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Ludwig van Beethoven.
Erster Theil.
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DEC o- 1961
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Ludwig van Beethoven
Leben und Schaffen.
Von
Adolph Bernhard Marx.
In zwei Theilen mit chronologischem Verzeichniss der Werke
und autographischen Beilagen.
FOnfte Anflage,
mit Berücksichtigung der neuesten Forschungen durobgesehen und rermehrt
von
Dr. Gustav Behncke.
Erster Thell.
Das Recht der Herausgabe in englischer und französischer üebersetsung hat der
Verfasser sich Yorbehalten.
Berlin 1901.
Verlag von Otto Janke.
Entd Stat. Hall. London.
Seiner geliebton Gattin
Therese.
der beglückenden Gefährtin im Leben nnd in allem Schaffen
der Freundin
Seethovens, Sachs, JCandels, Glucks,
widmet dies Buch
der VerfasBer.
Vorwort
Deethoven schrieb im Jahre 1825 am 15. Juli aus der Sommer-
frische Baden bei Wien einen Brief an den Verleger Moritz Schlesinger
in Berlin, der mit einigen Auslassungen buchstäblich also lautet*):
„Mit grossem Vergnügen erhielt ich Ihre all-
gemeine Berl. Musik. Zeitmig, \md bitte sie mir selber
JTTimer theilhaftig zu machen, durch ZufeU geriethen
mir einige Blätter davon in die Hände worin ich den
geistreichen Hn Redakteur Hr. Marx sogleich er-
kannte, u. wünsche dass er fortfahre das Höhere und
wahre Gebiet der Kunst immer mehr aufzudecken,
welches gewinn fiir dieselbe sein wird, u. das blosse
Silbenzählen etwas in abnähme bringen dürfte. — auf
ihr Verlangen zeige ich ihnen an, dass ich ihnep
2 grosse neue Violinquartetten überlassen könnte" —
(folgt die Mittheilung der geschäftlichen Bedingungen, und
dann heisst es weiter): „gern werde ich ihnen auch zu-
weilen einen Beitrag einen Kanon oder d. g. zur
B. allg. Z. liefern wenn man es wünschen wird —
eilen sie mm mit der Antwort, damit (ich) grade diese
4tetten, welche ich wünschte, dass H. Marx zuerst zu
gesicht bekäme, bei ihnen in Berlin erschienen."
*) Veröffentlicht von Nottebohm, 2. Beethoyeniana 1S87.
Till
Wahrhaft seherische Worte des unsterblichen Tondichters,
der die ideale Geistesrichtung und die hohe Sendung des jungen
Musikschriftstellers Adolf Bernhard Marx frühzeitig klar er-
kannt hatte!
Diese Worte bedürfen keines erläuternden Zusatzes. Heute,
mehr denn 75 Jahre, seit sie verkündet, wo „Ludwig van
Beethoven Leben und Schaffen" fast 38 Jahre nach dem
Tode des Verfassers in fünfter Auflage erscheint, sollen sie seinem
Werke beim Uebertritt in das 20. Jahrhundert das Ehrengeleit
geben. —
Der Herausgeber hat im Sinne seiner früheren rein biogra-
phischen Nacharbeit auch diesmal als seine Aufgabe erachtet,
die neue Auflage, deren es bereits seit 2 Jahren bedurfte, nach
Kräften mit Eücksicht auf die thatsächlichen Ermittelungen der
neueren Beethoven-Forscher zu gestalten. AUerdings hat er dabei
die von Hermann Deiters verfasste zweite Auflage des ersten
Bandes der Thayerschen Biographie nicht im vollen Umfange seines
Wunsches verwerthen können, da sie erst erschien, als der
erste Band des vorliegenden Werkes schon in Druck gegeben war.
Er hat nur von dem Abschnitte „Was hat Beethoven in Bonn
komponirt" ausgiebigen Gebrauch machen können und mit auf-
richtigem Dank gemacht, und zwar im chronologischen Verzeichniss
der Kompositionen. Auch der Supplementband der Breitkopf-
Härteischen Gesamtausgabe der Werke Beethovens ist selbst-
verständlich für jenes Verzeichniss benutzt, wie auch die zweiten
Beethoveniana Nottebohms. Für die Darstellung des äusseren
Lebens aber hat er sich genöthigt gesehen, noch einmal auf den
2. und 3. Band Thayers zurückzugreifen und dabei besonders die
Abschnitte Julia Guicciardi, Therese Brunswick und Therese Malfatti
der Auffassung Thayers gemäss umzuarbeiten.
Eine entschiedene Bereicherung des Buches ist die Zuthat
eines Namen- und Sachregisters, das längst ein dringendes ße-
dürfniss war, und mit dessen Ausarbeitung sich eine befreundete
fleissige und umsichtige Hand Anspruch auf die Erkenntlich-
IX
keit des Herausgebers, des Herrn Verlegers und der Le?er er-
worben hat.
So mögen denn die Manen Beethovens dies Buch bei seinem
neuen Hervortreten segnen, wie des Lebenden Auge huldvoll über
dem aufstrebenden Jünger geleuchtet hat, ohne zu ahnen, dass
dieser einst als Biograph einer der vornehmsten Dolmetscher
seines Kunstschaffens und Propheten seines Ruhmes werden sollte.
Berlin, am 3. November 1901.
Gustav Behncke«
Torrede znr yierten Anflage.
Ueber den obersten Grundsatz, welchen ich als Herausgeber dieses
Werkes befolgen zu müssen glaubte, habe ich mich bereits in der
Vorrede zur dritten Auflage ausgesprochen. Derselbe hat mich auch
bei der Bearbeitung der vorliegenden vierten geleitet. Ich habe die
Ergebnisse der seit 1874 hervorgetretenen Beethoven-Literatur dem
Hauptzwecke dieser Biographie — den Künstler Beethoven aus
seinen Werken und Schicksalen zu veranschaulichen und seine
Stellung in der Entwicklungsgeschichte der Musik darzulegen —
dienstbar und fruchtbringend zu machen gesucht. Hat doch der
unterscheidende und werthbestimmende Charakter dieses Buches von
jeher darauf beruht, dass es zu den eingehenden Darstellungen,
welche das äussere Leben des Meisters gefunden, die nothwendige
Ergänzung bildet, indem es tieferen Einblick in die Werkstätte
seines Schaffens, in den Qeistesgehalt seiner Kompositionen und in
die kulturelle Bedeutung seines Erscheinens zu eröff'nen und so das
Unvergängliche an ihm gegenüber dem Vergänglichen ins Licht zu
setzen trachtet, — ein Streben, welches gerade um der Auffassung
willen, die Beethoven selbst über den Zweck seines Daseins und
über seinen Beruf in Wort und That kundgegeben, so will es mir
scheinen, historische Treue genannt werden darf. Denn wie hart
und oft ihn auch Noth und Sorge erfasst haben mögen, wie schwer
auch, in gewisser Beziehung Zeit seines Lebens, die Hand des
Schicksals auf ihm gelegen: wir müssen anerkennen, dass er auch
im Leiden die Natur eines ausserordentlichen Menschen nicht ver-
leugnet und der Gefahr einer den Geist erdrückenden Wirkung
XI
persönlichen Ungemachs seinen gewaltigen Willen in bewunde-
rungswürdiger Weise entgegengesetzt hat. Möge auch aus seinen
brieflichen und mündlichen Aeusserungen uns manche Klage,
mancher Schmerzenslaut entgegentönen, wir vernehmen darin nicht
den Ausdruck schwächlichen Verzagens oder trivialen Haders mit
seinem Loose, sondern im Grunde nur den angstvollen Mahnruf
an den Willen — nicht zu erliegen! Die Besorgniss, es könne
seine Thatkraft von aussen her gelähmt und die Verwirklichung
seiner künstlerischen Ideen durch den Kampf um die Existenz
bedroht werden, wollte zur Erleichterung des Herzens ausge-
sprochen, nicht verschlossen werden. Daher sein berühmtes Wort:
„Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen". Und er hat es
wahr gemacht, er hat das irdische Leid tief unter sich zurück-
gelassen, sein geistiger Lebensnerv ist ungeschädigt geblieben;
und wenn das Schicksal auf sein Schaffen eingewirkt, so hat es
dasselbe nicht gehemmt, sondern gehoben und geläutert wie seinen
Charakter. Es kann dies denen gegenüber nicht oft genug gesagt
werden, die den Einfluss äusserer Verhältnisse geltend machen
wollen, um die, äusserlich gemessen, geringere Produktivität der
letzten zwölf Jahre zu erklären, während man bedenken sollte, dass
die letzten Werke, je gewaltiger sie waren, desto längerer Zeit
bedurften, um auszureifen. Grade jenen Zeitraum durchzieht eine
Kette von Misshelligkeiten, üblen Erfahrungen und Prüfungen aller
Art-, aber nur die Oberfläche seiner Seele gerieth dadurch in Be-
wegung; die Tiefe blieb, wie die Meerestiefe, von aussen her un-
bewegt, ihre Strömungen folgten eigenen Gesetzen.
Der Darsteller eines solchen Lebens würde mit der Wirklichkeit
in Widerspruch gerathen, also unwahr sein, wenn er die Schilde-
rung der äusserlichen Erlebnisse überwuchern Hesse, wenn er durch
menschliche Theilnahme verleitet würde, den widrigen Geschicken
Beethovens eine grössere Wichtigkeit beizulegen, als sie in den
Augen des Betroffenen selbst und gegenüber der Energie seines
Wollens thatsächlich gehabt haben. Von dieser Ueberzeugung hat
sich Marx als Biograph führen lassen, der Bearbeiter seines Werkes
XII
würde sich gegen den Geist desselben versündigen und die Pietät
gegen den Verfasser verletzen, wenn er jenen seiner Beethoven-
Biographie wesentlichen Gesichtspunkt aufgeben wollte Ich hoffe
vor diesem schweren Fehler bewahrt geblieben zu sein.
Was nun die Aenderungen im Einzelnen betrifft, welche diese
Ausgabe erfahren hat, so ist zunächst eine Reihe von Berichtigungen,
besonders chronologischer Art, für nöthig befunden worden. An
vielen Stellen, wo von der Zeit des Hervortretens der Kompositionen
die Eede ist, werden sich die Spuren erneuter Durchsicht zeigen,
ins Besondere hat der Katalog der Werke (Anhangll) unter Wahrung
seiner allgemeinen Gestalt sich viele Korrekturen gefallen lassen
müssen. Man wird manches wichtige Werk nicht mehr an seinem
ehemaligen Platze wiederfinden, sondern einem früheren oder
späteren Jahre zugewiesen sehen; manchem Fragezeichen, welches
ehemals von der Unsicherheit der Datirung zeugte, w^ird man nicht
wieder begegnen, so manches freilich hat auch stehen bleiben
müssen — in Hoffnung genauerer Feststellung des Jahres. Denn
gerade auf diesem Gebiet« ist die Beethoven-Forschung immer noch
in Fluss begriffen, trotz der zahlreichen Aufklärungen, welche durch
den Scharfsinn und Fleiss des leider inzwischen aus dem Leben
geschiedenen Nottebohm gewonnen worden sind. Möge bald ein
geistig Ebenbürtiger in der Lage sein, seine Untersuchungen wieder
aufzunehmen und fortzusetzen. Denn über den hohen Werth fest-
stehender Daten hinsichtlich der Entstehungszeit der Werke kann
kein Zweifel sein. Um nur ein Beispiel anzuflihren — die Streit-
frage, ob die sogenannte erste Leonoren- Ouvertüre, welche erst
nach Beethovens Tode als Op. 138 herauskam, 1805 geschrieben
wurde, wie Schindler berichtet, d. h. in Wahrheit die erste ist,
oder ob sie erst 1807, d. h. als dritte das Licht der Welt er-
blickte,''^ wie die Neueren nach Nottebohms Vorgange annehmen, ist
nur scheinbar eine chronologische, in Wahrheit ist sie eine kunst-
wissenschaftliche, deren Entscheidung zu Gunsten des Jahres 1807
die Voraussetzung psychologischer Folgerichtigkeit im Kunstschaffen
arg erschüttern müsste. Indem ich schon in der vorigen Ausgabe
XIII
entgegen der Ansicht Nottebohms an dem traditionellen Jahre 1805
festhielt, war ich genöthigt, seine Begründung ausführlich zu wider-
legen und so Marx' Darlegung des inneren Wesens dieser Ouver-
türe, das sie in jeder Beziehung als die erste der Zeitfolge nach
erscheinen lässt, durch Beseitigung aller chronologischen Bedenken
von aussen her zu stützen. Die damalige, im Anhange gegebene
Abhandlung ist in einigen Punkten, wie ich glaube, nicht unwesentUch
verbessert, auch in dieses Buch übergegangen, natürUch nunmehr
an die ihr zukommende Stelle tretend. Sie schliesst sich unmittelbar
an Marx' Analyse der Ouvertüre an (I, 328 ff.).
Die Aenderungen sind ferner Erweiterungen, bald die Ent-
stehungsgeschichte der Werke, bald Persönliches betreffend. Die
Genesis eines Kunstwerkes wirft nicht selten ein Licht auf sein
eigen thümUches Wesen und hilft die endgültige Gestalt, in der es
auftritt, erklären, wie sie andrerseits uns einigermassen Gelegen-
heit giebt, den Meister im Schaffen, die Thätigkeit seiner künst-
lerischen Kräfte und die Mitbetheiligung seiner moralischen Eigen-
schaften zu beobachten. Nottebohm hat im Skizzenbuche vom Jahre
1803 die weiten und wiederholten Wandelungen beschrieben, welche
die Eroica, besonders im ersten Satze durchgemacht hat, ehe dies
wunderbare Gefüge sich ergab, das in seiner folgerechten' Durch-
flihrung und klaren Gliederung wie das Werk eines einzigen
Schöpfungsmomentes dasteht. Ich musste es mir versagen, jene
Ausführungen Nottebohms zu reproduciren, dagegen konnte ich nicht
umhin, der Veranschaulichung des Verlaufes der Leonoren-Arbeit
einen bedeutenden Raum zu widmen. Ich habe in den beiden diesem
Gegenstande gewidmeten Abschnitten des ersten Theiles alle Züge
zusammengestellt, welche die Entwickelung Beethovens als Opern-
komponist, die Schwierigkeiten und Hemmnisse auf seinem Wege
des Näheren zu erläutern schienen. Ich habe ferner Text und
Handlung der drei Bearbeitungen verglichen und auch auf die in
musikalischer Hinsicht wesentlichen Verschiedenheiten derselben auf-
merksam gemacht — wie ich hoffe, im Geiste des Verfassers, zum
Nutzen deutlicher Veranschaulichung seines treffenden Urtheils über
XIV
den weiten Abstand zwischen dem begeistert schaffenden und
kritisch nachbessernden Künstler, endlich zur Ehre und Verherr-
lichung der Charaktergrösse und Treue des unermüdlich nach Ver-
vollkommnung ringenden Beethoven selbst.
Von anderen Zusätzen, die der erste Theil erfahren hat, er-
wähne ich nur die ausführlichere Darstellung der Studien Beet-
hovens bei Haydn und Albrechtsberg er (S. 20 f., 25 ff.). Hier ist
es wieder Nottebohm, der Licht in eine dunkele Partie gebracht
hat. Erst durch seine Ermittelungen, die ein vollständiges Bild
vom Gange dieser Studien geben, wird es klar, dass Beethoven die
kontrapunktistische Belehrung Albrechtsbergers vorzeitig und un-
fertig verlassen hat und dass er aus diesem Grunde im freien
Schaffen von der sogenannten strengen Form, besonders der Fuge,
vorläufig noch keinen Gebrauch hat machen können und wollen.
Im zweiten Theile ist die erste Form des Andante-Themas
der CmoU-Symphonie, ferner der ursprünglich beabsichtigte Ab-
schluss des dritten Satzes und eine wahrscheinlich zum vierten
Satze bestimmte Skizze mitgetheilt (S. 67. 70. 71). Alles beweiset,
wie hoch Beethoven mitten in der Arbeit über seine ersten Inten-
tionen hinaus gewachsen ist. Gelegentlich der Pastorale habe ich
weitere Belege erbracht über die völlige Abneigung Beethovens gegen
äussere Tonmalerei (S. 98. 104 bis 108). Dahin gehört jene urkundlich
feststehende Aeusserung über die Mitwirkung der Goldammer im
zweiten Satze, die ihre Weise hergeben musste, damit der Meister
aus ihr seine holdesten Tongebilde entwickele; ferner eine von
Beethoven herrührende musikalische Notirung des Wasserrauschens,
die verglichen mit den Motiven und Rhythmen in der Scene am
Bache bezeugt, wie wenig naturalistische Tendenzen der Komponist
verfolgt hat.
Zu ausserordentlicher Freude hat es mir gereicht, aus der
Entstehungsgeschichte einiger Werke solche Momente beibringen zu
können, die der Auslegung des Verfassers dieses Buches eine äussere
Gewähr verschaffen. Ich weise in dieser Beziehung auf die wahr-
haft überraschende Nachricht hin, die uns über das Trio der A dur-
XV
Symphonie tiberkommen ist (II, 250 A.); auf die Uebereinstimmuno:
des von Marx bezeichneten Empfindungsgehaltes im Esdur-Quartott
Op. 74 mit dem gleichzeitigen persönlichen Gefühlsleben des Kom-
ponisten (II, 425) und vor allem auf die Sonate „les adieux".
Thayer hatte es nicht unterlassen können, Marx' Deutung zu vor-
höhnen. Nun ist der letzteren aus dem Staube der Skizzenbticher
glänzende Rechtfertigung geworden : es zeigt sich, dass die Widmung
der Sonate an Erzherzog Rudolph auf den Inhalt nicht im geringsten
eingewirkt haben kann, und wie richtig diesen Inhalt Marx getroffen
durch einfache, vorurtheilslose Hingabe an das Tongemälde selbst
(n, 192 A.).
Zwar nicht den Komponisten, sondern den Klavierspieler und
Klavierlehrer Beethoven geht an, was ich (II, 86 A.) über Passagen
zum Gdur-Konzert, die Beethoven mit Rücksicht auf die Erweiterung
der Klaviatur nachkomponirt hat; ferner aus Berichten Czerny's
über seine Klangstudien am Klavier und tiber seine Ansichten von
den Hauptpflichten eines Lehrers (II, 329 A. f.) mittheile — hoffent-
lich fiir die betheiligten Kreise willkommene Zugaben.
Auf dem Felde der äusseren Lebensgeschichte habe ich manche
Einzelheit aus der Jugendzeit nachgetragen, auch am Schlüsse des
Werkes; denn durch eine seltsame Verkettung von Umständen
sollte Beethovens GemUth an der Ausgangspforte des Lebens noch
einmal an die Interessen des Einganges gemahnt, und so das Bild
des Todes um manchen ergreifenden Zug bereichert werden. Im
Uebrigen habe ich den gesellschaftlichen Beziehungen Beethovens,
seinem Verhältniss zu Familie und Verwandten, namentlich den
Brüdern, zu den Freunden und Gönnern, endlich zu den Frauen,
soweit es zulässig und erforderlich schien, besondere Aufmerk-
samkeit gewidmet; nächstdem der oft so bedenklichen finanziellen
Lage, der gegentiber Charakter und schöpferische Thätigkeit um so
erhabener hervortreten; gelegentlich auch den Wohnungslaunen
unseres Helden, bilden sie doch eine Art tragischen Triebes in
seinem Leben, welches nach aussen hin ruhelos wogte und nur im
Schaffen innere Ruhe fand. Die Ruhelosigkeit seines Daseins wird
XVT
auch durch sein unbefriedigtes Suchen nach einer ehelichen Ver-
bindung illustrirt. Ich habe in dem das Verhältniss zu den Frauen
betreffenden Abschnitte eingehend Beethovens Heirathsplan von
1810 und die Theilnahme seiner Kunstthätigkeit an seiner damaligen
Stimmung erörtert. Einer theilweise neuen Betrachtung bedurfte
femer das Eingreifen Bettina's von Arnim in das Leben des
Meisters, besonders hinsichtlich der angeblichen Briefe desselben an
sie. Die Angelegenheit ist, so hoffe ich, nunmehr erledigt, und
zv^ar nicht zum Geringsten durch das Verdienst der Verlagshandlung,
die mit dankenswerther Bereitwilligkeit dem einzigen Briefe, welcher
der Sachlage nach auf Aechtheit Anspruch machen darf, durch
seine Facsimilirung zu äusserer Beglaubigung verhelfen hat.
Mit einem gewissen Bedauern erwähne ich, dass ich meine
Beiträge von Polemik gegen Thayer nicht ganz frei habe halten
können. Es war dies namentlich unmöglich bei der Darstellung
der Beziehungen Beethovens zu Mälzel, dem bekannten Erfinder
des Metronom. Thayers völlig unmotivirte Angriffe gegen das
moralische Verhalten Beethovens haben mir die Streitfeder in die
Hand gedrückt. Stillschweigen und Nichtbeachtung wäre mir als
ein Vergehen gegen die Manen des grossen Mannes erschienen.
Zu den musikalischen Beigaben ist die meines Wissens im
Buchhandel nicht zugängliche „Derni6re pensee" (I, 76 f.), der
schöne Anfang des nicht vollendeten Klavierkonzertes in D dur
(II, 90) und die Originalgestalt der in den Quartetten üp. 59 ver-
wendeten russischen Melodien (II, 38 A.) hinzugekommen.
So möge denn das Buch von Neuem hinausgehen und das
bleiben, was es durch seinen Verfasser bestimmt und befähigt war
zu sein — eine Leuchte durch die Wege, welche der Genius
Beethovens gewandelt ist. —
Berlin, am 16. September 1884.
Gustav Bebncke«
Aus dem Vorwort zur dritten Auflage.
Dir, tb eure Matter, die mich des Auftrages gewürdigt, des ver-
ewigten Gatten Werk über Beethoven für die neae Ausgabe vor-
zubereiten, sei das Ergebniss meiner Arbeit in Dankbarkeit und
Verehrung zugeeignet
Du empfängst das mir anvertraute Buch in theilweise erneuter,
auch an Umfang erweiterter Form zurück. In wie weit ich in Zu-
that und Aenderung das rechte Mass gehalten, wie wdt es mir
gelungen, meine Darstellung der des Verfassers harmonisch zuzu-
gesellen, überlasse ich dem Urtheil Anderer, insbesondere Deiner
Entscheidung. Mir liegt es nur ob, das Ziel zu bezeichnen, welchem
ich nachtrachtete, das Gebiet zu begränzen, auf welchem ich die
Thätigkeit des Herausgebers für berechtigt, beziehungsweise für
geboten hielt.
Beides ergab sich ebensosehr aus dem Geiste des Buches, wie
aus der Pietät für den Verfasser.
Marx war eine durchaus ideale Natur, die sich nach allen
Seiten, im Leben wie im Schaffen auf das Herrlichste geltend
machte. Wie er den Dingen des Alltagtreibens in Beziehung auf
seine Person nur einen verschwindend kleinen Raum gestattete,
und nur denjenigen Richtungen des Fühlens, Begehrens und Er-
kennens das Recht der Existenz zuerkannte, welche seinen Geist
einem höheren Dasein zuzuführen und zu erhalten vermochten, so
konnte er auch Niemand nahen sehen, ohne ihn durch seine
Idealität mächtig zu erregen und gleichsam weit über sich selbst
emporzuheben* Wohl hatte er für die äusseren Angelegenheiten
der Mitmenschen ein offenes Auge und Ohr, eine hülfsbereite Hand,
aber all' seine Theilnahme konzentrirte sich in dem acht humanen
Streben, mit dem Nahenden, sei es auch der Geringste, geistige
Fühlung zu erlangen, seine eigenthümliche Begabung zu erkennen,
die schlummernden Kräfte zu erwecken, die erwachten auf die
geeignete Bahn hinzulenken, kurz das Bewusstsein mit dem
begeisternden Glauben an eine edlere Bestimmung und Beföhigung
zu erfüllen«
IVTTI
Ein solcher Mann konnte auch im vorbereitenden Umgange
mit Geisteshelden, deren Leben er darstellen trollte, nicht zweifel-
haft sein, welchen Seiten ihrer Person er seine Aufmerksamkeit
vorzugsweise zuzuwenden hatte; er musste seine Aufgabe als
Biograph im höchsten Sinne erfassen, das heisst bestrebt sein, ein
geistiges Bild des Helden zu gestalten.
Wohl hat Marx seinen Beethoven geliebt, und den Lebensgang
des grossen Künstlers bald in den wenigen heiteren Zügen, die er
bietet, bald in dem unendlich reicheren Gehalt an tragischem Ge-
schick als mitfühlender Freund begleitet, aber auch an seinem Lieb-
ling in der Kunstgeschichte hat er Gerechtigkeit geübt, hat ge-
schieden zwischen dem, was an ihm vergänglich war und dem, was
den Tod überdauert. Dies Unvergängliche festzuhalten, den Kunst-
jüngern, allen geistesdurstigen Menschen überhaupt zur Belehrung
und Erbauung, erachtete Marx für seinen Beruf.
Daher stellte er in den Vordergrund seines Werkes den Genius
Beethovens, zu dessen Erkenntniss und Würdigung Niemand be-
rufener war als er, der den tondichterisch gestaltenden Künstler
mit dem erkenntnissvoUen, der ewigen Naturgesetze der Kunst klar
bewussten Theoretiker in sich vereinigte.
Gleichmässig ausgerüstet, seinen Gegenstand durch unmittel-
bare Intuition wie durch wissenschaftlich begründetes Kunsturtheil
zu erfassen, dringt er tief in den Geistesorganismus seines Helden
und in die Geheimnisse seines Schaffens ein — zeigt er uns an
dem Inhalt seiner Hauptwerke die eigenthümliche Begabung, Grund-
richtung und Berufung Beethovens, seine Einheit mit den Vor-
gängern und seine Verschiedenheit von ihnen, sein freies Walten
innerhalb der überlieferten Kunstformen, wie das Hinausschreiten
über dieselben, wo es der künstlerische Zweck, die Erweiterung
und Vertiefung des in Tonen darzustellenden Inhalts verlangte —
legt er uns endlich das auf psychische und physische Motive
basirte Gesetz dar, nach welchem sich die schöpferische Thätigkeit
Beethovens so wie es geschehn und nicht anders entwickeln musste.
Dass für ein solches Geistesbild auch dem Menschen Beethoven
Züge entlehnt werden mussten, versteht sich von selbst. Sind doch
Künstler und Mensch nur eine Persönlichkeit, und ist doch das
XIX
Ideal, dem der Känstler oacbstrebt, durchaus bedingt durch den
Charakter des Menschen, der seinerseits wieder das Ergebniss von
Naturanlage und Lebensschicksal ist. Aber so unzweifelhaft diese
Thatsache ist, so nothwendig ergab sich für Marx aus ihr der Um-
fang, in welchem das rein biographische Material für die Darstellung
verwerthet werden durfte. Nur solche Züge durfte er aufnehmen,
welche den Künstler und seine Werke erklären, welche die lebendige
Wechselwirkung zwischen jenen beiden Faktoren der Beethovenschen
Persönlichkeit zur Anschauung bringen, fern halten jedoch alle Mit-
theilungen aus denjenigen zahllosen Einzelheiten des äusseren
Lebens, welche Phantasie und Denken des Lesers nur zerstreuen,
das Wesentliche der Erscheinung Beethovens nur verdunkeln könnten.
So bezeichnet denn Marx' Beethoven in Rücksicht des er-
strebten und erreichten Zieles einen Höhepunkt, einen Moment des
Abschlusses und der Vollendung auf dem Gebiet der Beethoven-
literatur. Mittler wollte Marx sein zwischen dem Künstler und
seinen Freunden, zwischen dem schaffenden Genius und den
empfänglichen Geistern, zwischen dem neben Sebastian Bach
deutschesten aller Tondichter und dem gebildeten Theile des
deutschen Volkes. Und er ist es geworden durch die Tiefe seiner
eigenen Erkenntniss, durch die Kraft und Schönheit seiner Darr
Stellung, welcher der Künstlergeist des Darstellers aufgeprägt ist.
Seit dem Erscheioen der zweiten Auflage sind zwölf Jahre ver-
gangen, ein Zeitraum, in welchem überwiegend die äussere Seite
von Beethovens Leben an Männern wie Thayer, Nottebohm und Nohl
rührige, mit Scharfsinn und Gründlichkeit verfahrende Bearbeiter
gefunden hat, denen gleichwohl als letztes Ziel ebenfalls die Ver-
anschaulichung des Künstler Beethoven vorgeschwebt. Nur haben
sie den umgekehrten Weg eingeschlagen. Während Marx Beethoven
vor Allem aus dem Innern seiner Werke zu erfassen und jeden
Charakterzug, den das äussere Leben des Tondichters bot, dem aus
den Werken gewonnenen Bilde von der Struktur seines Geistes ein-
zufügen getrachtet — haben Jene von aussen einzudringen gesucht,
haben sich an die Stätten seiner Wirksamkeit begeben, bei noch
lebenden Zeitgenossen, Freunden oder Verwandten Beethovens, in
den Bibliotheken, in den Archiven der Musikgesellschaften und
XX
Verleger naebgeforscbt, um dareb Feststellung jeder, auch der
einzelosten und kleinsten Thatsache bestimmte Standpankte für den
Einbliek in den Kern der Beethovenseben Individualität zu gewinnen.
Marx' Arbeit war vorwiegend kfinstleriscber, knastphilosopbiseber
Nator, die der Neueren bistoriscber. Wie Marx sieb den Letzteren
gegenüber bei einer neuen Bearbeitung seines Buches verhalten
haben würde, ist ausser Frage. £r hätte ihre Ermittelungen, so-
weit sie thatsächliche Berichtigungen sind, dankbar aufgenommen,
insofern dieselben aber darüber hinaus eine Vermehrung des bio-
graphischen Stoffs bieten, würde er sie an dem Geiste seines
Bucheo, an der idealen Aufgabe eines Biographen überhaupt ge-
nossen und von dem Auafall dieser Prüfung ihre Aufnahme in sein
Buch abhängig gemacht haben.
Was der verewigte Verfasser gethan haben würde, habe ich
statt seiner zu thun unternommen.
Vor mir lag ein reiches, durch die neuere Forschung aufge-
häuftes Material, ausschliesslich chronologisch-biographischen Ge-
halts! Ich habe mit Rücksicht hierauf das vorliegende Buch durch-
gesehn, jede auf diesem Gebiet als unrichtig erkannte Stelle ver-
bessert, im Uebrigen mich aber bemüht, mit Marx' Auge Auslese
zu treffen, AUes zu prüfen, das Gute, in Marx' Sinne Gute zu be-
balten und es an passender, den Künstler und Menschen m&glichst
zugleich beleuchtender Stelle einzuflechten. Dass hierbei mit thun-
lichster Schonung des ursprünglichen Textes verfahren ist, dass vor
Allem der gleichsam geheiligte Kern des Buches, die Charakteristik
des Künstlers und seiner Werke im Vergleich zur zweiten Auflage
völlig unverletzt und unverfälscht erhalten ist, bedarf wohl kaum
der ausdrücklichen Erwähnung. Aber dies Eine muss ich im Hin-
blick auf Marx mit freudiger Genugthuung aussprechen: Unter
allem Neuen, was die historische Richtung über den Charakter und
die Werke Beethovens mittelst archivarischer Forschung zu Tage
gefördert hat, hat sich auch nicht eine Tbatsache gefunden, die
der Marxischen Grundauffassung vom Künstler und Menschen
Beethoven widersprochen, ihr nicht vielmehr zur herrlichsten, gleich-
sam urkundlichen Bestätigung gereicht hätte.
XXI
Ich Bchliesse mit einem Wunsche, dessen Erffillang der wohl-
thnendste Lohn meiner Arbeit sein würde. Möge das Bach sich
auch in seiner neuen Ausstattung die Theilnahme und den Beifall
der musikalischen Welt bewahren und möge der theilweise erneuerte
Rahmen das von Marx entworfene Geistesbild Beethovens nur
schöner und leuchtender hervortreten lassen.
Berlin, Ende September 1874.
Gustav Behncke.
Yorwort zur zweiten Auflage.
l/asR dies Bach über Beethoven schon nach verhältnissmässig
kurzer Zeit zu einer zweiten Auflage gelangt ist, erfüllt in der That
mich mit reiner Freude. Denn ich erblicke zwar in dem Ereignisse
Bestätigung meines Strebens, aber noch viel mehr und viel er-
hebender den Ausdruck jener Theilnahme und Verständniss für den
idealsten Tondichter, durch welche unser Volk sich selbst ehrt und
erhebt. Wenn mein Werk irgend eine Bedeutung hat, so ist es
die, sich im Einklang mit diesem Volkessinn dem Tondichter in
Lieb^ und Verehrung zugewendet zu haben. Nicht anders wüsst'
ich zu deuten, dass mir seit dem Erscheinen des Buches von
Freunden und unbekannten Beiträge zur Bereicherung desselben
zugeflossen sind, die jetzt der neuen Ausgabe zu statten kommen.
Vermag ich auch nicht Allen zu danken, so will ich doch neben
Herrn Bibliothekar Espagne, der mir mit der schätzenswerthesten
Einsicht und unermüdlicher Bereitwilligkeit beigestanden, Herrn
Hausfelder, Lehrer an der Garnisouschule zu Eosel, für schätz-
bare Briefe Beethovens, Herrn Professor Moscheies für seinen
Beistand zur Aufklärung der vielberufenen Bettinen- Beethoven-Briefe,
Herrn Artaria in Wien für Mittheilnng der vollständigen Partitur von
König Stephan, HerrnMoritz Schlesinger für biographische Notizen
und Autographen meine lebhafteste Erkenntlichkeit aussprechen.
XXII
Wieweit diese Gaben nnd die Betbeilignog, die der Gegenstau d
meines Bnchs ihm erworben, der nenen Ausgabe zn statten ge-
kommen, baben Andre zn beurtheilen. Ich selber bin mir nur der
fortdauernden Liebe zur Sache bewusst und des unablässigen
Strebens, in der Erkenntniss meines Gegenstandes vorzudringen
and meiner eigentlichen Aufgabe genugzuthnn, die keine andere ist,
als: den Künstler aus seinen Werken zu erkennen und
diese aus seinem Wesen und Leben zu begreifen.
Allerdings ist der Künstler zugleich Mensch; allerdings sind
die menschlichen Verhältnisse und Erlebnisse des Künstlers unserer
Theilnahme um so viel näher gerückt, als er uns durch seine Werke
vor andern Menschen lieb und theuer ist. Diese Theilnahme am
Menschen im Künstler ist zu naturgemäss, besonders für das Ge-
müthsleben des Deutschen, als dass sie versäumt werden dürfte.
Vielleicht wird man in der zweiten Auflage noch mehr als in der
ersten gewahr werden, dass auch der Mensch Beethoven, nicht blos
der Künstler dem Herzen seines Biographen nahe gestanden; sind
denn beide nicht ein einiges untheilbares Wesen? Sind denn die
Werke nicht, ist nicht das ganze Künstlerthum aus dem Menschen
hervorgetreten und in seinem Wesen bedingt? Gerade bei Beethoven
tritt der Einfluss seiner Erlebnisse und Zustände — man denke
nur an seine Taubheit — heller und schlagender hervor, als bei
der Mehrzahl der Menschen.
Allein der Mensch Beethoven ist noch nicht der Künstler
Beethoven. Es handelt sich ihm gegenüber nicht um ein „Gemälde
des menschlichen Herzens*^ und Schicksals, sondern um ein
Abbild des wattenden Genius, wie er eingeboren ist gleich uns
allen in die allgemeinen kreatürlichen und gesellschaftlichen Zu*
stände, sein Haupt aber emporhebt in das leuchtende Blau der
Himmel, — und von dort her räthselvolle Worte herüberbringt,
die zu verstehn unser Sehneu ist und unser HelL Hier deutend,
hier vermittelnd einzutreten, ist Aufgabe der Künstlerbiographie.
Ohnedem muss sie von jedem Boman übertroifen werden. Denn
nichts kann und muss einfacher, äusserlich ärmer sein, als der
Lebenslauf solcher, deren Leben nach innen gekehrt ist*
Nach dieser Anflchaunng hat sich schon die erste Ausgabe des
xxiir
Beethoven gestaltet, jetzt die neue. Sie ist biographisch bereichert
worden, aber doch nur so weit, als der Einblick in den Menschen
und seine Schicksale den Künstler deutlicher und liebenswürdiger
hervortreten Hess. Und wenn allerdings in den neu hinzu-
gekommenen Momenten aus dem Leben Züge sich fiuden, die tief
in jedes fühlende Herz greifen, andre, die mit der Helligkeit und
Schnelle des Blitzes Streiflichter auf verheimlichte Partien dieses
merkwürdigen Lebens werfen: so mag ich doch nicht bergen, dass
alles, was zur Aufklärung dieses Eünstlerthums, seines Wachsens
und Ausgehns hat neu erforscht und entwickelt werden können, —
als Beispiel diene die vervollständigte Behandlung der Quartette, —
mir als das Gewichtvollere erscheinen will für Künstler und solche
Kunstfreunde, denen daran gelegen sein muss, die Werke des
Meisters, ans ihnen sein künstlerisches Walten und seine Bedeutung
in der Kunst, und damit endlich das Wesen der Kunst selbst
immer tiefer und sicherer zu erfassen. Nur zu diesem Zweck ist
die Betrachtung der Werke weit über den Kreis der ersten Aus-
gabe hinaus erweitert und namentlich das einzige „Schauspiel mit
Chören^, das Beethoven geschrieben, hinzugezogen worden, obgleich
es zur Zeit noch gar nicht veröffentlicht ist.
Um Baum zu gewinnen, ist der in erster Ausgabe mitgetheiite
Anhang über den Vortrag Beethovenscher Klavierwerke, der ohnehin
ungebührlich hat eingeschränkt werden müssen, ganz ausgeschieden
und erscheint unter dem Titel „Anleitung zum Vortrag Beet-
hovenscher Klavier werke ^ als selbständige Schrift, der wenigstens
räumlich die Möglichkeit gegeben ist, ihren Zweck zu erfüllen.
Das Opfer der Dankbarkeit, das wir alle dem Verewigten
bringen, es werde zugleich Aussaat für die Zukunft der Kunst und
unseres Volkes.
Berlin, am 18. Oktober 1862.
Adolf Bernhard Marx.
Inhalt des ersten Theils.
Seite
Beethoven 1
^>
Joflend
Abkunft. Familienleben ; Vater und Grossvater. Erster Unterricht;
Pfeifer, van der Eden, Neefe. Neefo's Einfluss. Erste Kompositionen.
Der juDge Beethoven Organist und Mitglied der kurfdrstlicben Kapelle.
Graf Waldstein: Ritterballet. Virtuosität. Sterkcl. Schulbildung;
Unterrichtgeben. Familie Breuning (cf. 11 Ausgang). Besuch bei Mozart.
Tod der Mutter. Uaydn in Bonn.
Lehrjahre 19
Abschied von Bonn. Beethovens Stammbuch. Ucbersiedelung nach
Wien. Zmeskall erster Freund und Mentor. Aufenthalt und Studien
in Wien auf Kosten des Kurfürsten Max Franz. Haydn als erster
Lehrer. Schenk. Albrechts berger tritt an Haydns Stelle. Einfluss
Uaydns und Albrechtsbergers. Seyfrieds irreführendes Buch. Notte-
bobms Forschungen über Beethovens Studien. Strenge und freie
Form, Formlosigkeit. Salieri, Kraft, Linke, Punto, Friedlowsky,
Krumpholz als Nebenlehrer. Fürst Lichnowsky. Van Swietens
Haus. Ausnutzung des jungen Künstlers. Der Bonner Freund
Wegeier in Wien. Verehrung für Händel.
In die Welt 35
Körperkonstitution und Charakter des jungen Beethoven. Die Bio-
graphen, bez. Kritiker Fetis, Lenz, Onlibicheff, Schindler. Fürst
und Fürstin Lichnowsky. Rasumowsky. Schuppanzigh und der
unter seiner Leitung stehende StroichquartettvereiD, Beethovens Bc*
theiiigung dabei. Beethovens freie Fantasie. Himmel. Louis Ferdinand.
Wölffl. Hummel. Steibelt. — Anregung zur Quartettkomposition.
Die VorQäDger 49
Händel, Seb. Bach, Haydn, Mozart. Ihr Einfluss auf Beethoven.
Gluck. Mehul. Cherubini.
xxy
Seite
Die kleiaen Arbeiten e3
Jugendarbeiten: Erste Sonaten, Quartette, Trios, Variationen.
Geb'nek. Vierhändige Märsche Op. 45. Arbeiten auf äusseren Antrieb,
nicht aus innerem Drange unternommen. Edition von Jugend-
verken in der Zeit grösserer Reife. Variationen Op. 34 und Op. 35.
Sonate zu vier Händen. Die Lieder Op. 52. Die Sonaten Op. 49
undOp. 79. Bagatellen Op. 33, Op. 119,0p. 126. Demiere pens^e
musicale uod ihre Deutung. Die Variationen in Gmoll. Die Idee
der Variation und Beethoven. Aus welchem Standpunkt sind die
kleinen Arbeiten zu beurtheilen?
Der Eintritt in die Laufbalin §4
Lebensrichtung Beethovens im Vergleich mit der Mozarts und Haydns.
Ziel der letzteren. Ihre Klaviermusik. Ihre Symphonien. Beethoven»
Charakter, Unabhängigkeit gegen die. Kritik und die Klaviermeister.
Die Klaviertrios Op. 1 und Op. 11; das Klavierquintett Op. 16. Be-
denken gegen die Verbindung des Klaviers mit andern Instrumenten.
Das Scherzo. Bedeutung der Drei- und Vierzahl der Sätze. Idealer
Charakter des Klaviers. Sonaten Op. 2. Die Quinte in der Entwicke-
lang des Tonsystems. Bedeutung der Menuett Sonaten mit Violon-
cellOp. 5. Reisen nach Berlin und Prag. Gesangmusik; Scene Ah
perfido, Op. 65. Die Lieder Op. 75, Op. 83, Op. 82, Op. 32, Op. 46.
Daraus besprochen: Mignon, das Duett Odi l'aura, Adelaide, Neue
Liebe neues Leben. — Die vierfache Komposition der Sehnsucht von
Goethe.
BeetiioveDS Stellung 122
Czemy's Urtheil. Lichnowsky's Haus. Pekuniäre Unterstützung durch
Lichnowsky. Vorübergehende Entzweiung mit dem Letzteren. Beet-
hovens Sinnesart. Theilnahme an Politik. Unabhängigkeit und Selbst-
gefühl. Unterrichtslast, Erzherzog Rudolf. Seine Freunde. Der Adel.
Zmeskall. Briefe an Zmeskall. Liebe zu Julia Guicciardi. Cis moll-
Sonate. Lösung des Verhältnisses zu Julia. Es dur-Sonate, Op. 27.
Christoph und Stephan von Breuning, Wegeier. Popularität, das
Publikum, die Verleger, die Kritik. Behandlung geschäftlicher An-
gelegenheiten. Beethovens Schaffen, quantitativ gemessen; Werke
mit und ohne Opuszahl; die Uebertragungen. Beethoven Ferdinand
Ries' Klavierlehrer, nachsichtig gegen Fehler der Technik, streng
gegen Mangel an Ausdruck. Lebensweise; Gewohnheiten. Lust
am Spazieren und Umherschweifen. Dabei immer Arbeit; Notizbücher.
Dnt Verhängnlss 2^^
Schwinden des Gehörs. Selbstmordgedanken. Vereinsamung. Kon-
versationshefte. Argwohn und Reizbarkeit. Nachtheil für Spiel und
Direktion. F^is' und Oulibicheffs Irrthümer. Einfluss der Schwer-
hörigkeit auf Komposition. Grössere Fähigkeit für die Wahrnehmung
tiefer Töne. Urphänomen des Tonlebens. Urtheil des Professors
der Ohrenheilkunde A. Lucae. Sonaten Op. 7, Op. 10. Sonaten
Op. 14. Beethovens Eriäuterungen über sie. Unfruchtbarkeit rein-
formaler Betrachtung und willkürlicher Deutung. Sonate Op. 13.
XXVI
SeiU
Sonaten Op. 22, Op. 54, Op. 53. Tonspiel. Andante favori. Sonaten
Op. 26, Op. 28, Op. 31. Das Resitatiy in der Instrumentalmosik.
Psychologische Entwickelung in der Musik.
Cheriseh« Werke 193
KonEerto Op. 15, 19, 37. Charakteristik des Konzerts. Qaatuors Op. 18.
Charakteristik des Qaartctts. Haydns ond Mozarts Quartette. Quintett
Op. 29. Septuor Op. 20. Das Ballet Prometheus. SymphonieCdur
Op. 21. Beethovens Orchester. Oulibicheffs Irrthümer und Lenz*
Sommersprosse. Mozarts C dur-Symphonie. Berlioz. Symphonie
D dar Op. 36. Das typische Finale. Schmeiz und Seligkeit neben
einander. Das Heiligenstadter Testament. Heiligonstadt.
Heldenweihe . 235
Beethovens Anerkennung bei den Musikfreunden. Die Kunstgenossen.
Clement!. Spohr. Romberg. Die alte Kritik; Spazier, Albrechts-
berger, Beethovens Verhalten dagegen. Oiatorium Christus am Oel-
berg. — Beethovens Republikanismus. Sinfoniaeroica. Zorn gegen
Napoleon, den Verräther der Republik. Idee der Eroica: die Schlacht
als Idealbild, nicht eine bestimmte Schlacht. Die Ausführung.
Die Sinfenia ereica und die Idealmusik 265
Musik als Tonspiel. Gefüblssphäre der Musik. Dramatik und Objek-
tivitftt in der Instrumentalmusik. R'chard Wagners Auslegung der
Eroica. Goethe's Wort über Beethoven. Beethovens Auslassung über
den zweiten Satz. Oulibicheffs Auffassung. F^tis. Berlioz. Fran-
zösische Hypothese.
Die Zukunft ver dem Ricbteretulil der Vergangenheit 282
Der Fortschritt des Geistes. Ries. Die Kritik. Berlioz. Lenz. Oull-
bicheff-Thersites.
RQck- und Unechau 291
Tonspiel. Das Tripelkonzert Op. 56. Horn-Sonate Op. 17. Sonaten
mit Violin Op. 30. Charakterentwickelung in Beethoven. Melodie,
Rhythmus, Modulation. Energie, als Grundzug seines Charakters.
Vergleich mit Händel. Sonate mit Violin Op. 47. Fantasie Op. 77.
Noch einmal die Formfrage. Mehrheit der Sätze, das Scherzo. i
Gellerts Lieder, Op. 48. Beethovens Glaubensartikel. >
Leenore 305
Der Musiker und die Oper. Gluck und seine Nachfolger. Beethovens
Standpunkt. Ungewollte Konkurrenz mit Cherubini. Erster Versuch
der Opern komposition im Jahre 1803. Nachgelassenes Gesangstück
aus dieser Zeit. Das Jahr 1804. Das Skizzenbuch von 1802/1804.
Sonnleithner liefert den Text zu Leonore. Die französische Oper
Leonore von Pierre Gaveaux, die italienische von Paer. Das Opern-
gedieht Leonore; sein Lebenspunkt für Beethoven. Leonore, Ideal
des deutschen Weibes. Eleonore von Breuning. Das Klcin-
leben in der Oper. Die erste Ouvertüre, Op. 138. Sie wird
zurückgelegt. Missverständniss über Originalität. Wann ist die
Ouvertüre Op. 138 komponirt? Zurückweisung des Jahres 1807,
XXVII
Seite
Widerlegung Nottebohms. Es ist an dem überlieferten Jahre 1805
festzuhalten aasftusBeren und inneren Gründen. Zweite Ouvertüre.
Erste Gestalt der Oper. Sie fällt Die Kritik,- Oherubini. Umge-
staltung der Oper; Dritte Ouvertüre. Die Oper hat in der neuen
Gestalt Erfolg, wird aber von Beethoven abermals zurückgezogen.
Beethovens Argwohn und Empfindlichkeit. Stephan von Breuning,
der treue Freund, befangen in Beethovens Auffassung. Der Titel:
Leonore oder Fidelio?
Lebte Uageetaltung der Oper 351
Das Jahr 1814. Umgestaltung des Textes durch Troitschke. Beet-
hovens Unverdrossenheit und Treue. Vierte Ouvertüre. Dritte
Vorführung der Oper. Grosser Erfolg. Die zwei Opernprinzipe, das
Glucksche und das Mozartische. Beethoven, der Nachfolger Mozarts.
Charakteristik der Beethovenschen Oper. Der ursprünglich ge-
staltende und der umgestaltende Beethoven. Vergleichung der ^ei
Partituren. Die vier Ouvertüren. — Gehäufte Anträge zu neuen
Opern; Opempläne bis zum Tode.
Beethoven.
l/as Leben des Mannes sind seine Thaten, des Künstlers seine
Schöpfungen. Die äusserlichen Vorgänge, Zustände, Verhältnisse
sind nur Träger und allerdings Bedingungen jenes eigentlichen
Lebens; sie können an sich unbedeutend erscheinen, ja, bei Männern
geistiger That können sie kaum anders, da der innerlichen Arbeit
nicht Wechsel und Bewegung, sondern Einfachheit und Stille des
äusserlichen Daseins gemäss sind. Bei wem aber wäre dies zu-
treffender, als bei dem Tondichter, dem nicht blos das Schaffen ein
innerlicher Vorgang ist, sondern auch der Gegenstand des Schaffens ?
Dem Maler bietet sich die schaubare Welt ringsumher mit ihrer
Gestaltfülle, mit ilirem Licht- und Farbenzauberapiel als Stoff
seines Schaffens ; der Musiker muss diese Welt in sein Inneres hinein-
nehmen, um aus ilim heraus sie neubeseelt Wiederzugebären.
So war es Nothwendigkeit , dass das Leben des innerlichsten
Tondichters, Beethovens, nach aussen sich am stillsten und ein-
fachsten gestalte; nicht jene bunten Reisebilder hat es aufzuweisen,
die Händeis und Mozarts Jugend in Italien, Frankreich, England
erheiterten, nicht den Kampf zweier Volks- und Kunstprinzipe, der
— noch heute unentschieden — um Glucks hohe That die geist-
reichsten Köpfe Frankreichs gegen einander schaarte, seine Spaltung
in den Hof imd das königliche Paar hineinriss. Nicht jenen behagens-
und schimmervollen Ueberfluss kennt es, in dem Spätere geboren
wurden, oder den Andere zu erwerben und zu gemessen verstanden.
In unscheinbarer Enge begann Beethoven seinen Lebenslauf. Be-
sitzlos in die Welt hinaustretend, unerzogen fUr die Welt, lernte er
nicht, zu besitzen und sich ein sicher freies Dasein zu bauen. Damit
seine Sendung sich vollziehe, musste noch ein unheimlich Geschick
in den innem Organismus zerstörend eingreifen, tiefste Stille, Ein-
samkeit von innen heraus um ihn her auszubreiten.
Marx, Beethoven. L 1
Nichts ist liier Zufall oder Schuld; nirgends vielleicht hat sich
der nothwendige Einklang der Lebensverhältnisse mit der Lebens-
bestimmung klarer herausgestellt, als an diesem Beethoven. Was
Andere gehemmt und gebunden hätte flir immer, ihn musst' es
stählen und freimachen; diese Stille des Lebens, in der Andere
verdumpfl wären, für ihn belebte sie sich mit Gesichten, mit
Schmerzen und Entzückungen iiberschwänglicher Fülle und unab-
sehbaren Wechsels; selbst jene Zerrüttung, die jeden andern Musiker
tückisch gleich zaubergewaltigem Fluch innerlich ertödtet hätte,
geheimnissvoller Segen ward sie ihm, unverstandene Weihe für den
in ihn gelegten Beinif. Dieser Segen hat in ihm gewebt und
gearbeitet, unbegriffen und qualvoll wie das eisenie Joch auf dem
Nacken des Propheten. Sicherlich hat er ihn auch gelabt mit
Ahnungen und Bestätigungen, wie sie nur dem Künstler zu Theil
werden.
Schliesst nun dieses äusseriich so einfache, oft so getrübte
Leben eine Ueberfülle geistiger Anschauungen und Thaten in sich,
vollbringt die Tonkunst in ihm einen jener Momente, in denen das
Alte sich vollendet und aus ihm die neue Idee verklärend empor-
schwebt: so darf man voraussehn, dass auch das an sich Unschein-
bare, vom Geistesstrahl getroffen und durchdringen, seine wahre
Bedeutung und Würdigkeit empfangen wird.
Jugend.
Ludwig van Beethoven ward seinem Vater Johann, einem
Sänger in der Kapelle des zu Bonn hoflialtenden Kurfürsten Max
Friedrich, Erzbischofs von Köln, Mitte Deccmber 1770 geboren.*)
Der Vater, unnihig und unbefriedigt in seiner dunkeln, kümmerlich
*) Ein von der Bonner Mairie im Jahre 1810 ausgestellter Taufschein be-
zeugt, dass B. am 17. Decbr. 1770 getauft worden ist. Für den Tag der Ge-
burt existirt eine amtliche Beglaubigung nicht. Doch da in der damals rein
katholischen und einem geistlichen Fürsten uuterthänigen Stadt die Taufe mit
fast ängstlicher Eile der Geburt folgte, so dürfte der Tag der letzteren der
16. December gewesen sein.
ausgestatteten Stellung, hatte sich wenigstens den allgemeinsten
Lebenstrost, die Ehe, nicht versagen mögen; er hatte am 12. No-
vember 1767 die Wittwe des kurfürstlichen Kammerdieners Laym,
die damals einundzwanzigjährige kräftige Maria Magdalena Keverich
heimgeführt. Sie gebar ihm am 2. April 1769 einen ersten Sohn,
der bald nach der Geburt verschied, dann den Ludwig, dann, am
8. April 1774, einen dritten Sohn, Kaspar Anton Karl, und am
2. Oktober 1776 den vierten, Nikolaus Johann.*) Drei später
geborene Kinder starben in frühester Jugend.
Da sass nun der arme Musikus mit dem für seine Mittel viel zu
zahlreichen Hausstande in seiner engen, dunklen Wohnung im Graus'-
schen Hause in der Bonngasse, **) in ängstigender Dürftigkeit, aus
einer Verlegenheit in die andere fallend, oft am Nothwendigsten
Mangel leidend. Gutmüthig von Natur, reizbar, wie Musiker eben
sind, gedrängt und gestachelt durcli unablässige Noth, ward er her-
ausfahrend gegen die Seinigen, zum Jähzorn geneigt, dann wieder
durch den Anblick der Kinder und den Zuspruch der guten, ver-
ständigen Gattin leicht beschwichtigt und erheitert; in schlimmsten
Tagen suchte der Arme Trost und Vergessen im Glase. War Euhe
im Haus' und übte er sich am Klavier im Gesänge, so blieb Ludwig
— kaum vierjährig — gewiss nicht fern ; kein Spiel und kein Spiel-
gesell hielt ihn dann ab, er musste zum Vater. Da drängt' er sich, so
nah' es ging, an seine Seite, lauschte still und bewegimgslos und
ernst dem Gesang, der ihn entzückte, und bat, so oft der Vater
schliessen wollte, so eindringlich und unwiderstehlich, nur noch ein
klein wenig zu singen. Dann nahm der Vater sein Kind auf den
Schooss und sang wieder „schmeichelnd hold", fasste die kleine Hand
*) Vergl. Biographische Notizen über Ludwig van Beethoven, von Dr. F.
G. Wegeier und Ferdinand Ries. Koblenz 1838. Dazu der Nachtrag von
Wegeier aus dem Jahre 1845. Wegeier lebte von 1782 bis SepteAber 1787,
dann von Oktober 1789 bis gegen Ende 1792 in Bonn, dann von Oktober 1794
bis Mitte 1796 in Wien mit Beethoven in vertrautestem Umgange und blieb
durch Briefwechsel und gemeinschaftliche Freunde (F. Ries und Stephan
V. Breuning) in steter Beziehung zu ihm. Seine Mittheüungen sind über B.
die erste sichere Quelle.
**) Wegeier: „Das vierte rechter Hand vom Judengässchen her, bezeichnet
mit Nr. 515, dem jetzigen (1838) Posthause gegenüber. Das ehemals Graus'sche
Haus gehörte später (1845) dem Dr. Schildt." Das grössere Publikum be-
trachtete einät, durch eine Inschrift verleitet, gewöhnlich das Haus Nr. 934 in der
Rheingasse als Geburtsstätte Beethovens. Die Ansprüche dieses Hauses sind
als unrichtig erwiesen. Allerdings wohnten die Eltern, welche ihre Wohnung öfter
wechselten, hier eine Zeit lang, und zwar wahrscheinlich seit dem Jahre 177G.
r
4 _
in seine und liess ihn die Melodie, die er sang, mitspielen. Das
war dem Kind eine Lust ohne Gleichen ! es war nicht vom Klavier
wegzubringen, bald gelang es ihm, die Melodie selbst zusammenzu-
finden. Fünf Jahr*) war es alt, da beschloss der Vater, ihm förm-
lichen Unterricht auf Klavier und Geige zu geben.
Guter Wille war auf beiden Seiten vorhanden ; aber der reicht
nicht aus. Der Vater mag ohnehin kein sonderlicher Musiker und
Lehrer gewesen sein, wenigstens hat er sich m keiner Hinsicht einen
Ruf gemacht. Nun mischte sich aber, verzeihlich in der Lage des
Bedrängten, der Gedanke hinein, in dem Knaben einen Gehülfen
fiir Erwerb zu erziehn,**) um die Jüngern Brüder besser durchzu-
bringen und den unablässigen Forderungen des Haushaltes einiger-
massen zu genügen. Das hatte Eile; der Knabe sollte üben, viel,
unablässig üben, festhaltende Strenge, jähzornige Wallungen wech-
selten mit natürlicher Güte und heimlicher Reue aprilhaft. Auf der
andern Seite mochte der kräftige, eigenwillige, unruhige Knabe wohl
nach seiner Weise gern Musik machen; aber zu vorgeschriebenen
und unablässigen üebungeu war er schwer zu bringen. Sie und das
ganze Benehmen des Lehrenden verleideten ihm fast die Musik und
verhärteten ihn gegenüber dem wankelmüthigen Vater, dessen
Schwächen dem scharfen Kinderauge nicht entgehn mochten. Nur
die fromme, liebekräftige Mutter, „die (sagt Beethoven später) mit
meiner Störrigkeit so viel Geduld hatte," an der das Kind mit einer
noch im Mannesalter nachwirkenden Innigkeit hing, wusste das
hartgewordene Herz ihm zu schmelzen ; mit der Erweichung kehrte
dann die Liebe zurück zu dem süssen Spiel der Töne.
Noch ein Labungsquell floss der oft beklemmten Familie. Das
war die Erinnerung an den Grossvater väterlicher Seite, ebenfalls
Ludwig geheissen. Dieser, über dessen Herkunft Thayer
*) Die Dedikation der ersten drei Sonaten (in der Speyerschen Blamenlese
herausgegeben) an den Kurfürsten Maximilian Friedrich bezeichnet das vierte
Jahr als den Anfang musikalischer Beschäftigung; vieUeicht sind jene Spiele
dazugerechnet. (Im Verzeichn. d. Kompositionen Nr. 2.)
**) Der Vater scheint, um des Sohnes Leistungen staunenswerther und
einträglicher zu machen, sein Alter gefälscht zu haben. Eine kürzlich in Köln
aufgefundene Concertanzeige des „churköllnischen Hoftenoristen Beethoven"
vom 26. März 1778 verheisst Klaviervorträge des „Söhngens von 6. Jahren",
cf. Thayer: Ludw. v. Beethovens Lebens, I. S. 106; II. S. 408. Seine pekuniäre
Lage war freilich sehr traurig. Im Jahre 1767, als er sich vermählte, hatte
er 100 Gulden Gehalt, welches sich innerhalb der nächsten 6 Jahre aUmälilich
um 75 Gulden vermehrte.
(I. S. 96 fg.) zum Theil urkundlich berichtet, war im Jahre 1732
oder 1733 von den Niederlanden her in Bonn eingewandert. Die
Kenntniss seiner Familiengeschichte reicht bis in den Anfang des
17. Jahrhunderts. Damals waren die van Beethoven in einem
belgischen Dorfe nahe bei Löwen ansässig. Ein Glied der Familie
wanderte 1650 nach Antwerpen; sein Urenkel war Ludwig van
Beethoven. Der Grossvater, geboren oder getauft in Antwerpen
am 23. December 1712, verliess, (wie es scheint) in Folge häus-
licher Misshelligkeitcn in noch sehr jugendüchem Alter das Haus
seiner Eltern und kehrte niemals zurück. Wir finden ihn zuerst
in Löwen wieder, wo er seit Ende 1731 bei dem Kapitel ad Sanc-
tum Petrum als Sänger und stellvertretender Gesanglehrer fungirt.
Auf welche Veranlassung er nach Bonn gekommen, ist unbekannt.
Genug, im Jahre 1733 wird er daselbst mit 400 Gulden Gehalt,
einer für seine Jugend nicht unbeträchtlichen Summe, als Hof-
musikus des Kurftirsten Klemens August angestellt
Als Solo-Bassist hatte er nun in Kirche, Konzertsaal und
Theater mitzuwirken. In Singspielen trat er mit Beifall auf, z. B.
in „L'amorc Artigiano", in dem ^.Deserteur" von Monsigny, in
„Silvain" von Gretry und in „L'Inganno Scoperto" von Lucchesi.
Durch seine Tüchtigkeit als Musiker wie als Mensch erwarb er
sich stetig wachsendes Ansehn. 1761 ward er zum Kapellmeister
berufen und trat nun an die Spitze der gesammten Hofmusik.
Unter Sängern und Orchestermitgliedern hielt er mit Energie auf
Zucht, Ordnung und Gehorsam; fand er arge Widerspenstigkeit,
oder galt es Streitigkeiten der Künstler unter einander zu unter-
suchen und zu schlichten, so gab seinen Bestimmungen der Kur-
fürst selbst, der ihm vertraute, den entscheidenden Nachdruck.
In der Familie erlebte er manches Leid. Bald nach seiner
Anstellung im Jahre 1733 hatte er sich mit Maria Josepha PoU
verheirathet. Diese ergab sich später dem Trünke, und ihr Laster
ging auf den einzigen Sohn Johann, geb. 1740, über. Viel Ehre
und Freude hatte er natürlich von diesem Sohne nicht, der es
ohne das Ansehn seines Vaters sicherlich nie zu einer festen
Existenz gebracht haben würde und mit dem Tode desselben in
materieller und moralischer Beziehung seine Hauptstütze verlor,
so dass er die Achtung seiner Mitbürger allmählich ganz eingebüsst
zu haben scheint, was die Lebensart dieses schwachen Charakters
nur noch unstäter machte.
Auf den Enkel kann Ludwig pereönlichen Einfluss kaum ge-
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habt haben, da er schön am 24. December 1773 starb; aber . in
der vergrössemden Kindererinnerung lebte der Grosspapa Kapell-
meister fort, mag oft in die Dunkelheit und Dürftigkeit des gegen-
wärtigen Zustands hineingeglänzt, oft in den schwankenden
Träumereien, wie Ejiaben sich von ihrer Zukunft machen, mit-
gespielt haben. Unermüdlich erzählte er seinen Kameraden vom
Grossvater, Wenn die gütige Mutter ihren Ludwig recht erfreuen
wollte, musste sie ihm von diesem Grossvater erzählen und dem
Kleinen die blitzenden Augen des Alten vormachen; dann blitzten
die Augen des Kleinen ebenso funkelnd entgegen. Seltsam war die
Aehnlichkeit auch in der Statur; beide, der Gross vater und der Enkel
waren kräftigen, gedrungenen Bau's. Das Bildniss des Alten (vom
Hofmaler Radoux) ist das einzige, was Beethoven sich später von
Bonn nach Wien kommen liess und das ihm bis zu seinem Tode
Freude gemacht. So früh und so ausdauernd zeigte sich in ihm
eine Anhänglichkeit an seine Familie, von der wir noch hören werden.
Das also war das musikalische Nest, in dem Ijudwig van Beet-
hoven die ei-sten Lebenskräfte sammelte, die ersten Anregungen für
seine Kunst empfing. Was sonst noch auf ihn eingewirkt, um, viel-
leicht ihm selber unbewusst, in seinen spätem Erregungen und Ge-
sichten mitzuspielen, wer weiss es? Er hat viel Gesang um sich
her gehabt, vielleicht noch den bewunderten Grossvater gehört.
Gewiss ist der Knabe nach Knabenart neugierig auch in den Kirchen
herumgeschweift. Dass (t kirchlich-konfessioneU erzogen oder an-
geregt worden wäre, wie vor ihm Haydn und Mozart, ist in der Nähe
des voltairisirten Frankreich und unter einem Erzbischof, der ein
Nationaltheater gründet oder beschützt, nicht anzunehmen; nirgends,
auch nicht in seinen Werken, zeigte sich davon eine Spur. Betrat
er die Kirchen, so konnte die anregende katholische Weise nicht
anders als mysterienartig auf seine Phantasie wirken; und ist sie
nicht ein Mysterium? Sicherlich liat der bonner Knabe mehr als
einmal jenem Bittgang nach der Minoritenkirche in der Rheingasse
sich angeschlossen, zu dem Tausendoder Landbewohner und der städti-
schen Jugend unter lauten Gebetsprüchen und einfältigem, kräftig
rhythmisirten Wechselgesang*) der Männer und Frauen oder des
Vorsängei'S und Kinderchors am Feste der heiligen Maria von Kevlaar
zusammenströmen, am vergoldeten, blumengeschmückten Gitter von
der Geistlichkeit würdig empfangen, Gebet und Gesang aber tür sich
*) S. Berliner allg. mus. Ztg., Jahrgang 7, S. 327.
allein in der tibervollen Kirche vollendend. Anklänge — oder
sinnverwandte Klänge' finden sich in den spätem Tongebilden.
Ist dies nur Vermuthung, so fehlt es für jene Zeit auch nicht
an willkürlichen Erdichtungen. Die Einen wollten, allen Kirchen-
büchern zum Trotz, unsern Beethoven zu einem Niederländer machen,
— als wenn er nicht durch und durch Deutscher und nur in Deutsch-
land möglich wärM Andere (die Franzosen Fayolle und Choron)
hoffen anzuziehn, wenn sie ihn fllr einen natürlichen Sohn Friedrich
Wilhelms II. ausgeben. Leider ist dieser König vor 1770 niemals in
Bonn, imd Beethovens Mutter ist niemals auswärts gewesen. Ihm
selber war dies Gerede gleichwohl empfindlich genug, dass er noch
in der spätesten Zeit, am 7. Oktober 1826, da er bettlägerig krank
war, seinem Freunde Schindler an Dr. Wegeier in die Feder diktirte:
„Du schreibst mir, dass ich irgendwo als natürlicher Sohn des ver-
storbenen Königs von Preussen angeführt worden bin. Man hat mir
davon vor langer Zeit ebenfalls gesprochen. Ich habe mir aber zum
Grundsatze gemacht, nie weder etwas über mich zu schreiben, noch
irgend etwas zu beantworten, was über mich geschrieben worden.
Ich überlasse Dir daher gern, die Rechtschaffenheit meiner Eltern,
und meiner Mutter insbesondere, der W^elt bekannt zu machen.**
Sollte aus der Musik des Kleinen etwas werden, so musste,
das sah der Vater und besser vielleicht die Mutter ein, ein andrer
und tüchtiger Lehrer für den nun bald neunjährigen Knaben her-
beigeschafft werden. Der fand sich im Sommer 1779 in dem
Tenoristen und Klavierspieler Pfeiffer, einem geschätzten Musiker.
Beethoven hat später versichert, dass er diesem Manne das Meiste
verdanke, hat ihn auch, der in seinem Alter in Dürftigkeit gesunken
war, nach Kräften mit Geld unterstützt. Ihm folgte bei seinem
Abgange von Bonn 1780 der Hof-Organist und Kammermusikus
vandenEeden, ein ausgezeichneter Klavierspieler, der den Knaben
erst unentgeltlich unterwies, dann ihm auf Kosten des Kurfürsten
täglich eine Lehrstunde gab und ihn neben dem Klavier auch im
Orgelspiel unterrichtete. Der Knabe machte so rasche Fortschritte,
dass er sich oft in der Kapelle und in den Gemächern des Kur-
fürsten hören lassen durfte und stets Beifall fand.
Nach Eedens Tode ward der Hof-Organist Christian Gottlob
Necfe, zuvor Musikdirektor bei der Grossmannschen Schauspieler-
gesellschaft, mit dem Unterrichte beauftragt. Neefe war es, der
den Knaben zum Komponiren anleitete, auch mit Seb. Bachs KJavier-
sachen bekannt machte: schon mit elf Jahren soll der Kleine das
8
„wohltemperirte Klavier" bewunderungswürdig gespielt haben. Aus
dieser Zeit finden wir den ersten öffentlichen Bericht über ihn.
Krämers „Magazin der Musik" berichtet unter dem 30. März 1783
aus Bonn: ^Louis van Beethoven ... ein Knabe von 11 Jahren
(er war schon im 13. Jahre) und von vielversprechendem Talent.
Er spielt sehr fertig und mit Kraft das Klavier, liest sehr gut vom
Blatt und um alles in einem zu sagen: er spielt grösstentheils das
wohltemperirte Klavier von Seb. Bach, welches ihm Herr Neefe
unter die Hände gegeben . . . Herr Neefe hat ihm auch . . . einige
Anleitung zum Qeneralbass gegeben. Jetzt übt er ihn in der Kom-
position .... Dies junge Genie . . . würde gewiss ein zweiter
W. A. Mozart werden, wenn er so fortschritte, wie er angefangen." —
Beethoven sollte kein Zweiter, sondern ein Erster werden.
Neefe unterwies seinen Zögling in der Harmonielehre und in
der Kunst des sogenannten reinen Satzes. Ein Schüler des Leip-
ziger Hiller und fleissiger Komponist (es sind von ihm 24 Sonaten,
Klopstocksche Oden und Lieder gedruckt, ein Konzert, ein Mono-
dram und vier Operetten aufgeführt worden, zwei andre Opern
und ein Vaterunser waren handschriftlich vorhanden), 1783 in
seinem fünfunddreissigsten Jahr', also in munterm, kräftigem Alter,
— war er selber wohl geeignet, ein guter Lehrer zu sein. Zum
polyphonen Gestalten hat er Beethoven nicht angeleitet, dies war
ihm selbst fremd. Aber dass es ihm Ernst war mit seiner Aufgabe,
zeigt die nachdrückliche Hinleitung zum wohltemperirten Klavier;
sie hat Beethovens ganzes Leben hindurch nachgewirkt, denn die
Verwandtschaft mit Bach hat bei aller Verschiedenheit der Eich-
tungen sich nie ganz verleugnet und ist besondere in den spätem
Werken des neuen Meisters immer deutlicher hervorgetreten. Die
Eichtung auf Bach hat übrigens Neefe von Leipzig mitgebracht,
die „modernere" und leichter wiegende der eignen Kompositionen
von Hiller und dem damaligen Zeitgeist in der Kunst.
Merkwürdigerweise berichtet Wegeier, dass Beethoven später
der Meinung war, von Neefe wenig oder nichts gelernt zu haben.
Dem widerspricht ein Brief Beethovens selbst an seinen alten Lehrer:
„Ich danke Ihnen für Ihren Eath, den Sie mir selir oft bei dem
Weiterkommen in meiner göttlichen Kunst ertheilten. Werde ich
einst ein grosser Mann, so haben auch Sie Theil daran"
(Mitgetheilt von der Beriiner mus. Ztg. 1793. 26. Oct.). Wegeier
muss seinen Freund missverstanden haben; wahrscheinlicher klingt,
was eben derselbe mitthoilt, Beethoven habe sich über Neefe wiegen
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ZU harter Kritik seiner ersten Kompositionsversuchc beklagt. Wohl
mag das eigenthümliche Naturell des Knaben den unvermeidlichen
Lehrzwang und das kritische Messer schärfer empfunden haben als
die Wohlthat der Leitung; stand er doch auch den spätem Lehrern
eigenwillig und nicht anerkennend gegenüber, — gewiss nicht aus
Undankbarkeit, sondern nach den Eingebungen seiner absoluten
EigenthUmlichkeit.
Jedenfalls zeugen die ersten Tonstücke, mit denen- der Knabe
schon im elften bis dreizehnten Jahr in die Oeffentlichkeit trat,
von einem, vielleicht nicht tiefwirkenden, aber praktisch geschickt
fördernden und zustutzenden Leiter. Von diesen Erstiingen, —
neun Variationen über einen Marsch, einige Lieder, eine zwei-
stinunige Fuge, vielleicht (chronol. Verz. Nr. 105) einige der
Bagatellen Op. 33, drei Klaviersonaten, — sind die letztem ent-
schieden das Bedeutendste?.*) Sie stehen dem Gehalt nach ziemlich
auf gleicher (wenigstens nicht höherer) Stufe mit den Tonstücken
der meisten damaligen Klavierkomponisten, der Sterkel, Wanhall,
kurz der sogenannten „Heiligen -Römischen -Reichskomponisten"
im Südwesten unsers Vaterlandes. Dabei sind sie aber so sicher
imd ebenmässig gestaltet, wie man von keinem sich selbst über-
lassenen Knaben, am wenigsten von einem stönigen Feuerkopf wie
Beethoven, erwarten kann. Die Vennuthung ist wenigstens nicht
grundlos, dass Neefe's Leitung und selbst seine unmittelbar ein-
greifende Hand, vielleicht zum Verdmsse des jungen Tonsetzers,
hier mit im Spiele gewesen sei; man konnte dem Knaben Eigen-
thUmlichkeit, aber unmöglich so klar imd festgebildete Form zu-
trauen. Dann aber ist Neefe's Leitung, mag sie auch Eigenthüm-
liches zu Gunsten der Form geopfert haben, für die ganze Zukunft
Beethovens eine wahrhaft unschätzbare Wohlthat gewesen, deren
Einfluss sich später erweisen wird.
Auch im Vortrage vervollkommnete der Zögling sich mehr und
mehr. Schon im Jahre 1786 konnte ihn Neefe mit Genehmigung
*) Sie sind 1783 herausgegeben; auf dem Titel ist der Komponist als
elfjähriger bezeichnet, so dass sie spätestens 1782 gesetzt sein müssten.
Die ,,Neue Blumenlese für Klavierliebhaber", bei Rath Bossler in Speier
herausgegeben, bringt 1784 im ersten Theil ein „Rondo del Sigre van Beet-
hoven" und im zweiten Theil ein Lied: An einen Säugling, von Hrn. Beet-
hoven, ^Noch weisst du nicht, wess Kind du bist." Das Lied ist denen des
alten Hiller verwandt, das Rondo ist durchaus formrecht und korrekt, übrigens
vom Wüchse der Sterkeischen oder Wanhallschen Tonstücke.
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des Kurfürsten Max Friedrich zu seinem Vicar an der Orgel erwählen,
und ein Jahr später, als er fllr Lucchesi die interimistische Direktion
der Kapelle übernahm, übertrug er dem Knaben auch die Leitung
der Theaterproben am Klavier. Eine ordentliche Anstellung als
Organist neben Neefe erhielt Beethoven erst im Jahre 1784. Nach-
dem er im Anfange dieses Jahres um eine pekuniäre P]ntschädigung
für seine Thätigkeit gebeten, findet er sich in einer im Sommer
aufgestellten und vom neuen Kurfürsten Max Franz unterzeichneten
BesoldungsHste der Hofmusiker mit einem Gehalt von 150 Gulden
verzeichnet. Der Vater hatte damals nur das Doppelte; der Sohn
war also schon eine wesentüche Stütze der FamiHe und musste es
in der Folge immer mehr sein. Denn Johann van Beethoven
sank immer tiefer. Ludwig musste einst seinen betrunkenen Vater
gewaltsam aus den Händen eines Polizeibeamten befreien. Endlich
(1789), noch nicht 19 Jahre alt, wurde er veranlasst, durch einen
ausserordentlichen Schritt sich selbst zum Haupte der Familie zu
machen. Er petitionirte beim Hofamt, dem Vater künftig nur die
Hälfte seines Gehalts zu zahlen, die andere ihm für die Erziehung
seiner Geschwister zuzulegen. Die Bitte wurde gewährt; aber wie
tief müssen solche Vorfälle in das Gemüth des jungen Menschen
eingegriffen haben!
Dass der Dienst in der Kapelle auch seine heitere Seite hatte,
erkennt man in einem Vorgang, der zugleich für Beethovens spätere
Weise vorbedeutend ist. In der kathohschen Kirche werden be-
kanntlich in der Charwoche während dreier Tage die Lamentationen
des Propheten Jeremias vorgetragen, kleine Sätze von vier bis sechs
Zeilen; der Vortrag geschieht in gesangartiger Rede (das alte ,,chora-
liter legere") in freiem sprachlichem Rhythmus. Die Tonfolge bildet
sich aus vier aufeinander folgenden Stufen, z. B. cdef, wobei stets
auf der Terz mehrere Worte, ja ganze Sätze gesprochen werden,
während die Quart einen Ruhepunkt bildet, den der Begleiter am
Instrument mit einem freien Harmoniegang ausfüllt; dann wendet
der Sänger sich zur ersten Stufe zurück. Die Begleitung geschieht,
da die Orgel an diesen Tagen nicht gebraucht vdrd, am Klavier.
Nun geschah es an einem der Tage, dass Beethoven den sonst ton-
festen Sänger Heller, der sich mit seiner Sicherheit brüsten mochte,
fragte, ob er ihm gestatten wolle, ihn aus dem Tone zu bringen,
oder, nach damaligem Sprachgebrauch der Musiker, „herauszu-
werfen"? Heller ist mit dem Versuch einverstanden, und jetzt
modulirt der neugebackne Organist, indem er den vom Sänger
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zu singenden Ton stets in der Oberstimme festhält, so wundersam
darauf los, 4ass Heller richtig sich nicht mehr zum richtigen
Schlussfall hinfinden kann. Zeugen sind der Musikdirektor und der
erste Violinist des Kurfllrsten, Lucchesi und Franz Ries, die das
Spiel laut bewundern. Den geistreichen und muthwilligen Erzbischof
ergötzte der Musikerspass ebenfalls; doch empfahl er für die Zukunft
einfachere Begleitung. Beethoven gedachte dieses Künstlermuth-
willens noch spät nicht ohne Wohlgefallen..
Einige Jahre später gewann er sich durch eine Komposition
seinen ersten Gönner und Beförderer. Wahrscheinlich im Frühling
1787 kam Graf Waldstein nach Bonn, um von Max Franz, welcher
Hochmeister des deutschen Ordens war, den Ritterschlag zu empfangen.
Er wurde bald Liebling und steter Begleiter des jungen Fürsten,
und durch seinen Geschmack Seele der künstlerischen Arrangements
bei Hoffesten. Einst, wahrscheinlich Ende 1790, richtete er mit
andern jungen Adligen ein Ritterballet ein, und Beethoven musste
dazu die Musik liefern. Die Aufltilirung (6. 3. 1791) lief gut ab,
die Musik gefiel,*) und Waldstein, Freund der Kunst iiüd selbst
geschickter Klavierspieler, ward von da an der thätige Gönner
des jungen Künstlers, den er, den Namen des Kurfürsten vor-
schiebend, mit Geld unterstützte, übrigens bei jeder Gelegenheit
anregte, aus dem Stegreife am Klavier zu variiren oder gegebene
Themata durchzuführen. Diese Anregungen Waldsteins waren neben
Neefe's Unterricht gewiss höchst fSrdersam; sie gaben nicht blos
Anlass zur Kompositionsübung, sie hoben auch den Jüngling aus
der dunkeln Stellung empor, in der er geboren war (Waldstein
besuchte ihn oft auf seinem bescheidenen Zimmer), und weckten das
Selbstgefühl in ihm, die Theilnahme hervorragender PersönUchkeiten
erworben zu haben und ihre Gunst durch seine Kunst vergelten zu
können: dem Grafen hat er später aus Dankbarkeit die Sonate
Op. 53 gewidmet, auch artige Variationen zu vier Händen über ein
Thema des Kunstfreundes geschrieben. In dieser Lage liess er
sich stets bereit finden, in Gesellschaften zu spielen, was sich
später sehr ändern sollte. Besonders ergötzte er sich und die Zu-
hörer mit Versuchen, den Charakter und die Weise bekannter
*) Der Klavierauszug ist Eigeuthum der Verlagshandluug Dunst in
Frankfurt am Main geworden ; die Originalpartitor ist im Besitze von Artaria
et Co. Das Werkchen enthält nach Thayer Instrumental- und Vokalmusik;
einen Marsch, ein deutsches Lied, ein Jagdlied, ein Minnelied, ein Kriegslied
ein Trinklied, einen Walzer, ein Koda.
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Persönlichkeiten in seinen Phantasien zu zeichnen: im Knabenspiel
meldete sich sclion jener Drang, Bestimmtes in der Musik zu offen-
baren, die Kunst der Töne über das Spiel mit Anregungen in diQ
Sphäre hellem Bewusstseins hinauszuheben. Manches Jahr und
manches Werk trat zwischen diese Vorspiele und ihre Bewährung.
Uebrigens wurde Beethovens Spiel damals, wie es scheint, be-
sonders der ungewöhnhchen Fertigkeit wegen bewundert, war aber
noch rauh und hart; er hatte sich beim Orgelspiel verwöhnt, auch
noch keinen feinen Spieler gehört. Da machte die Kapelle 1791
eine Fahrt nach Mergentheim, dem Sitze des deutschen Ordens,
wo der Kurfürst im Spätsommer Hof hielt, und der junge Beethoven,
welcher neben dem Organisten und Klavierspieler seit 1789 auch
Mitglied des Orchesters als Bratschist war, reiste mit. Auf einem
Ausfluge nach Asch äffen bürg wurde er sammt den beiden Rom-
berg durch Franz Ries und Simrock bei Sterkel eingeflihrt,
dem fruchtbaren, nach damaliger Weise eleganten, wenn auch nicht
tiefen Komponisten, dessen Klavierspiel eben so leicht und gefällig
war, wie seine Komposition. Beethoven hörte Sterkeis Spiel mit
gespanntester Aufmerksamkeit an; diese Vortragsweise war ihm
ganz neu. Darauf kam die Rede auf Variationen, die Beethoven
über Righini's „Vieni amore" gesetzt hatte. Sterkel hielt sie für
so schwer, dass er zweifelte, ob der junge Komponist selber sie
spielen könne; wer einmal Sterkeische Konzerte gespielt, hat den
lifassstab für jenes Urtheil in der Hand. Sogleich setzte Beethoven
sich an das Klavier und spielte nicht nur jene Variationen aus
dem Gedächtnisse, sondern setzte noch andere ebenso schwere aus
dem Stegreif hinzu, und diese zu allgemeiner Ueberraschung in der
angenehmen Sterkeischen Manier und nach dessen Spielweise.
Ungefähr zu derselben Zeit musste der Virtuos vor dem Kur-
fürsten die Klavierpartie eines neuen Trios von Pleyel vom Blatt
spielen. Dies geschah ohne Anstoss, obgleich im Adagio zwei
Takte fehlten ; Beethoven hatte das gleich bemerkt und die Lücke
kunstgerecht ausgefüllt; erst bei einer Wiederholung nach acht
Tagen brachten die Streicher dies zum Vergnügen des Kurfürsten
zur Sprache.
Auch dem Wunsche des Vaters ward mehr und mehr entsprochen;
der Sohn, von Kunstgenossen und Liebhabern hochgeschätzt, hatte
längst Gelegenheit gefunden, Unterricht zu ertheilen und durch diese
neue Erwerbsquelle seine Beisteuer zum Haushalt zu vergrössem.
Aber das war ihm unerträgliche Last und ist es stets geblieben ; be-
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greiflicherweise zogen Komposition und Spiel ihn ungleich mehr au.
Dann aber scheint ihm systematisches Verfahren, ohne das man im
liehren nicht sicher wirkt und nicht weit kommt, überhaupt fremd,
ja abstossend gewesen zu sein; er hat es auch in der eignen Schul-
bildung nicht*) gar weit gebracht, z. B. so wenig Latein gelernt,
dass er, der in katholischer Familie Gehörne, später zur Konir
position seiner ersten Messe der Unterlage einer wörtlichen Ueber-
setzung und der Vorzeichnung des Silbenmasses und Accents be-
durfte. Dies hatte seinen Grund keineswegs in einseitiger Richtung
auf Musik; mehr als die meisten Musiker seiner Zeit trachtete er
später, seinen Gesichtski*eis an den vaterländischen und englischen
Dichtem, ja an den Werken der Griechen und Römer, namentlich
Homers, Plato's und Plutarchs, die er in Uebersetzungen las, an
Geschichte und Theilnahme für die politischen Bewegungen zu er-
weitem. Aber Alles musste ihm, so scheint es, in künstlerischer
Weise, mit heftiger Hinweisung bald auf das eine, bald auf das
andere zufällig ihm Nahetretende zukommen. Sein Leben war
schon damals nach innen gekehrtes Schauen. Die eigene Ent-
wickelungsweise widerstrebte dem Bemf und Geschäft des Lehrens,
zu dem eigne Bedürftigkeit weniger als der Gedanke an seine
Familie bewegen konnte.
Das Opfer sollte seinen Lohn finden. Er wurde Lehrer dos
jüngsten Sohns und der Tochter (Eleonore hiess die milde, gütige,
deren Namen einst die Oper ihm in die Seele zurückfllhren sollte)
im Hause der verwittweten Hofräthin von Breuning. Hier trat er
aus der Dürftigkeit und Beschränktheit des väterlichen Hauses in
einen Kreis sittiger, wahrhaft gebildeter Menschen, die das Leben
im Wohlstande heiter zu gemessen, zwanglos und fein zugleich
untereinander zu verkehren wussten. Man muss den Druck niedrer
Verhältnisse auf ein zum Aufschwung erwecktes Gemüth an sich
selber erfahren oder zu lebhaftester Anschauung gebracht haben, lun
den Gegensatz zu fassen, der nach allen Seiten hin und ganz absichts-
los hier vor den Geist des scheuen Jünglings trat, Personen und Zu-
stände mit dem Schimmer eines hohem Daseins umgoss, nicht blos
*) Sie war auf Lesen, Schreiben, Rechnen und etwas Latein beschränkt.
Ein Gymnasium hat er nie besucht. Weit später, als er sich schon in Wien
niedergelassen hatte, war er nicht dahin zu bringen, Privatvorlesungen über
Kantische Philosophie auch nur ein einzig Mal beizuwohnen. „Sein Wissen
war Schaffen,^ wie Wegeier treffend sagt, — oder jenes innerUche Schauen,
das den Künstler macht.
14
in seiner verklärenden Phantasie sondern auch in seinem dankbaren
öemüthe. Denn in diesem Kreise sah er sich mit Achtung und
Antheil aufgenommen, bald mit Liebe, gleich einem Kinde des
Hauses, behandelt. Das erweichte sein oft starr und trotzig Herz,
er fühlte seinen Werth erkannt, sich nicht blos als Künstler und
Unterhalter, wie bei den vornehmen Gönnern, nein als Menschen
mit all seinen Vorzügen und Schwächen wohlgelitten, in die seiner
w^ürdige Sphäre des Lebens gehoben. Ueber sein ganzes Leben hin
bewahrte er dem Breuningschen Hause, besonders dem zweiten Sohne,
Stephan von Breuning, seinem Freunde bis zum Tode, der Schwester
desselben, Eleonore, seiner Schülerin, und ihrem spätem Gatten,
dem geheimen Medizinalrath Dr. Wegeier aus Koblenz, getreue,
zärtliche Liebe. Wie viel Einfluss aber diese zweite Jugend auf
Beethovens ganzes Leben gehabt, erräth man einigermassen, wenn
man durch das ganze spätere Leben und die Werke hindurch den
unausschöpflichen Born von Liebe, von herziger Einfalt und Treue
str()men sieht, — neben der Energie des W^illens, neben der tiefen
Vei'senkung in die Nachtseite des Lebens, neben Allem, was Beet-
hoven gewesen, gethan und gelitten.
Die Mutter gewann mütterliche Macht über seine oft störrige
Laune; sie entwaffnete ihn, w-enn er seinen „Raptus" hatte (wie sie
es nannte) durch Freundlichkeit und Geduld, und wusste dann ihn
zu lenken. Oft, w^nn er gegenüber, beim österreichischen Ge-
sandten, Grafen W^estphal, unterrichten soll und gar zu gern in der
Familie geblieben wäre, treibt sie ihn fort zu seiner Pflicht. Dann
geht er missmuthig, ut iniquae mentis asellus,*) sagt Wegeier, kehrt
aber noch vor Westphals Hausthür um und verspricht morgen
lieber zw^ei Stunden zu geben; heut' sei's ihm unmöglich.
In diesem Hause war es, wo Beethoven mit deutscher Litteratur,
namentlich mit den bessern Dichtungen bekannt ^vurde. Nach Zeit,
und Ort kann man annehmen, dass KIop stock imter den Dichtem
der bonner und der nächsten Zeit ihm vorangestanden und zeitig
Einfluss auf ihn geübt; dem dimkeln Drang seiner Jugend stand
w^ohl kein Dichter näher und verwandter; noch spät zieht sich der
Hauch jener erhabenen Ueberschwänglichkeit Klopstocks, dem Wort
und Gedanke bisweilen zum blossen Hall und Schall des Unaus-
sprechlichen werden, durch Beethovens Modulation und den geheim-
nissvollen Nachtklang seiner Instrumentation ; noch spät gedenkt er
*) Dem verdrossenen Eselein gleich (Horaz).
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(wie Roclilitz aus dem Jahre 1822 erzählt) von Goethe redend, des
Lieblings seiner Jugend: „Er (Goethe) hat den Klopstock bei mir
todt gemacht. Sie wundern sich? nun lachen Sie? .... Aha, dass
ich den Klopstock gelesen habe! Icli habe mich jahrelang mit ihm
getragen, wenn ich spazieren ging, und sonst. Ei nun, verstanden
hab' ich ihn freihch nicht überall. Er springt so herum; er fängt
auch immer gar zu w^it von oben herunter an; immer ÄFaestoso!
Des dur! Nicht? Aber er ist doch gross und hebt die Seele. Wo
ich ihn nicht verstand, da rieth ich doch, — so ungefähr . . . ."
Rochlitz' Schilderung ist für Klopstock und Beethoven zutreftend,
auch dafür, dass Letzterer den Tonarten Charakt<?r zuschrieb.
Im traulichen Kreise des Breuningschen Hauses sollte denn
auch das Herz des Jünglings zum ersten Mal von zärtlicherer Neigung
berührt werden. Jeannettc d'Honrath war die Zauberin, eine junge
Kölnerin, die oft mehrere Wochen bei Breunings weilte. Die
schöne Blondine von gefälliger Bildung, die sich lebhaft filr Musik
interessirte und selber recht anmuthig sang, führte nicht ])los Beet-
hoven sondeiTi auch seinen Freund Steffen (Stephan von Breuning)
artig genug „an diesem Zauberfädchen , das sich nicht zerreissen
lässt", wie er selber später gesungen, herum; und wenn sie dann
nach Köln zurück musste und der arme Musiker allzu herzbrechend
über die Trennung seufzte, sang sie ihm mit neckischer Zärtlich-
keit das damals beliebte
MicH houte noch von Dir zu trennen,
Und dieses nicht verhindern können,
Ist zu empfindlich für mein Herz!
während sie selber ihr Herzchen an den östenTichischen Werbe-
ofBzier Greth verschenkte, der später es bis zum General und
Gouverneur gebracht.
Bedeutsam trat der Winter 1786—1787 oder wahi-scheinlicher
erst der Frühling 1787 in das Leben des jungen Künstlers; er führte
ihn auf kurze Zeit nach Wien, dem späteren Schauplatz seiner Thaten,
um sich an Mozarts Unterricht weiter zu bilden, dessen Kompo-
sitionen ihn schon in Bonn entzückt hatten. Der JüngUng spielte
dem Meister auf dessen Begehr etwas vor, was dieser flu' ein
ausgelenites Paradestück hielt und ziemlich kühl belobte. Beet-
hoven, der das merkte, bat ihn darauf um ein Thema zu freier
Phantasie und, wie er stets vortrefflich zu spielen pflegte, wenn
er gereizt war. angefeuert durch die Gegenwai-t des hochverehrten
Meisters, erging er sich nun in einer Weise auf dem Klavier,
16
dass Mozart, dessen Aufmerksamkeit und Spannung immer wuchs,
endlich sachte zu den im Nebenzimmer weilenden Freunden ging
und lebhaft sagt«: „Auf den gebt Acht, der wird einmal in der
Welt yon sich reden machen.^* Mozart sollte es nicht erleben,
aber sein Wahrspruch erfiillte sich noch in demselben Jahrzehnt.
Die musikalische Wundorseherei hat dieses an sich schon hinläng-
lich bedeutsame Ereigniss noch höher zu steigern gesucht, — und
zwar in der allbeheb ten, auf Beethoven gar nicht anwendbaren
schulftichsigen Manier. Sie hat hinzugedichtet, Mozart habe nach
dem ersten Spiel halblaut gesagt: „Warte, dich wollen wir fangen!"
und ihm ein Thema gegeben, das zugleich al rovoscio (von hinten
nach vorn) oder in der Verkehrung (in entgegengesetzter Richtung
aller Schritte) als sein eignes Gegenstück zu gebrauchen gewesen,
Beethoven aber habe die List durchschaut und das Thema sogleich
als prächtige Doppelfuge länger als drei Viertelstunden durchge-
ftihrt. Allein er verstand, wie Schindler aussagt und die früheren
W^erke, wie die spätem Studien bezeugen, damals nichts von den
Künsten des Kontrapunkts. Das Bedeutsame jenes Vorgangs beruht
auch nicht darauf, dass er in einer damals um ein Vierteljahrhundert
veralteten Mode mit Schulkünsten paradirt, sondern es liegt darin,
dass ein Genius den andeni erkannt hat.
Beethovens Abreise von Wien scheint plötzlich erfolgt zu sein.
Aus Bonn kamen trübe Nachrichten über den Gesundheitszustand
der geliebten Mutter. Da mussten alle Wünsche, die sich an Wien
knüpften, aufgegeben werden, vor allen der natürlichste, Mozarts
Untei-w^eisung zu gemessen; nach Ries hat er einigen Unterricht
von ihm erhalten. Auf der Rückreise trafen ihn mehrere Briefe vom
Vater, in denen er dringend eimahnt wurde, schnell zu reisen. „Ich
eilte also," schreibt er im Herbst nach dem Tode seiner Mutter,
welche am 17. Juh 1787 gestorben war. an den Advokaten Schaden
in Augsburg, den er auf der Durchreise kennen gelernt hatte, „so
sehr ich vermochte, da ich doch selbst unpässhch w^urde. Das Ver-
langen, meine kranke Mutter noch einmal sehen zu können, setzte
alle Hindernisse bei mir hinweg und half mir die grössten Be-
schwerden überwinden. Ich traf meine Mutter noch an. aber in den
elendesten Gesundheitszuständen; sie hatte die Schwindsucht und
starb endlich vor sieben W^ochen nach vielen überstandenen Schmerzen
und Leiden. Sie war mir eine so gute, liebenswürdige Mutter, meine
beste Freundin; o! wer war glücklicher als ich, da ich noch den
süssen Namen Mutter aussprechen konnte, und er w^urde gehört,
17
und wem kann ich ihn jetzt sagen? Den stummen, ilir ähnlichen
Bildern, die mir meine Einbildungskraft zusammensetzt? ....
Das Schicksal luer in Bonn ist mir nicht günstig."
Ohne Zweifel hat sich das intime Freudschaftsverhältniss zur
Familie Breuning erst nach diesem Ereigniss entwickelt. In dem
Momente, wo sich das Mutterauge schloss, fühlte Beethoven sich ganz
vereinsamt und sehnte sich nach einem Ersatz. Auch das brüder-
liche Herz ward hart getroflfen; das einzige, anderthalbjährige
Schwesterchen, Margarethe, starb im November desselben Jahres.
Dies Gefühl spricht jener klagende Brief in rührender Weise aus.
Da öffnete ihm ein gütiges Geschick den gebildeten und gemUth-
voUen Kreis der Breunings und liess ihn ausser dem Hause finden,
was ihm daheim entschwunden war. Darum nannte er die Glieder
dieser FamiHc noch in späten Tagen, wie Schindler mittheilt, „seine
einstigen Schutzengel" und erinnerte sich gern der vielen von der
]\Iutter des Hauses erlialtenen Zurechtweisungen. „Die verstand
es," sagte er, „die Insecten von den BlUthen abzuhalten."
Dass dennoch seine Träume, seine Wünsche, so lieb ihm Bonn
war und blieb, nach der Kaiserstadt zurückschwebten, ist nicht zu
verwundem; war sie doch damals aller Grössen im Reiche der
Tonkunst, Glucks, Haydns, Mozarts geweihte Stätte.
Dazu kam, dass ein neues Ereigniss die BUcke des jungen Künst-
lers auf Wien zurücklenkte. Haydn selber, damals höher geschätzt
als Mozart, kam auf der ersten Rückreise aus England zur freudigen
Aufregung aller Musiker und Kunstfreunde im Juli 1792 durch
Bonn. Die kurfürstliche Kapelle gab ihm in Godesberg ein festliches
Frühmahl, und hier soll nach Dr. Wegelers Mittheilungen der Meister
eine von Beethoven ihm vorgelegte Kantate (No. 14 oder 20 des
chronologischen Verzeichnisses) mit Lob und Ermunterung, so fortr
zufahren, aufgenommen haben, wiewohl die Ausführung wegen
Schwierigkeiten in den Partieen der Blasinstrumente nicht hat
stattfinden können.
Beethoven achtete stets die Bonner Zeit filr seine glücklichste.
Gut, anhänghch, naturliebend, wie er war, hielten tausend Wurzel-
fäden der Erinnerung an der Heimath ihn fest. Dort hatte er die
Lust der ersten Jugend und die Noth des gedrückten Ursprungs
durchjubelt und durchseufzt: dort seine Kraft zuerst geprobt und
durch sie sich aus der Schwüle der ärmlichen Herkunft emporge-
hoben zu einem gemässern Lebenskreise; dort hatte er erste Aner-
kennung und erste Gunst und Liebe gefunden; dort hatten sich seine
Marx, BeethoYen. I. 2
18
Jugendfreundschaften, die unwandelbaren fUr's Leben, geknüpft,
kannte Jedermann ihn und er Jedermann; selbst sein linkisches
Benehmen, seine ungeschickteckigen, im Kampf von Verlegenheit
und Stolz oft schroffen Bewegungen, air diese kleinen und pein-
lichen Makel früher Versäumniss, sie konnten hier nicht so drückend
empfunden werden wie in der polirten Grossstadt. Es ist die un-
schätzbare Wohlthat kleiner Städte für die Unschuldzeit des Lebens,
dass sie die Menschen einander näher rückt, weil ihrer nicht allzu-
viel bei einander wohnen; man schaut sich menschlicher theilneh-
mend an, während die Qrossstadt, dies Gewimmel von Hundert -
tausenden, die unerkannt vorüber strömen, zur Gleichgültigkeit
gegen den Menschen erzieht. Dieser Zug volksmässig heiterer Liebe
zum Menschen lebte fort in Beethoven, webt bald hier bald da an
seinen Tongebilden mit, giebt ihm Treu und Glauben und den
vollen warmen Herzschlag ftlr jenes
Seid umschlaBgeiiy Millionen!
Diesen Kuss der ganzen Welt!
das der Weltmensch nur als Uneniiesslichkeitsphrase belächeln
kann, er aber einst, feuertrunken in Menschenliebe, hinaussingen
sollte als letzten Wahlspruch seines vereinsamten Lebens.
Er selber giebt beredt Zeugniss von dieser unvergänglichen
Liebe für seine Jugendzeit in einem Briefe*) an seinen Freund
Wegeier vom 29. Juni 180L
„Mein guter, lieber Wegeier! Wie sehr danke ich Dir flir Dein
Andenken an mich; ich habe es so wenig verdient und um Dich
zu verdienen gesucht, und doch bist Du so sehr gut und lässt Dich
durch nichts, selbst durch meine unveraeihliche Nacldässigkeit nicht
abhalten, bleibst immer der treue, gute, biedere Freund. — Dass
ich Dich und überhaupt Euch, die Ihr mir einst so heb und theuer
wäret, vergessen könnte, nein, das glaubt nicht; es giebt Augen-
blicke, wo ich mich selbst nach Euch sehne, ja bei Euch einige Zeit
zu verweilen wünsche. — Mein Vaterland, die schöne Gegend, in
der ich das Licht der Welt erblickte, ist noch immer so schön und
deutlich vor meinen Augen, als da ich Euch verlies s; kurz ich
werdo diese Zeit als eine der glücklichsten Begebenheiten meines
Lebens betrachten, wo ich Euch wiedersehen und unseren Vater Rhein
begrüssen kann. Wann dies sein wird, kann ich Dir noch nicht
*) Vollständig von Wegeier (Notizen S. 22) mitgetheilt.
19
bestimmen. — Soviel will ich Euch sagen, dass Ihr mich nur recht
gross wiedersehen werdet ; nicht als Künstler sollt Ihr mich grösser,
sondern auch als Menschen sollt Ihr mich besser, vollkommener
finden, und ist dann der Wohlstand etwas besser in unserm Vator-
lande, dann soll meine Kunst sich nur zum Besten der Armen zeigen.
glückseliger Augenblick! wie glücklich halte ich mich, dass ich
dich herbeischaffen, dich selbst schaffen kannl"
Aber er musste weg von Bonn; und er sollte es nimmer
wiedersehn.
Lehrjahre.
Haydns Durchzug durch Bonn mag den Anstoss gegeben
haben, oder nicht; in demselben Jahre, 1792, wurde Beethoven auf
Kosten des KuifUrstcn, den Graf Waldstein, die Grösse des Genies
voraus ahnend, dafiir gestimmt hatte, nach Wien gesendet, um
dort unter Joseph Haydn Komposition zu studiren. Er brach
in den ei-sten Tagen des November dahin auf. Noch Ende Oktober
und am ersten November schrieben sich die Bonner Freunde und
Freundinnen in sein Stammbuch, das noch erhalten ist. Wunderbar
seherisch war das Gedenkwort Waldsteins. „Lieber Beethoven!
Sie reisen itzt nach Wien zur Erfüllung Ihrer so lange bestrittenen
Wünsche. Mozarts Genius trauert noch und beweint den Tod seines
Zögüngs. Bei dem unerschöpflichen Haydn fand er Zuflucht aber
keine Beschäftigung, durch ihn wünscht er noch ein Mal mit Jemand
vereinigt zu werden. Durch ununterbrochenen Fleiss erhalten Sie
Mozarts Geist aus Haydns Händen." So Waldstein, und Eleonore
von Breuning, seine Schülerin, begleitete ihn hinaus mit dem
Herdeischen Worte: „Freundschaft mit dem Guten wachset wie
des Abends Schatten, bis des Lebens Sonne sinket."
Er ging fort unter den Hoffnungen und Segenswünschen der
Zurückbleibenden .
Es war vortheilhaft ftlr den scheuen, ganz weltunerfahrenen
Jüngling, dass er bald nach seiner Ankunft in der gi'ossen brau-
se
20
senden Kaiserstadt einen einsiclitigen und wohlmeinenden Leiter
in der Person des Hofsekretairs v. Zmeskall fand, der sich seiner
Oekonomie annahm, ihn, mit der kurflirstlichen Anweisung ver-
sehen, zu Haydn begleitete und dort den Unterricht gleich ein-
leitete. Zmeskall, leidenschaftlicher Musikfreund, nahm an dem
jungen Musiker sogleich den lebhaftesten Antheil, blieb ihm auch
lebenslänglich ein treuer Freund und erwies sich ihm förderliclu
wo er nur konnte. Haydn nahm den Schüler an.
Mozart war seit einem Jahr geschieden, folglich konnte keine
bessere Wahl getroffen werden, — w^enn es wahr wäre, dass ein
grosser Komponist schon in dieser Eigenschaft einen guten Lehrer
abgäbe. Allein abgesehen davon, dass neben der Fachgeschicklich-
keit dem Kompositionslehrer auch pädagogische Befähigung so nöthig
ist, wie jedem andern Lehrer, sollte sich auch zeigen, dass Jünger
und Meister, wie nah' auch das Zimmerchen des ersteren in der
Vorstadt Leimgiiibe dem Sitze Haydns in derselben Stadt lag,
doch dem Geiste nach in verschiedenen Zonen weilten. Sehr früh,
wenngleich anfangs unbewusst und mehr ftlhlbar als nachweislich,
machte sich zwischen dem vollendeten und dem beginnenden
Künstler die Verschiedenheit der Richtungen geltend, in denen
das Leben der beiden Vortrefflichen auseinanderging.
Beethoven befand sich etwa ein Jahr lang unter der Leitung
Haydns. Uebcr Gegenstand und Art des Unterrichts war geraume
Zeit nichts bekannt, bis Gustav Nottebohm in seinem überaus
gründlichen und sachverständigen Werke, „Beethovens Studien,"
Leipzig und Wlnterthur 1873, auf Gnmd urkundlicher Vorlagen
von Beethovens eigener Hand, festgestellt hat, was dieser bei Haydn
getrieben, und nicht blos bei Haydn, sondern auch in welche Gebiete
der Musiktheorie er bei den anderen Wiener Lehrern, also bei
Albrechtsberger und Salieri eingeführt ist.
Haydns Lehrart war keine originale. Er bediente sich eines
namentlich nach Fux' Gradus ad Parnassum und anderen Lehr-
büchern zusammengestellten Leitfadens, den er dem Schüler selbst
als „Elementarbuch" in die Hand gab. Nach diesem Leitfaden
machte Beethoven zunächst die Schule im einfachen Kontrapunkt
durch, indem er zugleich durch schriftliche Uebungen sich das Ge-
lernte veranschauUchte. Solcher Uebungen sind noch 245 vorhanden,
denen 6 den alten Tonarten angehörende feste Gesänge zu Grunde
liegen. Haydns bessernde Hand findet sich an vielen Stellen, aber
nicht durchweg, oft entbehrt seine Kritik auch eines festen Gesichts-
21
Punktes. Während er die Eegeln, welche die Begleitung der Vor-
halte betreffen, mit Feinheit und Strenge anwendet, zeigt er sich in
der Beurtheilung unerlaubter Quinten- und Oktav-Fortschreitungen
weniger sicher und conscquent; eine grosse Zahl von offenbaren
Fehlem lässt er unbeanstandet stehen, sei es, dass er sie übersehen,
sei es, dass er sich ziu* Korrektur nicht die Zeit genommen hat.
Einem Beethoven konnte die Mangelhaftigkeit dieses Unterrichts
nicht lange verborgen bleiben. Er, der zweiundzwanzigjährige
junge Mann, der nicht blos sein gewaltiges Talent, sondern auch
eine gar nicht gering anzuscldagende Summe von Fertigkeiten aus
der Bonner Vorschule mitbrachte, dazu das Selbstgefühl und die
Selbständigkeit eines sclion zu gewisser Reife gediehenen und er-
probten Geistes, luitte sich zweifellos Haydns Schule deshalb an-
vertraut, weil er von dem grossen Meister der Töne in geistvoller
Weise auch in das theoretische Wesen der Tonwelt eingeführt zu
werden hoffte. Diese Erwartung fand er nicht bestätigt, und wie
wir aus den vorhandenen Exercitien sehen, mit Recht.
Ein Zulall führte ihn in dieser Sache zu voller Klarheit.
Eines Tages nämlich stiess Beethoven bei der Rückkehr vom Lehrer
auf den ihm bekannten und geschätzten Tonsetzer Johannes
Schenk, später als Komponist des Dorfbarbiers in weitern Kreisen
beliebt. Schenk warf mit höflicher Aufmerksamkeit einen flüch-
tigen Blick in das Notenheft voll Uebungen und zeigte dem jungen
Manne mancherlei Unrichtigkeiten, während Beethoven versicherte,
Haydn habe die letzten Sätze soeben durchkorrigirt. Es wurde
zuiückgeblättert, und überall fanden sich unverbesserte Fehler.
Beethoven gerieth in Zorn, denn im ersten Augenblick ward
er nicht blos an der Einsicht sondern auch an dem guten Willen
seines Lehrers irre. Rasch entschlossen, wie er war, wollte er den
Unterricht Haydns sofort verlassen und konnte kaum bew^ogen
werden, Haydns zweite Reise nach England (Anfang 1794) abzu-
warten, um bei schicklichem Anlass aus seiner Lehre in die
Albrechtsbergers überzugehn.
Einstweilen bheb er Haydns Schüler. Aber zugleich diente
ihm Schenk als geheimer Lehrer, — wenigstens nach Ignaz v.
Seyfrieds, vom Vorhererzählten etwas abweichender Mittheilung
in der Biographie Schenks im Universallexikon der Tonkunst.
Seyfried erzählt: „1792 kam Beethoven nach Wien, und Schenk
hörte ihn zum ersten Mal in Abbö Gelinek's Wohnung fantasiren,
ein Hochgenuss, der lebhaft Mozarts Andenken zurückrief. Un-
22
muthig beklagte sich der lernbegierige Beethoven oftmals gegen
Gelinek, wie er in seinen kontrapunktischen Studien bei Haydn
nicht vorwärts kommen könne, da dieser Meister, allzu vielseitig
beschäftigt, den ihm vorgelegten Elaborationen die gewünschte Auf-
merksamkeit zu schenken gar nicht im Stande sei. Jener sprach
darüber mit Schenk und befragte ihn, ob er nicht geneigt sei, mit
Beethoven die Kompositionslehre durchzumachen. Dieser erklärte
sich höchst willfährig dazu, jedoch nur unter der Doppelbedingung:
ohne irgend eine Vergütung und unter dem Siegel unverbrüchlicher
Verschwiegenheit. So wurde denn der gegenseitige Traktat abge-
schlossen und mit gewissenhafter Treue gehalten. Anfangs August
1792 (? 1793!) begann der theoretische Unterricht und währte bis
Ende Mai des nächsten Jahres ununterbrochen fort; jede verbesserte
Aufgabe musste Beethoven, um auch den Schein fremden Einflusses
zu vermeiden, vorerst eigenhändig abschreiben, und dann erst Haydn
zum Gutachten vorlegen. Dieses wenig bekannt gewordene Ver-
hältniss wird durch folgende Thätsache dokumentirt. Als nämlich
Schenk in den ersten Junitagen zur gewohnten Stunde sich ein-
stellte, fand er das Vöglein ausgeflogen nach Ungarn , auf Besuch
zum Fürsten Esterhazy, dafür aber ein hinterlassen es Briefchen,
welches, diplomatisch genau vidimirt, also lautete : „ „Lieber Schenk !
Ich wünschete nicht, dass ich schon heute fort würde reisen, nach
Eisenstadt. Gern hätte ich noch mit Ihnen gesprochen. Unter-
dessen rechnen Sie auf meine Dankbarkeit ftir die mir erzeigten
Gefälligkeiten. Ich werde mich bestreben, Ihnen Alles nach meinen
Kräften gutzumachen. Ich hoffe, Sie bald wieder zu sehen und
das Vergnügen Ihres Umgangs geniesseu zu können. Leben Sie
wohl und vergessen Sie nicht ganz Ihren Beethoven."" Da Haydn
beim Antritt der zweiten Londoner Reise seinen Pflegebefohlnen
Albrechts bei gern übergab, unter dessen Aegide Beethoven das ge-
sammte Harraoniesystem rekapituUrte und beendigte, im freien
Style aber Salieri's erfahrungsreicher Leitung sicli anvertraute, so
konnte das frühere geheime Zusammenwirken nicht ferner fort-
bestehen. . . ."
Aus Seyfrieds Mittheilung in Bezug auf Schenk tritt (wenn
wir nicht falsch sehen) charakteristisch genug hervor, dass Beethoven
wiederum an seinem Lehrer nicht Genügen fand; wenigstens uns
scheint das obige Briefchen Beethovens zwischen den Zeilen einen
Abbruch des Lehrverhältnisses zu enthalten. Beethovens selbstän-
diger Sinn, seine freie, ja, im Vergleich zu den andern Musikern
23
vornehme Haltung, sein Selbstgefühl, selbst sein reiferes Alter
machen es leicht begreiflich, dass sein Verhältniss zu den Lehi'ern
und ihres zu ihm nach beiden Seiten auf Schwierigkeiten stiess.
Was nun Haydn und Beethovens Verdacht gegen ihn betriift,
so trug der ehrwürdige Meister einen zu grossen Schatz von
Herzensheiterkeit und Güte und kindlicher Frömmigkeit (seine
Werke und sein Leben beweisen es) in sich und war als gewissen-
hafter Mann allzu sicher bewährt, als dass sein Charakter ange-
zweifelt werden dürfte. Seltsam trat gleichwohl an ihm da und
dort, wenn auch in etwas späterer Zeit, ein Mangel an innerer
Uebereinstimmung mit seinem Jünger hervor, der nicht etwa als
Neid zu deuten ist, — was hätte den auf dem Gipfel des Ruhmes
feststehenden, in sich selber befriedigend abgeschlossenen Meister
dazu stimmen können? — sondern nur als Fremdheit gegen das,
was im jungen Künstler emporwuchs. Schon das Wesen und Be-
nehmen des jungen Mannes scheint ihm imponirt zu haben. Im
Gegensatz zu der untergeordneten Stellung, die sich Mozart, Haydn
und so viel andre Musiker gefallen Messen, behauptete Beethoven
sich, wie schon gesagt, von Anfang an in einer selbständigeren
und unabhängigem Lage: gegenüber der kindlichen Laune und
Ecdseligkeit, die seinen beiden grossen Vorgängern, besonders dem
liebenswürdigen Mozart eigen war, zeigte sich an Beethoven eine
Straffheit, ein verschlossener Ernst, eine innerliche Hoheit, die
Folge und Ausdruck der ernst eh Geistes- und Kunstrichtung waren.
Haydn nannte den jungen Mann oft den „Grossmogul", ein Scherz-
name, der unter den Musikern um so eifriger herumgetragen wurde,
als sie die künstlerische Grösse Beethovens bald zu ahnen anfingen,
mancher unter ihnen gewiss unter dem quälenden Neidgeflihl eigener
Geringheit.
Und doch war Beethovens Publikum anfangs ein kleines, das
grössere verstand ihn noch nicht. Selbst Haydn scheint Beetho-
vens Eigenthümlichkeit, der seinigen so fem, nicht gefasst zu haben.
Als Beethoven in einer Abendgesellschaft beim Fürsten Lichnowsky
im Beisein Haydns seine Trio's Dp. 1 vortrug, rieth ihm dieser, das
dritte, aus Cmoll, lieber nicht zu veröffentlichen. Sicherlich war
der Eath in Wohlmeinenheit gegeben, denn eben dieses Trio geht
so entschieden aus den freundlichen Instrumentalspielen Haydns
zu einem höhern Emst über, dass der ältere Meister aus seiner
Bahn und seinen künstlerischen Absichten hätte ausschreiten müssen,
um anders zu urtheilen. Bei Beethoven setzte sich aber die Vor-
24
Stellung fest, Haydn wolle ihm nicht wohl, oder sei gar neidisch*).
Diese Missstimmung wirkte weiter, obgleich der grosse Werth der
Haydnschen Kompositionen und die Würdigkeit des Mannes nicht
verkannt wurden. Beethoven widmete dem Meister seine Sonaten
Op. 2, war aber nicht zu bewegen, sich bei der Widmung nach
Haydns Wunsch dessen Schüler zu nennen, sondern erklärte nach
seiner Weise kurz angebunden: er habe nichts von ihm gelernt,
was er noch fünf Jahr später gegen Eies wiederholte.
, Ein zweiter Vorfall sollte hinzukommen und die Vei-stimmung
auf beiden Seiten schärfen. Beethoven hatte zu einem Ballet,
Prometheus, die Musik geliefert. Das Ballet schildert den Fortschritt
der Menschheit aus anfänglicher Roheit zur Bildung; eine gewisse
Aehnlichkeit des Stoffes mit dem von Haydns Schöpfung ist nicht
zu verkennen. Nun traf es sich, dass beide Werke (Prometheus kam
zum erstenmal 1801 auf die Bühne) im Laufe weniger W^ochen zur
Auffuhrung kamen. Haydn bezeigte da dem jungem Komponisten
seinen Beifall und Beethoven entgegnete, gewiss eben so harmlos,
wie Haydns Lob: „Ach lieber Papa, es ist doch noch lange keine
Schöpfung!" Diese Zusammenstellung scheint Haydn verdrossen zu
haben. „Nein," entgegnete er, „es ist allerdings keine Schöpfung,
noch wird, glaube ich, der Verfasser dies je erreichen."**)
Der gute Schenk dagegen blieb in Beethovens Andenken, wenn-
gleich die persönlichen Beziehungen gelockert wurden. „So traf
es sich (erzählt Schindler), dass, als ich mit Beethoven eines Tages,
*) So unglaubhaft dies bei Haydns kindlichem Charakter und seinem da-
maligen hohen Ansehn erscheinen muss, so ist doch auch Ries argwöhnisch
geworden. Er nahm Veranlassung, Haydn selbst darüber zu befragen Haydu
sagte, „er habe nicht geglaubt, dass dieses Trio so schneU und leicht verstanden
und vom Publikum so günstig aufgenommen werden würde." Hierin findet Bies
eine Bestätigung des Beethovenschen Misstrauens ; uns scheint die Antwort viel-
mehr eine Widerlegung und der Beweis wohlmeinender Absicht zu sein. Leichtes
Verständniss und günstige Wirkung waren Haydn, dem Freudenbringer, aller-
dings wichtige Bestimmungsgründe; und nach dem Massstabe seiner eignen
Werke (man sehe die Quartette u. s. w.) dieser Klasse, konnte Beethovens Trio
ihm nicht anders als zu weit getrieben, unheimlich, von zweifelhafter Wirkung
erscheinen. Na^ch welchem Massstabe hätte er aber urtheilen sollen, als nach
dem eigenen? — Auch Mozarts Trio 's und Quartette boten keinen andern.
**) Diese Anekdote ist früher in Bezug auf das Septuor erzählt worden;
die Berichtigung verdanken wir Aloys Fuchs. Nach der frühem Ueberlie-
ferung hätte Haydn zugesetzt: ,,denn Sie sind (er ist) ein Atheist!" Die
kindliche Anhänglichkeit an die Kirche, von der Haydn erfüUt war, ging
allerdings Beethoven ab; und so konnte er jenem wohl als Atheist erscheinen.
25
es war zu Anfang des Frühlings 1824, über den Graben ging; uns
der alte Herr Schenk begegnete, damals schon ein hoher ^echsziger.
Beethoven, ausser sich vor Freude, diesen alten Freund noch unter
den Lebenden zu sehen, orgrift" seine Hand, eilte mit ihm in das
nahgelegene Gasthaus „zum Jägerhorn" und zwar in das hinterste
Zimmer, das einer Katakombe gleich am hellsten Tag erleuchtet
werden muss. Dort schlössen wir uns ein, und Beethoven fing
nun an, alle Falten seines Herzens seinem verehrten Korrektor auf-
zudecken. Redselig wie selten tauchten eine Menge Geschichten
und Anekdoten aus jener längst vergangenen Zeit auf, so auch
jene Vorfälle mit Haydn, und der nun auch zur Majestät im Reichre
der Tonkunst emporgestiegene Beethoven überhäufte den beschei-
denen, in Dürftigkeit lebenden Komponisten des „Dorfbarbiers" mit.
dem innigsten Danke für seine ihm damals bewiesene Freundschaft.
Die Trennung zwischen beiden nach jener denkwürdigen Stunde
war höchst rührend, gleichsam für's Leben; und wirklich sahen sie
sich nicht wieder."
Nach Haydn ward AlbrcchtsbergerBeethovens Lehrer. Nach
Seyfried blieb Beethoven zwei Jahre in seiner Lehre; Nottebohm
lässt mit grosser Wahrscheinlichkeit den Unterricht im Januar 1794
beginnen und spätestens Anfang Mai 1795 enden. Was hat Albrech ts-
berger mit ihm getrieben? Was hat Beethoven bei ihm gelernt?*) —
*) Zuerst hat Seyfried über diesen Gegenstand berichtet, in seinem 1832
erschienenen Buche „Beethovens Studien im Generalhass, Kontrapunkt und
in der Komposition, aus dessen handschriftlichem Nachlasse gesammelt^^
Schindler hat sofort an der Echtheit gezweifelt, Franz Derkum inNo.72
der Rheinischen Musikzeitung von 1852 den Beweis der Täuschung zu führen
gesucht. Allein diese „Studien" sind weder ein rein untergeschobenes, noch
ein rein authentisches Werk, sondern sie sind aus Fälschung authentischer
Vorlagen entstanden. Nottebohm (Beethoveniana, S. 154-203) hat den un-
widerleglichen Nachweis geführt.
Seyfried hat in der That nach handschriftlichen, grösstentheils von
Beethoven selbst geschriebenen Aufzeichnungen, betitelt „Kontrapunktische
Aufsätze", gearbeitet. Nur ist er bei der Bearbeitung in höchst leichtfertiger
und wahrheitswidriger Weise verfahren, wie eine Vergleichung der noch vor-
handenen, im Besitz der Haslingerschen Erben befindlichen handschriftlichen
^'orlagen (denselben, die Nottebohm das Hauptmaterial zu seinem ob®^ er-
wähnten Buche „Studien Beethovens" gegeben) mit Seyfrieds Buch ergeben
hat. Die Handschriften, welche ungefähr 600 Seiten in Folio füllen, theilt
Nottebohm „nach Grund und Zeit ihrer Entstehung" in fünf Gruppen
Zuerst Schriften, „welche dem Unterricht bei Joseph Haydn angehören".
„Vorhanden sind 245 Hebungen im einfachen Kontrapunkt über sechs feste
Gesänge in den alten Tonarten." Von ihnen war oben die Bede.
26
Diese Fragen sind von Bedeutung, wenn es sich um einen Bee-
thoven handelt, dessen geistige Entwickelung in jedem ihrer Mo-
mente lehrreich und anziehend sein muss.
Albrechtsberger war, als er Beethovens Unterweisung begann,
nah an sechszig Jahr alt, als Tonsetzer, Orgelspieler und Lehrer
sehr geschätzt, übrigens mit seiner Lehre ganz auf dem Standpunkte
der alten Schule (es gab damals keine andere), zu deren Haupt-
vertretern er im Süden, wie Kirnberger im Norden gehörte. Zwar
hatte er Quartette und Quintette, nicht in kleiner Zahl, sogar eine
Operette geschrieben. Gleichwohl war er der ,.galanten Sclireibart"
(den freiem Formen im Gegensatz zu den kontrapunk tischen) nicht
Dann Schriften aas dem Unterricht bei Albrechtsberger. „Die vorhandenen
"Uebungen betreifen einfachen Kontrapunkt, Nachahmung, einfache Fuge,
fugirten Choral, die doppelten Kontrapunkte in der Oktave, Decime und
Duodecime, Doppelfuge, dreifache Fuge und Kanon, theils in strenger, iheils
in freier Schreibart." Von diesen Schriften vernehmen wir oben Weiteres.
Drittens luufangreiche ,,Auszüge Beethovens aus verschiedenen ge-
druckten Lehrbüchern über Generalbass, Kontrapimkt, Fuge, doppelten Kon-
trapunkt und Kanon". Beethoven hat dabei sieben Lehrbücher benutzt; C. Ph.
E. Bachs „Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen", 2. Theil,
2. Auflage; D. G Türks „Kurze Anweisung zum Generalbassspielen", 1. Aus-
gabe vom Jahre 1791; J. G. Albrechtsbergers „Gründliche Anweisung zur
Komposition", 1. Ausgabe vom Jahre 1790; Kimbergers „Kunst des reinen
Satzes"; Fux^ „Gradus ad Pamassum"; Kimbergers „Gedanken über die ver-
schiedenen Lehrarten in der Komposition"; Marpurgs„ Abhandlung von der Fuge".
Diese Auszüge sind nach Nottebohms höchst wahrscheinlicher Ansicht
durch den theoretischen Unterricht des Erzherzogs Rudolf veranlasst worden
und gehören in das Jahr 1809.
Viertens Aufizeichnungen, die zu verschiedenen Zeiten entstanden sind;
,,sie betreffen grösstentheils die Fuge. "
Fünftens einige „von einer fremden und von Albrechtsbergers Hand ge-
schriebene kontrapunktische Uebungen und Beispiele".
Dies (auch die dritte und fünfte Gruppe) Seyfrieds Vorlagen. Sein Buch
lässt sich bis auf einen sehr kleinen Theil durch die Handschriften belegen.
Die Versündigung des Verfassers der „Studien" besteht nun darin, dass er den
gesammten Inhalt seines Buches für das Resultat des Unterrichts erklärt, den
Beethoven bei Albrechtsberger genossen, während in Wahrheit nui* ein Bruch-
theil auf diesen Unterricht zurckgeführt werden kann; dass er die Auszüge
aus theoretischen Büchern für Beethovens geistiges Eigenthum ausgiebt; dass
er sich „um eine genaue Wiedergabe seiner Vorlagen gai' nicht bemüht", viel-
mehr „den ursprünglichen Text und Notenbeispiele geändert, Falsches aufge-
nommen, Randglossen hinzugefügt und Wichtiges weggelassen" hat und dennoch
seine gesammten Mittheilungen, in Form und Inhalt, als authentische Wieder-
gabe der handschriftlichen Vorlagen angesehen wissen wül. Dass die Fäl-
schung gewinnsüchtiger Spekulation entsprungen, ist wohl unzweifelhaft.
27
sonderlich gewogen. Er hatte sich vorzugsweise und mit entschiedener
Vorliebe mit Kirchenmusik und Fuge beschäftigt und öfter geäussert:
„ich habe gar kein Verdienst dabei, dass ich gute Fugen mache,
denn mir fällt gar kein Gedanke ein, der sich nicht zum doppelten
Kontrapunkte brauchen liesse." Leider sind nur auch seine Fugen
obwohl sorgsam und — was man so nennt — kon'ekt gearbeitet
nicht gerade lebensvoll und lebenzeugend.
Was also den Unterricht bei Albrechtsberger betrifft, so ist
der Gegenstand desselben in der Anmerkung zu Seite 20 bereits
übersichtlich angegeben. Wir gehen nunmehr, nattirlich in allem
Thatsächlichen wiederum unter der Führung Nottebohms, auf das
Einzelne etwas ausführlicher ein.
Auch Albrechtsberger fusste in seinen Anweisungen auf den
Gradus ad Parnassum von Fux, aber statt der alten Tonarten hat
er das Dur und Moll der neueren Musik angenommen. Seine Kom-
positionslehre diente in der Ausgabe von 1790 dem Schüler zur
häuslichen Eepetition.
Albrechtsberger begann also, wie die Handschriften zeigen,
mit dem einfachen strengen Kontrapunkt, dem schon bei
Haydn getriebenen, aber nicht zu voller Aneignung gelangten Pensum.
Dem folgten kontrapunktische Uebungen im freien Satze
d. h. einer Schreibart, die damals in Kii-che, Kammer und Theater
üblich war, die ein Kompromiss darstellt zwischen der von den
Forderungen des strengen Satzes befreiten neueren Musik und dem
alten Kontrapunkte und seinem cantus firmus. Vorhanden sind
26 Uebungen.
Danach ging man zu Uebungen in der Nachahmung über.
A^orlmnden sind drei grössere Nachahmungssätze. Der erste ist ein
Vorspiel zu einer einfachen Fuge in Emoll für 3 Streichinstrumente.
Es zeugt von Albrechtsbergers Enist, dass die von ihm gemachten
Aenderungen besondei*s auf Festhaltung der Aehnlichkoit der Motive
zielen. Die Reinschrift dieses Stückes beweist, dass ßej^thoven die
Aenderungen anerkannte. Einmal aber hat er selbst den Meister
gemeistert, indem er eine von Albrechtsberger eingesetzte Formel
des Cello, die sonst nicht vorkommt, also nicht begründet ist,
durch einen dem folgenden Takte entnommenen Gang ersetzt und
so den Eintritt des Weiteren motivirt. Die beiden anderen Nach-
ahmungen sind Streichquartette, in Fdur und Cdur geschrieben.
Daran schloss sich das Studium der Fuge, in welches 38 zwei-
stimmige, 7 dreistimmige, 9 vierstimmige und 3 Choralfugen Einsicht
28
■
gewähren. Darauf stieg der Unterricht auf zum doppelten Kon-
trapunkt in der Oktave, in der Dezime oder Terz, in der Duo-
dezime oder Quinte, sogar zum dreifachen Kontrapunkt in der
Oktave, ferner unter Anwendung des doppelten und dreifachen
Kontrapunktes zur Doppel- und Tripel-Fuge und endigte mit
der Komposition einiger drei- und vierstimmigen Zirkel- oder
Lieder-Kanons im Einklänge.
Der Unterricht scheint Zuletzt überstürzt zu sein. Nottebohm
schliesst dies wohl mit Recht aus der weniger gründlichen Arbeit,
die in den vorhandenen Fugen-Exercitien hervortritt. Während
der Schüler anfangs mit Hingebung sich der Leitung Albrechtsbergers
unterwirft, der Lehrer seinerseits nicht minder peinliche und ge-
wissenhafte Kritik übt, sind die Leistungen in den komplicirteren
Formen quantitativ und qualitativ dürftiger, und die Einwirkung
und Nachhülfe des Lehrers ist in den handschriftUchen Vorlagen,
welche hierher gehören, weniger zu spüren. Der Schuldige wird
Beethoven gewesen sein, den die Ungeduld vielleicht, nachdem bereits
Jahre des Lernens vergangen, zum selbständigen Schaffen zurücktrieb.
Ohne Zweifel hat Beethoven von Albrechtsbergers Unterricht
einigen Erfolg gehabt, namentlich ist er durch denselben bestärkt
worden in der angeborenen Richtung auf nicht blos figurative sondern
auch polyphone Schreibweise — aber der Unterricht ging zu eilig
zu Ende, als dass Beethoven innerhalb des Gebietes, in dem sein
Ijehrer am liebsten weilte, schon hätte festgestellt sein können.
Vor allem um in der Fugenform sich mit der schulmässigcn Richtigkeit
und Reinheit zu bewegen, hätte es weiterer ruhiger üebung bedurft.
Daher ist es auch keine auffallende Erscheinung, dass Beethoven
unmittelbar nach dem Austritt aus Albrechtsbergers Schule, bis an
das zweite Jahrzehnt heran, so gut wie gar keinen Gebrauch von
den sogenannten strengern Formen macht, namentlich der Fuge.
Selbst in kirchlichen Werken (dem Oratorium Christus am Oclberg
und der eri^ten Messe) fehlen sie, oder treten doch in so lockerer
Weise auf, dass sie eher gegen als für die Schule zeugen. Wohl aber
findet sich von Anfang an eine lebhafte Neigung für selbständige
oder freie Führung der Stimmen, wie er sie zunächst in Haydns
und Mozarts Werken vor Augen gehabt, eine Neigung für „obli-
gates Accorapagnement", mit dem er, wie er späier (15. De-
zember 1800) in launiger Stimmung an den Musikverleger Hof-
meister schrieb, „auf die Welt gekommen war." Auf die strengen
Formen, namentlich der Fuge, ist Beethoven erst allmählich , dann
29
aber mit steigendem Eifer und wachsender Jiiebe und Vertiefung
eingegangen.
Und doch: die Beethovenschen Fugen lassen bei allem Geist-
vollen und ktinstlerisch, namentlich für den jedesmaligen Zweck
Bedeutenden gerade das vermissen, was das Ergobniss einer tüch-
tigen Schule ist, bald die vollkommene Fugenmässigkeit des Themas,
bald die Gediegenheit des Baus und seine Gliederung im Sinne
der Fugeüform. Ein genialer Künstler, — so ei'scheint Beethoven
in dieser Richtung, — ist er von der vielseitigen Belebtheit seines
Geistes zu dramatischer Gestaltung des Tonbaues angeregt; er l)e-
ginnt damit, „obligat" zu schreiben, und findet sich von da, getragen
durch die ErinneiTing an so viel Gehörtes und Gespieltes, immer
mächtiger zur höchsten Gestalt der dramatischen oder polyphonen
ilusik, zur Fuge hingezogen. Wohl mag den Erinnerungen aus
dem Leben die Lehre zu Hülfe gekommen sein; die Formen der
Engführung, Vergrösserung und Verkleinerung, Verkehrung*) mögen
durch sie hervorgehoben sein, — eigentliche Durchbildung in dieser
Form giebt sich nicht zu erkennen.
Merkwtirdig ist hierbei, dass gerade dieser Weg sich später als
der für Beethovens eigcnthUmlichen Benif geeignetste zu erkennen
gab. Er war l^erufen, in dem phantastischen Reich der Instrumen-
talwelt als deren schrankenlos waltender Herrecher zu gestalten.
Jene strengbemessenen Formen hätten hier nur fesseln können, hätten
Beethoven möglicherweise zu einem zweiten Sebastian Bach gemacht.
Er war aber nicht bestimmt, ein Zweiter zu sein, sondern ein
Erster; überhaupt wiederholt sich die Kunstgeschichte so wenig
wie die Völkergeschichte. Für sein weites Reich bedurfte er der
weitesten und mannigfachsten Formen, der Möglichkeit und Maclit,
sie nach jedesmaligem Bedürfniss, natürlich stets unter dem Gesetze
der ewig waltenden Kunst Vernunft, auszudehnen und umzuwandeln.
Hierbei hätte die Scluile, wie sie damals war, ihn eher hemmen
als fördern können.
Eine Ansicht Beethovens mag vielleicht aus der Albrechtsber-
gerechen Zeit herstammen. Er liebte zu behaupten: Religion und
Generalbass seien in sich a1)geschlossene Dinge, über die man nicht
weiter disputiren solle. Weh" ihm und seinen Werken, wenn dem
wirklich so wäre! wir werden noch erftihren, wie weit die letztem
•) Wer nähere Erläuterung wünscht, findet sie im Anhang I., von der
Kunstform.
HO
sicli mit dem (ieiieralbass veitiageii haben. Aber es war ihm selber
nicht Ernst daDoit. Wenn sein Schüler Ferdinand Ries ihm ge-
legentlich einmal (dne Quintenfolge in einem der ei'sten Quatuors
zeigt, fragt- er, was das schade? Eies:- es sei aber doch falsch! —
„Wer das sage?" — Alle Theoretiker, Fuchs, Albrechtsberger u. s. w.
— „Nun so sage Ich (fiel der Entscheid), dass es recht ist." Und
wenn ihm noch in splUern Jahren Afterkritiker sogenannte gram-
matische Verstösse zum Vorwurfe macliten, rieb er sich wohl seelen-
vei^ntigt die Hände und rief hellauflachend: „Ja, ja! da staunen
sie und stecken die Köpfe zusammen, weü sie es noch in keinem
Generalbassbuche gefunden". Er beruhte auf „dem Gesetz, das mit
ihm geboren/' Einem Spätem, der geistig zu seinen Füssen ge-
sessen, war die Verpflichtung aufbewahrt, den Einklang dieses
Rechtes mit der geläuterten und begriffenen Satzung mit den ewigen
Gesetzen der in der Kunst walt-end^n Vernunft zu zeigen.
Soviel also steht fest: Beethoven hat zunächst und längere
Zeit ausschliesslich in den freiem Formen gebildet. Zu ihnen
hin, müssen wir vermuthen, war Neefe (S. 7) der erste Leiter
uijd , walu^cheinlich Haydn von bcdeutendeni Einfluss, als erster
hervoiTagender Meister in jenen Formen, die Beethoven zuei'st
seinem Geiste gemäss fand. Beethovens Verleugnung desHaydnschen
Einflusses kann uns dabei nicht beirren; sie betriffl den allerdings
mangelhaften Unterricht in den strengen Formen, während wir
annehmen zu dürfen glauben, dass für die freieren Haydns
Schaffen vor allem, nicht seine Lehre vorbildlich auf Beethoven
einwirkte.
Verleugnet man den Einfluss jener beiden ersten Lehrer (denen
der HiUfslehrer Schenk zugesellt werden muss), so bleibt gar kein
Lehrer übrig als der für jene Formen ungeeignetere Albrechts-
berger, von dem aber aus Beethovens Munde gar keine Aeusse-
rung verlautet.
Dass ein energisch Schauen und Streben sich dieser Formen
auch ohne fremden Beistand bemächtigen könne, wird man nicht
unmöglich nennen dürfen; wer ermisst die Macht und den Drang
eines Genius? Allein man berge sich nicht den eigentlichen Gehalt
dieser Annahme. Diese Formen sind nicht melir und nicht weniger,
als die geschichtliche Entwickelung des Musikinhaltes
selber: sie sind nicht etwa willkürliche, dem Inhalt fremde oder
gar feindlich entgegengesetzte Satzungen oder Herkömmlichkeiten
(wie kann man solche Vorstellungen mit der holien Bestimmung aller
31
wahren KUnstler von Bach bis Beethoven, ihre Vorgänger und Nach-
folger mitgerechnet, die allesammt in diesen Formen geschaffen
haben, zusammenbringen?) sondern die logische Nothwendigkeit, der
fortschreitende dialektische Prozess dos Musik schaffenden Geistes;
daher sind sie, ist keine einzelne derselben weder von irgend einem
Einzelnen geschaffen, noch ist ihnen irgendwo die Grenze gesetzt,
über die jene Dialektik des Musikgeistes nicht hinauskönnte. Und
endlich gentigt dem Künstler flir seinen Beruf nicht äusserliche
Kenntnissnahme, nicht Ergründung des gedanklichen Inlialts der
Formen; er muss sie seinem Geist angeeignet haben, als wären sie
ihm angeboren zu freiestem Schalten. In solcher Vollendung tritt
aber Beethoven gleich mit den ersten Werken vor uns; er ist na-
mentlich der neuern und freiem Sonaten- und Rondoformen gleich
in derselben Weise mächtig, in der sie aus den Händen Haydns und
Mozarts hervorgegangen waren; dem Standpunkte dieser Meister
schliesst sich seine Form, das heisst sein geistig Weben und Ge-
stalten, mit^Noth wendigkeit an; aber sogleich führt eben dies geistige
Weben, das die Kunst in ihm fortsetzt, wie zuvor in Mozart, Haydn
und deren Vorgängern, neuen Inhalt und damit Erweiterung und
Aenderung der Formen herbei, — und zwar schon von den ersten
Werken an. Dazu gehörte meisterliche Herrschaft. Sie ohne
Beihülfe Anderer, oder den Aufwand jahrelanger Arbeit errungen
zu haben, würde fast einem Wunder gleichkommen, dergleichen
weder Mozart, noch Goethe, noch Raphael an sich erlebt haben.
Wenn gleichwohl Beethoven sel))st seiner Einfülirung in die Formen
nicht gedenkt: so darf man den Grund nur darin suchen, dass
gerade dieser auf das Ganze gehende und voraugsweise künst-
lerische Lehrtheil seinem Geist unbemerkter, gleichsam als etwas
Selbstverständliches einging, während die abstrakten, zunächst
unkünstlerisch auftretenden Lehren der Harmonik und des Kon-
trapunkts sich als ein Fremderes merkbar machten.
Wie man sich auch liierilber entscheiden mag, die Formfrage
ist von Anfang an in ihrer ganzen Wichtigkeit bei Beethoven zur
Erörtening gekommen, und bei ihm mehr, als bei irgend einem
andern Tonktinstler. Fast sein Lebenlang wurde Formlosigkeit
ihm zum Vorwurfe gemacht; und seltsam lilckte dieser Vorwurf
mit seiner Entwickelung weiter, man hatte die Meisterschaft der
Gestaltung an ganzen Reilien früherer Werke gepriesen und wandte
nun den Voi'wurf gegen die spätem. Daneben erstand dann in
neuester Zeit die Vorstellung: Beethovens Verdienst beruhe gerade
32
<lariu, „die Form zerbrochen" zu haben. Beiden Aussprüchen
Jiegt derselbe Ii-rthum zum Grunde: die Form vom Inhalt zu trennen,
sie als etwas ein fiir allemal Festgestelltes, dem Inhalt Fremdes
oder gar zwängend und feindlich Gegen übe.rs teilend es anzusehn.
während sie nichts Anderes als Gestaltung dieses Inhalts, und olnie
sie nichts als nebelhaft unbestimmtes Schwanken und Schweben der
Seele vorhanden ist, ohne fassbaren Inhalt und ohne andere Wirkung,
als gleiche traumhafte und folgenlose Regungen und Wallungen.
Beethoven hat bestimmten Inhalt zu offenbaren gehabt und darum
bestimmte Formen; aber diese Formen sind ihm nicht äusserliche
Spaliere und Schranken geworden, wie dem unerweckten hand-
werkerlichen Tonsetzer, oder wie die Formeln eines Philosophen
für nachsprechende Schüler, sondern sein Geist hat sich in ihnen
lebendig befunden, sich in ihnen erkannt, da sie nur der Vernunft
der Sache, die in ihm selber gewaltet, entspringen und mit der
eignen Entwickelung sie selber, weiter entfaltet. Beides kann nicht
begreifen, wer die Form als ein Aeusserüches auffasst. Kein
Musiker aber gab mehr Anregung zu dieser Erörterung, als Beet-
hoven, in dem die reine Musik ihre weitest gehende Vollendung,
mithin die weiteste Mannigfaltigkeit und Ausgestaltung ihrer Formen
erlebte; seine Werke zeigen ihn in diesem Sinn als den Vollender
der Form, — wenn auch nicht als den Beschliesser, Es wird
hierauf noch zurückzukommen sein.
Neben und nach Albrechtsberger ertheilte Salieri, der be-
kannte Opernkomponist dem Jüngling Anweisung über Behandlung
der Singstimmen und über dramatische Musik. Die vorhandenen
Studien sind zwischen 1793 und 1802 geschrieben, etwa 20
Gesangsstücke mit italienischem Text. Diese geringe Anzahl von
Uclmngen zeigt keinen Lehrgang und lässt vermuthen, dass der
Unterricht kein regelmässiger war, sondern dass Beethoven von
Zeit zu Zeit Salieri's Eath eingeholt hat. Dass der nur auf der Ober*
fläche athmende Italiener bei dem von Anfang an auf das Tiefe
und Wahre hingewandten, durchaus deutschen Künstler noch ge-
ringeres Gewicht hatte, begreift sich. Beide Lehrer klagten über
di(^ Eigenwilligkeit, mit der der Schüler sich manchen Theilen der
Leitung entzöge, und sagten voraus, dass er das jetzt Zurück-
gewiesene mit eignem Schaden würde nachkaufen oder entbehren
müssen. Unermüdlich war dagegen derselbe so starr verschlossene
Jüngling, sich über den JVIechanismus der Instrumente Rath zu
holen; die trefflichen Musiker Kraft und Linke machten ihn mit
33
dem Violoncell, Punto mit dorn Hörn, Friedlowsky mit der
Klarinette bekannt, noch um das Jahr 1800 nahm er bei Krump-
holz Violinstunden, wiewohl er schon damals die Fähigkeit, rein
zu spielen, einbüsste.
Ungemein förderlich wai-d ihm neben dem eigentlichen Unter-
richt die Gelegenheit, gute Musik zu hören und an ihrer Ausführung
Theil zu nehmen. Hier ist vor Allem das van Swietensche Haus zu
nennen, in das er durch Zmeskall (S. 20) eingeführt worden war*
Gottfried, Baron van S wie ten , MusikHebhaber und selbst Kom-
ponist von Symphonien (,,so steif wie er selbst", sagt Haydn) und
andern Sachen, hatte in Berlin Gelegenheit gefunden, Werke von
Seb. Bach und Händel kennen zu lernen: die erstere Eichtung war
durch Bachs Sühne Friedemann und Emanuel und durch seine
Schüler Kirnberger und Agrikola vertreten und befestigt, von Händel
waren der Messias, ludas Makkabäus und das Alexandeifest mehr-
mals zur Aufführung gekommen. Van Swieten hatte sich dieser
Musik mit grosser Entschiedenheit zugewendet und bei seiner Rück-
kehr nach Wien schon in ^Mozarts Zeit und unter dessen Mitbe-
thätigung in seinem Hause Zusammenkünfte zur Ausführung von
Gesang- und Instrumentalsätzen jener Äleister und anderer, nament-
lich auch älterer Italiener, bis zu Palestrina hinauf, eingerichtet.
Mozart war geschieden: jetzt wurde Beethoven bei van Swieten
eingeführt und nahm an den musikalischen Zusammenkünften Theil.
Hier lernte er die genannten Meister kennen und kam von dem
unersättlichen Musikliebhaber nicht leicht los, bevor er nicht nach
allem Vorausgegangenen noch ein halb Dutzend Fugen von Seb.
Bach „zum Abendsegen" gespielt; jetzt kam ihm also Neefe's
Schule zu statten. W'ie eifervoll es bei dem alten Herrn zugegangen,
bezeugt noch eines d('V an Beethoven erlassenen Billets, das Schindler
aufbewahrt hat: „Wenn Sie künftigen Mittwoch nicht verhindert
sind, so wünsche ich Sie um halb neun Uhr Abends mit der
Schlaf haube im Sack bei mir zu sehen."
Aehnliche Zunuithungen und Ausnutzungen, dergleichen hier,
bei van Swieten. wenigstens ihren Entgelt im zugefilhrten Bildungs-
sloff fanden, traten aber dem jungen Künstler um so häufiger nahe,
jeraehr sein Talent zur Anerkennung kam. Er war mit Vorliebe,
mit Auszeichnung aufgenommen worden, namentlich von den kunst-
liebenden Familien dc^s Adels, unter denen die des Fürsten Lich-
nowsky voranstand. Diese Verhältnisse waren für Beethovens Ehr-
liebe lockend und für seine Stellung vortheilhaft. Allein es hegt
Marx, Beethoven. I. 3
34
in der Natur der Sache, dass mit deai Wachsthuiii dcT Anerkennung
uod Theilnahme audi die Beansprueliunji: sich in gleicliem Masse
steigert. Man will (jeder Künstler erfährt das mehr oder weniger)
der Kunstgaben froh wenh^n, das ist der unschuldige Anfang; bald
zeigt sich, vom Reize der Kunst und der unvermeidlichen Leerheit
des Gesellschaftswesens gesteigert, die Unersättlichkeit und Rück-
sichtslosigkeit, und droht den Künstler auszunutzen und geistig zu
verzehren. Auch Beethoven sollte das empfinden. „Er kam dann
(erzählt Wegeier, der vom Oktober 1794 bis Mitte 179r) in Wien,
in seiner Nähe gelebt) düster imd verstimmt zu mir klagte, dass
man ihn zum Spielen zwing(\ wenn auch das Blut unter den Nägeln
ihm brenne. Allmählich entspann sich dann zwischen uns ein Ge-
spräch, worin ich ihn freundlich zu unterhalten und völhg zu be-
ruhigen suchte. War dieser Zweck erreicht, so liess ich die Unter-
redung fallen, setzte mich an den Schreibtisch, und Beethoven
musste, wollte er weiter mit mir sprechen, sich dann auf den Stuhl
vor dem Klavier setzen. Bald griff' er nun, oft noch al)gewendet,
mit unbestimmter Hand ein paar Akkorde, aus denen sich dann
nach und nach die schönsten Melodien entwickelten Ueber
s^in Spiel durfte ich Nichts oder nur Weniges, gleichsam im Vor-
beigehen, sagen. Er ging nun gänzlich umgestimmt fort und kam
dann immer gern zurück. Der Widerwille blieb indessen" — (die
Anmuthungen zum Älusiziren mögen oft genug sein innerlich Weben
gestört haben) — „und ward oft die Quelle dei* grössten Zerwürfnisse
Beethovens mit dem ersten (Lichuowsky?) seiner Freunde und Gönner."
Die Zumuthungen waren es, die ihn ermüdeten und verstimmten.
Im trauten Zimmer des Freundes zog ihn gleich darauf unvermerkt
das Klavier wieder an; da spielte* er nicht lur die Gesellschaft,
nicht einmal für den stumm lauschenden Freund: da träumt' er
sein wahres Leben weiter.
Ein Nachhall aus der Swietenschen Zeit, ein Zeugniss über die
Eindrücke, die er in dem Hause des alten Kunstfreundes empfangen,
ist Beethovens Ausspruch über Händel: „Händel ist der unerreichte
Meister aller JMeister. G(*het hin und lernt, mit wenig Mitteln so
grosse Wirkungen hervorzubringen." So hat Seyfried den Aus-
spruch überUefert.
Dass die grosse Verehrung für Händel bestand, und zwar
lebenslänglich, darüber hat Gerhard v. Breuning, der einzige Sohn
Stephans v. Breuning, noch 1845 ein unwidersprechlichcs Zeugniss
abgelegt. Er schreibt an Wegeier: „Einer der sehnlichsten Wünsche
35
Beethovens war, Händeis sämmtliche Werke zu besitzen, und als
in seiner letzton Krankheit diese, ein Geschenk aus England, an-
kamen, musste ich ihm alle, ich glaube bei 50 Bände, in seinem
Bette gegen die Wand hin aufstellen, wo er sie, stets durchblätternd
und seh'g vor Freude und Lobeserhebung dieses grossen Meisters,
fast den ganzen Tag behielt."
In die Welt.
Ein Schattenriss, der den Wegeier -Riesscheu Notizen beige-
geben ist, zeigt Beethoven, wie er in seinem siebenzehnten Jahre
war, als er vor Mozart gestanden. Die Mode von 1787 hat ihm
ein klein Zöpfchen hinten angebunden, das einzige, das ihm jemals
angehängt. Das Profil ist offen, die Stirn noch gemässigt in ihrer
Entwickelung, die Augen scheinen vordringend, der Mund scheint,
wie bei heissen Gemüthern öfters, leicht geöffnet, die Nase, das
ganze Antlitz emporgerichtet.
Jetzt war aus dem Jüngling ein junger Mann geworden; fünf-
undzwanzig Jahre zählte er, als er in die Welt hinaustrat. Sein
Körperbau war gedrungen, nicht gi'oss (fünf Fuss vier Zoll), stark-
knochig, voll Rüstigkeit, ein Bild der Kraft: von Krankheit scheint
damals nicht viel die Rede gewesen zu sein.*) Sein Haupt hatte
*) So berichtet Seyfried, dor nahe genug stand, um beobachten zu können.
Gleichwohl lauten andere Nachrichten ganz anders. Namentlich wider-
spricht auch Wegeier, als Beethovens Jugendfreund und als Arzt zwiefach
urtheilsberechtigt, der Seyfriedschen Angabe. Ja, er spricht aus: ,im kranken
Unterleib meines Freundes lag schon 1796 der Grund seiner Uebel, seiner
Harthörigkeit, und der ihm zuletzt tödtlichen Wassersucht. Das nur zu hSufige
Unterbrechen einer regelmässigen Lebensart musste allerdings diese Grund-
ursache verschlimmern.*' Das Urtheil eines Sachverständigen muss Seyfried
widerlegen.
Und dennoch wird man nicht fehlgehn, wenn man diese Angabe in ge-
wissem Sinne aufrecht hält. Beethoven trug, wie jeder Künstler, wie jeder
Mensch, in dem Nervenkraft, Geist und Wille vorherrschen, das wahre Uni-
36
sich mit dunkelm Haargobüscli bedeckt, das ungeordnet, mehr
mähnenartig als lockig umherlag, die Stirn war breiter und vor-
dringender über den dunklen Augen gelagert, die nun sclion tiefer
und verschlossener zurücktraten, die Nase war kräftig mehr in
die Breite entwickelt, als vordringend, von deutschem, nicht rö-
mischem Profilschnitt, welchen letztern die meisten Künstlernasen
zeigen. Der IVFund war wohlgebildet.
So trat er seine öfientliche Laufl^ahn an, gut, offen, anhänglich,
strebend, voll Selbstgeliihl, ganz durchdrungen von dem, was in
ihm lebte. Er konnte heiter sein bis zum ]\[uthwillen, ihm stand
Witz, Satire, Sarkasmus zu Gebot; aber im tiefsten Grunde lebte
der Ernst seines hohen Berufs, dessen ganze Fülle er selbst noch
weit entfernt sein musste zu überschauen, wie der Fortschritt in
seinen Werken unwidersprechlich zeigt.*) Das war es. was Haydn
Versalmittel gegen jede Krankheit in sieb, — allerdings nur auf eine gewisse
Zeit Er hatte die Krankheit, aber die Krankheit hatte nicht ihn. Im Feuer
des Schaffens vergass er sie, überwand er sie (wenngleich nur auf Zeit), fühlte
er sich, — war er im Vollbesitz seiner Kraft. Solche Menschen (wir sprechen
aus Erfahrung) sagen zur Krankheit: ich habe nicht Zeit! — ja, wer weiss,
ob sie nicht im Drange geistiger Noth dem Tode selbst einmal entgegenrufen
dürfen: ich habe noch nicht Zeit, meine Zeit ist noch nicht kommen. In der
Schwangerschaft stehen Zehrkrankbeiten still; während der grossen französischen
Revolution will man in Frankreich sie nur in sehr verminderter Zahl ge-
funden haben.
Der Mensch Beethoven trug die Krankheit und den schlummernden Todes-
keim in sich. Der Tondichter Beethoven wusste davon nichts.
*) Dieser Fortschritt tritt bei Beethoven (mehr w^ie bei irgend einem andern
Tonkünstler) so bedeutend hervor, dass ci Biographen und Beurtheiler ver-
leitet hat, drei Perioden, — und zwar charakteristisch unterschiedene, nicht
Zeitabschnitte, wie sie Schindler zu besserer Uebersicht macht, von der Geburt
bis 1800, von da bis Oktober 1811), von da bis zum Tode 1827. — oder
Manieren, oder Stile zu unterscheiden. Voran steht hierin Fötis (in seiner
aUgemeinen Biographie der Musiker), der Beethoven aus dem begrenzten fran-
zösischen Gesichtspunkte betrachtet, wie wenn man Logarithmen als gemeine
Zahlen handhaben wollte. Er nimmt drei Manieren, oder vielmehr zwei ent-
gegengesetzte Systeme an, das eine, beruhend auf den allen Musikern gemein-
samen Grundsätzen der Harmonie und Ansprüchen des Gohörs, das andre
ausserhalb der musikalischen Grammatik stehende, ihm allein bekannte. Ihm
schliesst sich der geistreiclie, aber durchaus französirte Oulibicheff an. Er
fasst, ohne Ahnung von deutscher Art und Kunst, Beethoven in der ersten
Periode einfach als Nachfolger von Haydn und Mozart auf, der dann in der
zweiten dem reinen Musikinbalt eiaen musikfremden allgemein geistigen beigesellt
und in der dritten einen Abdruck seiner selbst (rabstraction de son moi)
gegeben habe, eine Folge von trostlosen Gedanken, eine tiefe Versunkenheit
37
gefühlt, als er ihn Grossmogul nannte, das fühlte auch Seyfried
heraus, der Beethovens Manieren stets kalt und wenig gewinnend
nennt und meint, seine lebhaftesten Bewegungen hätten sich in der
Regel durcli nichts auf seinem Marmorantlitz verrathen; er habe
Opern von Cheruliini und Mohul, die er sehr scliätzte, bis zu Ende
gehört, unbeweglich wie ein Bild: habe aber die ]Musik: ihm nicht
gefallen, so sei er schweigend nach dem ersten Akte davongegangen.
Aus nicht viel spät<}rer Zeit spricht derselbe Zeuge, der unterdess
Beethoven schon näher getreten war,*) aus: .... „und wenn ich
den Meister der Töne als einen Stern erster Grösse am musikaUschen
Horizont lange schon verehrte, so musste ich das engelreine GemUth,
ia unfruchtbare Träumereien und trockne Leiden, die die Musik nicht ausdrücken
könne; auch er kommt dann zu der Bemerkung, die zweite und dritte Periode
seien im Grunde eine. Der idealitätlose französische Standpunkt konnte nicht
anders urthcilen. Einen höhern nimmt unstreitig, Beethoven gegenüber, Lenz
ein, der in Verehrung und schriftsteUerischer Thätigkeit für ihn uoerschöpflich,
für den wahren Inhalt des Tondichters erschlossen ist, nur leider nicht nöthig
befunden hat, sich tiefere Sachkunde eigen zu macheo, desswegen mit seinen
Anschauungen allzu oft im unbestimmten Allgemeinen schwimmt uod besonders
dadurch sich selbst hemmt, dass auch er den falschen Begriff von Form nicht
überwunden hat, ein Irrthum, der allerdings auch nicht weniger Theoretiker
und Praktiker gefangen hält, den aber die fortgeschrittene Wissenschaft und die
Gesammtheit aller wahren Künstler vor und nach Beethoven weit hinter sich
gelassen. Auch Lenz sieht in der Form ein dem Inhalt Entgegengesetztes
allenfalls ein Spalier, an dem der Theoretiker die kleinen jungen Tonsetzlinge
emporwachsen lehrt. Er setzt drei Perioden fest, deren Gränzen er von Op. 1
bis 20, 20 bis 100, 100 (alles ,in runden Zahlen'*) bis zu Ende absteckt. Der
ersten Periode giebt er als Inhalt „das aller Kunst und Wissenschaft inwohnende
Element der traditionellen Doktrin;" — der zweiten „die in der Geschichte
menschlichen Geistes überall auftretenden Unabhängigkeitskämpfe gegen die
Tradition, die Auflehnungen des sich allein genug fühlenden Menschen gegen
die Realität", — der dritten „das durch die bestandenen Kämpfe freigekämpfte
Individuum, das sich bisher suchte und nun gefunden hat, fesselfrei sich über-
lassen; in dem köstlichsten der Besitze, in dem Besitze seiner selbst; von dem
befremdhchen Erstaunen seiner Zeitgenossen, von der Bewunderung . . . um-
geben.*' — Humoristisch genug straft sich Lenzes Versäumnis tieferen Ein-
dringens dadurch, dass seine Perioden gerade solche todte Abschrankungen
sind, fremd und feindlich in das ununterbrochen fortströmende Leben einge-
schoben, wie er sich die Kunstformen vorstellt. Jede andere Periodik hätte
gleiches Schicksal gehabt; das Leben widerstrebt (wie Lenz aus der Formen-
lehre selbst hätte lernen können) jedem Eingriffe von aussen.
•) Dies war spätestens seit 1S02 der Fall; die zweite, dritte, fünfte und
sechste Symphonie, das Violin-Konzert, die Pianoforte-Konzerte aus Gmoll,
Gdur, Esdur, Christus am Oelberge und Leonorc sind zuerst mit Seyfrieds
Orchester (Theater an der Wien) aufgeführt worden.
38
den seelenguten, kindlich oflenherzigen, mit Theilnahme und Wohl-
wollen Alles umfassenden Menschen stündlich nur lieber noch ge-
winnen."
Dieser Gegensatz von Verschlossenheit nach aussen hin im
Verein mit Offenheit des Gemüths flir alle wahrhaften Empfindungen
und Neigungen ist von den Knabenjahren her ein hervorstechender
Zug in Beethovens Charakter, ein Zeichen seiner tief angelegten,
mächtig und ernstlich in sich arbeitenden Natur, die sich von den
ersten Werken an bewähren sollte. Wenn Ries in kindlicher Auf-
fassung (er war 1800 oder 1801 bis 1805, von seinem 15. oder
16. Jahre an als Beethovens Schüler in seiner Nähe) anmerkt:
dem Meister sei nichts verhasster gewesen, als „Sensiblerie",
dieses Aufkitzeln und Aufpäppeln und Schaustellen weicher, zarter
Empfindsamkeit, so liegt darin derselbe Gegensatz vor; diese
wunderlich und doch treffend benannte „Sensiblerie" war ihm ver-
hasst, während und weil die tiefste und zarteste Empfindung
keinem Tondichter mehr eigen war, als ihm.
Ging aber dieser verschlossenen Natur das feste Herz zu
wärmeren Pulsen auf, ward der Geist von einer dieser idealen An-
schauungen erhoben, die sein eigenthümliches Leben waren: so ver-
breitete sein Lächeln den Glanz seiner Grundgüte über das ganze
Gesicht, so richtete seine Gestalt sich hoch auf, das Auge trat er-
weitert vor und rollte, den Stern fast immer nach oben gewandt,
leuchtend umher, oder starrte gefesselt auf einen Punkt, Alles an
ihm sprach die innere Erregimg aus. „Diese Momente plötzlicher
Begeisterung (erzählt Schindler)*) überraschten ihn öfters in d(T
heitersten Geseüschaft, aber auch auf der Strasse, und erregten ge-
wöhnlich die gespannteste Aufmerksamkeit aller Vorübergehenden.
Was in ihm vorging, prägte sich nur in seinem leuchtenden Auge
*) Es ist im Grund überflüssig, auf Schindlers Biographie Beethovens als
eine der wichtigsten Quellen für diesen Gegenstand hinzuweisen. Schindler,
durch wissenschaftliche und künstlerische Bildung urttieilsberechtigt, hatte seit
1814 bis zu Beethovens Tode mit demselben im Verhältniss eines verehrenden
Schülers und Freundes gelebt, ist also für diese Zeit Augen- und Ohrenzeuge,
hat auch ohne Zweifel Gelegenheit genug gehabt, sieb über die frühere Zeit zu
unterrichten. Er selbst erinnert (in einem der Konversationshefte, von denen
wir im neunten Abschnitte Näheres vernehmen werden) Beethoven noch im
Februar 1827 an den ersten Besuch im Hause des Baron Pasqualati auf der
Bastei: ^in diesem Hause (bemerkt Schindler) hatte ich die Ehre, einmal bei
Ihnen in Ihrer Wohnung gewesen zu sein. — Schon ziemlich lange! — 1814 — .**
39
und Gesicht aus, niemals aber gestikulirte er, weder mit dem
Kopfe noch mit den Händen."
Und dieser nach geistiger Begabung und energischem Streben,
schon nach der, bedeutsamen Erscheinung hervorragenden Persön-
lichkeit stand die aufregende Kunst der Töne in ihren beiden
Wirksamkeiten, der schöpferischen und darstellenden Seite, zu
Gebot, und das der JMusik erschlossene, für Musik eben erst durch
Haydn und Mozart höher gebildete Wien sollte in ihm eine neue
Lebensepoche feiern! In der That, seiner Kraft war der günstigste
Schauplatz eröifnet, es vereinigte sich in ihm und um ihn Alles, auf
dass seine Bestimmung sich erfülle. Denn Beides muss, wenn
Hohes vollbracht worden soll, zusammcntreftcn: der rechte Mann
und die gemässen Verhältnisse; es ist titanischer Uebermuth, an-
zunehmen, des Menschen, des p]inzelnen Kraft und Wille vermöge
und vollbringe Alles selber und allein, da doch jedem Einzelnen so
viel andere Strebungen und Kräfte gegenüberstehn. Auch das
sollte sich zu tragischem Triumph an Beethoven oüenbaren; an
dem, was er ward und that, haben noch ganz andere Kräfte mit-
gearbeitet, als die seines Wollens und Strebens.
Beethoven als Spieler und Komponist und in der schon früh
geübten Kraft der freien Fantasie, in welcher Schöpfung und Aus-
übung zusammenschmelzen zum vollendeten Kunstereignisse, war
nothwendig den Wienern, war dem musikliebenden und musik-
gebildeten reichen Adel Wiens doppelt und dreifach willkommen.
Ueberall fand er offene Häuser und Herzen, denn überall brachte
er den Genuss und die Erhebung, die gerade in dieser Welt die
gemässesten und willkommensten waren.
Unter allen stand das Haus des Fürsten Karl Lichnowsky
nach eigner Bedeutung und seinem Einfluss auf Beethoven voran.
Der Fürst war Schüler und Freund Mozarts gewesen und wurde
treuer Freund Beethovens; die Fürstin, treffliche Klavierspielerin,
nahm sich des jungen Künstlers in gleichem Sinn' an, wie früher
die wohlwollende und einsichtige Hofräthin Breuning, „Mit gross-
mütterliclier Liebe,'* spricht Beethoven sich später aus, „hat man
mich dort erziehen wollen, und die Fürstin Christiane hätte eine
Glasglocke über mich machen lassen wollen, damit kein Unwürdiger
mich berühre/* Das edle I'aar liatte begriffen, welche Bedeutung
Beethoven in der von ihnen l)eiden geliebten und einsichtig geübten
Kunst habe. Viele Jahre lang blieb dieses Haus ITir Beethoven
40
eine wohlthätige Stätte, er flir das Haus die edelste Zier und
Lebenserfrischung.
Mit dem Lichnowsky'schen Hause stand der russische Gesandt^*,
Graf Rasumowsky, in Verbindung, der, Musikfreund und ausübender
Musiker, sich durch den treflflichcn Geiger Ignaz Schuppanzigh
ein Quartett als kleine Hauskapelle hatte werben lassen. Schuppan-
zigh stand an der ersten Geige; flir die Bratsche hatte er Weiss,
für das Violoncell Link angeworben; Rasumowsky selber stand
an der zweiten Violin. Dieses Quartett war abwechselnd in Rasu-
mowsky's Hause und bei den Musikunterhaltungen thätig, die bei
Lichnowsky jeden Freitag Morgen stattfanden; die zweite Violin
wurde, wenn Rasumowsky nicht selber mitwirkte, durch Sina be-
setzt, an Links Stelle übernahm bisweilen Kraft das Violoncell;
auch Beethovens erster Gönner, Zmeskall, nahm manchmal
thätigen Antheil; die Musiker wurden von den Quartettstiftern baar
honorirt. Als Zuhörer fanden sich die angesehensten Musiker und
Kunstfreunde zusammen; auch Wegeier fand sich (wie er selber
erzählt), so lange sein Aufenthalt in Wien währte, meistens, wo
nicht jedesmal ein.
Beethoven war bei Rasumow^sky, wie bei dem Fürsten Lich-
nowsky eingeführt und beliebt. Er war, wie Schuppanzighs Biograph
( — d, Seyfried?) hn Universallexikon der Tonkunst sich ausdrückt,
„sozusagen Hahn im Korbe; Alles was er komponirte, wurde dort
brühwarm aus der Pfanne durchprobirt, und nach eigner Angabe
haarscharf, genau, wie er es eben so und schlechterdings nicht
anders haben wollte, ausgeführt, mit einem Eifer und einer Pietät,
die nur so glühenden Verehrern seines erhabenen Genius ent-
stammen , konnten; und einzig blos durch das tiefste Eindringen
in die geheimsten Intentionen, durch das vollkoumienste Erfassen
der geistigen Tendenz gelangten jene Quartettisten im Vortrage
Beethovenscher Tondichtungen zu jener universellen Berühmtheit,
worüber in der ganzen Kunstwelt nur eine Stimme herrschte."
Nach solcher Vorbereitung trat das Quartett zu jenen Ausliihrungen
bei Lichnowsky.
Man erkennt, welche Schule dies ftir Beethoven, welches Stahl-
bad es zur Kräftigung und Bestimmung seines künstlerischen Wollens
und Gestaltens gewesen sein muss. Er war Herr und Gebieter,
weil er der Alles beseelende Geist war. Er trat als Komponist an
die gebührende Stelle, und fand dann als Leitender jene Folgsam-
keit und Anhänglichkeit, ohne die kein ganzer Erfolg erlangt werden
41
kann. Hat er ihn zuiiächst seiner künstlerischen Macht zu danken,
so wolle man doch nicht versäumen, die Gunst jener wahren
Kunstfreunde in Anschlag zu bringen.
Die dritte Weise seiner Betheiligung bei jenen Musiken in
Liclmowsky's Hause fand er als Pianist in seinem damals unver-
gleichlichen Spiele Bei Lichnowsky war es, wo er eine schwere
Bach'sche Komposition, die ein ungarischer Graf ihm in der Hand-
schrift vorlegte, meisterlich vom Blatt spielte. Hier spielte er ein
andermal ein ihm unbekanntes Quartett von einem ge\yissen Förster
ebenfalls aus der Handschrift vom Blatt. Im zweiten Theil des
ersten Satzes kommt das Violoncell heraus und schweigt; da er-
hebt sich Beethoven und singt, indem er zugleich seine Partie fort-
ftlhrt, die fehlende Stimme hinein. Man kannte und bewunderte
längst seine Virtuosität im Uoberwinden der grössten Schwierig-
keiten; diese Ergänzung einer ausbleibenden Stimme in einem un*
bekannten Werke regte Alle zu lauter Verwunderung an. Beethoven
lächelte und sagte einfach: ,,so musste die Bassstimme sein, sonst
hätte der Autor keine Komposition verstanden." Auf eine andre
Bemerkung: er habe ja das nie gesehene Presto so schnell ge-
spielt, 'dass es schlechterdings unmöglich gewesen, die einzelnen
Noten zu sehen, erwidertie er: „das ist auch nicht nöthig; wenn
du schnell liesest, so mögen eine IVrenge Druckfehler vorkommen,
du achtest nicht auf sie, sobald dir nur die Sprache bekannt ist."
— So liest der fertige Komponist. Bald wurde er die Seele dieses
Quartett-Vereins. Mit welcher Energie er als Spieler hier seine
Aufgal)e auffasste, zeigte sicli auch später bei Gelegenheit öffent-
licher Auflülirungen. Seine Konzerte in C moll, G- und Es dur trug
er, wie Seyfried als Augenzeuge l)erichtet, aus lecTcn Stimmblättern
vor; auch Mozart hat das öfter getlian; aber welch' ein Unterschied
zwischen seinen und Beethovens Konzerten, besonders denen aus
G und Es! Von seinem Konzerte B (hir kam das Finale erst am
Nachmittag des vorletzten Tages in die Feder: der Komponist
schrieb unter heftiger Kolik auf (Mnzelnc^n Blättern, die eins nach
dem andern ins Vorzimmer gingen, wo vier Kopisten ihrer
warteten.*) Bei der ersten Probe stand aber das Klavier gegen
die Bläser einen Halbton zu tief; folglich — führte Beethoven
*) Weg der erzählt dies, uod dass er dem Leidenden soviel wie möglich
durch kleine Mittel geholfen. Da VV egeler in der Mitte des Jahres 1796 Wien
verlassen hat, so muss jene Aufführong vorher stattgefunden haben.
42 _
seine Partie einen Halbton höher, in Hdur aus. — Auch von dem in
Prag zuerst aufgeführten Konzerte in C dur kam die Hauptpartie
(die Pianoforte-Stimme) erst nach der Aufführung zum Vorschein.
..Es war mir kaum möglich (schreibt Beethoven am 22. April 1801
an seinen Verleger Hofmeister in Leipzig), daran zu denken, was
ich Ihnen zu schicken hatle. Dabei ist es vielleicht das einzige Genie-
massige, was an mir ist, dass meine Sachen sich nicht immer in der
besten Ordnung befinden, und doch Niemand im Stande ist, da zu
helfen, als ich selbst. So z. B. war zu dem Konzerte in der Par-
titur die Klavierstimme, meiner Gewohnheit nach, nicht geschrieben,
und ich schrieb sie erst jetzt, daher Sie dieselbe auch in meiner
eigenen, nicht gar zu lesbaren Handschrift erhalten."
Bedeutsamer war, was er in freier Fantasie leistete. Mit der
freien Fantasie hat es ein eigen Bewenden. Wenn wirkliche Kom-
positionen in stillen Weihestunden entstehn, in denen der Geist sich
ganz und ungestört und ohne Rücksicht auf äusserliche Zufälligkeiten
ihnen hingiebt: so fordert jene Leistung neben der schöpferischen
Gabe, neben der geistigen Gewandtheit im künstlerischen Gestalten
noch die Geschicklichkeit des Spiels und unter dem Spiel das Fest-
halten des schöpferischen Gedankens, der ergriifenen Form, der be-
seelenden, einheitvollen Stimmung. Und darüber liinaus muss die
Zerstreuung gebannt bleiben, die sich leicht aus dem Beisein der
Zuhörer erzeugt, man muss ihr Dasein ganz vergessen, oder aus
demselben erhöhte Spannkraft gewinnen. Was Virtuosen und Di-
lettanten gewöhnlich als freie Fantasie darbieten, weiss allerdings
von dieser Fülle der Aufgabe nichts: es ist eine leichtgefügto Kette
von herkömmlichen Redensarten und Lieblingsgängen des Fanta-
seurs. So fasste Beethoven die Sache nicht an. Er hatte das
unabsichtlich bekannt, als er 1796 in Beriin mit Himmel zu-
sammentraf, auf dessen Wunsch er improvisirte; danach ersuchte er
auch ihn höflich, etwas zum Besten zu geben. Himmel setzte sich wohl-
gemuth zurecht und liess los, was er nur an melodiösen Redensarten,
flinken Läufern und glatten Arpeggien zusammenraffen konnte, bis
endlich Beethoven, der in gutem Glauben das Alles für blosses Prä-
ludiren hielt (war doch selbst in Himmels ausgearbeiteten Werken
keine feste Durchführung und tiefergreifende Richtung!) endlich un-
geduldig ausrief: „Nun so fangen Sie doch einmal an!" Hinmiel
war aber schon fertig. Er wurde dem Beethoven feind; Beethoven
aber urtheilte harmlos von ihm: er besitze ein ganz artiges Talent
und sein Spiel sei elegant und angenehm, wenngleich er dem
43^
Prinzen Louis Ferdinand liierin nachstehe. Diesem aber sagte
er würdigend und würdig : er spiele gar nicht prinzlich oder könig-
lich, sondern wie ein tüchtiger Klavierspieler. Ihm galt die Sache,
nicht die Schale, wäre sie auch vergoldet.
In Wien traf Beethovens Improvisation auf gewichtigere Neben-
buhlerschaft. Zuerst ist der Pianist Wölffl zu nennen, dem er um
dieselbe Zeit zu einem Wettkampf bei dem Freiherrn v. Wetzlar
gegenübergestellt wurde. Jeder trug seine neuesten Kompositionen
vor, dann improvisirten sie einer um den andern, auch vierhändig
an zwei Flügeln über gegebene Themata. Technisch standen beide,
wie Seyfried berichtet (der wahrscheinlich bei dem Wettkampfe zu-
gegen, jedenfalls mit den Leistungen beider bekannt war), einander
gleich, obgleich Wölftl (für dessen Fertigkeit uns Nachgebomen seine
Sonate „Non plus ultra*' Jlassstab sein kann) den Vortheil der
grösseren Hand hatte, die ihm DezimengriiTe so leicht machte wie
Andern Oktaven. Charakteristisch ist dabei die Versicherung, dass
Wölfin sich stets gleich geblieben, nie flach geworden, dabei aber
stets klar und eben dadurch der Mehrzahl stets fasslich gewesen
sei, stets mit wohlgeordneten ilelodien und Passagen „zu unter-
halten" gewusst habe.*)
Anders verhielt es sich nach demselben Berichterstatter mit
Beethoven. Im Fantasiren verleugnete er schon damals nicht seinen
mehr zum unheimlich Düstern hinneigenden Charakter; schwelgte
er einmal im unermesslichen Tonreiche, dann war er auch enthoben
dem Irdischen, der Geist trieb zu Kraftäusserungen, dass das Instru-
ment kaum genügte, versank dann in andachtvolh» Stille. Soweit
Seyfried. Auch anderweitig berichtet man von dem Hinreissenden dieser
Fantasien, von dem Feuer des Vortrags, den frappanten Wendungen
und Kontrasten, den „abenteuerlich erhabenen" Ideen, die Beethoven
dabei entfaltet. So musste diese frühe Zeit urtheilen, sie musste
zuerst die auffallenden Einzelheiten wahrnehmen, ehe man durch
Beethoven selbst zur Auffassung dos Wesentlichen erzogen war.
Uns Spätem, die wir Beethoven nicht gehört, giebt lange Vertraut-
heit mit seinen Werken den Schlüssel für jene al)gerissenen Auf-
*) Wer (wie der Verf. in frühen Jahren) Hummci^öfter fantasiren gehört,
wird die Schilderung auch bei ihm zutreffend finden. Dabei erging sich der
treffliche Virtuos nicht selten in langausgeführten Fugato^s, die er mit seinen
kurzgebauten Händen in voller Meisterschaft so leicht, energisch und stets elegant
auszuführen wusste, dass man sein Behagen daran empfand und theilen musste.
44
Fassungen der Vorgänger, auf deren Schultern wir dankverpflichtet
stehen. Wir werden wohl nicht irren, wenn wir annehmen, dass
Beethoven auch in seinen Fantasien nicht darauf ausgegangen ist,
„zu unterhalten", sondeni dass es stets ein geistiger (wenn auch nicht
äusserlich bestimmbarer) Inhalt gewesen, der sich hervorgerungen,
und zwar um so heftiger, als der Augenblick ersten Schauens und
Fühlens tiefer in die Seele greift. Ihm war Musik Ernst, die eigent-
liche — fast einzige Sprache seiner Seele; darum machte er auch
aus jedem Momente seines Schaflens Ernst, darum wurde sein Ge-
sang zu weiter, schier unerschöpflicher Herzensergiessung, sein
Rhythmus oft schlagend, stets beständig und bezeichnend; darum
— im Gegensatze zu Haydns und Mozarts Klavierkompositionen —
waren ihm auch die Tonregionen, Tiefe und Höhe, nicht äusserliches
auf Mannigfaltigkeit zielendes Spiel, sondern von tiefer Bedeutsam-
keit. Er konnte sich (die Kompositionen bezeugen es) in das ge-
heimnisvolle Dunkel der Tiefe versenken und da lange träumen,
konnte denselben Gedanken in lichtere und lichtere Regionen empor-
fiihren und stets mit Bedeutsamkeit; er wusste die Beziehung
zwischen fernliegenden Tonarten zu errathen und, wo Andre nur
Wechsel oder üeberraschung bezweckten, den tiefen Sinn einzu-
prägen, dass die Hörer sich wirküch entrückt fühlten in fremde
Regionen, nicht blos überrascht von Wendungen, die technisch so
leicht zu lenien sind, dass man sie gar nicht beachten darf, wenn
ihnen keine tiefere Bedeutung inwohnt.
Selbst im äusserlichen Benehmen machte sich der Ernst, mit
dem Beethoven an seine Fantasie ging, geltend. Er liebte es, in
dem Zimmer, wo er sich an den Flügel setzte, allein zu sein,
während die Zuhörer in einem andern weilten. Es ereignete sich
bei solcher Gelegenlieit, dass einer der Zuhörenden, von der Begierde,
Beethoven zu beobachten, getrieben, sich in dasMusikzimmer schHch
und unwillkürlich angezogen innner näher trat. Beethoven ward
unruhig; plötzlich brach er ab, stand auf, nahm den Hut und eilte
davon, ohne sich durch Bitten beruhigen zu lassen.
Schärfer als mit Wölffl war Beethovens Zusammentreffen mit
Steibelt, dem glatten Techniker aus Berlin. Steibelt hatt^ sich
in Paris l)ereits einen grossen Namen gemacht, an den er selber
glaubte. Er traf um 1800 in Wien ein, ohne der^Mühe]^werth zu
achten, Beethoven seinen Besuch zu machen. Sie trafen bei Graf
Fries zusammen. Beethoven trug sein Trio Op. 11 (1798 komponirt
und herausgegeben) zum erst^^nmal vor. Steibelt hört es mit einer
_45_
Art von Herablassung an, macht Beethoven einige Kompümeute
und hält sich seines Sieges gewiss. Er spielt ein Quintett von
eigener Komposition, fantasirt und macht besonders mit seinem da-
mals neuen, später überall gebrauchten Tremolo Eftekt ; Beethoven
ist nicht mehr zum Spielen zu bringen. Acht Tage darauf ist wieder
„Assembl6e'* beim Grafen Fries und sind beide Nebenbuhler (das
waren sie nach dem Massstabe der „Gesellschaft" !) wieder geladen.
Steibelt tritt abermals mit einem Quintett auf und erntet grossen
Beifall; dann ergeht er sich in einer brillanten Improvisation, —
der man nur leider anfühlen konnte, dass sie einstudiert war, —
in der er dreist und unhöflich genug das Thema (aus Weigls Corsar)
zum Gnmde legt, das Beethoven im Finale seines Trio variirt
hatte. „Dies empörte Beethovens Verehrer und ihn selbst: er
musste nun an's Klavier, um zu fantasiren, ging auf seine gewöhn-
liche, ich möchte sagen ungezogene Art an's Instrument, wie halb
hingestossen, nahm im Vorbeigehn die Violoncellstimme des Steibelt-
schen Quintetts mit, legt sie verkehrt aufs Pult und trommelte
mit einem Finger von den ersten Takten ein Thema heraus.
Nun einmal gereizt, fantasirt er so, dass Steibelt den Saal ver-
lässt, ehe Beethoven aufhört, und nie wieder mit ihm zusammen-
treffen mag.''
So erzählt Ries. Schindler macht darauf aufmerksam, dass
Ries sehr jung zu Beethoven gekommen sei, daher mit unreifen
Augen gesehn und augenblickliche Aeusserungen zu ernst genommen
habe; namentlich will er die ,, Unart" oder Ungezogenheit nicht
gelten lassen, die Beethoven vorgerückt wird. Dem gegenüber
darf man wohl sagen: Ein abgeschliffener Charakter, ein Mann der
„Gesellschaft", gewohnt, sich zu beherrschen, unfähig leiden?^chaft-
licher Aufwallungen, oder darauf eingerichtet, sie zu verbergen,
hätte sich allerdings glatter und inoflensiver benommen, als Beethoven
mit seinem hohen Selbstgefühl, mit seinem ihm ganz wohlanständigen
Freimuth und mit dieser Geneigtheit zu schnellen und heftigen Auf-
wallungen, die so tief erregten Geraüthern eigen sein müssen. Ihr
wollt, kann man den Tadlern zurufen, das F(*uer ohne den Rauch!
Beruhigt euch! Diese Aufwallungen sind das Recht mächtiger
Charaktere, denn sie sind notliwendige Folgen des Naturells. —
und sie strafen sich selber innerlich. Schindler selbst bemerkt von
seinem verewigten Freunde, „dass seine äussere Haltung zuweilen
(nur zuweilen?) des feinen Schliffs ermangelte", und findet den
nächsten Grund sehr richtig, „zunächst in seiner gewaltigen
40
Natur, die alle Schranken durchbrach und, alle Salon-Konvenienzen
bei Seite schiebend, fessellos einhergehen wollte."
Merkwürdiger als dieser Schein von Ungezogenheit, der dem
oft so schroflen Wesen Beethovens nichts weniger als widerspricht,
ist der Uebergang aus äusserlicher Gereiztheit zu schöpferischen
Tonergüssen. Dergleichen erklärt sich nur, wenn man festhält,
dass der Grundgehalt seines Lebens Musik, Schaffen in Tönen war,
alles andere gleichsam nur episodisch in sein Leben hinein trat,
um augenblicklich vor jenem zu verschwinden. So begab es sich
nach einer Ries ertheilten Lehrstunde, dass er über Fugenthemate
sprach, während Ries vor dem Instrumente sass und das erste Fugen-
thema aus Grauns Tod Jesu spielte. Noch im Reden fasst Beet-
hoven, neben Ries sitzend, mit der Linken hinüber, spielt das Thema
nach, bringt die Rechte dazu und arbeitet es nun ohne Unter-
l)rechung wohl eine halbe Stunde lang durch, in der unbequemsten
Stellung, die er in solcher Vertiefung gar nicht empfindet. „Dies
Fantasiren," sagt Ries, „war freilich das Ausserordentlichste, was
man hören konnte, besonders wenn er gut gelaunt oder gereizt war.
Albe Künstler, die ich je fantasiren hörte, erreichten bei weitem
nicht die Höhe, auf welcher Beethoven in diesc^m Zweige der Aus-
übung stand. Der Reichthum der Jdeen, die sich ihm aufdrangen,
die Launen, denen er sich hinüfab. die A'erschiedenheit der Be-
handlung, die Schwierigkeiten, die sich darboten oder von ihm
herbeigeführt wurden, waren unerschöpflich.*'
Allerdings muss die Fantasie eines Solchen, wie Beethoven
war, auf die Hörer eine Macht ausgeübt haben, der selbst di(^
Ausführung der durchdachtesten Komposition nicht gleichkommen
konnte. Die vollkommene Einheit der innerlichen Erweckung mit
der Darstellung am Instrumente, diese l'rsprünglichkeit, die Kühn-
heit des Unternehmens, deren Erregung sich vom Fantasirenden
auf die Hörer übertragen muss, die Spannung auf das durchaus
Unberechenbare, selbst die Flüchtigkeit und Unwiederbringlichkeit
einer solchen Geisterscheinung: das Alles muss zu einer Wirkung
zusammengeschmolzen sein, d(4' m ihrer Art nichts gleichkommen
konnte. Was eigentlich in einer solchen Stunde vorgegangen, kann
das Wort des Erzählers, sei er auch so liebevoll, ei'grift'en und
sachkundig, wie unsre Zeugen, nicht aussprechen; nur die nieder-
geschriebenen Werke lassen einen Schluss auf den Inhalt jener Er-
güsse machen. Ries und Seyfried können Wölffi, Dussek, Louis
Ferdinand, Hummel, Weber, Kalkbrenner, Moscheies gehört haben;
_47
Beethoven mit Ebenbürtigen, z. B. Mozart, zu vergleichen, dazu
geben nur die beiderseitigen Werke, und zwar hauptsächlich ihre
Klavierwerke, den Massstab an die Hand.
Das Alles ist in die Lüfte verweht. Die Werke sind geblieben,
in ihnen lebt Beethoven fort. Auch für sie war das Lichnowsky'sche
Haus bedeutsam. Hier wurden sie zuerst der Oeffentlichkeit ent-
gegengetulirt; und wenn das dem fürstlichen Hause Genuss und
Auszeichnung gewährte, so gereichte es auf der andern Seite dem
beginnenden Künstler zur erwünschtesten, fast unersetzlichen För-
derung, seinen Eintritt in die Welt an befreundeter Stätte, vor ge-
bildeten Theilnehmem bewirken zu können. Der Fürst aber war
Beides, Freund und Kenner; seine Zustimmung bestärkte nament-
lich Beethoven gegen manchen damals gemachten Anspruch an die
Technik des Pianisten. Die Klavierspieler beklagten sich nämlich
(gerade wie noch heute die Klavlerprofessionisten) über die „un-
dankbaren'' Schwierigkeiten. Vielleicht hätte Beethoven sich hin
und wieder zu nachtheiligen Rücksichtsnahmen bewegen lassen.
Da trat aber der Fürst als Klaviei*spieler sogleich ins Mittel und
bewies, indem er die Sätze bald mehr, bald weniger geschickt (wie
Wegeier erzählt) ausführte, die Unnöthigkeit von Aenderungen.
Hier auch war es, wo Haydn die ersten drei Trios hörte und das
dritte so argwohnerregend missverstand; hier, wo Beethoven ihm
die drei Sonaten vorspielte, die Haydn — aber nicht dem Lehrer
Haydn gewidmet werden sollten; hier nahm Gral Appony, rein in
der Absicht, den jungen Künstler für einen Kunstzweig mehr zu
gewinnen, im Jahre 1705 Gelegenheit, bei Beethoven ein Quatuor
zu bestellen.*) Hier also trat Beethoven die Laufl)ahn an, auf
*) Aus diesem Qaatuor wurde nichts. Beethoven beabsichtigte, wcdd
Thayers Vermuthung (Leben Beethovens I, 240) richtig ist, das Trio op. 3 und
das Oktett für Blase-lDstnimente in Quartetts zu verwandeln. Die Umarbeitung
des Trios unterblieb, und das Oktett ward zu einem Streich-Quintett. Das
Trio war offenbar in sich zu abgerundet und geschlossen, als dass noch eine
vierte Stimme hätte Zutritt finden können.
Wer sich die Vorgänge im Innern des Komponisten noch nicht klar ge-
macht, dem kann auffallend sein, dass Beethoven auf Appony^d Vorschlag ein-
gebt und gleichwohl auf etwas ganz Anderes, als bestellt war, geräth. Hier-
über kurz Folgendes.
Quartett, Trio, Quintett waren alle drei für Saiteninstrumente bestimmt,
also für Organe von gleichem Klange und Charakter; nur in der Zahl der In-
strumente, also in der Fülle des Schalls, der Harmonie und des Stimmgewebes
lag der Unterschied. Dies alles ergiebt sich aber aus dem geistigen Inhalte
48
der er in bleibenden Schöpfungen seinen Inlialt hervorarbeiten
sollte, um von dieser bc^freundeten Stätte, von diesem Wien aus
zuerst das deutsehe Vaterland, dann die ganze seiner Kunst zu-
gewendete Welt zu erfüllen und zu erheben und eine Seite der
Kunst zu vollenden in dem Sinne, dass wohl die Ausbreitung seiner
Idee und die Freude an vielen Schöpfungen verwandten Inhalts,
nicht aber der Fortschritt zu einer neuen und höhern Idee voraus-
zusehen ist.
Das W^ie aber, wie der ]\Iensch sich herausarbeite, — wie der
Künstler in fortschreitenden Ofienbarungen, die ihm und durcli ihn
der W^elt werden, — wie die Kunst selber sich vollende Schritt für
Schritt in vernunftnothwendiger Folge aller der Werke, die die Be-
rufenen als eine einige Schaar von Arbeitern vollfuhren, jeder an
der ihm gewiesenen Stelle: das ist der antheilwürdigste Anblick,
den der Lel)enslauf des Künstiers oder (l(*r Kunst selber gewähren
kann. Nur im Zusammenhange des Ganzem ist der Einzelne voll*
kommen zu l)egreifen und zu würdigen, da jeder Einzelne nur ein
Glied des Ganzen ist, in untrennbarem Zusammenhange mit den
Vorausgehenden als seinen Voraussetzungen und mit den Nach-
folgern, die ihn fortsetzen. .,Das einzelne Werk (sagt Savigny
in der Vorrede zu seinem System des heutigen römischen Rechts)
ist so vergänglich, wie der einzelne Mensch in seiner sichtbaren
Erscheinung: aber unvergänglich ist der durch die J^ebensalter der
Einzelnen fortschreitende Gedanke, der uns Alle, die wir mit Ernst
(aus den Gedanken, wie man zu sagen pflegt) der Komposition ; ja, diese kann
bei der Entwicklung andre Richtungen und Masse nehmen und vom Quartett
zum Quintett oder zum Trio fuhren.
Bisweilen (das war bei Beethoven damals nicht der Fall) entscheidet auch
die persönliche Richtung und Neigung des Künstlers. Ries (Wegeler-Ries S. 85)
fragte einst Haydn, warum er nie ein Vioiinquintett geschrieben habe, und
erhielt die lakonische Antwort: „er habe immer mit vier Stimmen genug
gehabt.*^ Die Antwort ist voUkommcn zutreffend, — nämlich für Haydn.
So gewiss seine Meisterschaft der Arbeit mit fünf Stimmen eben so gewachsen:
gewesen wäre, als mit vier (für den gebildeten Künstler liegt in der Stimmzabl
von vier zu fünf gar kein Unterschied), so war doch sein Charakter nach der
kindlichen Heiterkeif, Leichtigkeit und Mässigung, die uns aus seinen lieblichen
Tonspielen beglückend entgegentritt, in der That grösserer Schall- und Macht-
füUe nicht bedtirftig und nicht geneigt. Die Fünfstimmigkeit ist in der That
(man frage die Kompositionslehre) ein Ueberschreiten des Grundmasses, nament*
lieh im Satze für Saiteninstrumente. Auch Beethoven hat in diesem Gebiete
das Meiste und Tiefste und Mächtigste dem Quartett anvertraut.
49
und Liebe arbeiten, zu einer grossen, bleibenden Gemeinschaft ver-
bindet, und worin jeder, auch der geringste Beitrag des Einzehien
sein daueiTides Leben findet."
Welche Stelle war in dieser grossen, bleibenden Gemeinschaft
Beethoven zugewiesen? wer zunächst hat ihm die Bahn dahin ge-
öiBfnet? —
Die Vorgänger.
Zwei KUnstlerpaare sind es besonders, die Beethoven vor-
geleuchtet und seine Bahn ihm gewiesen haben: von fem her Händel
und Bach, in unmittelbarer Nähe der Zeitgenossenschaft Haydn und
Mozart. „Mozart, Händel und Bach (erzählt Seyfried) waren seine
Lieblinge; wenn Etwas auf seinem Pulte lag, waren es sicher Kom-
positionen von einem dieser Meister." „Dass Sie (schreibt Beethoven
am 15. Januar 1801 an Hofmeister in Leipzig) Sebastian Bachs
Werke herausgeben wollen, ist etwas, das meinem Herzen, das ganz
für die hohe grosse Kunst dieses Urvaters der Harmonie schlägt,
recht wohl thut." Sein Urtheil über Händel (wenngleich es vom
Berichterstatter ein wenig umgefärbt oder zugestutzt sein mag) ist
S. 34 mitgetheilt. Von beiden Ktinstlerpaaren standen Händel und
Bach, die eigentlichen Begründer der freien deutschen Tonkunst,
Beethoven nicht nur der Zeit nach, sondern auch durch Ziel und
Form ihres Wirkens begreiflicherweise ferner, als das andre Paar.
Händel, den Beethoven in van Swietens Hause kennen ge-
lernt, hatte bekanntlich unter Zachau's tüchtiger Leitung die Schule
eines norddeutschen protestantischen Kirchenkomponisten musterhaft
durchgearbeitet, darauf in Deutschland, Italien und England den
glänzendsten Schauplatz für Komposition betreten und sich in der
Oper, in den damals fast ausnahmslos herrschenden italischen Formen
und Zielen, den weitesten Wirkenskreis und höchsten Ruhm er-
worben. Allein, obgleich der Fortschritt auf diesem Gebiete nicht
ihm, sondern dem jungem Zeitgenossen, Gluck, beschieden war: es
lebte in dem von Italien bewunderten Deutschen ein Etwas, das ihn
mit der Oper und der ganzen Kunst Italiens nicht in Frieden lassen
Marx, BeethoTen. I. 4
50_
konnte. Das war sein protestantischer — sagen wir, acht lutherischer
Sinn, voll Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit, voll unorschreckbaren,
ja unbändigen Triebes nach Unabhängigkeit, voll Freudigkeit und
Rüstigkeit, das für wahr Erkannte und Empfundene thatsächlich
hinzustellen. Das verrieth sich in den Opern selber gerade in den
bedeutendsten Sätzen, die mitten im welschen Spiel unvorhergesehn
Ernst machen; dies war der eigentliclie Grund jener ZcTwibfnisse
mit den Opern-Sängerinnen und Kastraten und ihrem Anhang unter
dem Adel Englands, die ihn auf der Bühne stürzten und auf die
heimathliche Jugendbahn zurückfüln-ten. auf Kirchennuisik, zu jenen
Oratorien und Kantaten, die ihn unsterblich gemacht haben.
Erst ausserhalb der Schranken, die ihn in der italischen Oper
beengt und verstrickt hatten, konnte sich die volle Kraft des ge-
waltigen Deutschen entfalten Alan darf sich dabei nicht in jenen
ebenfalls beschränkten Gesiclitskreis einsperi'en, der in Händel nichts
als den Kirchenkomponisten erblicken lässt, unter dem unbestimmten
Namen Oratorium nichts als kirchliche Werke verstanden wissen
will. Händel war nicht nn Mann der Kirche, sondern der Mann
des Volkes. Mit dem Volke, namentlich seiner Zeit in Deutschland
und England, hatte er auch Glaubenssinn und Glaubensfreudigkeit,
hierin ganz lutherischer Deutscher, gemeinsam; aber eben so hocli
schlug ihm, wie irgend einem hochlierzigen Briten bei dem Ge-
danken an sein Vaterland und sc^in Eeclit, das Herz für Freiheit,
für Sieg und Trauer des Volks, für alles Grosse, das im Volksleben,
für alles Edle und Tiefsinnige, das in der Brust des Menschen hervor-
tritt. Man muss, will man ihn kennzeichnen, nicht blos die Ge-
bete, die Glaubens- und Preischöre der Kirclienmusiken des Messias,
nicht blos jenen Wechselgesang Maria's und Christi auf dem Gang
zur Kreuzigung*) vernehmen, der alle Abgründe des Leids und die
unerschöpflichen Brunnen der Erbannung und heiligen Liebe auf-
deckt, die mit dem Ermatten zum Tode ringt — und was sonst
noch hier zu erwähnen bleibt. ^lan muss daneben jenes titanische
Bild des verschmachtenden Volk(*s stellen, das „nicht trinken konnte
des Wassers, denn der Sti-om war Blut," man muss den ver-
zweiflungsstarken Euf der Makkalnler um „Freiheit und Tod", den
süssen Liebestraum, den Angstruf Semele's vernommen haben und
den bacchischen Chor und den Weckeruf zur Rache, der den König
Alexander vom lustumkränzten Lager emporreisst. Wer zählt die
*) In der Passion, von Brocke gedichtet.
5t
Bilder, alttestamentarisclier Grossheit und Glut und vaterländischer
Innigkeit und Treue voll, die der Deutsche geschaffen im Anschaun
und unter dem frischen Luftzug britischer Freiheit und Selbst -
gewissheit? Wie viel oder wie wenig auch von den Händeischen
Schätzen zu Beethoven gelangt sein mag, es musste genügen, ihn
an dem grossen Vorbilde sich selber fühlen und erkennen zu lehren.
Was im Jüngern durch das Vorbild des Aeltern erstarken
konnte, war jene selbstgewisse Schlagkräftigkeit, die gerad' aufs
Ziel dringt, die bei Händel Grundzug seines Künstlerthums ist und
bei Beethoven nirgends stärker, als in der C moU-Symphonie und
im Gesangtheil der neunten Symphonie ihr Gepräge zurückgelassen
hat. Aber mehr nicht. Die Wege, die Zeiten, fast der gesammte
Inhalt beider Geister lagen zu weit auseinander, sogar der Wirkens-
kreis ihrer Kunst, der bis zu Beethovens Lebensmitte für Händeis
Kompositionen sich nicht über Norddeutscbland hinaus (die frühere
Einwirkung in Italien und England bei Seite gelassen) erstreckt hat.
Händel fand seinen Beruf in Oper, Oratorium und Kirchen-
musik; seine Instrumentalmusik kommt daneben nicht in Betracht.
Er ist fast ausschliesslich Gesangkomponist, das Wort sein be-
ständiger Kamerad, dieses Wort in voller Mächtigkeit und der ganzen
Bedeutung im Ton zu beseelen, die der Charakter des Redenden
und die Verbältnisse hineinlegen, das war seine Kraft und Lust.
Daher und nach seinem ganzen Wesen ist er durchaus positiv, giebt
er ganz und klar und vollständig aus, was er klar und bestimmt
gefasst hat. Dann ist er fertig; es ist nichts in ihm und kein
ßäthsel in der Brust des Hörers zurückgeblieben, er hat Alles
hingestellt, wie der Bildhauer sein Maimorbild. Hierin findet er
auch die einzige, ganz unvergleichliche Kraft, jedes Bild mit wenig
Zügen, — wie es ihm nun gerade vor dem Geiste stand, un-
bekümmert um Alles, was noch dahinter und daneben sein könnte,
— fertig hinzustellen, hierin an die kecke Faust eines Rubens oder
Michelangelo erinnernd. Wer ihn da schalten sehn will, im Voll-
behagen des Meistei-s in seiner Werkstätte, der muss in seinen
„Allegro e Pensieroso" hinein, wo die mannigfaltigsten Stimmungen,
Charaktere, Lebensbilder auf den schnellen Wink des Tonmeisters
in vollsaftigster Natürlichkeit und wärmster Beseelung hervortreten,
und einander ablösen, dass man athemlos dem Entschwundenen
nachlauscht und schon, wie im phantastisch -gaukelnden Traum -
gesiebt, von der nächsten Erscheinung in die fernsten Zonen ent-
ttlhrt wird*
EüA l .
c^
5^
Von alle dem das Entgegengesetzte tindet sich bei Beethoven.
Er ist, so tief er auch dereinst das Wort sollte schätzen lernen, so
Herrliches ihm im Gesänge verliehen worden, vorzugsweise Instru-
mental-Komponist. In der Instrumentenwelt war sein Reich ihm
gewiesen; sie zur Höhe des Daseins zu führen, indem er sie dem
bewusstern Geist erschlösse, war seine Sendung. Dem Bewusstsein
ringt sich aber das instrumentale Leben wortlos entgegen, — wortlos,
das heisst ohne das Organ, das der Geist aus sich selber flir sein
helleres Bewusstsein geschaffen. In diesem Leben waltet also noth-
wendig ein ewig Räthsel und ewig Sehnen; es wird niemals fertig,
es verstummt, und nach dem reichsten Ergüsse blickt man noch
hinaus in räthselhafte Fernen, wie am schimmernden Nachthimmel
unentwirrbare Sternbilder in Lichtmeere zusammenfliessen. So das
Wesen der Instrumentalwelt, so das Wesen Beethovens; anders
konnte der Vollender und Herrscher jener Welt nicht sein, als von
ihrem Wesen voll. Neben all seiner Energie, die sich so be-
stimmungssicher, so klar und heiter emporringt, bleibt noch jene
tiefe Räthselnacht im Hintergrunde, von Sternen durchschimmert,
die mehr zu fragen scheinen, als zu antworten. Daher kann er
oft kein Ende finden, — wo ist in der Tiefe der Natur und der
Menschenseele der unterste Grund des Daseins? Daher ruft er
kurz vor seinem Scheiden: „Ist es mir doch, als hätt' ich kaum
einige Noten geschrieben!" Nur für einzelne, entscheidungsschwere
Augenblicke w^ard ihm in seiner hohen Messe, — also im Geleit
des Worts, die schlagfertige Entschiedenheit Händeis verliehen, so
wie Bach in einigen Chören seiner matthäischen Passion.
Sebastian Bach war ihm ohnehin verwandter, in mysteriöser
Wahlverwandtschaft der Seelen, muss man bei der Entfemtheit der
Zeiten und Standpunkte sagen.
Während Händel seine glanzvolle Laufbahn von Halle begann,
von Hamburg nach Italien, von da nach England nahm, sich dort
die Freundschaft der Grossen, die Hochschätzung der Höchst-
gestellten, ein zweites Vaterland gewann, ohne jemals seinem eraten
weniger anzugehören, weilte sein nur um ein Jahr jüngerer Zeit-
genosse Sebastian im engern Vaterlande Thüringen, das lange schon
seine Musikämter von Gliedern der Familie reich besetzt sah. Ein
Paar flüchtige Reisen, nach Dresden, nach Berlin . . . ausgenommen,
verliess er das musikfrohe Gebiet nur, um ganz in der Nähe, in
Leipzig, seine bleibende Stätte zu nehmen, nachdem er mancherlei
Kirchenmusikämter, in Weimar und Köthen Konzertmeister- und
53
Kapellmeister- und Musik-Direktor-Stellen zu verwalten gehabt.
Anspruchslos, wie seine amtliche, war seine Stellung im Leben.
Zwar Bewunderung seiner Leistungen (besonders als Orgel- und
Klavierspieler), hohe Verehrung von Seiten der Einsichtigen, billige
„Consideration der Grossen'* ward ihm zu Theil; aber wie un-
scheinbar wäre sein Auftreten in Dresden etwa neben dem ver-
goldeten Oberkapellmeister Hasse gewesen, wie unvortheilhaft viel-
leicht hätte sich seine gedrungene Bürgergestalt neben der grossen,
vollentwickelten, weltfreien Händeis ausgenommen, — der Gründe
gehabt zu haben scheint, einem Zusammentreffen mit dem fast un-
heimlich mächtigen Kantor auszuweichen.
Niemals hat ein Volk zwei solche Tonmeister nebeneinander
besessen, wie unser Volk den Bach und den Händel: und niemals
einen wie den Bach Es soll damit aber nicht äussorlich seine
Grösse gegen andere Grössen gemessen werden, sondern er als
Einziger in seiner Art und Stellung bezeichnet sein, wie es später
Beethoven in der seinigen war.
Bach bedurfte nicht des Glanzes und der Fülle des Weltlcbens,
das nir seinen grossen Kunstgenossen unentbehrliches Element war.
Er führte sein innerlich Leben einzig in der Tonwelt, in der ei*,
was aus dem kirchlichen Volksgesang und aus den Kunstbestrebungen
vom ilittelalter herüber angelegt und heranbewegt worden, zu
vollenden und mit seinem Geiste zu erfüllen hatte. Was so heran-
gewachsen und durch ihn gezeitigt war, das Alles legte er dann
auf den Stufen des Altars nieder, dessen treuer und erleuchteter
Diener er vor allem andern war. Das Licht aber, das ihn er-
leuchtete, das war kein andres, aJs das Licht des Evangeliums,
dessen Wort er als ein heiliges und unerschöpfliches aufnahm und
von den kircldichen Liedeni erweckter Dichter seiner und früherer
Zeit umranken Hess, wie vom Rebstock die Ulme. Was ei; so ge-
lesen und in sich hineingenommen, das sollte nicht sowohl in Tönen
ausgesprochen, gleichsam verkörpert werden; es wurde ausgelegt.
Die Tonweise hob den tiefern Sinn des Worts, die unausgesprochene
Fülle desselben hervor, in ihr kam das Wort zum vollen Leben,
wie es im Munde des Redenden durch Stimme, Geberde, Blick und
innere Bewegtheit erst vollständiger Ausdruck des Gefühls wird.
Wie Luther in seinem Katechismus unter der wiederkehrenden
Frage: „Was ist das?" die Glaubensgebote nach ihrer äusserlichen
Fülle, so legt Bach das Wort aus nach seiner innerlichen Tiefe.
Wer das noch nicht an ihm erkannt hat, muss es in der einfachsten
__54
und zugleich wortmächtigsten Gestalt beobachten, in den Re^itativen
der matthaischen Passion und andern. Nicht- Verstehende, gewohnt,
im Rezitativ nur „Deklamation" zu finden, bemessenes Hersagen
des Textes, um nur schnell darüber hinweg auf die Hauptsache
(die Arie, oder was es sonst geben soll) zu kommen, haben daher
das Bach'sche Rezitativ nicht fllr das rechte und natürliche, sondern
flir übertrieben und unnatürlich erachtet. Aus ihrem Standpunkte
mit Recht: denn Er redete gewaltig und nicht wie die Schrill-
gelehrten, die sich darob entsetzten. Was sich aber in der einzelnen
Stimme des Rezitativs regte, das durchdrang im Chor jede der vier
oder acht vereinten Stimmen; alle waren vom Leben erflillt und
weissagten, was das Wort in sie gelegt hatte.
Dies war Ziel und Kern des Bach'schen Lebens, die Macht
dazu konnte einzig tiefste Versenkung in die Schrift und voll-
kommene Herrschaft über die Kunst, das durchdringendste untrüg-
liche Gefühl van ihrem Wesen und Weben bis in ihre einfachste
Gliederung hinein (denn jeder Tonschritt musste treffende Wahrheit
sein) verleihen. In dieser Erkenntniss und jener Beherrschung, im
Verein mit rücksichtslosester Treue, hat Bach nicht seines Gleichen
gehabt.
Neben jenem höchsten Schauplatz seines Wirkens bot ihm die
Orgel den zweiten, ebenfalls seinem Kirchenamt angehörigen. Den
Gottesdienst in würdigster Fülle und Feier einzuleiten, bis AUe zur
Gemeine sich zusammengefunden und alle Gemüther, vom Staub des
Lebens draussen gereinigt, sich in sich gesammelt hatten, die Wöl-
bungen des weiten Doms (was wusst' er auf seiner Orgelbank von
den bescheidenen Leipziger Massen?) mit Klangwellen, wie mit
einem heiligem Weihrauch zu durchgiessen und zu erschüttern
durch unerschöpflich immer neu sich gebährende Machtflille, bis
die GemUther und die Luft selber vom Sakrament der Andacht
gan^ ausgeflillt waren: das hat bis auf diese Stunde niemand
wieder und niemand vor ihm vermocht, wie er; der gleichen Kraft
würde gleiche Zeit und gleiche Lebensgrundlage fehlen. Das ist
gewesen.
Was sich sonst hier anschliesst in entferntem Lagerungen an
Orchester- und Klaviermusik bis zu Tänzen und scherzhaften Kan-
taten, Instrumentalsolo's und sogar einer Operette, darf hier kaum
erwähnt werden; Alles nimmt seinen gebührenden Theü an der Be-
stimmung und Weise, die vom Kern aus im Meister sich entfaltet
hatten.
55
Von dieser "unabsehlicheii Fülle kann dem Beethoven nur der
kleinste Tlieil nahegebracht worden sein, wahrscheinlich nicht viel
mehr, als das wohltemperirte Klavier, die verbreitetste Sammlung
Hach'scher Kompositionen, die der elfjährige Knabe studiren und
der zweiundzwanzigjilhrige Jüngling dem unersättlichen van Swieten
l)is in die Nacht hinein vorspielen musste. Es ist nicht abzusehn,
wenigstens kein Anzeichen dafür bekannt, dass Bach'scher Kirchen-
gesang zu ihm gedrungen wäre; nicht die leiseste Spur in Beethovens
eignen Werken deutet dahin; vielmehr spricht Alles daftir, dass
dem Jüngern, war' er zu jenen Werken gelangt, die volle Sympathie
dafür, wie die evangelisch-kirchliche Grundlage, gemangelt haben
würde. Die unbedingte Gel)undenheit Bachs an das Wort, das ihm
die Fülle der glückseligen Botschaft (des Evangeliums) einschloss,
und das Hinausvtu-langen Beethovens vom Wort hinweg zu deui Un-
aussprechlichen: beide Richtungen konnten nicht leicht miteinander-
gejien: sie waren Zweige desselben Baums, aber nach entgegen-
gesetzten Richtungen gewachsen, wie die Jlystik der Offenbarung
unil die der Natur. Aber die Wurzel Ixnder ist dieselbe.
Wie weit oder wie beschränkt auch das Gleichniss gelten darf,
es weiset auf die innere Verwandtschaft der beiden Künstler und
auf den Einfluss des Vorangegangenen. Dieser Einfluss zeigte sich
in der ersten Lebenshälfte Beethovens gar nicht; erst als jenes
Verhängniss ohne Gleichen für einen Musiker ihn immer unbedingter
aus der heitern Welt in sein einsames Innere wies und einschloss,
erst da trat er hervor, da wurde die Verwandtschaft klar, wie wohl
bisweilen Eltern erst in den schärfer gespannten Zügen des ent-
schlafenen Kindes ihr eigen Antlitz wiedererkennen. Bei Beethoven
ai)er bedeutet der Anblick tieferes Erwecktsein; es war die Zeit,
wo er sich selber tiefer erkannt.
Soll äusserlich bezeichnet werden, was hier vorgegangen, so ist
es zweierlei. Das Erste ist die beiden Heistern, und keinem dritten
gemeinsame Energie der Modulationsentfaltung. Ihnen stellen sich
Akkorde und Tonarten nicht nach Einfällen oder augenblickhchen
Antrieben oder Launen nebeneinander, sondern sie entwickeln sich
oi'ganisch auseinander nach einem Gesetze,*) das in der tiefsten
Natur des Tonlebens oder in der Idee des besonderen Werkes be-
gründet ist. Diese organische Entwicklung vollführt sich aber mit
der Macht einer Natur- oder Veriumftnothwendigkeit in so gränz-
*j Uierüber und über das Folgende gicbt die Kompositionslehre Nachweis.
56
unbewusster Fülle, wie keine Laune, keine äusserliche Praktik ab-
reichen kann; daher in beiden Meistern kürzergewöhnte Augen Ab-
schweifung und Verirrung zu erblicken gemeint, wo sie das tiefste
Gesetz der Harmonik hätten erkennen sollen. Als Zweites ist die
völlige Ungebundenheit zu bezeichnen, in der beide Meister ihre
Stimmen mit und gegen einander durch die Räume der Akkorde
fllhren, ganz unbekümmert um augenblicklichen Anstoss und Reibung
einer gegen die andre. Denn beiden war bewusst, dass das Leben
der Musik in der Melodie — oder in mehreren Melodien nebenein-
ander fliesse, und dass vor Allem daran liege, dieses Leben in seinem
Fluss und wahren Gehalt ungestört und unverfälscht zu erhalten,
gleichwie dem Menschen erste Pflicht ist, vor Allem sich selber und
seinem Berufe treu zu bleiben, mag er dann auch, wenn es nicht
anders sein kann, da oder dort anstossen. Denn es muss Aergemiss
geben — und dann Versöhnung. Der Lohn dieser Unverzagtheit
zeigt sich sogleich im Reichthum und in der Tiefe der Melodie.
Nicht weiter lässt sich der Einfluss Bachs verfolgen, und auch
so weit ist er Beethoven wohl kaum bewusst geworden. Er hat Bach
wie Händel auf sich wirken lassen, es ist davon so viel als eben
gekonnt, in seine Natur übergegangen, von einem auf bestimmte An-
eignung oder gar Anschliessung zielenden Studium ist gar nicht zu
reden. Ein solches hätte vor allem an Händel erkennen lassen, mit
welcher Sorgfalt dieser wahre Singmeister den Umfang und Charakter
der verschiedenen Stimmklassen und überhaupt die Natur und Vor-
theile der Singstimme beobachtete. Gerade hier aber sollte sich
Beethoven, besonders in den spätem, ihm eigensten und tiefsten
Werken rücksichtsloser zeigen, als irgend ein Tonsetzer. Er fühlte
sich zunächst dem Instrumentalen und nicht dem Vokalen zugewiesen
und hat sich darin nicht getäuscht. Mag man immerhin die Spuren
jener Vernachlässigung häufig genug, namentlich in der neunten Sym-
phonie und der zweiten Messe finden; es fragt sich, obaufanderm
Wege gerade diese Werke hätten vollendet werden können? — Ver-
gebens wird der Tonsatzkundige Aenderungen zu Gunsten der Stimme
versuchen; jede würde die EigcnthümUchkeit des Werkes antasten.
Eben so wenig zeigt sich in Beethovens Fugensätzen, die sich
mehren und ausbreiten, je höher er sich vollendet, eine Spm* von
wahrem Studium Bachs oder Händeis. Aus dem Löblichen, was
er in dieser Richtung vielleicht aus Albrechtsbergers Schule ge-
wonnen, sollte ganz etwas Anderes und Eigenthümliches werden,
als Fugen im Sinne jener Alten.
57
Inzwischen hatte die Strömung der Zeit auch die Kunst auf
andre Pfade geführt. Längst hatten Kirche und Kirchlichkeit auf-
gehört, Mittelpunkt des Daseins zu sein, oder- auch nur jene Geltung
zu behaupten, die Bach umgab. Das vielseitige, vielgestaltige Leben
machte sich nach allen Richtungen Bahn und regte sich dazu behender
und freier; der Mensch mit allem Menschlichen, der Einzelne mit
seinem Anspruch auf volles Lebensrecht trat heraus in die weithin
nach , allen Seiten geöffnete Welt. Die Kunst konnte sich nicht
fernhalten. Das Alles machte sich nicht in Einem Tage oder durch
Einen Mann. Es hatte seine Triebe, und lange vor Bach und Händel,
in ihnen selber, angesetzt, war aber zu voller Blütenpracht erst in
jenem andern Ktinstlerpaar, in Haydn und Mozart, gekommen, die
oben (S. 49.) als nächste Vorgänger Beethovens genannt worden.
Dieses freudige Erwachen der Welt, diese Lust an ihr hat
vollsten Ausdruck in Joseph Haydn gefunden, dem Vater der
neuen Musik, der in seinem jn Freuden und Werken satten Leben
(er lebte von 1782 bis 1809) Mozart geboren werden und sterben
sah und Beethoven, den Vollender, leiten konnte, bis sie gegenseitig
fühlten, wie sich ihre Wege trennten. Haydns Hauptwerke sind
volles Zeugniss von der ihm gewordenen Bestimmung. Noch einmal
ersteht vor seinen Augen die Welt, er sieht (in der Schöpfung) mit
unbestimmtem Schauer aus dem Chaos sie allmählich sich heraus-
winden in schnell entstehenden, schnell entschwindenden Gestaltungs-
versuchen, er ist Zeuge jedes Schöpfungsmoments von jenem blen-
denden „Es ward Licht" durch alle Reiche der beseelten Natur hin-
durch bis zum Erstehen und zur Weihe des ersten Menschenpaares;
überall ist er mit liebevoller Freude zugegen und singt in den Engel*
Chören unerschöpflich das frohe Lob jedes Schöpfungstages. Und
nachdem so die Welt und der sittliche Liebesbund des Menschen
heiTorgetreten, begleitet Haydn (in den Jahreszeiten) den heitern
Verein hinaus in das unschuldvolle Naturleben und lebt mit ilim das
volle Jahr durch alle W^cchsel hindurch, theilt mit den harmlosen
Geschöpfen alle Müh' und alle Lust und findet überall, auch in der
Wintersnoth und in der Angst des erschütternden* Unwetters überall
Quellen der Freude und frohen, frommen Dankes. Dann zeigt sich
die volle Wahrheit des W^orts, das Mozart über Haydn ausgesprochen:
„Keiner kann Alles, schäkern und erechüttem. Lachen erregen und
tiefe Rührung, und Alles gleich gut, wie Joseph Haydn." Gleich-
viel durch welchen scheinbar äusserlichen Zufall Haydn an diese
Werke gekommen; gleichviel, dass er hin und wieder mit Einzelheiten
58^
im Gedichte nicht zufrieden war: die Bedeutsamkeit der Werke ftir
Haydns Lebensaufgabe stehtklarda; man darf wagen, sieprovidenziell
zu nennen, da sie nothwendig waren zur Erfüllung jener Aufgabe.
Was wäre noch von seinen sonstigen Werken zu erzählen! von
seinen 118 (oder wahrscheinlich an 140) Symphonien, von seinen
83 (wenigstens 83) Quatüors, von seinen 15 Messen, 19 Opern und
allem Sonstigen ! Man hat in neuerer Zeit seine Symphonien einförmig
an Inhalt gefunden. Gewiss ist das wahr: alle sind erfüllt von dem
einen Geftihl der Freude, der Lel)enslust, der unerschöpflichen Lust,
jene Freude auszutönen, zu verbreiten unter allen Menschen. Sie
stets zu erfreuen, ihnen aufzuspielen zu allen Festen und jeder Lust
des engen Wirbeltanzes, in dem das glückliche Volk der Kleinen
sein ansprachloses Leben dahinbringt, das war Haydns, noch des
kindlichen Greises, einzig glückseliger Beruf. Man hat seine Messen
nicht kirchlich gefunden und es höhnisch belächelt, wenn er einst,
„in tempore belli*' (wie er selbst darüber geschrieben) das fi'omme
Agnus dei mit fernen Kanonenschlägen (Pauken) begleitet, damit
die Hörer des nahenden Feindes gedächten und inniger um Frieden
beteten. Er stand aber auch hier inmitten des kindlichem, natur-
nähern Volks unserer Südmarken, und gar nicht ausserhalb der dem
Volkssinn nahebleibenden Kirche und seiner Zeit und seines Landes.
Wie man auch über das Einzelne seiner Werke sich entscheide:
zwei grosse Resultate stehn fest. Er war es, der die dem Inhalt
der neuern Kunst eignen Formen, — Sonaten- und Rondoform^
Sonate, Quartett und Symphonie, — hervorgearbeitet hat aus den
frühern unzulänglichen Anfängen, dass seine grossen Nachfolger auf
diesem Grunde weiter und höher bauen konnten. Mozart hat ihn
seinen Vater genannt und freudig eingestanden, dass er erst von
ihm gelernt, wie ein Quartett geschrieben werden müsse. Dass
Beethoven die Wohlthat nicht so klar erkannt, ist aus der grössern
Entfernung der Standpunkte, aus dem Zwischentritt Mozarts, dem
Beethoven sich verwandter fühlte, begreiflich, selbst wenn jenes
Missverständniss, dessen S. 24 gedacht, niclit eingetreten wäre.
Das zweite Resultat des Haydnschen Lebens und seiner uner-
schöpflichen Musik ist die wahre Begründung der Instrumentation.
Wie Ausserordentliches auch schon Bach in Orchesterwerken, dem
gedanklichen Inhalte nach, geleistet, wie tiefgefühlte Züge von In-
strumentenwahl und Wirkung sich in seinen \md Glucks Werken
finden: die volle — man darf sagen: systematische Durchdringung
des Orchesters bis in den Charakter jedes Instruments, und wiederum
_59_
(las Zusammenfassen aller Einzelheiten zu einem stets harmonisch
geordneten Ganzen ist Haydn, erst ihm, und nur einem, dem Beet-
hoven, in tieferm Sinne, verliehen gewesen. Auch hier trifft Mozarts
Wort zu, wenn man den spätem Beethoven bei Seite lässt.
Und nun Mozart! der gesegnetste mit jenem verhängnissvollen
Segen, dessen Erscheinen im Menschen man Genie nennt! Was der
Genius zu bringen getrieben ist, liegt so weit hinaus Ober den Ge-
sichtskreis (Ter Zeitgenossen, dass nothwendig die Grösse der Gabe
mit der Grösse der Anerkennung und Förderung im umgekehrten
Verhältniss stehen muss. Die Erkenntniss hinkt dem beflügelten
Einherschntte des Genies mit blödem Aug' und lahmen Gliedern an
Krücken nach und es nistet ein geheimer unübei'windlicher Wider-
wille im Gemüthe der hinten zurückbleibenden Menge, der den
Abstand von dem, der da wiU „anders sein als wir", vergrössert
und verlängert und dem verhängnissvoll Berufenen Last und Kampf
erschwert, oft sein ganzes Leben verbitternd durchzieht. Die Menschen
bedürfen in der Oedo ihres stockenden und versumpfenden Lebens-
stroms des erlösenden und emporechwingenden Genius und rufen
ihn an; tritt er nun vor sie hin, so vermögen sie wieder nicht, ihn
zu erkennen, und er wandelt einsam ohne Gastgeschenk durch das
Leben, der Paria der Gesellschaft. Ist er dann dem Dasein ent-
schwunden, ja. dann vielleicht jubeln sie ihm nach und werfen ihm
ihre verwelkten Kränze nach — und die reichsten Gaben legen sie
dem Talent zu Füssen, welches dem Genius nacheifert und sich
und das Publikum mit den Brosamen des Entschwundenen füttert.
Von Zärtlichkeit troff schon die feine Seele des'Kindes, von
Liebesbedürfniss gegen Jeden, der ihm nahte, dass es in helle
Thränen ausbrach, wenn man im Scherz sagte, man hab' es nicht
lieb. Eben so früli waren Tonsinn, Musikfreude, Schaffensdrang er-
wacht und wuchsen unter d(;r sorgsamen Pflege des'verständigen
Vaters,bis sie den Geist und allmählich das Leben des Wunderkindes
ganz ausflillten. So begabt, klug geleitet, dass er in seiner Kunst
kaum der Lehre zu bedürfen schien, sich Alles gleichsam unbewusst
aneignete, ward der Knabe, von Kaisern und Königinnen mit Lieb-
kosungen empfangen, die Verwnmderung von Deutschland und Eng-
land, Frankreich und Italien, um dann all die Bitterkeiten auszu-
kosten, denen innere Ueberlegenheit und äussere Bedürftigkeit aus-
gesetzt sein können. Wieviel Entbehrungen und Verlegenheiten,
wieviel demüthige Dienstanerbietungen und Abfertigungen von oben
herab, welch' einen Sumpf von Unwürdigkeiten bis zu pöbelhaften
60
Schimpfworten und Aergerm von Seiten des Salzburger Erzbischofs
und seines lakaienhaften Kammerherrn (Jahn in seiner Biographie
Mozarts hat darüber nur allzuweit berichten müssen) hat der
einst Verhätsclielte und später Vergötterte zu durchwaten gehabt!
wie oft mag er des herben Worts seines Vaters: „Denn die Menschen
sind alle Bösewichter!" gedacht haben! Das Alles konnte weder
sein liebevolles Herz erkälten, noch den unerschöpflichen Drang des
Schaffens hemmen, noch das durchaus gerechte Selbstbewusstsein
schwächen, dass er in seiner Kunst Alles vermöge, was er w^oUe.
Ein Kind im Gemüth', im Leben, in Menschen- und Weltkenntniss
und Geistesbildung, allseitig begabt und vollendet in seiner Kunst,
eilte er flüchtigen Schrittes durch die tausend Unternehmungen, von
einer Schöpfung zur andern, keiner Gelegenheit sich versagend, vom
Schreibtisch in die Konzerte, von den Konzertreisen zu Opernkom-
positionen und Aufführungen, dann wieder zum Dienst, zum Unter-
richtgeben, zu seiner unter allerlei kleinen Treulosigkeiten treuge-
liebten Konstanze zurück. Denn wenigstens ein Weib und liebe
Kinder waren ihm ftlr das kurzgemessne Leben vergönnt worden.
Ueberallhin hatte der schnell vorüberfliegende Genius Blüten und
Kränze verstreut, eh' er uns verlassen musste.
Diese Liebesltille ftlr die Menschen, bei dem Fem- und Fremd-
bleiben von ihrem realen Treiben, diese Flüchtigkeit des Lebens und
Schaffens im Verein mit allhinreichender Begabung, diese nicht von
einem Zweiten, weder vor ihm noch nach ihm offenbarte Musikkraft,
die für ausgebreitete Qeistesentwickelung nach andern Seiten hin
nicht Raum, kaum das Bedürfniss zuzulassen schien: das erklärt das
Grundwesen seines Schaffens. Man darf bei der höchsten Verehrung
und Liebe, die für alle Zeiten ihm gebühren, aussprechen: dass er
nach allen Seiten hin unschätzbare Gaben des genialen Vermögens
gespendet, nirgends aber das Tiefstegegeben, das injeder der besondern
Richtungen zu erreichen war. Bezeichnend ist für diese Stellung,
die Mozart unter den andern Grossen hat einnehmen müssen, dass
Gluck, sein Zeitgenosse und Vorgänger auf dem Felde, das ihm die
höchste Schaubühne geworden, in der Oper, nur vorübergehenden
und keineswegs tiefen Einfluss auf ihn geübt. Dieser Einfluss er-
scheint in der frühesten künstlerisch grossen Oper, im Idomeneus,
im erhabnen Schwung einiger Chöre urid Rezitative, nachher nicht
mehr. Was aber das Wesentliche bei Gluck ist, diese Dramatik,
das In-Eins von Handlung, Wort und Musik (gleichviel ob Gluck,
wie man ihm oft vorgeworfen, der Handlung und dem Worte zu viel
61
von der Musik geopfert, oder nicht, — denn das wäre nicht bindend
gewesen), das ist von Mozart so wenig, wie von den Spätem fest-
gehalten worden, dazu hätte tiefe und umfassendere Geisteskultur
der unvergleichlichen, Gluck weit überlegnen Musikbegabung zu
Hülfe kommen müssen. Es scheint aber Universalität mit voll-
kommner Vertiefung auch hier unvereinbar gewesen Auch das hat
offenbar mitgewirkt ftir den Standpunkt der Mozartischen Oper, dass
er frühzeitig den unmittelbaren Einfluss Italiens aufgenommen und
von ihm aus seiner Oper eine Zwischenstellung zwischen der italischen
und derjenigen Stellung gegeben hat, die der deutschen Oper nach
ureignem deutschen Sinne gebührt, wenn sie auch bis jetzt nicht
errungen sein mag. Beethoven hat der Hauptsache nach die Wahr-
heit wohl erkannt, wenn er ausspricht: „Mozarts grösstes Werk
bleibt die Zauberflöte; denn hier ei-st zeigt er sich als deutscher
Meister. Don Juan hat noch ganz den italienischen Zusclmitt, und
überdies sollte die heilige Kunst (man vergesse nicht, dass wir ihn
durch Seyfrieds Mund vernehmen) nie zur Folie eines so scandalösen
Sujets sich entwürdigen lassen." Es war das Schicksal Deutsch-
lands, seine politische Zersplitterung und Verkommenheit und das
damit zusammenhängende Schielen und Hinüberhängen der Höfe und
bevorzugten Stände nach dem Ausländischen, das Händel hinaus-
gedrängt nach Italien und England; und es war der Idealismus des
deutschen Geistes im Verein mit jener Richtung, der Gluck nach
Prankreich und jetzt Mozart nach Italien gewiesen, um die fran-
zösische und italische Oper ideal zu verklären.
Derselbe Sinn bestimmte naturgemäss den Standpunkt aller
Mozart ischen Gebilde. Seine 33 Symphonien, seine noch satz-
reicheren Cassationen (Ständchen mit einer beliebigen Anzahl ver-
schiedener Sätze) und Serenaden waren, wie seine zahlreichen Kon-
zerte, zunächst den Konzerten in Wien und auf Reisen, oder
überhaupt der edlern musikaUschen Unterhaltung gewidmet; so
gleichfalls seine übrigen Instrumentalwerke. Wir, in der Atmosphäre
Mozarts oder gar Beethovens aufgewachsen, mit seinen und Haydns
Vorgängern auf gleicher Bahn erst später historisch-kühl bekannt
geworden, sind kaum im Stande, seine Höhe gegenüber seiner Zeit
zu ermessen und uns in die Genügsamkeit und das Lebensmass
jener friedselig stillen Zeit zurückzuversetzen, die wir den stürmisch
tiefaufgeregten Bewegungen hingegeben sind, welche vom Ende des
vorigen Jahrhunderts in das jetzige hineinschlagen, alle Richtungen
des Lebens neu bestimmen und ihr Ziel noch nicht erreicht haben.
_ 62
Jene Freuden- und Liebesspiele, denen Haydn und Mozart sich
unschuldvoll, ja in höchster Berechtigung hingaben, sie konnten
schon Beethoven nicht mehr gentigen, mussteu sich ihm versagen.
Aber das Herz hatte Mozarts Liebeswärme, Mozarts ideal-zartes
Wesen ihm tiefer erweckt und inniger durchwärmt; und das blieb
ihm ewig in dankbarem Angedenken.
Dies also sind Beethovens Vorgänger, die ihm die Bahn
geöfifnet haben.
Eis ist bemerkenswerth, dass sich ton einem Einflüsse Glucks,
der sogar noch Beethovens ei-sten Besuch in Wien erlebt hat (er
lebte bekanntlich von 1714 bis 1787), nicht die leiseste Spur findet,
sein Name selbst findet sich in keinem Berichte der. Zeugen mit
Beethoven in Verbindung gebracht. Ällerdmgs war Gluck in Wien
längst fremd geworden^ seine Opern sind Beethoven auf der Bühne
nicht entgegengetreten. Entscheidender . mag wohl die Verschieden-
heit der Richtimgen gewirkt haben ; was. hätte den Instrumcntalisten
Beethoven zu jenem Redner und Dramatiker hinziehn . sollen, der
beim Beginn einer Oper betete: dass er vergessen möge, Musiker
zu sein, um sich ganz dem Drama hinzugeben?
Ausdrücklich erwähnt wird Beethovens Theilnahmo an Mehuls
und Cherubini 's Openi, deren Aufführungen er im Theater an
der Wien mit gespanntester Aufmerksamkeit, aber unbeweglicher
Miene bis zu Ende beigewohnt; man hat sogar die Cherubinische
Opernweiso massgebend flh' den Fidelio (damals Leonore genannt)
finden wollen. Die Thatsache der Theilnahrae zu bezweifeln, ist
kein Anlass, gewiss lässt auch jedes Werk, das ein Künstler mit
Achtsamkeit begleitet, irgend einen Eindruck zurück, der, wena-
gleicli unbewaisst und unnachweislich, fortwirken mag. Mehr aber
ist nicht anzunehmen. Mehul, in seinem dramatischsten Werke
(dem Joseph) schwacher Nachfolger von Gluck, in seineu grössern
Opern noch schwächer, im Grunde nur schwacher Schablonen -Kom-
ponist, konnte nur in jenem Werk' anregen. Cherubini, Italiener
nach Geburt und erster Bildung, angezogen durch Gluck (dem er
gleichwohl die auUdische Iphigenie auf gut italienisch nachkomponirt
hat), gekräftigt und erhoben am Studium deutscher, namentlich
Haydn'scher Musik, dann in seinem glücklichsten Werke, dem Wasser-
träger, ganz auf dem Boden der französischen Operette, zuletzt Nach-
ahmer seines Schillers Auber, den er vordem nicht sehr hoch ge-
schätzt: Cherubini kann mit seinem Glanz und Geschick Beethoven
angezogen und beschäftigt haben. „Cheiiibini (sagt Beethoven bei
63
Seyfried) ist mir unter allen lebenden Opemkomponisten der ach-
tungswertheste. Auch mit seiner Auffassung des Requiem bin ich
ganz einvei'standen und will mir, komm' ich nur einmal dazu, selbst
eins zu schreiben, Manches ad notam nehmen." Das kann Beet-
hoven (die Seyfried'sche Fassung abgerechnet) gesagt haben; bei-
läufig würde die Erwähnung des Cherubinischen Requiem auf eine
spätere Zeit, nach der Komposition der Leonore, deuten. Dass aber
der Eklektiker, bei all' seinem grossen Talent „kühl bis ans Herz
hinan", für Leonore Vorbild gewesen, das ist nicht wahr.
Beethoven ist der Nachfolger Haydns und Mozarts.
Die kleinen Arbeiten.
Die Erstlinge Beethovens sind schon S. 9 erwähnt; sie gehören
der Zeit um 1782 an. Als erstes Werk (Op. 1) sind jene drei
Trio*s bezeichnet, die die Spaltung zwischen Haydn und Beethoven
blosslogten; sie sind im Jahre 1795 erschienen, komponirt die in
Gdur und CmoU 1794/95, das in Esdur vielleicht schon früher.
Was hat Beethoven ausser diesen entscheidenden Werken in
der Zeit von 1782 bis 1795 geschrieben? Was damber mit einiger
Sicherheit festgestellt ist, findet sich im chronol. Verz. (siehe An-
hang II) angegeben. Es ist verhältnissmässig wenig.
Man muss annehmen, dass innerhalb dieser anscheinend stillen
Zeit von etwa dreizelin Jahren Mancherlei gesetzt worden, das ent-
weder gar nicht, wi(^ ja aucli das Verzeicliniss bezeugt, oder nicht
sofort in die Oeffentlichkeit gekommen ist, jedoch unter den nach
seinem Tode erschienenen - oder auch unter den von ihm selber
später herausgegebenen Kompositionen eine Stelle gefunden hat.
Wenn wir später erfahren, wie sehr Beethoven auf Erwcrl) durch
Kompositionen angewiesen war, werden dergleichen Rückgriffe nur
allzu begreiflich werden, und wir- nicht daran denken dürfen, sie
zu schelten. F'assen wir wenigstens so viele dieser kleinen Arbeiten
zusammen, als zur Bezeichnung des Standpunktes erforderlich sind.
Zur Vergleichung fiigen wir spätere Kompositionen von kleinem
Umfang bei..
64
Wir verweisen zunächst auf die bereits im Abschnitt „Jugend"
angeführten Werke (S, 9) namentlich auf die drei Sonaten (1781);
femer auf die drei Quartette aus dem Jahre 1785; diese letzteren
gehören zu den nachgelassenen Werken.
Aus demselben Jahre stammt das ebenfalls als nachgelassenes
Werk bei Dunst in Frankfurt a. M. erschienene
Trio in Esdur filr Piano, Violin und Violoncell,
das Beethoven später im Scherz als seinen höchsten Versuch in
freier Schreibart bezeichnete.
Halten wir dieses Werk billigerweise nicht mit den spätem
aus der Zeit höherer Reife, sondern mit den etwa vier Jahre
älteren drei Sonaten aus dem Jahr 1781 zusammen, so scheint der
Fortschritt in geistiger und technischer Hinsicht unverkennbar, wie
wohl der Gehalt noch nicht allzuweit von jenem der Sonaten ab-
steht. Schon die Führung der drei Instrumente fordert grössere
technische Gewandtheit und be>veist sie; das Spiel des Haupt-
instruments ist reicher und voller geworden, der Satz ist freier und
gestreckter, auch voller, namentlich im ersten AUegro. Ihm folgt
statt des Andante ein Scherzo (mit Trio, alles in Es dur), das an-
muthig gebildet ist und als der Erstgeborne aller Scherai gelten
könnte, wenn nicht schon Joseph Haydn ähnliche Sätze unter dem
Namen „Menuett", und die Namen „Scherzando" und „Scherzo"
in seinen Quartetten Nr. 4, 5, 24 eingeführt hätte. Das Finale
ist leicht abgefertigt und zeigt (nach Haydnschem und Mozartschem
Vorbild in vielen Sonaten u. s. w.) weder Zusammenfassen des
Ganzen noch Erhebung, sondern nur die Absicht, den Hörer ver-
gnügt und erleichtert zu entlassen.
Neben dieses Trio stellen wir ein zweites, das unter dem Titel
Petit Trio, Trio in einem Satze,
für Piano, Violin und Violoncell aus B dur, mit der Bemerkung
„Comp. 2/6. 1812" herausgegeben und dem Titel zufolge („dMi6
a sa petite amie M. B.") einer jungen Klavierspielerin dedizirt ist.
Mit der obigen Zeitangabe steht der Standpunkt des Trio's selber
im Widerspruch. Die Möglichkeit können wir nicht ableugnen,
Beethoven habe seinen Standpunkt aus Rücksicht auf die junge
Spielerin so tief unter dem Niveau von 1812 genommen. Dann
würde sich aber, wie uns scheint, sein wahrer Standpunkt irgendwo
unabsichtlich verrathen haben; in irgend einem Zuge würde seine
damalige Art hervorgetreten sein. Dies ist nun gar nicht der
Fall; die Gedanken stehen den ersten Sonaten und dem Es-Trio
65
ungleich näher, als den mit Op. 1 bezeichneten Trios. Die be-
gleitenden Instrumente bleiben bisweilen in einer später nicht denk-
baren Unthätigkeit, bisweilen sind sie weniger gelenk oder an-
passend. An ein Paar andern Stellen freilich sind sie dafür im
B dur-Trio artiger gefllhrt, ist auch die Modulation freier, als im
Es dur - Trio. Nichtsdestoweniger erscheint uns die Jalireszahl
1812 räthselhaft.
Die Variationen fflr Piano und Violine über das Thema aus
Figaro: „Se vuol ballare signorContino", herausgegeben 1793, hängen
noch mit doppeltem Faden an Bonn. Dem Gehalt nach stehen sie
den Erstlingen aus Bonn ungleich näher,*) als jenen gereiften und
saftigen Früchten, die sich zwei und drei Jahre später zeigen sollten ;
auch in der Person des Künstlers walten noch die untergeordneten
Interessen seiner Jugend vor, er hat noch die Absicht, seine tech-
nische Ueberlegenheit über die „Klaviermeister" zu zeigen. Die
andre Beziehung auf Bonn spricht sich in der Widmung an Eleonore
V. Breuning, seine Jugendfreundin und Schülerin, aus. „Die Varia-
tionen," schreibt er ihr bei der Uebersendung, „werden etwas schwer
zu spielen sein, besonders die Triller im Coda, Sie haben nur die
Triller zu machen, die übrigen Noten lassen Sie aus, weil sie in der
Violinstimme vorkommen. Nie würde ich so etwas gesetzt haben,"
(man soll in Politik und Kunst niemals „Niemals" sagen ; was hat
er später neben Trillern zu spielen gegeben, z. B. in den Sonaten
Op. 53 und 106!) ich wollte aber die hiesigen Klaviermeister in
Verlegenheit setzen; manche sind meine Todfeinde; ich wollte mich
an ihnen rächen; ich wusste, man würde ihnen die Variationen vor-
legen, wo die Herren sich dann übel dabei produziren würden."
Der Bonner Zeit gehören an:
Variationen für Piano über Righini's Vieni amore,
dieselben, die Beethoven Sterkel (S. 12) vorgespielt und aus dem
Stegreife weiter bearbeitet hatte. Vielleicht auch
Variationen für Piano über ein Thema aus Eothkäppchen
von Dittersdorf:
„Es war einmal ein alter Mann," erschienen 1794.
Wir fügen ihnen zu:
Variationen fUr Piano über einen iiissischen Tanz aus dem
Ballet: das Waldmädchen, komponirt 1796,
die der Gräfin Browne gewidmet wurden. Beethoven hatte damals
*) Nach Thayer in Bonn komponirt, in Wien revtdirt und mit einem Koda
bereichert.
Marx, Beethoven. L ^
66
die Phantasie, ein Reiter zu sein, und der Graf schenkte ihm für
die Widmung ein schönes Reitpferd. Es wurde auch einige Mal ge-
ritten, dann vergessen, bis der Diener den säumigen Reiter mit einer
so beträchtlichenHaferrechnungüberraschte, dass die Reitlust verging.
Nehmen wir diese Variationen mit der Mehrzahl der selbständig
gegebenen variirten Themata zusammen, — die Variationen, welche
Theile grösserer Werke sind, bei Seite gelassen, — so kann man
ihnen insgesamt keinen hohem künstlerischen Werth beimessen.
Beethoven hat dieses Feld, auf dem er später das Tiefste geben
sollte, was bis auf diese Stunde sich darauf gefunden, überaus fleissig
angebaut; man zählt in der Reihe seiner Werke neun (Op. 34, 35,
44, 66, 76, 105 [sechs variirte Themata in zwei Heften], 107 [zehn
varürte Themata in fiinf Heften], 120, 121a), ausserdem noch drei-
undzwanzig variirte Themata. Diese Arbeiten, später zu betrach-
tende Ausnahmen ausgeschlossen, sind blosse Figuralvariationen, die
keinen höhern Zweck haben und erltillen können, als leichte Unter-
haltung der Liebhaber nach ihrem und ihrer Zeit Verlangen und
Vermögen. Vergleicht man sie mit dem, was Mozart in gleicher
Richtung gegeben (z. B. mit den zwölf variirten Thematen in Band 8
der Härteischen Ausgabe, mit den Variationen, die als Finale der
A dur- und D dur-Sonaten dienen, mit den vierhändigen aus G dur),
so muss man erkennen, dass die Beethovenschen Variationen (w^ohl-
vei'standen: die Mehrzahl!) keinen hohem Standpunkt einnehmen,
als die Mozartischen, dass vielmehr die letztern ihnen oft an An-
muth und Klarheit (auf diesem Standpunkte beachtenswerthe Eigen-
schafben) häufig voranstehn, während allerdings bei Beethoven bis-
weilen neuere Spielformen und reichere Spieltülle heiTortreten.
Einen Anhalt zu genauer eingehendem Vergleiche würden, wenn ein
solcher lohnte, die Arbeiten beider Künstler über dasselbe Thema
(une fievre brulante) bieten; entscheidender sind die drei bezeich-
neten von Mozart. Ja, eine der Beethovenschen Arbeiten, die
Variationen über Rule Britannia*) für Pianofort e
komponirt 1802,
dürfte man, ohne zu freveln, einem seiner „Raptus" -Anfälle (S. 14)
zuschreiben: sie bringen mancherlei so Widerhaariges ohne tiefer
Ergebniss, als hätte Jemand anders den „profunden" Beethoven
nachahmen wollen, und nur seine „Aii*s" ihm abgesehen. — In den
Variationen fOr Piano Op. 34, Komp. 1802,
aus F dur hat Beethoven sinnreich auf einen Fortschritt in der
"^i Thema von Dr. Tb. A. Arne aogeblich 1740 kompoDirt.
67_
Form gedacht; er weiset jeder Variation eine andere Tonart zu,
der ersten (nach dem Thema in F dur) D dur, der zweiten B dur,
der dritten Gdur, der vierten (tempo di Minuetto) Es dur, der
Itlnften (tempo di Marcia) C.moll, der sechsten F dur. Dies Werk-
chen, dem man neben so bedeutenden Vorgängern unmöglich hohem
Werth beimessen kann, scheint gleichwohl dem Komponisten lieb
gewesen zu sein. Ries, damals Beethovens Klavierschiiler, erzählt,
Beethoven habe ihn die letzte Variation wohl zehnmal wiederholen
lassen, ohne mit dem Ausdruck der Kadenz (fünf Takte vor dem
Schlüsse) zufrieden zu sein, obwohl er meint, die Sache so gut
gemacht zu haben wie der Meister selber.*)
Zwar hat jeder Künstler, selbst in der Zeit seiner Reife, Un-
gleiches geleistet, Beethoven ebenfalls, wiewohl sich an ihm als
Grundsatz eine Gewissenhaftigkeit in der Vollendung seiner Ar-
beiten kund giebt, die nicht allen seines Gleichen eigen war. Aber
der Abstand eines Werkes von den gleichzeitigen oder frühem
Leistungen kann nicht so weit gehn, dass man den Künstler nicht
irgendwie herausfände; selbst in den kleinsten Gebilden, in den drei
vierhändigen Mftrschen, Op. 45, (wahi^scheinlich 1803**)
komponirt, 1804 edirt)
die Stammväter und Vorbilder der ganzen Reihe artiger Märsche
sind, womit F. Ries seiner Zeit die Liebhaber unterhalten, selbst
da zeigt sich noch ein Abglanz von der Weise des Meisters. Triflt
man nun auf Arbeiten, welche ganz herausfallen aus der Bahn, die
der Künstler bis dahin durchmessen : so muss man sich wohl ent-
schliesson, sie früherer Zeit zuzuschreiben. Glücklicherweise wird
*) Seltsam sollte Beethoven übrigens in diesen niedern Sphären, wo er
selber „die Klaviermeister" und ihre GeseUen gewissermassen als seines Gleichen
ansieht, geneckt werden. Er klagt bereits im Jahre 1793, in dem oben er-
wähnten Briefe an Leonore v. Breoning, und später, dass, wenn er Abends
fantasirt habe, «Der und Jener* viele von seinen Eigenschaften ablausche, auf-
schreibe und sich dann damit als seiner eignen Erfindung brüste. Er nennt
geradezu den Abbe Gelinek, diesen so unermüdlichen wie gleichförmigen Va-
riationenschmied, dem kein mögliches Thema hat entgehen kOnnen, ohne mit
den üblichen Prangen und Gimpen behängt und aus den ewig bereitstehenden
Farbennäpfen bestrichen zu werden. Der habe von dieser Jagd auf , Ideen*'
fOrmUch Mutier gemacht und sich dazu stets in seiner Nähe einquartirt. Es
war das einer von den Beweggründen für Beethoven, seine Wobnungen auf
freien Plätzen oder auf der Bastei zu suchen.
**) Skizzen zu den Märschen finden sich in dem Skizzenboche vom Jahre
1803, welches Nottebohm beschrieben hat, und zwar in nachbarlicher Stellung
SU Vorarbeiten des Trauermarsches lur Eroica!
5*
68
in manchem Falle die Vermuthung durch sichere Data chronolo-
gischer Art unterstützt und zur GeA\issheit erhoben.
Hierbei kommt nicht in Betracht, dass Beethoven bisweilen
geneigt war, AUes, was er gerade vollendet, in Druck zu geben; wie
er z. B. seinem Verleger in Leipzig, Hofmeister, auf dessen Bitte um
Verlagsartikel unter dem 15. Dezember 1800 (S. 28) Septuor, Sym-
phonie, Konzert und Sonate auf einmal anbietet. Er schreibt: „Was
der Herr Bruder (mein geüebter Herr Binder in der Tonkunst, redet
er Hofmeister an, der bekanntlich auch Komponist war) von mir
bekommen können, ist 1. ein Septett per il Violine, Viola, Violon-
cello, Contrabasso, Clarinetto, Como, Fagotte, tutti obligati, denn
ich kann gar nichts Unobligates schreiben, weil ich schon mit einem
obUgaten Accompagnement auf die Welt gekommen bin"
„Das ist Alles, was ich für den Augenblick hergeben kann. Ein
wenig später können Sie ein Quintett fiir Geigeninstrumente haben,
\\ie auch vielleicht Quartette und andere Sachen, die ich jetzt nicht
bei mir habe." Denn es ist hier von Werken die Rede, die mit
höchster Ehre gegeben werden konnten. Gar wohl aber mochte
Beethoven bisweilen durch freundschaftliche Rücksichten bewogen,
bisweilen durch ökonomische Verlegenheit gedrängt werden, Ar-
beiten zu unternehmen (man blicke auf die übergrosse Reihe der
Variationen), denen er sich sonst nicht unterzogen hätte,
oder zu frühern Arbeiten zurückzugreifen, die seinem
jetzigen Standpunkte nicht gemäss waren. Dass er sich
bisweilen, in Rücksicht auf Erwerb, sogar zu Arbeiten, die ihm
künstlerisch nicht so nahe lagen, entschliessen und hebere Unter-
nehmungen zurückstellen musste, wird sich weiterhin zeigen. Jene
Annahme, wie unerfreulich sie auch sei, hat wenigstens nichts an
sich Undenkbares. (Vergleiche darüber auch Ries, II, 320 ff.)
Als Beispiel für den ersten dieser Fälle mögen die
Variationen für Piano „mit einer Fuge", über ein
Thema aus Prometheus,
(dem von Beethoven komponirten Ballet, auf das wir später zurück-
kommen werden) genannt sein, die 1802 komponirt, 1803 als Op. 35
herausgekommen und dem Grafen Moritz Lichnowsky gewidmet
worden sind. Ihre Komposition muss nach dem 21. oder 28. März
1801 (Tag der ersten Aufführung des Ballets), nicht lange vor dem
Dezember 1802 erfolgt sein, wo sie Beethoven an Breitkopf und
Härtel verkaufte. Jedenfalls ist also diese Arbeit jünger, als die
Trio's Op. 1, die Sonaten Op. 2, 5, 7, 10, 13, 14, als das Lied
69
„Adelaide", Op. 46, und ungefähr gleichaltrig mit den geistlichen
Liedern Op. 48, die wir noch kennen lernen werden. Aber wie weit
steht sie von dem Geist' ab, der in jenen Werken lebt ! — es war tiber-
eilt und irrig, aber verzeihlich, wenn einen Augenblick sogar ein
Zweifel an der Aechtheit sich regen wollte, der allerdings schon der
Bürgschaft der liochgeachtetenVerlagshandlung{BreitkopfundHärtel)
gegenüber nicht aufkommen konnte. Die Variationen sind ohne Frage
von Beethoven, ja sie zeigen im Vergleich mit den frühern Arbeiten
gleicher Art einen ganz unverkennbaren Fortschritt, tragen den
Stempel Beethovenscher Eigenthümlichkeit in mehr als einem Zuge.
Daneben aber treten im Inhalt und selbst der äussern Form dem
Beobachter wieder andere Zeichen entgegen, die zu verrathen
scheinen, dass er nicht aus eigner künstlerischer Erweckung, sondern
auf äussern Antrieb das Werk unternommen, es auch dann zwar
ernstlich und eifrig ausgeführt hat, aber mit dem Eifer des tüch-
tigen und gewissenhaften Arbeiters, nicht der von irgend einer Idee
oder Stimmung entzündeten Seele. Jener äussere Antrieb könnte
(wir sprechen blos hypothetisch, haben keinen Beweis) die Vorliebe
Lichnowsky's für das anmuthige Thema aus dem Ballet sein, und
dessen Wunsch, oder Beethovens Voraussetzung desselben, sich am
Klavier eingehender mit demselben zu beschäftigen.
Graf Lichnowsky war (wie sein Bruder, der Fürst) gebildeter
Kunstfreund und Pianist. Nehmen wir nun an, dass die Variationen
für ihn komponirt, jedenfalls mit der Absicht, sie ihm zu widmen,
herausgegeben worden sind, so erklärt sich vor Allem das Auf-
fallende der Form, in der sie uns vorgelegt worden sind.
Auf dem Titel ist bemerkt: „mit einer Fuge," die beiläufig im
Werke selbst als „alla fuga" bezeichnet ist. Wo findet man der-
gleichen auf andern Beethoyenschen Titeln, z. B. auf Op. 59 No. 3,
Op. 102 No. 2, Op. 106, 110, 120? Beethoven hatte nicht Ursadv.
auf dergleichen Werth zu legen; hier that er es; ein Brief an Breit-
kopf und Härtel bestätigt das. Er bittet am 26. December 1802
die genannte Firma brieflich, die Variationen Op. 34 (siehe Seite 66)
und Op. 35 mit folgendem Vorbericht erscheinen zu lassen: „Da
diese Variationen sich merklich von meinen frühern unterscheiden,
so habe ich sie, anstatt wie die vorhergehenden nur mit einer
Nummer anzuzeigen, unter die wirkliche Zalil meiner grösseren
musikalischen Werke aufgenommen um so mehr, da auch die
Themas von mir selbst sind."
Die Komposition beginnt nun mit einer Einleitung, „Introdu-
70
zione col Basso del Tema" überschrieben, die vom eigentlichen Thema
u. 8. w.
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aus No. 16, dem Finale des Ballets, den Bass gleichsam als Vor-
thema in drei Oktaven übereinander aufstellt
u. s. w.
PP
und in seltsamer Treue gegen den Buchstaben den zweiten Theil
mit einem Takt Pause, dreimal B und einem Takt Pause beginnt;
es fehlt nämlich die ausfüllende Melodie des eigentlichen Thema's.
Dieses Vorthema wird dreimal mit Gegenstimmen durchgeführt und
dabei wird ausdrücklich „a duo, a tre, a quattro" angemerkt. Nie-
mals hat Beethoven dergleichen Vermerke gemacht, zumal bei so
geringfügigem Anlass: denn die Stimmen sind weder künstlerisch
bedeutend noch kunstvoll gesetzt. Seltsamer Weise könnte^ man
sogar der zweiten Variation (a tre) und der dritten (a quattro)
bestreiten, dass sie wirkUch drei- und vierstimmig geführt seien.
Die erstere bringt allerdings drei Stimmen, — man sehe A,
^pi
nämlich das Thema bei 1, eine hohe Stimme bei 2 und eine tiefe
bei 3; aber die letztern (2 und 3) treten nie gegen einander auf,
sondern lösen sich nur ab, können also nur als eine Stimme gelten;
oder will man ein viermaliges B zu Anfang des zweiten Theils als
dritte Stimme rechnen? Die „a quattro" bezeichnete Variation
(B) bringt wieder das Thema, gegenüber zwei, stets in Terzen mit-
einander gehende, bisweilen blos arpeggirende Stimmen (C) und
ausserdem noch eine Stimme. Allein die Setzkunst kann zwei
unauflöslich in Terzen miteinander gehende Tonreihen nur als eine
7J
einzige Stimme ansehn; es bleiben also hier nur drei, wie in der
vorigen Variation nur zwei Stimmen als Inhalt des Satzes. Es
wäre baare Schulfuchserei, dergleichen, — zumal einem Beethoven
gegenüber zur Sprache zu bringen, hätten die wunderlichen Ueber-
schriften nicht Anlass gegeben.
Aber was hat das zu bedeuten, dieser Anfang, der nicht blos
arm, sondern bei dem Eintritt des zweiten Theils vom Bassthema
geradezu lückenhaft ist? Wollen wir uns mit dem alten Scherz-
worte: „Er hat seinen Raptus gehabt!" (S. 14) durchhelfen? Er hätt'
ihn nicht gehabt, war' er vom Beginn an als Künstler, als unser
Beethoven bei der Sache gewesen, war' er nicht blos aus äusser-
lichem Entschlüsse stimmungslos und kalt herangetreten. Doch sollte
die Arbeit nicht ganz ohne den Stempel seiner Art zu Ende gehen.
Nun erst tritt nämüch das eigentliche Thema auf, die Melodie
aus dem Ballet mit ihrem Basse. Ihr folgen 15 Variationen, und
das Pinale schliesst mehr als eine Variation in sich. Die meisten
dieser Variationen sind blosse Tonflgurationen, in denen Melodie oder
Begleitung in beweglichere Form gebracht wird, Qhne dass eine be-
sondere und neue Stimmung sich geltend machte ; solche Variationen
sind Maskenvergnügungen zu vergleichen, — man begegnet den
wohlbekannten befreundeten Gestalten in neuen, fremden, fast un-
kenntlich machenden Gewändern. Dies trifll gleich die ersten sechs
Variationen, unter denen nur die dritte in rhythmischer Hinsicht
l^^^^^^^^m
die kecke, eigenwillige Hand Beethovens verräth, wie die fünfte
mit dem Anfang ihres zweiten Theils,
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seine Lust an Nachahmung und Neckerei der Stimmen untereinander.
Die sechste Variation hält fast das ganze Thema Note für
Note fest, zieht es aber durcli die Harmonie aus seiner eigentliclien
Tonart nach C moU und F moll hinüber; im Uebrigen ist sie Figural-
variation, wie die andern.
Die siebente Variation macht hiervon zuerst eine Ausnahme;
sie bringt den ersten Theil des Thema's als zweistimmigen Kanon
in der Oktave. So bringt auch das Finale das zuerst aufgeführte
Thema (das des Basses) in sehr frei, aber weit ausgeführter Fugen-
form, oder nach Beethovens eignem Ausdruck' als „alla fuga";
sogar die Verkehrungsform wird angewendet. Uebrigens wechselt
in diesem Finale das Melodiethema mit dem Bassthema in ganz
sinniger Weise.
Noch mancher anziehende Moment liesse sich anführen. Allein
das Ganze wird durch flüchtig vorbeieilende Einzelheiten nicht in
seinem Charakter verwandelt; es ist eine Studie, kein Kunstwerk,
eine Arbeit, auf äusserlichen Anlass, ohne den künstlerischen An-
trieb einer tiefen Stimmung oder waltenden Idee unternommen.
Sobald dies aber geschehen war, verwandte Beethoven gewissen-
haften Ernst auf die Arbeit, erhob sie ganz entschieden über seine
vorhergegangenen Werke desselben Faches und erhob damit sich
selber auf eine höhere Stufe der Kunstfertigkeit. Früher waren
Albrechtsberger und Andre seine Lehrer gewesen. Jetzt könnt'
es Niemand mehr sein, und doch lernt kein Künstler aus. Da
ward er sein eigner Lehrer.
Ein zweites Beispiel giebt die
Sonate zu vier Hftnden, Op. 6,
(Sonate facile übersclmeben), die 1797 in Wien erschienen ist, aber
spätestens 1796 komponirt. Sie hat zwei Sätze in D dur, den
ersten in Sonaten-, den andern in Rondoform, und steht den kleinen
vierhändigen Sonaten Mozarts in D dur und B dur nach Form und
Gehalt, wenn auch nicht gleich, doch näher, als jenen ersten
Sonaten Beethovens aus der Bonner Zeit. Man darf annehmen,
73
dass sie unter dem Einflüsse Mozarts zum rnterrichtszwecke
für angehende Pianoforte-Scbüler , vielleicht auf Bestellung, ge-
setzt ist. Jedenfalls scheint dies glaublicher, als dass Beethoven
dergleichen nach den Trios Op. 1, den Sonaten Op. 2 und der
GmoU-Sonate Op. 5, No. 2 für Klavier und Cello (komp. in
Berlin 1796) noch aus freier künstlerischer Bewegung hätte
schreiben können.
Auf den zweiten der oben (S. 68) angenommenen Ausnahms-
fälle, dass Beethoven bisweilen frühere Werke in Perioden her-
gegeben, in die sie kein Recht haben zu treten, weiset unter
Anderm ein Liederheft hin,
Gesänge und Lieder (acht Lieder),
das als Op. 52 im Jahre 1805 erschienen ist. Die Gesänge deuten
der Mehrzahl nach auf frühe Zeit; sie sind allesammt natürlich
und artig gesungen, einige, z. B. das Mailied „Wie herrlich leuchtet''
von Goethe, deuten auf höhere Entwickelung, wenn auch das ge-
nannte Lied nicht an den Schw^ung des Gedichts hinanreicht. Und
in der That, Thayer setzt diese Lieder in das Jahr 1792, der
Maigesang ist bestimmt am Sclilusse der Bonner Zeit entstanden,
ebenso von den übrigen Liedern noch zwei, während ein viertes
wahrscheinüch in dieselbe Zeit fällt (cf. Chronologisches Verz.
No. 23 u. No. 18, 1). Und warum hätte Beethoven nicht mit
Wohlgefallen diese Jugendlieder dem Vergessen entreissen sollen? —
Auf dieselbe Kategorie scheinen hinzudeuten die zw^i leichten
Sonaten fDr Piano aus GmoU und Gdur,
Op. 49, die erst 1805 herausgekommen, aber beträchtlich früher
entstanden sind, und zwar die aus Gdur schon 1796, die aus Gmoll
spätestens 1799
und die Sonatine aus Gdur,
Op. 79, die 1810 herausgekommen, aber spätestens 1^08 komponirt,
wahrscheinlich noch viel früher. Die AVerkzahl weiset den ersteren
ihre Stelle nach den Fantasie-Sonaten, nach den ersten Quartetten,
den ersten zwei Symphonien und dem Septuor, der Sonatine eine
noch viel spätere an. Und was enthalten sie?
Die GmoU-Sonate l)ringt ein kleinhch Andante in Sonatenform,
ohne Bedeutsamkeit oder Aufsclnvung, ohne Arbeit, ohne die
mindeste Betheiligung jenes Klangsinns und jener Rpiellust, die sich
im ersten Jahrfünft der W^iener Laufbahn bereits so reich in Beet-
hoven entfaltet hahen: dann ein w^eit ausgesponnen Eondo geringen
Gehalts, beide Sätze durchaus homophon, während Beethoven schon
von Op. 1 an immer abgeneigter erscheint, den Faden seiner Kom-
position einer einzigen Hauptstimme, mit Unterordnung der übrigen
Stimmen zu blosser Begleitung, anzuvertrauen und kaum einen Satz
ohne das dramatische Spiel von Gegenstimmen (Polyphonie) durch-
lässt. Die Gdur-Sonate bilden ein nüchterner Sonatensatz und
ein „Tempo di Menuetto", beide Gdur. Und diese Menuett ist
keine andere, als die aus dem Septuor, das als Op. 20 her-
ausgegeben ist; nur der Schluss ist wie hier bei A
A. B. c.
angedeutet, vereinfältigt und dafllr mit einem Zöpfchen (B) ent-
schädigt. Damit aber kein Zweifel der Identität bleibe, wird bei
der Wiederholung (in der höhern Oktav, NB!) der Menuettschluss
aus dem Septuor (C) noch nachgebracht. Allerdings scheint es
räthselhaft, wie Beethoven bei dem einheitvollen, vollblühenden Sep-
tuor (1800 vollendet) auf eine dürftige frühere Arbeit zurückgehen
konnte, um — eine Menuett zu finden, die im Septuor als ein-
geboren in einem Gusse mit dem Ganzen auftritt. Aber wohl oder
übel! wir müssen die Thatsache anerkennen, dass die Sonate schon
1796 geschrieben, wenigstens entworfen ist. Ein von Nottebohm
(Beethoveniana S. 1 ü.) erwähntes Skizzenblatt enthält Entwürfe
zur Scene und Aria „Ah! perfido" und zu beiden Sätzen dieser
Sonate, „so geschrieben, dass daraus auf ein gleichzeitiges Arbeiten
an beiden Werken geschlossen werden kann." Die Entstehung
der Sonate fällt also in das Jahr jenes Gesangstückes, 1 796. Wir
haben mithin in diesem Werke einen urkundlichen Beweis, dass
Beethoven in Ermangelung anderer Kompositionen auch gelegent-
lich einmal, hier sogar zum Nachtheile des Eindruckes einer seiner
lieblichsten Schöpfungen, die dem des chronologischen Verhältnisses
Unkundigen um einer geringen Sonate willen als geplündert er-
scheinen musste, in Zeiten geringerer Reife zurückgriff. Zwischen
1796, der Komposition, und 1805, der Herausgabe, ist ein weiter
Abstand seines künstlerischen Schafiens.
Die Sonatine giebt ein „Presto alla tedesca", flach, aber rührig
(w^enn nur die Durchführung des kukukartigen Schlusssatzes im
zweiten Theil nicht gar zu flach wäre), ein kleines (innerlich
kleines) Andante, Gmoll, und ein wienerisch lustiges Finale.
Dann verweisen wir auf die
8M6B BaiaMlen für Piauo, Op. 33,
artige, nicht tiefe Sätze, die zwar mit seinen hervorragenden
Scliöpfungen nicht verglichen werden können, aber so sorgfiütig
und mit genügender Fülle durchgeführt sind, dass man sie keines-
wegs Beethovens unwürdig nennen darf. Wie jeder Mensch, so
hat auch der Künstler Momente höherer und minderer Spannung,
die sich je nach den Stimmungen und Forderungen des Lebens in
bunter Reihe ablösen; der Künstler fliegt nicht in straflgehaltener
Linie gleich einer abgeschossenen Kugel nach dem Ziele, sondern
erhebt sich bald gleich dem Aar in anmuthigen Schwingungen,
bald senkt er sich spielend oder ruhend, um wieder zu steigen.
Nur verleugnen wird sich der kräftige Geist nie; was er schafft,
wird irgend eine Spur seines Gepräges aufweisen, — und gerade
die vermissen wir in jenen (Seite 72 bis 74 besprochenen) Liedern
und Sonaten, die uns höchstens der Jugendzeit vor der Wiener
Schule würdig erscheinen.
Diese Bagatellen ^ind erschienen im Fi-ühling 1803. Die
oben (S. 9) ausgesprochene Verrauthung (cf. Thayer, Leben Beet-
hovens I. S. 121, IL S. 209), dass einige derselben schon in aller-
frühester, Bonner Zeit komponirt seien, stützt sich auf den Titel,
welchen das im Besitz des Herrn Johann Kafka in Wien befind-
liche Manuscript trägt: „Op. 33, des Bagatelles par Louis van
Beethoven 1782". Jedenfalls sind sie nicht alle so weit zurück
zu datiren. Die Bagatelle No. 1 ist im Frühling oder Sommer
1801 skizzirt (Thayer, Leben Beethovens, II, 391), No. 6 in der
zweiten Hälfte des Jahres 1802 vollendet (Nottebohm, ein Skizzen-
buch von Beethoven aus den Jahren 1801, 1802), Thatsachen, durch
welche jene Jahreszahl 1782 fast bedeutungslos wird.
Viel bedeutsamer sclüiesst sich eine Kleinigkeit an, die Beet-
hoven für das Stammbuch der damals beliebten Pianistin Sczi-
manowska „auf Aufforderung Nachmittags am J 4. August 1818",
also aus dem Stegreife geschrieben hat, und die durch die Berl.
allg. mus. Ztg. 1824, No.49 veröffentlicht, später 1840 unter dem Titel
Derniire pensie musicale de Louis van Beethoven
herausgegeben worden ist. Der ganze Satz hat nur 39 Takte; er
ist durchaus Stegreifsgedanke, schwirrender, zuckender Geist, nicht
gesammelt, sondern aus vollkommner Abwesenheit des schöpferischen
Triebes sich augenblicklich verdichtend und schnell wieder ver-
flüchtigt, elektrisch, noch nicht Strahl, viel woniger langhinrollendes
76_
Gewitter. Es ist nicht der letzte Gedanke Beethovens; Beethoven
sollte nicht dämonisch mit Blitz und Knall scheiden. Aber es ist
ein kühn hingeworfenes Räthselwort, — und die Auflösung schallt:
„Beethoven!!" entgegen.*)
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Ziemlich lebLaTt.
PIANO.
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Wohl verdienen zwei Sammlungen,
Nouvelles bagatelles, Op. 119
Sechs Bagatellen, Op. 126
g^J^^ÖEfer-^
E?=p:
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^ülF^^Mt-^
In der Berl. allg. mus. Ztg. wird vom Herausgeber erzählt, er habe es
vor der VeröffentlichuDg 5 Musikern mehrere Male vorgetragen und sie auf-
gefordert, sich über die Bedeutung desselben zu äussern. Jeder habe abge-
sondert, ohne die Noten anzusehen, seine Meinung niedergeschrieben. Da
hätten sich denn folgende fünf Gutachten ergeben:
1. Beethoven drückt anfangs den lästigen Wunsch einer Dame aus, ihr
etwas ins Stammbuch zu schreiben, überlegt, entschliesstsicb, in wenigen Takten
sie los zu werden , zeigt gleichgültige Galanterie gegen dieselbe und sagt am
Ende: man wird doch immer vom schönen Geschlecht genirt.
2. Beethoven wundert sich, von einer fremden Dame, die er nicht kennt(?),
aufgefordert za werden, etwas ins Stammbuch zu schreiben; entscbliesst sich
rasch, scheint es aber etwas zudringlich zu finden, thut es aber dennoch, den
Wunsch einer Dame zu erfüllen.
3. Was soll ich dahin schreiben? So viel ich sinne, es will sich nichts
gestalten. Nehmen Sie aus dem Gewirre den guten Willen, das warme Ge-
müth heraus.
4. Sinnt Ihr dem Geiste des Künstlers an. Euch zu dienen? Hinweg!
Sehe ich doch das feine Gewebe, das Ihr listig und schlau um mich schlingt,
7R
jener genialen Improvisation nahe gestellt zu werden. Es sind
flüchtige Sätze (die nouvelles bagatelles ihrer 1 1), gleichsam Feder-
proben, theils reizende, theils sinnvoll bedeutsame geniale Bildchen.
Sie sind klein; aber irgendwo schaut Beethovens schalkhaftes oder
träumerisches Auge heraus, und bisweilen in Genieblitzen, die nur
ihm eigen waren. Schindler sagt: „Die in Rede stehenden Ge-
dankenspäne betitelte er Bagatellen und hatte sie in der hochbe-
geisterten Zeit des Entstehens der Missa Solemnis, gleichsam um
auszuruhen, zu Papier gebracht."*)
Doch genug — oder schon zu viel von diesen Kleuiigkeiten,
denen noch gar Mancherlei (zahlreiche Tänze, Lieder u. s. w.,
zum Theil von Reiz und Bedeutung) beizufügen wäre. Es ist Zeit,
Beethoven an seinem ihm eignen Werke zu sehn.
Zuvor aber noch eine Betrachtung, die für das Weitere Manchem
aufklärend werden könnte.
Wenn also, kann man fragen, eine ganze Reilie Beethovenscher
könnte es zerreisscn und fühle mich dennoch verlockt? Denn ist es nicht die
Sehnsucht nach jenen fremd und fern herüberwehenden Anklängen, die meinen
Geist unwiderstehlich nach sich ziehen und die der Eure in unkräftigerem Drange
in sich aufzunehmen glüht? Und so wallen wir fremd und doch verbunden,
geknüpft an einander durch Eine Beziehung der Seele weiter. Aber — ver-
steht Ihr mich?
5. Also ich soll komponiren? Nun ja, ich will Dir etwas schreiben.
Ihr Grossen glaubt freilich, dass Ihr nur befehlen dürft, dass Euer gnädiges
Lächeln uns entzücke, uns erbebe! Ha, wie viel grösser steht der Künstler,
der die Welt beherrscht, Euch mit! Das Heiligste ist ihm erschlossen und
die Liebe. Ja die Liebe! Kennt Ibr sie wohl? — So nun hab^ ich Dir etwas
komponirt.
*) Aber nur zum Theil. Auf dem Manuskript von Op. 119 steht zwar
»Novbr. 1822*. Doch No. 2-5, auch wohl No. 1 sind schon 1801/1804 kom-
poniit. No. 7. 8. 9. 10. 11 im Jahre 1820 auf Ersuchen des Kapellmeisters
Starke für dessen Klavierschule, No. 6 1821. Am 5. Juni 1822 werden diese
Bagatellen des Op. 119 in einem Briefe an den Musik Verleger Peters in Leipzig
erwähnt. Peters urtheilte wegwerfend über sie, „Beethoven solle es unter
seiner Würde halten, seine Zeit mit Kleinigkeiten, wie sie jeder machen könne,
zu verbringen.^ Nohl stimmt in seiner Biographie diesem Urtheile bei. Als
wenn der Geniale nur Herkulessäulen errichten dürfte, nicht das Recht hätte,
auch das zu entwerfen und dem Dauer zu geben, was an seiner leicht er-
regten und leicht schaffenden Phantasie als flüchtiges Bild vorüberweht. Hätte
Beethoven diese Kleinigkeiten zurückgehalten, wir wären um eine Reihe von
Kunstgenüssen, die einen Augenblick kurzer Müsse anmutig ausfüllen, ärmer.
— Ueber die hauptsächlich 1824 entstandenen Bagatellen Op. 126 schreibt
Beethoven 1825 in einem Briefe an Schott in Mainz, sie seien «die besten, die
er wohl geschrieben^.
79
Werke mit seinem Massstabe gemessen, von geringerem Werthe
sind, welche Bedeutung haben sie fiir Um selber gehabt? und welche,
die Unterhaltung unerwähnt, die Viele in ihnen gefunden, für uns?
Die Antwort lautet : sie sind (soweit sie nicht, wie die nicht eben
zahlreichen üebertragungen eigner Werke auf andre Tnstiiimente, blos
Erwerbsarbeiten sind) nothwendig gewesen zu seiner eignen Entwick-
lung. Dies ist das Wesentliche. Nebenbei haben sie ihn in nahen Bezug
mit den weitern Kreisen des Publikums gesetzt, denen die höhern Gaben
allzuhoch hingen. So allein konnte das Publikum am Meister und dieser
mit jenem aufwachsen, ein so naturgemässes Verhältniss, dass es für
die Laufbahn des Künstlers kaum entbehrüch scheint und manches
Talent durch den Mangel daran schon gehemmt worden ist.
Das Wesentlicke aber ist, wie gesagt, die Entwickelung des
Künstlers selber. Diese Entwickelung, — es muss für diejenigen
ausgesprochen werden, die das Genie für eine Art von Zauberwesen,
enthoben den allgemein menschlichen Bedingungen, und seine Ge-
bilde ganz einfach für Wunder ansehn, über die nicht weiter nach-
zudenken sei, — diese Entwicklung ist der höchsten Anlage, ist
für die schöpferische Thätigkeit des Genies ebenso gewiss unent-
behrlich, wie für jede geringere. Und sie kann sich nicht auf eine
allgemeine Bethätigung und Uebung der geistigen Kraft, ohne be-
stimmtere Eichtung, beschränken, sondern muss ganz scharf auf die-
jenige bestimmte Thätigkeit hinarbeiten, in der gewirkt werden soll.
Wäre dem anders, so könnte ja jeder erweckte und im AUgemeinen
entwickelte Geist alles Beliebige leisten; Raphael hätte dichten
können wie Sophokles, Mozart malen wie Raphael. Sie haben es
aber nicht einmal w^ollen können, denn ihre Neigung und Energie
war anderswohin gerichtet. Ja, in derselben Kunst vermögen selbst
die Grössten nicht, was sie nicht erworben haben; Mozart hat nicht
die Bestimmung und Entwickelung der Gluckschen Dramatik oder
der chorischen Kraft Händeis, Beethoven nicht dessen Sangesfähig-
keit oder die Fugenmacht Bachs erreichen können und wollen, so
wie umgekehrt jene nicht haben besitzen oder nur wollen können,
was erst Mozart und Beethoven erreichbar war. Diese Erinnerung
ist leider nicht so überflüssig, als sie scheint; Schwärmerei und
Trägheit sind unablässig bemüht, die naheliegende Wahrheit zu
verschleiern und die Geister in ihre Besinnungslosigkeit hineinzu-
locken, trotz allem Augenschein und allen Lehren der Geschichte.
Die Entwicklung des Musikers muss also den Geist des Künst-
lers ganz scharf, und zwar nicht blos theoretisch, sondern praktisch
_^0
in das musikalische Gostalton einfliliren; er muss dieser Kraft des
Gestaltens vollkommen mächtig werden.
Nmi: ein grosser Theii der Beethovenschen Ent Wickelung liegt
in diesen kleinen Arbeiten; und das ist ihre wesentliche Bedeutung.
Sie geben sogar Fingerzeige für die dem Künstler gewiesenen
Richtungen, indem sie diesen ganz anpassend vorarbeiten. Vor-
wiegend ist die Menge der Variationen. Und in der That ist gerade
diese Fonii für den Cliarakter der Beethovenschen Schöpfung ent-
scheidender als tiir irgend einen Künstler; er hat nicht nur zahl-
reiche selbständige Themata mit Variationen gegeben, er bedient sich
auch der Form häufig im Zusammenhange grösserer Werke; ja,
indem er seinen Gedanken überall treu und innig nachhängt, mit
ihnen weiter lebt, bleiben sie ihm nicht dieselben, wandeln sie sich
gleich lebenden Organismen innerlich um, — und so durchdi-ingt
die Idee der Variation auch da seine Gebilde, wo die Variationen-
form selber nicht vorhanden ist. Nächst dieser Fonii ist fleissig
die Rondo- und Sonatenfonn, weniger emsig die Fugenform angebaut;
die Folgen werden sich im Verlaufe des Künstlerlebens ergeben.
Damit es aber nicht an einem handgreiflichen Fingerzeig fehle,
dass Beethoven sogar mit Vorbedacht auf Arbeiten eingegangen ist,
bei denen seine Kräfte zu prüfen und zu erhiJhn erster Zweck
war, hat er ein eigenthümlich Werk hinterlassen müssen:
32 Variationen fQr Piano in C-moll
aus dem Herbst des Jahres 1806, wo er schon die drei ersten
Symphonien, seine Oper Leonore, bedeutende Klavierwerke (unter
andern die spiel- und glanzvolle Sonate Op. 53), die ersten Quartette
u. s. w. gegeben hatte. Aber wo hört der Künstler auf, zu lernen?
und wo hat er sich genug gethan? — Zu diesem merkwürdigen
Werke hat Beethoven sich ein eigen Thema gemacht, einen Satz
von acht Takten, energisch gebildet und kurz genug gehalten, um
ohne Ermüden des Tonsetzers und Spielers zweiunddreissig Varia-
tionen zuzulassen; die Bildung des Satzes begünstigt die Entfaltung
von Spielformen, auf die es hier abgesehn ist. Es werden nämhch
fast ausschliesslich nur Spielmotivc durchgeführt und fdnulich aus-
genutzt, so dass man bisweilen eher einen tüchtigen Spieler und
„Klaviermeister", als Beethoven für den Verfasser*) halten sollte:
*} 0. Jahn hatte in seinen Notizen folgende Anekdote: Beethoven fand
einmal Streichers Tochter an seinen 32 Variationen abend; nachdem er eine Zeit
lang zugehört, fragte er sie: «Von wem ist denn das?' — „Von Ihnen." —
,Von mir ist die Dummheit? 0, Beethoven, was bist Du für ein Esel gewesen! '
81
aber war Beethoven nicht jenes auch? und hat er sich nicht früh
schon mit jenen herumschlagen müssen ? So iUhrt gleich die erste
Variation dieses Motiv
^Ä
leicht, geschmackvoll und energisch durch; aber die zweite Variation
bringt es für die Linke und die dritte für beide Hände wieder. So be-
nutzt die achte Variation eüi Spielmotiv für beide Hände, das die sie-
bente zuvor der Linken gegeben ; so nimmt die einundzwanzigste Va-
riation das Motiv der vorhergehenden aus der Linken in die Rechte.
War es Beethoven etwa darum zu thun, eine Studie fUr Pia-
nisten zu liefern, statt für sich selber (wie wir oben angenommen)
eine Pilifung und Stählung der gestaltenden Kraft zu unternehmen?
— Dergleichen hat er den „Klaviermeistem" überlassen; ihm selber
war das Lehramt jederzeit ein viel zu lästiges, als dass er fllr das-
selbe so ausgedehnte Arbeiten hätte unternehmen sollen. Dies muss
Jedem, der uns bis hierher begleitet hat, schon einleuchtend ge-
worden sein; zum üeberfluss bezeugt es das vorliegende Werk ge-
nügend durch eine Reihe von Variationen, die ' unmöglich bestimmt
sein können, die Spielfertigkeit zu erhöhen. Diese hat unter andern
innerhalb der ersten elf Variationen so Schwieriges zu leisten, dass
sie bei der 12. Variation (A)
A. B.
M
M ft r X , BMtboven. I.
82
bei der JS.und 22. Variation (B und (') und anderwärts keine Förderung
findet, abgesehen davon, dass von systematischer Entwickelung des
Spielvermögens gar nicht die Rede sein kann. Ueberall dagegen
meint man die Fragen zu vernehmen: was lässt sich aus dem
Thema gestalten? wie kann die vorliegende Figur weiter benutzt
werden?
Eben so wenig kann man aber annehmen, dass die Variationen
freies Kunstwerk seien, aus irgend einer Idee, aus einer besondern
Stimmung hervorgegangen, war' es auch nur aus dem Reiz, den
ein liebgewonnenes Thema dem Komponisten erweckt hat. Hier
ist vielmehr alles Absicht. Das Thema ist nicht gefunden,
sondern gemacht, nicht ein aus dem Qemüth gebomer Liedsatz
von zwei oder drei Theilen, der schon flir sich selber andre Gemtither
anzieht und fesselt; sondern ein streng und folgerecht entwickelter
Satz von acht Takten, dessen Energie reizt und spannt, ohne an
sich selber zu befriedigen, der aber dem Vorhaben des Komponisten
auf das Günstigste entspricht. Ihm folgt eine Reihe von zweiund-
dreissig Variationen, eine bedenkliche Zahl, wenn es die Vergnügung
der Ziüiörer oder die Befriedigung des eignen Herzens galt; eine
gar nicht übermässige, w^enn man unsern Standpunkt einnimmt
und die Arbeit als eine Studie des Komponisten auflfasst. Auch
Bach hatte in seiner „Kunst der Fuge" eine solche gegeben und
in ihr flir die Fugenkunst die Säulen des Herkules gesetzt; er und
Händel hatten Variationsstudien (Bach mit vorherrschender Richtung
auf Kanonik) gegeben; Mendelssohn folgte Beethoven mit seinen
meisterlich feingearbeitet<?n, wenn auch etwas einförmigen „Variations
sÄrieuses". Beethoven selbst sollte seine Aufgabe später im hohem
Styl wiederholen, in den 1823 komponirten 33 Veränderungen,
Op. 120, auf die wir später zurückkommen.
So liegen nun von Beethoven aus verschiedenen Zeit<3n drei
Studien über Variation vor: Op. 35 (das ohne vorgefasste Absicht
dazu geworden war), die Var. in C-moU (S. 80) und Op. 120.
Was in diesen Studien und den übrigen Variationen zur höhern
Ausbildung gedieh, war zunächst Erfindung mannigfacher Spiel-
formen und damit Erweiterung der Technik am Klavier; dann bei
allen Variationen, die sich nicht auf eine einzige Stimme beschränken,
sondern gegen die Melodie eine Figuralstimme (wie oben bei B)
oder gegen eine Melodie eine oder mehrere andre setzen, Aus-
bildung der Polj'phonie (sei es auch nur in den leichtesten Ge-
83
staltungen), die in Beethovens wie in allen höhern Kompositionen
eine so vorragende Bestimmung erwartete.
Alle diese Fertigkeiten hätten sich auch an andern Kunstauf-
gaben erwerben lassen. Wie ist es nun gekommen, dass Beethoven
gerade der Variationform sich zugewendet hat? — Die Beant-
wortung dieser Frage gewährt einen tiefen Einblick in Beethovens
Bestimmung.
So HerrUches auch seine Vorgänger, Bach und Händel, Haydn
und Mozart, in der Instrumentalmusik gegeben hatten, doch lag der
Schwei'punkt ihres Wirkens nicht in jener, sondern in der Kirchen-
und Opemmusik. Beethoven war der Beruf vorbehalten, die reine
Musik zu ihrer Vollendung zu erheben, indem er über die Sphäre
des blossen Tonspiels und den Wechsel schwankender Stimmungen
hinaus sie zu vollständigen, psychologisch geordneten Lebensbildern
und zur Abspiegelung bestimmter Ideen berief und befähigte. Wenn
er nun (wie wir weiterhin beobachten werden) hierin seinen eigent-
lichen Lebensberuf finden sollte, so musste er auch die ganze Kraft
seines Gemüths dafür einsetzen; er konnte nicht hin- und herspielen
von einer Regung oder einem Einfall zum andern, sondern was er
aussprach, musste ihm Ernst sein, ihn erfllUen und festhalten. Dies
wird man inne, wenn man seine Sätze mit denen der Andern in
der Instrumentalmusik vergleicht und in denselben jene unbedingte
Geschlossenheit, Einheit und Vollständigkeit beobachtet, die der
Ausdruck gänzlicher Hinwendung und Beharrlichkeit sind. Ist nun
ein solcher Satz mit vollem Ernste hingestellt, so behauptet er sich,
so lebt er im Gemüthe seines Schöpfers weiter, kehrt er im Lauf
der Komposition wieder. Aber das blosse Wiederbringen thut es
nicht. Alles Lebendige ist bei aller Festigkeit des Kerns, des
Wesentlichen, dem steten Wandel unterworfen, es durchläuft die
verschiedenen Phasen seines Dasems. Daher ist jene bei Beethoven
immer stärker hervortretende Neigung, seine Sätze bei der Wieder-
kehr zu wechselnden und erhöhten Lebensmomenten fortzuführen,
begreiflich; sie ist fUr alles Lebendige Gesetz, war auch den Vor-
gängern (wie sich versteht) inwohnend, kam aber namentlich für
die freien Kunstformen, erst an ihm zum höchsten Walten.
Nun I — der unmittelbare Ausdruck für sie findet sich in der
Form der Variation, die damit beginnt, den Satz zu umspielen,
und dahin gelangt, ihn in ilim selber zu verwandeln und sein
Leben voll hinausleben zu lassen.
6*
84
Die kleinen Arbeiten waren die hohe Schule, an der er
ahnungsvoll und absichtslos seinem eigentlichen Beruf entgegen-
reifte, er selber sein letzter und bester Lehrer.*)
Der Eintritt in die Laufbahn.
Mit solcher Ausrüstung trat Beethoven auf die Bahn, die zu-
nächst Haydn und Mozart ihm eröffnet hatten.
Eins unterschied ihn, wie wir schon gesagt, sogleich von seinen
grossen Vorgängern. Sie hatten ihre Thätigkeit zwar nach allen
Seiten ausgebreitet, vorzugsweis' aber der Vokalmusik zugewendet,
während Beethoven seinen Beruf wesentüch und mit grosser Be-
deutung im Gebiete der Instrumentalmusik fand. Den zahlreichen
Opern und Kirchenmusiken Haydns und Mozarts hat er quantitativ
wenig, den Oratorien seines ehemaligen Meisters nur eins gegen-
überzustellen, und das von zweifelhafter Bedeutung. Jene Meister
haben ihre höchste Entfaltung — Haydn in den Oratorien, Mozart
in den Opern gefunden; neben diesen Schöpfungen erscheinen ihre
Instrumentalwerke zweiten Ranges. Das umgekehrte Verhältniss
zeigt sich bei Beethoven. Ja, wenn er auf dem Gipfel seines
Strebens die Vokalmusik herbeiruft, um mit ihrem trostvollen Her-
zutritt das Räthsel seiner Schmerzen und seines Lebens in der
neunten Symphonie zu lösen, oder in ihr sein Hochamt zu feiern
und sein Glaubensbekenntniss niederzulegen in der Missa soleranis,
dann verkennt er das einst so traute Wesen, wie dort in Goethe's
Prometheus aus trübem Schlummerleben Epimetheus das trostvolle
Hoffnungsbild, die nähertretende Elpore nicht mehr erkennt, die
er in seinen Träumen mit Entzücken geschaut und sehnsuchtsvoll
näher herbeigerufen.
Die Lebensstellung und Art der drei Männer schärfte den Gegen-
*) Es ist kaum möglich, ohne Einsicht in das Wesen und Gewebe der
Kunstform Beethovens Werke mit Sicherheit und Leichtigkeit zu durchdringen.
Wir fUgen daher für die, denen eine kleine Nachhülfe wünschenswerth sein
mag, im Anhang I. eine „kurze Erlftuterung über Form und Formen
der Tonkunst" bei.
86
satz des Jüngern gegen (üe altern. Haydn war aus dürftiger Jugend
in Dienste, zuletzt fürstlich Esterhazy'sche, getreten. Er war hier
eingelebt und befriedigt. Die Esterhazy und andere Reiche vom
Adel hielten sich damals, wie noch jetzt in Russland und wie in
Deutschland jetzt nur noch regierende Fürsten, Kapellen und Kapell-
meister, die nicht blos bei den Festen des Hauses, sondern auch,
wenn die Familie oder der Herr allein war, wohl gar allabencUich
Musik machen, den Herrn unterhalten und dazu Neues liefern
mussten. Hiermit wird jenes Heer Symphonien Haydns und der
Hunderte, die neben ihm geschrieben wurden, begreiflich: der Ver-
brauch lag in den Verhältnissen. In gleichem, nur zugleich ent-
würdigendem Dienste stand Mozart bei dem Erzbischof von Salz-
burg, Hieronymus Colloredo. Wie Haydn durch seine Gewöhnung
von Kindheit auf, so ward Mozart durch die unablässigen Mahnungen
des Vaters darauf hingewiesen, sich gefällig zu erweisen, Allen zu
gefallen, um zu erwerben und die oft genug ihm vorgerückten
väterlichen Opfer und Schulden zu vergüten. Dazu kamen die An-
sprüche der zahlreichen Akademien, mit neuen Konzerten und Sym-
phonien ausgestattet, der Virtuosen und Liebhaber, der Schüler und
Gönner, mit Neuigkeiten unterstützt, unterhalten, beehrt zu werden.
Sprechen wir es geradezu aus: Unterhaltung mit Musik ist
der durchgehende Charakterzug air dieser Tonwerke, allerdings ge-
hoben durch den unerschöpflichen neckischen Humor und die kind-
liche Glückseligkeit Vater Haydns, allerdings geadelt durch Mozarts
überreich ausgestattete Natur, durchleuchtet von den Genieblitzen
eines Alles, was er berührte, dem Ideal nahebringenden Geistes.
Nicht blos das Leben und die Menge der Werke, nicht blos
jene Dieselbigkeit in Haydns Symphonien, deren immer eine die
andere mit andern Weisen wiederholt, oder sonstige allgemeine
Beobachtungen bestärken diese Ansicht; sie lässt sich bis in das
Innere der Werke verfolgen, wenn Empfänglichkeit für den Inhalt
sich mit klarer Anschauung des Baues verbindet.
Treten wir zunächst an die reine Klaviermusik, so zeigt sich
bei Mozart und Haydn (denen allerdings nur unergiebigere, nach
unsern Vorstellungen höchst gebrechliche und stumpfe Instrumente
zu Gebote standen und deren Zeit noch weit von der Höhe jener
Spielgeschicklichkeit entfernt war, die Beethoven theils vorfand,
theils anstreben Hess) ein so beschränkter Gebrauch von den Kräften
des Instruments, dass man damit ein freies Ergehn der schöpferischen
Phantasie schwer vereinbaren kann. Wolil mag unser Urtheil, die
86
wir in einer gerade technisch so weit vorgeschrittenen Zeit stehn,
für die Technik jener Zeit keinen vollkommen sichern Massstab
haben, in der selbst ein Mozart in Konzerten wiederholt mit seinen
Je suis Lindor- Variationen auftreten konnte. Aber jenen grossen
Meistern standen, allerdings erst an ihnen emporgehoben, Beethovens
Anfänge, Dusseck und Louis Ferdinand der Zeit nach nahe, der
technischen Benutzung des Instruments nach so weit voran! Und
vor ihnen allen : welche Technik hat, ohne Rücksicht auf die Aus-
übenden, Seb. Bach in Anspruch genommen! ^ie frei von solcher
Rücksicht hat sich bis an sein Ende — und da am meisten!
Beethoven stets erwiesen!
Es ist aber nicht blos das Mass der Technik, es ist der Sinn,
der dem Instrument abgewonnen werden soll, welcher hier be-
weisend eintritt. Wenn ein Künstler von der gewissenhaften Sorg-
falt und dem eminenten Talent Haydns nach beweglichem und, so-
bald er nur gewollt, ergiebigem Einsatz des ersten Sonatensatzes*)
gleich vom vierten Takt an mit solcher Hohlheit, wie hier,
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fortfährt und dies im dritten Theile nur mit Verzierungen, die der
Melodie ihre natürliche Einfalt entziehn,
J!
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Ban wie nhcn
wiederholt: so kann man gerade wegen der Meisterschaft des Setzers
nicht anders annehmen, als dass ihm an der Ausführung nicht viel
gelegen, oder er sich der geringen Fertigkeit seines Publikums be-
quemt hat. Dieselbe Annahme drängt sich auf, wenn wir Haydn
und Mozart (erstem z. B. in derselben Sonate im Adagio, letztern
in seiner grossen C-moll-Fantasie) ganz willkürlich mit den Ton-
regionen schalten, namentlich die Melodie ohne andern Grund, als
um äusserliche Abwechselung zu bringen, in die Tiefe verlegen
*) Es ist die 7. Sonate, Heft I. der Breitkopf and HSrtelschen Ausgabe.
87
sehn. Und diese Fälle stehn selbstverständlich nicht als einzelne
da, sondern statt vieler andern.
Diese Beobachtung liesse sich an der Begleitungsweise fort-
setzen, die, nach dem Masse der Meister gemessen, oft leicht ab-
gefunden erscheint, oft sogar, wie z. B. in dem Anfang der
Mozartischen A-moU-Sonate,*)
AUegro maestoso.
unfrei oder gedrückt. Bei Mozart zeigt sich selbst die Melodie oft
mehr der Natur einer einzeln auftretenden Violin, als der des Piano-
forte zugeneigt, so dass man, alles zusammengenommen, bisweilen
an die halbverwischten feinen Bleistiftskizzen erinnert wird, die sich
von tüchtigen Malern in den Mappen der Liebhaber finden. Das
Klavier gilt jenen Künstlern oft nicht um seiner selbst willen, als
ein Instrument, das so gut wie jedes andre seinen eigenthümlichen
Charakter hat, sondern als bequemstes Organ, musikalische Gedanken
zu verlautbaren. Wie ganz Anderes die Meister auch am Klavier
zu leisten vermochten, sobald sie wollten, zeigt Haydn unter andern
in seiner grossen Es dur-Sonate, die noch heute funkelt in Jugend-
lust und übermüthiger Laune. Mozart hat sich öfter, z. B. in
Partien der erwähnten Sonate und in seiner C dur-Fantasie der
Spielfreudigkeit des Instruments reizvoll hingegeben, besonders aber
in seinen grössern vierhändigen Werken (in den C- und F dur-
Sonaten, in den beiden Fantasien F moH, Fdur, deren eine ur-
sprünglich für eine Flötcnulu- gesetzt war) gezeigt, was das Klavier
unter seinen Händen an Wohllaut und Lebendigkeit leisten könne,
wenn er sich nicht durch Rücksicht auf leichte Spielbarkeit hemmen
liess.
Aber selbst hier fehlt ihrer Klavierbehandlung das Letzte und
Höchste: der ideale Sinn des Instruments. Jedes Instrument ist im
Grunde für die Idee des Tondichters unzulänglich, wie nichts Körper-
liches voller Ausdruck des Geistigen sein kann. Jedes Instrument
weiset daher auf ein höheres Organ hin, die Orchester-Instnimente
streben in ihrer letzten Vereinigung nach Gesang, das Bachscho
*) No. 6 der ersten Breitkopf und Härteischen Hefte.
88 _
Klavier soll dem Meister oft die Orgel ersetzen, die Orgel, deren
architektonische Natur*) Niemand so tief erfesst hat, als Bach, soll
zuletzt (man spiele die Figuration zu „Das alte Jahr vergangen ist")
sich beseelen flir alle Wendungen und Accente des Gesangs. So
schweben seit und durch Beethoven orchestrale Vorstellungen über
den Saiten des Klaviers. Nichts davon bei Haydn und Mozart;
ihnen ist das Klavier dieses bestimmte Klang-Organ, nicht mehr,
nicht einmal vollständig.
Natürlich muss der Inhalt der Werke noch sprechender, als
die Darstellung, den Sinn bezeugen, der in ihnen — allerdings
glorreiche Ausnahmen ungerechnet — der vorherrschende war. Bei
beiden Meistern begegnen wir einer Fülle von Gedanken, die stets
reizen, beschäftigen, unterhalten, oft die innersten Saiten des Ge-
müths wecken, deren keiner aber (wieder bedeutende Ausnahmen
vorausgesetzt) sich dem Komponisten und dem Hörenden tief und
bleibend eingräbt, bei denen es vieünehr auf Wechsel, Mannigfaltig-
keit, reizenden Gegensatz abgesehn ist. Recht anschaulich wird
dies in einer Sonate Mozarts (F dur), einer seiner reizendsten zwei-
händigen, aber keineswegs blos in ihr. Der erste Satz stallt in
der Hauptpartie (Hauptsatz, von mehr als einem Satze zusammen-
gestellt) zuerst eine Periode von mehr innerlicher Bewegung auf.
Schon der Nachsatz tritt nicht in fester Einheit zum Vordersätze;
beide werden um eines ganz verschieden gebildeten Satzes wiUen,
der muthig in 's Freie hinaustönt, verlassen, dem nach einer Wieder-
holung ein dritter, wieder ganz verschiedener Satz folgt. Dieser
endlich schreitet zur Seitenpartie weiter, die wieder zwei oder drei
Sätze (der dritte kann als Veränderung des ersten gelten) von ver-
schiednem Charakter bringt; dann folgt noch der Schlusssatz.
Wie vorwaltend in einem so anmuthig lockern Blumengewinde
der Hang zum Wechsel war, zeigt sich näher in den Wiederholungen
des Einzelnen, in der Gruppirung und Durchftihrung des Ganzen.
Die Melodien werden selten anders als mit Verzierungen wieder-
holt, die aber meistens nur eben Zier, äusserlicher Schmuck sind,
nicht Erhöhungen oder Umwandlungen des Gedankens. Einmal be-
sonders ist Mozart darüber hingegangen, in seinem sinnigen A moll-
Andante; man kann nicht feiner in seinem Sinn ausführen, als er
mit dem Hauptsatz (es ist ein Rondo dritter Form) gethan. Aber
es bleibt bei derselbigen nervös-empfindsamen Weise, in der der
*) Kompositionslehre Theil IV.
89
Satz begonnen, er kommt nicht über sich, wie er zuerst gewesen,
hinaus. Und dieser selbe Sinn waltet im üanzen. Die Seitensätze
stehen mit dem Hauptsatze selten in tieferm Bezug, als dass sie
etwas Anderes, als Mannigfaltigkeit für das Ganze bringen; die
zweiten Theile der Sonatenform versetzen in artigem Wechsel die
Gedanken des ersten Theils, beleben sich, besonders bei Mozart oft
in eifervollem Drange, gegen das Ende, bringen aber den einzelnen
Gedanken nicht zu neuer oder tiefer Bedeutung, noch das Ganze
zu einem höhern Standpunkte.
Thun wir noch einen Schritt vorwärts. Die gi'össten Werke
reiner Klaviermusik sind jenen Meistern Sonaten, meist in drei
Sätzen. Nur einmal hat Mozart diese Gränze bedeutend über-
schritten: in der C moU-Pantasie, die, schon satzreich und wechsel-
voll in sich selber, mit einer vollständigen Sonate in drei Sätzen
in Verbindung gesetzt ist, — einem ganz einzeln dastehenden Aus-
nahmsfalle, bei dem die äussere Ausdehnung bedenklich erscheint,
da sich keine innerliche Nothwendigkeit finden wiU. Nun: diese
drei Sätze der Sonaten (Allegro, Andante, Finale) bieten wieder
jenen schon in der Bewegung und Gestaltung gebotenen Wechsel
und dienen einander als Gegensatz; sie sind auch oft einer ein-
hcitvoUen Stimmung entsprungen; tiefere Einheit aber, psycholo-
gische Nothwendigkeit, dass auf diesen ersten Satz dieser zweite
und kein andrer folge, lässt sich nicht nachweisen.
Dürfen wir noch einen letzten flüchtigen Blick auf die Sym-
phonien unsrer grossen Meister werfen, so zeigt sich hier ungleich
freierer und höherer Aufschwung; wir finden uns Schöpfungen
gegenüber, deren unvergängliche Jugendfrische und Kraftflille Un-
sterbhchkeit verheisst. Gleichwohl ist auch ihnen der Stempel auf-
gedrückt, den wir an den KJaviei'sachen der Meister neben dem In-
siegel ihrer genialen Bestimmung gefunden.
Haydns Symphonien zeigen ganz unverhohlen diesen einen
Zweck und Inhalt: Vergnüglichkeit, Unterhaltung, Heiterkeit, Freude,
stets denselben, wenngleich stets in den mannigfachsten Gestalten.
Sie sind Tongebilde für das Orchester, weil sie dessen Mittel fordern,
nicht aus der Idee des Orchesters. Sie sind gleiclisam noth wendige
Arrangements der Haydnschen Gedanken, für jenes merkwürdige
Instrument bestimmt, das man Orchester nennt, nicht Ausflüsse
jener Idee, die in dem Orchester lebt gleich der Seele in einem
lebenden Wesen. Daher wird das Orchester zwar bewundernswürdig
behandelt, bewundernswürdig, wie, in solcher Weise, nur Haydn
90
gekonnt, den man eben deshalb auf seinem Gebiete den uner-
reichten Meister des Orchesters nennen darf. Aber dieses Haydnsche
Orchester handelt nicht aus sich heraus, es wird nicht Person, wie
der griechische Chor und, bei aller Vielgliedrigkeit, der Händeische
und Bachsche Chor eine einige Person waren ; es spricht nicht sich
selber in Macht und Fülle des Daseins aus. Die Gedanken sind
gleich den Klaviergedanken klein und kurzgefasst; als Tongedanken,
abstrakt genommen, sind sie mannigfaltig, lebhaft, reizend, oft
innigst bewegend, sind sie geschickt, gewandt geführt, mit Aimiuth
polyphon gewebt, und dazu sind die Stimmen des Orchestei-s auf
das Sinnreichste, oft Schalkhafteste, stets anziehend verwandt.
Aber sie sind keine Orchestergedanken. So haben denn auch die
Sätze dieser Symphonien keinen nothwendigen Zusammenhang, und
weder sie noch die Symphonien Drang zu irgend einem Gipfel, zu
idealen Zielen; es ist ein Spiel hin und her, stets sinnvoll, stets
artig beschäftigend, oft nach lichten Höhen, bisweilen nach den
Tiefen der Menschenbrust hinwinkend, aber bald zum heitern Spiel
zurückgewandt. Dem ganz gemäss walten die höhern, hellem und
heitern Lagen des Orchesters, die Saiten-Instrumente vor den
Bläsern , die Oboen vor den Klarinetten vor : die Flöte geht sehr
häufig mit der Violin, die Fagotte verstärken den Bass, — es
mögen Rücksichten auf schwächere Besetzung eingewirkt haben.
Weit bedeutsamer steht, dem geistigen Inhalte, nicht der In-
strumentation nach, in der Haydn nur von Beethoven zurückgelassen
werden sollte, Mozart in der Symphonie da. Dies thut sich vor
Allem in der Älannigfaltigkeit des Inhalts kimd. Fassen wir schnell
drei seiner vorragenden Werke zusammen, die G moU-Symphonie,
die aus Es dur, den sogenannten Schwanengesang, und die aus
C dur mit der sogenannten Fuge: so blicken wir wirkUch in drei
verschicdne Werke, nicht blos in drei Ausdrücke für denselben
Inhalt. Ein unruhig bewegtes, zartbesaitetes Gemüth ergiesst in
dieser G moll-Symphonie fast mädchenhaft aufgeregt seine Schmerzen
und Aengstigungen und richtet sich leidenschaftlich hoch auf, mit
grossem Blick weit ausschauend nach Rettung aus all der Bangniss
und Beklemmung. Der Bau ist nicht gross, kleingegliedert wie
fast überall die Mozartische Konstruktion, die Besetzung (nicht
Klarinetten, nicht Trompeten und Pauken) entspricht dem, der Satz,
z. B. gleich der Anfang, steht oft dem Quartett näher, aber der
Lebensodem des Orchesters hebt die Brust, man begreift selbst an
diesem kleiner angelegten Werke, wie nahe Beethoven sich diesem
91
jüngsten Vorgänger fühlen musste. Aehnlichos lUsst sicli von der
Es dur-Symphonie sagen , dieser edlen Ansprache des ewig liebe-
vollen Jünglings (denn der blieb Mozart bis an sein Lebensende),
der im weihevollen Andante dieses orchestral erfundenen Werks die
tiefen Adagio's Beethovens ankündigt. Der erste Satz der C-Sym-
phonie, klein und klaviennässig, hat mehr vom Arrangement als
vom Orchester-Original an sich; dafür rollt der letzte gleich einem
mächtig-stolzen Strom seine schäumenden Wellen vorüber, ein Stahl-
bad fllr entkräftete Nachkommen und Freude allen gesunden Naturen.
Und dennoch fehlt auch diesen Symphonien die ganze Fülle
und Grösse der orchestralen Gestaltung; diese mächtigen Gegen-
sätze, in welche Tiefe und Höhe des Orchesters auseinander zu
treten haben (das Mozartsche, wie das Haydn'sche Orchester liegt
meist hoch, neben dem Hell fehlt das Helldunkel und die Mystik
der Tiefe), diese grosse Massenbildung, die zur letzten Entscheidung
Saiten und Bläser als zwei Chöre oder Heere gegeneinander führt,
die Räumlichkeit weiter Gedanken und gebieterobernder Modulation,
— alles das fehlt.
Als ein andrer trat Beethoven auf.
Ihm, seinem früh störrigen, dann stolzen Gcmüthe, waren die
Einknicke dienerischer Stellung und ihr Einfluss fremd geblieben.
Er hatte keine Pflichten und im Grunde keine Neigung, als, sich
selbst, das heisst seinen Schöpfungen zu leben. Wohl wurde
zuweilen sein Herz durch unvergängliche Jugenderinnerungen
nach der Heimat gezogen. Aber, im gekräftigten Bewusstsein
seiner Bestimmimg, schreibt er (am 16. November 1801) an den-
selben Jugendfreund, Wegeier: „Für mich giebt es kein grösseres
Vergnügen, als meine Kunst zu treiben und zu zeigen .... Äfeine
Jugend, ja ich fühle es, sie fängt jetzt erst an : war ich nicht immer
ein siecher Mensch? Meine körperliche Kraft nimmt seit einiger
Zeit mehr als jemals zu, und so meine Geisteskräfte. Jeden Tag
gelange ich mehr zu dem Ziele, was ich fUhle, aber nicht be-
schreiben kann. Nur hierin kann Dein Beethoven leben. Nichts
von Ruhe! — ich weiss von keiner andern, als dem Schlaf, und
wehe genug thut mir's, dass ich ihm jetzt mehr schenken muss,
als sonst .... 0. es ist so schön, das Leben tausendmal leben!
— Für ein stilles Leben, nein, ich führs, ich bin nicht dafür
gemacht!"
Mit solchem Bewusstsein war er in sein tausendfach Leben
getreten.
92
Von RUcksichtsnahme auf das Gefallen oder Vermögen des
Publikums, überhaupt von Rücksichten, die der ihm gesetzten Auf-
gabe fremd, konnte bei ihm keine Rede sein. Aus späterer Zeit
finden sich in den Konversationsheften von 1820, - wir werden
später auf diese Hefte und ihren Zweck zuillckkommen, — bedeut-
same Worte, die den Hochsinn und das Selbstgefühl des Künstlers
im Verein mit vollkommen objektiver Anschauung der Verhältnisse
bezeugen und gewiss nicht aus jenem Jahre stammen, sondern längst
aufgewachsene Ueberzeugungen aussprechen. „Die Welt" — sagt
Beethoven herrlich — „ist ein König, und sie will ge-
schmeichelt sein, soll sie sich günstig zeigen. Doch wahre
Kunst ist eigensinnig, lässt sich nicht in schmeichelnde
Formen zwängen."
Aus noch spätem Konversationsheften (Winter von 1822 zu
1823) ist in Bezug auf die zweite und dritte Ouvertüre zu Leonore
ein gleiclüautend Wort bewahrt worden, das ihm erweislich vor-
und nachher Losungswort gewesen. Ein Freund spricht aus: „Der
Künstler soll frei schallen, nur dem Geiste seiner Zeit nachgeben
und Herrscher über die Materie sein; nur unter solchen Bedin-
gungen werden wahre Kunstwerke ans Licht treten;" — in der
That, Beethoven gegenüber ein doppelt seltsam Wort. Beethoven,
die ersten Worte zunächst im Sinne haltend, antwortet: „Ein-
verstanden! — aber dem Geist seiner Zeit nicht nachgeben 1 sonst
ist es mit aller Originalität aus .... Hätte ich sie (die beiden
Ouvertüren) im Geiste der damaligen Zeit geschrieben, so hätte man
sie gewiss sogleich verstanden, wie z. B. den Sturm von Kotzeluch.
Aber ich kann meine Werke nicht nach der Mode meisseln und
zuschneiden, wie sie's haben wollen; das Neue und Originelle ge-
biert sich selbst, ohne dass man daran denkt." Hier vernimmt
man den durchaus seiner Aufgabe getreuen Künstler, dem es nur
um diese zu thun ist, aber nicht um das Begehr der Welt, noch
um das für so Viele verführerische Interesse, neu oder originell
zu erscheinen.
Hiermit hing Beethovens Unabhängigkeit gegenüber der Kritik
(wie sie meist geübt ward) zusammen; — und wohl ihm, dass es
so war, denn welchen Wust von Missurtheilen hatte er bis an sein
Ende neben sich abfliessen zu lassen! Aber selbst das Lob reichte
nicht an sein Hochgefühl hinan, wenn es nicht aus benifcnem oder
befreundetem Munde kam. „Nur das Lob eines Selbstbelobten kann
freu'n!" lesen wir von seiner Hand in einem Konversationshefte des
93
Winters 1825; „selbstbelobt" aber konnte ihm nur der Berufene und
Geweihte heissen, niclit etwa der von der Menge Gepriesene; —
in diesem Sinne gefasst möge Beethovens Wort alle Jünger der
Kunst begleiten.
Dass aber unsre Auslegung des Wortes die richtige ist, beweist
eine andre Mittheilung von Beethovens Hand in einem andern Hefte
desselben Jahres, eine Mittheilung, die zugleich den strengen Zorn
des. Künstlers in Angelegenheiten der Kunst und eines ihrer Meister
zeigt. Irgend ein Kritiker scheint kleine Tücken gegen Beethoven
geübt und zugleich (wie Schindler berichtet) den grossen Händel
gegen Rossini, damals den Abgott der Wiener, herabgesetzt zu
haben. Beethoven schreibt in seiner abgebrochenen Weise: „ob-
schon nur Mückenstiche, erkenne ich doch denjenigen an seinen
Mucken gegen mich, freiüch, er hat einen Fels an mir gefunden,
in gewisser Hinsicht er ihm hierin allezeit nur ...(?) schlechte
Brust — Hendel Briareus von . . . (?) und dieser Wicht von Rossini
von keinem wahren Meister der Kunst geachtet." Und nochmals:
„an den Mückenstichen erkenne ich die Mucken desjenigen, welcher
dies geschrieb. — Der Himmel bewahre, dass es heissen soll, dass
ich auch ein joumaJ halte, wo den Manen eines solchen Ehi-wür-
digen mitgespielt wird, welche immer eine . . . (schrojßfe?) Brust
in . . . (?) Seine gaukeleien gefunden und finden wird. Der Hr. R.
der formlos ist weil er keine erschaffen kann, der fehlt, nicht,
weil er will, sondern weil er nicht anders kann wie ein Stümper."*)
Ebenso wenig war von dem streng gewissenhaften Künstler
Angesichts seiner Aufgabe, die ihm als heiliger Beruf galt, Nach-
giebigkeit gegen die Stufe technischer Fertigkeit zu erwarten, aut
der es sich die Zeitgenossen eben bequem gemacht hatten. Von An-
fang an bis zu dieser Stunde haben die „K lavier meister diese Rück-
sichtslosigkeit und seine Werke als „unspielbar" und „unklavier-
mässig" gescholten, weU sie allerdings Aufgaben stellten (und zwar
jedes besondre), zu denen kein Etüdenheft hinanreicht. Wenn im
Anfang der Laufbahn doch bisweilen die Frage aufgeworfen ward,
ob dies oder jenes ausführbar sei, so war es Fürst Lichnowsky
— dessen sei stets in Ehren gedacht I der wackre Schüler Mozarts,
der zuerst dafür sprach und sich als geschickter Spieler bestrebte,
den thatsächlichen Beweis zu fuhren. Wie selbständig Beethoven
gewesen, der treue Beistand muss ihm wohlgethan und ihn be-
stärkt haben.
*) Baobstäblich kopirt, soweit es lesbar war.
94
Ein solcher trat Beethoven an seine Werke. Die Jugend- und
sonstige kleine Sachen bei Seite gestellt, ist keins aufzufinden, das
er nicht, soweit sein jedesmaliger Standpunkt gewährte, mit ernst-
licher Hinwendung begonnen und mit gleicher Sorgfalt vollendet
hätte, wenngleich ihm so wenig als sonst jemandem Alles hat ge-
lingen sollen. Jedem ist in seinem Wesen selber eine Schranke
gesetzt.
Das erste Werk auf der KUnstlerbahn, die er leben sollte,
sind jene bereits erwähnten
Drei Trios für Piano, Violin und Violoncell in Esdur, Gdur,
C moll, als Opus 1 bezeichnet. Buchhändlerisch angezeigt wurden
sie am 2L Okt. 1795* Thayer, (Leben Beethovens I, 239 f.) be-
hauptet, dieselben seien von Beethoven fertig aus Bonn mitgebracht,
Nottebohm dagegen weist fast überzeugend nach (Musikal. Wochen-
blatt, 1875, No. 14), dass die Trios in G dur und C moll Ende
1794 noch nicht zum Abschluss gebracht sein konnten. Es finden
sich nämlich auf einem Blatte Skizzen zu diesen Trios mit Fugen
vereinigt, die der letzten Zeit des Unterrichts bei Albrechts-
berg er (Friihling 1795) entstammen. Ueber die Entstehungszeit
des Es dur-Trios ist nichts bekannt, es ist wohl älter als die beiden
Gefährten.
Angeregt sind diese Trios durch die Trios Haydns und Mozarts,
in denen sich dem EQavier Violin und ViolonceU zugesellt. Der
Verein von zwei oder mehr Solo-Instrumenten mit dem Klavier
hat von jeher auf die Musiker, besonders auf die Deutschen, einen
besonderen Reiz geübt. Das Klavier bietet einen festen, schon in
sich selber vielkräftigeu Körper als Anhalt des Ganzen; der Zutritt
der andeiTi Instrumente, beim Quatuor auch der Bratsche, gewährt
reichere und freiere Entwickelung der verschiedenen Stimmen, die sich,
in den Händen der drei oder vier Ausführenden, leichter und selbstän-
diger ergehen, durch die verschiedne Weise der Instrumente klarer
unterscheiden. Es ist hiermit eine Gestaltung ge\vonnen, die zwischen
dem Klavier- und Orchestersatze gleichsam die Mitte hält, über
das Vermögen des Klaviers — wenigstens äusserlich genommen!
— hinausreicht und sich an der Verbindung und dem Einver-
ständniss weniger Ausübender genügen lässt. Nur ein bedenklicher
Umstand liegt in solchem Verband, und gerade er scheint nicht
immer klar genug in das Bewusstsein getreten zu sein : das ist die
innerliche Unvereinbarkeit des Klaviers als selbständigen, gleich-
berechtigten Organs mit andern Instrumenten. Die Saiteninstru-
95
mente, die Bläser untereinander stehen gleichartig oder in den
nächsten Verwandtschaften und Beziehungen, jeder Chor als einiger
Organismus, zu einander; auch Saiten und Bläser sind an Schall-
ttille und Haltbarkeit des einzelnen Tons, im Vermögen, die Töne
schwellen und schwinden zu lassen und zu melodisclier Einheit zu-
sammenzuschmelzen, gleichartig genug ausgestattet. Das Klavier,
jedem der Saiten- und Blas-Instrumente überlegen durch Umfang
und die Fälligkeit, Mehrstimmigkeit fast unbeschränkt darzustellen,
entbehrt des Vermögens, einen Ton auszuhalten, anschwellen und
nach eignem Masse des Spielenden abnehmen zu lassen, gleich den
Saiteninstrumenten einen Ton in den andern durch Erhöhung und
Vertiefung hinüberzubringen, die Töne zu einer Melodie wahrhaft
zusammenzubinden. Nur wenn man es ausscliliesslich als Begleitung
verwenden wollte, würde dieser Mangel, damit aber auch der
grösste Reiz der Komposition beseitigt sein.
Dieser Reiz beruht eben auf dem leichten Spiel verschieden-
artiger Kräfte mit und gegen einander, anmuthig und frei zu einem
Ganzen vereint. Der mannigfaltig geflochtene, wechselvolle Sonaten-
Inhalt ist der Faden, den diese verschiedenen musikaUschen Per-
sonen, die man Violin u. s. w. nennt, wechselnd einander abnehmen,
oder vereint weiter spinnen, indem jede nach freiem Belieben und
gegenseitigem Gewährenlassen aus der Folge der Sätze sich an-
eignet, was sie eben anmuthet. Daher kann man den Inhalt solcher
Ton werke allenfalls in einer einzigen Stimme zusammenfassen, z. B.
den des ersten Trios von Beethoven so, —
^^^S^^r^iip ffFp^
^CUUSrt i^ ^l^marf ^ ^^ ^
B. ft «
und wird natürlich sehr viel einbüssen, aber doch einen zusammen-
hängenden Umriss des gesammten Inhalts gewinnen. Wie bedeut-
sam diese Vertheilung des Inhalts unter die Stimmen sich von
eigentlicher Polyphonie unterscheidet, kann man sich gleich an der
Unmöglichkeit anschaulich machen, wahrhaft polyphone Sätze gleich-
96
falls in einer einzigen Stimme zusammenzufassen; gleich die ersten
Schritte, z. B. an der Ouvertüre zur Zauberflöte,
beweisen es. Es ist, — könnte man sagen, wenn es gestattet ist,
Dichterisches mit alltäglicher Lebensbewegung zusammenzuhalten,
— ein Unterschied, wie zwischen dem stets anregenden, nirgends
haftenden Ergehn und Geplauder oder den dichterischen Spielen
geistvoller Persönlichkeiten und der giündlichen Erörterung strei-
tender und zuletzt doch einiger Parteien. Aber jenes Ergehn ist
der gehaltvolle V^erkehr bedeutender, ist, wenn auch nur Hinund-
widerreden, anmuthige, sinnige Causerie angeregter und vielfach
erhobner, einander steigernder Persönlichkeiten; und es kann zu
den tiefen Erörterungen der Polyphonie hinüberführen; wer vermag
der geistigen Bewegung Grenzen zu ziehn? In solchem Sinne treten
die vorbeethovenschen Werke dieser Gattung auf; ihnen schliesst
er sich eine Zeitlang an, bis er auch hier auf höhere Bahn geführt
werden sollte.
Die Trios Op. 1 gehören dem altern Standpunkt an; Beethoven
tritt mit ihnen neben Haydn und Mozart. Aber schon drängt ihn
sein energisch strebender Sinn voi'wärts; er kann nicht tändeln wie
Haydn, wenigstens nicht lange mit Befriedigung; so genügt ihm
auch nicht jenes geniale Dahinschweben, das in Mozarts vielbewegtem
und vielbeschäftigtem Leben gleichsam Vorbild und Vorzeichen seines
frühen Entschwebens aus unsrer Mitte war. Beethoven, der seine
wahre Laufbahn mit fünfundzwanzig Jahren als Mann antrat und
die frühere Zeit ungestört zur Rüstung und Sammlung verwandt hatte,
konnte sich im Festhalten und Ausprägen dessen, was sein G^ist
einmal ergriffen, nicht leicht genugthun. Daher werden seine Ge-
danken motivfester und seine Sätze, besonders die Hauptsätze, voller
und weiter; er hat eben mehr zu sagen: nicht eine Vielheit von
Gedanken, sondern ein Mehreres von dem Einen, das ihn erftUlt.
Daher greifen seine Modulationen weiter aus, er braucht mehr
Raum; daher endlich stellt sich die Zahl seiner Sätze regelmässig
auf vier (Allegi'o, Adagio, Menuett oder Scherzo, Finale), während
die Vorgänger oft an dreien genug haben.
Schon das erste Trio (Esdur), von dem oben der Anfang
skizzirt ist, baut sich aus festen ausgetragenen Sätzen sicher und
97.
behaglich auf Es ist ein rauthig Ergehn im ersten Satze, auf-
geweckt und rüstig spielen die Stimmen miteinander, keine tiefere
Erregung oder Ergrifienheit mischt sich verdunkelnd in das heitere
Leben, das im zweiten Theil in freier weiter Modulation weithin
(C moll, As dur, B moll, 6es dur, Des dur, F moU, B dur) hinauslebt,
nirgends hingerissen oder in das Ungewisse hinausschweifend. Nach
dem edelsinnigen Adagio cantabile folgt ein Scherzo, das erste in
der Musiklitteratur*) — und dann das Finale, in dessen Motiv
die schalkhafteste der Grazien sich wiegt und mit Kinderlächeln
uns jede Falte von der Stirn hinwegscherzt. Man ftihlt sich leicht-
blütig, blickt frei hinaus gleich dem frischen Jüngling, der munter
und unbekümmert in die Welt hinauszieht durch morgendlich er-
quickte Fluren, von zwitschernden Vögeln umflattert.
Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Scherzo. Haydn
(und nach seinem Beispiel Mozart) hatte dem Quartett und der
Symphonie die Menuett eingeftigt. Beethoven hatte diese Vierzahl
von Sätzen nicht nur häufiger angewendet, er hat auch an der
Stelle der Menuett (oder sogar im Verein mit ihr, wenngleich
natürlich nicht in unmittelbarer Aufeinanderfolge) ein neues Gebilde
mit grossem Nachdruck und bleibend eingeführt, das Scherzo,
das unter diesem Namen nur in vereinzelten Ausnahmen (S. 64)
bei J. Haydn aufgetreten war. Welche Bedeutung hat die
Drei- und Vierzahl der Sätze?
Ursprünglich liegt nur die Absicht der Mannigfaltigkeit zum
Grunde. Sobald man nicht bei einem einzigen Satze stehn bleiben
will, liegt dieser ganz äusserlichen Absicht gemäss die Gegen-
stellung eines bewegtem und langsamem Satzes nahe; dies sehen
wir in der Verbindung eines lebhaften Satzes mit einer langsamer
bewegten Einleitung verwirklicht. Soll mit dem lebhaften Satze
begonnen werden, so folgt derselben Absicht gemäss der langsame
nach. Da man aber nicht mit verminderter Lebhaftigkeit schliessen
mag, so wird entweder der erste Satz wiederholt, oder ein neuer
lebhafter als Finale gebracht; das Erstere ist die altitalische Arien-
form, die man sicli unter Andern aus Grauns Tod Jesu veran-
*) Abgesebn von den frOber erwäbnien ErstliDgen.
Mar X, BeetboTon. L *?
98
schaulichen kann, das Andre ist die Form der altitalischen Sym-
phonie,*) die Anfangs (von Scarlatti her) den Opern zur Eröffnung
diente, dann (unter Sammartini *s Händen) als selbständiges Werk
hervortrat. Dass Haydn noch den vierten Satz, die Menuett, bei-
fügte, hatte keinen tiefem Zweck, als mannigfaltigere Unterhaltung,
gleichsam Erholung von dem Ernst und der tiefem Wirkung des
Adagio. Beiläufig war Haydn IVIeister im Menuettsatz, oder viel-
mehr Schöpfer desselben, wie er von ihm bis Beethoven verstanden
wurde. Nicht einmal neu kann man diese Erw^eiterung nennen,
da schon früher die f>uiten, z. B. eines Bach und Händel, später
die Kollationen und Serenaten, deren noch Mozart geschrieben,
8, 11 und mehr verschiedene Sätze zu einem Ganzen aneinander-
gereiht haben.
Beethoven schaute schon früh nach andern Zielen aus, indem
er Anfangs bisweilen, später vorherrschend das Scherzo an die
Stelle der Menuett**) setzte; der Satz sollte also Bedeutung, und
zwar wechselnde, erhalten. Schon das erste Scherzo (das des ersten
Trios) tritt launig bis zur Eigenwiliigkeit aus der Hand seines
Bildners; ihm ist die Tonart Es dur bestimmt, und so,
vielleicht in C, dann nach F, nach B u. s. w., erst Takt 14 nach
Es gewendet, hebt es an. Mag es einstweilen als blosse Laune,
Fremdheit gelten; später wird sich uns mehr verrathen.
Das zweite Trio, Gdur, steht auf gleicher Linie, vielleicht
als der schwächere Bruder des ersten.
Im dritten Trio dagegen, Cmoll (es ist das von Haydn un-
rathsam befundene) richtet sich ein ernster Geist in schmerzlicher
Erregung auf, arbeitet sich besonders im Hauptsatze sehr stetig
*) Beide Formen siod in „Gluck und die Oper' gezeichnet.
**) Beethoven schwankt anfangs in der Bezeichnung; die von Nottebohm
(cf S. 94) mitgetheilte Skizze des dritten Satzes im G dur- Trio ist überschrieben:
Menuetto. Die älteste Original Ausgabe hat in 2 Stimmen des dritten Satzes
die Ueberschrift: Scherzo, über einer steht der Name: Menuetto.
***) V heisst Violin, VC Violonceil, PO Pianoforte.
99
und beharrlich hervor, bedingt entschiednere, kühnere Modulation.
Im Andante greift Beethoven zum erstenmal in seinen grössern
Werken, übrigens nach dem Vorgange Mozarts und Haydns, zu
der ihn von Jugend auf anheimelnden Variationenform. Weder
im ersten Satze noch in diesem ist der ernste Drang des Anfangs
durchweg festgehalten ; Jugend kann nicht lange leiden und ringen.
Die dralle Menuett in ihrer verschlossenen Sinnesweise mahnt noch
daran, während das Trio sich sorglos darüber wegsetzt. Auch
das Finale sucht die erste Stimmung zuiückzurufen; der Schluss,
Cdur pianissimo, hat etwas von „Wolkendunst und Nebelflor".
Merkenswerth kehrt in diesem Finale die Haydn'sche, von
Mozart bereits verlassene Weise der Sonatenform wieder, die nach
der Weg Wendung von Hauptsatz und Hauptton in die Tonart des
Seitensatzes hier erst nochmals den Hauptsatz bringt oder anregt
und dann ei*st zum Seitensatz tibergeht. Der Hauptgedanke kam
dadurch zu festerer Einprägung, aber der Gegensatz verlor an
Schärfe, weil die Tonart des Seitensatzes schon vor dessen Ein-
tritt verwendet war.
An das Cmoll-Trio ist Beethoven mit voller Hingebung her-
angetreten, die andern Trios verdanken ihr Dasein mehr äusser-
lichem Beschluss als innerer Ei'weckung.
Gesellen wir diesen Werken zwei andre:
Trio für Pianoforte, Klarinette (oder Violin) und Violoncell^
Bdur Op. 11, (C. V. 66)
und
Quintett für Pianoforte, Oboe, Klarinette, Hörn und Fagott
Esdur Op. 16, (C. V. 61)
wegen des verv^^andten Standpunkts bei.
Das Trio, aus dem Jahr 1798, deutet auf einen Fortschritt,
die Partien des ersten Satzes greifen schärfer ineinander, das Ganze,
munter, kräftig, scheint energischer geführt, das Adagio lässt
vielleicht die innere Einheit mit dem ersten Satz lebhafter empfinden.
Der Standpunkt im Ganzen und besonders im Finale (AUegretto
mit Variationen über ein schon vorhandnes Thema aus Weigls
Corsar*) ist, wie gesagt, der der Trios Op. 1.
Das Quintett, aufgeführt 6. April 1797, erhält durch die Wahl
der Bläsinstrumente tiefere Färbung; es zeigt sich darin vor Allem,
*) Erste Aufführung der Oper am 15. Octbr. 1797. Am 3. Octbr. 1798
wird das Trio in dei Wiener Zeitung als ^ganz neu" angezeigt.
7*
100^
mit welcher Bestimmtheit der Meister die Natur der Instrumente
auff'asste, in denen sein Geist zur Erscheinung kommen sollte. Man
hat dieses Werk an andern für andre Instrumente gemessen und
es geringer befinden wollen. Solches Messen ist ein misslich Unter-
nehmen, doppelt unausfllhrbar, wenn Verschiedenartiges gegen ein-
ander abgewogen werden soll. Nicht das ist die Frage: ob irgend
ein Werk reichern oder tiefern Inhalt habe, als das Quintett mit
Bläsern, sondern: ob dieses Werk seiner Bestimmung gemäss sei;
und da kann die Antwort nicht zweifelhaft bleiben.
Die Bläser mit ihrer Klangfülle, mit dem Schwellen und Ver-
hauchen ihrer Töne, Klarinette und Hörn. - Naturhorn! von den
eunuchischen Ventilinstrumenten war noch keine Rede, — mit
ihrer Neigung zu akkordischer Bewegung, an der die andern In-
stnimente so gern oder doch ohne Schwierigkeit theilnehmen; das
bestimmt sogleich den Charakter des Ganzen; denn dies hatte Beet-
hoven früh mit Haydn gemein, dass nicht Er spricht, wie er will,
sondern dass sein Geist in das Instrument hineingeht und, in ihm
verkörpert, als ein neues Wesen sich austönt. Es ist das einer
von den künstlerischen Grundsätzen, die leichter erkannt als aus-
geübt werden In der Poesie ist es Shakespeare allein, dem die
Ausübung auf das Höchste gelungen; Goethe hat im Streben nach
diesem Aufgehn in seine Personen jenes sonnenhelle Auge gewonnen,
in dem, als in einem W^elt-Spiegel, das Dasein um ihn her „doppel-
leuchtend" wiederkehrt, aber er hat dabei den Enthusiasmus für
die weltbewegenden Ideen, die Leidenschaft und Parteinahme für
jene Konflikte, die das Weltleben ausmachen, eingebüsst; Schiller
ist davon durchglüht und eben dadurch der ewige Liebling deutscher
Jugend geworden, aber er ist ewig er selber geblieben. In der
Musik stehen die beiden, Haydn und Beethoven, unerreicht in
dieser Eigenschaft da; Haydn tritt mitten in den Chor seiner In-
strumente und lässt sie, der göttliche Musikant, der freundliche
Wohlthäter der im Staub* ihres Daseins lechzenden Menschen,
musiziren, wie ihrer jedem gegeben; Beethoven ruft sie auf zu
Heldenzügen in das Reich der Idee, dem Ziele zu, „was er ftihlt,
aber (S. 92) nicht beschreiben kann". Dazu probt er im Quintett
gleichsam die Kräfte, und dies ist das tiefere Interesse, das uns
daran bleibt, wenn sein anmuthig Spiel vorübergeweht ist, um
andern und tiefern Vorstellungen Raum zu geben.
Jene Natur der Bläser aber ist überall massgebend in diesem
101
Probestück,*) vom ersten Auftritt der Einleitung (A) und der
ersten Auseinandersetzung der handelnden Personen (B) an
(AlU.)^
durch alle drei Sätze der Komposition ; denn es sind nur drei nöthig
befunden worden; in einer Menuett hätten sich die schlagfertigen
Saiten vermissen lassen, zum Scherzo wären sie, oder das Orchester
oder das Klavier allein besser aufgelegt gewesen. Das Klavier,
das Alles am Besten denken, wenn auch nicht blühend in Fleisch
und Blut verwandeln kann, nimmt an Allem Theil und ergänzt mit
seinen leicht gehandhabten Tonmassen und seiner Beweglichkeit,
was den vier Bläsern eben in dieser Eigenschaft nicht gegeben
ist; daher finden wir es durchweg in wohlgefälliger SpielfUUe er-
gossen; es macht sich überallhin geltend, während es im Einzelnen
von jedem der Bläser überboten wird, und ist daher die herrschende
Persönlichkeit.
Beethoven selbst hat es natürlich nicht anders empfunden.
„Er spielte (erzählt Ries als Augenzeuge) sein Klavieniuintett mit
Blasinstrumenten beim Fürsten Lobkowitz; der berühmte Hoboist
Ram von München begleitete. Im letzten Allegro ist einige Mal
ein Halt, ehe das Thema wieder anfängt: bei einem derselben fing
Beethoven auf einmal an zu fantasiren, nahm das Rondo als Thema
und unterhielt sich und die andern eine geraume Zeit, was jedoch
bei den Begleitenden nicht der Fall war. Diese waren ungehalten
und Hen' Ram sogar sehr aufgebracht. Wirklich sah es possier-
lich aus, wenn diese Herren, die jeden Augenblick erwarteten, dass
wieder angefangen werde, die Instrumente unaufhörlich an den
*) Dass B. spftter aus irgend einem äusseren Gruude — z. B. in Rück-
sicht auf leichtere Verbreitung oder Ausführbarkeit der Komposition, da sich
leichter tüchtige Streicher als Bläser zusammen finden - das Quintett für 4
Bläser und Klavier in ein Quartett für 3 Saiteninstrumente und Klavier um-
gearbeitet hat, beweiset nichts gegen die Thatsache, dass für dieses Werk seiner
ursprünglichen Erfindung nach gerade die Bläser die geeignetsten Genossen
des Klaviers waren.
102
Mund setzten und dann ganz ruhig wieder abnahmen. Endlich
war Beethoven befriedigt und fiel wieder ins Rondo ein. Die ganze
Gesellschaft war entzückt."
In der Natur des Klaviers, im Uebergewicht der Menge
seiner Mittel ist es übrigens begründet, dass es im Verband mit
andern Instrumenten stets am meisten beschäftigt wird, den andern
mit dem aushilft, was ihnen versagt ist, sie auf seiner Fülle trägt,
ihren Gesang schonend und hebend begleitet, dann aber auch mit
ihnen wetteifert, mit seiner Spielfülle, nlit seinen, verstärkten Me-
lodien gegen sie ringt, gleichsam der allseitige Geist gegen die
Spezialitäten. Dem sinnigen Tonkünstler und Hörer hat es aber
noch eine höhere Bedeutung vor den andern einzelnen Instrumenten
voraus. Diese geben, was sie können, vollständig her und sind
eben in ihrer Einseitigkeit vollkommen abgeschlossene fertige Wesen,
deren Ansprache wir aufnehmen, ohne noch etwas zu begehren.
Das Klavier dagegen kann, was es eigentlich will, und nach dem
allgemeinen Musiksinn sollte, nie vollständig austönen ; seinen Tönen
fehlt Dauer und quellendes Leben, seinen Melodien Zusammenhalt
und Schmelz. Hiermit aber weckt es die Fantasie, regt zur
geistigen Erfüllung und Ergänzung an und weiset in das Reich
des Ideals. Das Klavier, das nichts als das materiell Hörbare
giebt, oder der Hörer, der darüber nicht hinauskommt, sie sind
beide von diesem eigentlichen Leben in der Kunst so weit ent-
fernt, wie Prosa von Poesie.
Deshalb ist das Klarier auch das ideale Instrument.
Es ist das Instrument Beethovens, mehr wie irgend eines andern
Künstlers. Ihm, und zwar ihm allein, frei von dem Zutritt andrer
Organe, hat er in UeberfüUe seine geheimsten Gedanken anvertraut.
Daher tritt er nicht ohne seine Hülfe die Laufl)ahn an und führt
der erste Schritt vorwärts ihn sogleich dahin, es allein zu berufen.
Es ist Alles, auch das an sich minder Wichtige, vorbedeutend für
seine Bahn und ihr Ziel; und es scheint der Antheil an seinem
sonst so einfachen Lebenslaufe eben hierin die tiefere Befriedigung
suchen zu müssen, dass folgerichtigster Fortschritt, innerlich un-
bedingte Nothwendigkeit sich dem eindringenden Blicke klar darlegen.
Auch das ist daher zu bemerken, dass diese Trios und Quin-
tuors, die genannten und was sich ihnen anschliesst, den Künstler
zum Obligat-Schreiben, zu dem Verband frei und selbständig ge-
führter Stimmen hingeleitet haben — oder vielmehr: dass seine
Geistesrichtung ihn mit Nothwendigkeit zu dieser Gestaltung hin-
103
gewiesen hat (dass er nach seinem humoristischen, aber ganz treffen-
den Ausdrucke mit einem obligaten Accompagnement geboren war),
weil er tiberall, das heisst: in jeder Stimme, Ströme des Lebens
entdeckte, die er frei und fröhlich mit einander gewähren üess.
Es bestätigt sich hier das S. 26 Ausgesprochene: nicht Albrech ts-
bergers trockner Kontrapunkt, - wohlverstanden: Albrechtsberger
mit seiner alten Lehrweise war trocken, nicht der Kontrapunkt,
— sondern Haydns und Mozarts jugendlich blühende Vorbilder
haben Beethoven den ersten bestärkenden Fingerzeig gegeben auf
die Bahn, zu der er schon in Bonn hingewiesen und durch seine
Natur bestimmt war. Wie diese Spiele der Stimmen ihn vorbe-
reiteten zu der wahren Dramatik der Polyphonie, welchen Mächten
er da zugelenkt wurde, wird sich später Schritt für Schritt erhellen.
Jener erste Schritt vorwärts auf der Bahn führte zunächst
von den Trios Op. 1 zu den
Drei Sonaten fDr Piano, Op. 2, Fmoll, Adur, Cdur (komp.
1795, 1796 erschienen), (C. V. 40)
die Haydn gewidmet wurden. Er stellte sich mit denselben neben
seine grossen Vorgänger, an deren Mark er sich genährt hatte;
dass er damit nicht Gleiches, etwas besser oder schlechter, sondern
Tieferes begann, sollte später erst ganz klar werden, deutete sich
aber schon im Beginn, in jenen kleinen, jetzt aller Welt bekannten
Sonaten an. Es soll nicht mehr davon die Rede sein, dass das
Instrument zu voller Geltung, zu saftigem Leben kam, ohne
hemmende Rücksicht. Ein tieferer Sinn trat in diesen Werken,
gleich in der ersten Sonate, in das Leben; er wird keineswegs blos
empfunden, sondern kann zu hellem ßew^usstsein gebracht werden.
In dieser ersten Sonate, Fmoll, lebt und webt ein ganz
bestimmter Zustand menschlichen Daseins, ein fast mädchenhaft
zarter, verschüchterter, aber in seinem Grund' edler Sinn: der
spricht sich gleich im ersten Satze, gleich im Thema aus. Die
Melodie hebt sich von der unbestimmten*) Quinte leisen, gemessenen
*) Die Quinte ist in der Entwickelang des Tonsystems der erste neue
Ton, nachdem die ersten Tonverhfiltnisse 1 : 2 : 4 : 8 . . . . nichts als den
Ürton mit seinen Verjüngungen (Oktaven) gegeben haben :G;c:c:c....
Wohin dieser Neuton führen, ob er weiter führen wird, steht vorerst dahin, er
ist das Neue, Fremde, Unbestimmte. In der Harmonie tritt er eben so un-
bestimmt zum Grundton, beide setzen noch nicht einmal fest^ ob die Harmonie
dem Dur- oder Mollgeschlecht angehören werde; in c— g ist weder Dur noch
Moll ausgesprochen.
104
Schrittes durch den Mollakkord bis zur bestimmenden Terz und
zittert zurück auf den Grundton; aber diese Terz ist die kleine,
die den getrübten Mollakkord zeichnet. Zum zweitenmal hebt sich
die Melodie von der Quinte zur verlangenden Septime, dem Aus-
drucke weicher Sehnsucht im Dominantakkorde, wendet sich wie
rathlos her und hin und sinkt von noch höherer Stufe, auf der sie
geweilt, zu unbefriedigendem Halbschlusse zuiück, hiermit den
Vordei-satz einer Periode zeichnend, deren Nachsatz Abschluss und
Befriedigung erwarten lässt. Dieser tritt als Seitensatz auf und
AUegro,
\ f.' ,ijj^fr-f2L'f rfifff j i j,j,ji
bringt das erste Motiv (A) im Bass (in einer andern Stimme also
und in einer tiefern und ernstern) und in einer andern Tonart, im
Erst die Terz bringt hier Entscbeidang, durch sie wird die stimmungs-
leere Quinte, c-g z. B., entweder Durakkord (c-e-g) oder Mollakkord (c —
es— g) und damit erst der Unterschied der Geschlechter begründet; sie ist das
bestimmende IntcrvaU, hat den Charakter der Bestimmtheit. Der Durakkord
aber stellt sich aus d« n näcbstzusammengehOrigen Tonverhältnissen 1:2:3
: 4 : 5 : 6 (oder kürzer gefasst 4 : 5 : G) zusammen, es ist der von der Natur
gegebene Urakkord.
Tiitt zu diesen Verhältnissen das nächstfolgende der arithmetischen Pro-
gression, 6 : 7, so erscheint die Septime, zu c-e~g das b, und bildet den
Dominant- Akkord. Welche Bedeutung dieser Akkord hat, wie er die harmo-
nische Verdichtung der in Bewegung gesetzten Tonleiter (in ihrer Spannung
von Tonika zu Tonika, c : c ist sie gehalten oder gefesselt) ist, —
g a h c d e f
g h d f
und warum er in kfinstlerischer Anwendung in sich keine Befriedii^ung hat,
sondern das Verlangen, nach einem andern Akkorde sich zu bewegen (sich auf-
zulösen), mag in der Kompositionslehre gelesen werden. Was das unbefangoe
Gefühl erräth und das irregewordne bezweifelt, kann dem Nachdenken gründ-
licher und vollständiger nachgewiesen werden, als man im Allgemeinen an-
zunehmen beliebt.
Bei Gelegenheit dieser allerdings noch nicht ausreichenden Erörterung
bittet der Verfasser ein für allemal, vorauszusetzen: dass seine Aeusserungen,
wenngleich der Nachweis meist unvollständig oder gar nicht gegeben werden
kann, nichts weniger als willkürlii he Fantasiebilder sein wollen, sondern, nach
hingebender und lebenslänglich geübter Auffassung des G( genstandes durch das
Gefühl, die Piüfung des erkennenden höhern Bewusstseins durcbgaogen sind.
Dies war wenigstens, — wie oft er auch geirrt haben mag, — sein gewissen-
haftes Streben.
106
kältern CmoU, wieder. Aber auch der Zweifel kehrt wieder, nichts
setzt sich fest, mit dem unvollendeten Seitensatze selbst wendet
sich der Gesang, schüchterner, beredsamer Bitte voll, nach Asdur,
auf dessen Dominantakkord (er ist vielmehr zum schmerzlicher
verlangenden kleinen Nonenakkord geworden, es g— b— des zu
es — g — b— des .... und .... fes) zum Gange.
Was ist der Seitensatz? — Formell haben wir an ihm
nichts als einen andern Satz erlangt, der dem Hauptsatze zur Ab-
wechselung nachfolgt. Hier zeigt sich zum erstenmal eine tiefere
Bedeutung. Der Seitensatz tritt in voller Einheit mit dem Haupt-
satz, und dennoch, wie oben bei B sein Motiv zeigt, im Gegensatz
zu ihm auf, er ist tiir das Getlihl und für künstlerische Erkenntniss,
was für die Reflexion die andre Seite des Gegenstandes oder Zu-
standes, der durchlebt oder betrachtet wird. Hier ist kein Spiel
mit Tongebilden oder Empfindnissen, sondern ein einig Erlebniss,
und in dieser Einigkeit, in diesem Beharren und Durchdringen ein
tiefer durchdrungnes. Dreimal tritt dieser Gedanke B heran, ehe
das grundgesunde, wenngleich zartbesaitete Gemüth sich zu schüch-
ternem, dann weiterdringendem Vorschritte hat kräftigen können,
hoch emporstrebend, mit Anmuth — nicht bedenkenfrei, nicht ohne
Rückgedanken — sich gleichsam beugend und freier, fast freudig
noch einmal unterwerfend. „Muss es sein, nun, gescheh' es!"
scheint dann der Schlusssatz zu sagen
Der zweite Theil kehrt zum ersten Gedanken (oben A) zu-
rück, der in Ddur (Adur) gesänftigt, hoflfender emporstrebt: aber
nicht er, sondern jener niedergewandte zweite Satz (der Seitensatz
B) dringt vor, gräbt sich im dumpfen ßmoU (Unterdominante, ge-
sunkene Stimmung) im frostigen Cmoll ein, wird noch ernster vom
Basse durchdacht. In schwankender SynkopenbewTgung führt diese
Stimme auf den Orgelpunkt und zum dritten Theile, der mit ver-
stärktem Schlusssatze ganz bestimmt schliesst, aber nicht getröstet,
nicht erhol)cn entlässt.
Das Adagio ist ein kindlich Gebet. Es tröstet, wenn es auch
nicht Erhörung findet, sondern (im Seitensatze) die frühere Bangig-
keit nicht mehr fern halten kann; es bricht ab, leise, nicht erhoben.
Nach ihm folgt Menuett und Trio.
Was bedeutet die Menuett, oder was unter diesem Namen
oder statt ihrer auftritt, in der Sonate? — Wir haben schon
S. 98 dieselbe Frage in anderer Form angeregt. Dort konnten
wir uns dabei beruhigen, in ihr einen Zuwachs zusammengesetzter
106
Kompositionen an Mannigfaltigkeit zu sehn und jenes erste Scherzo
nach seinem Inhalte zu bezeichnen. Hier langt diese Betrachtung
nicht aus. Die Sonate ist nach ihren äusserüchen Verhältnissen
nicht gross, auch ihr Inhalt, soweit wir bis jetzt sehn, ist eher
klein und fein zu nennen, und bedarf in seiner Einfachheit und
Einigkeit keineswegs mannigfacherer Gliederung. Auch ist die
vorstehende Menuett gar keine Menuett. Es ist an der Zeit, tiefer
in die Sache zu dringen, wenn auch nicht, sie zu erschöpfen.
Der erste Satz einer Komposition ist ein Lebensakt im Kom-
ponisten. Was diesen erfüllt und getrieben, das hat er nun aus
seiner KraftlüUe hingestellt; es ist aus ihm geboren, steht ihm als
sein Eigen und doch als ein noch nie Dagewesenes gegenüber, er
fühlt selber sich in Zweiheit gleich der Mutter, die ihr Ebenbild
zum ersten Alal glückselig lächelnd auf ihrem Schoss anschaut.
Wenn irgend etwas, so muss ein solch Ereigniss geistiger oder
leiblicher oder geistleiblicher Geburt*) den Blick in unser eignes
Innere zurück wenden. Diese Einkehr in die eigne Brust, dies
sinnige Betrachten seiner selbst, das die Frage „Wer bin ich?"
auf den Lippen trägt, kann nur im stillen Adagio beantwortet
werden ; in ihm ruht die Seele sabbathlich von ihrer kraftergiessen-
den That. Dann Rückkehr zum Dasein aussen, mit frischer Kraft
und frischem Muth. Das ist der allgemeine Sinn der Dreitheilig-
keit (S. 97) in ihrer höchsten Gestalt, der Verknüpfung dreier
Sätze zu einem Ganzen.
Kehren wir noch einmal zum Adagio, zu jenem Moment der
Selbstbetrachtung zurück. „Wer bin ich, der ich Dies — ge-
schaflen?'' Die Frage muss fortschreiten, weil durch das VoDbringen
das Leben und sein Inhalt fortgeschritten ist. „Ich fühle mich
als Andren nach diesem lebenspendenden Moment, — und die
Welt um mich? sie tanzt ihren alten Ringelreigen dahin! ich bin
ein Andrer und wir sind uns fremd geworden!'' Heiter im Wohl-
gefühl bewiesener Kraft, launig bis zur Neckerei oder Wildheit
wird der geheime Zwiespalt, der nicht feindlicher Kampf ist, em-
pfunden; Adagio und Scherzo stehen gegeneinander über, wie Herz
und Welt. Im Finale strömt oder stürmt das Leben weiter; der
Zwiespalt ist überwunden, oder vergessen. So versuchen wir den
Sinn der Viertheiligkeit, der Verknüpfung von vierSätzen zu einem
Ganzen, auszusprechen. Wie zutreffend die Auffassung im AIl-
*) Musik des neunzehDten Jahrhunderts.
107
gemeinen oder fllr besondere Ton werke sei — oder nicht: wir haben
von nun an in den drei oder vier Sätzen vier wesentliche Momente des
Kunstwerks zu erkennen. Dass die hier gegebene Auffassung nur
Erläuterung dessen sein soll, was der Gestaltung zum Grund liegen
mag, nicht bindende Bestimmung (wer bände den Geist?), erhellt
schon daraus, dass sowohl Drei- als Viertheiligkeit möglich ist und
dass sich später Mehrtheiligkeit und Zweitheiligkeit in gleicher
Berechtigung zeigen werden. Auch jene häufigsten Formen können
einen ganz andern Inhalt aus der Idee des Ganzen empfangen.
Kehren wir zur Sonate zurück.
Ihr dritter Satz ist Menuett überschrieben; nach der Menuett
folgt nach bekannter Anlage das Trio und diesem die Wiederholung
der Menuett.
Allein das ist keine Menuett im Sinne der bisherigen Kom-
positionen; was sollte sie wohl im Verlaufe der Seelenzustände,
die sich in den ersten Sätzen entwickelt haben? Eben so wenig
ist sie Scherzo, diese humoristische Auseinandersetzung mit der
Welt. Sie strebt an, und strebt empor, und seufzt athemlos auf,
und ringt vergeblich vorwärts, und sinkt in zitt<?rndem Weinen
dahin. Auch das in weiblichem Muth anmuthig geschäftige Trio
fliegt allzubald entscheidungslos vorüber.
Da tritt denn, wenn das Glück versagt, der Muth des Schmerzes
und der Zorn einer edlen Seele, im Sturm unwürdigen Leidens,
hervor mit dem Eecht zum Siege, wenn nicht sieggekrönt. Glück
und Ruhe giebt es in diesem Sturme nicht Der Zorn tritt auf,
heftigen Fusses, ein flüchtiges Wort hoffender Bitte muss sich
gleich wieder verdüstern zur hoffnungslosen Klage, der Schmerz
wühlt zornig fort in der Brust, — das ist der zweispaltige Haupt-
und der Seitensatz einer tllnften Rondogestalt, — in milderndem
Zuspruch tritt der Sclüusssatz herzu und behauptet in Treuen sich
länger, als (verhältnissmässig!) jemals in irgend einem Werke ge-
schehn. Der Geist baut die Formen, oder er findet und beseelt
sie, und modelt sie nach seinem Bedürfhiss und Willen.
Nun aber erhebt sich in hohem Adel, mild und rein, aus aller
Noth und Qual des Lebens die Seele zu ihrem Himmel empor, zu
dem Anschaun beglücktem Daseins als ihr geworden, — das ihr
jetzt wird in diesem verklärenden Augenblicke, der ihr sagt, wessen
sie würdig sei. Und hierin (es ist der zweite Seitensatz) ruht sie
beseligt, lange. Mag dann der Sturm des Lebens unversöhnlich
und unhemmbar dahersausenl
108
Nicht um des besondern Inhalts willen, den wir (gleichviel
mit welchem Erfolg) im Worte festzuhalten getrachtet, sondem
darum ist die kleine Sonate merkwürdig, weil in ihr zum ersten
Mal eine Folge von Seelen -Stimmungen in psychologischer Ent-
wickelung als ein innerlich Ganzes zum Vorschein kommt. Ob der
Tondichter das voraus beabsichtigt, oh er sich auch nur im Schaflen
oder nachher dessen so klar bewusst gewesen, dass er es hätte mit
Worten aussprechen können? das ist ganz gleichgültig. Es ist sogar
höchst unwahrscheinlich. Beethoven war karg im Wort und dunkel,
abgebrochen im Ausdrucke. Ihm war das höchste Künstlerglück
beschieden, unausgesetzt seinen innern Gesichten und ihrer Aus-
gestaltung nachzuhängen; da war kein Raum, über Geschehenes
zu sinnen bis zur Aufklärung, deren er nicht bedurfte. Selbst
fremde, wenn auch zutreffende Deutung hätte ihn vielleicht an-
gefremdet. Neben all diesen Fraglichkeiten hebt sich die grosse
Thatsache jener einheitlichen Idee, die zum ersten Mal ein Instru-
mentalwerk von vier Sätzen durchdringt, als wichtigstes Ergebniss
hervor. Man kann auch sie anzweifeln, — denn mathematisch
exakter Beweis ist in diesen Regionen des innern, verhüllten Lebens
allerdings nicht zu geben; allein für das Erste giebt die stetige
Motiventwickelung, die Schritt für Schritt jeden Satz bildet und
hält, der Auffassung äussern Anhalt. Man kann die Deutung von
Haupt- und Seitensatz, die oben gegeben, abweisen; aber die for-
melle Verwandtschaft und Entwickelung der Motive muss man ein-
räumen. Und selbst jene Deutung beruht auf Gründen, die viel
weiter geführt werden könnten, als in der Anmerkung S. 104 an-
gegeben, wofern der Raum dazu hier gewährt werden könnte. Dann
aber wird der weitere Lebenslauf bezeugen, dass die Vorstellung
solcher Ideen-Entwickelung in Beethoven gelebt, dass sie der eigent-
liche Kern seines Lebens gewesen ist.
Nicht so bald und so sicher dürften man gleiche Einheit und
Folgenothwendigkeit in der zweiten Sonate, aus A dur, erkennen;
nur die Einheit der Stimmung, in der ihr Dichter Satz Itlr Satz, Bild
fUr Bild schuf, liegt klar am Tage. W^er weiss, ob nicht mehr! —
Merkwürdig ist vor Allem der erste Satz. Ein zuckend Leben
arbeitet darin, noch verhohlen und zurückg(^lialten, abgehrochen und
unstät im üeberfluss und launigen üebermuth üppig gesunder
Jugend; man muss an den ,.Raptus" denken, der so oft den starr-
köpfigen Rheinländer geneckt. Soviel ist klar: ein ganz verschieden
Wesen tritt hier und in der F moll-Sonate vor uns, schon äusserlich
109
kennbar. Das erste Motiv wird hinweggeworfen um ein zweites,
beide entgegengesetzt und doch gleichartig. Beide wiederholen sich,
das erste sucht weitere Bahn; da tritt in das abgebrochne Treiben
ein dritter Satz hinein voll Ungestüm, um alsbald, wie von linder
Hand beschwichtigt, sich in Ruhe breit hingestreckt zu lagern.
Das Wechselspiel wiederholt sich und es stürzt, als wäre noch
nicht genug aufgerüttelt, ungestüm bis zur Wildheit ein neuer Satz
herbei, um sich abermals tief in Ruhe zu betten. Dieser Haupt-
satz — denn hier, in der tiefsten Lage auf der Dominante von E,
schliesst er — ist ein wunderlich Ding, unvorherzusehn von Schritt
zu Schritt in seiner bmiten Zusammenstellung, und unerklärlich
fast, wie die fahrige Laune des Jünglings, der noch nicht weiss,
wohin er mit sich soll. Aber ist das nicht Erklärung? Daher
fühlt man durch alle äusserlichen Verschiedenheiten hindurch die
innere Einheit und kann sie nachweisen; es wird nichts aufgegeben,
alles kehrt abgewogen wieder, ordnet sich klar in die Ablösung
der drei heftigen und drei ruhigen Sätze; der Wechsel der drei
scharfen Gegenstände zeichnet eben den Charakter. Die Energie
dieser Gestaltung war nicht in eine einzige Stimme zu fassen; schon
im ruhigen Satze treten selbständige Stimmen zu und gegen einander,
Aüegro vivace.
im dritten Satze verfolgen sich ihrer zwei
TT f
8t*
nachahmend; auch der Schluss bildet sich ähnlich dem ersten dieser
Sätze. Von da sucht eine einzelne Stimme, dann zwei einander
ablösende unsicher den Weg zum Seitensatze.
Der Seitensatz wird, als ein andrer und wesentlich zu unter-
scheidender, in eine andre Tonart gestellt; es ist begreiflich, dass
man zuerst an die nächstliegende oder nächstverwandte (in Dur die
tio
der Dominante, in Moll die Parallele) denkt. Hier wäre daher E dur
zu erwarten gewesen. — Nicht E dur kommt, sondern inEmoU
eine fast weinerlich reuige Melodie, espressivo überschrieben, die
gar nicht schliesst, sondern wiederholend nach G dur, nach B dur
sich wendet, — folgt jenem fahrigen Auftreten Reue oder Bangig-
keit? — und über Fismoll, nirgends sicher fussend, nach E moU
zurückkehrt. Aber der Jugendtrotz ist nicht gebrochen. Das
allererste Motiv, es trat zu Anfang so
auf, — reisst hinein, führt einen neuen Seitensatz (nun Edur)
triumphirend, aber bald gestillt, noch einmal hinaufstürmend und
bald wieder fragvoll still herbei; der dritte Satz der Hauptpartie
schliesst sich an und sinkt, fast wie zuvor, in stille Ruhe des be-
schwichtigenden Schlusssatzes.
Wem die innerliche oder psychologische Einheit nicht ein-
leuchtet, der knüpfe zuerst an der formellen an ; nur als Fingerzeig
weisen wir auf die Sechszehntel-Triole, die den zweiten Satz der
Hauptpartie beginnt, den dritten derselben und den zweiten der
Seitenpartie bildet und in der Wiederholung des zweiten Haupt-
satzes fortwirkt.
Die mächtige, kühn und sättigend ausgearbeitete Durcharbeitung
des ersten und zweiten Hauptsatzes im zweiten Theile kann über
die Bedeutung dieses Thcils bei Beethoven Licht geben. Es ist
da nicht um ein Hin- und Hersetzen, um ein Spiel mit dem schon
Bekannten zu thun. Die Gedanken werden vor Allem nach ihrer
Bedeutung für das Ganze herangezogen; in unserer Sonate ist.es
der erste Satz der Hauptpartie, der, im ersten Theile nur einmal
festgestellt, gegen das Ende in Erinnerung kam und gleichwohl
der bezeichnendste für den Charakter des Ganzen ist Das kommt
nun zum Bewusstsein. Sodann aber werden die Sätze zu Wachs-
thum und innerer Reife gebracht, ändern mit dem Standpunkte wohl
gar ihr Aussehn, gestalt^jn sich um, erschlicssen neue Beziehungen,
für die der erste fester gebildete Theil nicht Raum bot. So wird
der zweite Theil Sitz des Konflikts; was im ersten vornehmlich
nach einander hintrat, stellt bich jetzt streitvoll gegen einander.
111
oder entzündet in seinem Innern den Streit, dessen erster Funke
vielleicht nicht bemerkt worden war.
Dieser zweite Theil also bringt die Erinnerung am Ausgange
des ersten zum Durchdringen; der erste Satz der Hauptpartie tritt
auf, nach dem stillenden Schluss in Edur und ein Paar nach-
klingenden E moll- Akkorden, mit Besinnungspausen durchbrochen —
in Cdur, mit heller, kalter Entschiedenheit, dann in breiter Aus-
flihrung und im Wechsel von tiefem, hartem Bass und aus der
Höhe herabsteigender Oberstimme im dunklem As dur, dann im
schmerzensbangen F moU, mit einem Halbschluss auf C. Man muss
bei solchen Modulationsschritten nicht äusserlich rechnen. So ge-
wiss es Verstandes- und naturgemäss ist, dass der Fortschritt sich
zunächst auf das Nächstliegende richte, so gewiss liegt darin keine
zwingende Gewalt; warum soll dem Komponisten nicht der Weg
nach entlegnem Partien, nicht, wenn es ihn treibt, ein Seumescher
„Spaziergang nach Syrakus" freistehn? Aber ebenso grundlos, wie
jener eingebildete Schulzwang, ist die Eitelkeit auf fremde Mo-
dulationen; die fernste ist eben so leicht zu lernen und zu voll-
bringen, wie die nächste. Nicht Nähe und Ferne, nicht Beschränkung
oder Fülle der Modulation bestimmen den Werth; es kommt auf die
Bedeutung an.
Nachdem jener erste Satz sich durchgekämpft hat, — nicht
25U siegesfrohem Ende, breitet sich der zweite, herabgestimmt nach
F dur, beruhigend weit aus, wendet sich getrübter nach D moll —
und hier entzündet sich an jenem vergessenen Funken seines An-
fangs (man sehe das drittletzte Beispiel) in seinem Schosse selbst
der Streit, —
1
der zum Nachdenken und auf dem Orgelpunkte zur Ruhe und zu
so süssem Einwiegen hinführt, wie man in diesem Satze nicht hätte
gewärtig sein können.
Das folgende Largo führt in der üeberschrift den Beinamen
appassionato. Gleichwohl ist nichts von jenen leidenschaftlichen
112
Zügen und Ausbrüchen sichtbar, die sonst den Namen veranlassen.
Es ist die tiefe innere Bewegung, die Beethoven in jenem Beinamen
verräth; der Satz selber ist ganz ruhig, still und erhaben, gleich
dem Gedanken eines edlen, aus der Aufregung heisser Tage voll
wechselnder Vorstellungen und schnellgefasster Entschlüsse in sich
zurückgekehrten Jünglings, der jetzt auf nachtstiller Bahn unter dem
Sternenhimmel dahinwandelt, im Aufschaun zu den ewigen Lichtern
das Gemüth stillt und zu jener Naturandacht emporhebt, die jeder
Jüngling schon empfunden haben muss — wehe den Ausnahmen! —
und deren Nachklang noch den Greis verjüngt. Feierlich bewegt
wandelt leisen Schrittes der Bass unter der sinnig weilenden
Melodie dahin, ruht, wenn jugendliche Nebengedanken vernommen
sein wollen, schreitet feierlicher, wenn der Gesang sich in Jugend-
glut emporhebt. Der Seitensatz (die Gestaltung ist zweite Bondo-
form) kann in seinem GetUhl von Insichgekehrtsein nicht tief greifen;
der grosse Hauptgedanke liillt die Seele ganz; nach flüchtiger Ab-
wendung von ihm kehrt er zurück, in Moll, mit gewaltiger, er-
schütternder Erhebung, — als wären Worte, wie ..Tod'' und „Ewig-
keit" in die Brust gefallen, — und löst sich in weiche Rührung auf.
Beethoven ist ein Herzenskündiger. Der erste Satz zuckte von
jugendlicher Erregtheit und dem Ungestüm schnellwechselnder Be-
schlüsse. Ist das Largo vielleicht nur der herausgeklügelte Gegen-
satz, um durch Mannigfaltigkeit zu ergötzen? Beethoven schöpft
tiefer. Man blicke zurück auf den ersten Satz und man wird, z. B.
Takt 13 bis 20 und besonders im Schlusssatz, in den letzten
14 Takten des ersten und dritten Theils den friedlich stillen
Charakter, • der im Largo waltet, vorbereitet finden.
Wie kam der schlecht unterrichtete und übel erzogne Beethoven
zu solchen Anschauungen? Er war ein Herzenskündiger, weil er
ein reines, volles Herz herzubrachte.
Und wie schön sich das Seelenbild vollendet! Jener erhabne
Nachtgesang ist verklungen, und nun findet der leichte Sinn der
Jugend wieder sein Recht; reizvoll lockt und lieblich neckt das
Scherzo. Will sich im Minore Bedauern vernehmen lassen, von
jener Höhe herabgestiegen zu sein? — Die Jugend und das Scherzo,
sie siegen. Im Finale sind alle Heftigkeiten und selbst die Necke-
reien des Scherzo verbannt, vergessen ; glückselige Zärtlichkeit und
Anmuth waltet durchaus. Und wenn einmal (im zw^eiten Seiten-
satz, es ist ein Rondo vierter Form) kecker Trotz, wie er dem Jüng-
ling wohlansteht, sich marschmässig heranmacht, so schwindet er
118
bald zurück in die friedliche Stimmung, und der Schluss bildet sich
noch friedlicher; er klingt wie „Leb' wohll auf Wiedersehn!"
Die dritte Sonate, in der sich mehr die Lust an leicht auf-
rauschendem Tonspiel hervordrängt, müssen wir in Rücksiclit auf
den Kaum, wie manches andre Werk bei Seite lassen. Besonders
im Pinale weiss jener Trieb sich weite Bahn zu schaffen; doch
ist er weder hier noch in den andern Sätzen sich selbst überlassen ;
überall spricht die Seele, waltet ein gedankenreicher Oeist,
Dieses Werk führt auf ein verwandtes, nur um ein Jahr
jüngeres, auf die
Deox grandes Senates pour Piano avec Violoncelle, Op. 5,
Fdur, GmoU,
gegen Mitte 1796 in Berlin*) komponirt (C. V. 54), Dem Titel zufolge
sind diese Sonaten für Piano mit Begleitung des Violoncells „oder
der Violin" komponirt; der Inhalt deutet aber darauf, dass sie lUr
Piano und Violoncell erfunden worden und die Violin nur um der
mannigfaltigeren Verwendung willen zugelassen und vorgeschlagen
ist. Beethoven selbst hat gar nicht selten dergleichen Ausgleichungen
an die Hand gegeben, z. B. im Trio Op. 11 die Wahl zwischen
*) Wien ward mehr and mehr Beethovens zweite Heimath. Seine geselligen
Beziehungen gestalteten sich angenehm und auch fOrderUch für sein Eunst-
streben. Dem ungeachtet trieb es Ihn zuweilen, nicht blos in den Sommer-
monaten, hinaus in die Welt, und namentlich in den Jahren 1795 — 1798 befand
er sich Öfter auf Reisen. Im Januar 1796 treffen ihn die beiden Brüder Christoph
und Stephan v. Breuning in Nürnberg. £r war auf der Rückreise nach Wien
begriffen; woher er kam, ist unbekannt. Im Februar desselben Jahres reiste
er mit Lichnowsky nach Prag, wo die Arie Ah perfido entstand, von da weiter
nach Dresden, Leipzig und Berlin, wo er vor dem Könige Friedrich Wilhelm IL,
auch in der Singakademie im Anschluss an Chorkonzerte zweimal öffentlich
spielte und besonders durch freies Phantasiren auf dem Klavier Bewunderung
erregte, und die Bekanntschaft der Musiker Zelter, Fasch und Himmel machte,
endlich des Prinzen Louis Ferdinand. Der Verkehr mit Himmel fahrte, wie
oben erzählt, eines Tages zu einer Art Wettstreit in der Improvisation, auf
den sich jener unklugerweise unmittelbar nachdem Beethoven sich vom Piano
ei hoben, einliess. Noch in demselben Jahre besucbte Beethoven auch Press-
bürg nnd Pesth, 179S noch einmal Prag zu Konzerten, später, 1806, nahm er
in Ungarn bei dem Grafen Brunswick und dann auf einem Gute des Fürsten
Lichnowsky bei Troppau Sommeraufenthalt. Noch später, 1812, finden wir ihn
in Teplitz zur Kur, im Herbst danach bei seinem Bruder in Linz. Sonst hat
er Wien und dessen Umgebungen nicht verlassen. Von jenen zahlreichen und
weiten Ausflügen, die Mozart einen beträchtlichen Theil seiner Zeit und Samm-
lung gekostet (wiewohl er auf Reisen und unter allen Nebenbeschäftigungen
niemals sn schaffen aufgehört) ist in Beethovens ganzem Leben nicht die Rede.
Marx, Beethoven. L 8
1T4
Klarinette oder Violin gelassen, auch selbst vorgeschlagen, im
Septuor die Blasinstrumente „zum häufigem Gebrauch" in Saiten-
instrumente zu „tibersetzen", — eine Nachgiebigkeit zu Gunsten
der Verwendbarkeit, die mit seiner strengen und feinsinnigen Wahl
der Instrumente bei der Komposition in auffallendem Gegensatze
steht (cf. S. 99 An.).
Was nun die Sonaten selbst betrifft, die ersten von ihm fUr
zwei Insti'umente geschriebenen, so bezeichnen sie einen merkens-
werthen Fortschritt in der Entwickelung des Künstlers, oder seines
Styls. Man kann den Inhalt keineswegs tiefer finden, als den der
Trios und Sonaten Op. 1 und 2; vielmehr würde man vergebens
in ihnen eine psychologisch so fein durchgeflihrte Entwickelung
suchen, wie in der F raoll- und A dur-Sonate, oder eine Innerlich-
keit, wie im Cmoll-Trio, — soweit es überhaupt ausführbar ist,
geistige Werke an einander zu messen. Dagegen zeigen die beiden
Sonaten eine Ungebundenheit und Weite des Tonspiels, die bis dahin
in ßeethovenschen Werken noch nicht w^ahmehmbar gewesen war
und die sich geradezu als Vorschule für die spätem Symphonien,
wie fiir die grossem Sonaten und Quartette bezeichnen lässt. Der
Verein zweier Instrumente giebt dem wohlbegabten und technisch
rüstigen Künstler dazu Anlass. Innerlichere Stimmungen wählen
sich das traute Klavier oder fordern einen grossem Verein von
Instmmenten (Trio, Quartett u. s, w.), die dem Piano gegenüber,
das für sich schon eine Mehrzahl von Stimmen enthält, einen
zweiten mehr oder weniger in sich geschlossenen Chor bilden. Im
Duo dagegen ringt das eine Instrument gegen das andre, in diesem
Wettspiel liegt der Antrieb, jedes zur freiesten Entwickelung seines
Vermögens zu geleiten, jedes (nach technischem Ausdmcke) kon-
zertirend auftreten zu lassen. Dies wird in der Hand der. Techniker
zu einem blos virtuosischen Wettringen, verleugnet sich aber auch
bei dem höher stehenden Komponisten, den Stimmungen und Oe-
danken bewegen, niemals ganz.
Das zeigt sich an unsern Sonaten, schon in den allgemeinen
Umrissen. Jede besteht nur aus zwei Sätzen; der Mittelsatz, das
Adagio, der vorzugsweise nach Innen gekehrte Satz, fehlt; ebenso
das Scherzo, der Sitz des Humors oder der Aussöhnung nach zu tief
eingedrungnem Adagio. Dafür sind die beiden Sätze, Hauptsatz
und Finale, besonders der erste, breit, fast überfliesseud ausgeführt^
und dem ersten geht eine gleichfalls umständliche Einleitung vor-'
aus, die in beiden als Adagio sostenuto bezeichnet ist. Sind das
116
nun^ nicht, kann der Kunstfreund fragen, die oben vermissten
Adagio's, nur vorangestellt, statt in die Mitte? — Der Unterschied
ist leicht zu fassen. Vor Allem gehört das eigentliche Adagio*)
nach seiner Bedeutung in die Mitte des Werks. Dann (und das ist
die Hauptsache) hat es einen durchaus selbständigen Inhalt in fest-
gebildeten Sätzen, die sich in irgend einer logisch geordneten
Kunstform als in sich selber geschlossenes und befriedigendes
Ganzes zum Ziel bewegen; es ist ein Kunstwerk fUr sich allein,
kann an sich allein genügen. Die Einleitung dagegen, wie reich
sie auch gestaltet sei, ist nicht fllr sich allein da, sondern (wie
der Name zeigt) um eines andern Satzes willen, auf den sie vor-
bereiten und hinfuhren soll, der ihr Ziel und die Hauptsache, der
Hauptsatz ist. Beethoven hatte bisher noch nicht so umfängliche
und vielseitig anregende Einleitungen geschrieben, hat es auch
später nicht häufig gethan. Man wird überdem die vorliegenden
anziehend, bedeutsam finden, aber bei jedem angeregten Gedanken
inne werden, dass der Geist bei ihm nicht weilen kann, sondern
weiter schweift, zu einem noch nicht sichtbaren Ziel hingezogen
wird. Das ist aber der eigentliche Charakter der Einleitung, wie
er bisher von Beethoven noch nicht ausgesprochen war.
Näher auf den Inhalt der Sonaten einzugehn, scheint unnöthig;
er ist jedem Musiker und Musikfreunde leicht fasslich. Besonders
gilt dies vom Hauptsatze der ersten Sonate, aus F dur. Sanft an-
geregt und edel breitet sich der erste Gedanke bis zum 23. Takte,
und bis zum Eintritte des Seitonsatzes noch weitere 16 Takte (Vier-
vierteltakt) aus; der Gesang ist in beiden Instrumenten ruhevoll
und ausgiebig gefuhrt, die Partie des Piano ist in freiem Spiel aus-
gebreitet, nicht virtuosisch oder konzertmässig , aber doch weiter
reichend, als in den bisherigen Tonsätzen. Dasselbe gilt vom
ganzen ersten Satze, dessgleichen vom Finale, das in Mozart-
Haydn'scher Weise dahinspielt, Spieler und Hörer ergötzt zu ent-
lassen, nicht, das Ganze einheitlich zusammenzufassen und zu
geistiger Erhebung hinzuleiten, wie man bei allen drei Sonaten
Op. 2, besonders bei der aus F moll gewahr werden kann.
Die zweite der ViolonccU-Sonaten , Gmoll, bietet statt der
lieblich einladenden Einleitung der ersten eine emphatische, die
denn auch zu einem tiefer erregten, bisweilen leidenschaftlich klagen-
*) Eine merkwürdige, psychologisch begründete Ausnahme v^ird sich uns.
in der Cis moll-Sooate Op. 27 zeigen.
8*
116
den Hauptsatze fuhrt, der sich gar nicht ersättigen kann in seinem
Pathos und dem Ungestüm seines Tonspiels. Um so seltsamer
schliesst sich das anmutliig, fast heiter bewegte Finale, 6 dur an.
Noch deutlicher als in dem Finale der F dur-Sonate tritt in diesem
aus G dur jene Richtung auf versöhnliche und erheiternde Ent-
lassung der Hörer hervor.
Fassen wir beide Sonaten noch mit einem letzten Hinblick zu-
sammen, so zeigt sich das Piano durchweg spielvoll, selbst glänzend
— wenigstens nach dem damaligen Standpunkte der Technik und
im Vergleich zu den Vorgängern Op. 1 und 2 — beschäftigt. Das
Violoncell dagegen ist vorwiegend in grossartiger Führung, mehr
in den tieferen Tonlagen, gar fembleibend jener bei der Mehrzahl
der Violoncellisten beliebten süssen und sentimentalen Kantilene,
die sich den Sitz in der eingestrichnen Oktave nebst den bekannten
kleinen Verzierungen und Tonbebungen liebt. Von dem Allen ist
hier wenig zu spüren; die Partie des Instruments ist mannhaften
Charakters, man muss sich einen Spieler von kräftigem Arm und
mannhaftem Sinn für die Ausführung denken. Es war Beethovens
eigner Sinn, der sich so aussprach.
So hatte sich denn Beethoven, kaum über die Studienzeit hinaus-
geschritten, innerhalb der Instrumentalmusik, die sein vornehmstes
Gebiet werden sollte, nach zwei Richtungen hochgestellt; seine
Kompositionen zeigten eine Innerlichkeit, die bisher selten — und
im Felde ^er Klaviermusik nur in vereinzelten Ausnahmen bei Seb.
Bach zum Vorschein gekommen war; zugleich zeigten sie eine so
feste, bestimmungsvolle, freie Gestaltung, dergleichen auf demselben
Felde nach Bach und namentlich in den neuern Formen ebenfalls
nicht hervorgetreten war, so hoch man auch Haydns und Mozarts
Schöpfungen in diesem Gebiete anzuschlagen hat, und so gewiss
Beethoven nur von ihnen als seinen Meistern ausgehend, höhern
Standpunkt, — auf jenem Gebiete, fügen wir nochmals zu, um nicht
missverstanden zu werden, — hat erreichen können.
Wie hat sich nun Beethoven auf dem andern Gebiete, der Ge-
sangmusik, eingeführt? — Wir dürfen als allgemein bekannt voraus-
setzen, dass er sich mit Vorliebe nicht der Gesang-, sondern der
Instrumentalmusik zugewendet hat; schon die unermesslich über-
wiegende Masse der Instrumentalwerke würde dies beweisen. Dem-
ungeachtet waren ihm auch auf dem andern Gebiete bedeutende
Leistungen gewährt. ■
So tritt denn gleich neben oder vor jenen Violoncellsonaten,
117
deren behagliche Fülle der Gestaltung wir als Fortschritt in der
Entwickelung bezeichnet haben, eine grosse Gesangkomposition, die
Grosse Scans, Ah perfido!
für Sopran mit Orchesterbegleitung, die Anfang 1796 in Prag kom-
ponbt*) ist (C. V. 51).
Diese Komposition hat eine so weite Ausführung, däss wir in
ihrer Gattung nur eine einzige gleich umfängliche zu nennen wüssten:
Ariadne auf Naxos von Joseph Haydn, die aus zwei zusammen-
gehörigen Scenen besteht, jede aus Rezitativ, Adagio und Allegro
zusammengesetzt. Beethovens Scene fasst
1. ein weit ausgeführtes begleitetes Rezitativ,
2. ein Adagio (erste Rondoform) mit Anhang,
3. einen Liedsatz, Allegro assai,
4. einen zweiten, piü lento,
5. einen dritten, Allegro assai, weit ausgeführt, neuen Inhalts,
6. die Wiederholung von 4,
7. ein weit ausgeführtes Finale (Allegro assai) mit nochmaliger
Wiederholung von 4
in sich. Jeder dieser Sätze, die sich am nächsten der Mozartischen
Weise anschliessen, ist anziehend, ftir Text und vorausgesetzte
Situation ausdrucksvoll, das Rezitativ den besten Mozartischen zur
Seite zu stellen und für den Vortrag im Konzerte gar nicht anders
zu wünschen, der Gesang durchweg wohlklingend, ausdrucksvoll
(wieder nach Mozartischem Massstabe bemessen, — denn die altem
Komponisten, namentlich Bach, Händel und Gluck strebten andern
Zielen zu) und durchaus stimmgereclit, ja für die Stimme höchst
günstig; Grund genug, um die Komposition bis auf die neueste Zeit
und noch ferner in Gunst zu erhalten.
Dem ungeachtet ist die Ausdehnung des Ganzen, die lange
Reihe verschiedener Sätze, besonders aber das häufige Zurück-
kommen auf dieselben Textstellen mit derselben oder auch anderer
Melodie mehr aus der Natur der Instrumentalmusik und des Instru-
mentalkomponisten hervorgegangen, als aus der des Gesanges. Die
*) Aloys Fuchs, Violinist in der k. k Hofkapelle, wai-, wie Schiodler
berichtet, im Besitz einer Abschrift der Partitur, die Verbesserungen von Beet-
hovens Hand und das vollständig von ihm geschriebene Titelblatt enthielt:
„üne grande Scöne^ mise en musique par L. v. Beethoven a Prague 1796.
Dedicata alla Signora Confessa di Clari/'
Die Scene ist fßr die Sängerin Duschek geschrieben, wahrscheinlich für
ein von ihm in Prag gegebenes Konzert.
118
Instrumentalmusik bedarf der Ausfiihrlichkeit, der Wiederholung,
des wechselnden Inhalts ungleich mehr, als die Gesangmusik, der
das Wort als schnellkräftige Erläuterung zu Hülfe kommt: auch
sättigt ein Musikorgan um so schneller, je befriedigender und an-
sprechender es ist, daher man niemals ein Qesangstück so weit aus-
dehnen wird, als einen Instrumentalsatz. Hier verrieth sich also
Beethovens instrumentale Richtung. Er komponirte nicht, wie der
ächte Gesangkomponist aus dem Worte heraus, sondern er brachte
zu dem Worte Musik herzu, zum Glück' aber an sich gehaltvolle
und dem Wort' gemässe. Nur die oben genannten Meister haben
sich ein tieferes Eindringen zum Gesetz gemacht; mit der Ausbil-
dung der Instrumentalmusik durch Haydn, Mozart und Beethoven
hat man sich von diesem Gesetze mehr oder weniger freigemacht
und auch im Gesangsatze der instrumentalen Weise mehr genähert,
nicht ohne grossen Gewinn für das Ganze der Komposition, aber
auch nicht ohne wesentliche Einbusse.
In einem beträchtlichen Theil anderer Gesangkompositionen
aus verschiedenen Zeiten finden wir Beethoven auf demselben, nicht
originalen Standpunkte, z. B. in dem S. 73 erwähnten Liederhefte,
dessgleichen in dem Hefte
Sechs Lieder, darunter drei von Goethe,
die als Op. 75 im Jahre 1810 herausgegeben, aber theilweise früher
komponirt sind.*) Wenn wir No. 2 dieses Heftes (Neue Liebe,
Neues Leben) ausnehmen, von dem später zu reden sein wird,
so finden wir überall reiche Musikbegabung, aber weniger Hin-
gebung an die Aufgabe, die der Text gestellt. Das mephistophe-
lische Lied, No. 3,
„Es war einmal ein König*'
— muss denn Alles komponirt werden? — hat mehr Malerei als
Humor, mehr Floh als Mephisto; das Mignon-Lied, No. 1,
„Kennst da das Land*'
ist vor Allem kein Lied, wie nach Mignons Standpunkt und der
Situation durchaus gefordert werden muss, sondern ein Gesang in
zwei Tempo's und zwei verschiednen Weisen. Dann giebt uns die
*) No. 4 „Gretcls Warnung*' 1796 (chronol. Ver». No. 68; No. 5 „An den
fernen Geliebten" und No. 6 „Der Zufriedene** 1809 (ehr. Ver». No. 154); No. 1
„Kennst du das Land" und No. 2 „Neue Liebe, neues Leben" und wahrschein-
lich auch No. 3 „Es war einmal ein König" 1810 (ehr. Yen. No. 168). Dies
sind die unter Op. 75 zusammengefassten Lieder. —
119
Komposition statt der naiven Bedeutsamkeit des bei aller wmider-
baren Erweckung kindlichen Mädchens eine fast kirchliche Feier-
lichkeit, die schön ausgesprochen, hier aber (wie uns scheint) nicht
wahrhaft ist. Endlich hat der Zug der Melodie dahin geführt, ge-
rade das entscheidende Wort da-hin stets als da- hin auszusprechen
und seinen Sinn zu verkehren. ÄhnUches Hesse sich von den drei
letzten Gesängen nachweisen, dessgleichen von dem Hefte
Drei Lieder von Goethe (C. V. 165),
Op. 83, komponirt im Jahre 1810 (Wonne der Wehmuth, Sehn-
sucht, Mit einem gemalten Bande), von dem Gesänge
An die Hoffnung (C. V. 129),
von Tiedge, aus dem Jahr 1805 Op. 32; zum zweiten Mal bear-
beitet wahrscheinlich 1813, Op. 94; von dem Hefte
vier Arietten und ein Duett (C. V. 158),
Op. 82, wahrscheinlich aus dem Jahre 1809, nämlich von den vier
Arietten, während das kleine Duett (Odi Taura) ein Meister-
stück ist voll Adel der Empfindung und Beredsamkeit des Herzens,
dabei dem Texte .gemäss ganz im italischen Styl, aber in seinem
Idealbilde gehalten.
Statt aller sonst noch anzultihrenden Kompositionen sei nur noch
Selinsucht von Goethe, „Nur wer die Sehnsucht kennt",
Aufschrift des Originals „3/3 1808** (C. V. 144).
erwähnt. Beethoven hat das Gedicht viermal komponirt und alle
vier Kompositionen miteinander drucken lassen, zum sprechenden
Beweise, wie ernstlich er gerungen, seine Musik an das Gedicht
heranzubringen, — und wie er keinmal befriedigt gewesen, keinmal
nach seinem eigenen Gefühl das Eechte getroffen; denn sonst hätt'
er nur dies und nicht die andern Versuche gebracht Kann aber
auch so wechselnder, gewaltig schwankender Seelenzustand, wie
das Gedicht ihn giebt, in eine Liedformel eingefangen, kann dies
Gedicht überhaupt komponirt werden? Und es ist ja nicht ein-
mal der Inhalt des Gedichts, der vom Komponisten seine Seele
fodert!*) dazu kommt ja die Persönlichkeit, und welche räthsel-
hafte! dazu — welche Femsicht in ihre noch unenträthselte Ver-
gangenheit, die mitarbeitet im Liede.
Muss — und kann denn Alles komponirt werden? Beethoven
*) Nach dem Glauben der Moslem ist es sündlich und gefftbrlicb, das
Abbild von Menschen anzufertigen; die Bilder werden am jüngsten Tage vom
Maler ihre Seelen fordern.
120
hatte hier das Gegentheil erfahren. Haben wir daran gelernt?
Komponiren wir nicht wohlgemuth den ganzen Faust und die
Griechen dazu? Wollen denn die Komponisten nicht hundertmal
lieber ihrem ungestümen Bethätigungstriebe folgen, als lernen und
nachdenken?
Kehren wir zu Beethoven zurück. An allen bisher erwähnten
Gesang-Kompositionen und vielen andern ist noch Eins zu beob-
achten: Vollkommne Angemessenheit für die Stimme.
Grade diese Eigenschaft lässt sich an späteren Werken bisweilen
in auffallendster Weise vermissen. Wenn diese Thatsache fest-
steht — und sie ist unzweifelhaft — so muss sie, soviel wird jetzt
schon klar, einen andern Anlass haben, als etwa Unkenntniss
oder Ungeübtheit in Behandlung der Stimme.
Nun aber treten wir wieder in die Zeit der Scene „Ah perfido"
zurück, um aus so vieler mehr oder weniger gelungner, mehr oder
weniger originaler Musik eine wahrhaft originale Komposition
hervorzuheben,
Adelaide, Gedicht von Matthisson (C. V. 53),
im Februar 1797 als Op. 46 herausgegeben und 1796 vollendet.*)
*) Wie sehr Beethoven Tom Gedicht erfüllt gewesen, beweist der Brief,
den er am 4. August 1800 an den glücklieben Dichter erlassen. Er lautet:
, Verebrungswü rdigster !
Sie erhalten hier eiue Komposition von mir, welche schon einige Jahre im
Stich beraua ist uod von welcher Sie vielleicht zu meiner Schande noch gar
nichts wissen. Mich entschuldigen und sagen, warum ich Ihnen etwas widmete,
was so warm von lueiDom Herzen kam, und Ihnen gar nichts davon bekannt
machte, dass kann ich nicht, vielleicht dadurch, dass ich Anfangs Ihren Auf-
enthalt nicht wusstc, zum Theil auch wieder meine Schüchternheit, dass ich
glaubte, mich übereilt zu haben, Ihnen etwas gewidmet zu haben, wovon ich
nicht wusste, ob es Ihren Beifall hfttte. Zwar auch jetzt schicke ich Ihnen
die Adelaide mit Aengstlichkeit Sie wissen selbst, was einige Jahre bei einem
Künstler, der immer weiter geht, für eine Verftnderung hervorbringen. Je
grössere Fortschritte in der Kunst man macht, desto weniger befriedigen einen
seine ftltern Werke. — Mein heissester Wunsch ist befriedigt, wenn Ihnen die
musikalische Komposition Ihrer himmlischen Adelaide nicht ganz missfällt, und
wenn Sie dadurch bewogen werden, bald wieder ein ähnliches Gedicht zu
schaffen, und fänden Sie meine Bitte nicht unbescheiden, es mir sogleich zu
schicken, und ich will dann alle meine Kräfte aufbieten, Ihrer schönen Poesie
nahe zu kommen. —
Die Dedikation betrachten Sie theils als ein Zeichen des Vergnügens, welches
mir die Kompopition ihrer A. gewährte, theils als ein Zeichen meiner Dank-
121
Ein dem fertig vorliegenden Werke sehr unähnlicher Entwurf
findet sich schon in den Studien bei Albrechtsberger (1794/95).
Wir, die wir im Anhauch dieser Seelensprache aufgewachsen sind,
v.issen kaum zu ermessen, welchen Riesenschritt vorwärts Beet-
hoven gethan, als er das einfache Gedicht in sich genommen.
Der alte Kapellmeister Johann Friedrich Reichardt, der erste
Sänger Goethescher Lieder und einer der geistreichsten Köpfe, die
sich der Musik zugewandt, war bei dem Erscheinen dieser Adelaide
ganz betroffen, so weit ging sie aus dem Vorstellungskreise, den
er und seine Zeit vom Liede gefasst hatten, hinaus. In seiner
musikalischen Zeitung von 1805 ist sie ihm „ein artiger Beweis,
wie der Komponist mit den Formen der ihm gegebenen Gedichte
schalten kann und schaltet. Aus dem .... Liede hat Herr B.
eine grosse Arie da due caratteri, wie die Italiener sagen, gemacht."
Ihm entging, dass Beethoven weder auf ein Lied noch auf eine
grosse Arie ausgegangen ist, sondern mit dem schüchternen
Liebenden, dessen ganzes Gemüth bei dem Gedanken Adelaide
sanft aufwallte, eine selige Stunde durchlebt hat, mit ihm die
„Abendlüftchen im zarten Laube flüstern" gehört, mit ihm das
Sehnsuchtflöten der Nachtigall belauscht, mit ihm sich über das
Grab hinaus erhoben und den Himmel auf Erden gefunden hat.
Der brave Reichardt hat Recht gehabt; es war das erste Mal,
dass aus einem kleinen Lied' ein Lebensbild erwachsen war, wie
bis dahin noch keines der musikalischen Lyrik entsprossen; nicht
einmal die Art war formell da, auch nicht in Zumstegs Balladen,
selbst abgesehen vom Gehalt. Das war ein unvergesslicher
Moment im Leben der Tonkunst, und Beethoven war es,
der ihn gespendet. — Wir wollen im Rückblick auf das S. 118
Gesagte gom zugestehn, dass er einzig der Hinwendung auf das
rein-musikalische Element*) sein Dasein verdanken konnte.
barkeit und Hochachtang für das selige Vergaftgen, was mir Ihre Poesie über<
haupt immer machte und noch machen wird.
Wien 1800 am 4tcn Augast.
Erinnern Sie sich bei Durchspielung
der A. zuweilen Ihres Sie wahrhaft ver-
ehrenden
Beethoven.*
*) Matthisson fügte, wie Thayer aus seinen 1825 herausgekommenen
„Schriften" anfahrt, der Adelaide folgende Bemerkung hinzu: „Mehrere Ton-
künstler beseelten diese kleine lyrische Phantasie darch Musik; keiner aber
stellte, nach meiner innigsten Ueberzeugung, gegen die Melodie denText
in tiefere Schatten, als der geniale Ladwig van Beethoven in Wien,"
122
Erst in späterer Zeit, etwa Ende 1809 oder Anfang 1810, als
er endlich von hoffnungsvoller Liebe ergriffen war, hat Beethoven
Gleiches an Goethes „Neue Liebe, neues Leben" (No* 2 der oben
erwähnten Gesänge Op. 75) gegeben. Es ist das Gegenstück zu
Adelaide, feurige Beseelung eines von der Liebe überraschten und
ganz hingenommenen Gemüths, voller Lebenslust und Jugendlichkeit,
kein Seufzer, von Sentimentalität keine Spur, reines Glück eines
gesundfrohen, kräftigen, so eben vom zündenden Strahl getroffenen
Jünglingsherzen, die Musik ein reicher, mächtiger und doch nicht
überwallender Strom, der Schluss ein entzückend Gemisch von
Zärtlichkeit und Schalkheit.
Die Gesangwelt war, wie wir schon bemerkt haben, nicht das
Beethoven vorzugsweis' angehörige Gebiet. Aber ein Geist, gleich
dem seinigen, konnte nicht da geweilt haben, ohne merkwürdige,
weit auf die Nachfolger hinaus wirkende Spuren seiner belebenden
Kraft zu hinterlassen. Wir werden deren auf demselben Gebiete
noch mehr finden.
Beethovens Stellung^
Wie stand Beethoven in diesem Lebensanfang, in dessen
Blüthenpracht wir erst einen flüchtigen Blick geworfen haben? —
Czerny, der über des Meisters wirkliche Stellung wohl unter-
richtet war, bemerkt in seinen für O. Jahn gemachten Aufzeich-
nungen: „Man hat mehrmal im Auslande gesagt, dass Beethoven
in Wien missachtet und unterdrückt worden sei. Das Wahre ist^
dass er schon als Jüngling von unserer hohen Aristokratie alle
mögliche Unterstützung und eine Pflege genoss, wie nnt je einem
jungen Künstler zu Theil geworden. — Auch später, als er durch
seine Hypochondrie sich viele entfremdete, wurde seinen oft sehr
auffallenden Eigenheiten nie etwas in den Weg gelegt." Dies
Wort Czernys trifft ebenso sehr das Thatsächliche, wie es auch die
Ursachen der in Beethovens gesellschaftlichen Beziehungen von Zeit
zu Zeit eintretenden Schwankungen richtig, wenn auch nicht voll-
ständig, andeutet,
123
Vor allem Lichnowskys Haus war seine neue Heimat ge-
worden, der Fürst sein wahrer Freund — und verdiente es zu
sein, die Fürstin seine mütterliche Freundin. Das Verhältniss
scheint zwischen diesen drei Personen ein wahrhaft vertrauliches
gewesen zu sein. Eies erzählt, dass Beethoven, der ihn im Hause
eingeführt, mit der Ausführung einer Komposition unzufrieden, sich
ungestüm gegen ihn erwiesen. Darauf habe er sich selber an das
Instrument gesetzt, die Sache aber nicht besser gemacht und nun
habe die ehrwürdige Fürstin, natürlich mitleidvoll für den jungen
Menschen Partei nehmend, sich hinter Beethovens Stuhl gestellt
und ihm ebenfalls ein Paar derbe Kläppchen auf den Kopf gegeben,
was denn Beethoven gutmüthig lachend gleichfalls hingenommen.
Offenbar war ihm auch die Theilnahme Lichnowskys wohlthuend;
seine Zustimmung konnte ihn, wie wir bei Fragen der Spielbarkeit
gesehn, bestärken, sein Einspruch (wir werden Spuren davon finden)
verletzte ihn nicht. Denn Beethoven war bei dem berechtigtsten
Selbstbewusstsein fern von jeder Eitelkeit; er wollte nur sicher
erkannt und erfasst, nicht bewundert sein. Auf der anderen Seite
begriff Lichnowsky vollkommen, was man einem Künstler wie
Beethoven, der künstlerischen Zierde seines Hauses, und dem Selbst-
geflihl eines solchen Mannes schuldig sei. Honorirt, wie die
Quartettisten , konnte Beethoven für seine Leistungen bei den
Morgenrausiken*) nicht werden; Lichnowsky bewog ihn, sein Haus-
genosse zu sein. Wegeier fand ihn in Lichnowskys Palast gegen
Ende des Jahres 1794. Auch bestimmte der Fürst ihm etwa um 1800,
wie wir aus dem Briefe Beethovens an Wegeier (vom 29. Juni 1801)
erfahren, ein Jahrgeld von 600 Gulden; gewiss eine willkommene
Sicherstellung, nachdem die Unterstützungen von Seiten des in-
zwischen vertriebenen Kurfürsten Max Franz längst aufgehört
hatten.**) Beethoven wohnte abwechselnd im Palast Lichnowsky
und auf dem Lande.
*) Der Fürst schenkte ihm, angeregt wahrscheiolich durch diese Auf-
führungen, ein vollstftndiges Streichquartett von ausgezeichneten Instrumenten
italienischer Meister. Dasselbe wird in der k. Bibliothek zu Berlin aufbewahrt.
**) Sein Kurfürstenthum war in den Revolutionskriegen in Trümmer ge-
gangen. Als die Franzosen im Sommer 1794 unter Pichegrus Führung bis an
den Rhein vordrangen, flüchtete Max Franz im September, um nimmer nach
Bonn zurückzukehren. Am 27. April 1800 legte er seinen Wanderstab in Wien
nieder und bewohnte bis zu seinem am 26. Juli 1801 erfolgten Tode meisten-
theÜB ein kleines Schlösseben in Hetzendorf.
124
Der FUrst hat oflFenbai* in Gesinnung und Behandlung keinen
Wandel eintreten lassen. Aber bald zeigte sich die Unverträglich-
keit des häuslichen Verhältnisses mit dem Künstler. Irgend eine
Rücksicht fordert jedes Verhältniss dieser Art; und der Musiker,
ungeschult und unerzogen, wie er aus der kleinen Stadt, aus engen
aber anspruchsfreien Verhältnissen herübergekommen, — und der
starrsinnige, leichtgereizte Rheinländer, — und dieser Beethoven,
weit- und lebensfremd, linkisch und eckig im Benehmen, weil er
den Mangel früher Wclterziehung flihlt, nicht aber überwinden kann,
dieser Beethoven, der nur in seiner Tonwelt lebt: der sollte sich in
die fürstliche Hausordnung, wie leicht man es ihm auch machte,
fügen? — Die Tafel ist auf vier Uhr festgesetzt. „Da soll ich nun,"
klagt er einem Freunde, „täglich halb vier Uhr zu Hause sein,
mich besser kleiden, für den Bart sorgen, .... das halt' ich nicht
aus!" So zieht er häufig vor, lieber in einem Gasthause zu speisen;
er ist da ungenirt. — Gelegentlich hat er einmal den Einfall,
zu reiten (man erinnere sich des Browne'schen Pferdes für die
russischen Variationen) und Lichnowsky stellt ihm seinen ganzen
Marstall zur Verfügung; — fremde Pferde soll er reiten? sich dafür
verpflichtet, sich an den Marstall gewiesen sehn? er kauft sich ein
eigen Pferd. — Irgend einmal hat die Dienerschaft den Künstler
warten lassen, um zuerst den Fürsten zu bedienen; der Fürst,
darüber oder über die Beethovensclie Auffassung (die man sich vor-
stellen kann) ungehalten, befiehlt dem Jäger mit schallender Stimme,
künftig, wenn er und Beethoven zugleich klingelten, diesen zuerst
zu bedienen. Mehr bedarf es für den Musiker nicht, sich noch am
nämlichen Tag' einen eignen Diener anzuschaffen.
Mag man bei diesen Verkommenheiten lächeln. Gewiss aber
hatten sie nicht in Eitelkeit oder Hoffart Ihren Ursprung, sondern
in einem, hier vielleicht unnöthig sich geltend machenden Selbst-
gefühl des Künstlers und des unabhängigen Mannes, gegenüber dem
Vomelimen. Dies hat Czerny übersehen. Denn das ist eine der
leidigen Folgen, die sich an jede privilegirtc Stellung und so auch
an den privilegirten Stand des Adels hängen, dass sie das natürlichq
zutrauenvolle Verhältniss vom Menschen zum Menschen selbst da
trüben und stören, wo mau das Privilegium lieber vergessen möchte,
als geltend maclien.*) Beethoven fühlte sich vornehm durch jene
*) Gewiss ist man verpflichtet, in dem Fürsten Lichnowsky und seinem
Bruder, dem Grafen Moritz Lichnowsky, die reinste und verehrungsvoliste
Theilnahme für den grossen Künstler vora'is^useUen, den sie so beflissen för
125
Kraft, die die Natur in ihn gelegt und die er mit seines ganzen
Lebens Arbeit und Treue ausgebildet hatte für den ihm vor Andern
ihr Haas tu gewinnen trachteten. Gleiche Gesinnung ist von allen in diesem
Buche genannten Adligen anzunehmen, namentlich auch von dem gleich zu er-
wähnenden Grafen Franz von Opper^dorf. Dann muss man von Beethovens
Hochgefühl und unabhängigem Sinn überzeugt sein, dass er Unbill sich nicht
hätte gefallen lassen. Allein die Ständekluft bestand und besteht einmal, und
bei aller Humanität, die seit Maria Theresia und Eaunitz den österreichischen
Adel vor dem nördlicher ansässigen auszeichnet, lagen denn doch (man lese
Mozarts Biographie) Fälle entgegengesetzter Färbung nicht allzufem. Beethoven
hatte deren an eigener Person sicher nicht erfahren. Allein in voller Un-
abhängigkeit, dem Unterpfande voller Unantastbarkeit, befand auch er, dem
Adel gegenüber, sich nicht. Er empfing Werthgeschenke von Einzelnen, die
er dann durch die Ehrengabe von Dedikationen erwiderte. Wie hoch man diese
Ehren, wie unendlich höher man das sehätzte, was Beethovens Geist jenen
Verehrern spendete: — Gleichheit der Stellung war nicht vorbanden. Das Ge-
fühl davon hat ganz gewiss in Beethoven gelebt und gar manche Schroffheit
und Missstimmung hervorgerufen.
So erklärt es sich, dass das Verhältniss zum Fürsten Karl Lichnowsky,
trotz der wohlwollendsten Gesinnung auf der einen Seite und der dankbarsten
von der andern, doch mehrere Male vorübergeh eo de Störungen erlitten bat,
z. B. im Spätsommer 1806. Beethoven war nach längerem Aufenthalte bei
dem Grafen Brunswick in Ungarn einer Einladung des Fürsten auf dessen Gut
Grätz bei Troppau in Schlesien gefolgt, um dort den Rest der besseren Jahres-
zeit im Freien zu verleben. Seine Stimmung war damals reizbar. , Seine Ver-
hältnisse sind jetzt nicht die besten, da die Oper durch die Kabalen der Gegner
selten aufgeführt ist und ihm also nichts eingetragen hat. Seine Gemüths-
stimmung ist meistens sehr melancholisch und nach seinen Briefen zu urtheilen,
bat der Aufenthalt auf dem Lande ihn nicht erheitert." So Breuning an Wegeier
im Oktober 1806. Der Besuch bei Lichnowsky hatte inzwischen ein jähes Ende
gefunden; schon am 1. Oktober war Beethoven in Wien, er war zurückgekommen
beinahe wie ein Flüchtiger. Als Ursach wird erzählt, ihm sei einst in Grätz
arg zugesetzt worden, sich vor fremden Gästen, noch dazu französischen Offizieren
hören zu lassen. Ja endlich sei ihm (gewiss nicht ernstlich) mit Hausarrest
gedroht worden, da er sich beharrlich weigerte. Da sei er bei Nacht und
Nebel über eine Stunde weit zur nächsten Stadt gereist und von da mit Extra-
post nach Wien. Allerdings soll Beethoven später (1816) über dies Ereigniss
gescherzt und dabei geäussert haben: «Mit dem Adel ist gut umgehen, aber
man muss etwas haben, worii} man ihm impoDire**. Aber zunächst war doch
der Bruch geschehen; sicherlich beiden Betheiligten zum Schmerz! Auch muss
bald eine Aussöhnung stattgefunden haben, da Beethoven dem Fürsten schon
Frühling 1807 das Manuskript der eben beendeten Goriolan* Ouvertüre zu einer
Privatauffübrung überlässt. Aber neue Missverständnisse drohten und traten
ein; so im Jahre 1808, wo Reichardt Beethoven besuchte; er schreibt von ihm:
9 Beethoven hat sich von dem Fürsten Lichnowsky, bei dem er sich einige Jahre
ganz aufhielt, gänzlich getrennt^ Arg kann der Riss damals nicht gewesen
sein-, da Beethoven in einem Hause mit Lichnowsky, gerade unter ihm
126
verliehenen Beruf. Gerade die niedrigen Verhältnisse^ in denen er
aufgewachsen, hatten Selbstgefühl und Gleichgültigkeit gegen die
ihm versagte Gunst der Verhältnisse geschärft. Ohne diesen un-
abhängigen Sinn hätte er auch als Künstler nicht vollführen können,
was eben ihm zu vollführen oblag: dem Geist in der Kunst ein
neues freies Reich zu gründen. Rang und Reichthum, bezeugt sein
Freund Schindler, blieben ihm von Jugend an ganz gleichgültige
Dinge, Zufälligkeiten, für die er keine besondere Achtung hatte;
daher er in dem Menschen nur den Menschen erkennen und ehren
wollte. Es war also sehr natürlich, dass in seiner Achtung der
Fürst auf gleicher Stufe mit dem Bürger stand, und er hielt dafür,
dass nur der Geist, das Göttliche im Menschen, nach seiner Potenz
über- allem Materiellen und Zufälligen emporrage und eine un-
mittelbare Gabe des Schöpfers sei, bestimmt, Andern als Leuchte
voranzugehen. In solchem Sinn erkannte er die eigne ihm gewordne
Stellung und ihre Bedeutung vollkommen sicher, und in Demuth.
In Demuth. Niemand konnte mehr Güte, mehr Anhänglichkeit
an die Menschen haben. Niemand schneller verzeihn und vergessen.
Niemand konnte, wßnn er in seiner Reizbarkeit und Weltunkunde
gefehlt, bitterer bereun und flehentlicher aus ganz rückhaltlos ge-
öffnetem Herzen, über alles Mass abbitten und Versöhnung suchen,
als er. „In was für einem abscheulichen Bilde," schreibt er bei
solchem Anlass in den neunziger Jahren an Wegeier, „hast Du
mich mir selbst gezeigt! O ich erkenne es, ich verdiene Deine
Freundschaft nicht! • ... es war jedoch keine absichtliche, aus-
gedachte Bosheit von mir, die mich so gegen Dich handeln liess;
es war mein unverzeihlicher Leichtsinn." So klagt er drei Seiten
lang sich an und schliesst: „Doch nichts mehr! ich selbst komme
zu Dir und werfe mich in Deine Arme und bitte um den verlornen
auf der MGlkerbastei wohnte. Es dürfte daher kaum wahrscheinlich sein, dass
Thaycr Recht hat, wenn er eine Stelle in einem Briefe an den Grafen Oppers-
dorf vom 1. November 1808 — „meine Umstftnde bossern sich, ohne Leute
dazu nOthig zu haben, welche ihre Freunde mit Flegeln traktiren wollen *" —
mit einer neuerdings bei Lichnowsky erlittenen oder wenigstens einbildlich
erlittenen Uobill in Beziehung setzt. Vielmehr scheinen jene Worte, wenn sie
überhaupt auf Lichnowsk j gehen, noch ein Nachklang des früheren Vorganges
zu sein. Im Jahre 1811 verbringt Beethoven wiederum einen Theil des Sommers
in Grätz bei dem Fürsten, nachdem er von Teplitz auf weitem Umwege zu
ihm gereist. Beweis, dass diese Verbindung für das Leben dauerte, wenn auch
bei der Ungleichheit der Süssem Lebenslage der ftussere Gontact beider nicht
immer gleich fest geschlossen, sondern Störungen ausgesetzt war.
127
Freund, und Du giebst Dich mir wieder, dem reuevollen, Dich
liebenden, Dich nie vergessenden B." Einen ähnlichen Brief an
Eleonore Breuning vom 2. November 1793 hat ihr Gatte Wegeier
aufbewahrt; wir theilen ihn später mit.
Jener Sinn der Unabhängigkeit reichte bei Beethoven weit über
die kleinen persönlichen Verhältnisse hinaus; im untrennbaren Ver-
ein mit brüderlicher Liebe für alle Menschen, die in seiner Auf-
fassung alle gleich, alle Brüder waren, sollte sie Qrundzug seines
Lebens werden und in seinen Schöpfungen bedeutsam mitwirken.
Man muss neben seinen persönlichen Verhältnissen die seiner
Jugend in das Augen fassen. Siebzehnhundertsiebzig geboren, an
der Grenze Frankreichs, in der Nähe des Emigrantenhofs in Koblenz,
fand ihn die französische Revolution in dem rechten Alter, sich
für sie, für die Idee von Freiheit und Freistaat zu enthusiasmiren,
wenngleich er sicher nicht fähig war, die Folgen dieses unermess-
lichen Ereignisses vorherzusehen, oder es klar zu begreifen. Schon
der Zeitströmung nach war er Republikaner; dazu kam sein aus
freiem Trieb unternommenes Studium der Alten, von denen ihm
Plutarch besonders nahe gestanden zu haben scheint. „Piatos Re-
publik (erzählt Schindler) war in sein Fleisch und Blut übergegangen,
nach ihrer Idee musterte er alle Verfassungen der Welt; so wollte
er Alles eingerichtet wissen.*) Er lebte in dem festen Glauben,
*) Dass diese Aneichtsweise mit einer Neigung für moDarchische Staatsform
unverträglich war, leuchtet ein. Sie führte sogar, im Verein mit Beethovens
aUgemeinem Unabhängigkoitssinn, wohl auch im Hinblick auf den Wiener Hof,
wie er sich unter Thugnt und Mettemich ausnahm und gegen den grossen und
seJbstbewussten Künstler tbeilnabmlos verschlossen erwies, zu einer Verbitterung,
die sich zuweilen in der barocksten Weise Luft machte.
So in einem zwischen dem 3. Juli und 17. September 1824 geschriebenen
Briefe ohne Datum an Schott in Mainz, mitgetheilt in der Gäcilia, Bd. 28.
Beethoven meldet seinen Verlegern die günstige Aufnahme der an sie verkauften
Ouvertüre Op. 124 mit folgenden Worten: „Die Overture, welche Sie von
meinem Bruder erhalten, ward hier diese Tage aufgeführt. Ich erhielt dess-
wegen Lobeserhebungen etc. Was ist das Alles gegen den grössten Tonmeister
oben — oben — oben, und mit Recht allerhöchst, wo hier unten nur Spott
damit getrieben wird. Die Zwerglein — allerhöchst!!** . . .
Es ist ergötzlich, wie die Verlegenheit bei dem (so natürlich veranlassten)
Bericht über den guten Erfolg des eignen Werks unversehens und linkisch in
die Sprache des ftussersten Hochmuths umschlägt, — der ihm so ganz fremd
war, — und wie der «allerhöchste Tonmeister oben* im Himmel ihn eben so
unversehens an die „allerhöchsten Zwerglein hier unten* erinnert. Vorstellungen
und Gedanken fliegen dahin, wie «Wolkenzug und Nebelflor*, im aUerschönsten
Seh er z o^^restissimo.
128
Napoleon gehe mit keinem andern Plan um, als Frankreich nach
ähnlichen ( — platonischen? — ) Prinzipien zu republikanisiren, und
somit sei der Anfang zum allgemeinen Weltglück gemacht."
Zum Glück war er nicht in der Lage, sich näher für diese
bonapartistisch-platonische Republik zu bethätigen; es blieb bei der
Theilnahme des Gemüths, deren Grundtrieb man ehren muss, wie
unklar auch das Urtheil gewesen. Er blieb wenigstens besonnen
genug, sich jenem Zuge nicht unzeitig hinzugeben. Im Jahr 1802
scheint sein Verleger Hofmeister im Verein mit Andern ihm den
Vorschlag zu einer Sonate revolutionärer oder republikanischer
Tendenz gemacht zu haben. Dem antwortet er unter dem 8. April:*)
„Eeit Buch denn der Teufel insgesammt, meine Herren? — Mir
vorzuschlagen, eine solche Sonate zu machen! Zur Zeit des Re-
volutionsfiebers — nun da — wäre das so etwas gewesen; aber
jetzt, da sich Alles wieder ins alte Geleis zu schieben sucht, Bo-
naparte mit dem Papste das Konkordat geschlossen — so eine
Sonata? — Wär's noch eine Missa pro sancta Maria a tre Voci,
oder eine Vesper etc. — nun, da wollt' ich gleich den Pinsel in die
Hand nehmen — und mit grossen Pfundnoten ein Credo in unum
hinschreiben — aber, du lieber Gott, eine Solche Sonate — in
diesen neu angehenden christlichen Zeiten — hoho ! Da lasst mich
nur, da wird nichts daraus."
Im Künstler wird aber jeder Moment erhöhten Lebens zum
Kunstwerke. Beethovens Theilnahme an den politischen Bewegungen
sollte zu einem der entscheidungsschwersten Werke führen.
Nicht ganz republikanisch, aber ganz menschlich war es, dass
Beethoven, wenn denn einmal jene Rangunterschiede bestanden, mit
Wohlgefallen sich nach dem Massstabe höhern Ranges behandelt sehn
wollte und sich mit argwöhnischer Aufmerksamkeit jeder Begegnung
erwehrte, die ihn auf eine niedere Rangstufe zu verweisen schien.
In Berlin hatte er 1796 vor Friedrich Wilhelm II. gespielt, unter
Anderm auch die S. 113 besprochenen Sonaten, Op. 5, vorgetragen
und beim Abschied vom Hofe hatte der König ihm eine goldne Dose,
mit Friedrichsdoren gefüllt, überreichen lassen." Noch lange nachher
erzählte Beethoven mit Wohlgefallen, dass es keine gewöhnliche
Dose gewesen, sondern eine solche, wie sie den Gesandten gegeben
würde. — Widerwärtig musste daher Beethoven durch den her-
kömmlichen Adelstik in einer alten Gräfin berührt werden, die, als
*) RechtBcbreibuDg and Gedankenstriebe genaa nach der Urscbri(t.
129
Louis Ferdinand nach Wien kam, dem Prinzen zu Ehren« eine
Assemblöe gab, und, weil doch Hoheit ein faible hatten für Musik
und allerlei Künstlervolk, Musik machen liess und auch den Herrn
Beethoven dazu einlud. Nach der Musik kam denn das Souper,
und da wurde für den Prinzen und einige vom hohen A^del eine
besondere Tafel servirt. Dies gewahr werden, auffahren, während
Alles sich zurechtsetzt, sich in derben Ausfällen gegen die alte
Närrin ergiessen, den Hut nehmen und fortgehn: das folgte bei
Beethoven natürhch wie Blitz und Donner. Der Prinz, der Beet-
hovens Bedeutung vollkommen erkannt, fühlte mit ihm. Er ver-
stand, ihm Genugthuung für die Kränkung zu geben, deren un-
schuldiger Anlass er gewesen, veranstaltete einige Tage darauf ein
feierliches Diner, wozu er einen Theil der Abendgesellschaft und
jene Gräfin Etikette bat, und wies an der Tafel Beethoven auf der
einen, der alten Dame auf der andern Seite den Platz neben sich an.
Nichts aber war ihm unleidlicher, als sich der Etikette der
Grossen zu fügen; das bracht' er nimmer zu Stande, und wollt' es
auch nicht. Der Erzherzog Rudolf, nachheriger Erzbischof von
Olmütz, war sein Schüler, beiläufig der einzige, den er nicht blos
im Klavier, sondern auch in der Komposition unterwiesen. Ver-
gebens bemühen sich Höflinge, besonders der Hofmarschall, ihn in
das rechte Geleis der unverletzbaren Etikette zu bringen. Ihrer
feinen Winke, ihres andringUchen Meisterns überdrüssig, drängt er
sich endlich höchst entrüstet zum Ei-zherzog durch und erklärt
ihm: für ihn hege er allen möglichen Eespekt, aber strenge Beob-
achtung dieser Vorschriften und Weisungen, die man ihm täglich
geben wolle, das sei ein für alle Mal nicht seine Sache. Der Erz-
herzog lächelte gutmüthig und befahl, ihn künftig seinen Weg un-
gestört gehen zu lassen, - er sei einmal nicht zu ändern. Über-
haupt stellte sich das Verhältniss ganz naturgemäss so heraus, dass
der Erzherzog mehr darauf gab, von Beethoven unterrichtet zu
werden, als dieser, ihn zu unterrichten. Beethoven hatte gewiss
Sinn für die Würdigkeit und Anhänglichkeit seines Schülers und
erwiderte die Gesinnung, die ihm entgegenkam. Aber trotz aller
Nachgiebigkeit von des Prinzen Seite machten doch Stand und
Rang ihren leidigen Einfluss fühlbar. Beethoven unterrichtete über-
haupt nicht gern;*) zu den Lektionen beim Erzherzog ging er
*) Diese Unlast am Unterrichten, die wir schon zeitig an Beethoven ge-
wahr worden sind, hatte ihren zureichenden Grund darin, dass die Lektionen
nicht blos Zeit, sondern auch Stimmung znr Komposition raubten. Am hfiu-
Marx, Beethoven. I. 9
180
doppelt ungern, das kostete Vorbereitung, das foderte ein wenig
Rücksicht auf die Toilette, und seine Zeit gehörte nicht ihm, sondern
seinen Arbeiten. Mit Widerstreben lenkte sich sein Schritt zur
kaiserlichen Burg, er nannte den Gang dahin seinen „Hofdienst".
Auch mögen ihn wohl mancherlei Störungen in den Lektionen, wie
figsten und drückendsten musste das in Besag auf den Enberzog empfanden
werdeOy da dessen Ansprache sich fQgUch nicht abweisen Hessen. Daher war
Beethoven auch in späterer Zeit unerschöpflich in Klagen über dies seit 1805
lange Jahre hindurch dauernde Yerhäitniss. An Ries schreibt er:
«Wien, den 25. April 1828.
. Lieber Ries!
Der Aufenthalt des Kardinals „(Erzhenogs Rudolf)* durch 4 Wochen
hier, wo ich alle Tage 27« ja 3 Stunden Lektion geben masste, raubte mir
viel Zeit; denn bei solchen Lektionen ist man des andern Tages kaum im
Stande, su denken, vielweniger za schreiben. *
Ein Jahr später muss der Erzherzog eine Säumniss in der Absendung ver-
kaufter Partitaren verantworten. Beethoven sehreibt an Schott in Mainz:
„Wien, im November 24.
Mit Bedauern melde ich Ihnen, dass es noch etwas länger zugehen wird
mit Abschickung der Werke. Es war eben nicht mehr so viel zu übersehen
in den Abpchriften ; allein da ich den Sommer nicht hier zubrachte, so muss
ich jetzt dafür alle Tage 2 Stunden Lektion geben bei Sr. Kaiserl. Hoheit
dem Erzherzog Rudolf. Dies nimmt mich so her, dass ich beinah zu allem
andern unffthig bin. Und dabei kaun ich nicht leben von dem, was ich ein-
zunehmen habe; wozu nur meine Feder helfen kann. Ohnerachtet nimmt
man weder Rücksicht auf meine Gesundheit noch meine kostbare Zeit. —
Ich hoffe, dass dieser Zustand nicht lauge wählt, wo ich sodann das Wenige,
was zu übersehen, sogleich vornehme . . . .*
Dies «Wenige* kann aber auch nicht so schnell gefördert werden, als man
wünscht. Einen Monat später schreibt Beethoven an Schott:
«Wien, den 17. December 24.
Ich melde Ihnen, dass wohl noch S Tage dahin gehen werden, bis ich
die Werke abgeben kann. Der Erzh .... ist erst gestern von hier fort,
und manche Zeit musste ich noch bei ihm zubringen. Ich bin geliebt und
ausgezeichnet geachtet von ihm; allein — davon lebt man nicht, und das
Zurufen von mehreren Seiten «^Wer eine Lampe hat, giesst Oel darauf' findet
hier keinen Eingang. Da die Partitur correkt gestochen werden muss, so
muss ich noch mehreiemal selbe übersehen; denn es fehlt mir ein geschickter
Copist .... Denken Sie übrigens nur nichts Böses von mir! Nie habe ich
etwas Schlechtes begangen ....*'
Welch ein Schmerz auch für uns Spätere, dass ein Beethoven seine Zeit
an die Liebhaberei eines Glücksbevorzugten dahingehen und seinen hohen
Beruf, Ja seine Lebenskraft beeinträchtigen, ja, — dass er nötbig finden muss ,
noch obenein seinen Charakter zu vertheidigen, und mit alledem nicht einmal
zu sorgenfreier und würdiger Existenz gelangt!
131
solche Verhältnisse bisweilen unvermeidlich machen, verdrossen
haben. Nur Erzherzog Karl durfte während des Unterrichts zugegen
sein; von ihm nur fühlte sich Beethoven nicht gestört, denn er
hatte wohl erkannt, wie richtig der Held ihn zu Würdigen wusste,
und erwiderte das mit Ehrfurcht aus vollem Herzen.
Bei all' dieser Sprödigkeit gegen Rangverhältnisse konnte
Beethoven nicht umhin, die freiere Bildung und den früher und viel-
seitiger entwickelten Geist, den die begünstigte Stellung den sorgen-
und berufsfrei gestellten Vornehmen gewähren können (und im
österreichischen Adel hat es damals und später nicht an solchen
gemangelt, die dem Können das Wollen gesellt), zu erkennen. Er
fand, wie er Schindler selbst gesagt, in den Kreisen des Adels die
bereiteste Verständniss; es ist wohl begreiflich, da der damals noch
unbedingter in Österreich waltende Kastengeist den Bürgerstand
auf seine Berufsarbeiten in untergeordneten Sphären und auf die
derben materiellen Lebensgenüsse hinwies. Daher verkehrte Beet-
hoven auch am meisten in jenen Kreisen und fand da seine wärmsten
Anhänger, die zum Theil wahre Freunde und freundschaftliehe
Beförderer wurden. Unter ihnen sind Graf Moritz Lichnowsky
(Bruder des Fürsten) und seine Gemahlin, Hof Sekretär Zmeskall
V. Domanovecz,*) Baron J. v. Gleichenstein, v. Pasqualati,
*) Zmeskall bewies ihm bis ans Ende eine beinah kindliche Unterordnung,
Treue and Dienstfertigkeii. Als begeisterter Musikfreund, tüchtiger Cellist
und sogar Komponist (eioige Quartette von ihm befinden sich in dem Archiv
der Gesellschaft der Musikfreunde) wusste er den Künstler Beethoven von Anfang
an Bu würdigen, und da er zehn Jahre ftltor war und vertraut mit Wien und
dem Leben in den hohem Kreisen, vermochte er ihm auch in der Süsseren
Einrichtung des Lebens mit seinem Urtbeil und Rath zur Seite zu stehen. Von
Anfong an scheint er die Zukunft des Bonner Ankömmlings erkannt tu haben.
Und wie er sich^s zur Ehre schätzte, ihm die zum Niederschreiben seiner hoben
Tongedanken nothwendigen Gänsekiele zu schneiden, so ging er mit den ge-
ringsten Papierschnitzeln, wenn Beethovens Hand Einiges darauf geschrieben
hatte, wie mit heiligen Reliquien um und bewahrte sie. So haben wir eine
Menge kleiner Handbillette Beethovens an ihn, die bis zu des Letzteren Tode
reichen, oft ganz unbedeutenden Inhalts, aber doch für Beethoven und sein
VerhSltniss zu ihm charakteristisch. Beethoven hat alle Achtemg vor Zmeskalls
Gesinnung; wenn er demungeachtet in vielen seiner Zuschriften über die Per-
sönlichkeit desselben mit einem gewissermasscn souveränen Humor verfügt, so
beweist dies^ dass Zmeskalls Freundschaft dem Lebeii Beethovens ein heiteres
Element zugeführt hat, und wenn nie etwas von Empfindlichkeit seitens Zmes-
kalls verlautet, so muss dieser entschieden Proben wahrer Hochachtung von
Beethoven empfangen haben, die ihn jene Witzeleien mit der heitern Laune
9*
132
Franz Graf v. Brunswick, seine Gemahlin Sidonie und seine
Schwester Therese, beide treffliche Spielerinnen Beethovenscher
Werke, Graf und Gräfin Browne, Fürst Lobkowitz und die Gräfin
Erdödy, vor andern zu nennen, aus der Reihe der andern Freunde
der treffliche Instrumenten bauer Andreas Streicher, der Jugend-
aufnehmen Hessen, in der sie niedergeschrieben waren. Wir können uns nicht
versagen, einige Briefeben hier mitzntbeilen.
1. 4 An seine üochwobl-wobl-woblgeboren den flerrn von Zmeskall kais.
and königl. wie auch kOnigl. kaisi. fiofsekretär.
Seine Hochwoblgeboren , sowie des Herrn von Zmeskall Zmeskalitftt
haben die Gewogenheit zu bestimmen, wo man sie morgen sprechen kann.
Wir sind Ihnen ganz verflacht ergeben.
B.«
2. „Liebster Baron Dreckfahrer!
je voos suis bien oblig^ pour votre faiblesse de tos yeax. -- übrigens ver-
bitte ich mir ins künftige, mir meinen frohen Math, den ich zaweilen habe,
nicht za nehmen, denn gestern darch ihr Zmcskall-domanovezisches Geschwfttz
bin ich ganz traarig geworden, hol sie der Teafel, ich mag nichts von ihrer
ganzen Moral wissen, Kraft ist die Moral der Menschen, die sich vor andern
aaszeichnen und wenn sie mir heute wieder anfangen, so plage ich sie so sehr,
bis sie alles gut uod löblich finden, was ich thue (denn ich komme zum
Schwane, im Ochsen wär^s mir zwar lieber, doch beruht das auf ihrem
ZmeskallDomanovezischen Entschluss. (reponse).*'
Adieu Baron Ba . . . ron ron | nor | orn | rno | onr.
(voila quelque cbose aus dem alten Versatzamt ^'^
3. »Seine des Herrn von Z. haben sich etwas zu beeilen mit dem ausrapfen
ihrer (darunter auch wahrscheinlich einige fremde) Federn, man hofft, sie
werden Ihnen nicht zu fest angewachsen sein -^ sobald sie alles thun, was
wir wünschen wollen, sind wir mit vorzüglicher Achtung ihr
F.- (Freund?)
4. Zmeskalls musikalische Veranlagung erkannte Beethoven an und be-
wies dies ihm, der oft in Licbnowskyscher Hausmusik mitwirkte, bei dem
selbst private Morgenkonzerte unter Beethovens Leitung stattfanden, zu denen
nur ein ganz sorgsam ausgewählter Kreis von Personen Zutritt hatte, unter
anderm durch die Ernennung zum Musikgrafen. So redet er ihn gern an.
Zuweilen mochte Zmeskall als Mitwirkender in Streichquartetten dem Meister
doch nicht genug thun. Da gab es denn viele scherzhafte Zornworte, wie diese:
»Der Musikgraf ist mit heute infam cassirt. — Der erste Geiger wird
ins Elend nach Sibirien transportirt. — Der Baron hat einen gaozen Monat
das Verbot, nicht mehr zu fragen, nicht mehr voreilig zusein, sich mit
nichts als mit seinem ipse miserum sich abzugeben.^*
5. „Verfluchter geladener Domanovetz — nicht Musikgraf, sondern Fress-
graf, Diner-Graf, Souper-Graf etc. — Heute um halb eilf oder 10 Uhr wird
das Quartett bei Lobkowitz probirt, P. D. die zwar meistens mit dem Ver-
Stande abwesend, sind noch nicht da — kommen Sie also — wenn Sie der
Kanzley-Gefängniss-Wfirter entwischen lässt
133
freund Schillers, und seine treusorgliche Gattin Nanette. Wie
sehr übrigens das Bedürfniss der Gleichstellung bei Beethoven alle
Verhältnisse durchdrang, sollte Baron Pronay in späterer Zeit
noch erfahren. Er hatte Beethoven im Frülyahr 1823 in seiner
schönen Villa bei Hetzendorf eine Reihe Zimmer eingeräumt und
Beethoven war in den ersten Tagen seines Aufenthalts sehr glück-
lich, den prachtvollen Park zu durchstreichen oder aus seinen
Fenstern die reizende Landschaft zu tiberschauen. Aber bald hatte
die Freude ein Ende. Beethoven fand es unausstehlich, dass der
Baron, so oft er ihm im Park begegnete, stets so tiefe Verbeugungen
vor ihm mache; ob er die erwidern solle? Schon Ende August
verliess er die für den ganzen Sommer übergebene Wohnung.
Seine Stellung in den vornehmem Kreisen der Gesellschaft
hatte für Beethovens Leben eine noch tiefere Folge.
Er hatte, wie jeder Künstler, ein oflFen Auge für weiblichen
Reiz und für zärtliches Gefühl ein empfängliches Herz. Die drei
hübschen Schneidertöchter, bei deren Vater der junge Ries wohnte,
waren ihm nicht entgangen und Ries nicht seinen Neckereien. Noch
in spätem Jahren sah er schöne Gesichter gern, blieb auf der
Strasse stehn und blickte ihnen durch das Augenglas nach, so weit
Ich esse heute za üause des bessern Weines halber, wenn Sie sich be-
stellen, was sie haben wollen, so wftr mir's lieb, wenn Sie aach zu mir
kommen woUten, den Wein bekommen Sie gratis und zwar besser wie in dem
hundsföttischen Schwanen — Ihr kleinster Beethoven.*'
6. „Geliebtester Conte di Musical Wohl bekomme Euch der Schlaf, und
auf heute wünschen wir euch einen guten Appetit und eine gute Verdauung.
Das ist aUes, was dem Menschen zum Leben nOthig ist, und doch müssen
wir das aUes so theuer bezahlen, ja liebster Conte, vertrauter amico, die
Zeiten sind schlecht, unsere Schatzkammer ausgeleert, die Einkünfte gehen
schlecht ein, und wir euer gnftdigster Herr sind gezwungen uns herabzulassen,
und Euch zu bitten um ein Darlebn von 5 Gulden, welches wir euch binnen
einigen Tagen wieder zafliessen werden lassen
Lebt wohl, geliebster amico und conte di musica
Euer wohlaffectionirter Beethoven
gegeben in unserem Gomponir- Gabinet. *
7. Aeusseist woblgebomer!
Wir bitten Sie uns mit einigen Federn zu beschenken. Wir werden ihnen
nächstens einen ganzen Pack schicken, damit sie sich nicht ihre eigenen aus-
rupfen müssen. — Es könnte denn doch sein, dass sie noch die grosse De-
coration des Cello-Ordens erhielten. — Wir sind ihnen ganz sehr recht ge-
wogen Dero freundlichster Freund Beeth.^'
Von den übrigen oben im Text genannten Freunden und Gönnern Beet-
hovens werden wir im Verlauf der Darstellung Weiteres hören.
134
er konnte; wenn das bemerkt wurde, lachte er verlegen, doch nicht
missvergnügt. Seinen kleinen Werther-Roman mit der blonden
Jeannette d'Bonrath hatte er schon frilh in Bonn durchgespielt;
auch in Wien soll er mehr als ein Liebesverhältniss angeknüpft und
mitunter Eroberungen gemacht haben, die manchem Adonis schwer,
wo nicht unmöglich geworden wären. Ries erzählt von dem abend-
lichen Besuch einer schönen Unbekannten, die er bei offnen Thüren
bei Beethoven getroffen; er habe sich zurückziehn wollen, Beet-
hoven habe ihm aber geheissen zu bleiben und Musik zu machen.
„Spielen Sie etwas Leidenschaftliches!" habe er ihm zugerufen; —
„nun etwas Zärtliches! — nun etwas Trauriges!" — Die Schöne
war aus eigenem Antrieb und unbekannt bei dem Künstler, für
den sie begeistert war, eingetreten; es fand sich später, dass sie
die Freundin eines fremden Fürsten sei.
Das alles waren flüchtige Neigungen. Um so tiefere Wurzeln
schlagen, um so heftigere Erschütterungen sollte ein Verhältniss zur
Folge haben, welches ihn eine Zeit lang mit der jungen Gräfin
Julia Guicciardi verband.
Ihr Vater war in der Mitte des Jahres 1800, zum kaiserlichen
Rath bei der böhmischen Hofkanzlei ernannt, von Triest nach Wien
übergesiedelt. Da die Mutter eine geborne Gräfin Brunswick war,
so hatte Beethoven ohne Zweifel bald Gelegenheit, der damals
16jährigen Tochter im eng befreundeten Hause des Grafen Bruns-
wick nahe zu treten; auch ward er ihr Lehrer im Klavierspiel.
Die erste Andeutung des Herzensverhältnisses vertraut Beet-
hoven einem Brief an seinen Freund Wegeier an. Er schreibt am
16. November 1801: „Etwas angenehmer lebe ich jetzt wieder,
indem ich mich mehr unter Menschen gemacht. Du kannst es
kaum glauben, wie öde, wie traurig ich mein Leben seit 2 Jahren
zugebracht; wie ein Gespenst ist mir mein schwaches Gehör überall
erschienen, und ich floh die Menschen, musste Misanthrop scheinen,
und bins doch so wenig. Diese Veränderung hat ein liebes zaube-
risches Mädchen hervorgebracht, das mich liebt und das ich liebe ;
es sind seit zwei Jahren wieder einige selige Augenblicke, und es
ist das erste Mal, dass ich fühle, dass Heirathen glücklich
machen könnte. Leider ist sie nicht von meinem Stande,
— und jetzt — könnte ich nun freilich nicht heirathen,
ich muss mich nun noch wacker herumtummeln." Schindler und
andere noch ältere Freunde und Bekannte Beethovens berichten
übereinstimmend, dass jene Zauberin Julia Guicciardi war.
136
Aber er hatte das Richtige erkannt; sie sollte, sie konnte nie
die Seinige werden, wie er es sich in mancher seligen Stunde ge-
träumt und in dem Brief an Wegeier verrathen. Nur das sehn-
süchtige Verlangen, eine geheime Flamme, in lichtverzehrender
dunkler Gluth unstillbaren Begehrens lebte fort im treuen Herzen
und drängte zu künstlerischer That.
Das bekennt Beethoven selbst und urkundlich in seiner Sprache,
in der unsterblichen
Sonata quasi una fantasia,
der in Cis moU Op. 27 No. 2, (C. V. 93), die mit der Widmung „ AUa
Damigella Contessa Guilietta di Guicciardi" im März 1802 erschien,
nachdem sie im Laufe des vorangehenden Winters, etwa um die
Zeit des eben erwähnten Briefes an Wegeier oder etwas später
komponirt worden. Einige Zeit hatte der beglückende Traum ge-
währt. Da tauchte die Ahnung, dass der Traum entschwinden,
niemals Wirklichkeit werden solle, wie vorher in jenem Briefe,
nun in diesen Tönen auf, vor dem Geiste des Liebenden stand die
Trennung, ehe sie noch wirklich erfolgte. Es ist die Sonate, der
die gemüthlichen Österreicher, von der Sage jenes Verhältnisses
geleitet, den Namen „Mondscheinsonate" gegeben haben.
Der Komponist hat sie Fantasie-Sonate genannt. Denn sie hat
die Ausdehnung und Zusammensetzung und — wie sehr! — die volle
Wichtigkeit einer Sonate; aber sie konnte nicht die allgemeine und
im Allgemeinen wohlbegründete Form (vergl. S. 97) einer solchen
haben. Sie beginnt mit dem Adagio, dann folgt der Zwischensatz,
der früher Menuett, später Scherzo oder gar nicht benannt wurde,
dann folgt das Finale. Nach herkömmlichem Gesichtspunkte müsste
man sagen: es fehlt der erste Satz, das Allegro. Aber dieses Al-
legro, das war nicht zu komponiren! das war sein sonstiges, viel-
beschäftigtes, vielfach angeregtes Leben, das hätte vielleicht von
dem ersten entzücken vollen Finden erzählen können, von den ver-
renkten Verhältnissen und Begriffen dieser Welt, die einer Gräfin
wohl gestatten einen Musiker zu lieben, aber nicht ihn zu heirathen,
oder von den finsteren Mächten, die trennend zwischen die Lieben-
den getreten. Was galt das Alles jetzt dem Unseligen, der sich
beugen und ausbluten musste unter den nimmer müden Natterbissen
der Entsagung? was hätte er Ihr davon zu sagen gehabt, das sie
nicht gewusst, oder das würdig gewesen wäre, in diesem Augen-
blicke gesagt zu werden?
136
So singt er denn zu den müde über die Saiten schleichenden
Fingern das leise leise Lied entsagender Liebe ; es ist ein Abschied
von aller Hoffnung der dürstenden Seele, dem sich das Wort ver-
sagt, dem der bange Hauch aus weher Brust kaum eine Weise leihen
kann, dem der Puls des Ehythmus, kaum erweckt, stockt, und sich
dehnt, wie der lange Scheideblick des Entsagenden. Dabei schleicht
gespensterleise schwebenden Schrittes das Leben in Tiefen hinab,
in denen kein Labsal für diese Schmerzen sich findet. Und so edel,
so still und unberührt von jedem aufwühlenden Sturm der Leiden-
schaft fliesset dies Klagelied hin ! kein Kampf gegen irdische Ge-
walt trübt diese Seele, die nicht wollen kann, was Tugend nicht
erlaubt. So irrt das Lied, stets sich selber treu und gleich, aus dem
heissen Cis moU in das trosthelle E dur, das sich sogleich zu Moll
trüben muss. Da drängt sich dieser Schritt in die Tiefe, dessen
Gedanken der Bass zeichnet, drohend heran, dass fast die übervolle
Brust zerspringt. Und im schmerzlich siedenden Eis moU setzt der
Gesang von Neuem ein ; ewig der eine Gedanke, wechsellos, unab-
gewendeten Auges, blickt er in das Auge des Leidenden, und die
Tiefe giebt nur das Echo dieser Klage zurück — und alles Ver-
langen, wie hoch und weit es flehend ausschaue, sinkt zurück in die
Klage, uüd erstirbt in der Tiefe, die das Lebewohl 1 mit Grabes-
stimme wiedertönt.
Das war das Lied der Entsagung. Ihm folgt die Scheidung:
„0 denke mein! — ich denke Dein! Leb' wohl, leb' wohl" flüchtig
(es ist der zweite Satz, AUegretto genannt) abgebrochen, und nach-
weinend bis zum letzten „auf ewig!" Welche Büder vergangener,
schwindelndseliger Augenblicke, welche Schatten dunkler Zukunft
dann der Seele des Entsagenden vorüberschweben im Trio, — wer
legt das aus?
Und nun muss weiter gelebt werden, stürmt man hinaus, und
zürnt und wehklagt — und alle Schläge, und alle Donner des
Schicksals sollen das erhabene Haupt des Geweihten nicht beugen.
Das sagt die Cis moll-Sonate denen, die ihre Sprache verstehn.
Die Sonate entstand, wie oben gesagt, im Winter 1801/1802.
Mag in ihr der Künstler Beethoven vorahnend von seiner Liebe
Abschied nehmen; der Mensch scheint den herben Schmerz der
wirklichen Trennung erst nach dieser Komposition erfahren, mit sich
durchgekämpft und überwunden zu haben. Beethoven brachte den
grössten Theil des Sommers 1802 bis in den Octobcr hinein auf
dem Lande zu, in Heiligenstadt, einem freundlich gelegenen, damals
137
noch ländlich stillen und einsamen Orte bei Wien. Der Arzt hatte
ihm Einsamkeit und Ruhe zur Schonung seines Gehörnervs empfohlen,
aber diesem ärztlichen Rathe kam, wie er selbst in einem zu
Heiligenstadt verfassten, testamentartigen Schriftstücke ergreifenden
Inhalts bekennt, „natürliche Disposition** entgegen, d. h. eine tiefe
Gemtithsverstimmung, die zunächst in körperlichem Übelbeflnden
und zwar einem Unterleibsleiden , besonders aber in der je länger
je mehr gesteigerten Schwerhörigkeit Beethovens ihren Grund hatte.
Wir werden von den Leiden, welche ihm durch das Schwinden des
Gehörs verursacht wurden, später ausführlicher hören, hier genüge
roitzutheilen, dass er damals an der Wiederherstellung seines Ohres
verzweifelte und Selbstmordsgedanken nur durch sittliche Energie
zurückdrängte, von freundschaftlichem oder gar noch innigerem
Verkehr mit den Menschen aber sich ausschliessen zu müssen
glaubte. „0 ihr Menschen," schreibt er in jenem, man könnte wohl
sagen, letzten Willen am 6. October 1802, „die ihr mich für feind-
selig, störrisch oder misauthropisch haltet oder erkläret, wie unrecht
thut ihr mir, ihr wisst nicht die geheime Ursache von dem was
euch so scheinet, mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an
für das zarte Gefühl des Wohlwollens , aber bedenket nur,
dass seit 6 Jahren ein heilloser Zustand mich befallen . . . ., von
Jahr zu Jahr in der Hoffnung gebessert zu werden, betrogen, end-
lich zu dem Überblick eines dauernden Übels (dessen Heilung
vielleicht Jahre dauern oder gar unmöglich ist) gezwungen, mit
einem feurigen, lebhaften Temperamente geboren, selbst empfänglich
für die Zerstreuungen der Gesellschaft, musste ich mich früh ab-
sondern, einsam mein Leben zubringen, wollte ich auch zuweilen
mich einmal über alles das hinwegsetzen, o wie hart wurde ich
durch die verdoppelte, traurige Erfahrung meines schlechten Gehörs
dann zurückgestossen Drum verzeiht, wenn ihr mich da
zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gern unter euch mischte,
doppelt wehe thut mir mein Unglück, indem ich dabei verkannt
werden muss, fllr mich darf Erholung in menschlicher Gesellschaft,
feinere Unterredungen, wechselseitige Ergiessungen nicht statt
haben ..." „Geduld, so heisst es, sie muss ich nun zur Führerin
wählen, ich habe es — . . . schon in meinem 28. Jahr gezwungen
Philosoph zu werden, es ist nicht leicht, für den Künstler schwerer
als für irgend jemand . . . Gottheit du siehst herab auf mein inneres,
du kennst es, du weisst, dass Menschenliebe und Neigung zum
Wohlthun drin hausen." und in der Nachschrift vom 10. October
138
klagt er: Ja die geliebte Hoffnung, sie muss mich nun gänzlich
verlassen, wie die Blätter des Herbstes herabfallen, gewelkt sind,
so ist auch sie fllr mich dürr geworden ..."
Wer so schreibt, der kann in diesem Momente keine Heiraths-
gedanken mehr haben. Erschien Beethoven schon in jenem Briefe
an Wegeier im November 1801, wenngleich gehoben durch seine
glückliche Liebe, doch für eine dauernde Verbindung gehemmt durch
die Ungleichheit des Standes und durch den Hinblick auf seinen
Künstlerberuf, so muss, seitdem die zunehmende Taubheit oder
wenigstens das Verzweifeln an einer wesentlichen Besserung des
Hörens sich zwischen ihn und sein Mädchen wie ein unerbittliches
Fatum gestellt, und, sei es in Wirklichkeit, sei es auch nur in
seiner Vorstellung, die trennende Macht gebildet haben. So ergiebt
sich denn, dass Beethoven, als er in jenes stille Bauernhaus von
Heiligenstadt flüchtete, nicht mehr der hoffnungsvolle, an dem Um-
gang mit Menschen sich wieder Erquickende war, in den ihn jene
zauberische Maid gewandelt hatte, dass er vollends am Schlüsse
seines diesjährigen ländlichen Aufenthalts mit der Vorstellung, sie
flirs Leben zu besitzen, abgeschlossen und eine solche Hofibung mit
den übrigen Lebensfreuden begraben hatte. Aber zwischen dem
Anfang und Ende dieser Entwickelung — welche Kämpfe müssen
da statt gefunden, wie muss seine Seele gezittert haben, bis sie
zum Standpunkte philosophischer Resignation hindurchdrang! Noch
am 2. November 1803 schreibt er an den Maler Macco in Prag,
welcher einige Sommermonate des Jahres 1802 in Wien zugebracht
und Beethoven kennen gelernt hatte: .... „überhaupt hat mir's
wehe gethan, dass ich in Wien nicht mehr mit Ihnen sein konnte,
allein es giebt Perioden im menschlichen Leben, die wollen
überstanden sein und oft von der unrechten Seite be-
trachtet werden . . . ."
Dass die gesperrt gedruckten Worte an Macco auf die Lösung
des Verhältnisses zur Guicciardi hindeuten, unterliegt wohl keinem
Zweifel. Wir nehmen an, dass beim Erscheinen der Sonate in
Cis moU mit der Widmung an die junge Gräfin der Bruch noch nicht
vollendete Thatsache war, sondern sich erst im Frühling oder
Sommer 1 802 vollzog. In welcher Weise das geschah, dies ist eine
Frage, deren Beantwortung zi(jmlich gleichgültig ist, wenn man in
jenem so schmerzlich ergreifenden Heiligenstadter Schriftstück den
Beweis findet — und wie wir meinen, mit gutem Grund — dass
Beethoven freiwillig zurückgetreten ist. Allerdings gedenkt er
139
dieser ADgeleg^nhcit in jenem Dokumente mit keinem Worte, aber
der herzzerreisflende Klageton, mit dem er verkündet, von nun an
dem Umgang mit Menschen entsagen so müssen, sagt lauter und
vernehmlicher als ausdrückliche Erwähnung, dass der Entsagungen
schmerzlichste von ihm gefordert wurde durch den Verzicht auf die
Hand eines Mädchens, das ihm ihr Herz in Liebe ergeben hatte.
Dem gegenüber ist es ohne Belang zu wissen, ob etwa^ wie Manche
annehmen, von aussen her an der Scheidung der Liebenden mit-
gearbeitet ist, ob etwa die Eltern, wie Thayer meint, der Geliebten
den Bewerber, taub, schwächlich, arm^ niedriger Geburt, eigenthüm-
lichen Charakters wie er war, zurückgewiesen, oder ihm noch vor
der Bewerbung die Unmöglichkeit einer Verbindung nahe gelegt
haben. Möglich, aber kaum wahrscheinlich! Doch was sollen Ver-
muthungen, wo die Überlieferung, überhaupt kurz und verschwiegen
in Bezug auf dieses Verhältniss, auch von den Äusserlichkeiten
der Lösung nichts berichtet! Wir begnügen uns mit dem, was
gewiss ist, damit also, dass Beethoven vom Schicksal genöthigt
ward, seine Leidenschaft der Vernunft zu unterwerfen und zu ver-
zichten, und dieser Nöthigung als stiller Dulder sich unterworfen hat.
Allmählich erlangte er so viel Beruhigung und Selbstbeherrschung,
dass es ihm sogar möglich war, im elterlichen Hause der einstigen
Geliebten als Gast zu verkehren, was aus einem kleinen' im Jahre
1803 an den Violinvirtuosen Bridgetower (cf. Thayer H. S. 231) ge-
richteten Billet hervorgeht — eine Thatsache, die eine Zurück-
weisung von Seiten der Eltern auszuschliessen scheint. Noch einmal
aber muss die alte Wunde aufgebrochen sein, in dem Momente, wo
Julia sich vermählte. Sie gab ihre Hand am 3. November 1803
dem Grafen Gallenberg, verliess bald darauf Wien und lebte mit
ihrem Gemahl viele Jahre in Italien.
Beethoven wollte, wie aus der 1. Auflage des Schindlerschen
Buches hervorgeht, dies Thema selbst von seinen ältesten Freunden
niemals berührt wissen. Dennoch trat im Jahre 1823 das längst
Entschwundene Verhältniss abermals, diesmal aber mit allem irdischen
Ballast beschwert, in das Leben. Graf Gallenberg, fruchtbarer Kom-
ponist von ßallets und Gelegenheitsmusik (in Neapel hatte er 1806
an der Komposition der Festmusik flir die Krönung Joseph Bona-
parte's zum Könige beider Sicilien sich betheiligt), hatte etwa von
1821 an die Aufsicht über das Musikarchiv des kaiserlichen Opern-
theaters.
Beethoven hatte Schindler zum Grafen geschickt, um die Par-
140
titur seines Fidelio zu leihen. Bei dessen Rückkehr fand folgendes,
in den Konversationsheften aus dem Februar 1823 schriftlich ge-
führtes Gespräch statt.
Schindler: Er (Gallenberg) hat mir heute keine Achtung ein-
geflösst.
Beethoven: Ich war sein unsichtbarer Wohlthäter durch
Andere.
Schindler: Das sollte er wissen, damit er mehr Achtung ftir
Sie habe, als er zu haben scheint ....
Beethoven: Sie fanden also, wie es scheint, G. nicht gestimmt
für mich? — woran mir übrigens nichts gelegen. Doch
möchte ich von seinen Äusserungen Kenntniss haben.
Schindler: Er erwiderte, dass er doch glaube, Sie müssten die
Partitur selber haben. Allein als ich ihn versicherte, dass
Sie selbe wirklich nicht hätten, sagte er, das sei die Ursache
Ihrer Unstetigkeit und beständigen Herumwanderns , dass
Sie selbe verloren haben.
Nun erkundigt sich Beethoven, ob Schindler die Gräfin gesehn,
und setzt die Unterredung französisch fort.
Beethoven: J'etois bien aim6 d'elle et plus que jamais son
epoux, il 6toit pourtant plutOt son amant, que moi, mais par
eile j'apprenois de son misöre et je trouvais un homme de bleu,
qui me donnoit la somme de 500 Fl. pour le soulager, il 6toit
toujours mon ennemi, c'6toit justement la raison, que je fusse
tout le bien que possible.
Schindler: Darum sagte er mir auch noch: „er ist ein un-
ausstehlicher Mensch", aus lauter Dankbarkeit wahr-
scheinlich. Doch, Herr verzeih' ihnen, denn sie wissen nicht,
was sie thunÜ
1*) mad. la comtcsse?
6tait eile riche?
2 eile a une belle figure jusqu'ici .... est ce quil
y a longtemps, qu'elle est marine avec Mons. de Gallenberg.
*) Die meist undeutlich und unvollständig geschriebenen Notizen lassen
unbestimmt, wer die Fragen nach der Gräfin und ihrem Vermögen (bei I) ge-
than ; die erstere scheint Beethoven, die andre- Schindler zuzuschreiben. Bei 2.
berichtet Schindler. Bei 3. ist die Schrift von „. . . bis moi'* undeutlich. Viel-
leicht sollte gesagt werden: eile ^toit (plutöt) ä moi, que . . . Die Ziffern und
die eingeklammeiten Wörter sind zugesetzt. Zum Qlück kommt auf diese
Kleinigkeiten nicht viel an.
141
Beethoven: Elle (est) n6e Guicciardi, eile ^toit „. . . moi"
3 qu (e r) Epouse de lui avant son voyage de Fltalie — Ai'rivöe
ä Vienne eile cherchoit moi pleurant, mais je la möprisois.
Schindler: Herkules am Scheidewege!
Beethoven: Und wenn ich hätte meine Lebenskraft mit dem
Leben so hingeben wollen, was wäre für das edle, bessere
geblieben?*)
Wir tiberlassen es dem Leser, sich innerhalb dieser ziemlich
abgerissenen und zusammenhanglosen, mehr verwirrenden als auf-
klärenden Wechselreden zurecht zu finden; zu denken geben be-
sonders drei Sätze aus Beethovens Erwideiningen: 1. J'^tois Wen
aim6 d'elle et plus quo jamais son 6poux, il 6tait pourtant plütot
son amant que moi." — 2. „Arriv^e k Vienne eile cherchoit moi
pleurant, mais je la möprisois." Und dazu Schindlers Ausruf:
„Herkules am Scheidewege!" — 3. „Und wenn ich hätte meine
Lebenskraft mit dem Leben so hingeben wollen, was wäre flir
das Edle, Bessere geblieben?" — Aus dem zweiten Satze könnte
man auf eine Schuld Julias schüessen. Aber was hatte sie so
Schweres begangen, dass Beethoven sie bei ihrem Besuche trotz
ihres Weinens geringschätzig behandehi zu dürfen glaubte? In
ihren Thränen lag kein Schuldbekenntniss , diese Thränen waren
Ausdruck ihrer Rührung, als sie nach vielen Jahren in des einstigen
Gehebten an inneren und äusseren Stürmen frühzÄtig gealtertes
Antlitz schaute, Thränen wehmuthvoUen Gedenkens der Vergangen-
heit. Warum aber diese harte Zurückweisung? Etwa weil sie nicht
ehelos geblieben, weil sie Vh Jahre nach der Trennung geheirathet,
weniger aus Herzensdrang als dem eifrigen Werben des hochadUgen
Kavaliers und dem Einfluss ihrer Eltern endlich unterliegend?
Beethoven ist selbst, wie wir sehen werden, noch mehr als einmal
nahe daran gewesen, über die Erinnerung an Julia hinweg sich
ehelich zu verbinden, und dass sie aus ihrem Stande wählte, war
doch das Natürliche. Anders freilich läge die Sache, wenn be-
gründet wäre, was anekdotenhaft in der Familie Brunswick herum-
gegangen sein soll, dass nämlich Julie, schon verlobt mit dem
Grafen Gallenberg, eines Tages zu ihrer Cousine Gräfin Therese
Brunswick gekommen sei und sich dieser schluchzend zu Füssen
geworfen habe: „Rathe Du mir. Du kalte Weise! Ich möchte ja
so überaus gern meinen Verlobten, den Gallenberg, heimschicken
*} Natürlich bncbbtäblich getreue Mittheilong.
142
und den wunderschönen garstigen Beethoven — heirathen — wenn
— wenn ich nur nicht so tief heruntersteigen mtisste!" Wäre
dem so, dann hätte die junge Dame überaus frivoles Doppelspiel
getrieben, gegen das sich Beethovens reines Herz ebenso wie der
Stolz des Genies von Gottes Gnaden empört hätte, und dann wäre
auch nach vielen Jahren noch das Je la m6prisais" am Platze
gewesen. Aber wir möchten die Richtigkeit der Erzählung nicht
verbürgen und wollen eher glauben, dass Beethoven beim Wieder-
erscheinen Julias die alte Herzenswunde wieder schmerzen fühlte
und sich durch schroflfe Haltung gegen dieses Gefühl wehrte. Hat
er doch merkwürdiger Weise auch gegenüber den Freunden der
Cis moU-Sonate stets sich ablehnend verhalten. Er wollte durch
nichts an die einstigen Kämpfe und Leiden erinnert sein. So
scheint auch Schindler das je la m6prisais verstanden zu haben,
und darum setzt er in Ahnung der abgewiesenen Gefahr unmittel-
bar nach diesen Worten bedeutungsvoll hinzu: „Herkules am
Scheidewege."
Endlich Beethovens das Gespräch abschliessende Bemerkung
(No. 3), was bedeutet sie? Nichts Anderes, als dass er ziemlich
am Ende seiner Laufbahn, wo nach des Lebens Mühen und diesem
RiesenschalTen sein Haupt sich mehr und mehr zur Ruhe zu neigen
begann, sich bei gegebenem Anlasse noch einmal bewusst wurde,
dass für ihn die Ehe nur eine Fessel gewesen sein würde, dass
sein hoher Beruf in der Kunst nicht anders zu erreichen gewesen,
als indem sein Seelenleben, in dessen Organismus heikle Familien-
sorgen nur störend hätten eingreifen können, durch Einsamkeit und
Innenleben sich vertiefte.
Im Jahre 1 852 hatte 0. Jahn mit der betagten Gräfin Gallen-
berg eine Unterredung über Beethoven, deren Inhalt Thayer aus
Jahns Notizen veröffentlicht hat. Die einstige Julia Guicciardi
äusserte sich danach über Beethovens Strenge und Heftigkeit als
Lehrer, seine Hässlichkeit, sein edles, feinfühliges und gebildetes
Wesen, endlich über die Dedikation der Cis moU-Sonate.
Mit dem freundlichen Eindruck dieser Schilderung der dank-
baren Schülerin nehmen wir Abschied von dieser Episode, in der
Überzeugung, dass Beethoven an Julia Guicciardi zum ersten Mal
die ganze Macht der Liebe erfahren, dass er entsagt hat, entsagen
müssen, nicht zum Schaden seiner Aufgabe und der Welt. Er ist
aus der Leidenschaft herv^orgegangen als ein Höherer; das beweisen
seine Werke, zunächst die' um die Zeit der Katastrophe geschaffene
143
sieghaft empordringende D dur-Symphonie, die Alles Übertraf, was
in ihrer Gattung bis dahin geschrieben war; das beurkundete er
endlich selbst, als er am Abend seines Lebens, an die Zeit des
Schmerzes wehmüthig zurückdenkend, aber die Grösse seiner
Schöpfungen mit stolzem Selbstbewusstsein empfindend, zu Schindler
sagte : „Und wenn ich hätte meine Lebenskraft mit dem Leben so
hingeben wollen, was wäre für das Edle, Bessere geblieben?" —
Ruhen wir von diesen Stürmen einen Augenblick bei der andern
Sonata quasi ona Failtaaia, Op. 27. No. 1, (C. V. 93)
aus, der in Es dur, gewidmet der Fürstin Liechtenstein, einer Qön-
nenn Beethovens. Die Widmung war ohne Zweifel nur durch äussere
Verpflichtungen veranlasst, nicht durch ein näheres Verhältniss; er
schreibt an die Fürstin 1805 Ries wegen „mit der tiefsten Ehr-
furcht". Man darf daher wohl fragen, ob diese Es dur-Sonate mit
jener als No. 2 bezeichneten in CismoU und mit Julia Guicciardi
zusammenhängt. Jeder äussere Anhalt fehlt. Wozu auch? Saxa
loquunturl die Töne sprechen.
In grosser Ruhe, beschaulich hebt der Gesang des Andante an,
kaum von linden Strömungen des Basses, der aber immer und immer
wieder die Saite sanften Verlangens (die Septime der Dominante)
trifft, angespült. Der Rhythmus
I j J
-•-^
ist sanfter, stets wieder nachdenklich weilender Einherschritt; in
ihm hebt sich auch die Melodie zu jenem Ton der Sehnsucht empor,
wie die beruhigtere Brust im nicht gestillten Begehr des Herzens,
das jüngst so leidenschaftlich pochte, im tiefem stummen Athemzug
schwillt. Das Alles schwebt so still heran! — und eben so still,
nur beredter mit jener Beredtsamkeit herzinnigster Erinnerung,
schwebt über der dunkelnden Tiefe des Daseins die zweite Melodie
vorüber, einen Augenblick wie von mildem Mondesglanz erhellt,
und gleich wieder sich herabbeugend zur ersten. Da, ganz abge-^
rissen, ganz fremd und unvorherzusehn , reisst ein Freudenblitz
hinein; was für Bilder sind aus dem räthsel vollen Hintergrunde des
Qemüths hervorgetaucht? wehen rasch vorüber, haltlose Wallung,
kaum empfunden, um schon dem stillen Sinnen zu weichen.
Aber sie haben erinnert an Unerfüllbares. Und nun wogt
(zweiter Satz, Allegro raolto vivace) die Seele in trüber, heimlich-
144
keitvoller Gährung, kräftig ringend und emporklimmend ^ und im
überreizten Verlangen (die Nene) um- und abermals umschauend,
und abermals bis zur Haltlosigkeit und Verstäubung aufgeregt.
Der dritte Satz (Adagio con espressione, As dur) giesst erhab-
nen Trost in das wunde, müde Herz; — und nun kann (vierter
Satz, Allegro vivace), wenn nicht glücklich, doch gewiss muthvoll
und rüstig und freudig das Leben weitergekämpft werden! Der
Mensch ist nicht da, glücklich zu seio, sondern die Werke zu
wirken, zu denen er berufen. —
In solchem Sinne wendet sich nun Beethoven ganz wieder
seinem Berufe zu, — er hatte ihn oie verlassen, die Liebe selbst
wurde ihm zum Gedichte, während ihre persönlichen Ziele dahin-
fielen, — und richtet seine ganze Lebensweise auf ihn ein. Leben
im Freien, Bewegung, Luft und Wasser, das ist seine leibliche,
Lektüre der Alten und der Dichter, das ist seine geistige Nahrung.
Anhänglichkeit an die Seinen, besonders an die Bonner Jugend-
freunde, das ist ihm Bedürfniss, unermüdlich Schafifen und Arbeiten,
das ist ihm Beruf und einzige Befriedigung. Alle sonstigen Ge-
schäftigkeiten weiset er von sich zurück, sie belästigen ihn. Dem
Leipziger Kapellmeister und Musikhändler Hofmeister, seinem „ge-
liebten Herrn Bruder in der Tonkunst", dem er offenbar wohlwollte,
schreibt er die kürzesten Briefe und giebt ihm unter dem 15. De-
zember 1800 zu lesen: „Ich bin in der Briefstellerei erschrecklich
faul, und da stelit's lange an, bis ich einmal, statt Noten, trockne
Buchstaben schreibe." Dass freundschaftliche Gesinnung zwischen
ihnen obwaltete, nicht blosse Geschäftsverbindung, zeigt der ganze
Briefwechsel, namentlich auch ein etwas späterer Brief Beethovens
an Hofmeister, vom 22. September 1803: „Wie gern wollt' ich
Manches verschenken. Bedenke aber nur, Freund, Alles um mich
her ist angestellt, und weiss sicher, wovon es lebt. Aber, Du lieber
Gott, wo stellt man so ein parvum talentum com ego*) an den
kaiserlichen Hof?" —
So war in der That die Stellung Beethovens bestimmt yorge-
zeichnet. Ohne Amt und Amtseinkommen, ohne sonstige Unter-
stützung, als das Jahrgeld vom Fürsten Lichnowsky, war er auf
Tageserwerb angewiesen; Komposition war ihm nicht blos Beruf
und geistig höchster Genuss: sie war Hauptquell des nöthigen
Erwerbs.
*) Bachfitftblich.
146
Am deutlichsten stellen sich alle Verhältnisse in Briefen an die
Bonner Freunde dar; für sie hat er stets ein Herz, wenngleich er
auch an sie nur selten schreibt. An Wegeier meldet er in dem
bereits erwähnten Briefe vom 29. Juni 1801: „Stoffeln*) will ich
nächstens schreiben und ihm ein wenig den Text lesen über seine
störrige Laune. Er soll mir heilig versprechen, euch in euren
ohnedies trüben Umständen nicht noch mehr zu kränken; auch der
guten Lorchen (Eleonore von Breuning) will ich schreiben. Ich will
ihm die alte Freundschaft recht ins Ohr schreien. Nie hab* ich
Einen unter Euch Lieben Guten vergessen, wenn ich auch gar nichts
von mir hören liess; aber Schreiben, das weisst Du, war nie meine
Sache. Auch die besten Freunde haben Jahre lang keine Briefe
von mir erhalten. Ich lebe nur in meinen Noten, und ist das Eine
kaum da, so ist das Andre schon angefangen« So wie ich jetzt
schreibe, mache ich oft drei, vier Sachen zugleich." üeber den
zweiten Breuning hatte er in demselben Briefe geschrieben: „Steffen
Breuning ist nun hier und wir sind fast täglich zusammen. Es
thut mir so wohl, die alten Gefühle wieder hervorzurufen! Er ist
wirklich ein guter herrlicher Junge, der was weiss und das Herz,
wie wir Alle mehr oder weniger, auf dem rechten Flecke hat. Ich
habe eine sehr schöne Wohnung jetzt, welche auf die Bastei geht,
und für meine Gesundheit doppelten Werth hat. Ich glaube wohl^
ich werde es möglich machen können, dass Breuning zu mir kommt."
— Bis an sein Lebensende dauerte seine treue Freundschaft für
das Haus Breuning. Noch am 7. October 1826 schreibt er an
Wegeier: „Welches Vergnügen mir Dein und Deines Lorchens Brief
verursachte^ vermag icli nicht auszudrücken. Freilich hätte pfeil-
schnell eine Antwort darauf folgen sollen, ich bin aber im Schreiben
überhaupt etwas nachlässig, weil ich denke, dass die bessern
Menschen mich ohnehin kennen. Im Kopfe mache ich öfter die
Antwort, doch wenn ich sie niederschreiben will, werfe ich die
Feder meistens weg, weil ich nicht so zu schreiben im Stande bin,
wie ich flihle. Ich erinnere mich aller Liebe, die Du mir stets be-
wiesen hast, z. B. wie Du mein Zimmer weissen liessest und mich
so angenehm überraschtest. Ebenso von der Familie Breuning.
Kam man von einander, so lag das im Kreislauf der Dinge; jeder
musste den Zweck seiner Bestimmung verfolgen und zu erreichen
*) Es ist Christoph v. Breuning gemeint, der älteste Sohn der HofrSthin
V. Brenning, der Geheimer Revisions* und Kassationsrath in Berlin wurde.
Marx, BeethoFen. I. 10
146
suchen: allein die ewig unerschütterlichen Grundsätze des Quteh
hielten uns dennoch immer fest zusammen verbunden."
Spricht sich in diesen Mittheilungen zunächst Beethovens treue
Anhänglichkeit an die Freunde seiner Jugend aus, so giebt der Brief
von 1 801 auch Auskunft über seine damaligen finanziellen Verhält-
nisse. „Von meiner Lage," schreibt Beethoven, „willst Du* was^
wissen; nun, sie wäre eben so schiecht nicht. Seit vorigem Jahre
hat mir Lichnowsky, der, so unglaublich es Dir auch ist, wenn ich
Dir es sage, immer mein wärmster Freund war und geblieben ist
(kleine Misshelligkeiten gab es ja auch unter uns, und haben sie eben
diese unsere Freundschaft nicht befestigt?), eine sichre Summe von
600 Fl. ausgeworfen, die ich, so lange ich keine für mich passende
Anstellung finde, ziehen kann: meine Kompositionen tragen mir viel
ein, und ich kann sagen, dass ich mehr BesteHungen habe, als fast
möglich ißt, dass ich befriedigen kann. Auch habe ich auf jede
Sache 6, 7 Verleger, und noch mehr, wenn ich mir's angelegen sein
lassen will: man akkordirt nicht mehr mit mir, ich fordere, und man
zahlt." So hatte sich in wenig Jahren (S. 23) das Verhältniss des
Publikums zum Künstler geändert.
Er verdankte dies nicht blos seiner Begabung und Leistung,
sondern auch der Empfänglichkeit der Wiener und der Förderung
seiner Freunde, namentlich der Lichnowsky 's , in deren Kreisen
diese Werke zuerst Darstellung, Verständnis, Enthusiasmus fanden.
Der Wiener hat, wenigstens in musikalischen Dingen, stets diese
warme Empfilnglichkeit bewiesen und ihr vertraut; er hat sich
desshalb eine selbständige Entscheidung bewahrt und dieselbe, war
sie nur erst günstig getroffen, mit wahrem Enthusiasmus geltend
gemacht; wogegen der Norddeutsche, besonders der Berliner, den
Werken der Tonkunst weniger naiv gegenüber steht und vom
kritischen Standpunkte bis zur völligen Hingabe an das Gute
mancherlei Wandlungen durchmacht. Allerdings fragt sich weiter, wie
lange der südliche Enthusiasmus währt. Beethoven sollte es erfahren.
Bei jenen Mittheilungen an W^egeler fühlt man die Genugthuung
durch, mit der der arme Musikantensohn aus Bonn auf seine
Stellung in Wien blickt. Es ist aber nicht hohlköpfige Eitelkeit,
die hier spricht, nicht jene Eitelkeit, die sich in unbedingter Selbst-
gewissheit wiegt, die nicht über sich und die Vorstellung ihres
eingebildeten Werthes hinauskommen kann. Der Bakkalaureus im
Faust „verfolgte froh sein innerliches Licht und wandelt rasch im
oi<rensten Entzücken". Es war vielmehr (h'e Befriediprung an seiner
147
Lage, die er sich selber geschaffen, die Bestätigung seiner Kraft
und Lebenswahl, die ihm Gewähr nach aussen und Bestärkung im
Innern gab. Denn deren von Zeit zu Zeit zu geniessen, ist Be-
ruhigung, Kräftigung, fast dürfte man sagen: BedUrfniss für jeden
Schaffenden.
üebrigens hinkte dem Beifall des Publikums, das Beethoven
wahres KunstgefUhl entgegenbrachte, und der Gunst der Verleger,
die den Werth seiner Kompositionen für ihre Kasse bald mit
richtigem Blicke würdigten, die musikalische Kritik nur langsam
nach, und es bedurfte der Künstler in der That der Stütze wohl-
berechtigten Selbstgefühles, um sich jener Kritik gegenüber ohne
Zagen aufrecht zu erhalt(m und vom eingeschlagenen Wege nicht
abzuweichen. Am 3. Oktober 1798 erschien die erste Nummer der
später so berühmt gewordenen „Allgemeinen musikalischen Zeitung",
unter der Eedaktion von Rochlitz und im Verlage von Breitkopf
und Härtel in Leipzig. Ist es schon auffallend, dass in No. 23
dieses Blattes, im März 1799, wo endlich von Beethoven als Kom-
ponisten Notiz genommen wird, der Recensent nicht eines oder das
andere der 8 Trios oder eine der 10 Sonaten, oder das Quintett
oder die Serenade, welche damals unter den Opuszahlen 1 — 11 bereits
erschienen waren, dem Leser vorführt, sondern so kleine Stücke wie
die 12 Variationen über „ein Mädchen oder Weibchen" und die 8
Variationen über „Mich brennt ein heisses Fieber", so ist die Art
ihrer Besprechung wahrhaft ergötzlich. „Dass der Herr van Beet-
hoven," heisst es in dem von Thayer, Bd. II seiner Biographie
mitgetheilten Musterstück von Recension, „ein sehr fertiger Klavier-
spieler ist, ist bekannt, und wenn es ni3ht bekannt wäre, so könnte
man es aus diesen Veränderungen vermuthen. Ob er ein ebenso
glücklicher Tonsetzer, ist eine Frage, die, nach vorliegenden
Proben zu urtheilen, schwerer bejaht werden dürfte. Recensent
will damit nicht sagen, dass ihm nicht einige dieser Veränderungen
gefallen haben sollten, und er gesteht es gern, dass die über das
Thema: ,Mich brennt ein heisses Fieber', Herrn Beethoven besser
gerathen sind als Mozarten, der dasselbe Thema in seiner früheren
Jugend gleichfalls bearbeitet hat. Aber weniger glücklich ist der
Herr Beethoven in den Veränderungen über das erste Thema, wo
er sich z. B. in der Modulation Rückungen und Härten erlaubt, die
nichts weniger als schön sind. Man sehe besonders die Var. 12,
wo er in gebrochenen Akkorden von Fdur nach Ddur modulirt, und
wo er dann auf einmal, nachdem das Thema in dieser Tonart gehört
10*
U8
worden ist, wieder ins P zurückfällt. Ich mag dergleichen üeber-
gänge ansehen und anhören wie ich will, sie sind und bleiben platt,
und sind und bleiben es desto mehr, je prätensionirter und ankün-
digender sie sein sollen. Ueberhaupt werden jetzt eine so ungeheure
Menge von Variationen läbrizirt und leider auch gedruckt, ohne
dass wirklich gar viele Verfasser dei-selben zu wissen scheinen, was
es mit dem guten Variiren eigentlich für eine Bewandtniss hat."
In späteren Nummern der Zeitung werden allerdings auch be-
deutendere Kompositionen Beethovens der Beachtung gewürdigt.
Über die verschrobene, halb unverständige, halb kleinliche Weise
aber, in der dies geschielit. und über Beethovens ebenso beschei-
denes wie männliches Verhalten gegenüber dieser Behandlung,
wird w^eiter unten ausfllhrlicher berichtet werden.
Wie er geschäftliche Dinge behandelte, ist genügend aus zwei
Briefen an Hofmeister zu sehn, in denen zugleich die Unkenntniss
ökonomischer Verhältnisse und der Widerwille des Künstlers gegen
ihre Behandlung durchblickt. Unter dem 1 5. December 1 800 schreibt
er jenem, der ihn um Verlagsartikel gebeten: .... „Bei Ihrer
Antwort können Sie mir selbst auch Preise festsetzen, und da Sie
weder Jude noch Italiener, und ich auch keins von Beiden bin, so
werden wir schon zusammenkommen." Dann bestimmt er unter
dem 15. Januar 1801 (wahrscheinhch hat Hofmeister nicht bieten
wollen) den Preis des Septuor, der ersten Symphonie und einer
grossen Solo-Sonate in vier Sätzen (es ist die aus Bdur, Op. 22)
auf 20 Dukaten für jedes Werk, das Honorar für das erste Konzert
auf 10 Dukaten. „Ich verstehe mich (fährt er dann fort) auf kein
anderes Geld, als Wiener Dukaten: wieviel das bei Ihnen Thaler
in Golde macht, das geht mich nichts an, weil ich wirklich ein
schlechter Negoziant und Rechner bin. Nun wäre das saure Ge-
schäft vollendet. Ich nenne das so, weil ich wünschte, dass es
anders in der Welt sein könnte. Es sollte ein Magazin der Kunst
existiren, wo der Künstler seine Kunstwerke nur hinzugeben hätte,
um zu nehmen, was er brauchte. So muss man noch ein halber
Handelsmann dabei sein, und wie findet man sich darin! du Ueber
Gott! das nenn' ich noch einmal sauer!"
Die Hauptsache war immer das Schaö'en. Und hier Hess es
Beethoven an nichts fehlen.
Man muss nur nicht seine Werke nach dcT Zahl derselben mit
denen Bachs und Händeis oder auch seiner nächsten Vorgänger ver-
gleichen. Jene Alten hatten einen stets sichern Anhalt am gegebnen
149
Wort und den bestimmten Ansprüchen und Formen des Kirchen-
dienstes, der namentlich Bach die grössere Reihe von Aufgaben
stellte ; auch war ihr Orchester nicht so tief und vielgestaltig vom
Geiste durchdrungen, wie das Beethovens und seiner Vorgänger.
Diese wiederum hatten für ihre Instrumentalmusik meist ein ein-
facheres Ziel, mithin einfachere Arbeit. Beethoven dagegen, haupt-
sächlich mit Instrumentalmusik beschäftigt, ohne äussern Anhalt,
weit über das Ziel seiner Vorgänger hinausdringend und seiner In-
strumentalmusik einen ganz neuen und tiefen Charakter verleihend,
dazu mannigfaltigerer, reicher ausgeführter Formen und Orchestra-
tion bedürfend, mussto fUr jedes solche Werk weit mehr Zeit und
Geisteskraft aufwenden. Dazu kam eine grosse Gewissenhaftigkeit,
die sich nirgends genugthat, bei jedem Gedanken immer tiefer ein-
zudringen nöthigte (was ohnehin in seiner Natur und Bestimmung
lag) und bei so vielen Werken auch nicht eine einzige Nachlässig-
keit gestattet, sondern jedes seiner Bestimmung gemäss hat voll-
enden lassen.
Sodann muss man nicht bei den Werken stehen bleiben, die,
als solche bezeichnet, herausgekommen sind. Man muss die Kom-
positionen zuzählen, die nicht unter Opuszahlen, sondern numerirt
oder auch ohne Nummern herausgekommen sind.
Eine besondere Reihe von Arbeiten ist bei dieser Rechnung in
Erwägung zu ziehen; wohl möglich, dass nicht alles in dieselbe
Gehörige bekannt und unter die Werke gesetzt ist: die Arrange-
ments eigner Werke für andre Instrumente, von Beethoven selbst
verfertigt, die hier ein für allemal in Betracht gezogen werden. Der
Katalog*) ergiebt Folgendes:
Das Crooll-Trio Op 1 ist zum Quintett für zwei Violinen, zwei
Bratschen und Violoncell 1817 umgearbeitet und als Op: 104
herausgegeben 1819 (chron. Verz. 36).
Das Trio Op. 3 von 1797 ist als Sonate für Piano und
Violoncell als Op. 64 erschienen 1807 (chron. Verz. 21).
*) Nach Ries* Angabe hat Beethoven selber nar
1. Das Septuor als Violinqaintett,
2. dasselbe als Klaviertrio, als Op. 3S erschienen,
3. das Qaintett Op. 16 als Klavierqaartett,
4. das Violinkonzert Op. 61 als Klavierkonzert eingerichtet. Zahlreiche andre
Sachen hat Ries eingerichtet, Beethoven nur darchgesehen and, wie Ries be-
richtet, Bruder Kaspar Karl (von dem wir noch mehr hören werden) anter
Beethovens Namen verkauft.
150
Das Streich-Quintett Op. 4 ist eine Umarbeitung des erst
nach Beethovens Tode als Op. 103 1834 erschienenen Oktetts flir
Blasinstrumente und erschien 1797 (chron. Verz. 30 u. 46).
Dasselbe Quintett ist als Sonate ftir Piano, Violin und Yiolon-
cell als Op. 63 herausgegeben 1807.
Die Serenade Op. 8 ist als Notturno für Piano und Bratsche
als Op. 42 herausgegeben 1804 (chron. Verz. 81).
Das Quintett Op. 16 ist als Quatuor flir Piano, Violin, Bratsche
und Violoncell eingerichtet 1810oder 1811 erschienen (chron. Verz. 61).
Das Septuor Op. 20 ist als Trio flir Piano, Klarinette „oder"
Violin und Violoncell als Op. 38 erschienen 1805 (chron. Verz. 80);
vorher schon als Streichquartett 1802?
Die D dur-Syroplionie Op. 36 ist als Trio flir Piano, Violin
und Violoncell, wohl von Ries eingerichtet und von Beethoven
durchgesehen, 1807 erschienen.
Von dem grossen Ballet Prometlieus Op. 43 ist ein Kavier-
auszug erschienen 1801.
Das eigentlich Bemerkenswerthe ist, wie schon oben gesagt,
dass Beethoven, der bei seiner Instrumentation so speciflsch genaue
Farben zu wählen gewohnt war, sich zu Einrichtungen seiner eignen
Werke flir andre Instrumente herbeigelassen; weniger auffallend
wäre es gewesen, hätte er fremde Werke eingerichtet. Allein er
hatte sich einmal flir dieses Zugeständniss entschieden, — „das
Uebersetzen ist eine Sache, wogegen sich heut zu Tage ein Autor
vergeblich sträuben würde," schreibt er am 30. Oktober 1802 in
der Wiener Zeitung, in einer „Nachricht" an das Publikum —
belobt auch gelegentlich Hotmeister*) um die Herausgabe Mozartscher
Arrangements.
*) „Die UebersetzuDg (schreibt er ihm am 22. April 1801) der Mozartschen
Sonaten in Quartette wird Ihnen Ehre machen und auch gewiss einträglich sein.
Ich wünschte selbst hier bei solchen Gelegenheiten mehr beitragen zu kOnnen,
aber ich bin ein nnordentlicher Mensch und vergesse bei dem besten Willen
Alles .... Recht hübsch wäre es, wenn der Herr Bruder auch nebst dem,
dass Sie das Sextett so herausgftben, dasselbe auch für Flöte, z. B. als Quintett
arrangirten. Dadurch würde den Flötenliebhabern, die mich schon darum an-
gegangen, geholfen, und sie wurden daran wie die Insekten herumschwftrmen
und davon speisen." — Mozartsche Sonaten und Quartettsatz! wie weit von
einander entlegen! Aber das vergass er; Musik, Musik sollte vor Allem gemacht
werden, viel, für Alle; Allen sollte dargeboten werden, auch den Flöten- Insekten.
Das war der nftchste wohlwollende Gedanke; weder die höhern Rechte der
Kunst, noch eigner V ortheil sprach hier mit, nur das wohlwollende Vergnügen,
Allen zu spenden.
151
Zu diesen Arbeiten muss man, um Beethovens Tagewerk rich-
tig zu würdigen, ausser dem Zeitaufwande für Konzerte und Privat-
musik (dem er sich nicht entziehen konnte) die eben so unvermeid-
liche Unterrichtslast rechnen. Dass er von Jugend auf nur höchst
ungern unterrichtete, wissen wir. Demungeachtet nahm er solche
Verpflichtungen, wenigstens in der Wiener Periode, sehr gewissen-
haft, wenngleich er oft, in Arbeiten höherer Ordnung vertieft, die
Schüler ferngehalten haben mag.
Beides hat Ferdinand Ries an sich erfahren, der Sohn jenes
Bonner ersten Violinisten, von dem S. 11 die ßcde gewesen. Ries
kam, siebzehn Jahre alt, im Jahr 1801, wie Thayer tiberzeugend
nachweist, nach Wien, als der ,, Christus'' seiner Vollendung nahte.
Er überreichte einen Empfeliliingsbrief seines Vaters, der sich der
Mutter in ihrer letzten Krankheit hülfreich erwiesen hatte. Beet-
hoven sagte dem jungen Ankömmling: „Ich kann Ihrem Vater
jetzt nicht antworten; aber schreiben Sie ihm, ich hUtte nicht ver-
gessen, wie meine Mutter starb. Damit wird er schon zufrieden
sein." Und er hielt Wort. Er unterrichtete den ihm Anvertrauten
auf das Sorgfältigste, liess ihn Sätze oft zehnmal wiederholen, bis
er zufrieden sein konnte; die letzte Variation Op. 34 musste Ries
siebzehnmal fast ganz vollständig vortragen. Allerdings überliess
er den Schüler bei dringlichen Arbeiten sich selber, ohne sonderlich
nach ihm hinzuhören, daftir verlängerte er die Lehrstunden, wenn
es nöthig schien, auf das Doppelte der Dauer. In diesen Lektionen
erwies denn auch die vorzugsweise dem Geistigen zugewandte Rich-
tung Beethovens ihren Einfluss. Gegen Fehler der Technik oder
Bravour war er nachsichtig, gegen Fehler im Ausdruck leicht auf-
gebracht; jenes, meinte er, sei Zufall, dies Mangel an Kenntniss,
Gefühl, Achtsamkeit Was die musikalische Pädagogik hierzu sagt,
kann unbeachtet bleiben; der Charakter Beethovens spricht sich
darin aus. Er selber „pudelte oft, sogar öffentlich," erzählt Ries,
der übrigens das Glück gehabt hat, sich seinem Meister in dessen
letzten schweren Jahren dankbar erweisen zu können.
Ebenso gewissenhaft hat es Beethoven mit dem Unterricht
des Erzherzogs Rudolf genommen Wie schwer gleichwohl die Last
dieses Unterrichts auf ihn drückte, haben wir bereits S. 130 von
ihm selber vernommen. Der vornehme Dilettant wollte auch kom-
poniren (es sind von ihm grosse Variationen über ein Beethovensches
Thema von 4 Takten erschienen), nicht blos spielen. Seinem Talent
und den auftauchenden Stimmungen, wie sie auch gewesen sein
152
mögen, traten die erzherzöglichen und klerikalen Geschäftigkeiten,
dieHofverhältnisse mit ihren Courtagen, Aufwartungen und sonstigen
Ansprüchen, kurz dieses ganze zerstreuende, innerlich leere, von
innen heraus erkältende, aller Stille, Sammlung, aller Erhebung
zum|Ideal widerstrebende Leben in den Weg. War endlich eine
Zwischenzeit der Müsse und Stille erhascht, so musste der verdrei-
fachte Beistand Beethovens ersetzen und ergänzen, was gefehlt,
oder in diesem Lebensgetümmel verloren gegangen war. Das zehrte
dann wieder an Beethoven, raubte ihm Stille und Sammlung des
Gemüths und Stimmung, die Bedingungen künstlerischen Schafifens.
Denn der Künstler kann nicht in beliebigen Stunden werkeln; er
muss in sich ruhen, dass das neue Leben keime und gesund wachse,
nicht verkomme, nicht im Gedränge hastig hervorgetrieben werde.
— Zum Glück für Beethoven und uns waren das nur leidige Aus-
nahmszeiten.
Besonders zum Glück flir ihn. Er für sein tief-innerlich Werk
bedurfte vor Andern der Stille und freier Zeit und des Lebens im
Freien; er brachte daher vor Allem die gute Jahreszeit vom Früh-
jahr bis zum Spätherbst auf dem Lande zu. Ueber seine Lebens-
einrichtung giebt sein trotz aller Irrthümer, die ihm begegnet sind,
verdienstvoller Biograph Schindler befriedigende Auskunft, der nur
wenig aus andern Quellen zuzusetzen ist.
Beethoven pflegte im Winter und Sommer mit Tagesanbruch
aufzustehen und sogleich an den Schreibtisch zu gehn. Von da
arbeitete er bis zwei oder drei Uhr, der Zeit seines Mittagstisches,
nur dass er dazwischen frühstückte, auch ein- oder zweimal auf eine
halbe oder ganze Stunde ins Freie lief, um innerlich weiter zu ar-
beiten. Diese plötzlichen Ausflüge wurden weder durch Kälte noch
Wärme, weder durch Regen noch Sonnenschein gehindert; daher
kam er jeden Herbst sonnverbrannt wie ein Winzer vom Lande zur
Stadt zurück. Gleich nach Tische machte er, wenn er sich in Wien
aufhielt, seine gewöhnliche „Promenade" einige Mal rund um die
Stadt herum, gleichviel, ob Regen oder Schnee, Kälte oder Hitze
sich entgegenstellten. Nachmittags arbeitete er niemals, Abends
nur sehr selten. Nicht einmal mit Korrekturen wollt' er dann noch
belästigt sein, die ihm ohnehin die peinlichste Arbeit waren. Lieber
schrieb er Noten ab. Am meisten liebte er, zur Zeit der Abend-
dämmerung am Flügel zu fantasiren, oder auch Violine oder Bratsche
zu spielen; beide Instrumente mussten deshalb immer auf dem
Flügel bereit liegen. Spätestens um zehn Uhr begab er sich zur Ruhe.
153
Im Sommer, auf dem Lande, schwärmte er tagelang umber,
auch Nachts bei Mondenschein, am liebsten in Wäldern und rauhen
Gegenden; einer seiner Lieblingsaufenthalte war die Brühl, eine
Oegend von erhabenem Charakter. Bei diesem Umherschweifen
kamen ihm dann die Gedanken zu seinen Schöpfungen, oder wurden
von ihm weiter ausgebildet. Daher hatte er sich gewöhnt, Notiz-
bücher bei sich zu führen, in denen er, was ihm kam, aufzeichnete.
Währenddessen vergass er, besonders in den spätem Jahren, wo
er mehr in sich gekehrt als in der Aussenwelt lebte, zum grossen
Verdruss seiner Haushälterin nur zu oft, zur Mahlzeit heünzu-
kehren, speiste dann, wenn er endlich inne ward, dass die Zeit
verpasst sei, im ersten besten Gasthause, wohl gar vergessend,
dass daheim geladene Freunde seiner und des Mahles warteten.
Oft, wenn er sich, um zu notiren, niedergelassen, — einer dieser
Poetensitze, auf dem er über das Oratorium Christus und Leonore
gesonnen, ist von Schindler bezeichnet: es ist im Walddickicht des
Schönbrunner Hofgartens auf der Anhöhe eine Eiche, die sich zwei
Fuss über der Erde in zwei Hauptäste theilt, — springt er auf
und eilt weiter, ohne gewahr zu werden, dass er seinen Hut hat
liegen lassen. Denn er lebt niu* in seinen Werken.
Ganz bestimmt weiset Ries die Frucht eines solchen Ausflugs
nach. „Bei einem Spaziergang (erzählt er), auf dem wir uns so
verirrten, dass wir erst um acht Uhr nach Döbling, wo Beethoven
wohnte, zurückkamen, hatte er den ganzen Weg über flir sich ge-
brummt oder theilweise geheult, immer herauf oder herunter, ohne
bestimmte Noten zu singen. Auf meine Frage, was es sei, sagte
er: da ist mir ein Thema zum letzten AUegro der Sonate einge-
fallen. Als wir in*s Zimmer traten, lief er, ohne den Hut abzu-
nehmen, an's Klavier. Ich setzte mich in eine Ecke, und er hatte
mich bald vergessen. Nun tobte er wenigstens eine Stunde lang
Ober das neue, so schön dastehende Finale. Es war das der
Sonate Op. 57."
Mag uns hier, wo wir der Persönlichkeit des Künstlers so
nahe getreten sind, Schindler auch noch Einzelheiten zur Aus-
stattung des Anblicks liefern.
Baden und Waschen im kalten Wasser gehörte zu den nächsten
Bedürfnissen. Ging er während der Arbeit nicht aus, um sich
wieder zu sammeln, so stellte er sich, nicht selten im tiefsten
Neglig6, an das Waschbecken, goss einen Krug Wasser nach dem
andern auf die Hände, „brummte oder heulte" abwechselnd dabei
154
(denn singen konnte er nicht) oline zu merken, dass er bereits wie
eine Ente im Wasser stehe, durchschritt dann wieder mit furchtbar
rollenden Augen oder ganz stierem Blick und doch scheinbar ge-
dankenlosem Gesichte (in welchem sein Bart öfters eine ab-
schreckende Länge erreicht hatte) einigemal das Zimmer, trat dann
und wann an den Schreibtisch, um Notirungen zu machen, und
trieb dann das Waschen und Heulen wieder weiter. So lächerlich
solche Scenen immer waren, so durfte es doch niemand merken
lassen, noch weniger ihn in dieser nassen Begeisterung stören,
denn es waren dies Momente, oder richtiger. Stunden der tiefsten
Meditation."
Auch als Getränk war ihm frisches, klares Brunnenwasser un-
entbehrlich; er trank es oft unmässig vom Morgen bis zum Abend.
Nächstdem gehörte der Kaffee flir das Frühstück zu seinen di ingend-
sten Bedürfnissen. Er bereitete ihn häufig selber und verfuhr dabei
mit wunderlicher Gemessenheit. Das übliche blecherne Mass schien
ihm zu ungenau; er zählte flir jede Tasse, besonders wenn er
Gäste hatte, 60 Bohnen selbst ab, mit einer Genauigkeit, wie bei
keinem andern Geschälte. Bei Tische war er weniger wählig, am
Abendtische sehr leicht zufriedengestellt; ein Tellex- Suppe, ein
Rest vom Mittag genügten. Von allen Weinen war ihm Ofener
Gebirgswein der zusagendste. Unglücklicherweise war er aber kein
Weinkenner; ihm mundeten gerade die verfälschten Weine am
besten. Sie richteten dann in seinem ohnehin geschwächten Unter-
leibe viel Unheil an, und dagegen half kein Warnen, weil er nicht
zu unterscheiden wusste. Auch ein gutes Glas Bier und die Tabaks-
pfeife wurden nicht verschmäht; dabei nun durften aber die poli-
tischen Zeitungen nicht fehlen, besonders die Augsburger Allge-
meine, die ihm überhaupt viel Zeit wegnahm.
Diese Genüsse führten ihn, auch noch in den letzten Jahren,
in Gasthöfe und Kaffeehäuser, deren er stets ein bestimmtes wählte,
und zwar ein solclies, das einen hintern Ausgang hatte. Hier konnte
man ihn am leichtesten sehn, wiewohl er sich da mit Fremden nur
höchst selten in eine kurze Unterhaltung einüess. Sobald das letzte
Zeitungsblatt durchlaufen war, zog er sich eiligst durch die Hinter-
thür zurück.
166
Das Verhängniss.
In dieses harmlose, nur der Kunst geweihte Leben schlich
sich gespensterhaft, unmerklich aus dem Dunkel hervortretend und
unabwehrbar ein Geschick, das für den Musiker das schrecklichste,
ja vernichtend erachtet werden müsste, auch für jeden andern
Musiker es gewesen wäre. Wir haben dieses Geschickes vorgreifend
schon erwähnen müssen.
Beethovens Gehör schwand.
Der Nerv, der dem Musiker natürlicher Lebensquell ftlr seine
Kunst und eingeborner Richter bei seinen Arbeiten ist, der ver-
trocknete. Wahrscheinlich begann diese Krankheit schon Ende
der neunziger Jahre.
Die erste Kunde davon giebt Beethoven selbst in seinem Brief
an Wegeier vom 29. Juni 1801 „Nur hat der neidische
Dämon, meine Gesundheit, mir einen schlechten Stein in's Beet
geworfen: mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer ge-
worden Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu.
Seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weil mir nicht
mögUch ist, den Leuten zu sagen: ich bin taub. Hätte ich irgend
ein anderes Fach, so ging's noch eher; aber in meinem Fach ist
das ein schrecklicher Zustand; dabei meine Feinde, deren Zahl nicht
gering ist, — was würden diese dazu sagen ! Um Dir einen Begriff
von dieser wunderbaren Taubheit zu geben, so sage ich Dir, dass
ich mich im Theater ganz dicht am Orchester anlehnen muss, um
den Schauspieler zu verstehen. Die hohen Töne von Instrumenten,
Singstimmen, wenn ich etwas weit weg bin, höre ich nicht; im
Sprechen ist es zu verwundern, dass es Leute giebt, die es niemals
merkten; da ich meine Zerstreuungen hatte, so hält man es daftir.
. . . . Ich habe oft schon — mein Dasein verflucht; Plutarch hat
mich zu der Resignation geführt. Ich will, wenn's anders möglich
ist, meinem Schicksal trotzen, obschon es Augenblicke meines Lebens
geben wird, wo ich das unglücklichste Geschöpf Gottes sein werde."
Und dann bittet er, von diesem seinem Zustande Niemand
etwas zu sagen.
In jenem andern Briefe vom 16. November 1801, in dem er
so glückvoU von seiner Liebe spricht, stellt sich das Unglück dicht
156
neben jenes heitere Bild. „Du kannst es kaum glauben, wie öde,
wie traurig ich mein lieben seit zwei Jahren zugebracht; wie ein
Gespenst ist mir mein schwaches Gehör überall erschienen, und ich
floh die Menschen, musste Misanthrop erscheinen, und bin's doch
so wenig .... Glaub' nicht, dass ich bei Euch glücklich sein
würde. Selbst Eure Sorgfalt würde mir wehe thun, ich würde
jeden Augenblick das Mitleiden auf Euren Gesichtern lesen und
würde mich nur noch imglücklicher fühlen. — Jene schönen vater-
ländischen Gegenden, was war mir in ihnen beschieden? Nichts als
die Hoffnung auf einen bessern Zustand ; er wäre mir geworden —
ohne dieses Übell die Welt wollte ich umspannen, von diesem
frei Wäre mein Gehör nicht, ich wäre nun schon lange die
halbe Welt durchreiset, und das muss ich. Nur halbe Befreiung
von meinem Übel, und dann — als vollendeter reifer Mann komme
ich zu Euch, erneuere die alten Freundschaftsgefühle. So glücklich,
als es mir hienieden beschieden ist, sollt Ihr mich sehen, nicht un-
glücklich; nein, das könnte ich nicht ertragen. Ich will dem
Schicksal in den Rachen greifen; ganz niederbeugen soll es
mich gewiss nicht.*)"
*) Das sogenannte Fischhof fische Manuskript — eine zum Theil werth-
voUe und glaubwürdige, im Jahre 1827 ats Grundlage einer authentischen Bio-
graphie veranstaltete, jetzt auf der Kgl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrte
Sammlung von Copien na^h Notizen und Urkunden, die sich in Beethovens
Nachlass fanden — erzählt, im Sommer 1796 sei Beethoven einst ganz erhitzt
nach Hause gekommen, habe Thür und Fenster aufgerissen, den Rock abge-
worfen und sich so der Zugluft ausgesetzt. Dies habe eine Krankheit zur Folge
gehabt, deren Stoff sich auf die Oehörnerven geworfen und den Grund zur
Taubheit gelegt. Ob diese Mittheilung gegründet sei, kann nach so langer Zeit
schwerlich ermittelt werden; sie giebt sich selbst nicht als zuverlfissig, sondern
als blosse Muthmassuug; denn es wird eine zweite Vermuthung zugefügt: Die
allzugrosse Reizbarkeit (Anreiz ung) des Gehörs könne, wie bei Naumann, die
Taubheit zur Folge gehabt haben.
Ferner wird erzählt, es sei am St. Stephan ein Geistlicher in der Heilung
von Gehörleiden sehr glücklich gewesen und Zmeskall habe Beethoven dafür
gewonnen, sich der Behandlung zu unterziehen; baid aber sei es Beethoven
überdrüssig geworden, täglich zu dem Priester zu gehn und sich den nöthigen
Einträufelungen zu unterwerfen, ohne günstige Folgen wahrzunehmen. So sei
denn die Behandlung abgebrochen worden.
Auch hier ist aus solcher Zeitfeme nicht zu beurthcilen, ob die Behand-
lung (durch einen Geistlichen!) Zutrauen verdient und Beethoven aus einer
bei seinen dringlichen Arbeiten begreiflichen Ungeduld gefehlt hat, oder nicht.
Jedenfalls ändern alle diese Vorgänge nichts an dem Furchtbaren seines
167
Wie dies tapfere Gemüth gekämpft hat gegen ein flir jeden
Menschen entsetzliches, flir den Musiker, den Ohrraenschen,
unfassbares Geschick, wie bald da, bald dort ihm ärztliche Hülle
geboten wird, wie jede Hoffnung, eine nach der andern, unter dem
Hauche des leise heranschleichenden Elends welkt, wie er von der
Hoffnung zu neuen, ihn beschämenden Enthüllungen der Wahrheit,
von Ermannung zur Verzweiflung schwankt und dennoch, seinem
Vorsatze treu, nur Schritt für Schritt weicht, nur das unvernaeidlicb
Verlorne oder Versagte aufgiebt: das muss Jeden, der von den
Prüfungen der Menschenkraft und von dem gewöhnlichen Mass
dieser Kraft eine richtige Vorstellung hat, mit Bewunderung und
Ehrfurcht erfüllen.
Zunächst veracheucht ihn die Scham, in seinem Berufe gleich-
sam verneint zu sein, — ein Geftlhl, das sich nicht wegphilosophiren
Hess, — aus der Gesellschaft, verzichtet er auf das Wiodersehn
der lieben Heimath und der Freunde seiner Jugend, muss er den
Kunstreisen entsagen, die für Ruf und Lage des Musikers so wichtig
sind. Ob nicht diese Hemmung ihn einige Zeit von dem Gedanken
an Opernkomposition fern gehalten, wer kann das wissen? Wie will
auch ein Taubgewordener, abgeschlossen vom Verkehr mit Mensehen
und von der Beobachtung des Singpersonals, Opern in Scene setzen?
Beethoven selbst, als viel später der General-Intendant der Berliner
Theater, Graf Brühl, ihn einladet, eine Oper ßir Berlin zu schreiben,
vorlangt, nach Berlin berufen zu weinlen, um sich besser nach den
dortigen Singkräften zu richten; er hatte über der Zuträglichkeit
der Sache das unüberwindliche Hinderniss vergessen.
Selbst den harmlosen Naturgenuss vergiftet das hämische
Schicksal. Im Jahre 1802 war's: da erging sich Beethoven im Geleit
seines jungen Schülers Ries in der anmuthigen Flur bei Wien, Beiden
die Seele ganz offen und erhellt vom milden Einfluss der Natur.
Ries, in jugendlicher Unüberlegtheit, macht den geliebten Meister
aufmerksam, wie artig der Hirtenknabe dort auf der selbstge-
schnitzten Pfeife von Fliederholz in die Wiesen und Büsche hinein-
flöte, als müsse die Natur selber ihr Liedlein dazu geben. Beethoven
lauscht und lauscht immer gespannter wohl eine halbe Stunde lang,
Schicksals, und die Folgen so kleiner Fehltritte — * wenn sie überhaupt statt-
gefanden — stehen so ganz ausser Yerhftltniss mit letztern, dass diese gar
nicht ia Rechnung kommea dürfen. Die GrOsse des Unglaeks besteht ganz
UAveraiiiidert fort.
158
ohne etwas zu vernehmen. Umsonst ist es, dass Ries, der seinen
Fehlgriff gewahr wird, ihn versichert, er höre auch längst nichts
mehr, der Knabe müsse aufgehört haben; Beethoven wird in sich
gekehrt, „ausserordentlich still und finster." Trüb und bang ist
der Rückweg in die einsame Wohnung.
Dann lösen sich, einer nach dem andern, die Fäden, die Menschen
gesellig an einander knüpfen. Mit Tauben ist schwer verkehren,
weil man sich ihnen schwer verständlich macht. *) Sie aber lauschen
*) Eine eigenthümliche Folge hatte später dieae Erschwerang des mündlichen
Verkehrs: Beethoven legte aKonversationsbefte* an, in denen die mit ihm
Unterhandelnden ihre Fragen und Begehren schriftlich eintrugen, bisweilen —
aber sehr selten — auch er die Aatworten. Diese letzteren sind eben so viel
von Beethoven selber herrührende Urkunden. Aber auch die nicht von ihm
schriftlich beantworteten Anfragen oder Vorträge lassen Öfter anf den Inhalt
der Unterredung und Beethovens Meinung schliessen, so dass diese Konver-
sationshefte allerdings eine Quelle für die Biographie Beethovens sind. Solcher
Hefte (Oktavformat) finden sich 136 mehr oder weniger starke im Besitze der
Berliaer Bibliothek, aus den Jahren von 1819 bis 1827. Sie sollen 1810 oder 1812
begonnen, die früheren aber verloren sein. Leider ist das vorherrschend ver-
wandte Schreibmaterial weicher Bleistift auf sehr grobem Papier, so dass ein
Theil der Schrift schon jetzt bis zur Unken atliehkeit oder doch Zweifelhaftigkeit
verwischt ist; einige Sätze von Beethovens Hand sind mit Bleistift geschrieben,
aber mit Tinte überzogen.
Der Inhalt folgt natürlich ohne alle Fachgliederung dem ganz zufälligen
Verlaufe der Anfragen und Ansprachen, bisweilen im launigsten Spiel des
Wirrsais, das wir Leben nennen. So findet sich in einem Hefte des Jahres
1819 auf der einen Seite, man weiss nicht, aus welchem Anlass geschrieben,
eine Notirung aus der Messe:
m
^ U. rt. W. U. 8. W.
fe rg?rit Pt^ lgfeE^i--iJ!^a^
er vitam venturam a et de (posuit)
und auf der gegenüberstehenden Seite vorher:
„Sie bekamen
1 Bouth a fl 2
Die kleine V»
Brod 4
Kälbernes 30
....(?) 30
Zitronen 36
Austern 4 48
9 — 28,-
als hätte ein naturphilosophischer Puck die Ursachen mit der Wirkung in
Bilanz gestellt. Schlimmer ist, dass fast überall die Namen der Schreiber
169
gespannt und bleiben dennoch unsicher des Vernommenen, missver-
stehn, werden irre an dem, was vor ihren Augen verhandelt wird,
irr' am Sinn' und der Gesinnung. Der Argwohn schleicht sich ein
in das vorher so arglose Gemüth und nistet fest, von mnen es ver-
finsternd; Argwohn, Misstrauen, Reizbarkeit, jähzornig Aufwallen
sind das Geleit der Taubheit. „Sie glauben nicht," schreibt Beet-
hovens treuer Freund, Stephan von Breuning, am 13. November 1804
an Wegeier, „welchen unbeschreiblichen Eindruck die Abnahme
seines Gehörs auf Beethoven gemacht hat. Denken Sie sich das
Gefühl, unglücküch zu sein, bei seinem heftigen Charakter; dabei
Verschlossenheit, Misstrauen oft gegen seine besten Freunde, in
vielen Dingen Unentschlossenheit. Grösstentheils, nur mit wenig
Ausnahmen, wo sich sein ursprünglich Gefühl ganz frei äussert,
ist der Umgang mit ihm eine wirkliche Anstrengung, da man sich
nie sich selbst überlassen kann."
Hier also sehen wir den Quell, aus dem so viel Unruhe, Miss-
kennung, verletzende Uebereilung und Reue und Schmerz in ein
von Grund aus offnes und wohlwollendes Herz fliessen sollten.
Aeusserlich frei, ging Beethoven innerlich gefangen in der für ilm
stummgewordenen Welt einher, in der er, künstlerisch in sich ge-
kehlt, ohnehin fremd geblieben war. Seine Arglosigkeit selbst trug
neuen Stoff in dies streitvolle Dasein; denn sie machte ilm leicht-
gläubig, dem vertrauend, der gerade zu ihm sprach. Seine er-
probtesten Freunde — klagen unverdächtige Zeugen - können durch
Unbeglaubigte, Unbekannte bei ihm verläumdet werden. Dem
Beargwöhnten macht er dann keinen Vorwurf, verlangt er keine
Erklärung ab, aber er zeigt ihm auf der Stelle die tiefste ^^erachtung.
Der wusste nun gar nicht, woran er mit ihm war, bis die Sache,
meistens zufällig, sich aufklärte. Dann freilich suchte Beethoven
sein Unrecht so schnell als möglich wieder gut zu machen und war
unerachöpflich in Reue und Vei-söhnung des Verletzten. So lange
dieser Argwohn, den man geradezu Gehörkrankheit nennen möchte,
sich nicht eir.mischte, war er seinen Freunden unerschütterlich treu;
sie konnten in allen Bedrängnissen auf seine Theilnahme, so-
weit er zu helfen vermochte, auf seine thätige Hülfe unbe-
dingt rechnen.
Ihm selber kehrte in so tiefer Bektimmerniss der Gedanke an
fehlen, wo nicht etwa Schindlers woblthfttige Hand sie zugesetzt, oder Inhalt
und Handschrift sie orgeben.
160
Selbstmord öfter zurück. So schreibt er am 2. Mai 1810 an Wegeier:
. . . . „Doch ich wäre glücklich, vielleicht einer der glücklichsten
Menschen, wenn nicht der Dämon in meinen Ohren seinen Aufenthalt
aufgeschlagen. Hätte ich nicht irgendwo gelesen, der Mensch
dürfe nicht freiwillig scheiden von seinem Leben, so lange er noch
eine gute That verrichten kann, längst war' ich nicht mehr — und
zwar durch mich selbst." — Wie nun aber bei allen Menschen das
Gemüth sich aus jeder hohen Spannung in den Gegensatz zu retten
sucht, so schlugen auch bei Beethoven die trüben und verzweifelten
Stimmungen plötzlich in Ausbrüche seltsamer, oft kindischer Lustig-
keit um. Darin war er, in schallend Gelächter ausbrechend, eben
so lärmend, wie vielleicht unmittelbar zuvor im Schelten ; Zorn und
Lustigkeit traten in dieser kräftigen Natur gleich stark hervor und
wechselten aprilartig.
Auch in seine Kunst verfolgte ihn das Verhängniss. Hier aber
konnte es störend nur in die Vorhöfe dringen.
Es untergrub allmählich sein Spiel, da hierbei nicht die blosse
Vorstellung ausreicht, sondern das wache Ohr die Ausflihrung leiten
und jeden Moment bestimmen muss. Er übte ohnehin nun nicht
mehr fort und überliess in Gesellschaften und Konzerten lieber
Andern, namentlich seinem Schüler Ries (der aber nur bis 1805
in Wien blieb) die Ausflihrung seiner Werke. In der letzten Zeit
wirkte sein Spiel mehr peinlich als erfreuend. Da er nicht mehr
hört-, so spielt er nicht mehr deutlich; die Linke legt sich bald
der Breite nach auf die Tasten und verdeckt mit tiefsummendem
Durcheinanderschall, was die Rechte oft allzu zart ausführt, bald
überbietet er, im Durst etwas zu hören, die Kraft des Instruments
und sprengt die Saiten reihenweis. Vergebens verfertigte der ge-
schickte Instrumentenmacher Graff für Beethoven einen Schalldeckel,
der die Tonwellen zusammengefasst in sein Ohr leiten sollte.*)
Der Tod war im Ohre»
*) In einem Skizzenbuche ^ dem sogenannten Petterschen, das Beethoven
etwa im Jahre 1812 im Gebrauch hatte, findet sich mitten unter Entwürfen za
Kompositionen die Bemerkung: .Baumwolle in den Ohren am Klavier benimmt
meinem Gehör das unangenehm Rauschende.* Das Ohrenleiden war also ein
doppeltes. Es bestand nicht nur in Schwerhörigkeit, die sich allmählich bis
zur Taubheit steigerte, sondern auch in krankhafter Reizbarkeit des Gehörnervs,
die sich der subjektiven Empfindung als Summen und Rauschen bemerkbar
machte.
161
Das Uebel störte auch mehr und mehr seine Direktion.
Ohnehin hatte er nicht Gelegenlieit gehabt, sich dafür zu ver-
vollkommnen; das ist ohne fortgesetzte Bethätigung an einem be-
stimmten Orchester oder Chor nicht erlangbar. Er nun vollends,
mit reizbarem GefUhl für jeden Zug seines Werkes, konnte nicht
die Ruhe finden, die zum allmählichen Zurechtrücken einer Aus-
führung gehört Nm' in sein Werk vertieft, wollte er den Vortrag
gleich durch seine Bewegungen lenken, schlägt bei starken Accenten
gelegentlich auf Nebontakttheilen nieder, drückt sich beim Dimi-
nuendo zusammen, verlängert sich beim Crescendo, steht bei dem
Tutti hochaufgerichtet auf den Zehen, mit beiden Armen wellen-
mässig rudernd, wie zu den Wolken emporschwebend. Alles an ihm
in regster Thätigkeit.
Nun hinderte ihn obenein die allmähUch wachsende Harthörig-
keit, der Ausführung genau zu folgen. Die Ungewissheit, ob dieser,
jener Eintritt wirklich erfolgt sei, das Hinhorchen danach brachte
unabsichtUche Zögerung oft in solche Stellen, wo man dem Orchester
den Zügel schiessen lassen muss, und Schleppen oder Schwanken
in die Ausfühining, nicht selten auch unangenehme Verstimmung
zwischen Direktor und Orchester hervor, das ohnehin an den Neu-
heiten der Werke, an dem plötzlichen Taktwechsel und unerwarteten
Eintritten genüg Anlass hatte, aufzumerken. Selbst Ries, der dem
Meister so nahe stand, hielt in der Probe der Eroica den Eintritt
des Horns vor dem dritten Theil des ersten Satzes ftir verfrüht und
rief unwillkürlich laut aus: das klingt ja infam falsch! — wofür
er, wie er sagt, beinah eine Ohrfeige davongetragen hätte. Soviel
wie möglich that übrigens Beethovens Gutmüthigkeit im Verein
mit dem hohen Ansehn, in dem er als Komponist stand, die gute
Stimmung zu erhalten • oder wiederherzustellen. Wurde bei uner-
wartetem Taktwechsel umgeworfen, so brach er in ein dröhnend
Gelächter aus und rief wohl: „Ich hab' es gar nicht anders er-
wartet und mich darauf gespitzt, so bügelfeste Ritter aus dem
Sattel zu heben." Gingen aber die Musiker auf seine Idee mit
Feuer ein, so fühlte er sich beglückt, rief ihnen ein donnerndes
Bravi tutti! zu und gab auf dies Verständniss der Kunstgenossen
mehr, als auf den Beifall des Publikums.
Ist das Uebel wirküch ohne Einfluss auf seine Kompositionen
geblieben, nicht in das Heiligthum, nur in die Vorhöfe gedrungen? —
Der um französische und belgische Musikpflege und litterarisch
allgemein verdiente F6tis und nach ihm Oulibicheff sind der
Marx, Beethoven. I. 11
162
Meinung: Beethoven habe allmählich in seiner Taubheit die klare
Erinnerung und Vorstellung von den Tonverbindungen und Wirkungen
verloren und sei deshalb zu all diesen „Harmoniewidrigkeiten" ge-
kommen, die „ausserhalb der Grammatik" (regelwidrig) seien, zu
diesen Antizipationen, die der russische Dilettant wohlgemuth als
hässliches Miauen, üebelklänge, um das wenigst empfindliche Ohr
zu zerreissen (de miaulement odieux, de discordance k döchirer
l'oreille la moins sensible) bezeichnet*). Es kommt hier nicht darauf
an, diese Auffassung zu erörtern, die den geistigen Inhalt und die
Triebfedern ganz bei Seite lässt, welche Beethoven'sche Gestalten
aus der Idee des Werkes heraus mit innerer Nothwendigkeit lenken,
um ihn nach dem an Mozart und den Italienern gebildeten Ge-
schn^ack (Oulibicheff) und nach den Regeln der alten Schule (Fetis)
zu messen, die insgesammt ihren letzten Grund in dem Streben
nach sinnlichem Wohlgefallen oder äusserlicher „Einfachheit und
Mannigfaltigkeit" (wie das alte ästhetische Stichwort lautet) haben.
Die Ansicht lässt sich ohnedem aus den Werken selbst vollständig
widerlegen. Wie man nämlich über die spätem und letzton Werke
auch urtheilen, wie empfindüch man sich auch gegen jene vermeint-
lichen Anstössigkeiten erweisen möge, so ergiebt sich doch, dass
dicht daneben, oder vielmehr im innigsten Verband mit ihnen ein
ganzer überreicher Blütenflor der zartesten, wohlklingendsten me-
lodischen und harmonischen Gebilde die Sache von diesem unter-
geordneten Gesichtspunkt angesehn — aufgesprosst ist, ja dass
Beethoven nie zuvor so fein und zart gebildet, das heisst aber:
innerlich vernommen hat. War er also dessen fähig, lebte das
volle Bewusstsein der Tonwelt in ihm fort, so können nicht gleich-
zeitig jene vermeintlichen Anstössigkeiten den Mangel an diesem
Bewusstsein beweisen.
Nicht so gröbUche Antastung hat in Beethovens künstlerischen
Organismus dringen dürfen, wie hier auf den ersten flüchtigen Hin-
blick von einem ganz ungehörigen Standpunkte aus angenommen
worden. Man müsste, um hier zuzustimmen, nicht nur den Beet-
hoven vergessen, sondern auch den Künstler überhaupt. Der Ton-
dichter hat sich von der ersten Zeit seiner Entwickelung an mit dem
Tonwesen so ganz erfüllt, dass er in Wahrheit ftir sein Gestalten
des äussern Ohres gar nicht mehr bedarf; er hört innerlich, wie
der Bildner — wie wir Alle innerlich schauen, l)cdarf daher auch
*) Biographie v. Mozart Tbeil 3, S. 268.
163
bei der Komposition gar nicht des Instruments (vielmehr übt die
Zuflucht zu ihm oft einen hemmenden oder irreleitenden Einfluss)
und wenn er sich desselben — wohlverstanden blos zur Anregung — ,
bedient, so kommt auf das leibliche Hören wieder nicht viel an.
In geistiger und künstlerisch wie menschlich begreiflicher Weise
nur soUte jenes düstere Geschick seinen Einfluss in den Werken
selber äussern.
„Wie ein Gespenst" — so sagt Beethoven selbst — aus der
Nacht hervor, nebel- und gifthauchend schleicht das Bewusstsein
des tückischen Uebels, man weiss nicht wann und woher, hervor,
oft in die heitersten Stunden wie in die herzlichsten Verhältnisse
und in die kräftigsten. Aus welcher verhüllten Tiefe des Geistes
ist dem Tonbildner die Gestalt des Allegretto in der F dur-Sonate,
das Largo in der Ddur-Sonate Op. 10, das Trio zum Scherzo im
grossen Bdur-Trio Op. 97 aufgetaucht? — Aus dem innem Zu-
sammenhang der Werke wüssten wir darauf nicht zu antworten.
Dann noch eine anscheinend nur das Körperliche berührende
Bemerkung. Beethoven verliert bei seinem allmählichen Ertauben
zuerst die Fähigkeit, hohe Töne zw vernehmen, während die
Empfänglichkeit fiir die Tiefe länger erhalten scheint/) Natur-
gemäss; denn die aUmähUche Abnahme eines Sinnes trübt zunächst
die Deutlichkeit der Eindrücke. Nun ist aber im Tonleben die Tiefe
vermöge der langsameren SchaUwellen die dunklere Region, aus der
sich die je hohem Tonlagen in wachsend-schnelleren Schallwellen
je Uchter und bestimmter
(C:c:g= 1 :213, •
c !c:g = 4:8: 12 Schwingungen)
erheben. Es ist kein willkürHch Gleichniss, sondern Naturwahrheit,
wenn wir die Tiefe den Ür-Schall, die Mutter nennen, aus der sich
das Tonreich immer höher und reicher auferbaut, so weit, und
weiter, als unser Sinn ihm folgen kann. Schwindet der Sinü, so
<■
*) Diese Erscb einung war keine nur Beethovens GebOrkrankheit eigen-
thümlicbe. Professor A. Lucae in Berün bat im Archiv für Ohrenbeilkunde
(Bd. 15 p. 273 flgde) die Ergebnisse von gerade auf diesen Punkt gericbteten
Unters ucbun gen ver offen t liebt; hieraus geht hervor, dass Schwerhörige und
fast Taubstumme, während ihnen die höheren Töne und die Spracblaute längst
nicht mehr vernehmlich sind, doch sich die Auffassung der tieferen Töne nicht
selten bewahrt haben. „Von 117 vorzugsweise genau untersuchten gebildeten
Schwerhörigen,'' sagt Lucae, „hörten allein 49 (also über 41- Proc.) tiefe
Töne (c) noch auffallend gut, während 19 (also über 16 Proc.) diese Töne
normal oder nahezu normal wahrnahmen.^'
11*
164
verliert er stüfenweis diese Folgekraft und sinkt in die dunklere
Tiefe zurück, die zuletzt denselben in stillem Brausen umfängt, aus
dem die Schallwelt und das Leben des Sinns emporgestiegen war.
Die Hinneigimg zu diesem linden Athem der Tiefe nun ist ein
hervortretender Charakterzug der Beethoven'schen Komposition,
und er wird es immer mehr im Fortschreiten seines Lebens. Der
Ur- Schall dröhnt leise fort im Tief klang seiner Pianoforte-Lagen
(im Qellert'schen Liede „die Himmel", in Largo- und Scherzo-
vSätzen, in den 33 Variationen), in den tiefen Haltetönen der Homer
und den tiefen Lagen der Bläser (schon in der Prometheus-Ouver-
türe, in der B dur-Rymphonie, in der Fidelio-Ouvertüre), in der
brütenden Stimmhäufung der Pastoral-Symphonie, der neunten, der
zweiten Messe; man würde nicht fertig, wollte man die Beispiele
vervollständigen.
Dass dies nicht Manier gewesen oder geworden, dass es nicht
pathologisch Erzeugniss aus seinem Beünden gewesen, dafür bürgt
sein Künstlercharakter und sein durchaus geistiges und charakter-
kräftig Wesen. Das Eine kam nur zum Andern, die Hinweisung
des Sinnes zu der Hinneigung des Geistes nach der Tiefe. Er trug
geistig und körperlich das Urphänomen des Tonlebens in sich, jenes
Erbeben der Urkörpertheile, in dem Leben sich regt und kundthut,
in dem das Ganze sich weiset als Durchunddurch- Lebendiges im
Gegeneinander der Momente und in ihrem Einssein. Das dröhnt
ihm aus der Tiefe, klingt und winkt ihm aus der Höhe; die Höhe,
deren Ansprache seinem Ohr entzogen ist, erlasst er kühnlichst in
der Sonate Op. 106, sie ist ihtai Stimme der Verheissung aus dem
Jenseits im Benedictus der zweiten Messe, sie klingt ihm wie De-
lirium zu in jener letzten (Op. 111) der ahnungs- und vorbedeutungs-
schweren drei letzten Sonaten, in den letzten Quartetten. In ihm
ist die Musik, Andere sind glücklichsten Falls in der
Musik. Er sprach sich selber aus, und damit das tiefste Wesen
der Musik.
Man kann den Weg, auf dem er durch viele Leidensstationen
dahinwallte, Schritt für Schritt verfolgen. Das sogenannte Fisch-
hofTsche ]\Ianuscript (S. 156 Anm.) setzt den Anfang oder wenig-
stens die pathologische Begründung des Uebels in das Jahr 1796.
Damit stimmt Beethovens Angabe in seinem Testamente am 2. Ok-
tober 1802, das wir später mittheilen. Jedenfalls scheint das Un-
heil ihn nicht plötzlich ergriffen zu haben, wie mit einem Schlage
treflend; es kroch ganz leise, ganz unvermerkt im Entstelm heran
166
aus der Finsterniss, dann beunruhigte, dann erschreckte sein all-
mähliches Gewahrwerden. Das ging so zwischen Zweifeln, zwischen
Hoffnung und Entsetzen hin, bis der Unselige sich und dem Freunde
an jenem 29. Juni 1801 gestehen musste, dass er seit drei Jahren
das Uebel habe heraufwachsen sehn, dass es seit zwei Jahren ihn
aus jeder Gesellschaft verbannt habe. Das weiset auf die Jahre
1798 und 1799 zurück, als auf die Jahre, in denen er allmählich
an der Hoffnung auf Genesung seines Ohres verzweifelte. —
Im Februar 1797 war Adelaide hervorgetreten. Nehmen wir
an, dass damals noch nichts vom bevorstehenden Ausgange geahnt
war, obwohl die Entwickelung der Gehörkrankheit schon begonnen
haben mochte.
Ebenfalls im, Jahre 1797, im Herbst, trat die
Sonate fOr Piano, Esdur, Op. 7, (C. V. 59),
hervor, eins der feinsten Tongebilde, die wir überhaupt besitzen,
nicht von dem leisesten Anhauch eines trüben Gedankens berührt,
— wenn nicht doch vielleicht im Finale. Könnte hier (was höchst
zweifelhaft ist) ein Einfluss jenes Unglücks vermuthet werden, so
dürfte doch nimmermehr von jenen plumpen Antastungen des
Künstlervermögens die Rede sein, die den Geist an das körper-
liche Organ gebunden und mit ihm dem Verfall ausgeliefert meinen.
Es ist dann nur von einem leisen Wiederhall der Stimmung zu
reden, die durch jenes herankriechende Unheil wohl von Zeit zu
Zeit geweckt, ohne besondern nachweisbaren Grund, hineinklingt.
Ueberwiegend werden wir vielmehr jene heroische Kraft und die
angebome Heiterkeit antreffen, die den Grundcharakter Beethovens
bilden, eine Heiterkeit beiläufig, die sich von der kindlichen und bis-
weilen skurrilen Heiterkeit Haydns unterscheidet, wie der selbstge-
wisse freie Mann von dem liebenswürdigen und reichbegabten Kinde.
In unserer Sonate nun füllt ein glänzendes, lebhaft angeregtes
Spiel fast den ganzen ersten Satz, der im Vs Takt mit Allegro
molto con brio bezeichnet ist. Achtelbewegung tritt mit dem ersten
Takt auf
^^^Si^
'"loco
166
und treibt bis zum Schlüsse des Hauptsatzes*) unausgesetzt vorwärts,
wo das den Gegensatz bildende Motiv A (A 2 ist dasselbe, um-
gestaltet) einen Halt der Besinnung gewährt, die sich in den
folgenden zwei Takten andeutet. Nur eine kurze Ausführung dieses
Moments, und die Achtelbewegung hebt von Neuem an und bildet
den Seitensatz (oder vielmehr den ersten Satz der Seitenpartie),
dem als zweiter einer jener stillbefriedigten, einfältig zum Herzen
dringenden Gesänge folgt,
die — wahre Lieder ohne Worte, ohne den parfllmirten Ausdruck
— gleichsam das Wort auf den Lippen tragen
llSe;
und von Mund zu Mund, von Stimme zu Stimme verpflanzen.
Dringender, zuletzt stürmisch, schreitet die Bewegung fort und senkt
sich zu einem dritten Satz in Cdur nieder, unerwartet, wie sanfter
Sonnenglanz bisweilen plötzlich durch das Wolkengewilhl dringt.
Auch hier schlingt sich die Achtelbewegung hinein und bildet einen
rauschend empordringenden vierten Satz, dem ein fünfter (man mag
ihn als ersten Schlusssatz fassen) folgt, eigentlich nur eine Klang-
reihe von Harmonien, die zum zweiten und ächten Schlusssatze
führt, und damit zum Schluss des ersten Theils.
So stehen sechs Sätze vor uns, — ein bisher noch nicht bei
Beethoven wahrgenommener Anblick, — alle in Einem' ganz un-
trennbaren Gusse, keiner ohne völlige Zerstörung des Ganzen her-
*) Ohne Formenkenntniss, für die sich der Anhang anbietet, ist solch eia
Bau nicht klar zu durchschauen.
167
auszunehmeü, jeder ein Ausfluss aus dem vorhergehenden und in
strenger Folgerichtigkeit aus ihm heraustretend. Auch bei den Vor-
gängern finden sich solche Satzhäufungen, bei Mozart namentlich
(man sehe seine Fdur-Sonate Heft 1 der HärteFschen Ausgabe) von
reizendster Mannigfaltigkeit und Liebenswürdigkeit; aber die feste
innerliche Einheit und Nothwendigkeit wtissten wir (Ja nicht zu er-
weisen. Beethoven hat in diesem Satz einen Fortschritt ftir sich
und für die gesammte Kunst gethan; es werden ihm noch viele
folgen, die ihn ~ um es nur im Voraus auszusprechen — als
Vollender der Formen bezeichnen, die von Italien herüberge-
kommen und von Haydn und Mozart, auch hierin Beethovens
Vorgängern, so meisterlich gefördert und so geistvoll benutzt
worden sind.
Dass der zweite Theil die Sätze des ersten in neue Beziehungen
bringt, der dritte den ersten im Wesentlichen wiederholt, weiss man
aus der Formenlehre. Beethoven war damit nicht befriedigt, der
zweite Seitensatz schmeichelte sich noch einmal (jetzt bekanntlich
in Esdur) heran. Oben haben wir ihn erst einfach vernommen,
dann mit beflügelter Rede, die sich von der Ober- in die Unter-
stimme verpflanzte. Jetzt nimmt nach der einfachen Darstellung
bei A die Mittelstimme das Wort,
und die Oberstimme wird lur eine Melodie frei, die bisher im Tenor
vielleicht unbemerkt geblieben. Zuletzt kehrt die bewegte Rede
doch wieder zu der vei^tärkten Unterstimme zurück. So inniglich
hat Beethoven unter all' den vorüberspielendon Tonbildem das eine
am Herzen getragen.
Der zweite Satz, Largo con gran espressione überschrieben, ist
eines dieser beschaulichen, tiefsinnenden und erhabenen Adagios,
weit hinausgehoben über jeden Affekt, wie nur Beethoven sie ge-
schrieben. Es ist das erste in dieser Reihe. — Das Scherzo
(hier blos Allogi'o überschrieben) bittet fast ab, so hoch ist das
Largo, — hoch wie Sterne über die nachtdunkle Erde, — über
168
den Lebenskreis des ersten Satzes emporgeschwebt, und wendet
sich (im Trio) jenem unruhvollen, grtibelhaften Brüten zu, für das
die Franzosen ein schönes Wort, „ruminer", vor uns voraushaben.
Nur dass die erste Frische nicht wiederkehrt! Ein weich zer-
flossenes Rondo scheint vom ersten Anklang an abzubitten den
kecken Muth des ersten Satzes, bittend sich herabzulassen von der
Stemenhöhe des Largo. So reizvoll und rührend es spricht, wir
finden im ersten und zweiten Satze der Sonate nicht die Nothwen-
digkeit dieses Ausgangs, der mit dem dritten Satze beginnt und im
Finale sich vollendet. Was hat unsem Dichter auf diesen Weg
geführt? —
Jenes ominöse Jahr, 1 798, tritt gegen die vorigen mit bemerk-
lichem Reichthum an Werken hervor. Alle können wir nicht zur
Sprache bringen, heben aber an dieser Stelle die
Drei Sonaten für Piano, Op. 10, (C. V. 65),
mit Uebergehung der ersten aus CmoU, hervor.
Zunächst zieht uns die zweite, Fdur an, die liebliche, so leicht
hingeschrieben , so fliessend wie ein Brief aus geistvoller und dabei
natürUcher Feder; der fragend beginnende Hauptsatz, der edel und
sanft aufgerichtete Seitensatz, das Alles stellt sich zu einander, als
könnt' es gar nicht anders sein; und es kann nicht anders sein,
denn eins fliesst aus dem andern. Der Schluss des Seitensatzes
ist fast tändelnd, wendet sich aber gleich, wie hier ziemte, in das
Ernstere zurück, fast in das Trübe, das aber vom spielend heitern
Schlusssatze gleich weggehaucht wird. Natürlich bleibt bei so
leichtem Sinne für den zweiten Theil nichts zu sagen; er hält sich
an die Schlussformel des erste Theils (c— g— c), führt sie, weit
umherschweifend in freier Laune, mit beweglicher Gegenstimme
weiter, lässt . zuletzt den Hauptsatz in Ddur hell erklingen und
leitet damit zum dritten Theil und zum Ende.
Statt des Adagio folgt ein „Menuett", mit Trio und Wieder-
holung der Menuett. Noch weniger wie in der Fmoll-Sonate Op. 2
ist hier an eine wirkliche Menuett zu denken, wie Haydn sie ge-
schaffen, Mozart und oft auch Beethoven sie nach- oder weiterge-
bildet haben. Der Name ist uneigentlich gesetzt, weil die Bewegung
nicht die gewöhnliche des zweiten Satzes (Adagio oder Andante),
sondern eine lebhaftere — wir meinen, noch lebhafter als die Me-
nuettbewegung — sein soll; Beethoven bezeichnet sie mit AUe-
gretto. Er selbst scheint das Ungeeignete des Namens empfunden
169
zu haben; er hat das Trio, so bestimmt es nach vollkommenem
Abschluss des Hauptsatzes selbständig auftritt und abschliesst, un-
benannt gelassen.
Dieser Satz nun, ein Meisterstück in kleinem Räume, tritt in
Fmoll in der Tiefe grüblerisch an, hebt sich, gelind andringend,
zwei Oktaven hoch in die trostvolle Parallele (Asdur), um nur einen
trostbietenden Augenblick zu erlangen, nur einen Augenblick zu
ruhn. Nach der Wiederholung, die hier bei der Tiefe des Inhalts
nicht formeUer Gebrauch, sondern mehr wie je Noth wendigkeit ist,
schwebt der zweite Theil in kurzabgebrochenen ängstlichen Wechsel-
reden zwischen der ersten und zweiten Stimme, bis er befriedigungs-
los auf einem Halbschlusse stockt. Jener grüblerische Gedanke
des ersten Theils kehrt wieder, aber mild und hell wie Plötenton,
in der Höhe; eine zweite Stimme schliesst einen Äugenblick nach-
ahmend an, ebenfalls in hoher Lage; schmerzliche Klänge geleiten
wieder hinab; der Schluss im Haupttone wird durch das gefasste
Wort des Schlusssatzes entschieden.
Besinnen wir uns einen Augenblick: was hat das AUes zu
bedeuten?
Die Antwort, dass die Form Wiederkehr des Hauptgedankens
fordre, verwerfen wir durchaus ; die Form gebietet nicht über den
Inhalt, sondern der Inhalt schafft sich oder wählt sich die Form, —
wenigstens bei dem wirklichen Künstler. Auch jene ganz richtige
Antwort befriedigt uns nicht, dass der Komponist zu dem Haupt-
gedanken zurückgezogen werde, weil es eben sein erster sei. Dann
hätte Wiederholung genügt, hier aber ist Umgestaltung erfolgt, und
bedeutsame. Es ist keineswegs blosser Wechsel der Tonregionen,
wie man ihn oft zu äusserlicher Mannigfaltigkeit verwenden sieht.
Beethoven hat tiefer geschöpft. Sein Satz dringt leise und hastig
aus der Tiefe, und zwar in Oktaven (von C und c) empor, bis eine
dritte Stimme mit kurzer Gesangformel an- und abschliesst. Es ist
ein dunkler, grüblerischer Sinn, der sich herauswinden möchte. Die
Wiederholung geschieht von einer einzigen Stimme, zwei Oktaven
höher (von c an) beginnend. Sie ist bei aller Milde und Süssigkeit
des Höhentons einsam, diese Stimme, und bang; kaum bietet ihr
gegen das Ende die nachfolgende Stimme schwachen Anhalt. Das
ist schon veränderter Sinn; erst die nachfolgenden schmerzlichen
Accente knüpfen das Letzte mit dem Ersten enger zusammen.
Nun fasse man das ganze Tongedicht, so weit wir es bis hier-
her kennen, zusammen.
170
Eine lieblich-liebevolle Persönlichkeit spricht aus ihm. Zart
und heiter scheint der Sinn zu sein, der sie von Grund aus beseelt;
zu zart flir rauschende Freude, leicht zugänglich für beglückende
wie für trübe Momente, des muthigen Entschlusses, selbst kindlicher
Schelmerei wohl fähig, in aUen Bewegungen anmuthvoU. Heiter
angeregt ist das erste Lebensbild im ersten Satze vorübergezogen.
Jetzt, im zweiten Satze, tritt geheime Sorge hervor; was ihr
Gegenstand ist, wissen wir nicht, sie ist sich selbst ein Eäthsel;
sie ist grüblerisch. Es ist ein ungewohnter Zustand; überall wird
nach ErheUung, nach Trost gelangt, bei der Wendung nach As,
bei der Verlegung des Hauptsatzes in die Höhe, bei dem fassungs-
vollen Schlusssatze.
Nun erscheint zum erstenmal jene Beethoven ganz eigne Weise,
die man sehr leicht nachäffen, nicht aber nachdichten kann, und
die vor ihm gar nicht denkbar war, so weit ab hegt sie von den
Zielen und Vorstellungen der Vorgänger. Ist denn blos in der
Melodie, blos in der Bewegung Poesie? ist nicht schon der ruhige
Zusammenklang, dieser Athemzug des Tonlebens, auf dem die Seele
ruht und sich besinnt und in sich einkehrt, ist das nicht auch Poesie ?
und könnte nicht gerade das die tiefste Poesie — wie die hesiodische
Nacht den Eros — im Schoosse tragen? Die Gluthen der Abend-
röthe, die erhabne Stille der Sternennacht, sind sie nicht ruliende
Poesie der Natur, gleich dem Aushall der Tonwelt?
In diesen Urgrund, aus dem alle Besonderheit und Bewegung
hervorgeht und in den sie zurückkelirt, hat Beethoven in bedeutungs-
vollen Augenblicken geschaut.
So ruht hier, in Des dur nach P moU, aller äusserlichen Be-
wegung fast ganz enthoben, auf einfacher Harmonie, ohne merk-
bare Melodie
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der Geist in Stille; nur leise hebt er sich'^aus der Tiefe in gleich-
massigem Schwünge des Rhythmus, der ihn wie auf breitem Fittig
171
wiegt, wenig empor, und ruht wieder auf dem Scliluss (des ersten
Theils) in As dur. Aber es ist nicht die Ruhe des Leeren. Der
Gedanke (der erste Theil) wird wiederholt, und die Tiefe, in der
er ruht, wird sinnvoH verdeutlichend gewiesen; der Bass, die Stimme
der Tiefe, sondert sich dazu aus der Schallraasse naclischlagend ab.
Hiermit ist er aber besondre Stimme, Persönlichkeit geworden und
vollendet sich in melodischer Ausgestaltung. Dies war die Vollen-
dung des Gedankens in der Tiefe. Sogleich fodern die höhern
Regionen in der Tonwelt das Recht des Daseins. In der Mittelton-
lage kehren jene Harmonieklänge — verändert — wieder, und von
der Höhe tönt mild wie Flötenklang und trostvoller Zuspruch jener
melodische Ausgang wieder, zu dem zuvor die tiefe Stimme ge-
langt war. Die ganze Tonerscheinung scheint in Höhen zu ent-
schweben, die man erst von der Tiefe aus ermisst und durch-
emplindet. Dann senkt sie sich wieder zur Tiefe nieder.
Der Hauptsatz kehrt zurück, schwankender bewegt. Man muss
sich ein für allemal deutlich machen, dass nicht das Trio — der
Gegensatz zum Hauptsatz, also der Nebengedanke neben dem
Hauptgedanken, — befriedigenden Schluss gewährt. Die cyklische,
Anfang und Ende zusammenschliessende Form, — deren Feierlich-
keit hellenische Dramatik und Orchestik längst vor unsrer Kunst-
blüte wohl erkannt, — von aussen, und im Innern das Gewicht
der Gedanken, sie stehen für dies Bildungsgesetz ein, mögen auch
neben ihm ausnahmsweise andre zu Recht kommen.
Ein launiges, bisweilen fast skurriles Prestissimo sclüiesst.
Eher kann man dieses Finale mit dem ersten Satz in Einklang
bringen,"^ als den sinnig-tiefen Mittelsatz. Wo ist er her? — in
welcher Fiber des Dichters hat er seinen Ursprung? und von da
sich in die Sonate des Jahres 1798 eingeschlichen? — Und nach
dem Mittelsatze dies Finale! hat das launige Spiel jene trübe
Stunde vergessen machen sollen?
Nun die dritte Sonate, die aus D dur. Wieviel wäre von
ihr zu sagen über das Wenige hinaus, das hier Raum findet! Nach
Sinn und Bedeutsamkeit haben wir hier die erste grosse Sonate
vor uns, wenn sie auch nicht so genannt ist, ein Gebild aus Meister-
hand und Dichtergeist.
Schwungvoll wirft sich Beethoven in den ersten Satz und bildet
aus der halben Tonleiter (d, eis, h, a) nieder- und wieder auftauchend
und wieder niederwärts den Hauptsatz, gliedert ihn in Achteln,
wiederholt ihn, wie er Anfangs erschienen, in Vierteln mit nach-
172
schlagenden Achteln und führt ihn empor bis zu fis, das, beiläufig
gesagt, die Klaviere damals noch nicht hatten. Es ist ein unge-
stümes Treiben, ein Anlauf, der stockt, ohne etwas erreicht zu
haben, nicht einmal einen formellen Schluss. Das Motiv hat sich
hinab, hinauf gejagt, ist drei-, viermal zu Sextakkorden aufgefüllt,
hinabgedrückt worden; voreilig (durch Antizipation) hat sich eine
Oberstimme darüber hergeworfen, einen Schluss gebildet ohne Be-
friedigung. Dann wirbelt das Motiv (der Hauptsatz will wiederholt
sein) im Sextenlauf und in Achteln dreimal abwärts, der Bass,
wieder voreilig, schlägt hinein und drängt die Achtel zurück in die
Höhe, er selbst geht abwärts. Das giebt wieder einen Schluss
und wieder keine Befriedigung, — weil der Inhalt und die Hast
sie nicht gewähren. Zum drittenmal setzt der Hauptsatz wie zu
Anfang, nur in Achtelauflösung, ein und treibt bis zu jenem
schlusslosen fis; was hätt' auch ein dritter Schluss gewährt,
wenn der Inhalt versagt? und wie kann der Ungestüm an sich
befriedigen?
Beethoven wirft sich von jenem fis in einen ganz neuen Satz
in HmoU, in einen zweiten Hauptsatz, der mit dem ersten gar
keine Gemeinschaft hat, der Klagen oder Flehn eines beklemmten
Herzens auszutönen scheint und rathlos dahintreibt, bis er endlich
zum Sitze des Seitensatzes, nach A dur gelangt, gleichsam athem-
los im Treiben seiner Achtelreihen.
„Ist dieses Abspringen vom ersten Gedanken auf einen ganz
fremden nicht ein Fehler?" — Wer, fragen wir zurück, hat nicht
schon von „lyrischen Sprüngen" vernommen? wem ist unbekannt,
dass im Geiste Mancherlei vorgeht zwischen dem ersten und zweiten
ausgesprochenen Gedanken, das nicht ausgesprochen, sondern im
Geistesflug' übergangen wird? Der zweite Gedanke scheint zu-
sammenhanglos, weil der Zusammenhang niclit ausgesprochen ist;
aber Ungestüm ohne Ziel und Beklommenheit, die sich nach jenem
nicht mehr bergen lässt, können wohl in derselben Brust bei einander
wohnen. Keine Geisteswendung konnte Beethoven fremd bleiben.
Er hat also den ersten Gedanken von sich gewiesen. Hat
er ihn vergessen? —
Es folgt der Seitensatz; sagen wir, er versucht sich, ei'st in
Dur, dann in Moll. Wie könnte der klein gegliederte nach solchem
Anlaufe — denn der bleibt geheim im Sinn — fesseln und be-
friedigen? Ein zweiter Seitensatz (vier Takte)
178
l iU i
folgt, und da taucht in der ünterstimme das erste Motiv wieder auf,
in hoher Lage zweimal, in tiefer zweimal, drückt (wieder zweimal)
nach D dur zurück, von da nach C dur, wühlt sich neben dem Bass
in die Ober-, in die Mittelstimme hinein, beherrscht alles, schreitet
zuletzt in weitem Zuge von es bis zum Kontra-A unter triumphi-
renden Harmonieklängen, siegreich dahin. Ein stiller Schlusssatz
beruhigt, aber das siegreiche Motiv klingt weiter, wenn auch nur
leise, führt zum Anfang zurück, führt zum zweiten Theile, bildet
zum dritten nach dem Schlusssatz einen weitreichenden Anhang.
So ist jener Gedankenbruch geheilt, die Einheit energisch hergestellt.
Freiester Sinn und männlichste Haltung.
Der zweite Satz, „Largo e mesto" überschrieben, wie gräbt
sich da tiefe Melancholie, schwarz wie das Grab in das Herz! kaum
die Linderung der Klage, kaum unter Thränen ein flüchtiges Lächeln
(der eine Sonnenblick C dur im düstern Hauptton D moll) findet
einen Augenblick lang Raum. Wie ist so frisches, rühriges Leben
da hingerathen? — ist das Schauen, oder ist es ein Erlebniss des
Dichters in ihm selber?
Hier ist ein Bruch vorhanden zwischen dem ersten und zweiten
Satze, den man erst dann in seiner Herbigkelt und Unbestreitbarkeit
erkennt, wenn man ihn an dem Schritte vom ersten zum zweiten
Satze der F dur-Sonate misst Die Sätze der F dur-Sonate stehen
in klarem psychologischen Zusammenhang; die der D-Sonate nicht.
Wer vermag die Räthsel der vielbewegten Dichterbrust zu lösen? —
vielleicht der Dichter selber nicht, wenn er noch unter uns weilte.
Begreiflich und nothwendig ist der liebreiche Trost des folgen-
den Satzes, wieder Menuett benannt. Sei es darum, dass der
zweite Theil harten Einspruch thut und das Wehe des Largo sich
nachftihlen lässt! Doch erlöst sich die Seele aus den Banden jener
argen Trübniss. Das Trio (es konnte nicht fehlen, tritt aber un-
benannt auf) bringt Entschluss und rüstig Ergreifen, das Finale
wirft sich, noch erregt vom Erlebniss, aber frisch und muthvoU in
1T4
den Strom des Lebens Der erste, der dritte, der vierte Satz, Alles
hat darin F'olge und Zusammenhang. Nur der zweite tritt dazwischen
gleich einer plötzlichen Verfinstenmg am hellen Tage. Woher das? —
Wenden wir uns zu heilern Bildern, zu den
Zwei Sonaten für Piano, Op. 14, (C. V. 78),
aus dem Jahr 1799, die erste ein anmuthvoUes Tonsttick aus E dur
die andere, aus G dur, ein reines Bild der Zärtlichkeit und Anmuth
leicht und naiv hingezeichnet, wie von der Hand eines genialen
jungen Mädchens. So leichtbewegt tritt das erste Thema daher,
wie eine Bitte, die sich flüchtig horanschmeichelt, gewiss, dass man
ihr nicht widerstehen könne. Und das süsse Kind tritt mit so
sprechender Rede (zweiter Satz der Hauptpartie) heran, dass man
aus irgend einer der artigsten Scenen, wie Paisiello sie in Rossinis
Zeit geschrieben haben könnte, die Wolte selber zu vernehmen
meint. Das spricht so lauter, wie ein heiter geöffnetes zärtliches
Auge, führt sich so leicht und natürlich fort zum Ausdruck leichten,
fast wünschelosen Daseins (Seitensatz), und ruht so sorglos (im
Schlusssatze), dass selbst ein flüchtig vorüberziehender Wolken-
schatten nur einen neuen Reiz dem lieblichen Dasein zufügen kann.
Den zweiten Satz (Andante, Thema mit Variationen) möchte
man „l'^tude" nennen, das Arbeitskabinett eines jungen Mädchens.
Gearbeitet wird, mit ganz ernsthafter Miene. Nun, die Arbeit und
der Ernst, sie sind nur eine andere Gestalt des artigen Lebens-
spiels, wenn die Stini sich auch einmal bei irgend einer Verwirrung
des Fadens kräuselt und der Blick schärfer hinspannt. Um so
heiterer tanzt, fein und ausgelassen zugleich, das Scherzo Finale
dahin, das Thema (Allegro assai)
fliegt so launig, so eigenwillig! last scheint es zu straucheln! es
war nur Neckerei.
Vielleicht sind wir des anmuthigen Anblicks gar nicht werth
gewesen; denn er kann uns nicht von einem kleinen Streit zurück-
halten; und das Reizende soll nicht Gegenstand des Streites sein,
sondern der Freude. Man mag diese kleine Fehde, die unsrerseits
nichts als Liebeseifer ist, sogar bedenklich finden, denn sie wird
175
keinem Geringern angekündigt, als dem verdienstvollen Schindler.
Und hinter Schindler steht gar Beethoven. In Wahrheit gilt aber
der Streit nicht eben der kleinen Gdur-Sonate.
Schindler fügt nämlich seiner Arbeit auch Bemerkungen aus
Gesprächen mit Beethoven über einzelne Werke zu, die schon ihrer
Quelle nach nicht anders, als die Aufmerksamkeit der Kunstfreunde
auf sich ziehn können. Auch unsre beiden Sonaten kommen dabei
zur Betrachtung. Beethoven spricht — es ist im Jahre 1823, nach-
dem Rossini und die italienische Musik Wien ganz eingenommen —
aus, dass jene Zeit, in der er die Sonaten geschrieben, poetischer
gewesen sei, als die jetzige: Jedermann habe damals von selbst „in
den zwei Sonaten Op. 14 den Streit zweier Prinzipe, oder einen
Dialog zwischen zwei Personen erkannt, weil es gleichsam so auf
der Hand liege". Weiterhin heisst es: „Beide diese Sonaten haben
einen Dialog zwischen Mann und Frau, oder Liebhaber und Ge-
liebte zum Inhalt. In der zweiten Sonate ist dieser Dialog wie
seine Bedeutung prägnanter ausgedrückt, und die Opposition der
beiden eingeführten Hauptstimmen (Prinzipe) flihlbarer noch, als
in der ersten Sonate. Beethoven nannte diese beiden Prinzipe das
bittende und das widerstrebende. Die Opposition beider soll sich
gleich in den ersten Takten in der „Gegenbewegung" zeigen,
AUeifTo.
i^^^^^
t
3e;
g
j:
-?--->->-4
im Sühlusssatze —
v^^
sollen beide (Stimmen oder Prinzipe) sich einander nähern, in der
gleich darauf erfolgenden Kadenz (Schluss) auf der Dominante das
gegenseitige Einverständniss schon fühlbar werden. Leider beginnt
unmittelbar darauf (mit dem Eintritte des zweiten Theils) der
Kampf aufs Neue." Soweit Schindler.
176
Das alles soll Beethoven gesagt haben? von seinem lieblichen
Gdur-Kinde? —
Es kann Niemand einfallen, die Wahrhaftigkeit des Erzählers
in Zweifel zu ziehn ; nichts ist uns femer, als solches Unrecht, das
zugleich Undank wäre. Man kann aber dem Erzähler glauben
und der Erzählung nicht.
So hier. Vor allem muss es wunderlich arm und verritten
erscheinen, dass ein Beethoven zwei Sonaten über ein und dieselbe
so einfache Aufgabe geschrieben haben soll, und zwar gleichzeitig,
und beide vereint herausgegeben und derselben Person (Baronin
Braun) gewidmet.
Sodann: zwei Sonaten, keineswegs von verschiedner Stimmung,
aber sonst einander nicht mehr gleichend, als überhaupt irgend ein
lieblich Tonbild irgend einem andern lieblichen Tonbilde, zwei ganz
verschiedene Sonaten sollen dasselbe — denselben ziemlich genau
angegebnen Inhalt aussprechen! —
Nun aber soll der Inhalt ein Dialog sein. Wo findet sich
der? Die Vorstellung eines Dialogs würde den mittelmässigsten
Musiker darauf gebracht haben, dass dazu zwei Stimmen gehören,
und zu dem Dialog eines Liebes- oder Ehepaars eine tiefe und
eine hohe. Wo findet sich dergleichen in den beiden Sonaten?
In der E-Sonate ist der Hauptsatz des AUegro, wie hier bei A —
B.
A.f:.
angedeutet ist, einstimmig mit einfachster Begleitung. Der An-
hangssatz bei B ist nicht sprechend, sondern blos gangartiges
Tonspiel, geht aber (wenn man gewaltsam zwei Redende hinein-
finden will) durch vier Oktaven; es war' allenfalls an eine tybe-
tanische Ehe einer Schwester mit ihren drei Brüdern zu denken;
derf Ausgang ist zwei nein drei-, vierstimmig, in freiester ab-
sichtsloser Führung, wie man in tausend solcher Sätze findet. Der
Seitensatz ist einstimmig, sogar zu Anfang ohne Begleitung, kurz,
die ganze Sonate ist es, wenn man nicht flüchtiges Hervortreten
einer Begleitungsstimme (oder mehrerer, wie oben bei B) mit dem
Ansatz zu etwas Eignem, wie dergleichen jedem nur etwas ge-
bildeten Komponisten überaU in die Feder kommt, zu solcher Be-
deutsamkeit hinaufschrauben will. Wie bei Beethoven sich die
177
Vorstellung zweier Stimmen oder Personen gestaltete, kann man
in seiner Sonate „Les adieux" (Op, 81) beobachten; der ganze
erste Satz ist geradehin Duett von tieferer und höherer Stimme,
der letzte ebenfalls; der mittlere ist durchaus Monodie, denn
die Liebende ist verlassen.
Mit der G- Sonate verhält es sich, wie mit der aus E.
Schindler war viel zu guter Musiker, um die Begleitungsfigur der
ersten Takte (A)
ernstlich als eine zweite Stimme gelten zu lassen. Es ist ein be-
gleitender Akkord, den Beethoven wegen der Leichtigkeit und Zart-
heit des Satzes nicht gleichzeitig anschlägt, sondern arpeggienhaft
auflöst, wie die daraus hervorgehenden allbekannten und ange-
brauchten Figurationen bei B und C. So gewiss hat er nur den
begleitenden Akkord im Sinne, dass er die vorangehenden Töne
festhält, bis der Akkord vollständig ist. Er setzt ab, wieder um
nicht schwer zu werden, er bleibt Takt 2 mit seiner Begleitung
nicht in der Tiefe, um nicht brummig zu werden, er bleibt Takt 3
nicht in der Höhe, weil die zu dünn, zu jung und unreif klänge,
und eben dieses Hin und Her entspricht dem beweglichen Wesen
des ganzen Satzes.
Nun soU der allerdings sinnig geführte Bass des Schlusssatzes
(bis dahin keine Spur von Duett oder Dialog) für den Streit oder
die Versöhnung, kurz für das Dasein der zwei Prinzipe oder Per-
sonen einstehn. Das war' ein wunderlicher Dialog, in dem die
eine Person erst zu allerletzt das Wort ergriffe! und dazu lässt
dieser Schlusssatz eigentlich zwei verbundne Stimmen
fis g gis I a — lis h a
d e eis I fis — d g fis
gegen den Bass, also drei Stimmen vernehmen.
Endlich soll der zweite Theil das Duett, den „aufs Neue be-
ginnenden Kampf", bringen. Hier tritt nämlich zuerst und zuletzt
der Hauptsatz herrschend hervor, zuerst wie zu Anfang der Sonate
durchaus monodisch, in GmoU. Von da lässt er sich auf der
Dominante von B nieder und allerdings treten nun zwei Stimmen
Marx, Beethoven. I. 1 -
178
i
I
icd:
P
*
\ -
zwei Takte lang duettirend (wenn man so, statt nachahmend
sagen will) auf. Hierauf wird der durchaus monodische Seiten-
satz in Bdur gebracht und nach ihm fllhrt der Bass unter ein-
facher Arpeggienbegleitung die Melodie des Hauptsatzes 18 Takte
lang, ganz allein fort; der Hauptsatz erscheint wieder (in Es dur)
wie zu Anfang; sein Motiv (die vier ersten Noten) tritt beweglich
(wie sich ziemt und tausendmal geschehn ist) spielend ' bald tief,
bald hoch über den Orgelpunkt und führt so zum dritten Theil in
den Hauptsatz.
Das alles zusammengenommen ist aber wieder nichts, als die
gewöhnliche Erörterung und Ereiferung des zweiten Sonatentheils,
wie sie, bald so bald anders gestaltet, stets im zweiten Theile
(wenigstens in allen kunstmässigen Sätzen) stattfindet. Nicht einmal
in der Sonatenform allein, in allen dreitheiligen Gestaltungen hat
der zweite Theil — und in den zweitheiligen der Anfang desselben,
z. B. im Andante der F moU-, im Rondo der A dur-Sonate Op. 2 —
diese Bestimmung. Mit psychologischer und logischer Nothwendig-
keit. Denn im ersten Theile treten die Sätze, die Gestalten auf,
um die es sich handelt; im zweiten handeln diese Personen, werden
diese Sätze zergliedert und erörtert, in andre Lagen (Tonarten,
Stimmen), in andre Beziehimgen (zu neuen Gegensätzen u. s. w.)
gebracht; kurz, nachdem sie im ersten Theil aufgetreten sind,
müssen sie jetzt sich durchkämpfen und durchsetzen. Das zeigt
sich in den kleinen Präludien von Bach, wie in den Symphonien
von Beethoven, es ist der typische, allgemeine Charakter des
zweiten Theils, nicht der spezifische Ausdruck eines individuellen Werks.
„Nun: und Beethovens Wort?" —
Warum sollte er es nicht gesprochen haben ? und obenein mit
Fug und Recht, wenn man nur erwägt, dass er überhaupt kurz
angebunden, kein Freund von Worten (ausser wo einmal das Herz
überfloss) und zu wissenschaftlicher Erörterung nicht geneigt war,
wenn man also seinen Aeusserungen einen etwas weitem Spielraum
zugesteht, von ihnen nicht die Schärfe der wissenschaftlichen Be-
179
Stimmung fordert, wozu übrigens auch weder Beethoven noch der
Anlass, noch der Gegenstand geeignet war.
Nun bedenke man, wie oberflächlich die Meisten Musik auf-
fassen und ausführen; Glück genug, wenn sie „die Melodie" —
nämlich die Hauptstimme — wohl begreifen. Glück genug, wenn
sie das Kunstwerk „ebenfalls recht interessant" finden, so gut wie
das Machwerk des Salonmusikers. Dass neben dieser „Melodie"
noch ganz Anderes vorgeht, dass das Tonwerk noch ganz andern
Inhalt und Zweck haben könne, als Unterhaltung oder Formen-
spielerei: das kommt den Wenigsten in den Sinn. In der Zeit, wo
Beethoven spricht (und vor- und nachher wie oft?), sind nun die
Musiker selbst, diese Welschen mit ihrem Rossini (von dem er ein-
mal meint: es hätte was aus ihm werden können, wenn sein Lehr-
meister ihm öfter einen Schilling irgendwo . . . ausgezahlt), auf
diesen platten Boden hinabgestiegen; er findet die Zeit nicht mehr
poetisch empfänglich, er will das Leben in jeder Stimme anschaulich
machen, die Gegensätze, den Konflikt besonders des zweiten Theils
hervortreten lassen. Da wirft er jene Worte, „Prinzip, Haupt-
stimmen," jene Gleichnisse des Ehe- oder Liebespaares, jene wunder-
liche Vorstellung eines „bittenden und widerstrebenden Prinzips"
hin — und hat das Seinige gethan. Er hat einen Fingerzeig ge-
geben, Schindler hat ihn dankenswerth überliefert, an uns ist es,
ihn zu verstehn, nicht an den Worten kleben zu bleiben.
Seltsam scheint sich übrigens jene bildliche Vorstellung vom
Streit der Prinzipe bei ihm festgesetzt zu haben. In den Konver-
sationsheften finden wir ein Gespräch zwischen ihm und Schindler:
Schindler: Erinnern Sie sich, wie ich Ihnen vor einigen
Jahren die Sonate Op. 14 vorspielen durfte? — jetzt alles klar.
mir thut noch die Hand davon weh.*)
Beethoven: Zwei Prinzipe auch im Mittelsatz der PathÄtique
Tausende fassen das nicht.
Wozu aber endlich der abschweifende Streit? — Er soll nach
der einen Seite denen, die die Theilnahme des. Geistes in der
Musik auf Formenspielerei beschränken, abermals ein Zeugniss aus
dem Bewusstsein des Künstlers bieten, nach der andern Seite vor
*) Beethoven liesB mich (erzählt Schindler) den ersten Theil des ersten
Satzes spielen, schlug mich dabei etwas derbe auf die rechte Hand, schob mich
Tom Stahl und setzte sich hin, die Sonate spielend und erklärend. ~ Man muss
bei der Personalbezeicbnung oben (...) wohl den Namen Schindler setzen.
12*
180
diesen willkürlichen Gleichnissen und Deutungen warnen, die den
Gegenstand nicht scharf in das Auge fassen und statt desselben
die Vorstellung geben, die sich zufällig in ihnen erzeugt und fest-
gesetzt hat. Dieses Spiel mit willkürlichen Bildern ist eben so
unfruchtbar, wie die rein technische Formalbetrachtung, wo sie nicht
etwa für bestimmten Lehrzweck angestellt wird; man muss den
wahrhaften Inhalt zu fassen trachten, und dazu nicht blos den
Gegenstand empfindend gemessen, nicht blos ihn kunstverständig
betrachten, sondern sich in ihn versenken und ihn künstlerisch
wieder aus sich hervortreten lassen. Das ist die Aufgabe.
Fast gleichzeitig mit jenen Sonaten ei-schien die
Sonate pathitique, C moll, Op. 13. (C. V. 77.)
Wer kennt sie nicht? Sie ist, gewiss mit Unrecht, das erste, was
man dem Schüler von Beethoven giobt (allenfalls die S. 73 er-
wähnten Sachen ausgenommen); wer gar nichts weiter von Beet-
hoven spielt, hat wenigstens an sie Hand angelegt. Man darf sich
daher auf wenig Bemerkungen beschränken.
Der erste Satz erhebt sich nach einer enisten breitgelagerten
Einleitung (Grave) ernst, kühn anstrebend, lässt sich herab, schwingt
sich nieder und abermals nieder, um aber- und abermals emporzu-
dringen. Nun sollte der Seitensatz in Es dur auftreten. Aber dazu
ist die Stimmung zu düster, es wird Es moll daraus. Hier setzt
sich der Seitensatz
^
SiiSiäilijil^i^^SäÜ^S
fest, wiederholt sich in Des dur und wendet sich nach dem sehnlich
erwarteten Es dur, das voll aufathmet und aus dem der Gang sich
in breiten, festen Gliedern emporhebt. Von der Höhe weht dann
der Schlusssatz wie ein siegreich aufgepflanztes Panier nieder. Es
ist in Wahrheit Pathos in diesem Satze, das nur bei der flachen
Hastigkeit der meisten Spieler nicht zum Gefühl kommt.
Nach der Wiederholung (die hier besonders nothwendig ist)
weilt der Schluss, der auf den Hauptsatz (jetzt in Es dur) zurück-
gekommen war, auf dem Wendepunkte nach G — und hier kehrt
der Kern der Einleitung wieder, die diesmal nach E moll dringt;
181
das mächtige Gemüth dieses Tondichters, der aus seiner einsamen
Höhe weit umschaut, braucht weite Beziehungen.
Nun der zweite Theil. Im trtibheissen EmoU wagt sich der
Hauptgedanke wieder empor, zieht aber das Motiv der Einleitung,
wie dringliche Bitte gleichsam, herzu. Von allem Weitern soll nur
erwähnt werden, dass vor dem Schlüsse, den wieder der Haupt-
satz bildet, der Kern der Einleitung zum drittenmal wiederkelirt.
Nimmt man dazu, dass der Seitensatz unverkennbar aus dem
Hauptsatze herstammt, so hat man abermals den Anblick eines
Ganzen, das aus Einem Gusse in festester Einheit seines Inhalts
dasteht wie ein Mann von unbeugsamem Willen; „t6te quarree"
nannte Napoleon dergleichen Charaktere.
Lenz hat für das Grave den Namen Einleitung nicht ange-
messen gefunden, weil der Gedanke wiederkehre. Allerdings hat
Beethoven das Grave nicht ausdrücklich Einleitung genannt, aber
es ist gleichwohl nichts anders, es eröffnet die Sonate, ist auch
kein selbständiger Satz, sondern recht eigentlich Hinfilhrung auf
den Hauptsatz. Nun steht aber das Grave da, natürlich nicht als
ein leeres Eingeläute von Tongängen oder Akkorden, sondern mit
eignem geistigen Inhalt aus dem Gemüthe des Komponisten hervor-
getreten und in Einheit mit der Stimmung und dem Gedanken des
Ganzen. Da war die Rückkehr auf diesen Inhalt und seine Ver-
webung mit dem Hauptsatz im zweiten Theil wohl begreiflich. Was
wir vor dem zweiten Theile vom Grave hören, ist natürlich nicht
mehr Einleitung in die Sonate, — doch könnte man es mit vollem
Recht Einleitung in den zweiten Theil nennen, — sondern Portleben
ihres Inhalts; ebenso die dritte Aufführung vor dem Schlüsse. Dies
feierliche Drittemal weiset auf den schwer-ernsten Herantritt zum
Werke zurück.
Statt es weiter zu begleiten, kommen wir auf jene „zv;ei
Principe" Beethovens,*) auf jene Dialogik zurück, die sich in der
*) In einem der Konversationshefte aus dem Janaar j 827 spricht Schindler
zu Beethoven: ^Sonate pathetique — ich bitte mir nochmals eine Explikation
darüber aus, besonders über den Mittelgedanken. " — „es ist sehr schwer, die
2 Principe so neben einander erscheinen zu lassen, wie Sie das wünschen, und
wie es auch sein muss. — Gzerny spielte das auch alles im Tempo.*
Bei den (hier durch Gedankenstriche bezeichoeten) Absätzen fehlt Beet-
hovens RückSusserung. Man erräth aber leicht die Uebereinstimmung zwischen
Schindlers Aeusserungen und Beethoveos früherer Erläuterung, darf auch an-
nehmen, dass Beethoven, im Gegensatz zu Gzerny^s Spiel, Aenderungen und
Unterbrechungen der Bewegung — natürlich sinngemässe und massvoUe —
auch hier zulässig gefunden hat.
182
pathetischen Sonate wie in den beiden Op. 14 zeigen soll. Im
Seitensatz unsrer Sonate tritt in der That das Bassmotiv (B es f ges)
trüb und barsch gegen den ängstlich gleichsam bittenden Gesang
der Oberstimme; man meint fast nothgedrungen, zwei Personen zu
vernehmen und wird das im Vortrag geltend machen. Dies letztere
— und nichts anders war der Beweggrund der Beethovenschen
Aeusserung; denn es war vom Vortrag die Rede. Ist nun aber
wirklich Dialog, wirklich Zweiheit der Personen vorhanden? —
Wir müssen Nein I sagen. Zweiheit der Personen verlangt das
bleibende Dasein und Portwirken derselben, lässt sich nicht mit ge-
legentlicher Loslösung oder Gegensetzung von ein Paar Noten ab-
finden. Dergleichen flüchtig vorüberschwindende Loslösungen ent-
keimen, gleich den späten Seitenkeimen aus fest aufschiessendem
Baumstamme, der Natur der Musik, die „stimmig^ und dramatisch
wird, sobald sie sich über den plattmateriellen Zusammenklang
hinausbringt. Die Melodie mit Inbegriff alles Dazukommenden ist
Eine Stimme Einer Person, — nicht einer leiblichen, die nur einen
einzigen Kehlkopf hat, sondern einer idealen, die gleich dem Chor
der Alten aus vielen Mündern zu uns reden kann. Nur wo bleibend
und in festen Zügen Person gegen Person tritt, kann ernstlich von
Dialog die Rede sein.
Nur einen flüchtigen Blick können wir auf die
Grande Sonate pour Piano, Op. 22, (C. V. 86),
in Bdur werfen, aus dem Jahr 1800,*) der zwei spätere Werke,
Sonate in F dur, Op. 54, aus dem Jahre 1804/5, (C. V. 127),
Grande Sonate in dur, Op. 53, aus 1804, (C. V. 125),
zugesellt werden mögen; die letzte ist bekanntlich Beethovens
erstem Beförderer, dem Grafen Waldstein, gewidmet.
Alle drei Sonaten haben einen gemeinschaftlichen Grundzug:
das ist diese ganz allgemeine Lust am Spiel der Töne, die dahin-
strömen, brausend und übermüthig, und auf denen, wie auf vertrauten
Wogen der frische Schwimmer, der Spieler sich wohlgemuth behag-
lich wiegt. Und das gerade darf in einem Lebensbilde Beethovens
neben dem eigenthümlichen und tiefern Inhalte nicht vergessen sein.
Musik ist in ihrem tiefsten Grunde Leben, bewegtes Leben,
lebendige Bewegung ist ihre erste Aeussenmg. Dies Tonspiel, blos
*j — Wahrscheinlich, wo nicht noch früher. Beethoven hat sie, vorerBt
ohne nähere Bezeichnung, nnter dem 15. Dezember 1800 dem Verleger Hof-
meister in Leipzig auf dessen Wunsch angeboten und in einem spätem Briefe
vom 22. April 1801 sie als Opus 22 bezeichnet.
183
um des Spiels der Töne willen, aus keinem andern oder tiefem
Grund, als der frischen Lebenslust, — dies Gestalten, blos aus Lust
am Gestalten: das ist die Muttererde der Kunst, daran zeigt sich
das musikalische Naturell, daran nährt sich der musikalische Körper.
Hat es bei diesem Spiel sein Bewenden, so wird ein Virtuos daraus,
oder ein Klavierlehrer, oder einer jener zahllosen Dilettanten, die
den Salon zu entzücken suchen und die Nachbarn unglücklich
machen. Hat dagegen diese Spielseligkeit in der Entwicklung des
Musikers gefehlt, so wird sich das bei allem Geist und Geftihl
strafen, es wird den Bildungen solcher Versäumten an Gelenkigkeit,
an Beweglichkeit und behaglichem Sichgehnlassen fehlen.
Beethoven hatte, wie Mozart vor ihm, diesen ersten Tummel-
platz des Tonlebens, das Spielleben, mit Lust beschritten und mit
Energie sich zum Eigen thum gemacht; er war zu seiner Zeit einer
der ersten Virtuosen, war — was ohnedem nicht erreichbar ist —
der erste Improvisator. Aber er war dazu Tondichter, seine Kunst
war Geistesleben, in seinen Schöpfungen lebten Ideen, — und da-
neben blieb die Lust an jenen heitern Spielen bestehn und wirkte
fort. Man kann die Spuren davon in jedem Werke, bis in die Be-
gleitung seiner Gesänge nachweisen, aber auch neben den Werken
besonderer Stimmungen und bestimmter Ideen andre aufstellen, in
denen jenes bewegte Spiel den Hauptinhalt oder doch die eine
Hälfte desselben giebt. Nur unterscheiden sie sich von den ver-
wandten Gaben andrer Komponisten durch die Theilnahme des
künstlerischen und zwar Beethovenschen Geistes. Daher blühn sie
neben den neuern Werken eines Weber, Schumann, Mendelssohn,
Liszt, in denen sich eine zum Theil gesteigerte Technik geltend
macht, in ungeschwächter Jugendkraft weiter, wähi*end die Arbeiten
der Steibelt und Wölfl und Clementi, dieser Nebenbuhler Beethovens
am Klavier, und grösstentheils die edlem Dussecks und Louis-
Ferdinands und Hummels am Horizont entschwunden oder dem
Dahinsinken nahe sind.
Das erste und kleinste dieser Werke ist die Sonate in B dur,
die gleich ihren ersten Satz jener Spielrührigkeit verdankt und die-
selbe auch in der Menuett (besonders im Trio) und im Finale ge-
währen lässt, während daneben und besonders im Adagio innigere
Saiten wach werden.
Viel entschiedner gehört dieser Reihe die F dur-Sonate Op. 54
an, ein eigenthümhches Gebilde. Sie hat nur zwei Sätze. Der erste,
Tempo di Minuetto, ist — muss man sagen — ein verdoppeltes
184
Rondo erster Form. Vom Hauptsatz aus führt ein ganghaftes Treiben
weiter, der Hauptsatz wiederholt sich, der Gang aber auch; und so
muss der Hauptsatz zum drittenmal auftreten. Dieser einfache, man
kann sagen, einförmige Grundriss umzeichnet den Raum zu wachsen-
der Ton-Ergiessung, das Spiel der Töne steigert von Satz zu Satz
seine Lebhaftigkeit. Es erreicht seine Höhe im zweiten, rondo-
förmigen Satze. Das —
AOegretto.
ist der Kern des Satzes, der nicht in gesteigerter Lebhaftigkeit (es
bleibt vielmehr bei derselben Weise), sondern in der rastlosen Be-
weglichkeit, die erst mit dem letzten Ton zur Ruhe kommt, sich be-
friedigt. Es waltet hier im ganzen Tonstücke, besonders im zweiten
Satz, eine seltsam eigenwillige Laune. Humoristisch, fast eigen-
sinnig und ärgerlich dreht und wendet der Setzer seinen Gedanken
und stttlpt ihn um: „und das Ding soll sitzen! und soll laufen!''
— und so braust er darauf hin, wie ein Reiter mit derbem Schenkel-
schluss den störrigen Gaul drückt und wirft und treibt.
In höherm Styl ist die dritte Sonate gefasst, die aus C. Dieser
Sonate soll, wie Ries erzählt, ursprünglich ein Andante zugehört
haben, das als besondere Komposition unter dem Titel:
Andante favorl pour Piano, (C. V. 126),
ohne Opuszahl nach der Sonate herausgekommen und 1806 ange-
zeigt worden ist. Man habe, berichtet Ries, Beethoven darauf hin-
gewiesen, dass das Andante die Sonate zu sehr „verlängern" würde;
darauf habe er es abgesondert herausgegeben und an seiner Stelle
das jetzt der Sonate gehörige Andante eingefügt, das kein selb-
ständiger Satz, sondern nur Einleitung zum Pinale ist.
Betrachten wir das Tonstück (es ist „Andante graziöse con
meto" genannt, in F dur '/s Takt gesetzt), so finden wir es artig, von
Empfindung duftig durchzogen, aber nirgends von tieferm Gehalt,
vielmehr bei aller Annehmlichkeit im Einzelnen von ungebührlicher
Ausdehnung; es ist Rondo dritter Form mit weitgeführtem Anhang;
auch Dussek und Mozart sind in dieser Form mit langsamer Bewe-
gung nicht glücklich gewesen. Die Hauptsache aber ist, dass dieses
Tonstück weder mit dem ersten noch letzten Satze der Sonate in
innerUcher Beziehung steht, beiden ganz fremd ist. Hat Beethoven
185
wirklich daran gedacht, es als Mittelsatz der Sonate einzupflanzen?
Allerdings scheint es so. Ries' Angabe erhält Unterstützung durch
den Umstand, dass in dem von Nottebohm herausgegebenen Skizzen-
buche von 1803 die Skizzen zum ersten Satze der Cdur- Sonate
unterbrochen werden durch Entwürfe zu diesem Andante und zum
letzten Satze der Sonate. Aber gewiss war es eine schnell erkannte
und beseitigte Unachtsamkeit; die „Verlängerung" der Sonate wäre
das kleinste üebel dabei gewesen. Wir haben indess zuviel mit
den Werken, wie Beethoven sie festgesetzt, und dem Entwicklungs-
gang seines Künstlerlebens im Ganzen und Grossen zu thun, als
dass wir auf dergleichen „Emendationen" und „verschiedne Lesarten"
mit Umständlichkeit eingehn könnten. Ein Künstler will künstlerisch
angesehen sein; erst wenn das aus- und abgethan, wenn seine Ge-
staltungen längst und ganz in uns eingegangen, oder wohl gar aus-
gelebt sind, mag man ihr embryonisch Wachsthum biosiegen. Bei
Beethoven eilt das nicht; noch lange werden seine Geschöpfe in
voller Lebensblüthe vor uns wandeln und wir ihres Anblicks, wie
sie der Meister uns zugeführt, froh sein.
Jene C-Sonate nun ist ausser der in D (S. 171) die erste, die
den Namen einer „grossen" verdient; von der B-Sonate kann dies
nicht gesagt werden, trotz ihrer vier Sätze. Die Grösse der Ge-
danken und die Weite, in der sie sich ihrer Natur gemäss ent-
wickeln, bedingen den Charakter der grossen Sonate. Beides, wenn
auch nicht im gleichen Masse Tiefe der Gedanken, ist unstreitig
Eigenthum der C-Sonate.
Gleich der Hauptsatz des „Allegro con brio" legt sich in rasch
pulsirender Beweglichkeit und keckem Abbruch drei Takte breit
(aus denen der Nachklang des letzten vier macht) hin, drängt sich
wiederholend über B nach F dur, nach P moll, wirbelt einen Augen-
blick auf dem höchsten erlangten Punkte und schHesst unter ent-
schiednem Eingriffe des Basses fragend und zögernd seinen Vorder-
satz. Der Nachsatz wiederholt den Inhalt des Vordersatzes, aber
schon in fieberhaft aufgeregter Bewegung, aber schon hinauf- statt
hinabtreibend, nach dem beunruhigenden DmoU statt nach dem
feierlich vertiefenden B dur. Von hier wendet sich der Satz wirbelnd
in das heisse H dur, oder vielmehr nach der Dominante von E dur.
Das alles wirkt um so erregender, als es im steten Piano Pia-
nissimo vorgeht, gleichsam in Heimlichkeit, um die Aufregung nicht
zu verrathen, nur ein paar Mal in Crescendo aufwallend, zuletzt
erst entschieden stark auftretend. Nun erst kann der Seitensatz
186
seinen mildernden holden Gesang anheben, nicht in der trivialen
Dominante Gdur, sondern im sonnig hellen und sonnig wannen
E dur, das nadi dem vorher stark eingeprägten heissem H dur immer
noch sänfligend wirkt.
In der kleinen FmoU-Sonate (S. 103) war der Seitensatz die
Umkehr (oder vielmehr, mit dem Kunstausdnicke zu reden, die Ver-
kehrung) des Hauptsatzes, die andre Seite. Hier ist er ein durch-
aus Anderes, ohne den mindesten Anklang an den Hauptsatz ; nach
der Ereiferung in diesem gewährt er Ruhe, süsses Behagen, als
wiege der kühne Steiger auf erklommener Höhe sich im Wohlge-
fallen des heitern Umblicks auf die sonnigen Breiten ringsumher.
F6tis macht in seinem biographischen Artikel über Beethoven
eine sinnreiche Bemerkung über dessen Seitensätze. Er findet sogar
das Unterscheidende zwischen ihm und den andern Komponisten in
der „spontan6it6 des 6pisodes", in der freien Bildung der Seiten-
sätze, durch die er in seinen schönen Werken das angeregte Inter-
esse (an den Hauptsätzen) aufhält, um ein anderes ebenso lebhaftes
wie unerwartetes an seine Stelle zu setzen. Diese Kunst sei ihm
eigenthümlich. Scheinbar dem ersten Gedanken (dem Hauptsatze)
fremd, fesseln diese Seitensätze zuerst die Aufmerksamkeit durch
ihre Eigenthümlichkeit. Dann, wenn der Eindruck der Ueber-
raschung sich zu schwächen beginnt, wisse Beethoven diese Seiten-
sätze mit der Einheit seines Plans zu verknüpfen und zeige, dass
im Zusammenhang seiner Komposition die Mannigfaltigkeit von der
Einheit ahhängt. Die Bemerkung ist gut und verdienstvoll, wie-
wohl nicht erschöpfend und tiefgehend genug; es ist nicht leicht,
Beethoven erschöpfend und aus der Tiefe zu fassen. P6tis hat
nämlich erstens nur die eine Gattung der Seitensätze im Auge,
die nämlich als Seitensatz einen ganz neuen, unerwarteten, an-
scheinend fremden und deshalb Anfangs überraschenden Gedanken
bringt. Das geschieht hier in der C-Sonate; aber schon haben
wir in der F moll-Sonate die andre Gattung von Seitensätzen sich
anmelden sehn, und dieser Fall ist nicht der einzige. Zweitens
stellt sich bei dem vortrefflichen Franzosen der Hergang etwas
gar zu äusserlich her, ungefähr so, wie er bei den französischen
Musikern wirklich statthat, nicht aber bei einem Beethoven. Bei
diesem ist von einer „spontan6it6" , von einem Aufsparen des
Interesses (am Hauptsatze), von der Absicht, Unerwartetes, Origi-
nelles, Ueberraschendes zu geben und dies dann mit dem Plan des
Ganzen wieder zu verknüpfen, — eine Absichtlichkeit, d[e F6tis
187
allerdings nicht ausspricht, oflenbar aber im Sinne hat, oder doch
in den Sinn des Lesers bringt, — von alledem ist bei Beethoven
nichts zu finden. Die Stimmung oder die Idee des Ganzen baut
dieses Ganze nach innerer Nothwendigkeit, so dass von Eigen-
willigkeit strenggenommen nicht mehr die Rede sein kann, viel
weniger von äusserlichen Absichten. Nicht also in der Neubildung
der Seitensätze liegt das Eigenthümliche Beethovens, die findet
sich bei den Vorgängern auch, sondern umgekehrt in der grossen
geistigen Einheit seiner Konzeption, von der wir schon Beispiele
gehabt und noch schlagendere finden werden.
Doch zurück zur Sonate. Der Seitensatz gewährt Ruhe; aber
nicht lange. Schon seine Wiederholung ist beweglich figurirt, von
da wieder rastloser, gesteigerter Drang und Flug der Töne, bis sie
sich athemlos ermüdet im Schlusssatze (EmoU) legen. Der ganze
zweite Theil ist ein gedrungen feuervoll Spiel der tief erregten Ton-
welt, der dritte Theil schliesst sich an. Ganz folgerichtig tritt hier
der Seitensatz in Adur*) auf. Aber das ist, Angesichts des Schlusses,
unmöglich, nicht etwa ein Formgesetz, das irgend Jemand (wer?)
gegeben, sondern die Natur der Sache und der Trieb im Kompo-
nisten stehn entgegen; die letzte volle Befriedigung ist nur im Haupt-
ton und im erneuten Hineinleben in denselben zu finden. Folglich
wiederholt sich der Seitensatz in A moU, wendet sich aber sogleich
in den Hauptton und breitet da seine Bewegung aus.
Das Ziel ist erreicht, indess nach so weitem Abschweifen nicht
befestigt; der Schlusssatz ruft die beruhigende Unterdominante
(F dur) zu Hülfe. Aber Beruhigung liegt nicht im Sinne des Werks.
Der Hauptsatz tritt nochmals in neues Gebiet heraus, nach dem
ganz fremden Des dur, um sich abermals in den Hauptton zurück
zu ergiessen, nochmals den beschwichtigenden Seitensatz, nun in
C dur, herbeizuführen und dann zu schliessen.
*) Dem Hinaustritt aus dem Hauptton, in dem der Hauptsatz aufgetreten,
in die Tonart des Seitensatzes, entspricht von Theil 2 an die Rückkehr in den
Hauptton. Im ersten Theil nun war der Seitensatz — also der andre Gedanke
des Ganzen — in der neuen Tonart aufgetreten, im dritten Theile geschieht
ihm sein Recht, er wird im Hauptton aufgenommen (der damit erst Tonart des
Ganzen wird) und damit dem Ganzen gleichsam eingebürgert. Nun ist die
n&chstgelegene Tonart für den Seitensatz im ersten Theil in Dursätzen die
Dominante, im dritten der Hauptsatz. Beethoven hat im ersten Theile statt
der Dominante (Gdur) Edur gesetzt; dem ganz parallel tritt im dritten Theil
statt des Haupttons (G dur) A dur auf.
188
Und dennoch ist es erst der dritte Satz, der die Wonne der
Spielseligkeit ganz rein zu geniessen giebt.
Von der
Grande Sonate pour le clavecin ou Fortepiano, As dur, Op. 26,
(C. V. 92),
die 1801 geschrieben, sei erwähnt, dass der berühmte Trauermarsch,
„Marcia ftinebre sulla morte d'un Eroe", der so viel schwarzlackirte
Märsche nach sich gezogen hat und gleichwohl vor jedem friedlich
entschlafenen Bourgeois hergeblasen wird, durch die Anpreisungen
des Trauermarsches in Paers Achill angeregt worden sein soll;
dies giebt wenigstens Ries ganz bestimmt an. Oulibicheff be-
streitet die Thatsache, weil die Oper erst 1806 — „in Dresden"
aufgeführt sei; sie war aber für Wien komponirt und am 6. Juni
1801 daselbst aufgeführt worden. Oulibicheff hat nur die Lächer-
lichkeit herausgefühlt, dass Beethoven mit Paer geeifersüchtelt und
gew^etteifert haben soll; und allerdings hat Ries mehr als einmal
bewiesen, dass er in die Vertrautheit mit dem Beethovenschen
Ideengange nicht allzu tief eingedrungen war. Warum aber könnte
nicht, war die Paersche Komposition ihm irgend einmal nahegerückt,
der Gedanke einer Helden- Bestattung sich seiner Phantasie eingeprägt
und in jenem Marsch der Sonate Verkörperung gefunden haben? wer
kann überhaupt ermessen, welche ganz äusserlichen und zufälligen
Anregungen bisweilen die Schöpferkraft im Künstler erwecken?*)
Jedenfalls wüssten wir in dieser As dur-Sonate keine fest aus-
geprägte und klar hervortretende Einheit aufzuweisen, so reizend
*) Anmerkung des Herausgebers. Allerdings stehen chronologische
Daten in diesem Falle entgegen. Paers Werk ist erst 1801 im Juni in Scene
gegangen, während der Trauermarsch, wie Nottebohm aus einem zwischen
Ende 1799 und Anfang 1801 benutzten Skizzenbuche ermittelt, schon im Jahre
1800 gleichzeitig ungefähr mit einzelnen Scenen des Ballets Prometheus, wenig-
stens im Entwurf, entstand. Wollte man dennoch an der Anregung durch Paer
festhalten, so müsste man freilich voraussetzen, dass Beethoven dessen Oper
oder Stücke daraus schon vor der Auffuhrung kennen gelernt. Wenn aber
später Beethoven die Oper Achill in Gegenwart des Komponisten hörend aus-
gerufen haben soll: ^Oh que c'est beau, que c^est interessant! ii faut que je
compose cela — ^ Ferd. Hiller berichtet dies als ihm vom greisen Paer selbst
erzählt — so dürfte dieser anerkennende Ausruf und das plötzlich entstehende
Verlangen, Aehnliches zu komponiren, wohl dem heroischen und hocherhabenen
Charakter des Stoffs gegolten haben, der seine Künstlerphantasie in Schwingung
versetzte und vielleicht den Gedanken der Eroica-Symphonie zeitigte. Jeden-
falls stammen Skizzen zu der letzteren schon aus dem Jahre 1801. (Ghronol.
Verzeich. 124.)
189
und bedeutend auch jeder einzelne Satz ist.. Auf seelenvolle
Variationen mit ihrem von Herz zu Herz redenden Schlüsse folgt
ein erst lieblich ansprechendes, dann empordringendes Scherzo (der
Name steht hier nur uneigentlich) mit einem jener stillathmenden,
in sich ruhenden Trios, die Beethoven ganz allein eigen sind. Dann
zieht der Trauermarsch voiüber; dann schliesst ein letzter Satz,
dem möglicherweise ein „sit iUi terra levis" vorgeschwebt hat.
Wer kann überhaupt alle Schönheiten aufzählen, die diese lange
Reihe von Werken bietet? Nur im Vorbeigehen sei der grosssinnigen
Sonate fllr das Pianoforte, Op. 28 (C. V. 94),
in D dur, gedacht, ebenfalls aus dem Jahr 1801. Irgend ein poe-
tischer Klaviermeister oder Buchhändler hat ihr in neuerer Zeit
den Namen „Pastoral-Sonate" angehängt; es fehlt nur noch, dass
man die siebente Symphonie, nachdem schon die sechste, die
wirkliche und von Beethoven so benannte „Pastoral-Symphonie"
geschaffen war, ebenfalls „Pastoral-Symphonie" taufte. Und richtig
ist das auch geschehn; das Allegretto ist die Trauung eines länd-
lichen Paars, und im Scherzo stampfen die Bauern im lustigen
Tanz auf. Aber Beethoven war kein Gessner; in allen seinen
Werken, die diesen Namen mit Recht tragen, findet sich auch
nicht eine einzige Wiederholung eines Grundgedankens.
Die D dur-Sonate nun, in all' ihrer Einfalt und Stille so gross-
artig gesinnt, dass schon daran jener nachdruckerische Spitzname
lächerlich wird, giebt im ersten Satz das Bild eines edlen, männ-
lich-ernsten, in seiner Herablassung und Zärtlichkeit erst wahrhaft
erhabenen und liebenswerthen Charakters. Er kann sich sinnig
gehen lassen (Seitensatz), kann sich erwärmen, ja kann einreissend
heftig wollen, aber nur, um bald (Schlusssatz) begütigend in seine
stille Beschaulichkeit zurückzukehren. Der Schluss des zweiten
Theils bringt eines jener biographisch und psychologisch merk-
würdigen Zeichen, wie das Urphänomen des Tonlebens (S. 163) in
Beethoven gelebt und gewirkt hat. Der ganze zweite Theil beschäftigt,
sich mit dem Hauptsatze, in diesem Werke der entschieden vor-
waltende Gedanke, nimmt den Kern desselben sogar fugenmässig vier-
stimmig durch; — auch hier ist nicht von wahrhaft Dialogischem
(S. 181) zu reden, es ist Monodie, wie der Chor der Alten es war,
die aus mehr als einem Munde redet, weil sie den Gegenstand selber
auseinandei-setzt und dazu sich selber dialektisch spaltet, gleichwie
der Chor in die Halbchöre und Einzelnen. Mit diesem Fugato ge-
langt der Satz auf Fis in Fis dur, das er als Urgrundton fasst
190
um darauf (statt . auf der Dominante A) den Orgelton zu bauen.
Auf diesem Fis ruht der Satz einundzwanzig Takfe lang, während
das zuletzt aus dem Hauptsatz erhobene Motiv sich in der tief-
liegenden dritten Stimme eingräbt und finsterdenkend brütet, die
zweite Stimme weckt, in die höchste Lage der ersten Stimme sich
schwindelnd verliert, in der tiefsten Basslage leise fortdröhnt — und
vom zweiundzwanzigsten Takt an alle melodische und motivische
Bewegtheit geschwunden ist und über ihrem Urton die Harmonie
(Fis-ai's-cis) in langsamen, zögernden Pulsen von Stufe zu Stufe sieb-
zehn Takte lang in die tiefste Tiefe sinkt, und ruht, und schweigt.
„Tausende fassen das nicht!" Hier möchte man Schiodlers
Wort (S. 179) aussprechen.
Schweigen müssen wir von all' den Schätzen an Liebreiz,
Laune, Qeftihl, die sich unter dem Namen von
Trols Senates pour Piano, Op. 31, aus dem Jahr 1802 (0. V. 107),
zusammengefunden , bezeichnen alle drei , die G dur-Sonate mit
ihrem hesperischen Adagio, die bis zur Ausgelassenheit humoristische
Es dur-Sonate, die tiefbewegte Dmoll-Sonate, einen bedeutenden
Portschritt in der Kraft und Kunst Beethovens. Er ist kein
Anderer geworden, weder jetzt noch später, — aber der Gesichts-
kreis ist weiter, der Zug der Thatkraft freier und energischer ge-
worden.
Nur der erste Satz der D moU-Sonate fordert eine Betrachtung.
Er tritt mit einem breit ausgelegten, überschwankenden Akkorde
langsam (Largo) und leise, wie ungewiss auf; ein ganz fremder
Gedanke (AUegro) flattert unsicher und bang nach.
Largo. Aüegro.
^ g ^^ g^ ^iS^^
ITT ^ ^ ^
und ruht gleich im nächsten Takte (Adagio) wie fraglich und un-
begnUgt auf der Dominante A. Das Largo kehrt wieder, eine
Stufe tiefer in C, und abermals folgt der Allegrosatz, weiter umher,
peinlich -angstvoll emporflatternd, ganz verlassen von stützender
Begleitung niederschwebend in die grollende Tiefe und wieder
emporklimmend.
191
Das Alles ist gleichsam versuchsweise ergriffen und in Unent-
schlossenheit wieder dahingefallen. Jetzt erst tritt der Hauptsatz,
aus dem Largo -Motiv erwachsen, mit finsterer Entschiedenheit
und voller Kraft hervor, der sich gleichwohl ein weicherer Zug
Aüegro.
des Schmerzes oder der Bitte zugesellt. In diesem flüstern, aber
entschlossenen Gange findet natürlich das milde tröstliche Pdur
keine Anwendung; der Seitensatz tritt nicht (wie das Nächstliegende
und in den meisten Fällen Rechte war') in Pdur, sondern in der
Molldominante, auf deren Dominante auf, — und er ist gebildet
aus den nach dem ersten und zweiten Largo eintretenden Allegro-
sätzen,
er ist die Vollendung dessen, was jene nur angedeutet. In Hast
und grosser Erregtheit (Beethoven hat ausdrücklich agitato beige-
schrieben, was sich sonst im Laufe eines Satzes nicht leicht finden
liesse) drängt und arbeitet diese Stimmung sich weiter und abwärts,
bis hart-entscheidende Schläge dagegentreten. Sie scheinen sich
zu erweichen, grollen aber noch in der Tiefe, bis aus dieser der
Bass höher und höher mit steigender Kraft empordringt — und
die Höhe trüb, aber mit siegerischer Festigkeit sich dennoch gegen
ihn behauptet.
Hier stehen sich nun zwei — nenne man es Geister, Stim-
mungen — zwei Persönlichkeiten gegenüber; man könnte versucht
sein, ihnen plastisch bestimmtes Dasein anzudichten. Allein
sicherer Anhalt fehlt. Vielmehr sind beide Stimmungen nahe genug
verwandt und formell eng genug aneinandergeknüpft, ja einander
ergänzend, um auch hier jeden Gedanken an Zweiheit der Person
abzuweisen. Es ist ein einiges Wesen, das den trüben Kampf
des Lebens tapfer, wenngleich düster und oft horzensbang durch-
192
kämpft. Der erste Satz der D molI-Sonato ist, wie das Skizzen-
buch beweist, welches B. etwa vom Okt. 1801 bis Mai 1802 im
Gebrauch hatte (herausgegeb. 1865 v. Nottebohm), in der ersten
Hälfte des Jahres 1802 geschrieben, als das Verhältniss zu Julia
Guicciardi sich löste.
In unverbrüchlicher, unerbittlicher Einheit und Unabänderlich-
keit vollzieht sich die Fortsetzung.
Der erste Theil war still geworden, fast bis zum Verstummen;
der zweite hebt mit jener ersten Largo-Frage wieder an, die, aus
der Tiefe dringender emporgeworfen, in feierlicher Dreizahl ertönt
und vergebens der lösenden Antwort harrt. Streng vielmehr und
ohne Zwischenrede tritt der Hauptsatz wieder an, dringt scharf
empor, versinkt wieder zur Tiefe und bringt da — der dritte Theil
fordert sein Recht — die Largo-Frage zurück. Ist sie noch nicht
veretanden? es fehlte ja kaum etwas, als das Wort! — Und auch
das soll nicht fehlen: aus dem Largo tritt ein Rezitativ hervor,
— die Rede, die Musik wird ; die Musik, die Rede werden möchte,
um endlich verstanden und erhört zu werden.
Rezitativ in der Instrumentalmusik ist nicht neu. Schon Seb.
Bach hat in seiner chromatischen Fantasie den tiefsinnigsten Ge-
brauch davon gemacht, Mozart hat in seinen Variationen über
„Une fifevre brülante" die Adagio- Variation , übrigens ohne tiefere
Bedeutung, scenenartig mit Rezitativ durchwebt. Wo es bedeutsam,
nicht als Mos äusserliches Formspiel auftritt, spricht sich in ihm
vor Allem das BedÜrfniss des Komponisten aus, über die Sphäre
der unbestimmten Regungen hinaus zu festbewusstem Ausdruck
zu gelangen. Dies BedÜrfniss aber setzt voraus und bezeugt, dass
der Komponist selbst über jene Sphäre hinaus zu heuern An-
schauungen und deutlicherm Bewusstsein gelangt ist. Mehr als
einmal wird diese Gestaltung bei Beethoven wiederkehren, zuletzt
in symbolisch-mächtigster Bedeutsamkeit.
So hat uns der erste Hinblick auf die Werke eine stetige
Reihe von Gebilden erkennen lassen, die sich von dem Standpunkte
beseelten Tonspiels zum Ausdruck bestimmter Empfindung, zur
Entwickelung festgehaltener und fortschreitender Gemüthszustände,
— gleichsam Geschichten aus dem Seelenleben, zum Theil aus
dem wirklichen Leben angeregt, — bis dahin fortführt, wo man
nach dem Wort verlangt, weil das Bewusstsein so bestimmt und
klar geworden, dass es kaum anders als durch das präzise Wort
sich genugthun zu können meint.
193
Wie besteht solchem Zeugniss und solchen Zeugen gegenüber
der alte, nimmer rastende Streit der Aesthetiker: ob die Musik
Tonspiel oder dunkles Gefühl sei, oder bestimmtem Inhalts? Sie
ist Alles dies, und jedes mit gleichem Rechte; denn sie ist, was
sie sein kann.
Mag die Deutung hier oder dort irren; es ist schon das be-
zeichnend und bezeugend, dass die Werke gereizt haben, sie zu
deuten und auszulegen, — und zwar nicht Einen oder Einige, son-
dern Alle, die mit offner Seele sich in der Kunst eingelebt haben.
Unter den Zeugen aber stehn die Künstler, die Tondichter nämlich,
voran; sie haben es selber in sich selber erlebt, was den künst-
lerischen Schöpfungen das Dasein giebt.
Und unter diesen „berufenen" Zeugen steht unstreitig Beet-
hoven selber als der „auserwählte" voran. Er selber hatte (wie
Schindler aussagt) im Jahr 1816, als eine Gesammt- Ausgabe seiner
Sonaten im Werke war, die Absicht: „die vielen jener Werke zum
Grunde liegende poetische Idee anzugeben."
Auf diese Lebensfrage der Tonkunst wird mit verstärktem
Nachdruck zurückzukommen sein.
Chorische Werke.
Der Komponist Beethoven war, wie wir gesehen, auch Virtuos.
Man kann nicht Beides in sich vereinen, ohne zur Konzertkompo-
sition hingezogen zu werden. So schliessen sich den Klavierkom-
positionen Beethovens mit und ohne Begleitung von Solo-Instru-
menten seine Konzert- Werke an, ihnen wieder andre nahstehende,
die sich der zusammenfassenden Betrachtung gerade hier am zu-
gänglichsten erweisen. Von ihnen hebt sich der Blick zu Orchester-
und symphonischen Werken. Dies alles bezeichnen wir, in Erman-
gelung eines besseren Namens, mit dem chorischer Kompositionen,
der eigentlich nur Werken flir Singchor gebührt, und einem Theil
des hier Zusammenzufassenden nur höchst uneigentlich. Er sollte
März, Beethoren. L 13
194
jedoch auf die Bedeutung des Orchesters für Beethoven im Voraus
hinweisen.
Die Reihe dieser Werke wird uns durch das erste*)
Concert pour Piano et grand Orchestre, Op. 15 (Cdur), (0. V. 64),
eröffnet.
*) Dies Konzert ist nur der gebräuchlichen (Jeberlieferong und seiner Opas-
zahl zufolge das erste, in Wahrheit ist es seiner Entstehungszeit nach das
zweite in der Reihenfolge der Klavierkonzerte. Dafür zeugt zunächst Beet-
hoven selbst, der in einem Brief an Breitkopf und Hfirtel am 22. April 1801
wörtlich sagt: „ich merke an, dass bei Hofmeister eines meiner ersten Konzerte
herauskommt .... bei Mollo ein später verfertigtes Konzert." Nun kam bei
Mollo in Wien das Gdur-Konzert Ende März 1801 heraus, bei Hofmeister in
Leipzig aber und zwar erst Ende 1801 das in B dur. Das letztere also, das
sogenannte zweite Konzert ist das zuerst entstandene, und wenn Wegeier
erzählt, das Konzert in Cdur sei während seiner Anwesenheit i|i Wien, die
sich vom Ende 1794 bis in die Mitte von 1796 erstreckt, komponirt, so ist er
im Irrthum. Es war das Konzert in B dar, während dessen Entstehung er sieb
in Wien aufhielt. Mithin muss auch Wegelers Bericht — dem zufolge das Rondo
erst am Nachmittag des zweiten Tages vor der Auffübrang von Beethoven ge-
schrieben ist, und zwar unter heftigen KoUkschmerzen, während im Vorzimmer
4 Notenschreiber sassen, denen er jedes fertige Blatt einzeln Übergab — auf
dies Bdur-Konzert bezogen werden. Dass er beide Kompositionen verwech-
selte, erklärt sich daraus, dass die spätere, weil sie etwa 7« Jahre früher
herauskam, die Opus-Zahl 15 erhielt, während die ihrer Geburt nach
ältere, aber dem Erscheinen nach jüngere als Opas 19 in den Buch-
handel kam. Am 29. März 1795 spielte Beethoven sein erstes Klavierkonzert
zum ersten Mal öffentlich vor, natürlich war es das in Bdur. Wann hat er
es komponirt? Nottebohm hat diese Frage gelöst (Neue Beethoveniana in
No. 48 des Musikalischen Wochenblatts von 1875), und zwar auf Grund von
Beethovenschen Skizzenblättern, die im Brittischen Museum aufbewahrt werden.
Es kommen 2 Bogen in Betracht. Der eine enthält auf allen 4 Seiten Skizzen
zu den 3 Sätzen des B dur-Konzerts. Derselbe Bogen enthält auf den oberen
Systemen der dritten Seite 2 kleine, dem Unterricht bei Albrechtsberger an-
gehörende Nachahmungssätze, die, wie Stellung und Dinte beweiset, früher
geschrieben wurden, als die Konzertskizzen um sie herum, Die Nachahmungs-
Sätze sind frühestens Anfang 1794 geschrieben, das Konzert muss also später
entstanden, doch spätestens am 29./3. 1795 fertig geworden sein, da es an
diesem Tage von Beethoven vorgetragen wurde. Ferner finden sich auf der
ersten Seite des anderen Bogens Arbeiten zu einer Kadenz zam ersten Satz
des B dar-Konzertes , die ohne Vorhandensein des Werkes selbst nicht zu er-
klären seien würden. Auf der zweiten Seite aber desselben Bogens finden sich
einige auf den letzten Satz des Konzertes in G dur bezügliche Stellen, welche
diese Arbeit noch in ihrem ersten Stadiam zeigen. Auch dieser Bogen also
liefert einen Beweis für die spätere Entstehung des C dar-Konzertes. Dasselbe
ist jedenfalls vor Anfang Juli 1798 vollendet worden. Dies folgt aus einem
dritten Skizzenblatt, dessen erste zwei Seiten in der oberen Hälfte mit einer
195
Eonzertkomposition, wer auch der Komponist sei, ist stets
ein Unternehmen zweideutiger Art. Der Tonsetzer hat einen Chor
von Instrumenten um sich versammelt; durch sie will er sprechen,
sie sind die Personen seines Drama's, jede derselben von eigenthüm-
lichem Venpögen und Charakter; im freien Kunstwerke würde jede
nach ihrer Weise zur Theilnahme berufen werden, mit gleichem
Rechte, das sich nach ihrem Naturell und Vermögen näher be-
stimmte. $0 war' es im frei(in Kunstwerk', in dem der Bildner
unbedingt i^nd ohne Nebenzweck einzig seiner Idee folgt.
Im Kopzerte muss, nach dessen Bestimmung, von diesem Grund-
gedanken jpdes Instrumentenvereins abgegangen, es muss dem kon-
zertirenden oder Prinzipal-Instrument — oder den zwei, drei kon-
zertirenden Solo-Instrumenten der entschiedne Vorzug vor den
andern gegeben werden, und zwar nicht aus innem Gründen
chorischer Komposition, sondern aus dem ganz willkürlichen Vor-
satz, es zu bevorzugen und hervortreten, sich auszeichnen zu lassen,
— oder vielmehr den Spieler. Das durchgreifende Mittel aber des
Spielers, sich auszuzeichnen, kann nur seine Bravour sein;* was
auch sonst der Komponist zu sagen hat, die Rücksicht auf den Solo-
spieler und seine Bravour darf nicht versäumt, muss vorangestellt
werden. Bei Pianoforte-Konzerten kommt noch der bedenkliche
Umstand dazu, dass dieses universale Instrument, das sich selber
wohl genug sein, für sich allein Träger der tiefsten Ideen sein kann,
gegen die Orchesterinstrumente nach Schallvermögen und melodischer
Kraft im entschiednen Nachtheil steht. Uebersehen oder überwinden
lassen sich diese Verhältnisse nicht; es kommt darauf an, sich mit
ihnen, so gut es gehen will, abzufinden. Dass auch unter solchen
Bedingungen das Talent des Tonsetzei-s Hervorragendes leisten
kann, hatte kurz vor Beethoven Mozart bewiesen.
Beethoven hat sich in der Konzertkomposition, namentlich in
dem vorgenannten, ebenso im zweiten (eigentlich ersten, cf. oben)
und dritten
Concerto pour Piano . . . Op. 19 (C. V. 37.) und Op. 37, (C. V. 85.),
aus Bdur und CmoU, nach Tendenz und Form seinem grossen
Vorgänger angeschlossen. Dass er es mit eigenthümlichem Inhalt,
Kadenz zum ersten Satz des Konzertes beschrieben sind, wfihrend die untere
Hälfte der zweiten Seite Entwürfe zum letzten Satz «der Sonate in Ddur op.
10 No. 3 bietet. Die Sonaten waren spätestens Anfang Juli 1798 fertig, folg-
lieh das Konzert, dessen Kadenz ungefähr um dieselbe Zeit wie der letzte
Satz der Sonate in D dnr entworfen wurde, schon früher. —
13*
196
mit Benutzung der höhern und immer fortwachsenden Spielgeschick-
lichkeit und Instrumentkraft, auch mit reicherer und eindringlicherer
Erfassung des Instruments nach Vermögen und Natur desselben,
endlich mit reicherer und blühenderer Verwendung gethan: das
war* ein grosses Lob für andre Komponisten, nicht so für Beet-
hoven. Seine Aufgabe war nicht darauf beschränkt, das bereits
Vorhandne bereichert oder verschönert zu wiederholen, — was
gewiss schon ein hohes Verdienst um das Kunstleben ist, — sondern
in seiner Kunst eine neue Idee zu verwirklichen und damit der-
selben eine neue Bahn, ein neues Reich zu öffnen.
Das Konzert in B dur wurde von Beethoven selbst zuerst in
Wien am 29. März 1795 vorgetragen, das in Cdur in Prag 1798,
wo er auch das in B dur wiederholte; das dritte wurde 1803 vom
Komponisten selbst*), von Ries im Jahre 1804 ausgeftihrt, ist
aber schon 1800 geschrieben oder angefangen. „Beethoven (er-
zählt Ries) hatte mir das Manuskript gegeben, um damit zum
ersten Mal öffentlich als sein Schtiler aufzutreten ; Beethoven diri-
girte und wendete mir um. Ich hatte ihn gebeten, mir eine Kadenz
zu komponiren, er wies mich an, selbst eine zu machen. Er war
mit meiner Komposition zufrieden und änderte wenig. Eine brillante,
aber sehr schwierige Passage, die ihm zu gewagt erschien, sollte
ich ändern. Die neue befriedigte mich nicht. Ich konnte es nicht
über mich gewinnen, im öffentlichen Konzerte die leichtere zu
wählen. Beethoven hatte sich ruhig hingesetzt. Als ich nun keck
die schwere anfing, machte Beethoven einen gewaltigen Ruck mit
dem Stuhle, die Kadenz gelang aber, und Beethoven war so er-
freut, dass er laut Bravo! schrie. Dies elektrisirte das Publikum."
Diese Anekdote, willkommen als einer der kleinen Züge, die
das Charakterbild lokaUsiren, bezeichnet dem Verstehenden zugleich
den Charakter der Kunstgattung, um die es sich handelt.
Betrachtet man das Konzert aus allgemeinerm Gesichtspunkt
als üebcrgang vom Beethovenschen Klavier zum Orchester, so
knüpft sich ein zweiter Uebergang an jene Trio's Op. 1, in denen
zwei andre Instrumente sich dem Klavier zu gleich berechtigter
Mitwirkung verbinden, soweit das Uebergewicht des Klaviers die
Gleichheit zulässt. Dieser Uebergang eröffnet sich, weniger be-
deutende Werke bei Seite gelassen, in den
*) Die Aufführang fand am 5. April statt Ausser der ersten Symphonie
wurden 3 grosse Werke, und diese zum ersten Male vorgetragen: das
dritte Konzert, die zweite Symphonie und das Oratorium Christus am Oelberge.
197
Six Quatuors pour 2 Violons, Alto et Violoncello, Op. 18, (C. V. 82),
von denen die drei ersten vielleicht, wie ans einem Briefe an Hof-
meister vom 15. Dezember 1800 gefolgert werden darf, schon
Ende dieses Jahres, die drei folgenden 1801 herausgegeben sind,
die aber alle sechs spätestens Mitte April 1800 druckfertig waren.
Das dritte Quatuor in der Herausgabe, Ddur, soll das erste in
der Komposition und das erste in der Herausgabe, Fdur, das
dritte in der Reihenfolge der Komposition sein, die erste Anregung
zu diesen Arbeiten soU 1795 Graf Appony durch jene Aufforderung
(S. 47), ein Quartett zu schreiben, gegeben haben.
Die Reihenfolge der drei ersten Quartette, der Komposition
nach, ist psychologisch aufklärend über die Stimmung und Rich-
tung des Komponisten, dessen charakteristische Werke bis dahin
dem Klavier, dem ihm vertrautesten Instrumente, angehört hatten
und dessen Eigenthtimlichkeit, — vertiefte Innerlichkeit, — zuerst
in jener kleinen F moll-Sonate Op. 2 hervorgetreten war. Nun er-
hält er durch Appony den äusserlichen Anstoss zur Quartettkompo-
sition — und lasst, einstweilen ebenfalls ganz äusserlich, den Ent-
schluss, darauf einzugehn. Wie er ist, wie er sich in seinem
Besten bisher gefühlt und erwiesen, so giebt er sich als ächter
Künstler mit der vollen Innigkeit seines Wesens und ganz unbedingt
der neuen Aufgabe hin. Das ist der Ursprung des D dur-Quatuors
und ganz besonders des ersten Satzes; man dürfte sagen, dass hier
mehr Beethoven als Quartett wäre, so schön das Werk auch
als Quartett ist und so gewiss es nur Quartett sein kann. Aber
die grosse Quartettschule Haydns und Mozarts? Sie muss ihr ge-
bührend Recht haben; das zweite Quartett stellt sich ganz neben die
Mozartschen, das dritte, F dur, zeigt jenes rastlose Motivenspiel,
den eigentlichen Lebenspuls des Quartettsatzes, — so lange nicht
der Geist den Pulsschlag höhern Lebens erweckt. Erst war der
Beethoven da, dann hat er sich als Meister neben die Meister gestellt.
Die Quartettkomposition hält die Mitte zwischen Klavier- und
Orchestersatz. Minder anspruchsvoll als der letztere, lässt sie sich
überall, wo nur vier Spieler zusammenkommen mögen, ausführen
und entspricht schon damit der deutschen Neigung, sich im kleinen
bescheidenen Räume, gleichsam im heimlichen, lauschigen Winkel
zusammenzufinden. Da erwarten sie sich, da finden sie sich, üben
und freuen sich endlos an dieser feinen Quartettarbeit, spielen und
leben sich in einander hinein zu lebenslänglichem Freundschafts-
quartett. Ein solches Quartett ist sogar einmal leiblich geboren
198
worden; es waren die vier Brüder Müller aus Meiningen. Wer in
Deutschland hätte sie nicht einst um die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts in irgend einen Musiksaal einziehen sehn zum Quartettspiel,
vier schwarzgekleidete, schlanke, ernst gelassene Gestalten, still-
freundlich und feierlich langsam, in Abständen eine hinter der
andern, — und dann gehört! um zu begreifen, dass aller Physiologie
zum Trotz die Vier nur Ein Mann sind. Es war die morgenländische
Viereinigkeit statt unserer knappen Dreieinigkeit, in der sich das
Leben des urdeutschen Musikervolks sublimirt darstellte. Alle vier
Verbundene sind Eins, sie haben nicht abgelassen, bis ihre vier
Seelen zusammengeflossen und ihre Muskeln dem festen Sehnenzug
eines einigen Willens unterworfen sind. Aber in jener Vier ist jeder
Einzelne doch wieder ein ganzer Mann, der seine Kraft nicht an
zwei oder vier Stimmen versplittert, sondern ungetheilt auf seine
eine Stimme verwendet. So gelangt jede Stimme zu einer Freiheit
und Feinheit der Darstellung, die das vielbesetzte Orchester nicht
erreichen, der das Klavier nur entfernt nacheifern kann, war' es
selbst von einem Liszt besetzt. Das Orchester hat Tausendfarbig-
keit und Tausendstimmigkeit, um Organ der gesammten Instrumenten-
welt zu sein. Das Klavier ist die Rennbahn der Phantasie, Ver-
trauter der einsamen, tiefsten Gedanken. Das Quartett ist die
sinnige Erörterung im trauten engen Kreise, Austausch jener feinen
Gedanken und Empfindungen, die nicht auf den lauten Markt ge-
hören, sondern nur vom Freunde zum einverstandenen Freunde gehn.
Es ist Charakterzug für die musizirenden Franzosen, dass in ihren
Konservatoir-Konzerten Quartette mit vierfacher Besetzung ausge-
führt werden; eine Herzensergiessung kompagnieweise.
Wie das Quartett vor unserm Hinblicke steht, so hat es vor
dem geistigen Auge der Komponisten sich auferbauen müssen. Die
gegebnen Mittel sind einfach, vier gleichartige Instrumente statt der
bunten Heerschaar des Orchesters, doch nicht so einfarbig, wie das
Klavier, da jenen Saiteninstrumenten doch einige Färbung (Bogen-
zug und pizzicato, dann die Klangverschiedenheit des mannigfaltigen
Bogenansatzes, — die Dämpfung nicht zu vergessen) zu Gebote
steht; man könnte das Klavier der Bleistift- oder Kreidezeichnung
vergleichen, das Orchester dem Gemälde, das Quartett der Zeich-
nung mit zwei oder drei farbigen Stiften. Zum Ersätze für das
blühende Farbenleben und die Schallmacht des Orchesters hat das
Quartett die beweglichsten, gewandtesten, überall hinreichenden
Instrumente sich auserkoren. Wie fein und wie durchdringend
199
zieht die Violin, — man muss das durch einen Laub, Joachim,
Wieniawsky, Wilhelmi, de Ahna und manchen neueren, fast
Ebenbürtigen, kennen lernen, — ihren Ton! wie weiss sie ihn, und
mit ihm die Seele der Hörer, erbeben zu lassen, wie girrt sie und
murrt nie und reisst scharf hinein zu schmerzlicher Aufregung ! wie
klagen ihre herabsinkenden, wie reizen ihre hinaufgetriebenen Töne,
wenn leidenschaftliche Stimmungen in unserer festen Tonordnung
kein Gentigen mehr finden ! wie still und heiss brtiten die aushalten-
den Töne und Akkorde des Quartetts, und wie leichtbeflügelt ist
der Lauf jeder Stimme!
Dazu nun die höchste Freiheit in der Führung jeder Stimme,
die höchste Feinheit und Mannigfaltigkeit in allen gleichzeitig er-
langbar. Das alles zusammengenommen ergiebt mit Nothwendigkeit
die Grundlage für die Quartettkomponisten. Sie muss polyphon
sein, damit jede der vier Stimmen zur Geltung komme; sie muss
zunächst sich leicht und frei und fein gestalten nach der Natur
der Instrumente. Dies gilt, vom ganzen Stimmgewebe. Leichte
Motive fliegen im mühlosen, endlosen Spiel von Stimme zu Stimme,
fügen sich zu Melodien, zu Sätzen zusammen, oder lösen sich aus
den Sätzen los, emsiger und beharrlicher, als in andern Tonwerken
geschieht. Selbst die Polyphonie greift nur ausnahmsweise zu den
ernstern Gestaltungen des Kanons und der Fuge; sie ist mehr zur
„causerie" als zur Erörterung geneigt.
In solchem Sinne hat Haydn das Quartett geschaffen; was
vor ihm in dieser Form hervortrat, kommt gegen ihn nicht in Be-
tracht. Formell besitzt er alles, was seine grossen Nachfolger ge-
bracht; auch das Scherzo, das man irrig (S. 64) als Beethovens
Schöpfung angesehen hat. Aber sein Sinn war ein andrer. Ihtn
war das Quartett vor Allem musikalische Unterhaltung; dies muss
man bei ihm suchen, nicht grosse und herrschende Leidenschaften
oder Ideen. Es giebt dafür selbst äusserliche Beweise. Er hat
neben der fast unglaublichen Zahl anderer Werke 83 Quartette
gesetzt, Beethoven nur 16. Die Zahl der Ideen und leidenschaft-
licher Ergüsse kann nicht so weit reichen, wohl aber sind die
Momente der Unterhaltung und Erheiterung beliebig zu verviel-
fältigen. Dann liebt er innerhalb der Komposition Wiederholungen.
In seinen ersten Sätzen wird jedesmal der erste Theil wiederholt,
sehr häufig auch der zweite und dritte Theil, während dies bei
Beethoven nur in 3 Quartetten statt hat und dafür in 6 andern
auch der erste Theil nicht wiederholt wird. Welchen Sinn hat dies?
200
— Wiederholung ist Nicht-Portechritt, Behagen und Begnügen am
schon Dagewesenen; der leidenschaftliche Drang nach Vorwärte
fehlt, — oder das Gesagte ist nicht voll und kräftig genug aus-
gesprochen. Auch das bestärkt diesen Charakterzug, dass der
Haupteatz in den sonatenförmigen ersten Sätzen, die das Hauptstück
des Ganzen sind, häufig auf dem Sitze des Seitensatzes wiederholt
oder doch in Erinnerung gebracht wird, ehe der Uebergang zum
Seitensatz erfolgt.
Wie in den Grundzügen, erweist sich der Charakter des Haydn'-
Quartette auch im Inhalte. Wir wüssten keins, das einen bestimmten
Gedankengang durch alle vier Sätze festhielte. Namentlich laufen
die Finalen der grossen Mehrzahl nach auf die Absicht hinaus, die
Hörer mit leichtem rührigen Spiel erheitert zu entlassen. Als ent-
schiedne Ausnahmen wären die Quartette No. 3 (das Pinale ist eine
Doppelfuge) und No. 1 zu nennen, das seine drei ersten Sätze in
C dur, G dur, C dur aufstellt, das Pinale aber — in C moll, ohne
dass wir übrigens daftlr einen andern Grund anzuführen wüssten,
als den Trieb zur Mannigfaltigkeit.
Es ist eben Unterhaltung. Aber es ist ein geistvoller, liebens-
würdiger Mann, von kindlichem, heiterm Sinn und feinem Gefühl,
dem wir zuhören. Artig, rührig, emsig durch und durch ist dieses
Tonspiel, reizend gewebt wie Filigranarbeit, meist vergnüglich, voll
jugendlicher Schelmerei, die bisweilen eine ernste, trübe Miene an-
nimmt, um gleich wieder mit trostvollem Lächeln zu begütigen,
von zarter Empfindung oft durchhaucht, doch lieber zu sorgloser
Heiterkeit zurückgewandt.
Ihm zur Seite trat Mozart, mit gleicher Meisterschaft, gleich
fleissigem, feinem Tonspiel. Allein ihm war der Sinn gereifter, theils
von innen heraus, theils durch ein reicheres, bewegteres, leidenschaft-
licheres Leben. Gegen den patriarchalisch friedlichen Haydn tritt er
als der von einer neuen Zeit bereits Angehauchte. Wenngleich
er ihres Inhalts nicht bewusst wird, ist doch sein Gemüth von ihren
heissern und stürmischen Wallungen schon aufgeregter zugleich und
in sich zusammengenommener. Er ist männlicher als Haydn, er
hat was auf dem Herzen und rührt damit an unser Herz. Seine
Stimmungen sind ernster, bis zu jener Weihe der Andacht, die bis-
weilen wie Weihrauch am katholischen Altar aus seinem Herzen auf-
steigt. So auch sind sie gehaltener, wenn sie sich erst festgesetzt
haben. Daher ist auch seine Form fortschreitender, weniger
wiederholend. Doch kehrt er gern zum heitern, feinen Spiel
201
der Töne zurück, selbst wo der Ansatz zu Grösserm gegeben war,
wie hier.
"1
i
^
233a
J
K
1«%»^-
i|?t^%i
H^
I
V
in diesem Einsätze, der Takt 6 auf dem Dominantakkorde, dann
nochmals auf e - g— c wiederholt wird, worauf die Violin, wie hier
das Violoncell, sich emporschwingt und dieses von G aus mit der
Phrase der Violin antwortet. Der Ansatz war weitgespannt und
weitreichend, er hätte Beethoven weiter gefllhrt. Mozarts zärtliche
Seele kann schon im vierten Takte die rührende Bitte nicht zurück-
halten, und gerade darin, dass selbst kühner Aufschwung stets
wieder dieser liebevollen Empfindung nachgiebt, zeichnet sich der
schwärmerische Charakter des ewigen Jünglings, der einst als
Knabe Jeden fragte, ob er ihn auch heb habe, und die Thränen
nicht zurückhalten konnte, wenn man im Scherz Nein sagte.
Wie aber diesem zartbesaiteten Gemüthe auch der bitterliche
Ernst nicht allzuherb erscheinen konnte, wenn es galt, zeigt sich
auch in den Quartetten, vornehmlich in der Einleitung zu No. 6,
Adagio.
■I — h
J iJr^^a
jenem Satze, der die musikalischen Gourmands und Theoretiker
schon so oft in Harnisch gejagt hat, wie jemals eme der Beethoven-
schen Schärfen, üebrigens scheint jene Einleitung nur als Antithese
zum folgenden AUegro dienen zu sollen, das lebensvoll, warm an-
dringend ist, aber ohne noth wendigen Zusammenhang mit jener.
Auch die folgenden Sätze zeigen davon nichts, so andachtvoll, so
ernst und lieblich auch das Andante singt. Das Finale vollends
ist regsam, fast lustig zu nennen. Die Tiefe der Einleitung hat
eine tiefernste psychologische Entwickelung erwarten lassen, und
sie ist nicht gekommen.
202
Diesen Sinn hatten die beiden grossen Vorgänger Beethovens
ihrem Quartett eingeflösst: die feinste, sinnige, angeregte und bei
aller Angeregtheit in den verständnissvoll gezogenen Schranken an-
mutbiger Mässigung beharrende Unterhaltung. Heiterkeit bis zu
schalkhafter Neckerei, feuriger Drang bis dicht an leidenschaftliche
Hingebung, inniges Empfinden, doch sicher vor jenen Stürmen, in
denen man sich selber einsetzt und verliert an eine tragische Be-
stimmung — und sich göttlich dahingiebt jenem
„Stirb und Werde!"
des Dichters.
Hier trat Beethoven die Erbschaft der Vorgänger an. Viel
Hände, vielJahre bauen am Haus', eh* es wohnlich; und dann be-
gehrt man den Garten, und drin ein Liebchen, und das zum trauten
Weib' — und dann verlangt man hinaus in die Welt und hinauf in
den Himmel. — Für Beethoven sollte das Quartett eine ganz ab-
sonderliche Bedeutung erhalten. Noch hatte er davon keine Ahnung.
Einstweilen stand er auf der Bahn seiner Vorgänger, nur wurde bei
ihm bald alles grösser und weiter und freier.
Über das dritte Quartett (in Ddur), der Komposition nach
das erste, haben wir schon ein Wort gesagt; in ihm scheint Beet-
hoven sich mehr subjektiv hingegeben, als dem Tonspiel nachge-
hangen zu habeu. Gleich der erste Satz bezeugt es. Süsse Zärtlich-
keit, hingebende Liebe spricht aus dem Hauptsatze,
Allegro,
so seelenvoll, so jung und dannn leicht kosend. Ein zweiter Haupt-
satz ist schelmisch heiter, wie ein junges Mädchen, das nur die
Bosenknospo der Liebe kennt, nicht ihre Gluten, wohl nie sie kennen
lernt. Ein Seitensatz (auf der Dominante von A dur) tritt beun-
ruhigt, fahrig, ein zweiter (Cdur) abgekühlt und stutzig auf; der
Hauptsatz herrscht im zweiten Theile, findet noch in einem Anhange
den höchsten Aufschwung; das Ganze ist ein einlieitsvoUos Bild
eines bestimmten Seelenzustandes.
Das Andante (B dur) ist nachsinnend, nachspürend irgend einem
innerlichen Vorgänge, nicht tief. Einen Anklang davon, als wäre
203
dem ersten Vorgang (ersten Satz) eine ernstere Erfahrung gefolgt,
bringt das sogenannte Scherzo. Das Finale fliegt heiss und eilig
dahin.
Das Quartett No. 1 setzt sich erst recht in der eigentlichen
Quartettweise fest. Das Motiv des ersten Satzes,
wird bis zur Erschöpfung — nur nicht der ächten Quartettisten, die
dabei „die Kunst" bewundem — ausgenutzt; es erscheint 131 mal
in 427 Takten. Dabei ist es nicht vorschreitend, nicht schlagend,
sondern umschreibt besinnlich einen Ton. Es ist nicht Fortschritt,
es ist Tonspiel; Spiel der gestaltenden Phantasie ist der Inhalt des
Satzes.
Dagegen zeigt sich im zweiten Satze, —
Adagio c^ettuoso ed appoMÜmato, ^^
^^^^^^^^Ä
jenes breite Dahinströmen einer einigen Melodie, das der Ausdruck
eines ebenso einigen Seelenergiisses ist. Der ganze Satz ist von
derselben Empfindung erfüllt und hebt sich über das ererbte quartett-
liche Motivenspiel weit hinaus.
Von den übrigen Quartetten des Op. 18 ziehen wir zunächst
das erste der zweiten, jungem Folge (CmoU) zu näherer Be-
trachtung. Gleich der erste Satz bringt wieder eine so grossartige,
erhebungsvolle Melodie,
204
AUo ma non tanto.
^p^fe^^^
CS»
H
1» g_
voll Ernst und Pathos und in so vollkommener Einheit sich ent-
faltend, wie die frühem Quartette nicht gekannt haben. Spricht
hier, im Hauptsatz, im ernsten Ringen ein von Sorgen und Ver-
langen umschleierter, aber kraftbewusster Sinn, so deutet der den
Seitensatz einfUlirende Zwischensatz (oder will man ihn ersten Seiten-
satz nennen?)
• ff- -r ^yyg
i mrr?TT^^^^ ^
^^
m
auf Innern Zwiespalt; der (eigentliche oder zweite) Seitensatz folgt
dann, in Esdur, gefassten Sinnes, und legt sich breit aus; der
Schlusssatz
mit seinen Schlägen auf das zweite Viertel und den davoneilenden
Achteln scheint zwischen Entschluss und Zagen zu schwanken. In
diesem ganzen ersten Satze festet sich die Stimmung zu einem
Charakterbilde ; fast Hesse sich durch das ganze Quatuor ein solcher
errathen.
Eigen thtimlich tritt nach diesem sehr ernst gefassten, bisweilen
in schmerzlich entschlossenem Sinn empordringenden, bißweilen
205
schlagfertig heftigen ersten Satze der zweite (Andante scherze quasi
Allegretto) einher, gemessenen Schrittes und leise, einem ernsten in
sich geschlossenen Charakter vergleichbar, der sich zum Scherzen
herbeilässt, um seinen wahren Sinn zu vergessen oder vergessen zu
machen. Der Anfang, fugato.
wie der ganze Bau deutet auf das Andante der ersten Symphonie
hin ; wir werden noch anderwärts bei Beethoven diese Wiederkehr
einer ihm liebgewordenen Form bemerken.
Endlich vom letzten Quatuor No. 6 (B dur) zieht vornehmlich
das Finale die Aufmerksamkeit an sich. Nachdem der erste Satz
des Quartetts
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den Ton der Behaglichkeit und Heiterkeit angeschlagen, der auch
in den nächsten Sätzen (besonders im Scherzo) fortklingt, setzt
das Finale sich aus zwei ganz verschiedenen Sätzen zusammen.
Der erste (B dur V4) ist La malinconia, Adagio überschrieben mit
dem Zusätze, dass er mit der grössten Delikatesse vorzutragen sei;
der andre ist als Allegretto quasi Allegro bezeichnet, '/s, ebenfalls
B dur. Der erste spricht uns an, wie die Melancholie eines liebe-
siechen Mädchens, thränenreich, seufzervoll, die scheue Seele von
ängstlichen Schrecken durchzuckt. Der andre Satz ist leicht-
fertiger Schwingetanz, dem Wiener Länderer anfangs vergleich-
bar, doch weiterführend, auch zur Malinconia zurückblickend.
Ein losgebundenes Prestigsimo schliesst. Es ist ein Apriltag im
Seelenleben.
Das waren Beethovens erste Quartette. Wie weit wird er noch
über sie hinausgehnl Aber schon sie zeigen den wesentlichen Fort-
206
schritt, zu dem er berufen war: seine Quartette haben individuelle
Bedeutung, sie haben Charakter erlangt, oder wenigstens ist das
Streben dahin unverkennbar.
Diesen Quartetten reiht sich nach Sinn und Standpunkt das
Quintett (2 Violinen, 2 Bratschen, ViolonceU) dur, Op. 29
an, im Jahi^e 1801 komponirt. (C. V. 95.)
Es ist eines der bedeutendsten Werke seiner Gattung, gleich-
wohl keins von jenen Werken,, die ihren Ursprung in einer
hohem, den Bau wie ein Gottesbefehl hervoiTufenden Idee haben.
Es ist der allgemeinen, dem Inhalt nach noch unbestimmten,
aber ganz künstlerischen Lust am Schaffen entsprungen, wie die
Mehrzahl aller Instrumentalkompositionen. Nicht mehr sagt das
erste Thema,
Äliegro moderato.
oreie.
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nicht mehr der Fortgang; es hätte ebensowohl ejn Quatuor werden
können, wie ja umgekehrt das einst vom Grafen Appony bestellte
Streichquartett (S. 47 m. A. u. S. 150) als Quintett zu Tage ge-
treten ist (Op. 4, ehr. Vera. No. 46). Der Komponist folgt bei der
Festsetzung der Stimmenzahl, gleichviel ob ein äusserer Anlass vor-
ausgegangen ist, entweder dem Gebot einer innom treibenden Idee,
die gerade so viele Stimmen — nicht mehr, nicht weniger — fordert,
oder er setzt sich nach eignem Willen ganz äusserlich vor, ein
Quartett oder was es sonst ist, zu schreiben. Dann beginnen seine
Gedanken sich darauf zu richten und sich in die gewählte Form
hineinzubilden. Dieser äusserlich beginnende Vorgang ist der ge-
wöhnliche; er ist überall genügend und berechtigt, wo nicht eine
tiefere Idee den von ihr gleichsam besessenen Künstler bestimmt.
In unserm Quintett nun hat sich der Wille auf fünf Stimmen ge-
richtet und die Phantasie sich mit dem Nageklang der fünf ver-
einten Streichinstrumente erfüllt. Das führt denn sogleich zu
reicherm Gewebe, zu Gegensätzen in der Verbindung, zu breiten
und geflillton Harmonielagen, das siedet gelegentlich, im zweiten
Theil,
207
Vi, 2
Va l
V^a 2
Vc
heiss auf. Zugleich diene es als Belag für die S. 163 erwähnte
Tiefstimraung Beethovens. Das zarte, edelsinnige Adagio, das
leichte Scherzo, das sich im anmuthigen Schwünge wärmer beseelt,
das Finale, das voller Grazie, in flatternder Leichtigkeit, sprühend
von Lebenslust dahinrauscht und nur zuletzt, vor dem Ende mehr
neckend als ernstlich gemeint, eine bedenkliche Frage aufwirft, um
von Neuem in heimlicher Lust aufzurauschen; das Alles — wer
würde fertig, diese Schatzkammer auszuzählen, die Beethoven uns
hinterlassen !
So sei denn auch das am 2. April 1800 in Wien aufgeführte,
am 15. Dezember zum Verlag bestimmte und im Juli 1802 er-
schienene
Grand Septuor, Op. 20 (C. V. 80.)
für Violin, Viola, ViolonceU und Kontrabass, Klarinette, Fagott
und Hörn nur als Fortschritt zu dem höhern Schauplatze, der
Beethovens wartet und den er sicher längst ersehnt, genannt. Es
ist wegen der im Privatkreise nicht so leichten Besetzung der sieben
Stimmen in der Originalgestalt weit weniger bekannt, als im vier-
händigen Klavierauszuge; aber selbst in diesem verleugnet es dem
einigermassen erfahrnen Hinblicke nicht sein ursprüngliches Wesen.
Die Wohligkeit der Bläser, das üppige Wesen der Klarinette, das
'^'j Va bcdcuttf Viola oder Bratsche.
208
ermuthigende Waldhorn, sie fühlen sich heraus, wie sie den Sinn
des Ganzen bedingt und in der Originalgestalt mit blühender Farbe
geziert haben, daher es allerdings wünschenswerth bleibt, zu ihr
durchzudringen.
Das Ganze ist so recht „Musik", die nichts anders sein will,
nichts begehrt, als den Wohlgenuss der Melodien und Klänge, die
Wohlgestalt anmuthigen Daseins aus dem wohlwollenden Gemüthe
des Künstlers in das unsrige zu übertragen. Das heisst reich ge-
spendet! Nach einem einleitenden Adagio der vollausgefUhrte
AUegro-Satz, dann das gesangvolle, innige Adagio, die launige
Menuett, so einig mit dem Grundton des ganzen und wie einge-
boren in dessen Bau, dass wir uns mit der allerdings zuzugeben-
den Thatsache ihrer Entlehnung (S. 74) schwer verständigen können.
Der Menuett folgen ländlich unschuldige Variationen,*) ein muth-
volles Scherzo, endlich zum Finale noch ein einleitendes marsch-
mässiges Sätzchen.
Jede dieser hier betrachteten Kompositionen thut einen Schritt
vom Klavier hinweg zum Orchester. Mitten unter sie treten die
ersten selbständigen Orchesterwerke.**) Von diesen soll nun-
mehr die Rede sein.
Zunächst:
GH uomini di Prometeo, (C. V. 91.),
Ballet von Vigano, für Wien komponirt im Winter 1800/1801, auf
dem Hofburgtheater am 28. März 1801 aufgeführt; die Musik ist
als Op. 43 herausgegeben; der alte, bei Cappi in Wien heraus-
gegebene zweihändige Klavierauszug ist vielleicht von Beethoven
selbst verfertigt.
Am bekanntesten ist die Ouvertüre dieses Werkes; wo man
eine Ouvertüre von Beethoven geben und sich auf das leichteste
damit, ohne Probe, abfinden will, wird unfehlbar diese Prometheus-
Ouvertüre gewählt, weil sie so leicht und bekannt ist. Dabei ist
man so undankbar gewesen, sie wegen eben dieser Leichtigkeit, ■—
die der Ausführung deutet auf die des Inhalts, — ein wenig gering-
*) Das Thema ist ein niederrheinisch Volkslied, „Ach Schiffer lieber
Schiffer'^ (Kretschmar, Deutsche Volkslieder, 1840. S. 181), nur an zwei
Stellen höher gehoben. Acht Jahre, nachdem Beethoven Bonn verlassen, ist
die Jagenderinnerung in ihm aufgetaucht.
**) Wir sehen hier ab von den Jugendversachen, z. B. dem Ritterballet
und den Kantaten aus der letzten Bonner Zeit, femer von den im Verein mit
dem Klavier auftretenden ersten Konzerten.
209
zuschätzeD. Lenz, erfüllt von edlem, wenn auch bisweilen irr-
gehendem Enthusiasmus für Beethovens Grösse, nennt sie „eine
Sommersprosse auf Beethovens jugendlicher Wange"; er legt näm-
lich die hohe Idee andrer Beethovenscher Schöpfungen als Massstab
an diese kleine Ballet-OuvertUre. Und wahrlich, er ist nicht der
Einzige, der so thut. In der Kunst aber will jedes Werk aus sich
selber beurtheilt werden und ein äusserlich Messen, das darauf
hinausläuft, ein Werk gegen das andre schöner oder grösser oder
origineller zu befinden, ist unfruchtbar und im Grund' unktinstlerisch.
Der Künstler will nicht schön und schöner, oder gross oder originell
sein; er wird nur von innen getrieben, zu offenbaren, was in ihm
ist. Und wenn er sich einer voraus bestimmten Aufgabe widmet,
so will er wieder nicht grösser oder origineller sein, — das Alles
sind lauter unkünstlerische Gedanken und Absichten, — sondern
er giebt sich unbedingt dieser Aufgabe hin und lässt aus sich heraus
diese ganz allein wirken nach ihrer Natur.
Beethoven fand sich nun diesem Prometheus gegenüber. Der
Titane hat sich gefallen lassen müssen, Tricot anzulegen und zu
tanzen, oder doch in einem Ballet zu figuriren. In einem Sturme
bringt der Halbgott das beseelende Feuer vom Himmel, belebt seine
leblosen Erdgebilde, so gut es hat gehen wollen, führt sie dem
Apoll vor, der ihnen vor allen Dingen Saitenspiel und allerlei andre
präsentable Künste verleihen soll. Was kann man weiter von
diesem Spiel mit lebendigen Marionetten sagen? Was sollte, konnte
Beethoven daraus machen? etw^a grosse Musik, wie zu Fidelio oder
in den Symphonien?
Er hat künstlerische Pflicht geübt und sich ganz treu, — wie
hätte er auch anders gekonnt? der Aufgabe hingegeben. Die
Ouvertüre kündigt sich mit anmuthiger Feierlichkeit in Adagio auf
der Unterdominante (F dur) an, ihr Gedanke wird von jenem Tief-
klang des Orchesters getragen, der Beethoven eigen und für ihn
(S. 1G3) bezeichnend ist. Dann tanzt und rollt das Allegro molto
con brio so muntern leichten Kopfes, wie Menschen und Götter
daliintanzen werden, sobald der Vorhang sich hebt; Alles, auch der
Seitensatz, in dem wechselnd die Bläser sich melden und ablösen,
ist leicht, in Einem Gusse hingeworfen. Was hätte Beethoven
Besseres thun können?
So ist die ganze Musik des Ballets. Nach der Ouvertüre tritt
ein neues Allegro (non troppo) vor, ein Naturbild, la tempcsta,
nicht besser und nicht schlechter, wie schon früher Gluck und
Marx, £«6thoTen. L 14
210
Mozart und Andre den Sturm haben sausen lassen. Doch zeigt sich
hier schon jene später so oft benutzte Gegenstellung von tonischem
und rhythmischem Motiv, —
^m^^^^
das tonische Motiv hat sechs oder zwölf, das rhythmische (der Takt)
hat acht Momente, widerspricht daher jenem, indem es die Mo-
ipente 1, 9, 17 betont, — durch welche die rhythmische Ordnung
verlöscht und das ganze in Taumelschwung gestürzt wird. Es ist
nicht nöthig, von der Scene der Belebung (No. 1) und allen fol-
genden zu berichten; No. 8 ist ein weit gefllhrter Marsch, munter,
lebendig, gauckelnd, bunt, durchaus marionettenhaft; Beethoven hat
das Ballet ganz richtig beurtheilt. Zuvor, in No. 5, verwendet
Beethoven die Harfe, dieses Spielzeug der Franzosen und Italiener,
— auch Gluck gebraucht sie im Orpheus, — das sie in das Orchester
hineinstellen, ohne dass jemals die Verschmelzung gelingt. Beet-
hoven hat sie niemals wieder gebraucht.
„Aber warum hat er dergleichen komponirt?" — So fragt
kein junger Komponist, und keiner, der es gewesen; man wider-
stehe doch, wenn sich Gelegenheit bietet, flir Orcliester und Bühne
zu schreiben, und obenein zum ersten Male!
Auch der damalige Zeitgeist in Wien mag mitgewirkt haben.
Der österreichische Dichter, Heinrich von CoUin, spricht sich
(Werke VI. 305) ausführlich über Vigano aus und schildert ihn als
genialen Reformer in seiner Kunst, der die Balletfreunde Wiens in
grosse Aufregung versetzte und den früher hochgeachteten Ballet-
meister der Hofburg aus dem Felde schlug. „Diesen seltenen Sieg
verdankte er der Zurückflibrung seiner Kunst von den übertriebenen,
nichtssagenden Künstlichkeiten des altern italienischen Ballets auf
die einfachen Formen der Natur. Allerdings musste es befremden,
in einer Gattung des Schauspiels, in welcher man bisher nichts als
Sprünge und Gliederverrenkungen, mühsame Stellungen, combinirte,
vielfach verschlungene Tänze, die keinen Eindruck der Einheit zu-
rückliessen, zu sehen gewohnt war, plötzlich Handlung, Tiefe der
Empfindung und reine Schönheit der äusseren Darstellung zu er-
blicken, welche ein neues, bis dahin nie gekanntes Reich des
Schönen aufthaten."
211
Nach so enthusiastischen Aeusserungen eines gleichzeitigen
ernsten Dichters ist es nicht wunderbar, dass Beethoven nach jenem
Bonner Kitterballet sich noch einmal zur Komposition eines Tanz-
spieles bewegen Hess.
Prometheus ist mit Ausnahme der Ouvertüre vom Musik-
repertoire beinahe verschwunden.*) Aber eine Älelodie hat sich
auf eine bei Beethoven unerhörte Weise erhalten, jenes Doppel-
thema aus dem Finale,
AUegretto
das er bald darauf in einem Kontretanz (chron. Verz. No. 103),
dann zu den S. G8 fl. besprochenen Variationen Op. 35 (1802) und
zuletzt (1803/04) im Finale der Heldensymphonie, also im Ganzen
viermal benutzt hat.**) Liegt ihm eine Volksweise zu Grunde?
ist es im Ballet so beliebt, oder Beethoven selber so lieb geworden,
dass er es in einem seiner bedeutungsvollsten Werke wiederholt?
Diese letztern Fragen sind von wenig Gewicht; das Auffallende liegt
in der viermaligen Benutzung desselben Thema's, ein Fall, der bei
Beethoven nicht wiederkehrt. Jedenfalls ist das Thema zwar an-
muthig, aber nicht von bestimmter Bedeutung, so dass die ver-
schiedenen Verwendungen nirgends einen Widersinn hervorrufen.
Schon vor Prometheus hatte Beethoven die Kraft der
Schwingen an Höherem versucht. In der ersten Symphonie,
Grande Simfonie, C dur, Op. 21, (C. V. 81),
trugen sie ihn schon frei und kühn zu jenen Höhen empor, auf
denen Mozarts Geist geweilt hatte; wie weit er darüber hinaus zu
weitern Umblicken gelangen sollte, war jetzt noch nicht zu er-
messen. Man muss übrigens annehmen, dass diese Symphonie 1799
oder spätestens in den Monaten Januar bis März 1800 gesetzt
*) Im Berliner Opernhause cr^cheiut das Ballet seit 1891 von Zeit zu
Zeit vieder, doch ohne sonderlich anzuziehen — trotr glänzender Ausstattung
und Darstellung.
**) cf. über die Reibenfolge das von Nottebohm beschriebene Skizzen-
buch aus den Jahren 1801 bis 1802 \ß. 12, 32, 42) und Thayer (Leben B.
II. 393).
14^
212
worden, da sie schon am 2. April fSOO zugleich mit dem Septett
in Wien zur Aufführung gekommen ist.
Für jeden Komponisten ist es ein hohes Fest, diesen Chor
verschiedenartiger Träger seiner Idee und seines Willens um sich
zu versammeln; es ist ein Gefühl, wie vielleicht ehemals des Banner-
herrn, der seine Vasallen um sich her sammelt zum Streite; freie
Männer nach allen Seiten hin, nur seinem Lehnsgebot unterwürfig.
Welch ein Festgefühl musste Beethovens Brust erfüllen, als er an
die Stelle trat, die ganz unfehlbar ein Vorgefühl ihm als sein ge-
lobtes Land bezeichnete!*) Dies ist nicht willkürliche Voraus-
setzung, es ist nachzuweisen aus seinen Klavierkompositionen, die
sich, wo es nur geht, zu orchestralen Lagen und Vollklängen er-
heben.
Zu diesem Fest versammelt er vor allen Dingen das Orchester
vollständig um sich. Während seine grossen Vorgänger sich in
der Zusammenstellung ihres Orchesters oft an Oboen oder Klari-
netten genügen lassen können, nimmt er von Anfang an Oboen
und Klarinetten in Anspruch; dieser Grundlage treten später, wenn
es nöthig ist, Posaunen, Pikkolflöten und Serpent, auch die grosse
Trommel zu. Dies ist das Beethovensche Orchester.-
Jener erste Zuwachs (Missverstand zu vermeiden, sei wieder-
holt, dass er nicht etwa erst durch Beethoven gewonnen, sondeni
nur durch ihn bleibend festgehalten worden) ist keineswegs blos
stoffliche Häufung. Er gewährt zunächst vollere Harmonie, beson-
ders vollere Mittellagen im Chor der Bläser, dem vermöge des aus-
hallenden und quellenden Klangs ihrer Instrumente die Ausfüllung
der Harmonie obliegt. Er gewährt dem Bläserchor — achtstimmig.
*) Beethoven hat schon während seiner Studienzeit bei Albrechtsberger
(1794 bis Anfang 1795) an die Schöpfung einer Symphonie gedacht nnd Ist
auch schon zur Ausführung des ersten Satzes geschritten. Vielfache Anläufe
und Skizzen zu derselben finden sich hinter einer Doppelfuge, die er bei A.
geschrieben; es folgen ihnen Entwürfe zam dritten Satze des Trios in Qdur
Op. 1 No. 2, zu zweien der 12 Kontretänze und manchem Andern, was in jener
frühen Zeit geplant und vollendet wurde. Einer der Ansätze zur Symphonie
hat grosse Aehnlichkeit mit dem letzten Satze der wirklich ersten Symphonie.
Doch verwahrt sich Nottebohm, dem wir diese Notiz verdanken (Mus. Wochonbl.
No. 2 1876), ausdrücklich gegen die Annahme, dass diese Skizze auf jene erste
Symphonie bezogen werden dürfe. Im Gegentheil sei sie ursprünglich im
Verein mit andern Gedanken als wesentlicher Bestandtheil eines ersten Satzes
gedacht gewesen.
213
t
ohne die vier Blechinstrumente mit den Pauken, und von den Kon-
tratönen bis in die dreigestrichene Oktav reichend — volles Gegen-
gewicht gegen den eben so weit reichenden Chor der Saiteninstru-
mente, der zwar in der Regel nur vier Stimmen aufstellt, aber in
mehrfacher Besetzung, und für Doppel- und drei-, vierfache Griffe
geschickt. Er bietet in derselben Komposition je nach Wendung
und Wechsel des Inhalts den üppigen oder schmelzenden Klang der
Klarinette neben der Feinheit und Schärfe der Oboe, und gestattet
den entschieden ausgebildeten Gegensatz von weichern in einander
schmelzenden Klangmassen (Flöten, Klarinetten, Hörner, Fagotte)
gegenüber dem sprödem Verein von Oboen mit Fagotten, oder gar
von Oboen und Hörnern, die nie verschmelzen und gerade durch den
innern Widerspruch, z. B. in dieser, dem Es dur-Konzert Beethovens
entlehnten Verbindung
Oboen
\^m
Hörner
m
■^
reizen, was nicht genug hervortreten würde, wenn man (wie in
Mozarts G moll-Symphonie) von Anfang an nur Oboen und nicht
Klarinetten gehört hätte.
Wir dürfen von diesem Gegenstande nicht scheiden, ohne einem
möglichen Missverstande zu wehren und dabei das Wesen des Beet-
hovenschen Orchesters schärfer zu bezeichnen. Wenn also dieBeetho-
vensche Vergrösserung des Orchesters, kann man fragen, ein wesent-
licher Fortschritt ist: muss man nicht die noch grössere Erweiterung
des Orchesters in unsern Tagen für einen noch weitern Fortschritt,
über Beethoven hinaus, erachten? Wo ist aber dieser Weise des
Fortschritts ein Ende abzusehen, und welches Verdienst hat er, der
sich wenigstens zunächst nur als ein quantitativer darstellt? —
Keineswegs soll und kann neuem Komponisten eine Schranke ge-
zogen und die Verwendung neuer Instrumente gewehrt werden;
jeder Künstler gebietet so frei über die ihm zu Gebot stehenden
Mittel, wie Beethoven und seine Vorgänger über die ihrigen. Es
kommt aber jederzeit auf den Gebrauch an, der von der vermehrten
Orchestermasse gemacht wird und gemacht werden kann; und da
214
zeigt sich denn, dass unvermeidlich mit der wachsenden Masse der
Instrumente derSpielraum und das charakteristische Hervortreten der
Einzelnen beengt und zurückgedrängt wird. An die Stelle einzelner,
individuell unterscheidbarer Charaktere treten Massen, an die Stelle
geistiger und zwar dramatischer Wirkung tritt stoffliche. Triff't nun,
wie kaum anders sein kann, der Anwachs vorzüglich die hallendem
und weniger beweglichen Blechinstrumente, so treten diese Folgen
noch entscheidender hervor; an die Stelle dramatischer Führung der
einzelnen Instrumente als eben so vieler charakterverschiedner Per-
sonen treten verschmolzene Massen, die durch verschiedne Klang-
farben sich scheiden und deren dichterischer Inhalt (wenn ein solcher
vorhanden ist) sich zu dem des Beethovenschen Orchesters etwa so
verhält, wiö ein modernes Schlachtgemälde mit seinen Heersäulen
und Feuerlinien und seinem Pulverdampf zu den Kämpfen der
Iliade. Wir sind also nicht auf dürres Abzählen und Abwägen
der Mittel hingewiesen, sondern entscheiden uns nach dem
möglichen und der Möglichkeit entsprechend wirklich gemachten
Gebrauche.
Der ßeethovensche Orchesterbau nun, die Vollendung oder Be-
hauptung des Baues, den seine grossen Vorgänger emporgeführt, war
so wohl abgemessen, dass jedes einzelne Instrument sich pei'sönlich
— sagen wir als eine der Personen im grossen Drama vernehmen
lassen und bewegen konnte, dass aber zugleich Stoff genug für
Massenbildung und Gc^gencinanderstellung einer Masse gegen die
andre vorhanden war; es lebt in diesem Orchester ein freier Geist
in einem leicht beweglichen Körper. So fasste Beethoven sein
Orchester auf, und in diesem Gedanken beging er schon sein erstes
Festspiel mit ihm; es war ein hoher, freudiger, muthvoller Ernst
in diesem Spiel.
Das verkündet sich schon in der Einleitung. Ihm ist feierlich
zu Muthe, er greift in die Unterdominante, denkt an die Parallele,
wendet sich in die Oberdominante, alle wesentlichen Beziehungen
seines Haupttons zusammenfassend, und dann - ein Trompeten-
stoss und Paukensclilag bekräftigt es — setzt er sich in diesem
seinem Gebiete fest, alle Mithandelnden, mit Ausnahme der Trom-
peten und Pauken
216
Adagta moUo,
H
Fl
VI, 2
Va
B
l_ _^JtT^.
C3S -^ - -^
9^
l A ,_ i J i
treten wohlgesondert heran, bald vereint und durch jene vorbehaltenen
Machthaber bekräftigt. So feierlich war auch Mozart zu Muth, als
er seine Es dur-Symphonie, den sogenannten Schwanengesang, ein-
leitete; es ist in beiden Sätzen nahezu derselbe Qrundtrieb, ob-
wohl nicht zwei Noten mit einander stimmen. Nur weilt der ältere
Meister wohlgefälliger in der Vorhalle, wo die Flügel des Orchesters
ihn umrauschen und Ahnungen seiner dunkeln Macht ihn zu be-
schleichen scheinen, während der jüngere ungestümer sich kurzge-
fasst schon in den Strom des Allegro wirft. Es ist Beethoven eigen,
sich gern rasch entschieden zur Hauptsache zu wenden, diese aber
dann in Fülle durchzuleben, während sein grosser Vorgänger in der
Ueberflille seiner Aufgaben und Unternehmungen und in der unbe-
wussten Hast seines bald verwehten Lebens seine Gedanken oft nur
„effleurirt", gleich einem flüchtigen, im Sonnenstrahl schönheitfun-
kelnden Schmetterling von Blüte zu Blüte duftnaschend schwebt.
Und nun tritt der Hauptsatz vor, energisch rhythmisirt, immer-
fort auf die Tonika schlagend, als wollt' er da festgenagelt bleiben,
— und doch leise; die Kräfte müssen noch gezügelt warten. Die
*) Fl bedeutet FlOte, Oboe, B Kontrabässe mit Violoncellen; die HOrner
erklingen eine Oktav tiefer, die Bässe eine Oktav tiefer mit den Violoncellen.
216
Saiten allein führen ihn, dann wehen ihn die Bläser mit leisem
Anhauch
Aüegro eon brio, -'io
P
flj^-UJ^fi^
nach DmoU zur Wiederholung, von da in gleicher Weise unter
schauernder Erwartung der Saiten (Triller des ganzen Chors) cres-
cendo zum Hauptton zurück, und hier ei-st tritt die Kraft des
Orchesters zusammen und führt den Hauptsatz energisch und voll-
befriedigend, brausend in jugendUcher Kraft gleich dem unzubändi-
genden Streitross („es strarapfet auf den Boden und ist freudig mit
Kraft, , ... es zittert und tobet, und scharret in die Erde, und
achtet nicht der Trompeten Hall" *) zu Ende. Auf seinem Gipfel
hatte sich ein neuer Gedanke
Pllu.2
aufgeschwungen; die Violinen stellen ihn auf, Flöten, Klarinetten
(im Gegensatz zu den vorher begleitenden Oboen) und das erste
Fagott antworten, nach der gegliederten W^iederholung tritt der
erste Gedanke wieder in sein Recht. Der ganze Hauptsatz hat sich
vierzig Takte weit in vollster Einheit und Energie entfaltet. Der
Kern desselben (das vorletzte Beispiel) hat vier Takte, die durch
den Anhang der Bläser zu sechs werden, der ganze Bau gliedert
sich hiernach, —
*) Hiob, Cap. 30.
**) Tr. bedeutet Trompeten, P. Pauken.
217
4 .... und 2 Takte,
4 .... und 2 Takte,
2 und 2 und 2 Takte —
und dazu noch zwei, — zuerst also, breit und prunkend, sechstaktig,
dann, schlagfertiger vordringend, zweitaktig und viertaktig.
Wir haben länger hier weilen müssen. Denn uns, die wir
durch Beethoven selber noch Mächtigeres und Tieferes kennen ge-
lernt, ist es gar nicht leicht, gegen diese ei'ste und in gewissem Sinn
kleinste der Beethovenschen Symphonien (wenn man sich einmal
auf Vergleichen und Messen von Gegenständen einlassen muss, deren
jeder selbständige Bedeutung und sein eigen Mass in seiner Idee
hat) gerecht zu werden. Will man für sie ein äusserlich Mass
finden, so darf es nicht aus den spätem Symphonien des Meisters
genommen werden, zu denen jene erste ihn hat fördern helfen. Man
vergleiche sie, wenn man vergleichen muss, mit den früheren Werken
der grossen Symphonisten ; vergebens wird man, so Unschätzbares
sie geben, gleiche Energie und entschlossenere Einheit und VoU-
ftihrung suchen.
Nun hat Beethoven die Herrenschaft bewährt; nun lässt er im
Seitensatze die Einzelnen
m
erst Oboe und Flöte, dann Geigen gegen Oboe und Flöte) ihr
harmlos freundlich Wechselspiel treiben, bis in dunkler Heimlich-
keit der Bass
^MMäMJ.
SÖ'^^^^gö^
es überschleicht, Takt 3 die Oboe, dann das Fagott sich anschmiegt,
bald aber der Hauptsatz die unheimhch fremde Trübniss wieder sieg-
reich durchbricht und, wohlig sich wiegend, mit kurz angebundenem
Schlusssatze den ersten Theil fest beschliesst.
Den zweiten Theil erfüllt er durchaus. Er meldet sich in
D moU^ in G dur, unterwirft dann in C moll sein letztes Motiv einer
Erörterung
218
i
B •
;'
-t
V
/P
zwischen ßass, Flöte und Oboe, Violin und Fagott (die Begleitung
ist hier weggelassen), greift dann zu den ersten Motiven und flihrt
in den dritten Theil, der frisch und voll zu Ende roUt. Zum
Schlüsse treten die drei Chöre des Orchesters, Saiten, Bläser und
Blechinstrumente*) in jubelnder Fanfarenweise gegen einander und
zu einander,
H
Fl
Ou.ia
VI
V2
tt. Va |5?i--av
Bu.P l .. I — 0;^
und heben den herrschenden Gedanken auf den Schild.
Unterbrechen wir uns hier, um einem geistreichen Kunstfreunde,
Oulibicheft', das Wort zu überlassen; er ist der beredte und wohlbe-
wanderte Vertreter aller derer, die, soviel sie auch gehört, gelesen
und geschrieben haben, im Grund ihres Herzens und ihrer An-
schauungen nicht über den Mozartischen Staudpunkt hinausgekommen
sind, ausser etwa, um auf das Lotterbett der neuen Welschen zu
sinken. Es liegt aber, allen chronologischen Rechnungen zum Trotz,
*) Blech oder Blechinstramente nennen wir Trompeten, HOrner, Posaanen
(die Pauken schJiesscn sich an), die übrigen Blasinstrumente kunweg Blfiser.
219
zwischen Mozarts und Beethovens Zeit mehr als ein Jahrhundert,
es liegt zwischen ihnen die grosse französische Revolution, deren
Einfluss man arg verkennen würde, wollte man nur ihre politischen
Folgen, nicht auch ihre Wirkung auf den gesellschaftlichen Zustand
Europa's und die Richtung der Geister in Anschlag bringen. Jene
Zeit Haydns und Mozarts in ihrer bescheidnen Genügsamkeit und
Beschränkung auf die Privatinteressen und Privatgefühle, auf die
Genüsse und Sorgen des bürgerlichen oder Familien-Daseins, sie
konnte nicht länger walten. Die ihr eignen Interessen und Reize
sind geblieben und werden gelten, so lange wir Menschen sind.
Aber neben ihnen sind jene umfassendem aufgestanden, die sich
an die Idee von Freiheit und Rechtsstaat und an die Betheiligung
der Menschen bei den öffentlichen Angelegenheiten knüpfen ^ und
die Allen und Allem in dem Mass, als sie Wurzel fassen, eine
höhere Richtung geben. Herr von Oulibicheff, der in seiner Bio-
graphie Beethovens Beethoven gelegentlich einen „Roturier" nennt
(weil Beethoven über seine Zurückweisung vom privilegirten Ge-
richtsstand, allerdings irrig, schwer erzürnt war), findet nun sein
Genügen (wenigstens gegenüber der Tonkunst zeigt er sich so) in
jenem engerzogenen, ja — wer wollt' es leugnen? — innerlich fried-
lichem und gesichertem Kreise des Lebens, der auch in der Kunst
gemessene Gränzen des Schönen, der Anmuth, Mässigung, Gefällig-
keit zu ziehn und zu bewahren wusste, ungestört durch tieferregte
Leidenschaften und fernerstehende — wer weiss, ob nicht kunst-
fremde, musikalisch unausführbare Ideen. Daher findet er es nur
gerecht, wenn die Wiener später Beethoven verlassen, um in
Rossini aufzugehn, und erblickt in Beethoven entweder nur den
Fortsetzer Mozarts, oder den von diesem und der rechten Bahn
Abgeirrten. Denn, um ihn zu erkennen, findet er keinen Anhalt, als
sein dilettantisches Dafürhalten und den Mozartischen Massstab.
So meint er nun auch, jene erste Symphonie würde (würde?
sie ist es, oder ist es nicht an sich selber) ein Wunder sein, hätten
nicht einerseits Haydn und Mozart gelebt und wären ihr nicht die
Jüngern Geschwister gefolgt. Ihr Unglück sei, diesem doppelten
Vergleiche nicht entgehn zu können. Jedermann erkenne in ihr
eine „Studie nach Mozart", und zwar nach dessen C dur-Symphonie.
Dieselbe Tonart, fast gleiche Ausdehnung, dieselbe Anordnung der
Partien (er hat zunächst den ersten Satz im Sinne), offenbare Ana-
logie in der Wahl der Modulation und der Rhythmen, ein Andante
in der Tonart der Quarte (er zählt die Tasten oder Tonstufen ab,
220
der Begriff der Unterdominante fehlt ihm), Menuett und Finale im
Hauptton. Ungeachtet dieser Aehnlichkeit in der Form seien sich
gleichwohl die AUegro's (ersten Sätze) von Beethoven und Mozart
durchaus nicht ähnlich; das von Beethoven sei klar, glänzend er-
haben, aber ziemlich schwach im Ausdruck und im Styl.
Oulibichcff trägt sich nämlich neben den andern Stichworten
der Aesthetik auch mit dem des „Styls", hat einen Opern-, einen
Symphonien-, einen Sonaten-Styl und beliebige andre zur Hand
und macht bei andrer Gelegenheit acht französisch Beethoven den
Vorwurf, „die Style vermischt zu haben", — natürlich, ohne sich
mit einer genauem Erklärung zu befassen.
Uebrigens sei beiden Werken Geschmack, Wohllaut, Klarheit,
Reinheit und Eleganz gemeinschaftlich und das unbestreitbare und
unvermischte Vergnügen, das sie den Hörern gewähren.
So weit Oulibicheff. Wenn nur der verwaschene Ausdruck
nicht wäre! und der Styl! und vor Allem die Nachahmung I Und
wenn man nur nicht unter den Vergleichen und all' den allgemeinen
Begriffen den Gegenstand aus den Augen verlöret Damit nicht
fortwährend vertrauensvolle Seelen so herumgeführt werden, muss
wenigstens einmal in diese Dämmerung hineingeleuchtet werden;
es gilt nur der Nachahmung Mozarts.
Die Gleichheit der Tonart in den vier Sätzen, — welch ein
Beweis! — liegt am Tage; wusste aber Oulibicheff, der in Gottes-
namen vier Bände über Musiker und Musik geschrieben, nicht, dass
die Modulationspunkte der beiden Symphonien aus naheliegenden
Gründen die allergebräuchlichsten sind? und zwar bei Vorgängern
wie Nachfolgern Mozarts und Beethovens? ist er niemals wenigstens
oberflächlich der Kunstform (die nämliche Anordnung der Partien
des Werks, — spricht der Dilettant den Pariser Salons nach, —
wie z. B. des Hauptsatzes, der Seitensätze, der Ueberleitungs-
oder Zwischensätze, der Wiederholungen, des Mittelsatzes u. s. w.)
innegeworden, die nicht etwa jenen Symphonien eigen sind, sondern
durch alle Werke hindurch vor Mozart und nach Beethoven sich
erhalten und fortentwickeln und auch den Modulationsgang,
wenigstens in den Hauptpunkten, regeln? — die berechtigten Aus-
nahmen unerwähnt.
Unglücklicherweise will sich aber diese „nämliche Anordnung"
hier kaum für die allgemeinsten Hauptpunkte zeigen. AUerdings
steht in beiden Werken, wie in allen aller Komponisten mit seltnen
Ausnahmen, im ersten Theile der Hauptsatz im Hauptton und der
221
Seiten- und Schlusssatz in der Tonart der Oberdominante: eben
SO übereinstimmend in allen Werken derselben Gattung, seltne
Ausnahmen bei Seite, bildet sich der dritte Theil. Das Feld der
Abweichungen ist bekanntlich der zweite Theil, weniger gut Mittel-
satz oder auch Durcharbeitung genannt; er gestattet mannigfaltige
Wahl des Inhalts und Führung der Modulation. Wie stellt sich
also der zweite Theil der beiden Werke? das ist der Kern der
Frage.
Mozart ergreift für seinen zweiten Theil den Schlusssatz, weil
er ihm im Laufe des Ganzen zunächst lag und er keinen Anlass
hatte, einem seinei' Sätze den Vorzug zu geben; daher vertauscht
er ihn auch weiterhin mit dem Hauptsatze. Beethoven ergreift
den Hauptsatz und hält daran fest; denn in dieser seiner Kom-
position ist der Hauptsatz so zu sagen Alles, in ihm spricht sich
der Trieb aus, der den Künstler damals erlÜUte. Mozart stellt
seinen Seitensatz in Es dur auf, lieblicher und schattiger als zuvor
in G dur, aber in gleicher Grundstinimung ; er geht von da über
As dur, F dur, G moU, F nioU, nochmals Es dur u. s. w., und bringt
den Hauptsatz, auch bei ihm der kräftigste Gedanke, in F dur, das
hcisst in dem Sitze der Beruhigung, — das dürft' er im süssen
Spiel der Töne sich gestatten. Dann geht er auf die Dominante
des Haupttons und zum dritten Theil. Beethoven stellt seinen
Satz, den Hauptsatz, unter verändertem Geschlecht in D moll auf,
führt ihn über 6 dur, C moll, F dur, B dur, Es dur u. s. w., endlich
auf die Dominante der Parallele, auf das hellstrahlende E-gis-h
und senkt sich nun in den Hauptton und dritten Theil hinab.
Das ist eine Achnlichkeit, die einer Unähnlichkeit so ähnlich
sieht, wie die Mozartische Symphonie der Beethovenschen. Eben
so steht es mit der „handgreiflichen Verwandtschaft der Rhythmen".
Mozart beginnt mit zw^eitaktigen und beruht vornehmlich auf ihnen;
Beethoven beginnt mit 4+2=6 und wechselt.
Genug von diesem äusserlichen und noch obenein ganz unge-
nauen Aneinanderhalten. Es ist längst bekannt, dass Beethoven
seinen grossen Vorgänger geliebt, geschätzt und gewiss auch studirt
hat; — wie war' es anders möglich gewesen? Dass er „Studien"
nach ihm gemacht, ist nicht bekannt und nicht wahrscheinlich;
dass seine erste Symphonie eine Studie nach Mozarts C dur-Sym-
phonie sei, hat nur in Paris und Nijni gesagt werden können. Ge-
rade hier steht Mozart dem Beethoven am fernsten, — man blicke
nur auf das sorglose Antithesenspiel Mozarts gleich zu Anfang
222
Aüegro vivace.
und die geschlossene Energie Beethovens. Der Vergleich Hesse
sich sehr weit verfolgen. —
Dem ersten Satze, der uns so lange festgehalten, folgt nun
ein Andante cantabile con moto, in dem die zweite Violine, dann
Bratsche und Violoncell im Einklänge
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i ar
"Lr bjTf
dann Kontrabass mit beiden Fagotten, endlich die (Tste Geige mit
zutretendem Bläserchor, alles pianissimo, nachahmend einander
folgen. Es ist ein ähnlich Gebilde, wie das S. 203 aus dem C moU-
Quartett Op. 18 aufgewiesene, das aber hier in stiller Feierlichkeit
vorüberzieht; etwas Nächtiges, wie Feier der Steniennacht, spricht
aus dieser feierlich-leisen Bewegung, das besonders im Schlusssatze
vernehmlicher heraustritt. Hier führt
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Pu.Tr^ 4 ^.
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V 2. Va, B
223
die erste Violine wie auf SpinnenfUssen leise sich vorüber, von den
Wechselklängen kurz abbrechender Saiten und Bläser umhaucht;
die Trompeten blinken mit verhaltnen, gedämpften Scheinen hinein,
denen man anfühlt, dass sie blendend aiffQammen könnten, wehrte
die Stunde nicht; tief drunten, kaum vernehmbar in ihren gemessenen
Pulsen mahnt die Pauke, wie fernab gezogenes Gewitter noch durch
Wetterleuchten an sejne Macht erinnert. Ob wohl ein Andrer als
ein Deutscher dieses Kachtgedicht ersonnen haben könnte? — Ein
brittischer Dichter, jat die George Sand, jal Berlioz in Paris fand:
que Beethoven n'ötait pas lä. In hohem Sphären hatt' er ihn er-
kannt; hier in dieser stillen Feierstunde, wo Stemenschimmer sich
hoch über duftende Gebüsche zieht, hier war er auch. Wir
müssen nur das Ohr, nach allen Donnern weltumfassenden Ideen-
gangs und unter dem dithyrambischen Schrei der höchsten Lust
und des tiefsten Wehs wach erhalten für die linde Stimme all-
heilender Natur und die Unschuldsprache des aufrichtigen Heraens.
Genug von dieser Symphonie. Wir werden Beethoven in ge-
waltigenn Ringen wiederfinden, aber stets denselben. Schon in
dieser ereten Symphonie, im Trio zu der frisch und leicht
AUegro molto e vivace.
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und unersättlich empordringenden Menuett
^
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im Trio also treten jene breiten stillen Akkordlagen hervor, —
es sind Oboen, Klarinetten, Homer, Fagotte, — auf denen seine
224
klangdUrstige Seele zum gleichmässigen Fittigschlag des Rhythmus
zu ruhn liebte, des Bedtiifnisses melodischer Aussage fast ver-
gessend. Beethoven war da.
Zwei Jahre nach der ersten Symphonie folgte die zweite
Grande Sinfonie, Op. 36 (C. V. 110)
aus Ddur,*) vollendet in Heiligenstadt im Jahre 1802, aufgeführt
zum ersten Mal am 5. April 1803. Man hat in ihr das Gefiihl,
dass sie einer glücklichen ersten folgt, dass ihr Bildner schon ein-
heimisch und bewährt ist in diesem Gebiete; so hat sich die Freudig-
keit und Weite des Daseins und die behagliche. Sicherheit in der
Führung dieser Stimmen und Massen, die man Orchester nennt,
gesteigert. Es ist im Gmnde derselbe ganz allgemeine Gedanke,
der beiden Symphonien unterliegt: ein Tonfest zu begehn in Herr-
lichkeit und Freudigkeit, und dazu all' diese Helden des Tonreichs,
die Schaar der Instrumente herbeizurufen. Nur diesen allgemeinen
Gedanken, keinen individuell bestimmten giebt uns die erste Sym-
phonie zu veiTiehmen, wenngleich er sich nach der Bedeutung der
vier Sätze vierfach ausbildet und im zweiten derselben wenigstens
die Ahnung bestimmterer Vorstellung aufsteigt. Von der zweiten
Symphonie gilt dasselbe; es ist derselbe allgemeine Gedanke, der
sie hervorgerufen, nur ist alles weiter, grösser, es ist zugleich
alles wänner geworden — und die Kraft des Bildners gesteigert.
Schon die Einleitung tritt im schallenden D dur fest und ge-
bieterisch mit dem Einklang aller Stimmen hin und hat ihren
eignen reicher gegliederten Inhalt. Ein sanfter Satz nach jenem
ersten Hintreten, von Oboen und Fagotten fein und scharf ein-
dringlich intonirt,
Admjio molto.
\z/ I
*) Ohne Zweifel nabm ihn dieses Werk schon im Jähre 18Ö1 in Ansprach.
Vorarbeiten zam letzten Satze befinden sich in dem p. 192 erwähnten Skizzen-
buche Nottebohms. Ein anderes Skizzenbach, p. 188 erwähnt, zeigt, dass die
Einleitung und das Uauptthema des ersten Satzes schon aus dem Jahre 1800
stammen.
225
von glatten Flöten, Klarinetten und Fagotten auf den festen Ein-
schlag zurOckgeleitet und vom Saitenchor wiederholt und weiter-
geführt, giebt vorbedeutend einen Anklang von der Stimmung,
die den zweiten Satz hervorbringen und ganz erfüllen wird.
Bald aber wendet sich die Einleitung in das fremde schattigere
ß dur, und hier entfalten die ersten Geigen ihre Schwingen, tauchen
rauschend nieder, heben sich kühn, um den glatten Flöten und
Fagotten zu begegnen, verstärken sich zu gleichem Entgegnen mit
den zweiten Geigen, fliegen mit den sausenden Bässen im Wett-
sturm empor gegen die sanft abmahnende Stimme der Flöten, Fa-
gotte, Oboen, die einzeln, dann vereint entgegentreten, bis aus dem i
Widereinander der Elemente sich der Sclüag in höchster Kraft i
des Einklangs aller Stimmen — hier also kommt der erste Einsatz [
zu seiner Erfüllung — und in hehrer Majestät auf dem Mollakkorde
D-f-a entladet: es spricht uns an, als schauerte den Gebieter im
Tonreich fe selber vor seiner Macht. Und wer, der selber jemals
in den Kreis dieser magischen Kräfte getreten ist, die den Herr-
schaftmächtigen gleich gewaltigen und tückischen Genien umstehn,
wer hätte nicht Gleiches empfunden? Auf der Dominante baut
sich aus zaghaft suchenden und fragenden und immer voller an-
dringenden Stimmen der Orgelpunkt, um dann in den Hauptsatz
(AUegro con brio) hineinzuschwingen.
Hier nichts mehr von dunkeln Schauem, hier ist Alles tag-
helle, freudige Macht. Zuerst intoniren die Violoncelle gegen die
treibende Achtelbewegung der Geigen den Kern des Hauptsatzes
auf der Tonika, dann wiederholen sie ihn, von den Kontrabässen
verstärkt, auf der Unterdominante (die, so früh herangezogen, dem
Satz Tiefe und weiten Anlauf ertheilt), dann endlich fassen Bässe
und erste Geigen den Satz wieder auf der Tonika, die von allen
Bläsern und den vibrirenden zweiten Geigen durch alle Oktaven
in voller Stärke festgehalten und von den Pauken —
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in bestimmtester Willenskraft des Rhythmus ausgeprägt wird. So
erhebt sich der Satz über seinen Kreis d-fis-a hinaus, macht- und
Marx, Beethoven. I. I •)
226
schauervoll auf d-fis-a-c, das wieder uach der Unterdominante (siehe
das oben Angemerkte) ausschaut, wendet sich nach D dur zurück,
nochmals auf d-fis-a-c und nach dem düstern D moU, um sich dann
im sonnigen Triumph auf dem leuchtenden E zu vollführen, ein
Held in der Pracht seines Waffengeschmeides.
Ebenso glänz- und muthvoU, wie Triumphlied, siegsgewiss
vor dem Kampfe noch mit halblautem Sang angestimmt, tritt der
Seitensatz einher, fanfarenhaft
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von Klarinetten, Fagotten und Hörnern über Achtelbe wegsamkeit
der Bratschen und Violoncello; die Geigen, mit Trompeten und
Pauken, Flöten und Oboen und über streitsüchtig wogenden Bässen,
führen ihn hoch empor, etwas verwildert in Fis moll, gleich wieder
klar leuchtend in E dur, streitfertig vordringend, Schlag um Schlag
wechselnd, dem Schluss zustrebend. Da tritt ganz verfremdet, leise,
abbrechend und stockend der Hauptsatz wieder heran — wer kann
Alles erzählen? — in Siegesmacht und finstrer Entsclüossenheit
wechselnd endet der erste Theil, kampfreicher zieht der zweite mit
dem Reigen seiner Gestalten vorüber, kann sich nicht auf die ord-
nungsmässige Dominante des Haupttons hinfinden, sondern schliesst
auf der Dominante (Cis) der Hauptparallele, um sich dann mit einem
kühnen Riss in den Hauptton und den dritten Theil zu werfen.
Der rundet sich. Alles bestätigend und besiegelnd, ab und
schliesst. Auf dem Schluss ton aber wendet er um, den Hauptsatz,
der all das Ringen hervorgerufen, noch einmal durchzukämpfen,
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und erhebt sich dann in jener weit und unauflialtsam vordringenden
227
Modulation, die nur einmal, in Haydns Schöpfung, einen ähnlichen
Vorgänger gehabt, zum höchsten Siegeskranz in diesem Streit.
Ein jugendlicher Herrscher, seiner Macht froh, ging Beethoven
aus diesem Ringen hervor, ein Mann in voller Energie des Wollens
und Vollbringens, ein streitbarer Held steht er in diesem Satze
der zweiten Symphonie vor uns.
In süsser Friedseligkeit zieht der zweite Satz daher, Larghetto,
A dur, vom Chor der Saiten (bis zuletzt ohne Kontrabässe) geführt,
dann von Klarinetten und Fagotten über den wiegenden Saiten
unter Anschluss der Hörner wiederholt, so der erste, dann der
zweite Abschnitt (Vorder- und Nachsatz) ^des jungfräulich keuschen
Gesangs. Ihm hier zu folgen, ist unnöthig; wem war' er unbe-
kannt? und wem, der nur ein Herz für Musik hat, blieb' er un-
verstanden? Es ist der Einfalt und Schöne eigen, dass sie am
leichtesten aus sich selber gefühlt werden und das erläuternde Wort
ihren milden Glanz nur trübt. Uns ist das allein wichtig, dass
Beethoven mehr wie irgend Einer diesen Gefühlen und Anschau-
ungen zugänglich war und sich, — der treue in aller Kraft und
Tiefe einfältige Mensch, — ihnen, wenn sie kamen, ganz dahingab,
als wären sie seines Lebens einziger Inhalt und einzige Aufgabe.
In diesem Gesänge, der so einheitvoll dahinzieht, so mild wie
Abendsonnenschein, heben sich schon jene in einander verfliessenden
rhythmischen Wellen, —
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Sailen
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die Beethoven so liebt, die Zurückhaltung und Hingebung in ein-
ander zu schmelzen scheinen, — viertönige Motive aus sechs
Gliedern eines dreitheiligen Rhythmus. Schon hier lassen sich jene
heimlichen Lockrufe, bald voller, bald feiner tönend vernehmen.
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die wir später, in der Pastoral-Symphonie, als Naturlaute deut-
licher erkennen werden.
Diesen vollen Hauptsatz breitet der zweite Theil in Moll (A moll)
aus, iührt ihn in das hell blinkenden C dur über, da aber schleicht
ein dunklerer Gedanke, man weiss nicht, aus welcher Heimlichkeit
des Gemtiths herbei. Das sind nun Anregungen — und Wendungen
des Angeregten, die nicht zu voller Evidenz kommen und eben
darin, in ihrer Räthselhaftigkeit, in der Mystik des noch nicht zu
hellerm Bewusstsein gelangten Geistes ihren Reiz haben.
Nach dem Scherzo voll frischen, jungen Lebens, nach dem Trio,
das tibermiithig, kura angebunden wie Soldatenlust sich heraussingt
und pocht und dann schlau lauscht und doppelt frisch weitei singt,
kommt dann das Finale aller Pinale, das ganze weite Ton-
gemälde vom ersten Satz bis zum letzten Schlag drauf in sicherster
freudigster Einheit zusammenfassend. Daist nichts als Siegs- und
Herrschergeftihl, Pracht und Lust, ein breiter, klarer, stürmischer
Lebensstrom, der aus umbuschtem Felsquell her seine Wellen
schwellend und brausend dem Weltmeer entgegenträgt. Und dabei
durchweg Schlussgeftihll Alles von der ersten Note bis zur letzten
davon erfüllt, Alles auf den Dominant- Akkord und seine schliessende
Kraft*) hingewendet, dass dichterisch Erkennen und technische
*) Der Dominantakkord bat zu seiner Grundsubstanz (Anm. S. 103) den
Dreik]ang auf der Dominante (Oberdominante) der Tonart, denselben, der der
Hauptakkord (toniscbe Dreiklang) der nächstverwandten böbern, also warmem
Tonart ist und auf diese hinweiset. Dieser Grundsubstanz gesellt sich die
Septime zu; nun ist die Harmonie in ihrem Aufstreben zur andern Tonart ge-
229
Einsicht sich um das Wort streiten möchten. „Die Sache ist ab-
gemacht! aus! aus! all gewonnen!" ruft es immerfort vom ersten
zuckenden Dreinschlag an
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in das vergnügte Siegslied der Geigen hinein, und so fort; das
fröhliche Herz empfindet's, der Techniker liest die Definition und
Illustration des fortschrittmächtigen und schlusskräftigen
Dominantakkordes heraus, dieses Petrus, dem einerseits die
Macht zu binden i|nd zu lösen gegeben, andrerseits aber auch
das nach Erlösung schmachtende ReugefUhl der Ueber-
hebungüber die Begnügsamkeit des Grunddreiklangs ein-
gegraben ist. Und Beide, der Geniessende und der Erkennende,
sind im vollen Rechte; denn die Kunstlehre ist nichts Anderes als
künstlerisches Erkennen, und der Genuss nichts Anderes, als Ahnen
des waltenden Geistes, der dem bloss Geniessenden verhüllt bleibt,
dem Erkenntniss Suchenden sich enthüllt, Beiden derselbe.
Dem ersten breit ausgelegten Satze der Hauptpartie folgt ein
zweiter. So wandelt der gesalbte, jugendliche Herrscher in seinem
gottgegebenen Reiche der Macht und Freuden leicht, gefällig bewegt
einher, Stimmen auf Stimmen verkünden's; erst
hemmt und an ihre Tonart unauflöslich gebunden; unauflöslich, denn nur in
ihr finden sich ihre Töne vollständig beisammen. Zugleich ist sie die har-
monische Zufiammenüftssung ihrer Tonleiter, wie selbe sich —
' g a h c d e f
g h d f
um ihre Tonika berumbewegt, aus ibr hervorgeht und in sie zurückkehrt;
zwiefach hat sie also die Bestimmung und das Verlangen, in diese Tonika und
ihre Harmonie cinzugehn und den Strom der Töne und Harmonien in die Ruhe
des Ursprungs zurück zulenken. Hiermit begreift sieb, dass der Dominantakkord
Zeichen seiner Tonart und in seinem Eingehn auf die tonische Harmonie be-
friedigender Abschluss ist.
Aus demselben Grunde bestimmt aber ein fremder in ein Tonwerk ein-
tretender Dominantakkord den Uebergang desselben in seine Tonart, also den
Fortschritt.
230
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B pÜK. I i
die Violoncelle mit dem Chor der Saiten und dem sanften Pauken-
schlag des Basspizzikato, die ersten Violinen ziehn darüberhin,
deckend wie ein Baldachin; dann mischen sich, in A dur, sanfte
Klarinetten und Fagotte unter Hömerschall, Alles leise,
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zum Chor der Saiten, dann führen Homer und Oboen und Flöten,
durchglänzt von leisem Trompetenhall über den sanften Pulsen der
Pauke das Lied im Hauptton weiter; ganz in seiner Tiefe einsam
wandelt der Bass fUr sich entgegensingend daher, kaum durch
kurze Akkorde der andern Saiten mit dem Lied in der Höhe ver-
knüpft. Schnell zur Macht erhoben schliesst der Satz auf E.
Und da tritt schon der Seitensatz, der weithinaus verkündende,
Kl
^^m
heran, Alles freudiger, glückverheissender Gesang.
Sorglos, unbeschränkt entfaltet sich der Gesang des Seitensatzes
in seinem Behagen, kaum einen Augenblick lang durch eine leise
Mollwendung überschattet, stürzt er sich nach kurzem Besinnen in
den ersten Hauptsatz in D dur zurück. Der wiederholt sich in
231
D moU und kommt, ganz in der Weise des zweiten Theils der
Sonatenform, zu weiterer Erörterung und tritt nach ilir abermals
im Hauptton D dur auf. Es ist eine Mischform von drittem Rondo
und Sonatenform geworden.
. Warum das? — Weil Alles Schluss! Schluss! die schliessende
Dominante! fordert.
Dem Verlauf des dritten Theils muss ein breiter vollsättigen-
der Anhang folgen, in dem, damit ja keins der Schlusselemente
fehle, die Unterdominante*) in stillster Versenkung befriedigend
waltet. Aus ihrem ruhevollen Sinnen reisst der Hauptsatz sich
frenetisch wild empor und schliesst mit herrischem Jubel.
Wo waren da Deine Schmerzen und Aengste, wo das
Gespenst des sterbenden Ohres? Denn diese Symphonie ist
geschaffen in derselbigen Zeit, in der der geweihte Leidende, der
zweierlei Leben in sich trug, Himmel und Hölle neben einander,
seinem Freunde Wegeier die Worte schrieb: „Ich kann sagen, ich
bringe mein Leben elend zu, seit zwei Jahren fast meide ich alle
*) Die Tonart der UnterdomiDante ist die tiefere, wie die der Oberdomi-
nante die höhere näcbstverwandte Tonart zam Hauptton. Daher ist der Ueber-
tritt zur Oberdominanto Erhebung aaa einer tiefern Tonart in eine höhere,
also Steigerung oder Erregung, der Uebertritt zur Unterdominante Senkung
aus einer höhern in eine tiefere Tonart, also Nachlass der Spannung oder Be*
ruhigung. Denn jeder höhere Ton (und jeder Inbegriff höherer Töne) ist
schnellere Schallschwingung, trifft also das Ohr mit schnellern, innerhalb eines
bestimmten Zeitraums zahlreichern Schlägen; das künstlerische Gesetz stimmt
natürlich hier wie überall mit dem physikalischen überein. Daher erhebt sich
im Liedsatze der erste Theil in der Regel in die Oberdominante, daher stellen
die hohem Rondoformen und die Sonatenform den Seitensatz in der Regel in
die Oberdominante ; denn hier gilt es noch Steigerung. Daher tritt die Unter-
dominante in der Regel gegen das Ende zur Beschwichtigung heran, im An-
fang aber (S. 214) dient sie nur als Anlauf zu krSftigerm Aufschwun<>e. Daher
stellt sich in Sonaten und gleichgeformten Kompositionen der zweite stillere
Satz in der Regel und in den meisten FäUen (s. d. Kompos.-L.) in die stillere
Unterdominante; von hier ist dann der Rückttitt des Finale und Scherzo in
den Hauptton ein neuer Aufschwung, dem erregtem Charakter dieser Sätze
gemäss. Die zweite Symphonie weicht hiervon ab, weil die wärmere und holde
Stimmung des zweiten Satzes des holden erwärmtem A dur bedurfte und sich
aus der Streitfertigkeit des ersten Satzes und seiner Tonart dorthinauf rettete.
Dass aber der Sitz der Unterdominante tiefer, der der Oberdominante höher
gestellt ist, als der zwischen beiden liegende Ilauptton, — z. B. F tiefer, G
höher (nicht in der Tonreihe, sondern in der Entwickelung des Tonreichs) als
C, zeigen die physikalischen Schwingungsverhältnisse von F : F; c = 1 : 2 : 3
und femer von c : c : g = 3 : 6 : 9; G ist um so viel höher als G, wie F tiefer.
232
Gesellschaiten, weil mir nicht möglicl) ist den Leuten zu sagen:
ich bin taub." So trübe schrieb er 1801; 1802 aber, als er die
Symphonie vollendete, war, wie wir oben sahen, seine Stimmung
noch viel finsterer und verzweifelter. Körperlich und psychisch
leidend — wir erinnern uns, dass er eben eine süsse Hofl&iung zu
Grabe getragen — war er zur Wiederherstellung seiner Gesundheit
nach Heiligenstadt gegangen. Hier in der Frische des ländlichen
Sommers, in der Einsamkeit gewann er Kraft zur Ausarbeitung der
D dur-Symphonie. Aber während sich diese lebensvolle Schöpfung ge-
staltete, umgaben ihn Gedanken des Sterbens. Da, im Geftihl seiner
Bedrängniss, schrieb er sein Testament, von dem wir oben schon
ein Bruchstück S. 137 mitgetheilt haben. Hier stehe es wörtlich:
„Für meine Brüder (cf. S. 3) Carl und Beethoven. ihr
Menschen, die ihr mich flir feindselig, störrisch oder misanthropisch
haltet oder erklärt, wie unrecht thut ihr mir, ihr wisst nicht die ge-
heime Ursache von dem, was euch so scheint! Mein Herz und mein
Sinn waren von Kindheit an flir das zarte Gefühl des Wohlwollens.
Selbst grosse Handlungen zu verrichten, dazu war ich immer auf-
gelegt. Aber bedenket nur, dass seit sechs Jahren ein heilloser
Zustand mich befallen, durch unvernünftige Aerzte verschlimmert,
von Jahr zu Jahr in der Hoffnung gebessert zu werden betrogen,
endlich zu dem Ueberblick eines dauernden Uebels (dessen
Heilung vielleicht Jahre dauern oder gar unmöglich ist) gezwungen.
Mit einem feurigen lebhaften Temperamente geboren, selbst em-
pfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, musste ich früh
mich absondern, einsam mein Leben zubringen; wollte ich auch zu-
weilen mich einmal über alles das hinaussetzen, o wie hart wurde
ich durch die verdoppelte traurige Erfahrung meines schlechten
Gehörs dann zurückgestossen, und doch war's mir noch nicht
möglich, den Menschen zu sagen : sprecht lauter, schreit, denn ich
bin taub! Ach, wie wäre es mögüch, dass ich die Schwäche eines
Sinnes angeben sollte, der bei mir in einem vollkommeneren Grade
als bei Andern sein sollte, einen Sinn, den ich einst in der grössten
Vollkommenheit besass, in einer Vollkommenheit, wie ihn wenige
von meinem Fach gewiss haben, noch gehabt haben! — O, ich
kann es nicht! — Drum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen
sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte. Doppelt
wehe thut mir mein Unglück, indem ich dabei verkannt werden
muss. Für mich darf Erholung in menschlicher Gesellschaft, feinem
Unterredungen, wechselseitigen Ergiessungen nicht Statt haben.
233
Ganz allein fast, nur soviel als es die höchste Nothwendigkeit
fordert, darf ich mich in Gesellschaft einlassen. Wie ein Verbannter
muss ich leben. Nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt
mich eine heisse Aengstlichkeit, indem ich befürchte, in Gefahr ge-
setzt zu werden, meinen Zustand merken zu lassen. So war es
denn auch dieses halbe Jahr, was ich auf dem Lande zubrachte.
Von meinem vernünftigen Arzt aufgefordert, so viel als möglich mein
Gehör zu schonen, kam er fast meiner jetzigen natürlichen Dis-
position entgegen, obschon, vom Triebe zur Gesellschaft manchmal
hingerissen, ich mich dadurch verleiten Hess. Aber welche De-
mtithigung, wenn Jemand neben mir stand, und von weitem eine Flöte
hörte und ich nichts hörte, oder Jemand den Hirten singen
hörte, und ich auch nichts hörte! Solche Ereignisse brachten mich
nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig und ich endigte selbst mein
Leben. — Nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück! Ach es
dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles
hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fülüte. Und so fristete
ich dieses elende Leben, so wahrhaft elend, dass mich eine etwas
schnelle Veränderung aus dem besten Zustande in den schlechtesten
versetzen kann. Geduld — so heisst es, sie muss ich nun zur
Führerin wählen! Ich habe es. — Dauernd, hoffe ich, soll mein
Entschluss sein, auszuharren, bis den unerbittlichen Parzen gefällt,
den Faden zu brechen. Vielleicht geht es besser, vielleicht nicht.
Ich bin gefasst. — Schon in meinem 28. Jahr gezwungen Philosoph
zu werden. Es ist nicht leicht, für den Künstler schwerer als flir
irgend Jemand. — Gottheit, du siehst herab auf mein Inneres, du
kennst es, du weist, dass Menschenliebe und Neigung zum Wohl-
thun darin hausen! Menschen, wenn ihr einst dieses leset, so
denkt, dass ihr mir unrecht gethan, und der Unglückliche, er tröste
sich, einen seines Gleichen zu finden, der trotz allen Hindernissen
der Natur doch noch Alles gethan, was in seinem Vermögen stand,
um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu
werden. — Ihr, meine Brüder Carl und , sobald ich todt
bin, und Professor Schmidt lebt noch, so bittet ihn in meinem
Namen, dass er meine Krankheit beschreibe, und dieses hier ge-
schriebene Blatt füget ihr dieser meiner Krankengeschichte bei,
damit wenigstens soviel als möglich die Welt nach meinem Tode
mit mir versöhnt werde. — Zugleich erkläre ich euch beide hier
für die Erben des kleinen Vermögens (wenn man es so nennnen
kann) von mir. Theilet es redlich, und vertragt und helft euch
einander. Was ihr mir zuwider gethan, das wisst ihr, war euch
234
schon längst verzielm. Dir Bruder Carl danke ich noch ins besondere
flir deine in dieser letzteren Zeit mir bewiesene Anhänglichkeit.
Mein Wunsch ist, dass euch ein besseres, sorgenloseres Leben als
mir werde. Empfehlt euren Kindern Tugend; sie nur allein kann
glücklich machen, nicht Geld. Ich spreche aus Erfahrung. Sie
war es, die mich selbst im Elend gehoben; ihr danke ich nebst
meiner Kunst, dass ich durch keinen Selbstmord mein Leben
endigte. — Lebt wohl und liebet euch! — Allen Freunden danke
ich, besonders Fürst Lichnowsky und Professor Schmidt. —
Die Instrumente von Fürst L. wünsche ich, dass sie doch mögen
aufbewahrt werden bei einem von euch; doch entstehe desswegen
kein Streit unter euch. Sobald sie euch aber zu etwas Nützlicherm
dienen können, so verkauft sie nur. Wie froh bin ich, wenn ich
auch noch im Grabe euch nützen kann. So wär's geschehn: —
Mit Freuden eile ich dem Tode entgegen. Kommt er früher, als
ich Gelegenheit gehabt habe, noch alle meine Kunstfähigkeiten zu
entfalten, so wird er mir, trotz meinem harten Schicksale, doch
noch zu früh kommen, und ich würde ihn wohl später wünschen;
— doch auch dann bin ich zufrieden, befreit er mich nicht von
einem endlosen leidenden Zustande? — Komm' wann du willst, ich
gehe dir muthig entgegen. Lebt wohl, und vergesst mich nicht
ganz im Tode, ich habe es um euch verdient, indem ich in meinem
Leben oft an euch gedacht, euch glücklich zu machen; seid es!
Heiligenstadt am 6. Oktober 1802.
Ludwig van Beethoven.
(Siegel.)
Heiligenstadt am 10. Oktober 1802.
I So nehme ich denn Abschied von dir — und zwar
'S . traurig. — Ja die geliebte Hoffnung, die ich mit hierher
ja J nahm, wenigstens bis zu einem gewissen Punkte geheilt zu
g jl sein, sie muss mich nun gänzlich verlassen. Wie die Blätter
> des Herbstes herabfallen, gewelkt sind, so ist auch sie für
1 2 mich dürre geworden. Fast wie ich hicher kam, gehe ich
-g 1 fort; selbst der hohe Muth, der mich oft in den schönen
^ Sommertagen beseelte, er ist verschwunden. O Voi'sehung,
'S S lass' einmal einen reinen Tag der Freude mir erscheinen!
oq g So lange schon ist der wahren Freude inniger Wiederhall mir
S ^ fremd. Wann, o wann, o Gottheit! kann ich im Tempel der
H Natur und der Menschen ihn wiederftihlen ? — Nein — Nein,
g es wäre zu hart!"
235
Man sieht, es war kein Testament; die Bestimraung über den
Nachlass ist der Natur der Sache nach hier nur äusserste Neben-
sache. Es war Abschluss mit dem Leben, es war Lebensmüdigkeit
und Trostlosigkeit inmitten der um ihn her gebreiteten Einsamkeit
und Verkennung, was ihm die Feder in die Hand gab; er wollte
das Zeugniss seiner Liebe niederlegen und zum letztenmal sein Leid
klagen. Damit wandt' er sich in einfach menschlicher Weise an
jene, die von der Natur selber ihm als Nächste gegeben worden.
Die Ordnung der Natur leitete ihn, aber sie konnte sein ahnend
Qeflihl nicht unterdrücken; seinen Bruder Johann nennt er nicht,
er lässt statt des Namens einen leeren Raum.*)
Heiligenstadt ist ebenso durch die Leiden wie durch die
Schöpfungen Beethovens geweiht. Noch jetzt zeigt man einen
schattenreichen an einem Bache hinführenden Weg, der Heiligen-
stadt mit Nussdorf und Grinzing verbindet. Hier liebte er zu wandeln,
unter einer Gruppe von Nussbäumen zu iiihn, zu singen und dann
hastig zu schreiben. Das Landvolk nennt den Bnmnenweg am
Bache noch heute den Beethovengang. In Heiligenstadt entstand
ausser der D dur- Symphonie auch die Pastorale. Am selbigen Orte
also hat er gelitten, gekämpft, gesiegt — gesiegt über die Ge-
brechen des Körpers und die Leiden der Seele, indem er sich ganz
dem künstlerischen Berufe hingab, den ihm sein Genius zeigte.
Allein Kampf und Prüfung hatten erst begonnen, und der Kampf
war um so drückender, da Niemand voraussehen konnte, dass die
Prüfungen heilsam, ja für Beethovens Vollendung nothwendig sein
würden, statt vernichtend.
Heldenweihe.
Man hat sich gewöhnt, von der ersten Reihe der Beetliovenschen
Werke, namentlich von den beiden ersten Symphonien anzunehmen,
sie ständen noch in einer Linie mit denen seiner grossen Vorgänger,
namentlich mit denen Mozarts; erst später sei Beethoven über die
*) Von BoothoveDS Brüdern whrd weiterhin ausfübrlicb gehandelt werden.
236
Gränze des Bisherigen hinausgescliritten, Einige sagen, er sei vor-
wärts gegangen, Andre, er habe bedenkliche und zuletzt verderb-
liche Wege betreten. Es ist beides irrig, wie denn jede äusserlich
gezogene Scheidelinie der stetigen Geistesbewegung gegenüber Irr-
thum sein muss. Beethoven trat ganz naturgemäss, wie jede ge-
schichtliche Erscheinung, sein Werk auf dem Punkt' an, wohin die
geschichtliclie Entwickelung seiner Kunst zuletzt durch Haydn und
Mozart gelangt war. Er war also vor Allem Nachfolger jener
grossen Künstler und hat gewiss ihren Werken seinen ersten Stand-
punkt zu danken. Allein es war ein eigcnthümlicher Geist, in dem
er jene Werke, die bisherige zu ihm gelangte Kunstentwickelung,
auffasstc. Und er war das Kind einer andern, ernstem und ge-
kräftigtern Zeit, er war ein andrer Schlag von Menschen, als seine
Vorgänger; er war es schon vom Anbeginn seiner Laufbahn. Wie
hätten nicht von Anbeginn her seine Ziele und seine Werke andre
sein müssen? Er konnte mit Jenen scherzen und empfinden, aber
er konnte nicht bei ihnen stehn bleiben. Das hat sich von den
ersten Werken an kund gegeben.
Vor Allem hatte er seinen gebührenden Rang eingenommen.
Die erste Stelle unter den Mitlebenden, Ebenbürtigkeit mit seinen
grossen Vorgängern waren ihm in Wien und ausserhalb in der Gunst
der musikalischen Welt zuerkannt; in der Instrumentalmusik war
er ohne Frage an die Spitze des Fortschritts getreten, denn neben
seinen Werken kamen nur Nachbildungen des bereits Vorhandnen
zum Vorschein. Solche Nachbildungen sind erfreulich und nährend
für das Leben der Menschen in der Kunst, die allmählich, je nach
dem Mass ihres Begehrens und Vermögens, deren Gaben empfangen.
Aber im Leben der Kunst haben wir wesentlich*) nur den Fortschritt,
die neuen Ideen als seinen Gehalt und seine Momente zu erkennen;
es ist wesentlich Offenbarung der Idee, nicht Ausleben derselben.
Dieses Leben führt sich seit Mozarts Hintritt, und nach oder neben
den letzten Oratorien Haydns, des jugendheitern Greises, nur in
Beethoven fort. Das Geftihl davon war es, was die Musikfreunde
mit Spannung jedem neuen Werk' entgegenharren liess, was die
Wiener in seine Akademien zog, die Tjichnowskys zu seinen Freunden
und Verehrern und ihn zur Seele ihres Musiklebens machte, was
schon in den ersten Jahren seiner Oeflentlichkeit die Verleger sich
nach seinen Gaben drängen liess.
^J Man sehe die „Musik des neunzehnten Jahrhunderts.^'
237
Ob auch die Kunstgenossen? — Die Quartettisten aus dem
Lichnowskyschen Hause, das Orchester Seyfrieds, das seine ersten
Werke zuerst ausführte, hingen ihm, so sauer er es ihnen oft, be-
sonders auch mit der Direktion (S. 161) gemacht, gewiss an.
Gleichzeitigen Komponisten mag dagegen wohl Massstab und Un-
befangenheit gefehlt haben, seine Grösse neben ihrer Statur zu
messen. Als Clementi, der glatte, kalte, übrigens um die Technik
des Klavierspiels wohlverdiente Zeitgenoss Mozarts, nach Wien kam,
war Beethoven harmlos gleich Willens, ihn zu besuchen. Da musste
er erfahren, dass Clementi im Voraus sich erklärt habe, ihm nicht
den ersten Besuch zu machen, wie dem Ankömmling doch gebührt.
Nun musste Beethoven (wie ihm schien) von seinem Vorsatz' ab-
lassen, — oder er liess sich dazu bereden, — genug, beide Künstler
sahen sich, wussten, wer sie waren, assen mit ihren Schülern Ries
und Kiengel im Gasthofe zum Schwan an derselben Tafel, ohne
sich je nur zu begrüssen; die beiden Schüler schielten nach ein-
ander hinüber und herüber, ohne nur einen Gruss zu wagen.
Dieser Vorfall mag wenig beweisen, weil bei ihm persönliches
Selbstgefühl mitgewirkt hat. Aber dieselbe ablehnende Stellung
war unter den Musikern, und zwar ganz geachteten jener Zeit auch
ohne Beimischung persönlicher Interessen die vorherrschende, ein
Beweis, wie weit Beethoven schon damals über den Kreis der ge-
wöhnlichen Vorstellungen hinausgeschritten war, — selbst in Werken
wie den sechs ereten Quartetten, in die wir uns so eingelebt haben,
dass wir die Schwierigkeit bei ihrer Auffassung kaum begreifen.
Spohr (Selbstbiographie I, 79) gab zu Ende des Jahres 1804 in
Leipzig ein Konzert und ward in grosser Abendgesellschaft gebeten,
etwas vorzutragen. „Ich wählte dazu (erzählt er) eines der schönsten
der sechs neuen Quartette von Beethoven, durch dessen Vortrag
ich in Braunschweig schon oft meine Zuhörer entzückt hatte. Aber
schon nach wenig Takten merkte ich, dass meine Begleiter mit
dieser Musik noch unbekannt und daher unfähig waren in den Geist
derselben einzudringen. Verstimmte mich dies nun schon, so
steigerte sich mein Unmuth doch noch weit mehr, als ich bemerkte,
dass die Gesellschaft meinem Spiele bald keine Aufmerksamkeit
mehr schenkte. Denn es entspann sich nach und nach eine Kon-
versation, die bald allgemein so laut wurde, dass sie die Musik fast
tibeilönte. Ich sprang daher mitten im Spiele, noch ehe der erste
Satz beendet war, auf und eilte, ohne ein Woii zu sagen, zu meinem
Kasten, um meine Geige einzuschliessen." Nachher bittet der
238
Hausherr den Künstler, „der Gesellschaft etwas anderes vorzutragen,
was ihrem Geschmack und Fassungsvermögen angemessen wäre."
— In Berlin trifft darauf Spohr „beim Fürsten Radziwill mit Beni-
hard Romberg, Moser, Seidler und andern ausgezeichneten Künstlern"
zusammen. „Nun selbst zu einem Vortrage aufgefordert, glaubte
ich solchen Künstlern und Kennern nichts Würdigers bieten zu
können, als eins meiner Lieblingsquartette" (der ersten sechs) „von
Beethoven. Doch abermals musste ich bemerken, dass ich, wie
früher in Leipzig, einen FehlgriflF gethan hatte. Denn die Musiker
Berlins kannten diese Quartette eben so wenig wie die Leipziger,
und wussten sie daher weder zu spielen noch zu würdigen. Nach-
dem ich geendigt, lobten sie zwar mein Spiel, sprachen aber sehr
geringschätzend von dem, was ich vorgetragen hatte. Ja, Romberg
fragte mich geradezu : „Aber, lieber Spohr, wie können Sie nur so
barockes Zeug spielen?" Ein. Quartett von Rode stellte diese Sand-
Phäaken zufrieden."
Auch die Kritik jener Zeit konnte sich, wie wir bereits oben
sahen (S. 147 flgde.), mit Beethoven durchaus nicht befreunden, Als
die ersten Trios und die erste Symphonie hervortraten, bezeichnete
ein Rezensent sie als konfuse Explosionen dreisten Uebermuths eines
jungen Mannes von Talent; und der Rezensent war (nach Rochlitz'
Zeugniss in der Leipz. allg. mus. Zeitung von 1828) ein tüchtiger
Musiker, wohlbewandert und mauerfest sitzend in seiner Zeit und
ihrer Theorie. — Bei den Sonaten Op. 10 bemerkt dieselbe Zeitung
1799: „Die Fülle von Ideen veranlasst Beethoven noch zu oft, Ge-
danken wild aufeinander zu häufen und sie vermittelst einer etwas
bizarren Manier dergestalt zu gruppiren, dass nicht selten eine
dunkle Künstlichkeit, oder eine künstliche Dunkelheit hervorgebracht
wird." — Ueber drei Sonaten für Piano mit Violin, Op. 12, lautet
eben da in Nr. 36 das ürtheil: „Rezensent, der bisher die Klavier-
sachen des Verfassers nicht kannte, muss, nachdem er sich mit
vieler Mühe durch diese ganz eigenen, mit seltsamen Schwierig-
keiten liberladenen Sonaten durchgearbeitet hat, gestehen, dass ihm
bei dem wirklich fleissigen und angestrengten Spiele derselben zu
Mutho war wie einem Menschen, der mit einem genialischen Freunde
durch einen anlockenden Wald zu lustwandeln gedachte und durch
feindliche Verhaue alle Augenblicke aufgehalten, endlich ermüdet
und erschöpft ohne Freude herauskam. Es ist unleugbar, Herr
van Beethoven geht einen eigenen Gang; aber was ist das für ein
bizarrer, mühseliger Gang! Gelehrt, gelehrt und immerfort gelehrt
239
und keine Natur, kein Gesang! Ja! wenn man es genau nimmt so
ist auch nur gelehrte Masse da, ohne gute Methode; eine
Sträubigkeit, für die man wenig Interesse fühlt; ein Suchen nach
gelehrter Modulation, ein Ekel thun!" gegen gewöhnliche Ver-
bindung, ein Anhäufen von Schwierigkeit auf Schwierigkeit,
dass man alle Geduld und Freude dabei verliert . . . „Unterdess
soll diese Arbeit darum nicht verworfen werden. (!) Sie hat ihren
Werth und kann insonderheit als eine Schule für bereits geübte
Klavierspieler von grossem Nutzen sein . . . Wenn Beethoven
sich nur mehr selbst verleugnen und den Gang der Natur
einschlagen wollte: so könnte er bei seinem Talent und Fleiss
uns sicher recht viel Gutes liefern." — Wundervoller Gedanke!
Ein Künstler soll sich selbst verleugnen; dann kann er „liefern",
was ihm gefällt.
In Nr. 38 heisst es von 9 Variationen über das Duett:
la stessa, la stessissima: „Mit diesen kann man nun gar nicht
zufrieden sein. Wie sind sie steif und gesucht und welche un-
angenehme Stellen darin, wo harte Tiraden in fortlaufend halben
Tönen gegen den Bass ein hässliches Verhältniss machen, und um-
gekehrt. Nein, es ist wahr, Herr van Beethoven mag phantasiren
können, aber gut variiren versteht er nicht.
Später wird der Ton der Besprechungen etwas anerkennender,
aber gemeistert wird überall, überall ist es der überlegene Geist,
der sich einbildet, die Gränzen des Dürfens und Könnens in der
Kunst genau abstecken und vorschreiben zu können, und der dem
dailiberhinausschreitendenBeethoven kraft angemasster Rezensenten-
herrlichkeit überall sein Quos ego zuruft. Noch lange, sehr lange
wird Beethovens Genie mit fremdem, willkürlichem Mass gemessen.
Von der zweiten Symphonie, die 1804 in Leipzig aufgeführt
wurde, heisst es im selben Jahre: „würde ohne Zweifel durch Ab-
kürzung einiger Stellen und Aufopferung mancher, denn doch gar
zu seltsamer Modulationen gewinnen." Ein Jahr später lautet der
Ausspruch dereelben Zeitung etwas ausführlicher, sonst aber ziem-
Uch gleich: „Wir finden das Ganze zu lang und Einiges überkünst-
lich; der allzuhäufige Gebrauch aller Blasinstrumente verhindert
die Wirkung vieler schöner Stellen. Das Finale ist allzu bizarr,
wild und grell. Aber das wird überwogen durch den gewaltigen
Feuergeist, der in diesem koUossalen Produkt weht, durch den Reich-
thum neuer Ideen, die durchaus originelle Behandlung und die Tiefe
240
der Kunstgelehrsamkeit." Dagegen ist Spazier*) wieder streoger;
er nennt die Symphonie „ein krasses Ungeheuer, einen angestochenen,
unbändig sich windenden Lindwurm, der nicht sterben will und
selbst verblutend (im Finale) noch mit aufgerecktem Schweife ver-
geblich wOthend um sich schlägt." Und doch war Spazier ein
guter Kopf, ein mannigfach gebildeter Mann, als Musiker kannte er
Alles, was in seiner Zeit als vorzüglich galt, wie Rochlitz ihm
später bezeugt. Auch der einstige Lehrer Albrechtsberger war
unter den Tadlem. Einem mit Beethoven befreundeten jungen
Musiker ertheilte er bei Gelegenheit eines der Quartette Op. 18
folgende Warnung: „Gehen Sie nicht mit dem um, der hat Nichts
gelernt und wird nie etwas Ordentliches machen" (Thayer II. p. 117).
Uebrigens eine willkommene Bestätigung der oben (S. 28) darge-
legten Ansicht von der Tragw^eito des bei Albrechtsberger ge-
nossenen Unterrichts. Der Lehrer verleugnet den Schüler, er
findet in dessen Werken sich und seine strengen Formen nicht
wieder. Es waren nicht die einzigen und nicht die strengsten
Lehren, die ihm ertheilt wurden.
Leider waren sie für ihn verloren; er nahm, so wenig ihm
die Zustimmung Einsichtiger oder doch Auffassungsfähiger gleich-
gültig w^ar, von dem, was man Kritik zu nennen beliebte, gar
keine — oder nur höchst flüchtige Notiz; noch viel weniger war'
es ihm je zu Sinne gekommen, sich gegen dergleichen zu ver-
theidigen, wenn die Gegner auch bisweilen so weit gingen, ihm in
diesem oder jenem In-enhaus ein freundlich Stübchen anzubieten.
„Amüsirt es," sagt' er dann wohl, „die Leute, dergleichen von mü*
zu sagen oder zu drucken, so lasse man sie nur immerhin gehn."
Er meinte wohl, sie wüssten nichts Besseres. An Breitkopf und
Härtel schreibt er am 22. April 1801: „Ihren Herrn Rezensenten
empfehlen Sie mehr Vorsicht und Klugheit, besonders in Rücksicht
der Produkte jüngerer Autoren, mancher kann dadurch abgeschreckt
werden, der es vielleicht sonst weiter bringen würde; was mich
angeht, so bin ich zwar weit t3ntfernt, mich einer solchen Voll-
kommenheit nahe zu halten, die keinen Tadel vertrüge, doch war
das Geschrei Ihrer Rezensenten anfänglich gegen mich so er-
niedrigend, dass ich mich, indem ich mich mit anderen anfing zu
*) In der Zeitung für die elegante Welt. Er ist einer von den drei
«gründüchsten Schuften, Merkel, Spazier und Kotzebue'' (Goethe's Worte), denen
Goethe in seinem „Ultimatum*' einen Brocken Unsterblichkeit zugeworfen hat.
241
vergleichen, auch kaum darüber aufhalten konnte, sondern ganz
ruhig blieb und dachte, sie verstehens nicht, ....;... doch
nun Pax vobiscum — Friede mit ihnen und mir — ich würde
nie eine Silbe davon erwähnt haben, wär's nicht von Ihnen
selbst geschehen" (Thayer II. p. 129). So ging er, von Jugend
auf bis zum Ende derselben Weise treu, unbeirrt seinen Weg, —
und die Kritik der neuen Spaziere ging unbeirrt ihren Weg fort,
nur dass sie sich jetzt mit den altern Werken befreundet hatte
und ihre Bemerkungen genau aus demselben Gesichtspunkte gegen
die neuern richtete, wie wir oben (S. 31) gelesen. Nicht einmal
darin ist Oulibicheff' original, dass er die neuem „Verirrungen"
Beethovens ganz einfach aus Wahnsinn erklärt, dem Beethoven
(neben der Taubheit) verfallen gewesen sei.
Beethoven konnte dergleichen nicht weiter beachten ; er lebte
ganz in seinen Werken und in dem gewaltigen Vordringen zu jenem
Ziel, „das er fühlt, aber nicht beschreiben kann." So ganz ist er
diesem Vordringen zu neuen Zielen hingegeben, dass selbst die
enthusiastische, allhin verbreitete Theilnahme, die sich unter andern
seiner Adelaide zugewandt, ihm wohl den Wunsch erweckt, vom
Dichter ein zweites Gedicht zu erhalten, zugleich aber (S. 120) das
Bewusstsein, den damaUgen Standpunkt hinter sich gelassen zu haben.
Seine Schöpfungen, — das war die Welt, in der er lebtei;
alles Andre, den erquicklichen Naturgenuss ausgenommen, ward ihm
fremd, ja lästig. Schon fühlte er sich vom virtuosischen Stand-»
punkte losgelöst und trug seine eignen Kompositionen nur sehr un-
gern vor. Schon machte er mit seinem Schüler Ries Pläne zu einer
gemeinschaftlichen grossen Kunstreise; Ries sollte die Konzerte
einrichten, Klavierkonzerte und andere Sachen spielen, er wollte
nur dirigiren und phantasii-en. Unstreitig war in diesem Punkt'
auch seine zunehmende Harthörigkeit mitwirkend: wusste er denn,
wie er spielte? Denn im Spiel muss das Ohr die Leistung der
Finger bewachen; man kann sich ohne Spiel die Tonverhältnisse
vorstellen, nicht aber ohne Gehör die Ausführung verfolgen.
Kehren wir zu des Meisters Schaffen zurück. Als Ries nach
Wien kam (im Herbst 1 801), fand er Beethoven mit der Vollendung
eines grösseren Werkes beschäftigt, und zwar des Oratoriums
Chri8tu8 am Oeiberg, (Ü. V. 99),
das aber erst am 5. April 1803*) zur Aufführung kam und viel
*) Ries erzählt, er sei am Tage der Aufführung früh 5 Uhr zu Beethoven
berufen worden und habe ihn im Bett, auf einzelnen Notenblättern schreibend
Harz, BeethoYen. L 16
242
später, 1811, als Op. 85 erschieneü ist. Der Text war von
F. X. Huber, dem Dichter des von Winter komponirten unter-
brochenen Opferfestes, unter Betheiligung Beethovens verfasst.
Es sollte sich an diesem Werke zeigen, dass selbst die höchste
Begabung unzureichend ist, ein vollkommen Kunstwerk hervorzu-
bringen, wenn nicht der besondre Beruf fttr dieses bestimmte Werk
dazu kommt.
Allerdings konnte Beethoven von seiner diesmah'gen Aufgabe
nicht so erfllllt sein, wie die Künstler einer Zeit, in der die reli-
giösen, und genau gesagt, christlichen Vorstellungen und üeber-
zeugungen den Geist des Volks fast ausschliesslich erftillen; der
Mann der Revolutionszeit konnte nicht seinen Christus schauen
und denken, wie vor ihm Bach und Händel. Schon der reine
Quell, aus dem wir Evangelische des achtzehnten und neunzehnten
und jedes weiteren Jahrhunderts die Kunde vom Christ schöpfen,
die Bibel, er floss nicht flir ihn ; sein Christus musste ihm erst ge-
dichtet werden. Und wie! Der Dichter hatte keinen andern Zweck,
als Verse flir einen Komponisten zu machen; und der Komponist
hatte keinen andern Antrieb, als den ganz allgemeinen, zu schaffen,
und dabei den Wunsch, sichin einerihmneuen und bedeutenden Gattung
zu zeigen. Das Resultat auf beiden Seiten kann da kein anderes sein,
als: Phrasen; — gleichviel, ob bessere auf Seiten des Musikers,
und zwar eines Beethoven. Dergleichen verhehlen oder beschönigen,
wäre Frevel an der Ehrfurcht, die wir Alle Beethoven zollen; er
steht zu hoch und sicher, als dass er der Beschönigung bedürfte.
Es war' aber auch Vergehn gegen jüngere Musiker, denen — das
beweisen so viele Fehlgriffe — jene Wahrheit nicht oft genug dar-
gelegt werden kann.
Das Oratorium nun stellt uns Christus vor, der beschlossen,
gefunden. Auf die Frage, was das sei, habe Beethoven geantwortet: «Po-
saunen." — „Die Posaunen haben auch in der Aufführung aus diesen
Blättern geblasen.^^
Die Arie „Erzittere Erde'' erhielt diese verstärkte Begleitung am Morgen
der Aufführung, während die eigentliche Vollendung des Werkes schon früher
erfolgt war. Es war die Hauptarbeit des Sommers 1801 gewesen, jedoch, wie
aus noch vorhandenen Skizzen hervorgeht, im Jahre 1S02 noch vielfach gefeilt
worden. Ein Skizzenbuch aus dem Jahre 1803 (herausgegeben v. Nottebohm
1880) aber beweist, dass die zweite Hälfte der ersten Arie und der Schluss
der zweiten Nummer später umgearbeitet sind, vielleicht für die am 4. August
stattgehabte Wiedeiholung des Oratoriums, wahrscheinlicher noch erst für die
dritte Aufführung am 27. März 1804. Das Ergebniss dieser partiellen Neu-
arbeit ist in die gedruckte Partitur übergegangen.
^43
sich als Opfer hinzugeben, aber der menschlichen Todesangst sich
nicht entziehn kann. Mit seinem Gebet beginnt das Gedicht. Aber
mit welchem ! Nicht die ehrwürdigen Worte des Evangeliums, die
in einfältigster Weise mit Wenigem Alles sagen ; hier betet Christus
in emphatischer Salbung: „Jehovah! du mein Vater: o sende Trost
und Kraft und Stärke mir! Sie nahet nun, die Stunde meiner
Leiden, von mir erkoren schon, noch eh' die Welt auf dein Geheiss
dem Chaos sich entwand, . . . ." — Das abstrakte Dogma spricht;
das Leben, die Sprache der Natur, wie wir sie aus dem Munde
des Matthäus kennen, sind nicht zu vernehmen. Wären sie es auch,
dem Komponisten hätten sie nicht gefrommt. Der Dichter kann
nicht mit dem letzten Wort' anfangen, er muss sich und uns zum
Gipfel erst hinaufführen ; die psychologische Entfaltung, das Hinan-
leben zur Entscheidung ist ihm und uns Bedürfniss, Pflicht und
Wonne. Dass wir theoretisch, ausserhalb vom Kunstwerke Kunde
vom Vorausgegangnen haben, hilft nichts; wir haben es nicht im
Kunstwerk' erlebt.
Ein Seraph erläutert: die Erde soll erzittern! „Jehovahs Sohn
liegt hier .... er ist bereit, den martervollsten Tod zu sterben,
damit die Menschen .... ewig leben." Dann preist er mit dem Chor
der Engel des Erlösers Güte und singt Heil den Erlösten, Weh den
. Bösen. Schweigen wir vom Inhalt und seiner Nutzlosigkeit.
Was ist ein Seraph? was sind Engel? — Metaphern sind es,
oder — seien es Wesen — es sind Wesen, die wir uns reiner, zarter
wie die Menschen vorstellen sollen, ohne es zu können; denn woher
sollen wir Vorstellungen fassen, die über unsrer Sphäre, über unserm
Bereich gedacht werden? Dergleichen kann wieder nur dogmatisch,
spekulativ versucht werden. Fleisch und Blut und Leben bietet es
dem Künstler nicht; er muss das Menschliche sublimiren oder
lünauflUgen, verzärteln, verzuckern, dem Materiellen mit süssen
Schwebungen und Eräugen um so sicherer verfallen, je mehr er
sich über das wahrhaft und gesund Menschliche erheben will —
Christus und der Seraph in Unterredung; Christus betet zum Vater
um Erlass des Opfertodes und muss sich vom Seraph sagen lassen,
was er selber zuvor in johanneYscher Weise viel bedeutender aus-
gesprochen. Er fügt sich in den Willen des Vaters.
Endlich fester Boden! Die Krieger treten auf, ihn zu fahn;
von den grossen Redensarten des Petrus, von Christus' Mahnung
zur Ruhe und dem Lobgesang der Engel ist nicht noth zu reden.
Dies also Avar die Aufgabe, der Beethoven sich unterzog.
16*
244
Der Kunstliebhaber fragt nach dem, was geschehn ist; der
Künstler oder Sachkundige beginnt mit der Frage: was hat ge-
schehn können ? und schöpft aus ihr die Begründung seiner Ansicht
vom Geschehenen.
Beethoven konnte so wenig wie ein Andrer Leben geben, wo
er selbst nicht lebte. Als wahrer Künstler konnte er nur fassen
und darstellen, was in wahrhafter Lebendigkeit vor dem Auge
seines Geistes stand. Wo er nicht schauen konnte, war er im
Grunde schlimmer daran, als diejenigen Tonkünstler, deren be-
ständige Aufgabe die Phrase ist; denn sie dürfen wenigstens sich
selber treu bleiben, er konnte das nicht. Es ist merkenswerth,
wie er, der durchaus freie, selbständig seine eigne Bahn wandelnde
Künstler — wo er in seinem Berufe steht — hier, wo das nicht
der Fall ist, mit der ganzen Wiener Schule auf demselben Niveau
bleibt, sich sogar sklavisch an die ßühnenform bindet, sogar —
er, der in seinen eignen W^erken so spröde, so eigensinnig gegen
den bestgemeinten Einspruch seine Behandlung des Gesangs fest-
hielt, — liebedienerisch gegen die Sänger wird.
Nach einer trüb-pathetischen Einleitung (Es moll, Vs) tritt
Christus auf, ein weicher, empfindsamer Tenor. Das Rezitativ ist,
wie alle; ihr folgt die pathetisch bewegte Arie. Dies —
Meine See — — — — le
Va J.5J.
er - schüttelt
m^,
E£
S
int
%
B oTvC
■^i-
ist der Eintritt des Hauptsatzes; dass die feste Form der Musik
der allerdings vom Dichter schlecht ausgesprochenen Stimmung
nicht gemäss ist, wird Beethoven nicht gewahr. — Der anmuthig
erst von Kiarinett und Fagott, dann vom Gesang ausgeführte
Seitensatz stellt^sich besonders bei f
^^^^ ^g^gjjg
:trizt
t:
:tz
-4-
Va-ter, tief ge- beugt and klag- lieh fleht dein Sohn hin- auf zu dir.
245
den beliebtesten späteiii Männerquartetteh, — diesen unzähligen
Sommersprossen (mit Lenz zu reden) auf der altjugendlichen
"Wange der Musik — an die Seite ; Haupt- und Seitensatz werden
wiederholt; ein Anhang mit
f^ al piaoere della voce
m
^^^^ al piaoere della voce ^
Nimm den Leiden -kelcJ 4
von mir
lässt dem Tenor nichts zu wUnschen übrig.
Eezitativ und Arie des Seraphs und Chor der Engel sind von
gleichem Wuchs; nur die Verwünschung der Bösen bietet dem Kom-
ponisten ein greifbar Motiv menschlicher Erregung,
Allegro moUo.
i
t
Doch weh die frech, die...
y« J bl ü
I
P
.y .'^^' .ki-^^jl¥ I , .1,1 i-j-^.
^
^^\^^
TU _
£
ff CB
statt engelhafter Verschwebung, das auch gleich geltend gemacht
wird.
Zur Rechtfertigung (wenn sie nöthig ist) des bösen Worts von
Liebedienerei und Engelversüssung sei noch diese Schlussstelle, die
der Seraph zum Engelchor spricht,
^s^
in Lie
be, in Glaub* a. Hoffnung sind
angeführt. Weiterer Betrachtung bedarf es nicht; die Krieger treten
in einem all amarcia ganz lebhaft und beschäftigend auf, nur kann
die Handlung nicht fortschreiten (es tritt unter Andern ein Terzett
des Seraphs, Christi und Petri dazwischen, der in der Weise des
polternden Alten oder buffo parlante behandelt wird), weil der
Fortschritt, die Gefangennahme, auch das Ende ist. Wenigstens
auf Erden. Droben singen die Engel motettenhaft ihr Loblied. —
Beethoven selber war übrigens in seinen letzten Jahren der Meinung,
246
er habe wohl den Christus zu theatralisch gefasst; er hätte viel
darum gegeben, diesen Fehler verbessern zu können.*)
Ganz andre Dingo beschäftigten inzwischen, zur Zeit der Auf-
führung des Oratoriums, seinen Geist.
Nur enge Köpfe schliessen sich in ihrem sogenannten Beruf
ein, aus Furcht, bei dem ersten freiem Umschaun gleichsam vom
Schwindel gefasst herauszufallen. Kräftige Geister lieben und suchen
freien, weiten Horizont; aber sie fallen darum nicht aus ihrem Beruf
heraus, sondern ihnen tritt Alles mit demselben in Bezug.
Als ein ganzer Mensch, als Kind seiner mächtig bewegten Zeit,
hatte er trotz mangelnder Grundbildung nicht blos an den Dichtem
Deutschlands und Englands und der Alten, er hatte auch an den Zeit-
Gedanken und Erscheinungen mit vollem Gemtithe theilgenommen
und gab es niemals auf, den Zeitereignissen zu folgen. Obenan
standen natürlich ftir ihn, wie für Alle, die grossen Gestalten der
französischen ersten Republik und Napoleon Buonaparte's. Den
letztern staunte damals die Welt in seiner Feldherm-Glorie an ; den
verrätherischen Sturz der Republik verzieh man ihm (abgesehen von
denen, die ihn gewünscht), weil man ihm selber Freiheitsideen bei-
mass, — als WTnn jemals Usurpation und Militärherrschaft damit
verträglich sein könnten. Beethoven in seiner Arglosigkeit und Un-
kunde lebte der festen Ueberzeugung , Napoleon habe als erster
Konsul keine andere Absicht, als Frankreich zu republikanisiren
und von diesem Punkt aus die allgemeine Weltbeglückung zu
unternehmen; in dieser Voraussetzung war er ein enthusiastischer
Bewunderer des Helden, den er den grössten römischen Konsuln
zu vergleichen liebte. Er ahnte nicht, wie bald der Held von
Italien seinen Namen und seine Gmndsätze (wenn er jemals re-
publikanische gehabt) umkehren würde.
Wie früh in Beethoven der Enthusiasmus flir Napoleon wach
geworden, wissen wir nicht; aber in den ersten Monaten 1798 be-
kam er neue Nahmng und ein bestimmtes Ziel. Bernadotte be-
fand sich damals als Gesandter der französischen Republik in Wien
und war Zeuge der Bewunderung, die Beethoven von allen Seiten
*) Die Aufnahme des Werkes war ziemlich kühl gewesen. Nach der ersten
Aufführung schrieh Jemand in „der Freimüthige'* nicht unzutreffend „zu kunst-
reich im Satz und ohne gehörigen Ausdruck; vorzüglich jn den Singstimmen*
Beethoven hatte, wie jener grosse Rezensent der allg. mus. Zeitung einst ge-
wollt, sich selbst verleugnet; die Folge war, dass ein naives Wabrheitsge-
fühi des Publikums sich hier kalt von ihm abwandte.
247
gezollt wurde. War es seine Absicht, dem bereits aUgebietenden
General Bonaparte sich aufmerksam zu erweisen,oder dem deutschen
TonkUnstler eine Huldigung zuzuwenden: genug, er regte in diesem
den Gedanken an, dem Helden ein grosses Instrumentalwerk zu
widmen, das eigens fiir ihn komponirt sei; nach dem praktischen
Sinne der Franzosen darf man annehmen, dass Bernadotte sich
bereit erklärt, Uebersendung und Annahme des Werks, dessen Aus-
führung er sich nahe gedacht haben mag, zu vermitteln. Jeden-
falls hätte sein zeitiger und unvorhergesehener Abgang von Wien
(am 15. April) diese Absicht vereitelt.
Beethoven hatte den Gedanken bereitwillig aufgenommen, aber,
wie es scheint, zunächst ganz allgemein, ohne bestimmte Gestaltung.
Erst im Jahre 1801 traten einzelne Gedanken des Werkes hervor,
so eine Andeutung der Marcia funebre und Entwürfe des Finales,
sie finden sich in einem während des Frühjahrs und Sommers 1801
gebrauchten Notirbuch (von Lenz als der musikalischen Bibliothek
des Grafen Wielhorki zu St. Petersburg angehörig erwähnt). Jedoch
scheinen wiederum 2 Jahre hingeflossen zu sein, bis Beethoven sich
der Ausarbeitung voll und ganz hingab. So kam das Jahr 1803
heran; dies ward der Eroica Geburtsjahr. Das von Nottebohm 1880
herausgegebene Skizzenbuch giebt ein Bild von dem allmählichen
Herausbilden der wesentlichen Züge des Werkes zu der plastischen
Form, in der sie heute in der vollendeten Schöpfung vor uns stehen.
Wieviel Werke, und wie grosse wurden in diesen fünf Jahren (1798
bis 1803) begonnen, vollendet, aufgeführt! Aber neben allen erhielt
sich der Gedanke des Heldenwerks flir Bonaparte wach und rege,
dem tief im Verborgnen glimmenden Funken gleich , der, oft von
zwischenlagernden Schichten überdeckt, nimmer erstickt wird und
endlich in mächtiger Lohe aufschlägt, weithin Licht und Wärme
verbreitet. Beethoven verlebte diesen Sommer im Dorfe Oberdöbling.
Ländliche Stille und Anmuth umgab ihn, Gärten, Weinberge und
grüne Felder. Hier wuchs das Heldenwerk aus seinem Geiste hervor,
wenn auch Hauptgedanken desselben, wie wir eben sahen, schon
aus früheren Jahren stammten. Im Mai 1804 war es vollendet.
Es wurde eine saubere Abschrift besorgt, und Beethoven schrieb
mit eigner Hand auf die erste leergelassene Seite der Partitur oben
Buonaparte,
ganz unten
Luigi van Beethoven,
„kein Wort mehr," sagt Ries.
248
Das Werk sollte eben durch Vermittlung der französischen Ge-
sandtschaft nach Paris abgchn; da traf in Wien die Nachricht ein.
Bonaparte habe sich zum Kaiser machen lassen. „Ich war der erste,"
erzählt Ries, „der ihm die Nachricht brachte, Bonaparte habe sich
zum Kaiser erklärt, worauf er in Wuth gerieth und ausrief: „Ist der
auch nichts anders, wie ein gewöhnlicher Mensch? Nun wird er auch
alle Menschenrechte mit Füssen treten, nur seinem Ehrgeize fröhnen :
er wird sich nun höher wie alle Andern stellen, ein Tyrann werden."
Hiermit (erzählt Ries weiter) schritt er zum Tische, wo die Partitur
lag, fasste das Titelblatt, riss es ganz durch und warf die Partitur
unter einem Schwall von Verwünschungen gegen den neuen Franzosen-
kaiser, gegen den neuen Tyrannen zu Boden, wo sie lange liegen
bleiben musste. Es dauerte lange, bis er sich dazu verstehen
konnte, sie dem Fürsten Lobkowitz zum Gebrauch flir einige Zeit
zu überlassen (in dessen Palast sie mehrmals in Gegenwart des
Prinzen Louis Ferdinand von Preussen aufgeführt wurde) und
endlich herauszugeben. Von Napoleon aber durfte keine Rede mehr
sein; das Werk wurde am 7. April 1805 aufgeführt und erschien
1806 unter dem Titel
Sinfonia eroica, composta per festeggiare il sovvenire di un
grand' uomo (0. V. 124)
als Op. 55, dem Fürsten Lobkowitz gewidmet; von Napoleon war
„der grosse Mann" geblieben und dieser als ein Vorübergegangener
vorgestellt, der in der Erinnerung fortlebe. Für Beethoven war er
ein Vorübergegangener. Nie hat er ihm verzeihen können.*) Als
die Nachricht kam, der Gefangene von St. Helena sei gestorben,
äusserte Beethoven sarkastisch: zu diesem Ausgange habe er ihm
schon vor siebzehn Jahren die Musik komponirt (er meinte den
Trauermarsch in der Symphonie), der musikalisch den Ausgang im
Voraus bezeichnet habe, ohne dass dies seine Absicht gewesen sei.
Allerdings ist die Bedeutung des sogenannten Trauermarsches eine
ganz andre, den Hingang eines Einzelnen, war' er auch der Held
von Corsica, weit überragende.
Dies ist die äussere Geschichte des AVerks, das einer der
*) Am 8. September 1S09, während Napoleon in Schönbninn residirte,
wurde in einem Wobithätigkeitskonzerte die Eroica von Beethoven selbst dirigirt.
Wenn überhaupt die Nähe Napoleons bei der Wahl des Werks für das Konzert
von Einfluss gewesen ist, so hat Beethoven bittere Ironie gegen diese Schein»
grosse geschleudert, indem er ihr das Kunstideal wahren Heldenlebens gegen-
überstellte.
249
Wendepunkte im Leben Beethovens und der Kunst selber zu werden
bestimmt war.
Wenden wir uns nun zum Werk selber.
Was wollte Beethoven? was konnte er geben? Irgend eine
Komposition von grosser, grossartiger Gestaltung? So würden ihm
unsere Aesthetiker gerathen haben, nämlich diejenigen alten und
neuen Datums, die der Musik nichts als Formenspiel, oder nichts
als höchst allgemeine Anregung unbestimmbarer Stimmungen als
Aufgabe beimessen, weil sie unfähig sei, „das Konkrete auszu-
sprechen." Beethoven w^ar anderer Ansicht. Als Künstler hatte
er mit lebensleeren Abstraktionen nichts zu schaffen; ijeben zu
schaffen, Leben aus seinem Leben, war sein Beruf, wie aller Künstler.
Der Künstler weiss, was seine Kunst vermag, er vor allen, er allein.
Das aber ist das Gebrechen der allermeisten Kunstphilosophen,
dass sie das Zeugniss der Künstler und der Kunstwerke versäumen,
um den Faden der Abstraktion unbeirrt auszuspinnen.*)
Auch eine neue „Militärsymphonie", nach Art der Haydn'schen,
mit Trompeten- Geschmetter und grosser Trommel, — hier war
dergleichen unziemend.
Beethoven fasste seine Aufgabe, wie es einzig seiner und ihres
Gegenstandes würdig und einzig künstlerisch war. Nichts von jenen
Abstraktionen, die an unsrer Kunst nichts übrig lassen, als dass
irgend etwas, man weiss nicht, was? sich bilde und irgend etwas,
man weiss nicht, was? sich empfinden oder spüren lasse. Das war'
eine Kunst für spielige Mädchen, die nichts weiter vermöchte und
dürfte, nicht für Männer wie Beethoven, Bach, wie alle wahren
Künstler. — Natürlich auch nichts von jenem historischen Konkre-
tismus, der Namen und Jahreszahlen, den vollständigen Inhalt der
Begebenheiten und Geister bringt. Das vermag die Musik nicht,
aber das will sie auch nicht, weil sie Kunst ist.
Ihm war Bonaparte der Held, der, gleich irgend einem andern
dieser weltbewegenden Heroen, — heissen sie nun Alexander, oder
Dionysos, oder Napoleon, — mit seinem Gedanken und Wollen die
Welt umfasst, und an der Spitze seiner Heldenschaar siegreich die
Welt durchzieht, sie neu zu gestalten. Es war kein Genre-Gedanke,
kein Portrait dieses Menschen Bonaparte und seiner Schlachten, es
war ein Idealbild in echt griechischem Sinne, das in ihm empor-
*) Schon in einem frohem Werke: Ueber Malerei in der Tonkunst,
ein Maigruss -an die Kunstphiiosophen, 1828, ist die eotscheidende Frage vom
Verf. behandelt worden.
250
wuchs. Und es wurde nicht einmal ein ikonisches Bild des Helden,
sondern mehr ein volles Drama des Napoleonischen Lebens, es fand
seinen Kern in den Waffenztigen gen Süd und Nord, gen West
und Ost, in den „hundert siegreichen Schlachten", um
Napoleons eigne Bezeichnung zu brauchen. Und da der Dichter
nicht die Breite des Lebens, sondern die Spitze, die Idee zu
fassen Beruf hat, so war die Schlacht der noth wendige erste
Moment in Beethovens Aufgabe. Die Schlacht, — nicht diese
oder jene bestimmte (wie später Beethoven die Schlacht von Vittoria
und Andre, z, B. Jadin die Schlachten von Austerlitz und Jena
geschrieben), sondern die Schlacht als Idealbild.*) Und auch
dies nur in dem Sinne, dass die Schlacht der entscheidende Moment,
die Spitze des Heldenlebens ist.
In diesem Sinne beginnt nach innerer Nothwendigkeit der
erste Akt der Symphonie mit der Ideal-Schlacht das Geistes-
bild des Heldengangs vom stillen, kaum bemerkten Anfang hinaus
in die V/elt und durch alle Welt hindurch. Nach zwei Kraft-
*) Dies ist keine willkürliche Behauptung, noeh viel weniger eine vor-
nehmthuende kunetphilosophische Phrase, sondern erweisbare, thatsächliche
Wahrheit; und es erscheint für die sichere Auffassung der Heldensymphonie
von Gewicht, dass dieser Punkt festgestellt werde.
Wäre die Absicht Beethovens nur auf ein Schlachtbild gegangen, so würde
für die drei folgenden SStze der Symphonie kein Inhalt, also keine Stelle im
Kunstwerk übrig geblieben sein; der erste Satz aliein giebt das Schlachtbild —
wenn es in irgend einem Sinne darauf abgesehen war, — und mit ihm wftre
das Kunstwerk abgeschlossen. Also schon das Dasein der folgenden drei Sfttze be-
weist, dass nicht ein blosses Schlachtbild die Aufgabe des Tondichters gewesen ist.
Wäre vollends Beethovens Aufgabe gewesen, eine bestimmte Schlacht zu
schildern, so musste diese Schlacht — gleichviel, wie man über eine solche
Aufgabe und die Mittel zu ihrer Lösung urtheilen mag — bestimmt bezeichnet
werden. So that später Beethoven, wie oben bemerkt, bei der Schlacht von Vittoria.
Regimentsmusiken (ausser dem grossen Orchester) bezeichnen die Heere, die
bekannten Volksgesänge sagen uns, dass Franzosen und Engländer die Kämpfen-
den sind, Kanonendonner und Gewehrfeuer, Sturmmarsch u. s. w. voUenden
das konkrete Bild bis in das Genrehafte. Ebenso sind die Schlachten von
Austerlitz und Jena und zahlreiche andre Gebilde der Art durch Nationai-
märsche, Kavalleriefanfaren und den ganzen Plunder der Schlachtenwirklich-
keit ausgemalt, und so alle sonstigen Bilder der Art
Von dem allen ist hier keine Spur; nicht das Mindeste ist für ein kon-
kretes Schlachtbild geschehn, alles ist hier ideal, selbst die dem Schlachter-
eigniss angehörigen Zuge sind nicht um der Schlacht wiUen, um ihrer einzelnen
Wendungen willen da, sondern nur als Züge zur Vollendung von Napoleons
Charakterbild. Napoleon war die Schlacht
251
Schlägen des ganzen Orchesters („Hortl Hört!") tritt der Helden-
gedanke — er sei mit A bezeichnet —
Aüegro con brio.
A
F^"^
still in den Violoncellen unter der Decke der Achtel schlagenden
zweiten Violin und Bratsche hervor, um sich gleich wieder unter
dem scharfen Luftzug, der nach Q moll weht, zu verlieren. Allein
sogleich wendet sich der Gang zurück nach dem Hauptton (Es dur)
und der Heldengedanke setzt, um nun fester den Hauptsatz aus-
zubilden, abermals in Flöte, Klarinette und Hom, in drei Oktaven
übereinander, ein. Es liegt etwas höchst Spannendes in dieser
Vorbereitung. Der Hauptgedanke tritt in den Violoncellen noch
blass, noch nicht erwärmend hervor, gleich der eben den Horizont
berührenden Sonne, um gleich ihr in fröstelnden Nebeln sich noch
einmal zu bergen. Dieses „Noch nicht!" (wie oft hat es Napoleon
in heissen Schlachten ausgesprochen, wenn seine Generale zu früh
die Reserven forderten!) dieses sich Verlieren in die Mollparallele
der Dominante weitet den Satz von vier Takten auf dreizehn aus;
wir sind auf grosse Verhältnisse hingewiesen.
Nun ist der Gedanke, die Soone der Schlachten, wiedergekehrt,
höher und wärmer und herrschend (zuerst war er Unterstimme) in
den Oktaven der Bläser, — aber noch sanft und freundlich, wie
Feldmusik am Morgen des Schlachttages; finsterer ftihren Geigen
und Bässe ihn fort nach F moll, wieder treten Flöten, Klarinetten
und Fagott an die Spitze, aber die Geigen sind es, schon vom
vollen Orchester unterstützt, — nur Trompeten und Pauken fehlen
noch, — die den Satz zur Vollendung auf die Dominante
^^^m
i.
*) Die Notenbeispiele geben, dies sei ein für alle Mal gesagt, nur An-
deatangen; wer das Vollständige will, muss sich an die Partitur wenden oder
sich mit den Klavierauszügen behelfen.
252
führen. Schon melden sich (B) jene schwingenden Stellen und
die scharf hineinreissenden Synkopen (über C), die noch ihre Rolle
spielen werden; jetzt steigern sie sich nur zu heitertrotziger Ent-
schlossenheit. Und nun endlich schallt das Heldenwort mächtig
hinausstrahlend und zu finstrer Entschlossenheit gewendet
r
aus der vereinten Stimme der Bässe, der Bratschen, der Fagotte,
Klarinetten, Oboen und Flöten — der Homer und nun — erst!
der Trompeten unter den schwirrenden Geigen und dem bestätigen-
den Hall der Pauken. Das ist der Held auf seinem Thron, dem
Schlachtross.
Hieran knüpft sich (auf der Dominante, B dur, Seitensatz) ein
eigenthtlmlich bezeichnender Gedanke (D); es ist wie freudig jauch-
zende Feldmusik, die heranrückt, aber wieder leise, wie von Weitem,
Fl
VI
V2 Va
m^!^=^-
i-t
vf-
n '.
und, innerlich Eins, äusserlich gleichsam zusammenhanglos in ab-
gebrochenen Gliedern, bald in diesem, bald in jenem Instrument
auftaucht, — erst in der Oboe, dann in der Klarinette, dann in
der Flöte, dann in der ersten Violin, und nochmal durch alle durch,
— als wenn man vom Hügel das weite Blachfeld überschaute,
blinkend im Strahl der Morgensonne, die in den blanken Waffen
wiederblitzt, und hörte von fern, da und dorther den zusammen-
rückenden Schaaren vorauf den heitern Ruf der Feldmusik. Jetzt
schaart sich Alles dichter, tritt Alles munterer hervor, fasst unter
dem Blitzen und Klirren der Waffen (E)
253
f
i=z^
i
^ J
■Ir
i
^1
I
festen Fuss und schliesst an einander Mann an Mann, und Schaar
an Schaar, von hohem Muthe das Ganze, wie Ein Körper von
Einem machtvollen Willen, beseelt.
Menschlich gedacht ist es, und das gerade ächtkünstlerische
Gegentheil von allem renommirenden Waftengeklapper, dass jetzt,
im Angesicht blutiger Entscheidung, auch nachdenkliche Vor-
stellungen (F)
Kl
f
U-^^üJ-
i
i i i
V2 '
Va
B jtizz.
die Seele beschleichen, sich noch tiefer zu verdüstern dröhn. Da
rückt, erst unsicher, dann immer geschlossner und rühriger. Alles
zusammen und unter ermuthigendem Heidonwort (G) wie mit flie-
genden Fahnen
G aT-
: ii J J^
m
.»J--i-j
3=i3?=?=3l
/
J> I I I
' I ' > • . r I i 1
IF-f-^y'^JF— m
^^^^^'^^^^^^■^^^^^ ^^H^^^^^^^^^^^^^^^ ^^B^^^^^^^^^^^^^^^^^ ^^^^^^^^B^^^^^
5/ Sj 8/
zum Treffen, zu harten Sclüägen, die das bisherige Mass des Rhyth-r
mus zerreissen, mit schwerathmender Brust im Hin- und Herdrang
254
der Streitenden vorwärts zur Entscheidung, die mit grimmyoUem
Schrei des ganzen Orchesters
päv^ip
das Heldenwort zurückruft und behaupten will.
Das ist der erste Theil. Er hat uns das Bild der Schlacht
heraufgeführt. Nichts Anderes hatte Beethoven zu geben. Aber
die Schlacht, das ist der Krieg, das ist die Heldenlauf bahn, der
ganze Held, dieser Briareus mit hunderttausend Armen, dem die
Welt zu eng war; das schwebt dem Tondichter vor, nur dass er
nach Art der Kunst das Allgemeine in energischem Zusammen-
fassen zu einem einigen Hergang verdichtet, wie die Ilias den zehn-
jährigen Kampf in eine Spanne von wenig Tagen. Auch fllr den
weitem Verlauf ist dieser Gesichtspunkt festzuhalten.
Das Heldenwort ist zurückgerufen. Aber es sinkt in UmdUste-
rung, ein banger Augenblick wie Haltlosigkeit und Eathlosigkeit
(die ersten fünfzehn Takte des zweiten Theils), in der nur zögern-
den Fusses Herstellung gesucht wird, hält Alles gefangen. —
Es ist bewundernswürdig, wie der Ehytlimus dem Beethoven
gehorcht; sagen war lieber: wie sein Wille, — denn der bestimmende
Wille verkörpert sich im Rhythmus, — seiner Idee getreu bleibt
und dient. Der Hauptsatz A hat sichern, gleichmässig gewogenen
Einherschritt,
I
J-J-J-;
I I
I
der sich belebt. Der feste Befehl (E) tritt herrisch auf,
•kurz abgebrochen, ein Wort genügt. Jene streitsüchtigen Synkopen,
die sich zuerst noch venig entwickelt bei C zeigten und gleich da-
rauf (in einer der übergangnen Stellen, — wer kann alles das mit-
255
theilen?) weiter geltend machten, reissen wild in die Ordnung
hinein,
188
_jJJ_J_^J_«L|.
2 12 13 1 2 12 12 1
I
J _l
** * ? 2 »
um dann in den Hauptsatz zurückzufliegen, der die Sicherheit her-
stellt. In jenem Augenblick des Zögems, nach förmlichem Stillstand
im Ehythmus von A bilden sich wieder Synkopen, aber solche,
13 8
p_U-|:jj.pLi|jj_pj_pj_Lj4
die nur lähmen. Man bringe sich die Ehythmen ohne Töne, durch
blosse Schalle, wie Trommelschläge, zu Gefühl, und man wird ihre
reine Bedeutsamkeit inne werden. Aber das sind nur einige Bei-
spiele; der ganze Ehythmus ist Geist. —
Es hatte Alles gestockt. Da klingt die Feldmusik (D) wieder,
wie von fem, freundlichen (dolce! — ) Muth zurufend und mit
frischerm Anlauf (H)
H
3^A
und führt zur Sache zurück. Finster und kalt, in CmoU, bringen
die Bässe den Euf und steigern ihn die Geigen
TP U' ^' ^'
¥
n
S^äL-^Jlil^^MfJü
%
gs:^
und dräDgren ihn nach dem rauhen DmoU, -während über seinem
256
Gebote der heisse Streit (E) entbrennt und der Chor aller Bläser
(mit Ausnahme der Trompeten und der Pauken) in sieghaft festen
Rhythmen
p
Blftser.
ffi.
r
i i
m
Väo. 8.
i§i^
>
in:
^
sich ausbreitet.
Diese Kampfscene hatte sich weit ausgebreitet und ihren ersten
Standpunkt (das letzte Beispiel, es fehlen noch vier Takte auf
a-cis-e-g) in D moU genommen, ihren zweiten (abermals acht Takte)
in GmoU. ^un erklingt wieder die Feldmusik (D) weit herllber
aus A dur her, und um sie, aus ihr motivirt, entbrennt ein hartes
Ringen wie Einzelgefecht, — wir geben aus der Mitte heraus ein
Paar Takte — nur die am leichtesten mittheilbaren, —
Va
^f\
9IS
■■ I ^ fi r~^'
m
=tffc
V2
//
Vo
-</•, . fc&i^ V2
wo nun auch diese harten Streiche in den scharfen Bogenstrichen
der Saiteninstrumente ohne mildernde Bläser einschneiden und er-
picht empordringen,
•" s'f ff .^/' sf ' Sf Sf 8f
(wieder Synkopen), die sich schon oben bei C hatten vernehmen
lassen, jetzt unter dem Geschrei des ganzen Orchesters. Auch
dieser Kampf dehnt sich weit aus (mit dem letzten Satze dreiund-
257
dreissig Takte) in breiten Wellen über A moll, E moll, H moU nach
C dur, steht zuletzt , Chor gegen Chor, — alle Bläser gegen alle
Saiten mit einem dreinrufenden dritten Hom — mauerfest uner-
schtittert, wie zwei Männer, Brust an Brust ringend, auf einem
bösen Akkorde, a-c-e-f, bricht damit schroff ab und erstirbt in
harten Pulsen auf h-dis-fis-a-c, h-dis-fis-a zum Ende auf E moll.
Unterbrechen wir uns noch einmal.
Bis hierher ist das Tongedicht streng in den Linien der Sona-
tenform gebheben, nur in Dimensionen, die alles vor ihm Gegebne
ohne Vergleich hinter sich lassen. Die grössere Ausdehnung war
nothwendig flir den bis dahin flir einen einzelnen Satz undenkbar
reichen Inhalt. Sie brauchte weitem Raum, das heisst erweiterte
Modulation. Dass die grosse Ausdehnung, dass der weit ausge-
dehnte Modulationskreis weder Erschlaffung noch Verwirrung oder
nur Ungewissheit zur Folge haben, zeugt von der Bestimmtheit in
Beethovens Schauen und von der Energie seines Gestaltens. Jeder
Satz wird vollkommen plastisch ausgerundet und unvenückbar
hingestellt; ja er wächst vor unsem Augen empor und wir leben
uns in sein Leben hinein, dass wir ihn nimmer vergessen. Nach ihm
tritt ein andrer auf, und wir sind vollkommen bereit, ihn aufzu-
nehmen. Es ist das der Triumph des Geistes und der Form, —
wenn man einmal zu scheiden versucht, was unscheidbar Eins ist.
Wir machen Beethoven kein Verdienst aus dem Festhalten an der
bisherigen Form, so gewiss er die Kraft und das Eecht gehabt
und geübt hat, über die ihm von den Vorgängern überkommenen
Formen hinaus- oder ganz von ihnen abzugehn. Wir wollen nur
bemerkt haben, dass für seinen ganz neuen Inhalt und für die Er-
weiterung des ganzen Baues die gegebene Form ihm genuggethan.
Nun aber geht er von ihr ab, — oder wenigstens weit über
alles Bisherige hinaus. Er muss es, denn ein ganz neuer Gedanke
fordert Gehör.
Unmittelbar aut dem E-Schlusse wird dieser Gedanke von
eigenthümlich gewählten Stimmen
Marx, BeethoTen. I. ^7
258
I
V2
Vo
g
■i^-g:^^ ^_,i^i^ii
t=qt:
■i
±
#
f=i=i=Ee=f
B ^>/>z.
ausgesprochen, — ist es Leid um die Opfer? ist es prophetische,
noch unverstandene Mahnung? ist es irgend eine Stimme der Er-
innerung aus der Ferne? vielleicht von dorther, wo „vierzig Jahr-
hunderte" den Sieg der Helden und den Rückzug sahn? — seltsam
erklingt das Lied, von den feinspürigen Oboen in die Höhe gehoben,
mit den schartklagenden Violoncellen, die durch die zweite Violin
zwar verstärkt, aber gemildert werden, angestimmt; seltsam mischen
die Flöten zu den rhythmischen Schwebungen der ersten Violinen
ihr eintöniges, matt und hohl erklingendes h, und bestätigt alles
mit seinen leisen paukenartigen Schlägen der Bass. Der Nachsatz
wendet sich nach A moll, wo Flöten und Fagotte über schweben-
den Saiten den Sang wiederholen.
Was ist das? — Es ist eines der Räthsel in der Menschen-
brust, eine dieser Räthselstimmen, die bisweilen hineintönen in die
Geschicke des Menschen, wie damals das Flüsterwort, das Brutus
von den Lippen des erschlagenen Cäsar vernahm. Solche Ge-
heimnisse entziehn sich der „gemeinen Deutlichkeit der Dinge".
Das Alles hat kein Recht an das Heklenleben. Das Helden-
woi1, der Wille des Führers tritt kalt entschlossen und stark im
hellen C dur , von allen Saiten und Fagotten und den quillenden
Oboen im grossen Einklang daherge tragen, zur Entscheidung und
erstreckt sich unter Zuruf der Trompeten und treibenden Hönier-
stössen übergewaltig, —
?l
SP
259
nicht unvorbereitet, wie sich bei B Seite 251 gezeigt, — über alle
Stimmen, und wiederholt sich düsterer in C moU. Vergebens tönen
jene Mahn- oder Klagerufe dringender wieder; sie erlöschen, und
überall schallt za dem Sturmschritt der Bässe (schon Seite 251 bei
C und Seite 252 ist er angetreten) der Heldenruf,
i
fc
EE
• • • • * J jr
und hallt wieder von Schaar zu Schaar, aus den Fagotten, Klari-
netten, Oboen und Flöten, wieder Fagotten, Hörnern und Klarinetten,
wieder Oboen und Flöten, und dringt weit hinaus und erstirbt da
bebend, und ganz von weitem her hallen wie letzte Seufzer zu dem
Hauch andrer Bläser die weit auseinander gelegten Hörner**) und
die Saiten fallen mit Pizzikato, wie ferne Kanonenschläge,
pva.
(Saiten)
*) la dieser AnfübruDg, wie fast überall, fehlen die meisten Füll- und Be-
gleitungstOne.
**) Die Hörner liegen eine Duodezime, und dadurch isolirt, auseinander;
das tiefe Hörn hat in dieser Lage schon etwas Rauhes, das hohe etwas Hervor-
quellendes im Klange; so sondern sie sich von den mitklingenden Fagotten und
Flöten, über denen eine Oboe eintönt. Man beherzige dabei den Cbftrakter
der Quinte (8. 103), der in der Duodezime (1 : 3) noch ausgesprochene^ in
das Verlorne, Unbestimmte hinausreicht.
17*
260
hinein, und zu den erlöschenden Bebetönen, ganz von Weitem,
hallt herüber der Ruf!
VI
/ Tutti
Y2pp
Hon pp
Nicht weiter ist es nöthig, der Handlung, die sich nun in den
dritten Theil fortsetzt und in strahlende Sieghaftigkeit ausgeht, hier
zu folgen. Dieser Schluss des ganzen Aktes verkündet nicht blos
den Triumph des Helden, er ist auch der Triumph des Satzes selber,
dessen entscheidende Züge er zu einem Momente zusammenfasst.
Er beginnt S. 73 der Partitur mit der Zusammenstellung des Satzes,
den wir oft Heldenwort genannt, und eines aus der S. 253 bei E
aufgewiesenen Figur hervorgebildeten, der im Rückgange die Achtel-
figur aus H, S. 255 an sich zieht; wir wollen jetzt die drei Mo-
mente mit A, B, C bezeichnen. So
treten die Sätze zuerst an, A im ersten Hörn, B in der ersten
Violin, C ist die Folge von B, das zweite Hörn, das in der Er-
regung des Moments gleichsam voreilig (oben Takt 4) im Geleit
der Oboe einen Anlauf genommen, wieder mit der ersten Yiolin,
wiederholt den Satz auf der Dominante; — die Standpunkte von
Tonika und Dominante wechseln fortwährend. Zur dritt' nimmt
die zweite Violin B, die erste A, die drei Homer klingen mit A
_ A H
_ 261
auf das Anmuthigste ermuthigend mit ihren sanft durchdringenden
Halltönen hinein, während Klarinetten und Violen (wie zuvor blos
die Geige) begleiten und mit Oboen und Flöten hoch oben die weit
ausschauende Quinte hinausrufen. Nun nehmen die Bässe A, Flöten,
Klarinetten, Fagotte, zuletzt auch Oboen vereinen sich zu C auf-
und abwärts, die Homer und Geigen (letztere synkopirend) füllen
aus, Trompeten und Pauken, noch im Piano, melden sich in diesem
prahlerischen Ehythmus
an, bis zuletzt unter dem fortwährenden Donner der Pauken die
Trompeten mit allen Bläsern das Heldenwort bestätigend hinaus-
rufen und die Bässe mit den Fagotten den Gegensatz (B, C) ent-
gegenrollen: das Ganze eine Entwickelung in prachtvoll breiten
Lagen von viermal acht Takten. Niemals ist der Sieg glänzender
gefeiert worden. Das Bild des Krieges ist damit vollendet, der
Gedanke des ersten Satzes voll ausgeführt und, geistig, erschöpft.
Jede weitere Ausführung würde Wiederholung mit denselben oder
andern Noten sein.
Beethoven wird nicht wieder darauf zurückkommen. Es ist
seine Art, den Gedanken vollständig auszuführen und dann mit
Entschiedenheit zu einem andern vorzuschreiten. —
Der zweite Akt, Adagio assai, ist Marcia funebre überschrieben,
tritt auch in dieser Form an. Wie Beethoven den „Trauermarsch
auf den Tod eines Helden "* schreibt, ist aus der Sonate Op. 26
bekannt. Hier, in der Symphonie, ist die Aufgabe eine ganz andre
und umfassendere, die Ueberschrift ist nur Andeutung, um der
Auffassung einen ersten Anhalt zu bieten. Davon überzeugt man
sich, sobald man nur nicht bei den ersten Abschnitten des Satzes
stehn bleibt, sondern den ganzen Inhalt zusammenfasst. So fest-
gegründet sind gleichwohl die Kunstformen, dass die Grundzüge
von Marsch mit Trio diesen ganzen Inhalt ordnen.
Hat der erste Akt die Schlacht — als den Inbegriff des Helden-
lebens — gezeigt, so ist nun der Abend gekommen und es wird
der schwere Gang über das Schlachtfeld angetreten, das so still
geworden ist. Der Chor der Saiten, unter den dumpfen Rollschlägen
der Bässe, tritt zuerst an ; der Chor der Bläser mit dumpfen Pauken
folgt wiederholend unter dem Fieberfrösteln der Saiten; die Oboe
in ihrer engen Bestimmtheit führt die Melodie, Klarinetten, Fagotte,
262
Hörner begleiten in einfachster Unterordnung, nur das erste Hörn,
seltsam (in dieser Behandlung!) hoch gelegt auf die Quinte g, dringt
mit Klagerufen hervor. Kurz und gross ist die Wendung vom
Hauptton C moU nach der Parallele Es dur. Sehr still zwar, doch
gefasst, tritt der zweite Theil in den Saiten an; aber die Gedanken
veilieren sich gleich wieder in trübes Sinnen und die melancholische
tiefe Stimme des Violoncells irrt ganz einsam hin und wieder, bis
der ernste Gang weiterführt, noch ernster in der ünterdominante
angetreten. Die Bläser voran, wird der ganze zweite Theil wieder-
holt, mit anwachsendem Orchester, mit Erweiterung aller in so
ernster Stunde wachgewordenen Vorstellungen. Ein weiter Anhang
schliesst die ernste Scene in grossartiger Zusammenfassung.
Nicht menschlich gefühlt hätte Beethoven, wäre nicht jetzt die
lindernde Stimme des Trostes erwacht. In C dur über dem auf-
athmenden, erfrischter zu neuem Leben sich regenden Saitenchor,
in dem sich schon Wechselrede der tiefem Stimme vernehmbar
macht, knüpft der milde Gesang der Oboe, der Flöte, des Fagotts
an. Es muss wohl die Süssigkeit des Soldatentods für Vaterland
und Freiheit gepriesen worden sein ; denn im hellsten Triumphruf,
zum erstenmal mit schmetterndem Trompetenhall und dem Donner
der Pauken, antwortet das ganze Heer des Orchesters. Wie diese
Gedanken (im zweiten Theil des Trios, so muss man formell sich
ausdrücken) weiter reichen, dass hoch von oben herab der Himmel
gelber den Gefallenen zuzulächeln scheint, und abermals vom
Triumphruf unter dem WafTenschall der Trompeten und Pauken,
noch feiervoller als zuvor, besiegelt werden, muss man hören. In
grossartiger Wendung, mit Einem entscheidenden Zuge steht der
Hauptsatz, das Trauerbild', das kein Trostwort auslöschen kann,
wieder da.
Aber wo bleibt jetzt der enge Gedanke des Trauermarsches!
Sein Thema wendet sich sogleich (zum zweitenmal! so ernst
ist die Stimmung) in die ünterdominante; und hier knüpft sich
eine hochernste Erörterung an, es sind drei Stimmen, die gegen
einander ihre Betrachtungen austauschen,
263
von denen nur eine (die mittlere im • vorstehenden Beispiel) an den
zweiten Theil erinnert, die andern (die ihren Inhalt unmittelbar vor-
her gegeben) ganz Neues bringen. Streng in der Form einer Tripel-
fuge*) schreitet die Erörterung fort, dehnt sich weit aus, zieht
allmählich alle Stimmen hinein, steigert sich zu leidenschaftlichem
Streit, in dem zuletzt Alles schwankt und sucht und kampfgerüstet
gegen einander tritt. — Ist der Sieg doch nicht das letzte auf der
Heldenbahn? — Der Streit schweigt vor der Stimme der Trauer,
die irr* auf der Dominante sich heranwagt und schweigt — und, den
leidenschaftlich schnellen Aufruhr aller schmerzempörten Stimmen
beschwichtigend, stillend, den in Blut und Nacht Gesunkenen
ihr erhaben unsterbliches Lied singt, bis auch das erlischt. —
Hätte Beethoven sein Heldengedicht gesungen, nachdem sein
Held geendet, hätt' er zuvor diesen hunderttausendarmigen Briareus,
dem die Welt zu eng geworden, im ganz engen Kerker von St.
Helena gesehn : vielleicht war' ihm selbst fUr den zweiten Akt (wer
kann es ermessen?) noch tiefere Offenbarung geworden; wundersam
hätte sich der Schluss des Werkes gestalten mllssen, wenn tiber-
*) Das oben citirte Skizzenbuch vom Jahre 1803 bringt drei verschiedene
Themen zu dem Fugato, welches von vornherein beschlossene Sache gewesen
zu sein scheint,
fug.
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264
haupt er sich gestaltet hätte. So hatte sich ihm die Aufgabe nicht
gestellt, er schaute seinen Helden inmitten der Kriegsbahn. Dies
bestimmt den Verlauf des Drama's.
Der Held mit seinem Sieg, der Sieg mit seinem Zoll an den
Tod, — das ist nicht das letzte Ziel; der Friede, der ist es. So
musste Beethoven es ansehen; gleichviel wie Napoleon darüber
gedacht.
Der dritte Akt, das sogenannte Scherzo, eröffnet einen eignen
Anblick. In rastloser Eührigkeit des Saitenchors, Alles schlag-
weise, wie Ein Tritt von Tausenden, und Alles ganz still, scheinen
Heeresmassen — wenn wir die Vorstellung aus der Idee des Ganzen
festhalten — endlos zusammenzurücken. Aber nicht zum Kampf;
unvermuthet mischt zu dem melodielosen Herantreten eine einzelne
Oboe ganz hoch und heimlich ihr rührig Lied; man meint, ein
freches Volks- oder Soldatenlied jener Zeit
AUegro vivace.
^^
(und) was ich des Tags mit der Lei - er vcr - dion'
zu erkennen. Und das Getreibc geht fort, sehr weit, fast endlos
und immer ganz still und geheim, bis endUch das Lied jauchzend
im Geschmetter der Trompeten, im Chor des ganzen Orchesters her-
ausbricht und sich um nichts kümmert, eigenwillig und losgelassen
seinen Schluss bildet.
Ist das Lagerlust? Ist Friede und das Heer im Aufbruch na<ih
der lieben Heimat? Schon tönen so leicht und muthig, wie leichte
Reiter hoch zu Ross, die Homer
herüber, und das Heersvolk schaut zufrieden und ruft hinüber, —
und die Homer theilen und necken sich und versteigen sich in über-
müthiger Lust bis in ihr höchstes helldurchklingendes es, Töne
ländlichen Reigentanzes aus der Heimat mischen sich drein und
schmeicheln so hold, so bräutlich! die Hörner tönen wieder und
spielen wieder um einander herum, nur dass sich ein sehnsüchtig
verlangender Laut einmischt, —
265
die Septime des (b auf den Hörnern) auf Naturhörnern, — die ent-
mannten Ventil-Instrumente kannte Beethoven nicht, — so selten
gebraucht.
Und nun, — vielleicht hat der Kriegsherr das entlassende
Wort gesprochen, — stürzt Alles, das ist der vierte Akt, fort zu
den Freuden und Festen des Friedens. Hier tritt nun jenes Thema,
das wir schon in zwei Werken (S. 211) gefunden, in voller Be-
deutung auf. Ist es in seiner Lieblichkeit und Harmlosigkeit Beet-
hoven seit dem Prometheus-Ballet im Sinne geblieben? ist es Volks-
lied? — wir wissen es nicht, wollen auch den anmuthigen Spielen
nicht folgen, die sich daran knüpfen, noch dem Dankgebet, das
sich aus seinen Unschuldtönen erhebt, lauschen. Es ist nicht Auf-
gabe, bis in alle Einzelheiten zu erschöpfen, sondern die wesent-
lichen Momente des Ganzen zu bezeichnen.
Das war die Heldenweihe Napoleons und Beethovens.
Die Sinfonia eroica und die Idealmusik*
Die Heldensymphonie, die uns schon so lange festgehalten, ist
nicht blos ein grosses Werk, wie andre auch; sie eröffnet zudem
eine neue Kunstepoche, sie ist, so weit wir aus allem in und
ausser der Musik Gegebnen urtheilen können, abschliessend ftir das
Gebiet dieser Kunst. Denn sie ist dasjenige Werk, in welchem die
Tonkunst selbständig — ohne Verbindung mit dem Wort des Dichters
oder der Handlung des Scenikers — und mit einem selbständigen
Werke zuerst aus dem Spiel des Gestaltens und der unbestimmten
Eegungen und Gefühle heraustritt in die Sphäre des hellem und
bestimmtem Bewusstseins, in der sie mündig wird und sieh eben-
bürtig in den Kreis ihrer Schwestern setzt. Dieser Fortschritt
266
kann nicht überboten, es kann nur in der errungenen Sphäre weiter
geschaffen werden mit mehr oder weniger Glück.
Jenes Spiel desGestaltens, jenes spielselige Leben der
Töne soll nicht im Mindesten, gegenüber dem Fortschritt in eine
andere Sphäre, gering geachtet sein. Vor Allem ist Beethoven, sind
vor ihm Mozart und Haydn und Bach, alle Tonkünstler vor und
nach Beethoven im Felde der Instrumentalmusik, ihm anhänglich
und in ihm glücklich gewesen. Das Spiel, das im Gegensatz zu
der auf einen bestimmten ausserhalb ihrer liegenden Zweck gerichteten
Arbeit, sich selber Zweck und darum in sich selber begnügt ist, es
hat in allen Künsten und im Dasein des Menschen überhaupt seine
tiefe Bedeutung. Das holde Spiel des Reims und Masses in der
Poesie hat schon oft an sich selber für Poesie gelten sollen, wie das
Spiel der Töne für die ganze und allein ächte Musik. Der Maler
spielt mit glücklichem Lächeln und verantwortungsfreier Laune im
heitern Farbenwechsel, im luftigen Schwung der Zweige und Blätter
und Wolken, in der phantastischen Verknüpfung seiner Arabesken ;
ja die ganz zwecklos schweifende Phantasie des Dichters hat jenen
Traum von der Fee Mab, jenes Märchen von der goldnen Schlange,
jenes selig einwiegende
Schwindet, ihr dunkeln
Wölbungen droben
und den ganzen Schlusschor zu Helena gezaubert. Der tiefsinnige
Mystiker Jakob Böhm, .wo er die selige Gemeinschaft himmlischer
Wesen am lebendigsten schaut, nennt sie ein heiliges Spiel Gottes;
und dieses spielselige Leben, worin die reine Freude als auf-
flammender Lebensfunke heraustritt, nennt er das himmlische
Freudenreich, wie auch dem ernsten Dante bei aller Zwecklichkeit
seines Gedichts die Seligen als Lichtflammen erscheinen, die zu
wundersamen Tönen im Eeigen sich schwingen und entschwinden.
Das Spiel der Töne ist die Urmusik, es war und wird immer
der Mutterboden (S. 182) sein, aus dem Alles, was in Musik lebt,
seine Lebenskraft, sein Dasein zieht.
Allein der Mensch kann, in seiner Endlichkeit auf Begränzung,
auf Ziel und Zweck hingewiesen, auch in der Kunst nicht end- und
zwecklos fortspielen. Er sucht vor allen Dingen sich selber im
Spiel, das Spiel soll Sein Spiel sein, das Gepräge, den Ausdruck
Seines Daseins haben, wie Er es fühlt, und wie Er Sich im ge-
gebnen Augenblick fühlt. Seine Phantasie sucht auch im Spiel
der Töne das Gefühl seines Daseins; das Gefühl des bestimmten
267
Moments im Dasein, den er eben lebt oder gelebt hat, sie dichtet
dies Geflihl hinein. Das Spiel der Töne ist nun nicht mehr ziel-
und zwecklos, es richtet sich auf diesen mehr oder weniger scharf
bestimmten Punkt, den sich der Tonmeister als Ziel vorsetzt; nur so
weit bleibt es frei, als die Zielbestimmung sich der Schärfe realer
Zwccklichkeit oder exakter Wissenschaft enthält. So zieht ein
Bienenschwarm ziellos und richtungslos dahin, unbewusst, wohin;
und so schwärmt er um ein duftiges Blumenbeet, das ihn anzog, in
freien, aber immer bestimmtem Kreisen, wie die Töne schweifen im
fesselfreien Spiel und sich herandrängen zu dem bestimmten Ge-
müthszustand, in den der schöpferischen Phantasie sich zu versenken
beliebt. Was der Phantasie diese bestimmtere Richtung gegeben, —
ob ein vorgeschriebener Text oder sonst eine Bestimmung von aussen,
ob gegenwärtige Stimmung t)der Erinnern einer früher erlebten, ob
irgend eine andre nicht weiter bestimmbare Regung: das ist gleich-
gültig. Genug, die Richtung in die neue Sphäre der Tonkunst ist
gegeben, und sie ist menschennoth wendig. Denn der Mensch ist
nur, so weit er sich fühlt; im realen Leben ftihlt er nach den Ein-
drücken der Verhältnisse, in der Kunst spiegelt die Phantasie Ver-
hältnisse und Stimmungen vor. Es ist wieder ein Spiel, denn die
Verhältnisse und ihre Folgen sind nicht wirkliche von aussen ge-
gebne, sie sind frei im bildenden Geist — in der Ein-Bildung, in
dem in ihm selber vorgehenden Bilden oder Gestalten des Geistes
— geschaffene. Eben darin aber, dass der Mensch die im realen
Leben zwingenden Verhältnisse und Stimmungen in der Kunst selbst
gestaltet, fühlt er sich Herr dieser selbstgeschaffenen Welt und von
der realen Welt in diesem verklärenden Spiegelbild erlöst und frei.
Hierauf beruht die Worme des künstlerischen Schaffens und der
Trost, die verjüngende Kraft der Kunst für alle Empfänglichen.
In jener Freiheit liegt ausgesprochen, dass der Künstler, um
einen Seelenzustand vorzustellen, nicht selbst ihm verfallen sein
müsse, sondern umgekehrt, von ihm freigelassen; nicht die wirk-
lichen Schmerzen und Seufzer des Leidenden sind Poesie, sondern
ihre Besiegung und Beherrschung, indem man sie schöpferisch selber
herstellt und sich, als den Schöpfer, über sie. So besiegte Goethe
die verzehrende Liebe Werthers, während der junge Jerusalem^^^an
ihr unterging. Es liegt ferner darin, dass die Bestimmung der
Kunst nicht ist, wirkliche Gefühle — oder Affekte, hochgespannte
Geftihle — zu erregen, sondern sie durch die schöpferische Ki-aft
zur Vorstellung, aber zur volllebendigen Vorstellung, zur An-
268
schaumig, nicht zum blossen Gedanken zu bringen. Shakespeare
hat nicht verliebt machen wollen, sondern die Liebe in ihrer ent-
flammtesten, rücksichtslos verzehrenden Macht im Romeo dargestellt.
Die Folgen, — dass zahme Leipziger Kaufmannssöhne nach der Auf-
führung der Räuber wirklich in die böhmischen Wälder ziehn, dass
Pygmalion sein Idealbild wirklich zur hausbackenen Ehefrau begehrt,
sind der Kunst fremd und gleichgültig. Das ist der wackere kurz-
stämmige Sancho Pansa, der seinen langen Herrn Don Quixote zwar
ganz gewiss für verrückt hält, aber doch nicht lassen kann, auf
seinem Eselein hinterdreinzutraben , denn .... man kann nicht
wissen ....
Die Sphäre des Gefühls, — des phantasiegebornen , wollen
wir sagen, um jedem Pansaismus auszuweichen , — der Tonkunst
versagen, will nicht weniger bedeuten, als: den Inhalt der gesammten
Gesangmusik und dazu einen grossen Theil der Instrumentalmusik
aller Künstler verleugnen, deren Schöpfungen in die Periode fallen,
wo der Mensch auch in der Tonkunst zu sieb selber gekommen,
— das heisst: mindestens von Bach und Händel her, in der That
aber weit früher, Mozart und Haydn und Beethoven und ihre
grossen Vorgänger und ihre Nachfolger haben das besser gewusst
und gezeigt.
Gleichwohl ist dies Bewusstsein nicht ohne Verneinung durch-
zusetzen gewesen; vor ein Paar Jahrhunderten schon ist um Galilei,
Caccini, Monteverde herumgestritten worden* Bis in unsre Tage
hat es trotz dem Bewusstsein und Zeugniss aller grossen Künstler
nicht an venieinenden Geistern — wer kann es ihnen wehren? —
gefehlt; der Streit der deutschen und welschen Schule beruht in
seinem letzten Grund auf dieser Frage.
Nun aber musste der letzte Schritt geschehn. Und den zu
thun, war Beethoven berufen.
Der Mensch selber sollte Inhalt seiner Tonkunst werden, —
und es giebt viele Menschen, nicht blos ein Ich, auch ein Du.
Sein Gefühl sollte zur Anschauung kommen, — und es giebt
verschiedne Gefühle, die einander ausschliessen, vereinzelt auftreten,
die aber auch in psychologischer, naturnothwendiger Entwickelung
ein fortschreitendes Lebensbild hervorzaubern können. Gewiss nicht
mit jener pragmatischen Sicherheit des Worts (und ist denn das
wirklich so sicher?), sondern nur in schwankenden Umrissen und
Farben, wie das Abbild der Wirklichkeit im Wasser oder in der
Luftspiegelung; aber um so künstlerischer und künstlerisch wirk-
269
samer, statt der unerbittlich fesselnden Bestimmtheit dem reizvollen
Spiel der Phantasie vertraut.
Hiermit hatte die Musik den zwiefachen Beruf, dramatisch zu
werden und objektiv, auf sich genommen.
Mit Hülfe des Worts und der Scene war dies längst geschchn,
auch nicht weiter streitig geworden. Man liess im Allgemeinen
den Antheil der Musik an der Darstellung des Gegenstands uner-
örtert; erst Glucks Auftreten regte lebhaften Streit an, der jedoch
nicht auf den Grund der Sache ging, sondern in dem Streit der
italischen und Gluckschen oder deutsch-französischen Oper verlief.
Auch die Instrumentalmusik hatte sich gelegentlich an objek-
tive Darstellung gemacht. Abgesehn von unkünstlerischen Versuchen
(wie jener Spass „sur le döpart d'un ami" , der sich unter Bachs
Werke geschlichen, aber schwerlich von ihm ist) geschah es indess
nur im Anhalt an ein Gesang- oder scenisches Werk; so in der
Gluckschen Ouvertüre zu Iphigenie in Tauris, oder in der Haydnschcn
zur Schöpfung. Bekanntlich ist nebenbei viel Aeusserliches gemalt
worden. Beethoven, der vorübergehend auch dazu kommen sollte,
„dachte sich (wie Ries bezeugt) bei seinen Kompositionen oft einen
bestimmten Gegenstand, obwohl er über musikalische Malerei häufig
lachte und schalt, besonders über kleinliche der Art. Hierbei
mussten Schöpfung und Jahreszeiten von Haydn manchmal her-
halten, ohne dass Beethoven jedoch Haydns höhere Verdienste ver-
kannte, wie er denn namentlich bei vielen Chören und andern Sachen
Haydn die verdientesten Lobsprüche ertheilte."
Das Alles waren Vorspiele, — Vorbereitungen, wenn man von
den einzelnen Künstlern weg auf die durch sie alle fortwirkende
Kraft und Bestimmung der Kunst, sich fortzuleben und auszuge-
stalten, hinblickt. Was hier nur versuchsweise, nebenbei, mit An-
halt an aussermusikalischer Stütze geschehn, musste sich in wirk-
lichen, selbständigen und anhaltlosen Kunstwerken vollführen. Damit
erst war die Musik objektiv geworden und ideal, das letztere in dem
Sinne, dass sie aus eignem Mittel das Leben, nämlich ganze Lebens-
zustände darstellte nach der Idee, nach dem geistig verklärten
Bilde, das sich im Künstler erzeugt hatte.
Dies war Beethovens W>rk. Wie richtig er es von der äusser-
lichen Malerei unterschied, haben wir eben aus Ries' Munde er-
fahren.
In seinen Sonaten, schon in den bisher betrachteten, hat sich
mehr als ein Bild naturwahren, zusammenhängenden, eine ganze
270
Reihe nothwendiger Momente durchlaufenden Seelenlebens darge-
boten, Innerlich so ciuheitvoll und nothwendig, wie irgend ein Ge-
dicht oder Gemälde. In seiner Helden-Symphonie haben wir das
Idealbild — nicht eines allgemeinen und Violen gemeinsamen
Seelenzustandes, sondern eines hohen und seltnen und ganz be-
stimmten Lebensvorgangs vor Augen; wir sind aus der Lyrik in
das Epos getreten. Und zwar ist das nicht Meinung, Vermuthung,
Auslegung, — dafilr mag man es einstweilen in jenen Sonaten
halten; in der Eroica ist es der geschichtlich und urkundlich fest-
stehende Wille dessen, der den Schritt gewagt.
„Aber ist der Schritt möglich?"
Vor Allem ist schon das eine That zu nennen, dass Beethoven
den Schritt gewagt, hätte sich selbst hinterher die ünausführbarkeit
gezeigt. Denn er hat damit dem Drange des Menschengeistes nach
Selbstbewusstsein und nach Weltbewusstsein in seinem Lebenskreisc
Folge gegeben. So hat Faust, der Deutsche, der Ideal-Mensch
Helenen geliebt:
Helenen, mit verrückten Sinnen,
meint Chiron, die derbe Rossnatur, der still umfriedeten Manto zu-
gewandt,
Helenen will er eich gewinnen
Und weiss nicht, wie und wo beginnen;
Asklepischer Kur vor andern werth,
und ist schon, gleich dem Kunstphilosophen, weit weg, während die
Seherin
Pen lieb' ich, der Unmögliches begehrt
erwidert.
„Ist aber nicht, fragen wir nochmals, dennoch die Musik in
ihrer Unfähigkeit, Gegenstände, Objekte zu bestimmen, ungeeignet,
objektiven Inhalt zu oflenbaren? liegt nicht dieser Inhalt in der
blossen Ueberschrift und — Eurer subjektiven Einbildungskraft?
in dem, was Ihr Eucli ganz willkürlich dazu oder daneben ein-
bildet?" —
. Unsre, unsre subjektive Einbildungskraft? — Man erwäge wohl,
wen dies „Eure" umfasst! nicht weniger als alle grossen, von Euch
selber dafür anerkannten Tonkünstler, von Bach und Händel (man
lese die Werke und die wörtlichen Erklärungen — oder den „Mai-
gruss!")*) bis auf unsre Tage. Sie Alle haben in ihrer Kunst jene
Fähigkeit zu finden gewusst und darauf ihres Lebens Beruf gebaut.
*) Von A. B. Marx, 1828.
271
Oder — wenn Ihr es zu sagen wagt — sie Alle sind Tlioren ge-
wesen, Irrsinnige in ihrem eignen Berufsfelde.
Gern wollen wir dabei das Zugeständniss machen, dass die
Aufschrift, die Benennung des Werkes, der Verständigung über den
Inhalt vorarbeitet. Wir nennen dies Geständniss ein Zugeständniss,
weil die Zweifler an der Fähigkeit der Musik fllr bestimmtem In-
halt gern mit der Behauptung bei der Hand sind, dass jene Fähig-
keit nur in der Ueberschrift liege. Gleichwohl würde kein Mensch
uns Glauben beimessen, wenn wir etwa die Aufschriften vertauschen,
die heroische Symphonie pastoral und die Pastoralsymphonie heroisch
nennen wollten, wie kein Musiker auf die Ueberschrift „Didone ab-
bandonata" etwas gegeben hat, als Clementi einmal aus Parterre-
Erinnerungen eine Sonate so nannte, oder auf die Ueberschriften
der Virtuosen, Souvenir de BerUn u. a. w. etwas giebt.
Allerdings sind Ueberschriften als erster Fingerzeig wichtig,
sie geben die Voraussetzungen zum Inhalte des Kunstwerks; nur
muss dies selber nachkommen. Allein das ist nicht ein besonderes
Bedürfniss für die Musik, es ist allen Künsten flir hundert und aber
hundert Werke unentbehrlich, dass man, gleichviel in welcher Weise,
mit dem Gegenstand und seinen Voraussetzungen bekannt werde,
bevor man an das Kunstwerk geht. Wer könnte wohl eine Himmel-
fahrt der Maria oder die Transflguration von Raphael begreifen,
wenn ihm nicht aus der Bibel oder Legende der Hergang bekannt
wäre, den der Maler darzustellen hatte? Goethe hat in seinem
Laokoon eine solche voraussetzungslose Erklärung des alten Bild-
werks versucht; und was hat sich ihm ergeben? ein würdiger, tüch-
tiger Mann, der sich mit seinen Söhnen (Söhnen? schon das ist
Voraussetzung) der behaglichen Ruhe hingegeben und im Schlummer
von den Schlangen überrascht und umstrickt worden.
Ganz nahe hegt eine gleiche voraussetzungslose Auffassung
der heroischen Symphonie selber, von dem geistreichen Richard
Wagner, deren Mittheilung aus doppelten Gründen hier statthaben
möge.
Wagner schickte die Bemerkung voraus, dass das Wort „he-
roisch" im weitesten Sinn zu nehmen und unter „Held" der ganze
volle Mensch zu verstehen sei. Dies vorausgesetzt, spricht er sich
so aus:
„Den künstlerischen Inhalt des Werks füllen alle die mannig-
faltigen, mächtig sich durchdringenden Empfindungen einer starken,
vollkommenen Individualität an, der nichts Menschliches fremd ist,
272
sondern die alles wahrhaft Menschliche in sich enthält und in der
Weise äussert, dass sie nach der aufrichtigsten Kundgebung aller
edlen Leidenschaften, zu einem, die geftihlvoUste Weichheit mit der
energischsten Kraft vermählenden Abschlüsse ihrer Natur gelangt.
Der Fortschritt zu diesem Abschlüsse ist die heroische Richtung in
diesem Kunstwerke. Der erste Satz umfasst wie in einem glühenden
Brennpunkte alle Empfindungen einer reichen menschlichen Natur
im rastlosesten, thätigsten Affecte. W^onne und W^ehe, Lust und
Leid, Anmuth und Wehmuth, Sinnen und Sehnen, Schmachten und
Schwelgen, Kühnheit, Trotz und ein unbändiges Selbstgefiihl
wechseln und durchdringen sich auf das Innigste und Unmittelbarste
und gehen aus von einer Hauptfähigkeit, der Kraft. Diese Kraft,
durch alle Empfindungseindrücke unendlich gesteigert und zur
Aeusserung der Ueberflille ihres Wesens getrieben, ist der be-
wegende Hauptdrang dieses Tonstticks, sie ballt sich — gegen die
Mitte des Satzes — bis zur vernichtenden Gewalt zusammen, und
in ihrer trotzigsten Kundgebung glauben wir einen Weltzermalmer
vor uns zu' sehn, einen Titanen, der mit den Göttern ringt. — Diese
zerschmetternde Kraft drängt nach einer tragischen Katastrophe hin,
deren ernste Bedeutung unserm Gefühle im zweiten Satze der Sym-
phonie sich kundgiebt. Der Tondichter kleidet diese Kundgebung
in das musikalische Gewand eines Trauermarsches. Eine durch
tiefen Schmerz gebändigte, in feierlicher Trauer bewegte Empßndung
theilt sich uns in ergreifender Tonsprache mit: eine ernste männ-
liche W^ehmuth lässt sich aus der Klage zur weichen Rührung,
zur Erinnerung, zur Thräne der Liebe, zur innigen Erhebung, zum
begeisterten Ausrufe an. Aus dem Schmerz entkeimt eine neue
Kraft, die uns mit erhabener Wärme erftillt: als Nahrung dieser
Kraft suchen wir unwillkürlich wieder den Schmerz auf; wii* geben
uns ilim hin bis zum Vergehen in Seufzer; aber gerade hier raffen
wir abermals unsre vollste Kraft zusammen: wir wollen nicht er-
liegen, sondern ertragen. Der Trauer wehren wir nicht, aber wir
selbst tragen sie nur auf den starken Wogen eines muthigen, männ-
lichen Herzens. — Die Kraft, der — durch den eignen tiefen Schmerz
gebändigt — der vernichtende Uebormuth genommen ist, zeigt uns
der dritte Satz nun in ihrer muthigen Heiterkeit. Wir haben jetzt
den liebenswürdigen, frohen Menschen vor uns, der wohl und wonnig
durch die Gefilde der Natur dahinschreitet, lächelnd über die
Fluren blickt, aus Waldhöhen die lustigen Jagdhörner (Trio) er-
schallen lässt. Dort der tief und kräftig leidende, hier der froh und
273
heiter thätige Mensch. — Diese beiden Seiten fasst der Meister im
vierten Satze zusammen, um uns endlich den ganzen harmonisch mit
sich einigen Menschen zu zeigen. Dieser Schlusssatz ist das klare
und verdeutlichende Gegenbild des ersten Satzes. Im Gegensatz
zu diesem einigt sich hier die mannigfaltige Unterschiedenheit der
Empfindungen zu einem alle diese Empfindungen harmonisch in
sich fassenden Abschlüsse, der sich in wohlthuender plastischer
Gestalt uns darstellt. Diese Gestalt hält der Meister zunächst in
einem höchst einfachen Thema (das erste Hauptthema) fest, welches
sicher und bestimmt sich vor uns hinstellt und der unendlichen Ent-
wickelung, von der zartesten Feinheit, bis zur höchsten Kraft, fähig
wird. Um dieses Thema, welches wir als die feste männliche Indi-
vidualität betrachten können, winden und schmiegen sich vom An-
fange des Satzes herein alle die zarteren und weicheren Empfindungen,
welche sich bis zur Kundgebung des reinen weiblichen Elementes
(verkörpert in dem zweiten Hauptthema) entwickeln. Dieses weib-
liche Element offenbart sich endlich an dem durch das ganze Ton-
stück energisch dahinschreitenden männlichen IJauptthema in immer
gesteigerter mannigfaltigster Theilnahme als die überwältigende
Macht der Liebe. Diese Macht bricht nach dem Schlüsse hin sich
volle breite Bahn in das Herz. Die rastlose Bewegung hält an
und — der Eintritt des poco Andante — in edler, gefühlvoller
Ruhe spricht sich die Liebe aus, weich und zärtlich beginnend,
bis zum entzückenden Hochgefühle sich steigenid, endlich das
ganze männliche Herz bis auf seinen tiefsten Grund einnehmend.
Hier äussert noch einmal das Herz dieses Gedenken des Lebens-
schmerzes : hoch schwillt die liebcerfüUte Brust — die Brust, die m
ihrer Wonne auch das Weh umfasst. Noch einmal zuckt das Herz
und es quillt die Thränc edler Menschüchkeit: doch aus dem Ent-
zücken der Wehmuth bricht kühn der Jubel der Kraft hervor, —
der Kraft, die sich der Liebe vermählte, und in der nun der ganze
volle Mensch uns jauchzend das Bekenn tniss seiner Göttlichkeit zu-
ruft." So Wagner, der noch hinzuftigt: „Nur in des Meisters Ton-
sprache war aber das Unaussprechliche kund zu thun, was das Wort
hier eben nur in höchster Befangenheit andeuten konnte."
Hier hat es Wagner gefallen, die positiven Voraussetzungen für
das Kunstwerk abzulehnen. Er hat also nicht den vollen und be-
stimmten Inhalt des Werks geben können, so gewiss er als Künstler
und geistreicher Mann vor Tausenden dazu vermögend gewesen
wäre. Es gefiel ihm, statt der Anschauung des vollen Lebens den
Marx, BeetboTen. L 1 ^
274
gedanklichen Extrakt zu geben und damit, allerdings willkürlich,
vom Kunstwerke sich hinweg in das Abstrakte, das heisst Unktinst-
lerische,*) zu verüeren. Und dennoch, wieviel Treffendes, der
Wahrheit Nahes hat er trotz dieser Willkür gefunden! es ist der
künstlerische Inhalt, in das Unkünstlerische übersetzt.
Dass er hier den entfernteren Standpunkt genommen, wie
Goethe zum Laokoon ebenfalls, wird Niemand vergessen machen,
dass in ihm ein Künstler lebt und dass der Künstler, sobald er
will, dem Verständniss des Kunstwerks am nächsten steht. „Wenn
überhaupt (sagt Eiterlein in seiner Schrift über Beethovens Sym-
phonien einsichtig) je eine Entziflerung des Geistes, der in be-
stimmten Tönen lebt, auf Wahrheit Anspruch machen kann, so ist
es vor Allem sicherlich dann, wenn der Künstler den Künstler ent-
ziffert. Denn in gewissem Sinne versteht nur der Künstler den
Künstler am vollkommensten." —
„Wo sind aber endUch, das Programm und alle Nebenreden
bei Seite gesetzt, die Mittel der Musik ITir bestimmten Ausdruck?
Wie sollen wir Andern, die Autorität der Künstler einmal aus dem
Spiel gelassen, ihren Ausdruck verstehn?" —
Wir müssen antworten: Forschet in der Kunst! in ihrem Ma-
terial, den Schallen, Klängen, Tonverhältnissen (ein Paar Buch-
staben aus ihrer Sprache sind hier schon zum Vorschein gekommen),
Rhythmen ! nehmt dazu die Hülfsmittel des Gleichnisses, der Sym-
boUk, des psychologischen Zusammenhangs, all' die geistigen Lenk-
fäden, deren kein Künstler, kein Mensch entrathen kann! haltet euch,
abstrakte Kunstphilosophen, die ihr euer von Natur vielleicht em-
ptängHches Gemüth in die Fussblöcke des abstrakten Verstands ge-
legt habt, nicht allzubeschränkt an die Fäden des Systems, das ihr
nach der Weise der Spinnen aus euch herausgezogen habt, sondern
wendet euch an die Kunstwerke! nistet euch da ein, drängt euch
glaubensstark an die Kunst, wie einstmals der Eravater, der mit
dem Geiste rang — „ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!"
war sein unablässiger Gebetschrei — und dem dann die Himmels-
leiter sichtbar ward, auf der die Engel des Himmels mit der seligen
Botschaft nieder- und wieder aufstiegen ! Eine andre Weisung kann
euch hier nicht gegeben werden. Hier wird nicht gelehrt, sondern
erzählt, was geschehn und geschaut ist.
'*'} Le coeur, sagt ein Andrer, der in der Verbannung glänzte, der Ge-
schichtschreiber der Revolution, Louis Blanc, le coeur ignore les attachements
abstraits, 11 n^est pas logicien, U ne g^n^ralise pas.
275
Wer freilich dieses Schauen des künstlerischen
Geistes sich verwirrt und getrübt hat, oder niemals be-
sessen: der erblickt in der Himmelskönigin mit dem welt-
erlösenden Wunderkinde, die sie die Sixtina nennen, auch
nichts weiter, als ein schönes Weib in einer physikalisch
unhaltbaren Stellung.
Auf vollkommene, bedingungslose Deutlichkeit macht übrigens
keine Kunst Anspruch (sie flieht sie vielmehr, um die Phantasie
des Hörers mit in*s Spiel zu ziehn) und die Musik am allerwenigsten.
Ihr, im Schwebeflug ihres Wesens, ist das Feststellen Gränze ihres
Daseins, die sie wohl ahnend und Ahnung erweckend berühren,
über die sie glaubenssicher hinausschauen kann, wie damals der
Gesandte Gottes von der Höhe hinabschaute in das Land der
Verheissung, das Er nicht betreten sollte. Aber sie überschreiten
mag sie nicht, ihr Leben ist ein Gleichniss des Lebens, wie der
Mikrokosmos ein Gleichniss des Makrokosmos. Ihr ist das Wort
des Dichters:
Alles Vergängliche
Ist Dur ein Gleichniss:
Das UnvergSngliche,
Hier wird's Ereigniss,
Das Unbeschreibliche,
Hier wird's gethan,
Das ewig Weibliche
Zieht uns hinan!
eigenst zugewandt; das ewig Weibliche, das ist die Musik, die das
Leben, den Geist, geheimnissvoll in ihrem Mutterschoosse birgt.
Wenn es wahr ist,*) dass Goethe von Beethoven gesagt: es komme
ihm beim Anhören Beethovenscher Musik vor, als ob dieses Menschen
Vater ein Weib, seine Mutter ein Mann gewesen sein müsse; so hat
der sonnaugige Dichter wieder einmal klar und tief geblickt. Der
Vater, der Geist, hat ihn in die Musik gewiesen, die ist in ihm
Mann — Geist — geworden.
Dass endlich in diesen Tiefen der Musik die Auffassung auch
irregehen kann, wer wollte das leugnen? Aber wo ist das nicht
geschehn? wie weit gehn die Ausleger der Dichter oft auseinander?
Hat nicht ein Berliner Ausleger als Motiv des Makbeth die ehe-
Mche Liebe bezeichnet?
*) Gewährsmann und Anreger ist Zelter, der mit der ganzen plampen
Frechheit eines Berliner PhiUsters (dem er „unser Zelter** hiess) von Beet-
hoven gesagt: er gebe ihm den Namen eines Thiers, das man lieber gebraten
als lebendig im Zimmer suche.
18»
_276_
Eigenthümlich hat an der Eroica Beethoven selber sich in eine
abweichende Deutung verloren. Schindler erinnert in Bezug auf
den zweiten Satz an die von uns S. 248 mitgetheilte Aeusserung,
die Beethoven siebzehn Jahr nach der Komposition bei der Nach-
richt von Napoleons Tode entfallen sei, und fährt fort: „Mag man
jene Aeusserung für Scherz oder Ernst nehmen, es liegt immerhin
viel Wahrheit darin. Wenn Beethoven sagte, er habe dem grossen
Kaiser zu seinem tragischen Ende schon vor siebzehn Jahren die
passende Musik komponirt, so führte ihn seine Phantasie bei'm Aus-
malen jener Katastrophe noch weiter. Zeigt z. B. der Mittelsatz
in C dur (Maggiore) nicht deutlich das Nahen eines HoflFnungssternes ?
Weiterhin (in diesem Mittelsatz) nicht den ki'äftigsten Entschluss
in der Seele des grossen Helden, seinem Geschicke zu widerstehen?
Selbst in dem folgenden Fugensatz spricht sich hier an Ort und
Stelle ein Kampf mit dem Schicksal aus. Nach diesem ftihlt man
das Ermatten der Kräfte, die sich auf Augenblicke wieder mit An-
strengung erheben, bis in der Phrase*)
^ —
b:-e^^:=
f
creac.
die Ergebung sich ausspricht, der Held nach und nach hinsinkt,
und sich endlich wie jeder andre Sterbliche — begraben lässt."
Man erkennt sogleich, dass Beethovens Auslegung auf Verhältnissen
beniht, die zur Zeit der Komposition noch gar nicht vorhanden
waren, ihm also für die Komposition nicht bestimmend sein konnten.
Er hat sich das in einer gelegentlichen Aeusserung zurechtgelegt.
Bedenkenswürdiger ist die Auffassung Oulibicheffs, der sich
mit oftenbarer Liebe dem Kunstwerke hingegeben, so arg er sonst
gegen den Künstler gefrevelt, dessen Biographie er geschrieben.
Oulibicheflf fasst den ersten Satz der Symphonie mit Lebhaftig-
keit auf, seine Phantasie malt das Bild der Schh\cht weiter aus, als
die Komposition gewollt und gekonnt, er sieht die Garde vor ihrem
grossen Feldherrn defiliren,**) er führt uns in den Schlachtplan
*) Es ist der Anfang vom zweiten Theil des Hauptsatzes.
**) Puls, ie grand capitaine voit d^filer sa garde, marchant sur les trois
divisions de la mesure, ä pas ^gaux dans les vlolons et accentuant ie rbythme
d'ane noire point^e dans les bassons et les flütes. Qaelle prestance et qaeUe
tenue ! Une troupe magnifique, n^est-il pas vrai, one troupe, dont les moindres
277
desselben ein,*) er hebt einen glänzenden Moment des dritten Theils
hervor, den wir noch nicht betrachtet haben, seine Phantasie findet
überall Beschäftigung und für Alles blendende Bilder und schimmernde
Farben. Nur Eins hat dem geistreichen Manne gefehlt: Treue für
den Gegenstand und, wie sich später zeigen wird, Ehrfurcht für
den von ihm selber so hoch gestellten Künstler. Die Treue hätte
sich darin zu erweisen gehabt, dass er mehr das Kunstwerk, als
sein eignes Wissen vom Gegenstande desselben und seine vorgefassten
Ansichten befragt haben würde. Dies hat ihm nicht beliebt — und
so kommt er auf wunderbare Zweifel und Hypothesen, in denen
ihm Fetis als Stütze dient. Es ist eine Verirrung Oulibichefl's,
aber die Verirrung eines geistreichen Mannes. Eine solche ist oft
betrachtenswürdiger, als der gerade aber enge Gedanke der Mittel-
mässigkeit; die hier zu besprechende wird neues Licht auf den
Gegenstand und seine Geschichte werfen.
Oulibicheff kann mit der Bestimmung des Werkes, Bonaparte
gewidmet zu werden, ihn zu verherrlichen, die Einflechtung des
Trauermarsches**) nicht vereinen. Sollte er die Manen so vieler
auf den Schlachtfeldern Gebliebner trösten? aber verschwanden sie
nicht im Ruhme der Ueberlebenden , und war dieser Berg von
Kanonenfleisch***) — beiläufig ein Napoleonischer, kein Beethoven-
scher Gedanke — nicht gerade das Fussgestell des Helden?
Dann wirft er eine zweite Frage f) auf, die ilmi noch ernst-
hafter scheint. In einem Werke von solcher Wichtigkeit, das ihm
zwei Jahre der Arbeit gekostet, hätte Beethoven ohne Zweifel mehr
als jemals, — mehr als jemals? wann wäre von ihm oder einem
andern Musiker vor der Heldensymphonie dergleichen unternommen
worden? — suchen müssen, seine Aufgabe zu erfüllen ff), indem er
goujats sont des heros et qui n'a qa^a regarder rennemi dans les yeuz pour
le redaire en poudre.
*) Apres avoir fait le d^nombrement de ses forces, recapitale ses moyens
d'attaque et de defense, le h^roj, dans la seconde partie, va les combiner sui-
vant les ezigences do ses plans gigantesques et les appeler mentalemeDt a
TactioD; une actioD, dont les r^sultats sont pr^vus et infaillibles, car iai-mdme,
rbomme du destin, se cbarge de tout diriger.
**) . . . pourqaoi une marcbe funebre encadree dans Phommage que Beet-
hoven voulut rendre a -an bomme, que le monde ne savait que trop vivant.
***) ... les cadavres des bits braves, entasses en une montagne de chair
ä canon n^avaient-ils pas justement servi de piedestal au h(^ros?
t) Er sagt ^objection".
tt) . . . , Beethoven musste ohne Zweifel mehr wie jemals sein Programm
zu rechtfertigen suchen, indem er die dichterische Idee triumphiren liess, und
278
die dichterische Idee, das Heldenthum personiflzirt in Napoleon
Bonaparte triumphiren liess; dieser Triumph aber hätte sich nicht
anders als im Finale voUfllhren lassen, denn in der Musik wie
überall sei das Ende die Krone des Ganzen.
Nun findet er aber nach seiner Versicherung nichts weniger
heroisch, als das Finale der heroischen Symphonie. „Berliozf)
(fügt er hinzu) sieht darin Thränen und zwar sehr viel Thränen;
das war' also die Fortsetzung des Trauermarsches, die traurige
Kehrseite der zu Ehren des grossen Mannes geprägten Medaille,
nicht sein glänzend Bild."
Mit diesen Bedenken hält er den Zorn Beethovens bei der
Nachricht, dass Bonaparte sich zum Kaiser gemacht, hält er die
Aenderung des Titels der Symphonie zusammen und wirft die Frage
auf: ob es nicht natürlich sei, anzunehmen, dass jene Aenderung
noch andi'e in der Komposition und ihrer Gestaltung (les formes
mOmes de la Symphonie) nach sich gezogen habe? So war' es be-
greiflich, dass ein Trauermarsch, unverträglich mit der einem
Lebenden zu erweisenden Huldigung sich wohl anwendbar in einem
Werke gefunden hätte, bestimmt, das Andenken eines Todten zu
diese war keine andre, als das in Napoleon Bonaparte personifizirte Helden-
thum.* — Dies, wir haben es schon S. 261 bemerkt, war bereits im ersten
Satze und im höchsten Aufschwang im Schlüsse desselben geschehn. Es war'
undichterisch gewesen, dasselbe noch einmal, gleichviel mit welcher Ausführung,
zu bringen.
*) Berlioz geht nämlich bei seiner Analyse der Symphonie (etudes analy-
tiques), wie Oulibicheff bemerkt, von einer falschen Voraussetzung aus. Er
übersetzt die Aufschrift „per festeggiare il sovvenire di un grand 'uomo* mit
,,pour c^l^brer Tanniversairo de la mort d'un grand homme*, erblickt also,
wahrscheinlich durch die götzendienerische Stellung der Franzosen Napoleon
gegenüber bewogen, in der Symphonie nichts anders, als eine Todtenfeier des-
selben. „On voit,* sagt er, „quMl ne s'agit point ici de batailles, ni de marches
triomphales, mais bion de pensees graves et profondes, de m^lancholiques Sou-
venirs, de c^r^monies imposantes par leor grandeur et leur tristesse (alles ganz
französisch und ganz theatralisch und gar nicht Beethovenisch und gar nicht
deutsch), en un mot, de Toraison fun^bre d^un heros." Einmal auf diesem
ganz willkürlich genommenen Standpunkte ist es — Oulibicheff sagt extra-
ordinaire, wir sagen, nicht sondetlich zu verwundern — und lassen Oulibicheff
das Wort: que dans ce scherzo si vif et si gai, d^un bout a Tautre , dW
rhythme si chalereux et si briose, M. Berlioz ait cru reconnaitre „des jeux
funebres, a chaque instant interrompus et assombris par des pensees de deuil;
des jeox enfin, comme ceux, que les guerriers de Flliade cd^braient antour des
tombeaux de leurs chefs!''
279
feiern, — und todt sei Napoleon flir Beethoven gewesen vom Augen-
blick seiner Thronbesteigung an. —
Aber nun das Finale? das triumphirende Finale? — das war
auch schon gefunden. Denn was lesen wir in F6tis Biographie
universelle des musiciens? —
„Man sagt (so stellt OulibichefT dar), dass der zweite Satz
dieses Werkes" (der heroischen Symphonie, — wohl zu merken: der
zweite Satz!) „schon vollendet und kein andrer war, als der
kolossale Wurf des letzten Satzes der C moll-Symphonie, als eines
Tages ein Freund in Beethovens Zimmer trat und, die Zeitung in
der Hand, ihm ankündigte, der erste Konsul habe sich zum Kaiser
ernennen lassen. Da änderte sich Beethovens Ideengang, an die
Stelle des heldenthümlichen Satzes stellte er den Marsch, der jetzt
den zweiten Satz der Symphonie bildet."*)
Das, meint OulibicheflF, begreife sich ganz gut. Warum aber
hätte dem Trauermarsche nicht jener triumphirende Satz folgen
können, der aus diesem Werke die glänzendste und ruhmvollste
aller Beethovenschen Symphonien gemacht haben würde? Aus dem
einfachen Grunde, antwortet er selber, weil man nicht Todte feiert,
wie Lebende, nicht Erinnerung wie Gegenwart, und weil nach dem
Trauermarsch der donnernde Zuruf (racclamation foudroyante, das
Finale der CmoU-Symphonie), der uns vor den Mann des Schicksals
und seine hundert Siege gestellt, widersinnig sei. Wie schade dem-
ungeachtet, dass Beethoven seinen Plan geändert und in Folge seines
Republikanismus zwei Sätze geschieden habe, einer gleichzeitigen (?)
und gleichartigen Eingebung entsprungen**) und so wohl geeignet,
mit einander zu leben: das Allegro der heroischen und das Finale
der CmoU-Symphonie.
So viel Kunst kostet es, um die Wahrheit herumzukommen.
Der Thatbestand ist, dass Beethoven die Symphonie vollendet
hatte, als Napoleons Thronbesteigung die beabsichtigte Widmung
*) Od dit que le second morceaa de la Symphonie h^roique (sagt Fötis)
^tait acheve et n'^tait autre, que le colossal döbut da dernier moavement de
la Symphonie en ut minear, quand on vint annoncer a Beethoven, que le
Premier consul venait de se faire nommer Empereur. Sa pens^e changea alors
de directioDj a Th^roiqae moavement il substitua la marche funebre. Son h^ros
lai semblait d^ja descenda dans la tombe, au liea d'un hymne de gloire il avait
besoin d^un chant de deuil. Le grand moavement en ut fit peu de temps aprös
(drei Jahre) naftre (die Aerzte nennen dergleichen eine St ... . -Gebart) dans
la tdte de Beethoven le projet de la Symphonie en ut mineur.
**).... n^s d'une inspiration simultan 4e et homogene ....
280
nach Beethovens Sinn unmöglich machte, Beethoven vom Werke
selber nichts mehr wissen wollte (es musste auf dem Fussboden
liegen bleiben) und es dann dem Fürsten Lobkowitz überliess. Von
einer Aenderung der Komposition weiss weder Ries noch Moritz
Lichnowsky (den Schindler später gesprochen), noch sonst Jemand
ein Wort. Der letzte Satz der Cmoll-Symphonie*) existirte noch
nicht. Für den offen sich Hingebenden wie fQr den treuen Forscher
hätte sich daher die Frage ganz einfach so gestellt: was sagt,
was giebt das Werk? was hat also Beethoven damit sagen wollen?
diese Frage musste Satz für Satz das Werk begleiten. Nicht was
wir fUr uns denken und gesagt wissen wollen, sondern was Beet-
hoven gedacht und gewollt und in der Partitur ausgesprochen, das
ist Gegenstand der Erörterung. So haben wir uns oben, — gleichviel
mit welchen Kräften und welchem Erfolg, aber gewisslich in Treuen,
— an die Partitur gehalten und aus ihr gelesen oder gefolgert.
Die Franzosen, -- Oulibichetf steht ganz auf französischem
Grund und Boden, — machen sich sogleich eine Huldigung, eine
Verherrlichung im französischen oder römisch-imperialistischen Styl
zurecht, in der der Held und wieder der Held und nichts als er
mit Siegcsbildern und foudroyanter Acclamation gefeiert werden
wird, — sollt' er auch dabei fortwährend gähnen, wie Napoleon
bei der Krönung. Sie bemerken gar nicht, wie armselig dieser
rednerische Prunk ist, wo sich's um ein Kunstwerk handelt: wie
sollt' ihnen der liohe Sinn Beethovens klar werden? der (gleichviel
wie politisch-irrig) in Napoleon nichts als den Helden, im
Helden nichts als den Befreier und Weltbeglücker und
Friedenbringer erblickte! Sein Finale**) voll ländlicher Spiele,
voll lieblicher Friedseligkeit, dann aber auch zeugend von jener
Energie, die den Völkern Bürge der Erhaltung ist, die Herzen
*) Höchstens Skizzen zu den Motiven.
**) Oulibicheff entschuldigt übrigens Beethoven und sein Finale sehr gross-
müthig. Die Störung seiner politischen Illusion, sagt er, entmuthigte den
grossen Künstler; die Begeisterung versagte für die neue Arbeit, die er statt
der alten einlegen sollte, und er fand nichts Besseres, als eine Art musika-
lischer, nur viel zu grosser Kuriosität. Zuletzt sei ihm doch noch etwas Gutes
eingefallen, ein Stück von elegischer Melodie. Das Alles sei sehr geistreich,
aber nichts weiter, nichts was zündet, was elektrisirt. — Muss denn aber immer
gezündet und elektrisirt werden? Zeigt uns die Natur etwa keine andern Reize,
als feuerspeiende Berge und Katarakten? Leben wir etwa nur in Ausbrüchen
der Leidenschaft? Nur die Hohlheit, die Ausgeleertheit des eignen Lebens
treibt diese Franzosen zum steten Begehr neuer Aufregung.
281
Aller andachtvoll nach oben emporhebend und doch ganz frisch
sich der brausenden Lebenslust überlassend: das ist ein erhabnerer
Absclüuss für den sinnigen und grossdenkenden Hörer, als alle
foudroyanten Acclamationen , die jemals Dschingis - Chan und
Napoleon und die andern Sabreurs allesammt in ihren erzenen
Ohren vernommen. Das ist im Sinne des Aeschylus gesungen,
als der die Eumeniden sang und die Pereer.
Und für das französische Prachtstück haben sie Märchen er-
sonnen, und Fötis, der Musiker, hat sich das C dur-Finale fiir das
ursprüngliche Adagio oder Scherzo (zweiten Satz) der Es dur-Sym-
phonie aufbinden lassen, und Oulibichefl war' es wohl zufrieden,
den ersten Satz in Es dur und den letzten in dur zu einer ein-
zigen Symphonie zusammenzunähn. Oder sollte transponirt werden,
aus Es nach C, oder aus C nach Es? Man muss auf alles gefasst
sein, einem französischen Musiker oder connaisseur gegenüber.
Heben wir vorerst drei Ergebnisse dieser Umschau hervor.
Das erste ist: der Schritt Beethovens in das Gebiet des be-
wusstem Geistes ruft sogleich die Geister der Theilnehmenden zu
höherm Bewusstsein auf, giebt ihnen bestimmten Inhalt und damit
festere Haltung. Wäre selbst Beethovens Fortschi-itt ein zweifel-
hafter, diese Folge desselben ist es nicht.
Das zweite Ergebniss. Vor uns liegen also drei oder vier Auf-
fassungen desselben Idealwerks, alle mehr oder weniger von ein-
ander abweichend. Und dennoch: welche Uebereinstimmung in der
Auffassung der Grundlinien! — wenn wir allenfalls die durch falsche
Voraussetzung förmlich aufgezwungene Auffassung des Scherzo bei
Berlioz ausnehmen.*) In dieser Hinsicht ist Wagners Auffassung
ein wahrer Prüfstein. Es gefiel Wagnor, die positive Bestimmung des
Werks zu übersehn: und dennoch findet er allenthalben die Grund-
bedeutung, so weit seine Abstraktion es gestattet und den Ausdruck
derselben nicht beeinträchtigt. Bei Oulibicheff trägt(wie wir besonders
weiterhin sehn werden) der Anblick der Wahrheit sogar den Sieg
über seine Grundüberzeugung vom Berufe der Tonkunst davon.
*) Berlioz' Schrift ist uds übrigens nicht bekannt, unsere Mittheilangen
fusscn auf OalibichefiT. Angenehm überraschend war uns das oft so nahe Zu-
sammentreffen unsrer Anschaaung mit der seinigen. Von einer Beeioflussung
der einen durch die andre kann dabei erweislich nicht die Rede sein; wir
haben in gleichem Sinne schon 1828 im Maigruss und 1824 in der Berliner
allg. mu9. Zeitung über Beethovens Werke gesprochen — und Oulibicheit hat
das schwerlich gelesen
282
Das dritte Ergebniss ist: dass die Abweichungen hauptsächlich
aus willkürlichen Voraussetzungen oder eben so willkürlichem Ab-
wenden von den positiv, urkundlich gegebnen entspringen. Es
leuchtet ein, dass sie dann nicht gegen das Werk oder die Möglich-
keit seines idealen Inhalts zeugen, sondern nur vor jeder "Willkür
warnen, wäre sie noch so gut gemeint. Wenn Lenz in seinen trois
styles in Bezug auf das Finale des Quintetts Op. 29 ausruft:
„Ich habe zwanzig Ideen gehabt, um den Sinn desselben wieder-
zugeben, und finde sie alle zu mittelmässig, um dem Publikum
vorgelegt zu werden," so ist das nur ein naives Geständniss, dass
er etwas gesucht (nämlich irgend ein schönes Wort, wofUr er —
und so viel andre Dilettanten! unglaubliche Vorliebe haben und
womit sie Schwächere zu unglaublichen Verirrungen und Ver-
wirrungen verleiten), was er im Werke nicht gefunden, oder was
im Werke nicht enthalten. Und das letztere war der Fall. Er
suchte nach einer vorausgesetzten Idee des Werks, und das Werk
hat keine, sondern gehört der ersten Stufe der Tonwerke (S. 266)
an, wie weit es auch da hervorragt.
Die Zukunft (der Fortschritt) vor dem
ßichterstuhl der Vergangenheit (der
Vorstufen).
Diesmal war es die Sinfonia eroica, die vor den Richterstuhl
treten sollte; „sie ist die erste nicht!" sagt Mephistopheles zum
verzweifelnden Faust.
Es ist naturgemäss, dass das Neue dem Alten unbequem gegen-
übertritt; die sprossenden Knospen geben den vertrockneten Blättern
den letzten Stoss zum Fall. Im Naturverlauf ist dieser Hergang
ein so einfacher, dass er in seiner Unvenneidlichkeit und Erspriess-
lichkeit leicht und allgemein erkannt wird.
Nicht so im Leben des Geistes. Wenn der neue Gedanke dem
alten, bisher seine Sphäre fllllenden und beherrschenden gegenüber-
283
tritt, so hat dieser noch keineswegs seinen Beruf erflillt und seine
Lebenskraft aufgezehrt; er lebt vielmehr bei der Breite menschlichen
m
Daseins in Tausenden und Abertausenden von Individuen und in
tausend Verhältnissen fort, wirkt in ihrem Sinn' und nach ihrem
Bedürfnisse weiter, ist also nicht blos bisher berechtigt gewesen,
sondern auch noch, ja vielleicht flir immer berechtigt. Nur dass
neben ihm das Bedürfniss des Fortschritts sich regt und gegen ihn
herantreibt und Anfangs in Einzelnen, dann in immer Mehrern sich
gegenüber dem Alten geltend zu machen strebt. Dies Bedürfniss
ist aber keine von Aussen irgendwoher eindringende Gewalt; es ist
der Trieb des Gedankens, der bisher in Einseitigkeit geheiTScht
hatte, nach der andern Seite, nach allen Seiten seine Konsequenzen
zu ziehn und durchzuleben. Das ist es, was dem Kampf der Ideen
und Prinzipien seine giftige Schärfe einflösst; man fühlt auf beiden
Seiten Blutsverwandtschaft, und ist verwirrt und gereizt zugleich,
gegen sein eigen Fleisch und Blut zu kämpfen.
Dieser unheimliche, nimmer gestillte Prozess des Geistes ist
seine Geschichte. Jede Idee wird auf dem Gipfel ihrer Herrschaft
ein König Lear, der in seinen Kindern dieselben Gewalten auf-
wachsen und sich endlich gegen ihn auflehnen sieht, die seine Kraft
und Herrschaft gebildet hatten. Wir haben S. 266 versucht, den
Naturprozess des Geistes an drei Stufen der musikalischen Ent-
wickelung zu verfolgen, und es musste sich zeigen, dass der Fort-
schritt zur folgenden Stufe das Recht der vorherigen nicht aufhob ;
das Tonspiel blieb und bleibt berechtigt neben der die Bewegungen
des Gemüths abspiegelnden ; die Seelensprache behält ihr Recht an
unser Herz neben den idealen Richtungen, die zuerst in der Helden-
symphonie selbständig hervorgetreten waren.
Die Berechtigung ist auf beiden Seiten; nicht so die Fähig-
keit, die Berechtigung des andern Theils anzuerkennen. Von dem
höhern Standpunkt überschaut man die niedem Stufen, nicht aber
umgekehrt von diesen jenen; auch ist es leichter, den überschrittenen
Standpunkt mit BiUigkeit zu schätzen, denn man hat ihn selbst
durchlebt, als den Fortschritt zu begreifen, wofern man sich nicht
sogleich ihm anzuschliessen vermag.
Beethoven hatte das schon erfahren. Unbeschadet kleiner
Neckereien über musikalische Malerei konnte er leicht gegen
Haydns Verdienste (S. 269) gerecht sein, während der gewiss gut-
müthige Haydn nicht im Stande gewesen war, dem ersten Ruck
zum Fortschritt in Beethovens CmoU-Trio (S. 23) zu folgen. Man
284
muss sich das gegenwärtig halten, um den Widerspruch, komm' er
auch ungeberdig und starrköpfig heran, mit Gelassenheit zu tragen.
Nun war also der grosse Schritt geschehn. Wie wurd' er auf-
genommen ?
Vor allen Dingen ward' er nicht erkannt; man flihlte sich im
alten Gange, und was gegen die Gewohnheit desselben anstiess,
hielt man flir einen blossen Anstoss, — aus Versehn, aus Un-
geschick, aus Tücke, wer weiss? Beethovens eigner Schüler, Eies,
rief in der Probe bei jenem berühmten- Horn-Eintritte:
„Das klingt ja ganz infam!" — er dachte, das Hom hätte falsch
eingesetzt, — und hätte beinah vom Meister eine Ohrfeige davon
getragen. Viel später noch (in seinen und Wegelers biographischen
Notizen über Beethoven 1838) sagt er von derselben Stelle: „In
dem nämlichen Allegro ist eine böse Laune Beethovens ftir das
Hörn," — sieht den Satz also Itir eine Grille an.
Wie die Wiener Kritik das Werk aufnahm, lesen wir in der
allgemeinen musikalischen Zeitung, in einem Bericht aus Wien, der
von der Symphonie sagt: „Ist eigentlich eine sehr weit ausgeführte,
kühne und wilde Phantasie. Es felilt ihr gar nicht an frappanten
schönen Stellen, sehr oft aber scheint sie sich in's Regellose zu ver-
lieren. Des Grellen und Bizarren ist zu viel, wodurch die Ueber-
sicht erschwert wird und die Einheit beinahe ganz verloren geht.
Die Eberische Symphonie gefiel wieder ausserordentlich." Man sieht,
dass dem Berichterstatter nicht gerade guter Wille gefelüt hat; aber
die Uebersicht ist ihm schwer geworden und die eigentliche Intention
des Werks ganz verborgen geblieben. Was ihm auffäUt, erklärt er
flir grell, bizarr, regellos, ohne zu fragen, ob nicht ein besondrer
Beweggrund dafür vorhanden gewesen. Wohl wird ihm erst bei
der Eberischen Symphonie. Wie die sich so glücklich herzufindet,
um die Beethovensche in das rechte Licht zu stellen! wer weiss
jetzt noch etwas von Eberl und seiner Symphonie?
Welches ist aber der eigentliche Sitz des Irrthums in all' diesen
Bemerkungen? Kein andrer, als der, dass das neue Werk nach
Zwecken und Grundsätzen beurtheilt wird, die nicht die seinigen
waren. Die Fragen flir den Beurtheiler sind folgende:
_285_
Welche Bestimmung hat dieses Werk?
Was ist von dieser Bestimmung zu urtheilen?
Wie ist ihr nachgestrebt worden?
also erst die Erörterung des Zwecks, dann der Mittel. Wie will
man diese ohne jenen beurtheilen, oder gar, wenn man ihnen
fälschlich einen fremden Zweck unterschiebt?
Jene Kritik fragte nicht nach Beethovens Ziel und Zweck. Sie
hielt, unbewusst, dass ein andrer Standpunkt gesetzt worden, an dem
des Tonspiels und allenfalls der subjektiven Gefiihlsmusik (S. 266)
fest. Das Tonspiel lebt aber vornehmlich im anmuthigen Wechsel
der Formen, in dem es den Sinn umschmeichelnd bald reizt, bald
labt, den halbbcwussten, halbschlummernden Geist bald anregt,
bald wieder löset; den selig Spielenden
Ist das Dasein so gelind
.... Doch von schroffen Erdewegen
Glückliche! habt ihr keine Spur;
und die Sphäre subjektiven Gefühls ist auch in den stillem und
sanftem Regionen befriedigt, — wiewohl schon der liebenswürdige
Mozart und der tiefsinnige Bach jener Kritik und der Aesthetik des
Geschmacks und des Schönen gär manchen Anstoss gegeben haben.
Da könnt' es denn nicht fehlen, dass das Aergemiss bei Beethoven
gross war — und noch jetzt sich fühlbar macht.
Vor Allem findet Ries seinen Nachfolger (wenn Oulibicheff
treu berichtet) in Berlioz, der über die berühmte Homstelle sagt:
„Die ersten und zweiten Geigen allein halten im Tremolo b und
as, den unvollständigen Septimenakkord b— d— f— as; da tritt ver-
wegen ein Hom, das sich zu irren und zwei Takte zu früh zu
kommen scheint, mit dem Anfang des Hauptsatzes ein, der aus-
schliesslich auf dem Akkorde es - g — b beruht. Man begreift, welchen
befremdlichen Eindmck diese Melodie des tonischen Akkordes
(es— g — b) gegen die dissonirenden Töne (b— as) des Dominant-
akkordes machen muss." — Nur Lenz hat hier wohl verstanden („es
ist irgend ein entferntes Echo vom Motiv des Allegro, das da ver-
loren in gurgite vasto schwebt"), wenn auch das Hörn nicht
gerade ein Echo ist, sondern auf dem weiten Schlachtfelde, das
Beethoven vor Augen hat, ein ganz aus verlomer Ferne fremd her-
übergewehter Ruf, der gar nicht in den gegenwärtigen Augenblick
gehört, sondern den nächsten, — die Rückkehr des Heldengedanken,
nachdem der Kampf ganz erloschen schien, — vorbedeutet und ver-
kündet.
286
Den Männern von Fach ist übrigens das Beethovensche Wag-
niss nicht neu; sie wissen, dass bei der Antizipation ein Ton (hier
bei A das c)
I il . i ' ^^ __^ I 1
8
aus einem künftigen Alckord vorausgenommen und in einen Akkord
hineingeschoben wird, zu dem er gar nicht gehört; ja sie würden
sich folgerichtig auch doppelte Vorausnahmen, wie bei B und C ge-
fallen lassen müssen, >viewohl diese natürlich doppelt schroff auftreten,
weil sie zwei Widersprüche gegen den herrschenden Akkord bringen.
Nun : Beethoven führt auch nur zwei widersprechende Töne, es — g
gegen b — as, ein. Sein Widerspruch ist nur entschieden; denn es
tritt ganz klar und unverkennbar ein voller Akkord in einen andern.
Aber es ist nicht, wie Lenz (von Beethovens Originalität entzückt)
sich ausdrückt, „das Lächeln der Chimäre", sondern die Macht des
epischen Gedankens, den man hier zu erkennen hat.
Etwas Aehnliches findet Oulibicheff in der Partitur S. 36 Takt
4 bis 7, hier
Bljiser
|ip|W€|f5]I^i|if^^m^l
Saiten '
-i_ X 1 !._ ±-
4=^-
is^EiiE^
I f
TT ff'
/ decresc.
I
Takt 2 bis 5. Und wir könnten auch! ein Scheitlein zum Scheiter-
häufen tragen, wenn wir die Akkorde S. 254 brächten. Oulibicheff
erblickt^da auch zwei ineinandergelegte Akkorde " Vier
Takte, wo die Flöten das hohe e gegen das hohe t setzen, während
287
die Saiten in der Tiefe den Akkord von c— e anschlagen, was die
Häufung zweier Tonarten (tonalitis) zur Folge hat, der von A moU
und F dur. Man kennt wohl den grossen Septimenakkord f- a— c— e;
aber dies hier ist nur ein Scheinakkord, eine verlängerte Dissonanz,
die als solche einer nothwendigen Bewegung unterworfen ist und
mit Beethovens Doppelakkord, der weder vorbereitet noch auf-
gelöst wird, nichts gemein hat."
Vor allen Dingen ist die grammatische Analyse falsch, die
Harmonie
A B B B
^?^^Hif=^N^?
zeigt sich bei A vorbereitet und bei B Schritt fllr Schritt aufgelöst ;
Oulibicheff ist das nur nicht gewahr worden, weil die Tonlage _und
die Stellung der Instrumente, namentlich der Flöten auf f — e zu
scharf in seine Beobachtung hineingriff. Aber es handelt sich gar
nicht um seine oder eine andere Analyse; man gesteht ihm das
Zerreissende des Widereinanderklangs zu, — irgend einmal muss
der Aufschrei der Schlachtenwuth sich Luft machen. Ganz richtig
sagt Berlioz von einer älmlichen Stelle: man kann bei diesem
Gemälde unbezähmbarer Wuth eine Bewegung des Entsetzens nicht
unterdinicken. Es ist die Stimme der Verzweiflung, fast der Raserei.
Ja, Oulibicheff selber vernimmt da das Röcheln des Todes, mit
jener „zu wahren Wahrheit" ausgedrückt (hat er niemals den Be-
sessenen auf Raphaels Transfiguration gesehn, oder Lear und
Othello und Shylok und Aeschylus und Dante gelesen?), „die auf
dem Gebiete der Kunst Lüge wird."
Da haben wir die ganze Aesthetik des guten Geschmacks,
auf dem kurulischen Grossvatersttihlchen!
Sogar ein harmloser Modulationsruck wird verdächtigt, — als
wenn in der Schlacht Alles im Schritt ginge.
Im dritten Theile nämlich, wo der Sieg schon gesichert und
Alles von herrischem Muth und Freudigkeit erfüllt, Lächeln und
Schmeicheln auf allen Lippen ist, bringt ein Anhang (derselbe, der
die Wiederholung des ersten und den Eintritt des zweiten Theils
motivirt) den leitenden Gedanken, das Heldenwort, ganz ruhig,
athemschöpfend, aber mit Aufschwung
288
in Erinnerung. Dann wiederholt ihn" das Orchester mit einem
mächtigen Kuck ohne weitere Vermittelung auf Des und lässt das
wieder in dem Einklänge Des verhallen, und sclilägt mit höchster
Kraft noch einmal in C damit durch, eben so unvermittelt, — das
Wort soll gelten! und es hat gesiegt! und es soll siegen und herr-
schen! wie natürlich und verständlich hätte das Oulibicheff sein
müssen, dem die Schlacht vor Augen stand! Ja, er hat es verstanden,
wenn nur die Grammatik nicht wäre (Dilettanten legen
sie gern zur Schau, wie Lenz, der die Form und die Technik auf
das äusserste verachtet, dann wieder peinlich bemüht ist um die
Form, namentlich um eine chimärische AUegrettoform) und das Ohr,
das heisst der Geschmack! Bei ihm geht Beethoven unmittelbar
von Es nach Des, von Des nach C, „ohne sich im Mindesten um die
offenbaren Oktaven und verdeckten Quinten (Oü — es ist nicht
einmal wahr) zu kümmern, die es da setzt. Das ist nicht sehr
angenehm flir das Ohr, ich gesteh' es; aber hier kommt die
poetische Idee der musikaüschen zu Gute, oder vielmehr, sie tritt
an ihre Stelle." Die sogenannte poetische Idee gleichsam Aushelfer
in der musikalischen Noth! so verkehrt sich ihm das natürliche Ver-
hältniss, dass die Idee die Mittel ihrer Verwirklichung bedingt.
Weiterhin setzt er zu: „das ist seltsam, aber es ist frappant ....
Aus diesem Beispiel und tausend andern können wir die merkens-
werthe und doch zu wenig bemerkte Lehre ziehen, dass an sich
mangelhafte Sachen durch den Zutritt einer poetischen Idee oder einer
bestimmten Aufgabe sich in relative Schönheiten verwandeln können."
Und nun noch einmal Oulibicheff; ^-ir hätten nicht nöthig, ihn
so oft anzuführen, wenn nicht dieselbe Grundansicht die Mehrzahl
289
der Kunstgenossen und Kunstphilosophen noch immer gefangen
hielte. Hier gilt es nicht einmal zunächst ihm, sondern einem Ge-
ständnisse. Der letzte Satz, den Oulibicheff herausgreift, ist dieses
Bruchstück —
I
■k
fcfc
k
*
i
£
m
z
t
„-jy^i.
fcfc^
■^
aus dem Finale, das „staunenerregend auf dem Papiere" befunden
wird (wieder ist die harmonische Grundlage, Vorausnahme und
Vorhalt,
r^M^jEE^
I
S
ganz einfach, und das Einschneidende liegt wieder nur in der Weise
der Darstellung), „in der Ausführung aber so schnell vorübergeht,
dass das Ohr kaum Anstoss nimmt oder die Schuld den Ausübenden
beimisst."
Nicht um dergleichen, es ist schon oben gesagt, handelt sich's;
die Frage ist überall: welches ist der Sinn und Zweck des Satzes?
Das Beethovensche Finale ist uns als Bild des Friedens er-
schienen, der endlich Ziel alles Krieges sein muss. Das Glück des
Volks — oder, in Beethovens Sinne, der Menschheit — ergeht sich
in friedlich-ländlichen Spielen, die Kämpfer sind zum Heerde zurück-
gekehrt. Aber die Energie, die allein den Frieden verbürgt, indem
sie stets kampfbereit ist, entschlummert nicht. Sie lässt sich viel-
fach spüren, tritt aber in ganz besonderer Weise in einem S. 176
der Partitur in CmoU anhebenden Abschnitte der Komposition
hervor. Hier setzt, umspielt von andern Stimmen, die erste Violin
das Thema des Finale als Fugenthema ein, die zweite Violin ant-
wortet, Bratsche und Bässe vollenden die Durchführung, es entspinnt
Marx, BeethOTexk. I. 1 d
290
sich eine Erörterung über das Thema, zu der sich immer mehr
Stimmen herzudrängen; die Ereiferung wächst bis zu jenem —
man möchte sagen: zänkischen Satze, um sich dann unter dem
bangen Zureden der Violin und den Schmeicheltönen der Flöte
wieder dem kindlichen Spiel und der Freude zuzuwenden.
Fragt man uns aber nach der Nothwendigkeit dieses Zugs und
hundert anderer Einzelheiten, so antworten wir getrost: dass wir
keinesw^egs jeden Zug eines idealen Kunstwerks in nothwendiger
Folgerung aus der Idee des Ganzen, oder in bestimmter Bedeut-
samkeit für dieselbe nachzuweisen vermögen, — weil diese absolute
Nothwendigkeit, diese durch alles Einzelne gehende Bedeutsamkeit
in keinem Kunstwerke vorhanden ist, weil sie sogar dem Grund-
charakter der Kunst, jener Spielseligkeit zuwider sein würde, der
Beethoven vor Vielen sich gern überlässt (z. B. gleich bei dieser
Gelegenheit dem reizenden Getändel mit dem Thema bei A
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^ffg^! r— r— I f -h— h— F— -
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p pizz.
und dem kindsfrohen Spiel der Flöte), wie er denn durch alle hohen
Stunden und bittern Leiden hindurch stets der kindliche, nur gar
zu gern frohe Mensch geblieben ist.
Zuletzt bleibt, mit Mozart zu reden, Musik doch immer Musik
Wir rufen sie zum Ausdruck unsrer Idee herauf; da kommt sie,
aber ein eigen Wesen, das sein eigen Leben und sein unvergeblich
Recht hat. Den Malern geht's auch nicht anders; den Heiligen,
die Himmelskönigin wollen sie malen, die Idee des Heiligen, der
Gottesmutter sichtbar werden lassen; alsbald fordert jedes unnütze
Glied und Gewand und Hintergrund sein Eecht des Dabeiseins,
und Niemand darf sie nach ihrer Bedeutung fragen;
Am Ende h&ngen wir doch ab
Von Kreaturen, die wir machten.
291
Rück- und Umschau.
Blicken wir von der Höhe, die Beethovens Leben jetzt erreicht
hat, vor weiterem Fortschritte zurück auf das bisher Erreichte.
Eine grosse Reihe von Werken ist bis zu der Heldensymphonie
aufgestellt, grösser, als sie der Zahl nach erscheint, durch den
Umfang der einzelnen Werke, bedeutsamer durch die Vertiefung,
von der die Mehrzahl Zeugniss giebt.
Im Felde der Instrumentalmusik sehn wir Beethoven für jede
Tendenz derselben thätig.
Das Tonspiel erscheint vorherrschend in den drei ersten
Konzerten* Gesellen wir ihnen ein Werk gleicher Richtung,
Grand Concerto concertant pour Piano, Violon et Violon-
Celle, Op. 56, (C. V. 128),
zu, das 1805*) komponirt, im Juli 1807 erschien und die drei kon-
zertirenden Instrumente auf das Lebhafteste und Glänzendste neben
einander beschäftigt. Gleiche Richtung zeigt sich im Quintett
Op. 16 und in den Sonaten Op. 54 und 53. Wir fügen ihnen die
Sonate fllr Klavier und Hom, Op. 17, (C. V. 84),
zu, aus dem Jahre 1800. Sie hat eine kleine Geschichte. Ein
Leibeigner der Esterhazy, Namens Stich, war entflohn, hatte sein
Talent für das Waldhorn ausgebildet und kehrte nun unter dem
Namen Punto (Stich) mit einem grossen Virtuosenruf aus Italien
*) Das SkizzeDbuch von 1803, dessen Benatzung bis in den Frühling 1804
hineinreicht, enth&it auf seinen letzten Seiten schon Entwürfe zum ersten Satze
dieses Tripelkonzerts
Später so:
gjysfaig^^
^^
/TS
Die Arbeiten wurden in einem anderen Skizzenbache fortgesetzt.
19^
292
zurück, um in Wien Freilassung und Glück zu suchen* Es kam
darauf an, ihn für diesen Zweck bei einem Konzerte zu unterstützen.
Beethoven, bereits in hohem Ansehn, schrieb flir Punto den Tag
vor dem Konzerte die Sonate, in welche er nach Czernys Erzählung
nur Melodien aufnahm, die dem Hornisten geläufig waren, und flihrte
sie selbst mit ihm aus. Der Erfolg war, wie sich ei'warten Hess.
Auch ein andres Werk, die
Trols Senates pour Piano et Violon, Adur, CmoU, Qdur
Op. 30, (C. V. 106),
aus dem Jahr 1802,*) voll Reiz und Innigkeit, mögen hi(T wenigstens
Erwähnung finden, da nicht auf Alles näher eingegangen werden kann.
Tonspiel und Stimmung können nicht von einander bleiben;
man kann sich mit diesen wunderlichen Elfen, die auf den Saiten
schwingen (die Indier zählten ihrer 1600Ö unter dem Namen Gopi)
nicht einlassen, ohne dass sie sich unvermerkt durch das Ohr in
die Seele schleichen und die stimmen, man weiss nicht wozu, und
umstimmen, man weiss nicht wie. Die Natur spottet aller Gränz-
linien. Daher haben wir Beethoven schon bei Werken beobachtet,
in denen Tonspiel und Stimmung nebeneinander walten, — so im
Septuor, in den Quartetten Op. 18, in der Mehrzahl der bisher be-
trachteten Trios und Sonaten.
Einer einigen edeln Stimmung ganz hingegeben, fanden wir
Beethoven in der Sonate Op. 28. Sie ist eins von jenen Kunst-
werken, in denen ein geheimer Sinn zu weben scheint, ohne dass
man im Stande war*, ihn bestimmter nachzuweisen. Muss — kann
denn auch Alles bewiesen werden? weiss denn der Künstler selber,
aus welcher Fiber seines Herzens, aus welcher längst versunkenen
Erinnerung ihm ganz unvorhergesehn und ungewollt Stimmungen,
Vorstellungen empörtauchen und Lebensgestalt gewinnen? Ein
väterlicher Sinn scheint im ersten Satze dieses wunderbar tiefen
Tongedichts zu walten, ein in Erfahrungen des Herzens und hohen
Anschauungen ruhig gewordner, aber ganz der edelsten selbstlosen
Liebe des Aeltern zum schüchternen jugendlichen Wesen wann er-
haltner, der Aufwallung, ja dem zürnenden Durchgreifen noch ganz
fähiger Charakter, der den Schatz seines Denkens und Schauens
so gern in das Ohr und Gemüth des kindhch Aufhorchenden — du
'*) Von der Entstehungsgeschichte dieser Sonaten, namentlich der in Gmoli
und Gdur, giebt das Skizzenbuch der Zeit 1801/1802 ein sehr interessantes
Bild. Ausgestaltung und Durchführung der Themen vollziehen sich vor den
Augen des Lesers.
293
selber, am Klaviere, sei es! — giesst. Der zweite Satz erzählt ganz
balladenhaft altverklungne Sagen, alterthümlich und dann wieder
von frischen Lebensklängen, wie von Hifthörnern und Hoboen und
der anmuthig schmiegsamen Schmeichelei der Geige oder Klarinette
durchweht und umspielt. Im Scherzo taucht das junge Leben zum
ersten Male mit Lustlauten, fast jauchzend und tibermüthig aus
seinem Schweigen auf und wiegt sich (im Trio) in leichtsinnig Ver-
gessen. Es scheint das träumerische Spiel eines jungen Mädchens,
das kaum die Qränze der Eeife tiberschritten hat und selbstvergessen,
unbewusst und unbemerkt (meint sie!) flir sich allein sich in Tanz-
bewegungen hin- und herwiegt und die Wonnen undeutlich voraus-
cmpßndet, die ihrer warten. Gern wird ihr (im Rondo-Finale) der
scherzende Frohsinn ihrer Jahre gegönnt. Das Alles ist, wie ge-
sagt' nicht zu beweisen; wer es nicht herausfühlt, glaubt's nicht.
Bestimmter ist die Haltung des Dichters in Schöpfungen, deren
Inhalt als psychologische Situation, als Entwickelung eines
fortschreitenden Gemüthszustandes bezeichnet sein will, wie
die Cis moll-Sonate Op. 27. Von hier aus war nur noch ein
Schritt zu thun, zu objektiver Lebensauffassung: der geschah
in der Heldensymphonie.
Haben wir den Inhalt des Beethovenschen Bildes mannig-
faltiger und besondere bestimmter gefunden, als den der früheren
Instrumentalkomponisten; so deutet schon das darauf hin, dass er
reicherer und ausgebildeterer Mittel und Formen des Ausdrucks be-
durft hat. Und so ist es. Seine Melodie wird umfangreicher,
sie schwingt sich höher empor und taucht entschlossener in die Tiefe
als die Art früherer Kantilene war; dabei nimmt und verlässt sie
niemals willkürlich, sondern stets sinngemäss und mit wahrer Be-
deutsamkeit ihre Stellung. Zugleich wird sie innerlicher ausge-
bildet, — so fein, wie vor Beethoven nur Bach es gethan, — und
erlebt in sich selber den Gährungsprozess stetigen Fortschritts; sie
kehrt nicht gern in derselben Gestalt wieder, sondern verändert sich
zu tieferer oder neuer Bedeutung. Bald aber genügt sie, die eine
Melodie, nicht mehr; jede Stimme will mitleben und mitwirken,
vom obligaten Akkompagnement, womit Beethoven sich geboren er-
klärt, ergiebt sich bald, in den Quartetten, in der ersten, in der
heroischen Symphonie, selbst in jener tiefsinnigen D dur-Sonate
Op. 28, der Ueberschritt in wirkliche Polyphonie, in die Dramatik
der Musik. Diese Spur werden wir wiederfinden und dann weiter
verfolgen.
294
Die Entschiedenheit, die sich schon in der Hinneigung zu be-
stimmterem Inhalte kundgiebt, musste sich vornehmlich im Rhyth-
mus, im Ausdrucke des Willens und Bestimmens ausprägen. Und in
der That ist der Beethovensche Rhythmus ein so mannigfaltiger
und festausgeprägter, wie man neben ihm einzig nur noch in Gluck
findet. Nach beiden Seiten hin, im Vorschweben der rhythmischen
Grundbestimmungen (in den Synkopen) wie der schärfsten Ent-
schiedenheit, erweist sich dieser Rhythmus stets dienstfertig und
stets der Bedeutung des Momentes vollkommen entsprechend. Ein
Paar Beispiele dazu sind aus der Heldensymphonie hervorgehoben
worden; man würde nicht fertig, wollte man aUe bedeutsamen Züge
sammeln. Ja, diese Herrschaft des Rhythmus geht bis zur Eigen-
willigkeit, die nirgends muthwilliger hervorgetreten ist, als im
Finale des Quintetts Dp. 29, wo Zweiviertel- und Sechsachtel-Takt
i£^
sechsundvierzig Takte weit sich in allen Stimmen gegeneinander-
gestellt mischen. — Der Umschlag des Scherzo in der Helden-
symphonie aus Drei- in Viervierteltakt gehört ebenfalls hierher,
hat aber Erweiterung des Gedankens zum Zweck.
Dieselbe Entschiedenheit zeigt sich in der Modulaton. Will
man Beethovens Modulation gründlich erkennen, so muss man
vom Gegensatz der neuern — Haydn-Mozart-Beethovenschen gegen
die ältere, namentlich Bachsche ausgchn und dann erst den jüngsten
der drei neuern Meister mit seinen beiden Vorgängern vergleichen.
Bach und seine Zeit fassen in der Regel ihre Aufgabe zu inner-
licher Beschauung und Verarbeitung in polyphoner, hauptsächlich
in Fugenform; sie bringen ihr Thema in Gegensatz zu andern
Stimmen und bedürfen zu dieser Erörterung nicht sowohl der Orts-
veränderung, als des Weilens oder der Beschränkung auf einen nicht
weit gezognen Umkreis. Daher ist die Modulation innerlich reich
ausgebildet, aber äusserlich nicht weit ausgedehnt. Die Neuern
t^ff"
29^
finden ihre Bestimmung darin, die Gedanken einzeln und ungestört
vorQberzulühren, sie stellen nicht Thema gegen Thema, sondern
Thema nach Thema auf, bedürfen also weitem Raumes. Daher ist
ihre Modulation nicht so kernig fest im Innern, wie die des grossen
Vorgängers, aber erweitert, freigeworden nach aussen. Die Modu-
lation trägt den Stempel der Zeiten, wie Gesichtskreis und Lebens-
weise ; sie ist nicht mehr eingepfarrt und häuslich, sondern weltlich
und herauslebend. Dies Alles natürlich mit hundert Ausnahmen.
Beethovens Modulation steht an innerlicher Ausarbeitung der
des grossen Bach überraschend nah, sie ist gedrungen und gefüllt
mit Durchgängen und Durchgangsakkorden, festgeschmiedet gleichsam
und vernietet mit häufigen orgelpunktartigen Haltetönen (m. s. die
Kompositionslelu'e), wie es der Ernst und die Vertiefung in seinen
Aufgaben mit sich brachte. Zugleich ist sie gegen die seiner nächsten
Vorgänger weit um sich greifend, kühn in die Ferne dringend, es
ist nicht zu verwundern, dass sie gerade kunsterfahrnen Zeitge-
nossen Anfangs in ihrem freien Schalten dissolut und verwirrend
erschien; der Modulationsplan z. B. des ei-sten Satzes der Eroica
findet bis auf dieses Werk weithin nicht seines Gleichen und mag
wohl den meisten Kunstgenossen ausschweifend und unbegreiflich
erschienen sein. Erst bei tieferer Verständigung mit dem genannten
Werk und allen sonstigen von Beethoven wird man die grosse
Ordnung und Festigkeit gew^alir, die das Ganze durchwaltet. Die
Massen sind zahlreicher, weiter und erfüllter, fordern zur Entfaltung
weitem Raum, folgen aber demselben stetigen Gesetz, wie früher
die kleinen Massen Anderer. Beethoven ist hierin über den Ge-
sichtskreis der Eroica noch hinausgeschritten, stets in demselben
Gesetze fester Ordnung und gerechter Abwägung einer Masse gegen
die andre seine Sicherheit findend. So lenkte Napoleon grössere
Heeresmassen, als einst Friedrich der Grosse und in der spätem
Zeit grössere, als bei Marengo, — stets nach demselben Gesetz.
Hier können wir schon den Grundzug in Beethovens Charakter
klar erkennen. Es ist kein andrer als Energie, gesammelte, ge-
drungne, auf Einen Punkt hingerichtete Kraft. Hierin steht vor
allen Tondichtern Händel ihm nahe, dem Beethoven nachrühmt:
er habe mit einfachen Mitteln Grosses gewirkt. Der Ausspruch ist
wahr und einleuchtend; gerade das ist Folge und Ausdmck der
Energie, dass sie ihrem Ziel ohne Umschweif und Nebenrücksicht
oder Nebenabsichten zustrebt, ihre Schritte folglich gerad' und ihre
Mittel einfach sind. Nur hierin unterscheiden sich die Charaktere
296
der beiden grossen Künstler, dass Händel überall positiv ist und
verfährt, überall von Gegebnem ausgeht und mit Gegebnem, das er
nun einmal so und nicht anders aufgefasst hat, wirkt, während
Beethoven in seinen Aufgaben und Mitteln untersucherisch ein-
und auf den untersten Grund dringt und von da aus erst sein
Werk wie einen starken Baum aus der Wurzel emportreibt, hierin
dem Altvater Bach näherstehend.
Händel ist als Protestant geboren, und das bleibt er, Lutheraner,
ohne weitere Untersuchung die Verlockungen in Italien und das
Beispiel in England von sich weisend. Hierin hat sein Charakter,
in der Bibel, im reinen, unveränderten Bibelwort, sein Schaffen
feste Grundlage. Er ist vor Allem Vokalkomponist und steht damit
auf dem positiven Grunde seines jedesmaligen Textes. Die Natur
der dem Wort vermählten Musik hat ihm ihre kräftigsten Grundzüge
zum Geflihl und einer dogmatisch zu nennenden Ueberzeugung ge-
bracht; damit schaltet er in voUer unbeugsamer und unveränder-
licher Sicherheit. Das Alles hat er, und hat es vom ersten ernst-
lichen Beginn an gehabt. In seinem Jugendwerk, in der Brockesschen
Passion, ist er so tief, ja tiefer, — weil er ganz frisch herantritt, —
als in seinen viel späteren Werken; und in seinem Allegro e Pensi-
eroso ist er so sicher und reich in allen Farben, wie jemals. Daher
ist in ihm kein wesentlicher Fortschritt, und daher kann, ja muss
er sich wiederholen; er bringt nicht blos Redeformen, z. B. die
Adagioschlüsse der Chöre, häufig wieder, sondern auch ganze Ton-
stücke, z. B. den Todtenmarsch und sogar den unsterblichen Hin-
gang zum Kreuz aus der Passion.
Das Alles ist ganz anders bei Beethoven. Er ist geborener
Katholik, muss sich aber von Haydn einen Atheisten schelten lassen,
steht wenigstens nicht auf dem Boden irgend einer Kirche. Er ist
vor Allem Instrumentalkomponist, hat also für die überwiegende und
wichtigste Masse seiner Schöpfungen nicht den doppelten oder drei-
fachen Anhalt Händeis. Auch der feste Grund und Boden des mu-
sikalischen Ausdrucks ist ihm für seine wesentliche Aufgabe, die
Welt der Instrumentalmusik, bei Weitem nicht so sicher überliefert,
da seine Vorgänger auf diesem Felde ganz andern Zielen nachgingen.
Er erst war es, der da hineinschaute in mystischer Versenkung und
da die eigentliche Werkstätte des Menschengeistes im Tonleben er-
gründen konnte, wie einst dem Jakob Böhm im unabgewandten
Hinblicken auf den Spiegelglanz einer Metallschüssel geistiges Schauen
das Mysterium der Dreieinigkeit — so erzählt er selber — offen-
297
barte. Daher ist in ihm der Fortschritt wesentlich; sein Brief an
Matthisson (S. 121) ist dafür ein ganz aufrichtiger Ausdruck, er schritt
von Jahr zu Jahr, von einem bedeutenden Werk zum andern fort,
und es ist ganz natumothwendig, dass er später (1822) die Musik,
die es nur mit unbestimmten Empfindungen zu thun hat, nicht mehr
anerkennt und das Lob seiner früheren Werke nicht gern hört.
Diese Energie seines Charakters erweiset sich aber nach jeder
Seite des Gemüthslebens hin gleichermassen. Man hat eine Zeit-
lang (und häufig noch jetzt) geliebt , ihn mit Jean Paul zu ver-
gleichen, weil man jene Ueberschwenglichkeit des Gefühls, die Jean
Paul hervorkünstelte, in Beethoven wiederfand. Hieran ist nur das
wahr, dass Beethoven, wenn er sich einer jener innigem Stimmungen
überliess, mit der ganzen Kraft und Fülle seiner Seele auf sie ein-
ging und sie aus dem Tiefsten und Vollsten einflösste. Dies war
die Energie des innigen Gefühls; die Energie tiefen Schauens und
Schaffens ganzer Seelenerlebnisse schloss sich an, die Energie freu-
digster Thatkraft und Herrschaft haben wir bereits in seinen Sym-
phonien kennen gelernt.
Vielleicht giebt es kein Werk, das beide Energien so sicher
anschaulich vor die Augen stellt, wie die
Sonata per ii Pianoforte ed un Violino obligato, A dur,
Op. 47, (C. V, 114),
scritta, wie Beethoven zusetzt, in un stilo molto concertante, quasi
come d'un Concerto. Das Tonstück aus dem Jahre 1803, (erst am
Tage der ersten Aufführung vollendet und ursprünghch für einen
englischen Virtuosen, den Mulatten Bridgetower geschrieben) ist
dem berühmten Geiger Rudolf Kreuzer gewidmet; konzertirend ist
es genannt, weil beide Instrumente wetteifernd in ihm auftreten,
nicht wetteifernd in virtuosischen Künsten, sondern im reichen
Ausdruck ihres Wesens.
In der Zeit des Erscheinens muss gleichwohl der Anspruch an
die Virtuosität ebenfalls hochgespannt oder überspannt befunden
worden sein. Man fühlt dergleichen aus der Kritik der allg. mus.
Zeitung von 1805 heraus, wo es heisst: „Man muss von einer Art
artistischem Terrorismus befangen oder ftlr Beethoven bis zur Ver-
blendung gewonnen sein, wenn man hier nicht einen Belag findet,
dass Beethoven sich seit einiger Zeit*) nun einmal capricire, vor
allen Dingen immer ganz anders zu sein, wie andere Leute. Für
zwei Virtuosen, denen nichts mehr schwer ist, die dabei so viel
*) Etwa seit der Eroica?
298
Geist und Kenntnisse besitzen, dass sie, wenn die Uebung hinzu-
käme, allenfalls selbst dergleichen Werke schreiben könnten*), ist
diese Sonate. Ein effektvolles Presto, ein originelles schönes An-
dante mit höchst wunderlichen Variationen, dann wieder ein Presto,
der bizarreste Satz, in einer Stunde vorzutragen, wo man auch
das Groteskeste geniessen kann und mag." — Wir vermögen kaum,
uns auf diesen Gesichtspunkt zurückzuversetzen, von dem vor nun-
mehr bald einem Jahrhundert über Beethoven Gericht gehalten
wurde; doch ist es gut, bisweilen an dergleichen zu erinnern und
des früher Ausgeführten dabei zu gedenken.
Das Werk eröffnet sich mit einem Adagio sostenuto. Die
Geige tritt allein auf,
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sie will kühn sich selbst genügen, das Pianoforte folgt in Moll, es
spricht sich in beiden gleichsam ein nobler Entschluss, wie Waffen-
brüder edel erregt, in leidenschaftlichem Ringen sich frei zu machen,
in das Freie, Weite hinauszudringen. Dem Schluss der Einleitung
in D moll auf d— f— a dringt der strebsame Hauptsatz des Presto
in A moll nach,
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der emporklimmt und so freudig kühn hinüberblickt in das tag-
helle Cdur. Schmerzlich dringend kämpft sich der Satz in den
Hauptton wieder hinein und durch ihn hindurch auf die Dominante
(H dur) von E dur. Da is es, wo, im Seitensatze,
*) Der wackre Orgaaist Kübnau in Berlin meinte, als man Mendelssohn
Dachriibmte, er spiele Alles aus dem Kopfe: „Das ist keine Kunst! das kOnnt
ich auch, wenn ich nicht immer Alles vergässe." — Buchstäblich wahr.
299
•o- :^ -w- f.«- TT -o- .W 1fe- p^ f^
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das Paar auf seiner Einger- und Wandorbahn rulit, etwas ermattet,
und doch erwärmt, beseligt.
Jenes Durchkämpfen, hier bei A
wiederholt am Piano und weitergeführt, kehrt (B) wieder und ringt
sich in breiten Würfen nach E moU zu einem zweiten Seitensatze ;
da nichts mehr von Rast, nichts als sieghaftes, wenn auch noch nicht
klares und sonnbeleuchtetes Vordringen. Der ganze Verlauf des
Presto ist ein psychologisch klar entwickelter, upter Beethovens
leitender Hand leicht verständlicher Hergang.
Das Thema des Andante con Variazioni ist einer von jenen An-
dachtgesängen, die nur Beethoven eingegeben wurden, in denen die
Seele ruht, erlöst von aller Müh' und Spannung, kaum noch der
Schmerzen gedenkend. Jungfräulich still und ernst, angehaucht
von unsterblichen Erinnerungen, wallt der Gedanke Seligen gleich,
• •
mit zögerndem Schritt in Ehrfurcht versinkend und wieder empor
sich sehnend. Wir werden dem priesterlich erhabenen Bruder dieses
Andante später, im Trio Bdur, Op. 97 (C. V. 169), begegnen. —
Die Variationen, fein gefühlte und treu festgehaltene Figurationen,
300
beweisen mit all ihrem reizvollen Inhalte nur, dass nach dem Thema
und über das Thema nichts mehr zu sagen gewesen ist
Den Scliluss macht ein Presto, A dur, Vs,*) das heiter bis zum
Muthwillen, frisch und kühn, den Lebenslauf durch Hell und Trüb
hinaustanzt. — So, wie die ganze Sonate erzählt, mag sich Beetho-
ven in Jüngern Jahren oft geträumt haben, die grosse, stets beab-
sichtigte Künstlerfahrt mit einem herzlieben Kunstgenossen als
Waffengefährten vereint zu vollflihren; dessen hat er sich vielleicht
bei dem Geiger Kreuzer erinnert. Ob der es verstanden? gleichviel!
hier wallen zwei Brüder in der Kunst, Piano und Geige, die schöne
Wanderfahrt hinaus; nie sind sie nach Rüstigkeit und Innigkeit
sprechender gezeichnet worden.
In dem Grundzug des Beethovenschen Charakters, in der Energie,
mit der er seine Aufgabe fasst und durchführt, liegt endUch auch
seine Formfestigkeit begründet. Man muss diesen Regriff nur
nicht nach Art der Dilettanten und der Techniker alten Schlages
falsch auffassen. Die Formfestigkeit, wir kommen im Anhang dar-
auf zurück, ist weder Unterwerfung unter fremde Vorschrift, noch
Beschränkung auf irgend eine Reihe gegebner Formen. Sie ist Folge
und Ausdruck kräftiger und klarer Auffassung des Vorzustellenden,
sie ist in zusammengesetztem Werken Bedingung und Zeugniss eines
cinheitvoUen , psy chologisch-nothwendigen Hergangs; In dieser
wahrhaften Bedeutung des Ausdrucks muss Beethoven neben Bach
der formfesteste Tonsetzer genannt w^erden.
Es giebt daftir und gegen das zweideutige Lob, Beethoven sei
der phantasiievollste oder gar phantastischste Komponist — in dem
Sinne nämlich, der in der Phantasie nicht sowohl die schöpferische,
als die frei umherschweifende Thätigkeit des Geistes fasst, die gleich-
sam unentschlossen und richtungslos auf Schmetterlingsflügeln dahin
und dorthin, vollkommen unberechenbar, schwebt, einen schlagenden
Beweis. Gerade jene Richtung ist niemals wesentlicher Inhalt einer
Beethovenschen Schöpfung geworden. Von Mozart besitzen wir zwei
solche , die spiel- und feuervolle Fantasie zur C dur-Fuge und die
*) Es gehörte, wie Ries erzählt, ursprünglich zu der ersten Sonate (Op. 30)
in A dur mit Yiolin, die dem Kaiser Alexander gewidmet worden. Beethoven
setzte an dessen Stelle, da es für diese Sonate doch zu glftnzend sei, die Va-
riationen, die sich jetzt dabei befinden. Bestätigt wird diese Mittheilung durch
das Skizzenbuch 1801/1S02, in welchem sich mehrfach in unmittelbarer Nähe
von Entwürfen, aus welchem die A dui^Sonate op. 30 entstanden ist, Ansätze
zum letzten Satze der Sonate op. 47 finden.
801
grosse C moll-Pantasie mit der Sonate; von Bach besitzen wir neben
kleinem, allenfalls hierher zu rechnenden Werken die chromatische
Fantasie. Von Beethoven kann nur die
Fantasie für Pianoforte Op, 77 (C. V. 152)
aus dem Jahr 1809 hierher gerechnet werden, (die Fantasie mit
Orchester und Chor gehört anderswohin und kommt später in Er-
wägung) und eben sie beweist, ungeachtet sie viel Anziehendes enthält,
dass nicht losgebunden umhersuchende Fantasie, sondern Vertiefung
der Hang seiner männlich-ernsten und durchgebildet starken
Natur war.
Die Verkennung dieser bei Beethoven hervorstechenden Eigen-
schaft, der Formfestigkeit, hat theils darin ihren Ursprung, dass man
ihr Wesen missverstand und sie in dem buchstäblichen Festhalten
der vorhandenen Formen zu finden meinte, theils darin, dass die
grössern Verhältnisse, in denen Beethoven sich bewegte, dem Blick
ungewohnt und unmessbar erschienen. Allein gerade da, wo das
Missverstehn entstanden, ist die Verständigung am sichersten an-
zuknüpfen.
Es findet sich nämlich, dass die Gestaltungen Beethovens nicht
blos stets der jedesmaligen Aufgabe gemäss oder vielmehr noth wendig
sind, sondern dass sie sich auch Schritt für Schritt den voraufge-
gangenen Gestaltungen der Vorgänger oder Beethovens anschliessen.
Er ist vorwärts gegangen, nirgends abgesprungen.
Wenn Lenz mit einem emphatischen, der Cäsarenzeit entwachse-
nen „Princeps legibus solutus!" die Fahne der Emanzipation über
ihn schwingt und dies Ereigniss an die vermeintliche zweite Styl-
Periode knüpft: so muss ihm und denen, die vor und mit ihm die
„Befreiung von der Form" gefeiert, geantwortet werden, dass Beet-
hoven nicht gekommen war, die Form, das Vemunftgesetz, zu lösen,
sondern zu erfUllen, in dem wahren Sinne dieses unsterblichen Wor-
tes, dass er den Formgedanken immer weiter verfolgt und zu wei-
tern, reichern, höhern Ergebnissen flihrt, und dass sich dies nicht an
irgend einen Zeitpunkt oder Zeitabschnitt knüpfen lässt, sondei'n vom
ersten bis zum letzten Werke stattfindet. Wenn seine ersten Werke
gleichwohl denen der Vorgänger enger anschliessen, so ist das eben
der erste Beweis flir unsre Ansicht; er begann auf dem Standpunkte
jener Meister und hatte keinen Grund und Antrieb, anders als sie
zu gestalten. Wo ein solcher Antrieb erwachte, gab er ihm vom
Anfang an Folge.
Nur zwei Nachweise.
302
Das Scherzo, an der Stelle der Haydn-Mozartschen Menuett,
wird als Beethovensche Schöpfung bezeichnet — und ist vor AUeni
desswegen so zu nennen, weil die früheren Komponisten wohl das
Wort scherzando, auch scherzoso als Charakterbezeichnung, nicht
aber das Wort Scherzo als Gattungsnamen gebrauchen. Ist
nun diese neue Form etwa in einer zweiten Periode, etwa von
Op. 20 bis 100 hervorgetreten? Keineswegs; wir. finden es schon
in den ersten Werken, Op. 1, 6, 10, 18 und schon in dem Jugend-
werke von 1786, „dem höchsten Versuch in freier Schreibart"
(S. 64), während sich gleichzeitig und später auch die Menuett noch
findet, z. B. Op. 2, 10, 22, 31, im Septuor Op. 20 gleichzeitig mit
dem Scherzo. Oder ist die Form des Scherzo von Anfang an als
neuer Gattungsbegriff charakterisirt? Auch das lässt sich nicht
behaupten. Anfangs ist das Wort nur Bezeichnung eines muntern
Satzes, der nicht Menuett ist. Beethoven bedurfte der erheiternden
Episode, für die Haydn und Mozart fast ausschliesslich die Menuett
gebraucht. Schon bei dem letztem weicht bisweilen der Menuett
genannte Satz vom Menuett-Charakter bezeichnend ab; dieHaydnsche
Menuett hat ihn angeregt, kann ilm aber nicht fesseln, weil er eben
ein Andrer ist. Hier tritt Beethoven an; aber der rastlose Fort-
schrittstrieb, der ihn das ganze Leben hindurch bewegt, fQhrt ihn
Schritt für Schritt weiter, und das Scherzo, das in der Gdur-
Sonate Op. 14 seinen Namen dem schalkhaften Finale leihen muss,
wird allgemach Schritt für Schritt zur Humoreske, zum Ab-
bild und Ausdruck der Entfremdung, die der unveränder-
ten Welt gegenüber ein ihr entwachsenes Gemüth ergreift,
zu einem ganz selbständigen, in sich selber berechtigten Lebensakte.
Die Zusammenstellung verschiedner Sätze zu einem grössern
Ganzen erfolgte bei den Vorgängern so, dass in der Regel drei Sätze
für die Sonate, vier Sätze für Symphonie, Quatuor u. s. w. ver-
wendet wurden. Hier knüpft Beethoven an. Seine Trios Op. 1
und Quartette Op. 18, sein Quintett Op. 29, seine Symphonien
Op. 21, 36, 55 zeigen die Vierzahl der Sätze. Wenn er dieselbe,
abweichend von den Vorgängern, auch auf die Mehrzahl der Sonaten
anwendet, so spricht sich darin das uns schon Bekannte aus, dass
ihm die Sonate gewichtiger, gehaltvoller geworden war; an sich
selber ist der Formfortschritt, Uebertragung der Vierzahl von einigen
Gattungen auf eine nächstverwandte fast gleiche, nicht erheblich.
Er wird auch nicht einmal festgehalten; in der grossen Sonate
Op. 47 genügen drei Sätze, für den Inhalt wäre Menuett oder Scherzo
303
lächerlich gewesen. Im Septuor Oß. 20, in der Pastoral-Symphonie
Op. 68 geht nun Beethoven über die Vierzahl hinaus : er thut damit
nicht mehr, als die Vorgänger in ihren Kassationen, Serenaten u. s. w.
auch gethan, im Septuor gleich ihnen aus blosser Musiklust, in der
Pastoral-Symphonie nach Erfordern des Gegenstandes. Anderwärts
findet er sich bewogen, unter der Dreizahl zu bleiben, wenn näm-
lich die Aufgabe nicht mehr Sätze forderte oder ertrug. So war die
Sonate Op. 54 mit zwei lebhaften Sätzen begütigt ; was hätte sie mit
einem Adagio anfangen sollen? so fand sich Beethoven bewogen,
das Adagio der dur- Sonate Op. 53 zurückzunehmen und durch ein
blosses Einleitungs- Adagio zu ersetzen. Kurz, jede Gestaltung in
jeder Periode seines Wirkens ist rein sachgemäss, nirgends her-
kömmlich, nirgends neuerungssüchtig. Damit erweist sich
Beethoven als Künstler.
Gedenken wir am Ende dieser Rück- und Umschau eines un-
vergesslichen Werkes aus dieser Zeit, der
Sech8 g6i8tlich6n Lieder von Geliert, (C. V. 122),
die als Op. 48 Ende 1803 entstanden und herausgegeben worden sind.
Wir haben uns erzählen lassen, dass Haydn den Beethoven
einen AtheYsten gescholten. Das war er nicht; vielleicht ist über-
haupt kein Dichter ohne den Gedanken der lebendigen und ver-
nünftigen Einheit des Weltalls möglich und ohne den Trieb, sich
dieses AU-Leben und diese All- Vernunft in einem einigen Gott oder
mehrern Göttern zu personifiziren. Von Beethoven ist dies urkund-
lich erwiesen. Er hatte zwei Aufschriften am Tempel der Göttin
Neith aus Champollions „Gemälde von Aegypten" eigenhändig ab-
geschrieben, in Eabmen fassen lassen und lange Jahre stets auf
seinem Schreibtische vor sich stöhn. Sie lauten:
I.
Ich bin, was da ist. Ich bin Alles, was ist, was war und
was sein wird, kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier
aufgehoben.
II.
Er ist einzig von ihm selbst, und diesem Einzigen sind alle
Dinge ihr Dasein schuldig,
und galten ihm für den Inbegriff der höchsten und reinsten Religion.*)
*) Er, der trotz aller ia Leben und Schaffen bewiesener Religiosität doch
sein Seelenheil nicht an den Bachstaben des kirchlichen Bogmas hing, war
natürlich für jeden wahrhaften Aasdruck des Qottesbewasstseind empfänglich
304
Ihm war diese Sclirift ein theufer Schatz, Schindler bewahrte sie
als Reliquie seines unsterblichen Freundes.
In dem Sinne dieser seiner Glaubensstellung hat nun Beet-
hoven die Gellertschen Gesänge in Frömmigkeit und wahrer An-
dacht aus einfältigem Herzen gesungen, so treu und ganz ihnen hin-
gegeben, dass sie neben aUem Aeltern und Neuern fortleben werden,
so lange Gemüth und Lippen sich unschuldvoller Frömmigkeit öffnen.
Die Begleitung erinnert oft an sanften Orgelklang, der den ehe-
maligen Organisten vom verlassenen Positiv in der Bonner Hof-
kirche her umschwebt haben mag: auch hier hatt' er „das Amt zu
celebriren", aber nach freiem Herzensdrang. • Die Singstünme —
dies sei für künftige Erinnerungen angemerkt — ist, wie in Adelaide
und andern Werken dieser Zeit, durchaus wohl behandelt; selbst
jenes e, das im ersten Liede sechs Takte lang feststeht im innig
vertieften Hinschaun auf den, der „meine Burg, mein Fels, mein
Hort" ist, muss damals bei der tiefem Stimmung nicht so bedenk-
lich gewesen sein wie jetzt, wo es in den Stimmbruch der meisten
Sänger fällt. Der Gesang, Wort und Ton, ist wohl und durchaus
treffend auf den Sinn der Gedichte hingerichtet.
Das erste Lied, „Bitten — denn ich will vor dir beten", ertönt
feierlich und mit Andacht über dem stillgehenden Basse. Das zweite,
..NächstenUebe*' ist lehrhaft ereifert und dabei von Lieb' und Sanft-
muth ganz durchdrungen. Von tiefster Bedeutung ist der dritte Ge-
sang „vom Tode" (Fis moll), eines der Nachtgemälde, für das nur
welchem Volk oder welcher Zeit aach die konkrete FassuDg durch das Wort
entstammen mochte. In dem Tagebache von 1811 — 1S18 findet sich eine Stelle
ans der indischen Literatur notirt: «Gott ist immateriell; da er ansichtbar ist,
so kann er keine Gestalt haben. Aber aus dem, was wir von seinen Werken
gewahr werden, können wir schliessen, dass er ewig, allmächtig, allwissend und
allgegenwärtig ist. Was frei von aller Lust und Begier, das ist der Mächtige.
Er allein — kein j;rösserer ist als er.^' Hat er dies für sich abgeschrieben,
weil er die ihm zur Ucberzeugung gewordene Einheit von Sittlichkeit und
Gotter füll thcit darin bezeugt fand, so hat er sicher mit Begeisterung in einem
Konversationshefte verzeichnet: .,Das moralische Gesetz in uns und der gestirnte
Himmel über uns. Kant!!!" Schindler hat gewiss Recht, wenn er von ihm
urtheilt, dass er, „ohne eine gemachte Theorie vor Augen zu haben, doch Gott
in der Welt, wie auch die Welt in Gott" erkannt hat. Daher entsprechen seinem
Gemüthsleben besonders „Christian Sturms Betrachtungen der Werke Gottes in
der Natur", ein Buch, das er viele Jahre lang als eine Art Hauspostille ge-
brauchte, um aus ihm in bedrängten Lagen Trost zu schöpfen, cf. Kalischer
„Beethoven als religiöser Mensch" in Nr. 24 u. 25 der Sonntagsbeilage der
Vossischen Zeitung 1888.
j
305
Beethovens Palette die Farben bot. Viel heisse Angst brütet hier,
Hochaufschrecken bei dem Gedanken; „Was ist's, das ich vielleicht
noch zu leben habe?" Gespensterhaft tritt das „Denk', o Mensch,
an deinen Tod!" hinein; zuletzt schwingt in dumpfhallender Tiefe
die Sterbeglocke. Man kennt Beethoven nicht vollständig ohne
diesen Gesang der. Zerknirschung.
Schwungvoll wird der Hymnus „Die Himmel rühmen des
Ewigen Ehre" gesungen; stillbrütender Tief klang, als wenn das
Meer der Ewigkeit rauschte, trägt die Fi-age: „Wer zählt der Himmel
unzählbare Sterne?" Der fünfte Gesang redet im Eifer Davidischer
Psalmen von Gottes Macht und Vorsehung. Das sechste Lied ist
eher Kirchenkantate flir häusliche Andacht zu nennen. Der erste
Vers, „An dir allein hab' ich gesündigt", reuig, sanft, eindringlich
Flehn um Gnade, bildet gewissermassen die Einleitung. Die folgenden
Verse werden durch ein Vorspiel, wie von Violoncellcn, Bässen^
Fagotten, eingeführt und durchweg figural, kirchenmässig unter Bei-
behaltung der fromm -freudigen Melodie begleitet, Vers 1 („Früh
wolFst du mich mit deiner Gnade füllen") mit schmeichelnder Ober-
stimme, wie man Violinen zu führen liebt, und stützendem Basse;
Vers 2 („Lass deinen Weg mich freudig wallen") mit schwung-
voller und regsamer Oberstimme und muthigem hörnerartigem Unter-
satz; Vers 3. („Herr, eile du, mir beizustehn") mit strömenden
Bässen, die von den Violinen gesänftigt, in freudiger Bestätigung
abgelöst werden.
"Wie viel Tausende haben sich schon an diesen Gesängen er-
baut! und wie Viele werden es noch!
Leonore.*)
Und nun sollte der sehnlichste Wunsch jedes Musikers auch
ihm in Erfüllung gehn, eine Oper sollt* er schreiben. Was regt
sich nicht Alles im Komponisten bei diesem Worte! Welche Aus-
sichten, Vorsätze, Pläne! Schaffen aus der Fülle, Gesang aller
Art! Chöre! das weiteste Orchester! alle Gattungen vom Lied bis zum
reichgewebten Finale! Lust, Tanz, Andacht, Liebe, Trauer, alle
♦) cf. GhroDol. Yerseicfamss Nr, 130 (a, b, c, d) und Nr. 187.
Marx, BeethOTen. L 20
806
Stimmungen und Leidenschaften, — die ganze Welt im Glänze neuer
Schöpfung funkelt vor dem innern Auge! Alles, was man nur in
sich fühlt und innerlich geschaut und geahnt hat, soll Gestalt ge-
winnen, soll Leben, Person und Handlung werden und mit der Macht
vollen hör- und schaubaren Lebens, in greifbarer "Wirklichkeit vor
diese versammelten Tausende treten und ihr Gemüth wecken, ihre
Seele läutern und erweiten und erheben, und auf den Schöpfer des
glücklichen Werks zurückströmen im Glänze des Ruhms — Er-
•
leichterung und Bürgschaft für eine weite Laufbahn voll Thaten,
die in sich selber schon lohnende Beglückungen sind.
Welcher Musiker hat nicht diesen Traum geträumt! Wie vielen
ist es nur Traum geblieben, wie vielen hat sich der Erfolg anders
erwiesen, als sie ihn sich vorgestellt! Auch Beethoven sollte da-
von zu erfahren haben.
Es ist aber, ehe man sich dem Betrachten solcher Unter-
nehmungen und ihres Erfolgs hingiebt, Erwägung des Verhaltens
der Unternehmenden w^ohl zu empfehlen, damit man durch den
Ausgang nicht allzusehr befremdet werde.
Wie gehn denn die meisten Musiker an ein solches, nach allen
Seiten hin wichtiges unternehmen? — In der That folgen sie nur
jenen allgemeinen Antrieben. Zur Verwirklichung bringen sie ihr
Talent, ihr Geschick, den redlichsten Willen, mit einem Worte: den
ganzen Musiker mit — und nicht mehr. Nun ist aber eine Oper
nicht blos Musik; sie ist Drama in Musik, sie bedarf zur Ver-
wirklichung ihres dramatischen Inhalts der Scene. Und um diese
beiden Momente, deren einer, das Drama, die Musik selber bedingt,
deren andrer, die Scene, Schritt für Schritt beachtet und bemessen
sein will, — wie viele von den Hunderten deutscher Opernkompo-
nisten* hat sich ernstlich um sie bemüht?
Der hierin als höchstes Muster dastand in Beethovens Zeit
und heute noch dasteht, eiuigermassen noch sein Zeitgenosse, das
war Gluck. Allein wir haben schon (S. 62) bemerken müssen,
dass gerade er ohne allen Einfluss auf Beethoven geblieben. Die
Kompositionen weisen nirgends auf einen solchen hin, während sie
wenigstens auf Verwandtschaft mit Bach, Haydn, Mozart, vielleicht
auch Händel hindeuten. Was auch sollte die beiden Männer zu-
sammenbringen, von denen der eine seine Musik gern an Wort und
Handlung dahingab, während dem andern das ganze Leben in
Musik aufging.
Vielleicht aber bedurfte Beethoven keines Leiters und keines
30?
Vorbilds; hatte er sich doch mit den grossen Dramatikern, mit
Schiller und Goethe und vor allen Shakespeare bekannt gemacht
und die Alten, auch den Aristoteles gelesen! Es war aber auch
hier zu beobachten, dass Tausende vorzüglicher Menschen Kunst-
und Dichterwerke geniessen, tief auf ihr Gemtith einwirken lassen,
während unter Tausenden kaum Einer dadurch in der Erkenntniss
vom Bau und Wesen jener Werke gefördert wird. Auch ist der
Weg von jenen Dichtem zur Oper sehr weit. Gluck selber war
nicht aus sich allein und auf den ersten Wurf zu seiner Oper ge-
langt; er hatte sich vom Standpunkte der italienischen Oper aus
in deutlich erkennbaren Portschritten und zuletzt unter dem Ein-
flüsse französischer Dramaturgie und Poesie zu seiner aulidischen
Iphigenie emporgearbeitet. Da stand er auf einsamer Höh; seine
Idee hatte zunächst nur mittelmässige Nachfolger, unter ihnen
Anton Schweitzer, in Prankreich Nicolas M6hul, später in weit
höherer Begabung den Napoleoniden Spontini, in Deutschland später
Bernhard Klein und zuletzt mit ausgeprägterer Eigenthümlichkeit
Richard Wagner.
Beethoven konnte sich Gluck, an dem jede Paser ihm fremd
war — bis auf die schlagfertige Thatkraft des Rhythmus vielleicht
— nicht anschliessen, noch fand er in sich selber reformatorischen
Trieb flir die Oper. Er trat an Mozarts Seite. Wir haben erzählt,
dass er M6huls und Cherubini's Opern, besonders die letztern, in
der Zeit seiner Opernkomposition mit grosser Aufmerksamkeit ge-
hört und von Cherubini viel gehalten. Indess in Cherubini, der
überhaupt in den GiTindzügen seines Schaflens nicht eigentlich
original war, sondern sich bald der italischen, bald der französischen»
bald der deutschen Richtung anschloss, konnte er nichts finden,
was er nicht vollendeter und besonders ihm verwandter und an-
sprechender in Mozart gefunden hätte. Der Deutsche trat zum
Deutschen, das ist naturgemäss; seine Oper zeugt überall dafür,
sie ist durchaus deutschen Gemüths, hat alle Kraft und auch die
Schwächen deutscher Opemart, nichts von der italienisch-französisch-
deutschen Paktur Cherubini's, von seiner Glätte und anfröstebiden
Kälte.
Gleichwohl waren die äusseren Umstände, welche Beethoven
zur Opemkomposition führten, dazu angethan, ihn, wenn er über-
haupt lähig gewesen wäre, vom Kunstideale abliegende Gesichts-
punkte in sein Schaffen aufzunehmen, in eine Art von Rivalität und
Konkurrenz mit Cherubini hineinzutreiben. Der Dramatiker bedarf
20»
308
der Bühne, wenn er seine SchiJpfungen in das blühende Leben über-
führen will, diejenigen aber, welche an der Spitze eines solchen
Kunstinstitutes stehen, fassen ihre Aufgabe oft mehr von der ge-
schäftlichen als der künstlerischen Seite auf. (.'herubini's Opern
dienten in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts den Leitern der
beiden Haupttheater Wiens als Mittel, einander beim Publikum den
Vorrang streitig zu machen. Denn die Musiker der Kaiserstadt
selbst erwiesen sich damals auf dem Gebiete der Oper wenig er-
giebig. Dalier zog man die Werke der Ausländer herbei. Schi-
kaneder, Besitzer und Direktor des K. K. privilegirten Schauspiel-
hauses an der Wien (auf der Wieden) liess „zur Belebung des
Interesses am musikalischen Drama" am 23. März 1802 Lodoiska
von Cherubini aufrühren, und zwar mit grossem Erfolg. In Folge
dessen studirte Baron Braun, der Leiter des K. K. Hoflheatei's,
den Wasserträger ein. Aber Schikaneder kam ihm zuvor. Denn
am Tage vor der Auffiihining im Hoftheatcr, am 13. August 1802,
liess er die nämliche Oper unter dem Namen Graf Armand in
Scene gehen. Die Eifersucht beider Institute ward natürlich hier-
durch gesteigert. Braun brachte am G.November Medea auf die
Bühne, Schikaneder folgte am 18. Dezember mit dem Bernhards-
berg (Elise). Cherubini selbst ward durch die glänzenden Erfolge
aller dieser Wci*ke bald in Wien der gefeiertste Opernkomponist.
Die allgemeine musikalische Zeitung sprach nicht mehr von einem
gewissen, sondern von dem grossen Chembini. Diese günstige
Situation suchte Braun auszunutzen, indem er nach Paris reiste und
jenen zu einei' Opernkomposition für sein Theater gewann. Schika-
neder seinerseits wandte sich Anfang 1803 an Beethoven, in der
wohlbegründetcn Meinung, dass dieser der rechte Mann sei, auf
dem Gebiete der Oper etwas Epoche Machendes zu schaffen.
Beethoven nahm den Auftrag Schikaneders an, natürlich unbe-
kümmert um jenen direktoralen Wetteifer. Ihn fesselte einzig und
allein die übrigens auch unter günstigeu Bedingungen gebotene
Gelegenheit, in einer Gattung, der er bisher nicht näher getreten,
seine Kräfte zu versuchen. Bald ward auch das Publikum, wahr-
scheinUch durch Schikaneders kluge Fürsorge, von dem ihm dereinst
bevorstehenden Genüsse hterarisch verständigt. Schon am 30. März
1803 berichtet die Leipziger Allg. musik. Zeitung in einem. Endo
Februar aus Wien geschriebenen Briefe, dass Beethoven eine Oper
für das Theater an der Wien komponire! ferner der „Freimüthige",
eine von Kotzebue herausgegebene Zeitschrift, am 17. Mai 1803,
309
dass er daflir nebst freier Wohnung von der Einnahme der 10 ersten
Vorstellungen 10 % erhalten werde; endlich die Zeitung „für die
elegante Welt" vom 2. August 1 803 meldet in einem Wiener Bericht
vom 29. Juni 1803, dass Beethoven ein von Schikancder ge-
dichtetes Libretto in Musik setze.
Welcher Stoff lag ihm vor? Da es sich um einen Schikane-
derschen Text handelte, jedenfalls zunächst nicht Leonore. Im
musikalischen Nachlasse Beethovens fand sich ein von seiner Hand
geschriebenes Gesangstück mit Orchesterbegleitung, das jetzt im
Archive der Gesellschaft für Musikfreunde in Wien aufbewahrt wird.
Aus dem Texte (in Nottebohms Beethoveniana S. 83 ff. abge-
druckt) ergiebt sich folgender Vorgang. Porös (der König?) be-
lauscht mit einem Ungenannten die nächtliche Zusammenkunft seiner
Tochter Volivia mit ihrem Geliebten Sartagones, dem Sohne seines
Todfeindes. Er beschliesst, ermuntert durch seinen Begleiter, einen
Nebenbuhler des Sartagones, die Verbindung zu hindern, andernfalls
die Tochter zu Verstössen. Eben wollen die Liebenden, da der Tag
graut, sich trennen, um am Morgen den Segen des Vaters zu
erbitten, da tritt dieser zornentbrannt zwischen sie. Allem
Flehen bleibt er taub. Erst als der Verlobte in Verzweiflung
sich tödten will, giebt Perus den Widerstand auf, überzeugt von der
Aufrichtigkeit und Energie dieser Liebe. Dieser Vorgang ist
musikalisch in 3 Sätzen dargestellt Den Anfang macht ein rascher
Satz in GmoU, ein Duett zwischen Ponis und dem Ungenannten;
dann folgt ein langsameres Duett in E dur zwischen den Liebenden,
endlich ein mehr recitativisches Stück, an dem alle 4 Personen
betheiligt sind, es bringt die dramatische Entscheidung. Den Scliluss
bildet ein vierter Satz, ein weit ausgeführtes Terzett in Gdur, in
dem die Liebenden unter den Segnungen des Perus sich ihrer Freude
hingeben und einander ewige Treue schwören. Dieses Terzett, mit den
Worten „Nie war ich so froh wie heute, niemals fühlt' ich diese
Freude" beginnend, stimmt im Wesentlichen, im Hauptthema und
zum Theil auch in der Begleitung, mit der ersten Gestalt des Duetts
zwischen Loonore und Florestan „0 namenlose Freude" überein.
Da nicht anzunehmen ist, dass Beethoven für dieses Terzett seine
vollendete und bekannt gewordene Oper geplündert hat, so muss das-
selbe fi-üher als Fidelio komponirt sein, und es ergiebt sich zwanglos,
dass dieses Gesangstückuns als einziger Rest der Opernarbeit vom Jahre
1803 gebliel)en ist. Skizzirt ist es unter allen Umständen in diesem
310
letztgenannten Jahre. Dies folgt aus dem von Nottebolim heraus-
gegebenen Skizzenbuch vom Jahre 1803, welches wir schon wieder-
holt, namentlich bei Besprechung der Eroica erwähnt haben. In
diesem Buche finden sich S. 96 - 120 Vorarbeiten zu jenem Gesang-
stück, ausserdem zu einer, wie es scheint, nicht über die Skizzirung
hinausgekommenen Arie, die sich zweifellos an dasselbe anschliessen
sollte. Der ungenannte Nebenbuhler beschwört die Rachegötter um
Vergeltung flir seine Niederlage und giebt sich dafür in ihren Dienst.
Da mit dieser Wendung dem Schicksale der Liebenden noch eine
längere und gefahrvolle Prüfungszeit vorgezeichnet wird, so nehmen
wir an, dass die hier besprochenen Piecen den ersten Theil der
unfertig gebliebenen Oper bilden sollten, wenngleich auch denkbar
ist, dass diese Liebesscenen nur als Episoden einem grösseren Ganzen,
vielleicht einer Oper „Alexander" angehören sollten. Darüber lassen
sich nur Vermuthungen aufstellen, auch das ist nicht völlig sicher, ob
der Text zu dieser liegen gebliebenen Oper von Schikaneder verfasst
war. Zum Glück ist die Frage nicht von Wichtigkeit Das Ent-
scheidende ist, dass Beethovens Vorhaben diesmal nicht zur Verwirk-
lichung gelangte. Fast scheint es, als hätten Beethoven innere Be-
denken gegen den Stoif gehemmt. Allerdings würde dieser ja nicht un-
ergiebig an dramatischen Situationen gewesen sein und besonders,
wenn die Zauberwelt Indiens im Verein mit hellenischer Helden -
haftigkeit dargestellt werden sollte, hinreichend Gelegenheit zu
theatralischen Wirkungen gegeben haben — aber ein Beethoven
wollte auch als Opernkomponist zuvörderst rein persönUch und im
tiefsten Innern ergriflfen sein, ehe seine künstlerischen Kräfte ihr
freies Schallen beginnen konnten. Aehnliche Stoffe wie dieser haben
ihm später nach der Leonore oft genug vorgelegen, aber keiner ver-
mochte ihn dauernd zu fesseln. So wird auch in diesem Falle die
Abneigung gegen einen solchen Text der Grund der bald erfolgten
Zurücklegung der Arbeit gewesen sein. War er doch erst spät und
zögernd ans Werk gegangen. Schon im Juni 1803 im Besitz des
Libretto, war er doch erst am 2. November desselben Jahres, wie
er ausdrücklich in einem Brief an den Maler Macco ausspricht, im Be-
griffe an seiner Oper anzufangen. Zwar war er bis in den Herbst
hinein mit der Vollendung der Eroica beschäftigt, der Hauptarbeit
dieses Sommers — gleichwohl würde er seiner Gewohnheit gemäss,
die durch fast alle vorhandenen Skizzenbücher bezeugt wird, an
mehreren Aufgaben zugleich zu arbeiten, hier abschliessend,
dort vorbereitend, auch inmitten der abschliessenden Thätigkeit an
311
der Symphonie Müsse gefunden haben, an der Oper zu komponiren,
wäre ihm diese Oper überhaupt Herzenssache gewesen.
Aber nicht lange mehr sollte er harren. Das Jahr 1804 er-
löste ihn bald nach seinem Beginne von der höchst wahrscheinlich
unsympathischen Aufgabe und brachte ihm auch den rechten Stoff.
Mitte Februar nämlich erwarb Freiherr von Braun auch das Theater
an der Wien für den Hof. Schikaneder trat aus allen Beziehungen zu
dem Institut und an seiner Stelle ward JosephvonSonnleithnor*)
Regisseur desselben. Beethoven behielt sein. Engagement als Kom-
ponist einer Oper für das Theater,, auch die freie Wohnung in
demselben. Aber jene Wandlung in der Leitung ward für ihn ein
in doppelter Beziehung glückliches Ereigniss, denn einerseits wurde
er von der nur widerwillig aufrecht erhaltenen Verpflichtung gegen
den vorigen Direktor befreit, andrerseits fand er in Sonnleithner
den Dichter, der ihm einen Text verfasste, für dessen wesentlichen
Gehalt er sich erwärmen und begeistern konnte. Ehe Nottebohm,
der flir die Beethoven-Forschung zu früh Verstorbene, diesem Gegen-
stand seine Aufmerksamkeit zuwandte, galt die von Friedrich
Treitschke (Orpheus flir das Jahr 1841 S. 258) herstammende
Ueberlieferung, Joseph Sonnleithner habe Ende 1804 im Auftrage
des Freiherrn von Braun die Besorgung des Leonore-Textbuches für
Beethoven übernommen und dieser habe innerhalb der kurzen Frist
bis zum Sommer 1805 dasselbe komponirt. Nottebohm hat die Un-
richtigkeit der Aussagen Trcitschke's nachgewiesen. Zuvörderst
macht er darauf aufmerksam, dass letzterer flir diese Zeit des
Beethovenschen Schaffens als klassischer Zeuge nicht gelten kann,
a er damals Beethoven persönlich vielleicht nicht einmal kannte,
sicher aber näheren Verkehr mit ihm nicht hatte und überdies schon
als Eegisseur und Dichter der Hofoper den Unternehmungen des
Theaters an der Wien fern stand. Treitschke bringt auch gar keinen
Beweis für seine Behauptungen, und diesen selbst stehen von Augen-
*) Geboren in Wien 1765. Ursprünglich Rechtsbeflissener brachte er es
bis zur Stellung eines Kreis-Kommissärs und K. K. Hof Koncipisten. Aber
künstlerische Beanlagung führte ihn daneben zur Musik, deren Geschichte zu
erforschen und darzustellen er sich vornahm. Zu diesem Zwecke machte er
von 1798 — 1S02 weite Reisen durch das nördliche Europa. Nach seiner Rück-
kehr legte er das gesammelte Material in die Bftnde Forkels, damit dieser es
für seine „Geschichte der Musik in Denkmälern^* benutze. Er selbst wurde
einer der Gründer des Künstler- und Industriekomptoirs in Wien und am
14. 2. 1804 erhielt er die Stellung eines Hoftheater-Sekretärs.
31?
und Ohrenzeugen widersprechende Nachrichten gegenüber, die durch
objektive Thatsachen und Verhältnisse beglaubigt werden.
Eies nämlich, damals Schüler Beethovens und immer in seiner
Nähe, berichtet, dass letzterer, als er am Fidelio komponirte, im
Theater an der Wien wohnte. Nun wohnte Beethoven zwar 1803
und länger im Theatergebäude, spätestens aber vom PrUlyahr 1804
ab im sogenannten rothen Hause in der Aiser vorstadt. Er hatte, wie
Eies ebenfalls angiebt, seine kostenfreie Wohnung, weil sie nach dem
Hofe lag, mit einem Mietslogis vertauscht, das ihm während der
Arbeit Aussicht, Licht und Luft gewährte. Da nun nicht nachge-
wiesen werden kann, dass Beethoven nachträglich wieder in das
Theater zurückgekehrt ist, so muss er vor Frühjahr 1804 mit Fidelio
beschäftigt gewesen sein. Aehnlich berichtet J. von Seyfried, damals
Kapellmeister an jenem Theater. — •
Ferner — in demselben Skizzenbuche, welches die Entwürfe
zu dem oben besprochenen üperfragmente enthält, finden sich auch
Entwürfe zu den 5 ersten Nummern der Oper Fidelio, also zur Arie
Marzellinens, zu dem Duett zwischen ihr und Jacquino, zu dem
später gestrichenen Terzett zwischen beiden und Eocco, dann zu
dem Quartett „Mir ist so wunderbar", endlich zur Arie Eocco's.
Nun ist dies Skizzenbuch, wie sich aus seinem Inhalte ergiebt, unter
keinen Umständen länger als bis in den September 1804 hinein
benutzt worden, höclist wahrscheinlich nur bis in den Frühling.
Aus der Stellung, welche die Leonore-Skizzen in dem Buche ein-
nehmen, ergiebt sich, dass sie höchstens ein Vierteljahr später fallen,
als die zur zurückgelegten Oper. Ist nun, wie oben ausgefllhrt
worden, jene liegen gebliebene Opernscene im November 1803
begonnen worden, so würde Beethoven die erste Hand an
Fidelio im Februar, spätestens im März 1804 gelegt haben,*)
*) Das Skizzenbuch fällt seinem Hauptinhalte nach, der, wie bekannt, der
Eroica zugehört, in das Jahr 1803. Doch reicht der Gebrauch des Baches
einerseits ins Jahr 1S02 zurück, andrerseits greift es in einen guten Theil des
Jahres 1S04 hinein. Es scheint sich an das Skizzenbach von 1801—1802, welches
etwa bis in den Oktober 1802 hinein benutzt wurde, unmittelbar anzuschliessen.
Während dort zwischen Arbeiten zu dem 2. und 4. Satz der zweiten Symphonie
das Thema zu Rule Britannia erscheint, werden hier gleich im Anfange Varia-
tionen dazu entworfen. Wir dürfen also den Spätherbst 1802 als den frühesten
Termin, wo die Benutzung des letzteren Skizzenbuches begonnen bat, ansehen.
Aber auch der späteste ergiebt sich unschwer. , Auf der letzten innern Seite
des Umschlages findet sich der Titel der Violin-Sonate Op. 47 : «Sonata scritta in
un stilo molto concartante.,quasi come d'un Concerto." Am 3. Februar 1804
äi3
ein Ergebnis welches auf das glücklichste übereinstimmt mit Kies'
und Seyftieds Angaben. Natürlich muss er zur selbigen Zeit auch
das Textbuch Sonnleithners schon besessen haben. Das letztere folgt
auch aus einem andern Umstände. Am 3. Oktober 1804 wurde
in Dresden, und zwar, wie die Leipziger Allg. musik. Zeitung vom
wurde die Verlagscefision der Sonate an Simrock unterschrieben. Dieser Titel wird
also nicht viel spftter auf dem Umschlage notirt sein, spätestens aber ist es im
September 1804 geschehen, andernfalls würde, da in diesem Monate die Widmung
an R. Kreutzer erfolgte, auf der Notiz der Zusatz, mit dem die Sonate bei sonst
übereinstimmendem Titel später erschien „Composta e dedicata al suo amico
R. Kreutzer'^ schwerlich fehlen. Eine andere Erscheinung führt mit grösserer
Sicherheit auf den ersten Theil des Jahres als Zeit des Abschlusses unseres
Skizzenbuches zurück. Das Buch zählt 182 Seiten. Innerhalb der letzten
Dekade kommen Skizzen zum Oratorium Christus am Oelberge vor, die einer
theilweisen Umarbeitung von Stellen der bereits fertigen Partitur gelten. Nun
wurde das Oratorium zum dritten Male am 27. März 1804 aufgeführt; es ist
wahrscheinlich, dass diese Umarbeitung in Aussicht dieser Aufführung, und zwar
kurz vorher, unternommen ist.
Umfasst also das Skizzenbuch den Zeitraum zwischen November 1802 und
April 1804, so vertheilen sich die in jenem Buche vorkommenden Skizzirungeu
über den Zeitraum so, dass (wir sehen von kleineren Kompositionen ab) zu-
nächst die Eroica bis tief in den Herbst 1803 hinein gearbeitet (B. 3 des Buches
bis S. 93) und im wesentlichen vollendet wird. Denn wenn uns auch nur sehr
gründliche und weit vorgerückte Detailarbeit, kein fertiges Produkt entgegen
tritt, so erzählt uns doch übereinstimmend mit K. Gzerny ein glaubwürdiger
Landsmann Beethovens, J. Mähler, er habe Beethoven im Herbst 1803 mit
Beendigung der Symphonie beschäftigt gefunden und das Finale von ihm spielen
gehört. Wenn wir an einer früheren Stelle (S. 247) als Monat des Abschlusses
den Mai 1804 bezeichneten, so ist einerseits an den Anfang dieses Monats zu
denken, da Napoleon am 18. Mai Kaiser wurde, anderseits muss man das Wort
Abschluss in dem Sinne der endgültigen FeststeUung jeder einzelnen Partitur-
steile verstehen. — Auf die Eroica-Skizzen folgten dann fast unmittelbar die
Vorarbeiten zur liegen gebliebenen Oper (S. 'J6— 120), dann auf den nächsten
26 Seiten Vorarbeiten zur Gdur-Sonate Op. 53, endlich auf S. 14G-167 die
Leonoren-Entwurfe. War der erste Opern versuch im November 1803, wie wir
früher gesehen, gemacht, so föUt der zweite glücklichere seinem Anfange nach
wenige Monate später, also in den Februar, spätestens März 1804. Uebrigens
finden sich mitten zwischen den Arbeiten zur Leonore ausser einer ziemlichen
Anzahl kleiner Ansätze zu unausgeführt gebliebenen Musikstücken einige Takte
des Klavierkonzerts in 6 dur, Entwürfe zum dritten Satz der G moli- Symphonie
und zu vielem Andern: ein Beweis, dass die Arbeit zur Leonore damals keine
sehr dringende war und dass die Zeit noch nicht gekommen, wo er der Oper
seine Kraft vorzugsweise widmete. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass
diese Skizzen einer viel früheren Zeit angehören als derjenigen, in welche Treitschke
41e Entstehung des Textbuches und den Beginn der Arbeit Beethovens setzte.
314
24. Oktober verbreitet, unter grossem Beifall PaersLeonore auf-
geführt, eine Oper nicht blos gleichen Namens, sondern auch gleichen
Stoffes und inhaltlich gleichen Textes. Das italienische Libretto der
letzteren war wie das deutsche des Sonnleithner verfasst nach einem
schon mehrere Jahre früher entstandenen und in Musik gesetzten
französischen Textbuche. Nun waren in jenen Jahren Paers
Opern in Wien allgemein beliebt, eine Inscenirung seiner Leonore
wäre also dem Wunsche des Publikums zweifeUos entsprechend ge-
wesen. In Erwägung dessen ist es nicht glaublich, dass die Direk-
tion des Wiener Hoftheaters, die sicherlich bei der Wahl des Stoffes
eine mitentscheidende Stimme hatte, noch Ende 1804 den Muth
gehabt haben sollte, Beethoven, einen im Opernfache doch noch nicht
erprobten Komponisten, mit der musikalischen Illustration desselben
Textes zu betrauen, vergessend, dass Paers Leonore ihren Weg
ebenso gut nach Wien finden würde, wie alle anderen Opern desselben.
Es wäre von vornherein ein bedenkliches Unternehmen gewesen,
denselben Stoff konkurrirend bearbeiten zu lassen. Im Gegentheil,
die Direktion sowohl, wie Sonnleithner und Beethoven selbst werden
keine Ahnung gehabt haben, dass ihnen, noch ehe des letzteren
Werk vollendet sein konnte, eine Konkurrenz durch Paer entstehen
würde. Mithin können wir die Zeit, wo dies Sujet flir Beethoven
gewählt wurde, nicht nahe genug an den Anfang des Jahres 1804
gerückt denken, und auch diese Erwägung ergiebt, dass Beethovens
Oper schon vor dem Frühling 1804 im Entstehen begriffen war.
So übernahm Beethoven den Leonore-Text arglos und unbefangen
und ging „rtistig, mit Lust und Liebe", wie Seyfried schreibt, ans
Werk. Möglich, dass die Arbeit während des Sommers 1804 noch weit
von der endgültigen Gestalt entfernt blieb, welche später hervortrat,
jedenfalls aber entstammt der Plan des Ganzen und die musikalische
Erfindung dieser frühen Zeit, auch wird die Ausführung der Entwürfe
so weit gefördert sein, dass nach dem Bekanntwerden der Paerschen
Oper an ein Zurücklegen nicht mehr zu denken war. Nun einmal
gegen Wissen und Willen in den Wettkampf hinoingerathen, fürchtete
natürlich ein Beethoven bei der Eigenartigkeit seiner künstlerischen
Eichtung, bei der Selbständigkeit seines rein sachlichen Standpunktes,
seinen Vorgänger nicht. Im Jahre 1805, während der Sommer-
frische in Hetzendorf, legte er die, wie er damals glaubte, letzte
Hand an das Werk und kam gegen Ende der Saison mit der fertigen
Partitur nach Wien zurück. Wenn man erwägt, dass schon am
20. November die erste Aufführung erfolgte, dass das Ausschreiben
815
der Rollen, das Vervielfältigen der Orchesterstimmen, vor allem
das Einstudiren und die Proben wenigstens einen Monat erforderten,
so muss man sich Beethovens Arbeit an der Oper mit dem An-
fang Oktober spätestens beendet denken. Wir werden sehen, wie
viel Mühe und Nacharbeit ihm das Werk noch kosten sollte! —
Doch es ist hohe Zeit, dass wir von diesen Aeusserlichkeiten
absehen und an das Werk selbst herantreten.
Wie oben erwähnt, hatten Sonnleithner und der Verfasser
des Paerschen Libretto ein französisches Original bearbeitet.
J. N. Bouilly, der Dichter des Libretto „les deux journöes*
(Wasserträger) hatte 1798 ein angeblich spanisches Sujet zu einer
Operette unter dem Titel L^onore ou Tamour conjugal gestaltet,
Pierre Gaveaux, Sänger am Theater Feydeau in Paris, die
Musik dazu geschrieben und noch in demselben Jahre dort aulge-
führt. Die nach der Dichtung von Bouilly für Beethoven und
Paer zurecht gemachten Texte unterscheiden sich, abgesehen da-
von, dass der eine deutsch, der andre italienisch ist, darin unter
einander, dass der Paersche italienische Theatergewohnheiten be-
rücksichtigt und einzelne Partien breiter als der französische
Verfasser ausführt, zum Theil in äusserst geschmackloser Weise,
während Sonnleithner sein Original im wesentlichen nur übersetzt
und nur da selbständig verfährt, wo die Situation Veranlassung
zu wirkungsreichen Musikstücken bietet. In solchen Fällen ver-
wandelt er den französischen Dialog in Arien oder Ensemblestücke.
Zunächst vergegenwärtigen wir uns den Inhalt und Gang der
Handlung.
Florestan, der Gatte Leonorens und Freund des JVIinisters, hat
sich den Tyranneien des Gouverneurs Pizarro widersetzt und An-
klage bei dem Minister gedroht. Pizarro weiss sich seiner zu be-
mächtigen und ihn im Kerker, als angeblichen Staatsgefangenen, in
geheimer Haft verschwinden zu lassen. Die Gattin Leonore be-
schliesst seine Eettung. Es gelingt ihr, als junger Bursch ver-
kleidet, unter dem Namen Fidelio in den Dienst des Kerkermeisters
ßokko zu kommen und dadurch Zutritt zu den Gefängnissen zu
erlangen, in deren einem, sie weiss nicht in welchem, ihr Gatte
schmachtet. Leider erweckt sie in Eokko's Tochter Marzelline
Liebe, in dem bisherigen Freier um dieselbe, Jaquino, Eifersucht
und kann das thörichte Pärchen, will sie nicht ihr Geheimniss und
ihren Plan gefährden, nicht aufklären: der alte Eokko ist der Ver-
bindung des angeblichen Fidelio mit seiner Tochter keineswegs ab-
316
hold. Nun triflt, Allen unerwartet, die Nachricht ein, dass der
Minister unterwegs sei, die Gefängnisse zu besuchen und Recht
zu pflegen. Pizarro weiss sich nicht anders sicher zu stellen, als
indem er Florestan vor der Ankunft des Ministers aus dem Wege
räumt. Er beschliesst, ihn mit Rokko's Beistand im Kerker zu
ermorden und zu bestatten, und stellt Wachen aus, die ihn durch
Trompetensignale von dem Herannahen des Ministers benachrichtigen
sollen. Fidelio darf den Kerkermeister in das Gefängniss be-
gleiten, W'O dem Gefangenen sein Grab gegraben werden soll; sie
selber arbeitet mit Eokko an der Gruft, unwissend, wem sie
gegraben wird, denn den schlummernden Gefangenen vermag
sie im Dunkel des Kerkers nicht zu erkennen. Sie weckt
das Mitleid des von Grund aus gutmüthigen Alten, und darf den
Gefangenen, dessen Nahrung man allmählich verkürzt hatte, um
ihn verschmachten zu lassen, laben. Da tritt Pizarro ein und
will ein Ende machen. Nun erst erfährt Leonore, dass es der
Gatt<3 ist, dem sie das Grab gegraben und der jetzt vor ihren
Augen ermordet werden soll. Einer Löwin gleich wiift sie sich
dem Mörder entgegen, der erst vor dem unerwarteten Zeugen,
dann vor der Gattin seines Opfers zurtickbebt — eben verkünden
die Trompeten das Nahn des Retters — endlich vor ihrer Waffe
feig zurückschwankt. Florestan ist gerettet, der Minister bringt
Sicherheit für die Unschuld, Gericht für den Verbrecher, Gnad'
und Freude für Alle.
Nach dem technischen dramaturgischen Ausdruck ist das ein
„Rettungsstück". Bei solchen Aufgaben ist es nicht um Ent-
wickelung von Charakteren in einer vor unsern Augen sich ent-
spinnenden und vollendenden grossen Handlung zu thun. Es ist
vielmehr eine bestimmte und zwar gefahrdrohende Situation ge-
geben, in der bestimmte schon fertige Persönlichkeiten sich be-
finden, thun und leiden, wie es die Situation und ihr ein- für alle-
mal festgestellter Charakter mit sich bringt. Die Entscheidung
— Rettung, Aufhebung der Situation — kommt dann von aussen
hinein, durch irgend ein nicht von den Handelnden abhängiges Er-
eigniss, durch einen dous ex machina, hier den Minister. Der
Minister ist es, der durch sein glücklicherweise rechtzeitiges Ein-
treflen, das aber seinen Anlass nicht zunächst in dem Verhalten
der Personen hat, Rettung und Lösung bringt. Leonore, die
einzige zum Handeln entschlossene Person des Drama's, ist für
die Lösung nur hülfreich, indem sie die Gefahr einen Augenblick
817
lang verzögert, Florestan wird als Edler, als Gegner und Bedroher
des Unrechts bezeichnet, ist aber vom Beginn des Drama's an
nur in der Lage des Leidenden; er trägt seine Ketten, er empfängt
Labung und Rettung, ausser Stande, selbstthätig einzugreifen.
Neben ihnen wirken Pizarro und der Minister abstrakt (nämlich
ohne dass ihre Handlungsweise sich vor unsem Augen lebendig
motivirt) als die „zwei Prinzipe" (mit Beethoven zu reden) des
schadenbringenden Bösen und rettungbringenden Guten. Zwischen
ihnen steht Eokko, der folgsame Diener und Gehülfe des Bösen,
der aber in seiner GutmUthigkeit den Sinn des Guten in sich flihlt
und zuletzt dazu thut, den Eintritt des schon angelangten Retters
zu beschleunigen. Ihm schliessen sich episodisch, um dem Vor-
gang einen Zuwachs an Ereignissen zu geben, die verliebte Mar-
zelline und der eifersüchtige Jaquino an, ohne wesentliches Ver-
hältniss zu dem eigentlichen Vorgange. Chöre der Gefangnen,
der Soldaten, des Volks dienen als Staffage für die Begriffe des
Leidens, der Tyrannei und der Rettung.
Wie ein wahrer Dramatiker, ein Schiller, ein Shakespeare,
diesen Stoff angesehn hätte, das ist eine ganz andre Frage, als
die, wie Beethoven ihn ansehn musste. Ihm war Leonore das
ganze Drama, wenigstens das Herz des Drama's, Leonore, die
schüchterne Taube, die zur fliegenden Flamme der edelsten Liebe
wird, zum Adler, der kühn sich emporschwingt, vor dessen funkeln-
dem Zonicsblick die Maclit des Bösen erschlafft. Sie wird ihm,
dem durchaus deutschen Manne und Künstler, Ideal des deutschen
Weibes: liebend, treu, weiblich zurückgezogen, der Gefährdung des
Gatten gegenüber entschlossen hervortretend, durch alle Noth und
Bangniss Schritt fiir Sclu'itt ohne Schwanken vordringend zur
Rettung, der höchsten Gefahr gegenüber ein Heldenweib, mehr
Mann als alle Männer um sie her, — ist die Rettung vollbracht,
bescheiden wieder in weibliche Zurückgezogenheit zurücktretend.
Ob der schöne Name Eleonore nicht Jugenderinnerungen erweckt
hat an seine erste Freundin, und diese Erinneixingen halb unbe-
wusst mitgespielt haben? Es weht neben allem zur Sache —
zum Drama Gehörigen ein Duft trauter Erinnerung um Eleo-
norens Erscheinung. Gerade dass zwischen Beethoven und Eleo-
nore Breuning niemals ein leidenschaftlich Verhältniss obgewaltet,
wohl aber das einer zärtlichen Freundschaft, — sie heisst in der
HS (der Fischhoffschen Handschrift) (S. 15G) „das Kind Lorchen",
er begehrt von ihr weibliche Arbeiten und sendet ihr Kompositionen
318
zur Erinnerung, — gerade das macht solch absichtsloses Hinüber-
träumen in vergangne liebe Tage glaublicher.*) Solche Nachkläog'e
*) Lieblich zeichnet die HS das Jagendverhältniss. ,,Eiii ebenfalls zartes
freundschaftliches Band schien sich in der Breuningschen Familie zwischea
Beethoven und dem Kinde Lorchen entwickelt zu haben, welcher Beethoven
Unterricht im Klavier gab, und von deren Hause er sich am schwersten trennte.
In Beethovens Brieftasche fand sich nach seinem Tode ein mit gemalten
Blumenkr&nzen eingefasstes Briefchen mit folgenden Zeilen:
Zu B.'s Geburtstag v. seiner Schülerin.
Glück und langes Ltsben
Wünsch' ich heute Dir;
Aber auch daneben
Wünsch' ich etwas mir.
Mir in Rucksicht Deiner
Wünsch' ich Deine Huld;
Dir in Rücksicht meiner
Nachsicht und Geduld.
Von Ihrer Freundin u. Schülerin
Lorchen v. Breuning."
So findet, was in der ersten Ausgabe dieses Buchs blosse Muthmassung.
„Hypothese des Gemüths^' war, hier thatsächliche Bestärkung.
Gleichwohl wird man auch jetzt noch die damals allein vorliegenden zwei
Briefe Beethovens an Leonore Brcnning gern lesen, in denen das Yerbältniss
fortlebt. Es war nur nicht aus ihnen zu entnehmen, dass die Erinnerung von
Beethoven über die Oper und bis zum Tode bewahrt werden würde. — Beet-
hovens Art, sein Unrecht schärfer zu empfinden, und dringlicher abzubitten,
als die Sache verdient ist schon bekannt (S. 12G). Was die Abbitte im ersten
Briefe betriflt, wissen wir nicht. Die Nachscbrift zu diesem Briefe haben wir
schon S. 65 gegeben.
Wien, den 2. November 93.
Verehrungswürdige Eleonore !
Meine theuerste Freundin!
Erst nachdem ich nun hier in der Hauptstadt bald ein ganzes Jahr ver-
lebt habe, erhalten Sie von mir einen Brief, und doch waren Sie gewiss in
einem immerwährenden lebhaften Andenken bei mir. Schon oft unterhielt ich
mich mit Ihnen und Ihrer lieben Familie, nur öfters nicht mit der Ruhe, die
ich dabei gewünscht hätte. Da war's, wo mir der fatale Zwist noch vor-
schwebte, wobei mir mein damaliges Betragen so veiabscheuenswerth vorkam.
Aber es war geschehn, und wie viel gab' ich dafür, wäre ich im Stande meine
damalige, mich so entehrende, sonst meinem Charakter zuwiderlaufende Art
zu handeln ganz aus meinem Leben tilgen zu können. Freilich waren mancheilei
UmstSnde, die uns immer von einander entfernten, und wie ich vermuthe, war
das Zuflüstern von den wechselsweise gegen einander gehaltenen Reden haupt-
sächlich dasjenige, was alle Uebereinstimmung verhinderte. Jeder von uns
glaubte hier, er spreche mit wahrer Ueberzeugung, und doch war es nur an-
gefachter Zorn, und wir waren beide getäuscht. Ihr guter und edler Charakter,
meine liebe Freundin, bürgt mir zwar dafür, dass Sie mir längst vergeben
319
tönen in jedes Herz, wie viel mehr in das erregte des Künstlers,
mit beseelender, verjüngender Kraft hinein.
haben. Aber man sagt, die aufrichtige Reue sei diese, wo man sein Vergeben
selbst gesteht; dies habe ich gewollt. — tJnd lassen Sie ans nun den Vorhang
vor diese ganze Geschichte ziehen, undl^ur noch die Lehre daraus nehmen,
dass, wenn Freunde in Streit gerathen, es immer besser sei, keinen Vermittler
dazu zu gebrauchen, sondern dass der Freund sich an den Freund unmittelbar
wende.
Sie erhalten hier eine Dedikatlon von mir an Sie, wobei ich nur wünschte,
das Werk wäre grösser und Ihrer würdiger. Man plagte mich hier um die
Herausgabe dieses Werkchens und ich benutzte die Gelegenheit, um Ihnen
meine verehrungswürdige Eleonore, einen Beweis meiner Hochachtung und
Freundschaft gegen Sie und eines immerwährenden Andenkens an Ihr Haus
zu geben. Nehmen Sie diese Kleinigkeit hin, und denken Sie dabei, sie kömmt
von einem Sie sehr verehrenden Frennde. 0, wenn sie Ihnen nur Vergnügen
macht, so sind meine Wünsche ganz befriedigt. Es sei eine kleine Wieder-Er-
innerung jener Zeit, wo ich so viele und so selige Stunden in Ihrem Hause
zubrachte, vielleicht erhält es mich im Andenken bei Ihnen, bis ich einst
wiederkomme, was nun freilich so bald nicht sein wird. 0, wie wollen wir
uns dann, meine liebe Freundin, freuen; Sie werden dann einen fröhlichen
Menschen an Ihrem Freunde finden, dem die Zeit und sein beEseres Schicksal
die Furchen seines vorhergegangenen widerwärtigen ausgeglichen hat.
Sollten Sie die B. Koch sehen, so bitte ich Sie, ihr zu sagen, dass es nicht
schön sei von ihr, mir gar nicht einmal zu schreiben. Ich habe doch zwei Mal
geschrieben, an Malchus schrieb ich dreimal und — keine Antwort Sagen Sie
ihr, dass, wenn (ie nicht schreiben wollte, sie wenigstens Malchus dazu an-
treiben sollte. Zum Schlüsse meines Briefs wage ich noch eine Bitte; sie ist,
dass ich wieder gerne so glücklich sein möchte, eine von Hasenhaaren gestrickte
Weste von Ihrer Hand, meine liebe Freundin, zu besitzen. Verzeihen Sie die
unbescheidene Bitte Ihrem Freunde. Sie entsteht aus grosser Vorliebe für
Alles, was von Ihren Händen ist, und heimÜch kann ich Ihnen wohl sagen,
eine kleine Eitelkeit liegt dabei mit zum Grunde, nämlich : um sagen zu können,
dass ich etwas von einem der besten, verehrungswürdigsten Mädchen in Bonn
besitze. Ich habe zwar noch die erste, womit Sie so gütig waren, mich in
Bonn zu beschenken, aber sie ist durch die Mode so unmodisch geworden, dass
ich sie nur als etwas von Ihnen mir sehr Theures im Kleiderschranke aufbe^
wahren kann. Vieles Vergnügen würden Sie mir machen, wenn Sie mich bald
mit einem lieben Briefe erfreuten. Sollten Ihnen meine Briefe Vergnügen ver-
ursachen, so verspreche ich Ihnen gewiss, so viel mir möglich ist, hierin willig
zu sein, so wie mir alles willkommen ist, wobei ich Ihnen zeigen kann, wie
sehr ich bin
Ihr Sie verehrender
wahrer Freund
L. V. Beethoven.
Zweiter Brief an Fräulein von Breuning.
Aeusserst überraschend war mir die schöne Halsbinde von Ihrer Hand ge-
arbeitet. Sie erweckt in mir Gefühle der Wehmuth, so angenehm mir auch
820
So ward Leonore mit innerer Nothwendigkeit und unbeabsichtigt
Mittelpunkt der ganzen Oper. Von diesem Mittelpunkt aus musste
sich Beethovens Liebe zum Werk über alle Theilnehmenden ver-
breiten. Ihr zunächst stand ihr Gatte Florestan, der Streiter, der
Leidende um das Recht, im Kerker, in Gefahr unmittelbaren Todes.
Was ist uns Florestan? Der leere Namen eines Mannes, der thatlos
vorübergegangen oder vielleicht niemals gelebt hat. Beethoven war
er durch sein Recht, durch sein Leiden, durch Leonorens Liebe
dreifach geweiht. Und wenn Unrecht und Knechtung ein Fluch
sind, schwebt und drückt nicht dieser Fluch über allen Häuptern und
die Sache selbst war. Erinnerung an vorige Zeiten war ihre Wirkung, ancb
Beschämung auf meiner Seite durch Ihr grosfmüthiges Betragen gegen mich.
Wahrlich ich dachte nicht, dass Sie mich noch Ihres Andenkens würdig hielten.
O hätten Sie Zeuge meiner gestrigen Empfindung bei diesem Vorfall seia
können, so würden Sie es gewiss nicht übertrieben finden, was ich Ihnen
vielleicht hier sage, dass mich Ihr Andenken weinend und sehr traurig machte.
Ich bitte Sie, so wenig ich auch in Ihren Augen Glauben verdienen tnag,
glauben Sie mir, meine Freundin (lassen Sie mich Sie noch immer so nennen),
dass ich sehr gelitten habe und noch leide durch den Verlust Ihrer Freund-
schaft. Sie und Ihre theure Mutter werde ich nie vergessen. Sie waren so
gütig gegen mich, dass mir Ihr Vorlust nicht sobald ersetzt werden kann und
wird, ich weiss, was ich verlor, und was Sie mir waren, aber — ich müsste
in Scenen zurückkehren, sollte ich diese Lücke ausfüllen, die Ihnen unange-
nehm zu hOren und mir, sie darzustellen sind.
Zu einer kleinen Wiedervergeltuug für Ihr gütiges Andenken an mich,
bin ich so frei, Ihnen hier diese Variationen und das Rondo mit einer Violine
zu schicken. Ich habe sehr viel zu thnn, sonst würde ich Ihnen die schon
längst versprochene Sonate abgeschrieben haben. In meinem Manuskript ist
sie fast nur Skizze und es würde dem sonst so geschickten . . . selbst schwer
geworden sein, sie abzuschreiben. Sie können das Rondo abschreiben lassen
und mir dann die Partitur zurückschicken. Es ist das Einzige, das ich Ihnen
hier schicke, was von meinen Sachen ohngeföhr für Sie brauchbar war, und
da Sie jetzt ohnedies nach Kerpen reisen, dachte ich, es könnten diese Kleinig-
keiten Ihnen vielleicht einiges Vergnügen machen.
Leben Sie wohl, meine Freundin. Es ist mir unmöglich, Sie anders zu
nennen, so gleichgültig ich Ihnen auch sein mag, so erlauben Sie doch, dass
ich Sie und Ihre Mutter noch eben so verehre, wie sonst. Bin ich im Stande,
sonst etwas zu Ihrem Vergnügen beizutragen, so bitte ich Sie, mich doch
nicht vorbeizugehen; es ist noch das einzig übrigbleibende Mittel, Ihnen meino
Dankbarkeit für die genossene Freundschaft zu bezeigen.
Reisen Sie glücklich, und bringen Sie Ihre thenre Mutter wieder völlig
gesund zurück. Denken Sie zuweilen an Ihren
Sie noch immer verehrenden Freund
Beethoven.
321
beugt alle, so lange nur noch ein Einziger ihm verfallen ist? So
heiss empfand Beethovens freiheitdürstendes Gemüth mit Leonorens
Gatten. Immer blieb sie der Mittelpunkt.
In solchem Sinne wuchs die Begebenheit einiger vergessner
oder erdichteter Personen zu einem grossen, ernsten Vorgang empor,
sitthch höher und künstlerisch einheitsvoller, als er irgend einer
deutschen Oper unterliegt. Solches im Gemüthe tragend, konnte
Beethoven auch das Beiwerk, das Spiel des Rokko, des Pizarro,
bis zu Marzelline und Jaquino hinunter mit hinnehmen. Hatte
nicht auch Leonore sich in dunkles Knechtsgewand gehüllt und in
die niederen Verhältnisse sich schicken, die abgeschmackte Ver-
lobung mit Marzelline sich gefallen lassen, den niedrigsten Diensten
sich unterziehen müssen?*) Es ist bemerkenswerth und zeugt da-
für, dass er sie in der That als Mittelpunkt des Ganzen empfunden,
dass Jeder in ihrer Nähe veredelt und auf die Spitze seines
Charakters gehoben wird. Rokko, Marzelline, selbst Jaquino reden
in ihrer Nähe, die als Knecht unter ihnen weilt, ganz anders als
in ihrer Abwesenheit.
Gleichwohl hat ihm das Kleinleben, so fremd und fern seiner
Natur, viel zu schaffen gemacht. Marzellinens kleine Arie, „0 war
ich schon mit Dir vereint", hat er fünfmal gearbeitet. Er sollte
überhaupt an der Oper Geduld lernen — und hat Treue an ihr
geübt, zur Belehrung und Stärkung aller ehrlichen Künstler.
Als die Oper vollendet war, schrieb er die Ouvertüre. . Die erste.
Was hätt' ihm bei dieser Ouvertüre, der ersten zu seiner Oper,
vorschweben können, als Leonorens mildes Bild? Gleich hier lernen
wir, dass in Wahrheit sie die Seele seiner Oper gewesen, nicht blos
nach der Anlage des Gedichts, sondern noch entschiedner in Beet-
hovens Auffassung. Ihr Dasein, ihre Geschichte, das ist der In-
halt der Ouvertüre.
*) Freilich gegen eine Scene von so peinlicher Wirkung, von so unerhörter
Taktlosigkeit und Unwahrheit, wie sie der Verfasser des italienischen Textes
dem Komponisten Paer zumuthet, hätte ein Beethoven zweifellos unerbittlich
protestirt. Jener nämlich lässt nach der Errettung des Florestan und der Er-
kennungsscene zwischen Leonore und ihm Marzelline auftreten. Sie hat Fideho
vermisst, und um ihn aus dem Kerker zu holen, ihrem Vater die Schlüssel
entwendet. Dnicb sie erfährt Leonore die Ankunft des Ministers, Marzelline
verspricht ihn herbeizuholen, vorher aber muss ihr in einem Duett Leonore
in Gegenwart Florestans die zärtlichsten Liebeserklärungen
machen, cf. 0. Jahn Klavierauszng S. III. Dieses Musterstück von Italianis-
mus vertritt bei Paer die Stelle des herrlichen Duetts „0 namenlose Freude^
zwischen Leonore und Florestan.
Marx, Beethoven. I. 21
322
Nach dem ersten stark weckenden Äufsclilag des Orchesters
auf G— g— g wallt ganz einsam, unbegleitet die zartsinnige Melodie
Amlnnte con nioto.
VI
crtve«
daher, Leonorens Seele, in sich friedvoll und himmelstill, — so
war sie. Das wird uns nach einem zweiten Schlag vollstimmig
und mit Wehmuth (erst Saiten, dann Bläser, mit einer Wendung
nach der schattigem ünterdorainante F dur) wiederholt. EinSchmera-
ruf (e — g— b~cis) reisst unvorhergesehn in das stille Dasein, darauf,
verloren, angstvoll suchend, ein ziellos geschäftiges Schweifen ab-
wärts und wieder aufwärts, durch die erste, zweite Violin, Bratsche,
Violoncell, wieder Bratsche, zweite, erste Violin irrend. Das Bild
tritt in teierlicher Dreizahl vor und lässt nicht wieder los die
ängstlich einsame verlassen rathlose Seele, die athemlos harrt und
auf Einen Punkt hin gefesselt
2 p vc tta '• !— i • u fca ^
lauscht und bangt und über dem dunkeln Abgrund ihres Leids klagt
u u
und die Stimme des Mitleids (Wiederholung mit Zutritt von Flöte
und Klarinette) weckt. Dann taucht aus seufierschwerem Schmerze
hart der zagenden Weiblichkeit abgekämpft,
323
Bei der
jt(ei der n^
WtederholoDg J J J
W
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r
(Vc dazu) 2 C:H
der Entschluss zu ihrer That auf; aus frischem gesundem Leben
tritt sie, da es ihr auferlegt ist voll Muth und Seelenadel, Freudig-
keit im warmen Herzen, die steile Bahn an. Erwartungsvoll, ge-
spannt, leicht weiblichen Schrittes strebt sie vorwärts
Allegro con brio,
ff
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P'?='
t^^^^^E^^^^E^
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I
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mit seelenToIlem Ausgang, warm wie ein rUhrend Gelübde,
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fcfe^EfeEfeÖi
f
^f^F
Tt
r
i
rührig und doch höchst mässvoll. .
Ist denji das nicht ein wundervoller Ouverturengedanke , vor
dem Leid das Glück zu schildern? zu sagen: so war sie, still in
sich geschmiegt, das Glück ungetrübten; von Zärtlichkeit wie auf
Mutterarmen gewiegten Daseins träumend ! So, aufgeschreckt, ver-
loren sie und der Gatte, wenn sie nicht in sich Rettung findet, so trat
sie die Heldenlaufbahn an, trug die Niedrigkeit — und wenn der
Vorhang sich wieder hebt, seht ihr sie vor dem Grabe, das sie dem
Gatten hat graben müssen! A^ber da, gerade da wird sie siegen!
Niemals ist eine Ouvertüre schöner gedacht, ein Prolog sinn-
voller erfunden, worden.
Und das Alles geht so menschlich, so deutsch und weiblich
her, ohne Uebertriebenheit und moderne Eeckenhaftigkeit , ohne
Hehl menschlicher Schwäche I — Wenn die Kraft fast versagt, der
324
freudige Muth fast erschöpft ist, dann pocht und treibt aus der
tiefsten Tiefe des GemUths leis' aber unablässig — man weiss nicht
welche Mahnung an die Tiefe des Kerkers oder des Geschicks
"riT rrrr r
m
den zagenden Fuss vorwärts nach a, der unbestimmten Quinte, nach
der verlangenden Septime c, nach der schmerzlich übertriebnen
kleinen Nene es, schlägt da in bange Klage um, verlangend,
t«--
Afete
PIKIP
wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, nach Erlösung.
Und aus allem Leid, aus allem Gekläff der verfolgenden Sorgen
taucht die Seele, dem Schwane gleich, unter, und gereinigt und
erfrischt wieder auf mit dem Muthe der Jugend und Gesundheit
zu neuem Leben, zu erneutem Vordringen,
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j fc^n^r r-^ tfii^TXm
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und schon mit dem Vorgefühl des freudigsten Triumphes, und
sinnend —
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(8 tiefer)
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auf Vollendung.
325
Das war der erste Theil. Mit kurzen Schlägen wendet sich
nun der Gang über B nach Es, um hier, — mit einer krankhaften
in Takt 4 enthaltenen Dehnung
Adagio ma tum troj^. / I . • i i WJ^I PSIi i ^'^'^^m m^
das Thema aus Florestans Arie im Kerker, „In des Lebens Früh-
lingstagen", in Oboe, Klarinetten, Fagotten und Hörnern aufzuführen
und in Einem Blicke die schöne Vergangenheit und das jetzige
Elend zusammenzufassen. Bei der Wiederholung fällt die Dehnung
weg, Hom und Klarinette haben die Melodie von harmonischen
Figuren der ersten Violin in Zweiunddreissigsteln umspielt. Hier-
aus entwickelt sich ein reizvoll rhythmischer Zwischensatz,
(BliMT)
^^ä^^^
der jenes Thema in F dur wiederbringt, — es ist wie Hinlauschen
der Seele, als hätte Leonorens Liebe die Macht, durch Kerkerwände
hindurch die Gedanken und Seufzer Florestans zu ihr hinzuziehn.
Der Zwischensatz führt wie zuvor eine Stufe höher, nach G, wo
das Motiv der Arie sich zum letztenmal und weit ausgebreitet auf-
stellt.
Der letzte Theil (es ist ein Rondo fllniler Form) wiederholt
den Inhalt des ersten bestätigend im Hauptton und führt einen
Anhang herbei, der dem Hauptsatz entnommen ist
und — seltsam vorbedeutend! — ein solches aus allmählicher An-
sammlung oder Anstauung der Instrumente erwachsendes Crescendo
anregt, mit dem später Rossini die materialisirten Wiener zu-
sammentrommeln und wie der Rattenfänger von Hameln führen
sollte, wohin ihm beliebte, ganz weg von Beethoven. Nur die breiten
Prachtharmonieen Beethovens, die hatte der Welsche nicht.
326
Der Schluss
gsr-^yf j:fe fe|j:g
ist lauter Triumph, unschuldvolle, hohe Freude, nur Glück, keine
Erregung, keine Leidenschaft! Sie hat den Hort ihres Daseins
wiedergewonnen! dass sie selber ihn ersiegt, das ist mit allem Leid
schon vergessen.
Das war die Ouvertüre, die Beethoven zuerst für die Oper er-
sonnen hatte. Erwägt man, mit wieviel Kleinleben die Oper durch
Einmischung der Marzelline und ihrer Sippschaft behelligt, wie ge-
häuft in ihr die trüben Bilder von Tyrannei, Kerker und Todesnoth
sind: so muss man, wie uns scheint, doppelt anerkennen, was oben
von der Angemessenheit dieser Ouvertüre gesagt worden ist. Sie
ist wie Sonnenschein vor Unwetter, der neue Heiterkeit nach der ge-
fahrvollen Umdüsterung verheisst; ja sie ergänzt die thatarme Oper,
da sie uns die Strebungen vorher mit ihrem schreckvollen Anlass
erzählt; und zugleich gewährt sie uns im Spiegelbild vergangnen
Glücks das Anschaun des Glücks, das Leonoren lohnen und
Florestan aus seinem Leid herstellen wird.
Ja, Beethoven selbst ist theoretisch Anhänger dieser Ansicht.
In seinen Konvei-sationsheften wenigstens lesen wir Folgendes, das
zwar nicht von Beethoven selbst, aber für ihn, voraussetzlich
als Bestärkung seiner eignen Ansichtsweise von Schindler nieder-
geschrieben ist.
„Aristoteles sagt in seiner Poetik von der Tragödie: die tra-
gischen Helden müssen Anfangs in hohem Glück und Glanz leben.
So sehen wir es auch in Egmont. Wenn sie nun so recht glück-
lich sind, so kommt auf ein Mal das Schicksal und schlingt einen
Knoten über ihrem Haupte, den sie nicht mehr zu lösen ver-
mögen. Muth und Trotz tritt an die Stelle der Reue, und sie
sehen verwegen dem Geschicke, ja dem Tod ins Aug' . . . . ,
Klärchens Schicksal interessirt deswegen, wie Gretchen im
Faust, weil sie einst so glücklich waren. Eine Tragödie, die
sogleich traurig anfängt und immer traurig fortgeht, ist langweilig.'*
Demungcachtet kam diese Ouvertüre gar nicht mit der Oper
zur AulTührung. Partitur und Stimmen gingen nach Beethovens
Tode in den Besitz des Musikalienhändlers Haslinger über. Beethoven
hatte die erste Violinstimme überschrieben: „Charakteristische
Overture in C", Das Werk erschien erst 1832, aber nicht unter dem
327
von Beethoven gegebenen Titel, sondern unter folgendem: „Ouvertüre
in C. komponirt im Jahre 1805 zur Oper Leonore, Op. 138".
„Sie war fertig," erzählt Schindler, „aber der Komponist hatte
selbst kein rechtes Vertrauen dazu, war daher einverstanden, dass
sie vorerst von einem kleinen Orchester bei Fürst Lichnowsky ver-
sucht werde. Dort wurde sie von einer Kennerschaar einstimmig
flir zu leicht und den Inhalt des Werks zu wenig bezeichnend ge-
fanden, folglich bei Seite gelegt und kam bei Lebzeiten Beethovens
nimmermehr zum Vorschein."
Lassen wir einstweilen Beethovens Vertrauensmangel bei Seite,
so müssen wir unumwunden aussprechen, dass die Freunde geirrt,
jene erste Ouvertüre verkannt haben. Was oben, keineswegs er-
schöpfend über sie gesagt worden, mag diesen Ausspruch unter-
stützen. Fügen wir hier noch zu, dass die Ouvertüre auch den
äussern Verhältnissen nach den Bedingungen einer Opem-Ouverture
wohl entspricht; sie ist für diesen Zweck nicht zu lang, und sie
ist klar verständlich für Jedermann, der überhaupt des Antheils
an der Oper fähig ist.
AUein die Mehrzahl der Menschen, und vor Allem der soge-
nannten Kenner und Sachverständigen, lässt sich in ihren Auf-
fassungen durch vorgefasste Meinung bestimmen. Sie blicken nicht
auf die Sache selbst, sondern sie verlangen, dass ihren subjektiven
Erwartungen entsprochen werde, die sie meist von Weitem her
mitbringen. Von Beethoven war man gewohnt. Sublimes und Un-
erhörtes zu empfangen, in den Symphonien, besonders der letzten,
der heroischen, überwältigende Massen-Entfaltung, die erhabensten
Gedanken in tiefsinniger, weiter, kunstreicher Ausführung, überall
eine bis an das Mystische gehende Versenkung — und was sich
sonst als allgemeine Kriterien seines Schaffens aussprechen lässt.
Das war es also,- was man von der neuen Ouvertüre erwartete,
wo möglich potenzirt, in einem Fortschritte, wie man — ohne nähere
Bestimmung — von den ersten Symphonien zur dritten wahrzu-
nehmen beliebte. Vor allen Dingen aber begehrte man das, was
gewöhnlich als Originalität gilt : neue, schlagende Wendungen der
Melodie und Modulation, kurz das Niedagewesene.
Dergleichen findet sich auch genug in Beethovens Werken,
Aber nicht in diesen Einzelheiten, die jeder gewandte musikalische
Gaukler beliebig herausbringen kann, liegt seine wahre Originalität
und sein Verdienst, sondern darin, dass er sich seiner jedesmaligen
Aufgabe ganz, auf das Innigste und Treueste, ohne Nebenabsichten
328
und Rücksichten hingab, dass er ganz in ihr aufging. Dabei
konnte er weder die neuen, selbst kühnsten Wendungen scheuen,
noch das Einfachste zurückweisen, etwa um Absonderliches zu
suchen, wenn das Einfachste das der Sache Gemässe war. Jene
Originalitäten nun werden leicht bemerkt, schwerer wird der Sinn
des Ganzen gefasst und von den Kennern am schwersten die wahr-
haft geniale Einfalt, die nichts als die Sache selbst sich aus-
sprechen lässt. Hierin ist Beethoven am häufigsten missverstanden
worden. Lenz, der von wahrem Enthusiasmus itir ihn erfUUt ist, nennt
die Prometheus-Ouvertüre eine Sommersprosse und rechnet zwar
die Fantasie mit Chor zu den Werken hohen Stils, meint aber:
das Solo der Flöte und des Fagotts scheine mehr eine Variation
auf das Lied „Er hat sich einen Jux gemacht I'* als auf das
sublime Motiv (es ist nicht sublim, es ist gefällig einladend) des
Allegretto.
So fiel auch das Urtheil über die Ouvertüre aus. Hat Beet-
hoven selber das Zutrauen zu seiner Ouvertüre verloren, oder hat
er, wie Schindler erzählt, von Anfang an nicht das rechte Ver-
trauen zu ihr gehabt und ist deshalb der Abnjahnung seiner Freunde
zugänglicher gewesen, so ist das nicht einmal so auffallend. Ohne-
hin mögen die Verhältnisse drängend und verwirrend eingegriffen
haben; denn die Auffiihrung stand nahe bevor (eine schlimme Zeit
für den Komponisten, klar zu urtheilen und fest zu bleiben), und
Wien sah nach der Zertrümmerung der österreichischen Armeen
die Franzosen unaufhaltbar gegen sich herandringen.
Genug, die Ouvertüre wurde zurückgelegt und eine andre, die
als zweite bekannte, an ihre Stelle gesetzt.
Doch sehen wir einstweilen von der weiteren Geschichte der
Oper ab und widmen der oben besprochenen Ouvertüre noch aus
einem andern Gesichtspunkte unsere Aufmerksamkeit. *) Es gilt eine
*) Die vorstehcDde Abhandlung über die Entstehungszeit der Leonore Nr. 1
ist von dem Herausgeber dieses Werkes schon in der dritten Auflage 1884 und
zwar im Anhange des zweiten Bandes mitgetheilt worden. In der gegenwärtigen
Auflage erscheint sie in den wesentlichen Zügen onverftndert, nur musste sie
von dem inzwischen (1880) erschienenen Skizzenhache Nottebohms Notiz
nehmen. In Nr 50 der allgemeinen musikalischen Zeitung vom Jahre 1882
hat sich Herr Albert Levinsohn über dieselbe Frage vernehmen lassen
und zwar ebenfalls polemisirend gegen Nottebohm. Dass er von unserer Auf-
fassung und Begründung wesentlich abweiche oder, abgesehen von jenem neu
herausgegebenen Skizzenbuch c, irgend etwas zur Entscheidung Wichtiges neu
herbeiführe, vermögen wir nicht zu entdecken. Der Hohn indessen, mit welchem
829
neuerdings über sie entstandene chronologische Streitfrage ins Auge zu
fassen und nach Kräften zu schlichten. Nottebohmhatnämlich mitHin-
sicht darauf, dassdie auf dem Titel der vonHaslinger herausgegebenen
Ouvertüre stehende Jahreszahl „1805", welche Schindler in seiner Bio-
graphie von 1840 bestätigt, veder von diesem noch vom Verleger durch
Gründe unterstützt wird, eine sehr sorgfältige und lesenswerthe
Untersuchung über die Entstehungszeit der Ouvertüre angestellt
(Beethoveniana 1872, S. 60—78) und wahrscheinlich zu machen
gesucht, dass sie erst 1807 komponirt worden, mithin der Reihen-
folge nach nicht die erste, sondern die dritte der Leonoren-Ouverturen
sei. Thayer und auch Hermann Deiters in seiner trefflichen Skizze
über Ludwig van Beethoven, Leipzig 1882, haben Nottebohms An-
sicht angenommen. Mit diesem Widerspruche Nottebohms gegen
die üeberheferung hat sich das Interesse an der Frage über die
Entstehungszeit des Werkes von einem rein chronologischen oder
biographischen zu einem kunstwissenschaftlichen gesteigert. Wenn
nämlich Marx' analytisch begründete Ansicht, dass diese Ouvertüre
von allen vorhandenen die allein angemessene ist, weil sie aus der
Idee der Oper, aus dem tiefgeflihlten und klar angeschauten Wesen
Leonorens, wie es sich in der Oper bethätigt, hervorgegangen, mit-
hin in Wahrheit den Hörer in die Handlung einfährt — während
die übrigen Ouvertüren, die im weiteren Verlaufe zur Besprechung
kommen werden, an sich zwar von höchstem musikalischen Werthe,
doch einen Schöpfer verrathen, dem das Operngedicht selbst fremd
geworden ist, oder der sich während der Komposition von fremd-
artigen, ausserhalb der Aufgabe liegenden Gesichtspunkten hat
leiten lassen — wenn, sagen wir, diese Ansicht, wie der Heraus-
geber dieser und der vorigen Auflage überzeugt ist, die richtige ist:
und wenn anderseits auch Nottebohms Zeitbestimmung zutriflft, so
befinden wir uns vor einem kimstpsychologischen Wunder, welches
darin besteht, dass Beethevenzwei Jahre nach Vollendungder Oper mehr
im Geiste seines Werkes gelebt hat, als zur Zeit der Entstehung selbst.
Man lasse sich die Hypothese eines analogen Falles in der
Literaturgeschichte gefallen. Das chronologische Verhältniss der
drei Bearbeitungen des Götz von Berlicliingen zu einander sei das
umgekehrte gegen die Wirklichkeit; die dritte, die „fllr die Bühne"
sei 1771 oder 1773, hingegen die in Wahrheit aus diesen Jahren
stammenden beiden anderen seien 1805 entstanden. Niemand würde
er den grade in dieser Frage so siegesgewiBsen und scbnlmeisterlicheD Thayer
(Leben Beethovens, III. Jahr 1807) übergiesst, istbeissend aber woblberechtigt.
380
begreifen, dass jene aus Berücksichtigung von allerlei äuEserüchen,
theatralischen und politischen Anforderungen hervorgegangene,
durchaus abschwächende Umgestaltung dem jugendlichen Goethe
angehöre, während die Bearbeitung erster und zweiter Hand, die
von Wahlverwandtschaft des Dichters mit dem Helden und seiner
Zeit, von leidenschaftlicher Liebe zu seinem Stoffe zeugen, kurz,
voll sind von der einen Empfindung, die den Dichter macht,
dreissig Jahre später geschrieben seien, nachdem Goethe die Sturm-
und Drangperiode seines Lebens längst tiberwunden hatte. Niemand
würde diesen psychologischen Anachronismus begreifen, möchte die
äussere Chronologie noch so fest stehen.
Wir geben zu, dass das Wunder in dem rein hypothetischen
Falle grösser wäre, als in dem Beethoven betreffenden Beide
Fälle aber stimmen in dem wesentlichen Punkte überein, dass sie
unserem während des Anschauens fremder Individualitäten Be-
friedigung heischenden Bedürfniss nach natürlicher Entwickelung
ihres Geistes und damit übereinstimmender Bethätigung im Schaffen
widerstreiten; beiden Fällen steht die Erfahrung gegenüber, dass
auch die grössten Künstler, wenn sie sich einer einmal abge-
schlossenen Arbeit nach Jahren wieder nähern, nur mit vieler
Mühe sich in ihr eigenes Werk wieder einleben, selten aber bei
der Umgestaltung eine glückliche Hand haben.*)
Doch kehren wir zu unserer Ouvertüre zurück.
Je erheblichere Zweifel wir aus inneren Gründen gegen das
Jahr 1807 hegen, desto begieriger werden wir, die von Nottebohm
für dasselbe erbrachten Beweise kennen zu lernen und zu prüfen.
Nottebohm macht im Wesentlichen dreierlei für sich geltend.
1. Er theilt Auszüge aus zwei Skizzensammlungen mit, deren
jede Entwürfe zur C moll-Symphonie und zur fraglichen Ouvertüre
enthält. In beiden Sammlungen stehen die Entwürfe zur Ouvertüre
hinter denjenigen, welche zur Symphonie gehören. Aus der
Stellung und Beschaffenheit der Skizzen schliesst N., dass
die Ouvertüre begonnen wurde, als die Symphonie ihrem Abschluss
*) Goethe schrieb 1S04 über die Umarbeitung des Götz: »Eine böse Operation,
wobei man, wie beim Umändern eines alten Hauses, mit kleinen Theilen an-
fängt, und am Ende das Ganze mit schweren Kosten umgekehrt hat, ohne des-
halb ein neues Gebäude zu haben. ** V?ie wenig leichte Arbeit Beethoven im
Jahre 1814 hatte, als er sich entschlossen, ,|die verödeten Rainen eines alten
Schlosses (den Fidelio) wiederaufzubauen/ werden wir aus seinem eigenen
Munde erfahren. Vor Allem berücksichtige man seinen Ausspruch vom grossen
Unterschiede zwischen einer Ausbesserungsarbeit und dem freien Nachdenken.
331
nahe war. Nun sei die Symphonie vollendet zwischen dem April
1807 und dem December 1808 — folglich kiSnne auch die Ouver-
türe nicht vor diesem Zeitraum komponirt sein.
Hiergegen gestatten wir uns folgende Einwendungen.
Die mitgetheilten Entwürfe zur C moll-Symphonie gehören dem
zweiten, dritten und vierten Satze an. Dass ihre Beschaflfenheit
den nahe bevorstehenden Abschluss des ganzen Werkes bezeuge,
vermögen wir nicht einzusehen. Allerdings treten uns ausser
Figuren, die zum zweiten Satze gehören, die Themata des dritten
(des Haupttheils und des Trios), ferner das Thema des vierten
Satzes, endlich sogar das Uebergangsmotiv vom dritten Satze zum
Finale entgegen. Aber konnte nicht zwischen dieser thematischen
Fundamentirung und dem völligen Aufbau eines so gigantischen
Werkes, wie der C moli-Symphonie, eine weite Spanne Zeit liegen?
Dass Beethoven schon zu diesem Aufbau geschritten, davon zeigen
jene Skizzen kaum leise Spuren. Wir möchten zur Charakterisirung
dieser Skizzen ein ürtheil Nottebohms selbst anrufen, das er in
seiner interessanten, mehrfach citirten Abhandlung „Ein Skizzen-
buch Beethovens'* über einen Theil der dort beschriebenen Ent-
würfe fällt: „UeberaU sehen wir Ansätze, nirgends ein Ganzes;
ein Ganzes tritt uns erst ausserhalb des Skizzenbuches entgegen,
in der gedruckt vorliegenden Komposition." So auch unsere
Skizzen. Nirgends sehen wir uns dem fertigen Werke nahe ge-
stellt, nur einigen Hauptideen desselben gegenüber. Mag daher
immerhin die Symphonie zwischen April 1807 und December 1808
vollendet sein, woran wir nicht zweifeln, unsere Skizzen liefern
aus sich selbst nicht den Beweis, dass sie in den Zeitraum der
Vollendung gehören. Ist dies richtig, so beweisen sie auch nichts
für die Entstehungszeit der Ouvertüre, sondern nur das Eine geht
aus der Skizzensammlung hervor, dass die Hauptmotive der letzten
Sätze der C moll-Symphonie und unserer Ouvertüre ungefähr um
dieselbe Zeit niedergeschrieben wurden.
Für die genaue Bestimmung aber dieser Zeit selbst liefert die
lokale Gemeinschaft der beiden Entwürfe keinen Anhaltspunkt, sie
können 1807 entstanden sein, ebenso gut aber auch scho n 1805.
Letzteres Jahr gewinnt durch den Umstand hohe Wahrscheinlich-
keit, dass zwei andere Skizzengruppen existiren, in welchen jedes-
mal Entwürfe zur Oper Leonore sich mit C moll- Symphonie-Ge-
danken zusammenfinden, und dass wir die Entstehungszeit dieser
beiden Skizzengruppen annähernd genau bestimmen können. Die
332
erste Gruppe findet sich in dem von Nottebohm 1880 herausge-
gebenen Skizzenbuche. Wir haben oben, wo das Skizzenbuch aus-
führlich erörtert ist, als spätesten Zeitpunkt flir diese Leonoren-
entwtirfe Februar oder März 1804 ermittelt; demselben Zeitpunkte
dürften natürlich auch die zwischendurch erscheinenden ersten
Keime der C moU-Symphonie angehören. Die zweite Gruppe findet
sich auf einigen losen aber zusammengehörenden Blättern und ent-
liält erstens Takte zum ersten Satz der C moll, zweitens einige
Ansätze zu dem ersten und dritten Satz des Conzertes in G dur,
ferner das noch wenig entwickelte Motiv zum Andante der C moll,
ferner einige Takte zum letzten Satze, die später gar nicht ver-
wendet worden sind und endüch eine zum Terzett in F dur „Gut
Söhnchen, gut" gehörende Stelle. Merkwürdiger Weise zeigen nun
die Ansätze zum dritten Theil des G dur-Conzerts, dass Beethoven
anfänglich die Absicht hatte, die instrumentale Figur, welche dem
Gefangenenchor in ersten Finale der Leonore zu Grunde liegt, in
jenen dritten Theil des Conzerts hinein zu verweben. Da er aber
eine solche Absicht gehabt haben muss, ehe von jenem Finale,
wie wir es kennen, auch nur eine Note geschrieben war, so ist
höchst wahrscheinhch auch diese zweite Skizzengruppe, lange
bevor das Jahr 1804 zu Ende ging, geschrieben worden. Nun
wohl ! Steht es hiernach fest, dass die C moll-Symphonie bereits
im Jahre 1804 zweimal in Angrifl* genommen worden ist, so wider-
strebt die innere Beschaffenheit der von Nottebohm herangezogenen
Skizzensammlung keineswegs der Annahme, dass diese letztere
spätestens aus dem Hochsommer 1805 herrührt, aus einer Zeit
etwa, wo die Oper vollendet war, und es nun galt, die Ouvertüre
herzustellen. In jenem Momente musste natürlich die Symphonie-
Arbeit zurücktreten, mochte sie auch noch so weit vorgerückt
sein. Denn Beethoven war flir die rechtzeitige Ablieferung der
Opempartitur der Theater- Verwaltung verantwortlich, flir die Voll-
endung der Symphonie Niemandem ausser sich.
2. Zur Bekräftigung und genaueren Bestimmung seines aus der
Skizzensammlung gezogenen Schlusses beruft sich N. einestheils
auf einen gegen den Herbst 1 807 von Wien aus an das Weimarer
„Journal des Luxus" geschriebenen Brief, in welchem gemeldet wird,
Beethovens Fidelio solle „nächstens in Prag mit einer neuen Ouver-
türe aufgeführt werden", — andern theils auf das Zeugniss Seyfrieds,
der in seinen „Studien" (Seite 9 des Anhangs) sagt: „Für die
Prager Bühne entwarf Beethoven eine neue, minder schwierige
338
Ouvertüre, welche Haslinger in der Auktion erstand und wahrschein-
lich bald der Publizität überliefern wird." Nun sei die von Hasünger
erstandene und als Opus 138 herausgegebene Ouvertüre keine andere,
als die erste Leonoren-Ouverture. Folglich sei dieselbe fUr Prag kom-
ponirt, und zwar, wie der Wiener Brief bezeuge, im Jahre 1807.
Zunächst fragt es sich, wie in dem Wiener Briefe aus dem
Jahre 1807 der Ausdruck „neue Ouvertüre" zu deuten ist. Es ist
nicht nothwendig, dass der Schreiber eine neu und eben kom-
ponirte im Sinne hatte, er konnte auch eine noch nicht aufge-
führte, noch unbekannte Ouvertüre bezeichnen wollen. Beethovens
Werke sind von den Verlegern bei der Herausgabe oft mit der Be-
merkung „ganz neu" angezeigt worden, und doch waren sie in vielen
Fällen schon vor Jahren komponirt. Theodor Körner berichtete am
2. Februar 1812 über die Aufführung des 1809 komponirten Es dur-
Konzertes: „Ein neues Klavierkonzert von Beethoven fiel durch."
Femer, dem Wiener Briefe und Seyfrieds Angabe fehlt die
wesentlichste Bekräftigung, welche darin bestehen würde, dass bei
der ersten Auffllhrung des Fidelio in Prag, die übrigens nicht vor
Ende 1810 stattgefunden zu haben scheint, wirklich die Ouvertüre
Op. 138 gespielt worden ist. Doch darüber fehlt jede Kunde; und
dieser Umstand spricht dagegen. Hätte Beethoven eigens flir Prag
eine Ouvertüre zu Fidelio komponirt, so hätte sie schon Anstands-
halber aufgeführt werden müssen, diese theilweise Neuerung aber
würde nicht unbekannt geblieben sein. Die Ouvertüre Op. 138 ist,
so weit bekannt, zu Lebzeiten Beethovens, abgesehen von einer Probe
bei Lichnowsky, niemals zu öflfentlichem Gehör gekommen.
Ferner, Seyfrieds Angabo scheint nicht auf authentischer Zeugen-
schaft zu beruhen, sondern auf der Kombination zweier Umstände,
der missverstandenen Nachricht des Wiener Briefes und der bei
Haslinger im Manuskript gesehenen, an dem Adagio-Satze sofort
als eine Leonoren-Ouverture erkannten Composition. Nun ist aber
Seyfried überhaupt in vielen seiner Mittheilungen, die sich grade
auf den Fidelio beziehen, ungemein unzuverlässig, verwechselt er
doch, wie Otto Jahn in seinem Klavierauszuge nachweist, in seinen
Nachrichten über die Bearbeitung des Fidelio im Jahre 1814, fast
jedesmal diese letztere mit der Bearbeitung aus dem Jahre 1806.
So ist denn auch der Ausdruck „er entwarft in der oben ange-
führten Studienstelle äusserst verdächtig. Wahrscheinlich hätte
Seyfried nur schreiben dürfen „er gab her", nämlich was er aus
früherer Zeit liegen hatte — unsere Ouvertüre. Mithin dürfte der
334
Wiener Brief und Seyfrieds Aussage keinen Aufschluss Über unsere
Frage geben.
Endlich ist es höchst auffallend, dass HasUnger, der das Sey-
friedsche Buch im Jahr 1832 verlegte und die Stelle über die Ouver-
türe, wie aus einer dazu gemachten Anmerkung hervorgeht, kannte,
dennoch diese Ouvertüre noch in demselben Jahre erscheinen Hess
mit der Titelbemerkung „komponirt 1805". Nottebohm weiss diesen
Widerspruch nicht genügend zu erklären. Wir schliessen aus Has-
lingers Abweichen von Seyfried, dass jener, inzwischen aus irgend
einer glaubwürdigen Quelle schöpfend, über das Kompositionsjahr
der Ouvertüre anderer Meinung geworden ist.
3. Beethoven hat 1814, bevor er zur Wiederaufführung der
Oper 'die bekannte Ouvertüre in Edur schrieb, beabsichtigt, die
fragliche Ouvertüre mit Beibehaltung der Hauptthemata umzuarbeiten.
Dass die aufdieseUmarbeitungbezüglichen, noch vorhandenen Skizzen
aus dem Jahre 1814 stammen, ist unzweifelhaft. Nottebohm knüpft an
diese Thatsachc die Frage: „Hätte Beethoven im Jahre 1814 bei der
letzten Bearbeitung seiner Oper, an die Umarbeitung der Ouvertüre
Op. 138 denken können, wenn dieselbe im Jahre 1805 geschrieben
und die erste Leonoren-Ouvertm-e wäre?" Er erwartet natürlich
eine verneinende Antwort.
Wir bejahen diese Frage und zwar, wie wir glauben, mit gutem
Grunde. Der Zeitraum von 1806 bis 1814 ist ohne Zweifel der
fruchtbarste in Beethovens Schaffen. In ihn fallen 5 Symphonien,
die Musik zu Egmont, Ruinen von Athen und König Stephan, die
Koriolan-Ouverture , die erste Messe, eine Reihe Sonaten, Trios,
Quartette und Konzerte etc., fast lauter Werke ersten Ranges nach
Formvollendung und Gedankentiefe. Dass bei einer so reichen und
intensiven Produktivität der Künstler selbst, ganz abgesehn von dem
Einfluss, den das Leben und die Jahre ausüben, ein anderer wird,
und dass mit des Künstlers Wandelung auch die Stimmungen und
Vorstellungskreise verloren gehen, aus welchen Werke früherer
Perioden geboren wurden, muss vorausgesetzt werden. Es war
natürlich, dass Beethoven 1814, als ihm angetragen wurde, den
Fidelio wieder auf die Bühne zu bringen, um der Sicherung des
Erfolges willen zu abermaligen Umgestaltungen seines Werkes schritt,
aber ebenso begreiflich, dass er Mühe hatte, die rechte Stimmung
daflir zu gewinnen. In solcher Lage ist er dann ohne Zweifel auf
die ursprüngliche, der schöpferischen Begeisterung unmittelbar ent-
sprungene Gestalt zurückgegangen, zunächst wohl nur um den ver-
336
siegten Qiiell wieder zu beleben, um sich für die Aufgabe aufs neue
zu Orientiren. Das Ergebniss aber war, dass er Mancherlei, was
1806 ausgeschieden worden war, wieder aufnahm, dass er, wo es
sich um Umarbeitungen handelte, zuweilen die erste Form an Stelle
der zweiten setzte; über einige Fälle dieser Art werden wir unten
ausführlicher handeln. Wenn er nun damals den Versuch machte,
auch die Ouvertüre Op. 138 umzuarbeiten, so liegt es nahe, grade
daraus zu schliessen, dass sie zugleich mit dem ersten Wurf der
ganzen Oper entstanden war, also im Jahre 1805.
Es scheint, als wenn er der festlichen Stimmung, die ihn über-
kommen hatte, als man nach seinem Werke zurückverlangte, habe
Ausdruck geben wollen, indem er, wie die Entwürfe zeigen, abge-
sehen von den melodisch-harmonischen Veränderungen, die Ouver-
türe in das glänzende Gewand des hellen E dur zu kleiden ver-
suchte; auch dem Trompetensignal, welches mit Leonorens Gestalt
nichts zu schaffen hat, aber seit den Ouvertüren No. 2 und 3 für
den reflektirenden Verstand Leitmotiv im Bereiche dieser Oper ge-
worden war, scheint irgendwo eine Unterkunft bestimmt gewesen
zu sein — doch bald nach dem Anfange der Arbeit muss Beethovens
Hand erlahmt sein. Er erkannte, dass diese Ouvertüre vollkommen
zweckentsprechend sei, und legte sie bei Seite, indem er der Violin-
stimme den bedeutungsvollen Titel zusetzte „charakteristische
Overture". Nun scheint aber das Publikum bei der neuen Insce-
nirung auch eine vollkommen neue Ouvertüre erwartet zu haben.
So bequemte er sich denn, eine vierte zu schreiben, die bekannte
m E dur, und bewies damit seine unversiegliche, jugendliche Schöpfer-
kraft — aber das Kunststück, über ein und denselben Gegenstand
viermal ganz neue, zum Theil entgegengesetzte Gedanken und doch
jedesmal die absolut treffenden zu äussern, nachdem schon der erste
Anlauf das rechte Wort gefunden hatte — dies Kunststück zu
vollbringen, blieb auch einem Beethoven versagt.
Noch ein letzter Punkt bleibt für die Entscheidung übrig, nämlich
Schindlers Bericht über eine bei Fürst Lichnowsky veranstaltete
Probe der Ouvertüre und über die von der Zuhörerschaft unter Zu-
stimmung Beethovens ausgesprochene Verwerfung des Werkes.
Nottebohm erklärt diese Erzählung, so weit sie die vom Publikum
geübte und von Beethoven angenommene Kritik betrifft, ftir un-
glaublich. Aber hat sich Beethoven nicht grade in Sachen seiner
Oper vielfach guten ßath gefallen lassen? Ist nicht grade die erste
Umgestaltung seines Werkes, wie wir sehen werden, das Ergebniss
336
einer berathenden Konferenz von Musikern, Schauspielern und
Musikfreunden, denen die Oper in ihrer ersten Gestalt zu rückhalt-
loser Prüfung vorgelegt wurde?
Dass die Probe bei Lichnowsky stattgefunden habe, lässt N.
dahin gestellt, giebt aber die Möglichkeit zu. Wir unserseits haben
keinen Grund, an Schindlers Mittheilung zu zweifeln, üeberdies
erinnerte sich, wie Haslingers Anzeige der bevorstehenden Ver-
öffentlichung der Ouvertüre im Jahre 1828 ausdrücklich erwähnt,
auch der Violinist Schuppanzigh „einer vor einigen Jahren abge-
haltenen Probe der Ouvertüre". Ist aber die Ouvertüre Op. 138
bei Fürst Lichnowsky aufgeflihrt worden, so kann dies nicht gut
im Jahre 1807 geschehen sein. Denn seit dem Herbst 1806 hatte
Beethovens Verhältniss zu dem fürstlichen Hause an Intimität ein-
gebUsst und ward erst Jahr und Tag später ganz das alte. Im
Anfange des Jahres 1806 bis Ende März war Beethoven mit der
Umarbeitung der Oper selbst und der Komposition der Ouvertüre
Nr. 3 beschäftigt, den Sommer aber und einen Theil des Herbstes
brachte er auf Reisen zu. Es kann daher auch 1806 jene Probe
nicht stattgefunden haben. So bleibt nur der Herbst des Jahres
1805 für die Zeitbestimmung dieser Probe übrig. —
Von Nottebohms drei Hauptargumenten fllr das Jahr 1807
hat sich das zweite, welches aus dem Wiener Briefe und Seyfrieds
Buch geschöpft ist, als unbrauchbar für die Lösung unserer Frage
ei'wlesen, die beiden andern aber können mit grösserem Rechte für
1805 als für 1807 ausgebeutet werden. Das Jahr 1805 erhält
durch Schindlers Erzählung und durch den Titel der Haslingerschen
Ausgabe eine äussere Bestätigung. Erinnern wir uns endlich des
inneren Grundes, aus welchem wir mit A. B. Marx unsere Ouver-
türe ftir die erste der Leonoren-Ouverturen halten zu müssen
glaubten, so müssen mr bei aller Hochachtung vor dem in chro-
nologischen Dingen bewährten Scharfsinn Nottebohms in diesem
Falle doch seinem Ergebniss widersprechen und der Ueberlieferung
zustimmen. Alle Anzeichen, äussere wie innere, sprechen für das
Festhalten am Jahre 1805 als Entstehungszeit unserer Ouvertüre.
Die Gestalt der Oper selbst war damals von der jetzt allge-
mein bekannten in manchen Punkten abweichend. Vor allem war
sie in drei Akte getheilt.
337
Beim Aufgehen des Vorhanges ist MarzeUine allein auf der
Bühne und singt nach kurzem Monolog (Nr. 1) ihi'e Arie „0 war'
ich schon mit dir vereint" (C moU, C dur nach der C dur-Ouverture),
worauf Jaquino auftritt und (Nr. 2) das Duett „Jetzt, Schätzchen,
jetzt sind wir allein" anhebt. Rokko kommt dazu, hat seine Bedenken
gegen das Heirathen überhaupt, und so entspinnt sich (Nr. 3) das
Terzett „Ein Mann ist bald genommen, bald nimmt man sich ein
Weib". Nun erst tritt Leonore als Fidelio ein und es folgt (als
Nr. 4) das Quartett „Mir ist so wunderbar", womit denn das Drama
in ein höheres Stadium tritt, nachdem es mit drei Scenen und Musik-
stücken im Kleinleben und bei den Thorheiten Marzellinens und
Jaquino's sich aufgehalten. Nach (Nr. 5) Rokko's Arie, „Hat 4nan
nicht auch Gold beineben", folgt (Nr. 6) das Terzett, „Gut, Söhnchen,
gut"; es schloss damals den ersten Akt, der allerdings weder die
hohe Richtung der Oper noch den Charakter Leonorens genügend
bezeichnete. Wie fremdartig vollends dieser erste Akt und die
zweite oder dritte Ouvertüre einander gegenüberstehn mussten,
sieht jeder, der die Ouvertüren kennt, auf den ersten Blick.
Den zweiten Akt eröifnet (Nr. 7) der Marsch und der Eintritt
Pizarro's nach dem Aulzug der Soldaten ; es folgt, wie jetzt, Pizarro's
Arie (Nr. 8) und (Nr. 9) sein Duett mit Rokko. Beide gehn ab,
MarzeUine tritt mit Leonore (Fidelio) auf und behelligt (Nr. 10)
sie in einem Duett mit ihren Gedanken über Eheglück.
Daran schliesst sich, befremdend genug, unmittelbar (Nr. 11)
das Rezitativ .und die grosse Arie Leonorens, in welcher sie, frei
von dem Drucke der noch eben nothgedrungen zur Schau getragenen
Verstellung, die wahren Gedanken und Gefühle ihres Innern ausspricht.
Das Finale des zweiten Aktes (Nr. 12), bringt nach dem Chor der
Gefangenen das Duett zwischen Rokko und Leonoren über den vom
Gouverneur ertheilten Auftrag; da erscheint MarzeUine und verkündet
angsterfüllt das Kommen Pizarro's, gleich darauf dieser selbst, der
den Rokko zomerregt wegen zeines Zauderns von dannen treibt,
während er mit der Wache der Soldaten allein auf der Bühne zurück-
bleibt, diese durch Drohungen zu Pflichteifer und Wachsamkeit an-
spornt und von ihnen Versicherungen der Treue und des Muthes
empfängt. Dies der Schluss des Finales, das sich auch dadurch
von der heutigen Gestalt unterscheidet, dass die Gefangenen sich nach
dem Gefängnissgebrauche, weil die Zeit gekommen ist, ergehen,
während jetzt Rokko dieselben auf Bitten Leonorens, wider Pizarro 's
Willen, in die freie Luft lässt. Der dritte Akt (jetzt der zweite)
Marx, BeethoTen. I. 22
338
vollzieht sich durchweg im Kerker, während die Schlusshandlung
später auf einen freien Platz vor dem Burgthor verlegt wird; die
erste Scene unterscheidet sich in Text und Gesang wesentlich von
ihrer späteren Form. Florestan zieht ein Bild Leonorens hervor
und an dem Anblick ihrer Züge so wie in dem Bewusstsein recht
gehandelt zu haben stillt er seine Klage — Nichts von Aufschwung
der Seele zum Gedanken der himmlischen Freiheit. Alles üebrige
bis zum Anfange desFmales erscheint, in scenischer Beziehung, schon
in der endgültigen Fassung; nur das Melodrama nach dem Eintritt
Rokko's und Leonorens ins Gefängniss fehlt. Bei Beginn des Finales
hört man das Volk mit wildem Rachegeschrei nahen. Schon glauben
Florestan und Leonore sich verloren, doch der Ruf des näherdringen-
den Volkes „die Unschuld werde befreit" beruhigt sie. Endlich er-
scheint der llinister, geleitet von Pizarro, Rokko mit den Seinigen
und das Volk. Fernando lässt Florestan durch Leonoren die Ketten
abnehmen, während Rokko ihr gegenüber sein Benehmen entschuldigt
und Pizarro sein Gold vor die Füsse wirft. Dann folgt, der poetischen
Gerechtigkeit wegen, eine Verhandlung über das Schicksal des
Pizarro. Letzterer soll an denselben Stein geschmiedet werden, an
dem Florestan geschmachtet hat; das Volk schreit nach strengerer
Vergeltung; das wiederverointe Paar bittet für ihn um milde Be-
handlung — die Entscheidung wird dem Könige vorbehalten^ und das
Ganze schliesst mit dem Chorgesang zu Leonorens Ruhm und Preis.
Soviel über die erste Anlage der Oper.
So ging sie nun, mit der zw- eiten Ouvertüre, am 20. November
1805, im Theater an der Wien in Scene.
Aber unter w-elchen Umständen ! Sieben Tage zuvor waren die
Franzosen in Wien eingerückt, Tausende der höheren Klassen, dar-
unter viele Freunde Beethovens, hatten die Stadt verlassen, das
Theater war fast nur von französischen Offizieren besucht, die Dar-
stellung mangelhaft, das Orchester schon gegen die Ouvertüre,
wiegen der grossen Schwierigkeit besonders für die Bläser, gestimmt.
Die Aufnahme war eiskalt; nach drei (am 20. 21. 22. November)
Vorstellungen zog Beethoven sein Werk zurück.
Es war gefallen. Besonders die Ouvertüre hatte Alles gegen
sich. Das Publikum fand sie ungemessen lang und unverständ-
lich. Auch Cherubini belliss sich zu erklären, er wisse nicht, aus
welchem Ton die Ouvertüre gehe, die Oper aber beweise, dass sich
„ihr Autor bis dahin noch viel zu wenig mit dem Studium der
Gesangskunst befasst habe". Wir erinnern daran, dass beide
389
Künstler durch den Wettkampf der Direktoren Schikaneder und
Braun in eine Art Gegensätzlichkeit zu einander hineingezogen
worden, wollen aber demungeachtet nicht behaupten, dass Cheru-
bini's Urtheil aus persönlicher Missgunst hervorgegangen. Das
Resultat übrigens der Bemühungen Brauns um Cherubini war die
Komposition der Oper Faniska, deren Text ebenfalls Sonnleithner,
und zwar gleichzeitig mit Leonore gedichtet hatte. Faniska wui*de
am 25. Februar mit grossem Beifall im Hoftheater aufgeführt.
So stand denn der Oper selber die Vorliebe, deren gerade
damals bei den Wienern Cherubini genoss, vielleicht auch der Ver-
gleich mit der sehr beliebten Paerschen Oper Leonore,*) die sicher-
lich mancher Musikliebhaber in Dresden gehört hatte, im Wege;
allerdings war die flache Freud Seligkeit, ewige Sichselbstgleich-
bleiberei Paerscher Musik leichter fasslich, vielleicht im Druck und
in den Aufregungen der damaligen Zeit wohlthuender. Aber auch
ruhige Stimmftihrer erklärten sich gegen das Werk. „Das merk-
würdigste unter den musikalischen Produkten des vorigen Monats
(schreibt der Berichterstatter der Allg. mus. Ztg.) war wohl die schon
längst erwartete Beethovensche Oper Fidelio oder die eheliche Liebe.
Sie wurde am 20. November zum ersten Mal gegeben, aber sehr
kalt aufgenommen. Wer dem bisherigen Gang des Beethovenschen,
sonst unbezweifelten Talentes mit Aufmerksamkeit und ruhiger
Prüfung folgte, musste etwas ganz Anderes von diesem Werke hoffen,
als gegeben worden. Beethoven hatte bis jetzt so manchmal dem
Neuen und Sonderbaren auf Unkosten des Schönen geopfert; man
musste also vor Allem Eigenthümliclikeit, Neuheit und einen gevdssen
originellen Schöpfungsglanz von diesem seinem ersten theatraüschcn
Singprodukte erwarten — und gerade diese Eigenschaften sind es,
die man am wenigsten darin antraf. Das Ganze, wenn es ruhig
und vorurtheilsfrei betrachtet wird, ist weder durch Erfindung noch
durch Ausführung hervorstechend. Die Ouvertüre besteht aus einem
sehr langen, in alle Tonarten ausschweifenden Adagio, worauf ein
AUegro aus C dur eintritt, das ebenfalls nicht vorzüglich ist, und
mit andern Beethovenschen Instrumentalkompositionen — auch nur
*) Auf die Wiener ßahne kam seine Eleonora ossia Tamor conjugale erst
am 8. Febr. 1S09; unzweifelhaft war sie aber, bei der Beliebtheit des Kompo-
nisten, schon früher den Kunstfreunden bekannt und dem Theaterpublikum er-
sehnt. Waren doch in den 3 Jahren 1799-1801 7 neue Opern von Paer im
Wiener Hoftheater zur Aufführung gekommen. Die Oper «Achille* wurde
1801 — 1803 55 mal, die Oper »Poche ma buone* 14 mal aufgeführt u. s. w.
22*
340
z. B. mit seiner Ouvertiire zum Ballet Prometheus keine Ver-
gleichung aushält. Den Singstücken liegt gewöhnlich keine neue
Idee zum Grunde, sie sind grösstentheils zu lang gehalten, der
Text ist unaufhörlich wiederholt, und endlich auch zuweilen die
Charakteristik auffallend verfelüt — wovon man gleich das Duett
im dritten Akte, aus 6 dur, nach der Erkennungsscene selbst zum
Beispiel anführen kann. Denn das immer laufende Accompagne-
ment in den höchsten Violinchorden drückt eher lauten, wilden Jubel
aus, als das stille, wehmüthig tiefe Gefühl, sich in dieser Lage
wiedergefunden zu haben. Viel besser ist im ersten Akte ein
vierstimmiger Kanon gerathen, und eine effektvolle Diskantarie
aus F dur (die spätere grosse Arie der Leonore?), wo drei obligate
Hörner mit einem Fagotte ein hübsches, wenn gleich zuweilen
etwas überladenes Accompagnement bilden. Die Chöre sind von
keinem Effekte, und einer dereelben, der die Freude der Gefangenen
über den Genuss der freien Luft bezeichnet, ist offenbar missrathen.**
Dieser absprechenden Kritik gegenüber ist es interessant zu lesen.
welches Lob Paers Leonore nach der ersten Dresdener Aufführung
einerntete. „Die feurige Ouvertüre, einige Charakterarien und
mehrere vortreffliche Ensembles, mit Geist, Erfahrung und un-
gemeiner Gewandtheit ausgeführt, fanden ausgezeichneten Beifall.''
So heisst es in derselben Zeitung» Aber damit hatte Paer seinen
Lohn dahin. Seine Musik, der die Gegenwart lauschte, hat die
Folgezeit verweht.
Es ist viel Fischblut und Fischgeruch in allen diesen Rezen-
sionen und Berichten, und unter dem Anschein von Bescheidenheit
und Schonung viel Anmassung. Was will es heissen, wenn von
einem „gewissen originellen Schöpfungsglanz", von „Neuem und
Sonderbarem auf Unkosten des Schönen" (Beethoven hat weder das
Eine, noch das Andere, noch das Dritte gesucht, sondern nur der
jedesmaligen Idee nachgetrachtet, in der er „das Schöne" fand) ge-
redet, oder irgend etwas „nicht vorzüglich" genannt wird? Das
sind diese in ihrer Allgemeinheit nichtssagenden Phrasen, die sich
nicht auf die Sache einlassen, sondern daneben — und ein bischen
darüber stellen, um sie nach fremdem abstraktem Mass zu messen,
Beispiele zu dem S. 284 Gesagten. Aber der Erfolg zeugt dafür,
dass jener Berichterstatter im Einklang mit der Auffassung des
Publikums gesprochen. Und — im Hinblick auf diese erste Ge-
staltung der Oper kann man dem Publikum nicht allzu grosse
Schuld beimessen: der erste Akt im Verein mit der Ouver-
341
iure musste den Gesichtspunkt flir die Auffassung schwankend
machen.
Beethoven aber war tiberzeugt, das Werk sei den Kabalen seiner
Feinde*) zum Opfer gefallen. Er legte namentlich fortwährend
grosses Gewicht darauf, dass man die Oper nicht Leonore, sondern
gegen seinen Willen Fidelio genannt. Und doch kann man es der
Direktion nicht verargen, dass sie nach dem Bekanntwerden der
Paerschen Oper Leonore die ursprüngliche Gleichnamigkeit beseitigte.
Dies forderte, wie Nottebohm mit Recht sagt, „die Theaterpraxis".
Das Publikum musste vor irrigen Voraussetzungen bewahrt werden.
Sonnleithner, der ja den Stoff gewählt, bevor an das Hervortreten
der Paerschen Oper zu denken war, hatte sein Textbuch „Leonore"
betitelt, und Beethoven mag ganz abgesehen von der Vorliebe für
diesen Namen ihn auch festgehalten haben, um nicht den Schein
zu erregen, als wolle er dem Vergleich mit Paer ausweichen.
Richtiger urtheilten, als sich nur erst die Zeiten beruhigt hatten,
seine Freunde. Ihnen leuchtete der hohe Werth der Komposition
*) Dass er Feinde genug gehabt, dafür bärgt schon seine Eigenthümlichkeit.
Den schwachen Menschen — und sie bilden die Mehrzahl — wird unheimlich
in der Nähe eines selbständigen und eigenthümlichen Charakters; gern suchen
sie den alten Fabelschluss
„Du Narr, willst klüger sein als wir?*' —
„Man zwang den Petz, davonzulaufen.*'
in Anwendung zu bringen. Dann kam der Neid, dann aber auch der Verdruss,
den Beethovens Schroffheit und ein gewisses sarkastisches Wesen, dem er sich
leicht und oft überliess, bei sonst Gutgesinnten erregen musste. Dieser Sar-
kasmus nahm oft eine wunderliche Form an, er stützte sich auf alte musikalische
Anekdoten, die Beethoven aus der Allg. mus. Zeitung aufgelesen und auf die
er mit einem nur im Zusammenhang der Anekdoten verständlichen Worte an-
spielte; vielleicht gerade damit schärfer verletzend, weil es weit hergeholt, oder
gar hinterhaltig erscheinen konnte. So pflegte er, wenn ein Sänger seine Sache
schlecht gemacht, den Umstehenden mit freundlichem Zunicken laut genug „Da
capo!** zuzurufen. Das bezog sich nämlich auf eine Anekdote aus Paris. Dort
hatte sich ein schlechter Sänger mit schwacher Brust in einer langen Bravour-
Arie hören lassen und war ausgepfiffen worden; eine einzige Stimme hatte
nachdrücklich Da capo! gerufen und den Sänger bewogen, vorzutreten und
seine Arie nochmals bis zu Ende durchzusingen, obgleich er bei dem Gelärm
der Zuhörer sich selber kaum hören konnte. Kaum liess das Pfeifen und
Toben ein wenig nach, so erhob jene Stimme wieder ihr lautes und beharrliches
Da capo — und der Sänger trat wieder vor. Nun wandte sich der Zorn des
Publikums gegen den Da capo -Schreier. Que voulez vous? entgegnete der:
moi, je voulais faire cr^ver cette Canaille! .... ich wollte, der Lump sollte
singen, bis er platzte. —
342
ein, aber zugleich dife Nothwendigkeit von Aenderungen und
Kürzungen. Zuei-st nahmen Steffen Breuning und der Hofrath
V. Collin (der Dramatiker) darüber Rücksprache; dann wurde bei
Lichnowsky eine förmliche Sitzung gehalten, der das fürstliche
Paar, jene Beiden, Graf Moritz Liclmowsky, der Tenorist Röckel,
der Bassist Meyer, der Schauspieler Lange, der Regisseur der Hof-
oper Treitschke, der Dirigent des Orchesters Clement, endlich
Beethoven selber nebst seinem Bruder Kaspar beiwohnten.
Ueber diese Sitzung berichtete noch im Jahre 1861 Röckel*)
an Thayer brieflich folgendermassen :
„Da die ganze Oper durchgenommen werden sollte, so gingen
wir gleich ans Werk. Fürstin Lichnowsky spielte auf dem Flügel
die grosse Partitur der Oper, und Clement, der in einer Ecke des
Zimmers sass, begleitete mit seiner Violine die ganze Oper aus-
wendig, indem er alle Solos der verschiedenen Instrumente spielte.
Da das ungewöhnhche Gediichtniss Clemens allgemein bekannt
war, so war niemand ausser mir darüber erstaunt. Meyer und ich
machten uns dadurch nützlich, dass wir so gut wir konnten dazu
sangen, er (Bass) die tieferen, ich die höheren Partien der Oper.
Obgleich die Freunde Beethovens auf den bevorstehenden Kampt
vollständig vorbereitet waren, hatten sie ihn doch nie früher in
dieser Aufregung gesehen, und ohne das Bitten und Flehen der
sehr zartfühl(»nden, schwächlichen Fürstin, welche für Beethoven
eine zweite ]\Iutter war und von ihm selbst als solche anerkannt
wurde, würden seine verl)undenen Freunde wahrscheinlich in diesem
auch lilr sie sehr zweifelhaften Unternehmen schwerlich Erfolg ge-
habt haben. Als al)er nach ihren vereinten Bestrebungen, die von 7
bis nach 1 Uhr gedauert hatten, die Aufopferung von drei Nummern
angenommen war, und als wir, erscliöpft, hungrig und durstig, uns
anschickten, durch ein glänzendes Souper uns zu restauriren, da war
niemand glückHcher und fnihlicher wie Beethoven. Hatte ich ihn
vorher in seinem Zorne gesehen, so sah ich ihn nunmehr in seiner
Laune. Als er mich ihm gegenüber angestrengt mit einem franzö-
sischen Gerichte beschäftigt sah, und ich auf seine Frage; was ich
da ässe, antwortete: ich weiss es nicht! da rief er mit seiner
Löwenstimrae aus: Er isst wie ein Wolf, ohne zu wissen was! Ha!
Ha! Ha! —
*) Joseph August Röckel, geb. 28. 8. 1783 in Neuberg vorm Wald
in der Pfalz, starb 19. 9. 1870 in Kötben.
343
Die verurtheilten Nummern waren:
1. eine grosso Arie des Pizarro mit Clior (d. h., wie 0. Jahn
erläutert, der Schiuss des ersten Finales in der ursprünglichen
Gestalt wurde zur Umarbeitung und Kürzung bestimmt, nicht
gestrichen);
2. ein komisches Duett zwischen Leonore (Fidelio) und Mar-
zelline, mit Violon- und Violoncellsolo („Um in der Ehe froh zu
leben");
3. ein komisches Terzett zwischen Marzelline, Jaquino und
Rokko („Ein Mann ist bald gewonnen"). Viele Jahre später fand
H. Schindler die Partituren dieser 3 Stücke unter dem Abfall von
Beethovens Musik und erhielt sie von ihm zum Geschenke."
So weit Röckel. Ausser den drei von ihm genannten Stücken
fiel nach O. Jahns Feststellungen (Ges. Aufs, über Musik, 1866.
S. 249 fl.) auch die Arie Rokko's „Hat man nicht auch Gold bei-
neben" aus.
Auch den Text beschloss man umzuarbeiten und die Scenen
neu zu vertheilen. Breuning unterzog sich dieser Arbeit, deren
Hauptresultat die Einrichtung der Oper auf nur 2 Akte war.
Beethoven selbst ging nun mit neuer Lust an das Werk; besonderen
Fleiss aber verwendete er auf die Verbesserung der zweiten
Ouvertüre. Sie wurde so durchgreifend umgearbeitet, dass ihre
neue Gestalt einigermassen als neues Werk gelten und als dritte
Ouvertüre herausgegeben werden konnte. So weit war Beethoven
schon gebracht, dass er sich um die Gunst der Sänger bewarb und
in einem Briefchen bat: Röckel solle nur ja seine Sache recht gut
machen bei der Milder, von der der Leipziger Berichterstatter
sagt, sie habe trotz ihrer schönen Stimme doch viel zu wenig Afiekt
und Leben gezeigt — damals gewiss mit Recht, denn sie hat ihre
höhere Stellung erst in Berlin durch Spontini erhalten. „Morgen
(sagt Beethoven im Briefe) komme ich aber selbst, um den Saum
ihres Rockes zu küssen."
So hat Beethoven gesprochen. Wer den Koulissen naht, wird
leicht mit Oel beschmiert.
Die Oper ging am 29. März 1806 an dem letzten Theaterabend
vor Beginn der Charwochc wieder in Scene, wurde noch einmal
nach Wicdereröftiumg des Theaters, am 10. April, wiederholt und
verschwand dann auf viele Jahre von der Bühne, nachdem sie im
Ganzen 5 Vorstellungen erlebt, 3 in ihrer ursprünglichen, 2 in
ihrer neuen Gestalt.
344
und (loch hatte die Oper bei ihrem Wiedererscheinen den
Beifall des Publikums gefunden. Dies bezeugt Freund Breuning"
in einem Briefe an die Seinigen, femer sagt Röckel, der Sänger
des Florestan, in dem oben auszugsweise mitgetheilt^n Berichte
an Thayer wörtlich: „Die Oper wurde in hohem Grade wohl auf-
genommen von einem auserwählten Publikum, welches mit jeder (?)
Wiederholung zahlreicher und enthusiastischer wurde." Auch die
Stimmen der musikalischen Presse lauteten wohlwollender als früher.
So schreibt der Korrespondent der Allg. musik. Zeitg. unter dem
2. April: „Beethoven hatte seine Oper Fidelio mit vielen Ver-
änderungen und Abkürzungen wieder auf die Bühne gebracht. Ein
ganzer Akt ist dabei eingegangen, aber das Stück hat gewonnen
und nun auch besser gefallen." Und in der Zeitung für die
elegante AVeit heisst es unterm 20. Mai 1806, nachdem mit Recht
henorgehoben, dass der Gesammteindruck durch die gesprochenen
Episoden beeinträchtigt werde: „Die Musik ist meisterhaft und Beet-
hoven zeigte, was er auf dieser neu betretenen Bahn in der Zukunft
wird leisten können. Vorzüglich gefallen hat das erste Duett und
die zwei Quartetten." Nur die Ouvertüre wird auch nach ihrer Um-
arbeitung verworfen „wegen der unaufhörlichen Dissonanzen und des
überladenen Geschwirrs der Geigen", sie sei „mehr eine Künstelei als
wahre Kunst". Allerdings ein wunderlich schiefes Urtheil, so weites
die Ouvertüre betrifft, dem wir weiter unten ein für una Spätergeborene
und in BeethovensMusik Aufgewachsene noch fremdartiger klingendes
an die Seite stellen werden. Die Zeiten haben sich eben geändert.
Ueberhaupt hatte die damalige Kritik die höheren Gesichts-
punkte, aus denen Beethoven erfasst sein will, noch nicht gewonnen
und das Publikum, an leichtere Genüsse gewöhnt, im Grossen und
Ganzen sicherlich noch keine Ahnung von den tiefen Offenbarungen
und überirdischen Gesichten, welche aus dieses Künstlers Schöpfungen
hervorleuchten — aber so viel lässt sich auf Grund der obigen
Mittheilungen doch behaupten, dass Fidelio in seiner zweiten Gestalt
diejenige Aufnahme und Anerkennung gefunden hatte, welche einem
Bühnenwerke bei dem Publikum und darum natürlich auch bei den
Direktoren und dem darstellenden Personal das Leben zu sichern
pflegt. Dabei war die Aufttihrung selbst durchaus nicht musterhaft
gewesen und hatte es nach Lage der Verhältnisse kaum sein können.
Beethoven, unermüdlich im Verbessern alles dessen, was ihm in der
Partitur änderungsbedürftig erschien, hatte sich zur Umarbeitung
Zeit genommen und lange mit der Ablieferung der Partitur gezögert,
345
so dass Baron Braun, endlich ungeduldig geworden, den 29. März
als den letzten Termin festsetzte, an dem die Aufführung statt-
haben müsse, widrigenfalls er die Oper gar nicht geben werde;
dann hatte Beethoven sich zwar beeilt, aber nur 2 oder 3 Proben
waren am Klavier, eine mit Orchester noch dazu in Abwesenheit
des Komponisten abgehalten worden. Wenn also die Oper trotz
der Unebenheiten der Darstellung Beifall fand, so darf man jeden-
falls nicht den unbefriedigenden Erfolg als die Ursache des Zurück -
legens der Oper betrachten.
Die Gerechtigkeit verlangt zu bekennen, dass Beethoven wahr-
scheinlich selbst die Schuld an der vorläufigen Kurzlebigkeit seiner
Oper trug, indem er in einer Unterredung mit Baron Braun über
den finanziellen Erfolg Pidelio's sich in einem Momente der Auf-
wallung und des Zornes hinreissen liess, von der ferneren Aufführung
Abstand zu nehmen. Wieder ist es Eöckels Brief an Thayer, der
hierüber berichtet. Beethoven erhielt, wie auch andere Quellen be-
stätigen, kein Honorar, sondern einen Antheil am Gewinne der
Vorstellungen. Da er die für ihn von den Fidelio-Abenden ent-
fallende Summe von etwa 200 Gulden der wirklichen Einnahme
nicht entsprechend fand, so glaubte er sich übervortheilt und be-
klagte sich darüber in aufgeregter Weise bei dem Direktor, der ihn
zu beruhigen suchte, indem er sich für die Ehrenhaftigkeit seiner
Kassenbeamten verbürgte und auf bessere Zeiten verwies, wo nicht
nur die vornehmeren Plätze, sondern auch die oberen besetzt
sein und ihren Beitrag liefern würden. „Ich achreibe nicht für die
Gallerien," rief Beethoven aus. „Nicht?" erwiderte der Baron Braun ;
„selbst Mozart verschmähte nicht, für die Gallerien zu schreiben."
Damit war es aus. „Ich werde die Oper nicht mehr geben," sagte
Beethoven; „ich verlange meine Partitur zurück." Nach diesen
Worten zog Braun die Klingel, gab den Befehl, dem Komponisten
die Partitur herauszugeben, und die Oper wurde für eine lange
Zeit der Vergessenheit übergeben.
Aus diesem Auftritt Beethovens mit Baron Braun könnte
man schliessen, er habe sich durch den Vergleich mit Mozart be-
leidigt gefunden ; da er aber Mozart hoch verehrte, so stiess er sich
vielleicht mehr an der Art, wie ihm dies gesagt wurde, als an dem
Inhalt der Worte selbst Er sah wohl bald ein, dass er in der
Hitze sehr unüberlegt und g<'gen sein eigenes Interesse gehandelt
hatte, und aller Wahrscheinlichkeit nach würden beide Theile durch
Vermittelung seiner Freunde sich wieder genähert haben, wäre
346
Baron Braun nicht gleicli darauf von der Direktion der vereinigten
Theater ganz zuriickgetret-cn , was eine totale Veränderung der
Verhältnisse herbeiführte. So berichtet Röckel, der nach seinem
Charakter, seiner Verehrung für Beethoven die Wahrheit gewiss
nicht absichtlich entstellt hat, auch als Mitglied des Theaters über
den thatsächlichen Vorgang wohl unterrichtet sein konnte. Ueberdies
sprechen für die Glaubwürdigkeit seiner Erzählung innere Gründet
Beethovens Stimmung war damals ohne Zweifel eine hochgradig ge-
reizte und nervöse. Kein Wunder! Er hatte sich entschliessen müssen,
ein Werk, mit dem er sich innerlich abgefunden zu haben wähnte,
völlig umzugestalten, hatte sich bei dieser Arbeit nicht wie sonst
seinem Genius allein hingeben können, sondern nothgedrungen viel-
fach Rücksicht zu nehmen auf Anforderungen von aussen her, auf
den mannigfaltigen Anstoss, den man in scenischer und musikalischer
Beziehung genommen, auf die Wünsche des Regisseurs und der
Sänger, hatte endlich die zweite Ouvertüre um einiger unüber-
windlicher Schwierigkeiten willen in den Partien der Holzbläser
durch eine dritte ersetzen müssen — dies Alles nicht in gehöriger
Ruhe und Müsse, sondern in der Zeit beschränkt, und noch dazu
in der Furcht, bei zu langem Zögern die abermalige Vorführung des
Werkes zu verscherzen. Dass er nach der endlichen Entlastung von
dieser Mühsal nicht nur müde und erschöpft war, sondern auch
reizbar, unangenehmen Eindrücken gegenüber wenig gelassen, kann,
selbst abgesehen von der Sensibilität seiner Künstlernatur, nicht
auffallen. Nun denke man sich Beethovens von Natur zu heftiger
Aufwalhmg geneigtes Wesen, seinen, bei aller Kindüchkeit, doch in
Folge von Unkenntniss der Menschen und der Qeschäftsverhältnisse
argwöhnischen Charakter, der ihn oft verleitete, anstatt die Ungunst
der Verhältnisse in Rechnung zu ziehen und ruhig zu ertragen,
UebelwoUen, Feindseligkeit und Ueberlistung der Menschen gegen
seine Person anzunehmen: und man wird gcstehn müssen, dass
Röckeis Dai-stellung Glauben verdient. Sie lässt den überreizten
Seelenzustand Beethovens, wie er in dem damaligen Zeitpunkt
wirklich gewesen sein muss, deutlich hervortreten und giebt die
einzig verständliche Erklärung dafür, dass seine Hofthungen, die er
als üpernkomponist gehegt haben mochte, damals SchiflTljruch litten.
Zweifellos hat Beethoven sein Verhalten bald bereut, und nicht blos
im eignen Interesse, weil er sich Schaden bereitet hatte, sondern
auch im Gerechtigkeitsgefühl gegen diejenigen, deren Ehrlichkeit er
im Unmuth unmotivirt verdächtigt hatte — war er doch stets bereit.
347
ein in der Aufregung begangnes Unrecht, wenn sich der Sturm der
Seele gelegt, einzusehn und nach Kräften wieder gut zu machen —
aber dass er damals zu unbilliger Beurthcilung derer, die mit seiner
Oper in irgend weicher Beziehung standen, nur allzu sehr neigte,
beweist auch der Inhalt eines Briefes, den er im Unmuthe über die
Mängel der ersten Auffllhrung der umgestalteten Oper an den
Sänger Sebastian Meyer, den Darsteller des Pizarro, richtete:
„Lieber Meyerl Ich bitte dich, Hrn. v. Seyfried zu ersuchen,
dass er heute meine Oper dirigirt, ich will sie heute s(»lbst in der
Ferne ansehen und hören, wenigstens wird dadurch meine Geduld
nicht so auf die Probe gesetzt, als so nahebei meine Musik verhunzen
zu hören!*) — Ich kann nicht anders glauben, als dass es
mir zu Fleiss geschieht. Von den blasenden Instrumenten will
ich nichts sjigen, aber — dass alle pp, crescendo, alle decresc, und
alle forte, flf aus meiner Oper ausgestrichen; sie werden doch alle
nicht gemacht. Es vergeht alle Lust weiter etwas zu schreiben,
wenn man's so hören soll! Dein Freund Beethoven."
' „Ich kann nicht anders glauben, als dass es mir zu Fleiss ge-
schieht." schreibt Beethoven. Dieses AVort ist bezeichnend für die
§
Befangenheit seines Standpunktes. Anstatt sich zu sagen, dass es
seine grossen Schwierigkeiten haben müsse, ein Werk, welches in
seiner ersten Gestalt gründlich einstudirt war, nachdem es gänz-
lich umgearbeitet worden, ohne gehörige Vorbereitung und Probe
gleichsam zu extemporiren ; dass es bei der grossen Zahl der ]\Iit-
wirkenden unter allen Umständen zu viel verlangen heisse, von
jedem Sänger, Chor- oder Orchestermitgliede fehlerlose Leistungen
zu fordern; dass das Mögliche en-eicht sei, wenn das Ganze der
Darstellung nicht misslinge: sieht er in den nur allzu natürlichen
Fehlgriflen der Mitwirkenden nichts als bösen Willen, nichts als die
Symptome einer ihn umgebenden Kabale, und es entspricht völüg
seiner Auffassung von der Sachlage, wenn Breuning, der oflenbar
in diesem Falle mit den Augen des Freundes sieht und darum die
Unparteilichkeit verloren hat, schreibt: „Nun standen aber seine
Feinde bei dem Theater auf, und da er mehrere, besonders bei der
zweiten Vorstellung beleidigte, so haben diese es dahin gebracht,
dass sie seitdem nicht weiter mehr gegeben worden ist." Aber wer
waren seine Feinde am Theater? Seyfried, der Kapellmeister, Köckel
*) Beethoven hatte die 3 Aufführungen im Jahre 1805 und die erste im
Jahre 1806 selbst geleitet. Diese Thatsache und die Aeusserungen in dem
obigen Briefe zeigen, dass Beethoven damals noch leidlich gut hörte.
348
und Meyer, die Hauptsänger, waren seine Freunde und voll Ver-
ehrung für ihn, vselbst die JVIilder hatte sich trotz der für ihr Organ
unsangbaren Passagen seinen Forderungen bequemt — von den
Untergeordneten nicht zu reden; Choristen und Instrumentalisten
mögen seufzen über ihre Partien, aber eine entscheidende Stimme
pflegen sie nicht zu haben. Doch Beethoven hatte sich nun einmal
in den Gedanken eingesponnen, dass seiner Oper Geschick in den
Händen seiner Gegner sei und damit sicli selbst die Freude an der
herrlichen Schöpfung vergällt. So ward er in dieser Sache sein
eigener Unhold und er, der Einzige, der Heros der gedankentiefen
und über die Sinnenwelt hinausweisenden Musik, zahlte den Tribut
an das Menschliche. Wir lassen zum Schluss dieses Abschnittes
den schon mehrfach erwähnten Brief von Stephan Breuning wört-
lich folgen. Er giebt ein geschlossenes, scharfes Bild der Sach-
lage, wie sie sich in der Anschauung Breunings und Beethovens
darstellte, zugleich ein schönes Zeugniss von Freundeshingebung.
„Wien, den 2. Juni 1806.
Liebe Schwester und lieber Wegeier.
. . . Ueber Beethovens Oper habe ich Euch in meinem letzten Briefe,
so viel ich mich erinnere, zu schreiben versprochen. Da es Euch ge-
wiss interessirt, so will ich dieses Versprechen erfüllen. Die Musik
ist eine der schönsten und vollkommensten, die man hören kann;
das Sujet ist interessant, denn es stellt die Befreiung eines Gefangenen
durch die Treue und den Muth seiner Gattin vor; aber bei dem Allen
hat nichts wohl Beethoven so viel Verdruss gemacht, als dieses Werk,
dessen Werth man in der Zukunft erst vollkommen schätzen wird.
Zuerst wurde sie sieben Tage nach dem Einmärsche der französischen
Truppen, also im allerungünstigsten Zeitpunkte, gegeben. Natürlich
waren die Theater leer und Beethoven, der zugleich einige Unvoll-
kommenheiten in der Behandlung des Textes bemerkte, zog die
Oper nach dreimaliger Aufführung zurück. Nach der Rückkehr der
Ordnung nahmen er und ich sie wieder vor. Ich arbeitete ihm das
ganze Buch um, wodurch die Handlung lebhafter und schneller wurde;
er verkürzte viele Stücke, und sie ward hierauf dreimal (?) mit dem
grössten Beifall aufgeführt. Nun standen aber seine Feinde bei dem
Theater auf, und da er mehrere, besonders bei der zweiten Vor-
stellung beleidigte, so haben diese es dahin gebracht, dass sie
seitdem nicht weiter mehr gegeben worden ist. Schon vorher hatte
man ihm viele Schwierigkeiten in den Weg gelegt, und der einzige
349
Umstand mag Euch zum Beweise der übrigen dienen, dass er bei
der zweiten Aufführung nicht einmal erhalten konnte, dass die An-
kündigung der Oper unter dem veränderten Titel: „Fidelio", wie
sie auch in dem französischen Original heisst und unter dem sie
nach den gemachten Aenderungen gedruckt worden ist, geschah.
Gegen Wort und Versprechen fand sich bei den Vorstellungen der
erste Titel: „Leonore" auf dem Anschlagezettel.*) Die Kabale ist
IXir Beethoven um so unangenehmer, da er durch die Nichtauf-
fllhrung der Oper, auf deren Ertrag er nach Prozenten mit seiner
Bezahlung angewiesen war, in seinen ökonomischen Verhältnissen
ziemlich zurückgeworfen ist und sich um so langsamer wieder er-
holen wird, da er einen grossen Theil seiner Lust und Liebe zur
Arbeit durch die erlittene Behandlung verloren hat. Die meiste
Freude habe ich vielleicht ihm gemacht, da ich, ohne dass er etwas
davon wusste, sowohl im November, als bei der Aufführung am Ende
März, ein kleines Gedicht dnicken und in dem Theater austheilen
liess. Für Wegeiern will ich beide hier abschreiben, weil ich von
alten Zeiten weiss, dass er etwas auf dergleichen Dinge hält; und da
ich einst Veree auf seine Erhebung zum Eector magnificus celebcrri-
maeuniversitatisBonnensis machte, so kann er nun durch Vergleichung
sehen, ob ich in meinem poetischen Gelegenheitsgenie Fortschritte
gemacht habe. Das ei'ste kleine Gedicht war in reimlosen Jamben :
*) An dieser Stelle haben darch ein Versehen entweder Breanings oder
Wegelers beim Abschreiben des Briefes, dessen Original nicht mehr vorhanden
ist, oder vielleicht auch erst des Drackers des Wegeler-Ries'schen Buches die
Worte Fidelio und Lconore ihre Plätze vertauscht. Denn das französische
Original, auf welches sich Breuning beruft, heisst Lconore ou Tamour conjugal,
und die noch vorhandenen Theaterzettel aller Aufführungen tragen den Titel
,,Fidelio*. Beethoven aber wünschte, wie schon oben (S. 341) bemerkt, den
Titel Leonore. Die Erfüllung dieses Wunsches hatte er 1S05 nicht erlangen
können. Nun hoffte er nach der Umgestaltung seines Werkes darauf. Denn
er liess für die Aufführungen von 1806 dem von Breuning umgeänderten Text-
buch den Namen Leonore geben, auch setzte das oben im Briefe mitgetheilte
zweite Gedicht, welches dem Theaterzettel vom 29. März 1S06 vorgedruckt war,
voraus, wie seine Ueberschrift auf dem Zettel beweiset, dass die Oper nun
unter der veränderten Benennung Leonore aufgeführt werden würde. Aber
Breuning und Beethoven wurden wieder enttäuscht. Beethoven aber blieb bei
seinem Lieblingsnamen Leonore und gab ihn daher auch dem 1810 erschienenen
Klavierauszuge. Sogar 1814 kam er noch einmal auf ihn zurück, aber die
Theaterdirektion beharrte bei Fidelio aus Rücksicht auf Paers Werk. (cf. das
Ausführliche über diesen Gegenstand bei Jahn: , Gesammelte Aufsätze", S. 236
bis^24G.)
350
Sei uns gegrüsst auf einer grOssern Bahn,
Worauf der Kenner Stimme laut Dich rief,
Da Schüchternheit za lang zurück Dich hielt!
Du gehst sie kaum, und schon blüht Dir der Kranz,
Und ältere Kämpfer öffnen froh den Kreis.
Wie mächtig wirkt nicht Deiner Töne Kraft;
Die Fülle strömt gleich einem reichen Fluss;
Im schönen Bund schlingt Kunst und Anmuth sich,
Und eigne Rührung lehrt Dich Herzen rühren!
£s hob, erregte wechselnd unsre Brust
Leonorens Muth, ihr Lieben, ihre Thränen;
Laut schallt nun Jubel ihrer seltnen Treu,
Und süsser Wonne weichet bange Angst.
Fahr' muthig fort; dem späten Enkel scheint,
Ergriffen wunderbar von Deinen Tönen,
Selbst Thebens Bau dann keine Fabel mehr.
k
Das zweite besteht aus zwei Stanzen und enthält eine An-
spielung auf die Anwesenheit der französischen Truppen zur Zeit
der ersten Aufführung der Oper:
Noch einmal sei gegrüsst auf dieser Bahn,
Die Du betrafst in bangen Schreckenstagen,
Wo trübe Wirklichkeit von süssem Wahn
Die Zauberbinde riss und furchtbar Zagen
Uns Air ergriff, wie wenn den schwachen Kahn
Des wilden Sturm's gewalt'ge Wellen schlagen;
Die Kunst floh scheu vor rohen Kriegesscenen,
Der Rührung nicht, aus Jammer flössen Thränen.
Dein Gang voll eigner Kraft muss hoch uns freun.
Dein Blick, der sich aufs höchste Ziel nur wendet.
Wo Kunst sich und Empfindung innig reih'n.
Ja, schaue hin! der Musen schönste spendet
Dort Kränze Dir, indess vom Lorbeerhain
Apollo selbst den Strahl der Weihung sendet
Die ruh^ noch spät auf Dir! in Deinen Tönen
Zeig immer nur die Macht des wahren Schönen.
Diese Abschi-ift hat mich aber wirklich ganz ermüdet; ich
kann daher wohl diesen ohnehin langen Brief schHessen. Ich will
Euch nur noch die Nachricht schreiben, dass Lichnowsky*) die
*) Uebrigens hatte Lichnowsky^s Schritt bei der Königin von Preussen
ebenfalls keine Folgen. Sie war eine Schülerin Himmels, der einst (S. 42)
vor Beethoven mit seinem Phantasiren auf dem Klavier wenig Gnade ge-
funden hatte.
351
Oper jetzt an die Königin von Preussen geschickt hat und dass
ich hofle, die Vorstellungen in Berlin werden den AVienem erst
zeigen, was sie hier haben."
Letzte Umgestaltung der Oper.
Wir übergehen, um die Geschichte des Fidelio im Zusammen-
hang zu erzählen, den inhaltreichen Zeitraum von 1806—1814.
In dem letztgenannten Jahre gingen die Inspizienten der Wiener
Hofoper, Saal, Vogel und Kleinmüller Beethoven mit der Bitte an,
die Aufführung seiner Oper an einem ihnen gemeinsam bewilligten
Benelizabend zu gestatten. So war es scheinbar die WUlkür dreier
Opernsänger, der FideHo seine Wiederauferetehung verdatiken
sollte, in Wahrheit jedoch war diese die natürüche Folge des im
Verlauf von acht Jahren ungemein gesteigerten Ansehens Beet-
hovens. Wir haben bereits an anderer Stelle den grossen Beich-
thuni dieser Periode an Schöpfungen ersten Banges hervorgehoben ;
es hatte denselben aber auch nicht an durchschlagender Wirkung
gefehlt, weder bei den urtheilsfähigen Kunstfreunden noch bei dem
Pubükum im weiteren Sinne. Nun hatte Beethoven im Jahre 1813
mit seiner Symphonie auf Wellingtons Sieg bei Viktoria sogar die
durch die Freiheitskämpfe hervorgerufene Bewegung der GemUther
in sein Kunstschaffen aufgenommen und durch die Aufführung des
AVerkes bald nach den grossen Niederlagen Napoleons in Deutsch-
land, noch dazu zum Besten der invalide gewordenen Krieger,
einen Sturm von Begeisterung hervorgerufen. Kein Wunder also,
wenn jene klugen Benefizianten bei einer solchen Stimmung auch
lür die halbvorgessene Oper des nunmehr populären Tonmeisters
auf ein volles Haus rechneten. Beethoven, der sich sofoi't bereit
erklärte, die einst zurückgezogene Partitur herzugeben, beschloss
jedoch, vor der Einstudirung, die Oper einer abermaligen, gründ-
lichen Eevision zu unterwerfen. Zunächst setzte er sich des Textes
wegen mit Georg Friedrich Treitschke, dem damaligen Ee-
gisseur und Theaterdichter der Hofbühne, der ihm in den letzten
Jahren befreundet worden war, in Verbindung, und dieser unter-
352
nahm, mit Bewilligung Joseph Sonnlei thners, dessen bereits von
Breuning überarbeitetes Libretto auf Grund von vorhergehenden
Verhandlungen mit dem Komponisten so umzugestalten, dass es
in vielfacher Beziehung zu einer neuen Dichtung wurde. Beethoven
erhielt das Textbuch Ende März und erklärte sich mit der neuen
Gestalt desselben durchaus einverstanden. „Lieber, werther T.!"
schrieb er an den Verfasser, „Mit grossem Vergnügen habe ich ihre
Verbesserungen der Oper gelesen. Es bestimmt mich, die verödeten
Euinen eines alten Schlosses wieder aufzubauen. Ihr Freund B."
In der That hatte Treitschke in mehr als einer Hinsicht das
Rechte getroffen. Beethovens Komposition galt ihm, wie wenig
jener auch vor Abändemngen zurückschreckte, als ein im Wesent-
lichen Fertiges und Gegebenes, ebenso der Gang der Handlung und
der Text als die bestimmten Grundlagen, auf denen Beethovens
Musik auferbaut war. Wenn er demungeachtet hie und da jene
dichterischen Grundlagen antastete, zurechtrückte, umbaute, so war
sein Endzweck kein anderer als der, zwar gelegentlich auch der
Schaffenslust Beethovens neue Anregung zuzuführen, in der Haupt-
sache jedoch, die schon vorhandene und nur revisionsbedürftige
Musik möglichst wirkungsvoll hervortreten zu lassen, besonders in
den Partieen Leonorens, der Heldin, zugleich der einzigen Person,
deren Wesen und Streben das Herz des Hörers und Zuschauers
bewegt; auf sie, die durch den Grundgedanken des Sujets, vor
allem durch die Tiefe der ihr vom Komponisten zu Theil gewor-
denen Charakteristik im lichtesten Vordergrund steht, durfte durch
nichts Nebensächliches irgend ein Schatten fallen. Daher drängte
er den nach der ganzen Anlage des Stückes unvermeidlichen, aber
so ernüchternd wirkenden Dialog auf einen möglichst knappen
Kaum zurück, die Handlung suchte er des Schleppenden zu ent-
ledigen, lebendiger und schlagfertiger zu machen, besser und
schärfer zu motiviren und überall, auch im Nebensächlichen, mit
Leonorens eigenem Thun und Leiden in Verbindung zu bringen.
Natürlich strich er nun von den 1806 nur vorläufig, wie es
scheint, herausgenommenen Stücken, das Terzett zwischen Eokko,
Jaquino und Marzelline und das Duett zwischen Leonore und
Marzelline (No. 3 u. No. 10 der ursprünglichen Oper) endgültig.
Was haben Rokko's spiessbürgerliche Warnungen vor übereiltem
Ehebündniss, wasJaquino'sunmuthigeErwiderungenimdMarzellinens
in Hoffnung auf Fidelio vergnügliches Einstimmen in des Vaters
Ton mit Leonoren zu schaffen? Und nun gar Marzellinens naiv zu-
353
dringliches Traumen über Eheglück und Elternfreuden in Gegenwart
Leonorens, die diesen Erguss des verliebten Mädchens über sich er-
gehen lassen muss, wie peinlich, wie unerträglich für jedes feinere
Geftlhl!*) Auf diese qualvolle Scene ergeht sich in der Oper von
1805 und 1806 Leonore über ihre Lage in matten Seufzern, welche
erstalhnählicheinerhoflfnungsvollen,zuletztthatbegei8tertenStimmung
weichen. Viel dramatischer knüpft Treitschke Rezitativ und Arie
Leonorens unmittelbar an das Duett, in welchem Pizarro den Ge-
fangenwärter Rokko für seinen mörderischen Plan zu gewinnen sucht.
Leonore hat unbemerkt gelauscht, nach dem Abtreten der Beiden
stürzt sie vor, und ihr Gesang ist zunächst der Ausdruck ihrer
entsetzten, zornerfüllten Seele, später des Muthcs und des Friedens^
der auch in höchster Noth der Entschlossenheit und dem Bewusstsein
einer edlen, gerechten Sache entspringt. Auch an den Vorgängen
im ersten Finale wurde wesentlich gebessert. Ursprünglich werden
die Gefangenen, wie oben erwähnt, gemäss der Hausordnung auf
kurze Zeit ins Freie entlassen, und die Wuth des Tyrannen gilt
nicht dieser ihnen gewährten Wohlthat, sondern dem Zaudern Rokko's,
der noch nicht zur Ausführung des Befehls, ein Grab für Florestan
zu graben, geschritten ist. Dies Motiv war auch in der zweiten
Redaktion des Textbuches, die bekanntlich Breuning ausgeführt
hatte, festgehalten worden, wie auch der Schlussvorgang am Ende
des ersten Aktes. Beim Erscheinen Pizarro's nämlich müssen alle
Anwesenden die Bühne verlassen, und während unsere Theilnalime
Leonoren und den zurückwankenden Gefangenen folgt, werden wir
widerwillig genöthigt, Pizarro, der allein mit dem Chor seiner Leib-
wache zurückbleibt, und in langausgedehntem Schlusssatze seine
Mordgedanken wiederholt, der Leibwache Wachsamkeit zur Pflicht
macht und von dieser Versicherungen der Treue empfängt, unsere
Aufmerksamkeit zu schenken. Treitschke dagegen verknüpft das
Erscheinen der Gefangenen mit dem Hauptziel des Dramas, indem
er jenes als ausnahmsweise Gunst von Rokko durch .Leonore er-
wirken lässt, die unter den Eingekerkerten ihren Gatten zu ent-
decken hofft; am Schluss aber hält er das Interesse nicht unnöthig
fest bei den vom Soldatenchor begleiteten Tiraden Pizarro's, sondern
giebt dem Komponisten Gelegenheit, durch das Ensemble sämmt-
licher Solisten, deren Jeder doch individuelle Empfindungen je nach
*) Auch Rokko^s Lied über die materieUen Erfordernisse des Ehelebens
far immer za beseitigen, gelang T. nicht, sie ward später für den Sänger
Weinmüller wieder eingefügt.
Marx, Beethoyen. I. 23
354
seinem Verhältnisse zur Handlung ausspricht, und durch den das
Ganze tragenden Chor der sich entfernenden Gefangenen die Sch\^le
der Sachlage vor der Entscheidung zur Anschauung zu bringen.
Die weiteren Aenderungen Treitschke's betreffen hauptsächlich
die Arie Florestans und das zweite Finale. Florestan ist während
des ganzen ersten Aktes ein schattenhaftes Wesen ohne rechtes
Fleisch und Blut, von dem wir nur hören, dass um seinetwillen
Leonore sich zu opfern bereit ist. Nun erscheint er im zweiten
Akte persönlich, aber zu keiner Handlung berufen noch fähig, nur
als der bejammemswerth Leidende und im Bewusstsein erfüllter
Pflicht — welcher, das erfahren wir nicht genau — mit Ergebung
Duldende. • An dieser rein passiven Rolle, wie sie nun einmal dem
Florestan durch die Anlage des Dramas angewiesen war, konnte
nichts geändert werden, ohne fremdartige Momente hineinzubringen,
wohl aber konnte diese Gestalt durch den Gedankengang ilirer
Aeusserungen reicher gezeichnet und dem Interesse näher geführt
werden. Treitschke liess also zwar den ersten Theil des Textes
seiner Arie bis zu den Worten „Meine Pflicht hab' ich gethan"
bestehn; während aber in den ersten Bearbeitungen hierauf beim
Anbhck eines Bildes Leonorens in eintönig schwächlicher Weise
erneute Klage folgt, die wiederum durch das gute Gewissen be-
schwichtigt wird, lässt Treitschke Florestan in Folge einer Vision,
in der ihm Leonore als Engel der Freiheit erscheint, in einen
ekstatischen Zustand gerathen, und hebt ihn dadurch über die
elende Lage eines körperlich Verschmachtenden, in welcher sein
lauter, kräftiger Gesang ohnehin etwas Unnatürliches hatte,
momentan hinweg in eine höhere Existenz, welcher irdische
Schwäche nicht mehr anhaftet. Durch diese, wie wir glauben,
glückliche und wahrhaft dichterische Wendung erhält Florestan
einen idealen Zug zum Erhabnen hin und wird der aufopfernden
Liebe Leonorens um so würdiger. — Endlich das Finale. Nach der
Errettung Florestans und der Wiedervereinigung der Gatten, erwacht
das Bedürfniss nach einer mit diesem Ausgang übereinstimmenden
Scenerie. Mit Recht verlegt daher Treitschke die noch übrigen Vor-
gänge aus den engen Kerkermauern auf einen freien Platz, der den
Ausblick in eine heitere, Freiheit zuwinkende Ferne gewährt. Und
mit der düstern Umgebung beseitigt er auch alles Widrige und
Aengstigende aus der Handlung. Wainim soll das eben vereinigte Paar
abermals um sein Leben zittern, indem es das Rachegeschrei des
wüthend nahenden Volkes miss versteht? Was soll ferner die lang-
555
wierige öffentliche Verhandlung über die Bestrafung desPizarro, durch
welche der Tyrann wiederum unzeitig in den Vordergrund gestellt
wird? Beides wird also gestrichen. Daflir bei Beginn des Pinales fest-
licher Chor der endlich befreiten Gefangenen, die von lang getragenem
Druck aufathmen und die königliche Gerechtigkeit preisen. Dann'
aber sammeln sich alle Lichtstrahlen auf das edle Haupt Leonorens ;
ihr und idealer Weiblichkeit Lob drängt sich auf aller Lippen und
vor dem Wehen der Begeisterung zerstiebt alles Kleinlich« und
Niedrige, das vorher sich öfter so peinlich breit gemacht hatte.
Nach dieser Neugestaltung durch Treitschke war es also
Beethovens Aufgabe, besonders die Arien Leonorens und
Florestans, ferner die beiden Finales umzuarbeiten. Eine solche
Arbeit — geringer Aenderungen nicht zu gedenken — war
nicht in wenigen Tagen zu vollenden, und es muss uns mit
Bewunderung seines Fleisses und seiner Leistungsfähigkeit er-
füllen, dass er in der kurzen Frist von etwa anderthalb
Monaten das Wesentliche fertig stellte, etwa von Ende März bis
Mitte Mai,*) einer Zeit, in welcher er überdies noch auf Bestellung
des Hoftheaters einen zur Feier der Siegesnachrichten bestimmten
Chor „Germania" zu komponiren, ein Paar vorher angesagte Kon-
zerte zu geben und allerlei geschäftliche Widerwärtigkeiten zu be-
stehn hatte Und es war eine schwere Aufgabe, die er mit jener
Umgestaltung zu lösen hatte. Er selbst spricht es in einem Billet
an Treitschke aus: „Die ganze Sache mit der Oper ist die müh-
samste von der Welt. Ich bin mit dem Meisten unzufrieden, und
es ist beinahe kein Stück, woran ich nicht hier und da meiner
jetzigen Unzufriedenheit einige Zufriedenheit hätte anflicken müssen;
Das ist aber ein grosser Unterschied zwischen dem Falle, sich
dem freien Nachdenken oder der Begeisterung überlassen zu
können."
Aber wie er stets und in jeder Beziehung Treue bewährt hat,
so hat er auch gegen seine Oper Treue geübt. Wer jemals künst-
lerisch geschaffen, oder mit wahren Künstlern in Vertrautheit
gelebt, der wird wissen, was es heisst, ein grosses Werk dreimal
zu arbeiten und zu einer Oper vier Ouvertüren zu schreiben. Diese
Treue und Ausdauer würde ehrwürdig sein, selbst wenn der Erfolg
ein unbefriedigender geblieben wäre. Eine solche Umgestaltung
*) Das Tagebuch von 1814 sagt »vom Mfirz bis zum 15. Mai Fidelio neu
gemacht^. Ende März erhielt er .erst den neuen Text von Treitschke.
28*
96e
ist bei dem Künstler etwas ganz Andres, ab bei dem Gelehrten,
oder jedem andern Arbeiter; sie erfordert moralische Tapferkeit
und Selbstüberwindung, weil die künstlerische Gestalt Ausgeburt
des ganzen Menschen ist, — „Fleisch von meinem Fleisch und
Geist von meinem Geist," — der Umgestaltende daher in sein eigen
Leben hinein^eift, gegen sich selber kämpft. Es ist ein Zwiespalt
im verletzlichsten Lebenskreise, und wenn er an Treitschke ächzend
unter der Last schreibt: „Mit dieser Oper verdien' ich mir die
Märtyrerkrone", so hat er sich nicht überhoben.
Am 23. Mai 1814 fand die erste*) Aufführung der Oper in
ihrer neuen Gestalt im Kämthner Hoftheater statt, obwohl Beet-
hoven selbst mit seiner Arbeit noch nicht ganz abgeschlossen hatte.
Am 20. oder 21. Mai befand er sich mit seinem Freunde Dr. Bartolini
im Gasthof zum römischen Kaiser. Nach dem Essen nahm er eine
Speisekarte, zog Linien auf die Eückseite und fing an zu sehreiben.
„Komm, lass uns gehen," sagte Bartojini. „Nein warte ein wenig,
ich habe die Idee zu meiner Ouvertüre," antwortete Beethoven.
Er blieb und vollendete dort in jener Stunde seine Skizzen, aber
natürlicher Weise wurde die Ouvertüre nicht mehr zur rechten Zeit
fertig. »Tags zuvor,'' erzählt Treitschke, „war die Hauptprobe,
aber die verspi;ocliene Ouvertüre (in Edur) befand sich nech in
der Feder des Schöpfers. Man bestellte das Orchester zur Probe
am Morgen der Aufführung. Beethoven kam nicht. Nach langem
Warten fuhr ich zu ihm, ihn abzuholen, aber — ^ er lag im Bette^
fest schlafend. Neben ihm stand ein Becher mit Wein und Zwieback
darin, die Bogen der Ouvertüre waren über das Bett und die Erde
zerstreut. Ein ganz ausgebranntes Licht bezeugte, dass er tief iii
die Nacht gearbeitet hatte. Die Unmöglichkeit der Beendigung war
entschieden. Beethoven musste sich daher gefallen lasseA, dass
am ersten Abend statt der E dur-Ouverture die zu den „Ruinen
von Athen"- gespielt wurde und gestand später , er habe sich des
Beifalls für dies ganz und gar nicht passende Musi)cstück ge-
schämt. Die rechte Ouvertüre kam erst zur zweiten Aufführung
an die Reihe. Am ersten Abend dirigirte er selbst: sein, Feuer
riss ihn oft aus dem Takte, aber Kapellmeister Umlauf lenkte hinter
seinem Rücken Alles zum Besten mit Blick und Hand. Der Bei-
*) Franz Schubert, damals 17 jäbrig und noch in dor Vorbereitung für die
ihm bestimmte Lehrerlaufbahn begriffen, las, aus dem Pädagogium kommend,
•wo. einer £cke die Ankündigung dea Fidello. SchnMl lief er zum Antiquar und
verkaufte seine Bücher^ um ein Billet zur Vorstellung tu erschwingen.-
357
fall war gross und stieg mit jeder Vorstellung. 22 Mal wurde die
Oper im Jahre 1814 aufgeführt: am 18. Juli wurde die fünfte Vor-
stellung, und zwar zu Beethovens Benefiz, das er mit Mühe er-
wirkt hatte, gegeben. Erst an diesem Tage wurde das Lied
Rokko's wieder eingereiht und trat die umgearbeitete grosse Arie
Leonorens, wie wir Alle sie heute kennen, hervor.
Nun: endlich wurde das Werk verstanden und gewürdigt. Nun
verbreitete es sich über alle Bühnen Deutschlands, kam in London
und Paris zur AufPUhning und hat sich neben allen Wendungen, die
das Opemtheater unter dem Einfluss italienischer und französischer
Werke und deutscher Komponisten erfuhr, als einer der edelsten
Lieblinge des deutschön Volks erhalten. Alle deutschen Sängerinnen
beeiferten sich um die Rolle der Leonore; voran steht die schöpfe-
rische Schröder- Devrient und die südlich - glühende , so bald
in ewiges Schweigen versenkte Schechner, dann die auch 1814
erste Darstellerin, Milder-Hauptmann.*) Der Dichter Ludwig
Robert sah Leonore in London von der Malibran-Garzia dar-
stellen und wusste nicht genug von der Wunderraacht zu erzählen,
zu der die Spanierin ihre Seele an dieser Rolle entzündet habe; bei
ihrem ersten Erscheinen sei man unwiderstehlich zu Thränen hin-
gerissen worden, wenn sie unter der Last der Ketten, die sie herbei-
holen müssen, in tiefster körperlicher und geistiger Erschöpfung
sich an die Wand gelehnt, noch stumm und dann erst Athem
suchend in der gequälten Brust zu den ersten Worten, und dann
zum Kanon ansetzend, als gab' es in der Welt nur noch gehauchte
Seufzer, nicht Gesang. Dagegen hat wieder um die Mitte des
19. Jahrhunderts in Deutschland Frau Köster den Qnmdzug
deutscher, mild in sich geschmiegter Weiblichkeit hervorzuheben
gewusst. —
lieber ein Werk, das so allgemein und genau bekannt und von
jedem Deutschen durchgefühlt ist, ausführlich zu berichten, ist un-
nöthig. Wenn wir dennoch im Folgenden in eine nähere Be-
sprechung eintreten, so geschieht es der Erwägung dreier Fragen
wegen, die uns zu tieferer Erfassung der künstlerischen Person -
*) Der Herausgeber macht darauf aufmerksam, dass sich in den ,Er-
inneruDgen aus meinem Leben** von A. B. Marx sehr interessante Schilderangen
und Oharakterzüge dieser Sängerinnen finden. — Am 11. Oktober 1816 wurde
Fidelio in Berlin zum ersten Male gegeben.' An diesem Abend stellte Frau
Schnitze Leonore dar, erst in den folgenden Auffuhrungen die inzwischen nach
Berlin berufene Milder.
]
358
lichkeit Beethovens ftlhren soll. Erstens: Wie hat sich Beethoven
zu seiner dramatischen Aufgabe im Allgemeinen verhalten?
Zweitens : Wie hat er seinem Standpunkt gemäss diese Aufgabe im
Einzelnen durchgeführt? Drittens endlich: Wie hat sich bei seiner
unermüdlichen Hingabo an das ihm vorschwebende Ideal das musi-
kalische Verhältniss der drei Bearbeitungen zu einander gestaltet?
Denn vor uns steht ein zweifacher Beethoven, der ursprünglich
gestaltende und der umgestaltende, mit einem dreifachen und vier-
fachen Werke. Treue und Muth, die er dabei bewiesen, sind aller
Verehrung sicher. Verhält es sich eben so mit der künstlerischen
Geltung der Umgestaltung? — Denn so viel ist gewiss: die ur-
sprüngliche Gestaltung jedes Kunstwerks ist der unmittelbare Aus-
druck der Idee, die den Künstler zum Werke geführt, die naivste
Erschliessung seines Innern, wie er das Werk aus sich geboren
hat. Nachher kommt die ruhigere Besinnung, die Berathung. Sie
können mit ihren Anschlägen Recht haben und Unabweisbares
fordern; der prüfende Verstand gegen die ursprüngliche All-Einheit
aller geistigen und sinnlichen Kräfte. Immer ist der Eingriff in
die erste Gestaltung ein bedenklich Wagniss. —
Zweierlei Stellungen kann ein Komponist einer dramatischen
Aufgabe gegenüber einnehmen. Entweder ist ihm das Drama, die
entschiedne Entwickelung der zum Grunde liegenden Handlung und
der sie tragenden, in ihr begriffenen Charaktere Hauptsache und
die Musik im Verein mit dem Worte das dabei dienende Organ,
also Nebensache. Oder er lebt so tief in der Musik und ihren
Formen, dass diese sich — nöthigenfalls auf Kosten des Worts,
der Charaktere und der Handlung als Hauptsache geltend macht.*)
*) Man gestatte dem Verf. wenigfitens eine kongefasste Erläaterong dieses
Verhältnisses aas seiner „Musik des neanzehnten Jahrhunderts^ hierzu
wiederholen, da er seinen Gesichtspunkt nicht schneller festzustellen weiss.
„Die Oper ist vor allem ein Drama, das Personen in realer Wirklichkeit
und Leiblichkeit, in Handlung und Wechselwirkung darstellt, Menschen in der
Beth&tigung des Lebens nach aussen. Die PersOnUchkeit tritt im Drama nach
ihrem Charakter, nach Gedanken und Willen, Gesinnung und Stimmung, unter
dem Einfluss bestimmter Verhältnisse heraus in Thätigkeit mit Andern, gegen
Andere, der volle Mensch in voller Lebensthätigkeit Dies ist bekanntlich die
Aufgabe jedes Dramas; nur bedient sich das musikaliache statt der Rede ganz
oder theil weise der Gesangsprache. Sie soll als besondere höhere oder innigere,
„innerlichere*' Sprache die „Rede des gemeinen Lebens'^ ersetzen und den In-
halt des Dramas in höhere oder phantastischere Regionen erheben.
Vor allem wollen wir von der Halbheit der Mischoper absefan, in der ge*
sprochenes Wort mit gesungenem wechselt Ist einmal die Sprache dieser
359
Wird das erste Prinzip auf die Spitze getrieben, so schlägt
Wesen, die vor uns auf der Opembühne leben, Masik, so möge kein gesprochenes
Wort uns aus dem phantastischen Traum erwecken! wir würden allen Glauben
verlieren. Der wirkliche Mensch hat immer wirkliche Sprache; Gesang ist ihm
ein ganz anderes und besonderes Moment seines Lebens, das er nimmermehr,
als etwa in Scherz und Tändelei, mit der Sprache verwechselt und an deren
Stelle verwendet. Vergebens auch hat man den Widerspruch durch Vergleich
mit jenem Wechsel von Vers und Prosa bei Shakespeare und deutschen.
Dichtern erläutern und entschaldigen wollen. Vers und Prosa sind nur ver-
schiedene Formen ein und derselben Substanz, der wirklichen Sprache; der
Vers ordnet das Spiel der Betonungen, des Weilens und Eilens und der An-
klänge, ohne die Bedeutung und Wirksamkeit des Worts zu ändern oder zu
verschleiern. Der Gesang vermählt dem Wort ein Element, das zwar ebex^fialls
in der Sprache vorhanden ist, aber nun erst aus seiner Verhülltheit und Unter-
ordnung unter die absolute Sprachbedeutung zur Mitherrschaft — ja vermöge
des begleitenden Orchesters, der Stimmvielheit und des musikalischen Rhythmus
leicht und oft zur Oberherrschaft kommt. Gesang und Sprache, wenn gleich
verwandt ihrem Ursprünge nach, sind verschiedene Idiome, die einander aus-
schliessen. Entweder steht das Drama auf dem Boden des wirklichen Lebens
und redet dessen Sprache; oder es verlässt diesen Boden und diese Sprache
und wird Oper. Die Mischoper ist Halbheit, ein grundsatzloses Unding; das
Idiom der wahren Oper ist Musik.
Hiermit beginnt das Verhängnlss seine Herrschaft, das von Anfang an über
der Oper gewaltet hat, oft gescholten, oft bekämpft und stets rückkehrend.
Diese Singenden sollen Menschen, diese gesungenen vom Instrumental um-
rauschten Melodien, in denen so oft das Wort untertaucht bis zur Unverständ-
lichkeit, sollen Rede sein? Gerade das leibliche Vortreten der Singenden zu
dramatischer Bethätigung macht ihre Gesangrede zur Fabel, zum wirklichkeits-
losen Phantasiespiel. Was man nie geglaubt, nie zu überreden, zu zeigen ge-
wagt hätte, alles Märchenhafte, Abenteuerlich-Unmögliche, jeden Sturm unbe-
rechtigter oder übertriebener Gefühle, jeden Sinnentaumel üppiger Lust über-
redet man sich, hier wagen zu dürfen.
Und abermals : diese Gesangsprache, diese Musik, die Räthselsprache des
verhüllten Innern, soll treffend und behend genug sein für den barschen hastigen
Fortgang erregter Handlung, in der oft sogar das schnelle Wort des Dichters
lähmend scheint? Das Drama will schlagfertig vorwärts dringen, die Musik muss
weilen, bis ihre Anklänge sich zu Stimm ongen gefestet und uns gestimmt
haben zum Einverständniss. Wie will man diesen Widerspruch versöhnen?
Nothwendig muss auf jene dramatische Schlagfertigkeit verzichtet, die Handlung
muss einfacher, weilender, nicht entwickelt werden — was von je der Preis
der Dramatiker war — sondern sich in wenig monumentale Momente zusammen-
gezogen hinstellen, in denen die Musik sich ausbreiten, in die man sich ver-
tiefen könne. Und damit das alles irgend möglich sei, muss der Dichter vom
weiten Schauplatze des Lebens sich auf jene zählbaren Hergänge und Charaktere
zurückziehen, in denen das innerliche Leben des Gemüths bedeutend genug und
sonst geeignet ist, den Reichthum des nicht der Musik erreichbaren Geistes und
zugleich des thatvollen nach aussen drängenden Lebens vergessen zu machen/
360
die Musik zu trockner, in bestimmte Tonverhältnisse gezwängter
Deklamation um und es entsteht ein Machwerk des abstrakten
Verstandes, dem es ebensowohl am Lebenssaft des Gesangs als an
der .Naturwahrheit und Zweckgemässheit der Rede gebricht. Dies
ist bei einigen Nachfolgern Glucks beobachtet worden; ein leicht
zugängliches Beispiel findet man in ßeichardts Komposition des
Goetheschen Monologs „Heraus in eure Schatten," der fast durch-
weg Rezitativ geblieben ist, — nach dem Inhalte des Gedichts
eine Nothwendigkeit , — aber bei Weitem unwirksamer, als reine
Rede.
Wird das andre Prinzip auf die Spitze getrieben, so sinkt das
Drama zum Gelegenhcitsmacher für die Musik herab und die Musik,
die für sich allein Drama sein soll, ohne es zu vermögen, verwildert
und wird tippig und toU wie einst unsre krinolinisch emanzipirten
Damen. Dafür liefert die italienische Oper Beispiele genug, ob-
wohl sie sich, Dank dem Talent eines Rossini und älterer Kom-
ponisten, in einzelnen Momenten aus ihrer Geistesversunkenheit
hoch emporgerichtet hat.
Vollkommene Versöhnung beider Prinzipe scheint nach dem
in der Anmerkung Angedeuteten unmöglich, wenigstens ist sie bis
jetzt nicht gelungen; immer wird die Schlagfertigkeit des drama-
tischen Fortschritts dem Bedürfniss der Musik, sich zu vertiefen und
zu weilen, um zu wirken, grosse Zugeständnisse machen und der
Kreis der Operndichtung sich auf eine sehr enge Zahl von Auf-
gaben zusammenziehen müssen. Gleichwohl bieten schon Händeis
imd Bachs Kompositionen Beläge genug, wie gedrängt und schlag-
fertig treflend die Sprache der Musik sein kann. Allen nach der
Vollendung der Oper im Verein beider Prinzipe Strebenden steht
Gluck voran, dem sich Mehul, Spontini, Wagner, Dorn und Andere,
jeder in seiner Weise, angeschlossen haben. Doch ist nicht zu über-
sehen, dass Gluck sich vorzugsweise dem dramatischen Prinzip hin-
gegeben und dem musikalischen manches Opfer abgedrungen hat.
Ihm gegenüber trachtete Mozart, die Musik so dramatisch zu
machen, wie möglich; aber über jeden Zweifel hinaus war sie ihm
Hauptsache und musste das dramatische Prinzip vor ihren Be-
dingungen im Ganzen und Einzelnen zurücktreten. Angesichts seiner
urkundlich erwiesenen steten BereitwiUigkeit flir individueUe Fähig-
keit und Wünsche bestimmter Ausführender, seiner Bravour-Arien,
seiner oft im Ausdruck ebenso unbestimmten als im Klang und
kunstmässiger Verwebung reizvollen Ensemblesätze u, s. w. niuss
361
man sogar zugeben, dass er nicht ganz ohne Zugeständniss an die
reine Musiklust auf Kosten dramatischer Wahrheit und Bestimmt-
heit zu Werke gegangen und hierin den Italienern bisweilen näher
getreten ist, — nur dass diese dann, besonders seine Nachfolger,
seine Idealität in ihre Sinnlichkeit hinabgezogen haben.
Beethoven, das ist keine Frage, stand ganz auf dem Boden
des musikalischen Prinzips. Trotz seiner Vorliebe flir Shakespeare
und Goethe und trotz der aristotelischen Poetik war ihm, wie sich
an Leonore erwies, das Drama ein fremdes, nicht von ihm durch-
dachtes, nicht an der Spitze seines Strebens stehendes Wesen. Er
trat unbedingt auf Mozarts Pfad, und wurde Mozarts Nachfolger in
so entschiedener Weise, dass auch nicht eine Spur sich findet, er habe
von dem andern Wege irgend Notiz genommen, wie Mozart selber
im Idomeneus. Ja er stand noch tiefer in der Musik, als sein grosser
Vorgänger; denn dieser hatte von Jugend auf seinen Sinn auf die
Oper gestellt und sich vielfach versucht, eh' er, im Idomeneus,
mit Nachdruck auf dieser Bahn hervortrat, während Beethoven
vorzugsweise — man könnte beinahe sagen, ausschliesslich — sich
der Instrumentalkomposition, der für sich seienden, durch keine
Rücksicht bedingten Musik widmete: Daher fehlt Beethoven auch
der grosse scenische Verstand, den Mozart schon gegenüber dem
Gedicht zu Idomeneus,*) dann aber in seinen Opern selbst be-
wiesen hatte; es fehlte ihm Schlagkraft, mit der Mozart in leichten
und schweren Situationen zeichnet, so dass er sich zum grössten
Vortheil flir den dramatischen Fortschritt kurz fassen kann, kürzer
als alle seine Nachfolger.**)
Dies fehlte Beethoven. Ihm wurde die Scene, Personen und
Handlung erst vollständig zur Musik. Er war das entschiedne
Gegen theil von dem, was man einen scenischen „faiseur" nennen
möchte, der mit der kalten, ursprünglich unmusikalischen Gewandt-
heit und Sclilauheit eines Auber-Scribe jede Lappalie des All-
tagtreibens oder der Eedoutenpoesie mit einem Fingerhut voll
Musikgel^e zu einem Auftritt zusammenrührt, der auf der Bühne
steht und geht und amüsirt und vergessen wird, weil schon ein
ander Bild im Anzug' ist. Davon verstand Beethoven gar nichts.
«»1
^) Man sehe Kissens oder Jahns Biographien Mozarts.
^) Man vergleiche eine Reihe Mozart'scher Arien, Duette u, s. w. bloss
nach ihrer Ausdehnung mit denen seiner Nachfolger, Beethoven, Hummel,
Spohr, Weber, Marschner u. s. w., und wird hieran schon einen Kraftmesser
in die Hand bekommen für scenische Sehlagfertigkeit
362
Er stand der Handlung eigentlich kontemplativ, beschaulich gegen-
über. Da versenkte sich denn seine Seele in das Innerste des
Moments, Scene, Handlung und Personen wurden ihm vollständig
Musik, so gut wie die „Scene am Bach" in der Pastoral -Sym-
phonie oder irgend eine unbenannte Scene in der Eroica. Diese musi-
kalische Scene schrieb er; und wie seine symphonischen Scenen aus
Saiten- und Blas-Instrumenten, so webte er die dramatischen aus den
Stimmen des Orchesters und denen der Singenden auf der Bühne.
Daher konnte und musste er auch, scenisch rücksichtsloser als
Mozart, diesen in Tiefe und Innerlichkeit der Musik überbieten,
wie später Eossini beide an Sinnlichkeit und Ueppigkeit überbot.
Hiermit dürfte der Grundzug der Beethovenschen Oper ge-
geben sein. Dass in seinem durchaus ehrlichen und treuen Ge-
müthe, jedem Charakter — wie jedem Instrument in der Symphonie
— und auch jedem Worte, soweit es das rein-musikalische Grund-
prinzip zuliess, sein Eecht wurde, und dass seinem durchaus
idealen Sinn gegenüber sich jede Gestalt, soweit es überhaupt
möglich war, reinigte und verklärte : das Alles zusammengenommen
hat die Oper zu einem Liebling des deutschen Volkes gemacht.
Ohnehin hat sich dieses, undramatisch wie es selber in Folge
langer politischer Verkommenheit zur Zeit noch ist, mehr der
musikalischen als der dramatischen Richtung der Oper geneigt
erwiesen. *)
Von dem oben bezeichneten Standpunkt erklärt sich das
Beethovensche Werk bis in seine Einzelheiten, soweit man ihnen
auch — weiter als hier geschehen kann -^ nachfolgen mag. Vor
allem in der reichem, feinern und sinnigem Verwendung des
Orchesters, flir die Mozart bei seiner schärferen Hinwendung auf
die Scene nicht Raum fand.
Sodann begreift sich von jenem Standpunkt aus, dass Beet-
hoven dem Kleinleben des Rokko'schen Hauswesens gegenüber am
wenigsten günstig gestellt war. Was konnte diese Marzelline, die
sich in eine Frau verliebt hat, mit ihrer Liebe, — was Jaquino,
der einfältig und fruchtlos um Marzelline wirbt, — was der Alte
mit seinen Alltagsgedanken über Geld und Heirath ihm gelten?
was sollte er mit jenem Duett anfangen, in dem Marzelline sich
ihre Ehe mit Leonoren ausmalt und Leonore nur halbe Antworten
geben darf? Gleichwohl füllten vier dieser Scenen, — fast in un-
*) A. B. Marx starb schon am 17. Mai des Entscheidongsjahres 1866, also
noch bevor die grosse politische Entwickelung Deutschlands sich vollzog.
363
unterbrochener Folge, — in der ersten AufTlihrung den grössten
Theil des ersten Akts, eine fünfte*) drängte sich störend zwischen
erschütternde Auftritte des zweiten, und Beethoven hat sie sich
gefallen lassen, sich (S. 343) gegen den Ausfall der fünf Musik-
*) Man findet sie alle in der Borgfftltigen, die erste und zweite Gestalt
der Oper vergleiehenden Ausgabe eines Klavieraussugs der .Leonore von
0. Jahn (1852.) Dieser Klavierauszug bietet zunächst die zweite Gestalt der
Oper, welche Jahn theils nach der davon 1810 bei Breitkopf und HSrtel er-
schienenen, von Beethoven selbst besorgten Ausgabe, theils, da diese Ausgabe
nach damaliger Gewohnheit die Ouvertüre und Finales nicht enthielt, nach den
vollständigen Stimmen der Oper hergestellt hat, die von der Seconda^schen
Opemgesellschaft an das Wiesbadener Theater übergegangen waren. Zugleich
aber giebt er auch ein treues Bild der ersten Bearbeitung, für welche theils
Partituren von Beethovens eigener Hand, theils Abschriften, im Auftrage des
Komponisten gefertigt, zu Gebote standen. Wo diese ursprüngliche Kompo-
sition in der zweiten von Grund aus umgestaltet ist, hat Jahn die erstere ihrem
ganzen Umfange nach im Anhange abdrucken lassen; wo aber in der zweiten
nur gekürzt ist, sind die gestrichenen Stellen entweder unten mit kleineren
Noten hinzugefügt oder auch, durch Klammem eingeschlossen, gehörigen Orts
in den Klavieraaszug selbst der zweiten Gestalt eingefügt.
Nach dem Erfolge von 1814 erschien bei Artaria noch in demselben
Jahre eine auf Grund der dritten Gestalt von Moscheies verfertigte und von
Beethoven durchgesehene Bearbeitung für Klavier, welche folgendermassen in
der Wiener Zeitung am 1. Juli 1814 angekündigt wurde:
»Musikalische Anzeige.
Der Endunterzeichnete aufgefordert von den Herren Artaria d Co. erklärt
hiermit, dass er die Partitur seiner Oper Fidel io gedachter Kunsthandlung
überlassen hat, um unter seiner Leitung dieselbe in vollständigem Klavier-
Auszuge, Quartetten, oder für Harmonie arrangirt, herauszugeben. Die gegen-
wärtige musikalische Bearbeitung ist von einer früheren wohl zu unterscheiden,
da beinahe kein Musikstück sich gleich geblieben und mehr als die Hälfte
der Oper ganz neu komponirt worden ist. Partituren in allein rechtmässiger
Abschrift, sammt dem Buche in Mannskript, sind von mir oder dem Bearbeiter
des Buches, Herrn F. Treitschke, k. k. Hoftbeater- Dichter, zu bekommen.
Andere Abschriften auf unerlaubten Wegen werden durch die Gesetze geahndet
werden.
Wien, den 28. Juni 1814.
Ludwig van Beethoven.*
Energie und Selbstbewusstsein waren Grundeigenschaften des Beet-
hovenseben Charakters. Das zeigte er auch Moscheies gegenüber in launiger
Weise. Dieser hatte im Zweifel, ob er Beethoven die Arbeit zu Dank gemacht,
am Schlüsse eines Stückes der Oper die Worte geschrieben: »Fine mit Gottes
Hülfe!' Beethoven schrieb darunter: «Mensch hilf dir selber!" ^
Wir werden im Folgenden oft genöthigt sein, auf die drei
Bearbeitungen Bezug zu nehmen. Der Kürze wegen heisse die
von 1805 I, die von 1806 U, die von 1814 IXL
364
Sätze noch nach dem ersten Fall der Oper kräftig gesträubt und
zuletzt dem Drängen der Freunde nur theilweise*) nachgegeben.
Wenn also mit diesen Persönlichkeiten nichts anzufangen
war und Beethoven sich gleichwohl auf sie einliess, was konnte
da übrig bleiben, als die Scene in das Orchester verlegen? — So
ist vor allem im Duett Marzellinens und Ja(j[uino's geschehn, das
jetzt die Oper eröflfnet Die Instrumente necken und zwicken.
AUegro moderato.
u
wie den Jaquino die Begehrlichkeit; und zu dieser Neckerei des
Sechzehntel-Motivs hat unser Symphonist ausser der zweiten Geige
und Bratsche noch beide Fagotte im hohen Einklänge verwendet,
so voll war ihm das Herz — von Musik. Dies Motiv hat mit
der geringhaltigen Kantilene der Singenden, — aber wo hätte
«ich eine gehaltvollere anknüpfen lassen? — nichts zu schaffen,
treibt aber im Orchester sein Wesen weiter, plaudert, wenn Mar-
zelline sagt:
*) Es fielen 1806 bekanntlich, abgesehen von einer grossen Arie des Pizarro
mit Chor (S. 843), drei von diesen fünf musikalischen Illustrationen dramatischen
Kleinlebens alltäglichster Art: Rokko's Lied, das Terzett zwischen Rokko,
Marzelline und Jaquino und das Duett zwischen Leonore und Marzelline.
Kokko's Lied ward später wieder aufgenommen, lind dass Beethoven auch die
beiden andern Stücke zunächst nur vorläufig strich,, geht aus den Abände-
rungen hervor, durch welche er ihnen das Leben zu fristen versuchte. Es
sind hauptsächlich beträchtliche Kürzungen, die er mit ihnen vornahm. Aus
jenem Terzett (Es dnr, V« Takt) entfernte er eine Stelle von 3S Takten, weil
sie sich theils im Folgenden wiederholten, theils Wiederholung des Einganges
waren. Das Ganze ist ungemein wohlklingend und würde in einer kleinen
Spieloper, in der auch das Hausbackene am Platze ist, sich recht aiüg aus-
nehmen. Noch tiefere Einschnitte, und an mehreren Stellen, hat er in das
Duett (C dnr, Vs Takt, Allegretto) gemacht. In der Begleitung ergehen sich
Violine und Violoncell obligat, wetteifernd mit den Frauenstimmen in Lust
und Behaglichkeit Dass diese Tändelei aber der Situation entspräche — man
denke zwischen der Pizarro-Scene und der grossen Arie Leonorens stand diese
Nummer — darin vermögen wir 0. Jahn nicht beizustimmen. Die Aende-
rungen haben natürlich den Ton des Ganzen nicht höher stinunen können. *
365
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tiberlegt srch's ganz stiU in der Tiefe, wenn Jaqüino endlich
stottert: „ich, ... ich habe ♦ . . ich habe zum Weib dich ge-
wählet" und Marzelline, man weiss nicht, ob neckend oder zerstreut
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Dm ist Ja doeb klar.
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antwortet. So bildet sich denn ein hübsches Musikstück, das
Beethoven mit Behagen ausspinnt (sogar eine artige Koloratur
hat er sich's kosten lassen) und wir mit Behagen hören. Die
ausgefallenen Nummern erscheinen als die geringeren neben dem
Duett, Marzellinens Arie und Rokko's Liede. Diese ganze Partie
des Werks erinnert in der That mehr an Cherubini als an Mozart. *)
*j Das Daett nahm ursprünglich de;i zweiten Platz ein, ihm voran ging
die Arie Marzellinens. Im Duett unterscheidet sich I[ von I nur durch das
Fehlen einer Stelle von 16'Takten; III hat noch ausserdem einige unbedeutende
Kürzungen erfahreui Beethovens Dnermüdlichkeit zeigt sich an der Arie.
Bs liegen für I drei (a, b, c) Bearbeitungen vor, für II eine vierte (d), welche
sich von c unwesentlich unterscheidet, eine fünfte (e) für III. Die Stimmung
der Arie wechselt nach Anleitung des Textes zweimal zwischen Sehnsucht
und Hoffnung ab; der Auedruck der ersteren wollte Beethoven anfangs durch-
aus nicht gelingen, während die letztere schon mit dem ersten Angriff so
•ziemlich in der endgültigen Form charakterisirt wird. Es ist interessant,
jenen ^iten Theil sich allmählich herausbilden zu sehen an der Singstimme
von a^, b und d. Das C moÜ desselben gehOrt, wie wir daraus ersehen, erst
dem zweiten Versuch an. Für III gab es allerdings nicht mehr viel zu ändern.
366
Die Verbindung der niedeni Partie der Oper mit der hohem
Ausser einigen Weglassangen schrieb Beethoven bei dem Eintritt des Dar
Steigerang des Tempo vor.
*
I a. i B 3.-j 3 !J 3^=£ie^£^^}^
O war' ich schon mit Dir Ter - eint und dixrf-te Mann Dic)&
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ken • nen. Doch wenn man nicht er - r5 * then muss ob ei - nem warmen
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Rokko's Lied, in welchem der Gesang wiedernm wie im Daett reich,
manter und tonmalerisch von den Instrumenten umspielt und belebt wird,
für III erst nachträglich wieder aufgenommen, hat im Sechsachtel-Theil eine
Abkürzung von 4—6 Takten erfahren.
367
erfolgt bekanntlich im Kanon,*) in welchem auch Leonore zuerst am
Gesänge sich betheiligt. Jede der vier Personen spricht ihr Gefühl
aus, Marzelline die bewegende Ueberzeugung von Fidelio's Liebe,
Leonore die Bangigkeit der Lage, Kokko seine Zustimmung zu Mar-
zellinens Neigung, Jaquino seinen eifersüchtigen Schmerz; es ist
ein Augenblick stiller Betrachtung, nicht fortschreitender Handlung
oder des Streits der Interessen und Personen. Dass hier nicht die
Charaktere in ihrer Verschiedenheit gezeichnet werden konnten, ist
klar. Beethoven hat, vom Text geleitet, einen Kanon gebildet, so
reizend, so von der geheimen Bewegung der Personen süss durch-
schauert, dass man von ihm aus sich in Leonorens reine Sphäre ver-
setzt fühlt. Schon die Einleitung in den leise getragenen Weisen
von zwei Bratschen, zwei Violoncellen, vom Pizzikato der Bässe
markiger gezeichnet, versetzt in die Heimath Beethovens; wir fühlen,
dass wir bei ihm weilen, mit ihm dem stUlen Werden des Tonlebens
lauschen. Marzelline hebt den Kanon an,
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*
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t 7 U XL B, W.
Mir ist 80 wundefbang', es engt das Herz mir ein
vom leisen Pizzikato der Violoncelle und Bratschen in der tieferh
Oktav geleitet, vom Gegengesang der stillen Klarinetten schwester-
lich umfangen. Leonore folgt, vom Pizzikato weniger zweiter Geigen
(soli) gestützt, von holden Flöten in der hohem Oktav mit dem-
selben Gegeugesang begrüsst. So wächst die Zalü und Bewegung
der Theilnehmenden und erblüht immer reizvoller, ohne nur mit
einem einzigen vorlauten Ton die Stille der Gemüther, die wie
Naturandacht uns umfängt, zu stören. Selbst die beiden letzten
stark betonten Akkorde sagen nur, dass hier ein Ende sein soll,
weil doch geschieden sein muss. Hier, nach der ersten Ouvertüre,
hat Beethoven zum erstenmal Eleonoren empfunden.
Vom Terzett an tritt sie nun ganz in den Vordergrund. Zuerst
ist es der schlaue, aber entschlossene ßokko („Gut, Söhnchen, gut"),
*) Einige von den wenigen Nummern, deren Gestalt durch alle Bearbei-
tungen hindurch sich unverfindert erhalten hat. Nur in III wurde eine Btelle
von 2 Takten in einen zusammengezogen. *
368
der L^ODOrens DieDSterbieten ftir die Gefängnisse annimmt. Dann
betheuert sie: „ich habe Muth," — aber durch klingt das weibliche
Zagen; ihr folgt zuredend Marzelline; in der ganzen ersten Hälfte
des Terzetts ordnet Leonore sich nach Inhalt und Tonlage (sie
nimmt die zweite, Marzelline die erste Stimme) unter; sie kann
nicht vermeiden, mit ihren Worten die beiden Gutwilligen zu
täuschen. Erst in der zweiten Hälfte des Satzes tritt sie heftiger
hervor. Ueberhaupt nimmt derselbe erst von Eokko's Worten, „Ich
bin ja bald des Grabes Beute," eine ernstere Wendung, und nun
erst hebt auch in Leonorens Rolle die Diktion sich zu höherm Pa-
thos, der ersten Ahnung kommender Momente. Das Terzett ist
vollbefriedigend ausgeführt und war noch ausgedehnter in der ersten
Bearbeitung, wo es den ersten der damaligen drei Akte schloss.
Die Kürzung hat nichts Wesenthches getroffen und ist nur zum
Vortheil des Satzes und der Oper gediehen.*)
*) Nach dem Halt in der Mitte des Terzetts (bei den Worten .Der
Goaverneur'*) bildet sich fünfzehn Takte weiter za den Worten
Marzelline: ein Paar, ein Paar
Rokko: die Arbeit theilst
ein Abschnitt auf Es, vor dem aus I so
Laonor«.
Ich bin ja bald des Grabes Beute. ich
fortschritt, — wir geben nur den dürren Auszug; das Weitere zeigt Partitur
oder Klavierauszug. Hier wurde bei II eine Länge verspürt und so
jL Leonore.
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Rokko.
izl-^^^^^'^jkzÜMZ.
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mm^mm
Wie lang*
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Ich bin
geändert; es fielen, wie Klavierauszug oder Partitur ergeben, vom obigen Takt 4
an vier Takte weg und die Folge war ein Riss in den in der ersten Anlage
wohl und kiar entfalteten Satz. Gleichwohl war in der ersten Arbeit wirklich
eine Länge, nur nicht da, wo man sie 1806 beseitigen wollen. Ihr Sitz wurde
erst bei III ISU entdeckt Da warf Beethoven die leeren zwei Takte zu An-
fang dieser Stelle weg und setzte so
369
Nach dem Marsch der aufziehcüden Wache, der Tyrannen-
Arie des Pizarro und dem berühmten Duett Pizarro's und Rokko's,*)
das beide Charaktere und die Situation bewundernswürdig treffend
und dramatisch zeichnet, tritt nun Leonore mit ihrer grossen
Scene auf.
In der zweiten Bearbeitung begann sie mit einem weiblicher
— man dürfte sagen, zahmer geflihrten Rezitativ: „Ach! brich noch
Leonore.
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?=»:
^Vß^Jiß
:t=t
Wie lang* bin ich des Kummers Beate!
Bokko
'NB.
^^^^^^^{^^^
W-,
iheflst Ich bin ja bald des Oraboa Beute ! ich brau - che
behielt also von da an die bequeme Eotwickelung des ersten Entwurfs bei.
So gewiss Beethoven Anlass hatte, zu ändern, und so gewiss er meist
glücklich geändert: so erinnert doch unter Andern auch diese Stelle, wie be-
denklich es ist, später, nach veränderter Stimmung von der ersten Anlage ab-
zugehn. Man kehrt zu dem entrückten Werke vielleicht gewitzigter, aber ge-
wiss kälter und als ein Andrer zurück.
*) Der Marsch stand, wie er sich in III findet, von Anfang an fest.
Die Arie «Ha! welch ein Augenblick,*' hat in I keine Posaunen, diese sind
für II nachgetragen, das im Uebrigen nur durch Kurzungen um wenige Takte
an 2 Stellen abweicht. In III ibt dem Chor der Wache grösserer Raum ge-
stattet, vielleicht mit Rücksicht auf die gänzliche Streichung seines Mitwirkens
am Schlüsse des erstens Finales. In I und II nämlich hat der Chor nur einen
Passus zu singen, den anfangs von Triolen begleiteten, der im Wesentlichen sich
nur in D dur bewegt, während über ihm die triumphirende Stimme des Pizarro
schwebt; in III geht diesem Abschnitt ein anderer von finsterer Färbung voran,
welchen zunächst der Chor allein führt, von B dur über £s moll, H moll, E moll,
C dur, F dur, Fis dur, also in weitgewundener Modulation, und zwar durch die
gleichzeitig und hartnäckig behauptete Septime Cis nach dem Grundton D
zurück schreitend und erst in den letzten Takten von dem auf Ci« pochenden
und dann ebenfalls auf D zurückfallenden Racherufen Pizarro^s rhythmisch
markirt. — Das Duett zwischen Rokko und Pizarro hat sich von I zu II un-
verändert erhalten, dagegen erscheint es in III in mancherlei Beziehung modi-
fizirt, wenn auch nicht sehr eingreifend. Bezeichnend aber und bedeutungsvoll
ist eine Aenderung am Schlüsse. Nach der Fermate steigt der Gesang Pizarro^s
bei der Wiederholung der Worte .dann werd' ich ruhig sein" in I und II mit
halben Noten über a h cis d nach e hinauf, in III werden h und d in Achtel
aufgelöst. Auf diese Weise wird der Gang bewegter und drückt durch die
zweimalige Koloratur, die auf das Wort «ruhig" fällt, die innere Unruhe des
Pizarro aus, den Zwiespalt zwischen dem ersehnten und dem thatsächlichen
Seelenzustande.
Marx, Beethoven. I. 2^
_370
niclit, du mattes Herz!"*) Jetzt hebt sie mit dem sogleich in die
Handlmig eingreüenden Rezitativ an: „AbscheuUcherl wo eilst du
hin? was hast du vor im wilden Grimme?" Und dieses Rezitativ
ist ungleich energischer geführt; gleich das einbruchartige Auftreten
der einander nachahmenden Saiteninstrumente zeichnet die heftigre
Erregung, in die Leonoi-e durch den Anblick Pizarro's und seine
argen Absichten versetzt ist; der Gesang entspricht natürlich dieser
Auffassung. Jeder Wendung des Textes schliesst sich das Orchester
an; bei den Worten „des Mitleids Ruf wird es bittend, — bei
„doch toben auch, wie Meeres wogen, dir in der Seele Zorn und
Wuth" malt es das finstre Grollen und Schwanken der Wogen, —
bei „so leuchte mir ein Farbenbogen, der hell auf dunkeln Wolken
niht" glänzen duftig schimmernde Harmonien in den hochliegend en
Bläsern (Flöte, Klarinette, Fagott, zwei Oboen) und von da wendet
sich die Rede rührend einfältig, wie das Sinnen einer im innem
Frieden ruhenden Seele zur Arie.
Das Rezitativ ist stets als eine der reizendsten Tonbildungen
bewundert worden, und wir theilen ganz gewiss dieses Gefühl. Dem-
ungeachtet können wir es nicht für dramatisch durchgeführt erachten,
glauben vielmehr gerade in seinen Reizen die Entfernung Beethovens
von seinem neun Jahre früher geschaffenen Werkezu erkennen. Damals
lebte er in Leonoren und Hess sie reden, wie es ihm gegeben war
und ihr angemessen schien. Jetzt stellte sich die dramaturgische
Schwäche des Auftritts heraus, es musste das neue Rezitativ ge-
schrieben werden. Aber der Komponist lebte nicht mehr in jenen
Personen und Zuständen, er stand über ihnen. Da that er nun sein
*) Wenn (S. 339) der Berichterstatter der AUg. mos. Zeit. (VllI, No. 15)
nicht im Irrthum ist, so stand diese Arie bei der ersten Aufführung 1805 in
F dur, auch würde sie, da in dem ersteü Textbuch die Worte „Komm Hoffnung,
lass den letzten Stern etc.** fehlen, ohne Adagio gewesen sein. Jedenfalls idt
sie in dieser ersten Gestalt nicht mehr vorhanden. Wir haben nur die sweite
und dritte Bearbeitung, wie sie in II und III erschienen. II unterscheidet
sich von II [ erstens durch das in Wort und Ton völlig abweichende Rezitativ,
zweitens im Allegro durch einen von G dur anhebenden und sich allmählich
nach £ dur hin entwickelnden Vordersatz von 23 Takten, der durch die Hom-
figuren im Orchester und die mächtige Koloratur der Singstimme (S. 372) wunder-
bar spannend wirkt. Erst auf dem vierten Viertel des 22. Taktes setit, zu-
nächst in den Hörnern, das vordrängende Motiv ein, auf welchem das „ich folg*
dem innem Triebe* und das Weitere auferbaut ist. Andere Abweichungen sind
von untergeordneter Bedeutung, sie zeigen, dass Beethoven, abgesehen vom
Rezitativ in dieser Nummer, vor Allem den Gesichtspunkt zu kürzen und zu
vereinfachen im Auge gehabt hat.
371
Möglichstes, soviel nämlich bei seiner Entfremdung möglich war;
er sprach stark, wenn auch nicht durchaus in Leonorens Sinn („Ab-
scheulicher in wildem Grimme,") und seine Phantasie malte
ihm und uns jede Vorstellung, — das Mitleid, das Meeresschwanken,
den Hofihungsbogen, — die Leonoren vor die Seele tritt.
Die Mehrzahl der Aesthetiker verwirft ganz im Allgemeinen
das „Ausmalen der Gleichnissworte;" sie würde Beethoven er-
innern, dass ja hier nicht wirkliche Meereswogen rauschen, sondern
nur das Bild für Pizarro's Wuth und Groll abgeben. Mit Un-
recht. Leonore macht sich nicht mit kaltem ästhetischem Blut
eme Metapher zurecht, ihr erregtes Gemüth dichtet die eigene Be-
wegung in jene Naturbewegung um, sie lebt in ihr, sie schaut sie,
ist von ihr ergriffen, Wort, Blick, Geberde folgen der Vorstellung,
das Orchester gehorcht. — Nicht hierin liegt ein Unrecht. Aber
die Vorstellung ist thatlos, sie ist kontemplativ und steht neben
der dramatischen Handlung.
Hier ist es Zeit, das Rezitativ mit der Arie zusammenzufassen.
Betrachten wir die ganze Scene abstrakt als ein für sich be-
stehendes Musikstück, so können wir kaum Worte genug finden,
ihren Reiz, die milde Kantilene, die anmuthige Instrumentation,
Alles, was sich sonst einzeln hervorheben Hesse, und den einheit-
vollen Fluss des Ganzen zu preisen. Aber dramatisch — ist diese
ganze Scene nicht. Der Blick auf „alte Zeiten" verlornen Glücks,
der Anruf an den letzten HoflFnungsstern , der Entschluss, dem
„innem Triebe" zu folgen: das Alles ist nur Ausdruck dessen,
was längst in Leonorens Seele gereift sein muss, bevor wir sie als
Fideüo in Handlung sehen ; es ist lyrische Kontemplation wie jene
Schillerschen Verse
eine edle Himmelsgabe ist
Das Licht des Auges!
in denen Melchthal bei der Nachricht, dass um seiner That willen
der Vater des Augenlichts beraubt sei, sich in Betrachtungen über
die Vorzüglichkeiten des Auges ergeht. Die Handlung steht dabei
still. Dies ist nach dem dramatischen Eintritt des neuen Rezitativs
noch merkbarer, als nach der ersten mehr lyrisch-weiblichen Ein-
führung der Scene. Der musikalische Reiz der Komposition kann
das vergessen machen, aber ersetzen kann er den dramatischen
Mangel nicht, das dramatische Interesse beginnt eigentlich erst mit
dem Finale des ersten AJctes.
Gerade durch die musikalische Anlage, so reizvoll sie an sich
24»
372
ist, wird jene Bemerkung noch gründlicher gerechtfertigt. Das an-
muthige Spiel der drei Hörner und des Fagotts, das sich in den
Koloraturen der Singstimme fortsetzt, bedingt Ausbreitung und
Vorwalten des lyrisch-musikalischen Elements, ja theilweis des
reinen Tonspicls vor dem charakteristisch dramatischen. Beethoven
selbst hat das gefühlt. In der letzten Bearbeitung hat er ganze
Massen rein musikalischen Elements, und namentlich weite Aus-
lassungen der Koloratur beseitigt, die an sich so gut waren, wie
das Uebrige, ja sogar eigen thümliche Züge enthielten (z. B. jenes
Hornspiel von Natur- und gedecktem Ton
das einst in der Adur- Symphonie wiederkehren sollte), nur das
dramatische Element noch länger zurückdrängten. Allein die Rich-
tung des Ganzen war nicht mehr zu ändern, damit hätte Beethoven
den Standpunkt der Oper und seinen eignen ändern müssen.
Was liesse sich über diesen Gefangnenchor im ei'sten Finale*)
sagen, der aus dem Moder feuchter unterirdischer Kerker hervor-
kriecht, der so weich hingegeben „mit Vertrauen auf Gottes Hülfe
bauen" will, der so trüb und dabei so mannesstark herausbricht
bei dem Zauberwort
O Freiheit!
und — bittre Frucht langer, zernörgelnder Knechtung! — gleich
wieder zurückbebt, „belauscht mit Ohr und Blick," und zur Seite
schleicht. Beethoven hat hier eine Saite angeschlagen, die nie ver-
klingen wird, so lange noch Unterdrückung mit Hinterlist und Ge-
waltthat die Erde besudelt und dem Willen Gottes Hohn spricht,
*) Bas 1. Finale hat ia II Dur in sofern Aenderangen erfahren, als
dieses vielfach gekürzt ist (cf. S. 343 No. 1 unter den gestrichenen Nammern).
Die daraus hervorgegangene Fassung bildet die Grandlage zu IH, in dem erst
vom Eintreten des Gouverneurs an gemäss der völligen Umgestaltung von Text
und Handlung bis zum Scbluss ganz neue Musik anhebt, an deren Stelle früher
ein kurzes, kräftiges Maestoso und demnach ein weit ausgeführtes, glänzendes
Allegro, Beides in B dur, Pizarros despotisches und rachsüchtiges Wesen und
der Seinen Unterwürfigkeit und Ergebenheit schilderte, nicht ohne selbst durch
das Gebahren des Bösewichts eine gewisse Hoheit der spanischen Art hindurch
schimmern zu lassen, ein Zug durch welchen Beethovens Musik diesen an sich
so unsympathischen Charakter durchweg geadelt hat. Aber freilich diese
ganze Partie musste fallen zu Gunsten der* im Fidelio viel sinnvoller und an-
gemessener gestalteten Schlussscene.
373
der uns alle zu Brüdern und Herren der Erde berufen, das heisst
zur Freiheit und Brüderschaft. Und das hat Beethoven so mächtig
gethan, wie seinem Genius und seinem Freiheitssinn und Mannes-
charakter gemäss und seiner würdig war.
Niemals ist in einer deutschen Oper ein solcher Ruf erklungen.
Aber nun tritt auch Leonore in Handlung und auf die Höhe des
Daseins. Von ihrem ersten Ausruf im Finale, „Noch heute?" (soll
sich der Kerker ihr aufthun, wo sie den Gatten sucht) da beginnt
ihr Drama, da weht der Athem des Orchesters leise, wie die er-
wachenden Winde in das schlatfe Segel des bang harrenden Schiffers,
da erwacht auch in Rokko's hartgewöhnter Brust das Mitgefühl,
der Kerkermeister wird wieder Mensch. Leonorens liebliche Hoheit
hatte die Tochter bezaubert und das Vatergefiihl, der letzte Funke
vielleicht im Herzen des Alten, entzündet Mitleid und hülfebereiten
Sinn in ihm.
Das Wehen im Orchester wächst, die Diktion wird durchaus
dramatisch, nirgends Musik, die nicht zur Sache gehörte. Leonore
erfährt den beschlossenen Tod des Unglücklichen, sie mit Rokko
soll „nur das Grab graben". Das kündigt unter dumpfem Posaunen-
hall schauerlich Rokko ihr an und die Bläser über den zitternden
Saiten stimmen die Klage an, als säh'n sie schon den Todten
niedergestreckt zu ihren Füssen. Sie verstummt.
Da tritt der Genius dieses Drama's, der Leonore heisst, zu
Beethoven und erweckt ihm zuRokko's ruhig gefassten,kühIenWorten:
Wir müssen gleich zu Werke schreiten,
Du musst mir helfen, mich begleiten,
jene weich die Nerven durchwühlenden entathmenden Klänge der
Klarinetten und Fagotte
Andante con moto, ^
p H Fl ?t 4 1* _ i ^-t
m
Wir m&s-sen gleicli zu Wer - ke Hchreiten, Du masst mir
374
mit dem eindringlichen Anschlag der Saiten^ der hohen Oboe und
Flöte. Das war nur Beethoven gegeben. Durchschauert (das Or-
chester verräth's) und fieberbleich bei den Worten
Ich folge Dir, wär's in den Tod!
entgegnet Leonore, in der weibliches Zagen und Heldensinn mit
einander kämpfen und der Entschluss in anmuthiger Preudig-keit
gefasst wird.
Von diesem Finale an hält die Oper sich in der ihr gebüh-
renden Höhe. Die Einleitung*) zum zweiten Akte, — F moll, von
breiten Akkorden der Saiten und Bläser im Wechsel angekündigt,
mit den seltsam unheimlich in es — A
Qrave,
gestimmten Pauken, — haucht feuchten Kerkerodem, Florestans
Klagen und Ergebung scheinen (im Poco Allegro) in Irrsinn tiber-
zugehn. Da ist es Ihr Bild, immer Leonorens, das „ein Engel im
rosigen Duft sich tröstend zur Seite" ihm stellt. Der Gesang wird
hier von an- und nachschlagenden Achteln der Saiten und Homer
getragen, neben ihm führt — welches Instrument könnte das sonst
so keusch und innig und fein und bestimmt? — führt eine Oboe
(zuvor waren nur Hörner, Klarinetten und Fagotte am Wort) ihren
stillen ganz eignen Gesang empor,
^^^üitf^^g^
der wie eine holde Erscheinung emporschwobt und lieblich tröstend
sich bei uns niederlässt. **) So zeichnete sich ihm in der Kerkervision
*) Die Introduktion hat erst in III das grossartige Unisono des Or-
chesters erhalten, welches in langsamem, gleichsam wie vor dem Schaurigen
zurückbebendem Gange in Florestans Kerker hinabfuhit.
**) Ob sich Florestans Arie in II von I unterscheidet, ist nicht festzu-
stellen, da sich I nicht gefunden hat. Wesentlich aber weicht II von III im
dritten Theile der Arie ab, was der für III gänzlich veränderte Text (S. oben)
forderte. II hat statt des Allegro in F dar nur ein Andante un poco agitato
in Fmoll. Hier stille, ergebungsvolle Klage „Ach es waren schöne Tage, als
mein Blick an Deinem hing, als ich Dich mit frohem Schlage meines Herzens
fest umfing^S dort, in III, begeisterungsvolle Entrücktheit der Seele, und dem
entsprechend der Gesang fast durchweg in die höchsten Lagen gesetzt Die
375
Leonorens Bild ; Bach in der Klage um Christ und Gluck in Iphi-
genie hatten dieselbe Stimme vernommen.
Plorestan ist in todähnlichen Schlummer oder Ohnmacht ge-
sunken. Leonore und Eokko steigen nieder, sein Grab zu bereiten.
Ihre Reden haben erst in der letzten Bearbeitung die melodrama-
tischen Zwischensätze erhalten, sie klingen zwischen die Musik
dürr und trocken hinein, mit dem zweifellosen Ausdruck der Wirk-
lichkeit, nach jener hochgespannten Vision von der schärfsten
Wirkung. Und nun jenes unsterbUche Grabduett! in dem über
Leonorens milden Trostesworten hoch oben im Himmelsblau die
Flöte gleich einer weissen Taube schwebt und die zarte Oboe
Seufzer des Mitgefühls einmischt, bis endlich das Heldengemüth in
reinster Menschlichkeit sich dem noch unerkannten Gefangenen
weiht, —
Wer da auch sei'st, ich will dich retten!
Bei Gott, da sollst kein Opfer sein!
und das Orchester sich heroisch bei ihrem Gelübd' erhebt in be-
kräftigenden Ehythmen, und sie nun erst durch reinste Widmung
verdient, dass der Geliebte durch ihre That gerettet, ihr wieder-
gegeben werde.*)
Komposition in II liegt unter dem trüben Schleier der Melancholie, ist aber
doch bewegt, namentlich durch die Sechzehntel-ßegleitung, welche den Gesang
unruhig umzungelt. Das Ganze aber ist, namentlich auch in melodischer Hin-
sicht, Uedartig, mehr lyrisch, ohne die energievolle Dramatik des Allegro in III.
*) Das Grabduett hat ganz geringfügige Veränderungen in I[ erlitten;
nur ist eine längere Stelle des Ritornells gestrichen. Für III ist die das Kollen
des Steines ausdrückende Basspassage hinzugesetzt.
Das Terzett (Leonore, Florestan und Rokko) ist ein Beispiel der That-
sache, dass B. 1814 Öfter die zweite Bearbeitung wieder verworfen hat und auf
die erste zurückgegangen ist, und zwar zum Vortheil der musikalischen, auch
wohl der dramatischen Wirkung. Er hatte in 11 die durch die Vereinigung
der drei Stimmen gesteigerte Wiederholung vor dem Eintritt des un poco piu
Allegro aufgegeben und damit, wie 0. Jahn gewiss richtig bemerkt, einen
wesentlichen Theil seiner Kraft dem ganzen Terzett geraubt. Dass die drei
Stimmen dafür gleich im Anfange zusammen eingeführt worden, ersetzt jenen
Verlust nicht, vielmehr wird damit die üauptwirkung vorweg genommen und
das Folgende abgeschwächt. Man hat 1806 Beethoven diese Kürzung abge-
nöthigt. In III stellte er mit richtigem Urtheil die Form von I wieder her
(abgesehen allerdings von einigen Aenderungen im Einzelnen).
Das folgende Quartett (Leonore, Florestan, Pizarro, Rokko) zeigt in II
fast durchgängig dieselbe Gestalt wie in I. Als hauptsächliche Abweichung
ist zu erwähnen, dass B. die Triolen des Trompetensignals, wie sie der ent-
sprechenden Stelle in der zweiten Ouvertüre konform gewesen, in Achtel und
376
Was auch dem hochbeglückten Tondichter gemangelt haben
mag an dramaturgisclien Einsichten und Geschicklichkeiten: ein
emplänglich GemlUh für reines Menschenthum und für Tugend und
Heldenmuth des Weibes hat er gehabt, — und dazu die schöpferische
Macht, was ihm im Gemüth lebte, zu gestalten.
Eeicher an dramatischen Gaben steht Mozart neben ihm, wenn
man auch nur das Siebengestim seiner letzten Opern zählt. Hoch
an dramatischer Macht und unbedingter Wahrhaftigkeit steht neben
beiden Gluck, — eine Dreizahl, der kein Volk auch nur Einen Eben-
bürtigen zur Seite stellen kann. Aber weder Gluck noch Mozart haben
auch im Drama gerade das gestaltet, was Beethoven beschieden war,
so gewiss mehr als eins ihrer Gebilde höher emporragt, als Leonore:
das Bild des liebenden, treuen, in Lieb' und Treue heldenstarken, —
sprechen wir es nur aus, — deutschen Weibes.
Einst (S. 24) hatte, wie man erzählt, Haydn in Bezug auf
Beethoven gesagt: ein Ungläubiger könne nicht fromme Musik
schreiben. Mit gleichem Kecht oder besserem sprechen wir aus:
diese Oper konnte von Niemand geschrieben werden, der nicht das
Sechzehntel verwandelt bat, wie es die dritte Ouvertüre verlangte. Zwei auf-
fallende Stellen haben beide erste Bearbeitungen gemeinsam. B. beendet nSm-
lieh der Situation gemäss das ganze Musikstück mit einer grellen Dissonanz,
indem er auf den Dominantakkord A Cis £ A Gis nicht die Tonika D folgen
lässt, sondern auf den Septimenakkord von Amoll (GisFHDF) zurückgebt,
auf welchen vorher das ganze Orchester in mächtigen Schlägen sich gestellt
hatte — und auf ihm ruhen bleibt, den ganzen Entscheidungs-Yorgang bis zu
der im Duett zwischen Florestan und Leonore folgenden Lösung, in höchster
Spannung festhaltend. Im Klavierauszuge hat er des Abschlusses wegen D,
also die Timika, dafür gesetzt. Ferner, die Stelle „Tödf erst sein Weib" ggg
— h hat in diesem EI auf „Weib'' eine kaum erträgliche Härte, da das ganze
Ensemble und das Vorangehende B erwarten lässt. Und doch steht das H in
beiden Partituren, in Sing- und Instrumental Stimmen. Erst der Klavierauszug
von 1810 bringt B. Wir möchten glauben, dass Beethoven hier nicht einen
Schreibfehler verbessert hat, sondern einen wiederum der Sachlage rücksichts-
los gegen das Musikalische dienenden Einfall später aufgegeben hat. Indem er
durch das H einst die musikalische Konsequenz störte , charakterisirte er die
Erregung Leonorens und ihr Heraustreten aus den herkömmlichen Schranken
zaghafter Weiblichkeit.
Die Umarbeitungen für III hat B. „mit g«) waltigen Zügen", wie 0. Jahn
berichtet, in die Partitur I eingetragen. Die Aenderungen betreffen namentlich
die Partie des Pizarro. Sein Gesang ist vielfach höher gelegt, ob zum Nutzen
des Ganzen, ist fraglich. Uns scheint die aufregende und spannende Wirkung,
welche in I das allmähliche Aufsteigen seiner Stimme hervorbringt, einiger-
massen abgeschwächt zu werden; der oben besprochene Ausruf, mit dem siel)
Leonore zu erkennen giebt, tönt in III auf Es Es Es B.
377
innigste Gefühl und die lebendigste Anschauung von heldenhafter
Treue im Busen trug.
Wir haben schon ausgesprochen, dass wir die Aenderungen,
die Beethoven an der Oper unternommen, im Ganzen billigen, keines-
wegs aber in allen Punkten für Verbesserungen halten. So scheint
uns, beispielsweise, der ursprüngliche Anfang des Duetts zwischen
Leonore und Florestan,
(Leonow) ^ J* J^ J I
I
^fi" ^i^^i'f
O na - men-, na - men - lo - so Freude!
(Florestan)
*) So beginnt auch das oben erwähnte Gesangstack aus dem Jahre 180B,
nur die Viertelnote im ersten Takt fehlt dort. I und II des Duetts unter-
scheiden sich von III zunächst dadurch, dass sie ein Rezitativ vorangehen lassen,
welches in III ganz unterdrückt ist. Doch ist auch II gegen I bedeutend ver-
kürzt. Das Verhältniss ist folgendes:
I. Rezitat. 76 Takte; DueU 218 Takte
n. „ 60 , ; , 124 ,
m. , fehlt ; , 124 „
Das Rezitativ verdankte ohne Zweifel einer instinctiv treffenden Empfindung
des Moments seinen Ursprang. Der Mörder ist entfloh n, das wieder vereinigte
Paar mit sich allein. Wie natürlich, dass Keiner der Beiden die Wirklichkeit
der plötzlich eingetretenen Wendung sogleich erfassen kann, dass Leonore' er-
schöpft von seelischer Angst und Anstrengung bewusstlos niedersinkt, und dass
Florestan den Gedanken, dass der Kerker sich erschliesst durch der Gattin
rettende That, nicht sofort begreift und gläubig aufnimmt. So malt denn das
Rezitativ bei Florestan das langsam sich vollziehende Sichzurechtfiaden in der
Situation und bei Leonoren das allmähliche Zurückkehren des Bewusstseins,
dann erst, nachdem dieser Prozess sich vollzogen, fliegt Leonore in die Arme
des noch gefesselten Gatten und nun ist es ein und dasselbe Gefühl des Jubels,
das gleichzeitig ihrem Herzen entströmt und denselben Ausruf: ^0 namenlose
Freude" zur Harmonie gesellt auf ihre Lippen führt. Daher müssen wir an-
erkennen, dass jenes Rezitativ hier völlig berechtigt war, auch in der Aus-
dehnung welche es in Bearbeitung I hatte. In II sind die Kürzungen desselben
nur Folge der äusseren Rücksichten gehorchenden Hast, so schnell wie möglich,
zum Ziele des Duettes zu kommen, und wenn es in III gänzlich weggefallen ist,
so kann dafür ein dramatisch stichhaltiger Grund nicht geltend gemacht worden,
im Gegentheil, es ist in der psychologischen Entwicklung eine Lücke entstanden,
und der Uebergang von dem eben noch gefühlten Entsetzen zum Ausdruck der
Freude ist in Folge dessen unvermittelt, geschieht sprungweise. Auch die Kürzung
des puetts selbst in II und III ist keine Verbesserung sondern eine Verstümmelung,
_378_
weit mehr dem emporgeflügelten Entzücken der Wiederverein ten zu
entsprechen, als die neue Bearbeitung, ftlr die sich wohl kaum ein
anderer Beweggrund finden lässt, als Rücksicht auf Sängerinnen,
denen das hohe H nicht leicht zu Gebote steht. —
Wir haben endlich, ehe wir die Oper verlassen, noch die drei
später geschriebenen Ouvertüren zu charakterisiren, namentlich mit
Hinsicht auf unsere oben (S. 321) zu Gunsten der ursprüng-lichen
abgegebenen Meinung. Auf diesen Punkt ist es jetzt Pflicht, näher
einzugehn. Denn gar wohl empfinden wir das lastende Gewicht,
Wenn sich Liebeode nach langer Trennung wiederfinden und in solcher Situation.
wiederfinden, die zugleich Tod and Rettang bringen konnte, so ist es natür-
lich, dass sie den Moment der glücklichen Wendung voll und ganz auBkosten^
dass sie unerschöpflich sind, im wenn auch stammelnden Ausdruck ihrer inneren
Seligkeit. Diesem natürlichen Drange des Paars, verweilen zu wollen mit-
einander im Glück und der übrigen Welt zu vergessen, trftgt das Duett der
Bearbeitung I vollkommen Rechnung. Darum wiederholt es immerfort das
Hauptmotiv, aber jedesmal so, dass die sich daran schliessende ErOrterang
weiter führt, sich steigert und alle Stadien des Entzückens durchlftuft, weJciie
in solcher Lage nur durch unnatürliche Vergewaltigung des Innern verleogoet
werden könnten. Die Kürzung in den folgenden Bearbeitungen ist daher siim
Nachtheil des Ganzen geschehen, und es wäre wohl zu wünschen, dass in den
Auffuhrungen die ursprüngliche Gestalt wieder zur Geltung käme. Die Be-
arbeitungen II und III stimmen in der Lauge und im Allgemeinen auch in-
haltlich überein. Nur steht II der ursprünglichen Form insofern näher, als
es wenigstens das hohe H im Hauptmotiv und so den Charakter des beflügelten
Emporscbwingens der Seelen, ferner auch das Zusammenklingen der Stimmen
im Hauptmotiv festgehalten hat; III erreicht nur einmal, ganz am Schluss, also
mehr des Effekts wegen das hohe H. —
Noch einige kurze Bemerkungen über das zweite Finale. Nach dem,
was oben über die Umgestaltung des Textbuches durch Treitschke erzählt
worden ist, wird es nicht befremden, dass gerade dies Finale auch in der Kom-
position III sehr eingreifende Veränderungen erfahren hat die zum Theil einer
Neu-Produktion gleich kommen. Schon der Anfang: In III sonnige festliche
Heiterkeit in Scenerie, Chor und Orchester (C dar); in I und II das Orchester
in leisem, fast unheimlichem Schritt (C moU) chromatisch aufsteigend und den
Rachechor des Volkes einleitend, dann die erneute Besorgniss Florestans nnd
Leonorens und ihr Todesmuth ergreifend gemalt, so dass den Hörer selbst
Unruhe und Bangen Überkommt, bis bei dem Eintritt des Fernando und seines
Gefolges sich Alles aufklärt und nun erst die Stimmung Platz greift, die in
III von Anfang des Finales an herrscht. \9ir können die weite Entwickelang
hier nicht mehr verfolgen. Nur so viel sei gesagt, dass II gegen I wiederum
bedeutende Kürzungen zeigt, und dass III erst vom meno Allegro in Adur
an — Fernando richtet die knieende Leonore auf — die Motive der früheren
Bearbeitungen benutzt, jedoch Alles bis zum Schlüsse wesentlich umgestaltet,
wohl durchweg mit glücklicher Hand. —
3 79
mit Beethoven selbst in Widerspruch zu treten. Er, der Meister
und Schöpfer, hatte (gleichviel, welchen Einfluss man der Meinung
der Freunde beimessen will) die erste Ouvertüre zurückgenommen
und eine andere nothwendig erachtet. Indess — stehen wir denn
wirklich gegen Beethoven? Wir stehen zu dem ursprünglichen,
von seiner Aufgabe ganz ungestört erfüllten, ganz naiv gestaltenden
Beethoven gegen den zweifelhafl gewordnen, der ursprünglichen
Anschauung entrückten.
Auf unserm Standpunkte lässt sich die Frage nicht so stellen:
welche der Ouvertüren hat höhern Werth, ist schöner oder gross-
artiger? — Geistiges lässt sich nicht messen und wägen, also auch
nicht äusserlich vergleichen, sondern nur seinem Inhalte nach er-
kennen und bezeichnen. Unsere Frage kann nur sein : welches ist
der Inhalt jeder dieser Ouvertüren und ihr Verhältniss zur Oper?
Die erste Ouvertüre haben wir schon zu bezeichnen ver-
sucht: sie scheint uns den Zustand Leonorens vor dem Beginn der
Oper zu scliildem. Hier fügen wir nur noch eine Bemerk ujag hinzu.
Alles, was die Einleitung und das AUegro ausspricht, steht im
nächsten Bezug zu der Heldin der Oper, der einzigen Handelnden.
Was sie zum Handeln treibt, ist das Leid, dem ihr Gatte zum
Raub geworden. Sein Bild, sorgfältig abgelöst von dem sonstigen
Inhalt der Ouvertüre, tritt als Mittelsatz zwischen den ersten und
zweiten Theil des Allegro. Florestan ist nicht gegenwärtig, handelt
nicht mit in der Ouvertüre, sein Bild nur stellt sich gleich einer
Hallucination vor Leonorens, vor unsre Augen; dann verschwindet
es spurlos. — Wir werden bald auf diesen Punkt zurückkommen,
der uns als tiefsinniger Meisterzug erscheint.
Die zweite Ouvertüre wurde, wie Schindler erzählt, in der
Partie der Bläser nicht wohl ausführbar befunden und führte zur
Ausarbeitung der dritten Ouvertüre, in der die Gedanken der
zweiten beibehalten sind, aber in wesentlich veränderter Gestalt auf-
treten, so dass man wohl berechtigt ist, beide Ouvertüren als selb-
ständige Werke zu fassen. Die Ouvertüre Xo. 3 erschien 1810 bei
Breitkopf und Härtel; No. 2 wurde von eben denselben Verlegern
lange nach Beethovens Tode, im Jahre 1842, herausgegeben. Wir
wenden uns zunächst zu dieser zweiten, der Urgestalt der dritten.
Gewaltig tritt in der zweiten Ouvertüre das Orchester, alle
Saiten, alle Bläser, vier Hörner, Trompeten und Pauken (nur die
Posaunen sparen sich noch) auf, zweimal zu einem hinabsteigenden
Gang ansetzend,
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Adagio,
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und auf Fis ruhend ; die Bläser schweigen vom zweiten Viertel des
vierten Taktes an. Ueber dem Fis erheben sich seufzergleich die
Fagotte. Im folgenden Takte setzt in Asdur die krampfhaft schmerz-
lich gedehnte Melodie ein,
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£^.
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n
in der wir im zweiten Akte Florestans Klage vernehmen werden,
jetzt von Klarinetten, Fagotten und Hörnern angestimmt. Im dritten
Takte tritt der Chor der Saiten zu, die Klage zum Ausdrucke
schwarzer Trauer fortzuführen. Der Satz hat sich in breiter Mo-
dulation von Asdur hin weggewendet und schliesst auf Adur.
Hier beginnt ein luftiges Spiel von Flöte und erster Violin, die
sich in kurzen leicht und leise dahinschwebenden Arpeggien
(Fl: h dis fis^ — Vn: h dis fis) ablösen. Bald tritt ein Fagott,
dann treten beide dazu, an Florestans Klage mit dem ersten Motiv
seiner Arie (c b as, hier h a gis) zu erinnern. Der Stimmchor
füllt sich; jenes Spiel wird von Violin und Bass fortgesetzt, das
381
Motiv von Flöte, Oboe und Fagott in drei Oktaven aufgenommen
und weitergeführt, mächtiger und mächtiger schwillt die Btimme
des Orchesters, auch die Posaunen treten zu, bis sich zuletzt das
aufgeregte Element des Schalls in Sturmessausen mit zwei ge-
waltigen Schlägen entladet. Kurze Nachschläge folgen bekräftigend,
dann aber kehrt allmählich die Euhe zurück. Der erste jener
Schläge war wieder auf Asdur gefallen, von da wendet sich die
Modulation zum Ruhepunkt (Orgelpunkt) auf G und bereitet den
Eintritt des Allegro vor. Ueber jenem G macht sich wieder das
Motiv aus Florestans Arie geltend.
Dies ist die Einleitung. Fragt man nach ihr als einem flir sich
bestehenden Tonsatze, so ist die Antwort, dass er durch und durch
von höchster Bedeutsamkeit, von überwältigender Macht, durch und
durch Zeugniss von der Meisterhand ist, die ihn geschaffen. Fragt
man näher nach dem geistigen Inhalt und seinem Bezug auf die
Oper, so muss ausgesprochen werden, dass der erste und wieder-
holte Einsatz, — wiederholt, wie man zweimal zu einem Vollbringen
ansetzen muss, zu dem die Kräfte fast nicht ausreichen, — keinen
Bezug auf die Oper entdecken lässt. Nach diesem Anhang ertönt
Florestans Klage und bleibt vorherrschender Inhalt des ganzen
Satzes. Wieder muss man preisen, wie meisterlich sie durchgeführt
ist, wiewohl uns nicht einleuchtet, dass es so gewaltigen Anlaufs
bedurft hat, um zu der sanften Elegie des armen Verlassenen zu
gelangen. Man könnte dem Riesengeiste, der das Werk erschaffen,
die Worte zur Erläuterung beilegen: „So fass' ich euch mit un-
widerstehlich erschütternder Macht! und so trag* ich euch in Einem
raschen Schwung, auf den Fittichen meiner Phantasie hinüber in
jenen Kerker, den der Unglückliche mit seinen Seufzern bevölkert."
Also Florestan ist das Bild, das die Einleitung einzig uns
vorhält. —
Der Hauptsatz, das Allegro, führt ein neues Tonbild
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cresc, poco
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382
herauf, das sich auf Ädlerschwingen stolz und kühn und ruhig,
noch zwölf Takte weiter, emporhebt, dann mit gewaltigem Schrei
(das ganze Orchester, mit den Posaunen) gleich dem König der
Lüfte unbewegUch, vier Takte lang, in schwindelnder Höhe ruht,
dies alles über festgehaltenem Basse auf C und mit der ganzen erz-
gerüsteten Kraft des Orchesters vollendet. Es ist eins der schwung-
vollsten Gebilde, vielleicht das schwungvollste von allen, die dem
Reich der Töne entstiegen sind.
Eilen wir nur zu gestehen, dass wir diesen Gedanken in
derjenigen Vollendung mitgetheilt haben, die er erst in der
dritten Ouvertüre, der Umgestaltung der zweiten, erhalten. Es ist
geschehn, um denselben in seiner ganzen Mächtigkeit zur An-
schauung zu bringen.
Nicht ganz so tritt er in der zweiten Ouvertüre auf, zu der
wir jetzt zurückkehren. Hier sind die ersten zwölf Takte dem
Violoncell in der kleinen Oktave, — der dumpfsten Eegion des In-
struments, — gegeben ; erst mit dem neunten Takte greift die erste
VioUn mit bekräftigenden Accenten ein, erst mit dem dreizehnten
Takt übernimmt sie als herrschende Oberstimme, bald von der
zweiten Violin in tieferer Oktave gestützt, die Melodie; jener Schrei
fehlt. Es ist nicht nöthig und war' unziemlich, die Abweichungen
näher zu erörteni; genug, der ganze Satz entwickelt sich in einer
Fülle der Macht, die des Meisters symphonischer Dichtung voll-
kommen würdig ist und drängt sich zu vollbefriedigendem Schluss,
etwa wie der erweiterte letzte Schluss einer grossen Ouvertüre oder
Symphonie.
Dieser ganze Satz athmet nichts als Kühnheit, Macht, Helden-
thum; jedenfalls gilt das von der vollendeten Gestalt. In beiden
Ouvertüren ist der Beginn leis' und massig, in der ersten von beiden
ist er sogar in den Schatten der dumpfen Tonlage gestellt und der
Satz durch die Vertheilung unter zwei Stimmen gebrochen. Dennoch
— es ist Helden thum. So mag sich das Bild des jugendlichen
Alexander vor uns erheben, wie er sich adlergleich aus seinem engen
Adlemeste, auf kühnem, breitem Fittich über drei Welttheile sieg-
reich und herrschend emporschwingt.. Aber an Leonore die milde,
die rein weibliche, die nur durch die zwingende Noth bewegt vnrd,
deren That nur Opfer ist, — denn sie weiss und vermag nichts, als
sich auf Gefahr von Freiheit und Leben in die Nähe des Gatten zu
bringen, — an Leonore vermögen wir hier nicht mehr zu denken.
Ihr Helden thum ist andrer, stillerer Art, nicht auf Kühnheit und
38 3
Macht beruht es, sondern auf Lieb' und Treue, nicht den über-
wältigenden Aufschrei des Siegs lässt es vernehmen, sondern die
„namen-namenlose Freude" der Erlösung. Wir vermögen diesen
Satz, so herrlich und aufregend er ist, mit der Oper in keinen Zu-
sammenhang zu bringen.*) Ja, v^as uns zu diesem verwegnen Ge-
ständniss ermuthigt, ist — Beethovens eignes Verhalten. Jener
Gedanke ist mächtig genug, um für sich ganz allein als Hauptsatz
zu genügen, dem dann in irgend einer andern Region oder Tonart
der Seitensatz**) folgen mag. Beethoven aber sendet dem Haupt-
satz' einen Nachsatz nach,
U^=Mit^
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iL^ini^
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T
der, vom Violoncell piano vorgetragen und von der ruhenden Har-
monie der Bläser in weiter Lage weich tiberdeckt einen ganz andern
Sinn giebt, den wir aber wieder nicht mit dem Hauptgedanken oder
*) Schindler ist über die arsprüogliche und die oben betrachtete
Ouvertüre abweichender Ansicht; er erklärt sich für die letztere gegen die
erstere. In der ursprönglichen , meint er, sei das »Gharaktergepr&ge nur in
matten Umrissen ausgedrückt;* «das Erfülitsein (Beethovens von Leonore bei
der Dichtung der Ouvertüre) bleibe unbestritten, die Sinnigkeit ihres Inhalts
zeuge dafür, Begeisterung aber, Beethovensche Begeisterung sei gar wenig darin.**
Wir schätzen Schindler zu hoch, als dass wir nicht für Schuldigkeit an-
erkennten, seine Ansicht unsern Lesern zur Prüfung vorzulegen. Auch be-
greifen wir sehr wohl, wieviel gewaltiger aufregend die neue Ouvertüre gewirkt
haben muss, als die ursprüngliche. Nur müssen wir wiederholen, dass wir uns
durchaus nicht auf ein Abwägen eines Kunstwerks gegen ein anderes einlassen,
sondern einzig die Frage festhalten, welchen Bezug jede der Ouvertüren auf
die Oper hat. Sollte da und dort für uns entschieden werden, so wünschen
wir um so mehr, dass die zweite und dritte Ouvertüre recht oft in Konzerten
zur Ausführung kommen, als würdige Schöpfungen des Meisters, dergleichen
nach seinem Hinscheiden nicht mehr gelungen sind.
Unserm verehrten Kunstgenossen Schindler sind wir aber auch hier dankr
verpflichtet; denn sein Widerspruch ist es, der uns zu nochmaliger Prüfung uncl
ausführUcher Erörterung angeregt hat.
**) Man sehe den Anhang über Form in der Musik.
384
der Oper in Bezug zu setzen wissen. Jedenfalls ist der neue Satz,
der von den Violinen wiederholt wird, nichts als Episode, denn er
weicht sofort dem Hauptgedanken, der mit erhöhter Kraft
V 1
Baas 87a
bei vollem Orchester wiederkehrt, schwunghaft von C dur sich nach
H moU wirft und von da auf die Dominante von E. Der erste Ge-
danke hat sich siegreich behauptet und gekräftigt. Dass er unbe-
dingt herrsche, kann man nicht sagen; denn er ist durch jenen
fremdartigen Nachsatz unterbrochen und gehemmt worden.
Auf der Dominante von E tritt wiederum die Klage Florestans
hervor, natürlich der neuen Ton- und Taktart anbequemt.
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t=t
:F=C
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^^P«&E^
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von der Oboe zart vorgetragen, von Takt 8 nach F und später
weitergefllhrt. Alsbald greift das volle Orchester mit mächtigen
Harmonierufen ein, drängt weiter nach E, wo der Hauptsatz
w
rf
8-
385
in verstärkter Gestaltung wiederkehrt und in einem breiten Schluss-
satze auf B zu Ende geht.
Der letzte Ton (zwei Takte) ist piano. Es folgt — abermals
der Gedanke der Florestan-Arie, diesmal von Violin und Violoncell
in F dur ausgeführt. Hier spinnt sich eine Durcharbeitung an, wie
sie der Sonatenform im zweiten Theil eigen ist, den Hauptsatz, die
Melodie der Arie, das Motiv des Nachsatzes in Wechsel und gegen
einander bringend, reich und weit ausgeführt, durch mancherlei
Tonarten modulirend, dann den Hauptsatz in höchster Stärke in
C moll, in P moU, abermals in C moll, von As dur an in Nach-
ahmung beider Geigen und des Basses weit und mächtig ausführend
und mit gewaltigen Rhythmen, dann mit dem Unisono-Erguss aller
Saiteninstrumente, der Flöten und Fagotte zu einem Abbruch auf
Es leitend. Stände Beethoven nicht zu hoch für solches Lob, so
könnte die meisterhafte, ja, überwältigende Durchführung, die an
Gewaltigkeit bis dahin nur im ersten Satze der Heldensymphonie
ihres Gleichen fand, nicht genug gepriesen werden. Wo ist aber
die milde, keusche Oper Leonore geblieben?
Auf Es ertönt von der Bühne heraus das Trompetensignal, das
gegen den Schluss der Oper das Nahen des Ministers ankündigen
wird. Nach kurzem Zwischenspiel aus dem Hauptsatze wird das
Signal wiederholt; leise, Erwartung andeutende Anklänge des
Orchesters, dem Mahnruf der Trompete rhythmisch entlehnt, führen
die Melodie der Florestan-Arie (diesmal in C dur) zurtick, während
die Pauken jenen Mahnruf gleich weissagendem fernem Donner
nachhallen. Das Orchester geräth in leise wehende Bewegung und
stürzt bald in den mit Presto bezeichneten Schluss, der als Kern
den Hauptsatz in Erinnerung bringt.
Dies ist, so gut wir zu erkennen und auszusprechen gewusst,
Gang und Inhalt der Ouvertüre. Nicht bedeutungslos scheint es,
dass Beethoven, der Vollender der Sonatenform, hier diese Form
wählt, aber in einer Weise durchfuhrt, die nur durch ausserhalb
der Ouvertüre liegende Beweggründe hervorgerufen ist. Der Haupt-
satz schliesst sich so vollgenügend ab, nimmt, was Beethoven sonst
dem Schlusssatz' und Anhang' überträgt, so entschieden in sich Iiin-
ein, dass ein eigentlicher Seitensatz, den Beethoven stets so sinnvoll
mit dem Hauptsatz in Harmonie zu bringen weiss, keine Stätte
findet und der erste Theil auf dem der Arie vorausgehenden H zu
schliessen scheint, obgleich das nur ein Halbschluss wäre. Man mag
die Arienmelodie für den Seitensatz nehmen, muss aber wohl aner-
Marz, BeethoYen. L 25
386 1
I
kennen, dass dieser Seitensatz dem Hauptsatze fremd ist, zumal
nach so vollbekräftigendem Schlüsse. In solcher Weise hat später
K. M. Weber seine Ouvertüren potpoum-artig aus fremden, der
Oper vorweggenommenen Stücken zusammengesetzt. Niemals aber
hat Beethoven in ursprünglichen Werken so gehandelt; er hat
stets organisch geschaffen.
Fassen wir die bisherigen Betrachtungen zusammen, so ist
Folgendes das Resultat.
Beethoven hat ein mächtiges, seines Geistes und seitier Meister-
schaft würdiges Werk geschaffen, von dem wir, — die Oper bei Seite
gelassen, — wohl begreifen und zugestehn, dass es aufregender
und gewaltiger fassen muss, als die erste Ouvertüre, dass es auch
seinen andern Kolossalbildern, namentlich der Heldensymphonie,
näher steht als jene. *) Unbefriedigt oder abgewendet von der ereten
Ouvertüre (gleichviel, ob mit Recht) hat er eine zweite zu schaffen
beschlossen, die seine Macht besser bewähre. Dies spricht sich,
deutlich wie mit Worten, schon im zweimaligen Ansätze der Ein-
leitung, dann im Hauptsatz' aus.
Allein die Unfehlbarkeit und Frische der ersten Anschauung
war verloren gegangen, und sie gerade kehrt nimmer wieder. Dies
erweist sich in der Fremdheit einiger Züge, — der Einleitung bis
zur Arie, und des Hauptsatzes, — und in der gänzlichen Abwendung
von der Hauptperson, deren Charakter und Handlung nicht in einem
einzigen Zuge der Ouvertüre zu erkennen ist und mit dem Haupt-
gedanken in geradestem Widerspruche steht. Es erweist sich zu-
gleich in der Hinwendung auf die Nebenpartien der Oper, auf
Florestan, dessen Arie dreimal ausführlich genug anklingt, — dann
auf das Trompetensignal. Dei'gleichen ist Werk des Gedächtnisses
und dramaturgischer Klugheit, nicht Eingebung des seinem Gegen-
standes ganz hingegebenen Gemütlis; Beethoven fing an sich zu er-
innern, als er nicht mehr im Herzen der Oper stand. Da wurden
ihm zuletzt die Charakterisüge, die er selber gewählt und gescldagen,
zu Motiven für die Durcharbeitung, — der heldenhafte Hauptsatz
versuchte sich auch in Moll, und die Klage mischte sich mit seiner
Mächtigkeit.
Wir wenden uns zur dritten Ouvertüre.
Ob die (nicht unüberwindlichen) Schwierigkeiten für die Bläser
*) Dies scheint uns für Schindlers Auffassung die eigentlichts Begründung.
Grundloses hat er wahrlich nicht gesagt.
387
der einzige Anlass zur Ausarbeitung der dritten Ouvertüre gewesen,
bezweifeln wir; jedenfalls hätten sich jene Schwierigkeiten ohne
Umarbeitung des ganzen Werks beseitigen lassen. Vielmehr scheint
Beethoven von der Gestaltung der zweiten Ouvertüre nicht befriedigt
gewesen zu sein und brachte sein Werk in klarere, damit aber auch
grossartigere Gestaltung. Dies werden (wie wir meinen) die Sach-
kundigen anerkennen, wenngleich sie gegen Einzelheiten der dritten
Ouvertüre Bedenken haben mögen, die wir nicht abweisen.
Schon der Eintritt der dritten Ouvertüre ist einfacher und
grossartiger; der zweimalige Ansatz der zweiten ist zugleich mit
den harten Blecheingriffen beseitigt, ein einziger Zug
•)
J in T
führt von dem nachdrücklich festgehaltenen ersten Ton abwärts nach
Eis, — die Entschlossenheit ist unhemmbar geworden. Von Eis aus
folgt — minder wichtige Aendorungen hier und überall bei Seite
gelassen, — die dritte Ouvertüre dem Gang der zweiten, kommt aber
schneller (hier mit 7, dort mit 12 Takten) zu jenem Sturmschlag auf
As. Nicht die Küraung an sich ist wichtig, sondern dass die noch-
malige Vorführung der Florestan-Arie**) wegfällt. Beethoven hat
also erkannt, dass dieses Motiv in der Oper nur zweiten Ranges ist,
folglich auch in der Ouvertüre nicht hergehend werden darf.
Der Schlag auf As wird nicht wiederholt (die Wiederholung
war nur äusserlicher Effekt), sondern kurzweg zum Hauptsatze ge-
schritten. Wie weit einfacher und mächtiger dieser sich hier ge-
staltet, haben wir bereits S. 382 gezeigt. Auch hier tritt Beethoven
in der dritten Ouvertüre mit voller Entschiedenheit auf, während
*) Die hmaufgestrichcDen Noten sind Bläser, die hlnabgestrichenen Saiten-
instrumente ; das Nähere muss in der Partitur nachgelesen werden.
*♦) Seite 8 bis 10 der Partitur.
25*
388
er in der zweiten noch zu schwanken scheint; sollte gleichwohl dieser
Gedanke zum Ausdruck kommen, so musste ihm vor andern die
entschiedenste und mächtigste Aussprache die gemässe sein. Eine
Folge dieser zusammengefassten Darstellung war, dass, was wir in
der zweiten Ouvertüre „Nachsatz" genannt, hier in der dritten als
fortströmender Erguss der Hauptstimmen (der Geigen) hervortritt,
weder in die dunkle Region des Violonceirs, noch in das piano
versinkt, nicht den Hauptsatz unterbricht, sondern vielmehr ihn
schwungvoll bewegt fortsetzt. Nun bedarf es auch nicht der Ver-
breiterung, die sich dem wiederkehrenden Hauptsatz' anhängen
musste; er ist gar nicht abgetreten.
Jene Verbreiterung führte die Arie zurück. Hiervon weiss die
dritte Ouvertüre nichts, — abermals eine Bestätigung unsers Wider-
spinichs gegen das Hervorheben des Motivs, die Beethoven selber
thatsächUch gegeben. Sie führt, gleich ihrer Vorgängerin, auf die
Dominante von E, bringt hier aber einen wirklichen und nicht fremd-
artigen Seitensatz und einen zum Hauptsatze zurückgi-eifenden
Schlusssatz. — Von dem auf Fremdes (im Verlauf der Ouverturen-
gedanken Fremdes) zurückgreifenden, fast phantastisch zu nennen-
den Gange der zweiten Ouvertüre hat Beethoven sich zu der
sichern und klaren Gestaltung zurückgefunden, die er selber in
seinen Werken zur Vollendung gebracht. Will man ihn dort genial
nennen, so war er hier genial und Meister.
Der zweite Theil (der Sonatenform) beschäftigt sich haupt-
sächlich mit dem Hauptsatze, der aus dunkel bedrohlichem Gewühl
hervortritt und zu einem Euhepunkt auf B führt. Hier erschallt
jenes Trompetensignal, das einst in der zweiten Ouvertüre von den
Wienern, für ein Posthom gehalten, so arg missverstanden wurde.
Die dritte Ouvertüre lässt wenigstens die Melodie folgen,
/
1^^
^^"^^^^i^^^"^'"^
*=^
I I I II
(Ach Dil bist ge - ret-tet)
welche in der Oper ebenfalls dem Signal folgt und mit den Worten
das GefUhl der Erlösung weckt. Sollte das Signal gegeben werden,
so war der erläuternde Nachsatz kaum zu missen. Er gewährt mit
389
der nach Ges entschwebenden Wiederholung einen Euhesitz mitten
im Andrang stürmischer Vorstellungen, der ungemein wohlthut.
Wir müssen uns die weitere Begleitung dieser dritten Ouver-
türe versagen. Ohnehin trifil sie, was bei der zweiten (deren voll-
endete Gestalt man sie nennen muss), in Bezug auf die Oper an-
gemerkt worden. An sich selber ist sie ein unvergleichliches sym-
phonisches Werk; allein als Ouvertüre zu der Oper Leonore, das
heisst: als Ouvertüre, die uns in den Vorgang und Sinn der Oper,
zu dem Kernpunkt und Herzen derselben flihrt, vermögen wir sie
nicht anzuerkennen, vielweniger als einen so innig vorbereitenden
und ergänzenden Prolog wie die erste Ouvertüre. Allerdings nimmt
die dritte drei bedeutende Momente der Oper in sich; erstens die
Melodie aus Florestans Arie, zweitens das Signal, drittens jene
Melodie, die dem Signal bedeutungsvoll folgt. Allein solche Voraus-
nahmen aus der Oper, so geläufig sie besonders seit Beethoven oder
Mozarts Don Juan den Opernkomponisten geworden, sind doch nur
von zweifelhaftem Werthe. Sie deuten symbolisch auf Momente hin,
die wir noch gar nicht kennen, die uns also nicht ihre Bedeutung
in der Oper, sondern nur den Sinn eröffnen können, den sie mög-
licherweise an sich selber haben. Nun ist die Florestan-Melodie,
aus ihrem scenischen Zusammenhange herausgenommen, anmuthend,
sanft, sehnsuchtsvoll, — Aehnliches lässt sich von der oben ange-
führten Melodie sagen, aber mehr nicht. Die Trompetenfanfare ist
sogar, so lange die ihr beigelegte Bedeutung nicht ausgesprochen,
undeutbar. Unmöglich können dergleichen Einzelheiten mit einer
durch ihren ganzen Zusammenhang und Sinn hindurch bedeutsamen
Ouvertüre verglichen werden.
An diese dritte (oder zweite und dritte) Ouvertüre ist Beet-
hoven oflenbar mit dem gerechten Selbstgefühl seiner Macht und
mit dem Vorsatz getreten, sich bei der Einführung eines edlen
und grossartigen Werkes dessen und seiner selbst würdig zu er-
weisen. Diese allgemeine Stimmung und Richtung finden wir aus-
gesprochen und können das Werk — selbst mit Einrechnung jener
seltsamen Stelle (S. 46 bis 50 der Breitkopf-Härt^Ischen Partitur),
wo die Flöte so kindsköpfig (wir finden kein ander Wort) mit dem
Fagott spielt — als eine der grossartigsten symphonischen Dich-
tungen bewundern und lieben.*) Nur Leonore kommt uns dabei
*} Wie anders man einst über dieses Wanderwerk dachte, zeigt in ergötz-
licher Weise ein Brief in Kotzebue's Zeitschrift «der Freimüthige* vom 11. 9. 1806.
390
nicht in den Sinn, weil sie Beethoven nicht im Sinne gewesen ist,
und der Fall von ihr zu Marzellinens Arie oder Duett herab ist
gar tief.
Noch ferner stand Beethoven 1814 seiner Oper, als er die
letzte Ouvertüre zu ihr, die in E dur schrieb.*) Jedem aufmerk-
samen Hörer wird wohl schon, wenn er auch in die Geschichte der
vier Ouvertüren nicht eingeweiht ist, eine gewisse Hast in der vierten
ftlhlbar geworden sein, die sonst Beethoven gar nicht eigen ist,
selbst bei seinen lebhaften Orchestersätzen nicht, z. B. der F dur-
Symphonie. Sollte sich nicht darin die Unruhe verrathen, in die
ihn die Rückkehr zu einem schon fern gerückten Werke versetzen
musste? Diese Hast ist gar nicht zu verkennen; sie deutet sich
schon in der kurzen und kurzgliedrigen Intrade
Allegro, \ ,
an, nach der das Adagio mit lockenden Hörn- und Klarinett-Klängen
sich meldet, um der Intrade zu weichen, die diesmal in A dur auf-
tritt, um dann erst in still erregter Tiefe sich auszubreiten, und
rätselhaft uns irgend etwas noch im geheimen Brüten Werdendes
oder Kommendes erwarten lässt.
Das bringt nun das Allegro. Sein Hauptsatz ist es, den die
Intrade angedeutet und der nun vom hellen E-Horn
„Vor Karzern wurde die Ouvertüre zur Oper Fidelio im Augarten ge-
geben, und alle parteilosen Musik kenner und Freunde waren darüber einig,
dass so etwas Unzusammenhängendes, GrelleSj Verworrenes, das Ohr Empörendes,
schlechterdings noch nie in der Musik geschrieben worden sei. Die schnei-
dendsten Modulationen folgen auf einander in wirklich grässlicher Harmonie,
und einige kleinliche Ideen, welche auch jeden Schein von Erhabenheit daraus
entfernen, worunter z. ß. ein Posthornsolo gehört, das vermuthlich die Ankunft
des Gouverneurs ankündigen soll , vollenden den unangenehm betäubenden
Eindruck
Der Brief schliesst satyrspielartig mit dem Preise einer «herrlichen*
Ouvertüre von Andreas Romberg, «die der Beethovenschen zum vollen
Gegenstsücke dienen kann"! ! I
*) Unzweifelhaft ist, wie oben erwähnt, dass Beethoven 1814, bevor er
diese Ouvertüre schrieb, eine Umgestaltung der allerersten, schon vor der
öffentlichen Aufführung zurückgelegten, versucht hat.
391
m
p dolce
sanft hinauslockend intonirt, von der Klarinette wiederholt und hell
und feurig hinausgeiUhrt wird. Gab' es eine Oper von Kaiser Max,
oder noch besser von König Franz, der mit seiner Geliebten und dem
buntgaukelnden Hofstaat üppiger Damen und muthiger Herren von
Fontainebleau hinauszog in den sonndurchblitzten Wald: man
könnte sich keine schönere Ouvertüre denken; und das läge keines-
wegs blos im Horneinsatz, sondern im Ganzen. Derselbe Sinn
spricht sich im Seitensatz
Hörner
aus, der wieder vom Hornklang eingeleitet und wieder kurzgefasst
und kurzgegliedert ist, dann aber, wie der Hauptsatz, sich breit und
glänzend hinausführt zum eben so kurzgefassten Schlusssatz und
Theilschluss.
Der zweite Theil beschäftigt sich nur mit dem Hauptsatze, hat
sein unerschöpflich Spiel auf das Artigste mit dem ersten Motive
(ersten Takte) desselben, das zur Oktav erweitert in den Violon-
cellen, im Pizzicato der Bratschen, Violoncello und Bässe, der
Hörner, der Pauken mit diesem
Oboe
^fe?^3"^_^^^^fe?==^
Panken
muthwilligen Ausgange (bei NB wieder Oulibicheffschc Doppel-
akkorde) geschäftig ist, und uns, wir wissen kaum wie, in den An-
fang (Theil 3) zurückversetzt. Der Anhang bringt die Einleitung,
392
Intrade und Adagio, zurück und ein bis zur Wildheit gestdgertes,
von dem Motiv gar nicht mehr ablassendes Presto zum energisch-
aufgeregten Schlüsse.
Es ist eine der geistreichsten, von Talent und Kunstgeschick
funkelnden Kompositionen. Aber von Leonore keine Spur. Das-
selbe haben wir von ihren Vorgängern aussprechen müssen.
Er hat keine Oper mehr geschrieben.
Nicht der Wille hat ihm gefehlt und den Kunstfreunden nicht
das Verlangen, mehr Openi von ihm zu empfangen. Allein es sollte
sich auch an ihm bewähren, dass wir nicht von unserm eignen
Willen, sondern von unserer uns oft selbst nicht vollkommen klaren
Bestimmung die letzte Entscheidung empfangen, dass wir bestimmt
werden, indem wir zu bestimmen meinen.
Beethovens Selbstgefühl und Selbstvertrauen war durch das
Schicksal seiner Oper 1805 und 1806 betroffen, seine Energie durch
die vielfachen Umarbeitungen auf eine starke Probe gesetzt. Aber
das sichere Bewusstsein von seiner Kraft und dem W^erthe seiner
Leistung blieb unerschüttert.
In diesem Bewusstsein bewarb er sich im Jahre 1 807 bei der
Direktion der kaiserlichen Theater um Anstellung als Opernkomponist.
Er machte sich anheischig (cf. Nohl, Briefe No. 46), jährlich eine
grosse Oper zu komponiren und ausserdem kleinere Gelegenheits-
stücke zu liefern; daflir verlangte er ein festes Gehalt von 2400 Gulden
nebst dem Eeinertrag der dritten Vorstellung jeder neuen Oper
und die Gewährung eines Tages im Jahre zu einer Benefiz-Akademie
im Theatergebäude. Dies Gesuch blieb erfolglos. Demungeachtet
ward der Vorsatz, Opern zu komponiren, bis an das Lebensende
niemals aufgegeben; künstlerische Neigung zu dergleichen Arbeiten
war nicht der einzige Antrieb dazu, auch das wohlbegründete Ver-
langen, sich durch dergleichen augenfälligere (sogenannte grössere)
Leistungen in Ansehn und Einnahme zu steigern, — ein Verlangen,
dem Niemand sein Eecht absprechen wird, sobald es mit dem Be-
rufe, nicht gegen ihn geht.
Um einen passenden Text zu erlangen, trat er in den Jahren 1808
bis 1814 mit mehreren Dichtern, mit Collin, Treitschke, Theodor
Körner in Verbindung. Collin soU ihm nach Reichardts vertrauten
Briefen (I, 161) 1808 ein Libretto „Bradamante" angeboten haben,
doch wollte ihm die Welt des Wunderbaren, die in dem Stoff einen
grossen Raum einnahm, nicht behagen. Reichardt hat den Text
393
später selbst in Musik gesetzt. Viel mehr Beifall fand bei Beet-
hoven das Sujet des Macbeth. CoUin bearbeitete den Text, kam
aber, wie es scheint, nicht über den ersten Aufzug hinaus, der' in
dem Hoftheatertaschenbuch von 1809 abgedruckt ist. Beethoven
hat trotzdem die Komposition in Angriff' genommen und einige
wenige Skizzen dazu hinterlassen, namentlich zum Hexenchor, in
welchen die Ouvertüre überleiten sollte (cf. Xottebohm, MusikaHsches
Wochenblatt, 1879, No. 10 — Thayer, Beethoven HF, S. 88). Was
Collin verhindert hat, die Dichtung zu vollenden, ist unbekannt.
Jedenfalls machte sein Tod i. J. 1811 seinem und Beethovens Vor-
haben ein Ende. Kömer hatte für ihn an einem „Odysseus" ge-
arbeitet, Treitschke hat ihm zwei Stoffe zu Opern zu gestalten ge-
sucht, 1811 „die Euinen von Babylon", 1814 „Romulus". „Daneben
aber kam Beethoven," wie Jahn berichtet (Ges. A. 298), „auf den
Gedanken, eine italienische Oper zu schreiben. Zur Vorbereitung
auf dieselbe wollte er sich zunächst in Geist und Weise italienischer
Poesie und Musik einleben und für sich eine Schule der Beschrän-
kung auf die harmloseste Einfachheit des musikalischen Ausdrucks
und leichte Sangbarkeit durchmachen. Zu diesem Zwecke lieh er
sich am 26. Juli 1814 Metastasio's Werke und komponirte eine
Eeihe seiner anmuthigen Strophen, wie sie ihn bei der Lecture an-
sprachen, Itir zwei,, drei oder vier Stimmen ohne Begleitung, die
meisten derselben mehrfach (cf. Thayer, Chronol. Verzeichniss
No. 264, wo auch die Anfänge der noch ungedruckten Gesänge mit-
getheilt werden). So war er von Plänen und Eifer erfüllt, sich für
ihre Ausführung tüchtig zu machen. Plante er wirklich eine
italienische Oper, so war ihm das sicher nicht Herzenssache.
Eine welsche Oper hätte er, wäre sie vollendet worden, nicht weniger
als jene Anetten unter die Exercitien für die Behandlung der Sing-
stimme gerechnet. Man bedenke, dass ihm „des italienischen Zu-
schnitts" wegen Mozarts Don Juan weniger lieb war als die Zauber-
flöte. Andererseits w^erden wir bald sehen, dass seine Phantasie einige
Jahre später vorübergehend wirklich für die Welschen erregt war.
In Beethovens Tagebuch ferner aus dem Jahr 1816*) finden
sich, von ihm selber geschrieben, folgende Worte: „Etwas muss
geschehen — entweder eine Reise und zu dieser die nöthigen
*) Schindler Th. I. S. 265 der neuen Ausgabe. Die Tagebücher von 1813,
1814, 1816, 17, 19, 20, 23, einat in Schindlers Besitz, sind wichtige Quellen.
394
Werke schreiben, oder eine Oper, — suUtest du den künftigen
Sommer noch hier bleiben, so wäre die Oper vorzuziehen, im Falle
nur leidlicher Bedingnisse — ist der Sommeraufenthalt hier, so
muss jetzt schon beschlossen werden, wie, wo? — Gott, helfe, du
siehst mich von der ganzen Menschheit verlassen, denn Unrechtes
will ich nicht begehen, erhöre mein Flehen doch für die Zukunft
nur, mit meinem Karl" (seinem Neffen) „zusammen zu seyn, da
nirgends jetzt sich eine Möglichkeit dazu zeigt — o hartes Ge-
schick, grausames Verhängniss, nein, nein, mein unglücklicher
Zustand endet nie."^ — Hier fasst er also, vom Geflihl seiner Ver-
lassenheit und Bedürftigkeit gepeinigt, den Vorsatz zu einer Oper
aus rein persönlichen Rücksichten in das Auge.
In demselben Jahre wendet er sich daher an die einstige Dar-
stellerin des Fidelio, die inzwischen fllr das Berliner Hoftheater
gewonnene Milder — seit ihrer Vermählung mit einem, wie es
scheint, wenig zu ihr passenden Manne, dem Juwelier Hauptmann,
Milder-Hauptmannn geheissen — mit der Bitte, den Baron de la
Motte Fouqu6 zur Dichtung eines Textes für ihn zu gewinnen.
Natürlich ebenfalls vergeblich.*)
*) Der Brief lautet bachstftblich:
.Wien, den G. Januar 1816.
Meine werthgesch&tzte, einzige Milder, meine liebe Freundin!
Sehr sp&t kommt ein Schreiben von mir Ihnen zu. Wie gerne möchte
ich dem Enthusiasmus der Berliner mich persönlich beifügen können, den Sie
in Fidelio erregt! Tausend Dank von meiner Seite, dass Sie meinem FideUo
so treu geblieben sind. — Wenn Sie den Baron de la Motte Fouque in meinem
Namen bitten wollen, ein grosses Opern-Sujet zu erfinden, welches auch zugleich
für Sie passend wäre, da würden Sie sich ein grosses Verdienst um mich und
Deutschlands Theater erwerben; — auch wünschte ich solches ausschliesslich
für das deutsche Theater zu schreiben, da ich es hier mit dieser knickerigen
Direkzion nie mit einer neuen Oper zu Stande bringen werde. — Antworten
Sie mir bald, baldigst, sehr geschwind, so geschwind als möglich, aufs ge-
schwindeste — ob so was thunlich ist. — Herr Kapellmeister B. hat Sie
himmelhoch bei mir erhoben und hat Recht; glücklich kann sich derjenige
schätzen, dem sein Loos Ihren Musen, Ihrem Genius, Ihren herrlichen Eigen-
schaften und Vorzügen anheimfällt — so auch ich — wie es auch sei, alles um
Sie her darf sich nur Nebenmann nennen, ich allein nur führe mit Recht
den ehrerbietigen Namen
Hauptmann
in mir ganz im Stillen Ihr wahrer Freund und Verehrer
Beethoven.*
Der Brief hat noch ein Postskript, das wir weglassen. Es macht die
obige Angelegenheit noch einmal dringend und bewegt sich in heiter-galanten,
395
Endlicli scheint die ErftlUung seines Wunsches näher zu
rücken; 1823 erliält er von Seiten der Theaterverwaltung den An-
trag, eine neue Oper zu schreiben. Zahlreiche Texte werden vor-
geschlagen ; er selbst wünscht einen Stoff aus der griechischen oder
römischen Geschichte. Im Februar 1823 ist von drei verschiedenen
Opernstoffen die Rede. *) Zuerst spricht Beethovens Bruder Johann
von einem indischen Stoffe: „Lichnowsky (Moritz) hat mir das
Opernbuch zum Lesen gebracht, es ist von Scldegel nach einem in-
disclien 2000 Jahr alten Gedicht. — Es ist romantisch, mir gefällt
es Älir gefällt es sehr gut, willst du es lesen, so will ich dir
es da lassen, doch müsstest du es bald lesen." Dann kommt ein
andrer Stoff zum Vorschein: „Wanda, Königin der Sarmaten, es
kommt auch der Geist der Libussa darin einigemal vor." Lich-
nowsky bringt einen dritten Stoff zur Sprache: „Was für Momente
sind in der Johanna d'Arc romantisch und gross." Für diese Jo-
hanna wird Kind als Bearbeiter genannt. Sehr bald tauchen zwei
neue Projekte auf. Im Frühling schlägt ihm sein Advokat Dr. Bach
den Fiesko als Oper vor.
„Schiller und Beethoven — diese zwtI Namen sind würdig bei
einander zu stehen. Ich selber singe eine Part, im Fiesko von Ihnen
geschrieben" versichert der launige Sachwalter. Und im Winter
ist es wieder Schiller, der den Stoff geben soll; „das Buch vom
Taucher ist sehr hübsch!" lesen wir von unbekannter Hand. Denn
nichts ist bekanntlich vor diesen Opernbuchmachern sicher, kein
Dichter vor ihrer marodirenden Hand und kein Unschuldiger vor den
Fallen, die sie den Opernlüstemen stellen. Es liegt etwas Pein-
liches in diesem Andrängen und Hineingreifen in die dem Künstler so
nöthige Stille und Sammlung.
Ernstlicher nahm zur selben Zeit ein anderer Stoff Beethoven
und die Freunde in Anspruch : Melusine, eine Oper, die Grillparzer
für den Meister gedichtet hatte. Im März oder April 1 823 berichtet
Lichnowsky darüber: „Die Oper ist schon fertig .... Das Buch ist
bei der Direktion, und wird Ihnen bestimmt zugeschickt. Es ist
das Mährchen Melusin." Beethoven war auf die Annahme der Oper
eingegangen. Zu Endo des Oktober 1823 fragt ihn die Sängerin
sogar in Noten gebrachten Versicherungen seiner Ergebenheit und in scherz-
hafter, bekanntlich auch sonst von Beethoven oft beliebter Spielerei mit dem
Namen Hauptmann.
*) Alles Nachfolgende aus den Kon versations heften.
396
Ungher: ),Haben Sie sclion für Melusine etwas fertig? Forti (der - .
Sänger) hat es (das Gedicht) gelesen und ist davon entzückt; ich
dächte, er wäre der passendste,, die Rolle des Ritters zu spielen.**
Grillparzer selbst erklärte sich gegen den Grafen Lichnowsky zu
jeder (Beethoven etwa wünschenswerthen) Veränderung bereit,
sprach auch gegen Beethoven aus: „Ich mache diejenigen Ver-
änderungen, welche Ihnen nothwendig dünken/' Hierbei scheint
Beethoven*) mit bestimmtem Vorschlägen vorgegangen zu sein;
denn Grillparzer schreibt weiter: „Ich bitte, mir ungefähr eine Idee
für das Duett zu geben; denn ich ftige meine Gedanken den Ihrigen
in Betreff' dessen, was gesungen werden soll Die Erfindung
einer neuen Handlung erkenne ich als nothwendig: sie ist aber
nicht das .Werk eines Augenblicks; weit schneller ist die Ausführung
da, als die Erfindung." Etwas später fragt Grillparzer: „Sie haben
die Melusine wieder vorgenommen? Haben Sie schon angefangen
zu komponiren? Wollen Sie mir wohl aufschreiben, wo Sie Aen-
derungen wünschen? .... Weil denn doch das Stück mit einer
Jagd beginnen muss — vielleicht, wenn die letzten Töne eines ver-
hallenden Jagdchors sich nur mit der Introduktion mischen, ohne
dass die Jäger selbst auftreten ... Sie w^oUen bis September (1824)
es (das Werk) dem Theater übergeben."
Ernst schien es mit der Unternehmung: der Theaterdirektor
Duport war der Annahme von Seiten Beethovens gewärtig, Lich-
nowsky mahnte um dieselbe, die Sänger (wie wir gesehen) drängten,
der Bruder Johann rief mit nobler Passion : „Diese Oper muss dir
allein 12000 11. eintragen." In derselben Zeit hatte auch der Gene-
ralintendant des Berhner Theaters, Graf Brühl, Beethoven um eine
Oper gebeten; Beethoven hatte Melusine vorgeschlagen, Brühl das
Gedicht belobt, aber wegen seiner Aehnlichkeit mit Hoffmanns
Undine, die gerade auf dem Repertoir stand, abgelehnt, —
was jedenfalls dem Gang der Sache in Wien nicht Eintrag thun
konnte.
Demungeachtet ging sie nicht vorwärts. Zu Ende 1824 äussert
wieder der Bruder: „Alles fragt nach der Oper, du sollst doch bald
wieder an Duport schreiben." Allein wunderlicher Weise scheint
man im Herbst 1825 noch nicht über den Anfang hinausgekommen
zu sein; denn da fragt der Bruder wieder: „Hast du die Melusine
schon gelesen? ich möchte sie gern abschreiben." Und zugleich
*) Seine AeasseraDgen fehlen.
397
wurde ihm wieder zugemutliet, das lang gelicgte Vorhaben aufzu-
geben. Denn auch Rellstab fand sich damals bei Beethoven ein,
der Verfertiger des Franz von Sickingen und der Bernhard Klein-
schen Dido, und erbot sich, einen Text zu liefern. — „Wie wird
Ihnen (lesen wir von seiner Hand in den Konvereationshcften) ein
Stoff, etwa wie Lodoiska von Cherubini, zusagen? Den Schauplatz
würde ich gern nach Alt-Schottland verlegen und dazu Walter
Scotts Charaktere benutzen. In solchem Stoff eint sich auch das
Komische am besten mit dem Ernst.** Im Frühling 1826 erneuert
die Hoftheater-Intendanz den Antrag von 1823. Schindler meldet:
„Ich komme mit einem sehr angenehmen Auftrag an Sie von Duport.
Er lässt sich Ihnen schönstens empfehlen, ob Sie entschlossen sind,
eine Oper für das Hoftheater zu schreiben. Er verbürgt Ihnen, wenn
Sie sich entschliessen, einen schriftlichen Kontrakt, und will, wenn
Sie es verlangen, das Geld irgendwo deponiren, damit Sie keinen
Zweifel in die prompte Abführung des Honorars machen dürften."
Die Absicht bei diesem seltsamen Anerbieten ist offenbar gewesen,
Beethoven zur Annahme und Ausführung zu bewegen.
Während dieser Unterhandlungen, ungefähr gleichzeitig mit
den Bewerbungen, die von den Hoftheatern Wiens und Berlins aus-
gingen, geräth Beethoven, der durch und durch deutsche Komponist
und deutsche Mann, in eine den deutschen Sängern ungünstige
Stimmung und in grosse Vorliebe für die italienischen Sänger (La-
blache, Rubini u. s. w.), dieselben, die mit Rossini's Opern im Laufe
des Jahres 1822 den Sinn der Wiener von seinen Schöpfungen ab-
gewendet, wie wir weiter noch erfahren werden; er verspricht (nach
Schindler ohne weitere Aufforderung), im nächsten Jahre (1823)
mit der Komposition einer Oper für sie beginnen zu wollen. Nach
anderm Bericht erhielt er vom welschen Theateinint^mehmer Bar-
baja selber, der Eossini nach Wien geliefert hatte, den Antrag zu
einer dreiaktigen Oper, die Biedenfeld nach Schillers Bürgschaft
bearbeitet. Beethoven soll verlangt haben, dass der zweite Akt,
das Hochzeitfest, dem von ihm sehr geschätzten Weigl Übertragen
würde, weil ihm selber solche selige Heiterkeit nicht zu-
sage. Schindler hält diese Nachricht für unbegründet, und wir
sind hier wie überall geneigt, den thatsächlichcn Angaben des
nächststehenden Augenzeugen vor andern zu vertrauen. Ohne-
hin war uns schon der Entschluss Beethovens, mit Wcigl —
und überhaupt mit Jemandem ein Werk gemeinschaftlich zu
\
__398_
ai'beiten, unglaublich erschienen. Jedenfalls ist nichts daraus ge-
worden. *)
Bezeichnend ist eine von Nohl (Beethovens Leben III, 261)
mitgetheilte Tagebuchnotiz aus dem März 1820: „Poesie du selbst
machen, zuweilen die Sylbenraasse der Oper nachahmen etc. oder
sonst ein gutes Lehrbuch, Professor Stein oder ein anderer (sie) der
Poesie deswegen fragen."
Veraweifelnd also an der Möglichkeit, durch Andere einen zu-
sagenden Text zu erhalten, will er Dichter und Komponist in sich
selbst suchen, um Beides, Gedicht und Musik, aus einem Geiste
zu schaffen. Er würde freiUch bald gesehen haben, dass mit Form-
gewandtheit allein, die er an sich vermisst, der Genius der drama-
tischen Dichtkunst nicht heraufbeschworen wird. —
Und damit dem oft unerfreulichen Andrang in dieser lang um-
hergetragenen Angelegenheit wenigstens ein holder Schluss w^erde,
fand sich im Februar 1827 — wenig Wochen vor dem Hinscheiden
des Meisters — Nanette Schechner bei ihm ein, die Rose zu-
gleich und Fackel unter den damaligen Sängerinnen. „Es freut
mich unendlich," — spracli sie, die so oft als Leonore-Fidelio Alles
entzückt hatte, — „das Glück zu haben, unsern grössten Kompositor
persönlich kennen zu lernen." Er scheint seiner Absicht, eine Oper
zu schreiben, gedacht zu haben ; denn sie äussert: „Ich werde mir
alle mögliche Mühe geben, ein gutes Buch zu finden, um so glück-
lich zu sein, vielleicht eine Partie darin zu finden, da ich schon den
Fidelio mit so viel Glück in München gebe." — Es war eine Rose,
auf das offene Grab gelegt, sei ihre Hoff'nung ernstlich gewesen,
oder habe ihr Zuspruch nur auf die Labung des edlen Künstler-
geistes gezielt. —
Wir haben die Ausführlichkeit des Berichts nicht gescheut,
um unser Wort zu befestigen, dass es Beethoven nicht beschieden
gewesen, nach Leonore noch eine Oper zu schaffen. Der Entschluss
war da, die Verhältnisse waren günstig, — warum kam es in zwei
Jahrzehnten seit Leonore nicht dazu?
*) In Beethovens Nachlass, den Schindler an sich nahm, fand sich eine
Reihe von Operntexten, die Beethoven vorübergehend ins Auge gefasst zu
haben scheuit Von einigen hegreift man sofort aus dem Titel schon, wie wenig
sie den Sinn eines Beethoven za begeistern im Stande gewesen: Bacchus —
Wilhelm Pen oder die Verlobten — Die Apotheose im Tempel des Jupiter
Ammon — Wladimir der Grosse — Der betrogene Ehemann oder der reiche
Pächter — Die Gründung von Pensylvanien.
399
Weil unbeschadet des unschätzbaren Werthes der Lconoren-
Komposition die Opembühne nicht Beethovens Scliauplatz war. Auf
ihr hätte er besten Falls «ein zweiter Mozart" werden können: in
den Annalen der Kunst zählen aber nur die Ersten. Ja, auch dieser
zweite Rang war' ihm nicht beschieden gewesen; dazu fehlte ihm
Mozarts Vielseitigkeit und Vielgewandtheit flir alle die grossen und
kleinen Gestalten des Lebens, dazu fehlte dem in seiner Taubheit
Gefangenen und Vereinsamten der rege Zusammenhang mit dem
Leben, ohne den, wie es scheint, ein Dramatiker nicht fertig
werden kann. Er war durch ein Verhängniss, das nur ihn treffen
durfte, in das Mysterium seines Innenlebens und damit in das tiefste
Mysterium seiner Kunst gewiesen; da ward ihm Leonore geschenkt,
ihm zum Labsal und den Andern zum Zeichen seiner Hoheit. Nun
hätt' er sich nach Leonore mit dem Zauberweib Melusine befassen
sollen? oder mit den blutgetränkten Macbethgestalten? oder mit
den schwarzzöpfigen Wendenmädchen? oder mit römischen Helmen
und Schwertern? Und das Alles ohne wahren inneren Beruf:^ — denn
sonst hätt' er sich entschieden und hätte geschaffen.
Ein gütiges Schicksal wollte, dass er nirgends anders, als in
höchster Vollendung erscheine.
Ende des ersten Theils.
ISerlinAr BochdruckArei-Actien-aowUactuil^
tatstrfniMii-flchaJa d«* L*lta-T«nliM.