und eie 
gerne hörtest, — auf daß sie nicht enden — und nicht schwän¬ 
den, — hat dich als Weisen bewogen mich nicht zu töten, — 
und meine Seele entzogen den Todesnöten. — Du siehst also, 
Herr, daß jene allein — mich gerettet in Todespein I — 

Dieses gefiel dem Gärtner, und er glaubte dran —, war 
begierig zu hören, und rief das Vöglein an: — öffne deinen 
Mund — und tue mir kund! — Und das Vöglein begann: — 



295 


Du guter Mann, — vernimm horchsam und sorgsam und folg¬ 
sam zu erfüllen — meines Stammherrn letzten "Willen — 
an seine Söhne und Töchter — und Nachkommen und Ge¬ 
schlechter: 

„Versammelt, Brüder, euch zum Sohne, 

Und horcht dem einsichtsvollen Tone I 
Nicht Geld, Demant und Brilliant, 

Nicht Purpur lass’ ich euch und Throne; 

Doch "Weisheit geb' ich euch bekannt, 

Die teurer ist als Perlenkrone I 

Potentaten und Magnaten, — Wesire und Emire, — geben 
ihren Erben zum Besten <— große Städte und Vesten, — 
Schätze von Geld und Gold und Kleinode — und Geräte aller 
Art bei ihrem Tode. — Und aller andren Leben und Streben, 
Dichten und Trachten, — ist, daß sie den Ihren einen Segen 
vermachten, — ein jeder nach seinen regen Kräften, — nach 
seinen Wegen und Geschäften. — Ich aber kann vor meinem 
Sterben — euch nur drei Sprüche vererben, — die kein Herr 
und Herrscher der Welt — für all sein Geld und Gut er¬ 
hält. — Denn sie sind besser und größer, denn alles dies, — 
und frommeten stets, wer sich darauf verließ. — Sie werden 
euer Erheischen — nimmermehr täuschen, — während jedes 
Mittel vor Tod und Not, — vor Krankheit und Leid, — nur 
durch lange Sorgfältigkeit — und lange hinhält’ge Zeit — 
Bettung verleiht. — So öffnet denn eure Ohren weit, — und 
seid zu hören bereit, — was euch Vorteil beut, — und eure 
Seelen erfreut. — Ich habe vernommen aus meines Ahnes 
frommem Munde, ■— dem von dem Seinen gekommen die 
Kunde: — „Drei Sprüche sind uns geblieben, — auf smaragd- 
ner Tafel geschrieben, — in Sems, des Propheten, Bücher¬ 
kasten, — die folgendes in sich faßten: — Das Unwieder¬ 
bringliche (mag dich nicht kränken! — Ans Unerschwing¬ 
liche magst du nicht denken! — Was unmöglich zu denken, 
— dem sollst du nicht Glauben schenken! — Diese drei ken¬ 
nen für Ihresgleichen keinen Beleg, — ihren Wert zu er¬ 
reichen, gibts nicht Weg und Steg, — und kannst du ihren 
Nutzen auf der Stell’ nicht ergründen: — Du wirst ihren Wert 
genug schnell empfinden!" — 

Als der Gärtner das Vöglein hörte also sprechen, — ge¬ 
währte ihm dies eine Freude, die nicht auszusprechen. — Es 



2£6 


war, als ob er entdeckte einen großen Fund, — das Mitleid 
regte sieb in seines Herzens Grund; — und er hielt den Eid, 

— tat ihm nichts zu leid; — dem Bunde getreu — ließ ers zur 
Stunde frei. — Das Vöglein mit jubelklang — sich auf eines 
Baumes Wipfel schwang — und sang: 

O hütet euch vor dem Verständigen; 

Denn sein Verstand tuts euch zuvor; 

Doch sprechet dreist zum Unverständigen; 

Denn „jeder Märe traut der Tor!“ 

Dann rief es ihm ins Ohr: — Voreiliger Tor, — wenn du 
wüßtest, — was dir entging für Fang; — du büßtest in Trä¬ 
nen dein Lebe lang! — Der Gärtner einwendet: — Was 1 , hab’ 
ich verschwendet? — Das Vöglein: Hättest du mich geschlach¬ 
tet, — wie du erachtet; — du fandst in meinem Wanst und 
nahmst heraus — eine Perle so groß wie ein Ei vom Strauß, 

— und wärest geworden der Reichen einer, — wie vordem noch 
keiner. — Als das Vöglein so gesprochen zum txärtner, r— 
fiel gebrochen zur Erd’ er, —■, erzittert und erbittert - über 
den Schatz, den er zersplittert. — Doch rafft’ er sich auf, — 
und sprach darauf: — O Vöglein voll Güte, komm zurück, -- 
daß ich dich hüte, — wie man auf sein Aug’ achtgibt, —■ 
wie ein Vater, der sein Kind mit Bedacht liebt! — Sprachs 
mit versteckter Tücke, — daß ers berücke und verstricke — 
mit solchem Lug — und falschem Trug. — Das Vöglein aber 
erwiderte klug: 

Weh’ Augbegabten, die nicht sehen, 

Nicht wollen mit Verstand verstehen! 

Weh’ mir, der ich mein Wort verloren, 

Heil dem, der spricht zu offnen Ohren! 

Du Narr — hast fürwahr — meinen Rat nicht genommen in 
Acht — drum hat in der Tat mein Spruch dir kein Frommen 
gebracht. — Hab’ ich dir nicht gesagt: Du sollst nicht ver¬ 
langen das Unerringliche, — nicht bangen ums Unwiederbring¬ 
liche — nicht glaubend empfangen das Undingliche! — Den¬ 
noch suchst du mich zu fangen, — den du nicht kannst er¬ 
langen, — und beklagst, — was du nicht wieder erjagst, — 
und Glauben verliehst, — was nicht zu glauben ist; — denn 
du Iwähnst, in meinem Wanst sei — eine Perle wie ein 
Straußenei, — das mich und noch mehr von meiner Größe 

— gar leicht umschlösse! — 



297 


No. 59. Die Erzählung im Simchäth hannefesch. 

M. Grünbaum, Jüdischdeutsche Chrestomathie, pp. 249—251. 

btsa: Einer hat gehat ein schönen garten un’ ein vogel 
is alle tag kommen un’ hat grossen schaden getan im garten. 
Nun der herr is ihm nach gestanden un’ hat ihm gefangen in 
seiner nez (seinem Netze), un’ in T5"H (im Zorn) hat er den 
Vogel wein rP/ffC. sein (töten). Hat der Vogel zu ihm ange¬ 
fangen zu reden: Ich bin ein klein vegelche, was werstu vor 
ein nutzen haben wennstu mich werst umbrengen? Ich will 
dich was lernen, das wert dir viel zu nutz kommen, an mir 
werstu dich wenig laben un’ werst nit sat wern von mir. Also 
hat er dem vogel leben geiast; der kegen (dagegen) hat der 
vogel ihm gelernt drei erlei Sachen, un’ zu ihm gesagt: Eins 
is du solst dich nit sein (nicht grämen) auf dem allen 

was du verloren hast; das andere is, du solst nit verlangen 
was du nit kannst erlangen; das dritte is, du solst nit glau¬ 
ben was nit kann gesein. Die drei erlei werstu mit der Zeit 
erfarn, was der nutzen dervon is. Nun der herr von dem 
garten hat sich rrausa gewesen (gefreut) als er die dreier¬ 
lei gelernt hat un’ hat dem vogel lassen fliegen. Aso halt is 
der vogel geflogen auf ein hochen bäum un’ hat auf dem 
herrn von garten gerufen: Ei du narr, seltsu (solltest du) 
wissen, was du an mir verloren hast, geherstu dich 
sein drüber alle deine tag. Hat er den vogel gefregt: Was 
hab ich denn an dir verlorn? Hat ihm dor vogel geentfert: 
Hestu mich umgebracht, hestu in mir gefunden ein perl, 
das is grösser als ein gensen ei; denn hestu alle deine tagen 
genügen reichthum gehat. Wie der herr solches gehört hat, 
is er nider gefallen vor schrecken un’ hat stark getrauert; 
doch hat er sich der muntert un’ hat zum vogel gered schmei- 
cheldige red (Schmeichelreden): Komm zu mir ich will dich 
halten wie mein Kind, wie schwarz apfel von mein aug will 
ich dich halten, komm neiert zu mir. Mit solche red hat er 
gemeint den vogel zu sich zu bekommen. Hat der vogel zu 
ihm angefangen: Du grosser narr, hab ich dir nit gelernt, drei 
erlei Sachen solstu nach kommen? Du sollst nit sifzen (seuf¬ 
zen) auf was du verloren hast; du sollst nit verlangen was du 
nit kannst erlangen; du sollst nit glauben was nit sein kann. 
Izund 'bistu alle drei -aiy (übertrittst du alle drei War- 



innigen); du wilst mich wieder haben un’ kannst mich nit 
erlangen; du thust trauern un’ bist dich Tara auf was du 
verlorn hast; du thust glauben, was nit is zu glauben; du 
meinst ich hab ein perl bei mir als ein gensen ei gross? Ein 
gensen pi is noch ein mal so gross als mein ganz leib jun’ 
leben. Nun nem besser in acht die drei erlei Sachen. Das 
Visa steht in -ora TO (Moralbüchern); das bdr is ge¬ 
meint: Der mensch verlangt was er nit kan erlangen; er 
will haben rr r d (Reichthum) un’ verbrengt seine jar drü¬ 
ber un’ kann es nit erlangen; wenn er noch aso viel hat, 
is er nit reich genügen; der mensch sorgt un’ is sich “»ybra, 
wenn er was verliert, was helft es ihm? es is nit zu wenden; 
der mensch tut glauben, was nit zu glauben is; er glaubt 
dem 2 ’T “X', un’ hat in seine gedanken er wert nit ge¬ 
straft, solches is nit zu glauben. Gots straf sein viel . . . wie 
Viel ns*pr (Orte) sein untergangen in erd zitternis, viel 
in wolkenbrust un’ grosse wasser; ein nrü; ein 5 * 5 -> (eine 
Stunde und Secunde) is der mensch nit sicher . . . Doch will 
der mensch sich nit bedenken, das macht myo (unserer 
Sünden willen — leider) alles weil der y-ir “!£■' von jugent 
auf bei ihm überhand hat genommen, geht er seine gewohn- 
heit nach. Treib die katz von feuer kommt sie allemal wie¬ 
der, weil sie aso gewont ist. 


No. 60. Die Erzählung in Tendlau.? Buch ‘Fellmeiers 

Abende'. 

Pag. 147—149. 

Der vergeßliche Schüler. 

Ein Mann besaß einen hübschen Garten, voll wohlriechen¬ 
der Blumen von den schönsten Farben und herrlicher Bäume 
mit den köstlichsten Früchten. Nichts machte dem Manne so 
sehr Freude als sein Garten, auf den er auch die größte Sorg¬ 
falt verwendete, und so oft ein Freund kam, ihn zu besuchen, 
führte er ihn in seinen hübschen Garten und zeigte ihm den¬ 
selben mit einem gewissen Stolze. Da bemerkte der Mann 
eines Tages, daß mehrere Blumen und Blüten zerpflückt und 
viele Früchte angepickt waren, und bald gewahrte er einen 
Vogel, der täglich kam und großen Schaden im Garten an¬ 
richtete. Das verdroß den Herrn des Gartens sehr, und er 



299 


stellte so lange Fallen auf und spannte Netze, bis es ihm 
gelang, den Vogel zu fangen. — 

„Hab’ ^ch dich endlich“, rief er da in seinem Zorne. 
„Du sollst mir deinen Vorwitz mit dem Tode büßen!" — Schon 
wollte er den* Vogel erwürgen, da fing derselbe an zu reden 
und sprach: „Ach, ich bin nur ein winziges Vöglein, was kann 
es dir nützen, wenn du mich umbringst? Mein Fleisch wird 
dich wenig laben, du wirst wahrlich nicht satt an mir. Laß* 
mich am Leben, und ich will dir zum Lohne etwas lehren, 
was dir von großem Nutzen sein kann.“ — 

„Laß’ hören!“ sagte der Herr des Gartens und öffnete 
seine Hand ein wenig, um dem Vogel mehr Luft zu geben. 

„Merk’ auf!“ sagte das Vöglein, „ich will dir drei Lehren 
geben, nimm sie wohl in Acht! Mein erstes Sprüchlein heißt: 
„Seufzen ob geschehnen Dingen 
Kann dir keinen Nutzen bringen.“ 

Gib dich also keinem Kummer hin über etwas, was einmal 
unwiederbringlich verloren ist. — Mein zweites Sprüchlein 
heißt: 

„Torheit ist’s, nach dem zu rennen, 

Was wir nicht erreichen können.“ 

Verlange also nicht, was du nicht erlangen kannst. — Mein 
drittes Sprüchlein endlich heißt: 

„Was als möglich nicht zu denken, 

Dem mußt Glauben du nicht schenken.“ 

Glaube also nicht, was nicht sein kann. — Diese drei Leh¬ 
ren bewahre dir wohl, du wirst mit der Zeit ihren Nutzen 
schon kennen lernen.“ — 

Der Herr des Gartens war mit den drei Lehren zufrieden, 
wiederholte sich die Sprüchlein und ließ dann den Vogel 
fliegen. 

Kaum hatte das Vöglein seine Freiheit wieder, so flog 
es auf einen hohen Baum, und rief dem Manne zu: „Ei, wie 
warst du ein Narr, daß du mich hast fliegen lassen! Wenn 
du wüßtest, was du an mir verloren, so würdest du dich dein 
ganzes Leben lang darüber betrüben.“ — 

„Und was habe ich an dir verloren?“ frug der Herr des 
Gartens. — „Wisse“, sagte das Vöglein, „hättest du mich ge¬ 
tötet, so würdest du eine Perle in meinem Magen gefunden 



300 


haben, größer als ein Gänseei, so daß du dein ganzes Leben 
genug an dem Reichtum gehabt hättest.“ — 

Als der Mann dieses hörte, fiel er fast vor Schrecken nie¬ 
der, und der Verlust der Perle schmerzte ihn sehr. Indessen 
faßte er sich wieder und sprach mit schmeichelnden "Worten 
zum Vogel: „Komm doch herab zu mir, liebes Vögelchen, ich 
will dir gewiß nichts zuleid tun, ich will dich halten wie mein 
Kind, will dich hüten wie meinen Augapfel, komm nur herab 
zu mir!“ — Mit solchen süßen Worten glaubte er den Vogel 
zu bereden sich wieder gefangen nehmen zu lassen. Aber 
das Vöglein rief ihm zu: „Wie bist du doch so töricht, und 
wie leicht vergissest du fast in demselben Augenblick alle 
drei Lehren zugleich, die ich dir gegeben habet — Ich habe 
dir gesagt: „Du sollst keinen Kummer haben über etwas, was 
einmal unwiederbringlich verloren ist“; „du sollst nicht ver¬ 
langen, was du nicht erlangen kannst“, und endlich: „du sollst 
nicht glauben, was nicht sein kann“, und siehe, du über¬ 
trittst alle drei Lehren auf einmal, nachdem du sie kaum 
gehört hast! — Du betrübst dich über etwas, was nun einmal 
verloren ist, verlangst, was du nicht erlangen kannst, und 
glaubst, was nicht sein kann. — Wie kann ich kleines Vögel¬ 
chen eine Perle in meinem Magen haben, so groß wie ein 
Gänseei, ein Gänseei ist größer als mein ganzer Leib ist! — 
Wahrlich, wahrlich, du mußt in Zukunft deine Sprüchlein bes¬ 
ser im Gedächtnis haben!“ 

No. 61. Die Erzählung in der pers. Bearh. des Dschelcu- 
leddin Dschaafer Ben Ferchani. 

Deutsche Übers, bei Hammer. Die schönen Redekünste Persiens, 

p. 222. 

Ein Landmann hatte einen Garten, 

Er pflegte Tulpen drin zu warten, 

Cypressen, Rosen, Oleander, 

Orangen, Äpfel durcheinander; 

Narzissen taumelten vor Lust 5 

Jasminen sinkend an die Brust. 

Von allen Ästen scholl Gesang 
Fortführend den Verstand entlang. 

Das Wasser strömt’ in allen Ecken 

Den Seelen Labung zu entdecken. 10 



301 


Der Herr des Gartens war lebendig, 

Wie Elefanten vielverständig. 

Er ging vorbei am Frühlingshain, 

Da sah er drin ein Vögelein, 

Das streckte Schnabel aus und Klauen 15 

Nach allem, was es konnte schauen. 

Es rafft zusammen, frisch und froh. 

Was immer dalag, reif und roh. 

Der Landmann zornig so auf fährt, 

Daß Glut des Zorns die Welt verzehrt. 20 

Er spannt das Netz, wirft Korn hinein. 

Es ging ins Netz das Vögelein. 

Der Mann gleich einem Diwe sprang, 

Weil, was er wünschte, ihm gelang, 

Warf weg das Netz und zog die Klinge, 25 

Dein letztes Lied, o Vöglein, singe! 

Das Vögelein sprach jämmerlich: 

O guter Mann, Gott hüte dich! 

Was treibt dich denn zu diesem Werke? 

Du mehrst durch mich nicht deine Stärke. 30 

Laß’ ab von dieser blut’gen Tat, 

Ich gebe dir dreifachen Rat: 

Zuerst bekümmre du dich nicht, 

Wenn jemand, was nicht möglich, spricht; 

Fürs zweite mach nicht böses Blut, 35 

Wenn du verloren hast ein Gut; 

Und drittens rat’ ich dir aus Gründen, 

Du suche nicht, was nicht zu finden. 

Willst du nicht Leiden geben Platz, 

So sei dir dieser Rat ein Schatz. 40 

Der Mann wollt’ jetzt großmütig sein, 

Er machte frei das Vögelein. 

Es flog aus seiner Hand vergnügt 
Dem Pfeil gleich, der vom Bogen fliegt; 

Es setzte sich auf einen Ast 45 

Und sprach zum Manne wohlgefaßt: 

Weißt du, was du verloren hast? 

Begraben liegt im Magen mein 
Groß wie ein Ei ein Edelstein. 

Ich seh, dir will nicht das Geschick, 60 

t>u hättest sonst gemacht dein Glück. 



302 


Den Mann die Reue nun ankam, 

Die Freude war verkehrt in Oram. 

Er sinnt auf neuen Trug und List, 

■Weil er nach Gold begierig ist. 65 

Er sprach zum Vogel: Laß’ dies sein. 

Du bist mehr wert als Edelstein, 

Komm, sei mein Gast beim Festgelage, 

Erfrische meines Lebens Tage! 

Du sollst an meinem Herzen ruhn, 60 

Ich will dir ja kein Leid antun. 

Es lacht das Vögelein als Sieger, 

Und spricht: O törichter Betrüger! 

Bevor ich dir geraten gut, 

War unverweigert dir mein Blut. 65 

Da du den Rat von mir vernommen. 

Was soll ich weiter dir noch frommen? 

Riet ich dir nicht aus guten Gründen: 

Du suche nicht, was nicht zu finden? 

Was wolltest du denn meinen Rat, 70 

Wenn er nicht nützet dir zur Tat? 

Wie bärge denn ein Vögelein 
Den eiergroßen Edelstein ? 

Ein Vogel leget Eier frei, 

Was nützt im Magen ihm das Ei? 75 

Hast du bedenket nicht hernach. 

Es ist unmöglich, was ich sprach? 

Und wenn verloren ist das Gut, 

Was machest du dir böses Blut? 

Damit dirs so nicht mag ergehen, 80 

Soll nicht dein Sinn nach Reichtum stehen. 


No. 62. Die Erzählung in der pers. Geschiehtenscumm- 
limg Mahbub gl-Kidüb. 

W. A. Clouston, A Group of Eastern Romances and Stories, 

pp. 448—452. 

The Gardener and the Little Bird. 

It is related that a rieh man in the city of Balkh pos- 
8essed a garden pleasant to behold as the roses on the cheeks 
of fairies, adorned with various fragrant plants, blossoming 



303 


flowers, and fruit-bearing trees. In that garden, a little bird 
took up its abode and amused itself by Casting the fruits, 
wether they were ripe or not, on the ground. AVhenever the 
gardener entered and beheld the damage thus occasioned, the 
bottom of his heart was stung with the thorn of grief, and the 
blooming verdure of the spring of his joy became withered 
by the coid blasts of the autumn of the event. Though he 
rubbed the hands of regret much on each other, he could not 
remedy the evil until he had spread a net in the haunts of 
the bird, which was soon made a prisoner. When the gardener 
discovered his good fortune Jie joyfully leaped from his 
ambush, caught hold of the little bird, intending to despatch 
it to the regions of non-existence. In its extremity the fe.i- 
thered captive thus spoke to the gardener: ‘Ornament of the 
world of intelligence! may the paradise of your good wishes 
always be the recipient of various divine favours! Consider 
that if you destroy me, your loss cannot bo repaired, and 
that he who dies is saved from all the troubles of this world. 
But as I am to be killed for acts which you doem improper, 
the love of life impels me to make a Statement, if you will 
permit me, after which you may do as you clioose; but remem- 
ber htat patience is a vertue of the high-minded, and hasti- 
ness a failing of foolish men 1 ).’ The Gardener, whose wrath 
had somewhat abated during the address of the little bird, 
replied: ‘Before the whirlwind of death blows in the field 
of your life, you are at liberty to say what you desire to say.’ 

The little bird then said: ‘Wise gardener, be aware that 
in the west there is an oasis which my tribe inhabits, but 1 
left my relatives and came to this spot. The pleasantness pf 
this garden attracted me, and for some time I reposed myself 
on the branch of a tree. A nightingale and a lapwing were 
sitting together on the top of a date - tree, and a locust was 
flying towards them which both of them wished to catch. The 
nightingale was fortunate enough to seixe it, but the lapwing 
snatched it from its captor’s beak. Hereon the nightingale said: 
‘O lapwing, are you not ashamed to possess yourself of my 
prey? If you are able, why do you not catch your own game?' 
The lapwing replied: ‘Silence! get the prey is no honour 
but it is so to deprive the hunter of his prey.’ Said the nightin¬ 
gale: ‘This may be true; so I give it up. But, lapwing, I have 
heard the other birds speak a great deal about you, and 



304 


now that we have met, and as your species has in the Ser¬ 
vice of the Lord Sulayman (salutation to our Prophet and to 
him!) enjoyed greater proximity to him than has been the 
lot of any other kinid of birds, I wish to know what gifta 
or rewards you have obtained from him for the account which 
you furnished him of the city of Saba and ‘your help in other 
matters’ 2 ). The lapwing replied: ‘King Sulayman bestowed on 
our species three gifts: (1) Whenever the earth is being dug up 
for water, we are able to teil at what depth it may be found; 
(2) our heads have been adorned with the crest of nobility; 
and (3) we are acquainted with the qualities of fruits, and 
know that this year the garden in which we are at present, 
lias been subjected to a Visitation of God, so that whosoever 
should eat of any of its fruits must immediately die.’ Then 
the lapwing asked: ‘Has your species been favoured with any 
other gifts?’ And the nightingale answered: ‘We have also been 
granted three favours: (1) a very melodious voice, which is 
pleasing to all hearers; (2) we possess the property of being 
awake during the night, which we enjoy in common with 
ascetics and pious men; and (3) we have been invested ;with 
the gaudy robes of love, and roses have been assigned for our 
spouses, whose society we enjoy without let or hindrance, and 
in the aspect of whose heart-ravishing cheeks we perpetually 
delight I 

‘O most intelligent gardener’, the little bird continued, 
‘when I heard from the lapwing that the fruits of this gar¬ 
den were become deleterious, I made haste to pluck and to 
throw them down, lest any person should eat of them and 
be injured. And now if you will promise to liberate me, I 
will communicate to you three maxims, by means of which 
you may be happy in this world and the next, and friends and 
foes will alike obey you!’ The gardener said: ‘Speakl’ And 
the little bird proceeded: ‘First, never trust persons of a low 
an uncongenial disposition; secondly, never believe impossibi- 
lities; and thirdly, never repent of anything that cannot be 
remedied.’ So the gardener relaxed his hold, and the little bird 
flew away, perched on a tree, and Stretching out its neck, 
exclaimed: ‘0 gardener, if you knew what ä treasure you 
have allowed to slip from your hand, you would end your 
own life. Verily, I have deceived you!’ Said the gardener: 
‘How?’ ‘In my body is a gern as large as a duek’s egg, the 



305 


like of which has never been discovered by the diver into the 
region of imagination. Had you obtained possession of this 
jewel you night have lived happily during .your whole earthly 
existence.’ When the gardener heard these words, he tore his 
robe from top to bottom, strewed the ashes of repentance upon 
his head, and the brambles of confusion and uneasiness sprou- 
ted in the wilderness of his heart. As he looked to the right 
and left how he might again get hold of the little bird, it flew 
to a high tree and said: ‘Having now by my cunning escaped 
from your grasp, I shall take care not to fall into it again. Do 
not flatter yourself that you will get hold of me a second time.’ 
The gardener began to weep and heaved every moment deep 
sighs from the bottom of his heart, but the little bird said 
jeeringly: ‘It is a pity that the name of a man should be 
applied to a silly fellow like yourself. I just communicated to 
you three maxims, all of which you have already forgotten. 
I advised you not to be deceived by mean and uncongenial 
persons; why, then, have you believed my words and set me 
free? I farther told you not to believe impossibilities; — then 
why do you put faith in my words and, seeing that nothing 
could be more absurd than the idea of a weak little bird 
like myself having in its body a gern as large as a duck’s 
egg? Lastly, I advised you not to repent of anything which 
is irreparable, nevertheless you now moan and lament.’ After 
uttering these words the little bird disappeared from the sight 
of the gardener. 

[Remarks:] The Turks have the proverb: ‘Patience is of 
God; haste is of the Devil’. 2 ) According to the Kuran, it was a 
hoopoe, or lapwing, that brought Solomon a description of Saba 
(or Sheba) and of Bilkes, its celebrated queen. 

No. 63. Die Erzählung in der bugischen ,Geschichte 
von König Indjilai’. 

In der Übersetzung von R. Brandstetter, pp. 1—5. 

Es war einmal ein König, er hieß Sulthan Indjilai. Seine 
Gemahlin hieß Sitti Sapia. Er hatte zwei Söhne, der eine 
hieß Abodutedjumali, der andere Abodulodjumali. Da der König 
längere Zeit regiert hatte, geschah es eines Tages, daß er in 
seinem Garten spazieren ging, mit seinen Bedienten und Betel¬ 
dosenträgern. Auf einmal sah er eine Turteltaube auf einem 
Ty roll er, Die Fabel von dem Mann und iem Vogel. 2 . 



306 


Feigenbäume sitzen. Er ließ sein Blaserohr holen. Die Diener 
gingen und holten es ihm. Der König schoß nach der Turtel¬ 
taube und traf ihre Flügel, so daß sie auf den Boden fiel. 
Er befahl den Dienern sie aufzuheben. Sie gingen, hoben sie 
auf und brachten sie dem Könige. Dieser wollte sie töten. 

Da fing der Vogel, die Turteltaube, an zu reden: ,,0 
mein Herr, König Indjilai, warum willst du mich töten, was 
willst du mit mir anfangen ?“ 

König Indjilai antwortete: „Ich will dich verspeisen, Tur¬ 
teltaube.“ 

Die Turteltaube: „O Herr, wenn du mich auch tötest, und 
mich kochst, so reicht es doch nicht für dich und deine Kin¬ 
der. Weißt du es, ob es nicht besser ist, wenn du mich frei- 
lässest? Du erwirbst dir ja ein Verdienst, wenn du die Bitte 
.eines Mitgeschöpfes erfüllst.“ 

König Indjilai: „Turteltaube, es ist doch wohl besser, 
wenn ich dich töte und verzehre, ich samt meinen Kindern.“ 

Die Turteltaube: „Mein Herr, König Indjilai, laß mich 
frei, Herr, denn, sicherlich, es wird ein Gewinn für dich sein, 
wenn du mich freilässest." 

Der König: „Was würde das für ein Gewinn sein, Tur¬ 
teltaube ?“ 

Die Turteltaube: „Mein Herr, wenn du mich freilässest, 
werde ich auf den untersten Ast des Feigenbaumes fliegen und 
dir ein Wort sagen. Dann werde ich wiederum fliegen, auf 
den mittleren Ast, und dir wiederum ein Wort sagen. End¬ 
lich werde ich auf den obersten Ast fliegen, und dir nochmals 
ein Wort sagen. Also drei Worte will ich dir sagen.“ 

König Indjilai: „Ist das wahr, was du mir sagst, Tur¬ 
teltaube ?“ 

Die Turteltaube: „Ja, Herr!“ 

König Indjilai: „So lasse ich dich denn frei, Turtel¬ 
taube." 

Die Turteltaube wurde von König Indjilai freigelassen. 
Sie flog nach dem Feigenbaum, und setzte sich auf den unter¬ 
sten Ast. 

Der König sprach: „Rede nun, Turteltaube 1“ 

Die Turteltaube: „So höre, Herr, was ich dir sagen werde. 
Mein Großvater hats meinem Vater gesagt, mein Vater hats 
mir gesagt, und ich nun sage es dir. Du wirst auch sofort 
dessen Verwirklichung sehen. Das also sage ich dir: Wenn dir 



307 


ein Bericht, oder eine Geschichte oder eine Meinung vorliegt, 
so prüfe sie vorher wohl, und nur, was einen vernünftigen 
Sinn hat, glaubet“ 

Die Turteltaube flog auf den mittleren Ast des Feigen- 
baumes. 

Der König: „Bede, Turteltaube!“ 

Die Turteltaube: „So höre, Herr, das sage ich dir, Herr: 
Bereue die eine Tat, die geschehen ist, ich meine, die du 
getan hast.“ 

Die Turteltaube flog auf den obersten Ast des Feigen¬ 
baumes. 

Der König: „Sprich, Turteltaube, wie du mir verspro¬ 
chen hast.“ 

Die Turteltaube: „Höre, Herr, dies mein Wort: Du bist 
nach allem wirklich ein Dummkopf, denn, vorausgesetzt, du 
hättest mich getötet, du hättest mir den Bauch aufgeschnit- 
ten, so hättest du darin drei Rubine gefunden, jeder so groß 
wie ein Entenei.“ 

Als ;die Rede der Turteltaube zu Ende war, flog pie 
nach ihrem Aufenthaltsort, und der König stand, als er ihre 
Worte gehört hatte, sofort auf, um sie zu verfolgen. Drei 
Tage und drei Nächte verfolgte er sie, aber er war nicht ein¬ 
mal imstande ihr nahe zu kommen. Da flog die Turteltaube 
plötzlich in einen Tjampadjawa (ein dorniger Strauch) hin¬ 
ein. König Indjilai eilte ihr auch da hinein nach. Da wurden 
das Lipä, das Wadjuwadju (das Lipä entspricht dem bekannten 
mal. Sarong, das Wadjuwadju dem mal. Badju) und die Bein¬ 
kleider des Königs gänzlich zerrissen, da sie an den Dornen 
des Tjampadjawa hängen blieben. Selbst der Leib des Königs 
blieb nicht unversehrt, die Dornen zerstachen ihn ganz. Da 
rief die Turteltaube: „Herr, König Indjilai, jetzt ist deine 
Dummheit und Beschränktheit offenbar geworden, du bist dem 
Tiere gleich, weil du keinen Verstand hast. Denn erstens, 
daß du mich freiließest, da du mich doch in den Händen hiel¬ 
test, das war barer Unsinn. Somit bin ich gescheiter als du, 
trotzdem du ein Mensch bist, und ich nur ein Vogel, du ein 
Herr, ich nur ein Sklave. Und das ist der Beweis, daß du ein 
dummer Mensch bist: ich war schon in deiner Kehle, und bin 
doch wieder frei geworden, und du hast mich nicht verspeisen 
können. Und zweitens erweist sich deine Dummheit aus fol¬ 
gendem: Habe ich dir nicht soeben gesagt: Glaube nie etwas, 


20 * 



308 


das barer Unsinn ist, und so ist es gekommen, daß du drei 
Tage und drei Nächte lang hast hungern müssen. Denn da 
mein Leib kaum so groß ist wie ein Entenei, wie könnten dann 
drei Edelsteine in meinem Bauche sein, jeder so groß wie ein 
solches? Und drittens erweist sich deine Dummheit aus fol¬ 
gendem: Ich habe dir soeben gesagt: Bereue nie eine Tat, 
die du getan hast! Trotzdem hast du eine solche Tat bereut, 
und so ist es gekommen, daß dein Leib ganz verwundet und 
dein Eieid ganz zerrissen ist. Denn, wie konntest du auch nur 
daran denken, daß du mich fangen könntest, ich wußte ja, 
daß du mich töten wolltest.“ (Dazu zu denken: und hielt mich 
daher immer in genügender Entfernung). 

Jetzt flog die Turteltaube nach ihrem Nest. Und der 
König, Sulthan Indjilai, kehrte auch seinerseits zurück, in 
seinen Palast. Sein dummer Streich wurde bald allgemein be¬ 
kannt. Daher wurde er vom gesamten Reichsrat und den Häup¬ 
tern der Djow|s als König abgesetzt . . . 


No. 64. Die Erzählung in der Bearbeitung des Naf- 

\satu 'JrJaman. 

Arnold, Chrestomathia Arabica, pp. 34—36 (Passer et Auceps). 

Man erzählt, daß ein Sperling an einer Falle vorbei¬ 
flog. Der Sperling fragte: „Warum hältst du dich so abseits 
vom Wege?“ Die Falle antwortete: „Ich will von den Men¬ 
schen fern sein, damit ich sicher bin vor ihnen und damit 
sie sicher sind vor mir.“ Der Sperling fragte: „Und warum 
stehst du so auf dem Boden da?“ Sie antwortete: „Aus Be¬ 
scheidenheit.“ Der Sperling fragte weiter: „Und warum ist 
dein Leib so abgemagert?“ Sie antwortete: „Die Askese hat 
mich mager gemacht.“ Der Sperling fragte: „Und wozu der 
Strick da um deinen Hals?“ Sie antwortete: „Das ist die 
Kleidung der Gottgeweihten.“ Der Sperling fragte: „Und wo¬ 
zu dieser Stab?“ Sie erwiderte: „Um mich auf ihn zu stützen.“ 
Der Sperling fragte: „Und was bedeuten diese Weizenkörner 
dort bei dir?“ Sie antwortete: „Sie sind der Überfluß meiner 
Mahlzeit, den ich irgend einem Armen, der des Weges kommt, 
oder einem einsamen Wanderer schenken will.“ Da sagte der 
Sperling: „Siehe, ich bin ein Wanderer und ein Reisender, 
willst du mir zu essen geben?“ Sie antwortete: „Greif nur 



309 


kuI“ Aber als er seinen Schnabel vorstreckte, da faßte die 
Schlinge an seinem Halse fest. Da rief der Sperling: „Warum 
ist deine Seele so voller Arglist, Betrug und schimpflichen 
Eigenschaften?“ Doch sollte der Sperling über sein Schicksal 
erst aufgeklärt werden, als der Herr der Falle kam und ihn 
ergriff. Da sprach der Sperling zu sich selbst: „Wie wahr ist 
doch der Spruch der Weisen: Wer unüberlegt handelt, muß es 
bereuen, und wer sich in acht nimmt, bleibt heil. Woher soll 
mir Bettung kommen? Denn kein Ausweg ist hier zu sehen.“ 
Da entschloß er sich zu einer List; denn eine solche hilft 
einem oft aus der Not. Er wandte sich also zum Jäger und 
sprach: „O Mensch, vernimm von mir Worte, von denen ich 
hoffe, daß Gott dir durch sie Nutzen erweisen wird; und dann 
kannst du mit mir tun, was du willst.“ Der Jäger wunderte 
sich über die Rede des Sperlings und forderte ihn auf: „Sprich!“ 
Da begann der Sperling: „Kein Vernünftiger möge sich darüber 
beklagen, daß ich nicht fett und imstande bin seinen Hunger 
zu stillen. Dir ist jedenfalls Weisheit lieber. Vernimm also 
von mir drei Worte der Weisheit, ziehe Nutzen aus mir und laß 
mich frei. Das erste Wort will ich dir sagen, wenn ich noch 
in deiner Hand bin, das zweite, wenn ich am Fuße dieses Bau¬ 
mes, und das dritte, wenn ich auf seinem Gipfel bin.“ Der 
Jäger war mit der Freilassung des Vogels einverstanden und 
forderte ihn auf. „Sag’ nun das erste Wort!“ Der Vogel: 
„Solange du lebst, bereue niemals etwas, was du verloren!“ 
Dem Manne gefiel dieses Wort sehr, und er ließ den Vogel 
frei. Und als dieser zum Fuß des Baumes geflogen war, sprach 
er: „So lange du lebst, glaube nicht an eine Sache, die un¬ 
möglich geschehen kannl“ Und dann flog er auf die Höhe 
des Baumes. Da sagte der Jäger zu ihm: „Gib’ mir nun die 
dritte Lehre!“ Der Sperling aber rief: „O Mensch, es ist doch 
niemand armseliger daran als du! Du hattest Reichtum für 
dich und Reichtum für deine Familie und Nachkommenschaft 
erworben, aber er entschwand dir in kürzester Frist aus den 
Händen.“ Da fragte ihn der Jäger: „Wieso das?“ Der Sper¬ 
ling aber antwortete: „Siehe, wenn du mich geschlachtet hät¬ 
test, hättest du in meinem Magen zwei Edelsteine aus Hya¬ 
zinth (Rubine) gefunden, von denen ein jeder fünfzig mitkäl 
wiegt.“ Als der Jäger das Wort des Sperlings vernahm, da 
wurde er bestürzt und biß sich in die Finger. Dann sagte er: 
„Da hast mich betrogen, Sperling, aber nun heraus mit der 



310 


dritten Lehre 1“ Der Sperling aber sprach: „Wie soll ich dir das 
dritte Wort sagen, da du doch die beiden ersten im Nu ver¬ 
gessen hast? Sagte ich dir nicht: „Bereue nicht das Ver¬ 
lorne, und glaube nicht das Unmöglichei Wie kannst du glau¬ 
ben, daß in meinem Magen zwei Edelsteine im Gewicht von 
jo fünfzig mit.käl sind? Denn hättest du mich mitsamt mei¬ 
nen Federn, meinem Fleische, meinen Knochen und allem, was 
in meinem Bauche ist, gewogen, so würde ich keine zehn 
mitkäl erreichen. Trotzdem bereutest du es die Gelegenheit 
versäumt zu haben und warst betrübt.“ Dann flog er fort und 
ließ ihn hinter sich, durch diese List der Falle entronnen. 


No. 65. Die Erzählung im Anhang von ,,Tausend und 

eine Nacht“. 

T. u. e. N. Aus dem Arab. übertragen von Max Henning, XXII, 

pp. 118—126. 

Die Geschichte des Vogels mit dem Vogelsteller. 

Man erzählt — doch Gott ist allwissend — daß einst in 
der Stadt Bagdad ein Jägersmann, kundig des Weidwerks, 
lebte. Eines Tages ging dieser Jägersmann auf die Jagd, 
indem er Netze, Sprenkel und andres Gerät, dessen er be¬ 
durfte, mit sich nahm und sich zu einem Garten begab, reich 
an Bäumen, deren Gezweig sich verstrickte, wo sich allerlei 
Vögel aufhielten; und, als er bei einem dichten Gebüsch an¬ 
kam, steckte er seine Falle in den Boden und schaute sich nach 
einem Versteck um, wo er sich setzte. Bald darauf näherte 
sich ein Vöglein der Falle und fing an die Erde zu kratzen, 
wobei es, rund um die Falle spazierend, bei sich Bprach: 
„Was mag dies nur sein? Wenn ichs doch nur wüßte, denn es 
scheint nichts anderes als eine wunderbare Schöpfung Gottes 
zu sein!“ Alsdann betrachtete es die Falle, die halb im 
Boden vergraben war, und begrüßte sie aus der Ferne, worauf 
die Falle ihm den Saläm erwiderte und sprach: „Und Got¬ 
tes Barmherzigkeit und Segnungen seien auf dirl Willkommen, 
willkommen von Herzen, teurer Bruder und aufrichtiger Freund, 
irauter Genosse und lieber Gefährte, der du so ferne von mir 
-tehst, während ich wünsche, daß du mein Nachbar wirst und 
cli dein getreuer und aufrichtiger Freund und Kamerad. Komm 
heran zu mir voll Vertrauen auf deine Sicherheit und ohne 



311 


Furcht vor mir.“ Da sprach das Vöglein: „Ich beschwöre dich 
bei Gott, sag’ an, wer du bist, daß ich mich nicht vor dir 
fürchte, und nenn’ mir deinen Beinamen und den Namen dei¬ 
ner Sippe, auf die du deinen Stammbaum zurückführst.“ Die 
Falle erwiderte: „Mein Name ist Haltfest, mein Vatersname 
Bindfest und meine Sippe ist geheißen die Kinder Fallfest.“ 
Das Vöglein versetzte: „Du sprichst die Wahrheit, denn dies 
ist sicherlich dein Name, der Beiname kommt dir gewißlich zu, 
und ohne Zweifel ist deine Sippe eine der edelsten.“ Die 
Falle erwiderte: „Gelobt sei Gott, daß du mich erkannt hast 
und mich unter die getreuen Freunde zählst, denn wo solltest 
du einen Freund wie mich finden, einen Liebhaber wahrhaft 
und zuverlässig, und einen Gesinnungsgenossen? In der Tat, 
ich bin ein frommer Gottesdiener, der sich von nichtigem Ge¬ 
schwätz, von seinen Bekanntschaften und selbst seiner Sippe 
zurückgezogen hat. Meine einzige Zuflucht ist auf den Gip¬ 
feln der Hügel und in den Gründen langer und tiefer Täler; 
von irdischen Dingen bin ich der wahre Haltfest und in welt¬ 
lichen Freuden der wirkliche Bindfest.“ Das Vöglein versetzter 
„Du hast wahr gesprochen, o mein Herr, und Heil dir! Wie 
fromm und gottesfürchtig bist du und wie Jiold an Sitten 
und Wesen 1 Wäre ich ein einziges Härlein an deinem Leib!“ 
Die Falle entgegnete: „Du bist in dieser Welt mein Bruder, 
und in der nächsten mein Vater.“ Nun aber sprach das Vög¬ 
lein: „O mein Bruder, ich möchte dich gerne nach Sachen, ver¬ 
borgen in deinen Gedanken fragen.“ Die Falle antwortete: 
„Frag’, wonach du willst, damit ich dir offenkund tue, was du 
im Herzen begehrst; denn ich will dir getreulich jede meiner 
Absichten erklären und dir wahrhaftiglich meine ganze Sache 
und meine verborgenen Gedanken enthüllen, daß dir nichts 
von meinem Vorhaben verborgen bleibt.“ Da hob das Vög¬ 
lein an und sprach: „O mein Bruder, warum und weshalb sehe 
ich dich in dieser Weise im Staube wohnen, fern von Ver¬ 
wandten und Gefährten, und warum hast du deine Angehörigen 
und Freunde verlassen, und dich von der Zärtlichkeit deiner 
Lieben getrennt?“ Die Falle entgegnete: „Hast du nicht ge¬ 
lernt, o mein Bruder, daß Zurückgezogenheit ständiges Heil 
ist, daß Fernbleiben vom Volk Segnungen verleiht und Tren¬ 
nung von der Welt leibliches Wohl bringt? In Bezug hierauf 
hat ein Weiser gesagt: 

„Einsamkeit und wicht schlechte Gesellschaft.“ 



312 


Ebenso sprach man zu El-Bahlül (lebte zur Zeit Harun er- 
Raschtd’s): „Warum säumst du unter den Häusern der Toten 
und verweilst an einer unfruchtbaren Stätte, und was bi3t du 
so fern von Verwandten und Gefährten und hast keine Liebe 
für Bruder und Freunde?"’ Er versetzte jedoch: „Weh euch! 
Würde ich unter meinen Angehörigen wohnen, sie würden 
mich eines Tages nicht mehr lieben; während ich aber ferne 
von ihnen weile, werden sie mich nie tadeln, indem sie sich 
weder meiner Liebe erinnern noch meine Vorliebe begehren; 
und so zufrieden bin ich mit meiner Einsamkeit, daß, wenn 
ich meine Familie sähe, ich wie in Furcht vor ihr zurück¬ 
schrecken würde; ja, würden meine Eltern von neuem zum 
Leben erweckt, und verlangten nach meiner Gesellschaft, für- 
wahr, ich würde vor ihnen fliehen.“ Das Vöglein erwiderte: 
„Fürwahr, mein Bruder, du hast in allen deinen Worten die 
Wahrheit gesprochen, und der beste Rat ging von dir aus; aber 
gib mir, bitte, Auskunft über jenen Strick, der mitten um 
deinen Leib gewunden ist, und weshalb du trotz aller (An-, 
strengungen auf dem Boden weder stehst noch sitzest?“ Die 
Falle versetzte: „O mein Bruder, wisse, eine jede Nacht; 
jeden Monats verbringe ich in Gebet, während welcher Übung; 
ich, wenn mich je Müdigkeit überkommen sollte, diesen Strick 
um meinen Leib binde, wodurch ich den Schlaf aus meinen 
Augen treibe, und um so wacher für meine Gebete werde. 
Wisse auch, daß Gott — Preis Ihm, dem Erhabenen! — seine 
Diener liebt, so sie gottesfürchtig sind und allerwege in An¬ 
dacht zubringen, stets dem Gebete ergeben und ihn bei Tag 
und Nacht preisend; und die, sich auf ihren Seiten drehend, 
den Herrn in Sehnsucht und Furcht lieben und ihr Gut als 
Almosen austeilen. Sprach doch auch Gott — Preis Ihm, dem 
Erhabenen! —: Sie schliefen nur einen kleinen Teil der Nacht 
und schon des Morgens früh flehten sie um Vergebung“ (Sure 
51, 17 ). 

Da entgegnete das Vöglein: „Du hast, o mein Bruder, 
in jedem deiner Worte wahr gesprochen, und hast alles sehr 
schön gesagt; jedoch — ich bin in deinem Schutz —, sag’ an, 
weshalb ich dich zur Hälfte in der Erde vergraben und zur 
Hälfte über der Erde sehe?“ Die Falle entgegnete: „Ich bin 
es aus dem Grunde, daß ich hierdurch den Toten ähnlich werde 
und im Leben die verderblichen Lüste des Fleisches meide. 
Sagt doch Gott — Preis Ihm, dem Erhabenen! — in seinem 



313 


heiligen Buch: „Aus Staub haben wir euch erschaffen, in den 
Staub werden wir euch wieder zurückkehren lassen und dann 
werden wir euch zum anderen Male daraus hervorziehen“ 
(Sure 20, 57 ). Das Vöglein versetzte hierauf: „Du hast die 

Wahrheit gesprochen, weshalb aber sehe ich deinen Bücken 
so gekrümmt?“ Die Falle erwiderte: „Wisse, mein Bruder, 
der Grund davon, daß mein Nacken so gebeugt ist, liegt darin, 
daß ich so häufig des Tages dastehe und bete, und des Nachts 
im Dienste des Königs, des Allgütigen, Einigen, Allgewaltigen, 
Erhabenen und Allmächtigen, aufstehe.“ Das Vöglein versetzte: 
„0* mein Bruder, du hast die Wahrheit gesprochen, und ich 
habe dich verstanden und bin von deiner Wahrhaftigkeit 

überzeugt. Jedoch sehe ich ein härenes Kleid an dir.“ Die 

Falle entgegnete: „O mein Bruder, weißt du nicht, daß die 
Kleider der Frommen und der Asketen aus Haar und Wolle 
bestehen?“ Das Vöglein antwortete: „Fürwahr, deine Worte 
sind wahr, sag’ mir jedoch, was das für ein Stab ist, den 

du in der Hand hältst?“ Die Falle erwiderte: „O mein Bru¬ 
der, wisse, ich bin ein alter und hochbetagter Scheich ge¬ 
worden und meine Kraft hat nachgelassen, weshalb ich jnir 
einen Stab nahm, daß ich mich darauf stütze und an ihm eine 
Hilfe finde, wenn ich faste.“ Das Vöglein versetzte: „Deine 
Worte sind wahr, mein Bruder, und du sprichst, wie es sich 
geziemt, jedoch möchte ich dich noch etwas fragen, und du 
verweigere mir nicht die Auskunft darüber; sag’ mir, weshalb 
und warum hier so viel Korn um dich verstreut ist?“ Die 
Falle antwortete: „Siehe, die Kaufleute und die Reichen brin¬ 
gen mir diese Speise, daß ich sie den Fakiren und Hungrigen 
als Almosen gebe.“ Da versetzte das Vöglein: „O mein Bru¬ 
der, ich bin auch hungrig, befiehlst du mir also davon zu 
essen?“ Die Falle erwiderte: „Du bist mein Gefährte, darum 
ist solch ein Befehl Pflicht für mich, sei so gütig mein Bruder, 
und komm schnell hieher und iß!“ 

Hierauf flog das Vöglein von seinem Baum herunter und 
kam Stückchen für Stückchen mit vor Furcht bebendem Her¬ 
zen mäher, worauf es einige Körnlein, die neben der Falle 
lagen, aufpickte, bis es zu dem Korn kam, das in die Schlinge 
der Falle gelegt war, und nach ihm pickte. Ehe es aber noch 
etwas Gutes davon gewonnen hatte, kam die Falle schon auf 
es hernieder und verstrickte seinen Hals, es festhaltend. Da 
schrie das Vöglein, von Todesschrecken erfaßt: „Zik, Zlkl Mik, 



314 


Mtkl Fürwahr, ich bin ins Verderben geraten, und durch 
einen Freund verraten I Weh über meinen Kummer und mein 
Mißgeschick, Zik, Zik! O du, -der du meine Lage kennst, 
setz’ mich instand zu entkommen, errette mich aus dieser 
schlimmen Klemme und sei barmherzig und mild zu mir!“ Die 
Falle aber sprach nun zu ihm: „Du piepst Zik, Zik! und bist 
in die schlimme Klemme geraten, und von deinem Wege ab¬ 
geirrt, du Heide und Atheist! Nun soll dir weder Bruder noch 
Freund noch Kamerad helfen. Jetzt versteh’ und such’ dein 
Vergnügen! Ich fing dich mit einer List, und du liehest ihr 
dein Ohr und wardst lüstern.“ Das Vöglein versetzte: „fbh 
bin einer, den das Gelüst niedergeworfen, und den Torheit 
und zügellose Gier verführt hat, einer, für dessen Hals das 
Halsband der Vernichtung fertig gemacht ist, und der |mit 
denen, die am tiefsten fallen, gestrauchelt ist.“ 

Hierauf kam der Vogelsteller mit seinem Messer, das 
Vöglein zu schlachten und sprach: „Wieviele Vögel haben 
wir nicht schon in aller Gemächlichkeit gefangen aus Ver¬ 
langen nach ihrem Fleisch, ihre Köpfe mit Reis oder in Harise 
(ein Teig aus zerstoßenem Weizen, mit Butter, Fleisch und 
Gewürzen geknetet) oder in der Pfanne gebacken selber mit 
Behagen zu schmausen oder Große und Vornehme damit zu 
bewirten. Ebenso liegt es uns ob, die Hälfte ihrer Leiber sel¬ 
ber zu verspeisen, und die andre Hälfte soll für unsere Gäste 
sein, während ich die Flügel meiner Familie und meinen Ver¬ 
wandten als prächtigste Gabe vorsetzen will.“ 

Als das Vöglein diese Worte vernahm, rief es: „Siehst 
du nicht, wie mager mein Fleisch und schlank mein Wanst 
ist? Fürwahr, ich kann dir nicht als Speise dienen und dei¬ 
nen Hunger stillen; fürchte daher Gott und gib mir die Frei¬ 
heit, dann wird dirs der Allmächtige überreich lohnen.“ Der 
Vogler jedoch hörte gar nicht auf seine Worte, sondern gab 
es seinem Sohn, indem er zu ihm sprach: „Mein Kind, trag* 
diesen Vogel nach Hause, schlachte ihn und koch’ uns von ihm 
ein Kümmelragout und ein Zitronenstew, ein Gericht gewürzt 
mit Traubensaft, ein zweites aus Pilzen, ein drittes aus Granat¬ 
apfelkörnern und ein viertes aus geronnener Milch gekocht 
mit Summäk, und feines in der Pfanne Gebackenes, sowie Kon¬ 
serven von Birnen, Quitten, Äpfeln und Aprikosen, geheißen 
Rosenwasser, und Vermicelli und Sikbädsch; ferner Fleisch 
mit den sechs Blättern angerichtet, eine Mehlsuppe, Milch- 



315 


reis, Adschidschije, gebratene Fleischschnittchen, Kabäben, Oli¬ 
ven. und dergleichen Gerichte. Ebenso mach’ aus seinen Där¬ 
men Bogensehnen, aus seiner Speiseröhre eine Wasserleitung 
fürs Dach, aus seiner Haut ein Tischtuch und aus seinen 
Federn Polster und Kissen.“ Als der Vogel in der Hand des 
Vogelstellers dies vernahm, lachte er vor Kummer und sagte: 
„Weh dir, Vogelsteller, wohin ist dein Witz und Verstand 
gekommen? Bist du verrückt oder trunken? Bist du vor 
Alter kindisch oder schläfst du? Bist du schwer von Begriffen 
oder geistesabwesend? Fürwahr, wenn ich selbst der lang- 
halsige Ankävogel (Phönix) wäre, die Tochter des Lebens, oder 
die Kamelin Sälihs oder Isaaks Opferwidder oder Es-Sämiri’s 
sprechendes Kalb (das goldene Kalb der Juden; wer Es-S. ist, 
ist. nicht festzustellen, vielleicht Aaron) oder ein lecker ge¬ 
mästeter Büffel, so würde doch alles, was du da erwähnt 
hast, nicht von mir kommen. Willst du mich in deiner Gier 
wirklich schlachten, wie du es sagtest, so werde ich dir nichts 
nützen; willst du jedoch mir wohl und setzest mich in Frei¬ 
heit, so will ich dir etwas zeigen, das dir Nutzen bringen und 
deiner Kindeskinder und spätesten Nachkommen Glück ins 
Werk setzen soll.“ Da fragte der Vogelsteller: „Was willst 
du mir für einen Rat geben?“ Das Vöglein erwiderte: „Ich 
will dich drei Worte der Weisheit lehren, und will dir in 
dieser Erde einen Schatz zeigen, der dich, deine Kinder und 
Nachkommen für immer zufriedenstellen soll, daß ihr stets 
für meines Lebens Dauer beten werdet. Außerdem will ich 
dir ein Paar aschgraue Falken zeigen, von großem Körper und 
plumper Masse, die meine besten Freunde sind und die du 
in den Gärten ungefangen ließest.“ Da fragte der Vogelstel¬ 
ler: „Und welches sind die drei Worte, die so nach Weisheit 
schmecken?“ Das Vöglein entgegnete: „Die drei Weisheits¬ 
worte sind: „Trauere nicht über das Vergangene, freue dich 
nicht zu früh über das Künftige, und glaube nichts, als worauf 
dein Blick gefallen ist. Was aber den Schatz und die beiden 
Falken anlangt, so will ich sie dir zeigen, wenn du mich frei¬ 
gelassen hast, und sehr bald sollst du dann die Wahrheit 
meiner Worte erschauen.“ Da ward das Herz, des Vogelstellers 
dem Vöglein in seiner Freude über den Schatz und die Falken 
zugetan; und des Gefangenen List betörte den Fänger und be¬ 
nahm ihm den Verstand, so daß er alsbald seinen Fang los- 
lioß, worauf das Vöglein sofort in mächtiger Freude sein Leben 



316 


vom Tode errettet zu haben, aus der Hand des Vogelstellers 
flog. Nachdem es dann sein Gefieder geputzt und seine 
Schwungfedern und Flügel ausgebreitet hatte, lachte es, daß 
es fast ohnmächtig zur Erde fiel. Alsdann begann es nach 
links und rechts auszulugen, und tief zu atmen und immer grö¬ 
ßere Freude zu bezeugen, so daß der Vogelsteller fjprach: 
„O Vater der Flucht, o du, der Wind geheißen, was sagst du 
nun zu mir in betreff der beiden aschgrauen Falken, die du 
mir zeigen wolltest, und wo (sind die Gefährten, die du in 
den Gärten verließest?“ Da gab ihm das Vöglein zur Ant¬ 
wort: „Ach und wehl Nimmer sah ich einen Esel wie dich 
oder etwas geringer an Verstand und größer an Dummheit; 
denn, fürwahr, du hegst Gedankenlosigkeit in deinem Kopf 
und Schwäche in deinem Verstand. O du Schwachkopf, wann 
sahst du wohl einen Sperling mit einem Falken, geschweige 
denn gar mit zwei, Freundschaft haben? So kurz ist dein 
Witz, daß ich deinen Händen durch die einfache List ent¬ 
rann, die mir meine Einsicht und Kenntnis eingab. Weh dir, 
du armseliger und elender Wicht, du weißt nicht, was du an 
mir verloren hast, denn, in der Tat, deine Absicht ist ver¬ 
eitelt, dein Glück ist zu Schanden geworden, und dir nahe 
sind Armut und Dunkel. Hättest du, als du mich fingst, mei¬ 
nen Hals aufgeschnitten und meinen Kropf gespalten, du hät¬ 
test darin ein Juwel von dem Gewicht einer Unze gefun¬ 
den, das ich aus dem Schatze des Königs KisräT Anuschirwän 
aufpickte und verschluckte.“ 

Als der Vogelsteller die Worte des Vögleins vernahm, 
streute er Staub auf sein Haupt ,und schlug sich vors Ge¬ 
sicht, seinen Bart ausraufend und seine Kleider zereißend, bis 
er schließlich ohnmächtig zu Boden fiel. Wie er dann wieder 
zu sich kam, schaute er nach seinem entronnenen Gefange¬ 
nen und rief: „O du Vater der Flucht, du der Wind geheißen, 
sag’ an, kehrst du wohl je wieder zu mir zurück? Du solltest 
dann bei mir wohnen, und ich wollte dich wie meinen Aug¬ 
apfel hüten, dich nach all dieser Mühsal und Plackerei parfü¬ 
mieren und mit Ambra und Komoriner Aloe beräuchern, und 
dir Zucker und Piniennüsse als Speise bringen, und du soll¬ 
test in höchsten Ehren bei mir bleiben." Das Vöglein ver¬ 
setzte jedoch: „O du Elender, was vergangen ist, ist vergangen; 
ich lasse mich von deiner Arglist und scheichlerischen Falsch¬ 
heit nicht fangen. Und Preis sei dem Herrn, o du erbärmlich- 



317 


ster Wicht, wie schnell hast du doch die drei Lehren -ver¬ 
gessen, die ich dir gabl Wie kurz ist dein Witz, wo du doch 
siehst, daß mein ganzes Leibesgewicht noch keine zehn Drach¬ 
men ausmacht, ich also gar nicht in meinem Kropf ein Juwel 
im Gewichte einer Unze tragen kann. Wie fern von dir ist 
Scharfsinn, und wie schnell hast du meine Ermahnung ver¬ 
gessen, die ich dir gab, indem ich zu dir sprach: „Glaube 
nichts, als worauf dein Blick gefallen ist, bedauere und be¬ 
trauere nicht das Vergangene, und freu’ dich nicht zu früh 
über das Künftige.“ Diese Worte der Weisheit sind dir ganz 
aus dem Gedächtnis entschwunden. Wärst du schnell von Ver¬ 
stand gewesen, du hättest mich auf der Stelle geschlachtet; 
jedoch gelobt sei Gott, der mich nicht die scharfe Schneide 
des Messers schmecken ließ, und ich danke meinem Herrn für 
mein Entkommen und für meines Wohlergehens Befreiung 
aus der Falle der Kümmernis.“ 

Als der Vogelsteller diese Worte des Vögleins vernahm, 
bereute und bedauerte er seine Torheit und rief: „Ach, daß 
ich diesen Vogel nicht schlachtete!“ Dann sank er zu Boden, 
während das Vöglein von ihm Abschied nahm und zu seinem 
Heim und seinen Angehörigen flog, wo es sich setzte, und alle 
seine Erlebnisse mit dem Vogelsteller erzählte. 

No. 66. Die Erzählung in der arab. Version des Ms. 

Pet. 259 in Berlin. 

fol. 109b—112b. 

Man erzählt, daß in alten Zeiten ein Jägersmann aus dem 
Stamme von Basurah war, mit Namen ‘Akäb ben Nasr. Eines 
Tages ging dieser in die Wüste um mittels der Schlinge zu 
jagen. Auf einmal kam ein Vögelchen dahergeflogen, dessen 
Gefieder vierfarbig war, rot, gelb, grün und rosa. Als der Jäger 
das Vögelchen sah, wurde er von Bewunderung über seine 
Schönheit und Anmut ergriffen. Das Vöglein selbst aber ge¬ 
lüstete es nach den Brotkrumen und Samenkörnen zu sehen, 
die ringsherum aufgestreut lagen. Es kam allmählich an die¬ 
selben heran und pickte ein Körnchen nach dem anderen auf, 
bis zuletzt nur mehr eines übrig war, eben jenes, das auf der 
Zunge der Schlinge lag. Aber dieses verschmähte es und wollte 
nichts davon wissen. Da sprach der Jäger zu ihm: „O Bruder 
der kleinen Vögelchen, was scheust du dich vor dem Körnlein, 




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welches hier auf dem Boden noch übrig ist?“ Das Vögelchen 
antwortete: „O, ich bin schon satt. Doch sage du mir, was 
du hier tust!“ Jener sagte: ,,0 Bruder der kleinen Vögelein, 
in dieser Gegend habe ich meinen Ruheplatz gefunden. Sagt 
doch der Dichter: ,Trachte dich aus dem Kreise der Menschen 
zu entfernen, so daß sie dich für einen Eremiten halten! Du 
aber sieh die Menschen an, als ob sie Skorpionen gleich 
wären!*“ Da entgegnete das Vögelchen: „Recht so, du Ehr¬ 
würdiger! Aber warum ist denn dein Gesicht so geschwärzt* 
und deine Farbe so gelb?“ Jener antwortete: „O Bruder der 
kleinen Vögelein, das ist wegen der Unmenge meiner Sünden 
und Verbrechen.“ Das Vöglein versetzte: „Gut, du Ehrwür¬ 
diger! Aber weswegen hast du denn einen Strick um deinen 
Leib gebunden; und warum ist dein Rücken so gekrümmt?" 
Der Jäger antwortete: „Letzteres ist die Folge davon, daß ich 
beständig stehe und sitze und meine Knie beuge und Tag und 
Nacht auf dem Boden hingestreckt meine Andacht verrichte.“ 
Dann fuhr der Jäger fort: „Als sich das Greisenalter auf meine 
Gelenke legte, da umband ich meine Hüften zu Ehren des 
Schöpfers, in der Hoffnung, er werde mir verzeihen, was 
bereits vergangen ist, und auch die Sünden, die da noch 
kommen sollen.“ Das Vögelchen erwiderte: „Gut so, mein 
Bruder! Aber wozu hast du denn diesen Stab da in der Hand?“ 
„Ich stütze mich auf ihn wegen der Last des Alters, das mir 
den Rücken beugt.“ Dann rezitierte der Jäger folgendes 
Dichterwort: „Höre, es geleite dich Gott, o Bauersmann! 
Fürwahr, der Stab ist für den Greis ein dritter Fuß, der ihm 
beim Gehen behilflich sei, so oft er ihn nötig hat, und der 
ihn auch beim Aufstehen unterstütze. — Wenn du vernünftig 
und gescheit bist, so nimm meine Rede an; dein Schaden soll 
es nicht sein." Das Vögelein sagte: „Recht so, mein BruderI“ 
Der Jäger aber fuhr fort: „Indes, ich ermahne dich, nimm 
dieses Körnchen; du wirst durch dasselbe weiser werden als 
alle deinesgleichen.“ Das Vögelchen überwand die Scheu und 
hüpfte allmählich näher und näher heran, bis es vor dem 
Körnchen stand und es zuletzt aufpickte. Da hatte ihn aber 
auch schon die Schlinge beim Kragen und das Vögelchen 
piepste jämmerlich: „Sik, äik!“ Der Jäger aber spottete: 
„Ach, da hilft dir kein ,sik* und kein ,bik* und auch kein 
.Freund* oder ,Bruder*!“ Da fragte der Vogel: „O Bruder 
Jäger, warum belogst und hintergingst du mich so, um mich 



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in deine Bande zu verstricken?" Der Jäger versetzte: „O, du 
Tor, natürlich aus Begierde nach dir lockte ich dich in meine 
Schlinge.“ Der Vogel entgegnete: „O Jäger, nur durch die 
Vorspiegelung deines Aszetentums konntest du mich derart 
verwirren und auf den Leim locken 1" Der Jäger erwiderte: 
„Hör doch auf mit diesen Reden, sie helfen dir ja doch nichts!" 
Dann rief er seinem Jungen und sagte zu ihm: „Lieber Sohn! 
Nimm diesen Vogel und bring ihn zu Salkalak ibn Mal- 
kalak, dem Koche, und sag ihm, er möchte ihn schlachten, 
ausnehmen und in zwei Hälften zerlegen. Von der einen Hälfte 
solle er uns in einem Brei von Kifik viel Hurtumäni kochen, 
von der anderen aber ein Gericht von Sumäk. Aus seinem 
Magen möge er uns mit zerriebenen Eiern ein Gericht be¬ 
reiten. Aus seinen Därmen soll er uns Bogensehnen, aus seinen 
Schnäbeln Keulen zum Glätten, aus seinen Füßen Haarkämme 
und aus seinen Federn Füllsel für Decken und Polster machen!“ 
Als das Vögelein diese Worte des Jägers vernahm, sprach es 
zu ihm: „O du Unglückseliger, du bist entweder toll oder 
betrunken, Tor! Denn selbst wenn ich die Kamelin e§-Sälih’s 
wäre, oder der Widder Ismaels oder das goldene Kalb der 
Juden, so würde ich noch nicht ein Viertel von dem ausmachen, 
was du deinem Sohne aufgezählt hast. Aber laß mich frei, und 
ich will dir drei Worte sagen, die mehr wert sind als die 
Welt und alles, was darin ist.“ Da sagte der Jäger zu ihm: 
„O du Bruder der kleinen Vögelein, sage sie mir, damit ich 
dich dann frei lasse!“ Das Vögelchen jedoch erwiderte: „Zu¬ 
erst laß mich aus deiner Hand los, und dann will ich dir die 
drei Worte sagen. Denn ich fürchte, du möchtest mich täuschen 
und betrügen, wie du mich vorhin betrogen hast.“ Da lachte 
der Jäger und ließ das Vögelchen frei. Dieses flog auf einen 
hohen Baum. Der Jäger mahnte: „Wirst du nun reden und 
mich die drei Worte lehren, von denen du zu mir gesprochen 
hast?“ Das Vögelchen antwortete: „Ganz nach deinem Be¬ 
lieben! Das erste Wort ist: betrübe dich nicht um das, was 
vergangen! Das zweite: glaube nichts, außer was du mit eige¬ 
nen Augen gesehen! Und das dritte: wenn du auch so schnell 
liefest wie eine Gazelle, so würde dir doch nur zuteil werden, 
was dir vom Schicksal bestimmt.“ Hierauf fuhr der Vogel 
zum Jäger gewendet folgendermaßen fort: „O du Räuber 
und Betrüger! Du ruhtest nicht eher, als bis du mich durch 
Trug und Hinterlist getäuscht und in deine Schlinge gebracht 



320 


hattest. Da betete ich zu Gotte, er möchte mich aus deinen 
Händen befreien. Und siehe, er hat meine Bitte erhört. Nun 
ist aber in meinem Magen eine Perle, die soviel wert ist, 
wie die Vorratskammer von Ägypten in sieben Jahren." Als 
der Jäger diese Worte des Vögeleins hörte, rang er die Hände 
und grub die Zähne in den Daumen, so daß er ihn sich fast 
abgebissen hätte; dies vermehrte aber nur die Schadenfreude 
des Vogels. Da ward der Jäger voller Zorn und Ärger und 
sprach zum Vogel: „0 du Bruder der kleinen Vögelein, kehre 
doch zu mir zurück, ich will dich mit Sesam und Nußkern 
füttern, ich will deinen Hals mit einer Kette aus rotem Gold 
und deine Füße mit Bändern aus weißem Silber zieren und 
dich in einen silbernen, mit Perlen und Edelsteinen verzierten 
Käfig setzen. Und ich will dich in den Garten der Tochter 
des Kalifen bringen, wo du dich auf den Bäumen ganz nach 
Belieben ergötzen kannst." Da versetzte das Vögelein: „Nim¬ 
mer, nimmer wird zu dir zurückkehren, was dir entflogen I 
O wie schnell hast du doch die drei Worte vergessen, die ich 
dir sagteI . . . [Das Nachfolgende ist verderbt.] . . . Aber 
Gott wird den Sohn der Gerechten nicht untergehen lassen und 
deine Mühe soll von mir aus nicht unbelohnt bleiben.“ Da 
sprach der Jäger zum Vogel: „Du bist edel, und ich will dich 
von Herzen lieben, du Bruder der kleinen Vögelein . . .“ Der 
Vogel erwiderte: „Grabe unter diesem Baume nach, und du 
wirst einen Krug voll roten Goldes finden, mit dem du zeit¬ 
lebens zufrieden sein kannst.“ Dann flog das Vögelein von 
dannen und eilte heim zu seinen Kindern, denen es die Ge¬ 
schichte und alles, was ihm zugestoßen, vom Anfang bis zum 
Ende erzählte. Da riefen sie aus: „Preis sei Gott, dem Herrn 
der Welten, für deine Rettung.“ Sodann begann der Vogel zu 
sprechen: „Es belehre euch der Herr, meine Kinderl Nähert 
euch nicht jenem Tale! Denn dort haust ein Jägersmann; 
wollen ist sein Kleid und schwarz seine Farbe, als wäre er ein 
Asket. Nimmer ruht er vom Morgen bis zum Abend!“ Der 
Jäger seinerseits grub unter dem Baume nach und fand den 
Henkelkrug, den ihm jener bezeichnet hatte. Er kehrte heim 
zu seinem Stamme und zehrte mit seinen Kindern von dem 
Golde. Und der Krug wurde nicht eher leer, als bis er samt 
seinen Kindern gestorben war. 



321 


i\o. 07. Die Erzählung in der hindostanischen Version. 

Garcin de Tossy, A116gorics etc. pp. 351/52. 

Dans le temps du roi Salomon, un moineau et sa femelle 
dtaient sur un chemin occupös ä becqueter des grains, lorsqu'ils 
virent venir de loin un faquir couvert de sa robe. La femelle 
dit au mäle: «Prends garde l’ennemi arrive. l'ächons de n’ötre 
pas pris dans la main du destin.» Le mäle röpondit: «Ne crains 
rien de cet ami de Dieu qui marche dans la voie de la religion: 
il ne nous fera aucun mal.» Les moineaux tenaient entre eux 
ce colloque, lorsque le faquir arriva aupres d’eux, et tirant 
de dessous son bras un gros bftton qu’il portait, il le lan?a 
sur les moineaux et cassa une aile du mäle. Le pauvre oiseau 
se sauva en chancelant des mains de ce mächant, et (alla 
aupres du roi Salomon se plaindre de la blessure que lui 
avait fait in justement le faquir. Le roi Salomon ordonna 
d’amener le coupable, ce qui fut fait. Il lui demanda avec 
cotere pourquoi il avait blessö cet oiseau. «Quel mal y a-t-il? 
r6pondit le faquir; cet animal n’est-il pas destinä ä la nourri* 
ture de l’homme?» Le moineau, entendant ces mots, dit: «Quoi- 
que je ne sois qu’un pauvre petit oiseau, toutefois j’ai assez de 
perspicacitö pour ätre uni ä mon ami comme le lait Test au 
Sucre, et pour fuir mon ennemi, comme la fleehe se dötache de 
l’arc. Lorsque j’ai aper$u ton vetement ä inscription, qui m’an- 
nonpait ta profession, j’ai pensö que tu ne devais faire du mal 
ä personne; mais je suis convaincu ä präsent que c’est le diable 
qui est ton guide, et que tu n’as adoptö le costume religieux 
que par ruse. Quitte-le donc, afin que personne ne soit plus 
tromp6, et ne se jette pas dans le filet de la söduction.» Ce 
discours plöt extrömement ä Salomon; il bläma et maudit le 
faquir, puis il le renvoya de sa presence. 

Quelques jours aprös (sa premi^re mösaventure) ce märne 
moineau becquetait l’herbe quelque part, lorsqu’un autre der- 
viche le prit et l’enferma dans une cage. L’animal, inquiet sur 
sa vie, lui dit alors: «Homme de Dieu, tu n’auras pas beaucoup 
de profit en me vendant et fort peu d’avantage en me man- 
geant; ainsi il est inutile que tu me gardes. De plus, si tu 
me läches, je te donnerai quelques avis dont chacun 6qui- 
vaudra ä une perle de grand prix.» A ces mots, le derviche 
s’empressa d’ouvrir la cage, et tenant l’animal par les pattes, 
sur sa main, il 6couta ce qu’il avait ä lui dire. «Le premier 
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 21 



322 


de ces avis, dit le moineau, c’est que bien des gcus assurent 
-que, si Dieu voulait, il ferait passer par le trou d’une aiguille 
une rangöe de soixante-douze chameaux (allusion ä un passage 
connu de l’Evangile reproduit dans le Coran). Eien, en effet, 
n’est en dehors de la puissance de Dieu; mais il ne faut pas 
faire grand cas des efforts de l’homme.» 

«(Le second, c’est qu’il ne faut pas s’effrayer au sujet 
d'une chose qu’on perd; et je te dirai le troisieme lorsque tu 
m’auras relächö.» 

Le derviche Azad (libre des soins du monde) rendit 
1 i b r e le moineau, et celui-ci ötant aller se percher sur la 
branche d’un arbre voisin, s’öcria: «Apprends, faquir que tu 
es un grand fou, et que ton esprit est attaquö, puis que tu 
as perdu volontairement ta proie. J’ai, en effet, dans mon 
gösier, un rubis de grand prix; si tu m’avais tuö pour me man- 
ger, tu t’en serais empare.» Le derviche se frotta les mains 
de dösespoir, en entendant ces mots, et dit au volatile: «J’ai 
inanquö, je l’avoue, une bonne fortune; mais donne-moi donc 
encore un avis». L’oiseau dit: «Ton coeur est semblableäun vase 
poli, mes discours n’y laisseraient aucune trace; pourquoi les 
ferai8-je entendre? On dit en proverbe: Pleurer devant un 
aveugle, b’est abfmer inutilement Ses yeux. O ignorant 1 je 
t’avais döjä dit qu,il ne fallait pas s’affliger au sujet d’une 
chose qu’on perd. Tu l’oublies döjä, sans songer d’ailleurs que 
je ne puis avoir le rubis dont je parle.» Il dit ces mots et 
s’envola, tandisque le faquir, desolö, prit la route de son logis. 

No. 68. Die Erzählung in der arabischen Version von 

al-G l auzi. 

Kitäb al-Adkija’ (Kairo 1306), pp. 178/9. 

Es wird erzählt, daß ein Mann eine Lerche erjagte. Als 
sie sich in seiner Hand befand, sprach sie: „Was willst du mit 
mir anfangen?“ Er antwortete: „Ich werde dich schlachten 
und essen.“ Da sagte sie: „Mit mir wird mau keinen Kran¬ 
ken heilen und keinen Hungrigen sättigen. Aber statt dessen 
will ich dir drei gute Lehren geben, welche dir von größerem 
Nutzen sein, werden als mich zu verspeisen. Was die erste 
anlangt, so will ich sie dir geben, während ich noch in deiner 
Hand bin, die zweite auf dem Baume da, die dritte auf dem 
Hügel.“ Er erwiderte: „Nun wohlan, lehre mich das erste 



323 


"Wort!“ Sie sprach: „Traure nicht über das, was du verloren!“ 
Sprache und entflog auf den Baum. Da forderte er sie auf: 
..Gib mir nun die zweite Lehre!“ Sie sagte: „Glaube nicht, 
was unmöglich geschehen wird!“ Und als sie auf den Hügel 
geflogen war, rief sie ihm zu: „O du Elender, wenn du mich 
geschlachtet hättest, würdest du aus meinem Magen zwei Per¬ 
len hervorgezogen haben, von denen eine jede zwanzig mitkäl 
wiegt.“ Als sie so gesprochen, da biß er sich auf die Lippen 
und war betrübt. Darauf sagte er zu ihr: „Gib mir nun die 
dritte Lehre!“ Sie aber erwiderte: „Du hast ja schon zwei 
vergessen, warum soll ich dir also noch die dritte mitteilen?- 
Sagte ich dir nicht: Trauere nicht über das, was du verloren, 
und glaube nicht, was unmöglich geschehen wird? Ich bin, 
Fleisch und Federn zusammengerechnet, keine zwanzig mitkäl 
schwer.“ Mit diesen Worten entflog und enteilte sie. 

No. 69. Die Erzählung in der syrischen Anekdoten - 
samml. des Bar-Hebraeus. 

The Laughable Stories, ed. by E. A. Wallis Budge, p. 93. 

A house-sparrow having been caught by a man said to 
him: ‘What wouldst thou do with me?’ and he replied: ‘I am 
going to kill and eat thee.’ The sparrow said to him: ‘How can 
the little flesh which is on my body satisfy thee ? pnly 
promise that thou wilt let me go and I will teach thee three 
things which will be much better. for thee than eating me. 
The first thing I will teach thee whilst I am still in thine 
hands; the second when I am on a tree, and the third 
when I am on a rock.’ The birdcatcher said: ‘Teach me the 
first now’. And the bird said: ‘Take heed that thou Üost 
not repent of a thing which is past’; whereupon the bird¬ 
catcher let the sparrow go free. And when the sparrow was 
sitting on a tree, he said: ‘Take heed that thou dost not 
believe in that which cannot happen.’ And then he began to 
fly away, saying: ‘O fool, if thou hadst killed me, thou wouldst 
have found in my stomach two precious stones which are beyond 
price.’ And the birdcatcher began to bite his fingers and said: 
‘Teach me the third thing before thou fliest away.’ Then the 
bird said to him: ‘Since thou hast forgotten the two things 
which I have taught thee, what will it profit thee if I teach 
thee the third? Did I not say ‘Thou shalt not repent over that 


21 * 



324 


which is past\ and ‘Thou shalt not believe in that which 
cannot be?’ wheuever was a precious stone seen in the stomach 
of a sparrow?’ 

No. 70. Die Erzählung in der malaischen Hikäyat- 

Baktiyär. 

Tijdschrift voor Indische Taal-, Land* en Volkenkunde, 38 (1895) 

pp. 255/56. 

Een prins raakt eens op jacht in het bezit van een bulbul 
(nachtegaal). Deze smeekt hem niet van kant gemaakt, maar 
weer los gelaten te worden; wat zou hij er aan hebben hem 
op te eten, en hij zou hem drie raadgevingen geven, een als 
hij nog op zijne hand zat, de tweede als hij een boom bereikt 
zou hebben, en de derde als hij naar den heuvel wegvliegen 

zou. De eerste was: tob niet over gedane zaken; de tweede: 

geloof niet wat in strijd is met hetgeen het verstand leert; in 
plaats van de derde raadgeving, wijst de vogel den prins op 
zijn onverstand hem te hebben laten vliegen, want als hij 
hem gedood had, den zou hij in zijn maag twee juweelen, ieder 
van twintig miskal, gevonden hebben. De prins bijt zieh op 

zijn vingers van spijt, maar vraagt nog om de derde les. 

Dit wordt door den vogel overbodig geheeten; zijne beede 
eerste Jessen waren immers al door hem in den wind ge- 
slagen, want hij had er spijt van gehad, dat hij hem had laten 
vliegen, en er geloof aan geslagen, dat hij twee zulke ge- 
steenten, waarvan er öön al veel zwaarder wezen zou dan 
de vogel zelf was, in zijn maag zou hebben. 

No. 71. Die Erzählung in der Version von ad-Damtri. 

Kitäb Haiatu ’l-haiwän, pp. 284/5. 

Es erjagte ein Mann eine Lerche, und sie sprach: „Was 
willst du mit mir anfangen?“ Er antwortete: „Ich werde dich 
schlachten und essen.“ Da sagte sie: „Bei Gott, ich bin nicht 
fett, und man wird mit mir keinen Hungrigen sättigen und 
keinen Kranken heilen können. Aber statt dessen will ich 
dir drei gute Lehren geben, welche dir von größerem Nutzen 
sein werden als mich zu verspeisen. Was die erste anlangt, 
so will ich sie dir geben, während ich noch in deiner Hand 
bin, und die zweite, wenn ich auf den Baum da geflogen bin, 



325 


und die dritte, wenn ich auf den Hügel geflogen bin.“ Er 
erwiderte: „Nur immer zu!“ Da sprach sie, indem sie sich in 
seiner Hand befand: „Betrübe dich nicht über das, was du 
verloren!“ Da ließ er sie los. Und als sie auf den Baum 
entflogen war, sprach sie: „Glaube nicht, was nicht geschehen 
wird!“ Und als sie auf den Hügel geflogen war, rief sie: „O 
du Elender, wenn du mich geschlachtet hättest, würdest du 
in meinem Magen eine Perle gefunden haben, deren Gewicht 
20 mitkäl beträgt.“ Als sie so gesprochen, da biß er sich auf 

die Lippe .und war betrübt. Darauf sagte er: „Gib mir nun 

die dritte Lehre!“ Sie aber erwiderte: „Da hast ja schon die 

zwei vergessen, warum soll ich dir also die dritte geben?“ Er 

fragte: „Wie so? Da antwortete sie: „Sagte ich dir nicht: 
Betrübe dich nicht über das, was du verloren? Und siehe, 
du betrübtest dich über* mich. Jeh sagte ferner zu dir: Glaube 
nicht, was nicht geschehen wird! Und du glaubtest es trotz¬ 
dem; denn selbst wenn du meine Knochen, meine Federn und 
mein Fleisch zusammennehmen würdest, würde es keine 20 
mitkäl ausmachen. Wieso also wird in meinem Magen eine Perle 
sein, deren Gewicht 20 mitkäl beträgt?“ 

No. 72. Die Erzählung in der Version von al-Tantavi. 

Trnit6 de la langue arabc vulgaire, pp. 226/227. 

Es erjagte ein Mann aus dem Stamme Israel eine Lerche, 
und sie sprach: „Was willst du mit mir anfangen?“ Er ant¬ 
wortete: „Ich werde dich schlachten.“ Da sagte sie: „Bei 
Gott, man wird mit mir keinen Kranken heilen und keinen 
Hungrigen sättigen. Aber statt dessen will ich dir drei gute 
Lehren geben, welche dir von größerem Nutzen sein werden 
als mich zu verspeisen. Was die erste anlangt, so will ich 
sie dir geben, während ich noch in deiner Hand bin, und was 
die zweite betrifft, wenn ich auf den Hügel geflogen bin, und 
was die dritte anlangt, wenn ich auf einen Baum geflogen bin.“ 
Er erwiderte: „Nun, wohlan!“ Sie sprach: „Trauere nicht über 
etwas, was du verloren!“ Und als sie auf den Hügel entflogen 
war, da forderte er sie auf: „Gib mir nun die zweite Lehre!“ 
Sie sprach: „Glaube nicht das, was unmöglich geschehen wird!“ 
Dann entflog sie und flog auf einen Baum und rief ihm zu: 
„O du Elender, wenn du mich geschlachtet hättest, dann wür¬ 
dest du aus meinem Magen eine Perle hervorgezogen haben, die 



zwanzig mitkäl wiegt.“ Da biß er sich auf die Lippen und war 
traurig. Darauf sagte er zu ihr: „Gib mir nun die dritte 
Lehre!“ Sie aber erwiderte: „Du hast ja schon die zwei ver¬ 
gessen, warum soll ich dir also noch die dritte geben? Sagte 
ich dir nicht: Traure nicht über das, was du verloren, und siehe, 
du trauertest über meinen Verlust; ferner sagte ich dir: Glaube 
nicht das, was unmöglich geschehen wird!. Und du glaubtest 
es trotzdem! Denn meine Knochen und meine Federn zusam¬ 
mengenommen wiege ich keine zwanzig mitkäl. Wieso also 
wird in meinem Magen sein, was dieses Gewicht hat?“ 

No. 73. Die Erzählung in der awarisehen Version. 

A. Schiefner, Awarische Texte, p. 101. 

Der Mensch und der Vogel. 

Ein Mensch hatte Schlingen ausgestellt und einen Vogel 
gefangen. Es sprach dieser Vogel zu ihm: „Wozu bin (ich 
dir nötig? Issest du mein Fleisch, wirst du nicht satt, komm 
laß mich los, ich werde dir dafür drei Ratschläge geben, einen, 
während ich noch in deinen Händen bin, zwei, wenn ich vor 
dir auf dem Strauche sitze.“ Es willigte dieser Mann ein. 
„Schau dich vor,“ sagte der Vogel, „was mit der Klugheit 
nicht übereinstimmt, daran glaube nicht.“ Er ließ den Vogel 
los. Kaum vor ihm auf dem Strauche sitzend, sagte der 
Vogel: „Schau dich vor, bereue keine Sache, die schon vorüber 
ist.“ „In meinem Innern,“ sagte der Vogel darauf, „ist Gold 
von der Größe eines Eis, wenn du mich geschlachtet und dieses 
Gold herausgenommen hättest, könntest du bis zum Tode lie¬ 
gend Nahrungsmittel erlangen.“ „O, vermaledeiter Tag!“ sagend, 
biß er sich in den Finger. Der Vogel war im Begriff davonzu¬ 
fliegen. „War nicht die Bedingung, daß du mir drei Rat¬ 
schläge geben wolltest? Du hast mir aber erst zwei gegeben,“ 
rief er ihm nach. „Ich werde dir auch den dritten Rat geben, 
wenn du auch die beiden vorher von mir gegebenen nicht an¬ 
zunehmen verstanden hast,“ sagte der Vogel; „ich selbst bin 
nicht so groß wie ein Hühnerei, wie kann in meinem Innern 
Gold so groß wie ein Hühnerei sein? Das sei dir der dritte 
Rat!“ Nachdem der Vogel dieses gesagt hatte, flog er hinter 
dem Hügel verschwindend davon. 



327 


Nachtrag;. 

Der Herr Verleger macht .mich in sehr dankens¬ 
werter Weise darauf aufmerksam, daß auch ßückert 
den Stoff bearbeitet hat. Diese Bearbeitung findet sich 
in „Gesammelte Poetische Werke“ (J. D. Sauerländer, 
Frankfurt a. M.), 3. Band, S. 239, unter den Brahmani¬ 
schen Erzählungen und trägt den Titel: Weisheit aus 
Vogelmund. Bei der Beurteilung des Gedichtes wäre es 
natürlich interessant zu wissen, ob Rückert mehr oder 
minder getreu übersetzt oder ob er der orientalischen 
Vorlage gegenüber selbständiger verfahren ist. Wie dem 
auch sei, so viel ist sicher: Diese Bearbeitung ist am 
nächsten mit jener der Disciplina clericalis verwandt. 
Mit ihr hat sie insbesondere die Lehre gemein: 

Gib aus den Händen nicht, was du in Händen hast! 
Auch werden hier, wie in der Disc., wirklich drei Leh¬ 
ren gegeben, während in den übrigen orientalischen Ver¬ 
sionen nur zwei davon wirklich erteilt werden. Dis alte 
Stufenfolge bei der Erteilung der Lehren (unterer Ast, 
mittlerer Ast, Spitze des Baumes), von der sich in der 
Disc. noch eine leise Spur findet, zeigt sich, freilich 
verwischt, ebenfalls: 

Die erste Lehre sang das Vögelein vom Ast: 

Und weiter unten: 

Die zweite Lehre gab das Vöglein aus dem Laube. 
Ganz genau wie in der Disc. wird der Vogel schon vor 
der ersten Lehre freigelassen. In der Gegenüberstellung: 
Wie kannst du glauben, daß in meinem Magen liege 
Zwei Pfund schwer ein Juwel, da ich zwei Lot 

[nicht wiege? 

geht Rückert mit der Bearbeitung des Nafhat al-Jaman 
und jener im Anhang von Tausend und einer Nacht 
etwas näher zusammen, als mit der Disc., die aber mit 



328 


ihrem Passus: cum ego tota non sim tanti ponderis 
ebenfalls nicht weit absteht. In ganz auffallenden Ge¬ 
gensatz stellt sich jedoch Rückerts Bearbeitung zur Dis- 
ciplina wie übrigens auch zu den andren orientalischen 
Versionen dadurch, daß die Nutzanwendung aus allen 
drei Lehren gezogen wird, nicht nur aus zweien. Die 
eigentümliche und sehr geschickte Weise, wie das ge¬ 
schieht, erinnert ganz merkwürdig an die Auffassung, 
die sich zuerst im Lai de l’Oiselet findet. 

Es möge nun Rückerts Text folgen. 

Weisheit ans Vogelm/nni. 

Der Vogelfänger fing bei seinem Vogelfang 
Ein Vögelein, das sprach zu ihm mit Vogelsang: 

Wenn du mich lassest fliehn und schenkest mir das Leben, 

So will ich dir dafür drei gute Lehren geben. 

Kr ließ es lachend los und sprach: Mich soll verlangen 5 

Der Weisheit, die ich mag aus Vogelmund empfangen. 

Die erste Lehre sang das Vögelein vom Ast: 

Gib aus den Händen nicht, was du in Händen hast. 

Hättest du mich erwürgt, so hättest du gefunden 
In meinem Magen ein Juwel von zweien Pfunden. 10 

Der Vogelsteller rauft die Haare sich vor Gram, 

Daß solch ein großer Schatz so aus der Hand ihm kam. 

Die zweite Lehre gab das Vöglein aus dem Laube: 

Nicht alles, was dir sagt ein loser Vogel, glaube! 

Wie kannst du glauben, daß in meinem Magen liege 15 

Zwei Pfund schwer ein Juwel, da ich zwei Lot nicht wiege? 
Der Vogelsteller senkt sein Haupt voll tiefer Scham, 

Daß so leichtgläubige Begierd’ ihn übernahm. 

Die dritte Lehre ließ das Vögelein vernehmen: 

Um den entgangnen Fang sollst du dich niemals grämen. 20 
Dem Vogelfänger taugt der Gram nicht noch die Scham; 

Die beiden machen ihm zum Fang die Hände lahm. 

Das Vöglein sang und schwang sich fort und blieb nicht länger, 
Weil neu den Vogelfang anfing der Vogelfänger. 

























































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