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Franz Tyroller
Die Fabel von dem Mann und dem Vogel
in ihrer Verbreitung in der Weltliteratur
LITERARHISTORISCHE
HERAUSGEGEBEN
Dr. M. Mm WAIDBERG
Professor mßpt. Universität
Dr. JOSEF SCHICK
Professor an der Universität
München
Heft 51
FRANZ TYROLLER
DIE FABEL VON DEM MANN UND DEM VOGEL
BERLIN
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Verlag Von Emil Pelber
1912
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Franz Tyroller
Mit einem Stammbaum
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Alle Rechte Vorbehalten
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Sächsische Maschinensatz-Druckerei, O. m. b. H., Werdau i. Sa.
Vorwort.
Die vorliegende Schrift ist aus einer Seminararbeit
erwachsen, deren Thema ich meinem verehrten Lehrer
Herrn Prof. Schick verdanke, und deren Bearbeitung ich
zuerst im Wintersemester 1907/08 unternahm. Im
Jahre 1910 diente sie mir als wissenschaftliche Ab¬
handlung bei der Ablegung meines Examens für den
bayerischen Staatsdienst. Bis zu ihrer Verwendung als
Doktorarbeit ist sie dann nur mehr an einzelnen Stellen
ergänzt worden. Besonderen Dank für manche freund¬
liche Anregung und Hilfe schulde ich außer Herrn
Professor Schick noch den Herren Professoren Hommel
in München und Hell in Erlangen, sowie für die so
unentbehrliche praktische Hilfe meinem lieben Bruder
Max.
Barcelona, im November 1911.
Der Verfasser.
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Franz Tyroller
Die Fabel von dem Mann und dem Vogel
in ihrer Verbreitung in der Weltliteratur
LITERARHISTORISCHE
HERAUSGEGEBEN
M. Ffb. v. WALDBERG
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Dr. JOSEF SCHICK
Professor an der IJaiversität
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Alle Rechte Vorbehalten
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Sächsische Maschinensatz-Druckerei, O. m. b. H. t Werdau i. Sa.
Vorwort.
Die vorliegende Schrift ist aus einer Seminararbeit
erwachsen, deren Thema ich meinem verehrten Lehrer
Herrn Prof. Schick verdanke, und deren Bearbeitung ich
zuerst im Wintersemester 1907/08 unternahm. Im
Jahre 1910 diente sie mir als wissenschaftliche Ab¬
handlung bei der Ablegung meines Examens für den
bayerischen Staatsdienst. Bis zu ihrer Verwendung als
Doktorarbeit ist sie dann nur mehr an einzelnen Stellen
ergänzt worden. Besonderen Dank für manche freund¬
liche Anregung und Hilfe schulde ich außer Herrn
Professor Schick noch den Herren Professoren Hommel
in München und Hell in Erlangen, sowie für die so
unentbehrliche praktische Hilfe meinem lieben Bruder
Max.
Barcelona, im November 1911.
Der Verfasser.
8
Inhaltsverzeichnis
Einleitung Seite
1. Übersicht über die bisherige literarische Forschung 1
2. Die Aufgabe vorliegender Arbeit.20
Erster Abschnitt
Die Quelle von Lydgate’s Gedicht ‘The Chorle and the
Bird’ und die von der Disciplina clericalis ausgegange¬
nen Bearbeitungen der Erzählung .23
1. Lydgate’s Gedicht.23~
2. Die als Episode in den ‘Donnei des Amants’ einge¬
schalt. altfranz. Bearbeitg.28
3. Die Erzählung in der Disciplina clericalis des Petrus
Alphonsi .37
4. Die Erzählung in der altfranz. Prosaversion der Dis¬
ciplina clericalis.39
5. Die Erzählung im Chastoiement 1.39
6. Die Erzählung im Chastoiement II.40
7. Das Lai de l’Oiselet.42
8. Die Erzählung in den *R6cits d’un Menestrel de
Reims au XIII siöcle’.50
9. Wielands Gedicht ‘Der Vogelsang oder die drei
Lehren’.. 63
10. Nicolay’s Gedicht ‘Der Mann und das Vögelein’ . . 55
11. Le Grand d’Aussy’s Bearbeitung des Lai de l’Oiselet 56
12. G. L. Way: ‘The Lay of the Little Bird’.58
13. Die Erzählung im ‘Libro de los Exemplos’.59
14. Die ältere isländische Version.60
15. Die Neubearbeitung der Erzählung der Disc. der.
in Steinhöwels Äsop.60
16. Die Erzählung in Steinhöwels deutscher Bearbeitung
seines Äsop.63
- Vlll —
Seite
17. Hans Sachsens Gedicht ‘Drey guter nützlicher lehr
einer Nachtigall’.63
18. Die Erzählung in Julien Macho’s franz. Bearb. von
Steinhöwels Äsop.64
19. Die Erzählung in Caxton’s engl. Übersetz, des Äsop
nach dem Französ.66
20. Die Erzählung in der spanischen Übersetzung von
Steinhöwels Äsop.67
21. Die Erzählung in Sebastian Brants revidierter Aus¬
gabe des Steinhöw. Äsops.67
22. Die Erzählung in den äsopischen Fabeln des Came-
rarius .68
23. Die Erzählung in Luthers Tischreden.69
24. Die Erzählung in Kirchhofs Wendunmuth.70
26. Die Erzählung in der metr. latein. Bearbeitung des
Pantaleon Candidus .71
26. Die jüngere altisländische Version .72
27. Das mittelhochdeutsche Gedicht ‘Des Vögeleins drei
Lehren ..72
Zweiter Abschnitt
Die von dem griechischen Roman ‘Barlaam und Joasaph’
abgeleiteten Versionen unserer Erzählung.74
1. Die Parabel im griechischen Barlaam.75
2. Die Parabel in der mittelalterl.-latein. Übersetzung
des griech. Barlaam.. . . 78
3. Die Parabel in Bromyard’s ‘Summa praedicantium’ . 79
4. Die Parabel im Dialogus creaturarum des Nicolaus
Pergamenus.80
5. Die Parabel als exemplum des Jacobus Vitriacensis 81
6. Die Parabel in der ‘Scala celi’.. . . . 82
7. Die Parabel in des Vincentius Bellovacensis abge¬
kürzt. Bearb. des lat. Barl.82
8. Die Parabel im ‘Seelentrost’.83
9. Van Duyse’s Gedicht ‘De Les des Nachtegaals’ ... 85
10. Die Parabel der in die Legenda aurea aufgenomm.
gekürzt. Fass, des lat. Barl.85
11. Die Parabel im mittelfranz. und mittelengl. Versio¬
nen der Legenda aurea, insbesondere aber in Cax¬
ton’s Golden Legend .86
12. Die Parabel in den ‘Narrationes’ des Odo von Cerington 88
IX
Seite
13. Die Erzählung in den Gesta Romanorum. 89
14. Die Erzählung in verschiedenen Übersetzungen der
Gesta... 91
15. Das mhd. Gedicht ‘Der Jäger und die Nachtigall* in
Lassbergs Liedersaal. 93
16. Die Erzählung in Boners Edelstein .. 93
17. Die fälschlich dem Stricker zugeschriebene ;mhd.
Bearbeitung der Erzählg. 95
18. Die Parabel in den altfranz. Bearb. des mittelalt.-
lat. Barl., insb. bei Gui de Cambrai. 96
19. Die Par. in der provenz. u. in den ital. Bearb. des
lat. Barl., sowie bei Piovano Arlotto . 97
20. Die Parabel im ‘Cavallero Cifar’.102
21. Die Parabel -in den deutschen Bearbeitungen des
mittelalt.-latein. Barl.104
22. Die Parabel in den englischen Bearbeitungen des ^
mittelalt.-latein. Barl.105
23. Die Parabel in den skandinavischen Bearbeitungen
des mittelalt.-lat. Barlaam.106
24. Die Parabel in der jüng. von Billius verf. lat.
Übers, des griech. Barl. u. in deren Derivaten . . 107
25. Die Parabel in den vom griech. Barl, ausgegang.
osteur. u. Orient. Bearbeitungen.108
Dritter Abschnitt
Die Parabel in den orientalischen Barlaamversionen und
die von ihr ansgegangenen Einzelbearbeitnngen ... 114
1. Allgemeines .114
2. Die orientalischen Barlaamversionen.116
3. Die Parabel in den einz. Vers.; Versuch einer Re-
konstr. des Textes in der Urform des Barl. .... 119
4. Die von Ibn Chisdai ausgegangenen jüdischen Be¬
arbeitungen der Erzählung.127
5. Die beiden aus dem Orient. Barl, geflossenen per¬
sisch. Einzelversionen der Erzählung.129
6. Die bugische Einzelversion und ihre Bedeutung
als Bindeglied zwischen der Parabel des orientali¬
schen Barlaam u. der Gruppe der arab. Einzel¬
versionen .134
7. Die Erzählung der Disciplina im Zusammenhang der
arab. Einzelversionen.144
X
Seite
8. Die mit der Fabel vom Vogel und von der Falle
verbünd. Versionen der Erz.146
' I. Nafhatu ’l-Jaman ... . 148
II. Tausend und eine Nacht.. . 149
Ila. Die Dependenzen von ‘Tausend und eine Nacht’ 150
III. Die hindostanische Version.162
9. Die kleinen orientalischen Versionen.157
i • Vierter Abschnitt
Spuren unserer Erzählung in Indien und sonstwo . . . 164
Anhang
Texte.... 177
1. Lydgate: The Chorle and the Bild. . 177
2. Le Donnei des Amants .. 189
3. Petri Alphonsi Disciplina clericalis, cap. XXIII (XX) 195
4. Discipline de Clergie. Traduction de l’ouvrage de
Pierre Alphonse (conte XX).196
5. Conte XX: Du vilein et de l’oiselet, du Chastoie-
ment L. 197
6. Conte XIX: Du Vilein et de l’oiselet, du Chastoie-
ment n . .. 199
7. Das Lai de l’Oiäelet . ..203
8. Die Erzählung in den Röcits d’un Menestrel de
Reims . . 7 ‘ .213
9. C. M. Wieland: Der Vogelsang oder die drei Lehren 214
10. Nicolay: Der Mann und das Vögelein.225
11. Le Grand d’Aussy: Le Lai de l’Oiselet . . . . 226
12. Way: The Lay of the Little Bird.. . 229
13. El Libro de los Exemplos .. 233
14. [Af böndai einum er fekk fugl i eplagaröi] .... 234
15. Steinhöwels Neubearbeitung der Erzählung der Dis-
ciplina.. . . 235
16. Die Erzählung in Steinhöwels deutscher Bearbeitung
seines Äsop . . ... . . 236
17. Hans Sächs: Drey guter nützlicher lehr einer Nach- ;
1 tigall . . . . . . . ; p . . 237
18. Julien Macho: La. VI. fable düng laboureur et düng
rossignol . . . .. . 242
l9! Die Erzählung in Oaxton’s Aesop. :....• 243
20. Die Erzählung im spanischen Aesop ........ 244
XI
Seite
21. Die Erzählung in Sebastian Brants Aesop.245
22. Die Erzählung in den Äsopischen Fabeln des Came-
rarius.246
23. Die Erzählung in Luthers Tischreden.246
24. Die Erzählung in Kirchhofs Wendunmuth.247
25. Die Erzählung in der Bearbeitung des Pantaleon
Candidus.248
26. Die jüngere altisländische Version.248
27. Des Vögeleins drei Lehren.249
28. Die Parabel des griechischen Barlaam-Romanes . 252
29. Die 7 “ Parabel des mittelalterlich-lateinischen Barlaam 252
30. Die Parabel in Bromyard’s Summa praedicantium . 253
31. Die Parabel im Dialogus Creaturarum des Nicolaus
Pergamenus . ..254
32. Die Parabel als Exemplum des Jacobus Vitriacensis 255
33. Die Parabel in der ‘Scala celi’.256
34. Die Parabel bei Vincentius Bellovacensis.256
35. Die Parabel in ‘Den Dobbelen Zielentroost’ .... 257
36. Van Duyse: De Les des Nachtegaals.258
37. Die Parabel in der Legenda aurea.259
38. Die Parabel in der me. Bearbeitung der Legenda
aurea vom Jahre 1438 .. . 260
39. Die Parabel in Caxton’s Golden Legend.261
40. Die Erzählung in den Gesta Romanorum.262
41. Das mhd. Gedicht: Der Jäger und die Nachtigal . 264
42. Die Erzählung in Boners Edelstein.266
43. Die Erzählung in der Sammlung altdeutscher Bei¬
spiele .268
44. Die Parabel im franz. Barlaam des Gui de Cambrai 270
45. Die Parabel im sürselvischen Barlaam.273
46. Die Erzählung in den Fazetien des Piovano Arlotto 274
47. Die Erzählung in der ‘Historia del Cavallero Cifar’ 275
48. Die Parabel im engl. Barlaam des Cod. Bodl. 779 278
49. Die Parabel im engl. Barlaam des Cod. Vernon . 279
50. Die Parabel im engl. Barlaam des Cod. Harl. 4196 280
51. Die Parabel im altnorwegischen Barlaam.282
62. Die Parabel im altschwedischen Barlaam.283
53. Die Parabel in der lat. Barlaamübersetzung des
Billius.284
54. Die Erzählung in der Fabelsammlung des Armeniers
Vartan.285
Xll
Seite
55. Die Parabel im Kitäb Balauhar wa-Büdäsaf . . . 286
56. Die Parabel im arabischen Barlaam-Auszug .... 287
57. Die Parabel in Meiseis Übersetzung des hebr&ischen
Barlaam.288
58. Die Parabel des hebräischen Barlaam nach Stein¬
schneiders Übersetzung.298
59. Die Erzählung im Simchäth hannefesh.297
60. Die Erzählung in Tendlaus Buch ‘Fellmeiers Abende’ 298
61. Die Erz. in der pers. Bearb. des Dschelaleddin
Dschaafer Ben Ferchani.300
62. Die Erz. in der persischen Geschichtensammlung
‘Mahbüb al-Kulüb’.302
63. Die Erzählung in der bugischen ‘Geschichte von
König Indjilai’.305
64. Die Erzählung in der Bearbeitung des Nafhatu
i’-Jaman.308
65. Die Erzählung im Anhang von ‘Tausend und eine
Nacht’.310
66. Die Erzählung in der arab. Version d. Ms. Pot. .... 317
67. Die Erzählung in der hindostanischen Version . . . 321
68. Die Erzählung in der arab. Version von al-G’auzl 322
69. Die Erz. in der syrischen Anekdotensammlung des
Bar-Hebraeus.323
70. Die Erzählung in der malaischen Hikäyat-Baktiyär 324
71. Die Erzählung in der Version von al-Damtrl . . . 324
-72. Die Erzählung in der Version von al-Tantawl . . . 325
73. Die Erzählung in der awarischen Version.326
Nachtrag. 327
Stammbaum
Einleitung.
1. Übersicht über die bisherige literarische
Forschung.
Die Anfänge der literarischen Forschung über die
in der ganzen Weltliteratur verbreitete Erzählung von
,,Mann und Vogel“ fallen in die Mitte des 18. Jahrhun¬
derts, also in eine Zeit, in welcher alles mittelalterliche
Schrifttum gänzlich vergessen schien, und waren dem¬
gemäß sehr bescheiden. Wenn wir von dem ganz ver¬
unglückten und selbst in gelehrten Kreisen nahezu un¬
bekannt gebliebenen Versuche Barbazan’s 1 ) unter anderen
Schätzen der altfranzösischen Literatur auch unsere Er¬
zählung im alten Gewände neu zu beleben, absehen, so
treffen wir den Beginn einer vergleichenden Forschung
bezeichnenderweise auf deutschem Sprachgebiet, indem
Breitinger 2 ) zu Nr. 92 der sich später als Boner’s
Eigentum entpuppenden Fabeln eine aus einer mittel¬
hochdeutschen Handschrift der Gesta Romanorum ent¬
nommene ‘Erzählung’ verglich, „damit man den Stoff
*) Fabliaux et Contes, Paris 1756, 3 vol.; Castoiement 1760
[Ebert, Allg. Bibi. Lex. I, p. 135, Nr. 1623] ; im ersteren Werke
das Lai de l’Oiselet vol. I, p. 179 [Wieland, Werke, Bd. XVIII,
p. 365, Fußnote].
2 ) Fabeln aus den Zeiten der Minnesinger, Zürich, 1757, 8°,
pp. 219, 242; übe/ Breitingers Verfasserschaft dieses anonymen
Buches vgl. Goedeke, Grundriß, zu Boner.
Tyr oller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel.
1
2
zu dergleichen kritischen Arbeiten bei der Hand habe“.
Aber dieser Anlauf blieb auf deutscher Seite lange Zeit
vereinzelt.
Der nächste Schritt geschah unabhängig von dem
soeben geschilderten, und ausgehend von Lydgate’s Ge¬
dicht ‘The Chorle and the Bird’, auf englischer Seite,
wo Tyrwhitt 3 ) im Tntroductory Discourse to the Canter-
bury Tales’ gelegentlich auf das Gedicht zu sprechen
kommt und die Verfasserschaft Lydgate’s anderweitigen
Behauptungen gegenüber feststellt, zugleich aber auch als
Erster auf die von Petrus Alphonsi in der Disciplina cleri-
calis erzählte Geschichte aufmerksam macht. Ein paar
Jahre später [1781] konnte ein zweiter bekannter eng¬
lischer Forscher, ThomasWarton 4 ), von Kap. 167 der Gesta
ausgehend, diesen Hinweis erneuern und zugleich als
Erster auf das .wichtigste Verbreitungsgebiet der Er¬
zählung, ‘the Greek legend of Barlaam and Josaphat’
das Augenmerk lenken, und zwar auf die lateinische
Übersetzung derselben in der Baseler Ausgabe der Werke
des Joannes Damascenus und in des Surius Legenda
Sanctorum; dazu fügte» er als Parallele die Version in
Caxton’s Golden Legend.
Unterdessen schien p,uf französischem Boden ein
bedeutender Fortschritt gemacht und sogar die Urquelle
der Erzählung aufgedeckt [worden zu sein. Es hatte
nämlich [1779] Le Grand d’Aussy 5 ) im Anschluß an
8 ) The Canterbury Tales of Chaucer, London, 1775—1778;
mir liegt vor die Ausgabe London 1828, 8°, wo die angezogene
Stelle vol. I, p. 156, Anm. 31 sich befindet.
*) Dissertation on the Gesta Romanorum, London 1781; in
der Hist, of Engl. Poetry (L. 1871) v. I, p. 285.
6 ) Fabliaux ou Contes du XII e et du XIII8 siede etc., Paris
1779, 8°; mir liegt die Stelle vor in tome III jj. 436 der 2. fünf-
bänd. Auflage (Paris, 1781, 12°).
3
das Lai de l’Oiselet mit der Behauptung ‘ce conte est
imite de Bidpai’ auf eine kleine orientalische Erzählung
hingewiesen, die, wenn schon sie nicht die Quelle unse¬
rer Geschichte sein kann, dennoch mit ihr in gewissen
Beziehungen steht. Le Grand hat zuerst auch die Fabel
der Marie de France ‘Le Vilain et le Loup’ mit dem Lai
de I’Oiselet in Zusammenhang gebracht 6 ) und, was er
sonst selten tut, eine ganze Reihe (anscheinender) Paral¬
lelen in italienischen und französischen Novellisten be¬
nannt. Die Behauptung Le Grand’s betreffs der Quelle
des Lai hat dann [1796] G. Ellis 7 ) mit einiger Reserve
wiederholt, außerdem auch nach Tyrwhitt und Warton
das Gedicht Lydgate’s in neuerliche Erinnerung gerufen,
‘but the translator (Way) had not the opportunity of
ascertaining its relation to the French fabliau’.
Einen weiteren Schritt vorwärts tat wiederum ein
Deutscher, der Münchener Bibliothekar B. J. Docen 8 ),
der [1813] aus dem bis dahin noch ungedruckten grie-
6 ) tome IV, pp. 413/14; hiebei ist Le Grand ein m. W. noch
nirgends gerügter Irrtum unterlaufen, wenn er behauptet, Marie de
France habe außer der Fabel ‘le vilain et le loup* auch das ‘lai
de Toiselet’ als Fabel behandelt; die trois (in Wahrheit bloß zwei) «
maximes, die er daraus anführt, sind aber dem bei Barb.-Meon ver-
öff. Castoiement entnommen.
7 ) Fabliaux or Tales, abridged from French Mss. of the XII th
and XIII th cent. by M. Le Grand, Selected and translated into
English verse by the late G. L. Way, with a preface, notes and
appendix by G. Ellis, London 1796—1800, 2 vols. 8°; mir liegt
vor die dreibänd. Ausg. Lond. 1815, 8°; die betreffende Stelle vol. I,
pp. 166/7.
8 ) Über die Äsopischen Fabeln, in Beyträge zur Geschichte und
Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der königl. Hof- und Central¬
bibliothek zu München, hg. von Joh. Chr. Freyh. von Aretin, Bd.
IX, pp. 1233 ff, die betr. Stelle pp. 1247—49; der Band trägt
zwar das Datum 1807, erschien aber erst 1813 (vgl. ebd. p. 1325) ;
Docens Beitrag trägt den Vermerk: München, im August 1812.
V
chischen Barlaam unsere Parabel mitteilte, zugleich aber
auch auf das französische lai und als Erster auf Wie¬
lands Bearbeitung desselben hinwies. Wie wenig man
aber noch den Zusammenhang zwischen den bisher ge¬
wonnenen kärglichen Ergebnissen ahnte, beweist Docens
Vermutung, die Quelle des Altfranzosen sei im Barlaam
oder in den Gesta zu suchen. Seinem am gleichen Orte
gegebenen Versprechen „bei anderer Gelegenheit einige
neue Materialien mitzuteilen“, kam Docen nach, indem
er im selben Jahre [1813] aus einem Würzburger
Kodex, der nach seiner Meinung ‘Strikers Fabelbucli,
genannt die Welt’ enthielt, das ‘von einem vogeler’ be¬
titelte mhd. Gedicht veröffentlichte 9 ).
In Frankreich war unterdessen [1808] durch Meon’s
Neuausgabe des vergessenen Barbazan 10 ) nicht nur das
Vorkommen der Erzählung im ‘Castoiement’, sondern
auch dessen Charakter als einer Übersetzung der Dis-
eiplina clericalis mit aller Deutlichkeit nachgewiesen
worden, so daß Douce 11 ) und Roquefort 12 ) diese Tat¬
sachen einem weiteren Leserkreise vermitteln konnten.
Nicht ohne Verdienst war dann [1824] die Anmer-
9 ) Aus des Strikers Fabelbuch, genannt die Welt, in Alt¬
deutsche Wälder, hg. durch die Brüder Grimm, Siebent. Heft (erstes
des 2. Bd.), Cassel 1813, 8°, pp. 1 ff; die betr. Stelle pp. 5—7.
10 ) Fabliaux et Contes des Poetes Francois des XI, XII, XIII,
XIV et XV e siecles, tires des meilleurs auteurs, p. p. Barbazan.
Nouvelle ed. p. M. Meon, Paris 1804, 4°, 3 vol; vgl. bes. vol. II,
p. IX u. pp. 140 ff.
u ) bei G. Ellis, Specimens of Early English Metrical Ro-
mances, sec. ed. Lond. 1811, App. I, pp. 133—142; in der mir
vorliegenden, von J. 0. Halliwell besorgten New Edition London
1848, p. 42.
12 ) Po6sies de Marie de France, Paris 1820, 2 vol. 8°; vgl.
tome I, p. 29 Anm. 3; tomc II, p. 324, Anm. 1.
5
kung des Rev. Charles Swan 13 ) zu chap. 167 seiner Über¬
setzung des Vulgärtextes der Gesta, welche die Angaben
Warton’s wiederholte und neuerdings an Lydgate er¬
innerte, zugleich aber auch Way’s schwer zugängliche
Bearbeitung des franz. lai nach Le Grand vollständig
mit abdruckte.
Im selben Jahre [1824] besorgte Labouderie in Ver¬
bindung mit Meon für die Societe des Bibliophiles fran-
gais eine Ausgabe der Disciplina und zweier altfranzö¬
sischen Übersetzungen derselben in 25 Exemplaren 14 ).
Die kritische Stellung der Herausgeber zur Geschieht/!
unserer Erzählung ist noch jene von Le Grand.
Die erste ausführlichere und zusammenhängende
Darstellung über die ( bis dahin bekannt gewordenen
Texte unserer Geschichte gab einige Jahre später [1827]
Fr. Wilh. Val. Schmidt 15 ) zu cap. XXIII seiner editio
13 ) Gesta Eomanorum, Entertaining Moral Stories, London
1824, 2 vols, 8°; liegt mir vor in dem von E. A. Baker ein¬
geleit. einbänd. Neudr. London 1905 (Libr. of early novelists 6) ;
die Anmerkung hier pp. 457—60.
14 ) Disciplina clericalis; auctore Petro Alphonsi, Ex-Judaoo
Hispano; gegenüber: Discipline de Clergie; Traduction de l’Ouvrage
de Pierre Alphonse. Premiere Partie. Soc. des Bibi. fr. Paris, de
rimprimerie de Rignoux. MDCCCXXIV. (XVI u. 208 S. in kl.
4°); der 2. Band: Le Chastoiement d'un Pere a son Fils, Traduction
en vers frangais [de] Touvrage de Pierre Alphonse etc. (IV u. 240
S. Kl. 40); vgl. ebd. pp. III, IV.
lö ) Petri Alphonsi Disciplina Clericalis. Zum erstenmale hg. .
Ein Beitrag zur Geschichte der romantischen Literatur, Berlin 1827,
4°; pp. 150—154; vgl. auch -Schmidts Einleitung. — Schmidt ver¬
weist p. 151 gelegentlich des Barlaam auf alle von Ebert in dessen
Bibi. Lex. aufgeführten Bearbeitungen dieses Romans und trägt
dazu das afz. Mystere du Roy Advenir nach, von dem er aus
Melanges tires d’une grande Bibi. IV, p. 362 und Parfaict, Hist,
du Theätre Frangais, II, p. 475 Kenntnis hat. Diese Stelle haben
spätere Forscher so aufgefaßt, als habe Schmidt das Vorkommen
6
(princeps) der Disciplina. Er verwertete nicht nur alles
bisher Geschriebene, sondern gab obendrein eine ganze
Reihe von neuen Nachweisungen und Andeutungen. Zum
erstenmale finden wir .hier eine schärfere Scheidung
zwischen den aus der Disciplina und den aus dem Bar-
laam geflossenen Bearbeitungen, welch letzteren die
Priorität vor den ersteren zuerkannt wird. Zu den
einen stellt Schmidt die im Castoiement und in Stein-
höwels Äsop enthaltenen, zu den anderen die in den
Gesta, bei Boner und in Caxton’s Legend (als einer Be¬
arbeitung der Legenda aurea) befindlichen Versionen.
Für die angebl. Bearbeitung des Strikers, für das Lai
de l’Oiselet, die Fabel der Marie de France, das Gedicht
von Lydgate, das er nicht aus eigner Lektüre kennt,
und für die von ihm zuerst beigebrachten Versionen von
Hans Sachs, H. W. Kirchhof und L. H. Nicolay gibt er
keinen geschichtlichen Zusammenhang an. Die Anmer¬
kung Schmidts, welche sich nicht auf die bloße Auf¬
zählung der Parallelen beschränkt, sondern meist auch
kurze charakteristische Bruchstücke gibt, ist für die
nächsten Jahrzehnte der Ausgangspunkt aller weiteren
Forschung geblieben.
Auch Jacob Grimm 16 ) hat sich für unsere Erzäh¬
lung interessiert; sie stellt ihm eine Ausnahme von sei¬
ner Theorie dar, wonach die Tierfabeln der einzelnen
morgen- und abendländischen Völker in einem Verhältnis
der Urverwandtschaft zu einander stehen.
Mit den Angaben Schmidts verglichen, sind jene von
uns, Erz. in den beiden genannten Werken andeuten wollen, und
haben so ‘Melanges’ und ‘Parfaict’ als Nachweise aus Schmidt
übernommen. Tatsächlich wird die Parabel in dem noch unedierten
mystere kaum Vorkommen.
16 ) Reinhart Fuchs, Berlin 1834, 8°, p. CCLXXXI, Fußnote.
7
A. Loiseleur Deslongchamps 17 ) [1838] weit weniger klar
und inhaltsreich; so z. B. läßt er den Petrus Alphonsi
*
aus dem Barlaam schöpfen. Als neue Nachweise bringt
er namentlich die französische Barlaamübersetzung des
Jean de Billy und deii'Apolog des Erzbischofs Rigaud
aus der Chronique de Rains (Recits d’un Menestrel).
Außerdem stellt er fest, daß die von Le Grand ver¬
glichene Fabel Bidpai's nur in zwei Versionen desselben,
in den persischen Anvär-i Suhaili und dem türkischen
Humayün Nämeh, vorkommt, und erkennt überdies in
ihr nur ‘un rapport bien eloigne avec le lai de l’oiselet’.
Im Jahr 1840 veranstaltete J. O. Halliwell 18 ) eine
Ausgabe von Lydgate’s Gedicht und erklärte in der
Einleitung dazu das Lai de l’Oiselet für die wahrschein¬
liche Quelle Lydgate’s, Was freilich unzutreffend ist.
Das lai selbst ist nach Halliwell eine Verschmelzung der
beiden Castoiements, der altfranzösischen Übersetzungen
der Disciplina clericalis.
Die nächsten Jahre brachten Beiträge aus den Fe¬
dern verschiedener deutschen Forscher. Zunächst machte
Franz Pfeiffer 19 ) [1842] darauf aufmerksam, daß im
mhd. Barlaam des Rudolf von Ems im Gegensatz zu
jenem! des Bischofs Otto die Parabel vom Vogelsteller
nicht übersetzt sei. Im selben Jahr trug J. G. Th.
Grässe 20 ) zu Kap. 167 seiner deutschen Übersetzung
17 ) Essai sur les Fables Indiennes et leur introduction en
Europe, Paris, 1838, 8°, p. 71, Anm. 11; vgl. denselben in Mille
et un Jours, Contes Persans, Paris, 1838, 8°, p. 448 Anm.
18 ) A Selection from the Minor Poems of Dan John Lydgate,
London, 1840, 8° (Percy Soc.) pp. 179 ff.
10 ) Der Laubacher Barlaam, in ZfdA. II (1842), pp. 361/2.
20 ) Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legenden¬
buch des christlichen Mittelalters zum erstenmale vollständig aus
dem Latein, ins Deutsche übertragen, 2. Hälfte, Dresden und
Leipzig 1842, 8°, p. 276.
8
der Gesta die letzte Literatur nach und fügte als neuen
Nachweis cap. 100 von Pergamenus’ Dialogus Crea-
turarum bei. Sonst verdient noch seine Ansicht Be¬
achtung, die Disciplina sei die Quelle des lai gewesen.
Im Jahre 1846 veröffentlichte dann Adelbert Keller 21 )
aus einem Münchener Kodex ein weiteres mhd. Gedicht
‘des Vögleins drei Lehren’ und brachte eine schon 1822
in Lassbergs Liedersaal herausgegebene mhd. Bearbei¬
tung in Erinnerung. Sein Versprechen Mehreres über
diesen Stoff bei den Gesta Romanorum mitzuteilen, hat
Keller nicht eingelöst, denn der zweite Band seiner Aus¬
gabe der lat. Gesta — der erste kam 1842 heraus —,
welcher die Anmerkungen enthalten sollte, ist niemals
erschienen.
Das Jahr 1847 gab mit M. Steinschneiders 22 ) Über¬
setzung der Parabel nach Ibn Chisdai’s hebräischer Be¬
arbeitung des Barlaam einen weiteren Beleg für das
Vorkommen der Erzählung und der in ihr enthaltenen
Gedanken in der orientalischen Literatur.
In Frankreich brachte gleichzeitig [1847] der XIX.
Band der großen Histoire Litteraire 23 ) nebst einem Ab¬
druck des Apologs des Erzbischofs Rigaud ausführlichere
Nachweise, von welchen jener der Vitae Patrum des H.
Rosweydus neu ist. Edelestand du Meril 24 ) teilte [1854]
21 ) Altdeutsche Gedichte, Tübingen, 1846, 8°, p. 12.
22 ) Manna, Berlin, 1847, 8°, pp. 41—46; Anmerkung dazu
p. 98.
23 ) Paris, 1847, 4°, p. 621, gelegentlich der Lebensbeschreibung
des Erzb. Eudes Rigaud; ferner bei der Besprechung der Chronique
de Rains, p. 717; die betreffenden Artikel sind mit den Initialen
V. L. C. unterzeichnet. — Ungefähr dieselben Nachweise wiederholt
Hist. Litt. t. XXIII (1856) p. 77 in einem ebenfalls V. L. C. Unter¬
zeichneten Artikel über die fabliaux.
24 ) Poesies inedites du moyen äge, Paris 1854, 8°, pp. 144 bis
146, die Anmerkung dazu p. 146.
9
ebenfalls den erwähnten Apolog mit und gab im An¬
schluß daran eine kurze zusammenfassende Darstellung
von der Verbreitung der Erzählung, die wegen des Nach¬
weises der fabula rhythmica ‘de lupo poenitentiam agente’
und überhaupt wegen der versuchten Anknüpfung unse¬
rer Geschichte an die Fabel von den drei Wahrheiten,
für deren indischen Ursprung er eintritt, wertvoll ist.
In Deutschland schritt unterdessen die Forschung
rüstig vorwärts. Zwar brachte Felix Liebrechts 25 ) An¬
merkung zur Parabel des Barlaam wenig Neues, dafür
aber besprach [1853] K. L. Roth 20 ) zum erstenmal die
armenische Version Vartan’s und verglich, noch vor
du Meril, zu unserer Erzählung die Fabel von den drei
Wahrheiten nach Babrios ,,Wolf und Fuchs“ und Äsop
,,Wolf und Kind“. — Eine dankenswerte Zusammenstel¬
lung der bisher bekannt gewordenen deutschen Bearbei¬
tungen mit einem Neudruck der angeblichen Version des
Strikers gab im nächsten Jahre [1854] Karl Goedeke 27 ).
— Auch Ludwig Uhland 28 ) hat sich mit unserem Stoffe
beschäftigt und eine recht übersichtliche und feinsinnige
Skizze der Verbreitung desselben mit Inhaltsangabe nach
dem griechischen Barlaam und dem Lai de l’Oiselet ver¬
öffentlicht. Besonders hervorgehoben zu werden verdient
seine scharfe Scheidung zwischen den Disciplina- und
25 ) John Dunlop’s Geschichte der Prosadichtungen, aus dem
Engl, übers. . . Berlin 1851. 8°, p. 462, Anm. 74.
26 ) Über die äsopische Fabel in Asien, im Philologus VIII
(1853), p. 140.
27 ) Deutsche Dichtung im Mittelalter. Hanovcr, 1854, 8°, pp.
640, 650, 671.
28 ) Der Rath der Nachtigall, in d. Germania III (1858),
p. 140 ff., wiederholt in Uhlands Schriften zur Geschichte der Dich¬
tung und Sage, dritter Band: Alte hoch- und niederd. Volkslieder
mit Abhandlungen und Anmerkungen. Zweiter Band: Abhandlung.
Stuttgart 1866, 8°, pp. 89 ff., 101 —108.
10
den Barlaam-Versionen. — Das Jahr 1859 brachte dann
das für die Geschichte der Fabel- und Märchenliteratur
bahnbrechende Werk Theodor Benfeys 29 ), der auch für
unsere Erzählung in Indien Anknüpfungspunkte suchte
und außerdem als neuen Parallelennachweis das mä§äl
des ‘Simchoth hanefesh’ lieferte. — Auf Benfeys Ver¬
suche hat dann [1860] F. Liebrecht 30 ) im Zusammen¬
hänge mit dem Barlaam, über dessen indischen Ursprung
er ja schon früher Gewißheit verbreitet hatte, neuer¬
dings hingewiesen. Kurzei Beiträge sind außerdem zu
verzeichnen von *M. Steinschneider 31 ), der eine ganz
kurze hebräische Version in einem alten Drucke nach¬
wies, und außerhalb Deutschlands von Gayangos 32 ), der
zu cap. LIII des von ihm edierten Libro de los Exemplos
das cap. XXIII der Disciplina clericalis als Quelle
erkannte.
Eine Literatur- und Parallelenzusammenstellung, so
vollständig, wie sie damals überhaupt irgendwie möglich
war, lieferte im Jahre 1869 Hermann österley 33 ) pu
29 ) Pantschatantra: Fünf Bücher indischer Fabeln, Märchen
und Erzählungen, aus dem Sanskrit übersetzt. Erster Theil: Ein¬
leitung. Über das indische Grundwerk und dessen Ausflüsse, so¬
wie über die Quellen und Verbreitung des Inhalts desselben. Leip¬
zig, 1859, 8°, pp. 380/1 et passim.
30 ) Die Quellen des Barlaam und Josaphat, in Jahrb. f. rom.
u. engl. Lit. II (1860), p. 332; wiederholt in F. Liebrecht, Zur
Volkskunde, Heilbronn, 1879, 8°, p. 458.
81 ) Catalogus Libr. Hebr. in Bibi. Bodleiana, Berolini 1852
bis 1860, 4°, p. 605, Nr. 3870, sub 1. Mir nicht zugänglich. Vgl.
G. Paris, Legendes du Moyen Age, p. 230, Anm. 2, wo bemerkt ist,
daß unsere Erzählung in diesem Drucke ganz ähnlich der Parabel
des griech. Barlaam ist.
32 ) Autores Espanoles LI, Madrid 1860, 4°, p. 460 Fußnote;
vgl. dazu Puymaigre, Les vieux auteurs castillans, Paris-Metz 1862,
8°, tome I, p. 446.
33 ) Wendunmuth von Hans Wilhelm Kirchhof, hg. v. H. ö. f
Bd. V, p. 107/8 (Tübingen 1869, 8°; Lit. Ver. IIC).
11
der schon von Schmidt beigebrachten Erzählung Kirch¬
hofs. Neu sind die Nachweise des Vorkommens der Ge¬
schichte bei Bromyard, in der Scala celi, bei Camerarius,
Pantaleon Candidus, im spanischen Ysopo, im Seelen¬
trost und in Luthers Tischreden. Allerdings erkennt
Österley an, daß er viele seiner Nachweisungen Benfey,
insbesondere aber Goedeke verdanke 554 ). — So ziemlich
(dasselbe Material zählte der gelehrte Forscher 1872
zu cap. 167 seiner Ausgabe der lateinischen Gesta 35 )
auf, so daß er 1873 in seiner Ausgabe Steinhöwels 36 )
auf die beiden vorausgegangenen Werke einfach ver¬
weisen konnte 37 ).
Während so auf deutscher Seite die erfreulichsten
Fortschritte gemacht wurden, bewies 1873 der Fran¬
zose Charles Louandre 38 ) gelegentlich seiner Prosaauf¬
lösung des lai de l’oiselet mit der Behauptung: ,‘la
morale du Lai de 1’Oy seiet n’est, comme ce lai lui-meme,
34 ) ebd. pp. 15/16. — Der Nachweis österleys ‘Agricola 201’
bezieht sich auf eine Erzählung, die Johann Agricola (1494—1566)
zur Erläuterung eines seiner Sprichwörter (1. Samml. 1529) gibt,
und die zwar in einigen Zügen an die Parabel anklingt, aber offen¬
bar mit ihr nichts zu tun hat; deswegen ist auch in den 'Gesta*
diese Nachweisung nicht wiederholt. — Die auf das lai du Laustic
bezügliche, auch in den ‘Gesta’ gebrachte Nach Weisung ‘Marie de
France bei Roquef. I, 314’ ist ganz ungerechtfertigt.
85 ) Gesta Romanorum, Berlin 1872, 8°, p. 739.
36 ) Steinhöwels Äsop, Tübingen 1873. 8° (Lit. Ver. CXVII),
p. 312 Anm.
37 ) Auch Grässe in seiner Ausgabe des Pergamenus: Die bei¬
den ältesten lat. Fabelbücher des Mittelalt. Tüb. 1880, 8° (Lit.
Ver. CXLVIII), p. 306, begnügt sich mit einem Hinweis auf
österleys Gesta. Merkwürdig genug verweist Sidney J. H. Herrtage,
The Early Engl. Versions of the G. R., Lond. 1879, 8° (E. E. T.
S. e. s. XXXIII), p. 528, obwohl er sonst die Resultate österleys
benützt, nicht auf dessen, sond. noch auf Schmidts Notizen.
88 ) Les vieux conteurs fran^ais, in d. Revue des deux Mondes,
43 e ann6e, sec. per., tome 107 (1873). pp. 434—36.
12
que l’exacte reproduction de la fable indienne [de Bid-
pai] ; mais comment cette fable est-elle arrivee des bords
du Gange aux bords de la Seine? C’est un mystere que
la science n’a pas encore eclairci’ eine vollkommene Un¬
kenntnis der einschlägigen Fragen und der bisher er¬
schienenen Literatur.
Im gleichen Jahre [1873] fügte M. Steinschnei¬
der 59 ) seinen früheren Notizen noch Tendlau’s Bearbei¬
tung der Erzählung hinzu. Desgleichen machte R. Köh¬
ler zu Nr. XV von A. Schiefner’s Awarischen Texten 40 )
neuerdings auf die Parabel Ibn Chisdais und deren Über¬
setzungen, insbesondere auf die W. A. Meiseis aufmerk¬
sam. Einige Jahre später [1882] gab Max Grünbaum 41 )
zu seinem Abdruck des mäsäl aus dem Simchoth hanefesh,
für das er Ibn Chisdai als Quelle vermutet, zuerst den
Hinweis auf die ‘Passer et Auceps’ betitelte arabische
Erzählung in Arnolds Chrestomathie, und Köhler 42 )
fügte dazu noch die italienische Version des Piovano
A rlotto.
So waren denn mehr als hundert Jahre zwar nur
gelegentlicher, aber doch nie aussetzender Forschung
verflossen, als das Jahr 1884 eine erste selbständige
Monographie brachte, und zwar aus der Feder des gro¬
ss) Zu Kalila we-Dimna, in Z. D. M. G. XXVII (1873),
p. 562.
40 ) Memoires de l’Academie Imperiale des Sciences de St.
Pötersbourg. VII e serie, tome XIX, Nr. 6 (1873), p. XXVI; die
hier gegeb. Verweise wiederholt (mit Zusätzen) in Joh. Bolte,
Kleinere Schriften zur Märchenforschung von Reinhold Köhler,
Weimar, 1898. 8°, p. 575.
41 ) Jüdischdeutsche Chrestomathie, Leipzig 1882, 8°, p. 251
(u. p. 587).
42 ) in seiner Besprechung von Grünbaums Buch in Anz. f. d.
Alt. IX (1883). p. 405; wiederholt in Köhler-Bolte, p. 580.
13
ßen Gaston Paris 43 ), der in dem liebenswürdigen lind
doch so viel Lebensweisheit bergenden afz. lai seinem
Neffen ein feinsinniges Hochzeitsgeschenk widmete. G.
Paris hat in der introduction die vorhandene Literatur
vollkommen verwertet und alle bekannt gewordenen
Parallelen mindestens anmerkungsweise besprochen. Ja,
er hat vieles aus eigenen Notizen nachgetragen und mit
verarbeitet, so die persische Version des ‘Chamsah va-
Quhquhah’, die hindustanische in dem Roman ,,die Rose
von Bakawali“ befindliche Parallele, die lateinischen
Bearbeitungen bei Jacques de Vitry und Odo von Sher-
rington und endlich die afz. im Donnei des Amanz ent¬
haltene Episode. Ohne schon hier auf die Resultate
dieser bedeutenden Arbeit 44 ) im einzelnen einzugehen,
sei Nachfolgendes zur allgemeinen Übersicht bemerkt:
G. Paris geht vom griechischen Barlaam aus und behan¬
delt (unter Mitteilung von Texten) mit besonderer Aus¬
führlichkeit die ihm bekannten orientalischen Versio¬
nen, die er zu folgender auf die gegenseitige Ähnlich¬
keit begründeten Kreiskette anordnet: griech. Barlaam
— Ibn Chisdai — Disciplina — Bakawali — Passer et
Auceps — awarischer Text — Vartan — griech. Bar-
43 ) Le Lai de l’Oiselet, poeme frangais du XIII e siecle, publie
d’apres les 5 mss. de la Bibliotheque Nationale et accompagne d’une
introduction, Paris, *1884, kl. 8° [Lit. Centralblatt, 1884, pp. 1526/7].
Ist als ‘Per Nozze’ nur in wenigen Exemplaren gedruckt worden
und nicht in den Handel gekommen, so daß es (mit der einzigen
Ausnahme Sauersteins) zwanzig Jahre lang für die Forschung so
gut wie nicht existierte. Erst mit der Aufnahme von Text und
introduction in die ‘Legendes du Moyen Age par Gaston Paris.
Paris, 1903, 8° (introd. pp. 223—291) ist die wertvolle Arbeit
einem weiteren Kreise zugänglich gemacht worden.
**) eine eingeh. Würdigung derselben namentlich nach der
method. Seite findet man bei A. G. van Hamei, Gaston Paris en
zijne Leerlingen, im 59. Jhg. (1895) der Zeitschrift ‘de Gids\
pp. 511—513.
14
laam. Die Knappheit des Materials verhindert ihn frei¬
lich ein bestimmtes Urteil über die Zusammengehörigkeit
dieser verschiedenen Bearbeitungen abzugeben, aber er
ist dem wahrscheinlichen Sachverhalt doch sehr nahe
gekommen. Insbesondere hat sich G. Paris auch mit
großer kritischer Schärfe auf die von der Disciplina
ausgehenden abendländischen Bearbeitungen eingelassen,
ist aber weder mit Bezug auf das lai noch auf das Ge¬
dicht Lydgate’s zu einem abschließenden Resultate ge¬
langt. Alles in allem bedeutete G. Paris’ introduction
einen ganz gewaltigen Schritt vorwärts.
Ins Gebiet der Anglistik führt uns wieder eine
Dissertation von P. Sauerstein 45 ), die u. a. auch eine
kleine Skizze über das Vorkommen unserer Erzählung in
der älteren englischen Literatur gibt, aber hie und da
an Gründlichkeit zu wünschen übrig läßt. Betreffs Lyd¬
gate’s Gedicht wird die zurückhaltende Meinung G.
Paris’ wiederholt. Aber selbst auch die Übersicht über
die Geschichte der Erzählung, welche der bekannte For¬
scher W. A. Clouston 46 ) zur Version des ‘Shamsah ü
Kahkahah’ im Jahre 1889 schrieb, hält sich von Irr-
tümern 47 ) nicht frei und bringt auch nichts wesent¬
lich Neues. Literaturnachweise gaben ferner [1889]
Joseph Jacobs 48 ) in nicht immer vorsichtiger Auswahl
nach Österley, jedoch mit dem Hinweis auf die beiden
45 ) Über Lydgate’s Äsop-Übersetzung, Halle a. S., 1885, pp. 6 ff.
46 ) A Group of Eastern Romances and Stories from the Per-
siau, Tamil and Urdu. Privately printed. [Glasgow] 1889, 8°,
pp. 563—568.
47 ) in der Behauptung, daß in der Form wie im griechischen
Barlaani die Geschichte auch in der Disc. vorkomme, und daß sic
von dieser in die Gesta Rom. übergegangen sei (p. 564).
48 ) The Fables of Aesop as first printed by William Caxton
in 1484; vol. I: History of the Aesopic Fable, London 1889, 8°, p.
265 (zu fabula collecta no. 6).
15
von Gering in den Islendzk Aeventyri gedruckten alt¬
nordischen Versionen Neu,eS* bietend; und [1890] F.
Crane 49 ), der etwas näher nur auf die Versionen des
Pergamenus, Bromyard und der Scala celi einging.
Inzwischen war die Barlaamfrage selbst wieder in
neuen Fluß gekommen, weswegen unsere Parabel in den
betreffenden Schriften 50 ) öfter genannt und dann von
N. Weisslovits 51 ) nach dem hebräischen, einem arabi¬
schen (Ms. Halle) und dem griechischen Barlaamtext,
unter Zuhilfenahme von Benfeys Ausführungen im
‘Pantschatantra’, vergleichend behandelt wurde. Zu
Weisslovits trug dann [1893] M. Steinschneider 52 ) die
hebräische Bearbeitung von Schemtob ibn Gaon nach.
Ja auch der Gelehrte, der über die Geschichte des Bar-
laam in so epochemachender Weise neues Licht ver¬
breitet und dadurch für Einzeluntersuchungen erst eine
feste Grundlage geschaffen hatte, Ernst Kuhn 53 ) selbst
* 9 ) The Exempla or Illustrative Stories from the Sermoncs
Vulgares of Jacques de Vitry, London 1890, 8° (Publ. of the Folk-
Lore Society XXVJ), p. 144/5 (zu exemplum XXVIII).
50 ) namentlich von Hommel und Kuhn; siehe des letzteren
sogleich zu nennende Monographie über Barlaam und Joasaph.
61 ) Prinz und Derwisch, München, 1890, 8°, pp. 112—114.
6i ) Die hebräischen Übersetzungen des Mittelalters, Berlin,
1893, 8°, 2 Bde. mit fortl. Seitenzahl; p. 864, Anm. 99 und p.
XXXIII (Zusätze). — Die oben erwähnte Parallele konnte nicht
untersucht werden. — Der Verweis ‘Pertsch, cat. I, 191 n°. 106 4 ’
bezieht sich auf eine Erzählung „von einem Gespräch Salomons mit
verschiedenen Vögeln“, die kaum hieher gehören wird; der Verweis
‘Pertsch, Cat. I, 63, n°. 27 6 ’ geht auf die Parabel von den drei
Freunden, ist also ein Irrtum; die Hinweise: ‘Or. u. Occ. II, 133’
und ‘Simrock, Quellen des Shakesp. *1, 353’ beziehen sich auf All¬
gemeines und wurden nicht berücksichtigt; die übrigen Verweise
gehen auf bereits bekannte Dinge.
6# ) Barlaam und Joasaph. Eine bibliogr.-literargesch. Studie,
16
beschäftigte sich auch iin einzelnen mit der Verbreitung
unserer Parabel, indem er die seit Österley angesammelte
Literatur verzeichnete und als Erster auf die arabische
Version in den 1890 in Beyrouth erschienenen Contes
Arabes du P. A. Salhani hinwies.
Ungefähr gleichzeitig [1893] besprach auch Joseph
Bedier 54 ) unsere Erzählung, und zwar in ihrem Verhält¬
nis zur schriftlichen und mündlichen Überlieferung.
Die nächsten Jahre lieferten namentlich vonseiten
der Orientalisten reichlicheres Material. So stellte
[1894] Bruno Meissner 55 ) in der Geschichte bei Salhani
eine Verbindung der im Haikär-Roman enthaltenen Fabel
,, Vogel und Vogelstock“ mit unserer Erzählung fest und
machte auf die im Magäni befindlichen Parallelen auf¬
merksam. Im selben Zusammenhang lenkte [1896] Nöl-
deke 56 ) das Augenmerk auf zwei Gothaer Handschriften
und die Version bei Damiri. Ungefähr dieselben Nach¬
weise, teilweise mit ausführlicher Analyse, gab M. Hart¬
in Abhandl. der philos.-philol. Classe der K. Bay. Ak. d. AViss. XX
(München 1894), p. 75. — Vgl. dazu G. Paris in Romania XXIII
(1894), p. 313.
5 *) Les Fabliaux, Etudes de litt. pop. eh d’liist. litt, du moyen
äge, Paris, 1893, 8°, pp. 103/4, 109, 111.
55 ) Quellenuntersuchungen zur Haikargeschichte, in Z. D. M.
G. IIL (1894), p. 184, Anm. 1.
56 ) gelegentlich der Bespr. von Lidzbarski’s Neuaramäischen
Texten, in Z. D. M. G. L (1896) p. 306. — Der Verweis ‘Basset,
Les Aventures de Temim ed-Dari, p. 12* (wiederholt von M. Hart*
mann in Z. d. V. L Vk. VII (1897) p. 106, ferner bei Chauvin
VI p. 110) bez. sich auf einen Artikel Basset's im Giornale della
Soc. as. ital. V, p. 12, wo der Inhalt einer arab. Sammelhandschr.
aufgezählt wird. In derselben findet sich auch die Fabel ,,Vogel
und Vogelstock“, aber nicht unsere Erzählung.
17
mann 57 ) an verschiedenen Orten. F. Müller 58 ) verdan¬
ken wir die Namhaftmachung der von Brandstetter über¬
setzten bugischen Version, die in der Geschichte von
König Indjilai enthalten ist.
Das Jahr 1896 brachte auch von nichtorientalisti-
scher Seite einige wertvolle Beiträge. Josteph Jacobs 59 )
sprach sich abwägend ;über die Wahrscheinlichkeit der
indischen Abstammung der Erzählung aus und wieder¬
holte außerdem die in seinem Äsop beigebrachten Paral¬
lelen. E. Gattinger 60 ) behandelte ausführlich Lydgate’s
Gedicht und kam unabhängig zu einem ähnlichen Resul¬
tat wie G. Paris bereits zwölf Jahre früher. Eine sehr
wertvolle Bereicherung des Vorhandenen bildete dann
noch die Veröffentlichung des ‘Donnei des Amanz’ durch
G. Paris 61 ), der die darin enthaltene Version unserer
Erzählung zwar auf Petrus Alphonsi zurückleitet, aber
merkwürdigerweise! ihre Beziehung zu Lydgate’s Gedicht
nicht erkennt 62 ).
•Von den geringeren Beisteuern aus den folgenden
57 ) Aus dem Volkstum der Berber, in Zeitschr. d. Ver. f.
Volksk. VI (1896), p. 270; das hier zum Vergleich herangezogene
Volksmärchen der Berber gehört auf keinen Fall hieher; ferner in
Z. d. V. f. Vk. VII (1897), p. 106; und Orientalist. Lit.-Z. II
(1899), p. 341.
58 ) Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, X
(1896), p. 160.
59 ) Barlaam and Josaphat, English Lives of Buddha, London,
1896, 8°, pp. LXXX/I, CXXI/II.
60 ) Die Lyrik Lydgate’s, Wien u. Leipzig, 1896, 8° (Wiener
Beiträge IV), passim.
61 ) Le Donnei des Amants, in Romania XXV (1896), pp.
497 ff, die Anmerkungen pp. 540/1.
62 ) Vermutlich lag ihm der Halliwell’sche Text gerade
nicht vor.
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 2
18
Jahren sind jene von G. Amalfi 63 ) und M. Rösle 64 ),
weil nur einiges schon Bekannte aufzählend, weniger
wichtig. Den Zusätzen von Joh. Bolte 65 ) zu R. Köh¬
lers Notizen verdanken wir den Nachweis der Parallele
bei Bar-Hebraeus in der Ausgabe von Budge. Außerdem
ist hier die mit großem Apparat in Angriff genommene,
aber aussichtslos begonnene und ebenso aussichtslos endi¬
gende Arbeit von G. Schleich 66 ) über die Quelle Lyd-
gate’s zu nennen, welche bereits durch die dem Verfasser
allerdings nicht bekannte Veröffentlichung des 'Donnei’
überflüssig geworden war. Nur kurz gestreift sei eine
holländische Schrift über den Barlaam von Dr. S. J.
Warren 67 ), der wohl den griechischen Text der Parabel
abdruckt, aber auf ihren Ursprung und ihre Verbreitung
mit keinem Worte eipgeht.
Nunmehr tritt aber ein Forscher auf den Plan,
dessen Bemühungen erst die Inangriffnahme einer zu¬
sammenfassenden Darstellung, wie sie vorliegende Arbeit
sein will, ermöglicht haben, der gelehrte und unermüd¬
liche Victor Chauvin 68 ), der dreimal zu unserer Er-
63 ) Wer hat die Facetien des Piovano Arlotto kompiliert? in
Z. d. V. f. Vk. VII (1897), p. 379.
64 ) Le Castoiement d’un Pere a son Fils. Beilage zum sie¬
benten Jahresbericht der Kgl. Luitpold-Kreisrealschule in München
[1898], 8°, p. 40.
65 ) Kleinere Schriften zur Märchenforschung von Reinhold
Köhler, Weimar, 1898, 8°, pp. 576, 580.
66 ) Über die Quelle von Lydgate’s Gedicht The Chorle and the
Bird, in Herrigs Archiv IC (1897), pp. 425—435.
67 ) De Grieksche christelijke roman Barlaam en Joasaf en
zijne parabels, Rotterd. 1899, 4°.
68 ) Bibliographie des Ouvrages Arabes ou relatives aux arabes,
publies dans TEurope chretienne de 1810 ä 1885. — Zuerst behan¬
delt Chauvin unsere Geschichte beim Barlaam, tome III (Liege
1898), pp. 103/4 im Anschluß an den Bombay-Text; dann bei
Tausend und eine Nacht, tome VI (Liege 1902), p. 110; endlich bei
19
Zahlung das Wort ergriffen und eine Keihe neuer Paral¬
lelen angegeben hat: bei Tantavy, in zwei Berliner ara¬
bischen Kodizes, bei Louandre, im Cavallero Cifar und
bei Ga^uzi. Mit großer Dankbarkeit muß anerkannt
werden, wie leicht die Orientierung in Chauvin’s Werk
gemacht, wie vollständig die Literatur zusammengetra¬
gen und wie übersichtlich sie angeordnet ist.
Noch vor das Erscheinen der Legendes du Moyen
Age, in welchen G. Paris’ Abhandlung über das Lai
de l’Oiselet allgemeiner zugänglich gemacht wurde, rei¬
chen zurück die Anfänge einer Arbeit von A. de Cock 69 ),
die zuerst am 7. Juni 1903 in einer Sitzung der Brüs¬
seler ‘societe pour le progres des etudes philologiques et
der Disciplina (tome IX) p. 30. — Bemerkungen: 1. Obwohl mehrere
Ausgaben des von Chauvin zitierten Buches des Jesuiten Caussin,
La Cour Sainte, eingesehen wurden, konnte doch das Vorkommen
unserer Erzählung dort nicht verifiziert werden. Die Ausgabe
Bruxelles 1665 (I, 576), nach der Ch. zitiert, habe ich allerdings
nicht vor mir gehabt; 2. mit dem Verweis Tläm, 148* ist wohl
d. Kitäb i‘läm annubuwwah des al-Mawardi gemeint, es war mir
aber unmöglich das Vorkommen unserer Erzählung dort festzu¬
stellen ; 3. mit dem Verweis ‘Qalyoubi, 173* ist gemeint das 1856
in Indien s. 1. erschienene Book of Anecdotes, Wonders etc. by
al-Qolyoobi, ed. by W. Nassau Lees and Mawlawi Kabu al-din;
doch findet sich an der betreffenden Stelle nur der Dialog zwischen
Vogel und Falle, der in and. Versionen mit unserer Erzählung ver¬
bunden ist; 4. in dem ebenfalls von Chauvin zitierten Buche von
Hammer-Purgstall, Geschichte der osmanischen Dichtkunst, Pesth
1837, Bd. II, p. 397, gibt der Verfasser an, daß sich in einer
türkischen Handschrift im Besitz der K. K. Hofbibi, in Wien die
Apologie von dem Vogel, der dem Vogelfänger Lehren gibt, findet
und »an der betr. Stelle zur Erhärtung der Wahrheit dient, daß
die Zunge die Quelle allen Unheils ist. Das Verhältnis dieser Be¬
arbeitung zu den anderen orientalischen Versionen bleibt noch zu
untersuchen.
69 ) De vogelaar en de nachtegaal, in Dietsche Warande en
Beifort, 1904, n°2, pp. 113—137.
2
20
historiques’ gelesen und dann nach G. Paris’ introduction
verbessert wurde, aber trotzdem von Mißverständnissen
und Irrtümern nicht ganz frei ist. Der Hauptwert der
Abhandlung liegt darin, daß ausgehend von einer hier
zum ersten Male namhaft gemachten modernen hollän¬
dischen Version von Prudens van Duyse der Text einiger
niederländischen prosaischen Bearbeitungen mitgeteilt
wird.
Das jüngste Buch, welches hier zu nennen ist, ist
eine Berliner Dissertation von Max Plessow 70 ), die in
ähnlicher Weise wie schon Sauerstein die Verbreitung
der Erzählung in England kurz skizziert, aber leider
keine allzu große Sachkenntnis auf unserem Gebiete
entwickelt.
2. Die Aufgabe vorliegender Arbeit.
Die Hauptaufgabe der vorliegenden Arbeit besteht
naturgemäß darin, das vorhandene Material in mög¬
lichster Vollständigkeit sachgemäß und übersichtlich zu
verarbeiten. Daneben konnte aber der Gedanke nicht
außer Acht gelassen werden, daß die Forschung über
das Geschichtchen von „Mann und Vogel“ noch keines¬
wegs abgeschlossen sein dürfte, sondern daß immer noch
neue Parallelen, namentlich aus dem Orient, bekannt
werden dürften, die schließlich in absehbarer Zeit eine
Neubearbeitung des vorliegenden Themas zur Folge
haben müssen. In diesem Falle würde sich dann, wie
hier, abermals die Notwendigkeit ergeben, die gesamte
überaus verzettelte Literatur von neuem zu durchstö-
7 9) Geschichte der Fabeldichtung in England bis zu John
Gay (1726). 1906, pp. XXXVI, XLIII (auch im 52. Heft der
Palästra).
21
bern, eine ^ußerst zeitraubende und unfruchtbare Arbeit,
die sich aber trotzdem nie umgehen lassen würde, da
immer unter einem Haufen von Spreu auch dies oder
jenes Fruchtkörnchen verborgen £st. All diese Mühe
möchte nun meine Arbeit Späteren ersparen, und ich
hoffe, auch das wird dankenswert sein.
Dem Einwurf, daß nach der Arbeit eines G. Paris
doch keine dringende Notwendigkeit vorliege den Stoff
neuerdings zu behandeln, ist leicht begegnet. Einmal
behandelt G. Paris die Geschichte unserer Erzählung
sozusagen nur aphoristisch, insbesondere was die vom
lateinischen Barlaam und von der Disciplina ausgehen¬
den europäischen Bearbeitungen anlangt, die er bloß
anmerkungsweise erledigt. Außerdem fiel seine Arbeit
noch vor die bedeutsamen Entdeckungen, die um 1890
auf dem Gebiet des orientalischen Barlaam geschahen
und die einen großen Teil seiner Ausführungen anti-
quieren mußten. Dazu kommt endlich eine Fülle von
neu bekannt gewordenen Parallelen, die vielfach ganz
neue Ergebnisse zeitigen. G. Paris ist noch nicht im¬
stande gewesen, die Verbreitung und Filiation der Er¬
zählung in einem Stammbaum zu resümieren, und ge¬
rade das ist notwendig, wenn anders eine derartige
Arbeit ein handlicher Baustein zur Literaturgeschichte
der einzelnen Völker sein soll. Überdies ist die Arbeit
G. Paris’ auch durch ihre Aufnahme in die Legendes du
Moyen Age noch so wenig bekannt geworden, daß ps
sicherlich nicht unverdienstlich jst, den Stoff einmal
in deutscher Sprache und in einer allgemein zugäng¬
lichen Form zu behandeln.
Über einen anderen Einwurf, den entgegengesetzten,
ob es denn bei dem eingestandenermaßen unvollkomme¬
nen Material überhaupt möglich sei eine für die ge¬
samte nachfolgende Forschung grundlegende Arbeit zu
22
schaffen, möge diese selbst entscheiden. Ich hoffe einem
solchen Einwurf möglichst viel von seiner Berechtigung
entzogen zu haben.
Und nun den Mitteln und Wegen, durch die
ich bestrebt war, meiner doppelten Aufgabe gerecht zu
werden. Diese sind hauptsächlich folgende:
1. Vollständige Verarbeitung der vorhandenen Lite¬
ratur in der Weise, daß jedem späteren Forscher die
zeitraubende Mühe erspart bleibt sich selbst darin Um¬
sehen zu müssen. Dieses Mittel ist bereits im ersten
Abschnitte der Einleitung angewandt und wird sich bei
jedem einzelnen Kapitel der folgenden Ausführungen
wiederholt angewendet finden.
2. Sorgfältige Besprechung und Vergleichung der
sämtlichen bisher bekannt gewordenen Parallelen, so¬
weit es überhaupt in meinen Kräften stand, in der
Weise, daß die einzelnen Texte tunlichst in der Ur¬
sprache der Arbeit angehängt werden, und so eine leich¬
tere Orientierung, aber auch eine kritische Nachprüfung
der in der Darstellung selbst gebotenen Ausführungen
ermöglichen.
3. Übersichtliche Zusammenstellung der Hauptresul-
tate am Schlüsse der Arbeit in einem Stammbaum, der
namentlich dem Fernerstehenden gegenüber die Quint¬
essenz des Ganzen enthalten soll.
Den Ausgangspunkt der Arbeit möge das Gedicht
Lydgate’s bilden, damit die Eigenschaft des Verfassers
als eines englischen Philologen doch auch äußerlich
dokumentiert werde.
Erster Abschnitt.
Die Quelle von Lydgate’s Gedicht Ä The
Cliorle and the Bird’ und die von der
Disciplina clericalis ausgegangenen Be¬
arbeitungen der Erzählung.
1. Lydgate's Gedicht [Anhang No. 1].
John Lydgate’s 71 ) Gedicht ‘The Chorle and the
Bird’ 72 ) ist zwar ohne den Namen des Verfassers über¬
liefert, wurde jaber nach dem Zeugnisse von Stephen
Hawes’ ‘Passetyme of Pleasure’ (vf. um 1506, gedr.
71 ) Über das Leben dieses bedeutendsten von Chaucer’s Schü¬
lern siehe G. Körting, Grundriß der Geschichte der engl. Litt.,
Münster 1905 4 , p. 198, und die dort zitierte Literatur.
72 ) Im ganzen 386 fünftaktige tonjamb. Verse in Strophen zu
7 Zeilen mit der Reimstellung ababbcc, die letzte Strophe hat 8
Zeilen mit der Reimfolge ababbaba. — Ausgaben: 1. London 1818
(u. 1822), 4° Roxburghe Club, pres. by Sir Mark Masterman Sykes
[Chauvin III, p. 104 u. a.] ; 2. A Selection from the Minor Poems
of Dan John Lydgate, ed. by J. O. Halliwell, London 1840, 8°
(Percy Society 2), pp. 179 ff; 3. J. Lydgate, A lytell treatyse of
the horse, the sheep, and the ghoos. The churl and the bird. trans-
lated from the French. Cambridge, Univ. Press [Jahresbericht über
die Erscheinungen auf dem Gebiete der germ. Phil., XXVIII (1906),
2. Teil, p. 43]. — Inhaltsangaben bei Clouston, pp. 564/5 u. Gat-
tinger, pp. 50—55; die Analyse bei Sauerstein p. 10 ist offenbar
unrichtig und bezieht sich in der dort gegebenen Form auf die
1517) sicher von Lydgate geschrieben 73 ) und zwar wohl
noch vor 1400, da es der Dichter im envoy (v. 379 ff)
an: seinen ‘maister’ richtet, unter dem wohl kaum ein
anderer als der 1400 verstorbene Chaucer gemeint sein
kann 74 ). Die Dichtung, nach des Verfassers eigener An¬
gabe (v. 33—35) aus einem ‘Frenssh paunflet’ übersetzt,
gehört anerkanntermaßen 75 ) zu den besten Schöpfungen
Lydgate’s und muß seinerzeit sehr beliebt gewesen sein,
da außer mehreren ^Handschriften 76 ) noch eine Reihe
von alten seltenen Drucken 77 ) auf uns gekommen ist.
Parabel im Barlaam. — Auf den Chorle and Bird haben im Zu¬
sammenhänge mit unserer Untersuchung verwiesen: Tyrwhitt (1822,
I, pp. 156/7, Anm. 31); Warton (-Hazlitt, 1871, I, p. 241 Anra.
1); G. Ellis bei Way (1815, I, p. 167); Douce bei G. Eilis (1848,
I, p. 42): Swan (-Baker 1905, p. 460); Schmidt, pp. 152/3;
Halliwell, p. 179; E. du Meril, p. 146; österley, Wendunm. V, pp.
107/8, Gesta, p. 739; Herrtage, p. 528; G. Paris, Lai (1903, p.
252/3); Sauerstein pp. 6, 9, 10, 13, 30; Clouston, pp. 564/5;
Jacobs, Aesop I, p. 265; Schick, Lydgate’s Temple of Glas, London
1891, 8° (E. E. T. S. e. s. LX), pp. CXVII/VIII; Gattinger,
passim; Jacobs, Barl. pp. LXXX, CXXII; Chauvin III, p. 104;
Schleich, passim; Plessow, pp. XXXVI, XLIII.
73 ) Halliwell, p. 179; Sauerstein, p. 10.
74 ) Schick, pp. XCI, C.
76 ) G. Paris, Lai (1903, p. 252): ‘gracieux petit poeme’;
Clouston, pp. 565/6: ‘many fine passages’; ten Brink, Geschichte
der engl. Litt., II, p. 239: ,,Von seiner besten Seite zeigt sich L.
vielleicht in der Geschichte vom Bauern und vom Vogel . . . Die
Sprache erreicht hier zuweilen wirklich musikalischen Wohllaut,
und der Gegenstand hat etwas rührend Symbolisches . . .“; Gattin¬
ger, p. 13: ,,Das Gedicht ist unter allen die anmutigste Schöp¬
fung L.’s, und in ihm hat der Dichter wohl den Höhepunkt seines
dichterischen Schaffens erreicht. .
76 ) solche zählen auf Halliwell, p. 179; Sauerstein p. 10;
Schleich, pp. 434/5.
77 ) von W. de Wörde, W. Copland, R. Pinson (London); J.
Mychel (Canterbury); vgl. Lowndes-Bohn, Part V, p. 1418, wo in¬
des, im Gegensatz zu Halliwell und Sauerstein ein Druck v. Caxton
nicht genannt ist.
25
Später muß das Gedicht mitsamt dem Verfasser in
Vergessenheit geraten sein. Zwar führt es noch 1598
bis 1602 Speght in der seiner Chaucerausgabe angehäng¬
ten Liste von Lydgate’s Werken auf 78 ), aber schon 1652
gab Elias Ashmole 79 ) den berühmten Raimundus Lullus
G. Ellis bei Way (1815, I, p. 167).
79 ) Theatrum Chemicum Britannicum etc., London, Printed by
J. Grismond for Nath. Brooke, at the Angel in Cornhill, MDCLL1,
4°. In diesem Buche hat Ashmole, der sich selbst Mercuriophilus
Anglicus nennt, eine Anzahl poetischer alchymistischer Texte, sog.
‘hermetique mysteries*, teils wirklich solche, teils nur vermeint licht*,
gesammelt. So findet sich hier außer Chaucer’s Chanones Yemanncs
Tale auch unser Gedicht, unter dem Titel Hermes Bird, pp. 213
bis 226. Nach Strophe 35 sind 7 Strophen, und nach Strophe 40
ist noch eine weitere Strophe eingeschoben, also im ganzen acht
Strophen, nicht zehn, wie Lowndes-Bohn, Pt. V, p. 1418 angibt.
In diesen Einschüben, die formell und inhaltlich recht mangelhaft
sind und wahrscheinlich keinen andren als Ashmole selbst zum
Verfasser haben, schildert der Vogel, der sich als Bryde of Turmes
zu erkennen gibt, den unvergleichlichen Wert und die märchenhafte
Geschichte des fabelhaften Edelsteines in seinem Magen. Über die
Umstände der Abfassung des Gedichtes fabelt Ashmole in einer
Anm. p. 467 folgende Geschichte zusammen: Der Abt Cmner,
auf einer Italienreise mit Lullus zusammengetroffen, vermochte
diesen nach England zu kommen. Dort bereicherte Lullus durch
seine Kunst den König Eduard III, wofür ihm dieser einen Kreuz¬
zug gegen die Türken und wohltätige Gesinnung gegen die Kirche
geloben mußte. Doch statt dessen wandte der König seine Waffen
gegen Christenmenschen, die Franzosen. Da Lullus deswegen den
weiteren Geldforderungen des Königs nicht mehr entsprach, wurde
er in den Tower geworfen, entkam aber endlich nach Frankreich,
wo er, wie Ashmole hinzufügt, wahrscheinlich das vorlieg. Gedicht
▼erfaßt habe. So bezog Ashmole jedenfalls das Gedicht in erster
Linie auf die Flucht des Lullus aus der Gewalt des gierigen Königs,
legte ihm aber folgenden allgemeineren Sinn daneben unter: ‘The
whole work is parabolical and allusive, yet truly philosophical:
and the bird (that entitles it) the Mercury of the Philosophers
(whose virtues and properties are therein largely described). Bv
the word ‘Chorle* is meant the covetous and ignorant artist, the
26
ala Verfasser und den Abt Cremer von Westminster,
einen Schüler des Raimundus, als englischen Über¬
setzer an.
Mit Tyrwhitt 80 ), der Ashmole’s Behauptungen be¬
richtigt, beginnt die Forschung nach der Quelle von Lyd-
gate’s Gedicht. Doch erblickte er, und nach ihm War-
ton 81 ), trotz dem von dem Dichter selbst gegebenen Fin¬
gerzeig, die Quelle in der damals noch recht unbekann¬
ten Disciplina clericalis. Freilich ist auch nicht zu ver¬
kennen, daß damit wenigstens der rechte Weg gewiesen
war. Halliwell 82 ), der Herausgeber des Gedichtes für
die Percy Society, identifizierte 1840 das von Lydgate
als Vorlage benannte ‘French pamflet’ mit dem auf die
Disciplina zurückgehenden afz. Lai de l’Oiselet. G.
Paris 83 ) hat indes, allerdings ohne auf Einzelheiten
einzugehen, jede unmittelbare Beziehung Lydgate’s zu
dem lai mit Entschiedenheit abgelehnt; nach ihm hätte
der englische Autor aus einer möglicherweise mit einem
der beiden äfz. Chastoiements identischen französischen
garden is the vessel or glass, and the hedge the furnace.’ All das
wird um so klarer, wenn wir den allgemeinen Standpunkt Ashmole’s,
von diesem in der Einleitung seines Buches niedergelegt, zum Ver¬
gleich heranziehen. Darnach besteht die wahre Weisheit (des Alchy-
misten) nicht darin, in das Geheimnis der Natur einzudringen und
dadurch Reichtum und Macht zu erwerben, sondern trotz des
erworbenen geheimen Wissens sich von dem materiellen Bedürfnis
loszulösen und seine Freude nur in der Betrachtung des sinn¬
vollen Naturgetriebes zu suchen. — Die ganze obige Geschichte
widerlegt Tyrwhitt (a. a. O.) mit dem Hinweis, daß Lullus
bereits zwanzig Jahre, bevor Eduard III. Gold zu prägen be¬
gann, tot war.
80 ) a. a. O. p. 157 Anm.
81 ) a. a. O. p. 241 Anm.
82 ) a. a. 0. p. 179.
8S ) a. a. 0. p. 252; nach ihm Sauerstein, p. 10; vgl. ferner
Schick und ten Brink (a. a. O.).
27
Übersetzung der Disciplina geschöpft. Recht skeptisch
stellte sich auch Clouston 84 ) zu dieser Frage. Gattin-
ger 85 ) hat dann, unabhängig von G. Paris, den ausführ¬
lichen Nachweis erbracht, daß das afz. lai Lydgate’s
Quelle nicht gewesen sein könne; seine Schlußfolgerung
war genau jene des großen französischen Gelehrten.
Nichtsdestoweniger wurden Gattingers Aufstellungen
von Schleich 86 ) heftig bekämpft; er vertrat von neuem,
wenn auch etwas modifiziert, die von Halliwell ge¬
äußerte Ansicht und gelangte zu folgendem, mit der
klaren Angabe des englischen Gedichtes keineswegs zu
vereinbarendem Resultate: 1. Das afz. lai müsse dem
Dichter bekannt gewesen sein; 2. solange keine einheit¬
liche Quelle nachgewiesen sei, sei die Vermutung be¬
rechtigt, daß L. außerdem noch wahrscheinlich die Dis¬
ciplina und sicher die Legenda aurea oder die Gesta
Romanorum benutzt Jhabe. Konnte dieses Ergebnis an
und für sich keineswegs befriedigen, so war die Arbeit
noch dazu verfehlt, weil sie ohne Kenntnis einer kurz
vorher herausgegebenen afz. Version der Erzählung
unternommen worden war, die sich mühelos als die tat¬
sächliche Quelle Lydgate’s, als sein ‘Frenssh paunflet’
erweisen läßt. Von dieser Bearbeitung im nächsten
Kapitel 87 ).
8 *) a. a. 0. pp. 564—66.
85 ) a. a. O. pp. 51—54.
86 ) a. a. O. passim; die Zusammenfassung pp. 433/4.
87 ) Als eigene Zutat L.'s heben sich schon bei oberfläch¬
lichem Zusehen die ersten sechs Strophen des Gedichtes ab, welche
als Einleitung die vom Dichter gewählte Form der Fabel mit dem
Hinweis auf den Vorgang der Bibel und so vieler Fabeldichter ver¬
teidigen. Auf die hier herangezogene Stelle des Alt. Test. (Lib. Jud.
IX, 8—15) weist Gattinger, p. 37 hin (vgl. Sauerstein, p. 13).
Andere Anspielungen, auch im Hauptteil, beziehen sich auf allg.
bekannte Fabeln, wie z. B. auf den ‘auceps lippus* (v. 187).
28 —
2. Die als Episode in den ‘Donnei des Amants ’ einge-
schaltete altfranzösische Bearbeitung [Anhang No. 2].
Das uns in meiner in England gefertigten Hand¬
schrift 88 ) überlieferte anglonormannische, aus den letz¬
ten Jahren des 12. Jahrhunderts stammende Gedicht
‘Donnei des Amants’ 89 ), d. i. „Gespräch der Liebenden“,
erzählt die Unterhaltung eines vom Dichter überraschten
und belauschten Liebespaares. Dies gibt den Rahmen
ab für eine Reihe von Geschichtchen, Beispielen und
Reflexionen, welche den Hauptbestandteil des Werkes
ausmachen. Unsere Erzählung 90 ) dient dabei zum Be¬
leg einer vom Liebhaber (ausgehenden Mahnung, nicht
gleich alles zu glauben, was man höre.
Läßt schon der äußere Umstand der englischen
Herkunft dieser Bearbeitung die Vermutung zu, daß
sie recht wohl die Quelle Lydgate’s gewesen sein könne,
so erhebt eine eingehende Vergleichung der beiden Texte
diese Vermutung zur Gewißheit.
Die sechsstrophige Einleitung Lydgate’s hat natür¬
lich im französischen Gedicht kein Äquivalent. Die Verse
43 — 56 bei Lydg. entsprechen sodann den Versen 1— 3
88 ) ms. 3713 der Bibi. Philipps in Cheltenham; engl. Ursprung
unzweifelhaft; sie soll ehemals dem Kloster Wilton (Wiltshire),
einer Benediktinerinnenabtei, gehört haben; die ziemlich unregel¬
mäßige Schrift weist auf das Ende des 13. oder den Anfang des
14. Jh. [G. Paris, Donn. p. 497].
89 ) 1244 achtsilb. Verse, Torso, gerade vor uns. Erzählung
Lücke; Vf. unbekannt. — Ausgabe von G. Paris in llomania,
XXV (1896), pp. 497 ff. — Auf diese Version hat in unserem
Zusammenhang zuerst hingewiesen G. Paris, Lai (1903, p. 249,
An in. 1 auf p. 250), a^er • weder hier noch auch gelegentlich
seiner Ausg. erkannte er die Bezieh, zu Lydgate. Auf die Aus¬
gabe verweisen Chauvin VI, p. 111; de Cock, p. 137.
90 ) v. 929—1160 auf pp. 516—520 der Ausgabe von G. Paris;
im ganzen also 232 achtsilb. Verse.
29
im Donn., bei ihrer Wiedergabe klammert sieh Lydg.
an ‘bei verger’ und führt eine Beschreibung des Gar¬
tens durch, die, dem damaligen Ideal einer gärtnerischen
Anlage entsprechend, mit ähnlichen Schilderungen in
anderen Versionen 91 ) manchen Vergleichspunkt bietet,
ohne daß an eine gegenseitige Beeinflussung zu denken
wäre. Die V. Donn. 3—6 (der Garten ein Stelldichein
der Vögel zur Sommerszeit) sind bei Lydg. nicht anzu¬
treffen, ebenso wenig wie die V. Donn. 7 8 (der Bauer
pflegt dem Gesänge der Vögel zu lauschen). Dagegen
entsprechen den V. Donn. 9—14 (das Vöglein und sein
wundervoller Gesang) die V. Lydg. 57—75, wohin be¬
reits zwei Einzelheiten, die Donn. erst später bringt,
gezogen sind: der Lorbeerbaum (Donn. v. 55; Lydg. v.
57), und der Gesang am Morgen und Abend (Donn. v.
56;-Lydg. v. 62—70) 92 ). Die V. Donn. 15—24 (Be¬
gierde des Bauern nach dem Besitze des Sängers, seine
Vorkehrungen zu dessen Gefangennahme) sind von Lyd-
gate wieder übergangen, und nur das Einfangen selbst
ganz kurz erwähnt (Donn. v. 25/6; Lydg. v. 76/7). Wei¬
ter fehlt bei Lydg. die Übersetzung der ersten Anrede
des Vogels an den Bauer (Donn. v. 27—32), in welcher
jener fragt, warum er denn eingefangen worden sei. Da¬
durch, daß im Donn. v. 33—42 der Bauer antwortet, er
habe es getan um sich von dem Vöglein in einem Käfig
Vorsingen zu lassen, wird dieses über das ihm bevor¬
stehende Schicksal aufgeklärt und richtet sein weiteres
Verhalten darnach ein. Lydg. hat dieses Zwiegespräch
nicht, sondern läßt (v. 78—82) den Vogel dadurch,
91 ) so im Chastoiement II; im Lai de l’Oiselet u. s. w., vgl.
diese später.
92 ) Außer diesen beiden gewiß auffallenden Einzelheiten hat
Lydg. v. 59 auch die goldgelbe Farbe des Vögeleins, die sich sonst
nirgend findet, aus dem- Donn. v. 10 übernommen.
30
daß dieser den Landmann einen Käfig anfertigen sieht,
sein künftiges Geschick erraten. Lydg. unterläßt es fer¬
ner das Versprechen des Bauers (Donn. v. 39/40) dem
Vogel reichliche Nahrung zu spenden, zu übersetzen und
verzichtet dadurch auf das Motiv zu seinen Versen
122—133.
Bis zu diesem Punkt zeigt sich bei Lydg. unver¬
kennbar das Bestreben seiner Vorlage möglichst frei
gegenüber zu stehen. Von jetzt an aber wird der An¬
schluß an das Original sichtlich enger und enger. Die
V. Donn. 43—64, die erste längere Rede des Vogels,
finden bei Lydgate v. 83—140 in allen ihren drei Tei¬
len eine entsprechende Wiedergabe: Donn. 45—50 (Wei¬
gerung des Vogels in der Gefangenschaft zu singen) ent¬
spricht Lydg. 85—112, hier allerdings reichlich erwei¬
tert und verallgemeinert; Donn. 51—60 (Versprechen
des Vogels jederzeit auf Wunsch im Garten zu singen)
entspricht Lydg. 113—119; Donn. 61—64 (letzte Wei¬
gerung des Vogels, begründet mit dem Hinweis auf die
mangelnde Stimmung eines Gefangenen) entspricht
schließlich Lydg. 120—140. Bemerkenswert ist aller¬
dings, daß dieser letzte JHinweis bei Lydg. schon im
ersten Teile der Rede des Vogels verwertet ist, und daß
die strikte Weigerung zu singen umgekehrt erst am
Schluß (v. 134/5) steht. Nun folgt Donn. 65—74 das
Ultimatum des Bauers pait der dem Vogel gestellten
Alternative, entweder im Käfig zu singen oder in die
Küche zu wandern. Diese Partie finden wir bei Lydg.
141—147 wieder; unerklärlicherweise spricht aber Lydg.
hier (v. 143) von einer. Wahl zwischen drei Dingen.
Die ziemlich lange Antwort des Vogels Donn. 75—92
ist von Lydg. in zwei Strophen wiedergegeben (v. 148
bis 162). Der Unterschied zwischen ‘quire’ und ‘en
: ost’, der, wie wir sehen werden, bis auf Petrus Alphonsi
31
zurückgeht, ist bei Lydg. verwischt, und der starke
Ausdruck ‘chars de treiz veals’ (trium vitulorum carnes
in der Disciplina) durch ein ganz anderes Bild ver¬
drängt (v. 161). Die nunmehr folgende Aufforderung
des Bauers die drei Lehren zu sagen, mit der vorläufig
ablehnenden Antwort des Vogels (Donn. 93—104) hat
Lydg. (v. 162—168) in eine Strophe zusammengedrängt.
Dagegen ist die Einwilligung des Bauers, gefolgt von
der Freilassung des Gefangenen (Donn. 105—116) bei
Lydg. (v. 169—194) mit Benützung mancher Parallele
aus der damals kursierenden Fabelliteratur ansehnlich
verbreitert worden; im Gegensatz zu der fz. Vorlage ist
diese Stelle bei Lydg. in direkter Rede gehalten. Nun
kommen die drei Lehren (Donn. 117—138, Lydg. 195
bis 217), und zwar in beiden Gedichten, sowohl was die
Einleitung als auch was die Anordnung und die Ge¬
staltung im einzelnen ,anlangt, in vollkommener Über¬
einstimmung 93 ), nur daß bei Lydg. entsprechend seiner
Neigung zum Lehrhaften, alles ausführlicher ist. Nicht
übersetzt ist bei Lydg. die Mahnung von Donn (v.
124/5), die erste Lehre nicht gering zu schätzen, denn
die spezielle Veranlassung dazu fiel ja im englischen
Gedicht weg. — Weiterhin sind die V. Donn. 139—144
(Entschluß des Vogels zur Rache) zwar im allgemeinen
von Lydg. (v. 218—224) übernommen, aber bei ihm tritt
das Gefühl der Rachsucht gegenüber dem der Freude
über die wiedergewonnene Freiheit zurück: Lydg. war
Priester. Die darauffolgende Hohnrede des Vogels im
Donn. (v. 145—158) ist bei Lydg. (v. 225-—280) gewal¬
tig ausführlich geworden. Hauptsächlich werden die
wertvollen Eigenschaften des fabelhaften Steines in allen
9S ) Nur Lydgate und Donnei haben gerade diese Gestalt der
drei Lehren, ein weiterer Beweis aus einer Einzelheit für die
Abhängigkeit des einen vom anderen.
Tonarten gepriesen, dann aber wird schon dieser Ab¬
schnitt der Erzählung von Lydg. benützt um den nichts¬
würdigen Sinn des ‘chorle’ recht bloßzustellen 94 ). In
den V. 159—178 schildert Donn. die Untröstlichkeit des
Bauern über seinen vermeintlichen Verlust, übersetzt
bei Lydg. v. 281—294, jedoch ohne Wiedergabe der
Selbstpeinigung des Bauern. Die Schilderung der be¬
friedigten Rachgier des Vogels (Donn. v. 179—184) hat
Lydg. ebenfalls unterdrückt, wie Ähnliches schon oben
geschah: eine mildernde Tendenz ist also bei Lydg.
ganz unverkennbar. Nun folgt im Donn. (v. 184—226)
die Schlußrede des Vögelchens mit der Aufklärung des
törichten Mannes, welcher Abschnitt bei Lydg. (v. 295
bis 364) abweichend dadurch eingeleitet ist, daß der
Vogel noch einmal in die Nähe des Bauern zurückkehrt.
Der Nutzanwendung der ersten Lehre im Donn. (v.
187—200) entsprechen die V. 302—322 bei Lydg., der
aber nunmehr im Vergleich zum Donnei eine Umstellung
vornimmt, indem er dem Bauer zuerst seinen Verstoß
gegen die dritte Lehre Vorhalten läßt (v. 323—329, im
Donn. erst v. 211—216), und dann erst jenen gegen die
zweite (v. 330—333, bei Donn. schon v. 201—210),
auf die dann gar nicht mehr näher eingegangen wird.
Der Schluß der langen Rede klingt im Donn. (v. 217 ff.)
daraufhin aus, daß es verlorne Liebesmüh’ gewesen sei
den Bauer zu belehren, daß aber dieser dafür auch um
Edelstein und Vogel gekommen sei. Bei Lydg. (v. 324ff.)
ist es ähnlich, nur ist die Ausführung breiter; hier
schließt die Rede des Vogels mit dem Vorsatze nie mehr
vor einem Bauern zu singen.
94 ) Durch seine Invektive gegen die Tölpelhaftigkeit des Bau¬
ern überhaupt erreicht Lydgate eine bemerkenswerte Übereinstim¬
mung mit dem Lai de l’Oiselet (v. 187 ff), die indes keineswegs
Abhängigkeit von diesem beweist, da solche Ausfälle viel zu nahe
liegen.
33
Der Schluß der beiden Bearbeitungen ist je nach
der verschiedenen Absicht ein verschiedener, bei Lydg.
werden namentlich noch einige schon in der Ausführung
vorgekommene Gedanken kurz wiederholt.
So schließen sich beide Bearbeitungen im ganzen
Verlaufe der Erzählung trotz mancher kleinen Verschie¬
denheiten doch recht eng aneinander, ja manche Einzel¬
heiten wären für sich allein schon ein hinreichender
Beweis für die gegenseitige Abhängigkeit der zwei Ver¬
sionen. Freilich ist Lydgate’s Gedicht keineswegs eine
bloße Übersetzung aus dem Französischen, und wörtliche
Anlehnungen gehören zu den Ausnahmen. Doch helfen
auch noch die wenigen, die sich auffinden lassen 95 ),
unseren Beweis stützen.
Und nun zu der neuen Frage, welches denn die
Quelle für die im Donnei des Amants eingeschobene Er¬
zählung selbst gewesen ist. Im allgemeinen läßt sich
sagen, daß sie deutlich die Struktur der von der Dis-
ciplina clericalis abgeleiteten Versionen (im Gegensatz
zu den aus dem griechischen Barlaamroman geflossenen)
aufweist: der Mann ist wie in diesen ein Bauer, der
Vogel ist unbenannt und wird wegen seines Gesanges
gefangen, die Freilassung erfolgt vor der Erteilung der
drei Lehren. Aber neben der Disciplina selbst existieren
zwei von einander unabhängige Übersetzungen derselben
ins Französische, die sog. Chastoiements, welche beide
die Erzählung enthalten. Außerdem haben wir die aus¬
führliche ebenfalls ursprünglich auf die Disciplina zu¬
rückgehende Einzelbearbeitung des Lai de l’Oiselet. Wel¬
ches von diesen vier Werken war nun tatsächlich die
9S ) Lydg. v. 64, vgl. 82: Donn. 37; Lydg. v. 100: Donn.
v. 45; Lydg. v. 112: Donn. v. 61, vgl. 112; Lydg. v. 162, vgl.
168: Donn. v. 101/2; Lydg. v. 178: Donn. v. 116; bes.. Lydg.
v. 339/40 vgl. 275: Donn. v. 222.
Tyroller ( Die Fabel von dem Mann und dem Vogel.
3
34
Quelle der Version im Donnei? Das Lai auf keinen
Fall, weil es, .außer umfangreichen Teilen, die es in
gleicher Weise von Donnei und Disciplina scheiden,
jedenfalls später .anzusetzen ist als das noch in die
letzten Jahre des 12. Jahrhunderts fallende Donnei 96 ).
Dagegen könnten zeitlich die beiden Chastoiements
welche von G. Paris 97 ) ins Ende des 12. oder in den
Anfang des 13. Jahrhunderts gesetzt werden, recht wohl
die gesuchte Vorlage gewesen sein. In der Tat hat
auch Chastoiement I 98 ) einiges, was ihm und dem Donnei
im Gegensatz zur Disciplina eigen ist 99 ), dem aber über¬
gewichtig manches gegenübersteht, was es gegen Donnei
und Disciplina geändert hat 100 ), so daß an eine Ab¬
hängigkeit der Version des Donnei von dem Chast. I
nicht gedacht werden kann.
Schwieriger liegt der Fall bei dein ausführlicheren
Chast. II 101 ), mit dem das Donnei durch eine Reihe
von Übereinstimmungen gegenüber der Disciplina ver¬
bunden ist. In beiden Bearbeitungen wird 1. der Mann
von Anfang an ein Bauer (paisans, vilains) genannt,
während ihn die Disciplina erst am Schluß als ‘rusticus’
bezeichnet; 2. dem Vogel wird beiderseits angekündigt,
daß er in einem Käfig (cage) singen müsse (Donn. v.
96 ) Das lai fällt in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts
[Gr* Paris, Lai (1903, p. 264)].
97 ) Lai (1903, p. 250).
98 ) siehe unten p. 39.
99 ) Donn. v. 7: Chast. v. 10 (entrer i seit); Donn. v. 4:
Chast. v. 15 (oisel i souloient entrer); namentlich aber Donn. v.
51—60: Chast. v. 30 (Versprechen des Vogels, wenn frei, zu singen;
vgl. Chast. II).
10 °) so Chast. v. 50 (sa parinesse li demanda); insbesondere
aber der Umstand, daß der Mann in Chast. I ‘preudom*, *danz
vassaux’, nur einmal eigentümlicherweise ‘vilain’ genannt wird.
101 ) siehe unten p. 40, wo nähere Angaben gemacht sind.
35
38 — Ch. II, v. 52); 3. der Vogel verspricht im Falle
der Freilassung auf den Wunsch des Bauern jederzeit
zu singen (Donn. v. 51—60 — Ch. II v. 78); 4. der
Vogel setzt sich sofort nach der Freilassung auf einen
Baum: (Donn. v. 109 — Ch. II v. 93); 5. die Nutz¬
anwendung zu einer der Lehren ist ganz ähnlich ge¬
geben (Donn. v. 207/10 : Chast. v. 146). Auch im Aus¬
druck scheinen beide Versionen hie und da aneinander
anzuklingen. Außerdem wäre es begreiflicher, wenn die
232 Verse enthaltende Version des Donnei aus der 152
Verse zählenden des Chast. II geflossen wäre als aus
der ganz kurzen Geschichte in der Disciplina. Faßt man
aber die Übereinstimmungen zwischen Donnei und Chast.
II genauer ins Auge, so erscheint die erste deswegen
kaum beweiskräftig, weil ja der Mann schließlich doch
auch in der Disciplina ein ‘rusticus’ genannt wird; was
die zweite anlängt, so ist der Gedanke an den Käfig zu
naheliegend, als daß er nicht zweimal unabhängig durch
den Zufall hätte eingegeben werden können; bei der
dritten Übereinstimmung tritt Chast. I unabhängig zur
Seite 102 ), ein Beweis dafür, wie ungemein leicht eich
aus dem Begriff ‘retenta’ der Disciplina der gegenteilige
Begriff ‘in Freiheit’ entwickelte, so daß also auch hier
kein fester Anhaltspunkt zu gewinnen ist; auch bei den
zwei noch übrigen Punkten ist der Zufall keineswegs
ausgeschlossen. Entschieden gegen die Möglichkeit einer
Abstammung der Donnei-Version von dem Chast. II
spricht aber der Umstand, daß der Ausdruck der Dis¬
ciplina ‘trium vitulorum carnes’ von Donnei .wortge¬
treu mit ‘les chars de treis veals’ übersetzt ist, während
Chast. II das Bild geändert hat und in der einen Les¬
art ‘treis gras oisels’, in der anderen ‘treis grant eigne’
102 ) siehe die vorhergehende Seite, Anm. 99.
3 *
hat 103 ). So müssen wir denn mit G. Paris 104 ) die Dis-
ciplina clericalis als die unmittelbare Vorlage des un¬
bekannten Verfassers des Donnei ansehen.
Nicht uninteressant ,ist es kurz die Hauptunter¬
schiede aufzuzählen, welche die Bearbeitung des Donnei
von allen drei Versionen der Disciplina gemeinsam tren¬
nen. Vor allem tritt im Donnei die Schilderung des Gar¬
tens und des Gesanges der Vögel im allgemeinen sehr
zurück. Der Baum hat eine nähere Bezeichnung (lorer),
die Art des Vogels ist etwas eingehender beschrieben.
Der Bauer will die drei Lehren zuerst vor der Freilas¬
sung des Vogels hören, doch dieser weist mit Erfolg auf
das Ungeziemende daran und auf die Unvereinbarkeit
von Gefangenschaft und Lehrerwürde hin. Nach der
Freilassung wird geschildert, daß der Vogel nunmehr
gegen alle Nachstellungen gefeit sei. Den auffallendsten
Unterschied weisen die drei Lehren auf, deren zweite
sich sonst in keiner Bearbeitung der Disciplina findet,
sondern auf die unserer Erzählung entsprechende Para¬
bel des Barlaamromanes 105 ) zurückgehen muß, ebenso
wie» ein Teil der dritten Lehre 106 ). Neu ist auch die Er¬
klärung des Verhaltens des Vögleins als Bache für die
erlittene Kränkung.
105 ) Die Konjektur G. Paris’, Donnei p. 540: ‘treis gras veels'
für Chast. II v. 89 wird durch die in beiden mss. des Chast. II
dem Sinne nach vorhandene Übereinstimmung hinfällig.
i°4) Donnei, pp. 540/1.
108 ) aber nicht auf die Legenda aurea, auf Vinc. Bellov.,
Jacobus Vitriac. oder gar die Gesta Romanorum, da diese und
andere Kompilationen später als das Donnei entstanden sind. Ver¬
gleiche Näheres darüber im zweiten Abschnitt.
106 ) Donnei, v. 138; vgl. dazu den Wortlaut des lat. Barlaain:
‘ne doleas de re perdita quam recuperare non potes’.
37
3. Die Erzählung in der Disciplina clericalis des Petras
Alphonsi [Anhang No. 3].
Die schon öfter genannte Disciplina clericalis 107 )
des Petrus Alphonsi 108 ) enthält unsere Erzählung im
23. Kapitel. Sie ist nach Art des Werkes eingeleitet
durch einen lehrhaften Spruch, dessen zweiter Teil sich
107 ) Ausgaben: 1. Disciplina clericalis; auctore Petro AlpJionsL.
Ex-Judaeo Hispano; gegenüber: Discipline de Clergie; Traduction
de TOuvrage de Pierre Alphonse, Premiere Partie. Soc. des Bibi,
frang. Paris, de lTmprimerie de Rignoux. MDCCCXXIV, 12°
[besorgt v. Labouderie] ; 2. Petri Alphonsi Disciplina clericalis.
Zum ersten Mal hg. mit Einl. u. Anm. von Fr. Wilh. Val. Schmidt.
Berlin 1827, 4°; 3. Patrologiae cursus completus . . . accurante
J.-P. Migne, tomus CLVII, Lutetiae Par. 1854, 4° pp. 671 ff. (Ab¬
druck des Textes von Labouderie); 4. H. Gering, Islendzk Aventyri.
Halle, 1883, 8°, II, pp. 139 ff hat von 28 Erzählungen der Dis¬
ciplina nach den Ausgaben von Labouderie und Schmidt einen
neuen Text hergestellt. — Die Erzähl, bei Laboud. (fab. XX) pp.
136—140, bei Schmidt pp. 67/8, Migne p. 695, Gering, pp. 389/90;
Analysen bei G. Paris, Lai (1903, pp. 233/4), de Cock, pp. 128/9,
Chauvin IX, p. 30. — Auf die Erz. haben in uns. Zus. verwiesen
Tyrwhitt (1822, I, p. 213 Anm.); Warton (-Hazlitt, 1871, I, pi
241 Anm. 285); Douce bei Ellis (1848, p. 42); Swan (-Baker,
1905, p. 457); Schmidt, pp. 150/51; Grimm, p. CCLXXXI Fußn.;
Loiscleur, Essai, p. 71, Anm. 11; Halliwell, p. 179; Grässe, Gesta.
pp. 276/7; Steinschneider, Manna, p. 98; Hist. Litt. XXI, pp. 620,
717; E. du Meril, p. 146; Goedeke, Mittelalt., p. 640; Hist. Litt.
XXIII, p. 77; Uhland, Nachtigall, pp. 140/1, Schriften pp. 102/3;
Österley, Wend. V, p. 107, Gesta, p. 739, Steinh. p. 312; G. Paris,
Lai (1903, pp. 232—236 etc.); Sauerstein, pp. 6, 10; Clouston, p.
564; Jacobs, Aes. I, p. 285; Crane, pp. 144/5; Weissl. p. 114;
Schick, p. CXVIII; Bedier, pp. 103/4, 111; Gattinger, pp. 50/1,
54; G. Paris, Donn. pp. 540/1; Jacobs, Barl. pp. LXXX, CXXI;
Amalfi, p. 379; Schleich, passim; Chauvin III, p. 103; de Cock,
pp. 123, 128/9, 130, 135; Plessow, pp. XXXVI, XLIII; Chauv.
IX, p. 30.
108 ) Der jüdische Rabbi Moses, geboren in Huesca (Aragon),
ließ sich 1106 am Tage Sankt Peters taufen und nahm diesen
Namen an, dem er den seines Paten Alfonso I von Aragonien bei¬
fügte [Petri Alph. Dialogi contra Judaeos, bei Schmidt, pp. 3—5].
38
gegen den Schmerz über Verlorenes wendet. Den Schluß
bildet ebenfalls eine lehrhafte Sentenz, der Ausspruch
eines Philosophen, des Inhalts, nicht alles zu glauben,
was man lese. Offenbar soll die Erzählung diese beiden
Lehren illustrieren, wobei sich aber sofort die Inkon¬
gruenz ergibt, daß das Vögelein drei, nicht zwei Lehren
verkündet. In der Nutzanwendung wird freilich nur
mehr auf die beiden außerhalb der Erzählung geäußer¬
ten Sprüche zurückgekommen. Ganz besondere Beach¬
tung verdient der Wortlaut der zweiten Lehre: quod
tuum est habe semper (si potes), dem gegenüber die
entsprechende Lehre im Donnei eine vom Barlaamroman
veranlaßte Neuerung ist.
Was die Quellei der Erzählung in der Disciplina
anlangt, so gibt Petrus Alphonsi in der Einleitung seines
Buches 109 ) selbst einen allgemeinen Fingerzeig auf die
arabische Fabelliteratur, mit dem die meisten For¬
scher 110 ) sich begnügt haben, während andere 111 ) gar in
der Parabel des griechischen Barlaam die Quelle sahen.
Nur G. Paris 112 ) und A. de Cock 113 ) haben Versucht wei¬
ter in das Dunkel vorzudringen. Der erstere hat die
Erzählung der Disciplina neben die Version im hebräi¬
schen Barlaam des Ihn Chisdai 114 ), der letztere neben die
Parabel im arabischen Barlaam des Bombay-Buches 114 )
i°9) Schmidt, p. 34: ‘. . . libellum compegi, partim ex prover-
biis philosophorum et suis castigationibus, partim ex proverbiis et
castigationibus arabicis et fabulis et versibus, partim ex animalium
et volucrum similitudinibus’.
u°) Warton, Tyrwhitt, Douce, Meon, Schmidt, Grimm, Uhland,
Clouston, Bedier (a. a. 0.).
lu ) Loiseleur (Essai), Grässe (Gesta), mit Modifikation Crane;
an den orientalischen Barlaam oder an eine andere direkt nach
Indien zurückführende Quelle denkt Jacobs (Barlaam).
112 ) Lai (1903, pp. 230 ff).
113 ) pp. 122/3.
1U ) siehe im dritten Abschnitt.
39
gestellt. Für uns wird sich ein Eingehen auf diese Fra*
gen erst im dritten Abschnitte ermöglichen. Zuvor seien
alle diejenigen Versionen unserer Erzählung erledigt,
die von der lateinischen Disciplina clericalis ihren Aus¬
gang genommen haben.
4. Die Erzählung in der französischen Prosaversion der
Disciplina clericalis [Anhang No. 4].
Von der Disciplina 'clericalis existiert eine allem
Anscheine nach aus dem 15. Jahrhundert stammende
französische Prosaversion 115 ), die Meon seinerzeit Jean
Miellot zugeschrieben hat. Von unserer Erzählung ist
hiebei nichts weiter zu sagen, als daß sie eine leidlich
wörtliche Übertragung des lateinischen Textes ist, mit
Ausnahme der Nutzanwendung der dritten Lehre, die
logisch richtiger als in der Vorlage ist.
5. Die Erzählung im Chastoiement 1 [Anhang No. 5].
Wie in der Disciplina dient auch in dem aus der
Wende des 12. und 13. Jahrhunderts stammenden Cha¬
stoiement I 116 ) die Erzählung zur Erläuterung von Leh¬
ren, die aber hier beide der eigentlichen Geschichte
115 ) Hg. zusammen mit der Disciplina von J. Labouderie für
die Bibliophilen, siehe im 3. Kap. dieses Abschnittes; die Erzähl,
dort pp. 137—141; die oben gern. Ang. dort p. XI.
116 ) Ausgabe zuerst 1760 von Barbazan, erneuert 1808 durch
MAon, Fabliaux et Contes des Poetes Francois . . . Tome second,
Paris 1808, pp. 39 ff. unter dem Titel: Le Castoiement d’un PAre ä
son Fils. Conte XX: ‘du vilein et de ToiseleP pp. 140—143, mit
der Einleitung 88 achtsilbige Verse. — Hinweise gaben: Roquefort
I, p. 29, Anm. 3, II, p. 324 Anm. 1; Schmidt, pp. 150/1; Grimm,
p. CCLXXXI, Fußn.; Halliwell, p. 179; Hist. Litt. XXI, pp. 620,
717, XXIII, p. 77; Uhland, Nacht, pp. 140/1, Schrift, pp. 101/2;
österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903,
pp. 250 ff); Jacobs, Aes. I, p. 265; Gattinger, p. 154; G. Paris,
Donn. pp. 540/1; Schleich, pass.; Chauvin IX, p. 30.
40
vorangehen 117 ). Diese selbst schließt sich ziemlich genau
an das lateinische Original an und stimmt Absatz für
Absatz mit ihm überein. Einige unwesentliche Abwei¬
chungen kennzeichnen sich als Vereinfachungen oder
Kürzungen. Auch die wenigen Zusätze sind von keiner
besonderen Bedeutung und ergeben sich aus dem logi¬
schen Zusammenhang von selbst 118 ). Zu der zweiten
Lehre (v. 53/4) ist gleichsam eine Anwendung gefügt,
die auf das bei der ersten Lehre nicht mit übersetzte
lat. promissis zurückgreift. Auffallend ist nur die Be¬
zeichnung des Mannes, der in der Disciplina erst gegen
Ende ‘rusticus’ genannt wird, als ‘preudom’, ‘danz
vassaux’ (v. 47), während er späterhin (v. 69) doch
wieder ein ‘vileins’ heißt, eine kaum recht gut zusam-
menzureimendö Willkür. Nachdem am Schlüsse die
zweite Mahnung wiederholt worden ist, geht Chast. I
zu einem neuen conte über.
0. Die Erzählung im Chastoiement II [Anhang No. 6].
Die Erzählung im Chastoiement II 119 ) könnte man
als eine dichterisch ausschmückende Erweiterung des
lateinischen Originals bezeichnen. Von Anfang an wird
117 ) v. 1—8; wenn der Vf. von ‘trois manieres de sens’ spricht,
so spaltet er die 2. in 2 identische.
118) V gi y io, 20, 28—30, 50, wozu teilw. die beim Donnei
gemachten Ausf. zu vergleichen sind.
119 ) Ausgabe von Labouderie (-Meon): Le Chastoiement d’un
Pere ä tpon Fils, traduction en vers frangais [de] l’ouvrage de Pierre
Alphonse. Seconde Partie. Soc. des Biblioph. fr. Paris, de l’impri-
merie de Rignoux. MDCCCXXIV, 12°. — Neuausgabe, auf Grund
des ms. 730 der f. öttingenschen Bibliothek zu Maihingen veran¬
staltet von M. Rösle, Le Castoiement d’un Pere ä son Fils, Mün¬
chen, 1898, 8°. — Die Erzählung, 152 paarw. reim. Achtsilbler,
bei Laboud. pp. 130—136, Rösle pp. 40—42. — Hinweise geben
in unserem Zusammenhang: Halliwell. p. 179; Hist. Litt. XXIII,
41
der Mann ein Bauer genannt. Die Schilderung des Gar¬
tens und des Gesanges der Vögel nimmt einen weit
breiteren Raum ein als in der Disciplina und ist mit
viel Reiz durchgeführt. Fast jeder Abschnitt wird er¬
weitert, allerdings weniger dem Inhalte als den Worten
nach. Der Dichter liebt es einen und denselben Gedanken
zu variieren und erreicht dadurch am Schlüsse einzelner
Reden eine bemerkenswert kräftige Abrundung. Dem
allgemeinen Charakter der Bearbeitung entsprechend ist
manches, was im Original zwischen den Zeilen zu lesen
war, genauer ausgeführt (v. 29ff., 32—35, 35—42, 52,
92). Als neue Züge können gelten das Sommer und
Winter grüne Gras (v. 7/8), die Gefangennahme des
Vogels bei seiner Rückkehr in den Garten (v. 40), der
Käfig (v. 52), das Versprechen des Vogels zu singen
(v. 78), die Wunderkraft des Edelsteins (jacinctus, v.
115/6). Bemerkenswert ist des Bearbeiters Vorliebe für
drastische Ausdrucksweise (v. 63—67 ; v. 72/3; v. 89/90;
v. 144; v. 147/8, übrigens eine Anspielung auf die da¬
mals geläufige, schon Horaz bekannte und sich auch
unter den Fabeln der Marie de France findende Fabel
vom Bauer [alias Berg] und der Maus). Mangelhaft
ist die Übersetzung der zweiten Lehre 120 ). Die wich¬
tigsten Abweichungen sind wohl, daß bei der Übertra¬
gung von ‘trium vitulorum carnes’ das Bild durch Er¬
setzung der Kälber durch Vögel 121 ) wesentlich geändert
p. 77; G. Paris, Lai (1903, pp. 250 ff); Crane, p. 144; G. Paris,
Donn. pp. 540/1; Schleich, passim; de Cock, p. 129; Chauvin IX,
p. 30.
120 ) v. 99/100. Dem Übersetzer lag vielleicht ein lat. ms. mit
der Lesart habebis statt habe vor, wie G. Paris, Lai (1903, pp.
251/2) annimmt.
m ) Welche von den beiden Lesarten: ‘oisels’ oder ‘eigne’
richtig ist, kann ich nicht entscheiden.
42
worden ist (v. 89); ferner, daß der Vogel den Garten
für immer verläßt.
7. Da$ Lai ded VOiselet [Anhang No. 7].
An die Fassung der Erzählung in der Disciplina
clericalis ist im allgemeinen auch das berühmte 122 ) in
der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts von einem Un¬
bekannten verfaßte Lai de l’Oiselet 123 ) anzuschließen.
122 ) Bemerkenswert ist der Gegensatz zwischen dem Urteil
zweier so bedeutender Männer wie Uhland (Nachtigall, p. 142,
Schriften, p. 104): ,,Die Verbindung des feudalistischen Märchens
mit dem indischen Apolog ist nicht sonderlich gelungen. Zweimal
des Vögleins Lehren, und so verschiedenartig, daß beide Teile ohne
inneren Zusammenhang nebeneinander stehen; der Fluch des hin¬
wegfliegenden Wundervogels verliert alle Wirkung, wenn dieser
gleich am Abend in den Garten zurückkehrt. Dennoch ist das
Dichterische des Grundgedankens nicht zu verkennen: eine ganze
Ritterwelt, hochgetürmte Burg, Sommerwonne, Frauendienst, Waf¬
fenruhm wird von dem kleinen Geschöpfe heraufgesungen und
schwebt an dem Zauber seiner süßen, belebenden Stimme. Gewiß
war dieser Gedanke dem ungeschickten und weitschweifigen Ver-
doppler der Fabel nicht eigen . . .“ und G. Paris (Lai, 1903, pp.
264/5): ‘[L’auteur . . .] avait un heureux g6nie . . . il a su en
general revetir sa pens6e d’expressions precises et gracieuses. Son
petit oiseau nous charme autant que son lourd vilain nous amuse,
et ce petit poeme peut etre regarde ocmme un des joyaux les plus
finement taillfe de notre vieille poesie.'
i28) 410 paarweise reim. Achtsilbler, in einem Dialekt, der auf
einen zwischen Ile-de-France und Picardie gelegenen Landstrich
weist [G. Paris, Lai (1903, p. 264)]. — Der Text des lai de
l’oiselet, zum erstenmale 1756 von Barbazan gedruckt, fand in der
Neuausgabe von M6on 1808 im 3. Bd. pp. 114 ff. seine Stelle (424
Verse). Die im J. 1884 von G. Paris nach den fünf erhaltenen
sämtlich in der Bibi. Nat. befindl. mss. veranstaltete Ausgabe kam
nicht in den Handel, indessen wurde der Text 1903 der in die
Legendes du Moyen Age auf genommenen Abhandlung desselben Vf.
über das lai, pp. 271—291 angehängt. — Inhaltsangaben: 1. bei
Le Grand, t. III, p. 430; da sich Le Grand in künstlerischer Ab-
43
Doch sind die Wandlungen, die das Gedicht mit der
überkommenen Erzählung vorgenommen hat, ganz be¬
deutende zu nennen.
Das Hauptcharakteristikum dieser Bearbeitung ist,
daß der Garten der Disciplina in einen um ein magi¬
sches Schloß herum gelegenen Zaubergarten, verwandelt
ist, in welchem Liebende in allen Forderungen der ‘cour-
toisie’ neu befeuert und bestärkt werden, und zwar durch
den hier geheimnisvoll-wunderbar gewordenen Gesang
deä Vögleins, das als Träger des ganzen Zaubers er¬
scheint, insofern als die Existenz des Gartens an das
tägliche Erscheinen des Vögeleins gebunden ist und mit
dessen endgültigem Abschied für immer aufhören muß.
Dieses Äußerste tritt tatsächlich ein und erscheint
hauptsächlich als gerechte Vergeltung für des Bauers
sicht einschneidende Änderungen erlaubte, die wieder anderwärts
übernommen wurden, ist seine Bearbeitung als eigene Version zu
betrachten; 2. bei Uhland, Nächtig, pp. 141/2, Schrift, pp. 103/4;
3. bei Ch. Louandre (1873), in einer kürzeren [Revue des deux
Mondes, t. 107, pp. 435/6] und einer längeren [Chefs-d'oeuvre
des Conteurs Frangais (t. I), pp. 27—32] Fassung, welch letztere
als Erneuerung des afz. lai in mod. pros. Gewand gelten kann;
4. bei de Cock pp. 123—125. — Hinweise auf das Lai de l’Oiselet
gaben in uns. Zus.: Le Grand III, pp. 430—39, IV, pp. 330,
412—415; Ellis bei Way (1815, I, pp. II, 167—169); Douce bei G.
Ellis (1848, p. 42); Docen, Aes. Fab. p. 1247; Roquefort I, p. 29,
II p. 324; Hist. Litt. XVI, p. 229; Schmidt, pp.152/3; Grimm, p.
CCLXXXI; Loiseleur, Essai, p. 71, Mille et un Jours, p. 448
Anm. 1; Hist. Litt. XJX, p. 791; Halliwell, p. 179; Grässe, Gesta,
p. 276; Keller, Altd. Ged. p. 12; Hist. Litt. XXI, pp. 620, 717; E.
du M6ril, p. 146, Anm. 2; Hist. Litt. XXIII, pp. 76/7; Uhland,
Nacht, pp. 140—142, Sehr. pp. 102/3; Österl. Wend. V, pp. 107/8,
Gesta p. 739; Louandre, a. a. O.; G. Paris, Lai (1903, p. 253 ff);
Sauerstein, pp. 6, 10; Clouston, pp. 564—66; Bedier, pp. 104, 109;
van Hamei, pp. 511—513; Jacobs, Barl, p. CXXII; G. Paris,
Donn. pp. 524, 540/1; Gattinger, pp. 12, 50—54; Schleich, passim;
Chauvin III, p. 104 ; de Cock, pp. 113, 123 ff.
44
‘vilenie' (Gegensatz zur ‘courtoisie’), nur nebenbei als
Strafe für die Nichtbeherzigung der drei Lehren.
Mit der Änderung der allgemeinen Auffassung gin¬
gen natürlich (Verschiebungen im einzelnen Hand in
Hand. Vor allen Dingen mußte motiviert werden, wie¬
so sich der Bauer im Besitze des Schlosses und des Wun¬
dergartens befinden konnte: deswegen die Erzählung von
dem; Bankrott des verschwenderischen Rittersprößlings
(v. 23—28). Entsprechend der gehobenen Rolle, welche
einerseits der Garten, andrerseits der Gesang des Vogels
spielen, nimmt die Schilderung beider einen bedeutenden
Raum in der Ökonomie des Ganzen ein, so daß erst spät
(v. 126) die gewöhnliche Erzählung beginnt, und zwar
mit der Schilderung, wie der Bauer dem Gesang des
Vogels lauscht. Aber gleich hier ist die Motivierung
wieder geändert, indem der Vogel nach Vollendung sei¬
nes ‘lai’ einen Schmähgesang gegen den vilein und seine
niedrige Sinnesart losläßt, demzufolge das Hauptmotiv
des Einfangens die Rache des Bauern wird, wenngleich
daneben der Wunsch desselben den Gesang des Vogels
beständig zu hören, nicht geschwunden ist. Was nun
weiterhin folgt, ist ganz ähnlich erzählt wie in der
Disciplina und ihren beiden afz. Nachahmungen. Ein
ganz neuer Zug ist nur der, daß der Bauer mit den
vom Vogel empfangenen Kluglehren nicht zufrieden ist,
sondern bei jeder ,einwendet, solche Sprüche seien ihm
schon längst bekannt, worauf ihm dann das Vöglein auf
der Stelle nach weist, wie wenig er sie verstanden. Den
Schluß bildet, wie ob der vilenie des Bauern der Vogel
den nunmehr in nichts verschwindenden Garten auf
immer verläßt.
Mit der Forschung nach der Quelle des Lai de
l’Oiselet hat schon Le Grand 124 ) mit seiner Angabe
m ) t. III, p. 436; hier seine kurze Inhaltsangabe der Fabel
45
begonnen: ‘ce conte est imite de Bid-Pai’. Bei dem da¬
maligen mangelhaften Stande der vergleichenden Lite¬
raturwissenschaft konnte allerdings Le Grand keine
Ahnung davon haben, daß die mit dem lai verglichene
Fabel sich nur in solchen Versionen des uralten indi¬
schen Fabelbuches findet, die im Mittelalter nie ins
Abendland gedrungen sind. 125 ). Verfrüht war auch Do-
cen’s 12G ) Vermutung, die Quelle des lai sei entweder
im lateinischen Barlaam oder in den Gesta Romanorum
zu suchen. Seitdem dann Schmidt 127 ) und Loiseleur 128 )
die von Le Grand ausgegangene Vermutung unbedingt
abgelehnt hatten, stellte Grässe 129 ) das lai zur Dis-
ciplina, während ßchon vorher Halliwell 130 ) das Pro¬
blem auf folgende Weise zu lösen versucht hatte: ‘The
fabliau [das lai] is only an enlargement of the tale
from the different old French metrical versions of the
Disciplina clericalis, known by the title of Chastoiement
or Castoiement’. Das letzte selbständige Urteil über die
Bidpai’s: un paysan . . . a un rosier qui tous les jours produit un
bouton. Un rossignol vient plusieurs fois de suite le bequeter et
l’empecher d’6clore. L’oiseau destructeur est enfin pris au piege;
mais il obtient sa liberte par ses prieres, et en reconnaissance il
enseigne au paysan un tresor, cache au pied de l’arbre.’ Über den
mutmaßlichen Zusammenhang dieser Fabel mit unserer Erzählung
siehe den vierten Abschnitt.
12 £) Diese Versionen sind die pers. Anvar-i Suhaili und das
von diesen ausgegangene türkische Humayün Nämeh, dessen fran¬
zösische Übersetzung durch Galland (1724) Le Grand Kenntnis von
der Fabel Bidpai’s verschafft haben wird. Le Grand’s Ansicht ver¬
tritt zuletzt noch Louandre (a. a. O.).
126 ) a. a. O. p. 1247.
127) a . a . O. p. 153.
128 ) a. a. O. p. 71.
129 ) a. a. O. p. 276; ebenso auch bei Uhland, a. a. O.
13°) a. a. O. p. 179.
46
Sache, das wir haben, ist jenes von G. Paris 131 ): ‘II
parait probable qne l’auteur du lai a connu la seconde
de nos versions poetiques de Pierre Alphonse [d. i.
unser Chast. II], mais qu’a cöte d’elle, il a consulte, soit
le texte latin, soit une autre Version plus fidele 132 ). Je
pencherais pour la seconde hypothese. Rien n’indique,
en effet, que cet auteur ait ete un clerc . . . 133 )’.
Die Unsicherheit dieser Entscheidung ist für uns
Anlaß genug die Frage einer gründlichen Nachprüfung
zu unterziehen. Der allgemeinen Sachlage nach könnte
der Verfasser des lai entweder die Disciplina selbst, oder
aber eines der beiden Chastoiements oder auch die Epi¬
sode des Donnei als Vorlage benutzt haben.
Ein Vergleich des lai mit der Bearbeitung im Don¬
nei ergibt zwar einige kleine Übereinstimmungen im ein¬
zelnen, die jedoch keineswegs von der Art sind, daß
sie nicht dem Zufall zugeschrieben werden könnten. Auf
der andern Seite hat das lai so viel mit der Disciplina
gemein, was im Donnei ganz anders gewendet ist, daß
von einem unmittelbaren Zusammenhang auch nicht im
entferntesten die Rede sein kann. So ist z. B. im Donnei
die Beschreibung des Gartens mit dem Brunnen fast
gänzlich verschwunden, während in der Disc. und im
lai alles das in breitester Ausführlichkeit sich findet.
Von ausschlaggebender Bedeutung ist namentlich die
Gestalt der drei Lehren, für die sich im Donnei starker
Einfluß des Barlaam nachweisen ließ, während das
lai sich eng an die Lehren der Disciplina anschließt.
131 ) Lai (1903, pp. 254—256); ihm schließt sich an de Cock.
p. 129.
132 ) Das hat G. Paris später (Donn., pp. 540/1) nicht auf
die Version des Donnei bezogen.
133 ) D. h., daß er soviel Latein verstanden habe, um die
Disciplina lesen zu können.
— 47
Bezüglich des Verhältnisses zwischen dem lai und
Chast. I hält es schon G. Paris 134 ) für schwer, einen
nur diesen beiden Bearbeitungen gemeinsamen Zug auf¬
zudecken. An kleinen Übereinstimmungen kämen etwa
in Betracht, daß der Bauer jeden Morgen den Garten
betritt, (und daß er hier wie) dort den freigelassenen
Vogel mahnt sein Versprechen der drei Lehren zu hal¬
ten. Wichtiger sind Abweichungen, in welchen sich das
Chast. I in gleicher Weise von der Disciplina und dem
lai entfernt: im Chast. wird der Mann ein ‘preudom’,
‘danz vassaux’, nur einmal ‘vilain’ genannt; der Vogel
gibt vor dem Versprechen der drei Lehren jenes auf
Geheiß des Bauern jederzeit zu singen; für das ‘secu-
rus promissis’ der Disc. findet sich nichts Entsprechen¬
des im Chast. I, wohl aber im lai (v. 256—258). Dazu
fügt G. Paris 135 ) noch: ‘il me parait probable que si
l’auteur du lai avait eu cette* Version sous les yeux, il
lui aurait emprunte la traduction de hyacinthus par
jagonce, d’autant plus qu’elle lui fournissait une rime
avec-once 136 ).
So löst sich bezüglich des Donnei und des Chast. I
unsere Frage ziemlich einfach im negativen Sinn. An¬
ders steht es mit dem Chastoiement II, welches mit dem
Lai eine ganze Reihe von Übereinstimmungen aufweist.
G. Paris 137 ) zählt kurz folgende auf: ‘dans l’une comme
dans l’autre, le maitre du jardin est, des l’abord, appele
un paysan; le charme particulier du chant de l’oiselet
est mis en relief; l’oiseau est pris au lacs quand il
revient dans le jardin apres l’avoir quitte; le vilain
1M ) Lai (1903, p. 254).
135 ) Lai (1903, p. 254).
136 ) Lai, v. 355 ff, wo nur von einem ,,Stein“ im Gewicht
von drei Unzen die Bede ist.
13T ) Lai (1903, pp. 255/6).
48
monte sur l’arbro pour s’emparer de lui; il annonce
ä l’oiseau qu’il le mettra dans une cage; le desespoir
du vilain est decrit avec complaisance; enfin, et sur-
tout, l’addition faite au troisieme reproche de l’oiseau:
Qui plores que tu as perdu
Ce qui n’est ne onques ne fu (v. 146)
pourrait etre l’origine de la modification, dans le lai,
du conseil correspondant:
Ne pleure pas ce qu’ainc n’eüs;
et le recit se termine par ces vers:
Quant le vilain out mout laidi
Li oiseles et escharni,
Chantant s’en torne, sil laissa,
Ainc puis el vergier n’abita.
dont le dernier, auquel rien ne correspond dans le latin,
peut fort bien avoir suggere a l’auteur du lai, non
seulement son denouement, mais toute la conception du
role si original et si merveilleux qu’il a donne a l’ioiseau.’
Dazu könnte man noch nachtragen: in beiden Bearbei¬
tungen ist bei der Beschreibung des Gartens auch von
Bäumen und Früchten die Bede; der Garten ist hier
wie dort sowohl im Winter als auch Sommer beständig
grün (Chast. II, v. 7/8: Lai, v. 49, 70); der Vogel setzt
sich in beiden sofort nach der Freilassung auf einen
Baum; in beiden Versionen wird dem Steine große Wun¬
derkraft zugeschrieben.
Wenn nun G. Paris trotz dieser vielfachen Über¬
einstimmungen — daß es nicht noch viel mehr sind,
rührt wahrscheinlich von der radikalen Umarbeitung
her, welcher die Erzählung durch den Verfasser des
Lai unterworfen worden ist — sich bewogen fühlt neben
dem Chast. II noch eine andere Quelle anzunehmen, so
49
sind ihm dafür folgende zwei Erwägungen 138 ) ma߬
gebend *. 1. Tauteur du lai, tout en modifiant l’avis qui
repond ä quod tuum est semper habe, l’arrange de fagon
ä montrer qu’il n’a pas eu sous les yeux le contre-sens
de cette Version’ [d. i. d. Chast. II, v. 99/100: Lai, v.
332/3] et 2. il a conserve le trait, omis par eile, du
contraste entre la grosseur de l’oiseau et celle de la
pierre qu’il pretend ötre dans son corps’. Nun ist es
aber ad 1. einesteils nicht unbedingt notwendig in der
Lehre des Chast. II einen contre-sens zu erblicken 139 ),
andresteils wäre, selbst wenn der contre-sens zuträfe, es
gar nicht unmöglich, daß der Neubearbeiter vermöge
seines gesunden Menschenverstandes die Stelle dennoch
richtig deutete; ad 2. muß ich offen gestehen, daß mir
der Sinn der Worte von G. Paris nicht recht verständlich
ist; in der Tat, wenn man die betreffenden Stellen in
den drei in Frage kommenden Versionen miteinander
vergleicht — Disciplina: Quomodo credis quod in me
sit jacinctus qui sit ponderis unius unciae, cum ego
tota non sum tanti ponderis? — fernerhin Chastoie-
ment II (v. 135—138):
Et creiz-tu or donc par ta fei
Que il est pierre dedenz mei
Oü il ait une once pesant,
Quant je trestot ne pois pas tant!
— und endlich Lai (v. 371—375):
«8) G. Paria, Lai (1903, p. 255).
189 ) Die Übereinstimmung des Textes in den beiden vorhan¬
denen Ausgaben des Chastoiem. II belehrt uns über die Ursprüng¬
lichkeit der in ihnen gemeinsam vertretenen Lesart. Wenn also ein
Fehler gemacht wurde, fällt dieser dem Verfasser, nicht einem Ab¬
schreiber zur Last. War nun die Stelle der Disciplina, selbst wenn
sie habebis statt habe enthielt (siehe oben p. 41, A. 120), wirklich
so schwer, daß sie der sonst nicht ungeschickte Verf. nicht verstehen
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 4
50
Puis lui a dit: «Chetis vilains,
Quant tu me tenis en tes mains,
G’ierej plus legiers d’un moisson,
D’unq masenge ou d’un pin$on,
Qui ne poise, pas demie once.»
sp wird man unmöglich G. Paris in der Konstatierung
eines so bedeutsamen Unterschiedes beipflichten können.
Vielmehr sei es uns gestattet, die beiden einzigen von G.
Paris erhobenen Einwände als nicht stichhaltig eben¬
so entschieden als bescheiden zurückzuweisen und hie-
mit endgültig Chastoiement II als Quelle, des lai fest-
zustellen 140 ).
8. Die Erzählung in den ‘Recits d'un Menestrel de
Reims au XIID siecle ’ [Anhang No. 8].
An das Lai de l’Oiselet reiht sich an eine mit
unserer Geschichte identische Erzählung in den ‘Recits
d’un Menestrel de Reims au XHIe siecle 141 ), einem
konnte, oder hat er einfach nur, in einer allerd. latinisierenden Kon¬
struktion, das Futur für den Imperativ gebraucht?
140 ) Uhland [Nächtig, p. 142, Schrift, p. 103] nimmt, um
den Ursprung des Lai de TOiselet zu erklären, eine ursprüngliche,
besser abgeschlossene Vorlage in Liedesform (daher der Name lai’)
an, mit Ritterschloß und Garten als Hauptthema. Nachdem mög¬
licherweise schon früh die Lehrfabel aus dem Orient in Einzel¬
heiten auf dieses lai* eingewirkt habe, sei erst nachher die syste¬
matische Verknüpfung beider zu dem uns überlieferten lai vollzogen
worden. — Über sonstige im Lai verwertete Motive und Gedanken
vgl. G. Paris, Lai (1903, pp. 257 ff) und Le Grand, t. III, pp.
437—439. — Das von Chauvin, t. III, p. 104 angemerkte ‘Lay de
TOiselet’ in Bibliotheque Universelle des Romans . . . Juillet 1776,
sec. vol. pp. 195—198, hat mit unserem lai nicht das Mindeste zu
tun. Der Titel scheint von einer irrtümlichen Reminiszenz an das
wirkliche Lai de TOiselet herzurühren.
U1 ) Ed. pr. Louis Paris, La Chronique de Rains, Paris 1837,
8 °; hier die Erz, pp. 236/7; der Text derselben wurde 1847 in t.
51
Werke, welches Geschichte enthält, aber Geschichte, wie
sie beim Volk im Umlauf war und von den jongleurs
ihren Zuhörern erzählt wurde. Der unbekannte Verfas¬
ser schrieb sein Buch, nachdem er den Inhalt zweifels¬
ohne vorher vorgetragen hatte, im Jahre 1260 in Keims
nieder. Seiner Erzählung zufolge verlor im selben Jahre
König Ludwig IX. seinen erstgebornen, damals sechzehn¬
jährigen Sohn Ludwig und geriet dadurch in die tiefste
Schwermut, in welcher ihm die Geschichte von dem Vög-
lein aus dem Munde des Erzbischofs Eudes Kigaud
von Rouen (1248—1275) Trost gewährte. Gegenüber
der Ansicht von Natalis de Wailly, dem der ganze Her¬
gang unwahrscheinlich dünkt, ist mit G. Paris im Hin¬
blick auf die Eigenart mittelalterlicher Geistesrichtung
an der Richtigkeit der Erzählung des menestrel fest¬
zuhalten 142 ). Damit haben wir an unserer Geschichte
ein weiteres Beispiel geschichtlich bedeutsam gewordener
Fabeln und können sie den berühmten Apologen, die
Nathan dem David und Agrippa den Plebejern vorhiel¬
ten, würdig an die Seite stellen.
Was die Quelle des recit anbelangt, so verraten un¬
trügliche Anzeichen seinen engeren Zusammenhang mit
XXI pp. 618/9 der Hist. Litt, in einen V. L. C. gez. Art. über
den Erzb. Eudes Rigaud aufgen. und 1854 von E. du Meril, Poesies
inedites du Moyen Age, pp. 144—146 neuerd. abgedruckt. Die
zweite Ausgabe des Gesamt Werkes besorgte Natalis' de Wailly unter
dem entsprechenderen Titel: ‘Recits etc.*, Paris 1876, wo die Erz.
pp. 461—465; daraus der Text uns. Erz. mit leichten form. Än¬
derungen bei G. Paris, Lai 1884 (1903, pp. 266—268). — Hin¬
weise: Loiseleur, Essai, p. 71 Anm. 11; Hist. Litt. XXI, pp. 618
♦bis 620, 717; E. du Meril, pp. 144—146; Hist. Litt. XXIII, pp.
76/7; Benfey I, p. 381; österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739;
G. Paris, Lai (1903, pp. 265—269); Chauvin, II, p. 104.
142 ) Die Barlaamparabel war geradezu das stereotype ‘exem-
plum* gegen übermäßige Trauer bei Todesfällen ; vgl. pp. 80, 81
4 *
52
dem Lai de l’Oiselet. Im recit ist zwar der Vogel nicht
namenlos, sondern heißt ‘une masenge’, aber das könnte
wohl eine Reminiszenz an v. 374 des lai sein; wie dieses,
verwendet das recit zur Bezeichnung der Lehren nur
das Wort ‘sens’ 143 ); hier wie dort setzt sich der Vogel
gleich nach der Freilassung auf einen Baumast; in der
ersten Lehre stimmt das recit mit der entsprechenden
dritten des lai, welche eine auffallende Fassung zeigt,
wörtlich überein, was kein Zufall sein kann, da sich
in der Nutzanwendung beiderseits der gleiche Wortlaut
wiederholt; ferner: das Lai war bisher die einzige Ver¬
sion, in welcher der Bauer mit den drei Lehren unzu¬
frieden ist; dieselbe Darstellung hat nun auch das recit;
von den v. 345 ff. des Lai zeigen sich im recit ebenfalls
noch deutliche Spuren. Andrerseits finden wir Anzei¬
chen von der Benutzung einer fremden Quelle, so im
dritten ‘sens’, wo die Form des Barlaam: ‘ne doleas de
re perdita quam recuperare non potes’ unverkennbar
nachwirkt, während ebenso ‘ues de geline’ sichtlich ein
Nachklang von ‘struthionis ovum’ im Barlaam ist. Als
ganz neuer Zug des recit sei noch erwähnt, daß der
vorgebliche Edelstein, dem übrigens, wie im Lai, keine
nähere Bezeichnung gegeben ist, seinen Sitz im Kopfe
des Vögleins hat.
Im allgemeinen lassen die vorhandenen Merkmale
erkennen, daß' trotz mancher Verschiedenheiten im ein¬
zelnen das Lai de l’Oiselet die Hauptquelle des recit
gewesen sein muß, daß aber auch der damals sicherlich
schon viel gelesene lateinische Barlaam mitgewirkt hat,
während andres willkürlicher Umwandlung im Volks¬
munde zu verdanken ist. Denn im recit des menestrel
1A3 ) Auch Chastoiem. II verwendet dieses Wort, aber nicht
von Anfang an.
53
haben wir zweifelsohne eine Version unseres Geschicht-
cliens angetroffen, die wenigstens eine Zeit lang in der
Volkstradition lebendig war 144 ).
V. Wielunds Gedicht ‘der Vogelsang oder die drei Lehren'
[Anhang No. 9].
Eine deutsche Nachbildung des afz. Lai de l’Oiselet
haben wir in Wielands Gedicht ‘der Vogelsang oder die
drei Lehren’ 145 ). Der Dichter hat dabei insoferne eine
Änderung vorgenommen, als er seinen Standpunkt in die
Gegenwart verrückt und das französische Milieu in ein
deutsches umgewandelt hat 146 ), namentlich um gelegent¬
licher satirischer Seitenhiebe 147 ) nicht entraten zu müssen.
Um eine Anpassung an das Verständnis seiner Zeitge¬
nossen zu finden, hat er des Vögleins ‘lai’, welches vom
ursächlichen Einklang weltlicher und geistlicher Liebe,
von courtoisie und vilenie handelte, zu einem dem moder-
144) Wohl im Hinblick auf das recit spricht Bedier, p. 109
von dem Lai de l’Oiselet als einer Erzählung, die tatsächlich im
Volksmunde gelebt habe.
145 ) Im ganzen 438 Verse; das Gedicht erschien zuerst in ‘Der
Teutsche Merkur’ vom Jahre 1778, erstes Vierteljahr, pp. 193—211;
in etwas veränderter Fassung in k C. M. Wielands Sämmtliche Werke.
Achtzehnter Band. Erzählungen und Märchen.’ Leipzig 1796, 8°,
pp. 365—387. — Wieland gibt selbst am Anfänge in einer Fu߬
note seine Quelle an: „Nach dem Lays de l’Oiselet in den Fabliaux
et Contes etc. Vol. I, p. 179“, womit nur der erste Band von
Barbazan (1756) gemeint sein kann; vgl. Schmidt, p. 153. — Hin¬
weise bei Docen, Aes. Fab. p. 1247; Schmidt, pp. 153/4; Keller,
Altd. Ged. p. 12; Goedeke, Mittelalt. p. 640; Österley, Wend. V,
p. 107/8, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 270); Jacobs,
Aes. I, p. 265; Barl. pp. LXXX, CXXII. Gattinger, p. 64;
Schleich, p. 433; de Cock, p. 134.
146 ) aber erst in ‘Sämmtl. Werke’, siehe Text im Anhang,
v. 1, 2, 5, 35 etc.
147 ) v. 19; v. 35 (Schmidt a. a. O. empfindet diese Anspielung
als störend und unbegreiflich).
54
nen Leser verständlicheren Preislied auf ehrlich und
treu gemeinte Liebe umgemodelt.
Einzelne Abänderungen mehr willkürlicher Art sind
1. ein frei eingeschalteter Hymnus auf die Reize des
Landlebens (v. 58—70), veranlaßt durch die Beschrei¬
bung des Gartens; 2. bei der Schilderung des Gartens
fehlt die Erklärung, daß er durch ‘nigromance’ entstan¬
den sei; dem Übersetzer scheint die entsprechende An¬
gabe beim Gesang des Vogels (v. 115 ff.) genügt 'zu
haben; 3. eine eigene Schilderung des immergrünen Bau¬
mes (Lai, v. 60—73: uns pins) fehlt,, wie überhaupt
das Moment, daß es des Vögleins Gewohnheit war von
einem bestimmten Baume herab zu singen; 4. die Eigen¬
tümlichkeit, daß der Garten in erster Linie ein Liebes-
garten ist, ist verdunkelt worden; 5. an der Stelle, wo
von der Gepflogenheit Hansens täglich dem Gesang des
Vogels zu lauschen, die Rede ist (v. 123—128 = Lai
v. 126—128), wird vorbauend gleich bemerkt (v. 124
bis 144), daß dies nicht etwa; einem Drang edleren Emp¬
findens beim Bauer entspricht, sondern daß für diesen
nur niedrige Beschäftigungen Reiz haben. Im Lai kommt
dieser Gedanke erst später (v. 188—194). Wieland hat
durch die Vorwegnahme unzweifelhaft eine bessere Motiv¬
folge erzielt und ein Mißverständnis, welches sich nach
dem französischen Text leicht bilden könnte, nämlich
daß der Bauer (durch das Gehör, welches er dem Ge¬
sänge des Vogels schenkt, zum mindesten einiges Ver¬
ständnis für das Schöne zeige, vereitelt; 6. die Verse
178—186 sind eine von Wieland ganz neu eingefügte
Partie, welche dazu dienen soll, den urplötzlichen im
Lai nicht recht motivierten Gesinnungswechsel des Vogels
gegenüber dem Bauern, den er doch nicht zum ersten
Male sieht, zu rechtfertigen; 7. die Nutzanwendung der
letzten zwei Lehren schenkt sich der Übersetzer lals
selbstverständlich und überflüssig.
55
Schon Schmidt rühmt dem Gedichte „pikant naiven
Ton“ und einschleichende) Glätte der Verse nach. G.
Paris gibt zwar zu, daß sich das Gedicht mit Vergnügen
lese, setzt es aber an Wert dem Lai nach. Meines Er¬
achtens hat sich Wieland mit recht viel Glück bemüht,
die an manchen Stellen mangelhafte Motivierung seiner
Vorlage zu verbessern und das Ganze mehr dem deut¬
schen Geschmacke anzupassen. So dürfte denn die Lek¬
türe der Wielandschen Nachdichtung für einen Deut¬
schen jener des afz. lai vorzuziehen sein.
10. Nicolay's Gedicht ‘der Mann und das Vögelein'
[Anhang No. 10].
Schwierigkeiten in Bezug auf die Einreihung macht
das kleine Gedicht Ludwig Heinrich von Nicolay’s (1737
bis 1820): ‘Der Mann und das Vögelein’ 148 ). Der Vogel
gibt, um die Freiheit wieder zu erlangen, einen Spruch,
der nur mehr die eine von den drei Lehren, nicht alles
gleich zu glauben, enthält, allerdings nicht ohne daß
auch von der letzten Lehre, sich über Verlornes nicht zu
kränken, Spuren vorhanden wären (v. 13/14). Der Mann
ist von dem Spruche nicht recht erbaut, läßt aber trotz¬
dem! den Vogel, dessen Wert ihm zu gering erscheint,
frei. Das Vöglein erzählt nun das Märchen von dem
Edelstein in seinem Leib, und der Mann, der vorher die
Lehre so gering geachtet, gerät in die größte Betrübnis.
Die Nutzanwendung .überläßt (der Dichter dem Leser.
148 ) Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, von Herrn
Ludwig Heinrich von Nicolay. Erster Theil. Berlin und Stettin
1792, 8°, pp. 62/3 (37 Verse). — Hinweise auf das Gedicht haben
in unserem Zusammenhang gegeben Schmidt, p. 154; Goedeke,
Mittelalter, p. 640; österley, Wendunmuth, V, p. 107/8, Gesta, p.
739; G. Paris Lai (1903, p. 270); de Cook, p. 134.
56
Auf den Barlaam als Quelle würde der Umstand
weisen, daß der Vogel erst nach der Erteilung seines
Spruches freigelassen wird; aber für den Kreis der
Disciplina spricht die einfache Bezeichnung „Vögelein“,
wofür erst später „Zeisig“ eintritt. Speziell auf das
Lai de l’Oiselet oder Wielands Verdeutschung desselben
weist der zweifellos (entscheidende Umstand, daß der
Mann mit der Lehre unzufrieden ist, und zwar kann
Wielands Dichtung, als verhältnismäßig am weitesten
verbreitet, noch am ehesten dem Verfasser Vorgelegen
haben.
II. Le Grand d’Aussy’s Bearbeitung des Lai de l'Oiselet
[Anhang No. 9].
Le Grand’s Bearbeitung des Lai de l’Oiselet 149 ) ist
in mehr denn einer Beziehung als selbständige 150 ) Ver-
U9 ) In der ersten dreibänd. Ausg. von Le Grand’s Fabliaux
ou Contes, Paris, 1779, 8°, in t. III, pp. 313—319; in der zweiten
fünfb. Ausg. Paris, 1781, 12°, die mir allein vorliegt, t. III,
pp. 430—436; in der dritten, ebenf. fünfbänd. Ausg. Paris, 1829,
8 ° in t. IV, pp. 27—34. Von Le Grand’s Werk gibt es auch eine
deutsche Übersetzung, Halle und Leipzig, 1797, 8°, wo die Gesch.
Bd. IV, p. 104 steht [Schmidt, p. 152]. Eine ausf. Analyse, mit
Versen Way’s untermischt, bei Clouston, pp. 566—8. — Hinweise
bei G. Ellis bei Way (1815, I, pp. 169, 171/2); Douce bei G
Ellis (1848, p. 42); Roquefort I, p. 29, II, pp. 47, 324; Schmidt,
pp. 152, 154; Loiseleur, Essai, p. 71, Anm. 11; Grässe, Gesta,
p. 276; Hist. Litt. XXI, pp. 620, 717; XXIII, p. 77; Benfey
I, p. 381; österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris, Lai
(1903, pp. 269/70); Jacobs, Aes. I, p. 265; Clouston, p. 566;
Weisslovits, p. 114; Jacobs,- Barl. p. CXXII; Rösle, p. 40; Chauvin
III, p. 104; de Cock, pp. 113, 123, 125; Chauvin IX, p. 30.
16 °) G. Ellis bei Way (1815, I, p. 169) erklärt sich die Ab¬
weichungen Le Grand's vom Texte Barbazan’s mit dem Hinweise
auf folg. Bemerkung Le Grand’s [t. I, p. XCVII] : *il n’y a presque
pas de fabliaux dont je n’aie trouve plusieurs copies; et presque
57
sion unserer Erzählung mit künstlerischer Absicht zu
betrachten, welcher die ausschließliche Berufung auf
handschriftliche Vorlagen nur als eine Art Existenz¬
legitimierung dienen soll.
Im ersten Teil, der Beschreibung der wunderbaren
Landschaft, befleißigt sich Le Grand noch einer nahezu
wörtlichen Treue. Aber schon das ‘lai’ des Vögeleins
wird nur in seinen Anfangsworten wiedergegeben 151 ).
Gleich darauf erlaubt sich der Verfasser die wichtige
Änderung, daß er das im Gedichte geschilderte Zusam¬
mentreffen des Vogels mit dem Bauern das erste sein
läßt, welches überhaupt zwischen den beiden stattfin¬
det. Dadurch erreicht er natürlich eine ausgezeichnete
Motivierung für den Schmähgesang. Die hauptsäch¬
lichste Abweichung folgt aber erst bei den drei Lehren.
Durch die in das Zwiegespräch nach der Mitteilung des
ersten Rates eingeflochtene Bemerkung des Vogels: ‘il
est bon 'de te le rappeier; ,tu l’avais oublie, retiens-le jpour
la vie’ deutet der Vf. an, daß er die erste Lehre, nicht
gleich alles zu glauben, vom Vogel auf dessen Ver¬
sprechen beziehen läßt, er werde dem Bauer im Falle
der Freilassung 'trois secrets merveilleux’ mitteilen. Die
zweite Lehre des Vogels ist abgeändert: ‘il faut se con-
soler de ce qu’on n’a plus’; in dieser Form bezieht sie
sich natürlich auf den Vogel, den der Bauer törichter¬
weise aus der Hand gegeben hat, und so ist auch die
zweite Lehre schon bei der Erteilung eine offenkundige
toujours ces copies differaient entre elles ... [p. C] ... j’en
ai tir6 partie en les refondant ensemble, et me suis permis toutes
les fois que je l’ai pu, d’inserer dans la Version principale que
je suivais, les traits les plus agreables qui se rencontraient dans les
autres ... les contes y ont gagne . .’ Dem widerspricht in unse¬
rem Falle die Übereinstimmung der 5 Pariser Handschriften des lai.
161 ) Der Hauptinhalt ist dafür kurz in einer Anmerkung
skizziert.
58
Verhöhnung des Landmannes. Die nun folgende dritte
Lehre ist nur mehr die positive Seite der vorausgegan¬
genen zweiten. Der Bauer will den Vogel wieder ein¬
fangen, um dann die dritte Lehre zu beherzigen, aber
der Vogel entflieht und der Zauber verschwindet. Durch
diese Änderungen wird das Märchen vom kostbaren Edel¬
stein im Magen des Vogels überflüssig und Le Grand
Jiat tatsächlich dasselbe wie auch die sonst übliche Nutz¬
anwendung fallen gelassen. Somit ist eine ganz neue
Version hergestellt, bei welcher die Dummheit des Bauern
in seinem Eingehen auf den Vorschlag des Vogels und
nicht in seinem mangelhaften Verständnis der drei Leh¬
ren besteht.
12. G. L. Way: l The Lay of the Little Bird'.
[Anhang No. 12].
Ein großer Teil von Le Grand’s Bearbeitungen afz.
Stücke ist von G. L. Way 152 ) in englische Verse über¬
tragen worden, darunter auch das Lai de l’Oiselet als
‘The Lay of the Little Bird’. Dieses schöne Gedicht,
welches sich neben Lydgate’s Gedicht recht wohl sehen
lassen kann, ist die genaue Wiedergabe von Le Grand’s
‘abridgement’.
152 ) Das sehr seltene Werk erschien zuerst unter dem Titel:
Fabliaux or Tales, abridged from French Mss. of the XII t * ie and
XIIl the centuries by M. Le Grand, selected and translated into
English verse by the late G. L. Way, with a preface, notes and
appendix by G. Ellis, London, 1796—1800, 2 vis, 8° [Allibone, III,
p. 2617], Mir liegt vor die dreibänd. Neuausg. Lond. 1815, 8°, hier
das Gedicht (144 zehnsilbige, tonjambische Verse) pp. 51—59. Der
Text desselb. wurde 1824 von Swan in seine Gesta, p. 348, aufge¬
nommen und mit diesen 1905 neugedruckt (pp. 458—460). Die
meisten Forscher scheinen Way’s Buch nicht gekannt zu haben.
59
13. Die Erzählung im 'Libro de los Exemplos■
[Anhang No. 13].
Das ‘Libro de los Exemplos’ 153 ), eine spanische
Sammlung von Predigtbeispielen aus dem 14. Jahr¬
hundert, enthält unsere Erzählung zunächst im ejemplo
LIII, dessen lateinische Überschrift (mit metrischer spa¬
nischer Übersetzung) die zwei Lehren wiedergibt, welche
in der Einleitung und am Schlüsse des cap. XXIII der
Disciplina stehen, als dessen wörtliche Übersetzung sich
das ejemplo auf den ersten Blick zu erkennen gibt 154 ).
Nur die Stelle ist nicht mitübersetzt, wo von dem Gar¬
ten als dem Stelldichein der Singvögel die Rede ist.
Außerdem wird der Vogel, in der Disciplina namenlos,
‘un ruiseiior’, eine Nachtigall genannt. Das legt die
Annahme einer Einwirkung des lateinischen Barlaam
da sie beständig nach Swan zitieren. — Auf Way’s Gedicht haben
in unserem Zusammenhang verwiesen: Douce bei G. Ellis (1848,
p. 42); Swan (-Baker, 1905, pp. 458—460); österley, Wendunm.
V, p. 107/8, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 270); Jacobs,
Aes. I, p. 265; Clouston, pp. 566/7.
153 ) Hg. von Gayangos in Autores Espanoles, 51 (Madrid
1860); die beiden ejemplos dort p. 460 und p. 518. — Die aus
385 ejemplos bestehende Kompilation stammt aus der Zeit nach
dem Infanten Don Juan Manuel (1282—1348); der Verf. ist un¬
bekannt. Mit dem Conde Lucanor des Infanten hat das Libro de los
Exemploä gemein, daß der philosophische Gehalt der einz. Bei¬
spiele, wie dort am Schlüsse, so hier am Anfänge der Erzählungen
durch versifizierte Sprüche angegeben ist. — Hinweise in uns.
Zusammenh.: österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris,
Lai (1903, p. 252 Anm.); Jacobs, Aes. I, p. 265; Crane, p. 145;
Jacobs, Barl. p. CXXII; Chauvin III, p. 104, IX, p. 30.
154 ) Den Zusammenhang mit der Disciplina hat schon der
erste Herausgeber Gayangos [p. 460, Fußnote] erkannt; vgl. dazu
Paymaigre, Les vieux auteurs castillans, Paris-Metz 1862, 8°,
tome I, p. 446.
60
nahe, eine Vermutung, .die durch die Überschrift des
ej. CCC, wo ‘ballestero’ dem ‘sagittarius’ des Barlaam
entspricht, zur Gewißheit wird.
14. Die ältere isländische Version [Anhang No. 14].
Auf Island muß schon früh eine freie Bearbei¬
tung der Disciplina clericalis vorhanden gewesen sein,
die in die Hände eines Mannes gelangte, dem auch der
lateinische Originaltext zugänglich war, und der in der
Abschrift, die er nahm, jene freie Bearbeitung durch
eine wörtliche Übertragung ersetzte. Aus dieser Kopie
mag eine Handschrift geflossen sein, von welcher im
Jahre 1690 der Isländer Jön Vigfüsson eine Abschrift
herstellte, welche heute den cod. Holm, chart. 66 fol. in
Kopenhagen bildet. Aus diesem Kodex hat Hugo Ge¬
ring 155 ) nebst 27 anderen Geschichten der Disciplina
auch unsere Erzählung herausgegeben. Die Übersetzung
ist wörtlich; es fehlt nur wie im Libro de los Exemplos
die Stelle, wo der Garten als Zusammenkunftsort der
Vögel geschildert wird. Beachtenswert ist auch die Über¬
setzung ‘mikit fe’ für ‘trium vitulorum carnes’.
15. Die Neubearbeitung der Erzählung der Disciplina
clericalis in Steinhöwels Äsop [Anhang No. 15].
Eine neue Ära weiter Verbreitung erlebte die Er¬
zählung des cap. XXIII der Disciplina clericalis, als sie
in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts als
No. 6 der fabulae collectae in die vielfach in die mo-
155 ) Islendzk JEventyri. Isländische Novellen und Märchen.
Erster Band. Text. Halle a. S. 1882, 8°, pp. 196/7. Vergleiche
dazu und zu den obigen Angaben pp. XXIX—XXXI, und Zweiter
Band. Anmerkungen und Glossar, Halle a. S. 1883, 8°, pp. 139
u. 389/90. — Hinweis auf diese Version bei Jacobs, Aes. 1,
p. 265.
61
deinen Sprachen übersetzte lateinische Äsop-Kompilation
Steinhöwels 156 ) aufgenommen wurde.
Indessen war die Herübernahme aus der Disciplina
keine unbedingt wörtliche, ja die Bearbeitung weist sogar
in sachlicher Hinsicht manche Besonderheiten auf, die
hier kurz zusammengestellt seien: 1. Der Mann wird
von Anfang an ‘rusticus’ genannt; 2. es ist auch von
‘floribus’ im Garten die Rede; 3. der Bauer wird ge¬
schildert, wie er in den Garten eintritt; 4. er läßt
sich ‘sub pomo arbore’ nieder; 5. die Frage des Bauers
156 ) Heinrich Steinhöwel, dector utriusque medicinae, ca. 1420
in Weil der Stadt geboren, war seit 1450 Stadtarzt von Ulm und
starb 1482 [Keller, Decameron von Heinr. Steinhöwel, Stuttgart,
1860, 8° (Bibi, des Lit. V. 51), pp. 674—76]. — Die erste Aus¬
gabe des Äsop erschien um 1480 s. 1. a. et typ. bei Sorg in
Augsburg und wurde zweimal neu aufgelegt; sodann bei Leeu
1482 ‘in opido Goudensi' und 1486 Antverpie [Herrn. Knust, Stein¬
höwels Äsop, in Zeitschr. f. deutsche Philol. XIX (1887), p. 197] ;
zusammen mit Steinhöwels eigener deutscher Übertragung bei Joh.
Zeiner in Ulm s. a., ebenfalls schon um 1480 [Knust, p. 20U;
Österley, Steinh. p. 3; Keller, Decam. p. 679]; nach diesem außer¬
ordentlich seltenen Buche hat dann Österley 1873 eine Neuaus¬
gabe [Steinhöwels Äsop, Bibi, des Lit. Ver. in Stuttg. CXVII]
veranstaltet, wo der lateinische Text der Erz. pp. 312/3 abgedruckt
ist. — Das Werk besteht aus der Lebensbeschreibung Äsops, einer
Rezension der Fabeln des Romulus, aus 17 als Extravaganten be¬
zeichnten Stücken, aus 27 Fabeln des Avian, 17 Erzählungen aus
der Disciplina [ex Adelfonso’] und 6 Fazetien des Poggio; die
beiden letzten Kategorien sind als ‘collectac’ zusammengefaßt. —
,, Steinhöwels Werk hat eine außerordentlich rasche und weite
Verbreitung gefunden, und darin hauptsächlich liegt . . . die Be¬
deutung desselben für die Literaturgeschichte, indem die Sammlung
das unbedingt wichtigste Vehikel, die geradezu unerschöpfliche
Quelle für die Verbreitung der mittelalt. Fabel seit der Erfindung
der Buchdruckerkunst geworden ist.“ [österley, Steinh. pp. 2/3].
— Auf Steinhöwel wiesen in unserem Zusammenhang hin: Schmidt,
pp. 151, 152; österley, Gesta, p. 739; Jacobs, Barl. p. CXXIT;
Rösle, p. 40; Chauvin, IX, p. 30.
62
‘quam utilitatem?’ ist ausgeschaltet; 6. das ‘securus
promissis’ der Disciplina fehlt; 7. die erste Lehre hat
den Zusatz: ‘signanter illis que verisimilia non sunt’;
8. zur dritten Lehre ist, jedenfalls in Erinnerung an den
Barlaam, beigefügt: ‘que recuperare non potes’; 9. die
Stelle ‘qui aciem oculorum clausit’ der Disciplina ist
ganz frei wiedergegeben; 10. vom vorgeblichen Steine
sagt der Vogel: 'nam hoc invento ipse mire ditatus
fuisset et ego vivus non evasissem’; 11. die übermäßige
Trauer des Bauers in der Disciplina ist sehr abge¬
schwächt; 12. die Stelle der Disciplina: ‘quoniam dictis
fidem praebuerat aviculae’, wobei sich ‘dictis’ offenbar
auf des Vogels Fabulieren vom Rubin in seinem Magen
bezieht, ist von Steinhöwel zu einer direkten Rede des
Bauersmannes umgewandelt worden: ‘ve mihi, quod ver-
bis avicule dolose crediderim, et quam habui non ser-
vavi!’ In dieser Änderung bezieht sich ‘verbis’ auf das
Versprechen der drei Lehren, und der Sinn der Erzäh¬
lung in der Disciplina wird dadurch gänzlich verschoben,
da nunmehr der Bauer die drei Lehren für eitel Spott
hält; 13. der Beginn der Antwort des Vogels ‘o fatue’ er¬
innert abermals an Barlaam; 14. die Nutzanwendung
der ersten Lehre steht nicht wie in der Disciplina an
erster Stelle, sondern folgt nachher; dabei ist der Be¬
griff ‘dragma’ neben ‘uncia’ neu eingeführt; 15. ganz
neu ist die Nutzanwendung zur zweiten Lehre, welch
letztere, jetzt auf den vermeintlichen Edelstein, wie oben
auf den Vogel selbst bezogen, hypothetisch gehalten ist,
ebenso wie die zur dritten Lehre, welche außerdem auch
das ‘recuperare’ wieder aufnimmt; hier kehrt der lo¬
gische Fehler des Petrus Alphonsi: ‘pro hyacintho qui
in me e s t’ nicht wieder. Dadurch, daß Steinhöwel die
erste und zweite, implicite auch die dritte Lehre so¬
wohl auf den Vogel selbst, bzw.. sein Versprechen der
63
drei Lehren, als auch auf das Märchen vom Edelstein
bezieht, geht die ursprüngliche Einfachheit der Erzäh¬
lung verloren und macht einer gesuchten Überladung
Platz.
Iß. Die Erzählung in SteinhöweU deutscher Bearbei¬
tung seines Äsop [Anhang No. 16].
Seinen lateinischen Äsop übersetzte Steinhöwel selbst
ins Deutsche, ‘nit wort uß wort, sunder sin uß sin 157 ).
Die Übertragung unserer Erzählung ,,von dem vogler
und vögelin“ ist bei ziemlich freier Bewegung der
Sprache doch eine getreue zu nennen; neu ist nur der
einleitende Satz. Anzumerken sind Übersetzungen wie
virgultum hölczlin; pomo arbore apfelboum; unius uncie
zweyer lot; dragmam ain quintlin. Nicht verdeutscht
ist jacinctus. Bei der Nutzanwendung ist die erste Lehre
wieder vorangestellt wie in der Disciplina.
17. Hans Sachsens Gedicht ‘Drey guter nützlicher lehr
einer Nachtigall' [Anhang No. 17].
Hans Sachsens im Jahre 1556 verfaßtes Gedicht
‘Drey guter nützlicher lehr einer Nachtigall’ 158 ) trägt
157 ) Zuerst erschienen zus. mit dem lat. Text bei Joh. Zei-
ner s. a. in Ulm (ca. 1480), woraus österley wie den latein.
so auch den deutschen Text seiner Ausgabe nahm (pp. 313—315);
allein erschien darauf der deutsche Text s. 1. a. et typ. (bei Günth.
Zainer in Augsburg) u. später oftmals [Knust, p. 200].
158 ) Das erst Buch Sehr Herrliche Schöne und warhaffte Ge¬
dicht . . Durch . . . Hans Sachsen . . . Getruckt zu Nürmberg bey
Christoff Heußler 1560, 2°. Das Gedicht, fol. 428 a —429*, mit
dem Datum ‘Anno Salutis MDLV, Am XVI. Tag Januarij* umfaßt
174 paarw. reim, vierf. tonjamb. Verse und zerfällt in zwei Teile,
deren erster, v. 1—124, die eigentl. Erz. enthält, während der
zweite, der ‘beschluß’, v. 125—174, in etwas breiter Art eine ein-
dringl. Lehre gibt, die sich jedoch aus dem Munde eines Hans
64
die gewöhnlichen Merkmale der in den Kreis der Dis-
ciplina gehörigen Versionen. Eine genauere Betrach¬
tung zeigt, daß es mit der in Steinhöwels Äsop ange¬
troffenen Form enger verwandt ist, und zwar insbe¬
sondere mit dessen deutscher Bearbeitung. Die Benen¬
nung des Vogels als Nachtigall ist das einzige, was mit
Sicherheit an den Barlaam erinnert. Dagegen finden
sich sehr viele Steinhöwel eigentümliche Züge wieder,
teilweise sogar in wörtlicher Übereinstimmung 159 ). Der
Apfelbaum ist verschwunden, dafür heißt der Baum, auf
den das Vöglein fliegt (v. 74), eine Linde. Der jacinct
ist ein Karfunkelstein geworden, der drei (nicht zwei)
Lote schwer ist, während am Schlüsse der Vogel sein
Eigengewicht nicht mit einem ‘quintlin’, wie im deut¬
schen Äsop, sondern mit einem Lot angibt. Ausführlich
ist namentlich der Gesang des Vogels (v. 14—18) ge¬
schildert, ebenso das Versprechen der Nachtigall Wort
zu halten (v. 50—56). Neu ist der Wunsch des Bauern
den Vogel wieder in seine Gewalt zu bekommen (v. 93
bis 97), vielleicht ein Anklang an den Barlaam. Die
wahnsinnige Wut des sich betrogen Glaubenden kommt
in Hans Sachsens Gedicht (v. 87—89) wiederum in ähn¬
licher Weise zum Ausbruch wie in der Disciplina.
18. Die Erzählung in Julien Macho's französischer Be¬
arbeitung von Steinhöwels Äsop [Anhang No. 18].
Kurze Zeit nachdem Steinhöwel die deutsche Über¬
setzung seines Äsop vollendet hatte, arbeitete Bruder
Sachs recht wohl hören läßt. — Verweise bei Schmidt, p. 153
(weiß keine Quelle anzugeben); Goedeke, Mittelalt. p. 640; österley,
Wend. V, p. 107/8, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 262.,
Anm. 2: stellt das Gedicht ganz allg. zur Disc.); Jacobs, Aes. I,
p. 265, Barl. p. CXXII; de Cock, p. 134.
169 ) wie v. 23; v. 41/2; v. 60—62, 64, 67/8 (Die drei
Lehren); v. 82; v. 84; v. 91—93; v. 102 ff. (hier speziell wie im
deutschen Äsop); v. 114; v. 115 ff.
65
Julien Macho an einer französischen Übertragung des¬
selben Werkes 160 ). Die Erzählung: ‘düng laboureur et
düng rossignol’ zeigt im Vergleich zu Steinhöwel, obwohl
im allgemeinen mit ihm übereinstimmend, manche .Be¬
sonderheiten. So schwingt sich der Vogel sofort nach
seiner Freilassung auf einen Baum und preist statt
Gottes selbst ‘le filz de dieu tout puissant’. Einen ganz
besonderen Einfluß muß auf diese Bearbeitung der la¬
teinische Barlaam geübt haben, wasf uns ja bei einem
Mönche nicht wunder nehmen würde: der Vogel ist
‘ung roussignol’ geworden; die dritte Lehre, welche schon
bei Steinhöwel an den Barlaam anklingt, ist hier dem¬
selben (1. Lehre) noch mehr genähert; auch das in den
Barlaamversionen geläufige Straußenei begegnet uns
hier; und die Stelle: ör a ceste heure congnois ie bien
que tu es ung fol’ ist genau die Übersetzung von ‘nunc
cognovi certissimo te esse fatuum’ im Barlaam. Hervor¬
gehoben zu werden verdient außerdem, daß der vorgeb¬
liche Stein hier ein ‘dyamant’ ist. Wichtiger ist für die
ganze Anlage, daß die bei Steinhöwel anzutreffende
Überladung des Sinnes geschickt vermieden ist, indem
der Bauer sich nur allgemein über den Verlust einer so
schönen Beute beklagt. Am Schlüsse wird das Fazit ge¬
zogen, daß es Torheit sei einen Narren belehren zu wol¬
len, da er sich doch nicht daran kehre.
160 ) Erschienen zuerst 1484 in Lyon bei Matthis Huez; Knust
(p. 203) zählt nach Brunet I, p. 93 ff. bis 1532 im ganzen neun
verschiedene Ausgaben auf. Mir liegt vor: Les subtilles f&bles de
Esope . . . Imprimees a Lyon par Claude nourry dit le Prince: et
Pierre de vingle. Lan de grace Mil CCCCCXXVI in 4°. Das Buch
hat keine Paginierung, aber Reihenfolge und Zählung der einzelnen
Pabeln sind dieselben wie im lateinischen und deutschen Stein¬
höwel. Unsere Erzählung ist durch einen Holzschnitt illustriert.
Tyroller, Die Fabel von dem Manne und dem Vogel. 5
66
19. Die Erzählung in Caxton's englischer Übersetzung
des Ä8op nach dem Französischen [Anhang No. 19].
Auf. Julien Macho’s französischer Übersetzung von
Steinhöwels lateinischem Äsop beruht W. Caxton’s noch
im Frühling 1484 (neuen Stils) verfaßte und gedruckte
englische Übertragung 161 ). Unsere Erzählung, unter dem
Titel ‘of the labourer and of the nyghtyngale’, ist wört¬
lich aus dem Französischen herübergenommen. Auffallend
ist nur, daß die dritte Lehre sich genau dem lat. Text
Steinhöwels anschließt, während Macho davon abweicht;
für ,,Gottes Sohn“ steht Jiier wieder „Gott“ wie bei
Steinhöwel; der Vergleich des Diamanten mit dem Strau¬
ßenei, den Macho abweichend von Steinhöwel hat, fehlt,
dafür aber auch die Gewichtsangabe ‘unius uncie pon-
deris’, und bei der Nutzanwendung heißt ies dement¬
sprechend nur: ‘a precious stone more of weyght than
I am’.
Zur Erklärung dieser Abweichungen ist entweder
anzunehmen, daß Caxton neben dem französischen auch
der lateinische Text des Äsop zur Verfügung gestanden
hat, oder wahrscheinlicher, daß die späte Ausgabe der
Übersetzung Macho’s von 1526 infolge verschiedener Um¬
gestaltungen des Textes in den oben erwähnten Punkten
161 ) Here begynneth the book of the subtyl historyes and
Fables of Esope whiche were translated out of Frensshe in to Eng-
lysshe by william Caxton. At Westmynstre In the yere of oure
Lorde M. CCCC. LXXXIII. Nach dieser nur mehr in drei
Exemplaren vorhandenen Ausgabe veranstaltete 1889 J. Jacobs in
2 Bänden einen Neudruck, der unsere Erzählung im II. Bd. pp.
269—271 enthält. Vgl. Jacobs, Aes. I, pp. XI—XIV; Knust, p.
203; österley, Steinhöwel, p. 3. — Hinweise bei Douce bei Ellis
(1848, p. 44); Rösle, p. 40; Jacobs, Barl. p. CXXI; Köhler-Bolte
I, p. 576; Plessow, p. XXXVI.
67
von der ersten (von Caxton benützten) Ausgabe von
1484 differiert 162 ).
20. Die Erzählung m der spanischen Übersetzung von
Steinhöwels Äsop [Anhang No. 20].
Schon frühzeitig erschien auch eine spanische Aus¬
gabe von Steinhöwels Äsop 163 ). Die Übertragung der
Erzählung, die hier ‘del rustico y del avezilla’ betitelt
ist, ist absolut wörtlich. Neu sind nur der vorangestellte
Spruch: ‘Un grossero ingenio no cabe sotil doctrina’,
und die Erklärung zu una dragma: ‘que es tanto como
un dinero’.
21. Die Erzählung in Sebastian Brants revidierter Aus¬
gabe des Steinhöwelschen Äsop [Anhang No. 21].
Einer kleinen Änderung unterworfen erschien 1501
der Text von Steinhöwels lateinischem Äsop in einer von
162 ) Die holländische 1485. in Antwerpen, 1498 in Delft er¬
schienene, nach Macho gearbeitete Übersetzung [Enust, p. 203],
ferner die vermutlich in Prag 1487 oder 1488 erschienene Cechische
[Knust, pp. 205/6] und Tuppo's italienische Übersetzung des Stein¬
höwelschen Äsop von 1485 [Jacobs, Aes., Pedigree] haben mir nicht
Vorgelegen.
16S ) Zuerst in Saragossa 1484 und in Burgos 1495 erschie¬
nen. Das Buch ist bis herauf ins 19. Jh. vielfach neu aufgelegt
worden [Enust, p. 206]. Mir liegt vor eine spätere offenbar sehr
wenig veränderte Ausgabe: Las fabulas del clarissimo y sabio
fabulador Ysopo, nuevamente emendadas. A las quales agora se
anadieron algunas neuvas muy graciosas, hasta aqui nunca vistas ni
irnprimadas. Con su vida, maneras, costumbres y muerte: y mas
una Tabla de lo que en este libro va declarado. M. D. 2ELVI.
Vcndensa en Enveres por Juan Steelsio, en el escudo de Borgo na
12°. Der Text der Erz. pp. 174*—175 a . Hingewiesen hat auf den
spanischen Ysopo österley, Wend. V, p. 107/8 u. Gesta, p. 739. —
Nach einem spanischen Texte von 1796 ist das Buch Steinhöwels
auch ins Katalanische übertragen worden unter dem Titel: Faulna
5*
6.8
Sebastian Brant (1458—1521) revidierten Gestalt 164 ].
Jeder von Steinhöwel nur in Prosa mitgeteilten Fabel
ist eine versifizierte Bearbeitung derselben oder wenig¬
stens eine auf sie bezügliche Moral in Distichen voran¬
gestellt. Unsere Erzählung ist durch vier die drei Lehren
enthaltenden Distichen eingeleitet.
22. Die Erzählung in den Äsopischen Fabeln des Camc-
rarius. [Anhang No. 22].
Auch der gelehrte Humanist Joachim Camerarius
(1500—1574) veranstalte (1538) eine beträchtlich ver¬
mehrte Neuausgabe der Äsopischen Fabeln 165 ), bei wel¬
cher aber die Anordnung Steinhöwels nicht mehr gewahrt
blieb. Dem Herausgeber wird zur 261. Fabel, die unter
dem Titel ‘aviculae praecepta’ unsere Erzählung ent¬
hält, außer anderen Drucken wohl auch die Brantsche
Ausgabe Vorgelegen haben. Der Vorgang Brants mag
ihn veranlaßt haben auch seinerseits die drei Lehren
des Vögleins zu versifizieren. Der Hexameter, in wel¬
chem er dies tut, läßt an Knappheit und präziser
Schärfe nichts zu wünschen übrig. Auch sonst ist die
Fabel ganz bedeutend gekürzt, namentlich im ersten
de Isop, Filosof moral . . . Barcelona, s. a. (1808?) [Knxist, p. 215],
erst 1885 wieder in Barcelona neugedruckt [Knust, Nachtrag, p.
237]. Der katalan. Text war mir nicht zugänglich.
164 ) Esopi appologi sive mythologi cum quibusdam carminum
et fabularum additionibus Sebastiani Brandt (bl. l a ) . . Impressi
Basilee opera et impensa magistri Jacobi de Pfortzheim: Anno
dominice incarnationis primo post quindecim centesimum (letzt,
bl.); (vgl. Knust p. 199); ohne Paginierung.
165 ) Fabulae Aesopi, iam denuo multo emendatius quam antea
editae, authore Joachimo Camerario Pabergensi . . . Norimbergac
apud Georgium Wachterum [1538] 8°, ohne Paginierung. Hinweis 1
in uns. Zus.: österley, Wend. V p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris.
Lai (1903, p. 252, Anm. 2).
69
Teil, wo die Schilderung des Gartens ganz wegfällt
und das Zwiegespräch nur angedeutet ist. Das Vöglein
spricht dem antikisierenden Zuge der Zeit entsprechend
statt Gott dem magnus Juppiter seinen Dank für die
Befreiung aus. Der hyacinthus ist in einen smaragdus,
später schlechthin gemma genannt, verwandelt. Statt
des Gewichtes einer geringen dragma legt sich der Vogel
‘semiunciae podus’ zu. Am Schlüsse ist eine doppelte
Nutzanwendung gezogen, deren zweiten Teil wir in etwas
veränderter Form schon früher angetroffen haben.
23. Die Erzählung in Luthers Tischreden
[Anhang No. 23].
Die Version unserer Erzählung in Luthers Tisch¬
reden 166 ) geht, wie schon allein die Herübernahme des
Hexameters beweist, auf die Fabel im Äsop des Came-
rarius zurück. Sie ist dem ‘Dominus Philippus Melanch-
thon (1497—1560) 167 ) am Tische Luthers in den Mund
gelegt. Da Luther 1546 gestorben ist, muß das betref¬
fende Gespräch zwischen 1538 und 1546 stattgefunden
haben.
Die Hauptmoral, der ersten Lehre bei Steinhöwel
entsprechend, steht in der Überschrift an der Spitze.
166 ) Colloquia oder Tischreden D. Martin Luthers . . auffs
newe corrigieret, M. D. LXX. fol. (von Johannes Aurifaber, Pfarr-
herr zun Predigern in Erffort). Die Fabel steht hier im 78. Haupt¬
stück Vom Beruf f’ pp. 55l a —551 b unter dem Titel: ‘Man sol
nicht zu viel vertrawen*. — Hinweise bei österley, Wend. V, p.
107/8, Gesta, p. 739; Jacobs, Aesop, p. 265, Barlaam, p. CXXII.
167 ) Dieser hat selbst die Fabeln des Camerarius (darunter
die unserige allerdings nicht) für den Schulgebrauch zurecht gemacht
und so ein noch lange Jahre im Gebrauch gebliebenes Schulbuch
geschaffen. Mir liegt z. B. vor: Fabellae Aesopicae quaedam no-
tiores et in scholis usitatae, a. J. Camerario compositae, Cygneae,
1660, wo noch eine Vorrede Melanchthons abgedruckt ist.
70
Folgendes sind dann die sich leicht aus der mündlichen
Überlieferung erklärenden Abweichungen von der Fas¬
sung bei Camerarius: 1. das Vöglein verspricht, nicht
im Falle der Freilassung drei Lehren zu geben, sondern
dem Mann ‘einen köstlichen gemmam’ 168 ) zu geigen;
2. der Mann traut dem Vogel nicht, worauf ihn dieser
auffordert mit ihm zu gehen; damit der Vogel die
Führerrolle übernehmen kann, muß er freigelassen wer¬
den ; 3. nun zeigt es sich, daß der Vogel mit dem Aus¬
druck ‘gemma’ nur die drei Lehren symbolisch be¬
zeichnen wollte, die er jetzt in der Form des Hexa¬
meters von Camerarius erteilt. Mit dessen Verdeut¬
schung schließt das Ganze, ohne daß weiter von einem
kostbaren Stein die Rede j.st. So ist die Episode des
Edelsteins mit den drei gehren in Eines zusammen¬
geschoben 169 ). Auf diese Weise ist auch die Überladung
des Sinnes in den von Steinhöwel ausgehenden Bearbei¬
tungen vermieden worden. Darüber erfahren wir aller¬
dings nichts, wie sich der Geprellte mit seiner Lage ab¬
gefunden hat. Der Sinn ist wohl der, daß er, nachdem
er zwei Torheiten begangen und damit gegen die beiden
ersten Lehren gefehlt hat, sich nunmehr bedenkt und
die dritte: ‘quae periere relinque’ beherzigt.
24. Die Erzählung in Kirchhofs W endunmuth.
[Anhang No. 24].
Die Fabel in der Gestalt, wie sie in Luthers Tisch¬
reden steht, hat der unermüdliche Sammler von allen
möglichen Geschichtchen und Anekdoten, Hans Wilhelm
168 ) Jedenfalls eine ßeminiszenz an ‘gemma* = ‘smaragdus’
bei Camerarius.
169 ) Vergleiche die ähnliche Kürzung bei Le Grand und Way.
71
Kirchhof 170 ), in das vierte Buch seines Wendunmuth 171 ),
welches er am 4. Juni 1601 in die Welt hinausschickte,
auf genommen.
Der ganze Unterschied zwischen ihm und seiner
Vorlage besteht lediglich darin, daß die Einleitung, wo¬
nach Melanchthon bei Luther :das Geschichtchen auf¬
tischte, weggelassen ist, daß das Wort ‘gemma’ durch
‘Edelstein’ ersetzt und daß am Schlüsse angefügt ist:
‘rewen hilfft nicht zum widerbringen’. Den Beschluß
bildet eine Sentenz des Epicharmus. Auch die daran
angefügten Verse stammen teilweise aus Luther. Sie
passen freilich nicht alle zu der von der kleinen Fabel
vermittelten Moral.
25. Die Erzählung in der metrischen lateinischen Bear¬
beitung des Pantaleon Candidus [Anhang No. 25].
An die Fassung der Fabel bei Camerarius schließt
sich auch an die 31 lateinische Hexameter zählende
Fabel ‘auceps et aviculae praecepta’ des Pantaleon Can¬
didus (1540—1608) 172 ). An Camerarius erinnert schon
die Überschrift, dann aber [insbesondere der bekannte
17 °) Geb. ca. 1525, seit 1583/4 Burggraf in Spangenberg,
gest. nach 1602; literar. außerord. tätig [öst. Wend. V, pp. 3—6].
m ) Wendunmuth von H. W. Kirchhof, hg. v. Herrn, öster-
ley 1869, 5 Bde. (iLit. Ver. XCVII). Die Fabel Bd. III pp. 36/7
(No. 34). Hinweise bei Schmidt, pp. 151, 153; Goedeke, Mittel¬
alt. p. 640; österley, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 252,
Anm. 2); Jacobs, Aesop I, p. 265, Barlaam p. CXXII; Crane,
p. 144; Chauvin III, p. 103.
172 ) Fabulae, Francof. 1604, woraus die Fabel als No. 186
in Johann. Schultze, Mythologia Metrica et Moralis, Hamburg,
1698, 8°, pp. 207/8 übergegangen ist. Erst kürzlich hat A. L. Stie¬
fel, Herr. Arch. CXXV, p. 102—127, cf. p. 108, festgestellt, daß
von den 152 Fabeln des Pant. Cand. nicht weniger als 142 aus
Cam. stammen.
72
Hexameter. Auch sonst findet sich kaum die geringste
Abweichung von dem Original.
26. Die jüngere altisländisrhe Version.
[Anhang No. 26].
Eine altisländische Version unserer Erzählung ist
auch erhalten im cod. Holm, chart. 67 fol. (Papier) zu Ko¬
penhagen, der im Jahre 1687 von Jön Eggertson nach einer
älteren Vorlage abgeschrieben würde 173 ). Da diese Fas¬
sung verschiedene Besonderheiten hat, für die sich sonst¬
wo kein Beleg findet, ist der Herausgeber Hugo Ge¬
ring 174 ) der Ansicht, sie scheine aus dem Gedächtnis
niedergeschrieben zu sein. Doch weist manches auf
Steinhöwels Rezension hin, und geradezu apodiktisch
beweist den Zusammenhang mit dem ‘Aesop’ der Satz
des Bauern: ‘Vei mer at ek trüÖi hans orÖum ok olepti
honum f>d [er] hann var mer i hendi!’ Falls das Ge-
schichtchen in dieser Form nicht etwa vereinzelt ist,
wäre in ihm ein Anzeichen dafür zu sehen, daß der
Aesop Steinhöwels auch eine altisländische Bearbeitung
fand, von der bis jetzt nichts bekannt war.
27. Das m'id. Gedicht l des Vögeleins drei Lehren'
[Anhang No. 27].
Eine sehr freie Bearbeitung der Erzählung ist das
von Adelbert Keller 175 ) unter dem Titel ‘des Vögeleins
173 ) Hugo Gering, Islendzk ventyri I, p. XXXII; Abdruck
des Textes (LXXV B) ebd. pp. 197/8; das Geschichtcben ist das
einzige, welches dem obigen Kodex für Gerings Publikation ent¬
nommen ist.
174 ) Islendzk iE ventyri, II, p. 139.
175 ) Altdeutsche Gedichte, Tübingen 1846, 8°, pp. 12—14.
Das Gedicht umfaßt 90 paarweise reimende Verse von verschiedener
Länge. — Hinweise darauf haben in unserem Zusamir.enhg. gegeben:
73
drei Lehren’ herausgegebene mhd. Gedicht aus cod. germ.
monac. 1020, paphs. 15 Ih. 4°, fol. 18«—20«. Bei allen
Veränderungen läßt sich die Herkunft von der Disci-
plina dennoch erkennen, nämlich daraus, daß der Vogel¬
fänger ein Bauer ist, namentlich aber aus der Reihen¬
folge und dem Wortlaut der drei Lehren. Von diesen
ist insbesondere die zweite entscheidend, während die
dritte leise an den Barlaam anklingt. Neu ist die Ein¬
führung eines ersten Versuches des Vogels die Frei¬
heit zu erlangen durch das Versprechen, seine Jungen,
sobald sie aufgezogen, dem Vogel zu bringen 176 ). Die
Freilassung erfolgt wie im Barlaam erst nach den drei
Lehren, und auf das Versprechen des Vogels hin, jeder¬
zeit auf den Ruf des Bauern zu ihm zurückzukehren.
Der Vogel aber hütet sich wohl dies zu tun, jsondern
klärt den Mann über seine Dummheit auf, seinem Ver¬
sprechen Wert beigelegt und ihn nicht behalten zu
haben. Als nun der Mann sich ärgert, wird ihm auch
sein'Verstoß gegen die dritte Lehre vorgehalten. Durch
diese Veränderungen wird die ganze Episode mit dem
vorgeblichen Edelstein im Magen des Vogels über¬
flüssig 177 ).
Goedeke, Mittelater, p. 671; österley, Wend. V, p. 107/8; Gesta,
p. 739; Uhland, Nachtigall, p. 142, Schriften, p. 102; de Cock,
p. 134.
17e ) Dieser Zug ist einem beliebten Fabelmotiv entlehnt, das
sich vielfältig nachweisen ließe.
177 ) Vgl. die ähnlichen Kürzungen in den Versionen von Le
Grand-Way und Luther-Kirchhof. Die Tatsache, daß drei Ver¬
sionen unabhängig von einander zu einer und derselben bedeut¬
samen Veränderung der Erzählung gekommen sind, ist äußerst lehr¬
reich und mahnt zur Vorsicht bei der Konstruktion von Beziehungen
zwischen verschiedenen Bearbeitungen eines und desselben Stoffes.
■
äT
i
Zweiter Abschnitt.
Die von dem griechischen Roman Ä Bar-
laam undJoasapli’ abgeleiteten Versionen
unserer Erzählung.
Nachdem die Geschichte der ,von der iDisciplina
clericalis ausgegangenen Versionen erschöpft ist, müssen
wir eine andere nicht minder wichtige Gruppe von Be¬
arbeitungen ins Auge fassen, nämlich jene, welche jn
dem mittelgriechischen Roman ‘Barlaam und Joafcaph’
ihren Ursprung hat. Denn Von diesem aus hat sich
unsere Erzählung einen breiten Weg nicht nur zu den
abendländischen Völkern, sondern auch nach Osteuropa
und dem Orient gebahnt.
Leider wird sich im Verfolge dieses Abschnittes
herausstellen, daß es oft schwer ist, einzelnen Bearbei¬
tungen unserer Geschichte in der Abstammungsreihe
des Barlaamromanes den richtigen Platz anzuweisen.
Denn während sich die zur Gruppe des Barlaam ge¬
hörigen Versionen von den aus der Disciplina stam¬
menden auf den ersten Blick unterscheiden, fehlen ähn¬
lich charakteristische Merkmale oftmals, wenn es gilt
zu bestimmen, ob eine Version dem oder jenem Zweige
der Bearbeitungen des Barlaamromanes angehört. Indes
wird uns die vortreffliche Monographie Ernst Kuhns
75
über Barlaam und Joasaph 178 ), die uns im Folgenden
der Hauptsache nach zur Richtschnur dienen wird, über
viele dieser Schwierigkeiten hinweghelfen.
1. Die Parabel im griechischen Barlaam
[Anhang No. 28].
Die uns aus der Disciplina clericalis wohlbekannte
Erzählung vom Mann und vom Vogel finden wir, wenn
auch in einer vielfach abweichenden Gestalt, wieder in
der zweiten Parabel des griechischen christlichen Ro¬
mans ‘Barlaam und Joasaph’ 179 ), dem ein um ungefähr
178 ) E. K., Barlaam und Joasaph. Eine bibliographisch-literar-
gesch. Studie, in den Abhandlungen der philos.-philol. Classe der
K. Bay. Ak. der Wiss. XX. München 1894, 4°, pp. 1—88.
179 ) Hg. von J. Fr. Boissonade in Anecdota Graeca, vol. IV,
Paris 1832, 8°. — Die Parabel hier pp. 79—81; schon vorher war
der Text derselben mitgeteilt worden von B. J. Docen in v. Aretins
Beiträgen zur Geschichte und Literatur, Bd. IX (1807/13), pp.
1247/8; einen verbesserten Text der Parabel lieferte H. Zotenberg in
Notiees et Extraits, XXVIII (1886) pp. 109—111 nach 8 Pariser
hss; derselbe Text findet sich mit gegeniiberstehender holländischer
Übersetzung abgedruckt bei Dr. S. J. Warren, De Grieksche christe-
lijke roinan B. en J. en zijne parabels, Rotterdam, 1899. 4°, pp.
18—20. — Auf die Parabel verwiesen Warton (-Hazlitt 1871, p.
285); Docen. Äs. Fab. p. 1247, Striker, p. 5 Anm.; Wiener Jahrb.
1824, p. 28; Swan (-Baker, 1905, p. 457); Schmidt, p. 151; Loise-
leur, Essai, p. 71 Anm. 11; Grässe, Gesta, p. 276; Keller, Altd.
Ged. p. 12; Hist. Litt. XXI, pp. 619, 711; Roth, p. 140; Goedeke,
Mittelalt. p. 640; E. du Meril, p. 146 Anm. 2; Hist. Litt. XXIII,
p. 76; Uhland, Nächtig, p. 142, Sehr. pp. 101/2; Benfey I, p. 381;
Liebrecht, Quellen, p. 332; Österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta,
p. 739; Köhler bei Schiefner p. XXVI; G. Paris, Lai (1903, pp.
225—228); Sauerstein, p. 6; Clouston, pp. 563/4; Jacobs, Aes. 1,
p. 265; Crane, p. 144; Weisslovits, p. 114; Bedier, p. 109; Kuhn,
pp. 21, 23, 25; van Hamei, pp. 512/13; Jacobs, Barl. pp. LXXX,
CXXI; de Cock, pp. 113, 120 ff. — Inhaltsangaben bei Chianti,
G. Paris, Clouston. van Hamei (a. a. O.), Jacobs, Barl. p. CXXI
(hier unrichtig die Übersetzung: eagles egg).
76
fünf Jahrhunderte höheres Alter 180 ) als der Disciplina
zukommt, und der die Bekehrung des indischen Königs¬
sohnes 'ho&oarp zum Christentum durch die mit einer
Anzahl der berühmtesten Apologe untermischten Lehren
des Asketen Baglaa/x schildert.
Die Hauptunterschiede zwischen der griechischen
Parabel und der lateinischen Erzählung in der Disci¬
plina sind folgende 181 ): 1. die Parabel hat außer- der
ihr selbst innewohnenden, in den drei Lehren zum Aus¬
drucke kommenden Moral noch eine weitere, symbolische
Bedeutung; sie dient im Rahmen von Barlaams Beleh¬
rungen dazu die Torheit des Glaubens der Götzendiener
nachzuweisen; 2. der Garten der Disciplina fällt im
Barl, fort; 3. der rusticus) der Disc. ist im Barl, ein
l^evrfjg (Vogelsteller); 4. der in der Disc. namenlose
Vogel heißt im Barl, eine ärjdatv (Nachtigall); 5. in
der Disc. ist das Motiv; des Vogelfanges der süße Ge¬
sang des Vogels, erst späterhin wird dem Gefangenen
mit dem Schlachten gedroht; bei Barl, fehlt dieses Mo¬
tiv, der Vogelsteller macht sofort Anstalten die Nachti¬
gall zu töten; 6. in der Disc. wird der Vogel vor, im
Barl, nach Erteilung der drei Lehren freigela'ssen;
7. die drei Lehren haben in den beiden Versionen eine
verschiedene Reihenfolge; außerdem steht statt der Lehre
180) Nach der früher allgemein angenommenen Ansicht sollte
der Kirchenvater Joannes Damascenus (lebte ca. 670—760) der
Verf. sein. Neuerdings hat Zotenberg zu erweisen gesucht: 1. daß
die Geschichte von einem in den theologischen Parteikämpfen des
7. Jh. mitten innestehenden Manne verfaßt sei, und zwar wahr¬
scheinlich noch vor 634; 2. daß sie jedenfalls das Bestehen des
Säsaniden-lteichss voraussetze, also ein unter dem Islam schrei¬
bender Vf. unbed. auszuschließen sei [Kuhn, pp. 8/9].
!8i) Zu dieser Zusammenstellung lassen sich die mehr oder
minder ausführlichen Darlegungen verwerten, welche Schmidt p.
151, Uhland, G. Paris, de Cock (a. a. O.) gegeben haben.
77
der Disc., das was man habe festzuhalten, im Barl, jene,
nicht nach Unerreichbarem zu streben; 8. das Vöglein
gibt in der Disc. vor einen hyacinthus, im Barlaam,
einen /uagyaghrig (Perle) im Leibe zu haben; 9. das
Unglaubliche an der Rede des Vogels wird in der Disci-
plina durch das Gewicht (unius unciae), Jim Barl,
durch die Größe (vneQe%o)v t 6> /ueyedei oTQOvdoHa/xrjXov coöv)
des Edelsteines dargestellt; 10. im Barl, sucht der Vogel¬
fänger die freigclassene Nachtigall wieder zu erhaschen,
in der Disc. macht der Mann dazu keine Miene, ein Um¬
stand, der mit der Verschiedenheit der vom Vogel er¬
teilten Lehren zusammenhängt; in der Disc. fehlt über¬
haupt eine Nutzanwendung zu der ihr eigentümlichen
Lehre: quod tuum est habe pemper.
Außer diesen Hauptunterschieden könnte man noch
eine ganze Menge von anderen weniger gewichtigen Ver¬
schiedenheiten hervorheben. So ist z. B. das Gespräch
zwischen Mann und Vogel in der Disc. durch die
größere Häufigkeit der Hin- und Widerreden viel be¬
lebter als im Barl.; die etwas sonderbaren Küchendetails
der Disc. fehlen im Barl.; der Grieche läßt den Mann
sich über die ungewohnte Erscheinung des .redenden
Vogels verwundern, ebenso bewundert der Vogler die
Weisheit der drei Lehren; auch werden wir in der Pa¬
rabel über den Beweggrund des Vogels, den Mann schein¬
bar so zu hänseln, aufgeklärt: der Vogel wollte wissen,
ob der Mann in den tieferen Sinn der drei Lehren ein¬
gedrungen sei. In der Disc. von all dem nichts 182 ).
l82 ) Man könnte versucht sein System dahinter zu vermuten.
Wenn wir statt der ernsten Absicht des Vogels im Barl, den Mann
auf die Probe zu stellen, in der Disc. am Schluß nur ‘rustico
deriso’ lesen, wenn wir ferner in der Disc. gar nichts darüber
vernehmen, wie der Mann die Lehren aufgenommen hat, und damit
den Umstand vergleichen, daß das Vöglein darauf dringt noch vor
der Erteilung der drei Lehren freigelassen zu werden, so möchten
78
Wenn im Vorausgehenden die Unterschiede zwischen
der griechischen Parabel und der lat. Erzählung in der
Disc. zusammengestellt worden sind, so sollte damit
noch nichts über das genetische Verhältnis beider Ver¬
sionen ausgesagt werden, eine Erörterung, welche erst
der dritte Abschnitt bringen soll.
2. Die Parabel in der mittelalterlich-lateinisohen Über¬
setzung des griechischen Barlaam [Anhang No. 29].
Schon frühzeitig entstand eine wörtliche lateinische
l bersetzung des griechischen Barlaamromanes 183 ), welche
wir leicht zu der Ansicht kommen, als ob diese Darstellung durch
den Gedanken veranlaßt worden wäre, daß der Vogel nach Er¬
teilung der Lehren, in denen sich der simple Landmann vielleicht
ein 'Zauberwort zur Erlangung von Schätzen erwartet, wohl nicht
mehr losgekommen wäre; bei dieser Sinnesart des Mannes wäre
der Hohn des Vogels freilich vollauf berechtigt. — Die spätere
Untersuchung (im 3. Abschn.) wird ergeben, daß für die Disc.
ein solcher Gedankengang noch nicht anzunehmen ist, wie ihn der
Vf. des Lai de l’Oiselet und Steinhöwel aus ihr herausgelesen haben.
188 ) Als Vf. galt in der Humanistenzeit merkwürdigerweise
Georgius Trapezuntius (f 1484), obwohl die ältesten hss. um mehrere
Jahrhund, älter sind als dieser. Über die Annahme der Verfasser¬
schaft des Anastasius Bibliothecarius (f 886) vgl. Kuhn, pp. 53/4. -—
Aufgenommen wurde der lat. Barl, in die Ausgaben bzw. lat. Übers,
der Werke des Joannes Damascenus, welche während des 16. Jahrh.
bei Henricus Petri in Basel gedruckt wurden. Mir liegt die Aus¬
gabe von 1535 vor, welche den Roman unter dem Titel ‘Joann.
Damasceni Historia duorum Christi militum e Graeco in Latinum
versa’, und die Parabel pp. 29/30 enthält. ’— Bemerkenswert ist,
daß in dieser lateinischen Übers, und in allen ihren Bearbeitungen
der Name Joasaph mit Anlehnung an die Bibel in Josaphat ver¬
wandelt worden ist. — Eigene Nachweise zu der lat. Übers, nur
bei Docen, Äs. Fab. p. 1247; Schmidt, p. 151; Grässe, Gesta, p.
276; österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris, Lai
1903, p. 249 Anm. 1, vgl. p. 227, Anm. 1, 2); de Cock, pp. 120/1.
79 -
der Ausgangspunkt für fast alle späteren westeuro¬
päischen Übersetzungen der Legende geworden ist.
Zu unserer Parabel |st hierbei anzumerken, daß
1. dem Übersetzer eine griech. Handschrift .Vorgelegen
zu haben scheint, welche statt i£evxri<; die Lesart xo£evxtjg
hatte, denn der lat. Text hat ‘sagittarius’, iund
dieses ist so ziemlich in alle westeuropäischen Bearbei¬
tungen übergegangen; 2. daß die Fassung der zweiten
Lehre der lateinischen Übersetzung mit ihrem Zusatz
‘ [re . . .] quam recuperare non potes’ dem logischen
Zusammenhang, der in der Urform der Erzählung vor¬
ausgesetzt werden muß, besser entspricht als di© zweite
Lehre des griechischen Textes 184 ); 3. daß die lat. Über¬
setzung in der Nutzanwendung bei derselben Lehre deren
Bezug auf den Verlust desi Vogels nicht ausdrücklich
hervorhebt, während die meisten griechischen Hand¬
schriften es tun 185 ).
Aus dieser mittelalterlich-lateinischen Übersetzung
des Barlaam ist die Parabel, aus ihrem Zusammenhänge
losgelöst, in verschiedene geistliche Werke des .Mittel¬
alters übergegangen.
3. Die Parabel m Bromyard'8 Summa praedieantium
[Anhang No. 30].
Der englische Dominikaner Johannes, nach seinem
Geburtsort Bromyard in Herefordshire zubenannt, ver¬
wertete die Parabel in seiner Summa praedicantium 186 )
184 ) Daß der griechische Text selbst diesen Zusatz urspr.
nicht hatte, erweist der Wortlaut der oriental. Terxte; vgl. 3. Ab¬
schnitt, pp. 122/3 und G. Paris, Lai (1903, p. 227 Anm. 2).
186 ) *xal idov ovvE%v{h\g rfj kvjzfl on aov rag x e ^9 a ^ i$£<pvyov.
so Boiss. u. Zot., nicht Doc. u. lat. Übers.
186 ) Vf. in der Mitte des 14. Jh., 1485 von A. Koberger in
Nürnberg, zuletzt 1586 in Venedig gedruckt [Dict. of N. B.].
80
beim Kapitel ‘Mors’, wie er selbst angibt, nach dem Bar-
laam. Anlaß dazu ist die zweite Lehre, über Verlorenes
nicht (übermäßig) zu trauern, doch werden auch jdie
zwei anderen Lehren untergebracht, der sonstige Verlauf
der Erzählung aber als bekannt vorausgesetzt. Ein mit¬
wirkender Einfluß der Disciplina scheint sich aus fol¬
genden Einzelheiten zu ergeben: 1. der Name des Vogels
ist nicht genannt; 2. die Reihenfolge der Lehren ist die
der Disciplina; 3. in der zweiten Lehre bei Bromyard:
quod non nitatur nimis apprehendere quod apprehensum
teneri non poterit, scheinen die beiden grundverschie¬
denen Lehren des Barlaam: num quam aliquid coneris
comprehendere eorum quae apprehendi non possunt, und
der Disciplina: quod tuum est habe semper, in Eins zu¬
sammengeflossen zu sein.
4. Die Parabel im Dialogus, creaturarum des Nicolaus
Pergamerms [Anhang No. 31].
Auch Nicolaus Pergamenus hat die Parabel aus dem
Barlaam in seinem Dialogus creaturarum 187 ) kurz als
Beispiel angeführt, und zwar im hundertsten ‘de leone
venatore’ betitelten Dialog. Der Löwe hat über der Ver¬
folgung einer besseren Beute, die er nicht einholen kann,
auch die geringere verloren. Schon bei der Auslegung
Die Par. unt. d. Buchst. M, XI, 78. — Hinw. bei österley,
Wend. V, p. 107/8, Gesta, p. 739; Crane, p. 145; Jacobs, Barl,
p. CXXI; Plessow, p. XXXVI.
187 ) Hg. v. J. G. Th. Grässe, Die beid. ältest, lat. Fabel-
bücher des Mittelalt., Tüb. 1880 (Lit. Ver. CXLVIII), pp. 127 ff.
Der dial. 100 pp. 249/50. — Von dem Vf. wissen wir sehr wenig
Sicheres, er kann nicht über die Mitte des 14. Jh. zurückdatiert
werden [Grässe, pp. 302/3]. — Hinweise bei Grässe, Gesta p. 276;
Österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris, Lai (1903,
p. 249, Anm. 1); Jacobs, Aes. I, p. 265; Crane, pp, 144/5; Jacoos,
Barlaam, p. CXXI.
81
dieses bekannten Fabelstoffes kommen die drei Lehren
des Barlaam zum Vorschein. An einen Ausspruch Kö¬
nig Davids über die maßlose Trauer bei Todesfällen 188 )
schließt sich dann unter ausdrücklicher Berufung /auf
den Barlaam dessen zweite Lehre an. Die Erzählung
selbst wird nur ganz leise angedeutet.
5. Die Parabel als exemplum des Jacobus Vitriacensis
[Anhang No. 32].
Von den vielen Predigtsammlungen des Mittelalters
gehören zu den berühmtesten jene des Jacobus Vitria¬
censis 189 ), der in einem ,seiner ‘sermones vulgares ad
status’ auch unsere Parabel als exemplum verwendet hat.
Er wendet sich dort gegen jene Priester, welche, statt
sich in die Weisheit der alten, anerkannten Väter zu ver¬
tiefen, durch ungereimtes Geschwätz den Leuten den
Kopf verdrehen, nur um sich selbst möglichst in den
Vordergrund zu schieben, wobei denn die Zuhörer jenem
törichten leichtgläubigen Vogelsteller der Fabel vergleich¬
bar seien. Die nun folgende Parabel ist etwas gekürzt,
188 ) bei Bromyard ist ein anderer, ähnlich bezogener Aus¬
spruch Davids angeführt; vgl. oben p. 51 (Recits).
189 ) Jacques de Vitry fgeb. ca. 1180, f vor 1240), Prediger
zum Kreuzzug gegen die Albigenser und ins heilige Land, Bischof
von Akkon. Die in den Serm. vulg. verwerteten exempla hat ge¬
sammelt F. Crane, The Exempla or Illustrative Stories from the
Sermones Vulgares of J. de V., London 1890, 8° (Publ. Folk-L.
Soc. XXVI). Unsere Parabel, verwendet beim 15. sermo (‘that we
should refresh ourselves in the treasury of the Scriptures before
refreshing others’ an die predig. Geistl.), bildet in Crane’s Samm¬
lung die No. 28, pp. 10/11, englische Übersetzung dazu p. 144;
vgl. pp. XXII—LIII, bes. XL—XLIII ebd. — Hinweise bei G.
Paris, Lai (1903, p. 249, Anm. 1); Bedier, p. 109; Jacobs, Barl,
p. CXXI; de Cock, p. 114.
Ty roll er, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel.
6
82
schließt sich aber inhaltlich genau an die lateinische
Vorlage an.
6. Die Parabel in der ‘Scala cell
[Anhang No. 33].
Das ‘Scala celi’ betitelte lateinische Erbauungs¬
buch 190 ) erzählt die Parabel beim Kapitel ‘avaritia’,
und zwar werden, wie aus der moralisatio ersichtlich,
sämtliche drei Lehren auf dieses Laster bezogen. Die
Form der Parabel ist gekürzt. Von der Fassung der¬
selben in der Legenda aurea oder in den Gesta Romano¬
rum ist sie nicht beeinflußt, weil sie nach der Erteilung
der Lehren den Passus hat: ‘voluit probare eius sapien-
tiam’, welcher in beiden fehlt. Möglich wäre indes, daß
Vincentius Bellovacensis die Quelle ist. Bemerkenswert
ist in dieser Version der Zusatz zu margarita: ‘virtutis
eximie’, den wir in, ähnlicher Gestalt schon bei anderen
Versionen getroffen haben.
7. Die Parabel in des Vincentius Bellovacensis abge¬
kürzter. Bearbeitung des lateinischen Barlaam
[Anhang No. 34].
Der gelehrte Dominikaner Vincentius Bellovacen¬
sis 191 ) nahm um die Mitte des 13. Jahrhunderts u. a.
■ 190 ) 1480 als Inkunabeldruck in fol. bei Joh. Junior in Ulm
erschienen; hier die Par. fol. 7 b . Hinw. bei österley, Wend. V,
p. 107/8, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 249 Anm. 1);
-Jacobs, Aes. I p. 265; Crane, p. 145; Jacobs, Barl. p. CXXI.
191 ) Vincent de Beauvais (f ca. 1264), der Lehrer von Lud¬
wigs IX. Söhnen, verarbeitete ein enzyklopädisches Wissen in sei¬
nem Speculum quadruplex. Der Barlaam bef. im Spec. hist. lib.
XVI, cap. 1—64 (in den Inkun. von 1473 u. 1483; im lib. XV,
cap. 1—64 in den Ink. v. 1474 u. 1494 u. in d. Ausg. Venetiis 1591,
83
auch den lateinischen Barlaam in seinem Speculum hi-
storiale auf. Die Fassung des Romanes seihst ist ge¬
kürzt, aber die Parabel ist unter dem Titel: Fabula
de Philomena contra cultores idolorum inducta in voller
Ausführlichkeit übernommen. Nur hier und, da zeigen
sich leichte Abweichungen im Ausdruck und Verbesse¬
rungen grammatikalischer Formen.
8. Die Parabel im ‘Seelmtrost’ [Anhang No. 36].
Schon recht früh 192 ) muß der Barlaamroman und
mit ihm unsere Parabel in den sog. ‘Seelentrost’ aufge¬
nommen worden sein, ein weitverbreitete^ ursprünglich
hochdeutsches 193 ), dann aber auch ins Niederdeutsche
und Niederländische 194 ) übersetztes Volksbuch, welches
vgl. Kuhn, p. 86 unten). Die Parabel selbst steht im cap. XII. Auf
sie hat in unserem Zusammenhang eigens hingewiesen nur G. Paris,
Lai (1903, p. 249, Anm. 1). — Es besteht die Möglichkeit, daß
manche von den nach dem Lateinischen gearbeiteten Versionen des
Barlaam auf Vinc. de Beauvais zurückgehen. Da aber die meisten
derselben mir unzugänglich sind, und ferner die Parabel bei
Vincenz sich von der des separaten Barlaam so gut wie nicht
unterscheidet, so ist es meist unmöglich, die Herkunft der Parabel
genau festzustellen. — In dem cod. hispan. 10 der Univ.-Bibl. in
Straßburg findet sich eine Barlaamversion: ‘Estoria del rey Anemur
e de Josaphat e de Barlaam’ (hg. von Fr. Lauchert in Romanische
Forschungen VII, pp. 331 ff, unsere Parabel cap. XII. p. 345),
welche selbst Vinc. Bell, als ihre Quelle angibt. Die Übersetzung
der Parabel ist, abgesehen von einigen Fehlern, welche wohl auf
Rechnung der Handschrift zu setzen sind, vollkommen wörtlich nach
Vincent de Beauvais.
192 ) Das Alter des Seelentrost ist vor 1407 anzusetzen, 4 a
die älteste datierte hs., die niederdeutsche in Oldenburg, dieses
Datum trägt [Joh. Geffcken, Der Bilderkatechismus des 15. Jh.
und die catechetischen Hauptstücke in dieser Zeit bis auf Luther,
Bd. I, Die zehn Gebote, Leipz. 1855, 4°, p. 47].
193 ) Goedeke, Grundriß, I, p. 473.
194 ) Geffcken (pp. 47, 111) zählt 7 hss. auf, unter denen
sich allerdings keine niederländische befindet. Von 11 bekannten
6 *
84
insbesondere die Zehn Gebote behandelt und die Legende
von Barlaam und Josaphat (mit anderen mehr) als Bei¬
spiel zum ersten Gebot verwendet 195 ). In einem latei¬
nischen Vorwort 196 ), welches die benützten Quellen an¬
gibt, wird unter anderem auch das Speculum historiale
genannt, so daß Vincent de. Beauvais ohne Zweifel der
Gewährsmann des ‘Seelentrost’ für den Barlaam ge¬
wesen ist.
Für die Vergleichung der Parabel im ‘Seelentrost*
mit Vincent de Beauvais ^teht mir nur der Text der¬
selben in der holländischen Ausgabe von 1759 zur Ver¬
fügung, ohne daß sich entscheiden ließe, ob dessen ge-
Drucken (Geffcken, pp. 48/9) sind 3 hochdeutsch (der erste 1478
von Anton Sorg in Augsburg), 3 niederdeutsch (sämtlich in Köln,
zuerst 1484, ersch.), und 5 niederländ. (zuerst Utrecht 1479,
später Harlem, Zwoll, Antwerpen, Martensdijk). Das Buch scheint
in Holland sich dauernder Gunst erfreut zu haben; so erwähnt
de Cock (pp. 115 ff), allerdings ohne eine Ahnung von dem Alter
des Buches, ein zweifellos mit dem mittelalt. Seelentrost ident.
Werk aus der Mitte des 18. Jh.: ‘Den dobbelen Zielentroost ende
vaderlyke leeringe . . . verklaerende de Tien Geboden Gods . . .
Tot Gend, by J. Begyn . . . 1759’, aus welchem er auch unsere
Parabel abdruckt (p. 116). Diese erscheint im Vergleich mit Vinc.
etwas gekürzt. Der Schütze fängt die Nachtigall auf der Jagd im
Walde; der wunderbare Stein ist nicht näher bezeichnet u. dgl.
195 ) Geffcken, p. 56.
196 ) in der hochd. Gießener hs. No. 850 aus d. J. 1460
und jedenfalls auch im Original (Geffcken, p. 47). Auch der
‘Dobbele Zielentroost’ von 1759 hat noch diese Vorrede (de Cock,
p. 118), de Cock hält aber von den als Quellen bez. Werken irrtüml.
‘den Vaders-Boek’ (in der Gieß. hs. = vitae patrum), und noch
dazu die ganz junge Rosweydische Rezension der Vitae Patrum
(Utrecht 1615, holl. Antw. 1617) für die Vorlage der Par. im
Seelentrost. Aber die mittelalt. Vitae Patrum enthielten den Bar¬
laam noch nicht. In keiner der sehr zahlreichen hss., die Rosweydus
zur Verf. standen, ist sie enthalten (mit Ausn. einer einzigen a
rccenti manu’, die aus einem alten Druck abgeschrieben zu sein
85
ringe Abweichungen bereits im Original des ‘Seelen¬
trost’ sich fanden oder nicht 197 ).
9. Van Duyse's Gedicht *De Les des Nachtegaals'
[Anhang No. 36].
Aus dem ‘Dobbelen Zielentroost’ hat nach eigener
Angabe Prudens van Duyse (1804—1859) den Stoff zu
seinem Gedicht ‘De Les des Nachtegaals 198 ) genommen,
welches sich im allgemeinen ziemlich getreu an die Vor¬
lage anschließt.
10. Die Parabel m der ian 1 j die Legenda aurea auf ge¬
nommenen gekürzten Fassung des lat. Barlaam
[Anhang No. 37].
Ähnlich wie Vincent de Beauvais bearbeitete {auch
der Erzbischof Jacobus a Voragine von Genua (f 1305)
den lat. Barlaam in einer kürzeren Form, und zwar für
seine ca. 1260/70 entstandene ungemein beliebt und be¬
kannt gewordene Legenda aurea (seu Historia Lom-
scheint). Zum erstenmal wurde die Legende in die ed. secunda
Coloniensis der Vitae Patr. von Gaspar Gennepaeus 1548 auf¬
genommen, und zwar noch nach der lat.-mittelalterlichen Über¬
setzung [Rosweydus, p. LVIII/IX; Kuhn, p. 55]. Die Ausgabe
der Vitae Patrum von Rosweydus 1615 hat (lib. I, pp. 242 ff)
die Legende nach der Neuübersetzung des Billius. Da es sich aber
hier nur um die mittelalterlichen Vitae Patrum handeln kann, so
ist de Cock’s Annahme abzuweisen.
197 ) Auf* die Parabel im ‘Seelentrost’ verweisen in uns. Zus.:
österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739 (nach dem Druck Collen
1484, fol. 14 b ); Jacobs, Barlaam, p. CXXII; de Cock, p. 115 ff.
198 ) In der Sammlung ‘Het Klaverblad’, Brussel, Greuse 1848,
pp. 161/2, wonach Abdruck bei de Cock, pp. 114/5, der zum
erstenmal auf das Gedicht verwiesen hat. Dieses besteht aus 42
fünfsilbigen tonjamb. Versen, deren je 6 zu einer Strophe mit
der Reimfolge abcbdb vereinigt sind.
86
bardica 199 ). Auch der Wortlaut unserer Parabel er¬
scheint vielfach geändert und gekürzt, obwohl das Origi¬
nal noch überall durchschimmert. Als besondere Kenn¬
zeichen des Textes der Parabel in der Legenda aurea
können gelten 1. das Fehlen des mit ‘admiratus . .
beginnenden Passus nach der Erteilung der drei Lehren,
2. das Fehlen der mit ‘philomena igitur voleus jp r o -
bare’ anfangenden Stelle, 3. das Fehlen des mit ‘susci-
piens . . beginnenden Satzteiles.
11. Die Parabel in mittelfranzösischen und mitteleng¬
lischen Versionen der Legenda aurea, insbesondere aber
in Caxton's Golden Legend [Anhang No. 38, 39].
Von den bis in die aller neueste Zeit angefertigten
Übersetzungen der Legenda aurea seien die allermeisten
mit Stillschweigen übergangen. Etwas näher gehen uns an
a) zwei altfr^nzösische Prosabearbeitungen, deren frü¬
here von Jehan Belet, die spätere von Jehan de Vignay
(ca. 1380) verfaßt ist, beide noch nicht veröffentlicht.
Wichtig sind diese beiden Versionen, weil mit ihnen
näher Zusammenhängen soll
b) eine mittelenglische Bearbeitung aus dem Jahre 1438,
die in 4 hss. vorhanden ist 200 ). Auf dieser Version soll
wiederum, mindestens teilweise, beruhen
199 ) Ausgabe: Jacobi a Voragine Legenda Aurea vulgo Historia
Lombardica dicta. Ad optimorum librorum fidem recensuifc Dr. Th.
Grässe. Dresdae et Lipsiae 1846, 8°; hier der Barlaam cap. 180.
pp. 811—823, die Parabel pp. 815/16. — Auf diese haben in uns.
Zus. hingewiesen Schmidt p. 151; Hist. Litt. XXI, pp. 620, 717;
E. du Möril, p. 146 Anm. 2; österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta,
p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 249 Anm. 1); Jacobs, Aes. I,
p. 265; Crane, p. 144; Jacobs, Barl. p. CXXII; de Cock, pp.
113, 120.
20°) ygi # Körting, Grundriß, 1905 4 , p. 152. Aus dieser Be^
arbeitung hat speziell die Barlaamlegende (und mit ihr unsere
87
c) William Caxton’s Golden Legend aus den letzten
Jahrzehnten des Mittelalters 201 ).
Das Verhältnis, in welchem diese vier Übersetzungen
der Legenda zueinander stehen, ist bis heute noch nicht
genügend geklärt 202 ). Körting 203 ) gibt, ,allerdings mit
Vorbehalt, die folgende Abstammungsreihe: Legenda —
J ehan de Belet — I. de Vignay — me. Bearbeitung —
C'axton. Es wäre verfehlt anhand unseres geringfügigen
Textbruchteils eine eingehende Nachprüfung dieser Auf¬
stellung vorzunehmen. Alles was wir tun können, ist,
uns zu vergewissern, ob der Text der Parabel in den ver¬
schiedenen Versionen zu der obigen Annahme stimmt.
Und selbst dabei müssen wir uns noch, da die beiden
französischen Texte nicht zugänglich sind, auf die zwei
englischen Bearbeitungen beschränken.
Die Parabel in der me. Version von 1488 weist im
Vergleich zum lat. Barlaam eine gekürzte Fassung auf
und stimmt ungefähr mit der charakteristischen Form
der Legenda aurea überein, könnte also recht wohl mittel¬
bar oder unmittelbar auf sie zurückgehen. Anzumerken
ist, 1. daß der Edelstein im Magen des Vogels keinen
Parabel) nach Ms. Egerton 876 herausgegeben C. Horstmann im
Programm des Gymnasiums zu Sagan 1877, wo die Parabel pp.
10/11 nachzulesen ist.
201 ) Gedruckt von Caxton 1483, 1487, von W. de Wörde
1498 (vgl. Jacobs, Barl., Pedigree). Einen Neudruck spez. von ‘The
Lyf of Saynt balaam’ hat 1896 Jacobs, Barlaam and J., pp. 1
bis 33 herausgeg., wo die Parab. pp. 13/14 nachzulesen ist. —
Hinweise auf die Par. bei Caxton: Warton (-Hazlitt 1871, p.
285); Swan (-Baker 1905, p. 457); Schmidt, p. 151; Loiseleur,
Essai, p. 71 Anm. 11; Oesterl. Gesta, p. 739; Jacobs, Aes. I,
p. 265.
2°2) auch nicht durch die Diss. von Pierce Butler, Legenda
aurea — Legende doree — Golden Legend, Baltimore 1899; vgl.
Anglia, Beibl. XIV, pp. 360 ff.
203 ) a. a. O. p. 152.
88
Namen hat, 2. daß der Vogel schon vor der Erteilung
der drei ‘wisdomes’ freigelassen wird 204 ).
Vergleichen wir hierzu den entsprechenden Abschnitt
bei Caxton, so ist zwar im allgemeinen einige Ähnlich¬
keit im Ausdruck zu konstatieren, aber von einem Ab¬
druck der me. Version bei Caxton kann nicht die Rede
sein, da die paar Eigentümlichkeiten des ,me. Textes
bei Caxton fehlen und zwischen diesem und dem latei¬
nischen Text der Legenda eine ungemein nahe Überein¬
stimmung herrscht 205 ).
12. Die Parabel in den, l Narrationes' des Odo von Ce-
rington.
Auch das in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts
verfaßte Fabelwerk Odos von Cerington 206 ) enthält un¬
sere Parabel, aber nur am Ende einer einzigen Hand¬
schrift 207 ) und in einer mit der Fassung der Legenda
204 ) Kennzeichnet sich als junge Änderung durch den Satz
nach der Erteilung der Lehren: ‘whanne the bridde was fre from
hym* (so Ms. Egerton; Ms. Harl. hat ‘ ferre was aber auch
nicht paßt).
205 ) Jacobs, Barlaam (Pedigree), der sich freilich sonst nicht
zur Sache äußert, nimmt als Vorlage des Barlaam in Caxtons
Legend einfach die lat. Leg. aurea an; dem steht auch gar nichts
im Wege. Wir vermögen aber nach dem Obigen Jacobs nicht bei-
zustimmen, wenn er (a. a. O.) die me. Prosabearb. von 1438 von
irgend einer der später zu besprechenden drei me. poetischen Einzel¬
bearbeitungen des Barlaam abstammen läßt.
206 ) Eudes de Ch6riton (Kent), schrieb ca. 1219/21 eine
Sammlung von ca. 75 Fabeln, die dem Mittelalter unter den ver¬
schiedenen Namen Brutarium, Bestiarium, Parabolarum sexaginta
Opus etc. bekannt war [L6op. Hervieux, Les Fabulistes Latins, t.
IV: Eudes de ChÄriton et ses dÄrives. Paris 1896, 8° p. 1].
207 ) Ms. 184 de la Bibi. publ. d’Arras, wo die Parab. die
No. 77 (de philomela et sagittario) bildet [Hervieux, p. 252].
Hinweise bei G. Paris, Lai (1903, p. 249 Anm. 1); Chauvin III,
p. 104.
89
aurea vollständig übereinstimmenden Form, so daß in
Anbetracht des Zeitunterschiedes zwischen Odo (1219/21)
und Jacobus a Voragine (1260/70) die Parabel sich als
ein später Zusatz zu den Fabeln Odos erweist.
13. Die Erzählung in den Gesta Romanorum
[Anhang No. 40].
Aus der Legenda aurea ging, wie die vielfache Über¬
einstimmung der beiden Texte unwiderleglich dartut,
unsere Erzählung in die berühmte Sammlung der Gesta
Romanorum 208 ) über. Bemerkenswert sind nur folgende
geringe Abweichungen von der Legenda: 1. Nach der
Freilassung stimmt die Nachtigall einen Gesang an:
hier ist wohl Einfluß der Disciplina anzunehmen; '2.
beim Versuch des Mannes den Vogel wieder zu fangen,
lesen wir die Einzelheit: ‘rete suum expandit’; 3. bei den
Lockungen des Vogelstellers ist eingefügt: ‘propriis ma-
nibus te pascam’; ebenso ist das Versprechen der ehren¬
vollen Entlassung modifiziert in ‘ad tuam voluntatem
te volare permittam’; 4. bei der Nutzanwendung der
ersten Lehre fällt ‘cum nequeas meo itinere pergere’
* 08 ) Ausgaben von A. Keller 1842 (mir nicht zugänglich);
Herrn, österley, Berlin 1872, 8°. Hier die Erz. p. 554 (cap. 167),
in der deutschen Übersetzung von Grässe (1842) pp. 102/3. — Hin¬
weise auf die Gesta in uns. Zus.: Warton (-Hazlitt 1871, p. 285);
Docen, Äs. Fab. p. 1247; Swan (-Baker 1905, p. 457); Schmidt,
pp. 151/2; Loiseleur, Essai, p. 71, Anm. 11; Grässe, Gesta, p.
276; Hist. Litt. XXI, pp. 620, 717; E du M6ril, p. 146, Anm.
2; Goedeke, Mittelalt. p. 671; Uhland, Nacht, p. 140, Schriften p.
102; österley, Wend. V, p. 107/8, Steinhöwel p. 312; Herrtage,
p. 528; Grässe, Fabelb. p. 306 (0); G. Paris, Lai (1903, p. 249,
Anm. 1); Sauerstein, pp. 6, 8; Jacobs, Aes. I, p. 265; Clouston,
p. 564; Crane, p. 144; Weislovits, p. 114; Jacobs, Barl. p. CXXI;
Schleich, passim; Chauvin III, p. 103; de Cock, p. 120; Plessow,
p. XXXVI.
90
weg, dafür steht der unter 2. genannten Änderung ent¬
sprechend ‘et tarnen per rete tuum temtasti’; 5. am
Schlüsse sind einige selbstverständliche Sätzchen ange¬
fügt ; 6. die Verwendung der Erzählung in den Gesta ist
eine ganz andere geworden als im Barlaam. Sie ist
hier aus dem Zusammenhänge der Legende vollständig
losgelöst und mit der Überschrift ‘de audiendo bono con-
silio’ versehen; aber die symbolische Ausdeutung ist
deswegen nicht aufgehoben, sondern noch viel gesuchter
und umständlicher als im Barlaam.
Die Aufnahme unserer Erzählung in die Gesta hat
sich nicht auf einmal vollzogen, wie denn ja der Werde¬
gang der Gesta selbst eine lange Entwicklung ist. In
der ältesten Gruppe der Gesta 208 ), den sog. anglo-la-
teinischen (Ende des 13. Jahrhunderts), finden wir sie
noch nicht, ebensowenig wie in den Drucken, die nach
Handschriften der englischen Gesta von Wynkyn de
Worde bis herein ins 18. Jahrhundert gefertigt worden
sind 209 ). In der zweiten, jüngeren, aus lateinischen und
deutschen Handschriften bestehenden Gruppe der Gesta,
welche sich nach Verpflanzung der englischen Sammlung
auf den Kontinent ausgebildet zu haben scheint, muß
dann die Erzählung allmählich 210 ) in Aufnahme ge-
*°® a ) Ich schließe mich im Folgenden an die Resultate an,
welche österley’s Forschungen (in der Einleitung seiner Ausgabe
der Gesta) gezeitigt haben. Die Ergebnisse österleys findet man
auch, kurz und übersichtlich zusammengestellt, bei Herrtage, pp,
XVI/VII, und Swan-Baker, pp. IX—XI.
209 ) Sauerstein (p. 8) braucht sich also nicht zu verwundern,
daß aus den anglo-lat. hss. der Gesta uns. Erzählung nicht mit
in die englischen hss. übergegangen ist, denn sie befand sich nie
darin.
21 °) Viele von den in österleys Einleitung aufgezählten hss.
der kontinentalen Gesta kennen die Erzählung überhaupt nicht,
andere haben sie unmittelbar vom Barlaam (mit dessen Anwendung:
91
kommen sein. In dem aus dieser zweiten Gruppe her*
vorgegangenen lateinischen ‘Vulgärtext’ der Gesta 211 »
mit seinen 181 Kapiteln bildet dann unsere Erzählung
ständig das 167. Kapitel.
14. Die Erzählung in verschiedenen Übersetzungen der
Gesta.
Den Text der Parabel in den deutschen Gesta
können wir vergleichen 1. nach den ‘Gesta Romanorum
Das ist der Roemer Tat’ 212 ), wo sie unter dem Titel ‘von
einem schützen und von einer nachtigal’ enthalten ist.
Sie entfernt sich, was den Ausdruck anlangt, in ihrem
zweiten Teil etwas von dem lateinischen Vulgärtext;
2. nach einem schon von Breitinger 213 ) veröffentlichten
Text, der sich vom lateinischen Text noch etwas weiter
entfernt: 1. der Mann wird kein Schütz, sondern eiiw
Vogler 214 ) genannt; 2. er fängt außer der Nachtigall
noch andre Vögel und, bringt diese um; 3. ‘stupefactus’
der lateinischen Vorlage ist nicht übersetzt; 4. die Nach¬
tigall fliegt nach der Freilassung auf ein Dach; 5. ‘mar-
garita’ ist nur durch ‘einen edeln stain’ verdeutscht;
similes sunt idolorum cultores), der nicht unbeträchtliche Best
aber nach der Legenda aurea.
211 ) Diesen allein haben Keller und österley herausgegeben,
Grässe und Swan übersetzt.
212 ) Hg. v. Adelbert Keller, Quedlinburg u. Leipzig 1841, 8°.
nach dem cod. germ. monac. 54 fol. aus dem 14./15. Jahrhundert.
Dieser Text umfaßt 111 Kapitel, deren 59. (Keller, pp. 89/90) die
Erzählung ist.
213 ) Fabeln aus den Zeiten der Minnesinger, Zürich 1757,
8°, p. 242, nach einer ca. 100 Kapitel enthaltenden Handschrift
aus dem 14. Jahrhundert.
2U ) Auch im Titel der Erzählung in einigen der in österleys
Einleitung genannten hss. lesen wir von einem *auceps seu sagit-
tarius’.
92
3. mit dieser Fassung stimmt fast ganz genau überein
die Geschichte in der 1489 bei Hanns Schobser in Augs¬
burg gedruckten Inkunabel 215 ), wo nur der ( Umstand
verschieden ist, daß der Vogel nach der Freilassung auf
einen Baum fliegt 216 ).
Die Erzählung in der französischen, am Anfang
des 16. Jahrhunderts erschienenen und verschiedentlich
wiederholten Ausgabe der lat. Gesta 217 ) konnte nicht
verglichen werden.
Ins Englische wurde der Vulgärtext der Gesta erst
im 19. Jahrhundert von dem Rev. Charles Swan 218 )
übersetzt. Die Übertragung der Erzählung kann Als
wortgetreu bezeichnet werden. Die moralisazio der lat.
Vorlage allerdings ist, da sie für die Spätzeit, in welche
die Übersetzung fällt, so ziemlich alles Interesse ein-
• 215 ) Sie repräsentiert nach österley am besten die deutsch-
lateinische Gruppe der Gesta; unsere Erzähl, dort fol. 111 b (No.
83) mit der als Überschrift dienenden Inhaltsangabe: ‘Von dem
vogler der eyn nachtgallen fienge die im drey rate gäbe den er doch
nitt volget: unnd sy ward ledig dardurch und flog hinweg*. Der
betr. Vermerk im Register lautet: ‘von dem vogler der ein nacht¬
gallen oder lerchen fienge . . .’, wonach der Inkunabel verschiedene
hss. zugrunde zu liegen scheinen, mit der Bezeichnung ,,Nachtigall“
bezw. ,,Lerche“ für den Vogel.
216 ) Hinweise auf die deutschen Gesta bei Schmidt, p. 152;
Goedeke, Mittelalt. p. 671; österley, Wend. V, p. 107/8.
217 ) Le violier des histoires romaines moralisez, von G. Brunet
(Paris 1858) neu hg. [österley, Wend. V, p. 107/8].
218 ) G. R., Entertaining Moral Stories etc., London 1824, 8°,
2 vis. (die Erz. vol. II, p. 339). Dieser Druck wurde 1877 von
Wynnard Hooper für Bohn’s Library und 1905 (in einem Bd.)
als No. 6 der Library of Early Novelists von E. A. Baker erneuert
(die Erz.: Of Hearing of Good Counsel pp. 347/8). — Swan über¬
setzte nach dem 1508 bei Heinr. Gran in Hagenau ersch. Druck
[Swan-Baker, p. XI]. — Hinweise in uns. Zusammenhang bei
Loiseleur, Essai, p. 71 Anm. 11; österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta
p. 739; Clouston, p. 564.
93
büßt hatte, von dem Verfasser in der ‘application’ nur
kurz angedeutet worden.
15. Das mittelhochdeutsche Gedicht ‘der Jäger and die
Nachtigall' in Laßbergs Liedersaal [Anhang No. 41].
Von den drei bisher bekannt gewordenen und heraus¬
gegebenen mhd. Gedichten, welche im Anschluß an die
Barla amform unsere Geschichte erzählen, dürfte das in
Laßbergs Liedersaal 219 ) unter dem Titel ‘Der Jäger und
die Nachtigal’ veröffentlichte wohl auf die lateinischen
Gesta zurückgehen. Die beiden Anfangsverse scheinen
die lat. Überschrift: de audiendo bono consilio wieder¬
geben zu sollen. In den moralischen Schlußversen (v.
70—76) könnte sich der lateinische Passus ‘stultus es ...’
widerspiegeln. Ferner finden sich die beiden in der Le-
genda und den Gesta gegenüber dem lat. Barlaam weg¬
gelassenen Stellen (‘admiratus’, ‘probare’) auch in dieser
Bearbeitung nicht. Andrerseits ist von den Stellen,
welche die Gesta von der Legenda unterscheiden (abge¬
sehen von Überschrift und Schluß) nur eine (v. 42)
wiederzufinden, welche das ‘dulciter cantavit’ der Gesta
wiederzugeben scheint. Ein wichtiges Charakteristikum
der vorliegenden Bearbeitung ist, daß der Vogel (v. 4£>
bis 52) behauptet, einen (nicht näher bezeichneten) faust¬
großen Wunderstein in seinem Herzen zu tragen.
16. Die Erzählung in Boners Edelstein [Anhang No. 42].
Die zweite mhd. poetische Bearbeitung unseres Stof¬
fes nach der Barlaamform finden wir in dem aus (der
219 ) Bd. II (1822), pp. 654 ff; 76 paarweise reimende ton-
jambische Verse. Hinweise bei Keller, Altd. Ged. p. 12; Goedeke,
Mittelalt. p. 650; Uhland, Nächtig, p. 140, Schrift, p. 102; öster-
ley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 249
Anm. 1); de Cock, p. 134.
94
ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammenden ‘Edel¬
stein’ Ulrich Boners 220 ), der bezüglich seiner Quelle nur
ganz allgemein sagt, er habe seine Fabeln aus dem La¬
teinischen ins Deutsche gebracht. Bei unserer Erzählung
spricht in gleicher Weise für die Legenda und die Gesta
das Fehlen des ‘probare’ und ‘admiratus’. Für die Gesta
insbesondere spricht die Bezugnahme der sich durch Ein¬
fachheit und Wahrheit empfehlenden Moralisierung (v.
67 ff) nicht auf die Torheit der Götzendiener (so im
Barlaam und in der Legenda), sondern auf die Torheit
der Menschen überhaupt; insonderheit scheinen die Verse
84 i’f. der lateinischen Überschrift de audiendo bono con-
silio zu entsprechen. Außerdem kann man anführen,
daß sich der Vogel nach der Freilassung auf einen
Baum setzt (v. 33), gerade wie im Schobserschen Text
der deutschen Gesta. Freilich wird niemand behaupten
können, daß dies alles mehr als bloße Anzeichen sind.
Bemerkenswert bei dieser Bearbeitung ist noch 1. die
Umstellung der drei Lehren, die im Vergleich mit der
22 °) Predigermönch aus alter Berner Familie, kommt 1324—49
oft in Urkunden vor [Pfeiffer, p. XI]. Der ‘Edelstein’ ist eine
Sammlung moralisierter Fabeln, von denen die meisten dem Avian
und dem sog. Anonymus des Nevelet entlehnt sind; hg. zuerst
1767 in Zürich (von Breitinger) in den anonymen ‘Fabeln aua
den Zeiten der Minnesinger’ (Boners Verfasserschaft war damals
noch unbekannt); die letzte Ausga.be ist: Der Edelstein von Ulrich
Boner. Hg. v. Franz Pfeiffer, Leipzig 1844, 8° (Dichtungen
des deutsch. Mittelalt. IV). Die Erzählung, 88 acht.silb., tonjamfl).,
paarw. reim. Verse, ist die No. 92, bei Breitinger pp. 219—222
(ohne Überschrift), bei Pfeiffer pp. 163—165: von einer Nachtegal,
wart gevangen. Von weltlicher törheit. — Hinweise bei Lassberg,
Lieders. II, p. 654; Schmidt, p. 152; Grimm, p. CCLXXXI;
Goedeke, Ma. pp. 640, 671; E. du Meril, p. 146, Anm. 2; Uhland,
Xaeht. p. 140, Schrift, p. 102; Österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta,
p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 249, Anm. 1); Rösle, p. 40; G'hauvin
11T. p. 104: de Cock, p. 134.
95
sonstigen Reihenfolge in der Ordnung 3, v 2, 1 gegeben und
; m Schlüsse wiederholt werden; 2. der Edelstein, dem
verschiedene wunderbare Eigenschaften zugeschrieben
werden, ist nicht näher bezeichnet (v. 39 ff); 3. die
Lockrede des Mannes ist weggefallen.
17. Die fälschlich dem Stricker zugeschriebene mhd. Be¬
arbeitung der Erzählung [Anhang No. 43].
Eine dritte mhd. poetische Bearbeitung unserer Er¬
zählung nach der Barlaamform findet sich in einer
Sammlung von altdeutschen Beispielen 221 ), von Docen 292 )
fälschlich dem Stricker zugeschrieben. Da alle diese
Beispiele bereits vor 1250 223 ) geschrieben sind, in einer
Zeit, wo weder Vincentius Bellovacensis noch Jacobus
a Voragine ihre Kompilationen verfaßt hatten, und wo
von deutschen Bearbeitungen des Barlaam erst die von
Rudolf von Ems (seit ca. 1220) vorlag 224 ), in der merk¬
würdigerweise unsere Parabel fehlt, so kann das Gedicht
nirgendwo anders entlehnt sein als aus dem mittelalter¬
lich-lat. Barlaam. Die Erzählung folgt auch im allge¬
meinen dem Barlaam, nur hier und dort finden Kürzun¬
gen statt. Auffallend ist allerdings, daß der Vogel eine
221 ) Zum erstenmal in Auswahl hg. von B. J. Docen in den
Altdeutschen Wäldern II (1813), pp. 1 ff. (unser Gedicht ‘von
einem vogeler’ pp. 5—7) nach der aus dem 14. Jh. stammenden
Würzburger Pergamenthandschrift. — Eine andere Auswahl nach
derselben und drei weiteren hss. veröffentlichte Franz Pfeiffer.
Z. f. d. A. VII (1849) pp. 318 ff (Das Gedicht ‘des Vögleins
Lehren’ pp. 343—345). — Verweise bei Schmidt, p. 152; Goedeke,
Mittelalter, p. 640; E. du Meril, p. 146 Anm. 2; Uhland, Nacht,
p. 140, Schrift, p. 102; österley, Wend. V p. 107/8, Gesta p. 739;
G. Paris, Lai (1903, p. 249 Anm. 1); de Cock, p. 134.
222 ) a. a. O. p. 1; vgl. dazu Pfeiffer, a. a. O., pp. 319/20.
222 ) Pfeiffer, a. a. O. p. 319.
22 *) Vgl. Kuhn, p. 68.
96
Lerche genannt wird 225 ). Die drei Lehren sind in unge¬
wöhnlicher Folge gegeben, die Nutzanwendung greift ,nur
auf zwei von ihnen zurück. Die merkwürdigste Ver¬
schiedenheit aber bietet die ganze Auffassung des
Stückes. Der Schwerpunkt der Moral liegt darin, daß
der Mann dem Versprechen des Vogels drei Lehren zu
geben, nicht blindlings hätte vertrauen sollen. Danach
richtet sich auch die ziemlich lange Moralisierung am
Schluß (v. 46—64), welche mit jener im Barlaam nicht
das Geringste mehr gemeinsam hat: man solle nichts
von der Hand geben, wofür man nicht Bürge oder Pfand
habe; denn sonst lasse der Schaden samt dem Spotte
der Leute nicht auf sich warten.
18. Die Parabel in den alt französischen Bearbeitungen
des mittelalterlich-lateinischen Barlaam, insbesondere bei
Gui de Caxyribrai [Anhang No. 44].
Von afz. Bearbeitungen des mittelalt.-lat. Barlaam
zählt Kuhn 226 ) außer einer unveröffentlichten Prosa¬
übersetzung aus dem 13. Jahrhundert, „welche sich zwar
dem lat. Texte ziemlich nahe anschließt, aber doch na¬
mentlich den dogmatischen Teil sehr abgekürzt wieder¬
gibt 227 ), und ein paar Drucken des 16. und 17. Jahr¬
hunderts drei poetische Versionen auf. Von diesen letz¬
teren ist die eine, anonym aus dem 13. Jahrhundert,
noch nicht veröffentlicht; in die zweite, anglonorman¬
nische von Chardry 228 ), Anf. des 13. Jahrhunderts, Ist
225 ) Vgl. die Parallele bei den deutschen Gesta von Schobser.
226 ) a. a. O. pp. 57—59.
227 ) Diese Version enthält demnach jedenfalls die Parabel;
vgl. übrigens die Anm. zum provenz. Barl.
228 ) Chardry’s Josaphaz, Set Dormanz und Petit Plet, hg.
von John Koch, Heilbr. 1879, 8° (Försters Afr. Bibi. 1).
97
die Parabel nicht mit aufgenommen, die dritte ist von
Gui de Cambrai 229 ) in der ersten Hälfte des 13. Jahr¬
hunderts verfaßt. Sie gibt unsere Parabel verhältnis¬
mäßig frei wieder, namentlich im zweiten Teil derselben
kann von einer genauen Übersetzung nicht mehr ge¬
sprochen werden. Anzumerken ist, daß dem Vogel (lou-
signoit) im Falle der Rückkehr nicht die Freiheit, son¬
dern ein Käfig versprochen wird (v. 54), in dem er in
Freuden leben könne, und daß nach dem vorliegenden
Texte dem Vogel sowohl vor (v. 17/18) als auch nach
der Erteilung der drei Lehren (v. 35) die Freiheit
wiedergegeben wird 230 ).
19. Die Parabel in der provenzalischen und in, den itar
lieni8chen Bearbeitungen des mitt eialt .-lat. Barlaam, so¬
wie in den Fazetien des Piovano Arlotto
[Anhang No. 45, 46].
Die provenzalische Prosa-Bearbeitung des Barlaam
aus dem 14. Jahrhundert 231 ) ist, namentlich in ihrem dog¬
matischen Teile, noch mehr abgekürzt als die erwähnte
französische Prosaversion aus dem 13. Jahrhundert,
während der Rahmen selbst sowie die Parabeln treu bei¬
behalten sind.
Die zahlreichen italienischen Barlaamversionen zer-
229) Barlaam und Josaphat, franz. Ged. des 13. Jh. von
G. de C., hg. von H. Zotenberg u. P. Meyer, Stuttgart, 1864, 8°
(Litt. V. LXXV). Die Parabel (93 Verse) hier pp. 60 ff.
28 °) Offenbar ein Fehler der von den Herausgebern benützten
hs. (Bibi. nat. fonds fran?. 1553).
2S1 ) in einer Pariser hs. (Bibi. nat. fonds fran<j. 1049)
[Kuhn, p. 61]. In den von Bartsch (Provenz. Chrest.) und Zoten¬
berg-Meyer (a. a. O.) mitgeteilten Auszügen befindet sich unsere
Parabel nicht, ihr Text konnte also nicht verglichen werden.
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 7
98
fallen nach Kuhn 232 ) „oberflächlich betrachtet, in zwei
Hauptklassen, eine vollständigere (‘Storia’), und eine
stark verkürzte (‘Vita’) Bearbeitung, von denen die er¬
ster« dem provenzalischen Texte nahezustehen scheint 233 ),
während die letztere . . . durch mancherlei Anklänge
noch ihre Abhängigkeit von der vollständigeren Bear¬
beitung verraten soll“.
Von den Texten der ‘Storia’, von .welcher Kuhn
außer verschiedenen Handschriften auch zwei . Drucke
von 1734 und 1816 aufzählt, hat mir keiner Vorge¬
legen. Über die ‘Vita’ steht mir als Material zur Ver¬
fügung nur die sürselvische Übersetzung irgendeines Vita-
Textes 234 ) nebst der dazu von G. J. Ascoli verfaßten
und mit Anmerkungen versehenen italienischen Über¬
setzung 235 ). Danach gelange ich zu folgenden Feststel¬
lungen :
Bei den Texten der Vita, (in (welchen nach Kuhn
die meisten Parabeln ausgelassen sind, muß geschieden
werden zwischen einer älteren Gruppe, welche speziell
unsere Parabel noch enthält, und einer jüngeren Gruppe,
in welcher sie sich nicht mehr findet.
232 ) PP- 61-—66; seine Aufstellung will indes Kuhn selbst
nur als eine sehr vorläufige betrachtet wissen. Jaocbs, Barl.
(Pedigree) nimmt Kuhns Klassifikation auf, koordiniert aber (ich
weiß nicht, auf Grund welchen Materials) die ‘Storia’ mit dem
provenz. Text und macht beide von der franz. Prosaversion des 13.
Jh. abhängig; freilich schreibt er dazu ein großes Fragezeichen.
283) unentschieden, ob als Ausfluß oder als Vorlage.
284) Vi er aürselvische Texte, hg. u. mit Einl. vets. von Dr.
C. Dectirtins, i im . Archivio glottologico Ital. VII (1880—83), pp.
149 ff. Hier die ‘Vita de Soing Giosaphat’ pp. 255—296, die Para¬
bel pp. 273/4. Die Übersetzung ist spätestens Anfang des 17. Jahr¬
hunderts niedergeschrieben.
285) Versione Letterale etc., di G. J. A., -ebenfalls Arch. gl.
J. VII, pp. 365 ff (Par. pp. 382/3), Annotazioni pp. 406 ff.
99
Die ältere Gruppe ist, soweit das Material eine Ein¬
sicht hierin zuläßt, vertreten a) durch eine im Dialekt
von Siena geschriebene Handschrift, gedruckt bei T.
Bini, Birne e prose del buon secolo della lingua . , .
Lucca 1852, pp. 124—152; b) durch einen veneziani-
sierenden undatierten Druck des 15. Jahrhunderts. Beide
stimmen, abgesehen von den sprachlichen Verschieden¬
heiten, gut miteinander überein und enthalten die Pa¬
rabel 236 ).
Die jüngere Gruppe ist, soweit mein Material dar¬
über Aufschluß gibt, vertreten a) durch einen unda¬
tierten Florentiner Druck aus dem 19. Jahrhundert,
welcher im Vergleich zur älteren Vita eine jedenfalls
noch oft genug aufgelegte ‘versione popolare’ darstellt;
hier liest man die Parabel nicht mehr; b) durch den
schon genannten sürselvischen Text, der mit der ver¬
sione popolare und dem Sieneser Text verwandt ist, doch
näher mit der ersteren 237 ): ‘la concordanza della lezione
popolare con la versione soprasilvana non e giä piena
e intera, ma e grandissima’; auf der anderen Seite: ‘dove
la soprasilvana diverge da codesta lezione, o non vi trova
il passo parallelo, suole essa all* incontro convenire col
testo di Bini’, so daß die Schlußfolgerung unausbleiblich
ist: ‘il quäle cosi si accosta alle condizioni d’un genera-
tore commune’, allerdings wohl mit einer Zwischen¬
stufe 238 ), da der sürselvische Text der versione popo¬
lare doch noch näher steht als der Sieneser Vita. Der
sürselvische Text enthält nun im Gegensatz zum Floren¬
tiner Druck noch die Parabel, sie muß also auch in der
gemeinsamen Vorlage, der älteren Gruppe der Vita, vor-
236 ) Ascoli, p. .420 Anm. 1.
237 ) Ascoli, p. 418.
238 ) Dieser würde ungefähr die von Ascoli gefertigte Rück¬
übersetzung des sürselvischen Textes ins Italienische entsprechen.
7*
100
atisge etzt werden, und hat, falls Kuhns Klassifikation
zutriff zweifellos auch in der Storia gestanden. Erst
in der versione popolare ist sie, vielleicht allmählich,
verschwunden 239 ).
Hier ist nun der Ort, die eigentümliche Gestalt
und Verwandlung zu besprechen, welche die Parabel im
sürselvischen Barlaam hat. Sie dient nämlich im Zu¬
sammenhänge des Romans nicht dazu die Torheit der
Götzendiener nachzuweisen, sondern soll den Josaphat
aneifern die vernommenen Heilswahrheiten zu behalten
und sic nicht so zu vergessen, wie der törichte Mann
der Parabel die Lehren des Vögleins in den Wind ge¬
schlagen hat. — Der Mann selbst heißt abweichend von
der sonstigen Gepflogenheit ein ‘pur’ (contadino), der
Vogel einfach ‘utschi’ (uccello). Der Hinweis des Vogels
auf seine geringe Größe und die Kleinheit des von ihm
bei der Schlachtung zu erwartenden Nutzens fehlt. Von
den drei Lehren lautet die zweite wie die entsprechende
der Disciplina, aber die Reihenfolge des Barlaam bleibt
gewahrt. Nach der Erteilung der Lehren fliegt der Vogel
auf einen hohen Baum. Die Art des kostbaren Steines
ist nicht genannt, er ist größer wie ein Gänseei, befindet
sich im Kropf und wiegt ‘un gran tesoro’ auf. Von der
Betrübnis des Bauers nach der Vorspiegelung des Vogels
ist nicht ausdrücklich die Rede, dagegen wird sein Ver¬
such des Entflohenen wieder habhaft zu werden, in
eigentümlicher Weise geschildert: ‘tosto incominciö a
andargli dietro in ogni cespuglio per nuovamente pigli-
arlo’. Die Nutzanwendung der drei Lehren geschieht •
289 ) Nach einem Venezianer Druck der Vita von 1600 ver¬
anstaltete Nicholas Herrick (?) 1711 eine englische Obersetzung
in Prosa, welche nur mehr eine Parabel (of the Nightingale and
the Fowler, also unsere) enthält. Siehe Kuhn, p. 64, No. 10, nach
ßhys Davids, Buddhist Birth Stories I, pp. XCVI/VII.
101
in etwas veränderter Reihenfolge. Am Schlüsse ver¬
sichert der Vogel dem Bauer, daß er ihm keine Beleh¬
rung mehr werde zukommen lassen. .
Aus der Bezeichnung des Mannes als Bauer 240 ) und
aus dem Wortlaut der zweiten geht mit Sicherheit her¬
vor, daß die Fassung der Disciplina auf die Parabel
unseres Textes Einfluß geübt hat. Nun erhebt sich aber
die Frage: zeigt sich die fremde Einwirkung bloß im
siirselvischen Texte, oder ist sie schon in der italienischen
Vorlage zu verzeichnen, und wenn so, von wann und
wo datiert sie ? Die wesentliche Entscheidung dieser
Fragen liefert uns der Text jener Version unserer Erzäh¬
lung, welche gegen Ende des Mittelalters in den Fazetien
des Piovano Arlotto 241 ) Aufnahme gefunden hat.
Schon die Überschrift und namentlich die Einleitung
verraten für die Erzählung des Piovano dieselbe Ten¬
denz, wie wir sie im sürselvischen Barlaam trafen: ein
Freund, der sich um die Ermahnungen des Piov. Arl.
240 ) nicht auch aus der bloßen Bezeichnung ‘uccello’, denn
‘lusignolo’ beim Piovano Arlotto und ‘nightingale’ in Herrick’s
englischer Übersetzung des Vita-Textes von 1600 belegen die Be¬
zeichnung ,,Nachtigall“ auch nach der Einwirkung der Disciplina.
241) Florentiner Geistl. (f 1483/4), an dessen Namen sich eine
große Zahl von Anekdoten knüpft, deren erste Sammlung allerd.
erst ca. 1500 gedruckt wurde, und die auch nachher noch durch
mancherlei Zusätze bereich, worden sind [Amalfi, pp. 261 ff]. —
Die Ausg.: Les contes et faceties d’Artbtto de Florence, avec introd.
et notes par P. Risteihuber, Paris, 1873 (hier die Erz. No. 38)
[Köhler, Anz. f. d. A. IX (1883), p. 405] war mir nicht zur
Verf., sond. nur folg. Ex. der Münch. Staatsbibi.: Facetie: Piace-
vuleze: Fabule: e Motti del P. A. Prete Fiorentino, homo di grande
inzegno. Opera molto dilettevole vulgate in lingua Toscha historiata,
e nouvamente impressa. Am Ende: Ad instantia de Matthio Pagan
in Frezaria a linsegna de la Fede (8°, s. a. ohne Pag., 2 Kolumn.).
Hinweise bei Köhler, Anz. f. d. A. IX (1883), p. 405; G. Paris,
Lai (1903, p. 249, Anm. 1); Chauvin VI, p. 110.
102
nicht kümmert, erhält von ihm zuletzt unsere Geschichte
erzählt. Diese selbst stimmt in ihren Haupteigentümlich¬
keiten mit dem sürselvischen Text überein. Abweichun¬
gen: der Name des Vogels (un bello lusignolo) ist ge¬
nannt; die zweite Lehre hat die etwas abweichende Fas¬
sung : ‘sappi tenere quella cosa di che hai dibisogno’;
der Stein besitzt den Wert ‘duna citta’; die Nutzanwen¬
dung geht in andrer Reihenfolge vor sich. Trotz der ge¬
ringen Verschiedenheiten ist der enge Zusammenhang
beider Texte fraglos und jedenfalls so zu erklären, daß
der Text bei Piovano Arlotto aus demselben italienischen
Barlaam geflossen ist, dem auch die sürselvische Ver¬
sion ihr Entstehen verdankt. Möglich deshalb, daß die
im sürselvischen Text und im Piovano auftretende Misch¬
form unserer Erzählung schon in der Storia sich findet,
in der Vita ist sie sicher nachweisbar.
20. Die Parabel im ‘Cavallero Cifar' [Anhang No. 47].
Von spanischen Bearbeitungen des mittelalterlich¬
lateinischen Barlaam weiß Kuhn 242 ) nur die Version So-
lorzano’s aus dem Jahre 1608 anzuführen, welche übri¬
gens nicht einmal ihm zugänglich gewesen ist. Indessen
findet sich eine spanische Übersetzung unserer Erzäh¬
lung nach dem Barlaam 243 ) als Episode des umfang¬
reichen aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts stam¬
menden Romans ‘Historia del Cavallero Cifar’ 244 ).
3 42 ) a.a. O. p. 66.
243 ) wie der ganze Gang der Erzählung beweist; die hier
sich findenden Reflexe von ‘admiratus’ und ‘probare’ lassen auch
eine Abstammung von der Legenda aurea nicht zu.
244 ) Verfaßt von einem toledanischen Geistlichen (1 hs.), ge¬
druckt 1512 von Jakob Cronberger aus Sevilla, Neudruck für den
Lit. Ver. von H. Michelant, Tübingen 1872, 8° (No. CXII d. L. V.);
hier die Erzählung pp. 180 ff. Hinweis bei Chauvin III, p. 104.
Die Erzählung als solche hat manche Besonderheit.
Aus der Nachtigall ist eine ‘calandria’ geworden; die
drei Lehren sind ‘semejantes uno de otro’ gemacht, na¬
mentlich die letzten beiden; der freigelassene Vogel ent¬
eilt und gibt sich dem Jäger erst später wieder zu er¬
kennen, um ihn auf die Probe zu stellen; die nicht näher
bezeichnete ‘piedra preciosa’ hat ihren Sitz im Kopfe
des Vogels und ist so groß wie ein Greifenei; mit dem
Stein 'würde dem Vogel die menschliche Stimme verloren
gegangen sein, während der Jäger Kraft zur Durch¬
setzung aller Wünsche erlangt hätte; der Mann wehrt
sich gegen den Vorwurf des Vogels, die drei Lehren nicht
gut verstanden zu haben, ebenso, wie er schon weiter
oben den Versicherungen, er sei betrogen worden, nicht
hat Glauben schenken wollen. Die Nutzanwendung durch
den Vogel ist sehr breit ausgeführt; bei jener der dritten
Lehre (nach Unerreichbarem nicht zu streben) kommt
etwas ganz Neues herein. Der Vogel fordert den Jäger
auf von ihm zu lassen, denn fliegen könne er ja doch
nicht, das sei wider seine Natur. Der Jäger aber will
mitnichten; er geht in die Stadt und erholt sich bei
einem kundigen ‘trasechador’ Rates, wie er fliegen lernen
könne. Auf dessen Belehrung hin versieht er sich mit
einem Federkleid und will von einem hohen Turm aus
den Flug unternehmen, stürzt aber zerschmettert nieder
und macht das Sprichwort wahr: ‘dios de alto fase caer
a los sobervios’, welches der Vogel ihm zur Beherzigung
empfohlen. So verbindet sich ein uraltes Sagen- und
— Der Roman zerfällt in drei Teile, deren erster die eigentliche
Geschichte des Ritters Cifar, im wesentlichen eine Version der
Eustathius-Placidus-Legende, erzählt, während der zweite, in dessen
4. Kapitel unsere Geschichte eingeschaltet ist, rein didaktisch oder
paränetisch ist: Cifar gibt seinen scheidenden Söhnen gute Rat¬
schläge; der dritte Teil schildert die Irrfahrten eines der Söhne.
104
Fabelmotiv 240 ) init unserer Erzählung, allerdings nicht
zu ihrem Vorteil.
21. Die Parabel in den deutschen Bearbeitungen des
mittelalterlich-lateinischen Barlaam.
\
Von den bei Kuhn 246 ) aufgezählten drei mhd. poe¬
tischen Bearbeitungen des lat. Barlaam, die sämtlich
dem 13. Jahrhundert angehören, enthält die wichtigste,
von Rudolf von Ems verfaßte, merkwürdigerweise unsere
Parabel nicht 247 ) ; in der zweiten noch nicht veröffent¬
lichten des Bischofs Otto findet sie sich wieder 248 ); von
der dritten sind nur Bruchstücke vorhanden, welche
die Parabel nicht überliefern.
Von den beiden bei Kuhn 249 ) aufgeführten Inku¬
nabeln konnte die erste 250 ) inbezug auf die Parabel ver¬
glichen werden; sie bietet keine Besonderheit. Auch die
von Kuhn 251 ) genannten beiden Drucke des 17. Jahr¬
hunderts 252 ) enthalten die Parabel, aber ohne jegliche
Abweichung von der lateinischen Vorlage.
Die moderne Bearbeitung des deutschen Barlaam
durch Christoph von Schmid 253 ) und jedenfalls auch die
245) Ygi Dädalus und Ikarus; im Mittelalter war die flie¬
gende Schildkröte der Spiegel des Hochmuts.
246 ) PP- 68/9.
247 ) Z. f. d. A. II (1842), p. 362.
248 ) Kuhn, pp. 68, 76.
2 * 9 ) pp. 69/70.
25 °) Bibi. reg. Monacensis Inc. s. a. 157 b fol. (Günther
Zainer in Augsburg).
251) p. 70.
2Ö2 ) Der eine von Ulrich Satler verfaßte (Dillingen 1603)
enthält die Parabel pp. 59/60, der andere, von den beiden Grafen
von Helffenstein und Hohenzollern, gedruckt bei S. Bauch in
München 1684, enthält sie pp. 127—130.
* M ) Kuhn, p. 70.
mir unzugängliche Glaubenstragödie von San Marte ,.des
Kreuzes Prüfung“ 254 ) enthalten die Parabel nicht.
22. Die Parabel in den engl. Bearb. des mittelalt.-lat.
Barlaam [Anhang No. 48, 49, 50].
Kuhn 255 ) zählt drei mittelenglische poetische stark
gekürzte Bearbeitungen des lateinischen Barlaam auf,
die unabhängig voneinander entstanden sind. Sämtliche
sind von C. Horstmann 256 ) herausgegeben.
a) Bei der einen Bearbeitung (Cod. Bodl. 779, 16.
Jahrhundert) 257 ) ist die Kürzung der Parabel hauptsäch¬
lich erreicht durch Beschneidung des verbindenden Tex¬
tes, während die Reden verhältnismäßig ausführlich ge¬
halten sind. Die Gruppierung der ‘Pre wisdomes’ ist
am Anfänge wie auch am Schluß des Textes eine vom
Lateinischen abweichende. Der Name des ‘lytil brid’
sowie des ‘ryche ston’ ist nicht genannt, der letztere ist
nur so groß wie ein gewöhnliches Ei, dafür besitzt er
aber ‘gret vertu’. Die Lehre, nach Unerreichbarem nicht
zu streben, wird damit begründet, daß solche Wünsche
nur aus eitlen Gedanken entstehen. Dem Vogel wird
im Falle der Rückkunft nicht die Freiheit, sondern nur
eine goldene Gefangenschaft ‘in a feyr cage’ verheißen.
Dem enteilenden Vogel folgt der Mann mit seinem ‘bouj’
um ihn zu schießen, der Vogel ruft ihm aber spöttisch
aus sicherer Ferne den Vers zu ‘beter is have than
2Ö *) Kuhn, p. 71.
2 * 5 ) p. 71.
266 ) Altenglische Legenden, aus den verschied. Mss. zum ersten
Male hg., Paderb. 1875, 8°. — Auf die me. Bearbeitungen unserer
Erzählung im Barlaam haben hingewiesen Sauerstein, p. 6; Plessow,
p. XXXVI.
257 ) f. 288 b —302, Horstm. pp. 113—118, die Par. pp. 124/5
von ▼. 385—428, also 44 (12 silb. paarw. reim.) Verse.
106
weche . . So weist diese Version manche beachtens¬
werte Einzelheit auf.
b) Die zweite Bearbeitung, in Cod. Vernon zu Ox¬
ford aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts 258 )
wahrt einen engen Anschluß an das Lateinische. ‘Ad-
miratus’ und ‘probare’ finden jedoch keine Wiedergabe.
c) In der Parabel der dritten Bearbeitung, Cod.
Harl. 4196 des Brit. Mus. aus dem 14. Jahrhundert? 59 )
ist der Mann ein ‘foster’, der unter anderem Wild einen
nicht näher bezeichneten ‘brid’ fängt. Dieser muß vor
Erteilung der drei Lehren, welche zuerst in einem lat.
Distichon und dann in dessen englischer Übersetzung
erfolgt, auf einen nahen Baum entlassen werden. Der
‘margerite’ ist so groß wie ein Greifenei 260 ). Das Ver¬
sprechen der Entlassung der Rückkehr des Vogels fehlt.
Die Anordnung der drei Lehren ist etwas abweichend.
Also wiederum manche Besonderheit.
23. Die Parabel in den skandinavischen Bearbeitungen
des mittelalterlich-lateinischen Barlaam
[Anhang No. 51, 52].
Die Parabel in der um die Mitte des 13. Jahrhun¬
derts entstandenen altnorwegischen Bearbeitung 261 ) des
258 ) fol. 100 ff, Horstm. pp. 215—225, die Parabel pp. 220/1,
von v. 421—476, also 56 achtsilbige, paarweise reimende Verse.
269 ) fol. 199 b ff., Horstmann pp. 226—240, die Parabel pp.
232 ff, von v. 501—551, also 51 achtsilbige paarweise reimende
Verse.
26 °) Siehe den ähnlichen Vergleich im ‘Cavallero Cifar’.
261 ) 1250/57 für den König Hakon den Jüngeren (geb. 1234,
f 1257) verfaßt. Ausgabe: Barlaams ok Josaphats Sag*. . . Udgivet
af R. Keyser og C. R. Unger. Christiania, 1851, 8°; hier die
Parabel p. 39 (im 45. Kapitel). Hinweis zuerst bei österley,
Gesta, p. 739.
107
lat. Barlaam schließt sich genau an den lateinischen
Text an.
Die Parabel in der altschwedischen Version des Bar¬
laam aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts 262 )
hält sich genauer an den lateinischen als an den soeben
genannten altnorwegischen Text 263 ).
24. Die Parabel in der jüngeren von Billius verfaßten
lateinischen Übersetzung des griechischen Barlaam und
in deren Derivaten [Anhang No. 53].
,,In Anbetracht der großen Mangelhaftigkeit der
mittelalterlichen Übersetzung [des Barlaam] veranstal¬
tete JacobuS Billius (1535—1581), Abt zu S. Michel in
der Bretagne, eine neue direkt nach dem griechischen
Original. Dieselbe erschien zuerst in der von ihm be¬
sorgten lateinischen Ausgabe der Werke des Joannes
Damascenus, Paris 1577“ 264 ). Der Text der Parabel 265 )
nähert sich mehr dem klassischen Latein, ist aber sonst
sin treues Abbild der griechischen Vorlage. Zwei Unge¬
nauigkeiten der älteren Übersetzung sind vermieden, in¬
dem lievrijg richtig mit auceps und auch 1 die grie-
262 ) handschriftlich in Stockholm; hg. von G. E. Klemming
in Samlingar utgifna af Svenska Fornskrift-Sällskapet. Prosa
dikter fr an Medeltiden. Första Haftet [Barlaam och Josaphat].
Stockholm, 1887, 8° (Heft 91 der ganzen Samml.); die Par. pp.
33/34. Nach Kuhn (p. 73) haben Keyser u. Unger angenommen,
daß zur Anfertigung dieser Übersetzung die altnorwegische Version
benützt worden sei.
263 ) Die von Kuhn p. 72 genannte moderne dänische Über¬
setzung des altnorwegischen Textes habe ich nicht vergleichen
können.
2 *±) Kuhn, p. 56.
265 ) in der 1593 gleichzeitig zu Köln und Antwerpen erschie¬
nenen Ausgabe, deren vollständ. Titel bei Kuhn p. 56 nachzulesen
ist, p. 98 (caput X).
108
chische zweite* Lehre richtiger mit ‘numquam rei prete-
rite te peniteat’ wiedergegeben ist.
Die Übersetzung des Billius wurde in die Vitae
Patrum des Rosweydus 266 ) wie auch in deren nieder¬
ländische Übersetzung 267 ) aufgenommen; ebenso (wahr¬
scheinlich seit 1581) in mehrere Auflagen von Lauren¬
tius Surius* Werk ‘De probatis sanctorum historiis 268 ).
Von mehreren bei Kuhn 269 ) aufgeführten Übertra¬
gungen des Testes von Billius in die Volkssprachen ist
nur die spanische von Fr. Baltasar de Sancta Cruz
verfaßte und 1692 zu Manila auf den Philippinen ge¬
druckte 270 ) inbezug auf unsere Parabel verglichen wor¬
den. Letztere gibt das lat. Original in etwas breiterer
Ausführung getreu wieder. Der Vogel heißt ‘un ßil-
guero’. Mit der auf diesem Text wahrscheinlich beruhen¬
den tagalischen Übersetzung des Barlaam 271 ) ist die Pa¬
rabel jedenfalls auch ins Tagalische übergegangen.
25. Die Parabel in den vom griechischen Barlaam aus¬
gegangenen osteuropäischen und orientalischen Bearbei¬
tungen [Anhang No. 54].
Von den kirchenslavisch-russischen und rumänischen
Bearbeitungen des griechischen Barlaam ist mir nichts
266 ) Antwerpen 1615 u. 1628, Neudruck bei Migne, Patrol.
ser. lat. t. LXXIII; in der Ausgabe von 1615 befindet sich
die Parabel pp. 263/4; hier zitiert von d. Hist. Litt. XXI.
p. 620.
267 ) Antwerpen 1617; hier die Parabel p. 220, abgedruckt
bei de Cock, pp. 118—120, der sie irrtümlicherweise für die Quelle
der Parabel im Dobbelen Zielentroost hält.
268 ) Kuhn, p. 57; bei Surius weist die Parabel schon nach
Warton (-Hazlitt 1871, p. 285, Anm. 1) nach der Ausgabe von
1618, p. 565 (Nov. 27).
269 ) PP- 57, 60, 71, 73 (polnische metrische Übersetzung von
Kuligowski 1688).
27 °) Kuhn, p. 66; die Parabel fol. 62 b .
271 ) Kuhn, p. 57.
109
zugänglich. Ich muß daher für eine eingehendere Unter¬
suchung der Parabel in diesen Versionen auf die von
Kuhn 272 ) zusammengetragene Literatur verweisen.
Schon frühzeitig ist der griechische Roman, mit Bei¬
behaltung der christlichen Tendenz, ins Arabische 273 )
übersetzt worden. Was Zotenberg 274 ) von dieser Version
im allgemeinen sagt: ‘cette Version se distingue par
la tendance ä representer mot ä mot le texte original’,
gilt in demselben Maße auch von unserer Parabel. Der
Mann wird ein sajjäd (Jäger), der Vogel suhrür (kind of
singing bird: Francis Johnson) genannt; das Wort ß.vxo
Xai ist mit asjä’ übersetzt; der Vogel behauptet in
seinen ah§ä’ (Eingeweide) eine durrah (Perle), größer
als das Ei eines Straußes (na‘äm) zu bergen. Diese
Einzelheiten seien hier deswegen so stark hervorgehoben,
um zu zeigen, daß diese christlich-arabische Version der
Parabel mit den später zu nennenden arabischen Be¬
arbeitungen nichts zu tun hat 275 ).
272 ) p. 53.
273 ) Kuhn (pp. 50/1) zählt 10 hss. auf, von denen eine aus
dem 18. Jh. mit Miniaturen geschmückt ist, unter denen sich auch
die Darstellung des Vogels in der Schlinge befindet [Bulletin de
la classe historico-philologique de Tacademie imperiale des Sciences
de St.-Pet., IX (1852), p. 315]. Von den 7 Pariser hss. geben zwei
‘la Version arabe teile qu’elle est sortie de la plume du traductcur
avec toutes ses erreurs et toutes les imperfections de langage’, wäh¬
rend die anderen ‘offrent tous une redaction plus ou moins remaniee
de la Version primitive*. Die älteste hs. ist aus dem 13. Jh.
274 ) Notice sur le texte et sur les versions orientales du livre
de B. et J. (Notices et Extraits XXVIII, 1887), p. 80, wo auch
der Text der Tarabole de TOiseau’ in dieser christlich-arabischen
Version pp. 143—146 nach den 7 Pariser Handschriften jnit-
geteilt ist.
275 ) Nach einem Texte der christlich-arabischen Barlaamversion
verfaßte ein gewisser ‘Enbäqom i. J. 1553 auf Befehl des Königs
Galäwdeos eine äthiopische Übersetzung, von der in Paris (1) und
Auch eine Anzahl von armenischen Bearbeitungen
des griechischen Barlaam ist vorhanden 276 ;: eine eigent¬
liche Übersetzung, eine verkürzte Bearbeitung und eine
poet. Bezension von dem Erzbischof Arakhel. alle ziem¬
lich spät: die christliche Legende von den Heiligen Bar¬
laam und Josaphat scheint erst am Anfang des 15. Jahr¬
hunderts in Armenien bekannt geworden zu sein 277 ).
Indes begegnen wir schon bedeutend früher, unge¬
fähr um die Mitte des 13. Jahrhunderts, einer arme¬
nischen Einzelversion unserer Erzählung. Es ist dies
eine durch viele Besonderheiten auffallende, aber trotz¬
dem ihren Ursprung noch ganz deutlich verratende Be¬
arbeitung. welche in die dem gelehrten Armenier Var-
tan (t 1271) zugeschriebene Fabelsammlung 278 ) aufge-
London (2) hss. vorhanden sind "Kuhn. pp. 51 2; Zotenberg. pp.
92/3]. Nebst anderen Textproben hat Zotenberg pp. 162/3 auch
den Text unserer Parabel nach den 3 hss. veröffentlicht, aber lei¬
der keine Übersetzung beigefügt. Jacobs. Barlaam (Pedigree) bringt
die äthiopische Version fälschlich in Zusammenhang mit den rauham-
medanisch-arabischen Barlaamversionen.
27€ ) Kuhn, p. 52: Zotenberg. pp. 93—95.. Mir ist keine von
diesen Versionen zugänglich.
277 ) Zotenberg, p. 94.
278 ) Die Autorschaft Vartans und damit der Zeitpunkt der
Abfassung ist nicht sicher, deshalb die Abstammung der Fabel von
einer der oben auf geführten arm. Vers, des Barlaam nicht schlechter¬
dings unmöglich. Eine Auswahl aus der Sammlung Vartan’s nach
einem aus dem Jahre 1615 stammenden und 168 Nummern ent¬
haltenden Pariser Manuskript wurde schon 1825 in Paris im
Aufträge der Societe Asiatique de Paris unter dem Titel ‘Choix
de Fables de Vartan’ (von Saint-Martin und Zohrab) veröffent¬
licht, und zwar der armenische Text von 45 Fabeln mit gegenüber-
stehender französischer Übersetzung; unsere Geschichte, No. 13 der
Auswahl, dort p. 26 (armenisch) und p. 27 (französisch). — Auf
Vartan verwiesen in uns. Zus.: Roth, p. 140; Benfey I, p. 381;
österley, Wend. V, p. 107/8, Gesta p. 739; G. Paris, Lai (1903,
pp. 242’—44, wo unter Mitteilung der französischen Übersetzung der
111
nominell worden ist. Die Geschichte ist da in Verbindung
gebracht mit einem, wie es scheint, in der Sammlung
sehr beliebten 279 ) und auch in unseren mittelalterlichen
Fabelbüchern recht häufigen 280 ) Motiv: ein Tier, in
die Gewalt eines anderen Tieres gefallen, befreit sich
durch eine List. Auch die Rollen sind hier anders be¬
setzt: aus dem Vogler ist ein Fuchs, aus der Nachtigall
ein Sperling geworden. Die Reihenfolge in der Handlung
ist im Vergleich zur griechischen Parabel einfach umge¬
kehrt: zuerst verspricht der Vogel, um sich zu befreien,
ein kostbares Ei (später eine „Perle“ genannt, was na¬
türlich das Ursprüngliche ist) von der Größe eines
Straußeneis zu legen; freigelassen, macht er den Fuchs
auf seine dumme Leichtgläubigkeit aufmerksam, und
dann erst kommt die Lehre Unglaublichem nicht (mehr)
Glauben zu schenken. Auch der nun folgende Versuch
des Fuchses des Entflohenen wieder habhaft zu werden,
wird zuerst vereitelt, bevor die zweite (und letzte) Lehre
erteilt wird, nach Unerreichbarem nicht zu streben.
Also: im Armenischen kommt zuerst die Praxis und
Version eine ausführliche Bespr. gew. ist); Jacobs, Aes. I p. 265;
Weisslovits, p. 114; Jacobs, Barl. p. CXXI; Chauvin III, p. 103.
279 ) Es kommt außer in unserer Geschichte in der Auswahl
noch dreimal vor: No. IV (l’agneau et le loup): Der Wolf wird
verleitet seine (schöne) Stimme erschallen zu lassen; No. XI (le
loup et Taue): Der Wolf zieht dem gef. Esel einen Dorn aus
und gerät so unter dessen Hufe ; No. X^II (le renard et la perdrix):
Das gefangene Rebhuhn veranlaßt den Fuchs vor der Mahlzeit zu
beten und entwischt aus seinem geöffneten Rachen. Diese letzte
Fabel war offenbar von unmittelbarem Einfluß auf unsere Er¬
zählung (No. Xjlll), indem der Fuchs den Vogler, auf den sich
das Motiv nicht gut übertragen ließ, verdrängte.
280 ) Ich mache hier nur auf Chaucer's Nonne Prestes Tale
aufmerksam, wo der gefangene Hahn den Fuchs veranlaßt seinen
Verfolgern ein Trutzwort zuzurufen, und aus dem geöffneten Rachen
entfliegt. .
112
dann erst die Theorie, im Griechischen ist es umge¬
kehrt. Wie man sieht, ist System im Ganzen, und das
verrät nicht etwa einen ungeschickten Kompilator, son¬
dern einen denkenden Geist. Daran ändern auch die
Zusätze zu den beiden Lehren nichts, die G. Paris etwas
übereilt als ‘addition inepte’ bezeichnet. So sonderbar
sie auf den ersten Blick erscheinen mögen, bei näherer
Betrachtung enthüllt sich doch ihr Zusammenhang mit
den unmittelbar vorher ausgesprochenen Lehren: neben
einer baufälligen Mauer schlafen ist gleich unvorsichtig
wie alles leichthin zu glauben; und sich in fremden Fa¬
milienzwist einmischen ist von gleich geringem Erfolg
wie das Streben nach Unerreichbarem im allgemeinen.
Gerade in der Disparität der zusammengestellten Vor¬
stellungsgebiete liegt die Kunst des Darstellers.
Was die Quelle 281 ) dieser Version anlangt, so dürfte
sie mittel- oder unmittelbar im griechischen Barlaam 282 )
281 ) K. L. Roth (a. a. O.) hat die armenische Bearbeitung
für eine Art Vorstufe zu der Parabel des griechischen Barlaam
ungesehen: „So sind in Fab. 13 schon die wesentlichen Grundzüge
des aus Barlaam und Josaphat bekannten Apologes vom Vogel¬
steller, dem die Nachtigall drei Lehren gibt, enthalten, wenn schon
noch Fuchs und Sperling den Dialog führen.“ G. Paris (a. a. O.),
der ebenfalls den griechischen Barlaam für die Quelle Vartan’s hält
ist Roth's Vermutung (wohl ohne sie zu kennen) entgegengetreten:
‘II y a bien des cas dans lesquels on peut prouver qu’un recit dont
b»s personnages primitifs etaient exclusivement des animaux les a
plus tard remplaces en tout ou en partie par des hommes; maia
la conformite des autres versions et l’etat visiblement altere de cellc-
ci nous font ecarter. sans hesiter, une semblable hypothese pour le
cus qui nous occupe.* — Über die von Roth an der gleichen Stelle
angeführten Parallelen zu unserer Erzählung aus dem klassischen
Altertum (Fabeln des Babrios), die er, wie es scheint, ihrer¬
seits als Vorstufe zu Vartan betrachtet, vergleiche im 4. Abschnitt.
282 ) wo hl kaum von irgend einer der orientalischen Barlaam-
versionen (siehe über diese im 3. Abschnitt), auf welche allerdings
113
zu suchen sein, mit dem das Geschichtchen, trotz aller
Verschiedenheiten, doch im wesentlichen zwei Lehren,
insbesondere aber das „Straußenei“ gemeinsam hat.
die Bezeichnung des Vogels als ,,Sperling“ weist, wogegen aber
das ,,Straußenei“ (welchem im arabischen Barlaam ,,Gänseei“ ent¬
spricht) mit viel größerer Sicherheit auf den griechischen Text
deutet. — In letzter Linie käme noch als Quelle in Betracht die
verlorene Pahlavi- oder auch die syrische Barlaamversion, nach
welcher eine ältere armenische Barlaamversion existiert haben muß,
von der eine geringe Spur merkwürdigerweise in der ebenfalls
Vartan zugeschriebenen armenischen Geographie erhalten ist [Kuhn,
p. 35, Anm. 4], Denn für die ursprüngliche Gestalt der Parabel
im Urbarlaam läßt sich nicht erweisen, ob sie ,,Sperling“ und
,Gänseei“, oder „Nachtigall“ und „Straußenei“ las. Vgl. das 3.
Kapitel des 3. Abschnittes.
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und iem Vogel.
8
Dritter Abschnitt.
Die Parabel in den orientalischen
Barlaamversionen und die yon ihr
ausgegangenen Einzelbearbeitungen.
1. Allgemeines.
Wenn in dem vorhergehenden Abschnitte alle die¬
jenigen Versionen unserer Erzählung aufgezählt wurden,
die sich in letzter Linie bis auf den griechischen Bar-
laam zurückverfolgen lassen, so sollte damit nicht aus¬
gesprochen werden, daß die Parabel des griechischen
Romanes die Urform der Erzählung überhaupt sei. Dies
konnte umsoweniger behauptet werden, als der grie¬
chische Barlaam selbst kein Original ist, kein terminus
a quo, sondern ‘a mere junction 283 ), und zwar nach
dem fernen Orient hin, zu einer Reihe von teils erhal¬
tenen, teils zu substituierenden morgenländischen, in
verschiedenen Sprachen abgefaßten Barlaamversionen.
Die weite Fernsicht, die sich so für den Roman eröffnet,
tut sich mit ihm auch für unsere Parabel auf, die nicht
in der griechischen Rezension zum erstenmal auftritt,,
sondern in allen hierher gehörigen Bearbeitungen des
288) Jacobs, Barlaam, p. XXVI; vgl. dazu die Ausführungen
über unsere Parabel auf p. LXXX/I.
115
Barlaam vertreten ist 284 ). Daraus ergibt sich mit voll¬
kommener Gewißheit» daß unsere Erzählung älter ist als
der selbst schon sehr alte griechische ßoman. Ebenso
folgt aber auch daraus, daß sie bereits in der gemein¬
samen uns nicht mehr erhaltenen Urform des Barlaam
enthalten gewesen sein muß. Wenn nun für den ßoman
als solchen mit Sicherheit indischer Ursprung ange¬
nommen worden ist — hat man ja doch in der Gestalt
des indischen Königssohns Joasaph Buddha selbst wie¬
dererkannt — so gilt dasselbe für die in ihn eingeschal¬
tete Parabel.
Derjenige, welcher sich von der Untersuchung der
einzelnen hierher gehörigen Versionen des Barlaam für
die Geschichte unserer Erzählung keine besonderen Er¬
gebnisse verspräche, wäre im ßechte, wenn die verschie¬
denen Bearbeitungen die Parabel ganz auf die gleiche
Weise erzählten. Aber einmal ist dies nicht der Fall,
und dann existiert auch eine ganze Beihe von morgen¬
ländischen Einzelversionen unseres Geschichtchens, die
zweifellos ihre Wurzel in letzter Linie im orientalischen
Barlaam haben; deren Ausgangspunkt gilt es nun in
der Entwicklung des ßomanes genau zu bestimmen. So
kann es uns denn keineswegs erspart bleiben, wie bei
der Durchnahme der abendländischen Barlaamversionen,
so auch bei den morgenländischen Einzelheit um Einzel¬
heit zu untersuchen.
Freilich kann es dabei unsere Aufgabe nicht sein,
bloß anhand unserer Parabel uns eine unabhängige An¬
sicht auf dem trotz aller Fortschritte der Wissenschaft
noch äußerst schwierigen Gebiet der Geschichte des
® 84 ) und zwar mit derselben Tendenz gegen die Götzendiener,
die G. Paria, Lai (1903, p. 228) wegen ihres christlichen Anstrichs
für eine Neuerung des Redaktors des griechischen Romans halten
zu müssen glaubte.
8*
116
orientalischen Barlaam zu bilden, wir können vielmehr
nur die Aufstellungen der neuesten Wissenschaft inbe-
zug auf die Filiation der morgenländischen Bärlaam-
versionen uns vor Augen führen, um uns nach der je¬
weiligen Einzeluntersuchung der Parabel zu fragen, ob
das Verhältnis, in welchem die Gestaltungen derselben
in den verschiedenen Bearbeitungen zueinander stehen,
mit jenen Aufstellungen sich vereinbaren läßt oder nicht.
Hierbei wird wiederum die treffliche Monographie
Kuhns, welche namentlich hinsichtlich der orientalischen
Geschichte des Barlaam epochemachend gewirkt hat, un¬
sere Führerin sein 285 ).
2. Die orientalischen Barlaamversionen.
Von den in diesem Abschnitt zu besprechenden Bar¬
laamversionen sind schon seit älterer Zeit bekannt
a) eine aus dem 13. Jahrhundert stammende von
dem spanischen Juden Abraham Ibn Chisdai verfaßte
poetische hebräische Bearbeitung mit dem Titel Ben ha-
Melech we ha-näzir (Prinz und Derwisch), welche in
verschiedenen Handschriften, Drucken und Übersetzun-
f 285 ) Erst- in zweiter Linie die Schrift, in welcher 1896
JoäejA Jacobs die Resultate Kuhn’s einem weiteren Leserkreise
mundgerecht gemacht hat: Barlaam and Josaphat. English Lives of
Buddha. London 1896, 8° (vol. X. der Bibliotheque de Carabas). —
r. Paris, Lai (1903, pp. 228/9) von der
Barlaam gab, stützte sich hauptsächlich
auf die Angaben Zözenbergs in dessen gemeinsam mit P. Meyer
ve^anSrtÄftfeteri v Aufgabe des Gui de Cambrai (1864). Sic wurde
schon lS^/idutfch’ Zötenbergs Notice meist antiquiert und ist durch
die neueren Forschungen vollkommen unbrauchbar geworden. Ver¬
gleich^ übrigens ,G.. i l > ^ris l Lai (1903, p. 231,„Ana. 2), wp er eine
Vorahnung^, dqsj .ripfttigen Sachverhaltes ausspripht, und seine, be-
geißtertp zu Kuhn’s Ergebnissen in Romania XXIII
0894), pp! 312/3 N . ,, .
Djc ki^r^e- Skizze, welche <
Filiation des orientalischen
117
gen verbreitet ist 286 ). Diese Version soll hier nach der
Übersetzung von Meisel 287 ) zitiert werden; b) der ara¬
bische ‘Auszug aus dem Buche eines der ausgezeichne¬
ten Weisen Indiens’, handschriftlich in einer im Besitze
der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Halle
befindlichen Sammelhandschrift vom Jahre 1688 288 ).
In der neuesten Zeit erst sind bekannt geworden
c) eine georgische (grusinische) Bearbeitung mit
dem Titel: Mudrost’ Balavara 289 ) (Weisheit Balavars),
d) ein arabischer Text, enthalten als Episode in dem
theologischen Werke Kamal ad-din wa-tamäm an-ni‘mat
des Schiiten Abü Ga'far Muhammad ibn ‘Abi ibn Bä-
bawaih al Qummi (f 381 d. H. = 991 A. D.), hand¬
schriftlich in der K. Bibliothek zu Berlin. Davon exi¬
stiert in einem Ms. des Brit. Mus. eine altertümliche
persische Übersetzung, welche die nicht unglaubwürdige
Angabe hat, daß die Quelle für Bäbawaih gewesen sei
2 ®6) Vgl. Weisslovits, pp. 17/18; Chauvin, t. III. Weisslovits
hat einen brauchbaren Prosaauszug von Ibn Chisdai geliefert.
287) p r i nz und Derwisch oder die Makamen Ibn Chisdais,
Pest 1860 2 , 8°. Die „Mär vom Gärtner und vom Vögelein“ pp.
234 ff (21. Pforte). Auf diese Parabel verwiesen: Steinschneider,
Manna, p. 98; Köhler bei Schiefner, p. XXVI, Anz. f. d. A. IX,
p. 405; Grünbaum, p. 251; G. Paris, Lai (1903, pp. 230—232);
Weisslovits pp. 112—114; Kuhn, passim; Steinschneider, Übers, p.
864, Anm. 99; Jacobs, Barl. p. CXX.I; Chauvin III, p. 103; de
Cock, p. 123.
288) H g. von Fritz Hommel in ‘Verhandlungen des VII. intern.
Orientalist.-Congr. (Wien 1886), Sem. Scct., Wien 1888, pp. 138
bis 162 (die Par. p. 158), und nach diesem Abdruck übersetzt von
E. Rehatsek (Book of the King’s Son and the Ascetic) im Journ.
of the Roy. As. Soc., N. S., XXII (1890), pp. 119—155 (die
Parabel pp. 148/9).
289 ) 1888 mit Anmerkungen teilweise herausgegeben von N.
Marr in den Zapiski vostocnago otdelenija imperatorskago russkago
archeologiceskago ob§cestva III, pp. 223—260. Der Text der Parabel
ist nicht mitgeteilt.
118
Muhammad ibn Zakarija, d. h. nach v. Rosen und Hom-
mel 290 ) mit aller Wahrscheinlichkeit der berühmte Arzt
Abü Bakr Muhammad ibn Zakarija ar-Razi (f 320
d. H. = 931 A. D.),
e) ein dritter arabischer Text mit dem Titel: Das
Buch Balauhar und Büdäsaf in Ermahnungen und
Gleichnissen voll Weisheit, auf Verantwortlichkeit des
Mekkapilgers Scheich Nur ad-din ibn G'iwäkhän, Buch¬
händlers und Besitzers der Haidaritischen und Safdari-
tischen Druckerei, gedruckt in der Safdar. Druck, zu
Bombay, im Jahre 1306 (= 1888/9), 286 pp, 8°. 291 )
Was nun die Forschungsergebnisse Kuhns anlangt,
so stellt er die drei arabischen Texte mit dem hebräischen
zusammen, ohne sich in bindender Weise über ihr nä¬
heres gegenseitiges Verhältnis auszulassen. Der Bom¬
bay-Text, von dem Ms. Halle nur ein Auszug wäre,
scheint ihm der ursprünglichste Text zu sein, und er
steht nicht an ihn im wesentlichen mit dem in dem be¬
kannten literarhistorischen Werke Kitäb al-Fihrist ge¬
nannten Kitäb Yüdäsaf wa-Balauhar, welches nach ihm
die ursprüngliche und einzige arabische Originalversion
des Barlaam gewesen ist, zu identifizieren. Als End¬
resultat einer gründlichen Vergleichung der Paralleltexte
stellt dann Kuhn 292 ) folgenden Stammbaum auf.
x
— 1 - 1
y
i
Ge(orgisch) Gr(iechisch)
29 °) bei Weisslovits, pp. 131, 134.
291 ) die Parabel hier pp. 85/6; das Buch stand mir durch
die Güte des H. Prof. Hommel zur Verf. Hinweise bei Kuhn, pass.,
Jacobs, Barl. p. CXXI; Chauvin III, p. 103 (kurze Inhaltsanalyse),
de Cock, pp. 121—123 (ebenso).
292 ) p. 34.
A(rabi8ch)
119
Für y ist er geneigt einen syrischen oder im christlich-
palästinensischen Dialekt abgefaßten Text anzunehmen,
während er sich bei x für einen Pahlavi-Text entscheidet,
dessen Heimat nach ihm 293 ) das östliche Jran mit seiner
nördlichen Nachbarschaft ist: dort sei im Wettstreit
der Keligionsparteien (zoroastrische, manichäische, nesto-
rianische) noch lange vor dem Islam eine christliche
Umarbeitung der Buddha-Legende mit asketischer Ten¬
denz entstanden, ohne daß dabei eine ganz bestimmte
buddh. Vorlage ausgebeutet worden sei 294 ).
3. Die Parabel in den einzelnen Versionen. Versuch
einer Rekonstruktion des Textes in der Urform des
Barlaamromanes [Anhang No. 55, 56, 57].
Eine eingehende Vergleichung des Textes der Pa¬
rabel im Bombay-Buch, im Auszug Halle und bei Ibn
2»8) p. 36.
294 ) J. Jacobs (a. a. O.) ist in einigen nicht unerheblichen
Punkten anderer Ansicht als Kuhn; er hält z. B. den Pahlavi-
Text für die bloße Übersetzung eines indischen Originals; auch ist
er gegen Kuhns Annahme eines christlichen Verfassers für den
Pahlavi-Text; am einschneidendsten wäre seine auf nicht unwahr¬
scheinlich klingenden etymologischen Erwägungen begründete Tren¬
nung des georgischen Textes von dem griechischen und dessen Ver¬
pflanzung in die Verwandtschaft der arabischen Texte; wenn er
ferner für die arabischen und die hebräische Version eine gemein¬
same verlorne Grundform annimmt, während Kuhn dieselbe im
wesentlichen noch im Bombay-Buche erhalten glaubt, so ist das
mehr oder minder ein Streit um Worte, denn es ist klar, daß das
erst 1889 gedruckte Bombay-Buch eine man darf sagen tausend¬
jährige Geschichte hinter sich haben muß, in welcher Veränderungen
unausbleiblich waren, weshalb man das Bombay-Buch wohl als den
Sprößling einer verlorenen Urform ansprechen kann; sioher falsch
ist es aber, wenn Jacobs trotz der klaren Ausführungen Kuhns
den Bombay-Text aus Ibn Bäbawaih fließen läßt (Jacobs, Barlaam^
Pedigree).
120
Chisdai sowie ihre Gegenüberstellung mit dem Text
der griechischen Parabel soll uns in erster Linie über
ihr gegenseitiges Verhältnis unterrichten, dann aber auch
die ursprünglichste Fassung der Parabel in der arabi¬
schen Originalübersetzung und soweit möglich auch im
Pahlavi-Urtext Kuhns feststellen helfen. Zu diesem
Zwecke teilen wir die Erzählung in sieben Abschnitte:
I. Bis zur Gefangennahme des Vogels.
Bomb., Ausz. und Chisdai berichten übereinstimmend
von einem Manne (einfach ragul), dem Besitzer eines
Gartens, der einen Obst plündernden Sperling (Bomb.
Ausz. ‘usfür = Sperling, avicula; Chisd. uck = avi-
<jula, etym. Entsprechung) in einer Schlinge fängt.
Dieser ganze Passus wird demnach so in der ursprüng¬
lichen arabischen Version gestanden haben. Demgegen¬
über ist der entsprechende Abschnitt im Griechischen
sehr kurz ausgefallen: von einem Garten ist überhaupt
nicht die Bede 295 ); der Mann heißt ein It-evTrjs, welcher
eines von den ganz kleinen orgovMa (Sperlinge), ärjdwv
genannt, erjagt. Die letztere Bezeichnung ist viel¬
leicht eine Neueinführung des Griechischen; i&vrrjs
läßt sich möglicherweise als Einwirkung einer Über¬
schrift erklären, ähnlich wie auch im Ausz. der Mann
in der Überschrift §ajjäd (Jäger) heißt, obwohl in der
Fabel selbst von einer gewerbsmäß. Betätigung nicht
die Rede ist.
II. Zwiegespräch bis zu den drei Lehren.
Der Wortlaut vom Bomb., Ausz. und Chisdai scheint
auf eine Gestalt des ursprünglichen arabischen Textes
295) Das Vorhandensein des Gartens und des Motives der
Fruchtplünderung läßt sich demnach für die Urform der Parabel
nicht erweisen. Vgl. unten im vierten Abschnitt.
zu führen, die mit der Fassung in Bomb, so ziemlich
identisch gewesen sein muß. Ms. Halle in seiner prä¬
gnanten Kürze beweist seinen Charakter als Auszug 296 );
das Hebräische schließt sich so ziemlich der Urform
an, nur daß das Zwiegespräch um eine Rede und Ant¬
wort, deren ursprüngliches Vorhandensein durch Ausz.
bestätigt wird, gekürzt ist, indem das Vöglein, ohne
vorher eine Anspielung zu machen, gleich auf den Rat,
den es allenfalls zu erteilen bereit wäre, zu sprechen
kommt. Die Dreizahl der Weisheiten ist bei Chisd. erst
viel später (v. 158) in einer jedenfalls von ihm neu
eingeschobenen Partie genannt. Außerdem gibt Chisd.
(v. 11—34) eine Art elegischer Arie des Vögelchens über
das Thema, wie beklagenswert es sei, daß die Menschen
den Vogelgesang, dessen Verstehen sie vor manchem
Unstern bewahren könnte, nicht verstünden. Der Rest
dieses eingeschobenen Teils ist eine Art Erklärung dafür,
warum der Gärtner den Gesang des Vogels dennoch ver¬
stehen kann. — Der griechische Text hat gegenüber dem
arabischen mit seinem dreimaligen Wechsel von Rede
und Gegenrede nur einen einmaligen, und dies sowie der
Umstand, daß die Erwiderung des Mannes in indirekter
Rede gegeben iät, nimmt dem Griechischen das Merk¬
mal der Ursprünglichkeit. Auch der Verfasser dieser
Version fühlt sich gleich Chisd. verpflichtet eine Er¬
klärung dafür zu geben, daß der Mann die Sprache des
Vogels versteht, und er macht seine Sache jedenfalls
geschickter als der Hebräer, indem er sich durch die
Annahme eines Wunders hilft: tdöfh) (pcovr) ^vagd'Qog;
demgemäß muß der Grieche auch das Erstaunen des
m ) Rehatsek setzt im letzten Satz dieses Abschnittes: not
tili thou swearest to set me at liberty, zwischen me und at ein
'first' ein, aber ganz sinnwidrig, da der Vogel doch erst nach
der Erteilung der drei Lehren freigelassen wird.
122
Mannes über diese wunderbare Erscheinung betonen.
Aber beide Erklärungsversuche, der des Griechen so
gut wie der des Hebräers, erweisen sich eben durch ihre
Verschiedenheit als spätere Zusätze, deren die ursprüng¬
liche, märchenhaft einfache Form der Erzählung nicht
bedurfte. — Einige andere geringfügige Verschieden¬
heiten des griechischen Textes gegenüber dem arabischen
erweisen sich als unwesentliche Zusätze, die allerdings
zu einer glatten Gedankenfolge auch mit beitragen. Daß
der Schwur des Mannes im arabischen Text im Grie¬
chischen zu emrjyye'daxo abgeschwächt ist, muß wohl
auf Rechnung des griechischen geistlichen Verfassers
gesetzt werden.
III. Die drei Lehren.
Bomb, und Chisd. leiten gegen Ausz. die drei Lehren mit
einer Aufforderung zur Beherzigung ein, wohl wie in
der ursprünglichen Übersetzung. Was die Reihenfolge
der drei Lehren anlangt, ,so hieweist das übereinstimmende
Zeugnis von Ausz. und Chisd., daß in Bomb, die ur¬
sprüngliche Folge: ,,verzweifeln“, ,,suchen“, „glauben“
gestört worden ist. Chisd. hat bei der ersten Lehre dem
Sinne gemäß „Unersetzliches“ statt „Verlornes“ einge¬
setzt, dürfte aber damit den genauen Wortlaut der
Urschrift nicht getroffen haben, da „Verlornes“ auch
durch das Griechische erhärtet wird. Der Hebräer hat
übrigens in den Versen 51—128 und 132—135 einen
unverhältnismäßig langen Einschub, der im wesent¬
lichen eine merkwürdige Einkleidung zu den drei Leh¬
ren bildet, umflochten von dem üppigen Rankenwerk
jüdischer Sage 297 ). — Der griechische Text hat die drei
m ) Steinschneider, Manna, p. 98, und Meisel in seiner Über¬
setzung geben mehrfach Nachweise, hier wie an anderen Stellen des
Gedichtes, die zu verfolgen nicht unsere Sache ist, da sie mit dem
Kern der Erzählung nichts zu schaffen haben.
123
Lehren im selben Wortlaut, wie die arabische Version,
die Mahnung zur Beherteigung steht hier am Schluß.
Die Lehre vom „Glauben“ finden wir auch hier an
letzter Stelle, so daß ihr auch im Pahlavi-Text dieser
Platz zukommt. Die beiden anderen Lehren stehen in
umgekehrter Folge wie beim Araber; welches die ur¬
sprüngliche war, läßt sich nicht entscheiden.
IV. Die Entlassung des Vogels.
Der Wortlaut von Bomb, scheint gemäß seiner wesent¬
lichen Übereinstimmung mit dem etwas volleren bei
Chisd. und dem etwas knapperen des Auszugs die ur¬
sprüngliche arab. Fassung gewesen zu sein; nach ihr
setzt sich der entflohene Vogel auf einen Ast. Im grie¬
chischen Text dagegen ist von einem Baum nicht die
Rede, und gleich nachher wird der Vogel als in den
Lüften schwebend geschildert; aydi/xevog scheint nur
ein späterer Zusatz, um iganeoTede noch näher zu
motivieren.
V. Des Vögleins Probe.
Auch hier geht aus einem Vergleiche zwischen Bomb.,
Ausz. und Chisd. der eristiere Text als der ursprüngliche
hervor. Die Zwischenfrage des Mannes ist für die ara¬
bische Originalversion gesichert. Der Edelstein im Ma¬
gen des Vogels heißt in allen drei Versionen eine
Perle 298 ), die nach Bomb, und Ausz. so groß wie
ein Gänseei ist (durrah ka-bai-dati ’l-iwazza^h); dem
gegenüber hat der hebräische Text nrrrn nara 2 ")
298) Die Übersetzung Meiseis „Edelstein“ durch jene in Stein¬
schneiders Manna „Perle“ berichtigt.
299) Weisslovits, p. 112.
124
(Straußenei), was aber nichts anderes sein dürfte als
eine nachträgliche Reminiszenz ans Griechische 300 ). —
Die griechische Parabel hat auch hier wieder die Zwie¬
sprache zu einer bloßen Anrede des Vogels vereinfacht.
Die Stelle . . . dsXovoa fxa'&elv . . . scheint wieder¬
um eine erklärende Beifügung, deren die ursprüngliche
naive Form der Erzählung wohl nicht bedurfte.
Der juagyaghris stimmt vorzüglich zu durrah, aber
statt des Gänseeis finden wir im griechischen Texte
OTQov'&oxa/u.^Xov d>ov (Straußenei), über dessen Be¬
rechtigung in der Urform der Erzählung sich streiten
ließe 301 ).
VI. Der Mann besteht die Probe nich't.
Mit Ausnahme des ersten Satzes, (von der Reue des
Mannes über die Freilassung handelnd), welcher bei
Bomb, jedenfalls aus einem Versehen ausgefallen ist,
bietet Bomb, zweifellos die ursprüngliche Fassung der
arabischen Version. Fraglich ist nur, ob bei ihm der
fehlende erste Satz nach der kräftigeren Form von Chisd.
oder nach der farbloseren im Ausz. rekonstruiert werden
soll. — Der griechische Text stimmt in diesem Abschnitt,
man möchte fast sagen, wörtlich zu Bomb., wir haben
also hier ein Stück des Urtextes fast intakt erhalten.
VII. Die Nutzanwendung des Vogels.
Auch hier bietet Bomb, ohne Zweifel die ursprünglichste
Fassung unter den oriental. Versiönen. Ihr zufolge
300 ) Simchath hanefesch (siehe unten p. 128), welches sicher auf
Ibn Chisdai zurückgeht, hat ,,Gänseei“ erhalten, es muß also auch
im ursprünglichen Text Chisdais gestanden haben.
S01 ) Vielleicht war ,,Gänseei“ das Ursprüngliche, und der
Grieche nahm die Änderung vor, um einen Kontrast zu konstruieren,
der wegen der Ähnlichkeit der Wörter oTgovfilov und orgov^oxdfjtrjXog
um so wirksamer sein mußte.
125
kommt zuerst eine bei Chisd. fehlende, im Äusz. anders
gestellte Partie, in welcher der Vogel dem Manne zuruft,
er hätte ihn nicht freilassen sollen. Die Stellung dieses
Satzes am Anfänge der Rede des Vogels wird durch die
bugische Einzelversion unserer Erzählung 302 ) erwiesen.
Das Griechische hat keinen diesem Satz entsprechenden
Passus, weswegen sein Vorhandensein in der Urschrift
sich nicht erweisen läßt. Diese auf den ersten Blick
etwas sonderbar anmutenden Worte des Vogels haben
insoferne innere Berechtigung, als er damit vielleicht
sagen wollte: du hast von mir absolut keinen Nutzen
durch die drei Lehren gehabt, hättest also in deinem
Interesse besser getan mich zu behalten. Übrigens lie¬
fert uns diese Stelle einen äußerst wichtigen Anhalts¬
punkt dafür, wo der Ausgangspunkt für eine ganze
Reihe von orientalischen Einzelversionen anzusetzen
ist 303 ). — Nach dieser etwas zweifelhaften Stelle muß
im ursprünglichen arabischen Text, wie in Bomb., die
Konstatierung des Vogels gekommen sein, daß der Mann
keinen Nutzen von den drei Lehren gehabt habe. Dieser
folgte die einfache Repetition der drei Lehren (auch hier
hat Bomb, wieder eine jüngere Reihenfolge), und den
Schluß bildete die Anwendung derselben auf den spe¬
ziellen Fall des Mannes (hier hat Bomb, die ursprüng¬
liche Folge erhalten). Die Nutzanwendung der dritten
Lehre im Auszug i^t ziemlich geschraubt und 'wird
kaum das Urbild repräsentieren. — Der griechische Text
beginnt wie die arabischen mit der Anrede des Mannes
als eines Toren, die Stelle aber, wo diesem gesagt wird,
er hätte die Beute nicht freilassen sollen, fehlt. In
de£äjuevos jiqo&vuo)<; ist sichtlich' nachträglich der
302 ) siehe unten 134 ff.
303 ) siehe unten 136 ff.
126
Kontrast zu ovde/utav äxpiXeiav inexTrjooi konstruiert. Die
drei Lehren werden beim Griechen ebenfalls 'wieder¬
holt, aber die Nutzanwendung ist immer gleich bei jeder
einzelnen angeknüpft. Der ganze Abschnitt ist wort¬
reicher gehalten- als beim Araber, die Moral als die
Hauptsache mußte eben von dem lehrhaften Griechen
genügend hervorgehoben werden.
Ein Abschluß der Parabel wie etwa: ,,Der Vogel
flog davon“ oder ähnlich findet sich in keiner der hier
verglichenen Versionen.
Das Schlußresultat unserer Untersuchung kann
nicht zweifelhaft sein: in den allermeisten Fällen gehen
Bomb., Ausz. und Chisd. eng miteinander, und zwar
scheint fast immer Bomb, den ursprünglichen Text zu
haben, da manchmal auch durch auffallende Überein¬
stimmung mit dem griechischen Text seine Originali¬
tät nach weist. Diesen drei Versionen gegenüber geht
die griechische Bearbeitung so ziemlich ihren eigenen
Weg, namentlich hat sie die lebhafte dramatische Gang¬
art, die wir wohl im Original voraussetzen dürfen,
durch Kassierung der Beden des Mannes und durch
mancherlei erklärende Beifügungen erheblich abge¬
schwächt.
Nach diesen Feststellungen können wir die von
Kuhn für die Barlaamversionen des Orients erschlossene
Filiation mit gutem Gewissen als auch für unsere Pa¬
rabel zutreffend bezeichnen.
Bei der Fixierung der ursprünglichen Fassung der
Parabel in der für Bomb., Ausz. und Chisd. gemeinsamen
Vorlage stoßen wir auf geringe Schwierigkeiten, für die
Rekonstruktion des Textes in Kuhns Pahlavi-Original je¬
doch ist die Unzugänglichkeit des georgischen Textes
ein schmerzliches Hemmnis, dessen Beseitigung erst in
vielen Punkten die nötige Sicherheit (gewährleisten würde.
127
4. Die von Ihn CMsdäi ausgegangenen jüdischen Bear¬
beitungen unserer Erzählung [Anhang No. 58, 59, 60].
Ibn Chisdai’s hebräische BarlaamVersion ist in jü¬
disch-deutscher, und darnach in hochdeutscher und hol¬
ländischer Sprache verschiedentlich bearbeitet »worden,
ein Kapitel, auf das hier nicht näher eingegangen wer¬
den kann 304 ).
Die hochdeutsche gereimte Übersetzung Meiseis, in
der unsere Parabel, 190 Verse umfassend, unter dem
Motto: „Wer alles glaubt, was er vernommen, — Ist
um das Seine schnell gekommen“ steht, ist bereits im
letzten Kapitel verwertet worden.
Schon vor iMeisel ist übrigens die Parabel Ibn Chis-
dai’s für sich allein von Moritz Steinschneider 305 ) ins
Hochdeutsche übersetzt worden, Ineist in gereimter Prosa.
Das Motto ist hier so übertragen: „Wer alles glaubt —
dem wird geraubt— was er zusammengeklaubt.“
Hier ist auch die jüdisch-deutsche Version unserer
Erzählung zu nennen, welche als bin im Erbauungs-
buchecc:n rnevs 306 ) (Seelenfreude) aufgenommen worden
ist. Diese Bearbeitung schließt sich fast in jeder
804 ) Siehe die betreffenden Verweise im letzten Kapitel, wozu
noch Kuhn, p. 45 und de Cock, p. 117 zu fügen ist.
305 j Manna, Berlin 1847, 8°, pp. 41—46, Anmerkungen dazu
p. 98. — Verweise auf diese Übersetzung in unserem Zusammenhang
bei Steinschneider, Catal. p. 605, No. 3870; ders. zu Kalila we-
Dimna, p. 562; Köhler bei Schiefner, p. XXVI; Kuhn, p. 75;
Steinschneider, Übersetzer, p. 864, Anm. 99.
906 ) Gedruckt 1706 zu Frankfurt a. M., 1718 zu Sulzbach;
Vf. Hendel Kirchhahn; Grtinbaum, Jüdisch-deutsche Chrestomathie,
pp. 249—251 (vgl. 238), hat das bc’B in latein. Umschrift ab¬
gedruckt. Hinweise bei Benfey I, p. 381; Österley Wend. V; p.
107/8, Gesta, p. 739; G. Paris, Lai (1903, p. 231 Anm. ,1);
Jacobs, Aes. I, p. 265; Weisslovits, p. 114; Steinschneider, Über¬
setzer, p. 864, Anm. 99.
128
Einzelheit an die Parabel Ibn Chisdai’s an, so in der auf¬
fallenden Umstellung der drei Lehren bei der Nutzan¬
wendung, in den Worten des Vogels nach der Erteilung
der drei Lehren: ‘die dreierlei werstu mit der Zeit er-
farn, was der nutzen dervon is’, in dem Niederfallen
des Mannes ob dem Schreck über seinen Verlust, und
in seiner Versicherung den Vogel zu halten wie sein Kind
und zu hüten wie seinen Augapfel. Demgegenüber fällt
uns die Auslassung fast sämtlicher Partien, die wir
im vorigen Kapitel als Einschübe Ibn Chisdai’s gekenn¬
zeichnet haben, nicht allzu sehr auf, da diese Interpola¬
tionen sich leicht als solche erkennen lassen und für den
Gang der Erzählung ganz unwesentlich sind. Auch der
Umstand, daß der Vogel des bca ‘alle tag’ kommt um
seinen Schaden anzurichten, wird kaum in die Wag¬
schale fallen. Schwierig ist nur das eine, daß das
3T2B wie die arabischen Barlaamjversionen von einem
„Gänseei“ spricht, während Ibn Chisdai „Straußenei“
liest. Es bleibt nur die eine Erklärung übrig, daß in
den von Steinschneider, Meisel und Weißlovits einge¬
sehenen Exemplaren des hebräischen Barlaam zwar
„Straußenei“ steht, daß aber in anderen ursprüng¬
licheren Handschriften und Drucken, auf welche das
zurückgeht, das auch durch den Vergleich mit
dem arabischen Barlaam geforderte „Gänseei“ sich noch
richtig vorfand.
Mit der soeben besprochenen jüdischen Version
hängt zusammen eine hochdeutsche Bearbeitung unserer
Erzählung von A. Tendlau 307 ) mit dem Titel ‘der ver-
s°7) i n (J em seltenen Büchlein: Fellmeiers Abende. Mährchen
und Geschichten aus grauer Vorzeit. Frankfurt am Main, Litte-
fiarische Anstalt (J. Rütten), 1856, 8° (X und 290 S.). Das Ge-
schichtehen (No. 21) hier pp, 147—149. (Hinweise bei Steinschnei¬
der, Zu Kalila we-Dimna p. 562; Köhler bei Schiefner p. XXVI;
129
geßliche Schüler’. Wir treffen hier im Vergleich mit
dem hebräischen iBarlaam dieselbe Kürzung wie im
obigen bsa, zudem stimmt der Ausdruck vielfach,
namentlich bei der zweiten und dritten Lehre, wörtlich
mit dem des jüd. Erbauungsbuches überein. Nur ist
am Anfang die Schilderung des Gartens etwas ausge¬
führt, die drei Lehren sind außer in der überkommenen
Form auch je durch ein versifiziertes Sprüchlein ge¬
geben, und endlich ist die Reihenfolge der Lehren bei
der Nutzanwendung dieselbe wie bei der Erteilung.
5. Die beiden aus dem orientalischen Barlaam geflos¬
senen persischen Einzelversionen der Erzählung [An¬
hang No. 61, 62].
Die arabische Barlaamversion des Ibn Bäbawaih
wurde schon sehr früh ins Persische übertragen, 308 ),
und so gelangte auch unsere Parabel ins persische
Sprachgebiet hinein. Wenn wir nun bisher zwei per¬
sische Einzelversionen unserer Geschichte kennen, deren
nahe Verwandtschaft mit der Parabel des orientalischen
Kuhn, p. 75; Steinschneider, Übers, p. 864, Anm. 99.) Merkwürdig
ist die Einkleidung dieser Gesehichtensamml. Der Vf. erzählt aus
seiner Jugendzeit, wie alle Winter ein bejahrter Mann in auf¬
fallender Kleidung in sein Geburtsstädtchen gekommen und in sei¬
nem Vaterhaus, der Wirtschaft zum Rebhuhn, Wohnung genommen
habe. Wegen seines Handels mit Fellen habe man den Alten, der
Meier geheißen, kurzweg nur den Fellnieier genannt. Dieser Mann
nun pflegte hie und da abends den Kindern des Hauses Geschichten,
Sagen und Märchen zu erzählen. Als dem Vf. in seinen späteren
Jahren manch eines von jenen Büchern zur Hand kam, aus denen
diese Erzählungen entlehnt sein mochten, erwachte in ihm der Ge¬
danke die alten Geschichtchen neu zu erzählen und damit zugleich
auch dem ersten Erzähler ein Denkmal zu setzen [Tendlau, pp.
V/VI]. — Eine Quelle ist zu unserer Erzählung nicht angegeben.
808) Vergl. oben p. 117.
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel.
9
130
Barlaam unverkennbar ist, so ist es nicht unwahrschein¬
lich, daß sie vom persischen Barlaam ihren Ausgang
genommen haben.
Die eine von ihnen stammt von einem ungefähren
Zeitgenossen des Hafis (f 1389), Dschelaleddin Dschaa-
fer Ben Ferchani 309 ). Die persische Eigenart verleugnet
sich in ihr nicht, wie z. B. die Schilderung des Gartens
allein 12 Verse umfaßt. Allerdings ist der sprachliche
Ausdruck noch lange nicht so geschraubt wie in der
zweiten persischen Version. Bis zur Gefangennahme des
Vogels (v. 1—22) herrscht vollkommene Übereinstim¬
mung mit der von uns rekonstruierten ursprünglichen
arabischen Version. Der Name des „Vögleins“ ist aller¬
dings nicht genannt, doch macht uns das wegen der
unbestimmten Bedeutung von ar. ‘usfür’ keinerlei Be¬
denken. — In dem nun folgenden Abschnitt ist das
Zwiegespräch gänzlich beseitigt, indem der Vogel allein
spricht und noch dazu an die Versicherung, daß seine
Tötung keinen Vorteil bringen werde, in einem Atem
die drei Lehren anknüpft, ohne sich vorher zu verge¬
wissern, ob denn der Mann sich überhaupt auf einen
solchen Handel einlasse. Die drei Worte sind in der
Weise umgestellt, daß „Glauben“ an die erste Stelle
rückt. Die Entlassung (v. 41—45) vollzieht sich in
der gewohnten Weise. Bei der Probe des Vogels (v. 46
309 ) ,,einem reichen Landmann, der Dichtern gerne diente,
weil er selbst ein Dichter war. Er trat in die Fußstapfen Saadi's
und verfertigte in beiläufig tausend Versen ein Seitenstück zum
Magazin der Geheimnisse Nisami's. Dewletschah [in seinen Bio¬
graphien der Dichter, Hamm. p. VII] gibt daraus die folgende
Geschichte . . .“ So die Worte v. Hammers, Geschichte der schönen
Redekünste Persiens, Wien 1818, p. 222, als Einleitung zu seiner
gereimten deutschen Wiedergabe des persischen Textes, die 81 Verse
umfaßt. — Auf Hammer verweist Chauvin III, p. 103.
131
bis 51) ist das Zwiegespräch abermals zu einer bloßen
Anrede des Vogels geworden. Statt der Perle von der
Größe eines Gänseeis finden wir nur einen „Edelstein,
groß wie ein Ei“ 310 ). Ganz in derselben Weise wie im
Bombay-Text ist die Schilderung gehalten, wie der Mann
die Probe nicht besteht (v. 52—61); etwas ungeschickt
ist die Einfügung, wonach der Mann den Vogel dadurch
zu ködern sucht, daß er ihm erklärt, er (der Vogel) sei
mehr wert als Edelstein. Im letzten Abschnitt der Er¬
zählung, der Nutzanwendung (v. 62—79), scheint der
Text 311 ) etwas unzuverlässig zu werden, indem manches
nicht mehr recht verständlich ist. Die Verse 64/5 gehen
dem Sinne nach wohl auf die Stelle der arabischen Ver¬
sion zurück, wo der Vogel dem Manne zuruft, er hätte
ihn nicht aus den Händen lassen sollen. Die eigentliche
Nutzanwendung erfolgt in ziemlich freier Weise und in
andrer Folge als die Lehren selbst erteilt worden sind.
Damit wäre die Erzählung zu Ende; auch hier wird
das Enteilen des Vogels nicht eigens erwähnt. Den
tatsächlichen Abschluß bilden zwei Verszeilen (v. 80/81),
welche die von dem Bearbeiter statt der Ausschlachtung
gegen die Götzendiener neu in die Geschichte hinein¬
gelegte Moral enthalten: Dein Sinn soll nicht nach
Beichtum stehen 312 ).
Die zweite jüngere persische Version, welche mit
der vorausgehenden wohl in keinem Zusammenhänge
steht, findet sich in dem aus dem Anfang des 18.
Jahrhunderts stammenden Werke Mahbüb al-Kulüb
31 °) vielleicht nur eine Ungenauigkeit der Hammerschen Über¬
setzung.
811 ) oder nur Hammers Übersetzung ?
31i ) Diese Moral ist in dem Gedichte selbst (v. 55) schon
einmal angedeutet. Wir erinnern uns hiebei an das Lai de l’Oiselet,
die Scala celi etc., die eine ähnliche Moral predigen.
9
132
(Entzücken der Herzen) des Barkhwardär bin Mahmud
Turkmän Farähi 313 ). Zur allgemeinen Charakteristik
der Bearbeitung sei vorausgeschickt, daß der Verfasser
sie mit allen bizarren und gesuchten Floskeln des ge¬
künsteltsten persischen Stiles umkleidet hat, eine Eigen¬
art, die den Genuß sehr verringert. Im einzelnen folgt
die Erzählung den Grundzügen der orientalischen Pa¬
rabel. So gleich im ersten Abschnitt, wo freilich inso-
ferne kleine Abweichungen zu konstatieren sind, als der
Name des ,,kleinen Vogels“ nicht genannt ist 314 ), als
der Garten einem reichen Mann in der Stadt Balkh ge¬
hört, und endlich, insoferne als der Vogel sein Zer¬
störungswerk längere Zeit betreibt, so daß der Gärt¬
ner ihn öfters dabei überraschen kann. — Im zweiten
313 ) genannt Mumtäz, der während der Regierung des Schahs
Sultan Husain (1693—1722) blühte. Über die merkwürdigen vom
Verfasser selbst erzählten Schicksale dieses (auch ‘Shamsah ü Kah-
kahah* genannten) Werkes vergleiche man Clouston, pp. XXII bis
XXIV. Der persische Text dieser großen Sammlung von Erzäh¬
lungen ist 1852 in Bombay gedruckt worden; zwei handschriftliche
Exemplare befinden sich im British Museum (Clouston, pp.XXIV/V).
Edward Rehatsek wählte eine Anzahl Geschichten aus diesem Werke
aus und veröffentlichte sie in englischer Übertragung 1871 in
Bombay unter dem Titel ‘Amusing Stories’, unsere Erzählung dar¬
unter als No. XXVIII, p. 154 [G. Paris, Lai (1903, p. 232
Anm. 1)]. Einige Stücke aus dieser Auswahl hat dann 1889
Clouston einer Durchsicht unterzogen und in seinem Buch ‘A Group
of Eastern Romances and Stories’ neu abgedruckt, darunter unsere
Erzählung mit dem Titel ‘The Gardener and the Little Bird’
pp. 448—452.
3U ) Die Übersetzung Rehatsek’s hat „Staar“ (‘etourneau’, G.
Paris, a. a. O.), worauf zweifellos Clouston’s Bemerkung (a. a. O.
p. VII) sich bezieht: ‘I have taken a few liberties [with JMr.
Rehatsek’s translations from the Persian], but had he revised them
himself, I feel sure he would have made very similar alterations’.
Übrigens läßt sich ,»kleiner Vogel“ ganz gut mit ar. ‘usfür’ ver¬
einbaren.
133
Abschnitt, der Zwiesprache zwischen den beiden, ist
der Hinweis des Vogels auf seine geringe Größe weg¬
gefallen nnd dafür eine weitschweifige Schachtelerzäh¬
lung des Vogels eingefügt, mit welcher er dem Mann
beweisen will, daß er nur deswegen das Obst zerstört
habe, weil es infolge einer Heimsuchung Gottes in dem
eben laufenden Jahr giftig geworden sei. In dieser Er¬
zählung wird auch auf den sagenhaften Verkehr des
Königs Salomo mit den lapwings or hoopoes ange¬
spielt. Nach diesem Einschub geht es regelrecht im
alten Geleise weiter, indem der Vogel seinen Vorschlag
der drei Lehren macht. Der Charakter des Zwiege-
spiächs ist weder hier noch auch späterhin erheblich
geschmälert. Was nun die drei Weisheiten selbst an-
langt, so ist hier „Glauben“ die zweite und „Bereuen“
die dritte, statt „Streben“ ist aber eine neue eingeführt:
‘never trust persons of a low and uncongenial disposi-
tion’, offenbar mit der Lehre „Unmöglichem nicht Glau¬
ben schenken“ nahe verwandt. — Die Entlassung und
die Probe des Vogels werden in der gewohnten iWjeisq
erzählt; statt „Gänseei“ lesen wir „Entenei“, eine wegen
der nahen Verwandtschaft der beiden Arten wohl ganz
unerhebliche Verschiedenheit. Die Art und Weise, wie
der Mann seine Probe nicht besteht, ist hier etwas ge¬
ändert, nicht ohne den Einfluß der bei den drei Lehren
vor sich gegangenen Änderung. Nachdem die Lehre,
nach Unerreichbarem nicht zu streben, aus dieser Ver¬
sion verschwunden ist, sollte man meinen, daß konse¬
quenterweise auch die Übertretung dieser Lehre durch
den Mann gestrichen worden wäre; das ist aber nicht
der Fall, nur wird die Zuwiderhandlung in der Nutzan¬
wendung vom Vogel nicht mehr moniert. Der Vor¬
gang ist jetzt so: zuerst kommt die sehr übertriebene
Reue des Mannes, dann folgt dessen Versuch zur Wie-
134
dererlangung, wobei aber keine Schmeichelworte Ver¬
wendet werden; der Vogel aber setzt sich auf einen
noch höheren Baum als vorher und gibt dem Manne,
jedoch ohne Bezugnahme auf eine vorhergehende Lehre,
zu verstehen, daß er sich nicht mehr fangen las¬
sen wolle; darauf neue Zeichen der Reue und dete
Schmerzes bei dem Manne, was den Anknüpfungspunkt
für die eigentliche Nutzanwendung abgibt, in der die
three maxims nacheinander mit sofortigem Nachweis
der Übertretung wiederholt werden. Den Schluß bildet
die Schilderung, Wie der Vogel den Augen des Mannes
entschwindet.
Es kann wohl kein Zweifel bestehen, daß die vor¬
liegende Version durch die in ihr sich findenden nach¬
träglichen Änderungen nicht allzuviel gewonnen hat,
und daß sie von der Naivität und Ursprünjglich'keit
des Originals jedenfalls weit entfernt ist.
6. Die bugische Einzelversion unserer Geschichte und
ihre Bedeutung als Bindeglied zwischen der Parabel des
orientalischen Barlaam und der Gruppe der arabischen
Einzelversionen [Anhang No. 63].
Im unmittelbaren Zusammenhänge mit dem ara¬
bischen Barlaam soll hier eine Einzelversion unserer
Erzählung besprochen werden, die teils noch sehr deut¬
liche Spuren ihrer Herkunft aus der Parabel enthält, teils
aber schon eine Reihe von Eigentümlichkeiten aufweist,
welche sie zu einem ungemein wichtigen BindeglieÜe
zwischen der Parabel und einer ganzen Gruppe von
Einzelversionen machen. Die Heimat dieser Bearbei¬
tung ist sonderbar genug Celebes, die Sprache, in der
sie abgefaßt ist, das Bugische, ein mit dem Malaischen
verwandtes Idiom.
135
Die tragische Bearbeitung ist, man möchte fast
sagen, organisch verbunden mit einer Version der in
der Weltliteratur so weit verbreiteten Eustathius-Pla-
cidus-Legende, nämlich mit der Geschichte vom König
Indjilai 315 ), deren Verlauf ungefähr folgender ist: Ein
Heiliger, der dem König wohlwill, sieht, daß dieser
ohne sein Eingreifen die ihm von Allah gestellte Lebens¬
aufgabe nicht erfüllen könne. Er läßt sich deshalb
in der uns bekannten Weise in der Gestalt einer Turtel¬
taube von dem Könige fangen und entkommt nach Er¬
teilung der drei Lehren wieder. Die Dummheit, der
sich der König bei dieser Gelegenheit schuldig gemacht
hat, vernichtet sein Ansehen beim Volke, und er wird
samt seiner Frau und seinen z!wei Söhnen vertrieben.
Auf der Flucht hält er unter einem Feigenbäume Bast,
auf dem dieselbe Turteltaube, die gerade abwesend ist,
ihr Nest hat. Der König holt auf Bitten eines seine(r
Söhne das Junge der Turteltaube zum Spielen vom
Baum herunter, und dafür trifft ihn der Fluch des alten
Vogels. Die ganze Familie wird zerstreut, aber nach
einer Zeit der Prüfung und Läuterung schließlich glück¬
lich wieder vereinigt.
Man sieht, die Einfügung unserer Geschichte hat
keinen anderen Zweck als die Vertreibung der Königs¬
familie zu motivieren, und die Verschmelzung, mag sie
auch ziemlich ungeschickt sein, ließ sich insoferne leicht
816 ) Autor, Ort und Zeit der Abfassung sind gänzlich un-
kannt; hg. von Matthes in seiner Bug. Chrestomathie I, pp. 28
bis 64 (mir nicht zugänglich), ins Deutsche mit sachlichen und
sprachlichen Anmerkungen übersetzt von Renward Brandstetter,
Malaio-Polynesische Forschungen, IV (1895), die Übers, der Erz.
hier pp. 1—5; Hinweise in uns. Zus. von F. Müller, Wiener
Zeitschr. f. d. Kunde des Morgenl. X, pp. 159/160; M. Hartmann,
Z. d. V. f. Vk. VII, p. 106: Orientalist. Lit.-Z. II, p. 341.
136
bewerkstelligen, als man die fluchende Turteltaube der
ursprünglichen Indjilai-Sage nur mit dem die Lehren
spendenden Vogel zu identifizieren brauchte. So er¬
klärt sich denn gleich das Verschwinden des „Sper¬
lings“ und die Verwandlung des einfachen Landmanns
in den König. Die Gefangennahme mittels eines Blas¬
rohres, die Einzelheiten bei der Verfolgung des Vogels
durch den König sowie jedenfalls auch der Feigen¬
baum sind dem veränderten Milieu zuzuschreiben, wir
können also von diesen Verschiedenheiten als unwesent¬
lich absehen.
Aber dennoch weist die bugische Erzählung im
Vergleich mit der Parabel des orientalischen Barlaam
noch ganz bemerkenswerte Eigentümlichkeiten auf:
1. Eine Andeutung des Gartens ist zwar noch vor¬
handen, jedoch fehlt der Umstand, daß der Vogel
die Früchte plündert, und damit das Motiv der
Gefangennahme.
2. Während im Bajrlaam der Vogel dem Mann das
Versprechen ojder den Schwur abnötigt, ihn nach
der Erteilung der drei Lehren freizulassen, ist
in der bugischen Version das Verhältnis gerade
umgekehrt: Der Vogel muß dem Manne ver¬
sprechen, nach der Freilassung die drei Worte
zu sagen.
3. Die drei Lehren sollen in der bug. Vers, in drei
Stufen erteilt werden, und zwar auf drei ver¬
schiedenen immer höher liegenden Ästen des
Feigenbaums.N
4. Von den drei Lehren werden nur zwei, „Glau¬
ben“ und „Bereuen“ in der versprochenen Weise
gegeben; statt der dritten, die ganz fehlt, kommt
gleich die Probe des Vogels.
137
5. Die Probe hat die Besonderheit, daß der Vogel
statt einer Perle in der Größe eines Gänseeis
drei Bubine, jeder so groß wie ein Entenei, im
Magen zu haben vorgibt.
6. Der König besteht zwar ähnlich wie im Barlaam
die Probe nicht, bemerkenswert ist aber, daß er
nicht versucht den Vogel durch Schmeichelworte
anzulocken, sondern daß er ohne weiteres die
Verfolgung aufnimmt, welche drei Tage und drei
Nächte dauert und den König an Leib und Klei¬
dern zu Schaden bringt.
7. Die Nutzanwendung des Vogels beginnt wie im
Barlaam mit der Anrede des Königs als Dumm¬
kopf. Auch finden wir den Zuruf des Vogels
wieder, der König hätte die Beute, die er schon
in seinen Händen hielt, nicht entschlüpfen lassen
sollen, aber dieser Hinweis geschieht hier mit
ganz besonderem Nachdruck, ja durch die Zäh¬
lung als „erstens“ wird dieser Satz indirekt mit
den beiden vom Vogel erteilten Lehren auf eine
Stufe gestellt. Die Nutzanwendung zur letzten
Lehre verdient noch deswegen Beachtung, weil
in ihr zusammen mit dem „Bereuen“ auch das
Streben des Königs des Vogels wieder habhaft
zu werden, gerügt wird, ein Umstand, der uns
über das Verschwinden vor „Streben“ als Lehre
aufklärt. Dem Neubearbeiter der Parabel er¬
schien offenbar diese Lehre so eng verwandt mit
der vom „Bereuen“, daß er sie eigens gar nicht
mehr zum Aufdruck bringen lassen wollte. Von
der geheiligten Dreizahl der Lehren abzugehen
konnte er sich dennoch nicht entschließen, und
so läßt er den Vogel zwar noch drei Lehren ver-
138
sprechen, aber schon nach der zweiten entfliehen
und mit der Probe einsetzen.
8. Die bug. Vers, hat einen eigenen Schluß, der
allerdings schon durch ihre Verkettung mit der
Indjilai-Sage gefordert wird: Die Turteltaube
kehrt in ihr Nest, der König nach Hause zurück.
Die Geschichte von König Indjilai ist eine freie Be¬
arbeitung der malaisdhen Hik. Guspa Wiradja 316 ). Dar¬
aus erklärt sich auch, daß die Einkleidung sowie die
meisten Namen der Geschichte arabisch sind 317 ). Be¬
saßen ja doch die Araber .seit alters im ostindischen
Archipel, insbesondere unter den Malaien, großen Ein¬
fluß und verbreiteten mit ihrer Religion auch ihre Lite¬
ratur. So ist denn auch wohl die Verbindung unserer
arabischen Erzählung mit der Geschichte vom König
Indjilai einem unbekannten malaischen Autor zu ver¬
danken.
Eine andere Frage ist die, ob die Vorlage des ost¬
indischen Bearbeiters für unsere Erzählung noch die
Form hatte, welche wir im orientalischen Barlaam an¬
treffen, oder ob sie bereits eine Gestalt hatte, welche
mit der bugischen Fassung Ähnlichkeit besaß. Dabei
ist es unwesentlich, ob diese Vorlage noch die Parabel
irgend einer Barlaamversion war, oder eine Einzelver¬
sion. Die angeschnittene Frage können wir nur durch
einen Vergleich der bugischen mit den noch unbespro-
316) Dr. G. K. Niemann [Bijdragen tot de Taal-Land-en Vol-
kenkunde van Nederlandsch-Indie, Zesde Volgreeks, Eerste Deel
(1895), p. 351] : ‘de geschieden« van zekeren Sultan Indjilai [is]
eene geheel vrije omwerking van het Maleische verhaal Hik. Guspa
Wiradja. Van dit geschrift bestaat . . . ook eene Makassaarsche be-
werking, die geheel overeenkomt mit de Boeginesche, maar nog niet
is uitgegeven’.
9l7 ) Vgl. Brandstetter, p. 1; Müller, a. a. O., p. 159/160.
139
chenen arabischen oder aus arabischen Quellen geflos¬
senen Einzelversionen 318 ) entscheiden. Falls diese letz¬
teren sämtlich oder teilweise wichtige Züge mit der
bugischen Version gemeinsam haben, die sie mit ihr
von der Parabel des orientalischen Barlaam unterschei¬
den, so muß die Antwort sein: es hat eine Version
bestanden, welche die gemeinsame Quelle für die bugische
und all die anderen Bearbeitungen gewesen ist.
Tatsächlich existieren solche gemeinsame Züge.
Diese sind nach den von uns oben aufgestellten Unter¬
scheidungspunkten zwischen der Parabel und der bug.
Vers, folgende:
ad 1. Der Garten fehlt zwar, in den meisten zu
vergleichenden Versionen, pur in der Disciplina ist er
erhalten. Aber diese sehr alte Bearbeitung macht den
Garten unbedingt auch in der Vorlage der bugischen
Version zur Voraussetzung. Das Motiv der Frucht¬
zerstörung finden wir aber in gar keiner Bearbeitung
‘wieder, es kann also ganz wohl schon in der vorauszu¬
setzenden gemeinsamen Bearbeitung gefehlt haben, es
ist aber auch nicht unmöglich, daß diese das Motiv des
schönen Gesanges, welches Disc. hat, besessen hat.
ad 2. Hier stimmen mit der einzigen Ausnahme von
Tausend und eine Nacht und ihrer Dependenzen, die
318 ) als solche kommen in Betracht: (a) cap. XXIII der Dis¬
ciplina clericalis,
(b) die Geschichte ‘Passer et Ausceps’ in Arnolds Chresto¬
mathie (nach Nafhatn ’l-Jaman),
(c) die Geschichte vom Sperling, der Falle und dem Jäger
(im Anhang zu Salhäni’s Ausgabe von Tausend und eine
Nacht) nebst 2 Dependenzen,
(d) eine Reihe kleinerer Einzelversionen: G'awzi, Damiri,
Assarisi, Tantavi, Bar-Hebraeus, ferner eine raalaische,
awarische und hindostanische Version.
Näheres über die einzelnen bringen die nächsten Kapitel.
140
sich mit Sicherheit als späte Umarbeitungen erweisen
lassen, alle Versionen ganz oder im wesentlichen mit
der bugischen uberein.
ad 3. Auch hier herrscht, mit Ausnahme von T.
u. e. N. und Disc., 'welche überhaupt keine Stufen
haben, wesentliche Übereinstimmung. Nur sind die Stu¬
fen in den verschiedenen Bearbeitungen verschiedene.
Die ursprünglichere Gruppe (Nafhatu ’l-Jaman, awar.
Vers.) hat die Stufen ,,Hand, Strauch (unten), Strauch
(oben)“; die andere Gruppe ,,Hand, Strauch, Berg (Fel¬
sen)“. Die erste Stufe ,,Hand“ bedingt natürlich, daß
der Vogel erst nach dejr ersten Lehre freigelassen wird,
aber eine Freilassung bevor der Vogel sein Versprechen
eingelöst hat, bleibt es doch. Daß die Stufenfolge der
bugischen Version die ältere ist, beweist die Disciplina,
welche vor den drei Lehren ‘permisit abine’ hat, was
nur zu erklären ist, wenn ihre Vorlage die Stufen der
bugischen Version hatte. Diese deckt sich übrigens mit
ihrem Satz: „Die Turteltaube wurde von König I. frei¬
gelassen“ vollkommen mit der Disciplina.
ad 4. Auch hier kann eine vollkommene Überein¬
stimmung konstatiert werden, bis auf die Disc. und T.
u. e. N. Aber auch diese haben von den alten Lehren
der Parabel nur „Glauben“ und „Bereuen“. Disc. hat
außerdem, was nach der bug. Vers, und sicherlich auch
nach deren Vorlage recht naheliegend war, den Zuruf
des Vogels in der Nutzanwendung: „hättest du mich
doch behalten, als du mich in Händen hieltest!“ vorweg¬
genommen und zu der in ihrer Vorlage fehlenden drit¬
ten Lehre gemacht. T. u. e. N. (nebst seinen Dependen-
zen) verleugnet auch hier ihren späten Umarbeiter nicht
und fügt eine recht wenig passende dritte Lehre ein.
ad 5. Hier herrscht insoferne Übereinstimmung, als
gerade die ursprünglicheren Versionen (Disc., Nafh.,
141
auch die hindost. Vers.) von einem oder mehreren Ru¬
binen sprechen. Demgegenüber bezeichnet allerdings
die weniger ursprüngliche Gruppe den oder die Edel¬
steine als Perle(n) oder bloß Juwel(en), was mit der
Parabel des Barlaam enger zusammenzustimmen scheint.
Aber teils muß bei den arabischen Einzelversionen viel¬
fach mit mündlicher Überlieferung gerechnet werden,
teils scheint auch die eigentümliche Ausdrucks weise der
Araber Einfluß gehabt zu haben. In der noch ziemlich
ursprünglichen Version von Nafhatu ’l-Jaman wird z.
B. zur Bezeichnung des Begriffes .„Rubin, Hyazinth“ das
Wort gauhar (Edelstein, aber auch Perle) mit dem Zu¬
satz min al-jaküt verwendet. Dieser Zusatz konnte leicht
wegfallen (wie tatsächlich in T. u. e. N.), und da^in
stand nichts im Wege, daß in der späteren Überliefe¬
rung gauhar als „Perle“ gefaßt und sogar - durch das
synonyme durrah ersetzt wurde, welches tatsächlich un¬
abhängig voneinander die Dependenzen von T. u. e. N.
und die kleineren arabischen Versionen haben und da¬
durch zufällig an die Parabel des orientalischen Bar¬
laam anklingen. — Was die Anzahl der Edelsteine an¬
langt, so spricht das Vorbild des Barlaam, die Disc. und
die allerdings späte Bearbeitung von T. u. e. N. gegen
die bugische und verschiedene arabische Versionen, dar¬
unter Nafh., für die Einzahl in der allen gemeinsamen
Vorlage. — Hier sei dann sofort noch die überaus wich¬
tige Konstatierung angefügt, daß im Gegensatz zur bu-
gischen Version alle anderen Bearbeitungen (mit ein¬
ziger Ausnahme des awarischen Textes) die Abnormität
des Edelsteins im Vogelmagen nicht durch Veraugen-
scheinlichung von dessen Größe, sondern von dessen
Gewicht hervorheben. Dieser Umstand beweist pin¬
mal, daß die bugische Version der Parabel noch viel
näher steht als alle anderen Bearbeitungen, er beweist
142
aber auch, daß all diese anderen Versionen von einer
gemeinsamen Wurzel äusgehen. Diese kann unmöglich
die bugische Erzählung oder ihre malaische Vorlage
gewesen sein, sondern steht zweifellos mit dieser in
einer Art von Geschwisterverhältnis.
ad 6. Wir haben gesehen, daß in der bugischen Ver¬
sion die „Lockung“ der Parabel fortgefallen ist. Tat¬
sächlich findet sie sich auch in keinem der zu ver¬
gleichenden Texte mehr, außer in der weitläufig aus¬
geführten Bearbeitung von T. u. e. N., wo das sehr
naheliegende Motiv leicht nachträglich wieder Aufnahme
gefunden haben kann. Statt der „Lockung“ hat die bu¬
gische Version die langwierige Verfolgung, die sich in
sonst keiner Version mehr vorfindet und wohl nur eine
Umwandlung der in der Vorlage der bug. Bearb. noch
vorhandenen „Lockung“ ist, welche die Torheit des dar¬
aufhin vertriebenen Königs besonders stark hervorheben
sollte. Erst in der gemeinsamen Wurzel der arabischen
Versionen scheint die „Lockung“, die ja wegen des Ver¬
schwindens der entsprechenden Lehre vom .„Streben“
keinen rechten Sinn mehr hatte, ganz verschwunden zu
sein. Als eine Art Ersatz scheint die sehr starke Be¬
tonung des Schmerzes des Mannes herangezogen worden
zu sein.
ad 7. Die Nutzanwendung erstreckt sich in allen
zu vergleichenden Versionen (selbst in der Disc. mit
ihrer wiederhergestellten Dreizahl der Lehren) ebenso
wie in der bugischen Erzählung nur auf die zwei vom
Vogel wirklich verkündeten Lehren. Die Version in T.
u. e. N. zeigt ihre nachträgliche Umgestaltung, indem
sie nicht imstande ist die Nutzanwendung ihrer dritten
Lehre sachgemäß auszuführen. — Die übrigen arab.
Versionen weisen wieder auf eine gemeinsame Wurzel,
indem überall der Hinweis des Vogels, der Mann solle
143
ihn doch behalten haben, und das Hereinbeziehen von
„Streben“ in die Nutzanwendung von „Bereuen“ weg¬
gefallen ist.
ad 8. Auch der Schlußsatz, der vom Abgang der
dramatis personae handelt, findet sich fast in jeder
der verglichenen Versionen wieder, ist also wohl in der
allen gemeinsamen Quelle als vorhanden anzusetzen.
So hat sich den aus der vorhergehenden Unter¬
suchung ergeben, daß wir einmal für die bugische und
alle anderen hieher bezogenen Bearbeitungen unserer Er¬
zählung eine gemeinsame Quelle x, dann aber auch für
alle aus der arabischen Literatur stammenden Versi¬
onen eine gemeinsame Wurzel y anzusetzen haben.
Als Merkmale für x haben sich herausgestellt:
Der Garten (vielleicht mit dem Motiv des schönen Vogel¬
gesangs) ; Freilassung des Vogels 319 ) auf Versprechen der
drei Lehren vor deren Erteilung, die in drei Stufen,
wahrscheinlich wie im Bugischen, geschehen soll; nur
„Glauben“ und „Bereuen“ werden in der versprochenen
Weise erteilt, alsdann folgt die Probe; der vorgebliche
Edelstein ist (wohl) ein Rubin von der Größe eines
Gänse- (oder Enten-) Eis; der Mann lockt (verfolgt ?)
den Vogel; die Nutzanwendung, begonnen mit dem nach¬
drücklichen Hinweis, der Mann hätte seine Beute nicht
freigeben sollen, erstreckt sich auf die zwei erteilten
Lehren, in deren letzte die ehemalige Lehre vom „Stre¬
ben“ einbezogen ist; Abgang der beiden.
Als Merkmale für y sind anzunehmen so ziemlich
dieselben wie für x; aber die Abnormität des Edelsteins
ist durch sein Gewicht (zweifellos „von einer Unze“,
S19 ) sicher „Sperling“, bewiesen durch 'us für’ der Parabel,
von Nafh., T. u. e. N. etc., und avicula der Disc. Einige Ver¬
sionen sprechen von einer Lerche; siehe unten pp. 158, 160.
144
wie in der uralten Disc. und in T. u. e. N.) veranschau¬
licht ; der Mann macht weder durch Locken noch durch
Verfolgen einen Versuch des Entflohenen wieder hab¬
haft zu werden, sondern wird in den allergrößtjen
Schmerz, der sich sogar durch Selbstverwundung äußert,
versetzt. Aus der Nutzanwendung von „Bereuen“ muß
„Streben“ bereits verschwunden gewesen sein, aber der
höhnische Zuruf des Vogels, der Mann solle ihn doch
behalten haben, war noch vorhanden, da sich nur aus
ihm die Darstellung der Disciplina erklärt.
7. Die Erzählung der Disciplina. im Zusammenhang der
arabischen Einzelnersicmen [Anhang No. 3],
Von der substituierten arabischen Version y löst
sich zunächst los die Erzählung in cap. XXIII der Dis¬
ciplina clericalis (aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts),
und zwar hauptsächlich durch die Tatsache, daß in
ihr die Stelle der Nutzanwendung, wonach der Vogel
dem Manne höhnisch zuruft, er hätte ihn in seinem
Besitze behalten sollen, vorweggenommen und als neue
dritte Lehre (in der Reihenfolge der Disciplina die
zweite) verwertet worden ist. Allerdings ist der Um¬
stand, daß die Vorlage des Petrus Alphonsi nur zwei
Lehren enthielt, noch ganz unverkennbar. Unsere Er¬
zählung dient nämlich in der Disc. nur dazu zwei
Wahrheiten zu bekräftigen, deren eine: ‘ne doleas de
amissis reTbus, quoniam dolore nihil erit recuperabile’
in der Einleitung, und deren andere: ‘quicquid invenies
legas, sed non credas omni quod legis’ am Schlüsse des
Kapitels steht, beide offenkundig mit der ersten und
dritten Lehre des Vogels, die allein in der arabischen
Vorlage gestanden haben müssen, identisch. Außerdem
werden in der Nutzanwendung der Disc. eben nur diese
beiden Lehren, aber nicht auch die neu eingesetzte,
146
wieder auf gegriffen, genau wie in der von uns sub¬
stituierten Vorlage 320 ).
Aber außer der eben besprochenen hat sich der Ver¬
fasser der Disciplina noch eine andere wichtige Ände¬
rung erlaubt, indem er die Stufenfolge bei der Erteilung
der drei Lehren einfach gestrichen hat. Doch ist noch
eine sehr deutliche Spur des alten Zustandes vorhanden,
indem der Vogel nicht sofort nach der Freilassung, wie
man natürlicherweise erwarten sollte, ‘arborem ascendit’,
sondern erst nach der Erteilung der drei Lehren. Diese
Stelle ist nichts anderes als ein Versehen des Über¬
setzers, welcher hier den Flug des Vogels auf den höch¬
sten und sichersten Ast des Baumes vor Augen hatte,
ohne die dadurch begangene Störung des Sinnes zu be¬
achten 321 ).
Einem Manne, der in dieser Weise mit seiner Vor¬
lage verfährt, ist es wohl zuzutrauen, daß er sich auch
in anderen Punkten durch sie nicht gebunden hielt: Das
Motiv, nach welchem der Vogel seines schönen Gesanges
wegen gefangen wirfd, könnte, da es sich sonst in keiner
#2 °) Damit erledigt sich von selbst die allerdings einen wahren
Kern bergende Annahme Schmidts (p. 151): „Auf die zweite
Lehre . . . macht der Vogel den Mann hier gar nicht aufmerksam,
wohl, weil die Anwendung zu nahe lag, indem der Vogel, den jener
eben in der Hand gehabt, nunmehr auf dem Baume frei saß." —
Eine andere, von M. Steinschneider (Manna, p. 98) ausgesprochene
Vermutung, daß Petr. Alph. vielleicht in Erinnerung an Jesid:
„Man muß nicht begehren das Unerreichliche und nicht fürchten das
Unvermeidliche“, oder an Perlen, 16: „Der Verstand besteht im
Unterscheiden des Wirklichen vom Unmöglichen und Entsagen dem
Unerreichlichen", den zweiten Spruch in der Nutzanwendung habe
fallen lassen, ist schon deswegen unbegründet, weil der Vf. die
proverbia philosophorum immer in wörtlichen Zitaten bringt. —
®*i) Die meisten der von der Disciplina ausgegangenen abend¬
ländischen Versionen haben bewußt oder unbewußt diese Inkongruenz
beseitigt. Siehe darüber im 1. Abschnitt.
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel.
10
146 ~
der orientalischen Versionen wieder vorfindet, sehr wohl
von dem Verfasser der Disciplina selbst erfunden sein,
ebenso das etwas komische Küchendetail, für das sich
ebenfalls sonstwo kein Analogon bietet 322 ). Doch ist ein
einigermaßen sicheres Urteil hier kaum möglich.
Was die Bezeichnung der Handelnden (homo, rusti-
cus; avicula) sowie andere Einzelheiten der Erzählung
(z. B. unius unciae hyacinthus) 'anlangt, so können sie als
erhaltenes älteres Gut angesehen werden.
8. Die mit der Fabel vom Vogel und von der Fable ver¬
bundenen Versionen unserer Erzählung
[Anhang No. 64f —67].
Wenn wir uns fragen, ob a,üch die nach der Ablö¬
sung der Disciplina clericalis noch übrigen orientalischen
Einzelversionen gemeinsame Züge aufweisen, wodurch
sie insgesamt (von der Vorlage der Disciplina unter¬
schieden werden, so ergibt sich, daß die Frage bejaht
werden muß. Diese gemeinsamen Unterschiede sind fol¬
gende: 1. Wie in der Disc. ist der höhnische Ruf des
Vogels in der Nutzanwendung, der Mann hätte ihn nicht
aus den Händen lassen sollen, verschwunden (mit Aus¬
nahme von T. u. e. N., wo er wohl nachträglich wieder
eingeführt worden ist); 2. als erste Stufe bei der Er¬
teilung der drei Lehren haben all diese Bearbeitungen
(mit Ausnahme der späten Rezension von T. u. e. N.)
die Hand des Mannes, der Vogel wird also erst nach der
ersten Lehre freigelassen; 3. der Mann fordert, nachdem
er die Probe schlecht bestanden hat, den Vogel auf ihm
die dritte versprochene Lehre zu erteilen, der Vogel
lehnt es aber mit der Begründung ab, daß ja die beiden
ersten Lehren nichts gefruchtet hätten.
***) außer vielleicht in Tausend und eine Nacht und Dopen-
denzen, wo aber alles ganz anders gewendet ist; ein Zusammenhang
ist aber nicht ausgeschlossen.
147
Diese drei gemeinsamen Punkte, welchen bei jeder
einzelnen Version mannigfache Verschiedenheiten im ein-»
zelnen gegenüberstehen, berechtigen uns auch hier zur
Annahme einer für alle noch übrigen Bearbeitungen ge¬
meinsamen Wurzel, die wir, da keiner der erhaltenen
oder bekannten Texte den Bedingungen »einer solchen
vollkommenen entspricht, hier der Kürze halber mit
z bezeichnen wollen.
Mit z dürfte wohl zu identifizieren sein die Vorlage
zu dreien von unseren Einzelversionen, in welchen die
Erzählung von dem die Lehren spendenden Vöglein in
Verbindung getreten ist mit der Fabel vom Vogel und
von der Falle 323 ). Diese drei Versionen sind die Erzäh-
328 ) Sie berichtet das Zwiegespräch zwischen einem Vogel
(Sperling) und einer Falle (al-fahh), welche unter dem heuchlerischen
Vorgeben, sie sei ein Asket (fäkir), der es sich zur Aufgabe mache,
die hungrigen Wanderer zu speisen, den Vogel zum Auf picken des
Kornes verleitet, um ihn dann beim Kragen zu packen. Diese
Fabel ist in ihrer ursprünglichen Gestalt bis jetzt nirgends separat
auf gefunden worden. Chauvin, der im 3. Bande seiner Bibliographie
ein Korpus aller ihm bekannten arabischen Fabeln zusammenstellt,
kennt sie nicht. Sie kommt tatsächlich nur in der Geschichte des
weisen Haikär vor, jener märchenhaften Erzählung, welche mit
dem mittelalterlich-griechischen und -lateinischen Äsoproman ver¬
wandt ist. und deren Ursprünge örtlich in Syrien und zeitlich im
2. Jh. (v. Chr. -zu suchen sind. Mark Lidzbarski (Die neu aramäischen
Hss. der K. Bibi, zu Berlin, Weimar 1896, 8°, II. Bd. p. 4) hat
einstweilen folgenden Stammbaum aufgestellt:
Original (hebr. od. aram., weniger wahrscheinlich syrisch)
I
syrisch
I
arabisch
[griechische Übersetzung] griechische Bearbeitung im Äsoproman.
die slavischen Versionen.
10 *
148
lung in Nafhatu ’l-Jaman, in Tausend und eine Nacht,
und die hindostanische Bearbeitung. Zunächst kurz ein
Wort über jede einzelne von den dreien.
I. Nafhatu ’l-Jaman.
In '^der Erzählung des Nafhatu ’l-Jaman 324 ) ver¬
spricht der Vogel dem Manne, die erste Lehre noch in
Im griechischen Äsoproman findet sich die Fabel nicht; die ver¬
schiedenen slavischen Versionen postulieren für die ihnen zugrunde
liegende mittelgriech. Übers, in der Fabel statt des Vogels einen
Hasen (V. Jagic. Der weise Akyrios, in Byzant. Zeitschr. I [1892]
p. 125). Von den syrischen hss. ist bis jetzt nichts veröffentlicht.
Bei den arabischen sind zwei verschieden alte Stufen zu unter¬
scheiden. Die ältere ist vertreten durch cod. Sachau 339 (arabisch
mit neuaram. Übers.) und erzählt die Fabel noch recht einfach
(vier Hin- und Widerreden). Die jüngere Stufe ist durch ver¬
schiedene hss. vertreten, in denen die Fabel aus dem Zusammen¬
hang der Haikärgeschichte losgetrennt und mit unserer Erzählung,
die in diesen hss. hinter jener folgt, als Einleitung verbunden ist,
wobei die Fassung der Fabel erweitert ist ( 7 / g und mehr Hin- und
Widerreden; ähnlich erweitert ist die Fabel bei G’auzi hinter
unserer Erz., und bei Tantavi, etwas verändert bei Damiri p. 140,
Kaljübi p. 173 und noch einmal bei G’auzi). Hss., in denen die
bezeichnete Verpflanzung vor sich gegangen ist, sind: Ms. 1723
der Bibi. Nat. (‘Histoires tirees la plupart des Mille et une Nuits,
Supplement Arabe, vol. de 742 pages’), wonach Burton seine eng¬
lische, und mittelbar Henning (XXII, p. 5) seine deutsche Über¬
setzung der Geschichte vom Vöglein bewerkstelligt hat (vgl. Chauvin
VI, p. 110, u. IV, pp. 199/200) ; ferner die dem Bairuter Druck
(Salhäni 1890) zugrunde gelegte hs. (vgl. Chauvin VI, p.* 110,
u. IV, p. 202), und die Gothaer hs. No. 2652, wo unsere Erzählung
jener von Haikär vorangeht (vgl. Chauvin, VI, p. 110 u. iy,
p. 204; Pertsch IV, pp. 404/5).
324 ) Mir zugänglich unter dem Titel ‘Passer et Auceps’ in
Arnold, Chrestomathia arabica, pp. 34 ff. Nafhatu ’l-Jaman ist der
Titel einer 1811 in Calcutta gedruckten arab. Chrestomathie, ‘selec-
tgd on original’ von ‘Shuekh Uhmud bin Moohummud Shurwanee-ool-
Yumanee/ — Hinweise in uns. Zus. bei Grünbaum, p. 251; G.
149
dessen Hand, die zweite unten am Fuße, die dritte auf
dem Gipfel des Baumes zu verkünden. Zuerst wird die
Lehre vom „Bereuen“, dann jene vom „Glauben“ in der
versprochenen Art und Weise gegeben. Als aber der
Vogel auf der Höhe des Baumes ist, verrät er dem
Manne, daß in seinem Magen (hausalah; so schon im
arabischen Barlaam) zwei Bubine (gauharatäni min al-
jäküti) im Gewichte von je 50 mitkal seien. Der Mann
beißt sich vor Ärger in den Finger; endlich fordert er
die dritte Lehre, diese wird ihm aber verweigert.
II. Tausend und eine Nacht.
Die Geschichte im Anhang von Tausend und (eine
Nacht 325 ) ist die längste Version unserer Erzählung im
Orient und verrät schon dadurch, sowie auch durch die
massenhaft eingestreuten Zitate aus Dichtern ihren Cha¬
rakter als freie Umarbeitung einer älteren einfacheren
Vorlage. Hier kann nur auf die Hauptzüge der Erzäh¬
lung eingegangen werden. Das Vöglein (‘usfür, wie üb¬
lich) verspricht den Mann nicht nur drei Worte der
Weisheit zu lehren, sondern ihm auch einen Schatz
Paris, Lai (1903, pp. 239/40, verkürzte franz. Übers.); F. Müller
in Wien. Zeitschr. f. d. Kunde des Morgenl. X (1896), p. 160;
Nöldeke, Z. D. M. G. L. (1896) p. 306; Hartmann, Z. d. V. f.
Vk. VII (1897) p. 106; Chauvin III, p. 103; de Cock, p. 131 Anm.
32ß ) Über die hss., in denen sich die Geschichte vorfindet,
vergleiche Chauvin VI, p. 110. Mir liegt der arabische Text vor
in der fünfbändigen Rezension des Textes von Tausend u. e. Nacht,
welche der P. Salhäni S. J. in Bairut herausgegeben hat, Band V
(1890), Anhang, pp. 91—98 und in der nach Burton’s englischer
Übertragung veranstalteten deutschen Übersetzung von Henning (bei
Reclam), XXII, pp. 118—126. — Hinweise bei Kuhn, p. 75; Mei߬
ner, p. 184 Anm. 1; Nöldeke, Z. D. M. G. L (1896) p. 306; Hart¬
mann, Z. d. V. f. Vk. VII (1896) p. 270; Chauvin III, p. 103;
VI, p. 110; de Cock, p. 122 Anm. 3.
160
und ein Paar aschgraue Falken zu zeigen. Von einer
Stufenfolge bei der Erteilung der Lehren, ist keine Spur
vorhanden. Von den beiden uns bekannten Lehren ist
>,Trauern“ auch hier die erste. Aber zwischen ihnen
ist eine neue dritte, aber wenig passende, einjgefügt,
wahrscheinlich als Pendant zur ersten. Den Schatz und
die beiden Falken will der Vogel erst nach der Freilas¬
sung zeigen. Diese erfolgt, und nun macht der Mann
den Vogel auf sein Versprechen aufmerksam 326 ), erhält
aber die Antwort, er sei betrogen, denn er, der Vogel
habe in seinem Kropf (so die Übersetzung Hennings; im
Text steht wie üblich hausalah) ein Juwel (g'auhar)
im Gewichte von einer Unze. Der Mann ist tief beküm¬
mert und sucht den Vogel durch allerlei Lockungen wie¬
der in seine Gewalt zu bringen. Doch dieser enthüllt
ihm nunmehr die Wahrheit.
Ila. Die Dependenzen von Tausend und ein ;
Nacht.
Als abhängig von der soeben besprochenen Version
verrät sich auf den ersten Blick eine arabische Bear¬
beitung, die sich in einer ausführlicheren und in einer
abgekürzten Fassung Jn zwei Berliner Handschriften 327 )
findet. Der Mann, hier ein armer Wüstenbe'wohner,
trifft auf der Jagd ein buntfarbiges Vöglein (‘usfür) an,
und stellt ihm eine Falle. Das Vöglein kommt an die¬
selbe heran und pickt die Körner auf, bis auf da£ letzte,
das gefährlichste. Mit einer Aufforderung des Jägers,
32# ) Vielleicht ein Nachklang der Bitte des Mannes um die
dritte Lehre in den verwandten Versionen.
327 ) Ms. Pet. 259 fol. 109 b —112 b und Ms. Pet. 110, 4 fol.
49 b » 50 [Ahlwardt, VIII, pp. 67 u. 52, No. 9105 u. 90661 mit der
Oberschr. Kissatu ’s-sajjädi ma'a ’l-'usfüri. Hinweis bei Chauvin
III, p. 103.”
161
auch dieses zu nehmen, beginnt das Zwiegespräch, wel¬
ches hier po gedacht ist, daß anstelle der unbelebten
Falle, allerdings die Rolle derselben übernehmend, der
Jäger selbst spricht. Das Folgende ist, mit vielen wört¬
lichen Anlehnungen ähnlich erzählt wie in T. u. e. N.,
bis zu den drei Lehren hin, die der Vogel erst verkünden
will, wenn er freigelassen ist, da er dem Jäger, dessen
Tücke er schon einmal erfahren, nicht mehr traut. Der
Mann geht tatsächlich darauf ein. Nun fliegt der Ypgel
auf einen hohen Baum und verkündet die drei Lehren:
„Betrüben“, „Glauben“ und eine hier neueingeführte:
„Selbst wenn du so schnell liefest wie eine Gazelle, so
würde dir doch nur zuteil werden, was dir vom Schick¬
sal bestimmt ist“ 328 ). Außer den drei Lehren hat der
Vogel sonst nichts versprochen. Bei der Probe des Man¬
nes spricht der Vogel von einer kostbaren Perle (durrah)
in seinem Magen (bausalah), gibt aber kein Gewicht an.
Die Nutzanwendung ist fast ganz geschwunden. Da¬
gegen ist am Schlüsse ein Moti,v ausgeführt, welches in
T. n. e. N. nur angedeutet war: Der Vogel will den
armen Mann entschädigen und bezeichnet ihm eine
Stelle, wo er einen vergrabenen Schatz finden könne.
Der Mann gräbt nach und entdeckt einen mit Gold ge¬
füllten Krug, so daß er zeitlebens mit seinen Kindern
von aller Not befreit ist 329 ).
828 ) Auf diese Weise ist die dritte Lehre des Barlaam, nach
Unerreichbarem nicht zu streben, wohl zufällig wieder hergestellt.
— M. Hartmann in Z. V. f. Vk. VI (1896), p. 270 Anm. 1, teilt
mit, daß in einem Ms. (No. 119) seiner Sammlung die dritte Lehre
ebenso lautet; also wird die Erz. in dieser hs. mit jener in den
beiden Berliner hss. identisch sein.
329) Über dieses Schatz-Motiv vergleiche den vierten Abschnitt.
152
III. Die hindostanische Version.
Die hindostanische Version unserer Erzählung jist
als Episode in den Roman „Die Rose von Bakawali 330 )
eingelegt. Der Zusammenhang ist folgender: Der Po¬
lizeipräfekt von Scharkistan erzählt dem Minister von
der Gründung einer wunderbaren Stadt, nach welcher
als dem Ziele ihrer Hoffnung viele Leute aus dem Lande
heimlich sich entfernen. Der Wesir will diesem fabel¬
haften Berichte keinen Glauben schenken, [namentlich
scheint ihm unmöglich, daß ein Mensch die wunder¬
bare Gründung habe ausführen können. Dieser seiner
Meinung verleiht er Ausdruck durch die Erzählung
unserer Geschichte, natürlich nur deswegen, weil auch
3S0 ) Dieser ursprünglich indische (hindi) Roman wurde 1712
von Izzat ullah (aus Bengalen) unter dem Titel Gul-i Bakawali ins
Persische und daraus 1801/02 unter dem Titel Mazhab-i ischc (la
<lodtrine de l’amour) von dem Munschi Nihäl Chand ins moderne
Hindustani (Urdu) übersetzt. Hg. zuerst 1804 von Gilchrist, dann
1815 von Roebuck, beidemale in Calcutta. Garcin de Tassy lieferte
1835 eine verkürzte franz. Übers., unter dem Titel: ‘Abrege du
Toman hindoustani intitule la Rose de Bakawali, in Bd. XVI des
Nouveau Journal Asiatique (pp. 193 ff; hieraus entnehme ich die
meisten bibliogr. Angaben); vollständig erschien diese Übersetzung
in seinen ‘Allegories, Recits poetiques et Chants populaires, traduits
de l’Arabe, du Persan, de THindoustani et du Turc. Paris 1876, 8°,
pp. 306 ff. Englische Übersetzungen erschienen 1851 von R. P.
Anderson in Delhi und 1859 von Thomas Philip Manuel in Cal¬
cutta. Nach Manuel’s Übers, und Garcin de Tassy’s Abrege lie¬
ferte dann W. A. Clouston auf pp. 237 ff. seines Buches A Group
of Eastern Romances (Glasgow 1889) eine neue engl. Übertragung.
Aber weder hier noch in G. de Tassy’s Abrege ist uns. Erz. auf¬
genommen, sondern (soweit mir die Bücher vorliegen) nur in dess.
Vf. vollständige Übersetzung von 1876, pp. 351—353; hiernach hat
sie G. Paris, Lai (1903, pp. 236 ff) wieder abgedruckt, jedoch mit
willkürlichen Änderungen. — Hinweise: zuerst bei G. Paris (a. a.
O.), dann bei Clouston p. 281 Anm. 1; Chauvin III, p. 103; de Cock,
p. 132.
153
das Vöglein die Meinung vertritt, Unmöglichem dürfe
man nicht Glauben schenken. Diese Lehjre ist ganz
dem Zusammenhang entsprechend gehalten: bei ,Gott
sei zwar kein Ding unmöglich, aber wenn man von einem
Menschen Unmögliches höre, so sei davon nicht viel
zu halten 331 ).
Von dem moineau (offenbar = ar. ‘u§für) werden
nun zwei anscheinend ganz unzusammenhängende Aben¬
teuer erzählt, die er mit zwei Fakiren zu bestehen hat.
Gerade das erste Abenteuer scheint gar nicht in den
Rahmen des Romans zu passen. Der Grund, warum
es trotzdem dasteht, ist kein anderer, als daß wir es
mit einer ganz freien Umarbeitung der Fabel vom Vogel
und der Falle zu tun haben, die der Verfasser des Ro-
manes irgendwo mit unserer Erzählung verbunden vor¬
fand und, obwohl sie nicht recht paßte, in den Roman
mit herübernahm. Der Grundgedanke seiner Umarbei¬
tung und jener der ursprünglichen Fabel ist ganz der¬
selbe: hier wie dort fällt der Ahnungslose dem schein¬
heiligen Heuchler zum Opfer, nur mit dem Unterschiede,
daß in dem hindost. Roman dem Sperling vor dem
Richterstuhl Salomonis sein Recht wird. In der Fabel
gibt sich die Falle als Fakir, im Roman ist es ein wirk¬
licher, aber ebenfalls heuchlerischer „Heiliger“. Ja sogar
den Stab der Falle in der Fabel finden wir in dem Stab,
mit dem der Fakir nach dem Sperling schlägt, wieder.
Die eigentliche Erzählung ist von dem eben er¬
wähnten Abenteuer durch einen Zeitraum von einigen
Tagen getrennt. Der Sperling wird abermals von einem
Derwisch, der seine Würde jedenfalls von dem Fakir
SS1 ) Nachdem so die (erste) Lehre „Glauben“ recht wohl vor¬
handen ist und noch dazu die Hauptrolle spielt, erledigt sich G.
Paris’ (a. a. O.) willkürlicher Einschub einer dritten Lehre: ‘Ne
crois pas tout ce qu’on te dit’ als unbegründet.
164
des ersten Teiles entlehnt hat, gefangen und in einen
Käfig gesteckt. Zwei Lehren, zuerst Glauben“, dann
„Bereuen“, werden auf der Hand des Mannes erteilt,
die dritte will der Vogel nur in der Freiheit geben. Los¬
gelassen macht er dem Derwisch' die bekannte Vorspiege¬
lung von einem sehr wertvollen Rubin in seinem Magen.
Der Mann fingt vor Verzweiflung die Hände, begehrt
vergebens die jdritte Lehre und wird endlich über seine
Torheit aufgeklärt.
Nach diesem kurzen Einblick in die Eigenart einer
jeder von diesen drei Versionen ist nun zunächst darauf
aufmerksam zu machen, daß die Möglichkeit besteht,
daß die Fabel von Vogel und Falle mit jeder der drei
Bearbeitungen einzeln verbunden worden ist. Denn es
besteht hinreichend Grund zu der Annahme, daß die
beiden ihrer ganzen Art nach verwandten Stoffe oft¬
mals unmittelbar nebeneinander erzählt worden sind 332 ).
Indes läßt sich für Nafhatu ’l-Jaman und T. u. e. N.
aus gewissen Einzelheiten 333 ) der unzweifelhafte Nach¬
weis führen, daß sie trotz ihrer auffallenden Verschie¬
denheiten unter sich näher als zu irgend einer anderen
Version verwandt sind. Auch für die hindostanische
Bearbeitung ist pine getrennte Verbindung der beiden
Fabeln nichts weniger als wahrscheinlich, da sonst das
Vorhandensein des ersten Abenteuers in (dem Roman
ganz unverständlich werden würde. Es ist demnach,
soweit wir das Feld überschauen, die Fabel von dem 1
Vogel und der Falle nur einmal in einer bestimmten
88») J n einem Buch finden sich beide Erzählungen vor bei
G’auz!, Damiri, im Magänl und bei TantavI, beim ersten und
letzten unmittelbar nebeneinander.
888) Als für sich allein schon beweisend sei nur angeführt,
daß der Vogel erklärt, sein ganzes Leibesgewicht mache keine 10
mitkäl (in T. u. e. N: Drachmen) aus.
156
Bearbeitung mit unserer Erzählung verbunden worden,
und die anderen Versionen, wo wir dieselbe Kombination
antreffen, sind ihre Ausflüsse.
Welches ist nun diese bestimmte Bearbeitung? Ist
es eine von den drei soeben aufgezählten? Naflj. scheint
die meisten Ansprüche darauf zu besitzen, denn in
diesem Text ist verhältnismäßig viel mehr altes Gut
erhalten als in den beiden anderen. Aber auf der an¬
deren Seite sind T. u. e. N. und die hindost. Version
in einem sehr wichtigen Punkte ursprünglicher als Nafh.,
nämlich in der Einzahl des Edelsteins. Dazu hat T.
u. e. N. noch das ursprüngliche Gewicht desselben von
einer Unze erhalten, welches in Naflj. geändert in der
hindost. Version ganz beseitigt ist. So müssen wir denn
zu dem Schlüsse kommen, daß in keiner der drei Bear¬
beitungen uns der Text erhalten ist, in welchem die
Kombination der beiden Erzählungen zum erstenmale
vollzogen ist, sondern daß wir ihn zu substituieren
haben.
Die nächste Frage ist nun die, wie diese Version
wohl ausgesehen haben mag. Daß in ihr von dem Garten
(wie in der Disc.) noch die Rede war, darauf scheint der
Anfang von ,T. u. e. N. zu deuten. Aber da der Garten
überall sonst weggefallen ist und nach der Voranstel¬
lung der fremden Fabel auch jeden Zweck verloren
hatte, ist sein Vorhandensein in der gemeinsamen Quelle
recht unwahrscheinlich. Auch das Motiv des Käfigs,
welches die hindostanische Version ganz vereinzelt hat,
dürfen wir in ihr nicht voraussetzen. Was nun die
Stufenfolge bei der Erteilung der drei Lehren anlangt,
so ist sie freilich aus T. u. e. N. und der hindost. Version
anscheinend verschwunden. Doch beweist Naflj. durch
die wesentliche Übereinstimmung mit der bugischen und
allen nachfolgenden Bearbeitungen das Vorhandensein
der Stufenfolge in dem vorauszusetzenden Texte. Auch
ist ihr Fehlen in den beiden anderen Texten nur schein-
bar. Der Umstand, daß das Vöglein in T. u. e. N. den
Schatz und die Falken erst nach der Freilassung zeigen,
und daß es in der hindost. Version die dritte Lehre eben¬
falls nur unter dieser Bedingung sagen will, ist Beweis
genug, daß das ursprüngliche Verhältnis ähnlich war
wie in Nafh. Die Arb der Stufenfolge kann jene der bu-
gischen Version nicht gewesen sein, weil sowohl Nafh-
als auch die hindost. Version unzweifelhaft auf die erste
Stufe ,,Hand“ hinweisen; die Darstellung der Vorlage
kann aber auch nicht jene der hindost. Version oder
gar die von T. u. e. N. (von deren späteren Zusäjtzjen
abgesehen) gewesen sein, denn dadurch würde ,die ganze
ursprüngliche Stufenfolge, welche in Nafh. noch so schön
ausgeprägt ist, zur Unkenntlichkeit verwischt worden
sein. Somit kann die Stufenfolge der gemeinsamen
Quelle nur die in Nafh- gewesen sein. — Die Reihen¬
folge der in der Vorlage erteilten Lehren ist nach dem
übereinstimmenden Zeugnisse von Nafh. und T. u. e.
N. (gegen die hindost. Version) „Bereuen“, „Glauben“.
Die Frage des Mannes nach der dritten Lehre wird für
die gemeinsame Quelle sowohl durch Nafh. und die hin¬
dost. Version als auch durch die entsprechende Stelle
in T. u. e. N., wo der Mann nach dem Schatz und dien
Falken fragt, belegt. Wie schon früher angedeutet, muß
die Vorlage die Vorspiegelung des Vogels in der Weise
gehabt haben, daß von einem Rubin, eine Unze schwer,
im Magen des Vogels die Rede war. Demgegenüber sind
die zwei Rubine mit ihrem' Gewicht von je 50 mitkäl in
Nafh. eine bei dieser sonst konservativen Bearbeitung
auffallende Neuerung. .— Darüber, wie der Mann seinen
Schmerz in der Vorlage geäußert haben mag, läßt sich
nichts Bestimmtes sagen. Die Lockung des Mannes in T.
167
u. e. N. ist wohl die zufällige Wiedereinführung des
schon länger »verlornen gleichen Motives der Barlaam-
parabel.
Nach diesen Auseinandersetzungen dürfte sich wohl
kein ernsthafter Einwand geltend machen, 'wenn wir
die für Nafl)., T. u. e. N. und die hindost. Version zu
substituierende gemeinsame Wurzel mit der als z be-
zeichneten unbekannten Version identifizieren. Was das
Alter derselben anlangt, so kann sie auf keinen Fjäll
später als in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts
entstanden sein. Denn die älteste, der aus der Erzählung
in Nafh. später hervorgegangenen kleinen Versionen,
die bei Gauzi (f 1201), gehört selbst noch in das 12.
Jahrhundert.
9. Die kleinen orientalischen Versionen
[Anhang No. 68—73J.
Nunmehr ist noch eine Reihe von klein§n Einzel¬
versionen unserer Erzählung zu besprechen, die meist
die Geschichte ganz kurz, in der Art eines abrege, geben
und in ihrer oft wörtlichen Übereinstimmung unterein¬
ander trotz mancher kleinen Verschiedenheiten einen
gemeinsamen Ausgangspunkt für sich zur Voraussetzung
machen. Gleich im vornhinein sei bemerkt, daß die
Fassung in all diesen Versionen sich enger an Naflj.
denn an irgend eine andere im Vorausgehenden bespro¬
chene Bearbeitung anschließt.
Auf eine Stufe scheinen zuvörderst folgende drei
Versionen zu stellen zu sein:
1. Die Erzählung in der Anekdotensammlung al-
Gauzf’s (f 1201) 334 ). Der Vogel heißt hier absonder-
8»*) Kitäb al-Adkijä’. Kairo 1306 (1889), pp. 178/9. Auf
diese Version hat Chauvin VI, p. 110 hingewiesen: er zitiert nach
der Ausgabe von 1277 (p. 211).
158
licherweise eine kunburah (Lerche). Die Erteilung der
Lehren soll in den Stufen: „Hand“, „Baum“, „Berg“ er¬
folgen. Von den Lehren wird zuerst „Bereuen“, dann
„Glauben“ gegeben. Auf dem Hügel angekommen bringt
der Vogel statt der dritten Lehre die Vorspiegelung,
in seinem Leibe (hausalah) seien zwei Perlen (durra-
täni), deren jede 20 mitfcäl wiege. Der Mann beißt sich
in seine Lippen. Seinem Verlangen nach der dritten
Lehre wird nicht entsprochen.
2. Die Erzählung in der syrischen Anekdotensamm¬
lung des Bar-Hebraeus (f 1286) 335 ). Der Vogel heißt
hier ‘a house-sparrow’. Die Stufen sind ‘hands’, ‘tree’,
‘rock’. Die Beihenfolge der Lehren ist ‘repent’, ‘believe’.
Die Vorspiegelung lautet: ‘thou wouldst Jbave found.
in my stomach two precious stones which are beyond
price’. Der Mann beißt sich vor Ärger in seine Finger.
Gemäß der Nutzanwendung besteht die Leichtgläubig¬
keit des Mannes darin, daß er nicht bedachte, es sei doch
noch nie ein kostbarer Stein im Bauche eines Sper¬
lings gesehen worden. Das Gewicht der beiden Edel¬
steine ist bei Bar-Hebraeus demnach nicht angegeben;
3. die Erzählung, welche mit einer großen Anzahl
anderer kleiner Geschichten in eine fragmentarische ma-
335 ) Oberhaupt der Jakobitischen Kirche von 1264—1286. Der
syrische Text seiner 727 Nummern umfassenden Sammlung wurde
mit englischer Übersetzung erst jüngst herausgegeben: The Lau-
ghable Stories Collected by Mär Gregory John Bar-Hebraeus, ed.
by E. A. Wallis Budge, London 1897, 8° (Luzac's Semitic Text and
Translation Series. Vol. I). Der syr. Text uns. Erz. p. 73 von
hinten, der englische Text p. 93 von vorne (No. 382). Hinweise bei
Köhler-Bolte, p. 576; Moritz Hartmann, in Orientalist. Lit.-Z. II
(1899), p. 341. — Bar-Hebraeus verfaßte selbst eine arabische
Übersetzung seiner ‘Laughable Stories* unter dem Titel Daf‘ al-
Hamm (Verscheuchung der Betrübnis), wovon nur wenige hss.
existieren sollen (Budge, p. XX).
159
laische Bearbeitung der Geschichte von den 10 Wesiren
(Hikäyat Baktiyär) eingeschoben ist 336 ). Ein Prinz ge¬
langt auf der Jagd in den Besitz einer Nachtigall (bul¬
bul). Die {Stufen, in welchen diese die Lehren mitteiien
will, sind ‘hand’, ‘boom’, ‘heuvel’. Die Reihenfolge der
Lehren ist ‘toben’, ‘gelooven’. Die Vorspiegelung spricht
von ‘twee juweelen, ieder van twintig miskaal’. Der
Fürst beißt sich vor Ärger auf seine Finger. Seine
Bitte um die dritte Lehre wird abgeschlagen.
Die syrische und die malaische Version sind zweifel¬
los aus einer arabischen Vorlage geflossen. Diese kann
unmöglich G’auzi gewesen sein, da er offensichtlich in
wesentlichen Punkten weniger ursprünglich ist, als die
beiden anderen Texte. Alle drei gehen demnach auf eine
gemeinsame Vorlage zurück, welche viel Ähnlichkeit mit
Nafh. gehabt haben muß, aber unmöglich mit dieser
Version identisch gewesen sein kann, da sie nach dem
übereinstimmenden Zeugnisse aller drei uns jetzt be¬
schäftigenden Texte bereits die drei Stufen „Hand“,
„Baum“, „Hügel“ gehabt haben muß, während in Nafh.
noch eine ältere Stufenfolge vertreten ist. Die gemein¬
same Vorlage, die wir mit u bezeichnen wollen, kann so
ihrerseits nach allem nur ein Ausfluß der in Nafh.
erzählten Geschichte sein, in welcher aber der erste Be¬
standteil der Erzählung, den man ja immer noch als
Fremdkörper fühlt, die Fabel von dem Vogel und der
Falle, nicht berücksichtigt gewesen sein kann. Der Vogel
Aiuß in u wie in Nafh. ein Sperling gewesen sein, den
die syrische Version im Gegensatz zu den beiden anderen
beibehalten hat. Die Reihenfolge muß “wie in Na^fh.
*W) Den Inhalt uns. Gesch. teilt mit J. Brandes, Nadere
opmerkingen over de Maleische bewerkingen van de geschieden»
der 10 vizieren etc., in Tijdschrift voor Indische Taal-, Land- en
Volkenkunde, Deel XXXVIII (1895), p. 255.
160
und den drei Ausflüssen „Bereuen“, „Glauben“ gewesen
sein. Ebenso wird die Zweizahl der Edelsteine für u
durch alle drei Versionen belegt. Als Gewicht derselben
muß u nach dem Zeugnis der arabischen und der ;ma-
laischen Version 20 mitral gehabt haben, was gegen¬
über Nafh. eine Neuerung bedeutete. Bei der Bezeich¬
nung der Edelsteine scheint u den Zusatz ‘min al-jakut’
von Nafh. zu ‘gauharatäni’ fortgelassen zu haben, wor¬
aus sich zunächst die Ausdrücke ‘juweelen’ und ‘pre-
cious stones’ der malaischen und syrischen, und in
letzter Linie auch ‘durratäni’ der arabischen Version
G'auzi’s erklären dürften 337 ). Seinen Ärger hat der
Mann in u, wie- in Nafh-, der syrischen und malaischen
Version, jedenfalls durch Beißen auf die Finger ausge¬
drückt, wogegen das Beißen auf die Lippen bei G'auzi
eine willkürliche Änderung ist. Die Abfassung der ver¬
lornen oder noch unbekannten arabischen Version u kann
wegen G'auzi (f 1201) nicht später als im 12. Jahr¬
hundert angesetzt werden.
Mit der Version von G'auzi sind, da sie wie er den
Vogel eine Lerche, den Edelstein, (bei G'auzi allerdings
zwei) eine Perle (durrah) nennen und den Mann seinen
Schmerz durch Beißen auf die Lippen zum Ausdruck
bringen lassen, näher verwandt folgende kleinere Be¬
arbeitungen :
1. Die Erzählung bei Damiri (f 1405) 338 );
2. die Erzählung bei A§§ari§i 339 );
337) Vgi oben p. 141 die Bemerkung über die Bedeutung von
gnuhar.
888 ) in dem großen Sammelwerk Hajat al-haiwän II, pp.
284/5 (Büläk 1284). Hinweise von Nöldeke, ZDMGr. L (1896), p.
306; M. Hartmann, Zeitschr. d. Ver. f. Volksk. VI (1897), p. 106;
Chauvin III, p. 103.
889 ) in der großen Bairüter Chrestomathie Magam al-adab II,
161
3. die Erzählung bei Tantavi (f 1871) 340 ), wo die
Stufenfolge verdreht ist in „Hand“, ,,Hügel“, „Baum“.
Da die Angaben, welche die kleinen arabischen Ver¬
sionen teilweise 341 ) über ihre Quellen, seien es schrift¬
liche, seien es mündliche, machen, wenig geeignet sind
uns vorwärts zu bringen, so muß auf eine vollkommene
Klärung der Abstammungsverhältnisse einstweilen wohl
verzichtet werden. Wir sind nicht unberechtigt für die
drei letztgenannten Versionen eine gemeinsame Wurzel
(v) anzunehmen, welche die Zweizahl der Perlen zuerst
vereinfacht hat. Damiri kann diese Wurzel nicht sein.
Denn wenn man, wozu man hier wohl berechtigt ist, die
bei Handschriftenvergleichungen übliche Methode auf die
Texte bei G’auzi, Damiri und Tantavi anwendet, so
ergibt sich, daß-die beiden letzteren nebeneinander auf
einen G'auzi nahestehenden Text zurückgehen müssen.
Für unsere Zwecke wird es genügen, wenn wir mit
pp. 80 ff (No. 119), worauf zuerst B. Meißner, p. 184, Anm. 1;
dann unter Beifügung einer ausführl. Inhaltsangabe M. Hartmann,,
Z. d. V. f. Vk. VI (1896), p. 270 hingewiesen hat. Da das Mün¬
chener Exemplar des Magani wohl eine Dublette zum dritten, aber
keinen zweiten Band hat, tritt für mich anstelle des arabischen
Textes die Übersetzung von M. Hartmann, die allerdings nicht an¬
gibt, welcher Art der Vogel ist; doch dürfte es sicherlich eine
Lerche sein. »
840 ) im Anhang des Traitd de la langue arabe vulgaire par
lc Scheikh Mouhammad Ayyad El-Tantavy. professeur de la langue
arabe a Tinstitut des langues orientales et a Tuniversitd impöriale
de St. Petersbourg etc. Leipsic 1848, 8°, pp. 226/7. Hinweis bei
Chauvin III, p. 103.
S41 ) Damiri beruft sich für die Erz. auf den Imäm Häfiz
Abh Bar al-Hatfb al-Bagdädl, dem sie wieder durch Dftwid Ibn
Abi Hind zugekommen sei. G’auzi gibt als Gewährsmann Ag-Sa l bi (?)
an. Solche Angaben zeigen nur, wie lebhaft derartige Geschicht-
chen im Munde der Erzähler kursierten und trotzdem ihre Gestalt
nur wenig änderten.
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel.
11
162
einiger Berechtigung einen aus G‘auzi geflossenen Text
v annehmen können, aus dem sich dann die drei oben zu¬
sammengestellten Versionen ableiten lassen.
Zu allerletzt ist noch eine Bearbeitung unserer Er¬
zählung zu besprechen, die zwar unbedenklich den
kleinen orientalischen Versionen zugezählt werden darf,
deren Einreihung in den von uns soeben fertiggestellteh
Stammbaum jedoch immerhin einige Schwierigkeit bietet.
Gemeint ist jene Version, welche bei den Awaren, einer
kleinen tatarischen Völkerschaft am Westufer des Kas¬
pischen Meeres, wahrscheinlich einem Überbleibsel jener
einst ganz Europa furchtbaren Horde, im Volksmunde
lebendig gewesen sein muß 342 ).
Der Vogel ist nicht näher bezeichnet, wir dind also
berechtigt, eine (arabische) Vorlage anzunehmen, in wel¬
cher der Vogel noch ‘u?fur genannt war. Eines der sonst
wichtigsten Kennzeichen versagt hier vollständig, da
,,Gold so groß wie ein Hühnerei“ im Magen des Vogels
sich auf den ersten Blick als nachträgliche. Änderung
zu erkennen gibt. Der Umstand, daß der Mann sich im
Ärger in den Finger beißt, bringt uns einer Entschei¬
dung schon näher, indem er uns hinsichtlich der Quelle
342 ) Die Geschichte ist in einer hs. aufgezeichnet, welche
von 'Baron Uslar in Temir-Chan-Schura vom Untergang gerettet
worden ist. Gedruckt erschien sie zuerst 1868 in Temir-Chan-Schura
mit russ. Übersetzung, 1869 ebenso in Tiflis, endlich 1873 als No.
15 der von A. Schiefner in St. Petersburg herausgegebenen Awari-
schen Texte (Memoires de TAcademie imperiale des Sciences de St.
Petersbourg, VII e serie, tome XIX, No. 6, pp. 101 ff) mit darunter¬
gesetzter deutscher Übersetzung. Über die bibliogr. Einzelheiten ver¬
gleiche dortselbst pp. I ff. — Hinweise: Köhler bei Schiefner p.
XXVI, in Anz. f. d. Altert. IX (1883), p. 405; G. Paris, Lai
(1903, pp. 241/2) gibt eine französische Übersetzung; Kuhn, p.
75; de Cock, pp. 131—133, übersetzt die Erzählung nach G. Paris
ins Holländische.
163
nur die Wahl zwischen Nafhatu 1-Jaman und dem zu
substituierenden Text u läßt. Für das erstere ent¬
scheidet dann endgültig, daß der Vogel verspricht, die
erste Lehre in der Hand des Mannes, die beiden anderen
auf dem Strauche zu erteilen. Somit haben wir in dem
awarischen Text eine Schwesterversion von u zu sehen,
die ebenfalls den fremden ersten Bestandteil der Er¬
zählung im Nafb., die Fabel von dem Vogel und der
Falle, abgestreift hat.
il
Vierter Abschnitt.
Spuren unserer Erzählung in Indien
und sonstwo.
Wir sind im vorigen Abschnitt den Forschungen
Kuhns bis hart an die Grenzen des nordwestlichen In¬
diens gefolgt und haben erfahren, daß schon um die
Wende des ersten Halbjahrtausends unserer Zeitrech¬
nung - unsere Erzählung in einer Form, die wir fast noch
in allen ihren einzelnen Zügen zu erkennen vermeinen,
als Parabel in den Pahlavi-Roman ‘Barlaam und Joa-
saph’ 343 ) verwoben war. Wenn wir auch wohl mit Kuhn
annehmen dürfen, daß der Verfasser desselben keine
indische Vorlage hatte, die den Stoff schon so, wie er ihn
brauchte, darbot, so ist doch unbestreitbar, daß die
Hauptquellen sowohl für den Rahmen als auch für die
einzelnen Parabeln (des Romanes aus der indischen Lite¬
ratur geflossen isind. Wir sollten demgemäß erwarten,
daß unsere ^Parabel sich in dem klassischen Heimat¬
lande der Parabeln und Apologe, in Indien, müßte wie¬
derfinden lassen. Aber während bei anderen Märchen
und Geschichten längst das indische Vorbild entdeckt
worden ist, blieb ein derartiger Fund in unserem Falle
leider versagt. Trotzdem hat sich noch nirgends auch
S4S ) Ich gebe hier der Bequemlichkeit halber die griechischen
Namensformen.
165
nur der leiseste Zweifel an der indischen Herkunft der
Parabel erhoben, man hat vielmehr gesucht, ob sich
nioht wenn auch entfernte Spuren unserer Erzählung
in irgend einer der großen Märchen- und Geschichten¬
sammlungen, die wir in Indien selbst oder als Ausflüsse
indischer Quellen antreffen, entdecken ließen. Freilich
sind auch diese Versuche seit Benfey, der in der Ein¬
leitung seiner Pancatantra-Übersetzung auf einige Par¬
allelen hinwies, jnicht wieder aufgenommen worden, es
haben sich eher Stimmen der Skepsis, wie G. Paris u. J.
Jacobs, über ein solches Beginnen geltend gemacht, ohne
indes dem Verfahren Benfeys positiv alle Berechtigung
abzusprechen. Wenn nun im Folgenden trotzdem neuer¬
dings daran gegangen werden soll neue Anknüpfungs¬
punkte zu suchen, oder vielmehr die alten entsprechend
auszubauen, so bin ich mir des unsicheren Bodens, auf
dem ich wandle, wohl bewußt und möchte daher, um
allen Eventualitäten vorzubeugen, den nachfolgenden
Ausführungen im vornherein nur den Wert bloßer Ver¬
mutungen beigemessen wissen.
Benfey 344 ) bringt die Parabel, allerdings ziemlich
äußerlich, zunächst mit zwei wahrscheinlich urverwand¬
ten indischen Erzählungen /zusammen. DieJ eine derselben
befindet sich im türkischen und persischen Tuti-Np,meh
(Papageienbuch) 345 ) : (ein kluger Papagei isl, in die Häinde
eines Jägers gefallen. Um sich vom Tode zu retten,
macht er den Mann mit seinen Fähigkeiten bekannt
344 ) Die Literatur für die folgenden Darlegungen ist zu¬
nächst Benfey I, pp. 380/1, 246—249, 291/2, 229/30 und sonst;
Liebrecht, Quellen, p. 332; G. Paris, Lai (1903, pp. 245—247 et
passim); Kuhn, p. 75; Jacobs, Barlaam, pp. LXXX/I, CXXI.
846 ) in Georg Rosen's Obersetzung der türkischen Version:
Tuti-Nameh. Das Papageienbuch. Eine Sammlung orientalischer
Erzählungen. Erster Theil. Leipzig 1858, 8°, pp. 136—146.
/
166
und redet ihm ein ihn zu verkaufen, da er dann einen
sehr hohen Preis für ihn erhalten werde. Der Jäger geht
darauf ein und verkauft den Vogel um schweres Geld
an den todkranken König, der sich von den Künsten des
Papageis Heilung erhofft. Der König wird tatsächlich
geheilt, den Papagei aber plagt das Heimweh. Um seine
Freiheit zu erlangen, greift er zu einer List. Er bittet
den König ihm für seine Dienste ein Hofamt zu ver¬
leihen. Der König, dadurch der Meinung geworden, der
Vogel wolle nicht mehr fort, öffnet ahnungslos den Käfig
und der Papagei entfliegt. Bestürzt versucht der König
durch schmeichlerische Worte den Entflohenen jzur Rück¬
kehr zu bewegen, aber vergebens. Der Vogel ruft ihm
vielmehr höhnisch von der Höhe eines Daches herab zu,
er werde sich nie wieder fangen lassen; weder der tö¬
richte Jäger noch der König selbst hätten seinen wahren
Wert erkannt, er verstehe sich auf alle Künste und
Zaubereien, insbesondere auf die Schatzgräberei; viel
besser wäre es für den König gewesen ihn in einem
eisernen Käfjig festzuhalten. Mit diesen Worten entfliegt
er. — In der S’ukasaptati, dem sanskritischen Grund¬
werk, findet sich diese Erzählung nicht, aber wohl nur
deshalb, weil sie einen bloßen Auszug darstellt.
Die andere mit der eben skizzierten offenbar ver¬
wandte Erzählung finden wir im Pancatantra 346 ). Sie
handelt von dem goldkackenden Vogel Simbhuka. Ein
Jäger sieht den wunderbaren Vorgang, stellt dem Vogel
nach und fängt ihn. Aber aus Furcht, die Entdeckung
des kostbaren Fanges möchte ihm den gefährlichen Neid
des Königs erwecken, getraut er sich nicht den Vogel zu
behalten und überbringt ihn mit einem entsprechenden
Berichte dem hocherfreuten König. Indes überredet ein
346 ) in der 13. Erzählung des 3. Buches; bei Benfev, Bd. II,
pp. 167/8.
167
Minister mit dem Hinweis, daß die Unmögliches be¬
hauptenden Worte des Jägers keinen Glauben verdienten,
den König den Vogel wieder freizulassen. Der entflie¬
gende Vogel läßt im Flug goldene Exkremente fallen
und verschwindet mit den höhnischen Worten: ,»Zu¬
erst war ich allein töricht, alsdann der Vogelfänger,
nachher der König samt Bäten, wahrlich ein ganzes
Narrenhaus!“
Diese Erzählung kommt erst in der jüngsten Rezen¬
sion des Paiicatantra vor und ist so sicher ein später
Zusatz, der vielleicht ein ganzes Jahrtausend später mit
dem Paiic. verworben Wurde als die Parabel !mit dem Bar-
laam. Sie zeigt mit der vorigen Erzählung ganz Auffallende
Ähnlichkeiten: ein Jägersmann fängt einen Vogel, dessen
absonderlicher Wert ihm unzweifelhaft ist, er behält in¬
des den Gefangenen nicht selbst, sondern überbringt
ihn dem Könige. Aber durch die Torheit des Königs,
der sich in dem einen Fall von dem Vogel selbst, [in
dem anderen von dem siebengescheiten Minister täu¬
schen läßt, wird der Vogel wieder befreit und offenbart
dem Könige seine Dummheit, indem er seine wahre Art
und die Größe seines Wertes scheidend kundtut. Diese
Züge müssen auch der für beide Erzählungen zu sub¬
stituierenden indischen Vorlage eigen gewesen sein. Und
da die Form im Tuti-Nameh die ältere von den beiden
ist, so gehen wir vielleicht nicht fehl, manche Einzel¬
heiten desselben, (die im Paiicatantra anders gewendet
sind, ebenfalls der Vorlage zuzuschreiben, wie z. B.
daß der Vogel durch seine eigene List den König betört,
oder daß der König einen Versuch macht den Vogel
wieder einzufangen.
Alles dieses wohl überschaut, kann es uns nicht
schwer fallen zwischen der Parabel des Barlaam und
der für Tuti-Nameh und Paßcatantra gemeinsamen Vor-
168
läge eine Reihe von ähnlichen Zügen herauszufinden.
Allerdings müßten wir, um näher an die Parabel heran¬
zukommen, den Jäger und den König in Tut. und Panc.
zu einer einzigen Person ineinanderschieben. Dann
würde sich ungefähr folgende Gestalt der Erzählung
ergeben: Ein Jäger fängt einen Vogel, dessen besonderer
Wert ihm nicht verborgen bleibt. Aber trotzdem läßt
er sich in seiner Torheit durch eine List des Vogels ver¬
leiten ihn freizugeben. Der Vogel macht ihn dann höh¬
nisch auf die Größe seines Verlustes aufmerksam, kehrt
aber trotz aller Lockungen nicht mehr zurück.
Damit haben wir eine Reihe von zusammenhängen¬
den Motiven gewonnen, die in derselben Verbindung auch
in der Barlaamparabel Vorkommen. Auch hier fängt
der Mann einen Vogel, dessen Wert ihm allein schon
aus dem Versprechen der drei Lehren offenbar werden
müßte. Allein er verpfändet sein Wort ihn freizu¬
lassen und wird dann von dem Vogel höhnisch auf den
Verlust, den ihm seine Torheit verursacht, aufmerksam
gemacht. Allerdings ist das Letzte in der Parabel nur
eine Vorspiegelung. Allein das ursprüngliche Verhält¬
nis erhellt noch aus dem Satz, mit dem in der ältesten
arabischen BarlaamVersion die Nutzanwendung beginnt:
,,Du Tor, du hättest mich nimmer freilassen sollen!“ 347 )
Diese Reihe von zusammengehörigen Motiven, die, ob¬
wohl außerhalb der Parabel stehend, dennoch mit einem
großen Teil derselben identisch ist, soll von uns kurz
‘ers'te Motivreihe, vom gefangenen Wun¬
dervogel’ genannt werden.
Das Motiv, wie eih Vogel Früchte zerstört oder
plündert und dafür gefangen, aber bald wieder freige¬
lassen wird, finden wir ebenfalls außerhalb der Barlaam-
347) Freilich ist diese Stelle für das Pahlavt-Original einst¬
weilen nicht sicher zu erweisen; siehe oben p. 126.
169
parabel in einigen orientalischen Erzählungen wieder,
die zweifellos auf eine gemeinsame indische Quelle zu-
rückgehen. Die eine derselben stammt aus einer chine¬
sischen nach indischen Vorlagen angelegten Kompilation
des 16. Jahrhunderts 348 ). Ein Papagei sorgt liebevoll
für seine blinden Eltern. Da hört er einmal, wie ein
Säemann die Aussaat im vornherein als Almosen für
die Armen gelobt. Der Papagei handelt darnach, wird
aber bei der Plünderung der Ähren von dem erzürnten
Landmann gefangen. Indessen, die Vorstellungen des
Vogels über das Ungerechte der Gefangennahme und die
Aufklärung, daß die Körner für die blinden Eltern
bestimmt seien, bewegen den Mann zur Freilassung des
Gefangenen.
Eine ähnliche Erzählung befindet sich als später
Einschub in einer der persischen Bearbeitungen des
Pancatantra nach dem Arabischem, den aus dem 15.
Jahrhundert stammenden Ä^ar-i Suhaili des Husain
Vä’iz 349 ), ferner in deren türkischen Übersetzung, dem
Humayun Nameh des Ali Tschelebi Ben Saleh 350 ). Hier
ist das Motiv der Kindesliebe nicht vorhanden. Eine
Nachtigall zerstört täglich die Knospen eines Bosen¬
busches und wird deswegen von dem erzürnten Gärtner
gefangen. Auch ihrem Zureden gelingt es den Mann zu
überzeugen, daß er wegen des kleinen Vergehens zur
348 ) mit dem Titel Yu-lin (Foret des Comparaisons), vf. v.
Youen-thai. Die betr. Erz. ‘le laboureur et le perroquet* ist n° XIII
p. 68 (vgl. pp. VIII/IX) in Les Avadänas, Contes et Apoiogues
Indiens, traduits p. M. Stanislas Julien, Paris 1859, 8°, vol. I.
3i9 ) in der Übers, von Edw. B. Eastwick, Hertford 1854,
gr. 8°, pp. 147—149; in der französischen (gekürzten) Übersetzung
des Livre des Lumieres von David Sahid d’Ispahan, Paris 1654,
pp. 114/5.
S5 °) in Galland's franz. Übersetzung: Les Contes et Fables
Indiennes de Bidpai et de Lokman, Paris 1724, pp. 69—74.
170
Gefangenhaltung oder Tötung nicht berechtigt sei, wor¬
auf denn #,uch die Nachtigall freigelassen wird 351 ). Neu
ist aber im Vergleich zur vorigen Erzählung, daß der
Vogel dem (Mann durch die Entdeckung eines Schatzes
Dai>k erzeigt 352 ); peu ist ferner die Frage des Mannes,
warum der Vogel die Schlinge nicht habe sehen können,
da ihm ja doch auch der Schatz in der Erde nicht ver¬
borgen gewesen sei, mit der Antwort des Vogels: „Gegen
das Schicksal hilft keine Vorsicht!“ 363 )
Die den beiden Erzählungen gemeinsamen Züge:
die Verwüstung der Blüten oder Früchte, die Gefangen-
351 ) Diese Erzählung hat, wie oben p. 45 berichtet, Le Grand
für die eigentliche indische Quelle unserer Erzählung gehalten. G.
Paris, Lai (1903, pp. 264/7) hat dagegen die Ansicht ausgesprochen,
daß unsere Parabel die obige Geschichte beeinflußt habe, eine Be¬
hauptung, die namentlich wegen des jungen Alters der Anvar-i
Suh. im Vergleich zum Barlaam durchaus nichts Unmögliches
besagt.
352 ) Dasselbe Motiv ist mit einer arabischen Einzelversion
organisch verbunden; vgl. oben p. 151.
353 ) Daß dieser letztere Teil nicht ursprünglich mit dem
Übrigen verbunden war, zeigt sein einzelnes Vorkommen in anderen
oriental. Werken, z. B. in Fäkihatu ’l-hulafä'i (ed. Freytag, pp.
91/2): ‘la huppe qui, avertie d‘ailleurs par un imäme comprenant
son langage, connait le piege, mais qui y tombe cependant, parce
qu’ainsi le veut le destin* (Chauvin), und im Merzbäne Nämeh
(Chauvin II, p. 213). In Verbindung mit dem Schatzzeigen als Lohn
für Loskauf aus fremder Gefangenschaft findet sich sodann das
,,Schicksalsmotiv“ im Kaliiah wa-Dimnah jüngerer Rezension (in
der Übersetzung von Phil. Wolff Das Buch des Weisen in lust-
u. lehrreichen Erzählungen des ind. Philos. Bidpai. 2. Aufl. 1.
Theil. Stuttgart 1839, pp. 119—121) und in den Anvar-i Suh.
(Eastwick, pp. 645/6), so daß es im letzteren Werke zweimal er¬
scheint. — Das ,,Schicksalsmotiv“ hat sich in die Parabel des
hebr. Barl, verirrt und ist von Weisslovits (p. 113) benützt wor¬
den um für Chisdai eine größere Ursprünglichkeit zu beanspruchen
als die anderen Orient. Barl.-Vers., da diese Stelle direkt nach Indien
weise. Doch findet sie sich, wie man sieht, auch sonst im Orient.
171
nähme, das gütliche Zureden des Vogels und die endliche
Freilassung, finden wir alle in derselben Anordnung
auch in 4 er Parabel des Barlaam wieder. Wir können
sie kurz ,als ‘zweite Motivreihe, vom plün¬
dernden Vogel’ bezeichnen. Legen wir die beiden
außerhalb der Parabel aufgefundenen Motivreihen zu¬
sammen, so ergibt sich beinahe das vollständige Ge¬
rippe der Parabel. Nur die drei Lehren fehlen noch.
Was diese anlangt, so ist zu ihnen von keinejm
Forscher noch eine Parallele aus Indien seihst beige¬
bracht worden, wenn man vielleicht von dem ganz all¬
gemein gehaltenen Hinweis Benfeys auf die in indischen
Schriften mehrfach hervortretende Wertschätzung von
Sprüchen, die sich in unserer Erzählung offenbare, ab¬
sieht. Aber mit Recht hat dann Jacobs 354 ) betont, daß
‘there is nothing specifically Indian in those ideas’. Das
könnte uns veranlassen, den Blick fremden Literaturen
zuzuwenden, um zu sehen, ob sich bei einem Volke, das
jemals Beziehungen literarischer Art mit Indien unter¬
halten hat, etwas Ähnliches wie unsere drei Lehren
findet. Wir brauchen nicht lange zu suchen, denn das
griechische Altertum weist ein ganz auffallendes Ana¬
logon 355 ) auf, für welches das älteste Zeugnis die 53.
Fabel des (Babrios 356 ) ist. Ein alter Fuchs ist einem
Wolfe in die Hände gefallen' und bittet ihn um sein
Leben. Der Wolf schwört bei Pan ihn zu schonen, wenn
er ihm drei Wahrheiten sage. Der Fuchs: ,,Hätt’ ich nie
854 ) Barlaam, p. LXXXI.
35ö) zuerst von Roth, p. 140 Anm., neuerd. von Chauvin III,
p. 104, VI, p. 110 zu unserer Erzählung bezogen.
366 ) Hartung, Babrios u. die ältesten Jambendichter, Leipz.
1858, 8°, pp. 86/7 (mit deutsch. Übersetzung); O. Crusius, Babrii
Fabulac Aesopeae etc., Lipsiae (Teubner) 1897, 8°, p. 51, vgl
p. 287.
172
von dir gewußt! O wärest du blind gewesen, ehe wir
uns kannten! Möchte dich der Henker bald holen, und
ich nur nie mehr etwas mit dir zu tun haben!“ Hier
bricht die Fabel kurz ab. Die Lehre lautet: oxc JioXXaxig
ai jieQioräoeis Jieqpvxaai xai nagä yvw/urjv xd oiyrjg &£ia eig
rovjU(pav£G äyeiv. Auch im griechischen Prosa-Äsop, der wie es
scheint, auf Babrios zurückgeht* 57 ), treffen wir diese Fabel,
und zwar zweimal: das erstemal 358 ) ungefähr in der¬
selben Fassung wie bei Babrios, das anderemal 359 ) in
einer etwas veränderten Gestalt, und zwischen einem
Wolf und einem Kind sich abspielend. Es wird aus¬
drücklich erklärt, daß der Wolf xd äyjsvdeg avxov anerkennt,
und das Kind freiläßt. Demgemäß heißt auch die Lehre:
dxi noXXdxig fj äXtj&eia xai nagä. TioXe/uioig loyvei 960 ).
357 ) Jacobs, Aesop I (Pedrigee).
S5S ) Fabulae Aesopicae Collectae ex recognitione Caroli Halmii,
Lipsiae (Teubner) 1852, 8°, p. 132, No. 271.
359 ) Halm, pp. 132/3, No. 271 .
36 °) Einschaltungsweise sei hier erwähnt, daß diese Fabel
auch dem Mittelalter nicht unbekannt blieb und manche Neube¬
arbeitung erlebte, die wegen ihrer Ähnlichkeit mit unserer Erz.
des öfteren als Ausflüsse von ihr angesehen worden sind, ohne
daß ein nachträglich wieder enger gewordener Zusammenhang sich
in Abrede stellen ließe. Sonderbarerweise handelt es sich in diesen
mittelalt. Bearb. um einen Wolf, alias Fuchs, der drei Wahrheiten
(nicht Weisheiten wie in uns. Gesch.) als Fergenlohn gibt. Am
reinsten hat den Sinn der alten Fabel noch der Romulus Anglicus
Hervieux* [t. II (18942), pp. 640/1, n° CXXI ‘de lupo et nauta’J,
wo der nauta nichts anderes fordert als ‘tria vera mihi dicas pro
precio*; die vera selbst lauten: ‘bene facit qui benefacit*, ‘qui sic
non facit, peius facit*, ‘quidquid boni fit perverso, perditum est
ex integro*; das letzte verum deutet den Sinn an, welchen die
mittelalt. Fabel neu erhalten hat. Ähnlich ist die 79. Fabel der
Marie de France ‘dou leu et d’un vilein* (Roquefort II, pp.
324—326). Der vilein ist nichts anderes als ein batelier; statt
‘tria vera* heißt der Ausdruck hier, schon an die Parabel an¬
genähert, ‘treiz paroles de saveir*, diese sind aber so wie die
173
Diese griechische Fabel nun ist möglicherweise nach
Indien gelangt, dort in didaktischem Sinne umgewandelt
und mit den oben festgestellten beiden Motivreihen zu
einem Ganzen, unserer Parabel, verknüpft worden. Ge¬
wiß ist, daß griechische Fabeln namentlich seit der
Zeit Alexanders und der Diadochen nach dem Osten
fewandert sind. Eine beträchtliche Anzahl von den im
Pancatantra vorkommenden Fabeln stammt tatsächlich
vera im Romulus Anglicus; Moral: verkehre nicht mit Schurken»
du wirst übel dafür belohnt. Dieselben Wahrheiten hat ^och eine
fabula rhythmica ‘de lupo |Kßnitentiam agente* (bei Th. Wright,
A Selection of Latin Stories, Lond. 1842, 8°, pp. 170/1), welche
sich aber am Anfang ebenfalls von der ursprünglichen Fassung
entfernt und uns. Erzählung sich annähert: ‘genitor meus prophe-
tavit; tria quondam monita mihi commendavit, — haec monstrabo
licet fieri secreta, rogavit’. — Diese drei Bearbeitungen würden
nach dem Stammbaum von Jacobs Derivate des Phaedrus sein, so
daß auch dieser klassische Autor die alte Fabel von den drei
Wahrheiten gehabt hätte. — In anderen mittelalt. Fabelbüchern,
so bei Odo von Sherrington und Johannes von Sheppey (Hervieux
IV, p. 218, n° XLVI; p. 431) hat sich der Wolf in einen Fuchs
verwandelt, die drei Wahrheiten sind ganz verschwunden, aber der
Sinn der Fabel: qui malo servit servitium suum perdit ist wie
in den früh. Bearb. geblieben. — Dazu sind außerdem zu ver¬
gleichen die von G. Paris, Lai (1903, p. 247 Anm. 1), der diese
Gruppe irrtümlicherweise für ‘une sorte de parodie de notre conte’
hält, genannt. Bearb.: Pauli, Schimpf und Ernst No. 380, u.
Libro de los Gatos No. 49; dann alle Vers., welche Le Grand zur
Fabel der Marie de France aufzählt [t. IV, pp. 44/5: Poggio,
Chasse-ennui, Gibeciere de Mome, Courier facätieux, Faceticux
Biveille-Matin, Passa-tempo de ’Curiosi: batelier et komme; Tresor
des R6creations, Fameux Arlotte, Contes de Desperriers, Facetiae
Frischlini: pelerin et aubergiste ]. Ebenfalls im Zusammenh. mit
uns. Par. hat dann schon E. du Meril (p. 146, Anm. 2) auf Kap.
58 des Vulgärtextes der Gesta Romanorum verwiesen, wo ‘on voit
aussi un homme racheter sa vie en disant trois vdrites*; dazu
vergleiche man die Nachweise, welche H. österley zu diesem Kapitel
in seiner Ausgabe der Gesta geliefert hat.
174
aus äsopischen 361 ). Daß dann aus den drei Wahrheiten
der griechischen Fabel in der indischen drei Weisheiten
geworden wären, würde zu dem Charakter der indischen
Fabel 362 ) ganz gut passen, es würde dadurch auch das
äußere Gefüge der griechischen Fabel dadurch nicht
geändert worden sein: - Freiheits- und Lebenserkaufung
durch drei Worte 363 ).
Verfolgen wir unsere Idee weiter, so müßte die nun¬
mehr auch in den drei Worten didaktisch gewordene
Fabel mit den oben skizzierten zwei Motivreihen in dem
Kopfe eines phantasiebegabten und märchenkundigen Be¬
arbeiters in ein Ganzes verschmolzen worden sein, wobei
denn Fuchs (oder Kind) und Wolf der Fabel durch 1
Mann und Vogel der beiden Motivreihen verdrängt wor¬
den wären. Freilich hat 364 ) sich diese Zusammenschwei¬
ßung doch nicht ganz schlackenlos bewerkstelligen las¬
sen. Die drei Weisheiten hatten nämlich neben ihrem
361 ) Benfey I. pp. X, XXI.
362 ) Benfey I, p. XXI: ,.Während das äsop. Kunstwerk die
Tiere ihrem eigenen Charakter entsprechend handeln ließ, behan¬
delte sie die indische Fabel, ohne Rücksicht auf ihre spezielle
Natur, gewissermaßen wie in Tiergestalt verhüllte Menschen. Da¬
zu mag teils die wesentlich — und in Indien nur — didakt.
Natur der Tierfabel beigetragen haben, teils auch der in Indien
herrsch. Glaube an die Seelenwanderung.“
36S ) ‘Thre proverbis payed for raunsoun ’ist noch für Lyd-
gate (v. 38) der Hauptinhalt der von ihm so ausf. behänd. Gesch.,
und der Vers paßt ebensogut auf die altgriech. Fabel wie auf die
Parabel des Barlaam.
3ö4) Trotz des Indikativs hier soll das natürlich auch nichts
anderes als Vermutung sein. — Übrigens ist es ebenso wahrschein¬
lich, daß das Motiv vom plündernden Vogel erst mit der Parabel
dos arabischen Barl, verknüpft worden ist, als daß dies schon
in der Urform der Parabel geschah. Vgl. oben p. 120 Anm.
175
didaktischen Zlweck (noch einen Nebenzweck, der sich
mit jenem nicht ganz vereinbaren ließ, der aber durah
die erste Motivreihe bedingt war: Die drei Leeren ver?-
traten zu gleicher Zeit die Stelle der List, durch welche
sich der Vogel in der ersten Motivreihe die Freiheit
verschaffte. Daher der auffallende Hohn des Vogels am
Schluß: Du Tor hättest mich überhaupt nicht freilassen
sollen, ein Satz, der an und für sich geeignet wäre, dem
Wert der drei Lehren in den Augen des Mannes so¬
wohl wie auch des Lesers Abbruch zu tun 365 ). Die Stelle
der ersten Motivreihe, in welchem der Vogel dem Ge¬
täuschten höhnisch seinen wahren Wert und den an
ihm erlittenen Verlust offenbart, ist ebenfalls mit in
die Neubildung übergegangen, aber da durch sie der
Wert der drei Lehren illusorisch geworden wäre, wenn
der Vogel Tatsächliches berichtet hätte, so mußte sie
zu einer bloßen Vorspiegelung gemacht werden, welche
zu gleicher Zeit dazu diente den Mann auf die Probe zu
stellen und dadurch das Motiv seiner Torheit, welches
namentlich in der ersten Motivreihe so stark betont
war, aber durch die Freilassung des Vogels auf das
Versprechen wirklich gediegener Lehren hin nahezu aus¬
geschaltet worden wäre, zu erhalten. All dieses mecha¬
nische Getriebe wurde natürlich ins Werk gesetzt von
dem schöpferischen Gedanken des Autors, auf dessen
Wink sich die einzelnen Teile zu einem harmonischen
Ganzen zusammengliederten.
Auf diese Weise könnten wir uns etwa die Ent¬
stehung der Parabel des Barlaamromanes, die mit diesem
365 ) Doch ist diese Stelle für den Pahlavi-Roman nicht ge¬
sichert. Vgl. oben p. 125, wo eine andere mögliche Erklärung dieser
Stelle gegeben worden ist* — Die griechische kunstvolle Bearbeitung
des Barlaam hat diese letzte Schlacke der Parabel beseitigt.
176
und dann auch für sich allein in so vielen Zungen und
beinahe in allen Weltgegenden erzählt worden ist, ver¬
mutungsweise erklären: ein griechisches Pflänzchen, im
indischen Wundergarten gezogen und veredelt, das sich
in reicher Fülle durch alle Länder zu Nutz und Freud
von Tausenden verbreitet.
Anhang: Texte
No. 1. Lydgate: The Chorle and the Bird.
J. O. Halliwell, A Selection from the Minor Poems of Dan John
Lydgate, London 1840, 8° (Percy Society) pp. 179 ff. — Elias
Ashmole, Theatrum Chemicum Britannicum, London 1652, 4°, pp.
213 ff. Emendationen vorgeschlagen von Paul Sauerstein, Über
Lydgate’s Äsopübersetzung, Halle 1885 (Diss.) p. 13; von E.
Gattinger, Die Lyrik Lydgate’s, Wien u. Leipz. 1896, 8° (Wien.
Beitr. IV), pp. 84/6 u. v. G. Schleich, Über die Quelle von Lyd-
srate’s Gedicht The Chorle and the Bird, in Herrigs Archiv Io
(1897), pp. 425—435.
1. Problemys of olde likenese and figures,
Whiche proved been fructuous of sentence,
And have auctoritö grownded in scriptures,
By resemblaunces of nobille apparence,
Withe moralitäs concluding on prudence, 5
Like as the Bibylle, rehersithe by writing,
How trees somtyme chese hemself a kyng.
2. First in their choise thay named the olive
To reigne amonge hem, Judicum dothe expresse,
But he hymselfe gan excuse blyve, 10
He myghte not forsake his fatnesse
Ner the figge tree his amorows swettnes,
Ner the vyne his holsom fresshe talage,
Whiche geveth comforte to al maner age.
8. And semlably Poetis Laureate,
By dyrke parables ful convenient,
Feyne that birddis and bests of estate,
As royalle egles and lyons, be assent
Sent out writtes to holde a parlement,
And made degrees, brefly for to saye,
Some for to have lordshippe and some for obeye.
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel.
15
20
12
178
4. Egles in the eyre highest take hir flighte,
Power of lyouns on the grounde is sene,
Cedre among trees highest ys of sight.
And the iawrer of nature is ay grene, 25
Of flowres all Plora goddes and quene:
Thus of al thing ther beene diversit6s,
Some of estate and some -of lowe degrds.
5. Poetes writen wonderfulle liknesses,
And under covert kepe hemself ful closse; 30
They take bestis and fowles to witnesses,
Of whos feyninges fabilles first arosse.
And here I cast unto my purpose
Out of the Frenssh a tale to translate,
Whiche in a paunflet I redde and saw but late. 35
6. This tale whiche I make of mencioun,
In gros rehersethe, playnly to declare,
Thre proverbis payed for raunsoun
Of a faire birdde that was take in a snare,
Wondir desirous to scape out of hir care. 40
Of myne au tour folwyng the processe,
So as it fei, in order I shal expresse.
7. Whilom ther was in a smal village,
As myn autor maketh rehersayle,
A chorle the whichie hadde lust and grete corage 45
Within hymself, be diligent travayle
To array his gardeyn withe notable apparayle
Of lengthe and brede yeliche square and longe,
Hegged and dyked, to make it sure and strong.
8. Alle the aleis were made playne with sond, 50
The benches coverid with newe turvis grene,
Sote herbes, withe condites at the honde,
That wellid up agayne the sonne shene,.
Lyke silver stremes, as any cristalle clene,
The burbly wawes up ther on boyling. 65
Eounde as byralle ther beamys out shynynge.
9. Amyddis the gardeyn stode a fressh Iawrer,
Theron a bird, syngyng bothe day and nyghte,
With shynyng fedres brightar than golde weer,
179
Whiche with hir song made hevy hartes lighte. 60
For to beholde it was an heyenly sighte,
How toward evyn and in the dawnyng
She dyd her payne most amourous to synge.
10. Esperus . enforced hir corage
Toward evyn, whan Phebus gan to west,
Among the braunches to hir avauntage
To syng hir complyn, and than go to rest,
And at the rysing of the quene Alcest
To synge agayne, as hit was hir due,
Er ly on morowe the day sterre to salue. 70
11. It was a verray hevenly melodye
Evyne and morowe to here the byrddis songe.
And the soote sqgred armonye
Of uncouthe warblys and tunys, drawenon longe
That al the gardeyne of the noyse rong: 75
Til on a morwe, whan Tytan shone ful eiere,
The birdd was trapped and kaute with a pantere.
12. The chorle was gladde that he this birdde
Mery of chere, of looke and of visage.
And in al haste he caste for to make
Within his house a pratie litelle cage
And with hir songe to rejoise his corage,
Til at the last the sely birdde abrayde
And sobirly unto the chorle she sayde:
13. ‘I am now take and stand undir daunger,
Holde straite, that I may not flee.
Adieu, my songe and alle notes clerel
Now that; I have lost my liberte,
Now am I thralle that somtyme was fre:
And trust, while I stand in distresse,
I canne not synge ner make no gladnesse.
14. And thowe my cage forged were of golde.
And the pynacles of birrale and cristall:
I remembre a proverb, said of olde:
Who lesethe his fredam, in faith he loseth all. 95
For I hadd levyr upön a brauüche smale
hadde take,
80
85
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180
Merely to synge amonge the wodesi greine
Than in a cage of golde brighte and shene.
lö. Song and prison have noon acoordaunoe.;
Trowest thou I wolle synge in prisoun? 100
Song procedethe of joy and of plesaunce,
And prison cause the dethe and destruecioun;
Rynging of fetires makethe no mery sown.
Or how shulde he be glädde or jocounde
Agayne his wylle, that lighte in chaynes bounde? 105
16. What avaylethe it a lyon to be kyng
Of bestes, alle shette in a towre of stone,
Or an egle, undir strayte kepyng,
Called also king of fowles everichone?
Fy on lordshippe, whan libertö is gone! 110
Answere herto and lat it not asterte:
Who syngeth merily that syngeth not of herte?
17. But if thou wilt rejoise of my syngyng,
Lat me go flye free from al daunger,
And every day in the mornyng 115
I shall repayre unto thi lawrer
And freshly syng withe lusty notes clere
Undir thy chambire or afore thyne halle
Every season, whane thou list me calle.
18. To be shett up and pyned undir drede 120
Nothing accordethe unto my nature.
Thouhe I were fedde with mylke and wastelbrede.
And soote cruddes browte unto my pasture,
Yet had I lever to do my besy eure,
Erly in the morowe to shrapyn in the dale 125
To fynde my dyner amonge the wormes smale.
19. The laborare is gladdare at his ploughe
Erly on morne to fede hym withe bacon,
Than sum man is that hathe tresoure inoughe
And of alle deyntes plentö and foison, 130
And no fredom with his possessioun
To go at large, but as bere at the stäke
To passe his boundis but if he leve iake.
181
20. Take this aunswere for full conclusion:
To synge in prison thou shalt me not constrayne, 135
Till I have fredpm in wodes up and downe
To flien at -large on boughes rough and playne.
And of resoun thou shuldest not disdayne,
Of my desire but laugh and have good game;
But who is a chorle wolde eche man were the same.’ 140
21. ‘Wele’, quod the chorle, ‘syth it will not be
That. I desire, as be thy talkyng,
Magry thi will thou shalt chese on of thre:
Withinne a cage merily to synge,
Or to the kechen I shall thy body bringe, 145
Pulle thi fedris that bene so brighte and clere,
And aftir rooste and baake to my dyner.’
22. ‘Than’, quod the birrdde, ‘to resoun saye not nayl
Towching my songe a fülle aunswer thou haste ;
And when my fedres pulled been away, 150
Yf I be rosted outher bake in paste,
Thou shalt of me have a fülle smal repaste.
But yf thou wijt werke by my conseille,
Thou mayest by me have passing gret availe.
23. Yf thou wilt unto my rede assent 165
And suffre me go frely fro prisoun
Without raunsoun or ony other rent,
I shal the yeve a notable gret gwerdoun,
Thre grete wysdoms according to resoun,
More of valewe, take hede what I do profre, 160
Than al the gold that is shet in thi cofre.
24. Trust me wele, I shall the not disceyvel’
‘Wele’, quod the chorle, ‘teile oon, anone let sei’
‘Nay’, quod the byrdde, ‘thou must afore conceyve:
Who that shal teche must of reason go free. 165
It sittethe a maister to have his über16
And at large to teche his lesson.
Have me not suspecte, I mene no tresonel’
25. ‘Well*, quod the chorle, ‘I holde me content,
I trußt the promys which thou hast made to me.’ 170
The birdde fley forthe, the chorle was of assent.
176
%
und dann auch für sich allein in so vielen Zungen und
beinahe in allen Weltgegenden erzählt worden ist, ver¬
mutungsweise erklären: ein griechisches Pflänzchen, im
indischen Wundergarten gezogen und veredelt, das sich
in reicher Fülle durch alle Länder zu Nutz und Freud
von Tausenden verbreitet.
Anhang: Texte.
No. 1. Lydgate: The Ghorle and the Bird.
J. O. Hailiwell, A Selection from the Minor Poems of Dan John
Lydgate, London 1840, 8° (Percy Society) pp. 179 ff. — Elias
Ashmole, Theatrum Chemicum Britannicum, London 1652, 4°, pp.
213 ff. Emendationen vorgeschlagen von Paul Sauerstein, Über
Lydgate’s Äsopiibersetzung, Halle 1885 (Diss.) p. 13; von E.
Gattinger, Die Lyrik Lydgate’s, Wien u. Leipz. 1896, 8® (Wien.
Beitr. IV), pp. 84/5 u. v. G. Schleich, Über die Quelle von Lyd-
siate’s Gedicht The Chorle and the Bird, in Herrigs Archiv Ic
(1897), pp. 425—435.
1. Problemys of olde likenese and figures,
Whiche proved been fructuous of sentence,
And have auctorite grownded in scriptures,
By resemblaunces of nobille apparence,
Withe moralit&a concluding on prudence, 5
Like as the Bibylle, rehersithe by writing,
How trees somtyme chese hemself a kyng.
2. First in their choise thay named the olive
To reigne amonge hem, Judicum dothe expresse,
But he hymselfe gan excuse blyve, 10
He myghte not forsake his fatnesse
Ner the figge tree his amorows swettnes,
Ner the vyne his holsom fresshe talage,
Whiche geveth comforte to al maner age.
3. And semlably Poetis Laureate,
By dyrke parables ful convenient,
Feyne that birddis and bests of estate,
As royalle egles and lyons, be assent
Sent out writtes to holde a parlement,
And made degrees, brefly for to saye,
Some for to have lordshippe and some for obeye.
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel.
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And toke hir flighte upon the lawreer tre.
Than thought she thus: ‘Now that I stand fre,
With snares, panters I cast not al my lyve
Ner withe no lyme twygges ony more to stryve. 175
26. He is a fole that scaped is daunger
And broken his fetres and fled is fro prisoun,
For to resort; for brent childe dredethe fire.
Eche man beware of wisdom and resoun
Of sugre strowed that hydethe fals poysonl 160
Ther is no venome so parlious in sharpnes
As whan it hathe of treacle a lyknes.
27. Who dredeth no parelle in parelle he shal falle;
Smothe waters ben ofte sithes depe;
The quayle pype can moste falsly calle, 185
Till the quayle undir the net doth crepe;
A blery-eed. fowler trust not though he wepe,
Eschewe his thombe, of weping take noon hede,
That smale birddes can nype be the hede.
28. And now that I such daungeres am escaped, 190
I wil t>e wäre and afore provide
That of no fowler I wil no more be japed;
From their lyme twygges I will flee fer asyde;
Where perell is, gret perelle is to abyde.
Come nere, thou chorle, take hede to my speche, 195
Of thre wisdoms that I shal the teche!
29. Yeve not of wisdom to hasty credence
To every tale nor to eche tyding,
But considre of resoun and prudence:
Among talis is many gret lesyng; 200
Hasty credence hathe caused gret hyndring;
Reporte of talis and tydinges broute up newe
Maketh many a. man to beholde untrewe.
bO. For oon partie take this for thy rounsoun.
Lerne the secund grownded in scripture: 205
Desire thou nott be no condicioun
Thing which is impossible to recurel
Wordly desires stand alle in aventure,
183
And who desireth to clymbe high on lofte
By soden torne felethe ofte his fal unsofte 210
31. The thirdde is this: beware bothe even and morowe,
Borget it not, but lerne this of me:
For tresoure loste make never to gret sörowe,
Which in no wise may not recovered bei
For who takethe sorowe for losse in that degr6 216
Reknethe first his losse and aftir rekneth his peyne
And of oon sorowe makethe he sorowes tweyne.'
32. Aftir this lessone the birdde begane a songe,
Of hir escape gretly rejoysing.
And she, remembryng also of the wrong 220
Don by the chorle first at hir takynge,
Of hir affray and hir enprisonyng,
Gladde that she was at large and out of drede,
Said unto hym, hovyng above his hedde:
33. ‘Thou were’, quod she, ‘a very naturall fole 225
To suffre me departe of thy lewdnesse;
Thou oughtest oft to complayne and make dole
And in thyne herte to have gret hevynesse
That thou hast loste so passing gret richesse
Whiche myght suffice, by valewe in rekenyng, 230
To pay the raunsoum of a myghty kyng.
34. There is a stone whiche qalled . is jagounce,
Of olde engendred withinne myne .entrayle,
Whiche of fyne golde peyssethe a gret unce,
Cytryne of colour, lyke garnettes of entayle, 236
Which maketh men victorious in batayle,
And who so ever bere on hym this stone
Is fully assured agayne his mortal foone.
36. Who that hathe this stone in possessiou
Shal suffre no povert ner indigence, 240
But of tresour have plent6 and foysoun.
And every man shal do hym reverence,
And non enemy shal do hym offence.
But fro thyne handis now that I am gone,
Pleyne if thou wilt, for thi parte is hone.
245
*) (35a. Ab y the abrayde her before,
Of a stone now that I had:
The wych now thow hast forlore;
Be alle reson thow schuldys ben sad,
And in thi hert nothyng glad:
Now chorle y the tel in my device,
I was eyred and bred in swite Paradyce.
35b. Now mo namys y schal the tel,
Of my stone that y cal Jagownce:
And of hys vertuis with hys smel;
That ben so swete and so odeferous,
Wyth Ennock and Ely hath be my servis:'
My swete songe that sowndeth so scherpe,
Wyth Angelles voyse that passeth eny harpe.
36c. The nigrum deamond that ys in Morienis sees
And the white Charbonkkel that rolleth in wave;
The setryne Reby of ryche degrees:
That passeth the stonys of comen sawe,
In the Lapidery ys grown by olde lawe;
He passeth all stonys that ys under hevyn,
After the cowrse of kynde by the Planets sevyn.
35d. Hyt ys for none Chorle to have schuch tresour,
That exsedeth alle Stonys in the lapidery:
And of alle vertuis he bereth the flowr,
Wyth all joy and grace yt maketh man mery,
That in thys worlde schal never byn sory;
Now very Chorle thow passeth thy gras,
Y am at my leberte even as I was.
35e. As Clerkys fyndeth in the Bybell,
At Paradys yatis whan he was cast;
By an Angel both fayr and styll,
A downe Kyng Elysawnder ther I threst,
And of all stonys yt was y lest;
Soche stonys in place few ben y brought,
Soroful ys the Chorle and hevy in hys thowte.
*) Diese pnd die folg, eingeklammert. Strophen sind
Ashmole eingesohoben.
185
35f. Now more Chorle yt tel y can,
And thow wolt to me take hede:
The Byrde of Ermes ys my name,
In all the worlde that ys so wyde,
Wyth gletering of grace by every syde,
Hose me myght have in hys covertowr,
He wer rychcher than eny Emperowr.
35g. Elysawnder the conquerowr my Stone smot downe.
Upon hys helme whan hyt pyght:
No mor then a pese that ys so rownde,
Hyt was ther to manys syght,
That leyde so pleyne the manly Knyght;
Now y tel the wyth melde Stevyn,
Thys myghty grace oam owte fro Hevyn.j
36. It causethe love, it makethe men gracious
And favorable in every mannys sighte,
It makethe acorde betwene folke envyous,
Comforteth sorowfull and maketh hevy hertes lighte,
Lyke topasion of colours sonnyssh bright. 250
I am a foole to teile al at ones,
Or to teche a chorle the price of precious stones.
37. Men shuld not put a precious margarite,
As rubies, saphires, or othir stones Ynde,
Emeraudes ner rounde perles whi(gh)te 255
Byfore rüde swyne that loven draffe of kynde;
For a sowe delightethe, as I fynde,
More in foule draffe hir pigges for to glade
Than in al the perr6 that comethe out of Garnade.
38. Eche thing draweth unto his semlable, 260
Fysshes in the see, bestes on the stronde;
The eyere for fowllis of nature is convenable,
To a ploughe man for to tille the londe,
And to a chorle a mokeforke in his honde.
I lese my tyme ony more to tarye 265
To teil a churle of the lapidarye.
39. That thou haddest thou gettest never agayne;
Thi lyme twiggys and panters I defye;
To lete me go thou wäre foule over sayne,
18 Ü
To lese thi richeise only of folye. 270
I am now fre to synge and to flye
Where that me lust, and he is a foole at alle
That gothe at large and makethe hymself thralle.
40. To here a wisdom thyn eares been half deef,
Lyke an asse that listithe on an harppe;
Thou mayst go pype in an yve leffe;
Better is to me to synge on thornes sharppe
Than in a cage withe a chorle to carppe;
For it was sayd of folkes yore a gone;
A chorles chorle is ofte wo begone.'
[40b. Now Chorle y have the her tolde,
My vertuys her wyth grete experience;
Hyt were to sume man better than Golde,
To the yt ys no fructius a sentence,
A Chepys Croke to the ys better than a Launce:
Adew now Globbe wyth herte sore,
In Chorles clowchys com y never more.J
41. The chorle feit his herte parte in twayne,
For verray sorowe, and asondire ryve.
‘Alias!’ quod he, T may wele wepe and pleyne,
As a wreche never lyke to thryve,
But for to endure in povert al my live. 285
For of foly and of wilfulnesse
I have now lost al holy my richesse.
42. I was a lorde, I crye out of fortune,
And hadde gret tresoure late in my keping
Whiche myghte have made me long to contynu- 290
With that stone to have lyved lyke a kyng;
Yf that I hadde sett it in a ryng,
Borne it on me, I hadde had goode inowe,
Than shuld I no more have goon to the ploughe.’
43. Whan the birdde sawe the chorle thus murne 295
And houghe that he was hevy of his chere,
She toke hir flighte and gan agayne retorne
Towards hyin and said as ye shal here:
‘O dul chorle wysdoms for to lere!
275
280
187
That I the taughte al is lefte behynde, 300
Raked away and clene out of thy -mynde.
44. Taughte I the not thies wisdam in Sentence,
To every tale broughte to the of newe
Not hastily to yeve therto credence
Unto tyme thou knew that it were trewe? 306
Al is not golde that shynethe goldisshe hewe,
Nor stonys al by nature, as I fynde,
Be not saphires that shewethe colour Ynde.
45. In this doctryne I loste my laboure
To teche the suche proverbis of substaunce; 310
Now mayst thou see thyn owne blynde errour,
For al my body peyssed in balaunce
Weiethe not an unce. Hude is thi remembraunce;
I to have more payce closyd in myne entrayle
Than al my body set för countirvayle I 315
46. Al my bodye weieth not an unce;
Hough myght I than have in me a stone
That peyssith more than dothe a gret. jagounce?
Thy brayne is dul, thy witte is almoste gone;
Of thre wisdoms thou hast forgetyn oon: 320
Thou shuldest not after my sentence
To every tale yeve hastily credence.
47. I badde also: beware bothe even and morowe,
For thiiig lost of soden aventure
Thou shuldest not make to mekelle sorowe, 325
Whan thou seest thou mayst not it recure.
Here thou faylest which doste thi husy eure
In thi snare to .kache me agayne;
Thou art a fole, thi labour is in vayne.
48. In the thirdde also thou doste rave; 330
I badde, thou shuldest in no manner wyse
Coveyte thing the whiche thou maist not have;
In whiche thou hast forgetyn myne empryse.
That I may Sey, pleynly to devyse:
Thou hast of madnesse forgöten al thre 335
Notable wysdoms that I taughte the.
188
„49. It wäre but foly withe the more to carpe
Or to preche of wysdoms more or lasse;
I holde hym madde that bryngeth forth his harppe
Therone to teche a rüde fordulle asse; 340
And madde is he that syngeth a fole a masse;
And he is moste madde that doth his besynesse
To teche a chorle the termys of gentilnesse.
50. And semlably in Apprille and in May,
Whan gentille birddes most make melodye,
The cokkowe synge can than but oon lay,
In othir tunes she hathe no fantasye.
Thus every thing, as clerks do specifye,
As frute and trees, and folk of every age,
Fro whens they come, thei take a tallage.
51. The vintere treteth' of his holsom wynes,
Of gentille frute bostethe the gardener,
The fyssher casteth his hokes and his lynes
To kache fyssh in every fressh rever,
Of tilthe of londe treteth the boueer,
The gentylman tretyth of genterye,
The chorle de lytith to speke of ribaudrye.
62. Al oon to the a faucon and a kyte,
As good an owle as a popingaye,
A downghille doke as deyntd as a snyte.
Who servethe a chorle hathe many a carfull day.
Adewel sir chorle farwelel I flye my way.
I caste me never aftir my life anduring
Afore a chorle any more to syngl’
63. Ye folke that shal this fable se or rede, 865
New forged talis I counsaille you to flee;
For losse of goode takethe not to gret hede;
Bethe not to sorowfull for noon adversitd;
Coveitethe no thing that may not be,
And remembre, wher ever that ye goone, 370
A chorles chorle is ofte woo begone.
54. Unto purpos this proverb is full ryfe,
Redde and reported by olde remembraunce:
A childes birdde and a knavis wyfe
345
350
355
360
i89
H»ve often sythys sorowe and myBchaunce.
Who hathe fredom hathe al suffisaunce,
Bettir is fredom withe litelle in gladnesse
Than to be thralle withe all worldly richesse.
55. Go, gentille quayer! and recommaunde me
Unto my maister with humble affectioun;
Beseke hym lowly, of mercy and pitA
Of this rüde makyng to have oompassion.
And as touching the translacioUn
Oute of Frensshe, hough ever the Engüsshe be,
Al thing is saide undir correctioun,
With supportacioun of your benignitA
No. 2. Le Donnei des Amants.
Q. Paria, Le Donnei des Amanta, in Romania XXV. ('
497 ff. Die nachfolgende Episode pp. 516—520, v.
Un vilein a un tens esteit,
Ki asaez pres d’un boia maneit,
Li quels aveit un bei verger
Ou suelent oiseus repeirer
E faire joie el tens d’eate,
Quant flurs et foilles s’unt mustrA
En cel verger soleit venir
leist vilain pur chant oir;
Kar illtiee aveit a custume
Un oiselet od gaune plome
Ke duz chant fit od melodie,
Onques tele ne fud ole:
Tuz chanz d’oiseals sout contrefere
Od sun chanter, en sa manere.
Li vilein quant l’ol chanter,
Mut en aveit grant joie en euer;
Estreitement se purpensa
Sovent, quantes feiz i ala,
Coment preist il cel oisel
Ke tant saveit de chant novel.
Mut cointement asist la?uns
E as branches . e as ramuns:
Tant cointement les ad asis
376
380
386
1S96) np.
929 n.
5
10
15
20
190
Ke li petit oisel est pris;
Par ses engins e par sa glu
L’oisel petit ad retenu.
Dune dit li oisel al vilein,
Quant il le teneit en sa mein:
«N’estut lerer en champ n’en veie
«Grant cri pur ci petite preie:
«Pris sui de la$uns e de glu;
«A quel pru m’avez retenu?»
Respunt li vilain a l’oisel:
«Servise avrai de tei novel,
«Tel servise que mut desir:
«De chanter tei covient .servir.
«Pur conforter le tuen corage
«Jo tei ferai mut bele cage;
«Assez tei dorai a manger
«E a beivre quant ert mester;
«Iluc dedenz me chanteras
«E joius de tun chant me fräs.»
Dit li oisel: «Ja n’en parlez: .
«Grant folie quidee ,avez.
«Quideus que jo vus chant en cage?
«Dune prenge mei la male rage
«Si ja nul chant fas en prisun!
«Iluecques n’ad si dolour nun:
«Prisuns de chanter n’unt talent
«Ki atendent lur jugement.
«Mes leissez mei quite aler,
«Sanz retenir, sanz mal aver,
«Si vendrai ci pur ■ vostre amur
«Treiz fez ou quatre chescun jor.
«Si chanterai sur cel lorer
«E seir e mein pur vus haiter;
«E quant vodreiz olr men chant,
«Apellez mei trestut errant:
«A vostre pleisir tost vendrai
«Pur vus servir al meuz ke sai;
«Kar en prisun od triste quer
«Nen chanterai ja ä nul fuer:
«D’assez poreie maiz plorer
;;Ke de bon quer rire ou chanter.»
25
30
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191
Fej^ li vilein: «Geste feintise 65
«Ne t’at mester en nule guise.
«Quant tu Vers mei paroles si,
«Or te dirai un gu parti;
«Le quel ke vus si esliras,
«D’un de ces dous n’eschaperas: 70
«Ou de tun chant averai sesine,
«Ou tu vendraz en la quisine;
«Ou tu en cage chanteras,
«Ou tu en fin mangä seras.»
Resfpunt li oiselet e dit: 75
«Mut i avret un mes petit;
«Mut poi vail jo pur en pot quire;
«Uncore en rost serreie pire;
«Ki sur espei ou en pot nie met
«Petit i avra morselet. 80
«Mes or creez le men conseil,
«Sil vus dirai bon e feeil:
«Relevez mei de la prisun,
«Si vus dorrai tel reangun
«Dunt vus serrez mult avancez 85
«E a tus dis plus enseignez.
«Treis granz savers vus aprendrai;
«Si granz, si beus les vus dirai
«Pur la meie char rechater
«De mort e de prisun geter, 90
«Ne prendrez tant a vos estaus
«Pur vendre les ehars de treis veals.»
Quant li vilein ad 90 oY,
A l’oiselet respunt issi:
«Di mei les sens, si t’eq. iras 95
«E tuz dis m 6 s quite serras.»
Li oisel dit: «Qo n’ad mester:
«Liez ne voil ja enseigner;
«Cil que tenir deit lieu de mestre
«Tuz dis deit frans e quites estre. , 100
«Ver mei ja n’eies suspeciun:
«N’i avra rens de traYsun;
«Ben vus tendrai le covenant,
«Ja mar irrez de 90 dotant.»
Li vilein ;dit tut d’eindegrä 1 ):;
«Seit dunques sur ta leaute.
«Ton covenant or i parra.»
Ovre ses meins, e eil s’en va;
Sur cel lorer s’est halt asis:
Hoi mes ne crent ses enemis,
Kar del vilain fu si hastez
A tuz tis mös ert plus senez;
De lui prendre n’i ad m6s ren,
La 9 uns e glu conust or ben;
De la prisjun trop lui sovent:
L’en dit qu’eschaud6s eve crent 2 ).
Li oiselez ad grant noblei
Dit al vilein: «Entendez mei,
«Si vus dirai hoi mes purveir
«Tut par ordre chescun saver.
«Li premer sen est, beus amis,
«Des treiz ke jo vus ai pramis:
«Ne creez pas quanque l’em dit
«Cest sen ne tengez a petit,
«Kar maior est que n’entendez.
«L’autre saveir aprös orrcz:
«Ce ke aver ne poez nent
«Ne desirez trop durement.
«Dous promesses solses vus ai;
«Le terz saver or vus dirai:
«Ja pur perte ke vus aiez
«De nul chatel trop n’esmaiez,
«Ne trop n’en dolez pur la perte
«Od tristesce de lerme aperte.
«Ke pert sa chose e trop en dolt
«D’un damage dous fere sout;
«Plorer sa perte n*at mester
«Quand mös n’i ad a recovrer.»
Quant li oisel aveit dit tant,
Si comence ben haut sun chant.
En sun corage pence a plein
De sei venger de cest vilein;
Pence de li fere tristur,
Ke li ot fete la poür.
«Vilein, fet il, Deu loi6 seit
193
«Ke si volz oilz covert teneit
«K’aperceivre ren ne poüstes
«Quel chose vus en mein eütesl
«Quant m’avlez, tut a estrus
«Tresor tenites preciüs: 160
«En cest cecle n’ad argent n’or
«Ke seit per a cel fin tresor.
«Dedenz mei ad une jagunce
«Ki de fin or ben peise une unce:
«Ki cele eüst propre en baillie 156
«Ne serreit povres jor de vie.
«E Deus en ait graces e .los
«Ki si les oilz vus teneit clos I»
Quant 90 ol li fol vileins,
Trait ses chevols e tort ses meins; 160
A tere chet e bat sun piz,
Si leve noisse e plurs e criz,
Si se dbmente e pleint assez:
«Ahil fet il, maleürezl
«Tant fui riches e nel soi mie, 166
«Quant tel tresor oi en baillie!
«Unque manans, or sui mendifs,
«Une estorez, or sui chetifs 3 ),
«Si ne serrai mös estorez:
«L’eür k'aveie m’est emblez. 170
«De mei ai fait dolent frarin;
«Jo mels mes fis tel larcin.
«L’en me deüt ben a resun
«Pendre plus halt de nul larun.»
II plure e dolt a demesure, 176
Da sa vie, 90 dit, n’ad eure;
Tant est dolent e tant irez
A poi que n’ad les oilz sachez.
Quant li oiseals ad ja veü
K’est si mat e si irascu, 180
Mut richement se tent pai 6
E de sa poür ben vengö;
M 6 s nequedent plus al derein
Dit li oisel al fol vilein:
«Tant estes dur pur ben aprendre 186
«E pur lessun lire e entendret
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 13
194
«Mut avez obli6 par tena
«Le premerein de vos treis sens
«C’un poi devant vus oi apris ;
«Für nent eates a lesaun mis. 190
«Jo vua di primes en respit
«Pa8 ne creiez quanque l’em dit:
«E pur quei dunque8 volez creire
«Qo ke vu8 diz a cho8e veire
«De la jagunce dedenz mei? 105
«Cuidez lo vua en leie fei?
«Coment poreit une jagunce
«Ke de fin or peiasast une unce
«Dedenz mun ventre eatre manant,
«Quant tut mun coro ne peise tant? 200
«Le premer aens fut obliez,
«E de l’autre point ne aavez:
«Qo vi par vostre marrement.
«Dit vua avoie apertement *
«Ke ne coveitiasez pur veir 205
«Chose que ne poez aver:
«Jagunce avez ci desiree
«Ke ja par vus n’ert conquestee
«Ne veüe tut a estrus,
«Kar ne l’avum ne jo ne vus. 210
«Le terz saver tut ensement
«Retenistes mult malement:
«Jo vus deffendi al derein
«Ke pur perte ne seir ne mein
«Ou recovrir ne put aver 215
«Ne dussez ja trop doluser.
«Tuz les treiz sens que jo vus dis
«Avez, vilein, en obli mis.
«En proverbe diönt la gent
«E jo le pus dire ensement: 220
«Sun travail perd sanz recovrer
«Cil qui aprent asne a harper*):
«Autretel eat de vus, vilein:
«Apris vua ai trestut en vein,
«Ore alez ent deduire bei:
«N’avez jagunce ne oisel.»
A tant a’en est l’oisel ale/..
225
19ö
JE li vilein remaint gabez;
Gabez remist, po est la veire,
Kar trop esteit hastif de creire. 280
Pur po di jo, ma chere amie,
Trop creire en haste est folie.
[Remarques:] *) Cette expression ‘d f eindegr6’ = ‘de plein gr6'
. est d’origine anglaise et ne se trouve que dans des textes
anglonormands . . . ein ou eine 6tant l'ancien angl. eign, angl.
mpd. oum. . . 2 ) Sur ce proverbe, voy, le n° 195 des Praverbea
du vilain et la note de M. Tobler. 3 ) Unque, unc semblent avoir
Ie sens de naguere . 4 ) La locution qui dit qu’un ignorant est
däplacc ä l’audition d’un po&me come asnes a harper est fre¬
quente. Le proverbe eite ici est plus rare.
No. 3. Petri Alphonüi Disciplma cl&rioalis,
cap. XXIII (XX).
Ed. Labouderie (1824) pp. 136—140; ed. Schmidt (1827) pp.
67/8; Migne, Patrol. CLVII, p. 695; Gering, Islendzk Aeventyri,
II, pp. 389/90, No. LXXV. Der folgende Text ist der von Gering.
[Aliu8 [philosophus]: Ne desideres res alterius et ne doleas
de amissis rebus, quoniam dolore nihil erit recuperabile, unde
dicitur:]
Quidam homo habuit virgultum, in quo rivulis fluentibus
herba viridis erat, et pro habilitate loci conveniebant ibl
volucres, modulamine vocum cantus diversos exercentes. Quadam
die, dum idem vir in suo fatigatus quiesceret pomerio, quaedam
avicula super arborem cantando delectabiliter consedit. Quam
ut vidit et eius cantum audivit, deceptam laqueo sumsit.
Ad quem avis ait: Cur tantum laborasti me capere, vel quid
profieuum in mea captione speravisti habere? Ad haec homo:
Solos cantus tuos audire desidero. Cui avis: Nihil tibi prodest,
quia retenta nec prece nec pretio cantabo. At ille: Nisi canta-
veri8, te comedam. Et avis: Quomodo comedes? Si cömederis
coctam in aqua, quid avis valebit tarn parva? Et etiam caro
erit hispida, et si assata ero, multo minor fuero. Sed si abire
me permiseris, magnam utilitatem ex me consequeris. At ille
respondit: Quam utilitatem? Avis: Ostendam tibi tres sapientiae
maneries, quas maioris pretii facies quam trium vitulorum car-
nes. At ille securus promissis avem permisit abire. Cui avis
ait: Unum est de promissis: ne credas omnibus promissis vel
dictis; secundum: quod tuum est semper habe; tertium est:
ne doleas de amissis. Hoc dicto avicula arborem ascendit et
13 *
196
dulci canore dicere coepit: Beuedictus deus, qui tuorum aciem
oculorum clausit et sapientiam tibi abstulit, quoniam si intesti-
norum plicas meorum perquisisseB, unius unciae ponderis jacinc-
tum invenisses. Haec audiens ille coepit flere et palmia pectus
percutere, quoniam dictia fidem praebuerat aviculae. At avis
ait illi: Cito, oblitus es aensus quem dixi tibi. Nonne dixi tibi:
ne credas quidquid dicetur? Quomodo credis quod in me eit
jacinctus qui sit ponderis unius unciae, cum ego tota non sim
tanti ponderis? Et dixi tibi: ne doleas de rebus amissis; quare
pro jacincto qui in me est doles? Talibus dictis et rustico
deriso avis in nemoris avia devolavit.
[Philosophus suum castigavit discipulum dicens: Quicquid
invenies legas, sed non credas quicquid legeris. Ad haec disci-
pulus: Credo non esse verum quicquid est in libris, nam simile
huic legi in libris et proverbiis philosophorum: Multae sunt
arbores, sed non omnes faciunt fructum; multi sunt fructus,
sed non omnes commestibiles . . .].
No. 4. Discipline de Clergie. Traduction de l'Ouvrage
de Pierre Alphonse.
Ed. Labouderie (1824) pp. 137—141.
Jadis un homme estoit qui avoit un vergier oü les ruis-
seaulx couroient parmi l’erbe verde, et pour la beaute du lieu
s’assembloient illec les oyseaulx oü ilz chantoient delitablement.
Avint un jour que l’omme estoit traveilliez et reposoit en son
gardin, un oisel seoit sur um rain d’un arbre, et chantoit douce-
ment. Quant l’omme l r eut veu et oy, il tendy ä lui et le prist.
L’oysel qui se trouva pris, lui dist: Pourquoy t’es-tu tant tra¬
veilliez de moy prendre? quel prouffit cuides-tu avoir de ;ma
prison? L’omme respondy: Je convoite ä oyr ton chant. Dist
l’oysel: C’est pour neant, car je ne chanteray ne pour promesse
ne pour avoir. Respondy 1’omme: se tu ne chantes, je ,te
mengeray. L’oysel dist: Comment me mengeras-tu? Se tti me
euis en eaue, que vauldra si petit oisel, et si en sera la char
dure. Se je suis rosty, aincoires serai-ge moindres; mais se tu
me laisses aler, tu en aras grant prouffit. Quel prouffit, dist
le bon homme? Dist l’oisel: je te monsterray trois manieres de
sapience qui mieulx te vauldront que la char de trois veaulx.
Quant l'omme fut seur de sa promesse, si laisse l’oisel aler, et
l’oisel lui dist: L’une maniere de sapience est, ne croy pas
197
tout ce que tu ob dire. Le seoonde est, tiens bien ce que tu as;
et la tierce, ne maine pas long dueil pour ta perte. Quant
I’oisel eut ce dit, il vola sur un arbre, et dist doucement en
sa chanson: Beney soit Dieu qui couvry tes yeulx et te tolli
sapience, car se tu eusses bien quis dedens inon ventre, tu y
eusses trouv6 une jagonce d’une onche pesant. Quant le bon
homme oy ce, il commenpa ä plourer et ä debatre ses palmes,
car il cuidoit que l’oysel dist v6rit6. Dist l’oisel: Pourquoy
as-tu oubli6 le sens que je t’avoie maintenant apris, et ne
t’ai-je dit: Ne croy pas tout ce que tu os dire? Comment crois-
tu qu’il ait dedens möi jagonce d’une onche pesant, et je ne
poise pas tant? Et si te dys, ne maine pas dueil pour ta perte,
et tu te dueilz pour ce que tu m’as perdu, ce que tu ne pu6s
recouvrer. Quant l’oisel eut ainsi gabö le villain, il s’envola.
No. 5. Conte XX: Du vilein et de l’oiselet, du Ca¬
stoiement I.
ed. Barbazan-Meon (1808) II, pp. 140—143.
[Beax Filz, gardes ne croire pas
Tote la rjens que tu orras;
Ne por perte trop doloser
Quant tu ne pofras recovrer,
Que tu aies perdu le bien, 5
Qu'apr&s ne t’en plaignes de rien,
Trois manieres de sens t’ai dit,
Si te conterai un respit.]
i Un preudom ot un bei jardin,
Entrer il seit chascün matin 10
En la saison quant par delit
Chantent oisel grant et petit.
Une fontenele i sordoit
Qui le liu raverdir faisoit:
Oisel i souloient entrer, 15
Et molt douce noise lever.
Le Preudhom un jor i entra,
En cel beau liu .se reposa:
Un oiselet i oit chanter,
Cel prist forment ä desirer. 20
A un laz cel oiselet prist.
L’oisel li demanda et dist:
«Por quoi te vosis travaillier
«Por moi depoivre et engignier ?
«Por quoi me vosis decevoir?
«Quel preu i cuides-tu avoir ?»
«Ge vueil, dit-il, que tu me chantes.»
Li oiseax dit: «Se me cröantes
«Que ge m’en aille oü ge vorrai,
«Tant com tu voldras chauterai;
«Mais jä taut com tu me tenras,
«De ma bouche chanter u’orras.»
«Si tu ne velz chanter por moi,
«Enqui te mengerai, ce croi.»
«Manger, dit l’oiselet, commentj
«Ge sui trop petit vraiement:
«Jä home qui me mengera,
«Certee de mielz ne l’en sera; -
«Se ge sui en rost quire mis,
«Donques serai sds et petiz.
«Ne sai comment m’atornissiez,
«Dont riens vos i delitissiez;
«Mais se vos aler me laissiez,
«Certes molt grant preu i auriez; -
«Quar ge te dirai jii por voir
«Tex trois menieres de savoir
«Que tu priseras, Danz Vassax,
«Plus que la char de trois veax.»
Li Preud(h)ons aler le laissa,
Sa parmesse li demanda.
Li oiseax dit isnele pas,
«Ne croi pas quanque tu orras;
«Garde bien ce que tu auras,
«Par pramesse nel perdre pas;
«Ne trop ne soies confondu
«Por nule riens qu’aies perdu:
«Ce sont li trois savoir, amis,
«Que ge ä dire te pramis.»
Atant sor un arbre s'asist,
Molt doucement chanta et dist:
«Qui t’a des elz tant aveuglö,.
«Benoit soit Diex de MajestS,
199
«Et t’a tolu sens et pavoir,
«Por qu’as perdu si grant avoir. ■:
«Se dedenz cerchiö m’öussjez, 66
«Une jagonce i troviasiez
«En mon jusier, se ge ne ment,
«Qui poise une once droitement.»
Et quant li vileins l’entendi,
Plora et plaint et se bati, V: 70
Et sovent prist k regreter.
C’onques laissa l’oisel aler.
«Musarz, dit l’oisel, estordi, .
«Or as-tu tot mis en oubli
«Les trois manieres, ce m’est vis, 76
«Du savoir- qu’orendroit te dis: .1
«Ge di que-croire ne devroies.
«Tote la riens que tu orroies:
«Por quoi crois-tu sr de legier
«C’une pierre eust en mon jusier, 80
«Jagonce d’une once pesant,
«Quant ge toz ne poise pas tant?
«Ge te dis, se te puet membrer,
«Tu ne dois pas trop dolouser i
«Ne trop estre si confondu ■ 86
«De riens que tu aies perdu.»
Atant li oiseax s’en ala
Et vers le bois tost s’en torna.
[Beax Pilz, gar que ne laisses pas
Ce que tu as quant tu l’auras.] - 90
No. 6. Conte XIX ‘Du Vilehin et de l'Oiselet ’ du Cha-
stoiement II.
Ed. Labouderie (tome II), pp. 130—136; M. Rösle, pp. 40- 42.
Uns palsans jadis estöit
Qui un mult bei vergier avoit;
De divers arbres ert plantös
Et si i avoit amen6s
Les ruissiax qui par mi couroient 6
Des fontaines qui pres estoient.
Et en yver et en est6
Y avoit vert herbe a plent6
O les fleurs qui soes oloient
De divers fruis qui i croissoient.
Par la grant delitabletö
S’i assambloient en est6
Tuit li oisel de la conträe ;
Au matin et a la vespr6e
I oXssiös tel chantäis ;
L’uns cantoit bas, l’autre a haus cris.
Mult s’i faisoit ben arester
Pour les divers cans escouter
Que li oiselet i cantoient
Qui de partout s’i aünoient.
Un jour en son vergier entra
CJnl cui il ert, et se ooucha
Sor la fresche herbe a reposer
Et commenoha pour escouter
O grant entente et o grant eure
Li dous chans et l’envoisöure
Que li oiselet demenoient
Qui el vergier se delitoient.
Uns petis oiseles seoit
Sor l’arbre ou chil se gisoit,
Qui si tres douchement cantoit
Que li vilains qui l’escoutoit,
Ne s’en quesist jamais partir,
Se tous tans le pöust olr.
Quant il ot le canter laissie,
Li vilains ot apareilliö
Un petit lachet, si l’a mis
La ou li oiseles avoit sis.
Li oiseles ne se garda
Del lacet, quant il repaira.
Pris fu, et li vilains sali,
En l’arbre monte, sei saisi,
Et li oiseles li a dit:
«Vilains, fait il, se diex t’aXt,
«Que cuides avoir gaagniö?
«Por quoi fies or tant travailli6
«En prendre mei? Si grant travail
«N’iest pas saus, car petit vail.
«Volentiers völroie savoir '
201
«Quel preu tu i cuides avoir.»
Dist li vilains: «Jel te dir&i,
«En une cage te metrai,
«Iluec te voil olr canter,
«Car el n’i quier jou conquester.»
«Che, dist l'oißiaus, ne plache dieu
«Que je ja chant en itel lieuJ
«Ne pour doner ne pour prametre
«Ne me porroit nus a ce metre
«Que ja de moi ölst canchon
«Tant com je serai en prison.
«Ja chertes mot ne sonerai
«Devant qu’a mon talent serai.»
«Par me foi, ce dist li vilains,
«Je te metrai fors de mes mains,
«Mais ne riras pas el vergier,
«Je ne t’i lairai repairier,
«Car, par fei,' je te mengerai.»
«Et tu comment?» «Je te cuirai.»
«Cuiras?» «Voire, en eaue ou en rost.»
«Mult en seras delivres tost,
«Car quant en l’eaue m’aräs cuit,
«Ensamble en metroies tels uit
«En ta bouche com je serai.
«Et au rostir mult decroistrai;
«Ja mengiers n'iert ne bons ne biax
«Qui sera fait de tels oisiax.
«Mais se tu me laisser aler,
«Si me porras olr canter,
«Et autre pourfit i auras
«Dont tous jors mais mieldres seras.»
«Et quel pourfit ?» dist li vilains,
«Bien en voil estre anchois chertains.»
Dist li oisiax: «Jel te dirai;
«Treis manieres de grant sens sai
«Que je t’aprendrai, jel t’afi,
«Lues que partis serai de ti;
«Et miels te valront a olr,
«Se tu les vels bien retenir,
«Que treis grant eigne 1 ) ne feroient,
«Se cuit a ton mengier estoient.»
60
65
60
65
70
75
80
85
90
II li afie et eil le lait.
Li oisels grant joie fait,
Desor un arbre s’est asis,
Bendre velt ehe qu’il aprainis.
«Vilains, dist-il, entent a moi:.
«L’un des sens qu’aprendre te doi
«Si est que tu ne croies pas •.
«A tous les dis que tu orras.
«L’autre si est que tu auras
«Che qui tien ert, ja n'i fauras.
«Li tiers que ne dois pas plorer
«Ne ne te deiz desconforter
«Se perdu as aucune rien.
«Or as tes trois sens, sis retienl»
Quant li oiseles ot pe dit,
En une branque amont se mist,
A douch cant commencha a dire:
«Vilains, dist il, dex nostre sire
«Soit hui lo6s et graetäs
«De che que tu es engigniäs
«Et que si as le sens perdu.
«Car se tu Busses v6u
«Dedens moi, quant tu (me tenis,
«Riehes fuisses mais a toudis;
«Car une pierre preci'euse
«I trovaisses mult vertueuse
«Qui apelöe est Jacinctus,
«Une onche poise bien ou plus;
«N’a sous chiel tresor qui le vaille.
«Mais qui caut? Pour noient traväille
«Hom qui n’a sens de retenir,
«Dont sans travail puisse garir.»
Quant li vilains a che ol,
Ses dous puins ensamble feri.
Des ex plore, du euer souspire,
Son piz bat et quevex tire;
Orant duel a pour noient coilli
De che que. .l’oiselet cr6i.
L’oisials l’esgarde, si* li crie:
«Vilains, dist il, diex te maldiel
«Mult as or tost ,en oubli mis
203
«Le sens - que je t’avoie apris.
«Che t’apris ge que fols seroies
«Se toutes paroles cr6oies;
«Et crois tu ore, par ta foi, 135
«Que il ait pierre dedens moi ■
«Ou il ait une once pesant,
«Quant je tres tous ne pois pas tantl-
«Encor t’apris je autre sens,
«Mais trop l’as oubll6 par temps, ' 140
«Que ne dois duel pour perte faire.
«Or te voi tes chavels detraire,
«Tes poins tordre, forment plorer:
«Mal leu te puissent devorer
«Qui pleures que tu as perdu 145
«Che qui n’est ne n’onques ne ful
«Plus n’a il pierre ,dedens moi
«Que cauve soris dedens toll»
Quant le vilaln ot mult laidi
Li oiseles et escarni, 150
Cantant s’en torne, sil laissa
Ainc puis el vergier n’abita 2 ).
Bemerkungen: *) so bei Bösle; Lab: treis gras oisels. 2 ) so
Lab; Bösle: Puis nel vit n’adonc, nel baisa. (
No. 7: Das Lai de VOiselet.
Das Folgende ist der Text von G. Paris (Legendes du Moyen Age,
pp. 274—291).
11 avint jadis a un tans,
Bien a pass£ plus de cent ans,
Qu’il estoit uns riches vilains;
De son nom ne sui pas certains,
Mais riches ert de grant maniöre 5
De pr6s, de bois et de riviöre,
Et de quant qu’afiert a riche ome:
Se dire vos en vueil la some,
Il avoit un manoir si bei
N’a borc, n’a vile, n’a chastel, 10
Se le voir vos en vueil conter,
En tout le monde n’out son per, .
Ne si bei ne si delitable;
204
Li contes vos sembleroit fable,
Qui vos en diroit Ja fa$on; 15
Je ne cuit que ja mais face on
Tel donjon ne si riche tor;
La riviöre coroit entor,
Qui tot enclooit le porpris;
Et li vergiers qui fu de pris 20
Estoit d’arbres et d’eaue enclos:
Cil qui le fist ne fu pas fos,
Ains fu uns Chevaliers gentis ;
Aprfcs je p6re l’out li fis,
Qui le vendi a cel vilain; 26
Ainsi ala de main en main:
Bien savös que par mauvais oir
Dechibent viles et manoir.
Li vergiers fu beaus a devise:
Erbes i out de mainte guise, 30
Que je ne sai mie nomer;
Mais por voir vos puis raponter
Qu’il i avoit roses et flors
Qui getoient mout grans odofs,
Et espices de tel maniöre 35
Qu’une ame gisant en Iitibre
Qui malade fust et enferme
S’en alast tote saine et ferme,
Por tant que el vergier geüst
Tant qu’une nuit passöe fust. 40
De bones erbes fu garnis;
Et li preeaus fu si onis
Qu’il n’i avoit ne mont ne val;
Et li arbre tuit par igal
Estoient d’un grant contre mont: 45
Si bei vergier n’avoit el mont.
Ja cel fruit ne demandissiös
Que vos trover n’i peüsstäs,
Et si estoit il en tos tans:
Cil qui le fist fu mout sachans; 50
II fu tos fais par nigromance,
Laens avoit mainte provanbe.
Li vergiers fu et beaus et Ions,
Tos fu fais a compas reons;
205
En mi avoit une fontaine, 56
Qui bele estoit et ctere et saine,
Et sordoit de si grant randon
Com s’ele bolist a bandon,
Et s’estoit froide come marbres;
Ombre li faisoit uns beaus arbres, 60
Dont les branches loins a'estendoient,
Qui sagement duites estoient;
Pueilles i avoit a plent6:
En tot le plus lonc jor d'este,
Quant ce venoit el mois de mai, 65
N’i peüsstes choisir le rai
Dou soleil, tant par ert ramus;
Mout par doit estre chiers tenus,
Quar il est de tele nature
Que tos tens sa fueille lui dure: 70
Vena ne orös, tant ait de force,
N’en abat fueille ne escorce.
Li pins ert deliteus et beaus.
Chanter i venoit uns oiseaus
Deus fois le jor et plus noient, 75
Et si sachtes a escient
Qu’il i venoit la matinee
Et l’autre fois a la vespröe.
Li oiseaus fu merveilles gens:
Mout seroit grans detriemens 80
Qui vos en diroit la fagon;
II estoit mendre d’un moisson
Et pou graindre ’ d’un roietel,
Si chantoit si bien et si bei
Loissignuels, merle, ne mauvis, 85
Ne l’estorneaus, ce m’est avis,
Chans d’aloe ne de calendre,
N’estoit si plaisans a entendre
Com ert li siens, bien le sachtes.
Li oiseaus fu si afaittes 90
A dire lais et noveaus sons
Et rotruenges et chanpons,
Gigue ne harpe ne viele
N’i vausist pas une cenele.
El chant avoit une merveille, 95
206
Qu’ains nus on n'oi sa pareille:
Quar tel vertu avoit li chans
Que ja nus ne tust si dolans,
Por que l’oisel chanter ölst,
Que maintenant ne s’esjolst 100
Et obliast ses grans dolore;
Et s'ainc n’etist parl6 d’amore,
S’en fust il maintenant espris,
Et cuidast eetre de tel pris
Com est emperdrea ou rois, 105
Mais qu'il fust vilains ou borjois;
Et se eüst cent ans pass6s.
Et en cest siede fust rem6s,
S’il ölst de l’oisel le chant
Si li semblast il maintenant 110
Qu’il fust mescbins et damoiseaus,
Et si cuidast estre si beaus
Qu’il fust ames de damoiseles,
De meschines et de puceles.
Et une autre mervyeille i out, 115
Que li vergiers durer ne pout
Se tant non que li oisillons
I venist chanter ses dous sons:
Car dou chant issent les amors
Qui en vertu tienent les flors 120
Et les arbres et tot le m6s;
Mais que li oiseaus fust rem6s,
Maintenant li vergiers sechast
Et la fontaine restanchast,
Qui par l’oisel sont en vertu. 125
Li vilains cui li estres fu
I venoit deus fois par costume
Por olr cele soatume.
A la fontaine sos le pint,
Par une matin'öe vint, 130
Son vis lava a la fontaine;
Et li oiseaus a haute alaine,
Qui ert sor le pint, li chanta
Un lai ou deliteus chant a.
Li lais est mout bons a entendre: 135
Exemple i porroit on bien prendre
207
Dont mieus en vaudroit en la fin.
Li oiseaus dit en son latin:
«Entend6s, fait-il, a mon iai,
«Et Chevalier et clerc et lai,
«Qui vos entremetäs d’amors
«Et qui en soffräs les dolors;
«Et a vos le di je, puceles,
«Qui estes avenans et beles,
«Qui le siede voles avoir:
«Je vos di vraiement por voir
«Vos dev6s Dieu amer avant,
«Tenir sa loi et son comant,
«Volentiers aler au mostier,
«Et si oir le Dieu mestier:
«Quar dou Service Dieu oir
«Ne puet a nului maus venir;
«Et por verite vos recort
«Dieus et Amors sont d’un acort.
«Dieus aime onor et cortoisie,
«Et fine Amors ne les het mie;
«Dieus het orgueil et faussetö,
«Et Amors les tient en vilt6;
«Dieus escoute bele proi6re,
«Amors ne la met pas arri6re;
«Dieus convoite sor tot largece,
«11 n’i a nule male tece:
«Li aver sont li envios,
«Et li tenant li convoitos,
«Et li vilain sont li mauvais,
«Et li felon sont li punais;
«Mais sens, cortoisie et onors
«Et loiautä maintient Amors;
«Et se vos a ce vos tenes,
«Dieu et le siede avoir poes.»
Ce dit li oiseaus en son chant.
Et quant voit le vilain seant
Qui desos le pint l’escoutoit,
Qui fei et envios estoit,
Si a chante d’autre maniSre:
«Quar laisse ton corre, rivide 1
«Donjons, perisl tors, quar deohiesl
140
145
160
155
160
165
170
175
208
«Matissies, florsl erbos, sechiösl
«Arbres, quar laissi6s le porter 1
«Ci me soloient escouter
«Giere et dames et Chevalier
«Qui la fontaine avoient chier,
«Qui a mon chant se delitoient,
«Et par amors mieus en amoient,
«Si en faisoient les largeces,
«Les cortoisies, les proeces,
«Maintenoient chevalerie,
«Or m’ot eil vilains pleins d’envie,
«Qui aime assds mieus le denier
«Qu’il ne face le donoier.
«Cil me venoient escouter
«Por deduire et por mieus amer
«Et por lor cuers mieus aaisier;
«Mais eist i vient por mieus mangier!»
Quant ce out dit, si s’en vola. 196
Et li vilains qui remest la
Pense, se il le pooit prendre,
Asses tost le porroit chier vendre.
Et se vendre ne ^e pooit,
En jaiole le meteroit, 200
Si li chanteroit tart et tempre.
Son engin a fait, si l’atempre.
Et enquiert et guaite et porvoit
Tant que les branches aperpoit
Ou cil s’aseoit plus sovent: 206
Iluec fait las, si les i tent,
Mout a bien sa chose atempräe.
Et quant ce vint a la vesprde,
Li oiseaus ou vergier revint;
Et quant il s’asist sor le pint 210
Si fut maintenant pris au las.
Li vilains, li chetis, li las,
Monte a mont: l’oisillon aert.
«Tel loier a qui vilain sert,»
Fait li oiseaus, «ce m’est avis. 216
«Mal av6s fait qui m’av4s pris:
«En moi a povre raenpon.» .
«— Aina en avrai mainte chanpon,»
180
186
190
209
Fait li vilains, «de ceste prise.
«Servi av6s a vo devise, 220
«Or servirös a ma partie.»
«— Ceste cheance est (mal partie,
«J’en ai le peior a moi pris.
«Je suel avoir a mon de vis
«Champaigne, bois, rivtere et pres:
«Or ier en jaiole enserres,
«Ja mais n’avrai deduit ne joie;
«Je soloie vivre de proie:
«Or me donra l’on a mangier
«Si com un autre prisonier.
«Latestes moi aler, beaus amis,
«Et bien soies seürs et fis
«Ja en prison ne chanterai.»
«— Par foi, et je vos mangerai:
«Ja par autre tor n’en ir6s.»
«— En moi povre repast avr6s,
«Quar je sui lasches et petis:
«Ja n’en acroistra vostre pris
«Se vos ocies tele rien.
«Laissies m’aler, si feres bien:
«Pechte feres se m’ocies.»
«— Certes por noient en partes,
«Car com plus protes en seroie
«Sachtes que je meins en feroie.»
«— Certes, fait li oiseaus, «c’est drois, 246
«Car ainsi l’aporte la lote:
«Douce raisons vilain al're,
«Mainte fois l’avons ol dire.
«Mais uns dis nos enseigne et glose:
«Besoins fait faire mainte chose. 250
«Ma force ne m’i puet tenser;
«Mate se vos me laissies aler,
«De trois sens vos feroie sage
«Qu’aine ne sout on de vo lignage,
«Si vos porroient mout valoir.» 256
«— Se seürtd en puis avoir,»
Fait li vilains, «tost le ferai.»
«— Tel fiance come je ai,»
Tjrroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 14
226
230
236
240
210
Fait li oiseaus, «vos en creant.»
Et eil le lait aler a taut.
Li oiseaus sor l’arbre e’en vole,
Qui eschapös fu par parole:
Mas estoit et tos herici 6 s,
Car laidement fu raanoiös,
Tenus out est 6 contre laine;
A son bec ses plumes ramaine
Et rasiet au mieus que il puet.
Li vilains, cui savoir estuet
Les trois sens, le somont qu’il die.
Li oiseaus fu pleins de voisdie,
Si li dist: «Se tu bien entens,
«Aprendre porras un grant sens:
«Ne croi pas quant que tu os dire.»
Li vilains fronce le n 6 s d’ire,
Et dit: «Je le savoie bien.»
«— Beaus amis, donques le retien,
«Garde que tu ne l’oblier.»
«— Or me puis je bien apenser,»
Fait li vilains, «de sens aprendre I
«Musage me fais a entendre,
«Qui ce me rueves retenir.
«Je te voudroie ja tenir:
«Bien sai quant tu m’eschaperoies
«Ja mais autrui ne gaberoies.
«Mais je m’en vois a tart vantant;
«Cestui sai bien: di l’autre avant.»
«— Enten i bien, «fait li oiseaus;
«Li autres est et bons et beaus:
«Ne pleure pas ce qu’ainc n’eüs.»
Li vilains ne fu mie mus,
Ains respondi par felonie:
«Tu m’as ta fiance mentie.
«Trois sens me devoies aprendre,
«Si com tu me fels entendre,
«Qu’onques ne sout tos mes lignages;
«Mais de ce est tos li mons sages;
«II n’est si fos n’onques ne fu
«Qui plorast ce qu’ainc n’out eü.
«Tu m’as mout largement menti.»
260
265
270
275
280
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290
295
211
Et li oiseaus lui respondi:
«Veus tu donc que jes te redie»
«Si que tu ues oblies mie ?
«Vos entendds tant au plaidier
«Que peor ai de l’oblier:
«Je cuit que ja nes retendrds.»
«— Je les sai mieus de vos assds,»
Fait li vilains, «de grant piece a.
«Dehd qui grd vos en savra
«D’aprendre ce dont ii est sagesl
«Je ne sui mie si sauvages,
«Par mon chief, com vos me tends.
«Por ce se m’estes eschapds,
«M’alds vos ore ainsi gabant;
«Mais se vos me tends convant,
«Vos m’aprenderds l'autre sen,
«Car des deus ai je bien l’asen.
«Or le dites a vo voloir,
«Car sor vos n’ai point de pooir:
«Dites quds est il, si l’orrai.»
«— Entent i bien, sil te dirai:
«Li tiers es tds, qui le savroit
«Ja mais povres on ne seroit.»
Mout durement s’en esjol
Quant la vqrtu dou sen oi,
Et dist: «Cestui m’estuet savoir,
«Que durement tent ä l’avoir.»
Qui li velst l’oisel coitierl
«II est», fait il, «tans de mangier;
«Quar le me dites errantment.»
Et quant li oisillons l’entent,
Si dit: «Je te chasti, vilains,
«Que ce que tu tiens en tes mains
«Ne gietes pas jus a tes pids.»
Li vilains fu mout porrocids;
Et quant il s’est teüs grant pose,
Si dist: «N’estoit ce autre chose?
«Ce sont adevinail d’enfant;
«Quar je sai bien a esciant
«Tds est povres et soffraitos
«Oui aussi bien le set com vos.
300
305
310
315
320
325
330
335
340
14
212
«Menti m’aves et engignie:
«De quant que m’avds enseignie
«Estoie je sages devant.»
Li oiseaus respont maintenant:
«Par foi, se tu cel sen seüsses, 345
«Ja laissid aler ne m’eüsses;
«Quar si tu m’eüsses tue,
«Si com tu eüs en pense,
«Ja mais ne fust jors, par mes ieus,
«Qu’il ne t’en fust durement mieus.» 350
«— A.1 por Dieu, que s6s tu donc faire?»
«— Ahil fei vilain de put aire,
«Tu ne s6s qu’il fest avenu:
«H fest durement mescheü;
«II a en mon cors une piere 355
«Qui tant est precieuse et chiere,
«Bien est de trois pnces pesans,
«La vjertis en li est si grans,
«Qui en son demeine l’avroit,
«Ja rien demander ne eavroit 360
«Que maintenant ne li fust preste.»
Quant li vilains entendi ceste,
Debat son pis, deront ses dras,
Et se claime chetif et las,
Son vis a ses ongles depiece. 365
Li oiseaus en fait grant leece,
Qui de sor l’arbre l’esgardoit;
Tant a atendu que jl voit
Qu’il a tos ses dras depecies
Et qu’il s’est en mains lieus blecids; 370
Puis lui a dit: «Chetis vilains,
«Quant tu me tenis en tes mains,
«G’i6re plus legiers d’un moisson,
«D’une masenge ou d’un pin?on,
«Qui ne poise pas demie once.» 375
Cil qui de felonie gronce
Li dist: «Par foi, vos dites voir.»
«— Vilains, or pues tu bien savoir
«Que de la pi6re t’ai menti.»
«— Or le sai je,» fait il, «de fi, 380
«Mais certes or ains le cüidai.»
213
«— Vilains, or en droit provö t’ai
«De cel sen que pas nel savoies ;
«Et de ce que tu me disoies
«Nus n’est si fos n’on ques ne fü 886
«Qui plorast, ce qu’ainc n’out eü,
«Maintenant, ce m’est vis, ploras
«Ce qu’ainc n’eüs, ne ja n'avras;
«Et quant me tenis en tes las, ' '
«Qu’en mains eüs as pi6s ruas. 390
«Des trois sens estes abosmös:
«Beaus amis, or les reten6s;
«II fait bon aprendre bon mot.
«On dit que t6s n’entent qui ot
«Et t6s parole par grant sens 396
«Qui en soi a pou de porpens;
«T6 b parole de cortoisie
«Qui ne la savroit faire mie,
«Et t6s cuide estre bien sen6s
«Qui a folie est assen^s.» 400
Quant ce out dit, si s’en vola
Et de tel eür s’en ala
Qu’ainc puis el vergier ne revint:
Les fueilles chelrent dou pint,
Li vergiers failli et secha, 406
Et la fontaine restancha;
Li vilains perdi son deduit.
Or sachent bien totes et tuit
Li proverbes dit en apert:
Cil qui tot convoite tot pert. 410 '
No. 8. Die Erzählung in den Recits d'un Menestrel
de Reims.
Der nachfolgende Text ist entnommen den Legendes du Moyen.
Age, pp. 266—268.
Atant es vous l'arcevesque Rigaut de Rouen qui le vint
veoir et conforter, et mout lui disoit de bons mos de l’escriture
et de la patience saint Job, et li conta un essemple d’une
masenge qui fu prise en une masengiere ou jardin d'un palsant.
Quant li palsans la tint, si li dist qu’il la mangeroit, et la
masenge respondi au palsant: «Se tu, dist eile, me manjues,
214
tu ne seras gaires saoulös, car je sui une petite chosete; mais
si tu me vouloies laissier aler, je t’apenroie trqis sens qui
t'avroient grant mestier se tu les vouloies metre. a uevre. —
Bar foi, dist li palsans, «et je te lairai aler». Et lasche la main,
et la masenge se. trait seur une branche, et fu merveilles li6e
de ce qu’elle fu eschapöe. «Or t’apenrai», dit la masenge au
palsant, «se tu veus, mes trois sens. — Oll voir», dist il. —
«Or escoute», dit la; masenge: «je te lo (et si le retien bien)
que ce que tu tiens ä tes mains que tu ne getes a tes pite,
et que tu ne croies pas quant que tu orras, et que tu ne meines
mie trop grand duel de la chose que tu ne pourras avoir ne
recouvrer. — Que est ce?» dist li vilains: «n’en diras-tu el? Par
le euer Beul se je te tenoie, tu ne m’eschaperoies huimais. —
En non de moi», dit la masenge, «tu avroies droit, car j’ai en
ma teste une pierre pröcieuse aussi grosse comme. uns ues de
geline qui bien vaut cent livres.» Quant li palsans l’ol, si
debat ses poins, et destire ses cheveus et demeine le plus
grant duel dou monde. Et la masenge commenpa a rire, et
li dist: «Soz vilains, mauvaisement as entendu et mis en uevre
les trois sens que j,u t’avoie dit; saches de voir que tu i6s de
tous trois deceüs. Tu me tenoies en ta main, si me getas a tes
pies quant tu me laissas aler; et me crels de ce que je te fis
entendant que j’avoie en ma teste une pierre precieuse qui
estoit aussi grosse comme uns ues de geline, et: je' toute ne
sui si grosse; et si meines duel de moi a cui tu ne recouverras
jamais, car je me garderai mieus que je ne me sui gardüe.»
Atant bati ses 61es et s’en vola, et laissa le palsant son duel
fesant. «Sire,» dist li arcevesques, «vous veez bien que vous ne
pouez recouvrer a vostre fil, et bien devez croire que il est en
paradis, si vous devez conforter.» Li rois vit bien et sot que
li arcevesques li disoit vrai, si se conforta -et oublia auques son
duel.
No. 9. C. M. Wieland: Der Vogelsang öder die drei
Lehren.
Das Nachfolgende ist der Text in C. M. Wielands Sämmtlichen
Werken (1796), XVIII, pp. 365—387)
Vor etwa siebenhundert, Jahren
Und drüber lebt’ in; meinem Schwabenland
Ein reicher Erdensohn, von Nanien unbekannt,
215
(Weil seine Ahnen stets geheim geblieben waren)
Und drum kurzweg der reiche Hans genannt.
Von Gottes Gnaden hatte der
Ein schönes Schloß, — das Bessern einst als er
Zum Aufenthalt gedient — man weiß nicht wie
Wie nun einmal in dieser Unterwelt
Nichts lange seinen Herrn behält,
Und, was ein braver Mann begonnen,
Durch einen schlechten wieder fällt;
Genug, Hans hatt’ es nun gewonnen,
Das schönste Schloß, das von der lieben Sonnen
Je angeschienen ward, seitdem
Es Schlösser gibt. Es lag gar wunderangenehm.
Gebaut von schönen Quadersteinen,
Geräumig, stattlich und bequem;
Von ferne konnt’s das schönste Kloster scheinen.
Ich sage nichts von all dem feinen
Geräte drin, den langen Reihn
Von Sälen, Zimmern, groß und klein,
Und wie da ringsum alles schimmert
Und widerscheint und blitzt und flimmert
Von Silber, Gold und edlem Stein;
Nichts von den Kellern voller Wein,
Von weißen, purpurnen und gelben.
Aus Welschland, Frankreich und vom Rhein,
,Noch von den Kammern und Gewölben,
Bis oben an mit allem voll.
Was, nach dem alten Spruch, ein Weiser
Gern haben, leicht entbehren soll.
Ein Wort für tausend, selbst der Kaiser
Zu Wien in seinem alten Schloß
(Geleit* ihn Gott auf seinen Reisen I)
Hat kaum mehr Reichtum aufzuweisen
Als Hans in seiner Burg verschloß.
Wie er’s handhabte und genoß.
Das wird sich' in der Folge weisen.
Und eine schöne Treppe ging
Vom Schloß herab in einen Garten,
Der hundert Morgen wohl umfing.
Den wie ein Gärtner zu beschreiben.
Damit geschäh’ euch, wie ich weiß,
5
gewonnen;
1 (>
16
20
26
30
86
40
216
Kein großer Dienst; drum laß ich’s bleiben: 45
Genug, es war ein Paradies.
Alles, was Aug’ und Gaum und Nase
Gelüsten kann, das fand man hier.
Nicht bloß im Treibhaus hinter Glase,
Frei stand es da im frischen Grase 60
Und blüht’ und reifte für und für.
Auch war in diesem Blumenreich
Die Luft so heilsam, rein und weich,
Daß Leute, die zum Sterben lagen,
Auf ihrem Bette hieher getragen 65
Und unter Bäume auf den Rasen
Gelegt, in Einer Nacht genasen.
Es geht doch, sagt mir was ihr wollt.
Nichts über Wald- und Gartenleben,
Und schlürfen ein dein trinkbar Gold, 60
0 Morgensonn’, und sorglos pchweben
Daher im frischen Blumenduft,
Und mit dem sanften Weben
Der freien Luft,
Als wie aus tausend offnen Sinnen, 65
Dich in sich ziehn, Natur, und ganz in dir zerrinnen — —
Wo war ich? — Gutes Volk, verzeiht!
Ich ließ euch doch nicht lange warten?
Der Abweg ist zum Glück nicht weit;
Wir sind ja noch in Hansens Garten. 70
Das war nun, wie gesagt, ein zweites Paradeis;
Und mitten drinnen stand ein siebenfacher Kreis
Von alten himmelhohen Linden,
Die ihre Äste wechselsweis
So vielfach ineinander winden, 76
So dicht, daß ihre grüne Nacht
Den hellen Tag zur Dämmrung macht.
Im engsten Kreise zog ein Kranz von Rosenhecken
Sich her um einen vollen Quell,
Der, kalt wie Eis und spiegelhell, 80
Sein perlend Wasser in ein Becken
Von grünem Marmor gofJ. Des Sommers strengste Glut,
Der schärfste Strahl der schwülen Mittagsstunde,
Erlosch in diesem kühlen Grunde;
Ein lieblich scharfer Geist, erfrischet hier das Blut, 86
Frischt Laub und Gras, und nährt mit ew’ger Fülle
Den immer grünen Hain; und wie in seine Stille
Ein Denker tritt, so freut er sich, allein,
Und ists ein Liebender, so wünscht er zwei zu sein.
Nun merket auf! — Ein Vögelein
Kam jeden Abend, jeden Morgen,
Und füllte diesen Ort mit lieblichem Gesang.
Es sang in dichtem Laub verborgen,
Und aller Vögel Sang und Klang
Verstummte flugs, sobald es sang.
Der Vogel schien, so anzusehen,
An Federn ein gemeiner Spatz,
Und kleiner noch: doch zum Ersatz
Für beides, hatten ihn die Feen
Gar sonderbar begabt, zu singen frank und froh
Ballade, Virelai, Rondeau,
Und tausend schöne Melodeien,
Die einem Leib und Seel’ erfreuen.
Da war kein Schmerz noch Gram so groß.
Der nicht in seinem Sang zerfloß:
Ihn singen hören oder trinken
Aus Lethes Flut war einerlei.
Sang er von Liebe, (zumal im Mai)
So wars unmöglich nicht zu sinken
In wonnigliche Träumerei;
Und sang er Freud im bunten Kranz,
Gleich hob sich jeder Fuß zum Tanz;
Und wenn er Rittertaten sang,
Ward einem stracks nach Kämpfen bang.
Der Vogel hatte noch was Sonderlich?* an sich;
Denn wie er von dem Garten wich,
Fiel alles Laub, die schönen Bäume
Verdorrten um die Quelle her,
Die schöne Quelle sprang nicht mehr.
Und jede Blum’ erstarb im Keime;
Das ganze Paradeis verschwand,
Nichts blieb als Fels und dürres Land.
Hans, dem dies alles zugehörte,
Kam täglich einmal, zweimal auch
Gewackelt in den Hain, und hörte
Dem Vogel zu, das war sein Brauch,
218
Sobald er morgens aus dem Bette
Oestiegen war, und kurz vor Licht;
Doch, daß er was empfunden hätte,
Das war nun seine Sache nipht. 130
Denn essen und trinken zum Zerplatzen,
Und schlafen, und im — Kopfe kratzen,
Und täglichtags sein Porzellan
Und seine goldnen Becher wischen,
Und mit dem Amtmann und Kaplan 136
Die Dame ziehn und Karten mischen.
Auch dann und wann in Wintertagen
Ein Häschen durch die Saaten jagen,
Und flacken auf dem Ruhebett,
Und, wenn ihm alles sonst will fehlen, 140
Sich schließen in sein Kabinett
Und seine Rostenobel zählen —
Dies Hansens Tun und Lassen war
Zwölf Monat lang in jedem Jahr.
Einst stand der lappichte Geselle 145
Und wusch die Augen aus der Quelle;
Da wirbelt aus dem Laub hervor
Dies Liedchen in sein dickes Ohr:
„Ihr Ritter und ihr Frauen zart,
„So rot von Mund und Wang’, 150
„Und junge Knappen edler Art,
„Horcht alle meinem Sang!
„Seid eurem Liebchen treu und hold;
„Und dient ihr um der Minne Sold,
„So seis auf lebenslang! 155
„Dem Mann, der ohne Liebe bleibt
„Und doch vor innerm Drang
„Sich rastlos hin und wieder treibt,
„Ist.s in der Haut so bang!
„Ist alles ihm so kalt, so tot! 160
„Er ist wie Wangen ohne Rot,
„Und Geigen ohne Klang.
„Doch Liebe sonder Ehre war’,
„Ein Feuer ohne Glanz,
„Ein Sommerwölkchen, bunt und leer, 166
„Ein welker Blumenkranz.
„Ein Biederherz ist wahr und frei,
„Und wenn es liebt, so liebt es treu,
„Und gibt sich rein und ganz.
„■Was hebt uns bis zum Götterrang?
„Das tut die Liebe, traun I
„Drum horchet alle meinem Sang,
„Ihr Ritter und ihr Fraun!
„Wollt ihr den echten Minnesold,
„Seid eurem Liebchen treu und hold
„Und liebt auf lebenslang!“
Hans, der nicht fern am Brunnen stand,
Horcht nach dem Sänger unverwandt;
Denkt bei sich selbst: Potz Stern, das wäre
Ein Tausch! Der König, wie ich höre,
Liebt die Musik, er gäbe mir.
Wenn ich den Vogel ihm verehre,
Wohl einen Meierhof dafür 1
Zwar singt er hübsch; allein, was schere
Ich'mich um seine Dudelei?
Kommt doch zuletzt nichts 'raus dabei!
Der Vogel hörte Wort für Wort
Was jener mit sich selbst , gesprochen,
Und sang aus voller Kehle: „O du holder Ort,
„Was so Arges hast du wohl verbrochen,
„Daß du einem dienst, der deinen Wert nicht fühlt,
„Der, so lang er lebt, nie in den Ring gestochen,
„Nie des Ruhmes, nie der Liebe Preis erhielt?
„Fallt, ihr schönen Erker, Türme, Hallen,
„Und ihr grünen dichten Bäume, laßt es fallen,
„Euer Laub! und du, die zwischen Blumen spielt,
„Kühle Quelle, höre auf zu wallen,
„Und vertrockne, daß dies Immergrün
„Sterb’ und alle Blumen stracks, verblühn!
„Unter euren Schatten, hohe Linden,
„Gingen wackre Ritter einst und edle Herrn,
„Und aus euch, ihr Rosen,' Kränze binden
„Sah ich Frauen, schöner als der Morgenstern!
„Und sie hörten meine Lieder gern;
„Denn sie hatten Lieb’ im Herzen! Desto lieber
„War ich ihnen und mein Liederspiel,
„Und vor wonniglichem, pressendem Gefühl
„Gingen manche klare Äuglein über;
220
„Und der liederwerten Taten wurden viel,
„Viel getan, und mancher Dank erstritten, 210
„Und sie lohnten des der Lieb’ und mir;
„Denn noch wohnten adelige Sitten,
„Ritterschaft, Gesang und Minne hier.
-„Und es sollte nun mich nicht verdrießen,
„Daß mich so ein Schuft besitzen soll? 215
„Der dies alles hat und vom Genießen
.„Nichts versteht — ein roher grober Knoll,
-„Der sich selbst nur lebt und seinen Lüsten,
-„Nichts begehrt als ewig Bauch und Eisten
-„Anzufüllen, fühllos bei Gesänge bleibt, 220
„Und die Zeit dabei mit Gähnen sich vertreibt I“
So sang das Vögelein und flog davon.
-„Gut, schimpfe nur, du kleiner Hurensohn,
.„(Denkt Hans) du sollst mir jedes Wort bezahlen,
.„Und mit Provision 1“ 225
Als nun der Abend kam, kam mit den letzten Strahlen
Auch, wie gewohnt, mein Vögelein
Zurück in seinen lieben Hain,
Sein frohes Abendlied zu singen.
Indessen hatte Hans die Linde und den Ast, 230
Wo es zu sitzen pflag, sehr wohl ins Aug’ gefaßt,
Und überall soviel geheime Schlingen
Im Laub versteckt, daß sich das arme Ding,
Sowie’s geflogen kam, in einer Schleife fing.
Der Schalk, von einer grünen Mauer 235
Verborgen, eilt herzu, sobald ers zappeln hört,
Macht den Gefangnen los, der tausend Kronen wert
Ihm unter Brüdern däucht, und steckt ihn in ein Bauer.
Der Sänger spricht: „Ich seh’ es schon,
„So wie der Herr, so auch der Lohn. 240
„Das hab’ ich nun für all mein Singen 1
-„Doch dürft’ ichs sagen, wohl getan
„Wars eben nicht mich so zu fahn;
.„Es wird euch wenig Rosen bringen.“
„Du sollst nur desto baß mir singen 1 245
„Sonst sangst du oder schwiegst auch still:
-„Jetzt sollst du singen, wenn ich will.“
„Da (sprach der Vogel) irrt er sich!
-..Der Käfig ist mir stark zuwider.
221
„Ich liebe freien Himmel, ich, 250
„Und Wald und Wiesen, setze mich
„W 08 mir beliebt, im Grünen nieder,
„Und wiege mich nach Herzens Lust
„Auf meinem Ast; und sing’ ich Lieder,
„So sing* ich sie aus freier Brust. 265
„Drum, lieber Herr, seid nun so bieder,
„Und schenkt mir meine Freiheit wieder:
„Denn glaubt mir, da geht nichts davon,
„Im Bauer sing’ ich keinen Ton.“
„Dem (spricht der Laur) ist bald geraten; 260
„So dreh’ ich dir den Hals, mein Sohn,
„Und esse dich für einen Braten.“
„O Herr, das lohnte wahrlich nicht
„Die Mühe, nur den Tisch zu decken;
„Bin gar ein kleiner magrer Wicht, 265
„Ich blieb euch zwischen den Zähnen stecken,
„Bis in den Magen käm’ ich nicht.
„Mein guter Junker, laßt mich leben!
„Was hättet ihr von meinem Tod?
„Euch kann er wenig Vorteil geben, 270
„Und mir ist länger Leben not.
„Am End’ ist doch nichts über Leben!“
„Hör’ auf zu bitten, sag’ ich dir,
„Mit Bitten kriegt man nichts von mir.“
„Nun (spricht der Vogel) seh’ ich wohl, 275
„Das alte Sprichwort ist nicht hohl:
„Mit groben Leuten höflich sein
„Heißt Wasser gießen auf einen Stein;
„Der Stein wird nicht durch Wasser weich,
„Der Laur nicht wild durch Höflichkeit. 280
„Doch sagt ein andrer Spruch zugleich:
„Der Weise schickt sieh in die Zeit.
„Drum, Lieber, macht den Bauer auf,
„Und laßt mir wieder meinen Lauf:
„Will Euch zum Dank drei Dinge lehren, 285
„Die nie kein Mann von eurem Stamm
„Gewußt, von Sinn gar wundersam;
„Die sollen Euch groß Gut gewähren 1“
„Was gibst du mir zum Unterpfand?“
„Mein Ehrenwort“, versetzt der Sänger; 290
222
„Es gilt für bar im ganzen Land.“
„Wohl,“ denkt der schlaue Vogelfänger,
„Es kann doch was dahinter sein;
„Ich nehm’ es mit, kann alles brauchen:
„Und du, hochweises Vögelein, 296
„Sollst dir die Füßchen bald verstauchen;
„Bis morgen bist du wieder mein!“
Somit schiebt er den Bauer auf
Und läßt dem Vogel seinen Lauf.
Der schnurrt heraus aus seiner Höhle, 300
So froh wie eine arme Seele,
Die aus des Fegfeu’rs Flammennacht
Ein frommer Klausner frei gemacht.
Er hüpft und tanzt im Kreis umher,
Ala ob er neu geboren wär’. 305
Setzt dann, indes der Junker paßt,
Sich wohlgemut auf einen Ast.
„Nun spitz’ die Ohren, edler Knecht I
„Merk’ jedes Wort und faß’ es recht,
„So wird dirs bringen viel Gewinn; 310
„Es liegt darin ein großer Sinhl
„Glaub’ nicht gleich alles, was du hörst!“
„Daß du dem Geier im Schnabel wärst!"
Versetzt der Junker grimmiglich;
„Das wußt’ ich lange ohne dicht“ 315
„Gut, bis dus brauchst, halts warm indessen!
„So etwas ist gar leicht vergessen."
„Nun seh’ ich wohl, mein saubrer Gast,
„Daß du mich nur zum Besten hast.
„Das Erste, was du mich gelehrt, 320
„Ist keinen roten Heller wert!
„Du hast den Lohn umsonst genommen.
„Doch sei’s! Laß’ nur das Andre kommen!“
„Merk’ wohl aufs Wort,“ (der Vogel spricht)
„Du wirst es brauchen! — Weine nicht 326
„Um etwas das du nicht gehabt!“
Hans schreit: „Da haben wirs ertappt!
„Ein fein Arkanum, Gott verdamm’ es!
„Daß ich der erste meines Stammes
„Sein sollte, der von dir das noch 330
„Erst lernen müßte! Hätt’ ich doch
„Den Schelmenhals dir umgedreht I“
„Der Wunsch (spricht jener) kommt zu spät.
„Indessen, daß du sehen magst,
„Wie ungerecht du mich verklagst,
„Sei nochmals beides dir empfohlen I
„Soll ich dirs etwa wiederholen?
„Von Herzen gern!“ — „Du mußt mich wohl,
(Schreit Hans) um so mit mir zu walten,
„Für einen großen Esel halten?
„Denn hätt’ ich auch ein Haupt von Kohl
„Mit Spreu gefüllt, so kahler Lehren,
„Zum Henker! könnt’ ich doch entbehren.
„Doch weil du nun im Vorteil bist,
„Laß immer noch 1 das Letzte hören!
„Wer weiß, obs nicht das Beste ist!“
„Das (spricht der Vogel) könnte sein.
„Nur faß es wohl! — Es gleicht dem Stein
„Der Weisen. Wer den machen kann,
„Der wird gewiß kein armer Mann!
„Merk’ auf mit Fleiß! Wiewohl es heut
„Zu spät kommt, kanns zu andrer Zeit
„Dir viel vergebliche Reu’ ersparen.
„Narr, was du in den Händen hast,
„Halt fest, und laß es nimmer fahren!“
Wie Hans dies hört, ergrimmt er fast.
„So (schreit er) hältst du dein Versprechen?
„O! könnt’ ich 1 dir die Beine brechen!
„Ist dies dein Wort? ist dies mein Dank?"
„Nun, guter Freund, was soll der Zank?
„Gab ich dir nicht drei goldne Lehren?
„Wie kannst du wohl noch mehr begehren?“
„Ein fein Geschenk, bei meiner Treu’!
„Man dächte, was dahinter peil
„Ich wußt’ in meinen Kindertagen
„Dergleichen schockweis aufzusagen.“
„So gut als irgend eine Gans,“
Versetzt der Vogel. „Mein guter Hans,
„Die Augen aus dem Kopf gegeben
„Mit Freuden hättest lieber du,
„Und beide Ohren noch dazu,
„(Wärst du gescheit) als mir das Leben.“
224
„Wie so? wie so? Was hätte mirs
„Geholfen, dich zum Koch zu tragen?“
„Gar viel geholfen hätte dirsl 376
„Unglücklicher! In meinem Magen
„Hättst du gefunden einen Stein,
„Drei Unzen schwer und hell an Schein
„Wie Diamant, der auf der Stätte
„Zum reichsten Mann gemacht dich hätte. 380
„Denn wer den Stein besitzt, der weiß
„Was künftig ist und was vergangen;
„Die Geister kommen auf sein Geheiß;
„Er darf nur wünschen, nur verlangen,
;,So steht es da, ist alles seinl 385
„Dein guter Engel gab dir ein,
„Mich heute noch am Spieß zu braten;
„Hättst du gefolgt, der Stein war dein!
„Doch einem Narr’n ist nicht zu raten.“
Hans, wie er diese Nachricht hört, 390
Sich wütend in die Haare fährt,
Schlägt mit der Faust sich vor den Magen,
Zerreißt sein Wams und seinen Kragen
Von Spitzen, hundert Taler wert,
Und füllt den Wald mit lauten Klagen. 396
. Der Vogel sieht in großer Ruh
Dem Spuk von seinem Baume zu;
Sagt nicht ein Wort, bis Mantel, Kragen,
Und Wams und Wange, Bart und Haar,
Sich Hans zerfetzt hat ganz und gar. 400
Drauf ruft er: „Narr, hör’ auf zu zagen,
„Der Schade darf dich so nicht plagen;
„Es ist kein Wort von allem wahr,
„Was ich vom Stein dir vorgetragen.“
„Wie? was? So wärs nur Lug und Trug?“ 406
„Du sagtest ja, du seist so klug,
„Man könnte dir nichts Neues sagen ?
„Du wissest alles schon vorher?
„Als du mich fingst, du dummer Bär,
„Da war ich keine Unze schwer; 410
„Wo käme denn in meinem Magen
„Ein Kiesel von drei Unzen her?“
„Nun seh’ ichs freilich nur zu sehr,"
225
Erwidert Hans mit nassem Blicke;
„Wer aber hätt’ auch solche Tücke
„Dir zugetraut ?" — „Begreifst du nun,
„Tor? Worte sind nur leere Schalen,
„Der Sinn ist alles, der Sinn, der Sinn!
„Allein für dich ist keiner drin!
„Die Lehre magst du nun bezahlen!
„Du wußtest alles längst zuvor —
„Was half dein Wissen? Pinsel, Tor!
„Hättet du verstanden es auszuüben,
„Dein Kragen und Wams wär’ ganz geblieben I
„So merk’ nun meine Lehren dir,
„Und sieh dich künftig besser fürl
„Sie kommen dir hoch genug zu stehen!
„Hiermit leb’ wohl, auf Wiedersehen!“
Der Vogel flog davon und soll
Noch wiederkommen. Dumm und toll
Steht Hans; ihm ist, als ob ihm träume:
Und, wie er steht, o wundervoll!
Fällt alles Laub, die schönen Bäume
Verdorren plötzlich ringsumher.
Die schöne Quelle springt nicht mehr.
Die Blumen sterben all im Keime,
Weg ist das ganze Feenland,
Und ihm bleibt nichts als dürrer Sand.
No. 10. Nicolay: Der Mann und das Vögelein.
Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, I, pp. 62/3.
Ein Vogler fing ein Vögelein,
Das sprach zum Vogler: „Sieh, wie klein,
„Wie leicht ich bin! Was nütz’ ich dir?
„Laß mich zum Walde wiederkehren!
„Aus Dankbarkeit will ich dafür 6
„Dich auch ein schönes Sprüchlein lehren.“
„So laß denn sehn", versetzt der Mann,
„Was mich ein Zeisig lehren kann.“ ,
Das Vögelein war herzlich froh,
Und sagte zu dem Vogler so: 10
„Mein Spruch ist der: Ein weiser Mann
„Glaubt nur, was er begreifen kann,
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 15
/
416
420
426
430
436
226
„Und grämet sich! zu keiner Frist
„Um etwas, das unmöglich ist."
„Ein schöner Spruch!“ versetzt der Mann, 15
„Den jedes Band mir sagen kann.
„Wer glaubt wohl ungereimte Dinge?
„Jedoch dein Wert ist so geringe,
„Daß ich damit zufrieden bin.
„So fliege denn nur wieder hin, 20
„Du Närrlein, ich! entlasse dich.“
Das Vögelein, sobald es sich
Auf einen nahen Baum gesetzt,
Denkt: „Laß nur sehen, ob der Mann,
„Der meinen Spruch! so wenig schätzet, 25
„Nun auch die Probe halten kann.“
„O!“ fängt es zu dem Vogler an,
„Ol seht ihn doch, den dummen Mann,
„Den auch ein Zeisig äffen kannl
„Denn wisse nun, mein Leib enthält 30
„Das größte Kleinod in der Welt,
„Den herrlichsten Karfunkelstein.
„Zwei Tonnen Goldes waren dein,
„Die hast du mit mir fliegen lassen.“
Weg fliegt der Zeisig, doch nicht weit. 35
Uneingedenk des Spruchs und der Unmöglichkeit,
Weiß sich der Mann, der Tor, vor ßeue kaum zu fassen.
No. 11. Le Grand d'Aussy: Le Lai de VOiselet.
Fabliaux ou Contes, 1781 2 , t. III, pp. 430—436.
Au temS passe, il y a bien cent ans de cela, vivait un
villain, dont je n’ai pu savoir le nom; mais qui ötait si puissam-
ment riche qu’il possödait prös, bois et riviöres, *en un mot,
tout ce que possöde l’homme le plus noble. II avait surtout un
manoir dölicieux, et tel que jamais bourg, ville ni chäteau
n’en a offert un pareil. Je crains, ä dire le vrai, de vous
en faire la description, de peur que vous ne soyez tente de la
regarder comme une fable. Aussi je votis pröviens que ce lieu
fut fait par art de nöcromancie. II appartint d’abord ä un
Chevalier. Aprös la mort de celui • ci son fils en hörita; mais
le fils, ruinö par ses döbauches, se vit oblige de le vendre,
et ce fut notre villain qui l’acheta. Vous savez que dans une
227
famille, pour d6truire villes et chäteaux, il ne faut souvent
qu’un h6ritier prodigue.
Ce s6jour consistait en une forte tour aveo donjon, bfttie
au centre d’un vaste terrain qu’enfermait une riviöre. Du
eourant d’enceinte se detachait un bras d’eau qui venait isoler
circulairement dans l’enclos un verger charmant. La se trou-
vait des roses, des fleurs et des 6pices de toute espöce, et en
teile abondance que si on y eüt apportö un mourant pour lui
faire respirer le bäume qu’elles exhalaient, eiles Peussent dans
l’instant rappelt ä la vie. Le terrain 6tait uni et sans asp6rite.
Les arbres, quoique fort 61ev6s, avaient tous une hauteur 6gale,
et quelque fruit qu’il vous plüt de demander, ils pouvaitent
vous l’offrir. Au milieu du verger s’elevait, en bouillonnant,
une fontaine qui allait perdre dans la rivtere ses eaux claires
et fraJches. Elle 6tait ombragee par un pin dont les rameaux
6 pais et 6ternellement verts, aux jours les plus brülants de
l’annäe la döfendaient du soleil.
Mais ce qui augmentait surtout les dälices de ce lieu
incomparable, c’6tait la prösence d’un oiseau merveilleux. Deux
fois le jour, le matin et le soir, il venait sur le pin, chanter
Lais, Refrains et Chansons amoureuses. Sa voix divine et
enchanteresse, aupres de laquelle les gigues, les violons et les
harpes ne sont rien, avait en outre une teile vertu, qu’elle
eüt suffi pour ramener la joie dans le coeur de l’amant le plus
d6sesp6r6. A son chant et ä sa präsence dtaient attach^es
l’existence et la beaut6 du verger: avec lui, arbres, fleurs et
fontaine, tout devait disparaitre. Voici quelle 6tait sa chanson:
«Ecoutez mon Lai, Chevaliers, Clercs et Lalcs, vous tous qui
aimez et qu’Amour afflige. Ecoutez-le surtout, vous jeunes
Pucelles; et mettez ä profit les le^ons que vous alle^ en-*
tendre t .
Mais la premiere fois qu’il vit approcher le villain, il
s’ecria: «Rivi^re, remonte vers ta source; et vous, donjon,
tour et chäteau, que la terre vous engloutisse! fleurs bril¬
lantes, ombrages frais, dess6chez-vous. Chaque jour sous ces
beaux arbres venaient jadis s’6battre Dames aimables et gentils
Chevaliers. Ils se plaisaient ä 6couter mon chant, et ne se
retiraient qu’en se promettant, les uns d’aimer davantage, les
autres de märiter encore plus d’amour ä force de Iib6ralit6, de
prouesses et de courtoisie. Mais ä präsent quel sort! nous avons
15 *
214
tu ne seras gaires saoul6s, car je sui une petite chosete; mais
si tu me vouloies laiasier aler, je t’apenroie trqis eens qui
t'avroient grant mestier se tu les vouloies metre. a uevre. —
Bar foi, dist li palsans, «et je te lairai aler». Et lasche la main,
et la masenge se l: trait seur une branche, et fu merveilles lide
de ce qu’elle fu eschap6e. «Or t’apenrai», dit la masenge au
palsant, «se tu veus, mes trois sens. — Oll voir», dist iL —
«Or escoute», dit la: masenge: «je te lo (et si le retien bien)
que ce que tu tiens ä tes mains que tu ne getes a tes piös,
et que tu ne croies pas quant que tu orras, et que tu ne meines
mie trop grand duel de la chose que tu ne pourras avoir ne
recouvrer. — Que est ce?» dist li vilains: «n’en diras-tu el? Par
le euer Beul se je te tenoie, tu ne m’eschaperoies huimais. —
En. non de moi», dit la masenge, «tu avroies droit, car j’ai en
na teste une pierre pr6cieuse aussi grosse comme. uns ues de
geline qui bien vaut cent livres.» Quant li palsans 1’oX, si
debat ses poins, et destire ses cheveus et demeine le plus
grant duel dou monde. Et la masenge commenfa a rire, et
li,: dist: «Soz vilains, mauvaisement as entendu et qm en uevre
les trois sens que j,e t’avoie dit; saches de voir que tu i6s de
tous trois deceüs. Tu me tenoies en ta main, si me getas a tes
pies quant tu me laissas aler; et me crels de ce que je te fis
entendant que j’avoie en ma teste une pierre precieuse qui
pstoit aussi grosse comme uns ues de geline, et: je' toute ne
sui si grosse; et si meines duel de moi a cui tu ne recouverras
jamais, car je me garderai mieus que je ne me sui gardde.»
Atant bati ses 61es et s’en vola, et laissa le palsant son duel
fesant. «Sire,» dist li arcevesques, «vous veez .bien que vous ne
pouez recouvrer a vostre fil, et bien devez croire que il est en
paradia, si vous devez conforter.» Li rois vit bien et sot que
li afcevesques li disoit vrai, si se conforta -et oublia auques son
duel.
No. 9. C. M. Wieland: Der Vogelsang öder <He drei
Lehren.
.1' ’/«' • ’ ' ’ ’.
Das Nachfolgende ist der Text in C. M. Wielands Sämmtlichen
.. Werken (1796), XVIII, pp. 365—387)
, Vor etwa siebenhundert ( Jahren
Und drüber lebt’ in meinem Schwabenland
Ein reicher Erdensohn, vop Namen unbekannt,
215
(Weil seine Ahnen stets geheim geblieben waren)
Und drum kurzweg der reiche Hans genannt.
Von Gottes Gnaden hatte der
Ein schönes Schloß, — das Bessern einst _als er
Zum Aufenthalt gedient — man weiß nicht wie
Wie nun einmal in dieser Unterwelt
Nichts lange seinen Herrn behält,
Und, was ein braver Mann begonnen.
Durch einen schlechten wieder fällt;
Genug, Hans hatt’ es nun gewonnen,
Das schönste Schloß, das von der lieben Sonnen
Je angeschienen ward, seitdem
Es Schlösser gibt. Es lag gar wunderangenehm.
Gebaut von schönen Quadersteinen,
Geräumig, stattlich und bequem;
Von ferne konnt’s das schönste Kloster scheinen.
Ich sage nichts von all dem feinen
Geräte drin, den langen Reihn
Von Sälen, Zimmern, groß und klein,
Und wie da ringsum alles schimmert
Und widerscheint und blitzt und flimmert
Von Silber, Gold und edlem Stein;
Nichts von den Kellern voller Wein,
Von weißen, purpurnen und gelben,
Aus Welschland, Frankreich und vom Rhein,
.Noch von den Kammern und Gewölben,
Bis oben an mit allem voll.
Was, nach dem alten Spruch, ein Weiser
Gern haben, leicht entbehren soll.
Ein Wort für tausend, selbst der Kaiser
Zu Wien in seinem alten Schloß
(Geleit’ ihn Gott auf seinen Reisen!)
Hat kaum mehr Reichtum aufzuweisen
Als Hans- in seiner Burg verschloß.
Wie er’s handhabte und genoß,
Das wird sich' in der Folge weisen.
Und eine schöne Treppe ging
Vom Schloß herab in einen Garten,
Der hundert Morgen wohl umfing.
Den wie ein Gärtner zu beschreiben.
Damit geschäh- euch, wie ich weiß,
6
gewonnen;
10
16
20
26
30
36
40
216
Kein großer Dienst; drum laß ich’s bleiben: 46
Genug, es war ein Paradies.
Alles, was Aug’ und Gaum und Nase
Gelüsten kann, das fand man hier.
Nicht bloß im Treibhaus hinter Glase,
Frei stand es da im frischen Grase 60
Und blüht’ und reifte für und für.
Auch war in diesem Blumenreich
Die Luft so heilsam, rein ünd weich.
Daß Leute, die zum Sterben lagen,
Auf ihrem Bette hieher getragen 66
Und unter Bäume auf den Rasen
Gelegt, in Einer Nacht genasen.
Es geht doch, sagt mir was ihr wollt,
Nichts über Wald- und Gartenleben,
Und schlürfen ein dein trinkbar Gold, 60
O Morgensonn’, und sorglos pchweben
Daher im frischen Blumenduft,
Und mit dem sanften Weben
Der freien Luft,
Als wie aus tausend offnen Sinnen, 65
Dich in sich ziehn, Natur, und ganz in dir zerrinnen --
Wo war ich? — Gutes Volk, verzeiht!
Ich ließ euch doch nicht lange warten?
Der Abweg ist zum Glück nicht weit;
Wir sind ja noch in Hansens Garten. 70
Das war nun, wie gesagt, ein zweites Paradeis;
Und mitten drinnen stand ein siebenfacher Kreis
Von alten himmelhohen Linden,
Die ihre Äste wechselsweis
So vielfach ineinander winden, 76
So dicht, daß ihre grüne Nacht
Den hellen Tag zur Dämmrung macht.
Im engsten Kreise zog ein Kranz von Rosenhecken
Sich her um einen vollen Quell,
Der, kalt wie Eis und spiegelhell, 80
Sein perlend Wasser in ein Becken
Von grünem Marmor gofJ. Des Sommers strengste Glut,
Der schärfste Strahl der schwülen Mittagsstunde,
Erlosch in diesem kühlen Grunde;
Ein lieblich scharfer Geist erfrischet hier das Blut, 85
Frischt Laub und Gras, und nährt mit ew’ger Fülle
Den immer grünen Hain; und wie in seine Stille
Ein Denker tritt, so freut er sich, allein,
Und ists ein Liebender, so wünscht er zwei zu sein.
Nun merket aufl — Ein Vögelein
Kam jeden Abend, jeden Morgen,
Und füllte diesen Ort mit lieblichem Gesang.
Es sang in dichtem Laub verborgen,
Und aller Vögel Sang und Klang
Verstummte flugs, sobald es sang.
Der Vogel schien, so anzusehen,
An Federn ein gemeiner Spatz,
Und kleiner noch: doch zum Ersatz
Für beides, hatten ihn die Feen
Gar sonderbar begabt, zu singen frank und froh
Ballade, Virelai, Rondeau,
Und tausend schöne Melodeien,
Die einem Leib und Seel’ erfreuen.
Da war kein Schmerz noch Gram so groß,
Der nicht in seinem Sang zerfloß:
Ihn singen hören oder trinken
Aus Lethes Flut war einerlei.
Sang er von Liebe, (zumal im Mai)
So wars unmöglich nicht zu sinken
In wonnigliche Träumerei;
Und sang er Freud im bunten Kranz,
Gleich hob sich jeder Fuß zum Tanz;
Und wenn er Rittertaten sang,
Ward einem stracks nach Kämpfen bang.
Der Vogel hatte noch was Sonderlich» an sich;
Denn wie er von dem Garten wich,
Fiel alles Laub, die schönen Bäume
Verdorrten um die Quelle her,
Die schöne Quelle sprang nicht mehr,
Und jede Blum’ erstarb im Keime;
Das ganze Paradeis verschwand,
Nichts blieb als Fels und dürres Land.
Hans, dem dies alles zugehörte,
Kam täglich einmal, zweimal auch
Gewackelt in den Hain, und hörte
Dem Vogel zu, das war sein Brauch,
218
Sobald er morgens aus dem Bette
Gestiegen war, und kurz vor Licht;
Doch, daß er was empfunden hätte,
Das war nun seine Sache nipht. 130
Denn essen und trinken zum Zerplatzen,
Und schlafen, und im — Kopfe kratzen.
Und täglichtags sein Porzellan
Und seine goldnen Becher wischen,
Und mit dem Amtmann und Kaplan 136
Die Dame ziehn und Karten mischen.
Auch dann und wann in Wintertagen
Ein Häschen durch die Saaten jagen,
Und flacken auf dem Ruhebett,
Und, wenn ihm alles sonst will fehlen, 140
Sich schließen in sein Kabinett
Und seine Ros'enobel zählen —
Dies Hansens Tun und Lassen war
Zwölf Monat lang in jedem Jahr.
Einst stand der lappichte Geselle 145
Und wusch die Augen aus der Quelle;
Da wirbelt aus dem Laub hervor
Dies Liedchen in sein dickes Ohr:
„Dir Ritter und ihr Frauen zart,
„So rot von Mund und Wang’, 150
„Und junge Knappen edler Art,
„Horcht alle meinem Sangl
„Seid eurem Liebchen treu und hold;
„Und dient ihr um der Minne Sold,
„So seis auf lebenslang I 155
„Dem Mann, der ohne Liebe bleibt
„Und doch vor innerm Drang
„Sich rastlos hin und wieder treibt,
„Ists in der Haut so bangt
„Ist alles ihm so kalt, so totl 160
„Er ist wie Wangen ohne Rot,
„Und Geigen ohne Klang.
„Doch Liebe sonder Ehre \?är’,
„Ein Feuer ohne Glanz,
„Ein Sommerwölkchen, bunt und leer, 166
„Ein welker Blumenkranz.
„Ein Biederherz ist wahr und frei,
219
„Und wenn es liebt, so liebt es treu,
„Und gibt sieb rein und ganz.
„"Was hebt uns bis zum Götterrang? 170
„Das tut die Liebe, traun!
„Drum horchet alle meinem Sang,
„Ihr Ritter und ihr Fraunl
„Wollt ihr den echten Minnesold,
„Seid eurem Liebchen treu und hold 175
„Und liebt auf lebenslang!“
Hans, der nicht fern am Brunnen stand,
Horcht nach dem Sänger unverwandt;
Denkt bei sich selbst: Potz Stern, das wäre
Ein Tausch! Der König, wie ich höre, 180
Liebt die Musik, er gäbe mir,
Wenn ich den Vogel ihm verehre,
Wohl einen Meierhof dafür!
Zwar singt er hübsch; allein, was schere
Ich mich um seine Dudelei? 185
Kommt doch zuletzt nichts 'raus dabei!
Der Vogel hörte Wort für Wort
Was jener mit sich selbst , gesprochen,
Und sang aus voller Kehle: „O du holder Ort,
„Was so Arges hast du wohl verbrochen, 190
„Daß du einem dienst, der deinen Wert nicht fühlt,
„Der, so lang er lebt, nie in den Ring gestochen,
„Nie des Ruhmes, nie der Liebe Preis erhielt?
„Pallt, ihr schönen Erker, Türme, Hallen,
„Und ihr grünen dichten Bäume, laßt es fallen, 195
„Euer Laub! und du, die zwischen Blumen spielt,
„Kühle Quelle, höre auf zu wallen,
„Und vertrockne, daß dies Immergrün
„Sterb’ und alle Blumen stracks, verblüh»!
„Unter euren Schatten, hohe Linden, 200
„Gingen wackre Ritter einst und edle Herrn,
„Und aus euch, ihr Roseh,' Kränze binden
„Sah ich Frauen, schöner als der Morgenstern!
„Und sie hörten meine Lieder gern;
„Denn sie hatten Lieb’ im Herzen! Desto lieber 205
„War ich ihnen und mein Liederspiel,
„Und vor wonniglichem, pressendem Gefühl
„Gingen manche klare Äuglein über;
220
„Und der liederwerten Taten wurden viel,
„Viel getan, und mancher Dank erstritten, 210
„Und sie lohnten des der Lieb’ und mir;
„Denn noch wohnten adelige Sitten,
„Ritterschaft, Gesang und Minne hier.
-„Und es sollte nun mich nicht verdrießen,
„Daß mich so ein Schuft besitzen soll? 215
„Der dies alles hat und vom Genießen
-„Nichts versteht — ein roher grober Knoll,
.„Der sich selbst nur lebt und seinen Lüsten,
„Nichts begehrt als ewig Bauch und Kisten
-„Anzufüllen, fühllos bei Gesänge bleibt, 220
„Und die Zeit dabei mit Gähnen sich vertreibtI“
So sang das Vögelein und flog davon.
-„Gut, schimpfe nur, du kleiner Hurensohn,
-„(Denkt Hans) du sollst mir jedes Wort bezahlen,
.„Und mit Provision 1“ 225
Als nun der Abend kam, kam mit den letzten Strahlen
Auch, wie gewohnt, mein Vögelein
Zurück in seinen lieben Hain,
Sein frohes Abendlied zu singen.
Indessen hatte Hans die Linde und den Ast, 230
Wo es zu sitzen pflag, sehr wohl ins Aug’ gefaßt,
Und überall soviel geheime Schlingen
Im Laub versteckt, daß sich das arme Ding,
Sowie’s geflogen kam, in einer Schleife fing.
Der Schalk, von einer grünen Mauer 235
Verborgen, eilt herzu, sobald ers zappeln hört,
Macht den Gefangnen los, der tausend Kronen wert
Ihm unter Brüdern däucht, und steckt ihn in ein Bauer.
Der Sänger spricht: „Ich seh’ es schon,
„So wie der Herr, so auch der Lohn. 240
„Das hab’ ich nun für all mein Singen I
-„Doch dürft’ ichs sagen, wohl getan
„Wars eben nicht mich so zu fahn;
-„Es wird euch wenig Bosen bringen.“
„Du sollst nur desto baß mir singen I 245
.„Sonst sangst du oder schwiegst auch still:
„.Jetzt sollst du singen, wenn ich will.“
„Da (sprach der Vogel) irrt er sich!
— Der Käfig ist mir stark zuwider.
221
„Ich liebe freien Himmel, ich,
„Und Wald und Wiesen, setze mich
„Wos mir beliebt, im Grünen nieder,
„Und wiege mich nach Herzens Lust
„Auf meinem Ast; und sing’ ich Lieder,
„So sing’ ich sie aus freier Brust.
„Drum, lieber Herr, seid nun so bieder,
„Und schenkt mir meine Freiheit wieder:
„Denn glaubt mir, da geht nichts davon,
„Im Bauer sing’ ich keinen Ton.“
„Dem (spricht der Laur) ist bald geraten;
„So dreh’ ich dir den Hals, mein Sohn,
„Und esse dich für einen Braten.“
„O Herr, das lohnte wahrlich nicht
„Die Mühe, nur den Tisch zu decken;
„Bin gar ein kleiner magrer Wicht,
„Ich blieb euch zwischen den Zähnen stecken,
„Bis in den Magen kam’ ich nicht.
„Mein guter Junker, laßt mich leben I
„Was hättet ihr von meinem Tod?
„Euch kann er wenig Vorteil geben,
„Und mir ist länger Leben not.
„Am End’ ist doch nichts über Leben 1“
„Hör’ auf zu bitten, sag’ ich dir,
„Mit Bitten kriegt man nichts von mir.“
„Nun (spricht der Vogel) seh’ ich wohl,
„Das alte Sprichwort ist nicht hohl:
„Mit groben Leuten höflich sein
„Heißt Wasser gießen auf einen Stein;
„Der Stein wird nicht durch Wasser weich,
„Der Laur nicht wild durch Höflichkeit.
„Doch sagt ein andrer Spruch zugleich:
„Der Weise schickt sieh in die Zeit.
„Drum, Lieber, macht den Bauer auf,
„Und laßt mir wieder meinen Lauf:
„Will Euch zum Dank drei Dinge lehren,
„Die nie kein Mann von eurem Stamm
„Gewußt, von Sinn gar wundersam;
„Die sollen Euch groß Gut gewähren 1“
„Was gibst du mir zum Unterpfand?“
„Mein Ehrenwort“, versetzt der Sänger;
250
256-
260
260
270
270
280
280
290
222
„Es gilt für bar im ganzen Land.“
„Wohl,“ denkt der schlaue Vogelfänger,
„Es kann doch was dahinter sein;
„Ich nehm’ es mit, kann alles brauchen:
„Und du, hochweises Vögelein, 296
„Sollst dir die Füßchen bald verstauchen;
„Bis morgen bist du wieder mein!“
Somit schiebt er den Bauer auf
Und läßt dem Vogel seinen Lauf.
Der schnurrt heraus aus seiner Höhle, 300
So froh wie eine arme Seele,
Die aus des Fegfeu’rs Flammennacht
Ein frommer Klausner frei gemacht.
Er hüpft und tanzt im Kreis umher,
Als ob er neu geboren war’. 306
Setzt dann, indes der Junker paßt,
Sich wohlgemut auf einen Ast.
„Nun spitz’ die Ohren, edler Knecht!
„Merk’ jedes Wort und faß’ es recht,
„So wird dirs bringen viel Gewinn; 310
„Es liegt darin ein großer Sinh!
„Glaub’ nicht gleich alles, was du hörst!“
„Daß du dem Geier im Schnabel wärst!“
Versetzt der Junker grimmiglich ;
„Das wußt’ ich lange ohne dich!“ 316
„Gut, bis dus brauchst, halts warm indessen!
„So etwas ist gar leicht vergessen."
„Nun seh’ ich wohl, mein saubrer Gast,
„Daß du mich nur zum Besten hast.
„Das Erste, was du mich gelehrt, 320
„Ist keinen roten Heller wertl
„Du hast den Lohn umsonst genommen.
„Doch sei’s! Laß’ nur das Andre kommen!“
„Merk 1 wohl aufs Wort,“ (der Vogel spricht)
„Du wirst es brauchen! — Weine nicht 326
„Um etwas das du nicht gehabt!“
Hans schreit: „Da haben wirs ertappt!
„Ein fein Arkanum, Gott verdamm’ es!
„Daß ich der erste meines Stammes
„Sein sollte, der von dir das noch 330
„Erst lernen müßte! Hätt’ ich doch
„Den Schelmenhals dir umgedreht I“
„Der Wunsch (spricht jener) kommt zu spät.
„Indessen, daß du sehen magst,
„Wie ungerecht du mich verklagst,
„Sei nochmals beides dir empfohlen I
„Soll ich dirs etwa wiederholen?
„Von Herzen gern!“ — „Du mußt mich wohl,
(Schreit Hans) um so mit mir zu walten,
„Für einen großen Esel halten?
„Denn hätt’ ich auch ein Haupt von Kohl
„Mit Spreu gefüllt, so kahler Lehren,
„Zum Henkerl könnt’ ich doch entbehren.
„Doch weil du nun im Vorteil bist,
„Laß immer noch das Letzte hören!
„Wer weiß, obs nicht das Beste ist I“
„Das (spricht der Vogel) könnte sein.
„Nur faß es wohll — Es gleicht dem Stein
„Der Weisen. Wer den machen kann,
„Der wird gewiß kein armer Mannl
„Merk’ auf mit Fleiß I Wiewohl es heut
„Zu spät kommt, kanns zu andrer Zeit
„Dir viel vergebliche Reu’ ersparen.
„Narr, was du in den Händen hast,
„Halt fest, und laß es nimmer fahren!“
Wie Hans dies hört, ergrimmt er fast.
„So (schreit er) hältst du dein Versprechen?
„0! könnt’ ich' dir die Beine brechen!
„Ist dies dein Wort? ist dies mein Dank?“
„Nun, guter Freund, was soll der Zank?
„Gab ich dir nicht drei goldne Lehren?
„Wie kannst du wohl noch mehr begehren?"
„Ein fein Geschenk, bei meiner Treu’!
„Man dächte, was dahinter peil
„Ich wußt’ in meinen Kindertagen
„Dergleichen schockweis aufzusagen.“
„So gut als irgend eine Gans,“
Versetzt der Vogel. „Mein guter Hans,
„Die Augen aus dem Kopf gegeben
„Mit Freuden hättest lieber du,
„Und beide Ohren noch dazu,
„(Wärst du gescheit) als mir das Leben.“
224
„Wie so? wie so? Was hätte mirs
„Geholfen, dich zum Koch zu tragen?“
„Gar viel geholfen hätte dirsl 376
„Unglücklicher! In meinem Magen
„Hättst du gefunden einen Stein,
„Drei Unzen schwer und hell an Schein
„Wie Diamant, der auf der Stätte
„Zum reichsten Mann gemacht dich hätte. 380
„Denn wer den Stein besitzt, der weiß
„Was künftig ist und was vergangen;
„Die Geister kommen auf sein Geheiß;
„Er darf nur wünschen, nur verlangen,
;,So steht es da, ist alles sein! 385
„Dein guter Engel gab dir ein,
„Mich heute noch am Spieß zu braten;
„Hättst du gefolgt, der Stein war dein!
„Doch einem Narr’n ist nicht zu raten.“
Hans, wie er diese Nachricht hört, 390
Sich wütend in die Haare fährt,
Schlägt mit der Faust sich vor den Magen,
Zerreißt sein Wams und seinen Kragen
Von Spitzen, hundert Taler wert,
Und füllt den Wald mit lauten Klagen. 396
Der Vogel sieht in großer Ruh
Dem Spuk von seinem Baume zu;
Sagt nicht ein Wort, bis Mantel, Kragen,
Und Wams und Wange, Bart und Haar,
Sich Hans zerfetzt hat ganz und gar. 400
Drauf ruft er: „Narr, hör’ auf zu zagen,
„Der Schade darf dich so nicht plagen;
„Es ist kein Wort von allem wahr,
„Was ich vom Stein dir vorgetragen.“
„Wie? was? So wärs nur Lug und Trug?“ 406
„Du sagtest ja, du seist so klug,
„Man könnte dir nichts Neues sagen ?
„Du wissest alles schon vorher?
„Als du mich fingst, du dummer Bär,
„Da war ich keine Unze schwer; 410
„Wo käme denn in meinem Magen
„Ein Kiesel von drei Unzen her?"
„Nun 8eh’ ichs freilich nur zu sehr,“
225
Erwidert Hans mit nassem Blicke;
„Wer aber hätt’ auch solche Tücke
„Dir zugetraut?“ — „Begreifst du nun,
„Tor? Worte sind nur leere Schalen,
„Der Sinn ist alles, der Sinn, der Sinnl
„Allein für dich ist keiner drinl
„Die Lehre magst du nun bezahlen!
„Du wußtest alles längst zuvor —
„Was half dein Wissen? Pinsel, Tori
„Hättet du verstanden es auszuüben,
„Dein Kragen und Wams wär’ ganz geblieben I
„So merk’ nun meine Lehren dir,
„Und sieh dich künftig besser für!
„Sie kommen dir hoch genug zu stehen 1
„Hiermit leb’ wohl, auf Wiedersehen!“
Der Vogel flog davon und soll
Noch wiederkommen. Dumm und toll
Steht Hans; ihm ist, als ob ihm träume:
Und, wie er steht, o wundervoll!
Fällt alles Laub, die schönen Bäume
Verdorren plötzlich ringsumher.
Die schöne Quelle springt nicht mehr,
Die Blumen sterben all im Keime,
Weg ist das ganze Feenland,
Und ihm bleibt nichts als dürrer Sand.
No. 10. Nicolay: Der Ma/nn und das Vögeleiri.
Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, I, pp. 62/3.
Ein Vogler fing ein Vögelein,
Das sprach zum Vogler: „Sieh, wie klein,
„Wie leicht ich bin! Was nütz’ ich dir?
„Laß mich zum Walde wiederkehren!
„Aus Dankbarkeit will ich dafür 5
„Dich auch ein schönes Sprüchlein lehren.“
„So laß denn sehn“, versetzt der Mann,
„Was mich ein Zeisig lehren kann.“ ,
Das Vögelein war herzlich froh.
Und sagte zu dem Vogler so: 10
„Mein Spruch ist der: Ein weiser Mann
„Glaubt nur, was er begreifen kann,
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 15
416
420
426
430
436
226
„Und grämet sich! zu keiner Frist
„Um etwas, das unmöglich ist."
„Ein schöner Spruch!“ versetzt der Mann, 15
„Den jedes Kind mir sagen kann.
„Wer glaubt wohl ungereimte Dinge?
„Jedoch dein Wert ist so geringe,
„Daß ich damit zufrieden bin.
„So fliege denn nur wieder hin, 20
„Du Närrlein, ich entlasse dich.“
Das Vögelein, sobald es sich
Auf einen nahen Baum gesetzt,
Denkt: „Laß nur sehen, ob der Mann,
„Der meinen Spruch so wenig schätzet, 25
„Nun auch die Probe halten kann.“
„Ol“ fängt es zu dem Vogler an,
„Ol seht ihn doch, den dummen Mann,
„Den auch ein Zeisig äffen kann!
„Denn wisse nun, mein Leib enthält 30
„Das größte Kleinod in der Welt,
„Den herrlichsten Karfunkelstein.
„Zwei Tonnen Goldes waren dein,
„Die hast du mit mir fliegen lassen.“
Weg fliegt der Zeisig, doch nicht weit. 35
Uneingedenk des Spruchs und der Unmöglichkeit,
Weiß sich der Mann, der Tor, vor Eeue kaum zu fassen.
No. 11. Le Grand d’Aussy: Le Lai de VOiselet.
Fabliaux ou Contes, 1781 2 , t. III, pp. 430—436.
Au temsl passe, il y a bien cent ans de cela, vivait un
villain, dont je n’ai pu savoir le nom; mais qui ötait si puissam-
ment riche qu’il possödait prös, bois et riviöres, • en un mot,
tout ce que possöde l’homme le plus noble. II avait surtout un
manoir dölicieux, et tel que jamais bourg, ville ni chäteau
n*en a offert un pareil. Je crains, ä dire le vrai, de vous
en faire la description, de peur que vous ne soyez tentö de la
regarder comme une fable. Aussi je votts pr6viens que ce lieu
fut fait par art de nöcromancie. II appartint d’abord ä un
Chevalier. Aprös la mort de celui-ci son fils en hörita; mais
le fils, ruinö par ses döbauches, se vit obligö de le vendre,
et ce fut notre villain qui l'acheta. Vous savez que dans une
227
famille, pour dötruire villes et chäteaux, il ne faut souvent
qu’un höritier prodigue.
Ce s6jour consistait en une forte tour avec donjon, bfttie
au centre d’un vaste terrain qu’enfermait une riviöre. Du
courant d’enceinte se dötachait un bras d’eau qui venait isoler
circulairement dans l’enclos un verger charmant. La se trou-
vait des roses, des fleurs et des 6pices de toute espöce, et en
teile abondance que si on y eüt apport6 un mourant pour lui
faire respirer le bäume qu’elles exhalaient, elles rieussent dans
l’instant rappelt 4 la vie. Le terrain 6tait uni et sans aspöritA
Les arbres, quoique fort 61ev6s, avaient tous une hauteur 6gale,
et quelque fruit qu’il vous plüt de demander, ils pouvailent
vous l’offrir. Au milieu du verger s’ölevait, en bouillonnant,
une fontaine qui allait perdre dans la riviäre ses eaux claires
et fraiches. Elle 6tait ombragöe par un pin dont les rameaux
6pais et 6ternellement verts, aux jours les plus brülants de
l’annöe la döfendaient du soleil.
Mais ce qui augmentait surtout les dälices de ce lieu
incomparable, cAtait la pr6sence d’un oiseau merveilleux. Deux
fois le jour, le matin et le soir, il venait sur le pin, chanter
Lais, Refrains et Chansons amoureuses. Sa voix divine et
enchanteresse, aupres de laquelle les gigues, les violons et les
harpes ne sont rien, avait en outre une teile vertu, qu’elle
eüt suffi pour ramener la joie dans le coeur de l’amant le plus
d6sesp6rA A son chant et 4 sa präsence 6taient attachöes
l’existence et la beautö du verger: avec lui, arbres, fleurs et
fontaine, tout devait disparaitre. Voici quelle 6tait sa chanson:
«Ecoutez mon Lai, Chevaliers, Clercs et Lalcs, vous tous qui
aimez et qu’Amour afflige. Ecoutez-le surtout, vous jeunes
Pucelles; et mettez 4 profit les lepons que vous alle^ en-
tendre t . .»
Mais la premiere fois qu’il vit approcher le villain, il
8’ecria: «Rivi4re, remonte vers ta source; et vous, donjon,
tour et chäteau, que la terre vous engloutissel fleurs bril¬
lantes, ombrages frais, dess6chez-vous. Chaque jour sous ces
beaux arbres venaient jadis s’6battre Dames aimables et gentils
Chevaliers. Ils se plaisaient 4 6couter mon chant, et ne se
retiraient qu’en se promettant, les uns d’aimer davantage, les
autres de m6riter encore plus d’amour 4 force de Iib6ralit6, de
prouesses et de courtoisie. Mais 4 präsent quel sortl nous avons
15 *
— 228
pour maitre un villain dont l’unique bonheur est de manger
et qui ne donnerait pas un denier pour entendre mon Jai
si joli ...»
Apres avoir ainsi parle, l’oiseau indignd s’envola; et le
manant, loin d’etre humili6 de ses reproches, ne songea qu’ä
trouver les moyens de l’attraper, dans l’espoir que s’il pouvait
y röussir il le vendrait fort eher. Son projet fut heureux. II
tendit sur l’arbre ün filet si adroitement que l'oiseau, quand
il revint le soir ä son ordinaire, se trouva pris. «Quel tort
vous ai-je fait, dit alors le captif, et pourquoi vouloir m’öter la
vie?» «Tu ne mourras pas, repliqua le vilain; mais je veux
que tu chantes.» — «Eh! ne chantais-je pas tous les joucs, quand
j’avais, pour voltiger, ces jardins, ces bois et ces pr6s ?» — «Tu
auras dösormais une belle cage.» — «Je trouvais ici toutes leg
graines et les fruits que pouvait desirer ma faim.» — «Tu
n’auras plus la peine de cheroher ä manger, on te nourrira.» —
«J’etais libre et content. Croyez-vous que dans une prison ce
spient des Chansons dont on s’occupe?» — «Si tu fais le muet,
il y a une ressource; on te mettra k la broche.» — «Voyez ma
taille,- petit cpmme je suis, ce serait une cruaut6 k vous de me
faire mourir.» Enfin, que vous dirai-je? Le pauvre captif
demanda gräce et tächa de flöchir le villain, et lui promit
que s’il voulait le remettre en liberte il lui apprendrait en
reconnaissance trois secrets merveilleux; mais tellement merveil-
leux que jamais homme de sa race n’avait oul rien qui en
approchät.
A ces paroles le villain ouvrit les oreilles. Il se laissa
seduire, et lächa l’oiseau, qui s’envola au haut du pin, com-
menpa par arranger et raccommoder ses plumes. Il fallut le
Sommer d’exdcuter sa prömesse. «Volontiers, r6pondit-il. ficoute-
moi attentivement, tu vas entendre I’abr6g6 de la prudence
humaine. Et d’abord, l’ami, garde-toi de croire trop legerement
tout qe qu’on te dira.» «N’as-tu que cela ä m’apprendre, röpli-
qua le laboureur, tu peux le garder pour toi; je le savais d6jä.
— Il est- bon de te le rappeier; tu l’avais oublie, retiens-le
bien pour la vie. Mais quoi? Tu fais la grimace. Allons, je
vais donc t’epseigner la seconde chose. Dresse tes grandes
oreilles et Sache qu’il faut se consoler de ce qu’on n’a plus.»
; Le’ vffiaih- s’apercevant qu’on se moquait de lui, se fächa,
et; reprochä au chanteur de manquer de bonüe foi. «Vous
229
m’avieat promis trois merveilles, lui dit-il, et vous me payee
lä avec des niaiseries que tous les enfants savent parcoegur. La
troisiöme est-elle de la m6me force?» — Non, la troisi^me est
un vrai tr6sor, et si un homme la pratique, il peut s'assurer
de ne jamais devenir pauvre.»
Cette parole ranima le manant. II crtjt qü’ön avait voulu
l’eprouver d’abord et qu’on allait enfin le r6compenser de sa
bonne action. Mais sa honte fut ertröme lorsqu’il entendit: «Ce
que tu tiens dans tes mains, ne le jette pas ä tes pieds.» «Je
ne l’oublierai pas, r6pliqua-t-il; et si je te rattrape ...» «Je
veux t’en 6pargner la peine, reprit l’oiseau.» En disant ces
mots, il s’envola; et ä l’instant la fontaine tarit, le pin se
dess^cha, les fruits tomberent de leurs branches, et Ja beautö
de ce lieu si vert et si frais disparut pour toujours.
Tel fut le prix de l'avarice du villain, et tel est le sort
de la cupidit6. En vöulant tout avoir eile perd tout.
No. 12. Wcvy: The Lay of the Little Bird.
Fabliaux or Tales (1815), vol. I, pp. 51^-59.
In days of yore, at least a Century since,
There liv’d a carle as wealthy as a prince:
His name I wot not; but his wide domain
Was rieh with stream and forest, mead and plain;
To crown the whole, one manor he possess’d 5
In choice delight so passing all the rest,
No castle burgh or city might compare
With the quaint beauties of that mansion rare.
The sooth to say, I fear my words may seam
Like some stränge fabling, or fantastick dream, 10
If. unadvis’d, the portraiture I trace,
And each brave pleasure of that peerless place;
Foreknow ye then, by necromantick might
Was rais’d this paradise of all delight;
A good knight own’d it first; he, bow’d with age, 15
Died, and his son possess’d the heritage:
But the lewd stripling, all to riot bent, ' ■
(His chattels quickly wasted and forespent,)
Was driven to see his patrinaony sold
To the base carle of whom I lately told. 20
Ye wot right well there only needs be sought
230
One spendthrift heir, to bring great wealth to nought.
A lofty tower and strong, the building stood
Midst a vast plain surrounded by a flood.
And hence one pebble-paved channel stray’d, 26
That compass’d in a clustering orchard’s shade:
‘Twaa a choice charming plat; abundant round
Flowers, roses, odorous spices cloth'd the ground;
Unnumber’d kinds, and all profusely shower'd
Such aromatick balsam as they flower’d, 30
Their fragrance might have stay’d man’s parting breath,
And chas'd the hovering agony of death.
The sward one level held, and close above
Tall shapely trees their leafy mantles wove,
All equal growth, and low their branches came, 36
Thick set with goodliest fruits of every name.
In midst, to cheer the ravish’d gazer’s view,
A gushing fount its waters upward threw,
Thence slowly on with crystal current pass’d,
And crept into the distant flood at last: 40
But nigh its source a pine’s umbrageous head
Stretch’d far and wide in deathless verdure spread,
Met with broad shade the summer’s sultry gleam,
And through the livelong year shut out the beam.
Such was the scene: — yet still the place was bless’d 46
With one rare pleasure passing all the rest:
A wondrous bird, of energies divine
Had fix’d his dwelling in the tufted pine;
There still he sat, and there with amorous lay
Wak’d the dim morn, and clos’d the parting day: 50
Match’d with these strains of linked sweetness wrought
The violin and full-ton’d harp were nought;
Of power they were with new-born joy to move
The cheerless heart of long desponding love;
Of power so stränge, that should they cease to sound, 65
And the blithe songster flee the mystick ground,
That goodly orchard’s scene, the pine-tree’s shade,
Trees, flowers and fount, would all like vapour fade.
‘Listen, listen to my layl’
Thus the merry notes did chime,
‘All w;ho mighty love obey,
60
231
Sadly wasting in your prime,
Clerk and laick, grave and gay 1’
Yet do ye, before the rest,
Gentle maidens, mark me teil! 66
Store my lesson in your breast,
Trust me it shall profit well:
Hear, and heed me, and be bless’dl’
So sang the bird of old: but when he spied
The carle draw near, with alter’d tone he cried — 70
‘Back, river, to thy source; and thee, tall tower,
Thee, castle strong, may gaping earth devourl
Bend down your heads, ye gaudy flowers, and fade!
And wither’d be each fruit-tree’s mantling shade!
Beneath these beauteous branches once were seen 75
Brave gentle knights disporting on the green.
And lovely dames; and oft, these flowers among,
Stay’d the blithe bands, and joy’d to hear my song;
Nor would they hence retire, nor quit the grove,
Till many a vow were past of mutual love; 80
These more would cherish, those would more deserve;
Cost, courtesy, and arms, and nothing swerve.
0 bitter change; for master now we see
A faitour villain carle of low degree;
Foul gluttony employs his livelong day, 86
Nor heeds nor hears he my melodious lay.’
So spake the bird; and, as he ceased to sing,
Indignantly he clapp’d his downy wing,
And straight was gone; but no abasement stirr’d
In the clown’s breast at his reproachful word: 90
Bent was his wit alone by quaint device
To snare, and seil him for a passing price.
So well he wrought, so craftily he spread
In the thick foliage green his slender thread,
That, when at eve the little songster sought 96
His wonted spray, his heedless foot was caught.
‘How have I harm’d you?’ straight he ’gan to cry,
'And wherefore would you do me thus to die?’ —
‘Nay, fear not’, quoth the clown, ‘for death or wrong;
‘I only seek to profit by thy song; 100
IT1 get thee a fine cage, nor shalt thou lack
232
Good störe of kerneis and of seeds to crack;
But sing thou shait; for if thou play’st the mute.
I’ll spit thee, bird, and pick they bones to boot.’
‘Ah, woe is mel’ the little thrall replied, 106
*Who thinks of song, in prison doom’d to bide?
‘And were I cook’d, my bulk might scarce afford
‘One scanty mouthful to my hungry lord.’
What may I more relate? — the captive wigth
Aussay’d to melt the villain all he might; 110
And fairly promis’d, were he once set free,
In gratitude to teach him secrets three;
Three secrets, all so marvellous and rare,
His race knew nought that might with these compare.
The carle prick’d up his ears amain; he loos’d 115
The songster thrall, by love of gain seduc’d:
üp to the summit of the pine-tree’s shade
Sped the blithe bird, and there at ease he stay’d,
And trick’d his plumes full leisurely, I trow,
Till the carle claim’d his promise from below: 120
‘Bight gladly’, quoth the bird; ‘now grow thee wise:
All human prudence few brief lines comprize:
Birst then, lest haply in the event it fail,
Yield not a ready faith to every tale.’ — 4
Ts this thy secret?“ quoth the moody elf, 126
‘Keep then thy silly lesson for thyself;
I need it not.’ — ‘Howbe ’tis not amiss
To prick thy memory with advice like this.
But late, meseems, thou hadst forgot the lore;
Now may’st thou hold it fast for evermore. 130
Mark next my second rule, and sadly know,
What’s lost, ’tis wise with patience to forego.’
The carle, though rüde of wit, now chaf’d amain;
He feit the mockery of the songster’s strain.
‘Peace’, quoth the bird; my third is far the best; 136
Store thou the precious treasure in thy breast:
What good thou hast, ne’er lightly from thee cast.’
— He spoke, and twittering fled away full fast.
Straight, sunk in earth, the gushing fountain dries.
Down fail the fruits, the wither’d pine-tree dies, 140
Bades all the beauteous plat, so cool, so green,
Into thin air, and never more is seen.
Such was the meed of avarice: — bitter costl
The carle who all woüld gathef, all has lost.
No. 13. El Libro de los Exemplos.
Autores Espanoles, LI, p. 460.
Lin.
Dolendum non est de rebus amissis, nec impossibilia sunt
credenda.
De las cosas perdidas non te debes doler,
Et las imposibles non debes creer.
Dijo Pedro Alfonso 4 su fijo: «Non desees las cosas ajenas, nin
fagas dolor de las cosas perdidas.» Dicen que un homme tenia
un verjel en que corria agua en que habia yerba verde. £ un
dia en despues de sus trabajos fuese 4 folgar a aquel verjel,
d dl estando all, asentöse un ruisenor sobre un ärbol et comenzö
4 cantar muy dulcemente, e dl puso sus lazos d tomölo, d
dijole el avecila: «&A que trabajaste tanto por me tomar,
ö qud provecho esperaste haber en mi presion?» E dijole el
homme: «Cobdicio oir tus cantos.» E dijole el avecilla: «Non
te aprovecha nada, ca por precio nin por ruego nunca cantard,
si non me soltares.» £ respondid: «Si non cantares, yo te
comere.» £ dijo ella: «t)C6mo me comeräs? Que si me comieres
cocida, 5 qud te aprovechard cosa tan pequena? £ si asada
aun serd menor, d la carne aspera; mas si me dejares ir, tu
habrds gran provecho.» £ el dijo: «5Que provecho?» Dijo el
ruisenor: «Yo te mostrard tres maneras de sabidoria, que las
preciaräs maB que carne de tres terneras.» £ dl seyendo seguro
de lo que le prometiö, soltöla e el ave le dijo: «Lo primero,
non creas todo lo que te dijeren; lo segundo, lo que tuyo fuere,
siempre lo guarda d lo tien; lo tercero, por cosa que pierdas,
nunca ayas dolor.» £ dicho esto, vold encima de un 4rboI d
comenzö 4 cantar dulcemente e decir: «Bendito Dios, que cerrö
la lumbre de tus ojos d te tirö el saber, ca si hobieras buscado
mis tripas hobieres fallado peso de una onza de jacinto que
es piedra muy preciosa.» £ de que dl oyö esto, comenzö 4
llörar e ferirse en los pechos, porque creyera el avecilla. £
dijole el ruisenor: «Aina te olvidaste el seso que de deje: & y°
non te höbe dicho non creas todo lo que te dijeren? *»> Cömo
creyes que en mi ha este jacinto de una onza, ca yo todo no
234
pesa tanto? £ yo »> non te dije: non hayas dolor de las cpsas
perdidas? b Por quö te dueles del jacinto que stü en mi
cuerpo? Dichas estas cosas 6 el rüstico escarnecido, el ruisefior
fuese para los montes.»
[p. 518] CCC
Perdita res irrecuperabilis non est dolenda. Del ballestero
que tomö el ruisennor. Desuso lo fallaras en Dolendum.
No. 14. [Af bönda einum er fekk fugl i eplagaröij.
Oering, Islendzk jEventyri, I, pp. 196/7.
Maör nökkurr haffli eplagarö, par runnu smülxkir ok vex
par grxnt gras umkringis. Einn dag var böndinn möör ok
villdi hvllaz i eplagaröi sinum. Einn litill fugl settiz i tröit
yfir honum ok söng listiliga, en böndinn gilldraöi til ok tök
bann 1 b'nöru. Puglinn mxllti: ‘Hvi starfar pü svü mikit til at
taka mik, eör hver nytsemö mä per at mör vera?’ ‘Sakir pins
ymisliga söngs, sagöi böndinn, fysti mik at taka Pik’. Fuglinn
svarar: ‘Pat kemr pör til einskis, pviat ämeöan ek em halldinn,
Pü syng ek hvürki meö boöi ne beizlu.' ‘Pü skal ek eta pik’,
segir böndinn. ‘Pat kemr per til einskis, segir fuglinn, svü
litill sem ek em soöinn, pü em ek minni steiktr; en ef pü gefr
mik frjülsam, pü mun ek kenna pör prjü spekingaräö er meira
gott gjöra en mikit fe, ef pü hefir ä *persu trü.’ Böndinn frelsir
fuglinn; hann mxllti pü: ‘Pat er eitt af minum rüöum, at pü
trüir eigi öllum oröum ok heitum; pat annat, at pü halldir vel
pat er pü ütt; pat er hit priöja, at pü syrgir eigi pü hluti
sem pü hefir lütit.’ Siöan flö hann i tröin upp ok söng meör
fagri röddu persi orö: ‘Blezaör se göör guö, at hann gjörOi
skyggiliga sjön augna pinna ok vit pitt tök frü pör, pviat ef
pü heföir rannsakat fellingar innyfla minna, pü mundir pü
hitt ok üt valit hafa jacinctum einn er eyri vegr.’ Ok er bön¬
dinn heyröi petta, hugöi hann at sama vxri satt 16t illa.
Pü mxllti fuglinn: ‘Skjött gleymir pü, böndi, minum heibrxöum
er ek hefi üör gefit pör ok üör sagt, at pü skylldir eigi trüa
öllu ok eigi helldr syrgja fenginn skaöa; eör hversu müttu,
böndi, pvi trüa at ek hafi jafn mikinn eyris punga i kviöi
mör inni byrgöan ok fölginn, par sem ek veg eigi allr svü
mikit? eör hvi villtu svü mikilliga syrgja mik, par sem pü
hefir alldrigi nökkura vün til, at pü füir mik nökkurn tima
235
veiddan?’ SiÖan flö fuglinn i pykkvan skög at böndanum eptir
veranda mjök hryggjum ok haröla mjök sorgfullum.
No. 15. Steinhöwels N eub earb eitung der Erzählung der
Disoiplina.
Steinhöwels Äsop, hg. von H. österley, pp. 313/14.
De avicula et rustico.
ßusticus quidam virgultum habuit amenissimum cum lim-
pidis defluentibus rivulis herbisque et floribus valde ornatum,
quare aves illud frequentiua inhabitabant. Quadam vero die
fessus labore, ut animum recrearet, virgultum intravit ac sub
pomo arbore consedit, super quam avis minima cantavit dulcis-
sirae. Cuius cantum tarn delectabilem cum rusticus audiret, eam
laqueo decepit et captam tenuit. Cui avis dixit: Cur tantum
laborasti, ut me caperes, cum nullum commodum de me capta
possis consequi? Cui rusticus: Ideo te cepi, ut cantus tuus
dulcis meum delectet animum. Cui avicula: In vacuum laborasti,
quia nec prece nec pretio tibi cantabo. At ille: Et nisi canta-
veris, te comedam. At avis: Et quomodo me comedes? Si
aqua coctam bolus erit minimus, quem deglutiendo vix senties.
Si me assaveris, adhuc ero minor et magis hispida; ac si me
volare dimiseris, magnam utilitatem ex me consequeris. Nam
tibi tres dabo sapientie doctrinas, quas plus trium vitulorum
carnibus amabis. Dum vero illud avis rustico promitteret, eam
ipse permisit avolare. Cui avis ait: Sit ergo prima doctrina,
ut non credas omnibus dictis, signanter illis, que verisimilia non
sunt. Secunda, quod tuum est, serva. Tertia, de perditis, que
recuperare non potes, dolere non debes. His dictis avis arborem
ascendit et dulcissimo cantu cecinit orationem illam: Bene-
dictus deus, qui huius aucupis sensus obumbravit et prudentiam
abstulit, ne manibus tangeret nec oculis videret, neve ratione
percfiperet lapidem iacinctum unius uncie ponderis, quem in
meis gero visceribus; nam hoc invento ipse mire ditatus fuisset
et ego vivus non evasissem. Rusticus hoc audito maxime tur-
batus pre dolore penitens flevit et mestus ait: Ve mihi, quod
verbis avicule dolose crediderim, et quam habui, non servavit
At avis: O fatue, cur cruciaris animo? Es ne tarn cito doctrine,
quam tibi tradidi, oblitus? putasne aviculam tarn parvam, que
tota vix dragmam ponderat> unius uncie iacinctum in suis por-
236
tare vigceribus ? num quid tibi dixi: His que verisimilia non
sunt, credere non debes? Et si tuus fuisset, cur non servasti?
Et si omisisses et recuperare non posses, cur doleres contra
doctrinas tibi datas? His dictis rustico deriso avis recessit.
No. 16. Die Erzählung in Steinhöwels deutsch. Bearh.
seines Äsop.
Steinhöwels Äsop, hg. v. H. österley, pp. 313—315.
Von dem vogler und vögelin.
Dy lere sint ze behalten, die ain vögelin leret; deß höre
dise fabel. Ain puwr het zemal ain lustigs hölczlin mit anger,
bomen und bluomen wol gezieret, dardurch von springendem
brunnei wasser manig luter und clares flüßlin rane. Darumb
die vögelin mer und lieber da selbist wonten, dann an andern
enden. Uff ainen tag, als der puer müder von der arbait körnen
waz, gieng er in das hölczlin, syn beschwertes gemüt wider
ze erfröwen, und leget sich ze ruow under ainen schönen apfel-
boum, uff dem gar ain klains vögelin süß, lut und lustlicb mit
heller stim erklänge. Do der puwr daz so lieplich gesang er¬
höret, richtet er dem vögelin so vil strike, daz es gefangen
ward, und als er es gefangen in der hand hielte, sprach das
vögelin zuo im: Warumb hast du so vil arbait gehabt, mich ze
fachen, was nuczes hast du von mir so klainem vögelin? Ant-
würt. der puwr: Darum das du mir singest. Das vögelin sprach:
Du vermagst nit, weder durch bitt noch gaub, daz ich dir singe.
Do sprach der puwr: So wil ich dich essen. Sprach das vögelin:
Sag mir, wie du mich essen wellest; ob du mich südest, so
würde ich so klain, daz du myn an dem schlinden hart emp¬
finden würdest; wilt du mich dann braten, so würd ich noch
klainer und ruher. Ob du mich aber fliegen lassest, so .würdet
du großen nucz von mir erlangen. Wann ich will dir ze wider¬
gelt geben dry 1er der wyßhait, die dir nuczer synt, wann dryer
kelber flaisch. Do der vogel das dem pawren verhieße, ließ
er in fliegen. Do sprach das vögelin: Die erst 1er ist, daz du
nit alles das gelouben solt, das man sagt, und voruß daz der
warhait nit gelych ist. Die ander 1er ist, was dyn' sye, das
behalt. Die dritt, was du verlörest und nit magst wider bringen,
des solt du vergessen und dich nit ser darumb bekümern. Nach
diesen Worten flöge daz vögelin uff ainen boum und fienge an ze
237
singen mit heller stimme dieses gebett: Gelobt sye got, der
disem vogler syne sinn also getunkelt hat und syne vernunfft
also hingenomen, daz syne ougen nit gesehen haben, noch syne
hend gegriffen, noch syn vernunfft gemerket den edeln köst¬
lichen jacincten in mynem lyb, der wol zweyer lot schwär ist,
von dem ouch der vogler über rych worden wäre; aber jich
müste darumb syn gestorben. Do das der pawr erhöret, ward er
ser betrübt in synem gemüt, und wainend und klagend sprach
er: Wee mir armen, daz ich den tugenhafften Worten dieses
schalkhafften vogels habe geloubet, daz ich in nit behalten
habe, do ich in hette. Do sprach der vogel zuo im: O du tour,
warum kestiget du dyn gemüt? hast du iecz der lere vergessen,
die ich dir gegeben habe, du solt nit gelouben, waz der war-
hait nit gelych ist? wie kan müglich syn, daz ich ainen stain
zweyer lot schwäre in mir trage, so ich gancz kom ain quint-
lin wege? und wäre das ouch waur gewesen, so soltest du das
dyn behalten haben. Darzuo, ob du das hottest verloren und nit
wider zebringen wäre, so soltest das in vergessen seczen und uß
dynem gemüt schlahen. Damit fuor es dahin in den wald und
ließe den pawren mit gespött hinder im.
No. 17. Hans Sachs: Drey guter nützlicher lehr einer
Nachtigall.
Das erst Buch Sehr Herrliche Schöne und warhaffte Gedicht,
fol. 428“—429a.
Vor Jaren war ein Pawer alt
Der het ein sehr lustigen Wald
Darinn het er ein grünen anger
Der war von klee und blümlein schwanger
Dardurch ein Bechlein kam gerunnen 5
Von einem klaren külen Brunnen
Darbey hört man der Vögel gsang
Das es gar wunnigklich erklang
Und sonderlich ein Nachtigall
Der stimb erschelt durch Berg und thal 10
Nun begab sich an einem Tag
Das müd halben der Pawer lag
Unter eim Paumen in seiner rhu
Und höret der Nachtigall zu
Wie künstlich sie da figuriert
15
238
Jetzt hoch denn nider artlich ziert
Mit schönen leufftlein unterbrochen
Das nicht mag werden 'außgesprochen
Der Pawer im gedencken thet
O das ich die Nachtigal het 20
Und stellet ir nach mit verlangen
Biß das sie endlich wurd gefangen
Als er sie in der hand nun het
Die Nachtigall den Mann anredt
Warumb hast du so lange zeit 25
Auf mich gelegt so groß arbeit
Biß du doch hast gefangen mich
Sag mir nun her, was hilff ich dich?
Der Pawer sprach zum Vögelein
Da must du mein Hofierer sein 30
Mir singen beide Nacht und Tag.
Die Nachtigal sprach: Ich dir sag
Du solst und magst mich gar nit zwingen
Dir ein einiges gsang zu singen
Der Pawer sprach: Redst so vermeßn 35
So wiß und das ich dich will eßn
Must dein trutz zalen mit der haut
Die Nachtigall sprach' über laut
Ich kan nit vil gehelffen dich
Mein Pawer, wo du seudest mich 40
Wird ich so klein, das du am schünden
Meines fleisch wirdest kaum entpfinden
Bretst du mich dann so sag ich dir
Das ich darvon noch kleiner wir
Sag, was mücht ich denn speisen dich 45
So du aber Ust fliegen mich
Wolt ich drey Weiser lehr dir geben
Dir wern dir nützen in deim lebn
#
Denn guter feister Kelber drey
Der Pawer antwort wider frey 50
So thu mir deß ein Eid hie schwern
Das du mich die drey stuck wilt lehrn
So bald und ich dich fliegen laß
Die Nachtigall verhieß im das
Und sich deß mit Eidspflicht verband
Da ließ ers ledig auß der hand
55
239
Die flog auff einen Ast hindan
Und redt den Pawern also an:
Nun merck mein lehr deß ersten mals
Das du nit solt gelauben als 60
"Was man dir sagt, vorauß wo es
Der Warheit nit ist gleich und gmeß.
<o Die ander lehr merck der gestalt
Als was dein ist, das selb behalt
Mit fleiß, auff das du sein geneust. 65
vp Die dritte lehr, was du verleust
Das man nit wider bringen piag
Das selb auß deinem sinne schlag
Und thu deß Schadens bald vergeßn
Thu dich nit drumb kümern noch freßn 70
So hast du die drey weisen lehr
Heltst dus, sie helffen dich gar sehr
Mit dem Die Nachtigall pich schwang
Hoch auff ein Linden grün und sang:
Gott sey lob in dem höchsten Thron 75
Welcher hat disem Pawers Man
Sein leibliche äugen verblendt
Das er nit gesehen noch erkendt
Hat, den köstling Carfunckelstein
Den ich trag in meim Leibe klein 80
Der ist wol dreyer lothe schwer
Darvon mechtig reich worden wer
Der Pawer, het groß gut erworben
Ich aber müst drob sein gestorben
Wann er mir in außm leib het geschnitten 85
Nun will ich aller freud mich nieten
Als der Pawer der Red namb war
Schlug er sein brust und raufft sein har
Mit seufftzen er weinet und klagt
O weh mir Armen (er da sagt) 90
War ich nit meiner sinn beraubt
Das ich dem Vogel hab geglaubt
Sein wort, und ließ in fliegen hin
O het ich jetzund wider ihn
So müst er gwiß den Todte leiden 95
Ich wolt auß seinem Leib im schneiden
Den köstlichen Carfunckelstein
240
Da antwort die Nachtigal klein
O du Thor, was betrübst du dich
Und trawerst also sehr umb mich
Hast der drey lehr so bald vergsescn
Thet ich nit ernstlich dir ermessen
Das du nicht glauben solt alzeit
Als, was nit gleich wer der Warheit
Weßhalb glaubst dann den Worten mein
Das in mir ein Carfunckelstein
Sey, der doch weg drey lot zu mal
Dieweil und ich doch uberal
Eaum wiege eines lotes schwer
Zum andern, obs gleich also wer
Das in mir wer ein solcher stein
Weil ich war in den henden dein
Warumb bhielts mich' dann nit darinn
Sonder du liest mich fliegen hin
Zum dritten, was trauwrest so fast
Dieweil du mich verloren hast
Kanst mich nit mehr herwider bringen
Was kümerst dich lang mit den dingen
Sonder solts in vergessen stelln
Dein hertz nit mit kümmern und queln
Mit dem schwang sich die Nachtigall
Frölich hin über Berg und Thal
Ließ hinter ir den alten Pawern
Mit gspött sitzen in angst und trawern.
Beschluß.
Nun auß diser artlichen Fabel
Lehrt man als auß einer Parabel
Drey treffenlicher dapfer lehr
Eim Menschen sind zu {mercken sehr
Erstlich das er nit glauben soll
Als was nit ist zu glauben wol
Laß sich nit blenden als geschwetz
Sonder fürsichtig er abschetz
Bey alln umbstenden, wie, wo und wenn
Darauß er rechten grund erkhenn
Ob es könn war sein oder nicht
Erlogen oder sonst erdicht
100
105
110
115
120
125
130
135
241
Darmit er trogenhaffter weiß
Nicht werd gefüret auff ein Eiß
Wer jedem biliich beutt sein ohr
Und alles glaubt, der ist ein Thor 140
Deß hertz wird gar leichtlich gefangen
Und gleich dem Pawern hinter gangen
Zum andern, lehrt man drauß das stück
Was Gott eim gibt und das gelück
Reichtumb, ehr, gwalt, gunst oder kunst 146
Dergleich solch hoher gaben sunst
Das er sich der gebrauchen sol
Nach seinem Stand Christlich und wol
Zu notturfft, nutz,; freuden und ehr
Und sie täglich mit ehren mehr 160
Jedoch mit auffrichtigem mut
Halt sie mit fleiß in schütz und hut
Das auß unfleiß, farlessigkeit
Er nicht verliere mit der zeit
Solliche vorgemelte gab. 166
Und ir mit nachrew mangel hab
Zum dritten, merck er auch diß stück
So er durch unfal und Unglück
Doch on sein schuld mit der zeit kumb
Umb ehr, gewalt oder reichthumb 160
Umb gunst, kunst, sterck, schön und gsundheit
Das er nicht wider mit der zeit
Kan bringen, sol er das außschlagen
Sein hertz im nit selb drumb abnagen
Sonder mit dem Hiob sprechen ebn: 166
Gott der Herr hat mir das gegebn
Und wider gnommen' diese zeit
Sein Nam der sey gebenedeyt
Der alle ding im besten thut
Ob das gleich wee thut fleisch und blut 170
So ist es doch der Seel darbey
Ein geistlich heilsam artzeney
Das die sünd abnem und nicht wachs
In solchem unfal spricht Hans Sachs.
Anno Salutis, M. D. LV.
Am XVI. Tag
Januarij.
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel.
16
No. 18. Julien Macho: La. VI. fable düng labourmr
et düng rossignol.
Le temps passe ung laboureur estoit qui avoit ung jardin
bien plaisant et delicieux auquel souvent il alloit pour soy
esjouyr. Et ung jour au vespre ainsi quil estoit lasse et tra-
vaille de labourer pour avoir recreation il entra en son jardin
et ouyt chanter ung rbussignol, et pour en avoir plus grant
plaisir il trouva facon de le prendre. Et quant il leut prins,
le rossignol luy demanda: Pourquoy as tu prins tant de peine
de moy prendre, tu nen peuz pas avoir grant prouffit: et le
laboureur luy respondit: pour toy joyeusement ouyr chanter je
tay prins. Et le rossignol luy dist: certes en vain tu as laboure,
•car pour rien je ne pourray chanter estant en prison. Et lors
le laboureur luy dist: si tu ne chantes je te mangeray. Et
le rossignol luy dist: si tu me metz bouillir en ung pot ce
sera peu de chose de moy. Et se tu me metz rotir ce sera
encores moins; et pourtant laisse men voler et ce te sera ung
grant bien et ung grant prouffit; car je te donneray troys
■doctrines que tu aymeras mieulx que troys vaches bien grasses.
Adonc le laboureur len laissa voler. Et quant le rossignol fut
hors de ses mains et quil fut sur larbre, il dist au laboureur en
•ceste maniere: Mon amy, je tay promis de toy donner troys
bonnes doctrines. Tu dois scavoir que la premiere doctrine est,
que tu ne croyes point la chose qui est impossible. La seconde
doctrine est que tu gardes ce qui est tien. Et la tierce doctrine
est, que tu nayes point de douleur de recouvrer la chose
perdue. Et tantost apres le rossignol commenca a chanter, et
en son chant disoit: Benoist soit le filz de dieu tout puissant,
qui ma delivre de' la main de ce vilain qui na pas veu ne
congneu ne pesche ung dyamant que jay en mon ventre qui
est gros comme ung oeuf daustriche; car sil leust trouve il eust
este grandement riche, et ne fusse point eschappe de ses mains.
Adonc le vilain se print a lamenter a par luy, et puis dist:
Je suis bien malheureux davoir perdu si belle proye. Adonc le
rossignol luy dist: 0;r a ceste heure congnois je bien que tu es
ung fol et as douleur de ce que tu ne dois pas avoir, car tu
as tantost oubliee ma doctrine que je tavoye baillee, cest de ce
que tu cuydes que en mon ventre ayt une pierre precieuse si
grosse que loeuf dune austriche, laquelle chose est impossible:
243
et. je tay dit que tu ne doia point croyre la chose qui est
impossible, car cest grant folye a lhomme de croyre la chose
impossible. Et se, celle pierre fust tienne, pourquoy las tu
perdue? Et se tu Jas perdue et nullement tu ne la peult
recouvrer, pourquoy en as tu si grant douleur? Vous voyes par
ceste fable que cest grant folye de vouloir chastier ung fol
quant il ne veult croyre la doctrine que on luy donne.
No. 19. Die Erzählung in Caxton’s Aesop.
Jacobs, Aesop, II, pp. 269—271.
The VI fable is of the labourer and of the nyghtyngale.
Somtyme there was a labourer, whiche had a gardeyn wel
playsaunt and moche delycious, in to the whiche he ofte wente
for to take his desporte and playsure. And on a day at even
when he was wery and had travaylled sore, for to take his
recreacion he entryd in to his gardyn and sette himself doune
under a tree, where as he herd the songe of a nyghtyngale.
And for the grete plesyre and Joye whiche he took therof, he
sought and at the fast found the meanes for to take ( the
nyghtyngale, to thende, that yet gretter joye and playsaunce
he myght have of hit. And whan the nyghtyngale was take,
he demaunded of the labourer, wherfore hast thow take bo
grete payne for to take me. For wel thow knowest that of
me thow mayst not have grete prouffyte. And the vylayne
ansuerd thus to the nyghtyngale: For to here the songe of
the I have taken the. And the nyghtyngale ansuerd: Certaynly
in vayne thou hast payned and laboured. For, for no good I
wylle synge whyle that I am in pryson. And thenne the
labourer or vylayne ansuerd, yf thow syngest not wel, T ehalle
ete the. And thenne the nyghtyngale sayd to hym, yf thow
putte me within a potte for to be soden, lytyl mete shalt thou
thenne make of my body, and yf thow settest me for to be
rosted, lesse mete shalle be thenne made of me. And therfor
neyther boylled ne rosted shalle not be thy grete bely fylled
of me, but yf thow lete me flee, hit shall be to the a grete
good prouffyte. For thre doctrynes I shall teche the whiche
thou shalt loue better than thre fat kyne. And thene the
labourer lete the nyghtyngale flee. And whan he was oute of
his handes, and. that he was upon a 'tree, he sayd to the vylayne
in this maner: My Frend, I have promysed to the, that I
16 *
244
shall gyve to the thre doctrynes, wherof the fyrst is this that
thow byleve no thynge whiche is Impossyble. The second is
that thow kepe wel that thyn is. And the thyrd is, that thow
take no sorowe of the thynge lost whiche may not be recovered;
And soone after the nyghtyngale begänne to synge, and in
his songe sayd thüs: Blessyd be god, whiche hath delyverd me
oute of the handes of this vylayne or chorle, whiche hath not
knowen, sene, ne touched the precious dyamond whiche I hav«
within my bely. For yf he had founde hit, he had be moche
ryche, and fro his handes I had not scaped. And, thenne the
vylayne whiche herd this songe, begänne to complayne and to
make grete sorowe. And after sayd: I am wel unhappy, that
have lost so fayre a tresour, whiche I had wonne, and now
I have lost hit. And the nyghtyngale seyd thenne to the chorle:
Now knowe I wel that thow arte a fool. For thow takest
sorowe of that wherof thow shofdest have none, and sone thow
hast forgeten my doctryne, by cause that thow wenest that
within my bely shold be a precious stone more of weyght than
I am. And I told and taught to the, that thow sholdest never
byleve that thynge, which is Impossyble. And yf that stone
was thyn, why hast thow lost hit. And yf thow hast lost hit
and mayst not recovere hit, why takest thow sorowe for hit.
And therfore hit is foly to chastyse or to teche a fole, whiche
never byleveth the lernynge and doctryne whiche is gyven
to jhym-
No. 20. Die Erzählung im spanischen Äsop.
Las fabulas del clarissimo y sabio fabulador Ysopo, f. 174a— 175 a .
La VI. Del rustico, y del avezilla.
*En grossero ingenio, no cabe sotil doctrina.
Tenia un aldeano una huerta con sus fuentes corrientes limpias
y muy ornada de yervas y flores, porque muchas vezes venian
alli las aves, y el se fue como avia de costumbre a holgar ala
huerta, sintiendo se cansado por recrearse ende [sic] y assento
se debaxo de un arbol, sobre el quäl cantava una avezilla muy
suavemente, cuyo canto tan deleytable oyendo el rustico, armole
un lazo en el quäl la tomo. La avezilla viendo se assi presa,
dizele, porque tanto trabajaste por tomar a mi, puesque no
puedes conseguir de mi provecho alguno? Responde el rustico:
245
Yo te he prendido, porque tu canto dulze alegre mi corapon,
dize el avezilla: En vano has trabajado, ca no te cantare por
precio ni por ruego. El aldeano le dize: Sino me cantas, yo
te matare y comere. Respondio el ave: En que manera me
comeras? si cocida en agua, el bocado sera bien pequeno, de
forma que no me sentiras en to boca; si me asas mucho menor
sere. mas dexame bolar y ayras gran provecho de mi, porque
te dare tres doctrinas de sabiduria, las quales amaras mas que
tres bezerros para comer. E como el avezilla estas cosas le
prometiesse, el la dexo bolar, e puesta ella en su libertad
dizele: Esta sea la primera doctrina, que no creas a, todas pala-
bras que oyeres, senaladamente aquellas que no parecen verda-
deras. La segunda doctrina que gardes lo que es tuyo. La
tercera y ‘final, que no te duelas de las cosas perdidas, las
quales no puedes cobrar. E acabadas estas palabras el ave
subio en el arbol y canto dulcemente aquesta canpion: Bendito
sea el seiior Dios, quel sentido deste capador encubriö y cego,
y le quito su prudencia porque no tocasse ni me mirasse con
los ojos, ni ente'ndiesse con su entendimiento la piedra preciosa
llamada jacinto del peso de una onpa que traygo en mis
entrafias, porque si el supiera que yo trayga tal cosa, yo
muriera en sus manos y el fuera rico. El rustico como ,oyo
esto, turbado ensi, pesando le muy fuertemente, porque avia
dexado el' ayezilla con dolor llorando dixo assi: O desventurado
de mi, porque crey las palabras del avezilla enganosa y no fue
para guardar lo que tenia. Al quäl responde ella: O loco,
porque te atormentas, tan ayna, has olvidado la doctrina que
te di. Piensas que una ave tan pequena como yo, que toda
entera no peso una dragma, que es tanto como un dinero, puedo
traer en mis entranas una onpa de jacinto? No te acuerdas
que te dixe que no creyesses a todas palabras, y si tuya era,
porque no me gardaste. E si tu perdiste la tal piedra, pues
no la puedes cobrar, porque te dueles contra las tres doctrinas
que te di? Estas cosas dichas escarnesciendo del rustico se
fue su via el avezilla.
No. 21. Die Erzählung in Sebastian Brants Äsop.
[Einleitungszeilen].
Non est cunctorum verbis, licet usque benignis
Melliflui aut dicto semper habenda fides.
246
Que tua sunt: cura solerti opera atque fideli
Conservare velis, ne cito depereant.
Perdita si fuerit res quam reparare nequibis:
Non doleas nimium: perdita sitque sinas.
Has qui doctrinas ternas tenet: hie sapienter
Vivet: et adverso sepe dolore caret.
No. 22. Die Erzählung in dm Äsopischm Fabeln des
Camerarius.
Fabulae Aesopi . . . authore. Joachimo Camerario, No. 261.
Aviculae praecepta.
Captam aviculam aiunt pollicitam aucupi, si se amisisset,
daturam illi praecepta tria, quibus si uti vellet, beatam vitam
vivere posset. Cum auceps hac spe et conditione illam avolare
passus fuisset, de arbore haec accinuisse avicula traditur: —
Crede parum. Tua serva. Et quae periere relinque. Postea:
Gratias ago tibi, magne, inquit, Juppiter, qui me de istius manu
liberaris. Nam in visceribus meis latet smaragdus uncialis, quem
si ille abditum intra me sciret, numquam vivam amitteret.
Hoc audito mirificus dolor aucupem invasit, et paenitere eum
credulitatis suae, qui tarn facile aviculam dimisisset. Ibi illa:
Nisi sequaris praecepta mea, inquit, nihil illa tibi profuerint.
Nam cur tu nunc obsecro mihi credis, quae uncialem gemmam
mihi inesse dixi, cum vix semunciae pondus habeam? Quod
si verum sit, cur non servabas tuum? Sed et hoc neglexeris,
restat jscilicet, ne amissa, quae recuperari nequeant, frustra
requiras, aut desiderio illorum consumaris. Atque his dictis
relicto aucupe avolavit.
Explicat fabula utiles maxime sensus ad vitam cum quiete
degendam. Et hoc etiam ostendit, praecepta bona multos audire,
paucos sequi.
No. 23. Die Erzähhmg in Luthers Tischreden.
Colloquia oder Tischreden D. Mart: Luthers . . fol. 550^/551.9.
Doctor Martin Luthers Reim: Wer was weis, der schweig.
Wem wol ist, der bleib.
Wer was hat, der behalde.
Unglück das kömpt balde.
Man sol nicht zu viel vertrawen.
Dominus Philippus Melanchthon recitiret ein mal über
Doctor Martin Luthers Tische, diese Fabel von dem Versiculo:
n
— 247 —
Crede parum, tua serva, et quae periere relinque, Und sprach.:
Es hatte einer ein kleines Vögelein gefangen, und das Vögelein
were gerne los gewesen, und sagte zu ime: O lieber, las mich
los, ich wil dir so einen köstlichen Gemmam weisen, der viel
tausend Gülden werd ist. Ey antwortet derselbige. Du be-
treugest mich. Nein trawen, sprach das Vögelein, du solt mit
mir gehen, und den Edelgestein sehen. Der Mann ließ das
Vögelein los, da flog das Vögelein auff einen Baum, saß droben,
und gab ime den Gemmam: Crede parum, tua serva et quae
periere relinque, den schönen Edelgestein lies er ime. Als)
solt das Vögelein sagen: Da du mich hattest, soltestu mir nicht
gegleubt haben. Tua serva, das ist: was du hast, das behalte.
Et quae periere relinque: hastu es verlorn, so mustu gedult
haben.
No. 24. Die Erzählung in Kirchhofs Wendurtnmth.
Hg. von H. österley, III, pp. 36/37.
34. Man sol nicht zu viel vertrawen.
Es hette einer ein kleines vögelein gefangen und wolte
es tödten; das arm vögelein were gern loß gewesen und sagte
zu ihm: O lieber, laß mich loß, ich wil dir so ein köstlich
edelgestein zeigen, der viel tausent gülden werth ist. Antwort
derselbige: Du betreugst mich. Mit nichte, sprach das vöge¬
lein, du solt mit mir gehen und den edelen stein selbs erfahrn.
Und nachdem es loß gelaßen, flog es auff einen bäum und
sagte: Das ist der edelstein. Crede parum, tua serva, et quae
periere relinque. Als solte das vögelein sagen: Da du mich
hattest, soltestu mir nicht geglaubt haben, was du hast, das
behalte, hastu es denn verloren oder nimmer, so trag gedult,
denn rewen hilf ft nicht zum widerbringen. Epicharmus sagt:
Nervi atque artus sapientiae sunt non temere credere.
Wer alles bald glaubt, das er hört,
Wird auch dest leichter mit bethört,
Fürn freund halt, den du hast bewert.
Oder:
Welcher was weiss, hör mich, der schweig,
Welchem wol ist, nicht höher steig,
Welcher was hat, schaw zu, behalt,
Denn rewkauff volgt gar mächtig bald,
Hat manchen mit untrew bezahlt.
248
No. 25. Die Erzählung in der Bearbeitung des Pan¬
taleon Candidus.
Mythologia Metrica et Moralis, pp. 207/8.
Auceps et Aviculae Praecepta.
Aucupem avis, qui se tenuit, studiosa rogabat,
Ut libertati sese donaret avitae,
Facturum illum operae precium memorabile parvae,
Tema etenim se veile illum praecepta docere,
Servatis quibus is semper queat esse beatus. 6
Auceps polliciti gaudens spe divite tanti,
£ vinclis dimittit avem: super arbore sidens
Ula suo praecepta tria haec e gutture promit:
Crede parum, tua serva, et quae periere, relinque.
Libera avis tales etiam dedit ore loquelas: 10
Dii superi, vobis magnas ago pectore grates,
Pro libertatis dono hoc: quod si bouus iste
Scisset, ego quali thesauro nobilis essem,
Numquam is me tcneras misisset liberam in auras.
Namque Smaragdus inest mi, unam qui ponderis ampli 15
Unciam habet. Simul audivit quae credulus auceps,
Angit sese animis, et pectore maestus acerbo.
Paenitet, heu! praedam qui sic demiserit illam,
Hunc avis affata est istis sermonibus: Ohe,
Si mea non servas praecepta, iuvare nequibunt. 20
Cur mihi nam credis, quod tantam in viscere gemmam
Ipsa meo gestern, quae pondere ad unciam haberet,
Quando meum integrae non sit semiuncia pondus?
Quod si hoc est verum, cur me non asservasti?
Hoc adeo sed cum neglexeris, id modo restat, 26
Quae repeti haud possunt ne frustra amissa requiras.
Aut horum desiderio excrucieris inani.
Aucupe et his missis dictis, procul inde volavit.
Crede parum, tua serva, et quae periere, relinque.
Multi multa bona accipiunt praecepta, sed illa 30
Qui servet, vix est multis e millibus unus.
No. 26. Die jüngere altisländische Version.
Gering, Islendzk ^ventyri, I, pp. 197/8.
Einn böndi 4tti einn fagran lund, vaxinn meö allzkyns
tr& ok fagrar liljur.. Par var okk eitt vatn pakit meö femA-
249
fugla. Eitt sinn gekk böndinn i penna sinn fagra lund ok
lagöi sik undir eitt tre; ok er bann 14, kom par einn litill fugil
ok söng ofrliga fagrt ok listiliga vel. Sem böndinn heyröi pat,
villdi hann fanga fuglinn ok tök ser lim ok brä pvi 4 viöinn,
ok er fugl inn settiz, p4 varö hann fastr viö eina eik. P4
sagöi hann viö böndann: ‘Hvi gjöröir pü per umak at n4 mer,
pviat ek em litill fugl ok p4 er pü hefir mik etit, k'ennir
pü pers ekki. Gef mer lif, pviat, ek hefi sungit per til skem-
tanar, ok vil ek gefa per nytsamlig ok göö r4ö sem per eru
mikklu betri en mitt lif.’ Ok er fuglinn haföi pvi lofat, let
böndinn hann lausan. SiÖan sagöi hann til böndans: ‘Pat er
s4 fyrstr lxrdömr eöa r4d sem ek vil kenna per, at pü
skallt eigi trüa öllu sem per er sagt, pi4t pü xtlir pat satt
vera; pat annat: Pat sem lukkan vill gefa pör 'pat 14ttu eigi ör
höndum rakna, helldr skalltu hallda pvi; pat priöja: Pü skallt
ekki pr4 eptir pvi sem pü kannt ekki at f4, helldr gleyma
pvi, ok liöa pat viljugr sem verör at vera.’ Sem fuglinn haföi
petta sagt, flö hann upp i eitt h4tt tre ok söng guöi lof
ok sagöi: ‘Guö vxri h41eitliga lofaör fyrir pat at persi
maör vissi ekki, at ek haföi einn dyrmxtan gimstein x minum
kviöi, af hverjum hann m4tti mjök auöigr veröa.’ Ok er
böndinn heyröi petta, varö hann mjök hryggr ok sagöi: ‘Vei
mer at ek trüöi hans oröum ok slepti honum p4er hann
var mer i hendil’ Fuglinn svaraöi: Pü d4ri, sagöi ek per
pat ekki, at pü skylldir ekki trüa pvi öllu sem p£r vxri sagt,
eör 14ta ör hendi rakna pater per veittiz; en nü sem pü
hefir mist mik ok kannt ekki f4 mik aptr, hvar fyrir villtu p4
syrgja mik, sem per er ekki utan til illz?’ SiÖan flö fuglinn
brott, en böndinn för heim.
No. 27. Des Vögeleins drei Lehren.
A. Keller, Altdeutsche Gedichte, pp. 12—14.
Ein gebawer vieng ein vogelin
Mit eynem herin strickeiein.
Das vögelin begund sorgen,
Das es der gebawer wölt würgen.
Es sprach: Liber frunt, las mich fliegen, 5
Das ich myn Jungen mög erzihenl
Die will ich all bringen dir,
Das soltu glauben mir.
Er sprach: Ich wil dich nit Ion,
Ich bin fro, das ich dich hon,
Ich wille dich diner veddern enblössen
Und wille dich an eynen spisz stossen.
Syt das mich din got hat beratten,
So wil ich dich by eynem fewer braten.
Do sprach das klein vögelin:
Was mag ich dir nutz gesin?
Min gefieder dir nit ensolle,
Meins fleysches ist kam ein hant vol.
Was mag das gehelffen dich?
Da von so las fliegen mich.
Bis ich mein Jung bring zu dir.
Ir sint funff was vier,
Das mag dir wol besser gesin,
Wan das ich allein wer din.
Er sprach: Fleugstu mir uff die buochen,
Wie solt ich dich dann suchen?
Wan ich wil dich braten by eyner gluot.
Du bist mir zuo eynem trunck gut.
Da das vögelin erhört die mere,
Do erschraek es vil sere
Und sprach: Wöltestu lassen fliegen mich,
Ich weit driu dinck leren dich.
Und gedechtestu flysziglichen daran.
So wurdestu ein selig man.
Er sprach: Das soltu leren mich.
So will ich lassen fliegen dich.
Es sprach: Was man dir gesagen kan.
Da hab all zyt nit glauben an.
Und sihe, das du ümer icht lassest,
Das du wol gehaben magst.
Du solt auch keynen jamer han
Nach dem, das dir nit werden kan.
Han ich die warheyt geleret dich,
So soltu lassen fliegen mich.
Der gebuwer sprach zu dem vögelin:
Gelob mir uff die trewe din.
Wann ich ruoff dir,
Das du her wider kömpst zu mir!
Es sprach: Uff mein warheyt
251
Ich will all zyt wesen bereyt. 50
Er gab urlab dem vogelin,
Es flog uff eynen bam hin,
Do es mit heller stym sang,
Das es in dem wald erklang.
Der gebawer wolt das vögelin versuochen 65
Und begund ym her wider rueffen.
Do sprach das vögelin zu ym also:
Ich bin in mynem hertzen fro,
Das ich dir bin also entrunnen;
Ich will nit wider zu dir kommen. 60
Er sprach: Was hastu gelobet mir?
Es sprach: Ich seyt vor alles dir,
Das du solt nit glauben han,
"Was man dir alzyt gesagen kan.
Davon hastu gelaubet mir, 65
Das bin ich entpflogen dir.
Der gebuwer sprach: Het ich das vor bekant,
Ich hett dich doch in myner hant,
So sprach aber das vögelin:
Du hast eynen törechten sin, 70
Das du usz diner hant lassest,
Das du wol gehaben macht.
Do sprach der gebuwer: Du sagst war.
Darumb han ich verlorn gar,
Das rüwet von gantzem hertzen mich, 75
Das ych ye liesz fügen dich.
Das vögelin sprach: Das is ein warheyt,
Das du hast grosz hertzenleyt.
Aber du solt keynen Jamer hon
Nach dem, das dir nit werden kan, 80
Als ich dich voran han geleret,
Da du dich wenig hast angekeret.
Darumb hon ich dich betrogen.
Das ich bin von dir geflogen.
Und wil ni wider me zu dir. 85
Du solt auch das gelauben mir,
Das allen den also geschieht.
Die diser lere volgent nicht.
Die werdent betrogen an allen tagen.
Das es in hernach wol mag geschaden. 90
252
No. 28. Die Parabel des griechischen Barlaani-Romanes.
H. Zotenberg, Notice sur le texte et sur les versions orientales
du livre de B. et J. p. 109.
. . . ojioioi eioiv oi ziov eidcbXajv ngooxvvrjzai avSgcbnog ilgevxjj og
xaxio^Ev ev ziov ofiixgozdzcov ozgov&irov. arjdova zovzo • xaXovoi. Aaßibv
de juaxcugav zov ocpalgai avzo xai cpayeiv, idoftrj zfj dtjdovi qxovt] evug&gog.
Kai cprjoi ngog zov Vgevzrjv. Ti ooi SxpeXog, äv9ga>ne, zrjg iprjg oq>ayrjg; ov
dvvfjojj yag di ifxov zr\v orjv ifinXrjoai yaozega. 9 AXX' ei pe ziov deofiibv
iXev&egcboeig, dcboco. ooi ivzoXag rgetg äg rpvXazzcov jieyaXa nag SXtjv
oov zfjv igcorjv (btpeXrj'&fjofl. 'O de ftaußrjdeig zfj zavzrjg X.aXiq, inrjyyeiXazo,
ei xaivov zi nag avzfjg axovoeie, ftäzzov iXev&egiooai zrjg xazo%tjg .
’Emozgaipeioa de fj arjdojv Xiyei zig dv&gojncg. Mrjdenoze zivog ziov avecpixziov
emxEigrjöflg icptxeo&ai, xai jiij jtieza/ieXov int ngay/uazi nagsX&ovzt,
xai ämozov gfjfia ncbnoze fit) mozevofjg. Tavzag di zag zgeig ivzoXag
q?vXazzE xai ev ooi yevrjzai. ’Aya/ßevog de 6 dvtjg zo evovvonzov xai
ovvezov ziov grifxdz(ov f Xvoag avzfjv zov deofxov xaza zov aegog iiganeozeiXev .
'H ovv arjddov d'iXovoa /na&elv ei ineyvro o avfjg ziov Xex&ivz<DV avztp
gt]/ndzo)v zrjv dvvafuv xai ei ixagncooazo ziva axpeXeiav, Xsyei ngog
avzov tnzajievrj iv zig aegi. <Pev oov zrjg aßovXiag, ävftgayne • önoiov
{Xrjoavgov orjfxegov ancoXeoag. vnag%ei yag iv zoig iyxazoig fjiov fiagyagizrjg
vnegexcov ' zig fieye&ei ozgov&oxajirjXov (bov. c Qg ovv rjxovoe zavza 6
Vgevzfjg, ovvexv'&rj zfj Xvnrj fiezafieXojievog özi i£i(pvyev fj arjddov ixeivrj
zag x e ^\Q a $ avzov: xai neigdbfievog avfhg xazaox^v avzfjv eine ; Aevgo
iv zog oTxcg yov, xai (piXo<pgovt]odjLiev6g oe xaXoog ivzigxog UganoozeXid.
'H de arjäcbv sqprj avzig. Nvv eyvoov ioxvgcbg dvorjzaiveiv oe; de^djievog
yag za Xex'Sivzaooi ngodvftoog xai fjdeoog axovoag ovdefjiiav il; avzoov
tbq?eXeiav inexzfjoco . Einov ooi fxt] fiEzafieXeio&ai ini ngayfiazi nageXftovzi .
xai idov ovv£Xvftr}g zfj Xvnrj ozi ooi zag x e *Q a S i^iffvyov (AszajieXo -
uevog ini ngay/uazi nageXd'ovzi. 3 EvezEiXdjLirjv ooi fxtj imxsigeTv ziov
dvetpixzcov iffixeoftai, xai neigäoai xazaoxetv jie \irj dvvdfievog zrjg ififjg
irpixeoftai nogeiag . TIgog zovzoig de xai aniozöv ofjfjia jifj niozeveiv ooi
dieozeiXdfirjv. aXX' idov iniozevoag vnagx^iv ev zoig iyxazoig juov
jiagyagizr\v vnegßaivovza zo fiezgov zrjg rjXixiag fiov, xai ovx ixpgovtjoag
ovvievai 8zi oXrj iyco ovx itpixvovjiai zcg fzeye&ei zcov zov orgov^oxafArjXov
(bidv xai nojg ^lagyagizrjv zoiovzor iyjbgrjoa iv i/uoi;
No. 29. Die Parabel des mittelalterl.-latein. Barlaam.
Joann. Damasc. Historia* Duorum Christi Militum, pp. 29/30.
/
... similes sunt idolorum cultores viro sagittario, qui com-
prehenclit unara de minutissimis aviculis, philomenam hanc
253
vocant. Arripiens igitur cultellum, ut occideret eam et com-
ederet, data est philomenae vox articulata, et ait ad sagit-
tarium: Quod tibi, o homo, necis meae proficuum est? Non
enim de me tuum implere ventrem poteris. Sed si me a
vinculis liberaveris, tria mandata tibi dabo. Quae si custodieris,
ex his magnam per totam vitam tuam utilitatem consequeris.
Ille vero stupefactus illius loquela, promisit quod si quid novum
audiret ab ipsa mox eam a vinculis liberaret. Conversa ita-
que philomena dicit homini: Numquam aliquid coneris com-
prehendere eorum quae apprehendi non possunt: et ne doleas
de re perdita quam recuperare non potes: et verbum incredibile
non credideris aliquando. Haec tria mandata custodi, et bene
tibi erit. Admiratus autem vir perspicuam verborum intelli-
gentiam, solvens eam a vinculo per aera dimisit avolare
liberam. Philomena igitur volens probare, si recognovit vir
. dictorum sibi verborum virtutem et lucratus est aliquam ex
ipsis utilitatem, dicit ad eam volitans in aere: Vae tibi, homo,
quam malum consilium habuisti, et qualem thesaurum hodie
perdidisti. Est enim in visceribus meis margarita quae stru-
thionis ovum pua vincit magnitudine. Ut hoc audivit sagit-
tarius, contristatus est valde. Paenituit namque eum quod
evaserit philomena illa de manu sua, et denuo tentans illam
apprehendere, dixit: Veni in domum meam, et omnem humani-
tatem tibi exhibebo, deinde honorifice te dimittam. Tune ait
philomena: Nunc cognovi certissime te esse fatuum. Suscipiens
namque quae tibi dicta sunt a me, prompte et libenter audiens,
nullum ex his proficuum assecutus es. Dixi tibi, ne doleres de
re perdita et irrecuperabili. Mandavi tibi ne tentares incom-
prehensibilia capere, et tentasti me comprehendere, cum non
valeas itinere meo pergere. Cum his etiam, ne verbum incre¬
dibile credideris, tibi mandavi. Sed ecce credidisti in visceribus
meis esse margaritam supergredientem mensuram ventris mei,
et non valuisti intellegere, quoniam ego tota non possim per-
tingere ad magnitudinem ovi struthionis, et quomodo margaritam
talem caperem in me?
No. 30. Die Parabel in Bromyard's Summa pra\edi-
cantium.
... Secundum patet per exemplum de libro Barlaam in quo
ostenditur illorum stulticia: qui de re irrecuperabili dolent,
254
per exemplum de iilo qui habuit avem: que eum docuit tres
sapientias: illa conditione, quod illam avolare permitteret. Quo¬
rum prima videtur, quod nou credat rem incredibilem: quam
▼idelicet oontrariam videt ad oculum: licet totus mundus diceret
contrarium. Contra quam faciunt, qui credunt mundi gaudium
esse bonum, longum et delectabile; nec verum, quia quotidie
vident contrarium, ut videlicet illi qui prius confidunt in mundi
diviciis et honoribus, turpius decipiuntur. Ex quo ad oculum
patet: ut non est verum, nec durabile, sed sophisticum et falli-
bile. Secunda videtur quod non nitatur nimis apprehendere
quod apprehensum teneri non poterit: quod est contra illos
qui mundi divicias, delicias, vel honores nimis apprehendere
nituntur: quia vel non apprehendunt vel non diu retvjent.
Tertia videtur quod de re irrecuperabili non doleat: quod est
contra illos qui de rebus perditis quas recuperare non possunt
dolent, vel de charis mortuis quos reducere non possunt mul- .
tum dolent. Quibus imperari potest illud ps. LXXXVII: Num-
quid mortuis facies mirabilia cum lachrymis tuis, aut medici
suscitabunt eos? . . .
No. 31. Die Parabel im Dialogus Creaturarum des Nico¬
laus Pergamenus.
Grässe, Die beiden ältest, lat. Fabelbücher des Mittelalters, pp.
249/50.
De leone venatore, dial. 100.
Leo quidam maximus Venator fuit; hie semper eic age-
bat, cum venabatur: Animalia intuebatur et conspicabatur unum
de melioribus ipsumque persequebatur. Animal autem illud,
cum esset in distantia bona ab ipso, quam citius fugiebat, pro
quo leo contristatus, non habens quod optabat, volens etiam
de relictis capere, minime valebat, propter quod omnia alia iam
latitabant. Leo vero amaricatus manebat et nunquam vena¬
batur dicens: nunquam dimittamus certum nec relaxemus propter
incertum. Sic enim nonnulli, cum possunt agere ea, quae compe-
tunt, nesciunt capere, cupientes meliora. Idcirco saepe deci¬
piuntur et ea, quae antea habere poterant, non inveniunt. Vo-
lunt enim capere, quod non possunt, et recuperare perdita et
irrecuperabilia, sed non valent, unde amarissime dolent. Con¬
tra quos dixit David II 0 Regum XII 0 : nunc quia mortuus est,
quare vivo? numquid potero revocare eum? ego vadam magis
255
ad eum, ille vero non revertetur ad me. Unde fabulatur de
philomela, quae docuit iuvenem, qui eam cepit: de re perdita
et irrecuperabili numquam doleas. Ut legitur in Barlaam: est
enim dementia et perieulum, relinquere rem securam et certam
pro alia incerta ...
No. 32. Die Parabel als exemplum des Jacobus Vitriar
censis.
The Exempla or Illustrative Stories . . ., ed. by Th. F. Crane,
pp. 10/11.
XXVm. Vani sunt [magistri] et singuläres qui nova et
inaudita adinvenire nituntur, probatos et antiquos magistros
sequi nolentes, cum tarnen Ecclesiastes dicat, XXXIX: -'‘Anti¬
quorum exquiret sapiens.’ Isti autem in magnis ambulant et
in mirabiiibus super se. In magnis ambulant qui cogitant quomodo
in hoc seculo magni habeantur et dignitatibus attollantur. In
mirabiiibus super se ambulant qui cogitant qualiter facere pos¬
sint vel dicere utrum homines ammirentur. Verum plerumque
nova et inaudita fingunt, quibus, licet incredibilia sint, fidem
adhibent curiosi et stolidi auditores, similes cuidam homini qui,
cum cepisset phylomenam, dixit ei phylomena: ‘Tu vides quam
valde sum parva, si me occidas et comedas non multum com-
modum assequeris, si autem abire me permiseris, docebo te
sapientiam que prodesse tibi multum poterit.’ At ille: ‘Doce
me et permittam te abire.’ Cui phylomena ait: ‘Numquam ap-
prehendere coneria que apprehendere non possis et niinquam
de re perdita doleas, quam recuperare nequeas, et verbo inere-
dibili numquam fidem adhibeas.’ Hiis auditis eam avolare per-
misit. Tune phylomena volens eam probare ait: ‘O miser, quid
fecisti, quia me dimittere voluisti, habeo in visceribus meis
margaritam que ovi structionis excedit magnitudinem.’ Hoc
audiens contristatus est valde et eam apprehendere cona-
batur. At illa: ‘Nunc cognovi fatuitatem tuam exquod et [sic]
doctrina mea nihil profecisti; conaris me comprehendere cum
itineri meo non possis pergere, doles de re perdita quam recu¬
perare non potes. Credis in visceribus meis esse margaritam
ventris mei excedentem mensuram, cum ego tota ad mensuram
ovi structionis pertingere non possim.’ Sic fatui et decepti sco-
lares quibnsdam fantasiis et incredibilibus fidem adhibent que,
tanquam frivola irrisione digna, statim respuere debuissent.
256
No. 33. Die Parabel in der Scala celi, fol. 7b.
. . . Item ad idem [sc. avaricia]: refert Barlaara quod fuit
auceps qui cepit philomenam quam cum nollet dimittere data est
ei vox: et. ait: Quid tibi proficit me retinere; nam de me ven-
trem tuum implere non poteris. Si me liberare volueris, Con¬
silia tibi dabo que si servaveris numquam defici&t tibi bonum:
qui ex eius loquela stupefactus promisit quod si consilia daret
eam liberaret. Cui avis: Primum documentum est quod num¬
quam coneris ad impossibile. Secundum est quod de re perdita
et irrecuperabili numquam doleas. Tercium quod verbo incre-
dibili numquam credas.’ Quae mox dimissa voluit probare eius
sapientiam; dixit: Oquam malum consilium habuisti ut me dimi-
sisti; nam in visceribus meis habeo margaritam preciosissimam
et virtutis exiraie, in magnitudine excedens [sic] ovum stru-
cionis. Quod ille audiens et dolens nitebatur eam capere arte
et promissionibus. Cui illa: Nunc probavi te esse stultum, quia
doles de re perdita et irrecuperabili; item conaris me compre-
hendere cum non possis; credidisti iterum verbo evidentissime
falso. Et sic fugiens dimisit eum confusum.
Philomena est mundi prosperitas, venator avarus qui eam
apprehendens tria hec dicta probat. Primum quod impossibile
comprehendere non conetur ad plures habendas. Secundum
ut non doleat de re irrecuperabili: et ideo quia divitiae sunt
labiles eis perditis non est dolendum. Tercium quod non credat
verbo incredibili. Ad quorum oppositum conatur avarus scilicet
divitiis deliciis et honoribus satiari et in eis perpetuo vivere
quod est impossibile. Item conantur contra secundum documen¬
tum, quia de re perdita: nam divitie ad hoc congregantur ut
ad necessitatem expendantur. Item contra tercium peccant:
quia cum prosperitas mundi dicat et promittat se habere
margaritam, id est divitias dantes stabilitatem, dominium
securitatem, sacietatem, suavitatem, pulcritudinem et regis [siel
dei acquisitionem et alia multa, cum e converso patet totum
oppositum et omnino sunt instabiles dantes servitutem et ven-
dentes Christum.
No. 34. Die Parabel bei Vincentius Belloracensis.
XII. Fabula de Philomena contra cultores idolorum inducta.
... Aiebat mihi vir sapientissimus quidam, quod similes
sunt idolorum adoratores viro sagittario, qui comprehendit unam
257
de minuti8simis aviculis philomenam hanc vocant. Arripiens
igitur cultellum ut occideret eam et comederet, data est philo-
mene vox articulata et ait ad sagittarium: Quid tibi, o homo,
necis mee proficuum est? Non enim de me tuum implere ven-
trem poteris. Sed si me a vinculis liberaveris, tria mandata tibi
dabo. Que si custodieris ex his magnam per totam vitam tuam
utilitatem consequeris. Ille vero stupefactus illius loquela pro-
misit quod si quid novum audiret ab ipsa mox ipsam liberaret.
Conversa illa homini dixit: Numquam aliquid coneris compre-
hendere eorum, que apprehendi non possunt. Et ne doleas de
re perdita quam recuperare non potes. Et verbum incredibile
non credas aliquando. Hec tibi mandata custodi et bene tibi
erit. Admiratus autem vir perspicuam verborum inteUigentiam,
solvens eam per aerem misit liberam avolare. Illa autem volens
probare si cognoverit vir dictorum verborum virtutem et lucra-
tus fuerit ex ipsis aliquam utilitatem, volitando dicit ad eum:
Ve tibi, quam malum Consilium habuisti hodie, et qualem
thesaurum perdidisti hodie. Est enim in visceribus meis marga-
rita, que strucionis ovum sua vincit magnitudine. Quod audiens
ille contristatus est valde penitens, quod evasisset philomena
de manu sua. Et denuo temptans illam apprehendere dixit:
Veni in domum meam, et omnem humanitatem tibi exhibebo
et deinde honorifice te dimittam. Cui philomena: Nunc cognovi
certissime te esse fatuum. Suscipiens namque tibi que dicta
sunt a me prompte et libenter audiens nuUum ex eis profectum
assecutus es. Dixi tibi, ne doleres de re perdita irrecuperabili;
et ne temptares incomprehensibilia capere; et temptasti me
comprehendere cum non valeas pergere itinere meo. Insuper
dixi tibi: Ne verbum crederes incredibile. Sed ecce credidisti in
visceribus meis esse margaritam supergredientem mensuram
ventris mei; et non valuisti intellegere quoniam ego tota non
possum pertingere ad magnitudinem ovi strucionis. Et quo-
modo margaritam talem valeam capere in me?
No. 35. Die Parabel in ‘Den Dobbelen Zielentroost\
Dietsche Warande en Beifort, 1904, n° 2, pp. 116.
Zekeren Schütter, door het Woud jaegende, vangde eenen
Nagtegael, den welken door een mirakel Gods tot den Schütter
sprak gelijk eenen mensch en zeyde: Wat helpt u, dat gy my
gevangen hebt, gy kond met my uwen buyck niet verzaeden,
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 17
258
ik ben te kleyn; laet my vliegen, ik zal u leeren dry dingen,
die u nut zullen zijn. Den Schütter verwunderte hem, dat den
Nagtegael sprak als eenen mensch, en belofde (sic), dat hy hem
zoude laeten vliegen: het eerste is, gy zult nimmermeer
tragten, om te begrypen het gene onbegrypelijk is; ten twee-
den, al is’t dat gy iet verliest het gene gy. wederom niet
vinden kond, gy zult u daer nogtans niet om bedroeven; en ten
derden, iet het gene ongeloovelijk is zult gy niet gelooven: doet
deze dry dingen, zy zullen u nut zijn. Alsdan liet hy den
Nagtegael vliegen, en hy vloog om hoog in de locht, en sprak
tot den Schütter: O gy dwaezen! waerom hebt gy my laeten
vliegen, ik hebbe in myne maege eenen kostelyken steen, die
grooter is als een struys-ey. Zoo gy dien had, gy zoud rijk
Vezen. Alsdan wierd den Schütter bedroefd, en meynde, dat het
üraer was, dede veel moeyte om den Nagtegael te vangen, en
belofde hem groote eere aen te doen, als hy wilde wederom
körnen tot hem. Alsdan zeyde hy: Ik bemerke nu, dat gy
ebnen dwaezen zijt: want ik hadde u geleerd, iet het gene
ortbegrypelijk was, nimmermeer nae te staen, om te begrypen;
nü loopt gy dwaezen, om nae my te grypen. En om iet het
gehe gy veloren had, en niet wederom krygen kond, zoud gy
u niet bedroeven; en nu betroeft gy u, om dat gy my niet
wöderom in uwe magt hebt. En iet het gene ongeloovelijk is
zoüd gy noyt gelooven, en nu gelooft gy dat ik in myne maege
hebbe eenen kostelyken steen, zoo groot als een struys-ey, en
mytt geheel lijf is zoo groot niet.
No. 36. Van Duyse: De Les des Nachtegaals.
Dietsche Warande en Beifort, 1904, n° 2, pp. 114/5.
1. «Ach, lieve schütter, laet mij vliegen I»
Bad met een zucht, de Nachtegael.
«Nauw kan ik u een bete bieden;,
’k Ben mager, mijne plunje is kael,
En zingen kan ik niet in boeien. 5
Roem op uw vangst, noch zegeprael.»
« 2. «Welnu, gesteld, ik liet u vliegen,
(Want niets voor niet), welk waer’ mijn loon?»
«Ik zoude u, als ge in’t bosch komt dwalen,
Verkwikken door mijn liefdetoon. 10
259
'k Wil u daerbij drie dingen laeren,
Meer waerd dan de allerrijkste kroon.»
3. «Laat hoorenl» — «Maek geen jacht naer zaken,
Die door geen mensch verkrijgbaer zijn;
Ging’t onhervindbare verloren, 16
Kwel u met geen vergeefsche pijn;
Geloof niets ongeloofli jks I» — «Bestigl
Vlieg heen, verständig vogelijnl»
4. «Ge laet mij vliegen», sprak de zanger
Des woudes, van uit boomgebläert, 20
«En in mijn maeg schuilt een gesteente.
Een struifei groot, millioenen waerd.»
«Dwaes die ik was!» denkt onze schütter;
«Krijge ik u ovit bij vlerk of staert!» . . .
5. En de olijkert, bevallig fleemend, 25
Riep: «Lieve, keer: geloof jne vrij,
Ik zal u vieren, ’k zal u . . .» — «Praetjesl
De dood is t’ loon der slavernij.
’t Is nu bewezen, dat ge een dwaes zijt,
En onverbeterlijk daerbij. 30
6. Ik leerde u, maek geen jacht naer zaken,
Die door geen mensch verkrijgbaer zijn:
Nu luimt en loopt ge, om mij te grijpen.
Ik leerde u, geen vergeefsche pijn,
Ging ’t onhervindbare verloren: 36
Nu wenscht ge opnieuw naer ’t vogelijn.
7. Geloof niets ongelooflijks, leerde ik:
Nu denkt ge, dat een puikkleinood,
Een struifei lijkend, in mijn maeg schuil’,
En gansch mijn lijf is niet zoo groot I 40
Geen lesse, die u de oogen open’;
Vaerwell» De schalkert zweeg, en vlood.
No. 37. Die Parabel in der Legenda aurea.
Ed. Grässe, pp. 815/6.
Sagittarius quidam aviculam parvam, nomine philomenam,
capiens cum vellet eam occidere, vox data est philomenae
17 *
260
et ait: quid tibi proderit, o homo, si me occideris? neque enim
ventrem tuum implere valebis, sed, si me dimittere veiles,
tria tibi mandata darem, que si diligeatius conservares,
magnam inde utilitatem consequi posses. Ille vero ad eius loque-
lam stupefactus promisit, quod eam dimitteret, si haec sibi man¬
data proferret. Et illa: numquam rem, quae apprehendi jnon
potest, apprehendere studeas; de re perdita irrecuperabili num¬
quam doleas; verbum incredibile numquam credas; haec tibi
custodi et bene tibi erit. Ille autem, ut promiserat, eam dimi-
sit, philomena igitur per aera volitans dixit ei: vaeh tibi, homo,
quod malum Consilium habuisti et quod magnum thesaurum hodie
perdidisti, est enim in meis visceribus margarita, quae stru-
thionis ovum sua vincit magnitudine. Quod ille audiens valde
contristatus est, quod eam dimiserit, et eam apprehendere cona-
batur, dicens: veni in domum meam et omnem tibi humani-
tatem exhibebo et honorifice te dimittam. Cui philomena:
nunc pro certo cognovi te fatuum esse, nam ex his, quae tibi
dixi, nullum profectum habuisti, quia et de me perdita (et
irrecuperabili doles et me tentas capere, cum nequeas |meo
itinere pergere, et insuper marL iritam tarn grandem in meis
visceribus credidisti esse, cum ego tota ad magnitudinem ovi
struthionis non valeam pertingere.
No. 38. Die Parabel in der me. Bearbeitung der Le-
genda aurea vom Jahre 1438.
Ed. C. Horstmann, Programm (1877), pp. 10/11.
An archer toke a bridde that hight a nyntingale. and
whanne he wolde sie [Harl. have slaine] hym, a voys was yove
to the bridde and saide: Certis, thou maist not feil thi bely
[H. bodie] with me: y am so litell; but yef thou wilt lete me
goo, y shall teche the in wisdomes, where with thou maiste
gretly profite. the man was sore abashed whanne he herde
the bridde speke and in hope of these in wisdomes he lete
hym goo. and thanne the bridde saide: Stody never to take
that thinge that may not be take, and be never sori of thinge
loste with oute recovere, leve never thinge that is not ;to
leve. and whanne the bridde was fre [H. ferre] from hym above
in the eyre, he seide: Alas thou wreched man, how thou
hast had this day evell counsailel and how thou hast, loste
this day a grete tresoür, for y have in myn entrayles a [H.
261
a grete tresour, a precious stoone] precious stone as gret as an
eye of an ostriche! and whanne the man herde this, he was
sori and enforced hym to take this bridde ayen and saide:
Come into my hous, and y shall yeve the all that the nedithe
and lete the go worshipfully. and thanne saide the nytingale:
Now knowe y well that thou art a fole, for thou hast ,not
profited in no thinge that y have taught the, for thou art sori
that thou haste loste me, and yet y am with. oute recovere, and
yet thou aspiest forto take me; and over that thou wenist that
there be in me a gret precious stone, and all my body is not
so grete as an ostriches eye.
No. 39. Die Parabel in Gaxton's Golden Legend.
J. Jacobs, Barlaam and Josaphat, pp. 13/14.
... an archer toke a lytel byrde callyd a nyghtyngale,
and whan he wold have slayne thys nyghtyngale ther was a
voys given to the nyghtyngale whyche sayd: O thou man what
shold it avayle the yf thou slee me. Thou mayste not fylle thy
bely wyth me, but and yf thou wylt lete me goo, I shal teche
the thre wysedomes, that yf thou kepe them dylygentely, thou
mayst have grete prouffite thereby. Thenne he was abasshed
of his wordes, and promysed that he wold lete hym goo, yf he
wold teile hym his wysdomes. Thenne the byrde sayd: studye
never to take that thynge that thou mayst not take, and of
thynge loste, whiche may not be recoveryd, sorowe never ther-
fore, ne byleve never thynge that is Incredyble. Kepe wel thyse
thre thynges, and thou shalte doo wel. and thenne he lete the
byrde goo as he had promysed, and thenne the nyghtyngale
fleyng in the ayer sayd to hym: alas thou wretched man, thou
haste had evyl counceyl, for thou hast loste thys day grete tre¬
sour. For I have in my boweljys a precyous margaryte, whyche
is gretter than the egge of an ostrych. and he herde that, hc was
moche wroth and sorowed sore by cause he had leten hir goo,
and enforced hym al that he coude to take hyr ageyne sayeng:
Come ageyn to my hows, and I shal shew to the al humanyte,
and gyve to the alle that shal nede the, and after shal lete
the goo honourably, where as thou wylte. Thenne sayd the
nyghtyngale to hym. Nowi I knowe wel that thou art a foole,
fore thou hast no prouffyte in the wysedoms that I have sayd
te the. For thou art ryght sorowful for me whome thou
262
hast loste, whyche am Irrecuperable, and yet thou wenest to
take me, where thou roayst not come so hyghe as I am, and
furthermore where thou belevest to be in me a precyous stone
more thenne the egge of an ostrytch, whan alle my body may
not atteyne to the gretenesse of suche an egge.
No. 40. Die Erzählung in den Gesta Romanorum.
Ed. österley, p. 554 (cap. 167).
De audiendo bono consilio.
Sagittarius quandam aviculam nomine philomenam capiens,
quando volebat eam occidere, vox data est philomenae et ait:
Quid tibi proderit, o homo, si me oocideris? Ne que enim
ventrem tuum de me implere valebis; sed si dimittere me veiles,
tria mandata tibi darem, que si diligentius servares, magnam
utilitatem inde consequi posses. Ille vero ad eius loquelam stupe-
factus promisit, ut eam dimittere vellet, si hec tria mandata et
utilia proferret. Quae ait: Audite ergol Primum est: numquam
rem, que apprehendi non potest, apprehendere studeas! Audi
secundum: de re perdita et irrecuperabili nunquam doleasl Audi
tercium: verbo incredibili numquam credasl Hec tria bene
custodi et bene tibi erit! Ille autem, ut promisit, eam volare
dimisit. Philomena enim per aerem volitans dulciter cantavit;
finito cantu dixit ei: Ve tibi, homo, quia tnalum consilium
habuisti, et quia magnum thesaurum hodie perdidisti, est enim
in visceribus meis margarita, que strucionis ovum vincit magni-
tudine. Ille hoc audiens contristatus est valde, quod eam
dimisit, rethe suum expandit et conabatur eam apprehendere,
dicens ei: Veni in domum meam, et omnem humanitatem exhi-
bebo tibi, et propriis manibus te pascam et ad tuam voluntatem
te volare permittam. Cui philomena: Nunc pro certo te fatuum
esse cognosco, nam ex Ulis, que tibi dixi, nullum profectum
habuisti, quia de re perdita et irrecuperabili doles et me nequeas
capere; et tarnen per rethe tuum temptasti, et insuper mar-
garitam in meis visceribus esse credidisti, cum ego tota ad,
magnitudinem strucionis ovi non valeam pertingere. Stultus es
et in stultitia tua semper permanebis. Hiis dictis avolavit, homo
autem dolens et tristis ad domum rediit et philomenam non
vidit.
Moralizacio. Carissimi, iste potest dici quilibet bonus Chri¬
stianus, qui in baptismo a peccato origin ali est lotus, in quo
263
baptismo sagittas acutas recepit scilicet virtutes contra diabo-
lum, mundum et carnem. Accepit philomenam scilicet dominum
nostrum Jhesum Christum, quando renunciavit diabolo et Omni¬
bus pompis eius. Qui miro modo dulciter cantavit, quando ora-
cionem patri celesti pro genere humano infudit, sed miser pec-
cator istam philomenam, scilicet d. n. Jh. Chh., cogitavit occi-
dere, quotiens cogitavit peccatum mortale perpetrare, sicut dicit
apostolus: Iterum, quantum est in eis, crucifigunt filium dei.
Sed diligenter attendite, quod deus dedit tibi tria mandatal
Que si diligenter homo custodierit, ad magnum profectum per-
venire posset etc. Rex iste est trinitas, in qua sunt tres per-
sone et unus deus, quam rem numquam poterimus apprehen-
dere, quamdiu sumus in hoc mortali corpore, secundum quod
dicit apostolus: Jam videmus in enigmate, postea videbimus
sicuti est. Nec fides habet meritum, ubi humana racio prebet
experimentum. Item salvator in evangelio respondit mulieri
petenti: Die, ut eedeant hii duo filii mei etc. Respondit salvator:
Nescitis, quid petatis. Item dicebat Petro, querenti de consum-
macione seculi etc. Dixit: Non est vestrum nosse tempora vel
momenta etc. Ecce isti stupebant rem apprehendere, quam
non potuerunt attingere.
Aliter istud exemplum potest reduci ad illos, qui appetunt
honores et divitias. Exemplum de Lucifero, qui rem appetiit,.
sed impossibile ei apprehendere erat, quando dicebat: Ascendam
usque ad tercium. Quid ergo sequitur post? In infernum cecidit.
Item de primo parente, qui per esum pomi deus esse voluisset,
propter quod a paradiso est expulsus et mortem sibi et • nobis
omnibus paravit. Consulo ergo, ut vos divites ac mundi poten¬
tes nolite rem apprehendere, que apprehendi non potest, sicut
sunt bona temporalia ac seculi honores, que numquam veraciter
poterunt sine damno anime apprehendi, sicut dicit apostolus:
Qui voluerit dives fieri, incidit in laqueos diaboli. Et licet
bona obtinueris, quando melius speras de eisdem gaudere,
defraudaberis. Exemplum de illo divite, qui dicebat: Destruam
horrea mea. Et eadem nocte defunctus est. Secundum manda-
tum est: de re perdita et irrecuperabili non dolebisl Carissimi,
debetis scire, quod per rem perditam debemus intelligere cor¬
poris sanitatem aut divitias, quas deus aufert ab eo, quem dili-
git, iuxta illud: Flagellat omnem filium suum, quem diligit.
Sed cum aliqui facti sunt ceci, claudi, aut membro aliquo
privati vel divitiis spoliati, et ultra quam credi potest dole;,fc
264
et gratias deo non offerunt, sicut Esau multum dolebat, quod
benedictionem patris amisit et tarnen obtinere non potuit.
Tercium mandatum est: verbo incredibili non credas! In isto
verbo, carissimi, multi sunt decepti per diabolum, mundum et
carnem. Diabolus suggerit multa et falsa promittit, que sunt
incredibilia, sicut de primo parente, qui credidit diabolo, quando
dixit: Si comederitis de ligno, eritis sicut dei. Credidit et
erat deceptus, et ideo a paradiso est expulsus. Promissio diaboli
erat incredibilis propter duo: primo, quia mendax, secundo, quia
deus ei predixit: In quacunque hora comederitis de ligno, morie-
mini. Sic modo aliqui tarnen credunt diabolo, mundo et carni,
quod statim eis adherent et in peccatis consentiunt et dicunt:
Ovum est tarn preciosum etc. Per ovum mundus intelligitur,
qui est rotundus. Mundus dicit homini: Bonum est uti mundo
in iuventute, quia licet hoc fecerimus et peccatum incideri-
mus, tuna maior est strucione, i. e. maior est divina miseri-
cordia, quam nostra miseria. Contra tales dicit Psalmista: Non
miserearis omnibus, qui operantur iniquitatem. Studeamus
ergo etc.
No. 41. Das mhd. Gedicht: Der Jäger und die
Nachtigal.
■ Lassbergs Liedersaal, Zweiter Bd., pp. 655—657.
Wer guti 1er kan behalten
Der mag an sunder ppot alten.
Dez sait man uns ze mer:
Ez vieng ain wildenär
Ze ainem mal ain nachtegal, 5
Das sie vor lait sere quäl.
Schön rette sy zu im:
Hey, werder wayde man, vernim
Min red und mercke mich,
Ich wil ez lan geniezzen dich; 10
Wiltu mich lazzen leben,
Dry 1er will ich dir geben,
Die sint dir an mazze gut
Ob sy wol behaltet "din mut,
Und koment dir zu statten. 15
Du macht dich nit gesatten
Doch mit minem libe kranck,
265
Noch tette nimer me gesanck,
Ob du nit leben liezzeat mich.
Wiltu ez tun so sprich. 20
Er sait: ja ich wil dü 1er.
Sy sprach: so sol ze ser
Din hertz nimer stellen
Nach dem daz sich gesellen
Dir nimer mag uff erden, 25
Und daz dir nit kan werden.
Hestu och icht verloren.
Das dir gerne were zoren,
Ob ez verfienge icht
Und ez ist an Zuversicht, 30
Darnach soltu nit truren
Noch lait in din hertz muren;
Er ist wys der ye ring wag
Waz er nit erwenden mag.
Du solt och dez wesen fry, 35
Waz gar ungelöbig sy.
Das du ez icht gelobest
Und dich witze robest.
Nu behalt die dry 1er,
Daz wirt dir nutz und er. 40
Da er verlie dü nachtegal,
Do wart vil groz ja schall
Und geriett vast claffen:
Du bist gelich aim affen,
Da by man brüff hie und dort, 45
Daz ich trag riehen hört;
In minem hercen lit ain stain
Der allez golt und helffenbain
Gen im tut aller koste bloz.
Der ist wol ain funste groz; 50
Der doch mag vernarn,
Wann du mich hast gelazzen varn.
Diz gelobt der tore tumb,
Und gie allez umb,
Und begund ir warten 55
Und vil baschlich zarten,
Das sy wider zu im kam
Und sin red vernäm.
266
Sy sprach: ain nar du bist,
Wa nun miner lere list. 80
Ich mag dir werden nimmer
Und tribestu ez och yemer,
Daz sag ich dir für war,
Und tribestz tusent jar.
Darzu bin ich och ze clain, 66
Das ich ain so grozen stain
Yemer möcht getragen.
So wänest mich erjagen
Und ettwe betriegen,
Alsus tund dü giegen, 70
Die hörent gute lere wol
Und blibt in doch ir herce hol.
Daz mag man yetzo pchowen
An mannen und frowen,
Daz daz iant ist toren vol 7ö
Und aller valsch yetzt git zol.
No. 42. Die Erzählung in Boners Edelstein.
Der EdeUtein von Ulrich Boner, hg. v. F. Pfeiffer, pp. 163—165.
XCII. Von einer Nachtegal, Wart gevangen.
Von weltlicher törheit.
Ein weidman vieng ein vögellln
daz was klein, stolz unde vln,
ein nahtegal was ez genant,
als schier erz nam in sine hant,
und ez ertoedet wolte hän,
daz vögelln sprach: «nu lä mich gänl
du macht nicht werden sat von mir
drl lere wil ich geben dir,
mit den du sxlden wirdest vol,
ist daz du si behaltest wol.»
er sprach: «sag anl waz mag daz sin?»
dö sprach daz kleine vögellln:
«du solt gelouben niemer daz,
daz ungeloublich si. dur waz
8ol man daz gelouben icht,
daz nie beschah noch nicht beschicht?
daz ander ist, daz du kein leit
5
10
16
267
solt haben noch kein erebeit
in dinem herzen umb diu ding,
diu also hin vervaren sint,
.daz si her wider nicht mügen komen:
daz leit nieman kan gevromesn.
so ist diu dritte löre min,
daz du nicht solt gevlizzen sin
umb daz, daz dir nicht werden mag.
er tuot im selber grözen slag,
der nicht behaltet diz gebot,
und mag wol sin der liuten spot,
dis lör soltu behalten wol,
so macht du wisheit werden vol.»
der man der wart der löre vrö,
daz vögelin liez er vliegen dö
üf einen boum. dö daz beschach,
daz vögellin zem manne sprach:
«du hast unwislich gar getan,
daz du mich, töre, hast gelän
vliegen. daz mouz dir schade sin,
wan ich trag in dem übe min
ein stein, ist edel unde gröz.
wer in hät der wirt nicht siglös.
er zerstört auch alle gift,
eis strüzes ei er übertrift
an grözi. den hast du verlorn.»
der töre hxte wol gesworn,
ez wxr alles gewesen wär.
sinr lör hät er vergezzen gar,
die im der vogel hät gegeben,
er wart betrüebt als umb sin leben,
und geloubte, daz unmöglich was,
und wart gevlizzen ser üf daz,
wie er den vogel möcht gevän.
dö sprach daz vögelin zuo dem man:
«iemer muost ein narre sin!
niut hästu der löre min
behebt; du häst geloubt diu ding,
diu gar ungeloublich sint:
daz ich hab ein grözen stein
in mir, dar zuo bin ich ze klein.
20
2fr
3fr
40
4fr
60
✓fr
268
dar zuo leit und praerzen
hästu in dinem herzen, 60
daz du mich, töre, häst verlorn.
ouch ist dinem herzen zorn,
daz du nicht macht gevähen mich.
min weg und din sint ungellch.
du haltest nicht die löre min, 66
dä von muostu ein töre sin.»
Ein tör wird dick gelöret wol,
doch ist sin herze goucheit vol.
wer daz geloubt, daz nicht mag sin,
da ist nicht grözer witzen schin. 70
was än got nieman wenden kan,
daz sol man hin ze gotte län.
wer gert daz im nicht werden mag,
daz ist sinr girde ein niderslag.
er ist nicht wise, wer des gert, 76
des er doch niemer wirt gewert.
wie vil nu höher löre hät
diu weit, mang mensche dar üf gftt,
daz er geloubt, daz nicht ist guot,
Und siner söle schaden tuot, 80
und vichtet nach den dingen,
da im muoz misselingen,
als dirre töre hat getän.
sin herze muoz in riuwen stän,
der rechter lör nicht volgen wil. 85
noch ist der selben tören vil,
die ich nu nicht wil nennen hie.
der narre ein töre dannen gie.
No. 43. Die Erzählung in der Sammlung altdeutscher
Beispiele.
Zeitschrift für deutsches Altertum, pp. 343—345 (hg. v. Pr.
Pfeiffer).
Ein vogelxre üz gie
dä er ein lerehen gevie.
er wolde si toeten an der stat.
Wan daz si in sö lange bat.
si sprach ‘herre, lat mich leben:
ich wil iu dri löre geben,
der habt ir frum unt Öre.’
er sprach ‘ich tuon, nu löre.’
'da enköret nimmer iwer gerinc
an deheiner Blähte dinc
daz iu ze staten niht gestö.
noch wil ich iuch lören me:
swä ein ungeloube geschieht,
des sult ir ouch gelouben niht;
unt gewinnet nimmer swxren muot
umb dehein verlorn guot
daz ir niht möget wider hän.’
also wart diu lerche verlän.
si vlouo vil höhe unde sprach
‘owö, daz ez dir ie geschach!
du müedinc töre du mäht wol klagen
jä 11t ein stein in mlnem magen,
der ist groezer denne ein strQzes ei. 4
hietest du mich gesniten enzwei,
du gxbest sin nieman ein teil,
ern hete immer sxlde unt heil.’
er sach ir jxmerllchen näch
unt sprach: ‘jä was mir ze gäch.
der stein was gröz unde guot.
ouch köre ich allen mlnen muot
dun werdest gevangen.’
‘du hast übergangen
min löre unde min gebot.
nu verbot ich dir bl got
niht ze glouben daz mxre
daz ungeloubec wxre.
wie möhte ein stein komen in mich
der zwirunt groezer wxre dan ich?
Dar zuo senest du dich nach mir.
ja vliuge ich immer vrl vor dir:
du verliusest allen dlnen list
den du an mich körent bist:
ich kum niht mör in dlnen kloben.
ja wil ich des got loben
270
daz ich dich betrogen hän.’ 45
Einen alwxren man,
der sich enkan noch enmac
weder naht noch tac
behüeten noch gevristen
vor starken trügelisten, 60
der niht guote sinne hät,
sö schiere den bestät
sines lantmannes list,
der valsch und ungetriuwe ist,
der brichet im lachend abe 55
beidiu Öre unde habe.
dä vor ist nieman behuot,
ern künne übel unde guot.
nu si niemen des sö gähe,
ob er vögele gevähe, 60
daz er si läze von der hant,
ern habe bürgen oder pfant,
daz im alsam niht gesche,
wan spot tuot nach schaden wö.
JNo. 44. Die Parabel im franz. Barlaam des Gui de
Cambrai.
Ed. Zotenberg und Meyer, pp. 60 ff.
Cil sont a .j. archier sanlant
Ki lousignoit avoit ,pris.
Li archiers a son coutiel pris
Et l’osillon voloit ocirre.
L’oysiaus parla, si prist ä dire: 5
«Poures porfis si est de mort,
«Se tu m’ocis tu aras tort
«Ne ja soeles n’ieres de moi;
«Biax dous amis, porpense toi:
«De moi, tu me fais morir, 10
«N’en poras pas ton ventre emplir;
«Delivre moi de ces loiens,
«Molt t’en pora venir grans biens
«Car por chou te volrai mostrer
«Trois sens se tu les vels garder.»
15
271
Cil s’esmaie de chou qu’il ot
Et al plus tost k’il onques pot
L’a delivrö, et se li prie
K’il les .in. sens li mostre et die.
Li oysiax dist: «Or de l’entendre: 20
«Ne t’esforchier tu ja de prendre
«Chose que prendre ne poroies;
«Se tu de par chou te doloies
«U il n’aroit nul recouvrier,
«Li dels ne t’i aroit mestier; 2ö
«Et chose ki ne fait ä croire
«Ne tenir ja nul jor ä voire.
«De ces trois sens te prent bien garde,
«Et si entent de euer et garde:
«Encor te pora biens venir 80
«Se tu les voes bien retenir,
«Car saches bien grant sens i a.»
Li archiers molt s’esmervilla
Quant si tres biel l’ol parier,
«Deslii6 l’a, sei laisse aler; 35
Li lousegnos s’en est voles
Et de chou k’il est eschapös
Estoit moult li6s, car joie trueve,
Et nequedent l’archier esprueve
S’il les trois sens avoit bien pris, 40
Que li oysiaus li ot apris:
«Archiers, dist il, oi et entent:
«Tu as estd molt folement
«Et mal conseil as hui eü
«Et grant tresor as hui perdu; 45
«En ta perte gaigne ma vie:
«El cors ai tele margerie
«Ki molt est precieuse et riche
«Et graindre asses d’un oef d’ostriche.»
Li archiers l’ot, dolans en fu, 50
Mais il n’a pas bien entendu
Por coi li lossignos l’esprueve;
Molt douchement li prie et rueve;
C’or vigne a lui, buer le fera
f .Af ff ♦ »i n' jiuiMr . pL’riv:*
j\ mui' KfUM* l^Bt* -• Huü?--
J.. / *ifpym* Q* taiso:
J, u< »-uijii j: ’j. entern fc c
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»'!•- J/.JU- JJW <ii* Oiei €Et€!iaii.
4-y in /j«; $:t j«^ uiol* aeciitu.
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/I a nut **i etwsi* uec*^vaneu*
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Ss'j' * **i a nei/rit
^ ü' ’ t u* uuih pa> u ro, tenctrt
v/. r;iiOt ' r m Ji*r pUßT BTeiifT-
i‘r nu ±r* ummein errer
*r ap r jet uju. nt pu% voisr
Jix.f ix: üb. f J<JlL jUl . Voifc
✓'J <^fc <a't * u:h e: u* paruit
rJSt yjt'j&i' juem väjuu
4'ut t\* Int IJiC» cVMi;.
♦ J. tatvji ovminannt int; :t ais.
JL tnUtUUifc pL.: u inet CÜä.
rJK-t tu ;a nt crelsset tuen
rXt VI C‘- r U-'t nt U:L,
-t y.". vj-'.>’_ '.'ezzre zi& ^oloxf:'.
fAjLL^i Wi-'-t. '. _e t’J VV.'J'.'i*S5
«Ke .VU 1* ; • rV.c Ubt
«JEjÜSS-e ►„ VeZ'.re et. tei ZA '. 'Ji re
«Coc: :e iis. zi.*jt .: - zzezti,
«Car ii re p*ue: e*::e ezsi.
«Car pl-rs es: grairire ie ;:u tonte.
«Por eher es: folg er qu; esc: Ute.
«Quart ü c’eztez: raisräcietzer:
«Chcu que raisors 'ii s: et r_»pert->
273
No. 45. Die Parabel im sürselvischen Barlaam.
Archivio glottologico Italiano, VII, pp. 273/4 u. 382/3.
Sürselvischer Text.
. . . a per quei sehet Barlaam
tier Giosafat: Teng char ils
paupers, ed hagies misericor-
dia dels amigs de Diu, a quei
che jau ti hai mussau a deg,
emblida bucca via a fai bucca
sco ha giu faig in cert pur
che ha giu pigliau in utschi,
il quäl cur che el ha viu dad
esser Staus pigliaus, ha deg
tier il pur: Miu amig, sehe
mi laies larg, sehe ti emper-
metta jau da dar treis mus-
saments, che ti vegnes ad
esser beaus, sehe ti vegnas
a saver suendar, a veng tei
biar a gidar. Lura ha il pur
deg: Jau ti empermetta de
schar ira, sehe ti mi dies
quels. Lura ha il utschi deg:
Ilg emprim ei quest: quella
caussa, che ti poss bucca ha-
ver, enquera bucca I II secund
ei quest: quella caussa, che
ti has, sapies tenert A il
tierz mussament ei quest:
quella caussa che po bucca
esser, sehe deies ti bucca crer!
Cur che il pur ha giu udiu
quests mussamens, gli han ei
talmein plischiu che el ha
schau ira il utschi. Quei ei
sgolaus sin in pumer zun ault
ed ha clamau il pur sehend:
O Compogn, per tia disgratias
has ti laschau ira mei, pertgei
jau hai en il culiez ina pedra
Ascolis ital. Übersetzung.
E perciö disse Barlaam a Gio¬
safat: Ama i poveri, e abbi
misericordia degli amici di Dio,
e quello, che io t’insengnai e
dissi, non dimenticartene, e
non fare come ebbe fatto un
certo contadino, che avea pig-
liato un uccello, il quäle come
vide d’essere stato pigliato,
disse al contadino: Mio amico,
se tu mi lasci libero, si ti
prometto io di darti tre in-
segnamenti, che tu sarai beato
se li saprai seguire, e molto
ciö ti ajuterä. Il contadino
disse allora: Jo ti prometto
di lasciarti andare, se tu me
li dici. Disse allora l’uccello:
Il primo h questo: La cosa
che tu non puoi avere, non
cercarla. Il secondo e questo:
la cosa, che hai, sappila te-
nere. E il terzo insegnamento
h questo: la cosa che non puö
essere, sl non la devi cre-
dere. Udito ch’ebbe il conta¬
dino questi insegnamenti, gli
son talmente piaciuti, ch’egli
lasciö andare l’uocello. Questi
se ne volö sopra un albero
ben alto, e chiamö il conta¬
dino, dicendo: O eompagno,
per disgrazia tua m’hai tu las-
ciato andare, poichfe io ho nel
gozzo (collo) una pietra pre-
ziosa, ch’6 piü grande di un*
uovo d’oea, e vale un ßian
18
Ty roll er. Die Fabel von dem Mann und dem Vogel.
274
custeivla, che ei pli gronda
che in jef dad’ ina auca, a
valla in grond scazi. Cura
che il pur ha giu udiu quei
dilg- utschi, ha el ladina-
meing enciet ad ira suenter
en mintga caglia per el puspei
piglar. Lura ha il utschi deg:
O ti nar, has teniu endament
schi bien mes mussamens, che
jau ti hai dau? Jau ti hai
deg: Questa caussa, che ti has,
sapies tener! Lauter ei: quella
caussa, che ti poss bucca sur-
vegnir, va bucca enquerend!
Ti mi has giu ed has cha isaviu
tener; ed ussa enqueres ti da
piglar mei; aber ti survegnies
bucca. Il tierz mussamen ei
stau: quella caussa, che ei
bucca pusseivel, deies ti bucca
crer. E ti creies, che jau
hagi ina pedra custeivla pli
gronda che in jef de ina auca,
il quäl po bucca esser, per
bucca esser ilg ief pli gronds
che jau ne seigi. Ed el ha
deg sil davos agli pur: Va alla
malura, che jau ti vi bucca
dar pli mussamens, pertgiei
ti sas bucca tener endament.
tesoro. Quando il contadino
ebbe ciö udito dall’ uccello,
tosto incominciö a andargli
dietro in ogni cespuglio per
uuovamente pigliarlo. Allora
disse l’uccello: 0 tu pazzo,
cosi bene hai tenuto a mente
gli insegnamenti miei che io
t’ho dato? Io ti dissi: La
cosa che hai, sappila tenere.
L’altro e: La cosa che non
puoi conseguire, non l’andar
eercando. Tu m’hai avuto e
nonm’hai saputo tenere; eora
cerchi tu di pigliarmi, ma nol
consegui. Il terzo insegna-
mento e stato: La cosa, che
non e possibile, non la devi
credere. E tu credi che io
abbia una pietra preziosa piü
grande di un uovo d’oca, il
che non puö essere, per [non]
esser l’uovo piü grande che
io non sia. E all’ultimo diss’-
egli al villano: Va alla malora,
che io non ti vo’piü dare in¬
segnamenti, poiche non li sai
tenere a mente. . . .
No. 46. Die Erzählung in den Fazetien des Piovano
Arlotto.
Riprensione del piovano ad un amico che non si curava
admonitione.
Parlando un giorno el piovano con uno suo amico mölto
arioso il quäle havea forati li orechi piu di sotto che di sopra,
e admonendolo de li suoi vitii e mali costumi dopo un longo
discorse mostro colui non havere inteso o di havere dimenti-
275
cato ogni bon precepto del Piovano, onde lui gli disse nellultimo
questa piacevoleza essemplar come fu uno villano, che prese
un bello lusignolo, e lui si volto a quello villano con humile
voce, e disse: se tu me vuoi liberare, e lasciarmi ire, io ti
prometto di dare tre amaestramenti, che se li terrai a memoria,
sarai felice in tempo di tua vita, e poterai chiamare in questo
mon'do beato. Bispose il villano: certo se me li insegni ti
prometto lasciarti ire. Allhora el lusignolo gli disse: El primo
amaestramento e desiderare, ne cercare quella cosa, ch’e impos-
sibile a trovare e havere; el secondo, sappi tenere quella cosa,
di che hai dibisogno. El terzo e che non debbi creder pro niente
quella cosa che non puo essere. Datti hebbe li amaestramenti
che furono al villano multo cari, el villano lo lascio ire. Volato
el lusignolo insu uno albero molto alto, e logo sicuro per lui,
parlo al villano, e disse: in mala hora per te m’hai lasciato
andare. Voglio che tu intenda come io ho nel gozo una pretio-
sissima pietra grossa poco piu duno uovo doca la quäle e diva-
lore duna citta. La quäle cosa intendendo el vilano con grande
instanza per molte macchie, e selve cerco di pigliare el lusi¬
gnolo, e dopo qualche tempo el lusignolo disse al villano: o
insensato matto e di nessuno intelletto, partegli havere tenuto
amente li tre amaestramenti li quali io ti detti, tu mhai havuto
e non mhai saputo tenere. Se tu se pazo che tu creda chio
habbi in gozo una pietra maggior dun uovo di occa che e
maggiore sei volte di me come votu che la mi stia in gozo.
Lo terzo amaestramento fu che tu non cerclii la cosa impossi-
bile, havendomi tu preso un’altra volta: e sendoti uscito delle
mani come credi tu, io me lasci piu pigliare. Tu perdi tempo
siche stati in hora spagnuola.
No. 47. Die Erzählung in der Historia del Cavallero
Cifar'.
Ed. Michelant, pp. 180 ff.
Del enxemplo que dio el fisico al rey del capador e de la
calandria.
Disen que un capador fue a capar con sus redes e tomo
una calandria e non mas, e vinose para casa con ella e puso
mano al cuchillo para la degollar e la comer. E la calandria,
quando lo vido, dixole: «Ay, amigo, que gran pecado fases en
me matar; e non ves que non te podras fartar de mi, que en
18 *
276
mi hay poca vianda para tan grand cuerpo como es el tuyo?
E porende, tengo que farias mejor en me dar de mano e me
dexar bivir, e yo darte he tres castigos que son muy buenos,
de que te podras aprovechar, sy bien quisieres usar dellos.»
Dixo el capador: «Muchon me plase, ca si un buen consejo me
dieres, yo te dexare e te dare de mano.» — «Pues dote el
primer consejo», dixo la calandria, que no creas a ninguno
aquello que vieres e entendieres, que non puede ser verdad.
El segundo, que non trabajes muchon enpos de la cosa per-
dida, si tu vieres que la non puedes aver ni cobrar. El ter-
cero, que non acometas cosa que entiendes que non podras
acabar. Estos tres consejos, semejantes uno de otro, te do
por el uno que me demandaste.» Dixole el capador: «Buenos
consejos me has dado.» E porende solto la calandria, e diole
de mano e la calandria andando bolando sobre la casa fiel
capador, fasta que bido que se tornava a capa para yr a capa
con sus rredes. E ella se fue bolando a par del por el ayre,
parandole Jnientes sy se acordarie de los consejos que le
dixiera, e sy usarie bien dellos. E andando el capador por el
canpo parando sus rredes e Uamando a las aves con sus
dulces cantos, dixole la calandria que andava bolando por el
ayre asy: «Ay, mesquino cuytado, e comon fueste enganado de
mil» — «E quien eres tu?» dixo el capador. — «Yo teso la
calandria que diste oy de mano por los consejos que te di.» —
«Non fuy enganado, segud creo,» dixo el. capador, «ca muy buenos
consejos me diste.» — «Verdad es,» dixo lo calandria, «sy bien
los aprendiste.» — «Pero», dixo el capador a la calandria, «por-
que fuy enganado de ty?» — «Yo te lo dire», dixo la calan¬
dria. «Si tu supieras la piedra preciosa que yo tengo en mi
cabepa, que es tan grande comon un huevo de grifo, cierta so
que non me dieras de mano, ca tu fueras rrico para en siempre
jamas, sy me la sacaras, ca yo perdiera la fuerpa e la virtud
que he da fablar; e tu cobraras mayor fuerpa para acabar todo
lo que quisieras.» — E el capador, quando esto oyo, finco muy
triste e muy cuytado, pensando que era asi verdad comon
la calandria lo desie, e andava enpos della por la engafiar otra
vegada con sus dulces cantos; e la calandria, comon escar-
mentada, guardavase del e dixole: «Ay, loco, e que mal apren¬
diste los consejos que yo te dil» — «Non,» dixo el capador, «ca
muy bien me acuerdo dellos.» — «Bien puede ser», dixo la
calandria, «mas non sabes usar dellos, nin los entendiste bien;
277
e sy los entendiste, non obras dellos.» — «E comon non», dixo
el capador. — «Tu sabes muy bien», dixo la calandria, «que el
primer consejo que yo te di, que fue este: que non quisieses
creer a ninguno lo que visieses e entendieses que non podrie
ser.» — «Verdad es», dixo el capador. — «E pues comon», dixo
la calandria, «puedes tu creer, que en tan pequeno cuerpo,
comon es este mio, pudiese aver tan gran piedra comon es
un huevo del grifo? Ca bien puedes tu entender que non es
cosa de creer nin podrie ser verdad. El segundo consejo que yo
te di, fue este: que non te trabajes enpos de la cosa perdida,
sy tu entendieses que la non podries cobrar.» — «Verdad es,»
dixo el ca^ador. — «E pues, porque te trabajas», dixo la calan¬
dria, «de andar enpos de mi? Ca piensas que me tomaras otra
ves en los lasos con tus dulces cantos? E non sabes tu que de
los escarmentados sallen los artes? Pues, bien deves tu en¬
tender que pues una vegada escape de tus manos, que me
guardare otra vegada de me poner en tu poder; ca grand
derechon serie que me matases comon lo queries faser la otra
vegada, sy de ty non me guardara. El tercero consejo que te
di fue este que non acometieses cosa que entendieses que
non podrias acabar.» — «Verdad es», dixo el ca<?ador — «E pues tu
vees», dixo la calandria, «que yo ando bolando comon quiero
por el ayre, e tu non puedes sobir a mi, nin lo as poder de
faser, ca non lo as de natura, non devies acometer de te yr
enpos de mi, pues que non puedes bolar asy comon yo». —
Estonce le dixo el ca$ador: «Pues yo non folgare fasta que
te tome por arte o por sabiduria.» — «Sobervia dises», dixo la
calandria, «e guardate, ca Dios de alto fase caer a los sober-
vios.» E el ca$ador, pensando comon podrie bolar para tomar
la calandria, tomo sus rredes e fuese para la villa; e fuese
para un trasechador que estava trasechando en la plasa,
delante de muy grand gente e dixole asy: «Dime, trasechador,
tu que demuestras uno por al e fases creer a los omes lo que
non es nin podrie ser, podries faserme a mi que semejase ave,
e que pudiese bolar?» — «Bien lo podrie faser esso», dixo
el trasechador; «toma las penolas de las aves e pegälas a ty
con cera, e finque todo de penolas el cuerpo, e las piernas e
los bra^os fasta las unas; e sube en una torre muy alta, e
salta ayuso; e ayudate de las penolas, quanto pudieres.» E
el cafador fisolo asy, e quando salto de la torre, cuydo bolar
e non sopo nin pudo, ca non era de su natura, e cayo en
278
tierra e murio. E fue gran derechon, ca non quiso creer el
buen consejo que le dava la calandria, e creyo el mal consejo
que non podie ser por rrason nin por natura.
No. 48. Die Parabel im engl. Barlaam des Cod.
Bodl. 779.
Ed. 0. Horstmann, Altengl. Legenden, pp. 124/5.
A boue mon wente atyrae : ond wit his bowe pleyde;
A lytil brid he cau 3 te, : pat reuelich to hym seyde:
I bidde pe for py lordes loue : haue mercy on mel
For lytil good pu schalt winne : pou pat pu me sie;
Leet me freliche leue : ond in my wey fle, 5
Ond I pe wole teche anoin : wisdomes pre;
Ond 3if pu pem holde, : pu schalt pe beter be.
Do sey, quap pis oper, : ond pu schalt haue lyf of me. —
Ne leue pu neuer alle pin 3 : pat pu my 3 t here,
For men lyep oft moche; : whan pey speke I fere; 10
Ne sorwe pu nou3t to sore : for ping pat is lore,
3if it ne may be found; : ne sorw pu nou 3 t per fore;
Ne desire pu neuer pat pin 3 : pat put my 3 t have nou 3 t,
For I wis al soche wil : comyp of idil pou 3 t.
Mafey, quap pis good mon, : sop pu scyst to me. 15
Ond wit pilke word : pe brid he leet fle.
Po it was up on hy, : pe brid hym seyd to:
I wis pu dedist gret foly3e, : po pu leet me go,
Ffor among my gottes : I have a ryche ston,
Also gret as an ey 3 , : gret vertu is per on; 20
Hadde pu me slaue : ond pat ston take,
Euere pu haddist be ryche : for pe stones sake;
But for pu hast pe ston lore, : I wis pu hast mys do.
Po pe mon pis herd, : sykir hym was ful wo,
Ond for pe lore [sic] of pis ston : he gan to syke sore, 25
Ond pou 3 te how 3 he my 3 te : pe brid cacche more.
Brid, he seyde, cum to me, : ond, whil pu art alyue,
I wole pe finde at py nede; : at hom wit my wyue;
A feyr cage I ^ville make : for pe loue of pe,
Ond in joy ond in myrp : per in pu schalt be;
Moche pu schalt her after : haue py wille;
Ne be pu nopin3 a drad : pat me [sic] schal pe spille!
Fforp fley pis lyte brid, : ond nold ,no leng abyde.
30
«tlio Uri?, • ; T'j-' %'/&
. ■ • •
Herköiii; no\y how : umi I w olle teUe,
Beter <:$>. .halte pari tveclte/lsiej, ; 6mi go, j»f {ui schult keyte,
pan üwalle.
A 3 Um, so gter m an oy, : how ihyjs, tu my wumbe hev
Al my lu.xi.v is DOUjt stT tfrot.' ; ase och i'uuu üuty s?*. 40
Pu solo ( l'or I n h.iun pät, pOU TJt* iO V3< CöJÄ® jXM’ tWÖ [sfc],
For 1 |>e stigge .pu he schult : baue -me ubum-A au*.
W41 1 tm syl ;Sory, ; for pu me hast lote;
l-n \iost, per Vjf • 1 for boue i.f pe bu fore.
JV*. l:j Dk Parabel im englische'!* Barhuim än Qod
'■kak-' k Pb k. • Vwn&n. ' •: k'
■
yVha;j.r . ’iiti h»ub : ■'&
f?K ßvi'i s&idf. I.'io/jVih} % jjeyu.. ’J-V
hA mou . prg('y.-|e }»@j
Paul) pai jjOti . sic sj.ou Tue.
W i p ni.e pb % ifevi|t tiAtv.' ; ? y''•. ■;' •
Perfore $rf pou u-ohiust: tv'if» git<i wÜJft U)
Lete me gn* hm fone lyoe.
Prpq
Ami 3 if.pt! 'fce|8R hem .. ;> •.
Pqu 6 phait lyhO« .. i'ji hewi .grotir ■ fei '.. ;• •;. . j. / .
Hi' was a forq . uf ppj sprehe- ' i.ü
BiJ.j pi' pal, ßii-.l . iiilu M ; ob<e teohe
Oe . .behütte ihre , ribi fei ... ■
& Hr liirr ife. ' !■>!• Buet- nu*.
i>c* » Ui jliU% JCr U.WR , •
Ke -sja. 1 be fäufid« -.-sirfre w*U3t ptip Itibe-
A «von}, paf, is . noujf >.o Ubeeite ;
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Credence perto . loke pou ne ne 3eue
Kep peos preo pinges . eueridel
And euermore . pe schal be wel.
Pe Archer penne . as he behiht
Let pe Brid . haue hire fliht.
Pe Nihtingale fleyh . a boute faste
And to pe Archer . seide atte laste
Wo is pe . Mon : 3if pou hit wost
Uvel counseil. hap mad pe lost
A gret tresur . sikerly.
Ffor per is . in my body.
A Margeri ston . in god fey
Grettor pen . an Ostriches ei3.
Whan pat pe mon . herde pis
Sori i nouh . he was i wis.
Pat he hedde leten . hire go so
And hire to take . he peyned him po
Brid he seide . loke pou ne lete
Cum to myn hous . and fet pe mete
And per schaltou haue . ri3t inouh
And ben lete go . wip outen wouh.
Pen seide to him . pe Nihtingal.
Ich wot pou art . a fool at al
Ffor of al pat euere . i pe tauht
I seo hit profytep . pe riht nauht.
Nou for me . pat pou hast lost.
Pou art sori. wel pou wost.
And pou art aboute . to cacche me
And wost riht wel. hit nil not be.
Pou wenest also . in good fey3
Pat a Margeri ston . as an Ostriches ey3
Wip innef my bodi. beo iset
Whon al my bodi . nis not so gret.
No. 50. Die Parabel (im engl. Barlaam des Cod.
Harl. 4196.
Ed. C. Horstmann, Altengl. Legenden, pp. 232 ff.
Unto a foater so it betyd:
O mang his gamin he toke a brid.
And als he walde pe brid haue slone
Pe brid spak and said onone:
Yt helpes pe noght to haue me ded,
And my lif may stand pe in stede;
I am not worth pi wombe to fill,
And wit can I lere pe, yf pou will.
Pe forster said: pat walde I fayne.
And pan pe brid answerde ogaine:
Gyf me laue to lyght on 3on tre,
And I sali pe thece wisdomes thre.
I>e forster said pan: er tow sleghe!
On pat forwarde he lete him fleghe.
On pe tre pan sat pe nyghtgale,
To pe forster he tolde pis tale,
I>at es contened here in two vers,
And sepin in ynglys to rehers;
Non pro amissis doleas nec omne quod audis
Credas nec cupias id quod habere nequis:
Man, murn pau noght on evyn ne morn
For ping pou wate pat pou haues lorn;
Ne trow noght all pat pou heres say;
Ne 3ern noght pat pou noght get may.
And yf pou pink wele on pir thre,
Oft tymes pe may pe better be.
Pe foster held him full wele payd.
Bot pan pe brid more to him said:
Man, and pou wist what pou has lorn,
Pou walde noping be fain per forn,
Pat pou walde lat me go so tyte:
In my wombe es a margarite,
A precius stone, and it es more
Pan es a gripe egg; and perfore
A grete los has pou lost pis day.
Pan pe forster to him seif gan say:
Walde god I had pe here o gainel
And to take it he did his paine,
And said: walde pau cum me untill,
Pou solde wende at pine awin will,
I sali do all pat pou will bid.
And on pis wise answerde pe brid:
Pou ert a fole, pat se I wele:
My wisdomes prophetes pe no dele:
282
Pou 3ernes me pat pou may noght gete, 45
And trows I haue a stone so grete,
When al my body es noght to se
So grete als half an egg solde be;
Pou murnes for I am went pe fro,
All my thre wisdoms loses pou so, 50
And in pi wit pou ert bygilde.
No. 51. Die Parabel im altnorwegischen Barlaam.
Udg. af R. Keyser og C. R. Unger, p. 39.
Einn veiöimaör tok einn fugll meö list. Pann er heitir
filomena a latino. en a norreno heitir susvort. sumir kalla oc
niktingalo. Oc pa er hann haföe tekit fuglinn. Pa villddi hann
drepa fuglinn ok eta hann siöan. Oc er swa sagt, at fuglinn
mxllte viör hann pessom oröom. Pv maör. huat gagne xtlar pv
per in minum dauöa vera. enga magfylli matt pu per af mer
gera. En ef pu villt frelsi geva mer. Pa skal ec kenna per
pau priu raö. er per skolu vera til nytsemdar alla pina daga
oc til mykyllar gipttu. ef pu kant til at gixta. Nu sem hann
hoeyröi huat er fuglinn sagöe. pa varö honom annars hugar
viör oc sagöe at hann skylldi geva honom gott frelsi. en
hann sagöe honom nokkora nya luti sannlega. Fuglinn sagöe
honom. Stunnda alldri a pat. at pu meger pvi na er pu matt
alldrigi fa. Syrg oc alldri eptir pui sem pu tapar oc er von*,
laust at pu faer. Tru oc alldri pvi er umattolegt er at weröa
mege. En ef pu kantt pesse priu raö i henndi at hava. Pa
skal per mykyt gagn af \standda. Oc firir pvi mannenom
hugnaöe val orö fuglsins. pa loeysti hann fuglinn oc let i brott
fara. Siöan villdi fuglinn roeyna, ef hann heföi nokkora
nytsemd af hans raöom tekit. Sem hann sat upp i viöinum
laus, pa mxllte hann til veiöimannzens. pu vesall. syrg nu
illt raö er pu tokt af iamgoöo efni sem pu haföir. at pu
tynddir oc tapaöer sva fagrum feng oc gixtter eigi. pa er
per var gevin. Ec hevi i kuiöi mer einn mykynn gimstein
mxtan oc agixtan. meiri at vexti en gambrs egg. Nu varÖ
veiöimaörenn viör pesse orö goeysi uglaör. oc iöraöezt miok
at hann haföe fuglinn sua bratt lausan latet. oc villdi nu
freista ef hann mxtte fa natt honom annat sinni. oc mxllte
til hans. Fylg mer heim til herbyrgis mins. oc skal ec per
par scemelega fagna oc meö ollum goövilia geva per loeyvi
283
brott at fara. pa suaraöe fuglinn. Nu finn ec pik sannlega
fol vera oc fullkomet fifl. pvi at pat raö er ec kennöa per.
Pa kunnir pu vist eigi at nyta. oc tokt pu po glaölega viör.
Ec reö per pat hitt fyrsta raö. at pu skylldir alldrigi syrgia
eptir pvi er pu matter eigi fa. Pat reö ec per anuat |raö.
at pu skylldir eigi fysazt eöa freista at fa pa luti er per vxre
umattoleger. Oc leitaöer pu nu pegar viör at taka mik. Oc
mattu meö engo mote fliuga i loppte sem ec. Sua reö ec per
oc at pu skylldir enggan trunaö a pa luti leggia er allzkostar
eru untruleger. Oc matt pu nu pegar markka. er ec laug at per
pa pruöir pu mer. er ec sagöa per at ec haföa in mer pann
gimstein er alla vega er meiri en ec. Huerssu myndda ec pat
mega. hylia sua mykynn stein, er ec em allzskostar sialfr
minni.
No. 52. Die Parabel im altschwedischen Barlaam.
Ed. G. E. Klemming, pp. 33/34.
Mik sagdhe een mykit wiis man at affgudha dyrkara lik-
nas vidh en skytta huilkin som fik en litin fughel som kallas
naktergala. han drogh sin kniff viliande fughlin dräpa oc
redha han sik til mat, gudh gaff fuglenom maal oc han taladhe
swa til mannin hwat fromar th3 thic at thu dräper mik ey for-
magh min litle kropper fylla thin bwk oc släkkia thin hunger,
Slep mic häldir lösan jak vil thic thry god radh känna, gömir
thu thom, tha faar thu aff thom ä mädhan thu lifuir nytto
oc froma, mannin vardh mykit undrande at fughlin taladhe oc
lofwadhe han sleppa om han hanom nokot nyyt vilde berätta,
Fughlin sagdhe stat aldri äpte at gripa th th3 som ogripelikit
är, Sörgh äkke äpter th3 thing thu hauir fortappat oc thu kant
aldri meer atir fa. Oc tro aldri nokontidh th3 som otrolikit är,
göm thänna thry radh 1 tha faar thu gaghn oc froma ther aff,
tha fät mannin flygha fughlin, han flögh upp i wädhrit oc
vilde wtröna om mannin hafdhe thänna ordhana dygd forstan-
dit oc nokot gaghn aff hans ordhum fangit Oc taladhe til
hans oc sagdhe O thu folsker dare hwat ondo radhe tok thu
i dagh o hwat ärlighe hawo thu miste i minom quidh ligger
een dyyr steen större än et strwz äg hafdhe thu han tha
wurdhe thu aldri arm, tha mannin Ü13 hördhe, wardh han dröf-
dher oc angradhe at han fughlin släpte oc widhir frestadhe
284
m3 alle mact fughlin atirgripa oc trodhe th3 vara sant han
sagdhe, The straffadhe fughlin han sighiande, Nu forstar jak
visselika at thu äst en armber dare, Jak lärdhe thic thry
radh oc inktc thera hauer thu haldit, jak sagdhe thic at thu
skulde aldri astunda at gripa th3 thing ogripelikit wäre nu
löper thu äpter mik oc vilt mic gripa som thic är omöghelighit
mädhan thu kant äkke minom vägh fölghia, jak sagdhe thic
oc at thu skulde ey sörghia obötelighan skadha, Oc thu dröfnis
nu at thu hauer mic mist oc kant mik aldri atirfa, Jak badh
thic oc ingalund tro th3 som otrolighit är, än nu tror thu at
i minom quidh ligger en dyr sten större äu et stru 3 äg, Oc thu
vsal kant ey undirsta, at aldir min licame är ey när swa stör
som et strud3 äg, huru kan tha swa stör steen lykkias i
minom qwidh.
JS'o. 53. Die Parabel in der lat. Barlaamüber Setzung
des Billius.
Ausgabe Köln-Antwerpen, p. 98 (cap. X).
Aiebat enim simulacrorum cultores aucupi similes esse,
qui cum lusciniam, perexiguam aviculam, cepisset gladiumque
arripuisset, ut eam iugularet, ac comederet, ea, concessa sibi
articulata voce, ad aucupem dixit: Quidnam, o homo, ex mea
nece ad te utilitatis rediturum est? Neque enim per me ven-
trem tuum explere poteris. At si me vinculis liberaveris, tria
praecepta tibi tradam: quibus si parueris, magnis per omnem
vitam commodis afficieris. Ille autem ex ipsius sermone ad-
miratione commotus, sese facturum recepit, ut si novum ali-
quid ab ea audiret, statim eam libertate donaret, ac missam
faceret. Conversa itaque luscinia, homini ait: Numquam rem,
quam consequi nequeas, aggredere. Numquam rei praeterite^
te peniteat. Rei incredibili) numquam fidem adhibe. Hec tria
mandata serva et praeclare tecum agetur. Ille autem horum
verborum sagacitatem ac prudentiam admiratus, eam vinculis
solutam in aerem emisit. Luscinia itaque periculum facere
cupiens, an ille verborum eorum, que, audierat, vim intellexisset,
atque aliquam ex ipsis' utilitatem percepisset, per aerem voli-
tans, ad eum dixit: Proh, quam nihil est in te consilii, o homo!
qualem thesaurum hodie amisisti I Est siquidem in meis vis-
■ceribus unio, struthionis ovum magnitudine excedens. Quae
285
ut ille audivit, moerore conturbatus est: eumque poenituit quod
luBcinia ex ipsius manibus effugisset. Atque eam rursum arri-
pere tentäns, dixit: Veni quaeso in aedes meas: atque ubi prae-
clare et humaniter a me accepta fueris, honorifice te dimit-
tarn. Luscinia autem ipsi dixit: Nunc plane te stolidum ac
vcecordem esse scio. Nam posteaquam ea, quae ad te dicta
sunt, prompto animo excepisti, ac libenter audiisti, nihi l ex
eis lemolumenti consecutus es. Admonui enim te, ne ob rem
preteritam poenitentia ducereris: et ecce moerore conturbatus
es, propterea quod e manibus tuis fuga me subduxerim, peni-
tentia videlicet ob rem praeteritam affectus. Precepi tibi,
ne ea, quae assequi non posses, aggredereris: et tarnen arripere
me conaris, cum iter meum assequi nequeas. Ad haec id quoque
tibi dixi ne incredibili sermoni fidem arrogares: et tarnen in
visceribus meis unionem, staturae meae modum excedentem
inesse credidisti: neque tantulum tibi prudentiae fuit, ut intel-
legeres me totam ad ovi struthionis magnitudinem minime
aocedere. Quonam itaque pacto tantum unionem corpuseulum
i8tud caperet?
ZVo. 54. Die Erzählung in der Fabelsammlung des
Armeniers Vartan.
Choix de Fables de Vartan, pp. 27, 29.
Le Renard et le Moineau.
Le renard tenait un moineau dans sa gueule et voulait
le manger, quand celui-ci lui dit: II laut que d’abord tu rendes
gräces ä Dieu, et puis tu me mangeras, car c’est le moment,
oü je vais pondre un oeuf semblable ä celui d’une autruche.
C’est un oeuf impayable, mais laisse-moi, pour que je te le
ponde, et apres mange-moia je te jure que je viendrai ä ta
volontA Comme le renard le laissa, il s’envola et se plapa sur
une brauche d’arbre trös-61ev6e. Le renard lui dit alors: Eh
bienl fais ä präsent ce que tu as d6cid6, et viens comme
je te le däsire. Crois-tu que je sois un insensö comme toi,
lui dit alors le moineau, pour que je revienne quand tu le
dtoires? Pourquoi m’as-tu pu croire, et t’imaginer qu’un aussi
petit corps püt pondre une teile perle, quand avec tout mon
corps je ne puis lAgaler. Ecoute donc le conseil que je te
donne: n’ajoute plus foi ä des paroles extravagantes, et ne
S
286
dors pars aupres d’une muraille chancelante. Le renard lui
repondit: Dieu te jugera puisque tu m’as trompe. II est
des mensonges qui sont louables, röpliqua le moineau; Dieu
donne de grandes recompenses pour le mensonge qui pre-
serve de la mort ou du danger, ou qui sauvent les autres
hommes. Le renard se cacha alors tout aupres et se mit ä
grimper pour saisir le moineau; mais celui-ci lui lanpa de sa
fiente aux yeux, en lui disant: 0 insensö! öcoute cet autre
eonseil que je te donne: ne tente pas d’arriver oü tu ne peux
pas parvenir, et dans les demeles entre mari et femme, ou
entre les fröres, ne dis aucune parole indiscrete, pour ne pas
rougir ensuite.
No. 55. Die Parabel im Kitäb Balauhar wa-Bü^äsaf.
Übersetzung des arab. Textes pp. 85/86.
Es sprach Balauhar: Es war ein Mann in der ersten Zeit,
der hatte einen Garten, den er bebaute und beaufsichtigte. Und
als er einmal so tat, da sah er in seinem Garten einen Sper¬
ling, der auf einem Baum des Gartens saß und dessen Frucht
zerpickte und verdarb. Dies ärgerte ihn, und er stellte dem
Sperling eine Falle und fing ihn.
Aber als er sich anschickte ihn zu schlachten, da öffnete
der Sperling seinen Mund zu einer Rede und sprach zum Herrn
des Gartens: „Ich sehe, daß du mich schlachten willst, aber
es ist doch an mir nichts was deinen Hunger stillen oder
dich von einer Krankheit kurieren könnte. Möchtest du nicht
lieber etwas Besseres tun als das, was du vorhast?“ Der
Mann fragte ihn: „Und was ist dies?“ Der Sperling ant¬
wortete: „Laß mich los, und ich will dich drei Worte lehren,
die, wenn du sie beherzigtest, für dich besser wären als alles
Hab und Gut.“ Der Mann fragte: „Und welches sind eie?“
Der Sperling sagte: „Schwöre mir, daß du mich meines Weges
ziehen lässestl" Und jener tat es.
Da sprach der Sperling zu ihm: „Präge dir ein, was
ich dir sagen werde I Verzweifle nicht über etwas, was du
verloren hastL Glaube nicht, was nicht möglich istl Strebe
nicht nach etwas, was du nicht erreichen kannst I“
Als der Sperling diese Worte beendigt hatte, ließ ihn
der Mann seines Weges ziehen, worauf der Sperling sich auf
’rgend einen Ast im Garten setzte.
287
Darauf sprach er zum Manne: „Wenn du wüßtest, was du
an mir verloren hast, so würdest du auch wissen, daß du
etwas Großes verloren ,hast." Der Mann fragte: „Und was
ist dies?“ Der Vogel antwortete: „Wenn du nämlich deine
Absicht mich zu schlachten (an mir) ausgeführt hättest, dann
würdest du aus meinem Magen eine Perle zum Vorschein ge¬
bracht haben, so groß wie ein Gänseei. Du hättest durch sie
Reichtum für dein ganzes Leben erlangt und [niemals] Leid
gehabt.“
Da sprach er zum Sperling, um ihn zu täuschen und zu
fangen: „Laß das Vergangene ruhen! Kehre zurück zu mei¬
nem Hause, und ich will dir die Gesellschaft versüßen und
dich in Ehren halten.“
Da sagte der Sperling: „Ich sehe, du Tor, daß du mich
nicht festhieltest, als du dich meiner bemächtigt hattest. Eben¬
sowenig hast du aus den Worten Nutzen gezogen, welche ich
dich lehrte und um derentwillen du mich selbst von dir gabst.
Trug ich dir nicht auf, nicht zu verzweifeln über das, was du
verloren, nicht zu glauben, was nicht möglich ist und nicht
zu istreben nach dem, was du nicht erreichen kannst? Du
aber grämst dich über meinen Verlust, und strebst darnach
mich zur Rückkehr zu bewegen, was dir jedoch nicht gelingen
wird, und glaubst, daß in meinem Magen eine Perle ist, so
groß wie ein Gänseei. Aber das Ei einer Gans ist doch größer
als alles, was an mir ist!“
No. 56. Die Parabel in dom arabischen Barlaam-Auszug.
The Journal of the Royal Asiatic Society, pp. 148/9.
The Sparrow and the Fowler.
The ascetic said: ‘It is recorded that a certain man had
Charge of a garden. When he entered it on the customary day
he had appointed for the purpose, he beheld a sparrow per-
ched on a tree, the fruit of which it was plundering. He
therefore set a snare for it, captured it, and when he was
about to slay it, the bird said: ‘There is nothing in me to
satiate thee. Wouldst thou prefer to do something better than
what thou intendest?’ He asked: ‘And what is it?’ The spar¬
row replied: ‘Let me go my way, and I shall teach thee three
maxims, which, if thou rememberest them, will be better for
thee than all thou possessest.’ The man said: ‘I agree; then
288
inform me of them.’ It said: ‘[Not] tili thou swearest to set me
[first] at liberty.’ He accordingly did so.
It then said: ‘Do not fall into despair for what thou hast
lost; seek not what thou canst not attain; and do not believe
in ,[a thing] which! will not be.’
Then he let go the bird, which flew away, perched on a
branch, and said to the man: ‘If thou hadst known. what thou
hast lost in me, thou wouldst be aware that thou hast been
deprived of a great thing.’ He asked: ‘What is it?’ It replied:
‘If thou hadst slain me, thou wouldst have found in my gizzard
a pearl like a goose egg, and wouldst have enjoyed [much
pleasure for] the price of it all thy life.’
When the man heard this, he repented of having set it
free, and in order to decoy it, spoke as follows: 'Let bygones
be bygones, remain in my Company, and do not abandon thy
place, because we are under obligations to each other.’
The sparrow then said: ‘0 fool! I see thou hast not
remembered the [three] maxims, and hast not retained me
when I feil into thy hands; for now thou grievest on account
of having lost me, and wantest my re turn, which thou canst
not attain; and thou [also] believest in [a thing] which cannot
be, because my {gizzard is the smallest [part] of what is in
me, whereas the egg [of a goose] is greater than me.’
No. 57. Die Parabel in Meiseis Übersetzung des he¬
bräischen Barlaam.
Prinz und Derwisch (Pest 1860 2 ) pp. 234 ff.
Die Mär vom Gärtner und vom Vögelein.
Motto: Wer alles glaubt, was er vernommen,
Ist um das Seine schnell gekommen.
Es hatte einst an seinem Hause einen Garten
Ein schlichter Mann, und nun beschäftigt sein zu warten,
Hat er ein muntres Vögelein erblickt,
Das auf den Bäumen ihm die Frucht zerpickt.
Der Gärtner wird darüber gar sehr bös, 5
Legt klug die Schlinge aus und fanget es.
Im Zorne nun einmal, dem angefachten,
Holt er ein Messer schnell und will es schlachten.
Das Vöglein aber öffnet fein den Mund
Und macht im Liede klagend kund: 10
289
„O wehe, daß die Erdensöhne
Des Vogels Lieder nicht verstehn.
Und daß solch geisterfüllte Töne
Der Menschheit ganz verloren gehn.
O sieh, wenn alle sich verstünden 16
Auf meines Liedes tiefen Sinn,
Sie ließen nimmer ihn entschwinden.
Kein. Laut ging’ ungenützt dahin.
So aber müssen herbe Wehen
Wie mir so euch fortwährend nahn, 20
Müßt immer weiter ihr euch sehen
Entfernet von der Heiles-Bahn.
Glaub’ nicht, daß mir vorm Tode bange,
Ich hab’ an dich nur dies Gesuch,
Daß du den Text zu meinem Sange 25
Verzeichnen möohtest in ein Buch!“
Der Gärtner fragt, als er das Lied gehört:
„Wer hat dich denn so klar verstehn gelehrt
Gedanken, die der Mund nicht offenbart,
Und sprechen auch in so geläuf’ger Art?“ 30
Das Vöglein spricht: „Ich dachte nicht, daß du begriffen
So klar, was ich nach Vogelart gepfiffen;
Nun bin ich froh und seh’, daß jeder Wissenschaft
Gott ihre Förderer und Liebhaber verschafft.
Nun sieh! Ich kenne wohl dein Trachten, 36
Es zielt dahin mich nunmehr abzuschlachten.
Das wäre aber dumm, denn ich bin hager,
Und noch dazu durch Hunger dünn und mager;
Mein Fleisch gibt Kraft nicht, wenn du matt,
Und macht dich, wenn du hungerig, nicht satt. 40
Doch könntest du die Gier und Bache überwinden,
So möcht’ ich einen Bat, der köstlich ist, dir künden.“
Auf seine Frage drauf fährt so das Vöglein fort:
„Wenn du mir schwörst beim Himmelshort,
Daß du mich dann dem Tod nicht weihst, 45
Und außerdem auch aus der Schling’ befreist.
Dann künd’ ich dir, was du begehrt.“
Der Gärtner kann nicht widerstehn und schwört.
Das Vöglein spricht: „Du mußt verschlossen tragen
Im Herzen tief, was ich dir hab’ zu sagen. 60
Es gibt im Leben nichts, an Werte reich,
Ty roll er, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel.
19
290
Auch Gold nicht, meinen weisen Worten gleich.
Sie werden dich in jeglicher Gefahr beschützen.
In jedem Zustande dir reichlich nützen.
Von unsrem Urahn stammen sie, der war 55
Berühmt schon als bewährt vor tausend Jahr,
Wir hegten sie getreu in unsrem Bund
Und pflanzen rein sie fort von Mund zu Mund.
Ich bin als letzter Sproß nur noch am Leben,
Und hab’ als teures Erbgut sie zu geben 60
Dem ältesten und würdigsten der Weisen
Aus unsres alten Hauses weiten Kreisen.“
„Wenn das so wahr, warum wardst du umgarnt,
Und nicht durch sie vor der Gefahr gewarnt?“
„Das künd’ ich dir genau. Die Weisen lehren: 65
Es ist umsonst sich gegen den Beschluß zu wehren,
Den das Geschick für irgendwen gefasset hat,
Und nützt dagegen weder Rat noch Tat.
Das Schicksal hat beschlossen mich in Haft zu bringen,
Und mußt’ ich unbedingt geraten in die Schlingen. 70
Doch wären meine Worte nicht gewesen
An Wert so groß, an Wirkung auserlesen,
So war ich schon dem Tode preisgegeben:
Denn ihretwegen gabst du mir das Leben.
Du wolltest nicht, wie’n Freund der Wissenschaft, 75
Daß sie der Tod mit mir dahingerafft.
So siehst du wohl, daß sie von Not und Pein,
Ja von dem Tode selber auch befrein.“
Dem Gärtner schien sich' alles zu bewähren,
Und brennt er schier, die Worte bald zu hören; 80
Er fleht deshalb: „So öffne deinen Mund
Und mach’ das Wunder nun der Weisheit kund!“
Das Vöglein spricht: „Vernimm des Alten
So weises Wort, um pünktlich es zu halten.
Er sprachs, als seiner Kinder große Schar 85
Um ihn nebst allem Hausgesind versammelt war.
Und er in feierlichster Stunde seinen Willen
Zum allerletzten male wollt* enthüllen:
„Kommt, Freunde, her, ihr Kinder mein und Brüder,
Und hört mein Wort, das lauter, wahr und bieder. 90
Geschmeid aus Gold .und edeles Gestein
Und Purpurkleid kann ich euch nicht verieihn;
291
Doch Weisheit hab’ ich; nehmt sie willig hin,
Denn köstlicher als Perlen ist doch ihr «Gewinn.
Die Könige der Erde und die Fürsten pflegen, 95
Weil sie so reich an Macht sind und Vermögen,
Auf ihre Nachkommen bei ihrem Sterben
Der Güter Überfülle zu vererben,
Ja, ganze Städte, groß und reich und feste,
Paläste, Schätze, die gefüllt aufs beste, 100
Mit Silber, Edelsteinen und mit Gold,
Mit Gegenständen, reich an Wert und hold.
Auch andre Menschen reisen, gehn und ziehn
Im Schweiße, mit Gefahrn und Mühn,
Zu hinterlassen ihrem Hause Segen, 105
Je nach der Kraft, an Gütern und Vermögen.
Bei mir ists also nicht; ich hab’ von meinem Streben
Euch mehr nicht als drei Worte nur zu geben.
Doch ist kein König reich genug in aller Welt,
Gibts keinen Schatz, der soviel Gold enthält, 110
Um die drei kleinen Worte zu bezahlen,
Weil sie an Pracht und Helle alles überstrahlen.
Wollt ihr euch ihnen gläubig ganz erschließen,
So werdet ihr des Heiles viel genießen;
Und haltet ihr mit diesen Worten Frieden, 115
So wird euch seinerzeit das Glück beschieden;
Es tut Geduld nur not; denn Arzeneien, 117
Die uns vom Schmerz der Krankheiten befreien,
Bewähren ihre Wirkung auch erst mit der Zeit
Und fordern auch Diät und Wachsamkeit. 120
Drum neigt das Ohr und hört aufmerksam zu.
Es bringt euch Frieden stets in Seelenruh.
Mein Großvater hat mich darin belehrt,.
Wie er vom Ahnherren es selbst gehört:
In einem Kasten, der mit Büchern beschwert, 125
Und der dem alten Seher Sem einst angehört,
Soll eine Smaragdtafel man gefunden haben.
In der, wie folgt, die Worte waren eingegraben:
„Mein Sohnl Laß dich vom Unersetzlichen nicht kränken!
„Mein Sohnl Laß dich zu Unerreichbarem nicht lenken! 130
„Mein Sohn! Unmöglichem mußt du nicht Glauben schenken!“
Und diesen Worten kann an Wert nichts gleichen;
Kein Mittel gibts je Bessres zu erreichen.
19 *
292
Und sollt’ der Wert sich jetzt dir nicht erschließen.
Er wirds, bevor noch'Tage dir verfließen I“ 135
Der Gärtner hörts, und glaubt, daß Großes er erreicht;
Auch fühlt er sich’ von Mitleid ganz erweicht,
Drum hält er seinen Schwur nach Pflicht
Und schlachtet so das kluge Voglein nicht;
Ja folgt dem Worte gleich so pünktlich treu, ' 140
Daß er das arme Tier auch lässet frei.
Das Vöglein rührt behende seine Schwingen,
Es flieget auf mit hellem, heitren Singen.
Nachdem es Platz gefunden auf dem hohen Ast,
Beginnet es sein Liedlein so in Hast: 145
„Laßt, Preunde, euch nur vor dem Klugen warnen,
Er hat Verstand, und leicht beherrscht er euch,
Ein Leichtes ists, den Narren zu umgarnen.
Sagt, was ihr immer wollt, er glaubt es gleich.“
Und rief: „O Tor, wie du doch vorschnell bistl 150
Denn, wüßtest du, was du nun eingebüßt.
Du fülltest alle deine Lebenstage
Mit Seufzern an und bittrer Klage.“
„Wie so?“ fragt-er. Es spricht: „Wenn du geschlachtet
Mich damals gleich, wie dus für gut erachtet, 155
So wär’ ein unschätzbarer Edelstein,
Der mir im Magen liegt, schon lange dein,
So groß, wie’n Ei von einem Strauß,
Und du wärst reich wie keiner, überaus.“
Der Gärtner hört es kaum und stürzt vor Schmerz 160
Und Weh ob dem Verlust fast erdenwärts.
Doch er ermannet sich und spricht: „O Vögelein, 1
Kehr’ um zu mir; ich hüt’ dich wie des Auges Schein,
Will hegen dich und* pflegen zärtlich-lind,
Wie’n Vater sein geliebtes Kindl“ . 165
Er dachte so es schmeichelnd zu betören;
Das Vöglein aber, klüger, ließ sich hören:
„O Schande euch! Ihr habt der Augen Licht,
Euch ist ein Herz und auch Verstand beschert.
Und doch erfasset ihr die Wahrheit nicht; 170
Drum ach und wehe dem, der euch belehrt!
Beneidenswert ist der, des Wort ergeht
An solchen Hörer nur, der es versteht!
Du Tor, ich seh’ in deiner ersten Tat
293
Dich schon vernachlässigen meinen Rat, 175
Und wird dir fürder auch nicht frommen
Die weise Lehre, die du hier vernommen.
Ich sprach: ‘Dich soll das Unersetzliche nicht kränken,
Mögst dich zu Unerreichbarem nicht lenken,
Und dem Unmöglichen nicht Glauben schenken — 180
Und sieh, du bist bestrebt mich jetzt zu fangen.
Obgleich du mich nicht kannst erlangen.
Du fühlest ferner unfruchtbares Bangen
Nach dem, was unrettbar dir doch entgangen,
Und endlich glaubst du, Tor, sogar, 185
Was ganz unmöglich ist und warl
Du glaubtest, daß in meinem Magen sei
Ein Edelstein, so groß wie’n Straußesei,
Und das ist größer ja so viele mal
Als ich und was ich hab’ zumal.“ 19Q
No. 58. Die Parabel des hebräischen Barlaam nach
Steinschneiders Übersetzung.
M. Steinschneider, Manna, pp. 41 —46.
Der Mann und das Vöglein von Ibn Chisdai.
Wer alles glaubt — dem wird geraubt — was er zusammengeklaubt.
Ein Mann ging einst in seinen Garten — um ihn 'zu
pflegen und zu warten. — Dia sah er ein Vögelein, das die
Früchte abpflückte, — und stellte ihm ein Netz, worein es
sich verstrickte, — sein Zorn erwachte, — die Glut der Wut
nch anfachte; — da öffnet es den Mund und sagte:
Weh’, daß die Menschen nimmermehr verstehen
Des Vogels Sprach’ und Wahrheit übersehen.
O könnt’ ihr Ohr nur meine Wort’ erspähen.
Auf daß sie nicht verwehen und vergehen I
Um mich und euch 1 ertönen meine Wehen,
Daß ihr versäumt den rechten Pfad zu gehen.
Ich wollte meinen Tod; könnte ich nur sehen,
Mein Sprüchlein in ein Buch verzeichnet stehen I
Der Gärtner dies hörte — und sprach: Wer lehrte — dich
reden und sprechen wie wir, — daß du sprichst so verständlich
zu mir? — Und das Vögelein spricht: — Ich dachte nicht, —
daß du meine Worte erspähest, — meine Rede verstehest, —
294
doch nun hör’ ich und weiß heut*, — daß der Herr läßt einen
Rest von jeder Weisheit I — Doch denk* ich, du stellst meinem
Leben nach, — und ich bin so hager, mein Leib so schmäch¬
tig und schwach, — nicht vermag er deine Magerkeit Eu
fettigen, — deinen Hunger zu sättigen! — Wolltest du d ei *
nem Gelöste gebieten, — so wüßte ich dir einen besseren
Rat zu bieten. —
Da sprach der Gärtner: Und dieser wäre? — Das Vöge¬
lein: Zuvor schwöre — beim Allmächtigen mit bedächtigen auf¬
richtigen Sinn und Herzen, — mir zu schenken des Todes
Schmerzen — und mich zu entsenden; — dann will ich mei¬
nen Rat dir spenden. — Der Gärtner war bereit es zu hören,
— den Eid zu schwören, — und das Vöglein begann: —
Nimm meine Worte an, — präge sie auf deiner Herzens¬
tafel ein, — hege und pflege sie in dem Busen dein; — denn
mit Geld bezahlst du nicht ihren Wert und Schatz, — kein
Kleinod bietet für sie Ersatz. — So du sie bewahrst, Wer¬
den sie dich schützen, — wenn du sie hütest, dir nützen. —
Es sind Worte, die unvergleichlich, unerreichlich, — erbliche
Sprüche meines Ahnes, eines Mannes von Gewähr, — die seit
tausend Jahren her — wurden aufbewahrt und aufgespart, —
von den Vornehmsten unter meinen Vätern — von Mund zu
Mund überliefert den Spätem — bis auf mich, den Letzten,
der nach Pflicht und Recht, — sie übergebe und vererbe
einem Weisen und Greisen von meinem Geschlecht. —
Der Gärtner jedoch spricht: — Lügst du anders nicht, —
wie kommts, daß sie jetzt dich nicht schützen, — und vor
dem Netz dir nicht nützen? — Da erwiderte das Vögelein: —
Denk’ an den Spruch des Weisen fein: — Wenn der Ratschluß
ist gefällt, — so gibts keinen Rat, der ihn aufhält. — Es war
mein Geschicke, — daß ich mich verstricke; — doch ohne
diese unschätzbaren unersetzbaren Lehren, um deren willen
du auf meinen Tod verzichtet, — hättest du mich gerichtet
und vernichtet. — Doch, daß du sie begehrtest — und eie
gerne hörtest, — auf daß sie nicht enden — und nicht schwän¬
den, — hat dich als Weisen bewogen mich nicht zu töten, —
und meine Seele entzogen den Todesnöten. — Du siehst also,
Herr, daß jene allein — mich gerettet in Todespein I —
Dieses gefiel dem Gärtner, und er glaubte dran —, war
begierig zu hören, und rief das Vöglein an: — öffne deinen
Mund — und tue mir kund! — Und das Vöglein begann: —
295
Du guter Mann, — vernimm horchsam und sorgsam und folg¬
sam zu erfüllen — meines Stammherrn letzten "Willen —
an seine Söhne und Töchter — und Nachkommen und Ge¬
schlechter:
„Versammelt, Brüder, euch zum Sohne,
Und horcht dem einsichtsvollen Tone I
Nicht Geld, Demant und Brilliant,
Nicht Purpur lass’ ich euch und Throne;
Doch "Weisheit geb' ich euch bekannt,
Die teurer ist als Perlenkrone I
Potentaten und Magnaten, — Wesire und Emire, — geben
ihren Erben zum Besten <— große Städte und Vesten, —
Schätze von Geld und Gold und Kleinode — und Geräte aller
Art bei ihrem Tode. — Und aller andren Leben und Streben,
Dichten und Trachten, — ist, daß sie den Ihren einen Segen
vermachten, — ein jeder nach seinen regen Kräften, — nach
seinen Wegen und Geschäften. — Ich aber kann vor meinem
Sterben — euch nur drei Sprüche vererben, — die kein Herr
und Herrscher der Welt — für all sein Geld und Gut er¬
hält. — Denn sie sind besser und größer, denn alles dies, —
und frommeten stets, wer sich darauf verließ. — Sie werden
euer Erheischen — nimmermehr täuschen, — während jedes
Mittel vor Tod und Not, — vor Krankheit und Leid, — nur
durch lange Sorgfältigkeit — und lange hinhält’ge Zeit —
Bettung verleiht. — So öffnet denn eure Ohren weit, — und
seid zu hören bereit, — was euch Vorteil beut, — und eure
Seelen erfreut. — Ich habe vernommen aus meines Ahnes
frommem Munde, ■— dem von dem Seinen gekommen die
Kunde: — „Drei Sprüche sind uns geblieben, — auf smaragd-
ner Tafel geschrieben, — in Sems, des Propheten, Bücher¬
kasten, — die folgendes in sich faßten: — Das Unwieder¬
bringliche (mag dich nicht kränken! — Ans Unerschwing¬
liche magst du nicht denken! — Was unmöglich zu denken,
— dem sollst du nicht Glauben schenken! — Diese drei ken¬
nen für Ihresgleichen keinen Beleg, — ihren Wert zu er¬
reichen, gibts nicht Weg und Steg, — und kannst du ihren
Nutzen auf der Stell’ nicht ergründen: — Du wirst ihren Wert
genug schnell empfinden!" —
Als der Gärtner das Vöglein hörte also sprechen, — ge¬
währte ihm dies eine Freude, die nicht auszusprechen. — Es
2£6
war, als ob er entdeckte einen großen Fund, — das Mitleid
regte sieb in seines Herzens Grund; — und er hielt den Eid,
— tat ihm nichts zu leid; — dem Bunde getreu — ließ ers zur
Stunde frei. — Das Vöglein mit jubelklang — sich auf eines
Baumes Wipfel schwang — und sang:
O hütet euch vor dem Verständigen;
Denn sein Verstand tuts euch zuvor;
Doch sprechet dreist zum Unverständigen;
Denn „jeder Märe traut der Tor!“
Dann rief es ihm ins Ohr: — Voreiliger Tor, — wenn du
wüßtest, — was dir entging für Fang; — du büßtest in Trä¬
nen dein Lebe lang! — Der Gärtner einwendet: — Was 1 , hab’
ich verschwendet? — Das Vöglein: Hättest du mich geschlach¬
tet, — wie du erachtet; — du fandst in meinem Wanst und
nahmst heraus — eine Perle so groß wie ein Ei vom Strauß,
— und wärest geworden der Reichen einer, — wie vordem noch
keiner. — Als das Vöglein so gesprochen zum txärtner, r—
fiel gebrochen zur Erd’ er, —■, erzittert und erbittert - über
den Schatz, den er zersplittert. — Doch rafft’ er sich auf, —
und sprach darauf: — O Vöglein voll Güte, komm zurück, --
daß ich dich hüte, — wie man auf sein Aug’ achtgibt, —■
wie ein Vater, der sein Kind mit Bedacht liebt! — Sprachs
mit versteckter Tücke, — daß ers berücke und verstricke —
mit solchem Lug — und falschem Trug. — Das Vöglein aber
erwiderte klug:
Weh’ Augbegabten, die nicht sehen,
Nicht wollen mit Verstand verstehen!
Weh’ mir, der ich mein Wort verloren,
Heil dem, der spricht zu offnen Ohren!
Du Narr — hast fürwahr — meinen Rat nicht genommen in
Acht — drum hat in der Tat mein Spruch dir kein Frommen
gebracht. — Hab’ ich dir nicht gesagt: Du sollst nicht ver¬
langen das Unerringliche, — nicht bangen ums Unwiederbring¬
liche — nicht glaubend empfangen das Undingliche! — Den¬
noch suchst du mich zu fangen, — den du nicht kannst er¬
langen, — und beklagst, — was du nicht wieder erjagst, —
und Glauben verliehst, — was nicht zu glauben ist; — denn
du Iwähnst, in meinem Wanst sei — eine Perle wie ein
Straußenei, — das mich und noch mehr von meiner Größe
— gar leicht umschlösse! —
297
No. 59. Die Erzählung im Simchäth hannefesch.
M. Grünbaum, Jüdischdeutsche Chrestomathie, pp. 249—251.
btsa: Einer hat gehat ein schönen garten un’ ein vogel
is alle tag kommen un’ hat grossen schaden getan im garten.
Nun der herr is ihm nach gestanden un’ hat ihm gefangen in
seiner nez (seinem Netze), un’ in T5"H (im Zorn) hat er den
Vogel wein rP/ffC. sein (töten). Hat der Vogel zu ihm ange¬
fangen zu reden: Ich bin ein klein vegelche, was werstu vor
ein nutzen haben wennstu mich werst umbrengen? Ich will
dich was lernen, das wert dir viel zu nutz kommen, an mir
werstu dich wenig laben un’ werst nit sat wern von mir. Also
hat er dem vogel leben geiast; der kegen (dagegen) hat der
vogel ihm gelernt drei erlei Sachen, un’ zu ihm gesagt: Eins
is du solst dich nit sein (nicht grämen) auf dem allen
was du verloren hast; das andere is, du solst nit verlangen
was du nit kannst erlangen; das dritte is, du solst nit glau¬
ben was nit kann gesein. Die drei erlei werstu mit der Zeit
erfarn, was der nutzen dervon is. Nun der herr von dem
garten hat sich rrausa gewesen (gefreut) als er die dreier¬
lei gelernt hat un’ hat dem vogel lassen fliegen. Aso halt is
der vogel geflogen auf ein hochen bäum un’ hat auf dem
herrn von garten gerufen: Ei du narr, seltsu (solltest du)
wissen, was du an mir verloren hast, geherstu dich
sein drüber alle deine tag. Hat er den vogel gefregt: Was
hab ich denn an dir verlorn? Hat ihm dor vogel geentfert:
Hestu mich umgebracht, hestu in mir gefunden ein perl,
das is grösser als ein gensen ei; denn hestu alle deine tagen
genügen reichthum gehat. Wie der herr solches gehört hat,
is er nider gefallen vor schrecken un’ hat stark getrauert;
doch hat er sich der muntert un’ hat zum vogel gered schmei-
cheldige red (Schmeichelreden): Komm zu mir ich will dich
halten wie mein Kind, wie schwarz apfel von mein aug will
ich dich halten, komm neiert zu mir. Mit solche red hat er
gemeint den vogel zu sich zu bekommen. Hat der vogel zu
ihm angefangen: Du grosser narr, hab ich dir nit gelernt, drei
erlei Sachen solstu nach kommen? Du sollst nit sifzen (seuf¬
zen) auf was du verloren hast; du sollst nit verlangen was du
nit kannst erlangen; du sollst nit glauben was nit sein kann.
Izund 'bistu alle drei -aiy (übertrittst du alle drei War-
innigen); du wilst mich wieder haben un’ kannst mich nit
erlangen; du thust trauern un’ bist dich Tara auf was du
verlorn hast; du thust glauben, was nit is zu glauben; du
meinst ich hab ein perl bei mir als ein gensen ei gross? Ein
gensen pi is noch ein mal so gross als mein ganz leib jun’
leben. Nun nem besser in acht die drei erlei Sachen. Das
Visa steht in -ora TO (Moralbüchern); das bdr is ge¬
meint: Der mensch verlangt was er nit kan erlangen; er
will haben rr r d (Reichthum) un’ verbrengt seine jar drü¬
ber un’ kann es nit erlangen; wenn er noch aso viel hat,
is er nit reich genügen; der mensch sorgt un’ is sich “»ybra,
wenn er was verliert, was helft es ihm? es is nit zu wenden;
der mensch tut glauben, was nit zu glauben is; er glaubt
dem 2 ’T “X', un’ hat in seine gedanken er wert nit ge¬
straft, solches is nit zu glauben. Gots straf sein viel . . . wie
Viel ns*pr (Orte) sein untergangen in erd zitternis, viel
in wolkenbrust un’ grosse wasser; ein nrü; ein 5 * 5 -> (eine
Stunde und Secunde) is der mensch nit sicher . . . Doch will
der mensch sich nit bedenken, das macht myo (unserer
Sünden willen — leider) alles weil der y-ir “!£■' von jugent
auf bei ihm überhand hat genommen, geht er seine gewohn-
heit nach. Treib die katz von feuer kommt sie allemal wie¬
der, weil sie aso gewont ist.
No. 60. Die Erzählung in Tendlau.? Buch ‘Fellmeiers
Abende'.
Pag. 147—149.
Der vergeßliche Schüler.
Ein Mann besaß einen hübschen Garten, voll wohlriechen¬
der Blumen von den schönsten Farben und herrlicher Bäume
mit den köstlichsten Früchten. Nichts machte dem Manne so
sehr Freude als sein Garten, auf den er auch die größte Sorg¬
falt verwendete, und so oft ein Freund kam, ihn zu besuchen,
führte er ihn in seinen hübschen Garten und zeigte ihm den¬
selben mit einem gewissen Stolze. Da bemerkte der Mann
eines Tages, daß mehrere Blumen und Blüten zerpflückt und
viele Früchte angepickt waren, und bald gewahrte er einen
Vogel, der täglich kam und großen Schaden im Garten an¬
richtete. Das verdroß den Herrn des Gartens sehr, und er
299
stellte so lange Fallen auf und spannte Netze, bis es ihm
gelang, den Vogel zu fangen. —
„Hab’ ^ch dich endlich“, rief er da in seinem Zorne.
„Du sollst mir deinen Vorwitz mit dem Tode büßen!" — Schon
wollte er den* Vogel erwürgen, da fing derselbe an zu reden
und sprach: „Ach, ich bin nur ein winziges Vöglein, was kann
es dir nützen, wenn du mich umbringst? Mein Fleisch wird
dich wenig laben, du wirst wahrlich nicht satt an mir. Laß*
mich am Leben, und ich will dir zum Lohne etwas lehren,
was dir von großem Nutzen sein kann.“ —
„Laß’ hören!“ sagte der Herr des Gartens und öffnete
seine Hand ein wenig, um dem Vogel mehr Luft zu geben.
„Merk’ auf!“ sagte das Vöglein, „ich will dir drei Lehren
geben, nimm sie wohl in Acht! Mein erstes Sprüchlein heißt:
„Seufzen ob geschehnen Dingen
Kann dir keinen Nutzen bringen.“
Gib dich also keinem Kummer hin über etwas, was einmal
unwiederbringlich verloren ist. — Mein zweites Sprüchlein
heißt:
„Torheit ist’s, nach dem zu rennen,
Was wir nicht erreichen können.“
Verlange also nicht, was du nicht erlangen kannst. — Mein
drittes Sprüchlein endlich heißt:
„Was als möglich nicht zu denken,
Dem mußt Glauben du nicht schenken.“
Glaube also nicht, was nicht sein kann. — Diese drei Leh¬
ren bewahre dir wohl, du wirst mit der Zeit ihren Nutzen
schon kennen lernen.“ —
Der Herr des Gartens war mit den drei Lehren zufrieden,
wiederholte sich die Sprüchlein und ließ dann den Vogel
fliegen.
Kaum hatte das Vöglein seine Freiheit wieder, so flog
es auf einen hohen Baum, und rief dem Manne zu: „Ei, wie
warst du ein Narr, daß du mich hast fliegen lassen! Wenn
du wüßtest, was du an mir verloren, so würdest du dich dein
ganzes Leben lang darüber betrüben.“ —
„Und was habe ich an dir verloren?“ frug der Herr des
Gartens. — „Wisse“, sagte das Vöglein, „hättest du mich ge¬
tötet, so würdest du eine Perle in meinem Magen gefunden
300
haben, größer als ein Gänseei, so daß du dein ganzes Leben
genug an dem Reichtum gehabt hättest.“ —
Als der Mann dieses hörte, fiel er fast vor Schrecken nie¬
der, und der Verlust der Perle schmerzte ihn sehr. Indessen
faßte er sich wieder und sprach mit schmeichelnden "Worten
zum Vogel: „Komm doch herab zu mir, liebes Vögelchen, ich
will dir gewiß nichts zuleid tun, ich will dich halten wie mein
Kind, will dich hüten wie meinen Augapfel, komm nur herab
zu mir!“ — Mit solchen süßen Worten glaubte er den Vogel
zu bereden sich wieder gefangen nehmen zu lassen. Aber
das Vöglein rief ihm zu: „Wie bist du doch so töricht, und
wie leicht vergissest du fast in demselben Augenblick alle
drei Lehren zugleich, die ich dir gegeben habet — Ich habe
dir gesagt: „Du sollst keinen Kummer haben über etwas, was
einmal unwiederbringlich verloren ist“; „du sollst nicht ver¬
langen, was du nicht erlangen kannst“, und endlich: „du sollst
nicht glauben, was nicht sein kann“, und siehe, du über¬
trittst alle drei Lehren auf einmal, nachdem du sie kaum
gehört hast! — Du betrübst dich über etwas, was nun einmal
verloren ist, verlangst, was du nicht erlangen kannst, und
glaubst, was nicht sein kann. — Wie kann ich kleines Vögel¬
chen eine Perle in meinem Magen haben, so groß wie ein
Gänseei, ein Gänseei ist größer als mein ganzer Leib ist! —
Wahrlich, wahrlich, du mußt in Zukunft deine Sprüchlein bes¬
ser im Gedächtnis haben!“
No. 61. Die Erzählung in der pers. Bearh. des Dschelcu-
leddin Dschaafer Ben Ferchani.
Deutsche Übers, bei Hammer. Die schönen Redekünste Persiens,
p. 222.
Ein Landmann hatte einen Garten,
Er pflegte Tulpen drin zu warten,
Cypressen, Rosen, Oleander,
Orangen, Äpfel durcheinander;
Narzissen taumelten vor Lust 5
Jasminen sinkend an die Brust.
Von allen Ästen scholl Gesang
Fortführend den Verstand entlang.
Das Wasser strömt’ in allen Ecken
Den Seelen Labung zu entdecken. 10
301
Der Herr des Gartens war lebendig,
Wie Elefanten vielverständig.
Er ging vorbei am Frühlingshain,
Da sah er drin ein Vögelein,
Das streckte Schnabel aus und Klauen 15
Nach allem, was es konnte schauen.
Es rafft zusammen, frisch und froh.
Was immer dalag, reif und roh.
Der Landmann zornig so auf fährt,
Daß Glut des Zorns die Welt verzehrt. 20
Er spannt das Netz, wirft Korn hinein.
Es ging ins Netz das Vögelein.
Der Mann gleich einem Diwe sprang,
Weil, was er wünschte, ihm gelang,
Warf weg das Netz und zog die Klinge, 25
Dein letztes Lied, o Vöglein, singe!
Das Vögelein sprach jämmerlich:
O guter Mann, Gott hüte dich!
Was treibt dich denn zu diesem Werke?
Du mehrst durch mich nicht deine Stärke. 30
Laß’ ab von dieser blut’gen Tat,
Ich gebe dir dreifachen Rat:
Zuerst bekümmre du dich nicht,
Wenn jemand, was nicht möglich, spricht;
Fürs zweite mach nicht böses Blut, 35
Wenn du verloren hast ein Gut;
Und drittens rat’ ich dir aus Gründen,
Du suche nicht, was nicht zu finden.
Willst du nicht Leiden geben Platz,
So sei dir dieser Rat ein Schatz. 40
Der Mann wollt’ jetzt großmütig sein,
Er machte frei das Vögelein.
Es flog aus seiner Hand vergnügt
Dem Pfeil gleich, der vom Bogen fliegt;
Es setzte sich auf einen Ast 45
Und sprach zum Manne wohlgefaßt:
Weißt du, was du verloren hast?
Begraben liegt im Magen mein
Groß wie ein Ei ein Edelstein.
Ich seh, dir will nicht das Geschick, 60
t>u hättest sonst gemacht dein Glück.
302
Den Mann die Reue nun ankam,
Die Freude war verkehrt in Oram.
Er sinnt auf neuen Trug und List,
■Weil er nach Gold begierig ist. 65
Er sprach zum Vogel: Laß’ dies sein.
Du bist mehr wert als Edelstein,
Komm, sei mein Gast beim Festgelage,
Erfrische meines Lebens Tage!
Du sollst an meinem Herzen ruhn, 60
Ich will dir ja kein Leid antun.
Es lacht das Vögelein als Sieger,
Und spricht: O törichter Betrüger!
Bevor ich dir geraten gut,
War unverweigert dir mein Blut. 65
Da du den Rat von mir vernommen.
Was soll ich weiter dir noch frommen?
Riet ich dir nicht aus guten Gründen:
Du suche nicht, was nicht zu finden?
Was wolltest du denn meinen Rat, 70
Wenn er nicht nützet dir zur Tat?
Wie bärge denn ein Vögelein
Den eiergroßen Edelstein ?
Ein Vogel leget Eier frei,
Was nützt im Magen ihm das Ei? 75
Hast du bedenket nicht hernach.
Es ist unmöglich, was ich sprach?
Und wenn verloren ist das Gut,
Was machest du dir böses Blut?
Damit dirs so nicht mag ergehen, 80
Soll nicht dein Sinn nach Reichtum stehen.
No. 62. Die Erzählung in der pers. Geschiehtenscumm-
limg Mahbub gl-Kidüb.
W. A. Clouston, A Group of Eastern Romances and Stories,
pp. 448—452.
The Gardener and the Little Bird.
It is related that a rieh man in the city of Balkh pos-
8essed a garden pleasant to behold as the roses on the cheeks
of fairies, adorned with various fragrant plants, blossoming
303
flowers, and fruit-bearing trees. In that garden, a little bird
took up its abode and amused itself by Casting the fruits,
wether they were ripe or not, on the ground. AVhenever the
gardener entered and beheld the damage thus occasioned, the
bottom of his heart was stung with the thorn of grief, and the
blooming verdure of the spring of his joy became withered
by the coid blasts of the autumn of the event. Though he
rubbed the hands of regret much on each other, he could not
remedy the evil until he had spread a net in the haunts of
the bird, which was soon made a prisoner. When the gardener
discovered his good fortune Jie joyfully leaped from his
ambush, caught hold of the little bird, intending to despatch
it to the regions of non-existence. In its extremity the fe.i-
thered captive thus spoke to the gardener: ‘Ornament of the
world of intelligence! may the paradise of your good wishes
always be the recipient of various divine favours! Consider
that if you destroy me, your loss cannot bo repaired, and
that he who dies is saved from all the troubles of this world.
But as I am to be killed for acts which you doem improper,
the love of life impels me to make a Statement, if you will
permit me, after which you may do as you clioose; but remem-
ber htat patience is a vertue of the high-minded, and hasti-
ness a failing of foolish men 1 ).’ The Gardener, whose wrath
had somewhat abated during the address of the little bird,
replied: ‘Before the whirlwind of death blows in the field
of your life, you are at liberty to say what you desire to say.’
The little bird then said: ‘Wise gardener, be aware that
in the west there is an oasis which my tribe inhabits, but 1
left my relatives and came to this spot. The pleasantness pf
this garden attracted me, and for some time I reposed myself
on the branch of a tree. A nightingale and a lapwing were
sitting together on the top of a date - tree, and a locust was
flying towards them which both of them wished to catch. The
nightingale was fortunate enough to seixe it, but the lapwing
snatched it from its captor’s beak. Hereon the nightingale said:
‘O lapwing, are you not ashamed to possess yourself of my
prey? If you are able, why do you not catch your own game?'
The lapwing replied: ‘Silence! get the prey is no honour
but it is so to deprive the hunter of his prey.’ Said the nightin¬
gale: ‘This may be true; so I give it up. But, lapwing, I have
heard the other birds speak a great deal about you, and
304
now that we have met, and as your species has in the Ser¬
vice of the Lord Sulayman (salutation to our Prophet and to
him!) enjoyed greater proximity to him than has been the
lot of any other kinid of birds, I wish to know what gifta
or rewards you have obtained from him for the account which
you furnished him of the city of Saba and ‘your help in other
matters’ 2 ). The lapwing replied: ‘King Sulayman bestowed on
our species three gifts: (1) Whenever the earth is being dug up
for water, we are able to teil at what depth it may be found;
(2) our heads have been adorned with the crest of nobility;
and (3) we are acquainted with the qualities of fruits, and
know that this year the garden in which we are at present,
lias been subjected to a Visitation of God, so that whosoever
should eat of any of its fruits must immediately die.’ Then
the lapwing asked: ‘Has your species been favoured with any
other gifts?’ And the nightingale answered: ‘We have also been
granted three favours: (1) a very melodious voice, which is
pleasing to all hearers; (2) we possess the property of being
awake during the night, which we enjoy in common with
ascetics and pious men; and (3) we have been invested ;with
the gaudy robes of love, and roses have been assigned for our
spouses, whose society we enjoy without let or hindrance, and
in the aspect of whose heart-ravishing cheeks we perpetually
delight I
‘O most intelligent gardener’, the little bird continued,
‘when I heard from the lapwing that the fruits of this gar¬
den were become deleterious, I made haste to pluck and to
throw them down, lest any person should eat of them and
be injured. And now if you will promise to liberate me, I
will communicate to you three maxims, by means of which
you may be happy in this world and the next, and friends and
foes will alike obey you!’ The gardener said: ‘Speakl’ And
the little bird proceeded: ‘First, never trust persons of a low
an uncongenial disposition; secondly, never believe impossibi-
lities; and thirdly, never repent of anything that cannot be
remedied.’ So the gardener relaxed his hold, and the little bird
flew away, perched on a tree, and Stretching out its neck,
exclaimed: ‘0 gardener, if you knew what ä treasure you
have allowed to slip from your hand, you would end your
own life. Verily, I have deceived you!’ Said the gardener:
‘How?’ ‘In my body is a gern as large as a duek’s egg, the
305
like of which has never been discovered by the diver into the
region of imagination. Had you obtained possession of this
jewel you night have lived happily during .your whole earthly
existence.’ When the gardener heard these words, he tore his
robe from top to bottom, strewed the ashes of repentance upon
his head, and the brambles of confusion and uneasiness sprou-
ted in the wilderness of his heart. As he looked to the right
and left how he might again get hold of the little bird, it flew
to a high tree and said: ‘Having now by my cunning escaped
from your grasp, I shall take care not to fall into it again. Do
not flatter yourself that you will get hold of me a second time.’
The gardener began to weep and heaved every moment deep
sighs from the bottom of his heart, but the little bird said
jeeringly: ‘It is a pity that the name of a man should be
applied to a silly fellow like yourself. I just communicated to
you three maxims, all of which you have already forgotten.
I advised you not to be deceived by mean and uncongenial
persons; why, then, have you believed my words and set me
free? I farther told you not to believe impossibilities; — then
why do you put faith in my words and, seeing that nothing
could be more absurd than the idea of a weak little bird
like myself having in its body a gern as large as a duck’s
egg? Lastly, I advised you not to repent of anything which
is irreparable, nevertheless you now moan and lament.’ After
uttering these words the little bird disappeared from the sight
of the gardener.
[Remarks:] The Turks have the proverb: ‘Patience is of
God; haste is of the Devil’. 2 ) According to the Kuran, it was a
hoopoe, or lapwing, that brought Solomon a description of Saba
(or Sheba) and of Bilkes, its celebrated queen.
No. 63. Die Erzählung in der bugischen ,Geschichte
von König Indjilai’.
In der Übersetzung von R. Brandstetter, pp. 1—5.
Es war einmal ein König, er hieß Sulthan Indjilai. Seine
Gemahlin hieß Sitti Sapia. Er hatte zwei Söhne, der eine
hieß Abodutedjumali, der andere Abodulodjumali. Da der König
längere Zeit regiert hatte, geschah es eines Tages, daß er in
seinem Garten spazieren ging, mit seinen Bedienten und Betel¬
dosenträgern. Auf einmal sah er eine Turteltaube auf einem
Ty roll er, Die Fabel von dem Mann und iem Vogel. 2 .
306
Feigenbäume sitzen. Er ließ sein Blaserohr holen. Die Diener
gingen und holten es ihm. Der König schoß nach der Turtel¬
taube und traf ihre Flügel, so daß sie auf den Boden fiel.
Er befahl den Dienern sie aufzuheben. Sie gingen, hoben sie
auf und brachten sie dem Könige. Dieser wollte sie töten.
Da fing der Vogel, die Turteltaube, an zu reden: ,,0
mein Herr, König Indjilai, warum willst du mich töten, was
willst du mit mir anfangen ?“
König Indjilai antwortete: „Ich will dich verspeisen, Tur¬
teltaube.“
Die Turteltaube: „O Herr, wenn du mich auch tötest, und
mich kochst, so reicht es doch nicht für dich und deine Kin¬
der. Weißt du es, ob es nicht besser ist, wenn du mich frei-
lässest? Du erwirbst dir ja ein Verdienst, wenn du die Bitte
.eines Mitgeschöpfes erfüllst.“
König Indjilai: „Turteltaube, es ist doch wohl besser,
wenn ich dich töte und verzehre, ich samt meinen Kindern.“
Die Turteltaube: „Mein Herr, König Indjilai, laß mich
frei, Herr, denn, sicherlich, es wird ein Gewinn für dich sein,
wenn du mich freilässest."
Der König: „Was würde das für ein Gewinn sein, Tur¬
teltaube ?“
Die Turteltaube: „Mein Herr, wenn du mich freilässest,
werde ich auf den untersten Ast des Feigenbaumes fliegen und
dir ein Wort sagen. Dann werde ich wiederum fliegen, auf
den mittleren Ast, und dir wiederum ein Wort sagen. End¬
lich werde ich auf den obersten Ast fliegen, und dir nochmals
ein Wort sagen. Also drei Worte will ich dir sagen.“
König Indjilai: „Ist das wahr, was du mir sagst, Tur¬
teltaube ?“
Die Turteltaube: „Ja, Herr!“
König Indjilai: „So lasse ich dich denn frei, Turtel¬
taube."
Die Turteltaube wurde von König Indjilai freigelassen.
Sie flog nach dem Feigenbaum, und setzte sich auf den unter¬
sten Ast.
Der König sprach: „Rede nun, Turteltaube 1“
Die Turteltaube: „So höre, Herr, was ich dir sagen werde.
Mein Großvater hats meinem Vater gesagt, mein Vater hats
mir gesagt, und ich nun sage es dir. Du wirst auch sofort
dessen Verwirklichung sehen. Das also sage ich dir: Wenn dir
307
ein Bericht, oder eine Geschichte oder eine Meinung vorliegt,
so prüfe sie vorher wohl, und nur, was einen vernünftigen
Sinn hat, glaubet“
Die Turteltaube flog auf den mittleren Ast des Feigen-
baumes.
Der König: „Bede, Turteltaube!“
Die Turteltaube: „So höre, Herr, das sage ich dir, Herr:
Bereue die eine Tat, die geschehen ist, ich meine, die du
getan hast.“
Die Turteltaube flog auf den obersten Ast des Feigen¬
baumes.
Der König: „Sprich, Turteltaube, wie du mir verspro¬
chen hast.“
Die Turteltaube: „Höre, Herr, dies mein Wort: Du bist
nach allem wirklich ein Dummkopf, denn, vorausgesetzt, du
hättest mich getötet, du hättest mir den Bauch aufgeschnit-
ten, so hättest du darin drei Rubine gefunden, jeder so groß
wie ein Entenei.“
Als ;die Rede der Turteltaube zu Ende war, flog pie
nach ihrem Aufenthaltsort, und der König stand, als er ihre
Worte gehört hatte, sofort auf, um sie zu verfolgen. Drei
Tage und drei Nächte verfolgte er sie, aber er war nicht ein¬
mal imstande ihr nahe zu kommen. Da flog die Turteltaube
plötzlich in einen Tjampadjawa (ein dorniger Strauch) hin¬
ein. König Indjilai eilte ihr auch da hinein nach. Da wurden
das Lipä, das Wadjuwadju (das Lipä entspricht dem bekannten
mal. Sarong, das Wadjuwadju dem mal. Badju) und die Bein¬
kleider des Königs gänzlich zerrissen, da sie an den Dornen
des Tjampadjawa hängen blieben. Selbst der Leib des Königs
blieb nicht unversehrt, die Dornen zerstachen ihn ganz. Da
rief die Turteltaube: „Herr, König Indjilai, jetzt ist deine
Dummheit und Beschränktheit offenbar geworden, du bist dem
Tiere gleich, weil du keinen Verstand hast. Denn erstens,
daß du mich freiließest, da du mich doch in den Händen hiel¬
test, das war barer Unsinn. Somit bin ich gescheiter als du,
trotzdem du ein Mensch bist, und ich nur ein Vogel, du ein
Herr, ich nur ein Sklave. Und das ist der Beweis, daß du ein
dummer Mensch bist: ich war schon in deiner Kehle, und bin
doch wieder frei geworden, und du hast mich nicht verspeisen
können. Und zweitens erweist sich deine Dummheit aus fol¬
gendem: Habe ich dir nicht soeben gesagt: Glaube nie etwas,
20 *
308
das barer Unsinn ist, und so ist es gekommen, daß du drei
Tage und drei Nächte lang hast hungern müssen. Denn da
mein Leib kaum so groß ist wie ein Entenei, wie könnten dann
drei Edelsteine in meinem Bauche sein, jeder so groß wie ein
solches? Und drittens erweist sich deine Dummheit aus fol¬
gendem: Ich habe dir soeben gesagt: Bereue nie eine Tat,
die du getan hast! Trotzdem hast du eine solche Tat bereut,
und so ist es gekommen, daß dein Leib ganz verwundet und
dein Eieid ganz zerrissen ist. Denn, wie konntest du auch nur
daran denken, daß du mich fangen könntest, ich wußte ja,
daß du mich töten wolltest.“ (Dazu zu denken: und hielt mich
daher immer in genügender Entfernung).
Jetzt flog die Turteltaube nach ihrem Nest. Und der
König, Sulthan Indjilai, kehrte auch seinerseits zurück, in
seinen Palast. Sein dummer Streich wurde bald allgemein be¬
kannt. Daher wurde er vom gesamten Reichsrat und den Häup¬
tern der Djow|s als König abgesetzt . . .
No. 64. Die Erzählung in der Bearbeitung des Naf-
\satu 'JrJaman.
Arnold, Chrestomathia Arabica, pp. 34—36 (Passer et Auceps).
Man erzählt, daß ein Sperling an einer Falle vorbei¬
flog. Der Sperling fragte: „Warum hältst du dich so abseits
vom Wege?“ Die Falle antwortete: „Ich will von den Men¬
schen fern sein, damit ich sicher bin vor ihnen und damit
sie sicher sind vor mir.“ Der Sperling fragte: „Und warum
stehst du so auf dem Boden da?“ Sie antwortete: „Aus Be¬
scheidenheit.“ Der Sperling fragte weiter: „Und warum ist
dein Leib so abgemagert?“ Sie antwortete: „Die Askese hat
mich mager gemacht.“ Der Sperling fragte: „Und wozu der
Strick da um deinen Hals?“ Sie antwortete: „Das ist die
Kleidung der Gottgeweihten.“ Der Sperling fragte: „Und wo¬
zu dieser Stab?“ Sie erwiderte: „Um mich auf ihn zu stützen.“
Der Sperling fragte: „Und was bedeuten diese Weizenkörner
dort bei dir?“ Sie antwortete: „Sie sind der Überfluß meiner
Mahlzeit, den ich irgend einem Armen, der des Weges kommt,
oder einem einsamen Wanderer schenken will.“ Da sagte der
Sperling: „Siehe, ich bin ein Wanderer und ein Reisender,
willst du mir zu essen geben?“ Sie antwortete: „Greif nur
309
kuI“ Aber als er seinen Schnabel vorstreckte, da faßte die
Schlinge an seinem Halse fest. Da rief der Sperling: „Warum
ist deine Seele so voller Arglist, Betrug und schimpflichen
Eigenschaften?“ Doch sollte der Sperling über sein Schicksal
erst aufgeklärt werden, als der Herr der Falle kam und ihn
ergriff. Da sprach der Sperling zu sich selbst: „Wie wahr ist
doch der Spruch der Weisen: Wer unüberlegt handelt, muß es
bereuen, und wer sich in acht nimmt, bleibt heil. Woher soll
mir Bettung kommen? Denn kein Ausweg ist hier zu sehen.“
Da entschloß er sich zu einer List; denn eine solche hilft
einem oft aus der Not. Er wandte sich also zum Jäger und
sprach: „O Mensch, vernimm von mir Worte, von denen ich
hoffe, daß Gott dir durch sie Nutzen erweisen wird; und dann
kannst du mit mir tun, was du willst.“ Der Jäger wunderte
sich über die Rede des Sperlings und forderte ihn auf: „Sprich!“
Da begann der Sperling: „Kein Vernünftiger möge sich darüber
beklagen, daß ich nicht fett und imstande bin seinen Hunger
zu stillen. Dir ist jedenfalls Weisheit lieber. Vernimm also
von mir drei Worte der Weisheit, ziehe Nutzen aus mir und laß
mich frei. Das erste Wort will ich dir sagen, wenn ich noch
in deiner Hand bin, das zweite, wenn ich am Fuße dieses Bau¬
mes, und das dritte, wenn ich auf seinem Gipfel bin.“ Der
Jäger war mit der Freilassung des Vogels einverstanden und
forderte ihn auf. „Sag’ nun das erste Wort!“ Der Vogel:
„Solange du lebst, bereue niemals etwas, was du verloren!“
Dem Manne gefiel dieses Wort sehr, und er ließ den Vogel
frei. Und als dieser zum Fuß des Baumes geflogen war, sprach
er: „So lange du lebst, glaube nicht an eine Sache, die un¬
möglich geschehen kannl“ Und dann flog er auf die Höhe
des Baumes. Da sagte der Jäger zu ihm: „Gib’ mir nun die
dritte Lehre!“ Der Sperling aber rief: „O Mensch, es ist doch
niemand armseliger daran als du! Du hattest Reichtum für
dich und Reichtum für deine Familie und Nachkommenschaft
erworben, aber er entschwand dir in kürzester Frist aus den
Händen.“ Da fragte ihn der Jäger: „Wieso das?“ Der Sper¬
ling aber antwortete: „Siehe, wenn du mich geschlachtet hät¬
test, hättest du in meinem Magen zwei Edelsteine aus Hya¬
zinth (Rubine) gefunden, von denen ein jeder fünfzig mitkäl
wiegt.“ Als der Jäger das Wort des Sperlings vernahm, da
wurde er bestürzt und biß sich in die Finger. Dann sagte er:
„Da hast mich betrogen, Sperling, aber nun heraus mit der
310
dritten Lehre 1“ Der Sperling aber sprach: „Wie soll ich dir das
dritte Wort sagen, da du doch die beiden ersten im Nu ver¬
gessen hast? Sagte ich dir nicht: „Bereue nicht das Ver¬
lorne, und glaube nicht das Unmöglichei Wie kannst du glau¬
ben, daß in meinem Magen zwei Edelsteine im Gewicht von
jo fünfzig mit.käl sind? Denn hättest du mich mitsamt mei¬
nen Federn, meinem Fleische, meinen Knochen und allem, was
in meinem Bauche ist, gewogen, so würde ich keine zehn
mitkäl erreichen. Trotzdem bereutest du es die Gelegenheit
versäumt zu haben und warst betrübt.“ Dann flog er fort und
ließ ihn hinter sich, durch diese List der Falle entronnen.
No. 65. Die Erzählung im Anhang von ,,Tausend und
eine Nacht“.
T. u. e. N. Aus dem Arab. übertragen von Max Henning, XXII,
pp. 118—126.
Die Geschichte des Vogels mit dem Vogelsteller.
Man erzählt — doch Gott ist allwissend — daß einst in
der Stadt Bagdad ein Jägersmann, kundig des Weidwerks,
lebte. Eines Tages ging dieser Jägersmann auf die Jagd,
indem er Netze, Sprenkel und andres Gerät, dessen er be¬
durfte, mit sich nahm und sich zu einem Garten begab, reich
an Bäumen, deren Gezweig sich verstrickte, wo sich allerlei
Vögel aufhielten; und, als er bei einem dichten Gebüsch an¬
kam, steckte er seine Falle in den Boden und schaute sich nach
einem Versteck um, wo er sich setzte. Bald darauf näherte
sich ein Vöglein der Falle und fing an die Erde zu kratzen,
wobei es, rund um die Falle spazierend, bei sich Bprach:
„Was mag dies nur sein? Wenn ichs doch nur wüßte, denn es
scheint nichts anderes als eine wunderbare Schöpfung Gottes
zu sein!“ Alsdann betrachtete es die Falle, die halb im
Boden vergraben war, und begrüßte sie aus der Ferne, worauf
die Falle ihm den Saläm erwiderte und sprach: „Und Got¬
tes Barmherzigkeit und Segnungen seien auf dirl Willkommen,
willkommen von Herzen, teurer Bruder und aufrichtiger Freund,
irauter Genosse und lieber Gefährte, der du so ferne von mir
-tehst, während ich wünsche, daß du mein Nachbar wirst und
cli dein getreuer und aufrichtiger Freund und Kamerad. Komm
heran zu mir voll Vertrauen auf deine Sicherheit und ohne
311
Furcht vor mir.“ Da sprach das Vöglein: „Ich beschwöre dich
bei Gott, sag’ an, wer du bist, daß ich mich nicht vor dir
fürchte, und nenn’ mir deinen Beinamen und den Namen dei¬
ner Sippe, auf die du deinen Stammbaum zurückführst.“ Die
Falle erwiderte: „Mein Name ist Haltfest, mein Vatersname
Bindfest und meine Sippe ist geheißen die Kinder Fallfest.“
Das Vöglein versetzte: „Du sprichst die Wahrheit, denn dies
ist sicherlich dein Name, der Beiname kommt dir gewißlich zu,
und ohne Zweifel ist deine Sippe eine der edelsten.“ Die
Falle erwiderte: „Gelobt sei Gott, daß du mich erkannt hast
und mich unter die getreuen Freunde zählst, denn wo solltest
du einen Freund wie mich finden, einen Liebhaber wahrhaft
und zuverlässig, und einen Gesinnungsgenossen? In der Tat,
ich bin ein frommer Gottesdiener, der sich von nichtigem Ge¬
schwätz, von seinen Bekanntschaften und selbst seiner Sippe
zurückgezogen hat. Meine einzige Zuflucht ist auf den Gip¬
feln der Hügel und in den Gründen langer und tiefer Täler;
von irdischen Dingen bin ich der wahre Haltfest und in welt¬
lichen Freuden der wirkliche Bindfest.“ Das Vöglein versetzter
„Du hast wahr gesprochen, o mein Herr, und Heil dir! Wie
fromm und gottesfürchtig bist du und wie Jiold an Sitten
und Wesen 1 Wäre ich ein einziges Härlein an deinem Leib!“
Die Falle entgegnete: „Du bist in dieser Welt mein Bruder,
und in der nächsten mein Vater.“ Nun aber sprach das Vög¬
lein: „O mein Bruder, ich möchte dich gerne nach Sachen, ver¬
borgen in deinen Gedanken fragen.“ Die Falle antwortete:
„Frag’, wonach du willst, damit ich dir offenkund tue, was du
im Herzen begehrst; denn ich will dir getreulich jede meiner
Absichten erklären und dir wahrhaftiglich meine ganze Sache
und meine verborgenen Gedanken enthüllen, daß dir nichts
von meinem Vorhaben verborgen bleibt.“ Da hob das Vög¬
lein an und sprach: „O mein Bruder, warum und weshalb sehe
ich dich in dieser Weise im Staube wohnen, fern von Ver¬
wandten und Gefährten, und warum hast du deine Angehörigen
und Freunde verlassen, und dich von der Zärtlichkeit deiner
Lieben getrennt?“ Die Falle entgegnete: „Hast du nicht ge¬
lernt, o mein Bruder, daß Zurückgezogenheit ständiges Heil
ist, daß Fernbleiben vom Volk Segnungen verleiht und Tren¬
nung von der Welt leibliches Wohl bringt? In Bezug hierauf
hat ein Weiser gesagt:
„Einsamkeit und wicht schlechte Gesellschaft.“
312
Ebenso sprach man zu El-Bahlül (lebte zur Zeit Harun er-
Raschtd’s): „Warum säumst du unter den Häusern der Toten
und verweilst an einer unfruchtbaren Stätte, und was bi3t du
so fern von Verwandten und Gefährten und hast keine Liebe
für Bruder und Freunde?"’ Er versetzte jedoch: „Weh euch!
Würde ich unter meinen Angehörigen wohnen, sie würden
mich eines Tages nicht mehr lieben; während ich aber ferne
von ihnen weile, werden sie mich nie tadeln, indem sie sich
weder meiner Liebe erinnern noch meine Vorliebe begehren;
und so zufrieden bin ich mit meiner Einsamkeit, daß, wenn
ich meine Familie sähe, ich wie in Furcht vor ihr zurück¬
schrecken würde; ja, würden meine Eltern von neuem zum
Leben erweckt, und verlangten nach meiner Gesellschaft, für-
wahr, ich würde vor ihnen fliehen.“ Das Vöglein erwiderte:
„Fürwahr, mein Bruder, du hast in allen deinen Worten die
Wahrheit gesprochen, und der beste Rat ging von dir aus; aber
gib mir, bitte, Auskunft über jenen Strick, der mitten um
deinen Leib gewunden ist, und weshalb du trotz aller (An-,
strengungen auf dem Boden weder stehst noch sitzest?“ Die
Falle versetzte: „O mein Bruder, wisse, eine jede Nacht;
jeden Monats verbringe ich in Gebet, während welcher Übung;
ich, wenn mich je Müdigkeit überkommen sollte, diesen Strick
um meinen Leib binde, wodurch ich den Schlaf aus meinen
Augen treibe, und um so wacher für meine Gebete werde.
Wisse auch, daß Gott — Preis Ihm, dem Erhabenen! — seine
Diener liebt, so sie gottesfürchtig sind und allerwege in An¬
dacht zubringen, stets dem Gebete ergeben und ihn bei Tag
und Nacht preisend; und die, sich auf ihren Seiten drehend,
den Herrn in Sehnsucht und Furcht lieben und ihr Gut als
Almosen austeilen. Sprach doch auch Gott — Preis Ihm, dem
Erhabenen! —: Sie schliefen nur einen kleinen Teil der Nacht
und schon des Morgens früh flehten sie um Vergebung“ (Sure
51, 17 ).
Da entgegnete das Vöglein: „Du hast, o mein Bruder,
in jedem deiner Worte wahr gesprochen, und hast alles sehr
schön gesagt; jedoch — ich bin in deinem Schutz —, sag’ an,
weshalb ich dich zur Hälfte in der Erde vergraben und zur
Hälfte über der Erde sehe?“ Die Falle entgegnete: „Ich bin
es aus dem Grunde, daß ich hierdurch den Toten ähnlich werde
und im Leben die verderblichen Lüste des Fleisches meide.
Sagt doch Gott — Preis Ihm, dem Erhabenen! — in seinem
313
heiligen Buch: „Aus Staub haben wir euch erschaffen, in den
Staub werden wir euch wieder zurückkehren lassen und dann
werden wir euch zum anderen Male daraus hervorziehen“
(Sure 20, 57 ). Das Vöglein versetzte hierauf: „Du hast die
Wahrheit gesprochen, weshalb aber sehe ich deinen Bücken
so gekrümmt?“ Die Falle erwiderte: „Wisse, mein Bruder,
der Grund davon, daß mein Nacken so gebeugt ist, liegt darin,
daß ich so häufig des Tages dastehe und bete, und des Nachts
im Dienste des Königs, des Allgütigen, Einigen, Allgewaltigen,
Erhabenen und Allmächtigen, aufstehe.“ Das Vöglein versetzte:
„0* mein Bruder, du hast die Wahrheit gesprochen, und ich
habe dich verstanden und bin von deiner Wahrhaftigkeit
überzeugt. Jedoch sehe ich ein härenes Kleid an dir.“ Die
Falle entgegnete: „O mein Bruder, weißt du nicht, daß die
Kleider der Frommen und der Asketen aus Haar und Wolle
bestehen?“ Das Vöglein antwortete: „Fürwahr, deine Worte
sind wahr, sag’ mir jedoch, was das für ein Stab ist, den
du in der Hand hältst?“ Die Falle erwiderte: „O mein Bru¬
der, wisse, ich bin ein alter und hochbetagter Scheich ge¬
worden und meine Kraft hat nachgelassen, weshalb ich jnir
einen Stab nahm, daß ich mich darauf stütze und an ihm eine
Hilfe finde, wenn ich faste.“ Das Vöglein versetzte: „Deine
Worte sind wahr, mein Bruder, und du sprichst, wie es sich
geziemt, jedoch möchte ich dich noch etwas fragen, und du
verweigere mir nicht die Auskunft darüber; sag’ mir, weshalb
und warum hier so viel Korn um dich verstreut ist?“ Die
Falle antwortete: „Siehe, die Kaufleute und die Reichen brin¬
gen mir diese Speise, daß ich sie den Fakiren und Hungrigen
als Almosen gebe.“ Da versetzte das Vöglein: „O mein Bru¬
der, ich bin auch hungrig, befiehlst du mir also davon zu
essen?“ Die Falle erwiderte: „Du bist mein Gefährte, darum
ist solch ein Befehl Pflicht für mich, sei so gütig mein Bruder,
und komm schnell hieher und iß!“
Hierauf flog das Vöglein von seinem Baum herunter und
kam Stückchen für Stückchen mit vor Furcht bebendem Her¬
zen mäher, worauf es einige Körnlein, die neben der Falle
lagen, aufpickte, bis es zu dem Korn kam, das in die Schlinge
der Falle gelegt war, und nach ihm pickte. Ehe es aber noch
etwas Gutes davon gewonnen hatte, kam die Falle schon auf
es hernieder und verstrickte seinen Hals, es festhaltend. Da
schrie das Vöglein, von Todesschrecken erfaßt: „Zik, Zlkl Mik,
314
Mtkl Fürwahr, ich bin ins Verderben geraten, und durch
einen Freund verraten I Weh über meinen Kummer und mein
Mißgeschick, Zik, Zik! O du, -der du meine Lage kennst,
setz’ mich instand zu entkommen, errette mich aus dieser
schlimmen Klemme und sei barmherzig und mild zu mir!“ Die
Falle aber sprach nun zu ihm: „Du piepst Zik, Zik! und bist
in die schlimme Klemme geraten, und von deinem Wege ab¬
geirrt, du Heide und Atheist! Nun soll dir weder Bruder noch
Freund noch Kamerad helfen. Jetzt versteh’ und such’ dein
Vergnügen! Ich fing dich mit einer List, und du liehest ihr
dein Ohr und wardst lüstern.“ Das Vöglein versetzte: „fbh
bin einer, den das Gelüst niedergeworfen, und den Torheit
und zügellose Gier verführt hat, einer, für dessen Hals das
Halsband der Vernichtung fertig gemacht ist, und der |mit
denen, die am tiefsten fallen, gestrauchelt ist.“
Hierauf kam der Vogelsteller mit seinem Messer, das
Vöglein zu schlachten und sprach: „Wieviele Vögel haben
wir nicht schon in aller Gemächlichkeit gefangen aus Ver¬
langen nach ihrem Fleisch, ihre Köpfe mit Reis oder in Harise
(ein Teig aus zerstoßenem Weizen, mit Butter, Fleisch und
Gewürzen geknetet) oder in der Pfanne gebacken selber mit
Behagen zu schmausen oder Große und Vornehme damit zu
bewirten. Ebenso liegt es uns ob, die Hälfte ihrer Leiber sel¬
ber zu verspeisen, und die andre Hälfte soll für unsere Gäste
sein, während ich die Flügel meiner Familie und meinen Ver¬
wandten als prächtigste Gabe vorsetzen will.“
Als das Vöglein diese Worte vernahm, rief es: „Siehst
du nicht, wie mager mein Fleisch und schlank mein Wanst
ist? Fürwahr, ich kann dir nicht als Speise dienen und dei¬
nen Hunger stillen; fürchte daher Gott und gib mir die Frei¬
heit, dann wird dirs der Allmächtige überreich lohnen.“ Der
Vogler jedoch hörte gar nicht auf seine Worte, sondern gab
es seinem Sohn, indem er zu ihm sprach: „Mein Kind, trag*
diesen Vogel nach Hause, schlachte ihn und koch’ uns von ihm
ein Kümmelragout und ein Zitronenstew, ein Gericht gewürzt
mit Traubensaft, ein zweites aus Pilzen, ein drittes aus Granat¬
apfelkörnern und ein viertes aus geronnener Milch gekocht
mit Summäk, und feines in der Pfanne Gebackenes, sowie Kon¬
serven von Birnen, Quitten, Äpfeln und Aprikosen, geheißen
Rosenwasser, und Vermicelli und Sikbädsch; ferner Fleisch
mit den sechs Blättern angerichtet, eine Mehlsuppe, Milch-
315
reis, Adschidschije, gebratene Fleischschnittchen, Kabäben, Oli¬
ven. und dergleichen Gerichte. Ebenso mach’ aus seinen Där¬
men Bogensehnen, aus seiner Speiseröhre eine Wasserleitung
fürs Dach, aus seiner Haut ein Tischtuch und aus seinen
Federn Polster und Kissen.“ Als der Vogel in der Hand des
Vogelstellers dies vernahm, lachte er vor Kummer und sagte:
„Weh dir, Vogelsteller, wohin ist dein Witz und Verstand
gekommen? Bist du verrückt oder trunken? Bist du vor
Alter kindisch oder schläfst du? Bist du schwer von Begriffen
oder geistesabwesend? Fürwahr, wenn ich selbst der lang-
halsige Ankävogel (Phönix) wäre, die Tochter des Lebens, oder
die Kamelin Sälihs oder Isaaks Opferwidder oder Es-Sämiri’s
sprechendes Kalb (das goldene Kalb der Juden; wer Es-S. ist,
ist. nicht festzustellen, vielleicht Aaron) oder ein lecker ge¬
mästeter Büffel, so würde doch alles, was du da erwähnt
hast, nicht von mir kommen. Willst du mich in deiner Gier
wirklich schlachten, wie du es sagtest, so werde ich dir nichts
nützen; willst du jedoch mir wohl und setzest mich in Frei¬
heit, so will ich dir etwas zeigen, das dir Nutzen bringen und
deiner Kindeskinder und spätesten Nachkommen Glück ins
Werk setzen soll.“ Da fragte der Vogelsteller: „Was willst
du mir für einen Rat geben?“ Das Vöglein erwiderte: „Ich
will dich drei Worte der Weisheit lehren, und will dir in
dieser Erde einen Schatz zeigen, der dich, deine Kinder und
Nachkommen für immer zufriedenstellen soll, daß ihr stets
für meines Lebens Dauer beten werdet. Außerdem will ich
dir ein Paar aschgraue Falken zeigen, von großem Körper und
plumper Masse, die meine besten Freunde sind und die du
in den Gärten ungefangen ließest.“ Da fragte der Vogelstel¬
ler: „Und welches sind die drei Worte, die so nach Weisheit
schmecken?“ Das Vöglein entgegnete: „Die drei Weisheits¬
worte sind: „Trauere nicht über das Vergangene, freue dich
nicht zu früh über das Künftige, und glaube nichts, als worauf
dein Blick gefallen ist. Was aber den Schatz und die beiden
Falken anlangt, so will ich sie dir zeigen, wenn du mich frei¬
gelassen hast, und sehr bald sollst du dann die Wahrheit
meiner Worte erschauen.“ Da ward das Herz, des Vogelstellers
dem Vöglein in seiner Freude über den Schatz und die Falken
zugetan; und des Gefangenen List betörte den Fänger und be¬
nahm ihm den Verstand, so daß er alsbald seinen Fang los-
lioß, worauf das Vöglein sofort in mächtiger Freude sein Leben
316
vom Tode errettet zu haben, aus der Hand des Vogelstellers
flog. Nachdem es dann sein Gefieder geputzt und seine
Schwungfedern und Flügel ausgebreitet hatte, lachte es, daß
es fast ohnmächtig zur Erde fiel. Alsdann begann es nach
links und rechts auszulugen, und tief zu atmen und immer grö¬
ßere Freude zu bezeugen, so daß der Vogelsteller fjprach:
„O Vater der Flucht, o du, der Wind geheißen, was sagst du
nun zu mir in betreff der beiden aschgrauen Falken, die du
mir zeigen wolltest, und wo (sind die Gefährten, die du in
den Gärten verließest?“ Da gab ihm das Vöglein zur Ant¬
wort: „Ach und wehl Nimmer sah ich einen Esel wie dich
oder etwas geringer an Verstand und größer an Dummheit;
denn, fürwahr, du hegst Gedankenlosigkeit in deinem Kopf
und Schwäche in deinem Verstand. O du Schwachkopf, wann
sahst du wohl einen Sperling mit einem Falken, geschweige
denn gar mit zwei, Freundschaft haben? So kurz ist dein
Witz, daß ich deinen Händen durch die einfache List ent¬
rann, die mir meine Einsicht und Kenntnis eingab. Weh dir,
du armseliger und elender Wicht, du weißt nicht, was du an
mir verloren hast, denn, in der Tat, deine Absicht ist ver¬
eitelt, dein Glück ist zu Schanden geworden, und dir nahe
sind Armut und Dunkel. Hättest du, als du mich fingst, mei¬
nen Hals aufgeschnitten und meinen Kropf gespalten, du hät¬
test darin ein Juwel von dem Gewicht einer Unze gefun¬
den, das ich aus dem Schatze des Königs KisräT Anuschirwän
aufpickte und verschluckte.“
Als der Vogelsteller die Worte des Vögleins vernahm,
streute er Staub auf sein Haupt ,und schlug sich vors Ge¬
sicht, seinen Bart ausraufend und seine Kleider zereißend, bis
er schließlich ohnmächtig zu Boden fiel. Wie er dann wieder
zu sich kam, schaute er nach seinem entronnenen Gefange¬
nen und rief: „O du Vater der Flucht, du der Wind geheißen,
sag’ an, kehrst du wohl je wieder zu mir zurück? Du solltest
dann bei mir wohnen, und ich wollte dich wie meinen Aug¬
apfel hüten, dich nach all dieser Mühsal und Plackerei parfü¬
mieren und mit Ambra und Komoriner Aloe beräuchern, und
dir Zucker und Piniennüsse als Speise bringen, und du soll¬
test in höchsten Ehren bei mir bleiben." Das Vöglein ver¬
setzte jedoch: „O du Elender, was vergangen ist, ist vergangen;
ich lasse mich von deiner Arglist und scheichlerischen Falsch¬
heit nicht fangen. Und Preis sei dem Herrn, o du erbärmlich-
317
ster Wicht, wie schnell hast du doch die drei Lehren -ver¬
gessen, die ich dir gabl Wie kurz ist dein Witz, wo du doch
siehst, daß mein ganzes Leibesgewicht noch keine zehn Drach¬
men ausmacht, ich also gar nicht in meinem Kropf ein Juwel
im Gewichte einer Unze tragen kann. Wie fern von dir ist
Scharfsinn, und wie schnell hast du meine Ermahnung ver¬
gessen, die ich dir gab, indem ich zu dir sprach: „Glaube
nichts, als worauf dein Blick gefallen ist, bedauere und be¬
trauere nicht das Vergangene, und freu’ dich nicht zu früh
über das Künftige.“ Diese Worte der Weisheit sind dir ganz
aus dem Gedächtnis entschwunden. Wärst du schnell von Ver¬
stand gewesen, du hättest mich auf der Stelle geschlachtet;
jedoch gelobt sei Gott, der mich nicht die scharfe Schneide
des Messers schmecken ließ, und ich danke meinem Herrn für
mein Entkommen und für meines Wohlergehens Befreiung
aus der Falle der Kümmernis.“
Als der Vogelsteller diese Worte des Vögleins vernahm,
bereute und bedauerte er seine Torheit und rief: „Ach, daß
ich diesen Vogel nicht schlachtete!“ Dann sank er zu Boden,
während das Vöglein von ihm Abschied nahm und zu seinem
Heim und seinen Angehörigen flog, wo es sich setzte, und alle
seine Erlebnisse mit dem Vogelsteller erzählte.
No. 66. Die Erzählung in der arab. Version des Ms.
Pet. 259 in Berlin.
fol. 109b—112b.
Man erzählt, daß in alten Zeiten ein Jägersmann aus dem
Stamme von Basurah war, mit Namen ‘Akäb ben Nasr. Eines
Tages ging dieser in die Wüste um mittels der Schlinge zu
jagen. Auf einmal kam ein Vögelchen dahergeflogen, dessen
Gefieder vierfarbig war, rot, gelb, grün und rosa. Als der Jäger
das Vögelchen sah, wurde er von Bewunderung über seine
Schönheit und Anmut ergriffen. Das Vöglein selbst aber ge¬
lüstete es nach den Brotkrumen und Samenkörnen zu sehen,
die ringsherum aufgestreut lagen. Es kam allmählich an die¬
selben heran und pickte ein Körnchen nach dem anderen auf,
bis zuletzt nur mehr eines übrig war, eben jenes, das auf der
Zunge der Schlinge lag. Aber dieses verschmähte es und wollte
nichts davon wissen. Da sprach der Jäger zu ihm: „O Bruder
der kleinen Vögelchen, was scheust du dich vor dem Körnlein,
318
welches hier auf dem Boden noch übrig ist?“ Das Vögelchen
antwortete: „O, ich bin schon satt. Doch sage du mir, was
du hier tust!“ Jener sagte: ,,0 Bruder der kleinen Vögelein,
in dieser Gegend habe ich meinen Ruheplatz gefunden. Sagt
doch der Dichter: ,Trachte dich aus dem Kreise der Menschen
zu entfernen, so daß sie dich für einen Eremiten halten! Du
aber sieh die Menschen an, als ob sie Skorpionen gleich
wären!*“ Da entgegnete das Vögelchen: „Recht so, du Ehr¬
würdiger! Aber warum ist denn dein Gesicht so geschwärzt*
und deine Farbe so gelb?“ Jener antwortete: „O Bruder der
kleinen Vögelein, das ist wegen der Unmenge meiner Sünden
und Verbrechen.“ Das Vöglein versetzte: „Gut, du Ehrwür¬
diger! Aber weswegen hast du denn einen Strick um deinen
Leib gebunden; und warum ist dein Rücken so gekrümmt?"
Der Jäger antwortete: „Letzteres ist die Folge davon, daß ich
beständig stehe und sitze und meine Knie beuge und Tag und
Nacht auf dem Boden hingestreckt meine Andacht verrichte.“
Dann fuhr der Jäger fort: „Als sich das Greisenalter auf meine
Gelenke legte, da umband ich meine Hüften zu Ehren des
Schöpfers, in der Hoffnung, er werde mir verzeihen, was
bereits vergangen ist, und auch die Sünden, die da noch
kommen sollen.“ Das Vögelchen erwiderte: „Gut so, mein
Bruder! Aber wozu hast du denn diesen Stab da in der Hand?“
„Ich stütze mich auf ihn wegen der Last des Alters, das mir
den Rücken beugt.“ Dann rezitierte der Jäger folgendes
Dichterwort: „Höre, es geleite dich Gott, o Bauersmann!
Fürwahr, der Stab ist für den Greis ein dritter Fuß, der ihm
beim Gehen behilflich sei, so oft er ihn nötig hat, und der
ihn auch beim Aufstehen unterstütze. — Wenn du vernünftig
und gescheit bist, so nimm meine Rede an; dein Schaden soll
es nicht sein." Das Vögelein sagte: „Recht so, mein BruderI“
Der Jäger aber fuhr fort: „Indes, ich ermahne dich, nimm
dieses Körnchen; du wirst durch dasselbe weiser werden als
alle deinesgleichen.“ Das Vögelchen überwand die Scheu und
hüpfte allmählich näher und näher heran, bis es vor dem
Körnchen stand und es zuletzt aufpickte. Da hatte ihn aber
auch schon die Schlinge beim Kragen und das Vögelchen
piepste jämmerlich: „Sik, äik!“ Der Jäger aber spottete:
„Ach, da hilft dir kein ,sik* und kein ,bik* und auch kein
.Freund* oder ,Bruder*!“ Da fragte der Vogel: „O Bruder
Jäger, warum belogst und hintergingst du mich so, um mich
319
in deine Bande zu verstricken?" Der Jäger versetzte: „O, du
Tor, natürlich aus Begierde nach dir lockte ich dich in meine
Schlinge.“ Der Vogel entgegnete: „O Jäger, nur durch die
Vorspiegelung deines Aszetentums konntest du mich derart
verwirren und auf den Leim locken 1" Der Jäger erwiderte:
„Hör doch auf mit diesen Reden, sie helfen dir ja doch nichts!"
Dann rief er seinem Jungen und sagte zu ihm: „Lieber Sohn!
Nimm diesen Vogel und bring ihn zu Salkalak ibn Mal-
kalak, dem Koche, und sag ihm, er möchte ihn schlachten,
ausnehmen und in zwei Hälften zerlegen. Von der einen Hälfte
solle er uns in einem Brei von Kifik viel Hurtumäni kochen,
von der anderen aber ein Gericht von Sumäk. Aus seinem
Magen möge er uns mit zerriebenen Eiern ein Gericht be¬
reiten. Aus seinen Därmen soll er uns Bogensehnen, aus seinen
Schnäbeln Keulen zum Glätten, aus seinen Füßen Haarkämme
und aus seinen Federn Füllsel für Decken und Polster machen!“
Als das Vögelein diese Worte des Jägers vernahm, sprach es
zu ihm: „O du Unglückseliger, du bist entweder toll oder
betrunken, Tor! Denn selbst wenn ich die Kamelin e§-Sälih’s
wäre, oder der Widder Ismaels oder das goldene Kalb der
Juden, so würde ich noch nicht ein Viertel von dem ausmachen,
was du deinem Sohne aufgezählt hast. Aber laß mich frei, und
ich will dir drei Worte sagen, die mehr wert sind als die
Welt und alles, was darin ist.“ Da sagte der Jäger zu ihm:
„O du Bruder der kleinen Vögelein, sage sie mir, damit ich
dich dann frei lasse!“ Das Vögelchen jedoch erwiderte: „Zu¬
erst laß mich aus deiner Hand los, und dann will ich dir die
drei Worte sagen. Denn ich fürchte, du möchtest mich täuschen
und betrügen, wie du mich vorhin betrogen hast.“ Da lachte
der Jäger und ließ das Vögelchen frei. Dieses flog auf einen
hohen Baum. Der Jäger mahnte: „Wirst du nun reden und
mich die drei Worte lehren, von denen du zu mir gesprochen
hast?“ Das Vögelchen antwortete: „Ganz nach deinem Be¬
lieben! Das erste Wort ist: betrübe dich nicht um das, was
vergangen! Das zweite: glaube nichts, außer was du mit eige¬
nen Augen gesehen! Und das dritte: wenn du auch so schnell
liefest wie eine Gazelle, so würde dir doch nur zuteil werden,
was dir vom Schicksal bestimmt.“ Hierauf fuhr der Vogel
zum Jäger gewendet folgendermaßen fort: „O du Räuber
und Betrüger! Du ruhtest nicht eher, als bis du mich durch
Trug und Hinterlist getäuscht und in deine Schlinge gebracht
320
hattest. Da betete ich zu Gotte, er möchte mich aus deinen
Händen befreien. Und siehe, er hat meine Bitte erhört. Nun
ist aber in meinem Magen eine Perle, die soviel wert ist,
wie die Vorratskammer von Ägypten in sieben Jahren." Als
der Jäger diese Worte des Vögeleins hörte, rang er die Hände
und grub die Zähne in den Daumen, so daß er ihn sich fast
abgebissen hätte; dies vermehrte aber nur die Schadenfreude
des Vogels. Da ward der Jäger voller Zorn und Ärger und
sprach zum Vogel: „0 du Bruder der kleinen Vögelein, kehre
doch zu mir zurück, ich will dich mit Sesam und Nußkern
füttern, ich will deinen Hals mit einer Kette aus rotem Gold
und deine Füße mit Bändern aus weißem Silber zieren und
dich in einen silbernen, mit Perlen und Edelsteinen verzierten
Käfig setzen. Und ich will dich in den Garten der Tochter
des Kalifen bringen, wo du dich auf den Bäumen ganz nach
Belieben ergötzen kannst." Da versetzte das Vögelein: „Nim¬
mer, nimmer wird zu dir zurückkehren, was dir entflogen I
O wie schnell hast du doch die drei Worte vergessen, die ich
dir sagteI . . . [Das Nachfolgende ist verderbt.] . . . Aber
Gott wird den Sohn der Gerechten nicht untergehen lassen und
deine Mühe soll von mir aus nicht unbelohnt bleiben.“ Da
sprach der Jäger zum Vogel: „Du bist edel, und ich will dich
von Herzen lieben, du Bruder der kleinen Vögelein . . .“ Der
Vogel erwiderte: „Grabe unter diesem Baume nach, und du
wirst einen Krug voll roten Goldes finden, mit dem du zeit¬
lebens zufrieden sein kannst.“ Dann flog das Vögelein von
dannen und eilte heim zu seinen Kindern, denen es die Ge¬
schichte und alles, was ihm zugestoßen, vom Anfang bis zum
Ende erzählte. Da riefen sie aus: „Preis sei Gott, dem Herrn
der Welten, für deine Rettung.“ Sodann begann der Vogel zu
sprechen: „Es belehre euch der Herr, meine Kinderl Nähert
euch nicht jenem Tale! Denn dort haust ein Jägersmann;
wollen ist sein Kleid und schwarz seine Farbe, als wäre er ein
Asket. Nimmer ruht er vom Morgen bis zum Abend!“ Der
Jäger seinerseits grub unter dem Baume nach und fand den
Henkelkrug, den ihm jener bezeichnet hatte. Er kehrte heim
zu seinem Stamme und zehrte mit seinen Kindern von dem
Golde. Und der Krug wurde nicht eher leer, als bis er samt
seinen Kindern gestorben war.
321
i\o. 07. Die Erzählung in der hindostanischen Version.
Garcin de Tossy, A116gorics etc. pp. 351/52.
Dans le temps du roi Salomon, un moineau et sa femelle
dtaient sur un chemin occupös ä becqueter des grains, lorsqu'ils
virent venir de loin un faquir couvert de sa robe. La femelle
dit au mäle: «Prends garde l’ennemi arrive. l'ächons de n’ötre
pas pris dans la main du destin.» Le mäle röpondit: «Ne crains
rien de cet ami de Dieu qui marche dans la voie de la religion:
il ne nous fera aucun mal.» Les moineaux tenaient entre eux
ce colloque, lorsque le faquir arriva aupres d’eux, et tirant
de dessous son bras un gros bftton qu’il portait, il le lan?a
sur les moineaux et cassa une aile du mäle. Le pauvre oiseau
se sauva en chancelant des mains de ce mächant, et (alla
aupres du roi Salomon se plaindre de la blessure que lui
avait fait in justement le faquir. Le roi Salomon ordonna
d’amener le coupable, ce qui fut fait. Il lui demanda avec
cotere pourquoi il avait blessö cet oiseau. «Quel mal y a-t-il?
r6pondit le faquir; cet animal n’est-il pas destinä ä la nourri*
ture de l’homme?» Le moineau, entendant ces mots, dit: «Quoi-
que je ne sois qu’un pauvre petit oiseau, toutefois j’ai assez de
perspicacitö pour ätre uni ä mon ami comme le lait Test au
Sucre, et pour fuir mon ennemi, comme la fleehe se dötache de
l’arc. Lorsque j’ai aper$u ton vetement ä inscription, qui m’an-
nonpait ta profession, j’ai pensö que tu ne devais faire du mal
ä personne; mais je suis convaincu ä präsent que c’est le diable
qui est ton guide, et que tu n’as adoptö le costume religieux
que par ruse. Quitte-le donc, afin que personne ne soit plus
tromp6, et ne se jette pas dans le filet de la söduction.» Ce
discours plöt extrömement ä Salomon; il bläma et maudit le
faquir, puis il le renvoya de sa presence.
Quelques jours aprös (sa premi^re mösaventure) ce märne
moineau becquetait l’herbe quelque part, lorsqu’un autre der-
viche le prit et l’enferma dans une cage. L’animal, inquiet sur
sa vie, lui dit alors: «Homme de Dieu, tu n’auras pas beaucoup
de profit en me vendant et fort peu d’avantage en me man-
geant; ainsi il est inutile que tu me gardes. De plus, si tu
me läches, je te donnerai quelques avis dont chacun 6qui-
vaudra ä une perle de grand prix.» A ces mots, le derviche
s’empressa d’ouvrir la cage, et tenant l’animal par les pattes,
sur sa main, il 6couta ce qu’il avait ä lui dire. «Le premier
Tyroller, Die Fabel von dem Mann und dem Vogel. 21
322
de ces avis, dit le moineau, c’est que bien des gcus assurent
-que, si Dieu voulait, il ferait passer par le trou d’une aiguille
une rangöe de soixante-douze chameaux (allusion ä un passage
connu de l’Evangile reproduit dans le Coran). Eien, en effet,
n’est en dehors de la puissance de Dieu; mais il ne faut pas
faire grand cas des efforts de l’homme.»
«(Le second, c’est qu’il ne faut pas s’effrayer au sujet
d'une chose qu’on perd; et je te dirai le troisieme lorsque tu
m’auras relächö.»
Le derviche Azad (libre des soins du monde) rendit
1 i b r e le moineau, et celui-ci ötant aller se percher sur la
branche d’un arbre voisin, s’öcria: «Apprends, faquir que tu
es un grand fou, et que ton esprit est attaquö, puis que tu
as perdu volontairement ta proie. J’ai, en effet, dans mon
gösier, un rubis de grand prix; si tu m’avais tuö pour me man-
ger, tu t’en serais empare.» Le derviche se frotta les mains
de dösespoir, en entendant ces mots, et dit au volatile: «J’ai
inanquö, je l’avoue, une bonne fortune; mais donne-moi donc
encore un avis». L’oiseau dit: «Ton coeur est semblableäun vase
poli, mes discours n’y laisseraient aucune trace; pourquoi les
ferai8-je entendre? On dit en proverbe: Pleurer devant un
aveugle, b’est abfmer inutilement Ses yeux. O ignorant 1 je
t’avais döjä dit qu,il ne fallait pas s’affliger au sujet d’une
chose qu’on perd. Tu l’oublies döjä, sans songer d’ailleurs que
je ne puis avoir le rubis dont je parle.» Il dit ces mots et
s’envola, tandisque le faquir, desolö, prit la route de son logis.
No. 68. Die Erzählung in der arabischen Version von
al-G l auzi.
Kitäb al-Adkija’ (Kairo 1306), pp. 178/9.
Es wird erzählt, daß ein Mann eine Lerche erjagte. Als
sie sich in seiner Hand befand, sprach sie: „Was willst du mit
mir anfangen?“ Er antwortete: „Ich werde dich schlachten
und essen.“ Da sagte sie: „Mit mir wird mau keinen Kran¬
ken heilen und keinen Hungrigen sättigen. Aber statt dessen
will ich dir drei gute Lehren geben, welche dir von größerem
Nutzen sein, werden als mich zu verspeisen. Was die erste
anlangt, so will ich sie dir geben, während ich noch in deiner
Hand bin, die zweite auf dem Baume da, die dritte auf dem
Hügel.“ Er erwiderte: „Nun wohlan, lehre mich das erste
323
"Wort!“ Sie sprach: „Traure nicht über das, was du verloren!“
Sprache und entflog auf den Baum. Da forderte er sie auf:
..Gib mir nun die zweite Lehre!“ Sie sagte: „Glaube nicht,
was unmöglich geschehen wird!“ Und als sie auf den Hügel
geflogen war, rief sie ihm zu: „O du Elender, wenn du mich
geschlachtet hättest, würdest du aus meinem Magen zwei Per¬
len hervorgezogen haben, von denen eine jede zwanzig mitkäl
wiegt.“ Als sie so gesprochen, da biß er sich auf die Lippen
und war betrübt. Darauf sagte er zu ihr: „Gib mir nun die
dritte Lehre!“ Sie aber erwiderte: „Du hast ja schon zwei
vergessen, warum soll ich dir also noch die dritte mitteilen?-
Sagte ich dir nicht: Trauere nicht über das, was du verloren,
und glaube nicht, was unmöglich geschehen wird? Ich bin,
Fleisch und Federn zusammengerechnet, keine zwanzig mitkäl
schwer.“ Mit diesen Worten entflog und enteilte sie.
No. 69. Die Erzählung in der syrischen Anekdoten -
samml. des Bar-Hebraeus.
The Laughable Stories, ed. by E. A. Wallis Budge, p. 93.
A house-sparrow having been caught by a man said to
him: ‘What wouldst thou do with me?’ and he replied: ‘I am
going to kill and eat thee.’ The sparrow said to him: ‘How can
the little flesh which is on my body satisfy thee ? pnly
promise that thou wilt let me go and I will teach thee three
things which will be much better. for thee than eating me.
The first thing I will teach thee whilst I am still in thine
hands; the second when I am on a tree, and the third
when I am on a rock.’ The birdcatcher said: ‘Teach me the
first now’. And the bird said: ‘Take heed that thou Üost
not repent of a thing which is past’; whereupon the bird¬
catcher let the sparrow go free. And when the sparrow was
sitting on a tree, he said: ‘Take heed that thou dost not
believe in that which cannot happen.’ And then he began to
fly away, saying: ‘O fool, if thou hadst killed me, thou wouldst
have found in my stomach two precious stones which are beyond
price.’ And the birdcatcher began to bite his fingers and said:
‘Teach me the third thing before thou fliest away.’ Then the
bird said to him: ‘Since thou hast forgotten the two things
which I have taught thee, what will it profit thee if I teach
thee the third? Did I not say ‘Thou shalt not repent over that
21 *
324
which is past\ and ‘Thou shalt not believe in that which
cannot be?’ wheuever was a precious stone seen in the stomach
of a sparrow?’
No. 70. Die Erzählung in der malaischen Hikäyat-
Baktiyär.
Tijdschrift voor Indische Taal-, Land* en Volkenkunde, 38 (1895)
pp. 255/56.
Een prins raakt eens op jacht in het bezit van een bulbul
(nachtegaal). Deze smeekt hem niet van kant gemaakt, maar
weer los gelaten te worden; wat zou hij er aan hebben hem
op te eten, en hij zou hem drie raadgevingen geven, een als
hij nog op zijne hand zat, de tweede als hij een boom bereikt
zou hebben, en de derde als hij naar den heuvel wegvliegen
zou. De eerste was: tob niet over gedane zaken; de tweede:
geloof niet wat in strijd is met hetgeen het verstand leert; in
plaats van de derde raadgeving, wijst de vogel den prins op
zijn onverstand hem te hebben laten vliegen, want als hij
hem gedood had, den zou hij in zijn maag twee juweelen, ieder
van twintig miskal, gevonden hebben. De prins bijt zieh op
zijn vingers van spijt, maar vraagt nog om de derde les.
Dit wordt door den vogel overbodig geheeten; zijne beede
eerste Jessen waren immers al door hem in den wind ge-
slagen, want hij had er spijt van gehad, dat hij hem had laten
vliegen, en er geloof aan geslagen, dat hij twee zulke ge-
steenten, waarvan er öön al veel zwaarder wezen zou dan
de vogel zelf was, in zijn maag zou hebben.
No. 71. Die Erzählung in der Version von ad-Damtri.
Kitäb Haiatu ’l-haiwän, pp. 284/5.
Es erjagte ein Mann eine Lerche, und sie sprach: „Was
willst du mit mir anfangen?“ Er antwortete: „Ich werde dich
schlachten und essen.“ Da sagte sie: „Bei Gott, ich bin nicht
fett, und man wird mit mir keinen Hungrigen sättigen und
keinen Kranken heilen können. Aber statt dessen will ich
dir drei gute Lehren geben, welche dir von größerem Nutzen
sein werden als mich zu verspeisen. Was die erste anlangt,
so will ich sie dir geben, während ich noch in deiner Hand
bin, und die zweite, wenn ich auf den Baum da geflogen bin,
325
und die dritte, wenn ich auf den Hügel geflogen bin.“ Er
erwiderte: „Nur immer zu!“ Da sprach sie, indem sie sich in
seiner Hand befand: „Betrübe dich nicht über das, was du
verloren!“ Da ließ er sie los. Und als sie auf den Baum
entflogen war, sprach sie: „Glaube nicht, was nicht geschehen
wird!“ Und als sie auf den Hügel geflogen war, rief sie: „O
du Elender, wenn du mich geschlachtet hättest, würdest du
in meinem Magen eine Perle gefunden haben, deren Gewicht
20 mitkäl beträgt.“ Als sie so gesprochen, da biß er sich auf
die Lippe .und war betrübt. Darauf sagte er: „Gib mir nun
die dritte Lehre!“ Sie aber erwiderte: „Da hast ja schon die
zwei vergessen, warum soll ich dir also die dritte geben?“ Er
fragte: „Wie so? Da antwortete sie: „Sagte ich dir nicht:
Betrübe dich nicht über das, was du verloren? Und siehe,
du betrübtest dich über* mich. Jeh sagte ferner zu dir: Glaube
nicht, was nicht geschehen wird! Und du glaubtest es trotz¬
dem; denn selbst wenn du meine Knochen, meine Federn und
mein Fleisch zusammennehmen würdest, würde es keine 20
mitkäl ausmachen. Wieso also wird in meinem Magen eine Perle
sein, deren Gewicht 20 mitkäl beträgt?“
No. 72. Die Erzählung in der Version von al-Tantavi.
Trnit6 de la langue arabc vulgaire, pp. 226/227.
Es erjagte ein Mann aus dem Stamme Israel eine Lerche,
und sie sprach: „Was willst du mit mir anfangen?“ Er ant¬
wortete: „Ich werde dich schlachten.“ Da sagte sie: „Bei
Gott, man wird mit mir keinen Kranken heilen und keinen
Hungrigen sättigen. Aber statt dessen will ich dir drei gute
Lehren geben, welche dir von größerem Nutzen sein werden
als mich zu verspeisen. Was die erste anlangt, so will ich
sie dir geben, während ich noch in deiner Hand bin, und was
die zweite betrifft, wenn ich auf den Hügel geflogen bin, und
was die dritte anlangt, wenn ich auf einen Baum geflogen bin.“
Er erwiderte: „Nun, wohlan!“ Sie sprach: „Trauere nicht über
etwas, was du verloren!“ Und als sie auf den Hügel entflogen
war, da forderte er sie auf: „Gib mir nun die zweite Lehre!“
Sie sprach: „Glaube nicht das, was unmöglich geschehen wird!“
Dann entflog sie und flog auf einen Baum und rief ihm zu:
„O du Elender, wenn du mich geschlachtet hättest, dann wür¬
dest du aus meinem Magen eine Perle hervorgezogen haben, die
zwanzig mitkäl wiegt.“ Da biß er sich auf die Lippen und war
traurig. Darauf sagte er zu ihr: „Gib mir nun die dritte
Lehre!“ Sie aber erwiderte: „Du hast ja schon die zwei ver¬
gessen, warum soll ich dir also noch die dritte geben? Sagte
ich dir nicht: Traure nicht über das, was du verloren, und siehe,
du trauertest über meinen Verlust; ferner sagte ich dir: Glaube
nicht das, was unmöglich geschehen wird!. Und du glaubtest
es trotzdem! Denn meine Knochen und meine Federn zusam¬
mengenommen wiege ich keine zwanzig mitkäl. Wieso also
wird in meinem Magen sein, was dieses Gewicht hat?“
No. 73. Die Erzählung in der awarisehen Version.
A. Schiefner, Awarische Texte, p. 101.
Der Mensch und der Vogel.
Ein Mensch hatte Schlingen ausgestellt und einen Vogel
gefangen. Es sprach dieser Vogel zu ihm: „Wozu bin (ich
dir nötig? Issest du mein Fleisch, wirst du nicht satt, komm
laß mich los, ich werde dir dafür drei Ratschläge geben, einen,
während ich noch in deinen Händen bin, zwei, wenn ich vor
dir auf dem Strauche sitze.“ Es willigte dieser Mann ein.
„Schau dich vor,“ sagte der Vogel, „was mit der Klugheit
nicht übereinstimmt, daran glaube nicht.“ Er ließ den Vogel
los. Kaum vor ihm auf dem Strauche sitzend, sagte der
Vogel: „Schau dich vor, bereue keine Sache, die schon vorüber
ist.“ „In meinem Innern,“ sagte der Vogel darauf, „ist Gold
von der Größe eines Eis, wenn du mich geschlachtet und dieses
Gold herausgenommen hättest, könntest du bis zum Tode lie¬
gend Nahrungsmittel erlangen.“ „O, vermaledeiter Tag!“ sagend,
biß er sich in den Finger. Der Vogel war im Begriff davonzu¬
fliegen. „War nicht die Bedingung, daß du mir drei Rat¬
schläge geben wolltest? Du hast mir aber erst zwei gegeben,“
rief er ihm nach. „Ich werde dir auch den dritten Rat geben,
wenn du auch die beiden vorher von mir gegebenen nicht an¬
zunehmen verstanden hast,“ sagte der Vogel; „ich selbst bin
nicht so groß wie ein Hühnerei, wie kann in meinem Innern
Gold so groß wie ein Hühnerei sein? Das sei dir der dritte
Rat!“ Nachdem der Vogel dieses gesagt hatte, flog er hinter
dem Hügel verschwindend davon.
327
Nachtrag;.
Der Herr Verleger macht .mich in sehr dankens¬
werter Weise darauf aufmerksam, daß auch ßückert
den Stoff bearbeitet hat. Diese Bearbeitung findet sich
in „Gesammelte Poetische Werke“ (J. D. Sauerländer,
Frankfurt a. M.), 3. Band, S. 239, unter den Brahmani¬
schen Erzählungen und trägt den Titel: Weisheit aus
Vogelmund. Bei der Beurteilung des Gedichtes wäre es
natürlich interessant zu wissen, ob Rückert mehr oder
minder getreu übersetzt oder ob er der orientalischen
Vorlage gegenüber selbständiger verfahren ist. Wie dem
auch sei, so viel ist sicher: Diese Bearbeitung ist am
nächsten mit jener der Disciplina clericalis verwandt.
Mit ihr hat sie insbesondere die Lehre gemein:
Gib aus den Händen nicht, was du in Händen hast!
Auch werden hier, wie in der Disc., wirklich drei Leh¬
ren gegeben, während in den übrigen orientalischen Ver¬
sionen nur zwei davon wirklich erteilt werden. Dis alte
Stufenfolge bei der Erteilung der Lehren (unterer Ast,
mittlerer Ast, Spitze des Baumes), von der sich in der
Disc. noch eine leise Spur findet, zeigt sich, freilich
verwischt, ebenfalls:
Die erste Lehre sang das Vögelein vom Ast:
Und weiter unten:
Die zweite Lehre gab das Vöglein aus dem Laube.
Ganz genau wie in der Disc. wird der Vogel schon vor
der ersten Lehre freigelassen. In der Gegenüberstellung:
Wie kannst du glauben, daß in meinem Magen liege
Zwei Pfund schwer ein Juwel, da ich zwei Lot
[nicht wiege?
geht Rückert mit der Bearbeitung des Nafhat al-Jaman
und jener im Anhang von Tausend und einer Nacht
etwas näher zusammen, als mit der Disc., die aber mit
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ihrem Passus: cum ego tota non sim tanti ponderis
ebenfalls nicht weit absteht. In ganz auffallenden Ge¬
gensatz stellt sich jedoch Rückerts Bearbeitung zur Dis-
ciplina wie übrigens auch zu den andren orientalischen
Versionen dadurch, daß die Nutzanwendung aus allen
drei Lehren gezogen wird, nicht nur aus zweien. Die
eigentümliche und sehr geschickte Weise, wie das ge¬
schieht, erinnert ganz merkwürdig an die Auffassung,
die sich zuerst im Lai de l’Oiselet findet.
Es möge nun Rückerts Text folgen.
Weisheit ans Vogelm/nni.
Der Vogelfänger fing bei seinem Vogelfang
Ein Vögelein, das sprach zu ihm mit Vogelsang:
Wenn du mich lassest fliehn und schenkest mir das Leben,
So will ich dir dafür drei gute Lehren geben.
Kr ließ es lachend los und sprach: Mich soll verlangen 5
Der Weisheit, die ich mag aus Vogelmund empfangen.
Die erste Lehre sang das Vögelein vom Ast:
Gib aus den Händen nicht, was du in Händen hast.
Hättest du mich erwürgt, so hättest du gefunden
In meinem Magen ein Juwel von zweien Pfunden. 10
Der Vogelsteller rauft die Haare sich vor Gram,
Daß solch ein großer Schatz so aus der Hand ihm kam.
Die zweite Lehre gab das Vöglein aus dem Laube:
Nicht alles, was dir sagt ein loser Vogel, glaube!
Wie kannst du glauben, daß in meinem Magen liege 15
Zwei Pfund schwer ein Juwel, da ich zwei Lot nicht wiege?
Der Vogelsteller senkt sein Haupt voll tiefer Scham,
Daß so leichtgläubige Begierd’ ihn übernahm.
Die dritte Lehre ließ das Vögelein vernehmen:
Um den entgangnen Fang sollst du dich niemals grämen. 20
Dem Vogelfänger taugt der Gram nicht noch die Scham;
Die beiden machen ihm zum Fang die Hände lahm.
Das Vöglein sang und schwang sich fort und blieb nicht länger,
Weil neu den Vogelfang anfing der Vogelfänger.
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