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Full text of "Malerbriefe: Beiträge Zur Theorie und Praxis Der Malerei"

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MALERBRIEFE 



•• 



BEITRAGE ZUR THEORIE 
UND PRAXIS DER MALEREI 



VON 

W. OSTWALD 



LEIPZIG • VERLAG VON S. HIRZEL 

1904 



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VORBEMERKUNGEN 

Die nachfolgenden Briefe sind zum Teil be- 
reits am Ende des vorigen und am Anfange 
dieses Jahres in der wissenschaftlichen Beilage 
der MiinchenerAllgemeinenZeitung erschienen. 
Sie haben mir schon damals eine Anzahl brief- 
licher Anfragen, Einwendungen, Bestatigungen 
und anderer Mitteilungen eingebracht, die zum 
Teil Anlass zu den Erweiterungen gegeben 
haben, welche sich in dieser Buchausgabe vor- 
finden. Ich hoffe sehr lebhaft auf weitere der- 
artige Mitarbeit, insbesondere aus den Kreisen 
der Berufskunstler, damit ich erfahre, nach 
welchen Richtungen meine Darlegungen ge- 
legentlich einer etwaigen spSteren Auflage zu 
verbessem oder zu erganzen sind. 

Im iibrigen bin ich mir bewusst, dass mein 
Widerspruch gegen mancherlei durch das Al- 
ter geheiligte Ansichten nicht verfehlen wird, 
Widerspruch gegen dies Buch hervorzurufen. 
Doch bin ich wohl nicht der einzige, der den 
bisherigen antiquarischen und„philosophischen" 
Betrieb derKunstwissenschaften unbefriedigend 



III 



Vorwort 

findet, und an seine Stelle das wissenschaft- 
liche Verfahren gesetzt zu sehen wiinscht, 
durch welches allein dauerhafte Ergebnisse 
bisher haben erreicht werden kdnnen, das em- 
pirisch-experimentelle. Wenn dieses uns auch 
nur zunSchst von der einseitigen CberschStzung 
der Leistungen gewisser Kunstepochen zu be- 
freien helfen wiirde, so ware allein dadurch 
uniibersehbar viel fiir eine wirldiche, d.h. inner- 
liche Entwicklung unserer Kunst gewonnen. 

Leipzig, MUrz 1904. 

W. Ostwald. 



IV 



INHALT 

Seite 

I. Physikochemische Seite der malerischen 
Technik. Der Kunstler und sein Handwerk. Die 
Zeichnung: VorgSnge dabei und Dauerhaftigkeit 
der erzielten Produkte. Das Papier und die Fixier- 
mittel I — 13 

II. Warum Bleistiftzeichnungen glSnzen und 
Kohlezeichnungen nicht. OberflSchenlicht und 
Tiefenlicht. Farbige Stifte; Lenbach - Technik. 
Pastell; seine verschiedenen Anwendungen. Mal- 
griinde. Dauerhaftigkeit der Pastellbilder. DasFarb- 
material und seine Grundlage 13 — 33 

III. Eigenschaften des Pastells. Sein einziger 
Mangel: keine durchsichtige Lasur. Selbsther- 
stellung der Pastellstifte. Mischfarben. Malgrund. 
Verfahren beim Arbeiten. Fizieren; Rezept zu 
einem guten Fixiermittel. Zusammenfassung der 
mannigfaltigen Vorziige des Pastells: es ist zur- 

zeit die ausgiebigste und dauerhafteste Technik 23 — 36 

IV. Farbstoffe. Untersuchung auf Verfilschung. 
Beschreibung der verschiedenen Farbstoffe: 
Ockerarten^ Eisenozyde, Frankfurter Schwarz^ 
Ultramarin, Chromozyd, Kobaltfarben, Barsrtgelb, 
Preussisch Blau, Indigo, Alizarinlack, Zinnober, 



Inhalt 

Seite 
Mennige, Chromrot, Chromgelb und -orange. 
Priifung der Farbstoffe auf Lichtechtheit .... 36—46 

V. Theoretisches. Decken der Farbstoffe, be- 
ruhend auf Spiegelung und Lichtbrechung. Ein- 

fluss des Mittels 46 — 54 

VI. Grau, teurer Freund! Wirkungsweise der 
Farbstoffe. Ergfinzungsfarben. Einfluss des 
Mittels. Mischungen durch Addition und Sub- 
traktion. Pointillieren 54 — 65 

VIL Aquarell. Lasur- und Deckfarben. Binde- 
mitteL Stumpfwerden beim Trocknen und die 
Wirkung der Fimisse. Grosse Diinne der Farb- 
schichten und daher riihrende Schwierigkeiten 
und Vorteile, Zusammenfassung 65 — 75 

VIII. Die Wirkung der Galle beruht auf Ober- 
fliichenspannung. Das Gerinnen der Wasser- 
farbe. Einfluss von zugemischtem Deckweiss: 
die Wirkung triiber Mittel. Darstellung der 
Femen durch triibe Ltasur. Guasche, Ein neues 
Problem: der Zusammenhang zwischen Bild- 
schicht und Malgrund 75 — 83 

IX. Das Fresko. Seine mangelhafte Halt- 
barkeit. Chemische VorgSnge dabei. Stdrungen 
durch die Unterlage. Abhilfe. Chemischer Ein- 
fluss des Kalkes auf die Farben. Helles Auf- 
trocknen. Stiickweises Arbeiten. Bdcklins Un- 

falle beim Fresko. Verwerfung dieser Technik 83—91 

X. Versuchte Rettung des Fresko: Stil. Be- 
steht hier in einer unfreiwilligen Beschrfinkung. 
Tempera. Geheimmittel in der Malerei und 
Wamung davor. Unberechtigte Cberschfitzung 
der alten Rezepte. Malerische Alchemie. Kiinf- 
tige Entwicklung der Technik. dlmalerei, ihre 
Vorziige. Bindemittel und deren Trocknen. 



VI 



Inhalt 

Seite 
Einfluss des Luftsauerstoffs. Deck- und Ltasur- 
farben in der dltechnik. Vorzfige und Nachteile 
der dltechnik. Andening des Bindemittels . . 91 — 104 

XI. Die Bedingungen der Dauerhaftigkeit 
bei dlbildem. Abschluss des SauerstofFs von 
vorn und hinten. Schollenbildung; ihre Ur- 
sache und Vermeidung. Verbesserung der 
Malgriinde. Trennung der mechanischen und 
optischen Wirkungen. Verschiedene mogliche 
Methoden 104 — 115 

XII. Das Trocknen der dlfarbe und die 
katalytischen Einfliisse dabei. Nachwirkungen 
der Trockenmittel. Diinne Technik. Pastoses 
Malen 115 — 123 

XIII. Weisser Malgrund. Lasur auf weisser 
und farbiger Unterlage. Geloste Farbto£fe; Dif- 
fusion. Asphalt, seine Vorziige und Nach- 
teile. Lacke als colloidale Farbstoffe. Cber- 
gfinge 123 — 133 

XIV. Umfang der Lichtskale. Der weisse 
Untergrund ermoglicht den weitesten Umfang. 
Leim-Gipsgrund. Farbenpracht der vlSmischen 
Meister. Tiefenlicht ohne OberflsLchenlicht. 
Luftverschlechterung und Luftperspektive. Ge- 
maltes „Licht". Mdglichste Ausdehnung der 
Skale nach der hellen Seite. Bdcklins Praxis 133—140 

XV. Tempera. Verschiedene MSglichkeiten; 
Beispiele dafQr. Emulsions- oder dltempera. 
Malgriinde in Tempera. Die beste Technik: 
das Problem ist nicht eindeutig 140 — 147 

XVL Verbesserung der Mittel. Physiologi- 
sche Seite der Technik. Blendungswirkungen. 
Objektive Darstellung subjektiver Erscheinun- 



VII 



Inhalt 

Seite 

gen. .Nachbilder. Ausblicke auf geschicht- 

liche Tatsachen. Der fleckige Himmel .... 148—156 

XVII. Die Malakademie und die Urteile dar- 
ilber. Die Notwendigkeit naturwissenschaft- 
lichen Unterrichts. Seh- und Malfehler. Be- 
wusstes Schaffen 156 — 165 




VIII 



I. 

Lieber Freund! 

Sie sprachen neulich im Anschluss an unsere 
Unterhaltungen in Ihrem Atelier den Wunsch 
aus, die privaten Vortrage liber malerische 
Techniky zu denen Sie mich durch Ihr eifriges 
und verstandnisvolles Fragen verfuhrt hatten, 
Ihren Kunstgenossen allgemeiner zuganglich 
gemacht zu sehen. Damit haben Sie eine 
leicht ertbnende Saite in meinem Gemiit be- 
nihrt, denn ich selbst danke bei meinen dilet- 
tantischen Versuchen in Ihrer Kunst so vieles 
der unwillkiirlich sich einstellenden Anwen- 
dung meiner Wissenschaft, dass ich mich leicht 
liberreden lasse, diese Dinge kdnnten auch 
anderen von Nutzen sein. So lassen Sie denn 
das wiederholt Besprochene nochmals Uber 
sich ergehen uud verzeihen Sie einem alten 
Lehrer, wenn er den durch Zufalligkeiten ge- 
fiihrten Zickzackgang des freundschaftlichen 
Gespraches durch einen systematischen Vor- 
trag ersetzt. 

Zwar kann ich nicht daran denken, das 
Gesamtgebiet der malerischen Technik voU- 
stsindig durchzunehmen , schon deshalb nicht, 
weil ich noch nicht Gelegenheit gehabt habe, 

Ostwald, Malerbriefe. Z 



Physikochemisches fiber Malerei 

alle bekannten Verfahren pers&nlich zu erpro- 
ben. Dann aber ziehe ich auch in Betracht, 
dass in verschiedenen, z. T. in jiingster Zeit 
erschienenen Werken*) die chemische Seite 
der Malerei in vortrefflicher Weise behandelt 
wird, so dass ich vieles nur wiederholen k^nnte, 
was bereits von zustSndiger Stelle dargelegt 
worden ist. Neben der chemischen Seite der 
Sache gibt es aber noch eine physikalische 
und eine physikochemische; Sie werden es 
natiirlich linden, dass ich diese mir wissen- 
schaftlich nSher stehenden Betrachtungsweisen 
auch in meiner Darstellung mehr zur Geltung 
kommen lasse, als die rein chemische, so be- 
deutungsvoU diese ist. In der Tat ist diese 
letztere bereits in den besten HMnden; die „Ge- 
sellschaft zur F6rderung rationeller Malver- 
fahren^' in Miinchen hat schon Erhebliches ge- 
leistet und wird noch viel mehr leisten konnen, 
wenn sie von der zunachst beteiligten Seite, 
den Kiinstlem, nur sachgemass in Anspruch 
genommen wird. 

Eine andere Sorge, die ich Ihnen aussprach, 
dass ich schliesslich doch nur AUbekanntes er- 
ortem wiirde, haben Sie mit dem Hinweis zu 
beruhigen gesucht, dass es unter alien Umstan- 
den fur den ausiibenden Kiinstler ein Vorteil 



*) Besonders empfehlenswert ist Linke, Die Maler- 
farben, Stuttgart, 1904. 



Kunst und Handwerk 

sei, wenn er die Dinge, die er aus t^licher 
Brfahrung auszufiihren gewohnt ist, einmal im 
Lichte der Wissenschaft erblicke, sei die RoUe 
der Wissenschaft auch noch so bescheiden. 
Das kann ich gelten lassen; ist doch die Wis- 
senschaft iiberall dazu da, die Praxis zu er- 
leichtem, ihdem sie erkennen IMsst, was we- 
sentlich und was unwesentlich ist. Einen 
anderen Einwand, der mir gelegentlich aus 
Kiinstlerkreisen gemacht worden ist, m5chte 
ich dagegen hier gleich bekampfen. Es ist 
dies die Beftirchtung, dass durch wissenschaft- 
liche Erdrterung die kiinstlerische Inspi- 
ration gehemmt und das Kunst werk niichtem 
gemacht v^iirde. Hier handelt es sich ja doch 
zunstchst nur um das rein Handwerksmassige 
der Kunst; und es scheint mir gar keinem 
Zweifel unterworfen, dass ein jeder Kiinst- 
ler um so freier schaffen wird, je siche- 
rer er das Handwerk beherrscht. Auch 
die Erfahrung spricht dafiir ; man braucht nur 
eine der vielen Ver5ffentlichungen durchzu- 
sehen, in denen wir Nachricht iiber die Ar- 
beitsweise B5cklins erhalten. Oberall tritt 
die unablassige Obung und Forschung hervor, 
welche dieser grosse Meister der Phantasie 
an das Handwerk seiner Kunst gewendet hat. 
Mir ist es gerade umgekehrt unzweifelhaft ge- 
worden, dass durch die eingehende Beschafti- 
gung mit dem Material die schafFende Farben- 

I* 



Zeichnungen 

phantasie dieses Kiinstlers hijufige Anregung 
erhalten hat. 

So lassen Sie sich denn die nachfolgenden 
,,Selbstverst&dlichkeiten'' freundlichst ge- 
fallen! 



Die verschiedenen Verfahren der Malerei 
unterscheiden sich nicht sowohl durch die 
Natur der angewendeten FarbstofFe, als durch 
die Beschaffenheit der Bindemittel, mittels 
deren die FarbstofFe (im allgemeinen pulver- 
f5rmige feste K5rper) auf der Unterlage fest- 
gehalten werden. Vom Bindemittel hSngt 
also einerseits die besondere Technik des Auf- 
trages und der weiteren Behandlung ab, an- 
drerseits aber auch die Wirkung der Farbe 
auf das Auge und endlich die Haltbarkeit des 
erzeugten Bildes. Daher werden wir in der 
Folge vorzugsweise uns mit den Bindemitteln 
zu beschaftigen haben. 

Ohne chemisches Bindemittel werden 
zunachst alle Zeichnungen im engerenSinne 
hergestellt. Man erzeugt sie, indem man mit 
dem in Stangen oder Stifte geformten Farb- 
sto£fe die gewiinschten Linien und Flachen 
ausfiihrt, wobei durch schwa'cheres und star- 
keres Aufdrticken des Stiftes, bezw. durch ein- 
malige oder wiederholte Behandlung der FliCche 
alle Cbergange zwischen der Farbe der Unter- 



Bleistiftzeichnung 

lage und der des Farbsto£fes hervorgebracht 
werden kdnnen. 

Damit ein solches Verfahren ausftihrbar 
ist, muss zunachst die Unterlage rauh sein. 
Die rauhe Unterlage wirkt wie eine Feile auf 
den Stift und entnimmt ihm Substanz in Ge- 
stalt eines Pulvers, welches an den Stellen 
liegen bleibt, liber welche der Stift gefiihrt 
worden war. 

Ob auf solche Weise bereits eine eini- 
germassen dauerhafte Zeichnung hergestellt 
werden kann, hangt von der Feinheit des 
Farbpulvers ab, welches der Stift an die Un- 
terlage abgibt. 1st es sehr fein, so findet 
jedes Komchen in den Unebenheiten der Un- 
terlage Unterkunft und Ruhe und wird durch 
Schtitteln, Klopfen, auch Benihren nicht ge- 
st5rt. So verhalt sich beispielsweise der 
Graphit, aus dem die gew&hnlichen Blei- 
stifte bestehen. Da indessen die K5rnchen 
nur frei in den Unebenheiten der Unterlage 
liegen, nicht aber durch irgend ein Klebemit- 
tel festgehalten werden, so kSnnen sie durch 
Starke oder wiederholte mechanische Bean- 
spruchung verschoben, herausgeworfen, kurz 
von ihrem Ort entfernt werden. Die Bleistift- 
zeichnung ist somit auch dem Verwischtwer- 
den xmterworfen. Hierauf beruht die Entfer- 
nung der Bleistiftstriche mit Radiergummi. 
Die weichen Sorten (von dunkler Farbe) wirken 



Fixieren 

auf Grund ihrer etwas klebrigen Beschaf- 
fenheity verm&ge deren sie die K5rnchen aus 
ihren Lagern herausholen. Die hMrteren Sor- 
ten enthalten ausserdem Beimischungen schar- 
fer Pulver, welche die Unterlage abschleifen, 
auf der sich die Zeichnung befindet, und so 
die K5rnchen gleichzeitig mit ihren Triigern 
Oder Umgebungen entfemen. 

Will man eine derartige Zeichnung unver- 
wischbar machen, so muss man jedes K5mchen 
an der Stelle, an der es sich befindet, fest- 
kleben. Dies geschieht durch tJbergiessen 
Oder Bespritzen mit irgend einem Klebsto£f. 
Dieser braucht nur in sehr geringer Menge 
(also in sehr verdtinnter Ldsung von i bis 5 
Prozent) aufgetragen zu werden, da er nur 
sehr geringe Mengen des FarbstofFes zu bin- 
den hat. 

£s ist hiernach leicht zu verstehen, dass 
eine solche Stiftzeichnung um so leichter ver- 
wischbar sein wird, und daher um so mehr 
der Fixierung bedarf, je grSber das Farbpul- 
ver, je weniger rauh die Unterlage und je 
dicker der Auftrag ist. So ist bereits schwarze 
Oder rote Kreide bedeutend weniger feink5rnig 
als Graphity und am grSbsten sind die Teil- 
chen der Zeichenkohle , da diese, die aus den 
verkohlten W^den der Zellen des Holzes be- 
steht, iiberhaupt erst durch die feilenartige Wir- 
kung der Unterlage in Pulver verwandelt wird. 



Dauerhaltigkeit 

Die Rolle der Unterlage, als welche fast 
ausschliesslich Papier dient, ist hiemach bei 
Stiftzeichnungen cine doppelte. £in gewisser 
Grad von Rauhigkeit ist zunachst notwendig; 
je gliCtter die Oberflache ist, um so weniger 
Pulver kann sie abfeilen und um so weniger 
bietet sie dem Pulver Gelegenheit, sich zu 
befestigen. Um hier kraftigere Ziige zu er- 
zielen, muss man entsprechend starker auf- 
driicken, wodurch beide Wirkungen, das Fei- 
len und das Befestigen, versta'rkt werden. 
Somit wird man fiir die feinsten Pulver (Blei- 
stift) auch noch die glattesten Papiere anwenden 
k&nnen (wenn andere Griinde dafiir Anlass ge- 
ben ) und muss fiir Kreide und Kohle zuneh- 
mend rauhere Papiere nehmen. 

Die andere Aufgabe der Unterlage ist, als 
TrSger des fertigen Kunstwerkes zu dienen. 
Hierzu gehdrt ein mSglichst grosses Mass 
chemischer und mechanischer Wider- 
stand sfahigkeit. 

Die chemische WiderstandsfMhigkeit bezieht 
sich hauptsachlich auf die UnverSnderlichkeit 
gegen die oxydierende Wirkung des in der 
Lruft enthaltenen Sauersto£fes. Dies ist ein 
Einfluss, der ohne imgew5hnliche Mittel nicht 
ausgeschlossen werden kann und der daher 
stets in Rechnung gesetzt werden muss. Auch 
in der Folge wird er eine immer wiederkeh- 
rende Beriicksichtigung beanspruchen. Die 



Das Papier 

reine Pflanzenfaser oder Cellulose, aus wel- 
cher gutes Zeichenpapier besteht, ist siusserst 
bestandig, ebenso der Lreim, mit welchem 
das Papier gehartet zu werden pflegt. Dies 
beweisen uns die viele Jahrhunderte alten 
Papiere, die wir in Bibliotheken und Archi- 
ven vorfinden. Unbestandig ist dagegen der 
Holzschli£f, welcher bei dem riesig gestei- 
gerten Bedarf gegenwartig den geringeren 
Papieren zugesetzt wird, und zwar ist er 
um so unbestandiger , je weniger chemische 
Nachbehandlung er erfahren hat. Die che- 
mischen Veranderungen zeigen sich einer- 
seits in der gelben bis braunen Farbung, 
welche derartige Papiere im Lichte (am 
schnellsten natiirlich in direktem Sonnen- 
licht) annehmen, andererseits in dem Verlust 
an Festigkeit. Beide Vorgange, das Vergilben 
und das Br5cklichwerden , tinden auch ohne 
die Mitwirkung des Lichtes statt, nur viel 
langsamer. 

Der Kiinstler, welcher mdglichst dauer- 
hafte Erzeugnisse herstellen will, wird der- 
artige Papiere sorgfaltig meiden. Man kann 
sie meist erkennen, wenn man einen Streifen 
des zu priifenden Papieres wie ein Buchzei- 
chen halb in ein Buch legt und die heraus- 
ragende Seite dem direkten Sonnenlichte aus- 
setzt. Einige Stunden pflegen zu geniigen, 
um die Veranderungen der belichteten HsQfte 



8 



Pixiermittel 

gegeniiber der geschiitzten bei verdachtigem 
Papier erkennbar zu machen. 

t)ber die mechanische Widerstandsfahigkeit 
unterrichtet man sich durch einenReissversuch^ 
der geniigende Auskunft gibt. Blatter welche 
bewegt werden, wie in Mappen usw. aufbe- 
wahrte, befestigt man auf einer grdsseren Un- 
terlage von steifem Papier, welche die mecha- 
nischen Beanspruchungen zunachst auszuhalten 
hat. Damit diese Unterlage ndtigenfalls ge- 
wechselt werden kann, heftet man das Blatt 
nur so weit an, dass es beim Bewegen keine 
Falten bekommt, im Notfalle aber ohne Ver- 
letzung leicht abgelost werden kann. 

Was das Pixiermittel anlangt, so kann, 
wie erwahnt, so gut wie jeder Klebsto£f die- 
nen. Dieser muss in irgend einer Fliissigkeit 
aufgelost sein, und hier gibt es die beiden 
grossen Gruppen der wlisserigen und nicht- 
wasserigen Ldsungen. Von der Wahl des 
Losungsmittels hangt einigermassen die des 
Bindemittels ab, da letztere sich nicht in alien 
Fliissigkeiten gleich gut aufl5sen. 

Am wohlfeilsten sind wasserige Pixier- 
mittel; das beste Bindemittel, was Dauerhaf- 
tigkeit und Unveranderlichkeit anlangt, ist Leim 
(farblose Gelatine), der in ein- bis zwei-pro- 
zentiger Lc5sung angewendet werden kann und 
wegen des Erstarrens der Lr5sung in der KSlte 
warm angewendet werden muss. Ebenso gut 



TropfenbilduDg 

ist arabisches Gunixni. Nur sind hier folgende 
Umstande zu beachten. 

Alles Papier wird durch Anfeuchten mit 
Wasser stark ausgedehnt und bleibt wellig 
und uneben zunick, "wenn man es ohne Sorg* 
fait trocknet. Ist es an seinen Rlindem fest- 
geklebty „aufgespannt", so wird es beim Trock- 
nen wieder eben. Nicht aufgespanntes Papier 
trocknet gleichfalls eben, wenn man es im 
feuchten Zustande an einer Ecke aufhSngt 
und frei trocknen lasst. Es erscheint dann 
allerdings diitenformig aufgeroUt, IsCsst sich aber 
voUkommen eben ausbreiten. 

Bine weitere Eigentiimlichkeit des Wassers 
ist seine grosse Neigung zur Tr opfenbildung, 
die von seiner grossen OberflSchenspannung 
herriihrt. In dieser Eigenschaft tibertrifit es 
alle anderen FlOssigkeiten. Infolgedessen ha- 
ben wasserige Fixiermittel Neigung, auf dem 
Bilde Tropfen zu bilden, welche sich mit Farb- 
staub bekleiden, ablaufen und den Farbsto£f an 
falsche Stellen bringen k5nnen. 

Das Mittel, diese Erscheinung zu vermei- 
den, besteht darin, dass man die Oberflachen- 
spannung moglichst vermindert. Dies geschieht 
leicht durch ZusStze von Weingeist (lo — 30 
Prozent]. Ather, Seife, Galle und viele andere 
Stoffe wirken ahnlich, sind aber nicht so gut» 
Ein mit diesen Sto£fen versetztes wasseriges 
Fixiermittel zerfliesst auf dem Bilde und zieht 



10 



Andere Fixiermittel 

sich gleichzeitig mehr oder weniger in das 
Papier ein, womit der angestrebte Zweck er- 
reicht wird. 

Aus ahnlichen Ursachen erweisen sich ge- 
wisse traditionell gebrauchliche Fixiermittel 
wie Milchkafifee, abgestandenes Bier usw. als 
anwendbar. Doch soil man solche Gemenge 
nie anwenden, da sie iiberfliissige Sto£fe ent- 
halten , welche leicht zu unerwiinschten 
Nebenerscheinungen (Gelbwerden, Klebrigblei- 
ben usw.) Anlass geben. 

Nichtwasserige Fixiermittel haben den Vor- 
teily das Papier nicht auszudehnen; es kann 
also hernach ohne besondere Vorsicht ge- 
trocknet werden. Man wendet sie daher an, 
falls man das Blatt nicht aufhangen kann, wie 
bei Zeichnungen in Skizzenbiichem u. dgl. 

Von nichtwasserigen Losungsmitteln ist 
als wohlfeilstes und bequemstes der Wein- 
geist zu nennen. Wegen seiner geringen Ober- 
flachenspannung benetzt er leicht die FlSche und 
dringt in das Innere des Papieres ein. Das 
Klebemittel, welches hier in erster Linie ge- 
nannt zu werden verdient, ist der Schellack. 
Man wendet ihn nach Bedarf in gebleichtem 
Oder auch ungebleichtem Zustand an (im letz- 
teren Falle wahlt man hellfarbige ^blonde'' 
Sorten) ; eine einprozentige L5sung geniigt fast 
immer. 

Andere L&sungsmittel kommen neben dem 



II 



Zerstauber 

Weingeist kaum in Frage, da sie keine Vor- 
zUge und "wegen Feuergefahrlicbkeit, Genich, 
Kostspieligkeit u. dgl. haufig grosse Nachteile 
haben. £s kann auf ihre Nennung und Be- 
schreibung daher hier verzichtet virerden. 

Das Auftrag en des Fixiermittels kann durch 
Obergiessen nur bei solchen Bildem geschehen, 
die von vomherein ziemlich fest sitzen, so dass 
die Staubchen durch die Bewegung der Fliissig- 
keit nicht fortgeschviremmt i^erden. In alien 
anderen Fallen muss das Fixiermittel in Ge- 
stalt zahlloser kleiner Trdpfchen aufgestaubt 
werden. Hierzu dienen die Zerstauber , die 
man aus Glas oder Metall in den Handlungen 
bekommt. Am brauchbarsten sind metallene 
Zerstauber in Pumpenform, die man fest auf 
die Flasche mit dem Fixiermittel aufeetzt. 
Die kleine OfiEnimg muss sauber gehalten wer- 
den, da sie sich leicht verstopft. Man zerstSubt 
zu diesem Zwecke nach dem Gebrauche etwas 
reines Wasser, bezw. Weingeist durch den 
Apparat. 

£in Einfluss des Fixiermittels auf die Dauer- 
haftigkeit des Bildes findet wegen seiner 
sehr geringen Menge im allgemeinen nicht 
statt. Selbst wenn das Bindemittel mit der 
Zeit durch Zersetzung seine bindenden Eigen- 
schaften verliert, kann schlimmstenfalls nur 
der Zustand hergestellt werden, in dem sich 
das Bild vor dem Fixieren befunden hatte. Die 



12 



Bleistift und Kohle 

einzige Gefahr^ welche vermieden werden muss^ 
ist die Farbung des Papiers durch etwaige 
Zersetzungsprodukte des Bindemittels. Bei 
Anwendung von reinem Lfeim, Gummi Oder 
Schellack liegt eine solche Gefahr nicht vor. 
Unter alien Umstanden wird man nie mehr 
von dem Bindemittel anwenden, als zum Fest- 
halten des Pulvers erforderlich ist. Die not- 
wendige Menge hangt von den Materialien ab 
und kann leicht durch einige Versuche fest- 
gestellt werden. 



II. 
Lrieber Freund ! 

Sie schreiben mir: „Ich habe mit grossem 
Vergniigen die Verha'ltnisse wieder allgemein 
zusammengefasst gesehen, die wir vorher nach 
verschiedenenSeiten einzeln besprochen batten. 
Dabei ist mir aber eine Frage eingefallen, die 
ich Ihnen, glaube ich, bereits einmal gestellt 
hatte, deren Beantwortung ich mich aber nicht 
mehr erinnern kann. Warum sind die Blei- 
stiftlinien gl'dnzend, wahrend Zeichnungen mit 
Kreide oder Kohle es nicht sind?'^ 

Ich beantworte Ihnen diese Frage um so 
lieber, als sie einen Punkt benihrt, den wir 
spater immer wieder in Betracht zu ziehen 
haben werden. £r betrifft die Unterscheidung 



13 



der beidcn Arten Lidit, widche wir von der 
BfldflMcbe bei der Betracfatm^ cnipfangcn. Um 
g^enan zn schen, um nvas cs nch handdt, tntte 
ich Sie, ein Stfick fiavtngen Glases znr Hand 
zu nehmen and das anschanlich m bcobaditen, 
^Kras icli Ihnen beschreiben iverde. 

VS^cnn Sic sidi znm Penster ^^cndcn and 
die Glasscheibe horizontal onteriialb Aogen- 
hdhe etwas vor sich halten, so haben Sie eine 
Art Spiegel; Sie sehen ein amgekehrtes Bild 
des Fensters and der daran befindlichen G^en- 
8t£inde in den natiirlichen Farben and von der 
Farbe des Glases ist nichts za sehen. Hier 
wirkt also die ebene Oberflache des Glases nur 
spiegelndy indem sie das Licht zuriickwirft, 
welches die Oberflache trifft; von der eigenen 
Farbe des Glases kommt nichts zur Wirkung. 

Nun erheben Sie die Hand mit dem Glase 
und halten die Scheibe senkrecht zwischen 
das Auge und das Fenster: Sie sehen nunmehr 
das ganze Licht , das vom Fenster kommt , in 
der Farbe des Glases, und je nachdem die 
^usseren Gegenstande heller und dimkler, dem 
Glase ^nlich oder weniger Ithnlich geflirbt 
sind, beobachten Sie Verschiedenheiten der 
Lichtstltrke. Ist Ihr Glas sehr tief und rein 
geflCrbt, so sind andere Unterschiede nicht 
sichtbar; ist es schwach gefarbt, so bleibt noch 
ein entsprechender Rest von der eigenen Farbe 
der Gegenstsinde sichtbar. 



14 



Oberflachen- und Tiefenlicht 

# 

Diese einfachen und wohlbekannten £r- 
scheinungen sind zwar kein ,,Urphanomen" im 
Goetheschen Sinne, aber fiir unsere kiinftigen 
Betrachtungen sind sie doch von grundlegender 
Bedeutung. Sie lehren uns den Unterschied 
zwischen dem Oberflachenlicht und dem 
Tiefenlicht kennen. Von alien Flachen, also 
auch von denen des Bildes, erhalten wir stets 
beide Arten Licht, und die Wirkung un- 
serer Bilder beruht auf der Abmessung 
dieser beiden Lichtarten. Hierbei besteht 
der Umstand, dass das Oberflachenlicht farb- 
los ist, d. h. die Parbe des allgemeinen Lfichtes 
im Raume hat. Parbiges Licht kbnnen wir 
nur als Tiefenlicht herstellen, und das vom 
Bilde ins Auge gelangende Licht ist um so 
tiefer und reiner gefSrbt, je mehr das Tiefen- 
licht das Oberflachenlicht liberwiegt. Als Sie 
die farbige Glasscheibe zwischen das Auge 
und das Fenster hielten, konnte gar kein Ober- 
flachenlicht in Ihr Auge gelangen, well ja die 
vom Fensterlicht getro£fene OberflSche vom 
Auge abgewendet war. Daher haben Sie so 
die tiefste und reinste Farbung erzielt, welche 
Ihre Glasplatte herzugeben vermag. Man kann 
auch Mischungen von Oberflachenlicht und 
Tiefenlicht herstellen, doch darauf woUen wir 
erst etwas spater eingehen, wenn wir diese 
Tatsachen zum Verstandnis anderer maltech- 
nischer Erscheinungen brauchen. 



15 



liJMJiilinig als was Ijiitr i if.'T"LJif n TlUttrlioi nut 



Telle alle pmnDdi dcr 



and bOdcn 




Menge Obcrflaclicnlicbt zmuLkuriill and daher 



and dcr ZeicfamlDohle sind dagcgcn onregel- 
mflMyawg gestahete BrodistDde, die kcineriei 
ebene OberfiaiAe faQden konnen and daher nicfat 



Auch beme r k te n Sie in Du-em Briefe, dass 
Bleiadftzeiclinangen nach dem Fbderen viel 
^Kreniger glanzen. Dies ergibt sicli daraos, dass 
beim Fixieren das Papier aafqaillt; die einzel- 
nen Fasem heben sich, nefamen eine andere 
Stellung ein und bringen somit auch die Gra- 
phitblKttchen aus ihrer parallelen JLage; die 
Folge ist eine entsprechende Venninderung 
des OberfllCchenlichtes. Deshalb verandert das 
Fixieren auch nicht das Aussehen der Kreide- 
und Kohlezeichnungen, denn hier ist von vom- 
herein keine parallele Stellung vorhanden, die 
gesttfrt werden kdnnte. 

Nun ktf nnen wir auch mit besserer Rustung 



i6 



Lenbach-Technik 

unsere Betrachtung auf die Arten der Mal- 
technik ausdehnen, die sich an die einfarbige 
Zeichnung unmittelbar anschliessen : die far- 
bige Stiftzeichnung und das PastelL 

Die Zeichnung mit farbigen Stiften kann 
in vielfaltiger Gestalt angewendet werden. 
Unmittelbar an das eben geschilderte Ver- 
fahren schliesst sich eines, das nach seinem 
benihmtesten Vertreter die Lenbach-Technik 
heissen mag. £s kommt darauf hinaus, dass die 
mit dunklem Stift hergestellte Zeichnung durch 
Einsetzung einzelner Farben belebt wird. Man 
kann diese Farben mittels farbiger Stifte 
(Pastellstifte) auftragen, doch ist es auch m5g- 
lich, die Farbe einfach als feines Pulver mit 
einem Pinsel oder Wischer aufzunehmen und 
auf das Papier zu libertragen, in dessen Un- 
ebenheiten sie mit dem Finger oder anderen 
Hilfsmitteln eingerieben wird. Das letzte Ver- 
fahren ist besser geeignet, grosse Flachen ohne 
scharfe Rander zu behandeln, ersteres erm5g- 
licht schsCrfere Zeichnung. 

Cber das Technische dieses Verfahrens 
braucht weiteres nicht gesagt zu werden, da 
es auf ganz denselben Grundlagen beruht, wie 
die einfache Zeichnung. Auch von der Dauer- 
haftigkeit gilt das gleiche: ist das Bild gegen 
mechanischeUnbilden(Reiben,Kratzen,Wischen) 
geschiitzt, so hMngt seine Lebensdauer nur von 
der Dauerhaftigkeit des angewendeten Farb- 

Ostwald, Malerbriefe. 

2 

17 



9 
9 



PartntoBc ^vird .sfuBIc i Amfcooft ygcnc D 



Das Pastell im cneerai Sinne unterscfaei 



mdir Oder lircniger voDat a n dj g mit Farbc be- 
deckt wird. Man findet liicr wie oberall Ober- 
gange. Eineraeits wird noch die Farbe des 
Gimides mit benotzt and nnr die widitigsten 
Telle des Bildes i^e r den voDst a n di g fivfaig ans- 
gestaltet: eine Tedinik, die namentlich beim 
Bildnis vielfihig angewendet wird. Andrer- 
seits wird die ganze Rildflache fisuing gedeckt 
tmd man stellt sich wie beim Olgemalde die 
Anfgabe, die optische Erscheinung des Darge- 
stellten mdglichst vollstandig wiederzogeben. 
Dann kommt die Farbe des Bildgmndes nor 
sekund^ zur Wirkung und darf als solche 
nirgenda erscheinen. Wobl aber kann man 
sie zweckgenuiss bier und da durcbscfaimmem 
lassen, um besondere Wirkungen zu erzielen. 
Das Material fBr die Herstellung der fieu-bigen 
Pastellstifte ist Kreide, die mit den verschie- 
denen Farbstoffen vermischt und unter Be- 



i8 



Pastell 

niitzung eines wasserigen Bindemittels (Tra- 
gantgummi) in St£[bchen oder Stifte geformt 
wird. Das Bindemittel dient nur dazu, dem 
Farbpulver Zusammenhang und die gewiinschte 
Harte fiir die Handhabung zu geben, und hat 
mit der Bindung der Farbe auf der BildilSche 
nichts zu tun. Diese erfolgt zunachst aus- 
schliesslich mechanisch in der oben geschil- 
derten Weise, dass durch die feilende Wir- 
kung des rauhen Bildgrundes der Stift die 
Farbe in Gestalt von Pulver abgibt, welches 
an den Unebenheiten des Papiers hangen 
bleibt. 

Mit der Aufgabe voUstandiger Deckung des 
Untergrundes tritt nun beim Pastell eine 
Schwierigkeit auf, die bei der Zeichnung kaum 
vorhanden ist. Damit die Deckung ausreicht, 
muss die Schicht des Farbpulvers eine merk- 
liche Dicke haben; es miissen nicht nur die 
Vertiefungen in den Unebenheiten des Unter- 
grundes ausgefiillt werden, sondem auch 
dessen Erhohungen miissen noch eine Schicht 
des Farbpulvers tragen. Femer ist es oft not- 
wendigy dass eine bereits vorhandene Farbe 
durch eine dariibergetragene gedeckt wird. 

Man erreicht diese Zwecke zunachst durch 
die Anwendung sehr weicher Farbstifte, indem 
man dem Farbteig bei der Herstellung nicht 
mehr Bindemittel zusetzt, als ftir die Hand- 
habung und die Vermeidung des Zerbrockelns 

2* 
19 



Malgrund 

notwendig ist. Femer aber muss eine Unter- 
lage gewMhlt werden, welche einen mSglichst 
reichlichenFarbauftrag ermoglicht und ihn auch 
festhsilt. Hierzu dienen einerseits filzigweiche 
Flachen, welche viel Farbe aufnehmen, andrer- 
seitsrauhharte FlSchen, die eine besonders starke 
Schleifwirkung auf den Stift ausiiben. Die 
Wahl und Herstellung geeigneter Pastellgriinde 
ist von diesen beiden £igenschaften abhsingig; 
je nachdem die eine oder andere in den Vorder- 
grund tritt, ergeben sich auch merkliche Ver- 
schiedenheiten der Technik. Bin mit solchen 
Stiften hergestelltes Bild ist zwar sehr emp- 
findlich gegen mechanische Verletzungen — 
schon der Spaziergang einer Fliege kann den 
Farbauftrag in Unordnung bringen — , es kann 
aber, wenn solche St5rungen durch sorgfSltiges 
Einrahmen unter Glas ausgeschlossen sind, 
eine sehr grosse Lebensdauer erreichen. £s 
wird dies u. a. durch die Pastelle der Dres- 
dener Gemaldegalerie belegt, welche mehrere 
Jahrhunderte alt sind. Insbesondere fehlt auch 
den Sltesten Pastellen ganz und gar der braune 
„Galerieton'S der sich an fast alien Olbildern 
entwickelt, und ihre Farbenfrische scheint 
ganzlich unberiihrt von der Zeit zu sein. 

Dies riihrt daher, dass derartige Bilder aus 
reinem Farbstoff ohne Bindemittel bestehen. 
Die BestMndigkeit, welche den Farbstoffen fiir 
sich Oder in gegenseitigem Gemisch eigen ist. 



20 



Dauerhaftigkeit 

kommt auch dem Pastellbilde zu, und die viel- 
fachen Veranderungen, welche die Bindemittel 
der Tempera- und insbesondere der Clbilder 
im Laufe der Zeit erfahren, und in denen die 
Ursache des langsamen Unterganges solcher 
Werke liegt, sind hier ganz ausgeschlossen. 
Ebenso sind chemische Wechselwirkungen 
zwischen Farbstoff und Bindemittel, sowie 
mechanische Storungen durch SchoUenbildung, 
Reissen, Abblattern nicht moglich. 

Da femer der Farbauftrag im Pastell eine 
gewisse Dicke hat, so beruht jede einzelne 
Farbwirkung an den verschiedenen Bildstellen 
auf der Anwesenheit einer verhaltnismassig 
gross en Menge Farbstoff. Selbst wenn dieser 
einer langsamen Zerstorung, etwa durch den 
Sauerstoff der Luft, unterliegt, so wird es beim 
Pastell sehr viel langer dauern, bis das Ver- 
schwinden des Farbstoff es merklich wird, als 
beispielsweise bei einem Aquarellbilde, dessen 
Farbwirkung auf der iiberaus diinnen Farb- 
schicht beruht, welche als durchsichtiger Hauch 
iiber den weissen Untergrund gelegt ist. 

Dagegen ist allerdings von der anderen 
Seite hervorzuheben, dass der Farbstoff des 
Pastells vermoge seiner pulverigen Beschaffen- 
heit dem Angriffe des Luftsauerstoffs von alien 
Seiten ausgesetzt ist ; ist er daher durch diesen 
angreifbar, so erfolgt der Angriff auch ver- 
haltnismassig schnell. Dies zeigt sich sehr 



21 




ksagtn asf die F jibatcfl e 
In^bcsocdere ist Krcide ^ 



Ubn- d»x anori^anxscfacn F aifastoflc n, den Q17- 
d»x des Eiseos, Mangaos, Kcpfers nsw^ 
VUnmarm, dem Kobalt, den Ghromateii 
Am ehesten ist noch erne ig jm w f itm ^ 
Kreide atif PreuMisciiblaii, das Fenocyaneisen, 
zn befHrchten^ da dieses dorch bosische Stofie 
unter Gelbfifrbong .'Abscheidiiiig von Eisenoxyd 
ttnter Bildong eines anderen Ferrocyansalzes} 
zernetzt wsrd und der kohlensaure Kalk leicht 



22 



Oauerhaftigkeit 

unter Verlust von KohlensSure basisch wird. 
Indessen scheinen die zur Reaktion erforder- 
lichen Bedingungen weder bei der Herstellung 
der Farbstifte, noch bei der Aufbewahrung 
der Bilder einzutreten, so dass Preussischblau 
auch fiir Pastell als ein bestandiger Farbstoff 
angesehen werden kann. 

Zieht man alle diese Umstsinde in Betracht, 
so gelangt man zu dem etwas tiberraschend 
erscheinenden Resultate, dass in Pastell her- 
gestellte Bilder, wenn sie gegen grobe mecha- 
nische Verletzungen durch Glas geschiitzt sind, 
so ziemlich die dauerhaftesten Produkte 
der malerischen Technik sind. 



III. 

Lieber Freund! 

Die Ausserung in Ihrem letzten Schreiben, 
dass die Pastellmalerei doch nur fur wenig 
emsthafte Sachen, fur halbe Spielereien ge- 
eignet sei, hat mich sehr verdrossen. Ich 
meinerseits halte die Pastelltechnik fiir die 
schdnste und ausgiebigste von alien, die ich 
kenne. £s gibt in der Tat nur wenige Auf- 
gaben, die man mit Pastell nicht 15sen konnte, 
und dabei gewahrt es dem Kiinstler eine Frei- 
heit, wie keine einzige andere Technik. Ich 
meine, dass er bei keiner anderen Technik 



23 



Vorzfige des Pastells 

weniger vom Material abhMngig ist, dass es 
keine gibt, die so weitgehende Anderungen 
eines halbfertigen Bildes gestattet, dass keine 
so wenig Riicksicht bei willkiirlicher Unter- 
brechung der Arbeit beansprucht; dabei geh5rt 
sie, wie ich Ihnen schon entwickelt habe, zu 
den dauerhaftesten, die es gibt. Kurz, wenn nicht 
die Unmoglichkeit vorlage, eine durchsichtige 
Lasur in Pastell zu machen, wiirde ich nicht 
anstehen, es fiir das voUkommenste aller Ver- 
fahren zu erklaren. Und selbst dieser Mangel 
ist nicht sehr empfindlich, seitdem die Maler 
auf die fast uberall vorhandene Wirkung der 
Lufttnibung und des entsprechenden Luft- 
lichtes aufmerksam geworden sind, derzu- 
folge die mittels durchsichtiger Lasur allein 
zu erzielenden Wirkungen kaum jemals erfor- 
derlich sind. Triibe Lasur ist in Pastell sehr 
leicht zu erzielen. 

Da Sie ausserdem hinzufiigen, dass die 
Auswahl der vorhandenen Farben in den kSuf- 
lichen Pastellstiften die Ausfiihrung von Land- 
schaften fast unmoglich mache (was ich zuzu- 
geben bereit bin), so werden Sie sich schon 
eine ausfiihrliche Darlegung meiner Pastell- 
erfahrungen gefallen lassen miissen. 

Was zunachst die kMuflichen Stifte betrifit, 
so leiden sie vor alien Dingen an der Unzu- 
verlassigkeit der beniitzten Farbstoffe. Hier 
scheinen die unbestandigen Anilinfarben in be- 



24 



Herstellung der Stifte 

senders umfangreichem Masse eingedrungen 
zu sein, und der Kiinstler, dem es auf die 
Dauer seiner Produkte ankommt, wird daher 
gut tun, sieh seine Pastellstifte selbst zu 
machen, und zwar aus den rohen Farben, 
wie sie jeder Tiincher braucht. Dies ist eine 
leichte und vergniigliche Arbeit; ich habe sie 
anfangs nur getan, um die blaugrauen und 
griingrauen Mischtone zu haben, die ich fur 
meine Landschaften brauchte; spater aber habe 
ich mir meinen ganzen Bedarf selbst gemacht. 
Das Verfahren ist sehr einfach. 

Man braucht zunachst eine Reibschale von 
12 bis 15 cm Durchmesser und einen Vorrat 
von gew3hnlicher weisser Schlemmkreide. 
Dann werden 10 g Tragantgummi mit einem 
halben Liter Wasser in die Wa'rme gestellt; 
liber Nacht ist das Ganze zu einer gallertartigen 
Masse geworden, die als Bindemittel dient. 
Wir nennen diese Losung A. Fiir die an 
Kreide reichen Stifte, d. h. die meisten, die 
man macht, ist dies Bindemittel A meist zu 
stark; man verdiinnt je einen Teil davon mit 
einem und mit drei Teilen Wasser, die 
erste dieser Verdiinnungen heisse B, die andere 
(mit 3 Teilen Wasser) C. Die unverdiinnte 
Masse A ist fiir Metallfarben (Chromgelb, 
roten und griinen Zinnober und dergleichen) 
gerade recht. Ockerfarben brauchen die Lf5- 
sung C Oder noch eine verdiinntere; Frank- 



25 



. ^ ■ J - - . , 




etwa 50 g Krcidc roh wit dcr Bndwagc |^e- 



dfinntCD TlragantlosDoi^ C etwa q — ^15 ccm dazo 
Dna vciiiiliciljcl tic iocs wit dcm Pkstfll xu. cmrai 
7ci^ ▼cm dcr iMfCKUbert dies CHusfi kilUk. 1st 



setzt man Krcide 20, im andcren Falle V^as- 



gleichiSniiige Masse, die man hema A nor za 
fonncn brancbt. Dies kann dor^i AosroUen 
nut der Hand anf einer Unteiiai^ von Zeitangs- 
Oder LfOschpapier gescfaehen. ScfaSnere Stangen 
aber erfaalt man, ^pirenn man den Teig ans einer 
Art Spritze mit etwa blei stiftw e ilei ' C>ffiiQng 
presst. Ich babe mir meine Spritze ans einer 
dienstfreien Rad£abrluftpnmpe gemacbt und 
damit Tausende von Stiften gepresst. Die er- 
baltenen Wtirste lasst man trocknen, und zwar 
ist es guty n^enn dies miter massiger Enpirar- 
tnung geschiebty mid zerbricbt sie dann in 
fingerlange Stiicke. 

Jetzt wollen wir mis eine Reihe abgestufter 



26 



Abstufungen 

Farbstifte, z. B. Ultramarine machen. Hierzu 
wird zunMchst in der beschriebenen Weise 
eine gr5ssere Menge des weissen Kreideteiges 
auf Vorrat gemacht. Dann nehmen wir 50 g 
Ultramarin und machen unter Zusatz des 
mittleren Bindemittels B die Masse ftir die dun- 
kelsten Stifte. Sind diese geformt, so stellen wir 
die gleiche Menge der Masse nochmals her, neh- 
men sie aus der Reibschale und teilen sie nach 
dem Augenmass in zwei gleiche Teile. Die eine 
Hstlfte kommt in die Reibschale zuriick; hier- 
zu fiigt man eine gleiche Menge der weissen 
Masse und verarbeitet nun beide so lange, bis 
alle Streifen und Flecken verschwunden sind, 
was auch nur wenige Minuten beansprucht. Die 
Masse wird in Stifte geformt und bildet den 
zweiten, helleren Ton. 

Von dem Rest der reinen Ultramarinmasse 
nimmt man wieder die Halfte und fiigt so viel 
weisse Masse dazu, dass wieder die gleiche 
Gesamtmenge entsteht, d. h. Ultramarin bildet 
ein Viertel, die Kreide drei Viertel der Menge. 
Dies gibt nach dem Vermischen den dritten 
Ton. So fahrt man fort, indem man immer 
die HSlfte des noch iibrigen Ultramarins nimmt 
imd sie mit Weiss, auf 50 g ergSnzt. Zwischen 
dem siebenten und zehnten Ton wird man die 
Farbung der Masse so gering finden, dass eine 
weitere Verdiinnung den Farbstoff nicht mehr 
erkennen IMsst; dann ist die Arbeit beendet. 



27 




Brttcbteil ▼on den m 



rate mdbt gleicfac Diffcrenzcn, sondcm 
gleiche Verb^ltnissc als abercmstiiniiiaide 
Abs ti i f i mg cti cmpfiiidet, Audi ivird man findm, 
dass in den so crtialtenen Rdhcn wirldich die 
Stufitn der HeUigkeit oder Satdgunir ^eich 
weit vonetnander e n t fcrnc eiscfaeinen. 

In gletcher V^eise verfiOut man mit alien 
Farben^ die man anwenden wilL So erfaalt 
TMtn in knrzer Zeit eine grossc Reihe von 
Farbstiften* Aucb wird man bei der Leich- 
tigkeit der Herstellung es bald bequem finden. 



28 



Mischungen 

allerlei Mischungen, vor alien Dingen solche 
von Ultramarin mit Schwarz, in gleicher Weise 
wie die reinen Farbstoffe zu behandeln. Hier 
gibt das personliche Bediirfnis des Kiinstlers 
sehr bald die Richtung an, in welcher neue 
Versuche zu machen sind. Man merke sich 

L 

die Regel, dass die Farbe auf dem fertigen 
Bilde so aussieht, wie das trockene Gemisch 
der Farbpulver. Beim Befeuchten mit dem 
Bindemittel tritt eine Verdunkelung der Farbe 
ein, die beim Trocknen wieder verschwindet 
und daher nicht in Betracht kommt. 

Was nun das Malen mit diesen Stiften an- 
langt, so kommt sehr viel auf die Wahl des 
Papiers an. Wsihrend die bisherige Anwendung 
des Pastells zu leichten, skizzenartigen Bildem 
in dieser Beziehung keine besonderen Anfor- 
derungen stellt, muss man, wenn man GemSlde 
mit voUer Bildwirkung herstellen will, ein 
Papier wsQilen, welches eine recht dicke 
Schicht des Farbpulvers festhalt. Fiir diesen 
Zweck habe ich bisher nichts Besseres kauflich 
gefunden, als das Pyramidenkornpapier (und 
zwar nur Korn Nr. 3) von SchMuffelen in 
Heilbronn. Man kann sich auch selbst ebenso 
geeignete Griinde herstellen, doch will ich 
hierauf noch nicht eingehen. 

Man tragt auf dieses Papier die Farben in 
breiten Flachen, ohne jede Riicksicht auf Aus- 
sparen reibend und zeichnend auf und zwar 



29 



Maltechoik 

f 

nimmt man fur grosse Flfichen die Breitseite 
des Stiftes. CbergSnge entstehen sehr leicht 
durch grobes Cbereinanderzeichnen der Farben 
und nachmaliges Verreiben mit dem Fin- 
ger, den man allenfalls durch eine Gummi- 
kappe schiitzen kann. Hat man die grossen 
Flachen angelegt, so kann man die £in- 
zelheiten nach Bedarf derart hineinsetzen, 
dass man an den erforderlichen Stellen zix- 
nMchst die vorhandene Farbe mit einem trocke- 
nen Borstpinsel (dlpinselj von entsprechender 
Grdsse fortkehrt, was gar keine Schwierigkeit 
macht; auf dem Grande stehen dann die hinein- 
gezeichneten Farben wie auf reinem Papier. 
Auf gleiche Weise kann man ganze missfSllige 
Partien beseitigen. Um eine Anschauung von 
der Freiheit der Arbeit zu geben, will ich er- 
w^hnen, dass ich neulich auf einem Papier, 
das einigen besuchenden Damen als Grundlage 
fiir ihre ersten Pastellversuche gedient hatte 
und auf dem hernach noch mein kleiner Sohn 
sein Urteil ilber die erzielten Leistungen schrift- 
lich niedergelegt hatte, ein Bild ausgefahrt 
habe, das, wie es auch sonst geraten sein mag, 
von der vorangegangenen Misshandlung jeden- 
falls nichts mehr erkennen IMsst. 

Der Haupteinwand, den man gegen diese 
sch5ne Technik erhebt, ist der des Fixierens. 
Man muss zugestehen, dass jedes Fixiermittel 
das Bild etwas verandert, indem dies ein wenig 



30 



Pizieren 

dunkler und wohl auch derber wird. Cberlegt 
man aber, dass es keine Technik gibt, bei 
welcher nicht Verschiedenheiten zwischen dem 
Aussehen der Farbe unmittelbar beim Auf- 
tragen und nach dem Fertigstellen bestanden, 
so liegt hierin zunachst kein ausschliesslicher 
Fehler der Pastelltechnik. Da femer bei der 
Leichtigkeity mit welcher sich Obergange her- 
stellen lassen, das Pastell ohnedies die Gefahr 
weichlicher Arbeit mit sich bringt, so wird 
man in diesem natiirlichen HSrterwerden gleich- 
falls keinen Nachteil erblicken. Ich habe man- 
cherlei Versuche mit Fixiermitteln angestellt 
und gedenke, sie noch fortzusetzen; vorlaufig 
will ich das Verfahren mitteilen, das ich bis- 
her als das beste bezeichnen muss. 

Man libergiesst 15 g ksCufliches Casei'n mit 
dreiviertel Liter Wasser, in dem 10 g kohlen- 
saures Ammoniak aufgel5st worden sind, und 
stellt die Masse nach ordentlichem Umschiltteln 
in mSssige Warme. Das Casein zergeht bald 
zu einer triiben Fliissigkeit. 1st dies geschehen, 
so setzt man ein viertel Liter gewohnlichen 
Weingeist dazu. Wenn man den Geruch nicht 
scheut, kann man denaturierten Brennspiritus 
nehmen; andemfalls nimmt man reinen Wein- 
geist. Man setzt den Spiritus einzelnen kleinen 
Mengen zu und schiittelt jedesmal ordentlich 
um, damit sich das Casein nicht in Kliimpchen 
wieder ausscheidet. Damit ist das Fixiermittel 



31 



Fizieren 

fertig. Beim Aufbewahren entsteht meist ein 
weisser Niederschlag. Man giesst die dariiber- 
stehende Fliissigkeit fiir den Gebrauch ab, 
ohne den Absatz aufzudihren. Fiir die 
Anwendung wird sie auf das fertige Bild 
mit dem Zerstauber aufgetragen. Man hat 
gut acht zu geben, dass sich nirgends 
Tropfen bilden, welche die OberflMche entlang 
iliessen. Wo dazu Gefahr vorhanden ist, nimmt 
man die Fliissigkeit durch Aufdriicken von 
L5schpapier fort; ein gewohnlicher L5sch- 
driicker leistet hierftir gute Dienste. 1st alles 
gleichfbrmig befeuchtet, was man an der dunk- 
len Farbe und beim seitlichen Daraufsehen an 
dem beginnenden Glanz erkennen kann, so 
IMsst man das Bild , an einer Ecke aufgehangt, 
trocknen. Noch besser ist, sich das Papier von 
vornherein auf starke Pappe zu kleben, weil 
dadurch sowohl das Malen, wie das spsCtere 
Einrahmen bedeutend erleichtert wird. 

Nach dem Trocknen wird man das Bild 
nur wenig verandert finden, um so weniger, 
je verdiinnter des Fixierwasser war. Wo 
der Farbauftrag nachlassig und unvollstan- 
dig gewesen ist, tritt dies deutlicher her- 
vor; ausserdem wird der Kundige einiges von 
dem weichen Sammetglanz des unbedihrten 
Pastells vermissen. Nun besteht aber nicht 
die geringste Schwierigkeit, auf dem getrock- 
neten Bilde ohne Vorbereitung mit Pastell 



32 



Fertigmachen 

weiter zu arbeiten, und man kann mit kurzer 
Miihe wieder den Charakter des unberiihrten 
Pastells herstellen, indem man die gemalten 
Fllichen mit den vorher angewendeten Stiften 
nochmals libergeht und die zu Tage getretenen 
Liicken ausfUllt. Bin zweites, n5tigenfalls ein 
drittes Fixieren gibt den spater aufgetragenen 
Farben Halt, und das fertige Bild ist nach 
wiederholtem Fixieren so fest, dass man es 
abwischen und sogar mit Brot abreiben kann, 
ohne dass es leidet. £s hat in diesem Zustande 
eine grdssere Haltbarkeit als ein mit Leim- 
farbe gemaltes Bild, denn das Casein ist nach 
kurzer Zeit durch Verdunsten des kohlensauren 
Ammoniaks in Wasser unl&slich geworden und 
das Bild ist somit wasserfest. 

Ist das Bild zur Einrahmung bestimmt, so 
wird man vielleicht besser tun, das letzte 
Fixieren zu unterlassen, zumal, wenn es sich 
um ein Kunstwerk von mehr zartem und wei- 
chem Charakter handelt. Hinter Glas ist ein 
derartiges Bild von einer Dauerhaftigkeit und 
Unveranderlichkeit, welche weit iiber die von 
dlgemSlden hinausgeht. Die Schonheit und 
Reinheit der Farben ist in der dltechnik gleich- 
falls unerreichbar. 

Ein Bedenken ist noch zu erwiihnen. Das 
erforderliche Papier ist bisher h5chstens in 
Bogen von 62/96 cm zu erhalten, dies wICre 
also das gr3sste Format, das man fiir seine 

Ostwald, Malerbriefe. 3 

33 



ZusammenfasBung 

Bilder zixr VerfUgung hMtte. Nun ist es aber 
nur eine Frage des Bedarfs, dass auch ent- 
sprechend grdssere Formate hergestellt werden; 
auch gedenke ich spSter Mittel anzugeben, 
durch welche man sich GHinde von beliebiger 
Grdsse fiir Pastell machen kann. 

Zieht man schliesslich die Summe, so hat 
das Pastell folgende Vorziige. Man kann sich 
die Farben selbst herstellen, hat also die grosst- 
mSgliche Sicherheit dafUr, dass man wirklich 
geeignetes und dauerhaftes Material verwendet. 
Das fertige Bild ist weder dem Nachdunkeln, 
noch der Schollenbildung, dem Reissen, dem 
Blindwerden, und wie die unzkliligen Krank- 
heiten der Olbilder sonst heissen mSgen, unter- 
worfen. Vielmehr sichert die Technik 
bei nachmaligem Fixieren dem fertigen 
Bilde die gr5sste Dauerhaftigkeit, die 
mit den zur Zeit bekannten Verfahren 
dberhaupt erreichbar ist. In ihrer Aus- 
fuhrung ist die Pastelltechnik freier als jede 
andere; sie gestattet die weitestgehenden 
Um£[nderungen am ausgeftihrten Bilde , ohne 
dass irgend welche Gefahren des Reissens, 
Durchschlagens usw. wie bei dlbildern ent- 
stehen. Auch am fertigen Bilde lassen sich 
nachtraglich noch beliebige Umanderungen 
vomehmen, ohne dass sich Unterschiede 
zwischen dem friiheren und dem spateren 
Auftrage ausbilden. Man kann mit einem 



34 



Zusammenfassun^r 

Wort jederzeit aufh6ren und jederzeit wieder 
anfangen. 

Andererseits macht das Eindecken beliebig 
grosser Flachen mit einem gleichfb'rmigen Tone 
gar keine Schwierigkeiten, da man eben nur 
einen und denselben Stift zu beniitzen hat; 
ebenso wenig technische Schwierigkeiten ent- 
stehen bei der Herstellung von verlaufenden 
ObergSngen, wie beim Himmel in Landschaften. 
Da jede Farbe rein vom Stift auf das Bild ge- 
langt, so ist ein Verschmutzen, wie es durch 
Farbreste im Pinsel, durch Aufnihren des 
Grundes usw. bei anderen Verfahren entsteht, 
gar nicht mSglich. Da keine Bindemittel mit 
grdsserer oder kleinerer Trockendauer vor- 
handen sind, so macht es keinen Unterschied, 
ob man irgend eine Stelle in einem Zuge oder 
in verschiedenen Unterbrechungen herstellt; 
merkt man sich den beniitzten Stift , so kann 
man nach beliebiger Zeit den gleichen Farbton 
an den vorhandenen ansetzen, ohne dass die 
kleinste Spur einer Fuge erscheint. Endlich 
kommt kein stark riechendes oder die Kleider 
befleckendes Malmittel zur Anwendung. Der 
Staub, der beim Arbeiten mit Pastell gebildet 
wirdy kann in seiner Wirkung dadurch un- 
schadlich gemacht werden, dass man wahrend 
der Arbeit unter dem Bilde eine Rinne aus 
Blech Oder Pappe von einigen Zentimetem 
Breite anbringt^ in welcher er sich sammelt. 

3* 

35 



Zusammenfusung 

Damit er nicht bei der Arbeit auf der Bild- 
flSche haften bleibt, muss man das Malbrett 
ein wenig nach vom iibemeigen. Die Finger 
werden freilich schmutzig, da man bald auf 
alle Schutzvorrichtungen dagegen wegen der 
Behinderung der flotten Arbeit verzichten 
wird; doch sind die Farben von der Be- 
schaffenheit, dass sie sich sehr leicht ab- 
waschen lassen. Damit die HMnde vom hau- 
iigen Waschen und dem Kreidestaub nicht 
rauh werden, reibt man sie von Zeit zu Zeit 
mit Borlanolin ein. 

Aber ich muss aufhSren, denn wenn ich 
anfange, das Lob des Pastells zu singen, so 
finde ich so bald kein Ende. Haben Sie sich 
nun iiberzeugt, dass man das Pastell auch 
emst nehmen kann? 



IV. 

Lieber Freund! 

Sie berichten, dass Ihnen zwar die Her- 
stellung von Pastellstiften nach meiner An* 
weisung ohne Schwierigkeit gelungen sei, dass 
Sie aber nicht wtissten, welche FarbstofFe Sie 
anwenden miissen , um damit recht dauerhafte 
Bilder zu erzielen. Die Antwort will ich so 
kurz und bestimmt, als ich kann, zu geben 
mich bemOhen; allerdings ist damit noch nicht 



36 



Priifung von Farbstofifen 

alles getan, denn die leidige Farbenschmiererei, 
d. h. die Verfalschung der reinen Farbstoffe 
durch Zusatze, welche sie billiger oder 
schb'ner machen soUen, ist ausserordentlich 
verbreitet, und gegen unzuverlassige Farben 
schiitzt es natiirlich nicht, wenn man Farb- 
stofFe, die lichtecht sind, als reine kauft und 
dafiir verfsaschte erhMlt. 

Indessen gibt es gliicklicherweise ein ziem- 
lich einfaches Mittel, um viele Verfalschungen, 
insbesondere „Schonungen'' mitTeerfarbstoffen, 
zu erkennen. Diese sind namlich in Wasser 
Oder Weingeist meist loslich, wahrend die fur 
uns in Betracht kommenden Farbstoffe es 
nicht sind. Sie legen daher die auf Teerfarb- 
stoffe zu untersuchende Farbprobe (ich nehme 
an, dass Ihnen die rohen Farbstoffe in Pulver- 
form vorliegen) auf einige Lagen von weissem 
Lfosch- oder Filtrierpapier in Gestalt eines oben 
eingedriickten Haufchens und tropfen nun in 
die obere Vertiefung so viel Wasser, dass 
es durch das Haufchen sich in das unterliegende 
Papier zieht. Dann untersuchen Sie das nass 
gewordene Papier und Sie werden leicht 
erkennen, ob ein gelSster Farbstoff durch- 
gedrungen ist, denn Sie sehen ihn nicht nur 
auf der Riickseite des obersten Papiers, son- 
dern auch auf den darunter liegenden Papieren. 
Den gleichen Versuch machen Sie mit Wein- 
geist; einen dritten mit einem Gemisch von 



37 



Ocker 

Weingeist und etwas Ammoniak; wenn in alien 
FIQlen die FlOssigkeit ungefiCrbt sich in das Papier 
ziehty diirfen Sie mit einiger Wahrscheinlichkeit 
auf die Abwesenheit von Teerfarbstoffen 
schliessen. Allerdings ist der Schluss nicht 
vollkommen sicher, denn manche Teerfarb- 
stoffe, die in Gestalt unloslicher „Lacke'' zu- 
gesetzt waren, verraten sich auf solche Weise 
nicht; da muss die Versuchsanstalt der Gesell- 
schaft zur Fdrderung rationeller Malverfahren 
inMiinchen oder ein ahnliches Fachlaboratorium 
heran. 

Als v511ig lichtechte FarbstofFe sind zu- 
nltchst die verschiedenen Ocker arten zu be- 
zeichnen, deren farbender Bestandteil Eisen- 
oxyd Oder dessen Hydrat ist. Ersteres hat 
eine rote, letzteres eine gelbe Farbe und geht 
durch Erhitzen oder „Brcnnen" in das rote 
Oxyd iiber. Je nachdem die Erhitzung 
schwacher oder starker ist, erh^t man leb- 
haft gelbrote bis violettrote Farben; erstere 
heissen Englisch Rot, letztere Caput mortuum, 
die beide aus Eisenoxyd bestehen. Auch Terra 
di Siena ist ein eisenhaltiger Ocker. 

Fiir Pastell sind die Ocker sowie Terra di 
Siena insofem unbequem, als sie meist durch 
ihren Tongehalt bereits ohne jedes Bindemittel 
so feste Stifte geben, dass man mit ihnen nicht 
mehr gut arbeiten kann. Es empfiehlt sich 
daher, an ihrer Stelle das reine, kiinstlichher- 



38 



Schwarz, Ultramarin 

gestellte Eisenoxydhy drat und Eisenoxy d 
zu benutzen, die gleichfalls sehr wohlfeil sind, 
Ersteres bindet gleichfalls bereits ohne Binde- 
mittel meist geniigend oder kann mit sehr 
wenig Tragant gebunden werden und auch 
das rote Eisenoxyd wird man mit der schwSch- 
sten Tragantl5sung C geniigend fest machen 
konnen. Die dunkleren Sorten Caput mortuum 
brauchen mehr Tragant. Englisch Rot enthalt 
oft 15sliche Stoffe, durch die es stark zusam- 
menbackt; man muss es dann durch wieder- 
holtes Ausziehen mit heissem Wasser reinigen. 
Die in den verschiedenen Ockem vorhandenen 
Niiancen erzielt man leicht durch Mischen von 
gelbem und rotem Eisenoxyd, und Sie werden 
es bald bequem finden, sich einige Reihen 
davon herzustellen. 

Als schwarzer FarbstofT dient Frankfurter 
Schwarzy das gleichfalls vollkommen zuver- 
lassig ist. Die feineren Sorten „in Hiitchen'^ 
brauchen sehr wenig Tragant , die gr5beren 
mehr, bis zur LiSsung B. Aus diesem imd den 
Eisenoxyden mischen Sie sich femer eine An- 
zahl brauner Farben; gelbes Eisenoxyd und 
Frankfurter Schwarz geben ein far Landschaf- 
ten sehr brauchbares GrOngrau. 

Vollkommen zuverlSssig ist ferner Ul- 
tramarin, das Sie mit der Tragantlosung 
B binden. Aus Ultramarin und Frankfur- 
ter Schwarz machen Sie drei oder vier 



39 



Chrom- und Kobaltfarben 

Reihen Blaugrau nach wechselnden VerhlElt- 
nissen, die Sie sowohl in der Landschaft wie 
im Bildnis sehr brauchbar finden werden. Mit 
Caput mortuum erhalten Sie violettgraue Far- 
ben , die Ihnen gleichfalls willkommen sein 
werden. 

Gleichfalls voUkommen zuverliCssig sind die 
verschiedenen Chromoxyde, welche lebhaft 
bis matt griine Farbstoffe sind. Hier miissen 
Sie sich aber vor Tauschung in acht nehmen, 
denn als ^Chromgriin'* erhalt man gegenwartig 
oft den sogenannten griinen Zinnober, dessen 
Dauerhaftigkeitaufeiner etwas niedrigerenStufe 
steht. 

Weiter ist ganz zuverlassig das Kobalt- 
blau und die anderen kobalthaltigen Farbstoffe 
wie Thenards Blau und Rinmanns Griin, die 
indessen seltener vorkommen. Wie sie sich 
bei der Herstellung von Pastellstiften verhalten, 
miissen Sie selbst erproben, denn ich habe 
noch keine Erfahrungen mit ihnen gemacht. 
Ich wende sie nicht an, weil ihr Aussehen sich 
bei kiinstlichem Lichte sehr stark andert, was 
von dem grossen Anteil Rot herriihrt, das in 
ihrer Farbe enthalten ist. 

Auch der sogenannte gelbe Ultramarin 
(Baryumchromat), ein schwefelgelber Farbstoff 
von grosser Reinheit der Farbung, ist als ganz 
zuverlassig zu bezeichnen. £r empfiehlt sich 
namentlich zur Herstellung lebhaft griiner 



40 



Preussisch Blau 

Farben durch Mischung mit Preussischblau, 
woriiber ich unten mehr sagen will. 

Wir kommen zu einer Reihe von Farb- 
stoffen, die man noch als brauchar bezeichnen 
kann, deren Dauerhaftigkeit aber aus allge- 
meinen Griinden niedriger eingeschStzt werden 
muss. Ich wende sie ohne Bedenken an, denn 
die ungiinstigen Umstande, unter denen sie 
sich als unhaltbar erweisen wiirden, treten 
so selten ein, dass ich es darauf hin wage, ab- 
gesehen davon, dass mir die Ewigkeit meiner 
Werke nicht allzusehr am Herzen liegt. 

Hier ist zimachst als fast unentbehrlicher 
Farbstoff Preussisch oder Pariser Blau zu 
nennen. Nach meinen bisherigen Erfahrungen 
halt er sich in Pastell gut (vgl. S. 22). Der 
reine Farbstoff ist viel zu dunkel, und auch 
wegen seiner mechanischen Eigenschaften nicht 
geeignet, um in Stifte geformt zu werden; man 
versetzt ihn schon ftir den dunkelsten Ton mit 
seinem mehrfachen Gewicht Kreide. Die ge- 
ringeren Sorten Berlinerblau pflegen bereits 
grosse Mengen derartiger Zusatze zu enthalten; 
diese benutzt man nicht, sondem kauft die 
dunkelste und daher teuerste Sorte, die Pariser- 
blau genannt wird, und die um so mehr Kreide 
vertragt. Bindemittel ist sehr wenig erfor- 
derlich (L5sung C). 

Zu Mischungen wird Preussischblau sehr 
viel gebraucht. Mit gelbem Eisenoxyd erhalt 



41 



Indigo, Krapplack 

man griine Farben, die fiir die Landschaft aus- 
gezeichnet sind und die eine sehr grosse Dauer- 
haftigkeit besitzen. Mit Schwarz entsteht ein 
etwas griinliches Blaugrau. Ebenso kann man 
mit den weiter unten zu erwahnenden gelben 
Farben verschiedene Griine erhalten. 

Ein anderer wertvoUer blauer Farbstoff ist 
Indigo, und zwar benutze ich am liebsten 
den in Teigform erhaltlichen kiinstlichen Indigo 
der Badischen Anilin- und Sodafabrik, der mit 
dem dreifachen Gewicht Kreide imd sehr 
wenig Bindemittel den dunkelsten Ton liefert, 
dessen hellere Abstufungen fiir Femen sehr 
gut zu verwenden sind. Mit gelben Farbstoffen 
erhalt man stumpfe Griine, mit roten gute 
violette Mischungen. 

Liebhaft rote Farbstoffe von vollkommener 
Dauerhafdgkeit besitzen wir nicht, wohl aber 
eine Anzahl in der zweiten Gamitur. Kar- 
min ist ganz unecht, dauerhaft ist dagegen 
Krapplack oder statt dessen der ebenso 
zu verlSssige Alizarinlack der Badischen 
Fabrik. Dieser gibt mit Ultramarin ein pracht- 
voUes, mit Indigo gutes Violett. Im reinen 
Zustande gibt er durch die Beimischung des 
Weiss ein blMuliches Rosa. 

Gleichfalls zur zweiten Gamitur gehSren 

die Metallfarben Zinnober, Mennige und 

Chromrot. Von ersterem sind die dunkleren 

Sorten am zuverlassigsten , doch ISuft man 



42 



Chromrot und -gelb 

immer die Gefahr, dass er in starkem Lichte 
grau wird. Mennige ist in starkem Licht 
nicht dauerhaft, dunkelt auch an schwefel- 
wasserstoffhaltiger Luft. Beide Farbstoffe 
brauchen sehr viel Bindemittel. Bin dunkle- 
res, lebhaftes Rot ist das Chromrot, basisches 
Bleichromat, das nach meinen Erfahrungen im 
Pastell sehr haltbar ist; wahrscheinlich ist es 
das dauerhafteste von den dreien, doch wiirde 
ich im allgemeinen kein Bedenken tragen, die 
alle anzuwenden. Nur vnrd man gut tun, sie 
inMischungen sovreitals m^glichdurch andere 
Farbstoffe von zweifelloser Dauerhaftigkeit zu 
ersetzen. 

Endlich ist hier das Chromgelb (Bleichro- 
mat) zu nennen, das, wenn es nicht mit schwe- 
felwasserstoffhaltiger Luft inBeriihrung kommt, 
sich mir im Pastell als dauerhaft erwiesen 
hat. Auch ist jene Gefahr offenbar nicht allzu 
gross; meine Bilder beiinden sich in dem 
neben dem Laboratorium stehenden Wohn- 
hause, und ich habe zuweilen die Anwe- 
senheit jenes Gases zu beklagen; eine Ein- 
wirkung auf das Chromgelb aber habe ich 
noch nicht wahrgenommen. 

Chromgelb wird in verschiedenen To'nen, 
als helles und dunkles, sowie als Chrom- 
orange hergestellt. Alle diese Farben sind 
lebhaft und sch5n, doch ist es gut, ihre 
Anwendung auf das Unentbehrliche zu be- 



43 




gcstcfltj die ontcr zahOi 

SSimobcr, GfamingrGn, 2iik|prQii, Olgriiii 



dcm £arblo8e Zusatze allcr Art mtlmltni , 
tst lor dco ICalcr ^vobl am JMi^fVi»*ai^^i|rgfi^«^ 
nch diese Gemsscbe selbst hciz nat cfflcn, und 
zwsar ^uromc^^Kdi mcfat mit dcm bleihaltigen 
Chromgelb, sondem mit Bazirtgelb {gdbem 
Ultramarinj oder mit Stront ium gelb. Solche 
griine Parben smd in hohem Masse bestandig. 
Hiermit ist die Reihe der anzuwendenden 
Parben so ziemlich erschopft. Nicht dass nicht 
noch einige dauerhaite Farbstoffe vorhanden 
wKren; sie sind aber mehr oder weniger ent- 
behrlich, d. h. sie lassen sich in ihrer farbigen 
Wirkung durch Bilischung der genannten Stoffe 
nachbilden oder ersetzen. Alle die genannten 



44 



Prufung auf Lichtechtheit 

Farben lassen sich beliebig miteinander ver- 
mischen und beeinflussen sich gegenseitig nicht. 
Denn da im Pastell die einzelnen Farbkom- 
chen ohne innige Beriihrung nebeneinander 
liegen und kein Bindemittel den mdglichen 
Verkehr zwischen ihnen vermittelt, so sind 
gegenseitige chemische Beeinflussungen viel 
mehr ausgeschlossen, als beispielsweise in der 
dlmalerei. 

Endlich will ich noch erw§[hnen, dass es 
bequem ist, ausser den hellen Abt(5nungen 
der Farben mit Kreide noch einige dunkle mit 
Frankfurterschwarz herzustellen. Man ver- 
fahrt hierbei nach dem gleichen Schema, wie 
mit Kreide, wird aber mit drei Mischungen 
meist sein Auskommen finden. 

So, damit habe ich Ihnen das notigste mit- 
geteilt. Wollen Sie eingehendere Kenntnis der 
Farbstoffe gewinnen, so k5nnen Sie dazu das 
sehr empfehlenswerte Werk von Liinke, die 
Malerfarben (Stuttgart 1904) benutzen. 

Schliesslich gebe ich Ihnen noch das allge- 
meine Verfahren an, Farbstoffe ftir Pastell aui 
ihre Liichtechtheit zu priifen. Sie liberziehen 
einfach ein Pastellpapier gleichfbrmig mit der 
betreffenden Farbe, wozu Sie am besten einen 
mittleren Ton wahlen, fixieren den Auftrag 
und setzen ihn so dem Liichte aus, dass die 
eine HlUfte geschiitzt bleibt Wenn Sie einen 
photographischen Kopierrahmen haben, so legen 



45 



Theorie 

Sie die gefMrbten Schnitzel darunter, nachdem 
Sie die HSlfte mit schwarzem Papier bedeckt 
haben; zur Not tut es auch ein ziisammenge- 
legter Pappdeckel, aus dem die Papiere halb 
hervorragen. Stellen Sie die Versuche im 
Sommer bei krsiftigem Sonnenlichte an, so ge- 
wfihrt Ihnen bereits eine Versuchsdauer von 
einigen Tagen eine geniigende Auskunft, indem 
Sie etwaige, durch die Liichtwirkung entstan- 
dene Veranderungen gegenUber dem geschiitzten 
Teil leicht erkennen werden. 

Bei der Ausfiihrung der Versuche miissen 
Sie nur darauf achten, dass Sie sich nicht etwa 
durch das Vergilben des Papiers tSuschen 
lassen, das bei schlechtem Material gleichfalls 
sehr schnell im Sonnenlichte eintritt. 



V. 

Lieber Freund! 

Ihr Herr KoUege hat zu friih triumphiert. 
£s ist allerdings voUkommen richtig, dass meine 
letzten Briefe ausschliesslich praktische Anwei- 
sungen und Rezepte geben. Ich habe aber theo- 
retische Erlauterungen nicht deshalb vermieden, 
weil ich sie nicht zu geben wiisste, sondem 
weil mir daran lag, Leser wie Ihr Herr KoUege 
einer ist, davon zu liberzeugen, dass theore- 
tische Kenntnisse kein Hindernis fiir die Aus- 



46 



Decken 

arbeitung praktischer Vorschriften sind. Ich 
muss im Gegenteil betonen, dass alle meine 
Anweisungen auf theoretischen Grundlagen be- 
ruhen, ja, dass ich die einzelnen Seiten des 
Verfahrens nach theoretischen Oberlegungen 
aufgesucht und verbessert habe, und zum Nach- 
weise hiervon will ich die Einzelheiten unter 
allgemeinen Gesichtspunkten nochmalserdrtern. 

Wir beginnen mit der Tatsache, dass die 
Pastellfarbe deckende Eigenschaftenhat, d. h. 
dass ein Auftrag von Pastellfarbe die darunter 
liegende Farbe, sei es des Gnindes, sei es 
eines friiheren Auftrages von FarbstofF, mehr 
Oder weniger vollstandig zudeckt, so dass nur 
Oder fast nur die oberhalb liegende Farbschicht 
das Aussehen der Stelle bestimmt. Die 
Theorie des y,Deckens" ist von gr(5sster Wich- 
tigkeit fiir die Beurteilung der meisten Ver- 
haltnisse in der Malerei, auch bei anderen Tech- 
niken, und ich erbitte mir daher fiir sie alle 
Ihre Aufmerksamkeit. Zun£[chst seien die Er- 
scheinungen bei weissen Farbstoffen erklart. 

Alle weissen Farbstoffe, also auch die 
Schlemmkreide, bestehen aus sehr kleinen 
Kornchen eines Stoffes, welcher an sich farb- 
los und durchsichtig ist. Dass farblos durch- 
sichtige StofFe durch feine Zerteilung undurch- 
sichtig weiss werden, ist eine sehr leicht zu 
beobachtende Tatsache. Schnee besteht aus 
KristSllchen des durchsichtigen Eises, der 



47 



Spiegelung 

weisse Schaum der Meereswogen besteht aus 
Blattchen durchsichtigen Wassers. Doch ist 
die feine Zerteilung nicht allein die Ursache 
der weissen Farbe, sondem daneben ist not- 
wendig die gleichzeitig vorhandene hSufige 
Abwechslung zwischen zwei farblosen Stoffen 
von sehr verschiedener Lichtbrechung, wie 
£is, bezw. Wasser und Luft. Mischt man z. 
B. Glaspulver, welches aus gleichem Grunde 
weiss und „deckend^' ist, mit einem Stoffe von 
annahemd gleicher Lfichtbrechung, wie Terpen- 
tin51, so erhMlt man ein fast durchsichtiges Ge- 
menge, welches nicht mehr deckt. 

Die Ursache dieser Verschiedenheiten liegt 
in der Spiegelung oder Zuriickwerfung des 
Lichtes. Um selbst zu sehen, um was es sich 
hierbei handelt, nehmen Sie eine gew(5hnliche 
farblose Glastafel zur Hand und beobachten 
Sie die nachfolgenden Erscheinungen: 

Wenn Sie dem Fenster den Riicken wenden 
und die Glasplatte aufrecht und etwas seitlich 
halten, so werden Sie bald ein Spiegelbild des 
Fensters erblicken, das von der vorderen Ober- 
flache des Glases zuriickgeworfen wird. Dieses 
Bild ist nicht so hell, wie eines in einem wirk- 
lichen Spiegel, und Sie erkennen daraus, dass 
nicht alles Licht von der Oberflilche des Glases 
zuriickgeworfen wird. Ein Teil dringt auch in 
das Innere des Glases, denn bei einiger Auf- 
merksamkeit werden Sie auch ein zweites, 



48 



Vielfache Spiegelung 

gegen das erste ein wenigverschobenes Spiegel- 
bild des Fensters erblicken, welches noch 
schwacher ist. Dies entsteht durch das Licht, 
welches in das Glas eingedrungen und an der 
hinteren FliSche des Glases zuriickgeworfen 
ist. Indessen ist auch dort* wo die beiden 
Spiegelbilder libereinander liegen, das Bild 
lange nicht so hell wie in einem wirklichen 
Spiegel, und daraus folgt, dass ausserdem noch 
ein Teil des Lichtes durch das Glas gegangen 
ist. Dass dieser Teil sogar der grdsste ist, 
erkennen Sie, wenn Sie sich dem Fenster zu- 
wenden und die Glasscheibe zwischen das 
Auge und das Fenster bringen: der von der 
Glasscheibe optisch bedeckte Teil des Fensters 
ist nur wenig dunkler als der freie. 

Nehmen Sie nun statt der einen Glas- 
scheibe einen ganzen Stoss aufeinander liegen- 
der Scheiben, so werden Sie leicht erkennen, 
dass das gespiegelte Licht stltrker, das durchge- 
lassene demgemass schwacher wird. Die 
Spiegelung in einem solchen Stoss, namentlich 
wenn die einzelnenScheiben recht diinn und klar 
sind, gewinnt einen „metallischen" Charakter, 
d. h. das Licht wird bedeutend vollstSndiger 
zuriickgeworfen. Dies ist leicht zu verstehen, 
denn von dem Lichte, das durch die erste 
Scheibe gegangen ist, wird ein Teil von der 
zweiten zuriickgeworfen, und die dritte tut 
das gleiche mit dem noch weitergegangenen. 

Ostwald, Malerbriefe. ^ 

49 



Binfluss des Mittels 

Je mehr Scheiben Ubereinander liegeiii um so 
mehr Licht wird also zunickgeworfen und um 
so weniger kann durchgehen. Schliesslich kann 
man sich vorstellen, dass^ wemi das vorhan- 
dene Glas in unbegrenzt viele, unbegrenzt 
diinne Flatten gespalten wiirde, gar kein Licht 
mehr durch k5nnte, well alles zuiiickgeworfen 
wird. Man kann dies nahezu erreichen, wenn 
man ein klares Stiickchen Glimmer stark er- 
hit2:t. Hierbei springt das Mineral in zahllose 
dUnne BUCttchen, die locker aneinander haften, 
und man erhlUt eine silberartig aussehende 
Platte, die sehr stark das Licht zunickwirft, 
aber keines mehr durchlSsst. 

Nun machen Sie aber einen Hauptversuch. 
Teilen Sie Ihren Stoss Glasplatten in zwei 
gleiche HsQften und legen Sie die Flatten der 
einen HSlfte aufeinander, nachdem Sie jede 
von ihnen mit Wasser benetzt haben. In diesem 
Stosse werden also die einzelnen Flatten 
voneinander nicht durch Luft, sondem durch 
Wasser getrennt sein. Sie sehen auf den 
ersten Blick, dass der nasse Stoss viel mehr 
Licht durchlasst und viel weniger spiegelt als 
der trockene. Damit ist vergleichbar, dass 
nasse Kreide viel dunkler aussieht und viel 
schlechter deckt als trockene. Die Theorie 
dieser Erscheinung ist die folgende: 

Damit an der GrenzflSche zweier durch- 
sichtiger Schichten eine Spiegelung stattfindet, 



50 



Lrichtbrechung 

mussen diese beiden Schichten von verschie- 
dener Beschaffenheit sein, wie etwa Glas 
und Luft Oder Luft und Wasser. Wo bei- 
spielsweise Wasser an Wasser, also gleich an 
gleich grenzt, tritt nie eine Spiegelung ein. 
Die Grdsse nun, von welcher der Betrag des 
zuriickgeworfenen Lichtes abhangt, heisst die 
Lichtbrechung, und es besteht das Gesetz, 
dass unter sonst gleichen Verhaltnissen um so 
mehr Licht zuriickgeworfen wird, je grosser 
der Unterschied der Lichtbrechung in den an- 
einander grenzenden Schichten ist. Betrachtet 
man nun folgende Zahlen fur die Lichtbrechung : 
Luft z.oo, Wasser 1.33, Ol 1.48, Glas 1.53, 
Kreide 1.57, Barytweiss 1.64, Zinkweiss 1.90, 
Bleiweiss 2.00, so ist der Unterschied zwischen 
Luft und Glas 0.53, wahrend der zwischen 
Wasser und Glas nur 0.20 ist; dies gibt also 
Rechenschaft von der sehr viel kleineren 
Spiegelung im Innem des nassen Stosses. 
Gleichzeitig sieht man, dass alle anderen StofFe 
nachst dem Glas eine gr&ssere Lichtbrechung 
haben; sie wiirden also bei einer entsprechen- 
den Anordnung weniger Licht durchlassen und 
mehr spiegeln. 

Ganz Shnliche Verhaltnisse finden nun statt, 
wenn an Stelle des Stosses ebener Flatten 
eine Ansammlung von unregelmMssigen Sttick- 
chen tritt. Zwar verschwindet mit der ebenen 
Grenzflache auch die regelmassige Spiege- 

4* 
51 



Decken 

lung, aber die Zuriickwerfung des Lrichtes 
bleibt bestehen, und well diese nun von und 
nach alien Richtungen stattfindet, erscheint 
die OberflSche gleichfdrmig weiss. Das ist 
also die Ursache, warum Schnee, Wasser- 
schaum, gepulvertes Glas usw. weiss aus- 
sehen. 

Gleichzeitig erkennen wir, wo von es ab- 
h&agt, wie gut ein derartiges Pulver deckt. 
Denken wir uns die verschiedenen weissen 
Pulver auf einen schwarzen Grund zu solcher 
H5he aufgetragen, dass eben die schwarze 
Farbe des Grundes zugedeckt wird, so ist dazu 
erforderlich, dass das auffallende Licht prak- 
tisch voUstandig zuriickgeworfen wird. Da 
dies in unserem Plattenversuch um so voll- 
standiger geschah, je zahlreicher die Platten 
und je grosser der Brechungsunterschied der 
aneinander grenzenden Schichten war, so wer- 
den wir schliessen: ein weisser FarbstofF deckt 
um so besser, je feiner er zerteilt ist und je 
grosser seine Lichtbrechung ist. Daneben 
sehen wir aber auch, dass die Deckung ver- 
mindert und die Farbe grauer werden muss, 
wenn statt der Luft zwischen den Teilchen 
des FarbstofFes sich irgend ein anderer StofF, 
wie Wasser oder Ol, befindet. Und zwar wirkt 
dl stSrker dieDeckungvermindemd als Wasser » 
weil es eine hdhere Lichtbrechung hat als 
Wasser. Bleiweiss hat die grSsste Licht- 



52 



Binfluss des Mittels 

brechung, deckt also am beaten und wird 
darin auch von Ol am wenigsten beeintritch- 
tigt; Kreide deckt am wenigsten und wird am 
sta'rksten durch Bindemittel wie Wasser oder 
Ol nach Grau geflihrt. 

Hieraus ergibt sich nun auch die ErklSrung 
aller Erscheinungen, die beim Fixieren der 
Pastellbilder auftreten. Wenn das Fixierwas- 
ser aufgebracht wird, erscheint das Bild viel 
dunkler, well das Licht von der nassen Kreide 
viel weniger zuriickgeworfen wird als von der 
trockenen. Nach dem Verdunsten des Was- 
sers und Weingeistes bleibt aber das Bild 
nicht unversEndert zuriick, denn zwischen den 
K5mchen der Farbe ist das Casein nach- 
geblieben, welches an vielen Stellen ,,optische 
Bdicken'^ zwischen den Kdmchen schafft, 
durch welche Licht geht, so dass der Auf- 
trag weniger deckt als vorher. Ein Fixier- 
mittel wird also das Bild um so weniger Mn- 
dem, je kleiner seine Lichtbrechung ist und 
je geringer die Mengen sind, die man zur aus- 
reichenden Befestigung der K5mchen anein- 
ander braucht. Beide Bedingungen werden 
recht gut vom Casei'n erfullt, und daher riih- 
ren also die befriedigenden Eigenschaften des 
angegebenen Mittels. Doch ist es ganz denk- 
bar, dass noch vorteilhaftere Kombinationen 
der beiden erforderlichen Eigenschaften vor- 
handen sind. Niemals wird man aber ein 



53 



Fiziemiittel herstellen kSnnen, welches das 
Bild vinUg miverSndert Uisst, demi ein Ver- 
kleben der Kdmchen obne die Herstelliing 
optischer Briicken ist physisch unaosiiihrbar. 
Hit diesem praktischen Ergebnis schliesse 
ich flir heute den tfaeoretischen Brief. 



VL 

Ldeber Freundl 

Das psychologische Experiment, das ich 
mir erlaubte mit Ihnen anzustellen, ist richtig 
gelungen: Sie haben mit dem Wort von der 
„grauen Theorie'' gegeniiber den Darlegungen 
meines letzten Briefes in erwarteter Weise 
reagiert. In welchem Zusammenhange Der- 
artiges mit allgemeineren Fragen der Asthetik 
stehty woUen wir vielleicht spiiter einmal er- 
drtem; dass ich letztlich nur Schwarz und 
Weiss, und das aus beiden sich ergebende Grau 
zum Gegenstande der Untersuchung machte, 
hatte seinen guten Grand darin, dass die 
dort angestellten Betrachtungen sich mit ge- 
ringer Anderung auch aqf die Farben im en- 
geren Sinne anwenden lassen. 

Nehmen Sie wieder ein farbiges Glas zur 
Hand — am besten ist es, ziemlich hell ge- 
fSrbt, etwa griin oder orange — und betrach- 
ten Sie das Bild des Fensters, das sich darin 



54 



^- Fatbe 

spiegelt, wenn Sie mit dem RUcken zum Fen- 
i ster das Glas vor einen dunklen Hintergrund 

halten. Das Spiegelbild von der vorderen 
FlSche kennen Sie bereits ; es zeigt natUrliche 
Farben, da es aus dem unverandert von der 
VorderflSche gespiegelten Licht besteht. Nun 
suchen Sie das Nebenbild auf, das von der 
HinterfliCche der Glastafel gespiegelt wird; 
es ist gegen das erste ein wenig verschoben 
und daher nur an den iiberragenden RSndem 
leicht erkennbar. Auch wird es deutlicher, 
wenn Sie eine kleine Wendung zum Fenster 
hin machen. Dies Bild erscheint in der Farbe 
des Glases. Dass es so sein muss, lasst sich 
leicht absehen; wenn das farblose Tageslicht 
durch das Glas tritt, so wird es eben gefltrbt: 
das ist die Eigenschaft des farbigen Glases. 
Hier ist das Licht aber nicht nur durch die 
einfache Glasdicke gegangen und an der an- 
deren Seite herausgetreten, wie wenn Sie etwa 
das Fenster durch das Glas betrachtet hsitten, 
sondem da es an der HinterflSche der Glas- 
tafel gespiegelt worden ist, so hat es, um 
vom wieder herauszutreten, die Glasdicke noch 
einmal durchmessen miissen. Dadurch ist es 
eben so stark gefSrbt, als wSre es durch zwei 
Glasscheiben von der gleichen BeschafFenheit 
durchgegangen. Auf dieser Erscheinung 
beruht nun alle Wirkung der Farbstoffe 
Oder Pigmente. Denn diese haben eine 



55 



Farbiges und weiases Licht 

Shnliche BeschafFenheit wie das gefiCrbte Glas, 
sic sind Stoffe, die das Licht zwar durchlas- 
sen, aber nur, indem sie es gleichzeitig fSrben. 
Ebenso, wie ein farblos durchsichtiger Stoff 
in feiner Verteilung unver&idertes , also im 
allgemeinen weisses Licht zuriickwirft, so wirft 
ein Farbstoff gefSrbtes Licht zuriick, und er 
wird auch um so besser decken, je grdsser 
seine Lichtbrechung und je feiner seine Ver- 
teilung ist. 

ZunSchst werden Sie fragen: wie macht es 
der Farbstoff, damit das Licht farbig wird? 
Die Antwort ist: indem er gewisse Anteile 
des weissen Lichtes vemichtet. Die Optik 
lehrt bekanntlich, dass man das weisse Licht 
in eine Unzahl verschiedenfarbiger Lichtarten 
zerlegen kann, etwa indem man es durch ein 
glMsemes Prisma „bricht^^ Bringt man diese 
verschiedenfarbigen Lichter wieder alle zu- 
sammen, so erhSlt man wieder weisses Licht. 
Nimmt man aber von den farbigen Lichtern 
ein en Teil heraus, so gibt der Rest bei der 
Vereinigung gleichfalls ein farbiges Licht. 
Diese Eigenschaft haben nun die farbigen 
Ko'rper: sie vernichten einen Teil des Lichtes, 
das durch sie geht, d. h. sie verwandelt es in 
WMrme, so dass es aufh5rt, als Licht zu exi- 
stieren, und daher erscheint der durchgehende 
Rest in einer entsprechenden Farbe. 

Es gehSrt also je ein Paar Farben zusam- 

56 



Brganrangsfarben 

men 9 die herausgenommene und die des Re- 

stes. Nimmt man beispielsweise Rot heraus, 

80 erscheint der Rest nach der Zusammen- 

fiigung griin und umgekehrt. Solche Farben- 

paare nennt man Erganzungsfarben. Die 

Paare: 

Rot und Blaugnin, 

Goldgelb und Blau, 

Grungelb und Violett 

sind solche Erganzungsfarben, doch gibt es 
natiirlich unendlich viele, da man beliebige Ge- 
biete der Farben aus der Gesamtheit des 
weissen Lichtes herausnehmen kann und da- 
her auch entsprechend viele ErgSnzungsfarben 
erhalt. Jedes Paar ist reziprok, d. h., wenn 
ich Blaugriin herausnehme, erhalte ich Rot, 
nehme ich Rot heraus, so erhalte ich Blau- 
griin. 

Einstweilen geniigt dies, um die einfachen 
Erscheinungen in der uns vorliegenden Technik 
des Pastells zu verstehen. Mein Ultramarin 
hat die Eigenschaft, einen solchen Anteil des 
weissen Lichtes zu verschlucken, dass der Rest 
hauptsachlich aus Blau (neben etwas Violett 
und Rot) besteht, und indem das weisse Licht 
in die UbereinanderliegendenTeilchen desFarb- 
stoffes eindringt und von deren Hinterflachen 
wieder zuriickgeworfen wird, gelangt es als 
blaues Licht in mein Auge. All dieses Licht 
ist freilich nicht blau, denn von den Ober- 



57 



Binfluss des Mittels 

flitchen der obenliegenden Teilchen erhalte ich 
auch weisses Oberfl^chenlicht neben dem 
blauen Tiefenlicht Aber dieser Anteil ist axis 
leicht ersichtlichen Griinden um so kleiner, je 
feiner das Pulver meines Parbstoffes ist, und 
daher bei fein geriebenen FarbstofFen meist 
recht gering. 

Nun werden Sie bemerkt haben, dass das 
Ultramarin, als Sie es zum Zweck der Por- 
mung der Pastellstifte mit Wasser und Tra- 
gant angerieben batten, sehr viel dunkler blau 
aussah als vorher in Gestalt des Pulvers und 
nachher in Gestalt der trockenen Stifte, und 
Sie wissen allgemein, dass trockene Parbstoffe 
immer viel heller aussehen als nasse, seien 
sie nun mit Wasser, Ol, Pimis oder irgend 
einer anderen Plussigkeit getrSnkt. Die ErklM- 
rung hierfUr ist in den Darlegungen des fiinften 
Briefes gegeben. Wenn die ZwischenrMume 
zwischen den einzelnen Parbk&mchen mit einer 
PlUssigkeit von grSsserer Lichtbrechung als 
Luft angefiillt sind (und es haben alle PlUssig- 
keiten eine bedeutend gr5ssere Brechung als 
Luft), so erfolgt die Zuriickwerfung des Lrichtes 
von den Hinterflifchen der ParbstoffkSmchen 
viel schwitcher. Das Licht muss also viel 
mehr hintereinander liegende K5mchen durch- 
dringen, ehe es wieder zuriickgeworfen wird, 
und es wird dabei um so tiefer gefSrbt. Hier- 
bei wird natiirlich viel mehr von der Gesamt- 



58 



Aufhellen 

menge des Lichtes verschluckt, und daher. ist 
die Farbe sowohl reiner wie dunkler. 

Das Aufhellen der Stifte durch Kreide- 
zusatz ist demnach eine einfache Sache. £s 
liegen in dem Gemisch neben blaumachen- 
den Ultramarinteilchen Kreideteilchen, welche 
weisses Lricht unverandert zuruckschicken, und 
das Gesamtlicht besteht daher aus Blau und 
Weiss nebeneinander. Wegen der Kleinheit 
der einzelnen KSmchen unterscheiden wir 
beide nicht, sondem sehen nur ein helles, d. h. 
viel Weiss enthaltendes Blau. Auch solche 
Gemische sehen im nassen Zustande tiefer blau 
aus als trocken, denn auch hier dringt das 
Licht tiefer in das nasse Gemisch ein, und 
wird daher von mehr Ultramarinkdmchen be- 
einflusst als beim trockenen Gemische. 

Wenn Sie sich nun noch vergegenwiirtigen, 
dass die Anwendung eines Fixiermittels in ab- 
geschwachtem Masse ganz dieselbe optische 
Wirkung tut wie das Befeuchten, so wissen 
Sie, warum das Pastellbild nach dem Pixieren 
ein wenig tiefer in der Farbe zuriickbleibt, als 
es vorher war, und damit haben Sie die wesent- 
lichen Kenntnisse Hber die Optik der Pastell- 
technik zusammen, soweit es sich nicht um 
Mischungen handelt. 

Was letztere anlangt, so ist ihre Theorie 
von Helmholtz, Briicke u. a. wiederholt so aus- 
fUhrlich und geniigend dargelegt worden, dass 



59 



Helligkeit und Sftttigiing 

ich mich hier auf die Angabe des AllemStig- 
sten beschrSnkenlkann. Ich bitte Sie, die nach- 
folgenden Zeilen zu iiberschlagen, ausser wenn 
Sie Ihre Erinnerung wieder auffirischen woUen. 
Denken Sie sich aus einem mittleren Weiss 
in der eben geschilderten Weise verschiedene 
Gebiete farbigen Lichtes herausgenommen und 
den Rest zu der Erganzungsfarbe vereinigt, so 
haben Sie zunSchst eine unendliche Reihe paar- 
weise zu einander gehSriger Farben. Jede dieser 
Farben k5nnen Sie nun in zweierlei Art ver- 
Itndem. Erstens kcinnen Sie die Farbe einer- 
seits immer heller, andrerseits immer dunUer 
denken, ohne dass sie aufhSrt, die fragliche 
Farbe zu sein. So kdnnen Sie etwa ein ge- 
gebenes Gnin einerseits bis zum hellsten, 
andrerseits bis zum dunkelsten Grtin vom 
gleichen Farbcharakter (etwa Blaugriin) ver- 
folgen« Diesen Unterschied nennen wir die 
Helligkeit der Farben. Andrerseits aber 
k5nnen Sie das Grun, ohne seine Helligkeit 
zu cCndem, immer weniger gdin werden lassen, 
so dass es zuletzt in Grau auslMuft. Diesen 
Unterschied nennen wir die Ss^ttigung der 
Farbe. WShrend also die Helligkeit von der 
Gesamtmenge des Lichtes abhSngt, die in 
unser Auge gelangt, hangt die SSttigung davon 
ab, wieviel von dem Gesamtlicht farbig 
und wieviel farblos ist. So wird beispiels- 
weise ein Farbstoffauftrag durch die Mitwir- 



60 



Farbmischung 

kung des Oberfliichenlichtes um so heller, aber 
gleichzeitig um so weniger gesSttigt, je mehr 
Oberflachenlicht sich dem Tiefenlicht bei- 
gesellt. . 

Zerlegen wir ein beliebiges farbiges Licht 
in seine Bestandteile , so wird ein Licht von 
gesattigter Farbe sich dadurch kennzeichnen, 
dass nur ein verhaltnismassig kleines Gebiet 
von Strahlen vorhanden ist, wahrend alle an- 
deren fehlen; ein gesSttigtes Blaugriin wird 
also, wenn man es mittels des Prismas zu 
zerlegen versucht, nur blaugriines Licht und 
kein anderes ergeben. Je weniger gesSttigt 
eine Farbe ist, um so mehr andere Strahlen 
werden sich darin finden, und im neutralen 
Grau sind alle Strahlen in demselben Verhalt- 
nis vorhanden wie im Weiss, nur weniger 
hell. 

Was geschieht nun, wenn man zwei Farben 
mischt? Um hierauf die richtige Antwort zu 
finden, muss man sich vor alien Dingen gegen- 
wartig halten, dass es zwei wesentlich ver- 
schiedene Arten gibt, zwei (und mehr) Farben 
zu mischen, namlich durch Addition oder 
durch Subtraktion. LSsst man beispiels- 
weise griines und gelbes Licht, etwa aus zwei 
Scheinwerfem, auf dieselbe weisse FlSche 
fallen, so erhSlt das Auge von dieser die 
Summe der beiden Lichtarten, es findet Ad- 
dition statt. Setzt man aber umgekehrt das 



6z 



Subtrftktion 

gelbe Glas vor den Scheinwerfer^ der bereits 
das griine trk'gt, so entnimmt es dem bereits 
griln gefiCrbten Lichte (dem nun vorwiegend 
die roten Strahlen fehlen) noch diejenigen (vor- 
wiegend blauvioletten] Strahlen, durch deren 
Verlust das weisse Licht gelb gef&rbt wird, 
und es fehlen im durchgegangenen Lichte die 
beiden Gebiete. Dass beide Arten der Farb- 
mischung wesentlich verschiedene Resultate 
liefem, hat Helmholtz an verschiedenen auf- 
fallenden Beispielen gezeigt: wcQirend man 
durch Subtraktion aus Blau und Gelb Griln 
erhalty geben diese beiden Farben durch Ad- 
dition Weiss. Femer ist das additive Licht 
natiirlich heller, als unter gleichen Umstanden 
das subtraktive. 

Bei der gewdhnlichen Mischung der Farben 
treten nun ganz vorwiegend die Erscheinungen 
der Subtraktion auf; wir sind in der Tat ge- 
wohnty aus Blau und Gelb Griln zu mischen. 
Doch kann man auch additive Wirkungen auf 
Bildem hervorbringen. Dies gelingt, wenn 
man die zu addierenden Farben in moglichst 
kleinen Punkten Oder Flecken nebeneinander 
setzty ohne sie ilbereinander zu lagern. Wird 
dann das Auge des Beschauers so weit vom 
Bilde entfemt, dass es die einzelnen Flecken 
nicht mehr unterscheiden kann, so findet auf 
der Netzhaut eine Wirkung statt, die der 
Cbereinanderlagerung oder Addition der beiden 



62 



Addition 

Parben entspricht. Von diesem Vorgange 
machten die Pointillisten oder Neo-Impressio- 
nisten Gebrauch. 

Nach dem, was vorher erdrtert worden ist, 
wird sich jede derartig erzielte Farbwirkung 
ebenso in das System der nach Helligkeit und 
SSttigung geordneten Farben einreihen lassen 
wie ii^end eine durch Subtraktion erzielte 
Farbe^ nur miissen in beiden FsQlen andere 
Verhaltnisse der FarbstofFe nebst Weiss ge- 
wlQilt werden, um die gleiche Wirkung zu 
erzielen. Man muss daher in Abrede stellen, 
dass in bezug auf Helligkeit, Tiefe, Feuer, 
Oder wie man sonst die Farbwirkung kenn- 
zeichnen will, durch das Verfahren der addi- 
tiven Mischung grundsStzlich andere oder 
weitergehende Resultate erhSltlich sind als 
durch die gew5hnliche subtraktive Mischung. 
Auf beiderlei Weise hat man die gleiche Reihe 
vom weissesten Weiss bis zum schwfirzesten 
Schwarz zur Verfiigung, welches die Pigmente 
hergeben kdnnen, nur hat man zur Erreichung 
der gleichen Farbwirkung jedesmal andere 
Mittel anzuwenden. Nur darin besteht ein 
Unterschied, dass beim Nebeneinandersetzen 
der Farben, also der additiven Mischung durch 
die nicht unerhebliche Gr5sse, die man aus 
technischen Griinden den einzelnen Flecken 
geben muss, eine feinere Zeichnung sehr 
erschwert ist, wlQirend dadurch, dass die 



63 



Flimmem 

Farbflecken sich hart an der Grenze der Unter- 
scheidbarkeit befinden, ein psychophysisch be- 
griindeter Nebeneindruck entsteht, ein Flim- 
mern, das mit einem glatten Farbauftrag nicht 
zu erzielen ist. Hierin liegt die Erweiterung 
der Mittel, welche durch diese Technik er- 
reicht wird. Man wird von vomherein sagen 
k5nnen, dass fiir gewisse Erscheinungen ein 
solches Mittel von grossem, ja unersetzlichem 
Werte ist, wShrend andrerseits zahllose andere 
Erscheinungen vorliegen und dargestellt wer- 
den, denen diese besondere optische Wirkung 
nicht angemessen ist. 

In ihrer Anwendung auf die Pastelltechnik 
ergeben diese Betrachtungen, dass auch hier 
beim Mischen meist Subtraktionsfarben erzielt 
werden, und zwar um so mehr, je durchsich- 
tiger die einzelnen Farbstoffk5rnchen sind. 
Farbstoffpulvery die mit geringer Durchsichtig- 
keit eine etwas grobere Kombescha£fenheit 
verbinden, zeigen indessen Mischungserschei- 
nungen, die sich zuweilen denen der Addition 
annShem. HierUber sammelt der Kiinstler 
unter der Arbeit sehr bald die erforderlichen 
Erfahrungen. Fiir die Durchflihrung einer rein 
additiven Technik gewShrt das Pastell gute 
MiSglichkeiten, indem man erst die eine Farbe 
in kurzen Strichen oder Punkten hinsetzt, dar- 
auf fixierty und dann mit der anderen Farbe in 
die ZwischenrSume geht. Durch das nach 



64 



Bin neuer Versuch 

jedem Auftrag vorgenommene Fixieren ist ein 
Mittel gegeben^ die Vermischung der nach- 
einander gebrauchten Farbstoffe zu verhindem. 



VII. 
Lieber Freund! 

Sie haben nach der Anweisung meines 
vorigen Briefes mit dem farbigen Glase expe- 
rimentiert und fragen mich, warum dessen 
Farbe so viel kraftiger und gesSttigter aus- 
sieht, went! man es auf ein weisses Papier 
legt^ als wenn man bloss das weisse Papier 
dadurch ansieht. Zunachst nehmen Sie meine 
Anerkennung fur die Richtigkeit Ihrer Beob- 
achtung; dass es Ihnen aufgefallen ist, bedeu- 
tet bereits einen gut entwickelten Sinn ftir das 
Bemerken von Erscheinungen, auf die man 
nicht vorbereitet war. Diese FShigkeit ist sel- 
tener als man glauben soUte, denn die meisten 
Menschen sehen nur das, was sie zu sehen er- 
wartet hatten. 

Die Ursache liegt darin, dass beim Betrach- 
ten des weissen Papiers durch das farbige Glas 
das weisse Licht des Papiers nur einmal 
durch das Glas gegangen ist. Legen Sie aber 
das Glas auf das Papier , so muss das Tages- 
licht, um zum Papier zu gelangen, bereits ein- 
mal durch das Glas gehen und wird dann vom 

Ostwald, Malerbriefe. ^ 

65 



Aquarell 

Papier nochmals durch das Glas bis zu Ihrem 
Auge zuriickgeworfen. £s entsteht also in 
diesem Falle eine Wirkung, als wMre das 
Tageslicht durch die doppelte Dicke des 
Glases gegangen^ und demgemMss ist die F^- 
bung entsprechend stMrker. 

Hiermit sind wir nun auch gleichzeitig in 
die Theorie der Technik eingetr^ten, zu der 
ich mich im systematischen Gange nun zu 
wenden habe, zu dem Aquarell im engeren 
Sinne. Urspriinglich bedeutet ja der Name 
ersichtlicherweise nur eine Maltechnik, die auf 
der Anwendung des Wassers zum Verdiin- 
nen und Auftragen der Farbstoffe beruht. Nun 
wissen Sie aber, dass Wasserfarben in zwei 
verschiedenenWeisen angewendet werden, als 
Aquarell und als Guasche. Wahrend frU- 
her alle Welt und jetzt noch, wie ich glaube, 
die Engltoder mit einer Art religi5ser Scheu 
vermeiden, die beiden Arten nebeneinander 
in demselben Bilde zu gebrauchen^ ist heute im 
internationalen Kreise der Kiinstler dieser Zopf 
gefallen und es herrscht hier wie sonst das 
Motto: erlaubt ist, was gefallt. 

Wie bei alien derartigen Regeln handelt es 
sich um gewisse tats£[chliche VerhsQtnisse, 
welche zu dem Dogma gefiihrt haben. Nur 
der Umstand, dass man sich iiber die Ursache 
der beoachteten Erscheinungen nicht klar ist, 
bewirkt dann ein solches summarisches Ver- 



66 



Lasiir- tind Deckfarbe 

boty wobei denn immer das Kind mit dem 
Bade ausgeschiittet wird^ d. h. neben den un- 
sch5nen Verbindungen auch die sch5nen und 
brauchbaren verboten werden. 

£s handelt sich bier namlich um einen sehr 
wichtigen Unterschied, der bereits den Slte- 
sten Schriftstellem liber Malerei gelSufig ist, 
denderdurchsichtigen und der undurchsichtigen 
Farben, oder wie wir heute sagen^ der Lasur- 
und Deckfarben. Beim Aquarell im engem 
Sinne werden mSglichst nur Lasurfarben ver- 
wendet, wllhrend die Guasche umgekehrt fast 
ausschliesslich Deckfarben gebraucht. Worauf 
das Decken beruht, haben wir bereits im drit- 
ten Briefe erSrtert: eine Deckfarbe gibt nur 
solches Lricht aus^ welches durch Absorption 
und Reflexion, durch Verschlucken und Zuriick- 
werfen in den K&mchen des Farbstoffes 
selbst seinen Charakter erhalten hat. Eine 
Lasurfarbe wirkt dagegen wie ein auf Papier 
gelegtes farbiges Glas: sie l^sst die Farbe des 
Untergrundes durchwirken und entzieht die- 
sem Lrichte nur noch diejenigen Strahlen, die 
sie selbst verschluckt. Beim Aquarell dient 
nun als Untergrund im allgemeinen weisses 
Oder nur sehr wenig gefarbtes Papier. Die Wir- 
kung des Aquarells auf das Auge entsteht also 
durch das Zusammenwirken des weissen Pa- 
pieres mit den aufliegenden durchsichtigen 
Farbstoffschichten. 



67 



5* 



Lasur- und Deckfarbe 

Demgem&s setzt sich die Palette des Aqua- 
rellisten vorwiegend aus solchen Farbstoffen 
zusammen, welche nichtdeckenden Oder durch- 
sichtigen Charakter haben. Erinnem Sie sich 
der Theorie des Deckens aus den friiheren 
Briefen, so werden Sie alsbald die Eigenschaf- 
ten erkennen^ welche bei derartigen Farbstoffen 
vorhanden sein miissen: da die Deckung um 
so starker ist^ je grosser die Lichtbrechung 
des Farbk5rpers ist, so werden solche Farb- 
stoffe am durchsichtigsten sein, der en Licht- 
brechung am geringsten ist. Dies fiindet sich 
allgemein bestStigt: die Bleifarben, welche 
allgemein die gr5sste Lichtbrechung haben, 
sind keine Lasurfarben, wohl aber die „Lacke" 
aller Art, deren TrSger die Tonerde, ein Stoff 
mit kleiner Brechung, ist. 

Femer aber wird das einzelne Farbk&m- 
chen um so durchsichtiger sein, je kleiner 
es ist. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, 
ftir das Aquarell moglichst feingeriebene Farb- 
stoffe zu verwenden. In der Tat beruhen die 
Unterschiede in der Giite der verschiedenen 
Arten von kSuf lichen Aquarellfarben so gut 
wie ausschliesslich auf dem durch das Reiben 
erzielten Feinheitsgrade des Farbstoffes. Denn 
mit gesteigerter Feinheit nimmt nicht nur die 
Durchsichtigkeit des einzelnen Komes zu, son- 
dem auch sein Festhaften nach erfolgtem Auf- 
trage. Es ist ja ohne weiteres ersichtlich, 



68 



Bindemittel 

dass ein K&mchen durch spateres Dariiber- 
fiihren des Pinsels um so weniger von seinem 
Platze bewegt werden wird, je kleiner es ist, 
je enger also die Schlupfwinkel sind, in denen 
es Unterkunft und Schutz gegen spatere Be- 
lastigung durch die Pinselhaare fiinden kann. 
Hieraus nihrt die Eigenschaft sehr fein gerie- 
bener Aquarellfarbe, nach einmal erfolgtem 
Trocknen mehr oder weniger unverwaschbar 
zu sein. 

Die Frage nach dem Bindemittel der 
Aquarellfarbe, die Ihnen vermutlich langst auf 
der Zunge geschwebt hat, beantwortet sich 
sehr einfach : es wird meist arabisches Gummi 
dazu genommen. Dieses ist, wie Sie wissen, 
in Wasser 15slich, und darauf beruht die 
Eigenschaft der Farbstofft£(felchen, beim Rei- 
ben mit Wasser zu zergehen. Femer beruht 
hierauf die andere Eigenschaft, dass stark auf- 
getragene Aquarellfarbe dem nassen Pinsel 
nicht standhMlt. Wahrend namlich bei diinnem 
Auftrag die Farbstoffkornchen in den Uneben- 
heiten des Papieres geniigend Platz finden 
k(5nnen, werden die meisten von ihnen bei 
starkem Auftrag nur durch das Gummi fest- 
gehalten, und miissen diesen Halt verlieren, 
wenn das Bindemittel aufgel5st wird. Daher 
kann man bei geschwinder und geschickter 
Arbeit allerdings auch iiber starke Farbe einen 
neuen Auftrag machen: wenn man nsimlich 



69 



fertig ist, bevor sich das Gummi gel5st hat. 
Sowie man aber zum z w e i temnal mit dem Pin- 
sel auf die nasse Stelle konunt, wird die ibres 
Haltes beraobte Untermalung mitgenommen. 

Aus dieser Unbequemlichkeit ergibt sich 
die Frage, ob man nicht Bindemittel verwen- 
den kann, die nach dem Trocknen gegeniiber 
einem iveiteren Auftrage fest bleiben. Solche 
Bindemittel gibt es allerdings; wir werden sie 
spSter bei der Tempera kennen lemen. Sie 
haben neben dem erwIOmten Vorzug offenbar 
den Nachteil, dass man auch die Farben beim 
Aufbewahren nicht trocken werden lassen 
darf, da alsdann auch die Unl3slichkeit ein- 
treten miisste. Doch sollen diese ErSrterun- 
gen der spSteren Abhandlung iiber.die Tem- 
pera vorbehalten bleiben: beimAquarell rech- 
net man eben mit der LSslichkeit des Binde- 
mittels und handelt danach. 

Wsthrend die mit sehr diinner Farbe be- 
handelten Stellen eines Aquarellbildes nach 
dem Trocknen ebenso aussehenwie in nassem 
Zustande, werden die stark gedeckten Stellen 
deutlich ,,stumpfer" beim Trocknen. Dieser 
Ausdruck besagt nichts, als dass nach dem 
Trocknen mehr zerstreutes OberflSchen- 
licht von den betreffenden Stellen zuriick- 
geworfen wird. Die hier obwaltenden optischen 
Verhffltnisse lassen sich auf Grand unserer 
friiheren Betrachtungen leicht verstehen. 



70 



Fimissen 

Sie erinnem sich, dass die Zunickwerfung 
des Lfichtes um so geringer ist, je geringer 
der Unterschied zwischen der Lfichtbrechung 
der K&mchen und der ihrer Umgebung ist. 
Im nassen Bilde besteht die Umgebung aus 
Wasser, im trockenen teils aus Gunimi, teils 
aus Luft. Ersteres hat ungefahr die gleiche 
Brechung wie die Farbstoffe; ein Gemenge 
von beiden wirkt also fast wie ein gefKrbtes 
Glas; die Luft hat dagegen eine sehr viel klei- 
nere Brechung und die von Luft umgebenen 
K5mchen wirkcn also vorwiegend als Deck- 
farbe. Bei sehr diinnem Auftrage reicht das 
Gummi aus, um jedem Komchen die zur La- 
surwirkung erforderliche Umgebung zu ge- 
wMhren, bei dickem Auftrage dagegen nicht, 
wenn man nicht noch besonders Gummi oder 
ahnliche Stoffe hinzunimmt. WMhrend also 
im nassen Bilde die eben beschriebene Rolle 
des Gummis vom Wasser liberall libernommen 
wird^ gelangt beim trockenen an die Stelle des 
Wassers um so mehr Luft, je starker der 
Farbauftrag ist. 

Ebenso einfach wie die ErklSrung des 
Stumpfwerdens beim Trocknen ist die der 
Wirkung von Fimissen u. dgl. auf das stumpf 
gewordene Bild, das sie wieder ,,herau8holen^^ 
Der Fimis bewirkt, dass jedes Farbkdmchen 
dauemd in eine optisch Shnliche Umgebung wie 
beim nassen Bilde kommt und dass ihm so- 



71 



Der Bildgfrund 

mit ermoglicht wird, wie ein durchsichtiges 
farbiges Glas zu wirken. Als Fimis kann da- 
her jede L8sung dienen, die einen glasMhn- 
lichen Riickstand IMsst, also z. B. wieder arabi- 
sches Gummi. Um aber nicht Gefahr zu 
laufen, den Farbauftrag durch Lbsen des 
Bindemittels zu zerst5ren, nimmt man meist 
alkoholische Fimisse, denn Alkohol 15st das 
Gummi nicht auf. Eine Losung von gebleich- 
tem Schellack ist brauchbar; noch besser 
scheint mir der unter dem Namen Zaponlack 
jetzt in den Handel gebrachte Fimis, der voU- 
kommen farblos ist und auch keine Gefahr des 
Vergilbens mit sich bringt. £r besteht aus 
einer L5sung von Celluloid in Amylacetat und 
hat den besonderen Vorzug, dass er keine 
Neigung hat, in das Papier einzudringen, wie 
es die alkoholischen Lacke tun. 

Fiir die erzielten Farbwirkungen spielt der 
Bildgrund, das Papier, eine wesentliche Rolle, 
denn ihm f^lt die Aufgabe zu, das Licht zu 
reflektieren. Der dtinne Farbiiberzug wirkt 
als durchsichtiges Mittel, und zwar zweifach, 
indem das auffallende Licht zuerst beim Durch- 
gehen bis zum Papier wie durch ein farbiges 
Glas gefarbt wird, sodann aber zum zweiten- 
mal beim Zunickgehen den gleichen Einfluss 
erfahrt. Damit diese Wirkung zu stande kommt, 
miissen namentlich fiir hellere Farben ganz 
ausserordentlich diinne Farbstoffschichten 



72 



Schwierigkeiten der Technik 

aufgetragen werden. 1st dieser Farbstoff dann 
nicht voUstandig unvercbiderlich und erfahrt 
er eine langsame chemische Umwandlung, so 
geniigt ein quantitativ verschwindend kleiner 
Umsatz^ um eine fiir das Auge sichtbare Wir- 
kung hervorzurufen. Somit zeigen Aquarelle 
in ganz besonders hohem Masse die Eigen- 
schaft des Verbleichens im Lichte, falls sie 
nicht mit unversinderlichen Parben hergestellt 
sind. 

Die beschriebene Art der Lichtwirkung be- 
dingt auch die bekannte Schwierigkeit des 
Aquarells bei der Herstellung grdsserer ¥lsi- 
Chen von gleichformiger oder regelmassig ab- 
getonter Farbung. Denn da die ganze Wir- 
kung auf der Dicke oder Dichte der aufliegen- 
den durchsichtigen Farbschicht beruht^ so muss 
diese Dicke ganz gleichfSrmig sein oder regel- 
massig abnehmen, wenn die angedeuteten Wir- 
kungen erzielt werden sollen. Beim Pastell 
ist eine solche Schwierigkeit ebenso wenig 
vorhanden wie bei der Guaschetechnik. Denn 
da hier die Farbschicht so dick aufgetragen 
wirdy bis die Wirkung des Untergrundes auf- 
gehoben ist, so ist es gleichgtiltig, ob an ein- 
zelnen Stellen der Auftrag noch etwas dicker 
ist, da sie durch die Wirkung nicht weiter ge- 
^dert wird. 

Andrerseits bewirkt die beschriebene Licht- 
bewegung eine sehr reine und klare FMrbung 



73 



Zusammenfassung 

des zuriickgeworfenen Lichtes. Dies beruht 
darauf, dass hier das gesamte Licht die 
fSrbende, durchsichtige Schicht zweimal durch- 
dringen muss^ wahrend bei der Reflexion von 
deckenden Farben ein Gemenge von farbigem 
Tiefenlicht und von weissem Oberfl£[chen- 
licht an das Auge gelangt, dem der Charakter 
der Durchsichtigkeit fehlt. 

Soil ich daher mein Urteil iiber die Eigen- 
tiimlichkeiten der Aquarelltechnik zusammen- 
fassen, so kann ich ihr keine sehr grossen Vor- 
zlige zuschreiben, Ihre wichtigste Tugend be- 
steht in dem mittels der durchsichtigen Farben 
erzielten optischen Charakter; femer bedingen 
die geringen Mengen des Bindemittels keine 
Gefahr fur die Dauer des Bildes infolge ihrer 
VerKnderung. Da auch der Unterlage, dem 
Papier, ein sehr grosses Mass von Dauerhaftig- 
keit zugesprochen werden kann, so liegen nach 
dieser Richtung keine Ursachen schnellen Ver- 
derbens vor. Dagegen ist ein sehr erheblicher 
Nachteil der Umstand, dass die gesamte Wir- 
kung des Bildes auf der Starke und BeschafFen- 
heit einer ausserordentlich diinnen Farbstoff- 
schichte beruht, woraus sich einerseits die 
Schwierigkeiten in der Herstellung der Bilder, 
andrerseits ihre grosse Empfiindlichkeit gegen 
chemische Veranderungen der Farbstoffe er- 
geben. Diese Umsttode schrMnken die Frei- 
heit des Kiinstlers nicht unerheblich ein, und 



74 



Wirkung der Qalle 

SO sehen wir, dass gegenwSrtig die Kiinstler, 
die Wasserfarben zur Herstellung grosser Ge- 
mSlde verwenden, die reine Aquarelltechnik 
gegen eine getnischte vertauschen, die von 
jenem Hauptfehler weniger betroffen ist« Die 
grosse Verbreitung des Aquarells in Lieb- 
haberkreisen hat ihren Grand wohl ausschliess- 
lich in der Leichtigkeit und Einfachheit des 
erforderlichen Apparates; infolge ihrer techni- 
schen Schwierigkeiten ist sie sonst fiir den 
Anfanger die ungeeignetste von alien. 



VIII. 
Lrieber Freund! 

Aus den Fragen, die Sie mir stellen, ersehe 
ich mit Genugtuungy dass' Ihnen meine £r- 
orterungen wirklich zum Nachdenken Anlass 
geben; damit ist ihr Hauptzweck erreicht. Die 
Fragen will ich der Reihe nach beantworten. 

ZunSchst woUen Sie wissen, wozu die 
Galle eigentlich beim Aquarellieren dient, d. h. 
wie sie wirkt. Sie wissen, dass dieser Stoff 
den gleichf(5rmigen Auftrag der Farbe erleich- 
tert und die Neignng der w£[sserigen Farbe, in 
Tropfen zusammenzugehen, aufhebt* Die Ur- 
sache liegt in der OberflSchenspannung 
des WasserSy die sehr gross ist. Verm&ge 
dieser Eigenschaft hat das Wasser mehr als 



75 



Wirkung der Galle 

jede andere Pliissigkeit das Bestreben, eine 
mdglichst kleine OberflSche zu bilden. Da nun 
offenbar ein runder Tropfen eine kleinere Ober- 
flSche hat, als eine ausgebreitete Schicht, so 
hat das Wasser immer das Bestreben, aus dem 
Zustande der Schicht in den des Tropfens iiber- 
zugehen. Wo nun die Unterlage nicht b e n e t z t 
wird und dadurch den Bestand der Schicht 
sichert, bilden sich demgemass Tropfen. Sie 
sehen dies am besten an den Tautropfen auf 
solchen BlMttem, die durch einen t^berzug von 
Haaren oder Wachs die Benetzung verhindem. 
Die Galle wirkt nun in doppeltem Sinne. £in- 
mal vermindert sie sehr stark die OberflSchen- 
spannung des Wassers, in dem sie aufgel&st 
ist; andrerseits erleichtert sie die Benetzung, 
indem sie etwa vorhandenes Pett auf der 
Papierflache (welches in den moisten F^len 
die Ursache der schlechten Benetzung ist) in 
lauter kleine Tr&pfchen verwandelt und so un- 
schSdlich macht. Diese letztere Eigenschaft 
des Emulgierens ist von massgebender Be- 
deutung far die Temperatechnik, und wir 
woUen sie dort eingehender erdrtem. 

Femer fragen Sie, woher das Gerinnen oder 
Grieslichwerden mancher Aquarellfarben riihrt. 
Hieriiber kann ich Ihnen allerdings nur Ver- 
mutungen sagen. Durch die Susserst feine 
Verteilung naliert sich der Zustand vieler 
Aquarellfarben dem, der in der Wissenschaft 

76 



Gerinnen der Farbe 

der colloid ale Zustand genannt wird; es ist 
dies ein Mittelding zwischen einer mechani- 
schen AufechlSmmung und einer wirklichen 
LriSsung. Solche in „colloidaler Losung'^ be- 
findliche Stoffe werden nun leicht aus diesem 
Zustande herausgebracht und in Plocken ge- 
fallt, wenn andere, salzartige Stoffe in die 
Lr5sung gebracht werden. Ich halte es daher 
fiir ganz wohl m5glich, dass das gew5hnliche 
Quell wasser, das der Wasserleitung entnom- 
men wird, durch seinen nie fehlenden Salz- 
gehalt eine solche F^lung hervorbringt. Da 
die verschiedenen coUoidalen Ldsungen sehr 
veri^chiedene Empfiindlichkeit gegen Salze ha- 
ben, so ist es ganz erklarlich, dass gewisse 
Farben die Erscheinung leichter zeigen als 
andere. Wenn diese Theorie richtig ist, so 
muss sie auch die Mittel an die Hand geben, 
den Fehler zu vermeiden. Fragen wir, wo- 
durch die Ausf^lung verhindert werden kann, 
so sehe ich zwei Mittel. Eines ist die An- 
wendung salzfreien Wassers; destilliertes oder 
Regenwasser enth^t kein Salz und wird also 
ein besseres Verhalten der Farben erwarten 
lassen. Unwirksam wird dies Mittel sein, wenn 
das Papier selbst Salze enth^t. Dies ist nicht 
ganz selten der Fall; Alaun oder Natriumthio- 
sulfat kommen am meisten vor. Hier k5nnte 
man ein zweites Mittel anwenden. Es ist eine 
allgemeine Erfahrung, dass eine coUoide Lbsung 



77 



Zugemiachte De€k&rbe 

viel schwerer gefiOlt wird, wenn gleichzeitig 
gewisse andere colloide Stoffe zugegen sind. 
V^enn man also dem Wasser wahrend der Arbeit 
stets ein wenig Eiweiss, Lreim oder Gummi 
zusetzt (welche alle colloide Stoffe sind) , so 
wird auch bei salzhaltigem V^asser oder Pa- 
pier eine Fallung weniger leicht eintreten. 
Versuchen Sie es, wenn Sie nachstens mit 
diesem Umstande zu kICmpfen haben, und ver- 
sMumen Sie nicht, mir Ihre Beobachtungen 
mitzuteilen. 

Endlich fragen Sie, weshalb ein mit Deck- 
weiss gemischter Farbstoff einen ganz anderen 
Farbton zeigt, als wenn man ihn entsprechend 
diinn als Aquarellfarbe auf dem weissen Pa- 
pier ausbreitet. Mit Weiss gemischt erschienen 
die Farben alle bedeutend „kcQter". Nun nennen 
wir einen Farbton kMlter, wenn er mehr Blau 
enthSlt, und die Frage heisst daher, warum 
macht die Zumischung von Weiss die Farben 
blaulicher aussehen? 

Die Ursache liegt in der Erscheinimg, 
welche Goethe seinerzeit fUr das ,,Urphano- 
men^^ der Farbenlehre erklsirt hat, dass nSm- 
lich ein durchscheinend weisses oder triibes 
Mittel gegen einen dunklen Grund gesehen 
blau aussieht. Am einfachsten liberzeugen 
Sie sich von der Tatsache, wenn Sie diinne 
Milch in ein Gefass mit dunklen WSnden 
giessen: am Rande erkennen Sie leicht einen 



78 



Tnibe Mittel 

ausgesprochen blauen Streifen, wo das dunkle 
Gefass noch durch die weisse Milch erkennbar 
durchscheint. Die physikalische Ursache dieser 
Erscheinung ist ein wenig umstandlich zu er- 
klaren; Sic linden das NMhere dariiber in 
Briickes Physiologic der Farben. £s kommt 
wesentlich darauf heraus, dass sehr kleine 
Teilchen am vollkommensten solches Licht 
zuriickwerfen, welches die kurzesten Wellen 
hat, und dies ist das violette, blaue und griine 
Licht. Dieses iiberwiegt daher in dem von 
der Milch zuriickgeworfenen Lichte, wahrend 
das durchgegangene Licht diese Strahlen ver- 
loren hat und daher gelb bis rotgelb aussieht. 
Dies ist die Ursache, warum die Schatten in 
den Femen blau aussehen, denn dort lagern 
die kleinen Triibungen der Luft vor einem 
dunklen Hintergrunde. Umgekehrt geht bei 
niedrigstehender Sonne deren Licht durch 
diese Triibungen hindurch und ihr Licht wird 
daher gelb bis rot. Indessen hSngt hierbei 
sehr viel davon ab, wie fein die trilbenden 
Teilchen sind: das Blau, bezw. Rot ist um so 
reiner, je feiner sie sind. Gr&ssere Teilchen, 
z. B. ein Nebel, iiben nicht mehr diese aus- 
walilende Zuriickwerfung aus und erscheinen 
daher in beiden Ansichten, auf dunklem wie 
hellem Grunde ungefarbt, d. h. grau. 

Wenn Sie nun einem Farbstoff, etwa ge- 
brannter Terra de Siena, Weiss zumischen, so 



79 



Trabe Mittel 

wirken die weissen Teilchen als ein triibes 
Mittel vor dem dunklen Grunde des Farb- 
stofifes und es mischt sich daher dem ziuiick- 
geworfenen Lichte Blau bei. Dies wird ver- 
mieden, wenn Sie zuerst die Stelle mit Weiss 
eindecken und dann die Siena dariiber »lasie- 
ren«, d. h. unvermischt mit Weiss daniber 
bringen. 

In diesen VerhSltnissen liegt ein ausge- 
zeichnetes Mittel, um leichter und vollkomme- 
ner gewisse natiirliche Erscheinungen nachzu- 
bilden. Das Blau der Femen lasst sich z. B. 
natiirlicher durch Auflasieren von Weiss auf 
die Schatten hervorbringen, als durch eine ver- 
diinnte einfache Farbe gleichen Tones, und so 
wird man sich einer jeden Naturerscheinung 
gegentiber fragen, auf welche Weise sie in der 
Wirklichkeit optisch zu stande kommt, um ein 
entsprechendes Verfahren fiir die Wiedergabe 
zu wMhlen. Insbesondere bringt der durch- 
scheinende Charakter der menschlichen Haut 
eine Menge derartiger »Farben triiber Mittel « 
zu wege, die auf gleiche Weise wiedergegeben 
werden kdnnen. Da indessen erst in der Ql- 
malerei diese Verfahren die leichteste imd 
mannigfaltigste Ausflihrung gestatten, so woUen 
wir dort naher auf diese Dinge eingehen. Beim 
Aquarell machen sich nSmlich die Anderungen 
beim Trocknen gerade am meisten an den 
schwachen Lasuren von Deckfarbe geltend, 



80 



Guasche 

SO dass es ausserst schwer ist, den schliess- 
lichen Efifekt eines solchen Auftrages genau 
vorauszubestimmen. 

Hierdurch sind wir denn auch naturgem^ss 
auf die Wasserfarbentechnik mit Deckfarben 
Oder die Guasche-Technik gekommen. Fiir die 
Kennzeichnung der optischen Eigentiimlich- 
keiten der Guasche ist fast dasselbe zu sagen, 
was liber Pastell gesagt worden ist, da die 
Aufhellung der FarbstofFe hier wie dort durch 
Beimischung von Weiss hervorgebracht wird, 
Nur dient in diesem Falle nicht Kreide, son- 
dem ein StofF mit viel grcSsserem Brechungs- 
koeffizienten, das Permanentweiss (Baryumsul- 
fat) Oder das Zinkweiss (Zinkoxyd). £s ist dies 
erforderlich, da beim Auftrag die Farbe nass, 
d. h. mit iiberschiissigem Wasser vermischt 
ist, und deshalb dunkler und weniger deckend 
aussieht, als sie nach dem Trocknen, d. h. dem 
Fortgehen des Wassers, erscheint. Da es ftir 
den ausftihrenden Kiinstler sehr unbequem ist, 
wenn die Farbe wesentlich anders auftrock- 
net, als sie aufgetragen wurde, so sorgt man 
durch Anwendung des starker brechenden 
Weiss und durch Zusatz geniigender Mengen 
Bindemittel dafiir, dass der daher riihrende 
Unterschied mdglichst gering wird, doch ge- 
langt man hierin keineswegs sehr weit. 

Hierdurch entsteht allerdings gleichzeitig 
ein Problem 9 welches uns von jetzt ab durch 

Ostwaldi Malerbriefe. 6 

8i 




andere Eigens^iaften als der Bildtra^cr, so 
bcgliimt die GcfiEdir aofeutreten, dass sicb dcr 
Bildstofir Tom TrSger ablost and in Hrmm Oder 
grteseren Stticken abfallt. Dies gesdtadkA da- 
dnrch, dass die Ansdehnong dnrdi die ge- 
nannten Einflusse ▼erschieden stark wiikt, so 
dass Bildstoff and Unterlage, die bei g^^ebenen 
Verhffltnissen gleich gross waren, bei anderen 
Verhffltnissen verschiedene Grosse annehmen. 

Ist eines von beiden, der BildstofiF oder die 
Unterlage, nachgiebig, so wird eine der- 
artige Verschiedenheit nicht viel scbaden, denn 
das eine zwingt dem anderen seine Bewegungen 
auf. Erst wenn beide hart und widerstands- 
fiChig sindy treten die Schiebungen und Zer- 
rungen ein, die zunMchst zu Spriingen, schliess- 
lich zum AbbUittem fiihren. 

Beim Pastell, auch dem fixierten, ist jeden- 
falls der Bildstoff so weich und nachgiebig, 
dass von einem Reissen oder Abblattem liber- 
haupt nicht die Rede sein kann. Dagegen 
kann die Guaschefarbe bei starkem Auftrage 



82 



Fresko 

ganz wohl eine hornige oder steinige Masse 
von erheblicher Hsirte bilden. Hier sichert 
man sich gegen eine m5gliche Trennung durch 
Benutzung eines Papiers mit rauher Ober- 
flache, zwischen dessen Fasern die Farbstoff- 
masse eindringt, und von denen sie auf die 
Dauer festgehalten wird. Auf glattem, hartem 
Stofife, wie Pergament, hergestellte Guasche- 
bilder bieten keine GewMhr ftir eine unver- 
anderte Dauer, um so weniger, je dicker der 
Farbauftrag ist. Auch dieser Umstand wird 
uns spater immer wieder begegnen; es gibt 
keine Manier, die mehr selbstmdrderisch ware 
als die pastose Malerei. 

IX. 

Lieber Freund! 

Das Fresko, ,,die edelste Technik'^ wie Sie 
sie nennen, babe ich nicht vergessen; sie ge- 
h5rt in der systematischen Reihe an diese 
Stelle, denn es handelt sich um eine Wasser- 
farbe mit einem besonderen Bindemittel. War- 
um Sie dies Verfahren mit dem auszeichnen- 
den Beiwort versehen, habe ich um so weniger 
verstehen kdnnen, als Sie hinzufiigen, dass Sie, 
wie die meisten heutigen Maler, keine Gelegen- 
heit gehabt haben, das Verfahren kennen zu 
lernen und anzuwenden. Wenn Sie den Zu- 
stand der Fresken am Berliner Museum oder 

6* 
83 



an der Neuen Pmakotfaek in M nnchen betrach- 
ten^ so li^erden die £ast tiberall nnerkennbar 
geii^ordenen Ruinen der nor einige Jahrzelinte 
alten 'Werke schii^erlich eine nberzengende 
Sprache znGunsten des Fresko reden. 'Wie sich 
das auch nnter giinstigeren 'Wittemngsverfaalt- 
nissen als im mittleren Eiiropa verhalten mag: 
bei uns hat sich diese Technik als ganz un- 
ziiverlassig erwiesen, -was die Dauer der er- 
zielten 'Werke anlangt. Und \Krelchen sach- 
lichen Beschrankungen dies Verfahren 
unterworfen ist, wird sich bei der Betrachtung 
der Einzelheiten ergeben. 

Im Fresko wird eine besondere Art von 
Wasserfarbe angewendet. Hier wird die Male- 
rei auf einer frisch hergestellten, nassen Kalk- 
wand ausgefuhrt, wobei die Farbe selbst mit 
Kalk gemischt wird. In dem angewendeten 
Wasser Idst sich etwas Kalk (V3 Prozent] auf, 
\^elcher beim Trocknen zuriickbleibt, indem er 
gleichzeitig durch die Kohlensaure der Luft in 
Calciumcarbonat iibergeht. Da das Festwerden 
des M5rtels auf dem gleichen Vorgange be- 
ruhty so ist ein guter Zusammenhang des Bildes 
mit seiner Unterlage gesichert. Denn da das 
Bindemittel aus demselben Stofife besteht wie 
die Unterlage, erfahren beide durch die Ande- 
rung der Musseren UmstSnde gleiche Beein- 
flussungen und eine Hauptursache des Abblstt- 
tems fitllt fort. 



84 



Fehler der Unterlage 

AUerdings ist das Bild noch alien St5rungen 
ausgesetzt, welche seine Unterlage, das Mauer- 
werk erfahren kann. Das bedenklichste ist das 
Auskristallisieren geldster Stofife an der Ober- 
flMche. Wenn nMmlich irgend welche 15slichen 
StofFe entweder in der Mauer von vornherein 
vorhanden sind oder im Laufe der Zeit hinein- 
gelangen, so scheiden sie sich schliesslich un- 
vermeidlich an der Oberfl&he aus. Denn 
wenn durch den Einfluss der wechselnden 
Witterung, ganz abgesehen von direktem Nass- 
werden durch Regen oder dergleichen, die 
Mauer abwechselnd nass und trocken wird, so 
geht folgendes vor sich. Die Feuchtigkeit 
der nassen Mauer 15st den vorhandenen 15s- 
lichen Stofif bis zur SSttigung auf. Beim Trock- 
nen verdunstet notwendig das an der Ober- 
fl£[che, am Bilde, befindliche Wasser und 
hinterlasst zunMchst die entsprechende Menge 
des gel5sten StofFes an dieser OberfiUiche. 
Dann aber zieht sich die im Innern vorhan- 
dene Feuchtigkeit verm5ge der OberflSchen- 
spannung(Kapillaritat) gleichfalls nach der Ober- 
flache, um dort das gleiche Schicksal zu erfah- 
ren. So wird zunachst der gel&st gewesene 
Stofif in die Oberflache transportiert Wieder- 
holt sich der Vorgang, so geht schliesslich alle 
iiberhaupt in Wasser Idsliche Substanz in die 
OberflSche und das Bild vnrd mit ihren Aus- 
scheidungen bedeckt. 



85 



Abhilfe 

In die Mauer kaxrn der 15sliche StofiF auf 
zweierlei Art kommen. Einmal mit dem Ma- 
terial der Mauer, hauptssichlich mit den Stei- 
nen, weniger mit dem M6rtel. Das Mittel 
dagegen ist, nur solches Material zu verwen- 
den, \Krelches auf natiirlichemi oder kiinstlichem 
Wege durch lange Anwendung vielfach ge- 
wechselten m&glichst reinen Wassers seine 
Idslichen Bestandteile vollstMndig verloren hat. 
Ebenso muss man sich hiiten, mit dem ver- 
wendeten Wasser, dem Mdrtel, den Farben 
Idsliche Stoffe in das Bild einzufuhren. 

£in anderer Weg, auf dem ISsliche Stoffe 
in die Mauer gelangen k&nnen, ist die Diffu- 
sion aus der Bodenfeuchtigkeit. Diese enthSlt 
immer gel&ste Stoffe aus dem Material des 
Bodens, und wenn sie sich in die Mauer ver- 
breiten kann und oben die geschilderte Ver- 
dunstung erfahrt, so sind wieder die Voraus- 
setzungen Hir die Entstehung zerst5render 
Ausscheidungen gegeben. Das Mittel dagegen 
ist wohlbekannt: es ist die Anbringung einer 
wasserdichten Isolierschicht zwischen dem 
unteren und dem oberen Teil der Mauer, 
welche das kapillare Ansteigen der Boden- 
feuchtigkeit verhindert. 

Neben diesen Qefahren, welche die Lebens- 
dauer eines Freskobildes bedrohen, ist noch 
die energische chemische Wirkung zu erwSh- 
nen, welche dem als Bindemittel angewende- 



86 



Chemischer Binfluss des Kalkes 

ten Kalk eigen ist. Kalk ist ein stark basi- 
scher Stofif, welcher auf viele, namentlich 
organische Stoffe zerstdrend einwirkt. Insbe- 
sondere wird die Oxydationsfahigkeit organi- 
scher Farbstoffe mittels des Luftsauerstoffs 
durch den Kalk oft gesteigert. Ferner iibt er 
vielfach eine zerlegende Wirkung auf salzartige 
Verbindungen aus : Preussisch-Blau wird durch 
Kalk augenblicklich unter Abscheidung von 
Eisenoxyd und Bildung von Calciumferrocyanat 
entfarbt. So sind fast nur die Ocker- und 
Erdfarben neben Ultramarin und einigen we- 
nigen anderen StofTen fiir diese Technik ver- 
wendbar. 

Die Freskofarben werden nass aufgetragen 
und sollen hernach im trockenen Zustande ihre 
Wirkung liben. Da wegen der geringen LSs- 
lichkeit des Kalkes nur wenig Bindemittel 
zwischen den Kdrnem des Farbstoffes ver- 
bleibt, befindet sich in dem trockenen Bilde 
vorwiegend Luft zwischen diesen, und es wird 
das Maximum an Deckung und zuruckgewor- 
fenem Licht gemSss den friiheren Darlegim- 
gen erreicht. In diesem Zustande ist die 
Farbe aber nicht wahrend des Auftrages; da 
befindet sich Wasser zwischen den Kdmem, 
die Reflexion ist gering und die neben dem 
weissen Aufhellungsmittel (kohlensaurer Kalk 
und Kalk) vorhandenen Farben wirken viel 
dunkler und farbiger als nach dem Trocknen. 

87 



Dflhcr ctilsldit cine grossc Sdi wiei Igkcit, da 
man niclit cnteprecfacpd don aogcnblicklidien 
Aossehen malen dar( sondem die spatere 
'Wirkang des trockenen Bildes voraas- 
nehmen muss. Diese Sc fawi ei igkeil ist mn 
so eiiieblicher, als eine Andemng oder Kor- 
rektur des emmal getrockneten Bildes nahezu 
▼cSllig ausgeschlossen ist. Deim die auf das 
trockene Bild gebrachte Kalkfarbe verbindet 
sich nicht mehr fest genng mit dem Unter- 
gronde, dessen Oberflache beretts ganz in Cal- 
ciumcarbonat fiberg^angen ist. Man ist daher 
auf die Benut2ning anderer Arten der Technik 
fUr nachtragliche Andemngen and Ausfuhmng 
an dem in aller EUe hingestrichenen Bilde an- 
gewiesen, und dass die zeitlichen Veranderun- 
gen in Ton und Farbe an diesen Zusatzen 
andere sein miissen als an den Freskofarben, 
bedarf keiner besonderen Darlegung. Infolge- 
dessen ist eine noch so vorsichtige Ausglei- 
chung der ,,Retuschen" doch eine vergebliche 
Arbeit: binnen kurz oder lang treten sie un- 
weigerlich zu Tage und erfordem neue Retu- 
schen und so fort in infinitum. 

Ich bin somit der Meinung, dass die Ver- 
nachl£(ssigung der Freskotechnik nicht etwa 
das Zeichen eines klSglichen Niederganges der 
heutigen Kunst ist, sondern man hat das 
Fresko aufgegeben aus demselben Grande, 
aus dem man die Postkutsche aufgegeben hat: 



88 



Stiickweises Arbeiten 

well zweckmassigere Verfahren es verdrangt 
haben. Dies bezieht sich sowohl auf die 
kiinstlerische Frage wie auf die der Dauer- 
haftigkeit. 

Was insbesondere die kiinstlerischen Nach- 
teile anlangt, so liegen sie in der Notwendig- 
keit des stiickweisen Arbeitens, in der Be- 
schr^nkung der Palette und endlich in der 
starken Veranderung der aufgetragenen Farben 
beim Auftrocknen. Das stiickweise Arbeiten 
mochte am Platze sein zu einer Zeit, wo die 
Probleme der Lichtftihrung und der Farben- 
stimmung noch gar nicht gestellt waren und 
der Kiinstler sich nach dieser Richtung darauf 
beschranken konnte, schonfarbige Einzelheiten 
nach den Regeln der wohlgefalligen Gesamt- 
wirkung zusammenzustellen. Von einem Hin- 
arbeiten auf grosse und geschlossene Licht- 
wirkungen kann aber bei einer solchen Arbeits- 
weise nicht die Rede sein, und so sehen wir 
denn auch, wie zu der Zeit, wo solche Auf- 
gaben die Kiinstler zu beschaftigen beginnen, 
alles sich vom Fresko ab- und der in dieser 
Beziehung unverhaltnismMssig ausgiebigeren 
dlfarbe zuwendet Das gleiche gilt fur die 
anderen Seiten der Frage, die Beschrankung 
der Palette und das helle Auftrocknen. Man 
braucht nur die Schilderungen von Schick 
liber seine gemeinsamen Erlebnisse mit Bdcklin 
bei Gelegenheit von dessen Freskoarbeiten in 

89 



Unberechenbarkeit 

Basel*) nachzulesen, um zu erfahren, was es 
mit der Freskotechnik auf sich hat. ^^Das Auf- 
trocknen des ersten Bildes ist ganz unberechen- 
bar vor sich gegangen. Die Luft, die Cypressen 
und anderen Bsiume kamen so, wie B(5cklin 
sie erwartet hatte. Die Schattenseite des 
Hauses aber viel zu hell, weil er in den Schat- 
ten viel mit Kalk gemischte T5ne gebraucht 
hatte. Die Wiese ist viel zu hell und weiss- 
lich geworden, weil Bdcklin zu sehr auf den 
dunkelgrauen Grundton des Bildes gerechnet 
hatte, der nun viel weisslicher aufgetrocknet 
ist, als er geglaubt. So stehen jetzt die vorher 
hellgelb-griinen Flecke, wo der niedrige Rasen 
zwischen den hdheren Pflanzen sichtbar war, 
als dunkelgriine Flecke auf einem weisslich- 
grauen Grund usw. . . . Auf dem vorderen 
Grase sind auch viele Veranderungen vor sich 
gegangen. Die auf den griinen Mittelton des 
Grases aufgesetzten hellgninen Striche sind 
jetzt gar nicht mehr zu sehen und bilden mit 
dem Mittelton eine unmodellierte FarbenflMche. 
Die tiefgrauen Mitteltdne (zu denen der Grund* 
ton beniitzt wurde) sind ganz blass aufgetrocknet 
und die darauf gemalten hellgninen Halme 
sind dunkler als der Grund; die blauen Blu- 
men (Smalte und Morellensalz) dunkler als 



*] R. Schick: Tagebuch-Aufxeichnungen Uber 
A. Bdcklin. 2. Aufl. S. x6o. Berlin, P. Pontane 1902, 



90 



Beschranktheit 

Chromgriin, ebenso die hellgelben Blumen 
(Goldocker) fast eben so dunkel als das griine 
Gras." 

Sie werden vielleicht einwenden, dass dies 
nur von den ungeniigenden Erfahrungen B(5ck- 
lins in der Freskotechnik herriihrt und dass 
ein Kiinstler, der viel darin gemalt hat, der- 
artige Versehen nicht mehr machen wird. 
Dies ist richtig, aber ebenso richtig ist, dass 
auch der erfahrene Kiinstler seine beabsich- 
tigten Wirkungen nur ungefShr vorausberech- 
nen kann und daher in seinem Schlussergebnis 
vom Zufall abhSngig bleibt. £r wird sich da- 
her notwendig auf einen bestimmten Umfang 
von Ausdrucksmitteln beschrSnken miissen und 
wird diesen Kreis auch kaum erweitern k&n- 
nen, denn neue Versuche verbieten sich durch 
die Unmdglichkeit der nachtrsiglichen Ande- 
rung. Ich fasse daher mein Urteil liber die 
Freskotechnik kurz dahin zusammen, dass sie 
in keiner Weise Pflege oder Erneuerung ver- 
dient, sondern wegen ihrer weitgehenden Un- 
vallkommenheiten aufzugeben ist. 

X. 

Lfieber Freund! 

Auf Ihre Bemiihungen, der Freskotechnik 
ihr traditionelles Ansehen zu wahren, wcCre 
vielerlei zu erwidem, doch werden wir dies 



91 



wobl bcsscr anf iiiwcic tiadigte Zusbsbemu 
konft ▼erachiebcn, ^to Rede and G^eorede 
sdmeUer anfemander fblg^en. Deim mn etne 
finchtbare Verfaandlmig za fuhren, mossen ^^ir 
mis zuerst fiber irgendwelche gemetnsame 
AnagangBptmkte Idar gen^orden sein, von denen 
ana ^mr die li^eitere Verstandigung SQChen 
kdimen. Nur anf eine Direr Bemerkongeii 
laasen Sie mich eingehen; Sie sagen, keine 
andere Technik bStte einen so grossen Stil 
wie das Fresko, mid daher sei es das geeig- 
netste Verfiahreii fur montunentale M aler^ 

'Wir hatten abnliche Fragen bei einem 
firiiheren Anlass beriihrt und ich hatte Ihnen 
bereits damals nicht verhehlt, dass- ich mir 
bei diesen 'Worten nichts Bestimintes denken 
konnte, \Krorauf Sie wieder replizierten, jeder 
Maler wisse, ivas damit gemeint seL Ich muss 
also versuchen, den jedenfalls vorhandenen 
Sinn des Wortes selbst herauszubekommen. 
Am besten denke ich Ihre Meinung zu trefFen, 
wenn ich den Ton auf die Tatsache lege, dass 
die Ausiibung der Technik nicht jede beliebige 
Ausdrucksweise ermoglicht, sondem nur be- 
grenzte Arten; so wird man zweifellos Sonnen- 
untergKnge und ahnliche farben- und licht- 
reiche Naturerscheinungen nicht in Fresko 
darstellen woUen. Sind durch die Aufgabe 
selbst derartige Probleme gegeben, so wird 
man sich bei ihrer Ausfiihrung auf Andeutungen 



92 



Freiwillige Beschr^kung 

beschrSnken und eine „naturalistische'' Aus- 
ftihrung vermeiden, well sie unzulanglich blei- 
ben miisste. Hierdurch behalt das Produkt 
etwas Abstraktes, denn da es sich nicht um 
eine grosse Annaherung an die Naturerschei- 
nung handeln kann, so muss der Kiinstler 
seine Wirkung in der Zeichnung und in dem 
gedanklichen Inhalt des Dargestellten suchen. 
Ich hofife, mit dieser Schilderung das Wesent- 
liche getrofFen zu haben, wenn Sie auch ver- 
mutlich ein wenig den gehobenen Ton ver- 
misst haben, in welchem sonst derartige Fragen 
abgehandelt zu werden pflegen. Nun werden 
Sie mir aber auch zugeben, dass man sich 
ahnliche Beschrsinkimgen in jeder anderen 
Technik auferlegen kann, indem man die 
Palette, d. h. die Zahl und den Umfang 
der anzuwendenden Farben, entspre- 
chend einschrankt. Man kann also in jeder 
anderen Technik in ahnlichem Stil malen, wie 
er durch die Natur des Fresko gegeben ist: 
nur kann man in den anderen Techniken 
ausserdem Aufgaben bewaltigen, denen gegen- 
liber Fresko versagt. Es liegt bei diesem also 
nur eine BeschrSnkung vor, die dem Kiinstler 
zwangsweise auferlegt wird, wsChrend er sie 
sich ndtigenfalls freiwillig auferlegen kdnnte. 
In einer solchen Eigenschaft kann ich keinen 
Vorzug, sondern nur einen Nachteil sehen. 
Damit wollen wir das Fresko vorlKufig bei- 



93 



Alte Geheimmittel 

seite lassen und nns den noch iibrigen Arten 
der malerischen Technik zuw^enden. £s sind 
hauptsachlich zwei, die Olfarbe und die Tem- 
pera. 

Zur Einhaltung einer strengen Systematik 
^^Mre es hier notig, zunachst die Tempera 
vorzunehmen, ^^eil das, ^^as man jetzt darunter 
versteht, auch auf die Anwendung des Wassers 
zur Verdiinnung der Farbe herauskonunt, also 
auch eine Aquarelltechnik im ^^eiteren Sinne 
ist. Dies empfiehlt sich aber des^^egen nicht, 
weil es gegenwartig einen ganz bestimmten 
Begriff der Tempera nicht gibt. Vielmehr 
stehen wir hier auf dem Boden einer Alchemie, 
einer geheimen Rezeptenkunst, an welcher 
die Fortschritte der heutigen Wissenschaft an- 
scheinend ganz einflusslos voniber gegangen 
sind. Aus den alten Malbiichem ^verden halb- 
verstandene An^veisithgen heriibergenommen, 
nach eigenem Gutdiinken verbessert und dann 
von dem gliicklichen Erfinder als grosse Ge- 
heimnisse auf das angstlichste gehiitet. Von 
Zeit zu Zeit tritt ein derartiges neues Mal- 
verfahren mit grossem Gerausch an die Offent- 
lichkeit; Erfinder und Fabrikanten nihmen ihm 
eine unerreichte Leuchtkraft und ein unver- 
gleichliches Feuer der Farbe nach, ver- 
schweigen aber sorgfaltig, woraus das Binde- 
mittel der neuen Farben besteht. Man kann 
es nicht oft genug wiederholen, dass die An- 



94 



Neue Geheimmittel 

wendung derartiger Farben fur den Maler un- 
gefahr dasselbe bedeutet, wie eine Kapitalan- 
lage in siidamerikanischen Staatspapieren fur 
einen Familienvater. £s kann ja sein, dass die 
Sache etwas taugt, aber die Wahrscheinlich- 
keit spricht nicht dafiir, und ehe man ihm ge- 
nau sagt, was man ihm in die Hand gibt, 
sollte kein Maler, der es mit seiner Kunst 
emst nimmt und der seinem KsCufer oder Auf- 
traggeber gegeniiber etwas wie Verantwort- 
lichkeit empfindet, solche Sachen anwenden. 
Die Beispiele, ^vo durch die An^vendung von 
derartigen Geheimmitteln hochbezahlte Kunst- 
^verke bereits nach ^venigen Jahrzehnten, ja 
Jahren so weitgehende chemische und mecha- 
nische Veranderungen erlitten haben, dass ihr 
Wert auf einen geringen Bruchteil herabge- 
gangen ist, sind leider so zahlreich, dass man 
sie nicht einmal anzuftihren braucht. Gewdhn- 
lich wird hiergegen von den Betroffenen wieder 
ein neues Geheimmittel angewendet und durch 
Quacksalberei das t)bel schliesslich nur noch 
Srger gemacht. Auch versaumt man dann 
meistens nicht, darauf hinzuweisen, dass die 
alten Rezepte der grossen vlsimischen und 
niederdeutschen Kunstler, deren Bilder nach 
bald einem halben Jahrtausend noch glsCnzend 
und farbenfrisch erscheinen, durch Verl5schen 
der Tradition verschwunden seien, und dass 
daher heute keine Hoffnung bestehe, das gleiche 



95 



Qegen die Alchemie 

zu erreichen. Demgegeniiber muss auf das 
sch&iste betont werden, dass auf Grund un- 
serer heutigen wissenschaftlichen Kenntnisse 
eine mindestens ebenso sichere Beherrschung 
des Materials m&glich ist, und dass man Bilder 
herstellen kami, die mit wissenschaftlicher 
Wahrscheinlichkeit eine gleiche Dauer gewahr- 
leisten. Aber derartige Resultate erzielt man 
nicht nach der Methode des Alchemisten, der 
„nach unendlichen Rezepten das Widrige zu- 
sammengoss'S sondern durch klare Frage- 
stellung, auf welche die Wissenschaft immer 
noch auch klare Antwort zu geben gewusst 
hat, wenn auch nicht inimer von heute auf 
morgen. 

So ; damit habe ich meinem Herzen zunachst 
Luft gemacht. £s tut mir in der Seele weh, 
wenn ich z. B. in den Aufzeichnungen liber 
B5cklin mich iiberzeugen muss, welche unend- 
liche Zeit dieser grosse Mann mit unniitzen 
und richtungslosen Versuchen verdorben hat, 
die ihm ein nicht eben grosser Betrag von che- 
mischer und physikalischer Kenntnis erspart 
hMtte. Natiirlich kann auch der kenntnis- 
reichste Naturforscher nicht alles vorauswissen. 
Aber ein solcher versteht zu experimen- 
tieren; dies ist eine ebenso schwere Kunst 
wie das Malen. Denn es kommt nicht nur 
darauf an, etwa alte Rezepte nachzumischen 
und zu probieren, ob sie etwas taugen, sondern 

96 



Kunfkige Entwicklung der Technik 

man muss sich von der Wirkungsweise jedes 
Stoffes, der erfahrungsmassig brauchbare Re- 
sultate gibt, ein klares Bild machen, und dann 
die AnsMtze so variieren und durcharbeiten, 
dass der angestrebte Zweck am voUstSndigsten 
erreicht wird. Hierbei handelt es sich meist 
um ein Kompromiss zwischen verschiedenen, 
sich teilweise widersprechenden Forderungen; 
in unserem Falle sind es vorwiegend die bei- 
den Fragen der optischen Ausgiebigkeit 
und der Dauerhaftigkeit. Die eine Forde- 
rung zu be£riedigen, ohne gegen die andere zu 
verstossen, ist eine Aufgabe, die nur durch 
systematische, nach den Regeln der Wissen- 
schaft streng durchgefUhrte Arbeit gel5st wer- 
den kann. Die Technik der Malerei muss hier 
eine Entwicklung durchmachen, wie sie die 
Medizin durchgemacht hat, denn sie steckt 
ihrerseits noch ganz und gar in der Epoche 
der Geheimmittel und des absurdesten Aber- 
glaubens. Diese Entwicklung zu beschleunigen, 
ist eine Aufgabe, fur die sich wohl ein Mann 
erwMrmen mag. 

Bekanntlich werden heutzutage fast alle 
Bilder mittels Olfarben hergestellt. Olfarben 
im heutigen Sinne sind allgemein erst seit der 
sogenannten grossen Zeit der italienischen 
Malereiy die durch die Namen Lionardo, Raf- 
fael und Tizian gekennzeichnet ist, zur An- 
wendung gekommen. Was die Technik der als 

Ottwald, Malerbriefe. y 

97 



Vorzaglich der Oltechnik 

Erfinder der Olmalerei geltenden Vlamen, der 
Brtider van Eyk, gewesen ist, weiss man heute 
noch nicht mit Sicherheit; dass es nicht die 
heutige Olmalerei gewesen ist, ergibt sich aus 
dem sehr bedeutenden Unterschiede ihrer Er- 
haltung gegeniiber der der unzweifelhaften 
dlbilder aus etwas spsCterer Zeit. Die An- 
nahme von Ernst Berger, dass die vlMmische 
Technik Oltempera gewesen sei, hat manches 
fiir sich, kann aber hier nicht eingehend er5r- 
tert werden. Jedenfalls stehen wir vor der 
Erscheinung, dass die reine Oltechnik gegeniiber 
jenen ausgezeichneten Kunstwerken sehr 
schnell Boden gewonnen und die anderen Ver- 
fahren fast vollkommen verdrangt hat. 

Die Ursache hierfur liegt in zwei Umstan- 
den. Einmal gestattet die dltechnik, die bei- 
den Prinzipien des Farbauftrages, die Deckung 
und die Lasur, neben- und tibereinander gleich- 
zeitig anzuwenden, und gewahrt somit dem 
Ktinstler einen grosseren Umfang von Aus- 
drucksmitteln als eine der vorbesprochenen 
Methoden. Ferner hat die Olfarbe wsCh- 
rend des Malens jederzeit das gleiche 
Aussehen, welches sie auch nach dem 
Festwerden beh£(lt; der Ktinstler kann also 
seine Wirkungen so genau abstimmen, wie er 
willy und ist keinen unvorhergesehenen Wand- 
limgen seines Werkes ausgesetzt. Allerdings 
ist dieser letzte Vorteil ein triigerischer, denn 



98 



Trocknende die 

wenn sich die Olfarbe auch nicht in Wochen 
und Monaten im Tone verandert, so tut sie 
dies doch sicher in Jahrzehnten und Jahrhun- 
derten. Der wohlbekannte warmbraune Ton 
der alt en dlbilder ist ein Zeugnis daftir; er 
beruht nicht aufurspninglicherFarbbeschaffen- 
heit, sondern auf der Anderung, welche das 
als Bindemittel beniitzte Ol im Laufe der Zeit 
erlitten hat. 

Doch hierauf wollen wir erst spater ein 
wenig nSher eingehen; zunachst betrachten wir 
die chemischen und optischen Eigenschaften 
der dlfarbe. 

Das Bindemittel dieser Farben ist Lein-, 
Nuss- Oder Mohn51, kurz ein „trocknendes" 
dl. Unter einem solchen versteht man ein 
Ol, das an der Luft in eine harzartige^ feste 
Masse iibergeht. Dass dies alle Ole nicht tim, 
kann jeder am Oliven- oder Speisedl sehen, 
das durch langes Stehen an der Luft zwar 
ranzig, d. h. iibelschmeckend wird, aber nicht 
fest. Was beim Festwerden stattfindet, ist im 
wesentlichen ein Oxydationsvorgang, d. h. 
das Ol nimmt aus der Luft einen von deren 
Bestandteilen, den Sauerstoff, auf und ver- 
bindet sich mit diesem zu jener festen Masse. 
Daher trocknen die Olfarben nur auf dem Bilde 
Oder auf der Palette, nicht aber in der Tube, 
denn in dieser sind sie gegen den Zutritt des 
Luftsauerstoffs geschiitzt. 

7* 

99 



Bei dieser Umwandlang geht das 6l in 
eine naheza gleiche Menge des harzartigen 
Produktes fiber. Das ist zwar nicht ganz ge- 
nau, denn das Volmn des Produktes ist, na- 
mentlich nach langer Ozydation, ein ^^enig 
kleiner als das des dls; dies komxnt aber erst 
spSter in Prage. Hierdnrch ist nun der opti- 
sche Charakter der OliiEurbe g^eben. AVahrend 
bei den verschiedenen Arten der AVasserfarbe 
der Hauptbestandteil des Bindemittels, das 
AVasser, ohne Rest verdunstet, und deshalb 
die Parbe als eine wesentlich aus dem Parb- 
stoff bestehende, einigermassen porSse Masse 
hinterlKsst, so bleibt das 6l seinem Raume 
nach erhalten, und die festgewordene Parbe 
ist nicht por5s, sondem besteht aus dem durch- 
sichtigen Harz des festgewordenen Ols, in 
welches die Parbstoffk5rperchen eingelagert 
sind. 

Optisch ergibt sich hieraus das Polgende. 
Haben die Parbstofifkdmchen eine grosse 
Lichtbrechung, so wird die Gesamtmasse 
deckende Eigenschaften haben, da die Licht- 
brechung des Ols, obwohl grosser als die des 
Wassers, doch hinter jener der Parbstoffe zu- 
riicksteht. £s hat namlich Wasser 1.33, Ql 1.48, 
Bleiweiss aber 2.00. Immerhin wird es hier 
doch unter sonst gleichen UmstiCnden eines 
bedeutend dickeren Parbauftrages bediirfen, um 
mit etwaa weniger brechenden Parbstoffen die 



100 



Lasur 

gleiche Deckung zu erzielen, wie sie etwa bei 
Guasche erreicht wird, und so bietet sich fUr 
die dlmalerei der starke y,pastose'' Auftrag in 
vielen Fallen mit einer gewissen Notwendig- 
keit an. Doch muss betont werden, dass diese 
Notwendigkeit ein Cbel ist und dass ein Ol- 
bild um so sicherer im Laufe der Zeit zu 
Grunde geht, je pastoser es gemalt ist. Ich 
will nicht leugnen, dass mir diese Voraus- 
sicht manchmal bei der Besichtigung von Aus- 
stellungen einen gewissen Trost gewShrt. 

Hat der mit Ol angeriebene Farbstoff da- 
gcgeh keine grosse Lichtbrechung, so treten 
die in meinem vierten Briefe beschriebenen 
Erscheinungen ein. Das Licht findet wenig 
Hindemisse bei seinem Durchgange durch das 
Gemenge und dieses hat im wesentlichen 
die optischen Eigenschaften eines farbigen 
Glases. Damit eine derartige Farbe ihre 
Wirkungen tut, muss sie auf einen Untergrund 
getragen werden, der seinerseits das Licht 
zuriickwirft, ganz wie das beim Aquarell im 
engeren Sinne der Fall ist. Derartige Farben 
nennt man Lasurfarben. Man kann sie in 
Deckfarben verwandeln, wenn man sie mit 
deckendem Weiss mischt. Da aber hierbei 
ein Teil des Weiss als triibe Schicht vor dem 
dunklen Farbstoff sich betStigt, so werden alle 
derartigen Farben durch Mischung mit Weiss 
(S. 78) nach der blauen Seite umgestinmit. 



lOI 



Dies ist namcntlich beiin Rot aoffidlend: 
Krapp als Lasor wiiH nnvergleichlich war- 
mer, als mit AVeiss gemischt; wo er ins Vio- 
lett zieht. 

Dorch diese Embettong der Parbkdrper in 
ein Mittel von verhaltnismassig hoher Brechung 
ist mm in erster Linie eine bedeutende Ver- 
mindemng des weissen oder grauen Ober- 
flSchenlichtes erreichbar, ond es gelingt daher, 
die AVirkung des Bildes in beliebigem Masse 
durch fiEtfbreiches Tiefenlicht zu bestinunen. 
Hierauf beroht insbesondere die ungemein far- 
bige AVirkung jener altvUimiscfaen Bilder, die, 
wie sie auch gemalt sein mSgen, beziiglich 
ihrer optischen Eigenschaften den Olbildem 
zugerechnet werden miissen. In der heutigen 
Technik werden diese Wirkungen allerdings 
meist verschmlQit; teils mogen sie den Kunst- 
lem nicht geniigend bekannt sein, teils erfor- 
dert ihre Anwendung ein umstlindlicheres Ver- 
fahren als das flotte Heruntennalen mit fertig 
gemischten T5nen. 

Ein zweiter Erfolg der Einbettung ist die 
mechanische Widerstandsf£[higkeit der 
Farbschicht. dlbilder k(5nnen ohne schiitzendes 
Glas aufgehangt werden und man kann sie 
von angesetztem Staub und Schmutz durch 
Abwaschen reinigen. Dieser Vorzug ist in- 
dessen nicht ganz zweifellos; war er wichtig 
zu einer Zeit, wo die Herstellung hinreichend 



102 



Mechanische Eigenschaften 

grosser und ebener Glasplatten nicht ausfiihr- 
bar war, so fdUt er heute nicht ins Gewicht, 
wo auch fiir sehr grosse Gemalde Spiegelglas- 
scheiben zu Preisen erh^Qtlich sind, die weit 
unter denen der Kunstwerke selbst liegen. 
Ohne Glasschutz aber ist das dlbild sowohl 
den schnellwirkenden Unbilden der NachlSssig- 
keit Oder des Vandalismus wie den langsam 
wirkenden der Luftverunreinigungen, insbeson- 
dere dem Russ und der schwefligen Ssiure der 
modemen Ststdte ausgesetzt. DemgemsSss schrei- 
ten die Museumsverwaltungen immer mehr 
und mehr dazu, auch die Olbilder hinter Glas 
zu setzen (wogegen vom Standpunkte der kiinst- 
lerischen Wirkung gar nichts zu sagen ist), 
und damit wird jener mechanische Vorzug der 
dlbilder einigermassen zwecklos. 

Denn diesen Vorzugen gegeniiber stehen 
sehr erhebliche Nachteile. Da das Bindemittel 
einen entscheidenden Anteil an der optischen 
Wirkung des GemsQdes hat, so wird jede An- 
denmg des ersten auch die letztere Sndem. 
Nun ist das harzartige Oxydationsprodukt der 
trocknenden die durchaus kein unverMnder- 
licher Stoff; der Oxydationsvorgang bleibt 
nicht stehen, sondem schreitet langsam fort, 
wobei das Harz braun wird und an Volum 
mehr und mehr verliert. Demgemsiss ist ein 
jedes dlbild in fortW£(hrender Veranderung be- 
griffen. Diese Verstnderung hat eine verschie- 



103 




Sie bddagen sidi, dav idi Dmen nlhngh- 
httt dlle llalvcrlalirc& durdi fiHgne 



1 1 « I r w 1 1 ^ 



das0 Sic sicli nrhKnwtlicfa gar nidit gctraucii 
wfirden, irgend em Kid dcm KSofer za ober- 
geben. Das ist eine Empfindong, die der an- 
Cmgende Physiker aocfa za haben pfl^;t, wenn 
er anf die zahllosen PdilennSgliclikeiten bei 
aeinen Messongen aufineiisam gemacht wird 
und nun verzweif elnd ansmfty dass es ja liber- 
haupt keine genauen Messnngen gebe. Das ist 
ganz richtig; absolut genau ist keine Messung 
und absolut dauerhaft kein Bild. Aber die 
Genauigkeit kann wie die Dauerhaftigkeit ver- 
schiedene Grade haben, und eine rationelle 
Kenntnis der Bedingungen fflhrt eben dazu, 
das unter den vorhandenen Umstsinden dauer- 
hafteste Kunstwerk herzustellen. 



104 



Dauerhafte filbilder 

So will ich alsbald betonen, dass man auch 
mit dlfarben recht dauerhafte Bilder machen 
kamiy wenn man nur die Bedingungen einhSlt, 
die fur deren Erhaltung die giinstigsten sind. 
Diese Bedingungen sind von zweierlei Natur: 
einmal muss man dem Bilde die gr&sste Un- 
verSnderlichkeit oder vielmehr die geringste 
Veranderlichkeit zu sichem suchen, zwei- 
tens muss man das Bild darauf einrichten, 
dass die unvermeidlichen Veranderungen ohne 
das Kunstwerk zu gefiChrden nickgSngig ge- 
macht werden kSnnen. 

Es handelt sich hierbei nur um die Ver- 
ICnderungen am Bindemittel, denn ich mache 
hier wie immer die Voraussetzung, dass der 
Maler nur dauerhafte Farbstoffe verwendet 
hat. Seiche gibt es in hinreichender Mannig- 
faltigkeitund Sch5nheit(S.36); ich werde hierauf 
nicht wieder eingehen, zumal bei der dlfarbe 
durch die Einbettung der FarbstoffkSmchen in 
die harzige Masse ein besonders wirksamer 
Schutz gegen die Einwirkungen der Luft und 
ihrer Verunreinigungen gegeben ist, so dass 
auch ein weniger bestandiger Farbstoff in Ql 
an Bestandigkeit erheblich gewinnt 

Nun wissen Sie bereits, dass das Fest- 
werden der dlfarbe auf einer Sauerstoffauf- 
nahme beruht. Die spKteren ungiinstigen Ver- 
toderungen des Bildes beruhen auf der glei- 
chen Ursache. Daraus ergibt sich, dass am 



105 



Sdiuts dcr Rfickaeilc 

fertigen Bilde derZutritt der Ltuft mSglichst 
beschiiinkt werden soUte. IVie erfaeblich dieser 
Umstand ist, Hisst sich daran erkennen, dass 
solche Bildstellen auf LfCinwand, die auf der 
Hinterseite durch den Holzrahmen g^en den 
unmittelbaren L>uftzutritt geschiitzt sind, regel- 
mSssig eine bedeutend bessere Erhaltung auf- 
weisen als die freien Stellen. Auch sind die 
ausgezeichnet erhaltenen altvUimischen Bilder 
auf Holz gemalt, wodurch der Luftzutritt zur 
Riickseite der Parben sebr erheblich ge- 
hemmt ist. 

Von diesem Gesichtspunkte aus wird man 
in der iiblichen Anwendung der Leinwand fiir 
OlgemiQde einen Fehler erblicken miissen, der 
die Lebensdauer der Kunstwerke etwa auf die 
HSlfte herabsetzt. Abhilfe ist indessen auf der 
eben gegebenen Grundlage leicht zu schaffen- 
Handelt es sich um Sltere auf Leinwand ge- 
malte Bilder, so wird es sich zunachst darum 
handeln, die Hinterseite gegen die Luft un- 
durchlSssig zu machen. Dies geschieht am 
einfachsten und besten dadurch, dass man 
Zinnfolie (Stanniol) mittels einer alkoholischen 
Schellackldsung aufklebt. Dieser Oberzug ISsst 
sich leicht wieder entfemen, wenn dies aus 
irgendwelchen Griinden erforderlich wird, und 
kann dem Bilde auf keine Weise schaden, na- 
mentlich wenn man auch die Aussenseite der 
Zinnfolie durch einen Fimisuberziig schiitzt. 



io6 



Schutz der Vorderseite 

Durch diese Massnahme ist auch die Aufhahme 
von Feuchtigkeit durch die Leinwand, die eine 
der Ursachen des Reissens ist, auf Null ge- 
bracht. 

Das gleiche Verfahren lasst sich auf neue 
Bilder anwenden. Nur wird es aus Gninden, 
die wir gleich erlirtem woUen, rsCtlich sein, 
den Stannioltiberzug erst anzubringen, nach- 
dem das Bild mindestens ein Jahr alt gewor- 
den ist. 

Auf diese Weise ist zunachst der Sauer- 
stoff auf der Hinterseite abgehalten. Auf der 
Vorderseite pflegt der Maler einen Fimis an- 
zubringen, der neben anderen Funktionen auch 
diese ausiibt. GemMss dem, was im vorigen 
Briefe bemerkt worden ist, wird eine Einrah- 
mung unter Glas noch bedeutend wirksamere 
Dienste leisten. Es ist nicht schwer, die Ver- 
glasung so sorgflQtig herzustellen, dass nur 
ein Minimum von Luft eindringen kann, und 
damit sind die Bedingungen geschaffen, die 
eine vielfach gr&ssere Lebensdauer des Bildes 
gewahrleisten. Allerdings und dies auszu- 
sprechen gebietet die wissenschaftliche Vor- 
sicht — liegen noch keine l&igeren Erfahrungen 
iiber etwaige andere Einwirkungen*) einer der- 



*) Die gelegentlich ausgesprochene BefOrchtung, 
dass eingeschlossene Feuchtigkeit schaden kdnne, lilsst 
sich dadurch beseitigcD, dass man eben keine Feuchtig- 
keit einschliesst. 



107 



, nnd 




iclMfHidi stn. lie sic u lic|{^findfff^ imd dsher 



Das dicn Gcsagte brrirhf mdtk anf BtAchc 
Bgmschaften der dfiubc, die unUciiiibar mit 
ihr verbonden stnd. Neben den daher rahren- 
den Nacfateflen liat aber dtrHc Tedmik nodi 
andere, ^relcfae von nngeeigneter Auwendnng 
herrfibren. Diese enlsiehen bauptsScblidi dnrcfa 
das Ubereinandernialen nnd den dicken Parb- 
anftrag nnd zeigen sicfa daiin, dass die Parb- 
scbicbt ibren ^«gfltiitii#«iiatig verliert nnd in 
Schuppen oder SchoUen anseinandergeht. 

Die Ursachen bierzn sind mehrfoch. All- 
gemein wird man sagen, dass eine derartige 
Trennung der Parbscbicbt dann eintreten wird, 
wenn Bildgmnd nnd Parbscbicbt ibre FllCcben- 
grtfsse in verscbiedenem Masse Sndem. Und 
zwar werden solcbe Erscbeinungen um so 
eber eintreten, je weniger nacbgiebig beide 
sind. 

Denken wir uns zunlichst die Leinwand 
nur mittels einer TrsCnkung mit Leim g^en 
das Aufsaugen des dls gescbiitzt und auf 
diesen Orund mit so diinner Farbe gemalt. 



io8 



Dunner Parbaultrag 

dass die einzelnen Teile der Schicht an den 
Faden der Leinwand befestigt sind iind nicht 
miteinander eine zusammenhMngende Platte 
bilden. Dann ist eine M&glichkeit zur Schollen- 
bildung nicht vorhanden, denn wenn auch die 
Leinwand etwa durch Feuchtwerden ihre Di- 
mensionen Mndem soUte (sie dehnt sich hier- 
bei nicht wie Papier aus, sondem zieht sich 
im Gegenteil zusammen, um sich beim Trock- 
nen wieder auszudehnen), so folgt eben jedes 
Stiickchen Farbe dem Faden, an dem es fest- 
getrocknet ist. £s ist ganz wohl ni5glich so 
zu malen, namentlich wenn man sich von dem 
traditionellen Vorurteil gegen gebleichte Lrcin- 
wand frei macht und demgemMss einen weissen 
Grund verwendet. Ein solches Bild wird nur 
in minimalster Weise vom Dunkelwerden des 
Ols betroffen werden, da dieses nur einen 
kleinen Teil des Farbauftrages bildet und auch 
in mechanischer Beziehung gewahrt es eine 
grosse Sicherheit fiir unvertoderte Dauer. 
Sollte schliesslich zuviel von dem wenigen 
61 durch Oxydation verschwunden sein, so 
kann man dieses leicht ersetzen und das Bild 
fiir eine neue Reihe von Jahrzehnten frisch 
machen. 

Alle diese Verhffltnisse ICndem sich wesent- 
lichy wenn man die Farbe in starken Schichten 
auftragt. In solchen F^len bildet sich das 
feste Produkt aus dem Ql zunMchst nur an der 



109 




wird gcwShalicli zocrst mit mducicn Sducfa- 
ten eilier ans Lenn ond Krcide oder Ton ge- 
miscliten Farfoe tiberzogen, anf ^velche dann 
oft nodi cine odcr einige Scliicfaten OlBsffbe 
kommen. Je dicker dieser lialgnind aii%e- 
bracht wird, and je verscliiedener die liber- 
einander li^enden Scfaiditen sind, nm so mehr 
Ge&hr besteht fur etne verschiedenartige An- 
demng der Ansdehnnng, and somit for das 
Entstehen von Rissen. 

Iftir scheinty dass die allgemetne Anwendong 
der Leinwand ftir OlbiLder eines der vielen 
Vorurteile ist, unter denen die Kunst noch 
heute leidet. Zu einer Zeit, ^}7o man grosse 
Bogen Papier oder Pappe nur durch Anein- 
anderkleben kleiner herzustellen wusste, waren 
die grossen FUCchen der Lieinwand willkommen. 
GegenwMrtig kann man Papier imd Pappe fast 
in alien beliebigen Dimensionen erhalten, und 



zzo 



Neue Malgrunde 

da man jedes derartige Produkt durch einen 
t)berzug von Lreim oder Casein von passender 
StSrke in einen Malgrund verwandeln kann, 
der nach Belieben in jedem gewtinschen Masse 
,,schluckt'^ oder nicht, so liegt wirklich kein 
Grund vor, statt der Leinwand mit ihrem iin- 
bequemen Keilrahmen nicht lieber Pappe zu 
nehmen. Insbesondere kann man jede Pappe 
durch Aufkleben eines geeigneten Papiers mit 
jedem gewiinschten Korn versehen, und er- 
langt so Malgriinde, die alien Anforderungen 
entsprechen. Ja sogar Leinwand wurde besser 
auf Pappe geleimt, statt auf den Keilrahmen 
gezogen, denn im ersten Falle verliert sie als- 
bald die b&se Eigenschaft, mit der Feuchtig- 
keit ihre Flachengrosse stark zu andem. Ver- 
folgt man diesen Gredankengang weiter, so 
gelangt man schliesslich auf den Plan, als 
Unterlage zum Malen Me tall in Blechform 
zu nehmen. Im Aluminium hat man ein 
ideales Material dazu, das durch sein geringes 
Gewicht auch bei sehr grossen Abmessungen 
handlich bleibt und dessen chemische Eigen- 
schaften eine schadliche Wirkung auf das 
Bild ausschliessen. Ob man unmittelbar auf 
das mattgeatzte Metall malt oder besser zu- 
erst einen t)berzug von Papier oder Leinwand 
gibt, wird von den Umstanden abhSngen. 
Jedenfalls erm5glicht die Beniitzung der Me- 
tallflache als Untergrund gewisse technische 



ziz 




Parb- ond f ^ i^^ ^n imt^i^gi aof das 
fmtmtc ah zusU mmcn. Nun wordc man aber 
daasdbe ermtben^ wenn man die mechani- 
sche ^^^rknq^ des Ola ala Bindemittel von 
seiner optischen als dnrclisiclitige ond staik 
lididirecliende Um^^ebong der FarbkSmcfaen 
trennte and beide Funktionen ▼erschicdencn 
Stoffen 2itwiese. Eine Uisapg dieser Anftabe 
bestiinde z. B. darin, dass man aof stark anf- 
sangendem Gnmde arbettet; dann geht der 
grtfssere Teil des dls in diesen Grand mid es 
bletbt zwischen Farbsto£Ekdrncfaen nm- 
zuriickf als zu deren mechanischer 
erforderlich ist. Die optische Folge davon ist, 
dass die Farben infolge des Eintretens von 
Lttft zwischen die K5mchen ^.einscblagen'S 
d« h. viel mehr Liicht von der Oberflache zu- 
rttckwerfen und das Bild sowohl an Tiefe wie 



XX2 



Wirkung der Pimisse 

an Farbigkeit verliert. Dadurch, dass man die 
Zwischenraume wieder mit einem stark bre- 
chenden Mittel ausfiillt, wird indessen die 
friihere Erscheinung hergestellt oder das Bild 
,,herausgeholt^. Diese zweite Funktion aber 
konnte einem anderen Stoffe Hbertragen wer- 
den, der nicht wie das 6l die Eigenschaft des 
Braimwerdens oder Nachdunkelns hat. Solche 
Stoffe sind die zu Fimissen verwendeten Harze 
wie Mastix, Dammar, Sandarak usw., und man 
bedient sich dieser Stoffe, wie bekannt, bereits 
vielfach fur diesen Zweck. Allerdings sind 
auch sie dem Einflusse der Zeit unterworfen; 
sie werden aber nicht braun, sondern sie ver- 
lieren ihrenZusammenhang und werden „blind'% 
d. h. undurchsichtig. Wie dieser Fehler zu 
bessem ist, hat indessen seinerzeit der unver- 
gessliche Pettenkofer gezeigt, der Mann, dem 
wir die erste erfolgreiche physikochemische 
Behandlung dieser Probleme verdanken. Ein 
Mirzeres oder l^ngeres V^rweilen im Dampfe 
von Alkohol (oder einem anderen geeigneten 
fldchtigen Ldsungsmittel der Harze) gibt dem 
blind gewordenen Cberzug ohne jede Be- 
riihrung des Bildes seine Durchsichtigkeit 
ivieder. 

Damit indessen ein solches Verfahren vollen 
Erfolg hat, muss der Fimis nicht friiher auf- 
getragen werden, als nachdem das Ol aus- 
reichend ,,getrocknet'% d. h. in die feste Form 

Ostwald, Malerbriefe. » 



FISclitige Mafanittd 

tibergegangen ist, Iftan muss also das Bild 
nass fertig malen, dann Utngere Zeit (einige 
Monate) trocknen lasscn, and dann mdlich den 
Fimis dariiber ziehen. Gibt man dann (etwa 
auf der Rlickseite des Bildes) genau an, womit 
das Bild gemalt und gefimisst ^p^orden ist^ so 
ist ftir alle Zukunft die Moglichkett vorhanden, 
die urspriinglich vom Kiinstler beabsichtigte 
und erreichte Wirkung v^eder herzustellen. 

Dies ist indessen nicht der einzige Weg 
zum ZieL Man kann ebenso auf undurch- 
IMssigem Grunde mit einer Farbe malen, wel- 
che nur so viel Ql enthalt, als zur Bindung er- 
forderlich ist, und im iibrigen die erwiinschte 
Diinnfliissigkeit der Farbe durch den Zusatz 
solcher Fliissigkeiten bewirken, die hemach 
verdampfen. Auch ein solches Bild wird 
einige Zeit nach dem Auftrag der Farbe ein- 
schlagen, weil der fliichtige Zusatz verdampft 
ist, und kann durch Fimis wieder herausgeholt 
werden. Als Verdiinnungsmittel empfehlen 
sich die bisher Hblichen, insbesondere Terpen- 
tin51 und Spik&l; letzteres ist viel weniger 
fliichtig und lasst also das Bild entsprechend 
Ifinger ,,nass". 

Will man das eingeschlagene Bild zum 
Zwecke des Weitermalens wieder herausholen, 
80 wendet man am besten ebendieselben fliich- 
tigen StofFe ohne weiteren Zusatz an, die man 
aber mit dem Zerstauber und nicht mit dem 



114 



Bekannte Verfahren 

Pinsel auftragt. Man braucht nicht zu furchten, 
dass zu wenig Bindemittel verbleibt, nament- 
lich nicht, wenn bereits einiges Festwerden 
des dls stattgefiinden hatte. Ausserstenfalls 
macht es keine Schwierigkeit, ein Gemenge 
von Terpentindl und wenig Mohn51 mit dem 
ZerstMuber aufzutragen und so jede beliebige 
nachtrMgliche Bindung zu erreichen. 

In diesen Darlegungen wird der Kiinstler 
vielfach die Beschreibung bekannter Methoden 
erkennen. Durch die Angabe der Griinde in- 
dessen, welche zu diesem oder jenem Ver- 
fahren gefiihrt haben, wird er gleichzeitig die 
Hilfsmittel finden, nicht nur das Erlemte oder 
Gefundene sachgemSss anzuwenden, sondern 
auch seine Mittel weiter zu entwickeln, ohne 
die Zukunft seiner Schbpfungen durch die £in- 
haltung ungeeigneter VerhsUtnisse zu gefShrden. 

XII. 
Lrieber Freund! 

Weshalb die verschiedenen Farben, wenn 
sie auch mit dem gleichen Ol angerieben wer- 
den, so verschieden schnell trocknen, fragen 
Sie. Da die Antwort uns gerade in eines der 
interessantesten Kapitel der physikalischen 
Chemie hineinfUhrt, so soil sie ausfUhrlich ge- 
geben werden. 

Ahnlich wie der zum Festwerden fuhrende 

8* 

"5 



LangMune chemische Vorgftnge 

Ozydationsvorgang beim LeinGl nicht augen- 
blicklich vor sich geht, sobald Ol unci Luft 
miteinander in Beriihrung kommeny so gibt es 
zahllose chemische Vorgfinge, die mit einer 
gewissen Langsainkeit ablaufen, wenn auch 
die Bedingungen fiir sie, insbesondere diurch 
das Vorhandensein der erforderlichen Stofife» 
.gegeben sind. FUr das Studium derartigcr 
zeitlicher VerlMufe an chemischen Vorgangen 
gibt es eine eigene Wissenschaft, die chemi* 
sche Kinetik, die in den letzten Jahrzehnten 
sehr grosse Fortschritte gemacht hat. 

Eines der merkwUrdigsten Ergebnisse die- 
ser chemischen Kinetik ist nun, dass die Zeit, 
welche ein bestimmter Vorgang braucht, nicht 
nur von den Susseren Bedingungen, wie Tem- 
peratur, Druck und Konzentration der beteilig* 
ten StofFe, abhMngt, sondem auch in sehr 
hohem Masse von der Anwesenheit anderer 
Stoffe, die an der Zusammensetzung des ent- 
stehenden Produktes keinen Anteil haben und 
deshalb durch den Vorgang im allgemeinen 
auch nicht verbraucht werden. Sie wirken 
auf den Vorgang, um ein anschauliches Bild 
zu geben, wie dl auf ein eingerostetes RSder- 
werk ; dieses nimmt auch unter sonst gleichen 
UmstMnden eine weit grdssere Geschwindig- 
keit an, wenn die reibenden Teile ge(51t wer- 
den, und ohne dass das 6l fiir die Wirkung 
verbraucht wird. Stoffe, welche eine der- 



zi6 



Katalyse 

artige Eigenschaft haben, nennt man kataly- 
tisch wirksame oder Katalysatoren, und 
den Vorgang der Beschleiinigung durch die 
Anwesenheit solcher Stoffe Katalyse. Meist 
geniigen sehr geringe Mengen des Katalysators, 
um grosse Beschleunigungen zu bewirken. 

Im allgemeinen bestehen ftlr jeden Vorgang 
besondere Katalysatoren, iind man muss von 
Fall 201 Fall ermitteln, welche Stoffe diesen 
merkwiirdigen Einfluss auf eine gegebene 
chemische Reaktion ausiiben k(5nnen. 

Nun ist es wohlbekannt, dass Leindl u. a. 
viel schneller „trocknet", wenn es zum An- 
reiben vonBleiweissbenutzt wird, als wenn man 
es etwa mit Zinkweiss benutzt. Andererseits 
kann man dem Leindl die Eigenschaft erteilen, 
unter alien UmstSnden schnell zu trocknen, 
wenn man es mit irgend welchen Bleiverbin- 
dungen kocht, so dass es etwas von diesen 
aufldst. In diesen Tatsachen erkennen wir 
die charakteristischen Eigentiimlichkeiten der 
Katalyse: Bleiverbindungen beschleuni- 
gen den Oxydationsvorgang des Leindls 
und somit dessen „Trocknen'^ Lrein51firnis, 
d. h. schnell trocknendes Leindl, ist von dem ge- 
wdhnlichen durch den Gehalt an einem solchen 
Katalysator verschieden, und Sikkativ, d. h. 
eine Fliissigkeit, durch deren Zusatz man Leindl 
schnell trocknend machen kann, ist eine kon- 
zentrierte Ldsimg eines solchen Katalysators. 



117 



Trockenmittel 

Die Eligenschafty die Oxydation des Leindls 
katalytisch zu beschleiinigeny haben nicht nur 
Bleiverbindungen, sondem auch Mangan*- 
verbindiingen und vermutlich auch andere Me-* 
tallabk5mmlinge. Wenigstens schliesse ich aus 
den Angaben iiber die Trockenwirkung des 
Griinspans, die in alten Malbiichem sich fin- 
den, dass auch vielleicht das Kupfer wirk- 
sam ist. Doch liegen hieriiber noch zu wenige 
exakte Arbeiten vor, als dass sich Bestimmteres 
sagen liesse. Ebenso machen bekannte Re- 
zepte zum Firniskochen den Eindruck, als 
wenn auch durch langeres Erhitzen des Lrein- 
51s an der Luft ein Beschleuniger entstande, 
denn sie beruhen darauf, dem Ql durch blosses 
langeres Erhitzen die Eigenschaft des Schnell- 
trocknens zu erteilen. Doch miissen auch 
hier erst die wissenschaftlichen Arbeiten ein- 
setzen, fur die iibrigens die Bahn vorgezeichnet 
ist, denn mit katalytischen Erscheinungen weiss 
die physikalische Chemie jetzt trefflich umzu- 
gehen. 

Aus diesen Angaben werden Sie alsbald 
entnehmen konnen, welche Bedeutung die 
Warnung vor allzu reichlicher Anwendung 
solcher Trockenmittel hat, die jeder gewissen- 
hafte Lehrer seinen Schiilern zukommen lasst. 
In meinem vorigen Briefe entwickelte ich 
Ihnen die Theorie des Reissens der Olfarbe; 
der wesentliche Punkt dabei war die ver- 



iz8 



Reissen der dlbilder 

schiedene Zeit^ welche einerseits die ober* 
flMchlichen Schichteiiy andererseits das Innere 
der Farbmasse zur Oxydation brauchen. Durch 
die Anwendung des Sikkativs wird nun dieser 
Zeitunterschied noch weiter gesteigert: die 
Oberflache trocknet in wenigen Stunden und 
schliesst das Innere auf eine ebenso lange 
Zeit vom Festwerden ab, wie eine gewohn- 
liche Farbe, denn in beiden FsQlen erfolgt das 
Festwerden im Innern wesentlich nur in dem 
Masse, als die feste Schicht SauerstofT durch 
Diffusion, d. h. durch langsame Durchdringung 
ihrer Masse hineinlSsst* 

Nun beschleunigt das Trockenmittel nicht 
nur das erste Festwerden des Ols, sondern 
anscheinend in gleichem Masse auch die wei- 
teren unerwiinschten VerlCnderungen des fest* 
gewordenen Ols, insbesondere das Schwinden 
und Braunwerden. Was also bei gewdhnlicher 
Farbe normal nach langer Zeit eintritt, tritt 
bei Anwendung von Sikkativ in entsprechend 
kiirzerer Zeit ein, und zwar um so schneller, 
je mehr Trockenmittel angewendet worden 
ist. So ist denn ein mit viel Sikkativ gemaltes 
Bild auf seiner OberflSche bereits nach wenigen 
Jahren ein Greis, wa'hrend es im Innern noch 
ein Jiingling ist, und dass eine derartige Kom-> 
bination nicht gut tut, braucht nicht erst lange 
dargelegt zu werden. 

Viel weniger bedenklich ist die Anwendung 



119 



SchneUlechnik 

von Trockenmitteln bei der Einhaltung eines 
diinnen Farbauftrages, denn die eben ge- 
schilderten Cbelstande steigem sich natur- 
gemass in schneller Progression, je dicker die 
Farbschichten sind. 1st das Bild diinn gemalt, 
80 wird das enthaltene Ql in wenigen Tagen 
so fest, wie ohne Sikkativ in Monaten, iind 
wenn es dann gefimisst wird, so ist der weitere 
SauerstofFzutritt zum Ol und damit die iiner- 
wdnschten Anderungen des festen 6ls prak- 
tisch zum Stillstande gebracht. Ich wiirde es 
also fiir unbedenklich halten, ein Bild, das 
schnell hergestellt werden soil, in diinner 
Technik mit geniigendem Sikkativ in einem 
Zuge fertig zu malen iind es dann nach einer 
Woche Trocknens zu iirnissen. AUerdings hat 
auch hier die Erfahrung das entscheidende 
Wort zu sprechen, und meine Darlegung be- 
zweckt nur, auf Grund der vorhandenen Kennt- 
nisse eine Gruppe von Bedingungen zu formu- 
lieren, welche ein gutes Ergebnis erwarten 
Ifisst. 

Eine derartige Technik ist insbesondere fur 
Arbeiten vor der Natur ungemein bequem und 
fbrderlich. Benutzt man als Malgrund farbiges 
Zeichenpapier mit ziemlich starkem Kom, das 
man mit einer Lreimldsung von etwa 6 Prozent 
prMpariert hat, imd malt man darauf mit ge- 
wdhnlicher Olfarbe, die man mit einem Mai* 
mittel aus Sikkativ mit der zehnfachen Menge 



Z20 



Arbeiten vor der Natur 

Terpentin51 so stark verdiinnt, als es der er- 
strebte Zweck nur zulasst, so verliert man 
nirgend Zeit mit technischen Schwierigkeiten 
iind kann in einer Stunde eine Studie bereits 
recht weit durchfiihren. Die Femen werden 
mit diinnster Farbe, fast wie Aquarell angelegt; 
die passend gew^lte Farbe des Papiers kann 
hier die Arbeit ausserordentlich erleichtem. 
Grosse Fllichen dariiber liegender Gegenst&de 
werden ausgespart, kleine tibergangen. Nach 
einer Viertelstunde, die man mit der Anlage 
der Ubrigen Flsichen ausgefullt hat, ist die 
Farbe der Feme bereits so fest geworden, 
dass man Einzelheiten sicher und sauber hin- 
einsetzen kann. Indem man stets von hinten 
nach vom arbeitet, ergibt es sich unwillkiir- 
lichy dass die im Vordergrunde beiindlichen 
Dinge den stSrksten Farbauftrag erhalten, und 
damit ist ihr plastisches Vortreten leicht ge- 
sichert. Ich besitze derart hergestellte Skizzen, 
die liber zwanzig Jahre alt sind, gar keine 
Sorgfalt bei der Auf bewahrimg erfahren haben 
und an denen ich nicht die geringste Spur des 
Altems entdecken kann, trotzdem die meisten 
nicht einmal gefirnisst sind. Ich schreibe dies 
ausschliesslich dem diinnen Farbauftrage zu, 
denn die tibrigen Erfordemisse fur eine m5g- 
lichst grosse Dauer bei diesen Ferienprodukten 
einzuhalten, habe ich nicht der Miihe wert 
gefimden. Ja, ich habe sogar meist zu dem 



121 



oben erwahnten Malmittel etwas Bemsteinlack 
(etwa '/lo) gesetzt, welcher das Einschlagen 
verhinderty um mir das spMtere Fimissen zvt 
ersparen, und damit bewusst gegen die Be- 
dingungen der mdglichsten Dauerhaftigkeit ge* 
siindigt, ohne dass ich bisher SchSdigungen 
davon bexnerkt habe. Vielleicht w^erden solche 
nach einigen Jahrhunderten sichtbar werden, 
falls die BllCtter dann noch existieren sollten. 
Schliesslich einige Worte iiber das pastose 
Malen. Fragt man nach den optischen Wir« 
kungen, die man damit erreichen kann, so er- 
gibt sich nur eine einzige, namlich das Glanz- 
licht auf der glatten Oberflache eines 
gewdlbten Farbtropfens. In dieser Form 
kennt und verwendet insbesondere Rembrandt 
in feinster und bewusstester Weise den plasti- 
schen Farbauftrag. Im iibrigen sind die dl- 
farben, wie sie auf dem Bilde stehen, durch 
das in den meisten reichlich enthaltene Blei- 
weiss so gut deckend, dass bereits eine Schicht 
von rund einem Zehntelmillimeter das Durch- 
scheinen der Unterlage ausschliesst. Wendet 
man, was man der Sicherheit wegen fur end- 
giiltige Werke stets tun soUte, einen rein 
weissen Malgrund an, so wird eine voUkom- 
mene Deckung meist nicht nur nicht erfordert, 
sondem ist sogar oft ein Nachteil; demgemass 
kann der Auftrag noch viel diinner sein, und 
das Durchscheinen des weissen Grundes kann 



122 



Die „Handschrift" 



9f 



erfolgreich zur Erzielung einer lebendigeren 
Farbwirkung benutzt werden. Wird endlich 
der pastose Auftrag sinngemMss auf einzelne 
kleine Stellen beschrSnkty so fallen auch die 
Ursachen der SchoUenbildung und des Reissens 
fort. Vom Standpunkte der kiinstlerischen 
Wirkung bleibt also zu Gunsten des dicken 
Farbauftrages iiber das ganze Bild gar nichts 
iibrig, denn die ^Handschrift^^ des Kiinstlers 
diirfte gleichfalls nicht proportional der pro 
Quadratmeter verwendeten Farbenmenge be- 
wertet werden. Umgekehrt bewirken die zahl- 
losen Reflexe auf der OberflSche eines mit 
dickem und linregelmassigem Farbauftrag ge- 
malten Bildes, dass es namentlich bei kiinst- 
lichem Lichte oft unm5glich ist, liberhaupt 
einen Standpunkt zu gewinnen, an welchem 
man nicht durch unerwtinschte Reflexe ge- 
stort wird. Bleiben also nur Ursachen iibrig, 
welche ich unter dem Worte Mode am rich- 
tigsten zusammenzufassen glaube. 

XIII. 

Lrieber Freimd! 

Sie verlangen, dass ich meine Bemerkung 
begdinde, dass man fiir endgiiltige Bilder einen 
weissen Untergrund benutzen miisse, und fuge 
hinzu, dass allerdings die IQteren Italiener^ 
Vlamen und Deutschen einen solchen benutzt 



123 



Lasur 

hStten, und dass auch B5cklin die gleiche 
Praxis geiibt habe, finden aber Ihrerseits einen 
getSnten Grund f(ir viele Zwecke angenehmer. 

Um diese wichtige Frage griindlich zu be- 
handeln, muss ich zunSchst auf ein bisher nur 
andeutungsweise betrachtetes Problem ein- 
gehen, nSmlich das der Lasur, insbesondere 
bei der Olfarbentechnik. 

Eine Lasur besteht bekanntlich in einer 
durchscheinenden farbigen Schicht iiber einem 
irgendwie gefarbten Untergrunde. Man er- 
zielt hierdurch eine bedeutende Vertiefung der 
farbigen Wirkung. 

ttber die Art und Weise, wie diese •Wir- 
kung zu stande kommt, ist einiges bereits S. 65 
gesagt worden. Dort war indessen zunlichst 
der weisse Untergrund in Betracht gezogen 
worden. Betrachten wir nun, wie eine Lasur 
auf farbigem Untergrunde wirkt. Wir be- 
handeln zunachst den einfachsten Fall, dass 
man auf eine bestimmte Deckfarbe, z. B. Eng- 
lischrot, eine gleichnamige durchsichtige Farbe, 
z. B. Krapplack deckt. 

Macht man den Versuch, so erzielt man einen 
Eindruck, den man mit Worten wie ,,feurig'S 
9,leuchtend'S ^tief ' wiederzugeben versucht. 
Es ist der Eindruck, welchen die Farben 
eines reinen Spektrums machen, denen keine 
merkliche Menge Weiss beigemischt ist. Den 
gleichen Eindruck machen aus gleichem Grunde 



124 



Lasur 

tiefgefarbte Glasmalereien. Bel der Lasur Rot 
auf Rot beispielsweise kommt diese Wirkung 
dadurch zu stande, dass bereits die Deckfarbe 
wesentlich rotes Licht zunickwarf, dem nur 
(vgl. S. 15) einiges von der OberflSche kom- 
mende weisse Licht beigemengt ist. Dieses 
weisse Licht wird nun durch die rote Lasur 
gleichfalls rot geflCrbt, so dass nur rotes Licht 
iibrigbleibt, und so kommt die Reinheit oder 
Leuchtkraft oder Tiefe der Farbe zu stande. 
£s ist natiirlich, dass man jede andere Farbe 
in gleicher Weise zu solcher Wirkung bringen 
kann. 

Etwas verwickelter ist die Wirkung einer 
Lasur auf andersfarbigem Untergrund. Die 
Lasur hat, da sie in der Durchsicht wirkt, 
die Eigenschaft, dem durchfallenden Lichte ge- 
wisse Strahlen zu entziehen. Und zwar sind 
es die Komplementarfarben der Farbe, in wel- 
cher der Farbstoff erscheint. So absorbiert 
der rote Krapplack hauptsSchlich Gnin, das 
Preussischblau hauptsachlich Rotgelb usw. Man 
kann sich von dieser Wirkung leicht uberzeu- 
gen, wenn man durch ein Taschenspektroskop 
nach einer weissen Lichtquelle (z. B. hellen 
Wolken) hinsieht und dann ein mit der be- 
treffenden Lasurfarbe iiberzogenes Glas vor 
den Spalt des Apparates hSlt. Andererseits 
wirken die deckenden Farbstoffe derart, dass 
sie von dem weissen Licht die Farben zurtiek- 



"5 




DieFolge 
b cachra nkties 



Untcrmalimg and Lasor so. 



Orange nod Rot, Gdh nod Gron etc, so 
wird verbaltnisiiiSBsig vi^ Licfat von grosser 
Reiiiheit der Farbe zorackg ew o i fe n , mid die 
Parfoe erscheint ,4eaclitend*'. Aof solche Weise 
lassen sich erfolgreich G^enstande darstellen, 
die ivie vom Sonnenlichte dnrchleochtetes Laub, 
dorchsichtiges Wasser, bimte Glasfenster a. dgL 
kein Oberfiachen^ireiss in ihrer Erscheinung 
entfaalten. 

Stehen sich Untermalung and Lasur im 
Farbenkreise femer, so nimmt die Menge des 
von dcr FlSche zuriickgeworfenen Lichtes im- 
mer mehr ab, and diese erscheint entsprechend 
dunkler. Durch Cberlegen einer komplemen- 
tMrfarbigen Lasur iiber eine moglichst rein- 
farbige Untermalung ISsat sich eine tiefe und 

126 



Eigenschaften der Lasurfarben 

doch farbige Wirkung erzielen. Das tiefste 
Schwarz ergibt sich, wenn auf einen schwar- 
zen Untergrund abwechselnd komplementar- 
farbige dunkle Lasuren (z, B« gebrannte Siena 
und Preussischblau oder reiner Indigo) auf- 
getragen werden. 

Die Frage, auf welchen Eigenschaften der 
Unterschied zwischen Deck-< und Lasurfarben 
beruht, ergiebt sich aus der Anwendung der- 
selben Betrachtungen liber die Reflexion (S. 52), 
welche bereits vorher fur viele Erscheinungen 
in der Malerei aufklSrend gewesen sind. Da, 
wie dort gezeigt worden war, eine Farbe um 
so besser deckt, je grosser ihr Lichtbrechungs- 
verm5gen ist, so folgt, dass umgekehrt eine 
Farbe umso weniger deckt, also umso mehr den 
Charakter einer Lasurfarbe hat, je kleiner ihr 
Lrichtbrechungsverm5gen ist, oder genauer, je 
naher ihre Lichtbrechung gleich der der Um- 
gebung wird. Da es keinen Farbstoff von der 
geringen Lichtbrechung der Luft gibt, so gibt 
es auch in alien Malverfahren, bei denen die 
K5rnchen des Farbstoffes wesentlich von Luft 
umgeben sind, keine Lasur, Dies gilt in erster 
Lrinie far die Pastellmalerei, und hier liegt die 
wesentlichste Beschrankung ihrer technischen 
Mittel. Umgekehrt erhalten umso mehr Farben 
den Charakter der Lasurfarbe » je grosser die 
Lichtbrechung des Bindemittels ist. Da in 
dieser Beziehung die Harze und trocknenden 



127 



Icg^CB «nd, so crUlrt cs sicfa, dan die 



Lasorteben moldbc 9em warden, die 



dcm Bimlf iniHfl iiiflil mil rncrhmiHirh 
tenen, soodem wriifclicl i aaflSsen 
Ei^coscliaft haben die 



I I T _ .... I „ I 




tallozyde gegenSbcr dcm 
nut ^ffiTi sie Quf cnsidittfre 
und ticCiter PSrbmi^ crxc _ 

Pfir die anderen Arten dcr ICalcrei knmmen 
C^eldate F ar bs tolTe kamn je m Frage. Alle 
Stofie, welche wirldiche LMsaogcn tnlden, zti- 
gen anch die Eigenschaft der Diffasion, d. h. 
freiwilligen Verbrettnng in angr enzende 



Getnete des JLdstingsinittels, uro sie noA nicht, 
Oder in geringerer Konzentratkm anwesend sind. 
£ine solche I>i£Eu8ion tst anch in anscheinend 
festen Mitteln, i^e trockener Lreun, Gummi* 
Harz mdglich, wenn sie anch dort sehr viel 
langsamer erfolgt, als in fiussigen Lrdsungen. 
Die Folge davon ist, dass sich um jedes Ge- 
biet, wo der geldste StofiF anwesend ist, in das 
freie Gebiet hinein ein Difiusionshof bildet, 
welcher die Gestalt eines nach aussen abge- 
tdnten Randes hat. Eine gute Anschauung 
hiervon ergeben die unter der Glasur befind^ 
lichen blauen Zeichnungen auf Porzellan (z. B. 



128 



Asphalt 

das Meissner Zwiebelmuster), welche alle mit 
diesem verschwimmenden Rande versehen sind. 
Dieser kommt dadurch zu stande, dass die 
blaue Kobaltfarbe sich auf dem Porzellan schon 
zu der Zeit befindet, wo es der hochsten Tem- 
peratur ausgesetzt ist, und wo die Glasur daher 
halbfliissig ist. In dieser diffundiert das ge- 
l(5ste Kobaltoxydy das die blaue Farbe bildet, 
von den Stellen, wo es aufgetragen war, nach 
den freien Stellen hin, und bildet so den cha- 
rakteristischen verschwimmenden Diffusions- 
rand. 

Da durch diese Erscheinung die scharfe 
Zeichnung vemichtet wird, so vermeidet man 
die Anwendung gelSster FarbstofTe in der 
eigentlichen Kunstmalerei. Der einzige, hier zu 
erwahnende Farbstoff ist der Asphalt, dessen 
ausgezeichnete Lasurwirkung seinem gelosten 
Zustande zuzuschreiben ist. Allerdings sind 
damit auch die eben geschilderten Diffusions- 
erscheinungen verbunden, deren nicht voraus- 
gesehene und nicht gewiinschte Ergebnisse dem 
unkundigen Benutzer dieses Farbstoffes grosse 
Verlegenheiten und Misserfolge bringen k5nnen. 

Von diesem Cbelstande der gel5sten Stoffe, 
der Diffusion, frei und deren optische Vor- 
ztige fast ohne Mangel besitzend sind die col- 
loidalen Farbstoff e. Mit diesem Namen be- 
zeichnet man nichtkristallinische Stoffe, welche 
sich mit Losungsmitteln zwar nicht zu eigent- 

Ostwald, Malerbriefe. g 

129 



Parblacke 

lichen Lrfisungen, wohl aber zu Suspensionen 
Oder AufechlSmmungen vereinigen, welche noch 
einen grossen Teil der Eigenschaften der LS- 
sungen haben. 

Sie lassen sich mit beliebigen Mengen des 
Lrdsungsmittels verdiinnen und zeigen dabei 
eine Durchsichtigkeit, welche der der wahren 
Lfdsungen nahe kommt, sie aber doch nicht 
ganz erreicht. Dies erkennt man daran, dass 
solche Lr5sungen zwar oft in der Durchsicht 
ganz klar erscheinen, in der Aufsicht aber doch 
eine Zerstreuung des Lichtes erkennen lassen. 
Ein Beispiel dafiir bietet etwa Preussischblau 
in viel reinem Wasser dar, welches in der 
Durchsicht klar aussieht. Wenn man aber 
mittels einer Sammellinse, etwa eines Brenn- 
glases, einen Kegel Sonnenlicht in die Fliissig- 
keit fallen IMsst, so zeichnet sich dieser mit 
der kupferroten Farbe ab, die man auch durch 
GlStten des festen Farbstoffes mit einem har- 
ten, glatten K5rper hervorrufen kann. 

Zu den gebrMuchlichsten coUoidalen Farb- 
stoffen geh&ren die Farblacke. Es sind dies 
Verbindungen organischer Farbstoffe mit Ton- 
erde oder Aluminiumhydroxyd. Friiher dien- 
ten nur ein paar natiirlich vorkommende orga- 
nische Farbstoffe, wie Karmin und Krapp zur 
Herstellung von Farblacken. GegenwSrtig, wo 
die Industrie zahllose kiinstliche Farbstoffe von 
alien Farbtdnen herstellt, ist auch die Gewin- 



130 



Farblacke 

nung von Farblacken eine sehr viel mannig- 
faltigere geworden. Indessen gelangen diese 
meist nicht lichtbestlindigen Produkte gliick- 
licherweise nur ausnahmsweise in die fiir die 
Kunstmalerei bestimmten Farben und werden 
hauptsSchlich in der Tapetenindustrie ver- 
braucht. 

Von den in der Malerei benutzten Lacken 
ist Krapplack dem Karminlack in Bezug auf 
seine Bestlindigkeit weit liberlegen. Zwischen 
dem kiinstlichen Alizarin und dem natiirlichen 
Krappfarbstoff besteht weder chemisch, noch 
optisch ein Unterschied, ausser dass der kiinst- 
liche Farbstoff reiner ist und daher noch eine 
grcSssere Gewc[hr der Dauer bietet, als der 
natiirliche^ 

Da zur Lackbildung mit Tonerde sich fast 
nur organische Farbstoff e eignen, welche sehr 
oft nur eine geringe Lichtbestandigkeit haben 
(unabhangig davon, ob sie natiirliche oder 
kiinstliche Farbstoffe sind), so hat sich all- 
gemein die Vorstellung verbreitet, als seien 
Lacke im allgemeinen nicht ,,echt". Wahrend 
dies, wie erw£[hnt, allerdings von vielen alten 
^natiirlichen'* Farbstoffen gilt, hat die Industrie 
neuerzeit eine Reihe hervorragend lichtechter 
kiinstlicher Farbstoffe erzeugt, welche jene 
alten unechten nicht nur ersetzen, sondern 
iibertreffen. Allerdings lassen sie sich nicht 
auf den ersten Blick von den verganglichen 



Cberglnge 

Produkten unterscheiden , und so lange der 
Kiinstler sich nicht daran gewfihnt, ihm unbe- 
kannte Farbstoffe einer Probe auf ihre Licht- 
besttfndigkeit zu unterwerfen (S. 45), ist es 
jedenfalls besser, diese Produkte nicht auf der 
Palette heimisch werden zu lassen. Wohl 
aber sollten die grossen, als zuverlassig be- 
kannten Firmen, die sich mit der Herstellung 
von Kiinstlerfarben befassen, dahingerichtete 
Arbeiten untemehmen und die als zuverlMssig 
erkannten Lacke in den Handel bringen. 

Zu den Lasurfarben werden schliesslich 
einige gerechnet, welche weder echte noch 
coUoidale Ldsungen geben, wie Terra di Siena, 
Umbra usw. Diese erhalten ihre durchsichtige 
Beschaffenheit im Gemenge mit dem Binde- 
mittel durch den verhSltnismassig kleinen Wert 
ihres Lichtbrechungsvenndgens, welches dem 
der 51igen und harzigen Bindemittel sich nahert. 
Dadurch wird die totale Reflexion und daher 
auch die Triibung des Gemenges auf ein ge- 
ringes Mass herabgedriickt. Indessen ist doch 
hier bei weitem nicht die Durchsichtigkeit vor- 
handen, wie bei den wahren und den colloi- 
dalen Ldsungen. Diese Farbstoffe beginnen 
daher den Cbergang zu den Deckfarben, wel- 
Cher durch eine Stufenleiter verschiedener 
Farben von immer grSsserem Brechungskoeffi- 
zienten vermittelt wird. 



132 



Der LichtumfansT 



XIV. 

Lfieber Freund! 

Ich habe die Frage nach dem Malgrunde 
keineswegs vergessen, nur woUte ich sie in 
meinem letzten Briefe noch nicht behandeln, 
da die Auseinandersetzungen liber die Lasur 
bereits einen zu breiten Raum eingenommen 
batten. Heute will ich meinen damaligen Aus- 
spruch rechtfertigen. 

Der Maler beabsichtigt meist, mit seinem 
Bilde einen Eindruck zu erzielen, welcher 
dem der natiirlichen Erscheinung mdglichst 
nahe kommt oder m(5glichst eindringlich an 
diese erinnert. Hierbei steht ihm die funda- 
mentale Schwierigkeit entgegen, dass der 
Umfang des Lichtes, liber welchen er 
verftigt, ganz unverhaltnismlCssig viel 
kleiner ist, als in der natiirlichen Er- 
scheinung. Denn das Bild wird im Zimmer 
bei mittlerem Licht betrachtet; das weisseste 
Bleiweiss kann nicht mehr davon zuriick- 
werfen, als darauf f^lt, und dieses sehr mMssige 
Lficht ist das hellste^ was der Maler zur Dar* 
stellung der wiederzugebenden Erscheinung 
zur Verfiigung hat. Andererseits ist es nicht 
mdglichy die Reihe etwa nach der anderen Seite 
zu verl&igem, denn dunkler als ein Ort in der na- 
tiirlichen Erscheinung, von welchem kein Licht 



133 



JUCIU 

nuBD t*f al?iw'li1fiPl . in ***fi^"* WUIp P3ri>c and 



Vcrzicliicl uiiui hiUAul^ bet mm idso in 



mi Smnc^ so fifllt allcniings dicse Uireadie for 
die WaU etnes weissen Malgmndes feit; doch 
wird aludann ein soldier meist idmedies ge- 
wlhlt.' 

Denken wir miSy Sie wollcn ein r^titA reines 
ond feoriges Rot in Ihrem Bilde anbringen, 
etwa zar Darstellmig eines sonnedorchleaclite- 
ten Carhigen Kirchenfensters. Sie werden Ihr 
Ziel am besten erreichen, wenn Sie aof weissem 
Untergnmde mit abwecbsefaiden Scbicbten 
gelber und roter Lasm-Carbe arbeiten, bis Sie 
das Oberfl^chenlicht beseitigt and nar rotes 
Tiefenlicht nachbehalten haben. Wieviel Licht 
dann ffberbaupt noch von der Stelle aus- 
geht, bSngt wesentlich davon ab, wieviel Licht 
der Untergrand zariickwerfen kann, and daraus 
folgt umnittelbar, dass Sie mit rein weissem 
Untergnmde die grdsste Lichtmenge erzielen 
werden. Es folgt weiter daraus, dass flir solche 



134 



Lreim-Qi]>8grund 

Wirkungen ein Kreidegrund zunSchst ungiin- 
stiger erscheint, als einer aus einer stMrker 
brechenden weissen Farbe, etwa Bleiweiss. 
Denn wenn das Bindemittel der Lasurfarbe 
eindringty so wird die Zuriickwerfung des Lich- 
tes seitens des Untergnindes um so mehr ge- 
schlidigt, je kleiner dessen Brechungskoeffizient 
ist. Indessen gibt es ein Mittel, diesen Nach- 
teil zu vermeiden. Wenn neCmlich der Unter- 
grund das Eindringen des Bindemittels der 
Lasurfarbe verhindert, so kann auch die Ver- 
dunkelung durch dieses nicht eintreten, und 
man erreicht das Gewiinschte auch mit schwS- 
cher brechenden weissen Farben. 

Dies ist die Ursache fiir die gute Wirkung 
des Lreim-Gipsgrundes, den die Slteren Tafel- 
maler angewendet haben, und zu dem Bbcklin 
auch*seinerseits zuriickgekehrt ist. Gips ist 
ein Stoff von nicht sehr erheblicher Licht- 
brechung, etwa 1.5 bis 1.6, alinlich der Kreide, 
und wiirde daher durch Ol oder Fimis ziem- 
lich durchscheinend werden. Dadurch, dass 
er mit Lfeim vermischt ist, wird aber das dl 
am Eindringen verhindert und die Lichtreflexion 
der weissen Schicht bleibt erhalten. 

Durch die Ausnutzimg dieser Grundsatze 
sind die genannten Maler dazu gelangt, ihren 
Bildem die viel bewunderte Tiefe und Pracht 
der Farbe zu geben. Wenn oft behauptet 
wird, dass dies fiir den gewShnlichen Sterb- 



135 




dawrlbr nod noch mdir, optisch c^espro- 
cbcn, ciicM tit' ^PCfdco Iemid, ^vas jcoc Iffcster 
za stande gdbndbt habcn. Wm man sich da- 
▼on fibcfzciuren. ao 



Piquer oder aonst einen got weisaen Gmnd 
imd ▼eraoclie, die Wirkoocr mit Deckfarbe 
nachzoahmcn. Ea gdingt mcfat, nnd zwar on- 
fisich deahalb nicht, weO man bei der Deck- 
£arbe nicht daa Oberflacfacniicfat ansschliessen 
kann, daa bier an^eachloasen iat. Ifit L.asiir- 
iarbe dagegen gellngt ea, denn die gefiirbte 
Gelatine ist ja optiscb gesprocfaen nicbts als 
eine Lraaur. 

Dem beatigen lAaler kommt es allerdings 
oft genug auf dieae Art der Wirkong nicbt 
an* Denn eraichtlicherweise iat fur ein na- 
turalistiacbea Bild ein solcbea Mittel nur dort 
am Platze, wo aucb die Naturerscbeinung 
Tiefenlicbt obne Oberflacbenlicbt gibt. 
Die alten Maler waren darauf aus, ihren Heili- 
gen, Marieen usw. so schdnfarbige Gewander 
zu malen, als sie nur fertigbiingen konnten, 

136 



Lufdicht 

und sie bekiimmerten sich nicht darum, ob 
diese Gewander irgendwelchen wirklichen 
Kleiderstoffen ahnlich aussahen. Heute aber 
handelt es sich im Bilde meist um Ober* 
flachenlicht. Die sehr weit fortgeschrittene 
Lruftverschlechterung in den modemen Stadten 
hat namlich die Menschheit und insbesondere 
die Maler auf die optischen Wirkungen der 
triiben Luft aufmerksam gemacht, und unsere 
heutige schongeistige Kunstliteratur ist da- 
durch voll von unklaren Phrasen iiber das 
„Lficht, das aller K5rper umflutef' und der- 
gleichen geworden. Tatsachlich ist das Licht, 
das durch ein farblos durchsichtiges Mittel, 
wie die Luft geht, fur uns ganzlich unsicht- 
bar und kann daher weder noch braucht es 
gemalt zu werden. Was sichtbar ist, sind 
die triibenden Teilchen, Russ und Staub 
in der Luft. Indem diese das auf sie fallende 
Licht nach alien Seiten zerstreuen, bringen 
sie ein entsprechendes graues oder blaues 
Licht zur Wirkung, das um so deutlicher wird, 
je dicker die wirksame Schicht ist. Hierdurch 
werden die dunkelsten Stellen der GegenstsCnde 
um so mehr blaulich oder grau aufgehellt, je 
weiter sie vom Beschauer entfemt sind. Diese 
seit Jahrhunderten bekannten und mehr oder 
weniger gliicklich ausgedriickten Wirkungen 
der sogenannten Luftperspektive treten nun 
bei um so geringerer Entfemung in die £r- 



137 



LufUicbft 

scfaeinmig, je staofaiger die LfUft ist, ond daruxn 
gibt es tataHclilich m unserer Zeit sehr viel 
mehr lAiftlicht zu sehen und zo malen, als in 
friiheren Jahrfaonderten. In Leipzig zeigen 
meist bei aofinerksamer Betrachtiing die auf 
der anderenSeite der Strasse liegenden Schwar- 
zen bereits deatliches Luftlicht, wIEhrend ich 
auf Riigen oft noch in der Entfemung von 
mehreren Kilometem die GegenstlCnde in ihrer 
EigenCeu-be nnd nur mit den ersten Spuren des 
LuiUichtes ausgestattet gesehen babe. Wenn 
man also sorgfiUtig darauf achtet, dass die je- 
weils dunkelste Farbe sich nach der zunehmen- 
den Entfemung ins Hellere abstuft, und dies 
bereits bei geringen Distanzen zum Ausdruck 
bringty so erzielt man obne weiteres das ^^um* 
flutende Licht''. 

All dieses Luftlicht ist nun OberflSchen- 
lichty und es ist klar, dass dieses nicht mittels 
durchsichtiger Lasur-, sondem mittels Deck- 
farbe ausgedriickt werden muss. Man kann 
die Wirkung in feinster und naturgemSssester 
Weise durch eine triibe Lasur von sehr dtinner 
weisser Farbe erreichen (S. 80); die sachge- 
miCsse Ausfiihrung dieses Verfahrens ist in- 
dessen nicht ganz leicht. Hier tritt der Fall 
ein, wo ein Weiss von kleinem Brechungs- 
koeffizienten zweckm&siger ist, als eines von 
gr5sserem, denn die aufzutragende Schicht 
wird um so dicker sein kdnnen, bis die gleiche 

138 



Weisse Lasur 

Wirkung erreicht ist, je naher sich die 
Brechungen des Farbstoffes und des Binde- 
mittels liegen. Daher wenden die erfahrenen 
Maler fur derartige Zwecke an Stelle des 
Bleiweisses das weniger brechende Zinkweiss 
an, denn je dicker die aufzutragende Schicht 
sein darf (es handelt sich hier um liusserst 
diinne Schichten), um so weniger technische 
Schwierigkeiten macht die Herstellung. £s 
wSre daher ganz zweckmSssig, mit dem 
BrechungskoefiEizienten dieses „Luftweiss"noch 
weiter herabzugehen und etwa Gips oder kiinst- 
lich hergestellten kohlensauren Kalk (Kreide 
ist meist zu gelblich durch einen kleinen Eisen- 
gehalt) fiir diesen Zweck zu verwenden. 

Durch diese Beriicksichtigung des Luft- 
lichtes verkurzt der Maler nun wieder seine 
Lichtreihe nach der Seite des Schwarz, denn 
er gelangt nur zu einem abgestuften Grau, das 
er nicht iiberschreiten darf, wenn nicht die 
Luftwirkung gestSrt werden spU. Somit hat 
er auch in diesem Falle ein lebhaftes Interesse 
daran, die Reihe nach der anderen, hellen 
Seite so lang zu halten, als mSglich, d. h. 
sein Weiss m5glichst lichtreich und unbe- 
schmutzt zu bewahren. Dies gelingt am leichte- 
sten, wenn er auf weissem Grunde arbeitet, 
damit er nicht iiberall, wo er die grSsste 
Helligkeit braucht, dicke Schichten von Blei- 
weiss anbringen muss. Dass dieser Umstand 



139 



faalb LaA nod IVoflkcn bei so vieien heatigen 



f 



als brslJiMlf n sic aos dictom Ton. Anfu^eisseiii 



lich. 

Sthr vid L clirrcicfa cs aeht man in die- 
ser Bezielinng an den Bildem Bocidins. 
Dorcfastciitige Dinge, insbesondere Liiift und 
IVasser, malt er mit LasnrfiBoben aof ^reis- 
sem Grande. Die gleiche Technik ergibt 
ihm die optische VHrkong des dorclischei- 
nenden Marmors und nasser Steine. 'Wo 
aber Loftlicht ins Spiel kommt, treten Deck- 
farben aii£ Icb wiU nicht bebaupten, dass 
dies tiberall genan dnrchgefiihrt ist; insbeson- 
dere geraten ibm seine Felsen ^regen reich- 
licber Anwendung der L.asnrfarbe namentlicb 
in der spMteren Zeit oft ein ^renig zu unkorper- 
lich« 

Doch ich will scbliessen* Die Verfolgung 
dieser Betrachtungen, die im wesentlichen 
schon von Ludwig angestellt worden sind (der 
sie nur mit seiner ungliicklichen Petroleum- 
malerei und seiner nicht minder ungliicklichen 
Einseitigkeit im Kunsturteil verquickt hat) ftihrt 
in die mehr psychophysischen Seiten der 
Technik hinein, von denen erst spSter einmal 
die Rede sein soil. 



140 



Tempera 

XV. 

Lieber Freund! 

Von den verschiedenartigen Techniken bleibt 
uns wesentUch noch eine zu besprechen iibrig, 
die Tempera. Allerdings handelt es sich 
hier nicht um einen so scharf begrenzten Be- 
griff, wie bei den bisher erSrterten Verfahren, 
denn Tempera bedeutet urspriinglich jedes 
Bindemittel fiir Farbe, und noch heute werden 
sehr verschiedenartige Gemenge damit be« 
zeichnet, Hier ist es insbesondere^ wo die 
moderne Farbenalchemie und dasGeheimmittel- 
wesen seine iippigsten Bliiten treibt und seine 
schlimmsten Friichte tr&gt. 

Unter Tempera versteht man gegenwartig 
solche Bindemittel, welche sich zwar im fri- 
schen Zustande beliebig mit Wasser verdiinnen 
lassen, sich aber gegen Wasser unl5slich er- 
weisen, nachdem sie einmal trocken geworden 
sindy bezw. langere Zeit an der Luft gestanden 
haben. Die technische Erleichterung, die der- 
artige Mittel gewMhren, liegt in der M5glich- 
keit, Uber vorhandene Farben malen zu k5nnen, 
ohne sie zu st5ren. Die Chemie gewa'hrt eine 
ganze Reihe von Hilfsmitteln , um diese Auf- 
gabe zu 15sen. Man kann das Prinzip der Ol- 
malerei benutzen, nMmlich einen Stoff anwen- 
den, der durch Oxydation unl5slich wird. Oder 
man kann das Festwerden darauf begrunden. 



141 



Mdgllchkeiten 

dass ein die L(5slichkeit verursachender Stoff 
verdampft. Oder man kann die Wirkung des 
LichteSy gewisse Kombinationen unldslich zu 
machen, anwenden. Oder man kann auf die 
Malerei einen Stoff aufbringen, der das Binde- 
mittel unl(5slich macht. Damit ist meine chemi- 
sche Phantasie zunSchst ersch(5pft; ich glaube 
aber, dass ich bei einiger Anstrengung noch 
einiges aus ihr herauspressen kSnnte. 

Um Ihnen aber zu zeigen, wie man diese 
allgemeinen Vorschriften in bestimmte Rezepte 
verwandelty will ich fiir jeden Fall ein Bei- 
spiel geben. Wenn Sie Leim mit Eisenvitriol 
mischen, so erhalten Sie den ersten Fall. An 
der Luft geht das Eisensalz in eine hShere 
Oxydationsstufe liber und dabei entsteht eine 
Verbindung, welche den Leim unU5slich macht. 
Leider wird diese Tempera dabei ziemlich 
braun, so dass sie sich nicht fur alle Farben 
eignet. Den zweiten Fall erhalten Sie, wenn 
Sie CaseYn mittels Ammoniak oder noch besser 
Ammonkarbonat in Wasser aufl5sen« Das Am- 
moniak , bezw. das Ammonkarbonat verflilch- 
tigt sich beim Trocknen und hinterlMsst das 
Casein im unldslichen Zustande. Dies ist eine 
sehr gute Tempera. Drittens k5nnen Sie mit 
Leim malen, dem eine sehr geringe Menge 
eines chromsauren Salzes zugesetzt ist. Im 
Lichte wird das Salz so verSndert, dass es 
mit dem Leim eine unl5sliche Verbindung 



142 



Emulsion 

bildet. Auch hier ist die gelbe Farbe der 
Chromverbindung etwas stSrend^ doch ver- 
schwindet sie bei der Belichtung und macht 
einer mehr neutralen Platz. Viertens kdnnen 
Sie mit Leim malen und jeden Auftrag nach 
dem Trocknen mit einer L5sung van Formalin 
anstauben. Dieses vereinigt sich mit dem 
Leim zu einer unl5slichen Verbindung und der 
Zweck ist gut erreicht, da das iibrige Formalin 
verdampft, ohne das Bild zu beeinflussen. 

Ich habe Ihnen f!ir jeden Fall nur ein Bei- 
spiel gegebeuy kc5nnte aber deren Anzahl sehr 
erheblich vermehren, wenn ich nicht bereits 
beftirchten miisste, den y,chemischenSchrecken" 
bei Ihnen erregt zu haben. So will ich es 
hierbei bewenden lassen und nur noch auf 
eine wichtige, weil viel angewendete und un- 
endlicher Variationen fKhige Erweiterung der 
vorhandenen Mittel hinweisen. Es ist dies die 
Anwendung der Emulsionen. 

Eine Emulsion ist ein Gemenge einer 
wMsserigen Fliissigkeit mit Kiigelchen einer 
nicht in Wasser 15slichen Fliissigkeit, wie 6l, 
Fett Oder dergleichen. Milch ist eine solche 
Emulsion; in ihr schwimmt das Butterfett in 
Gestalt sehr kleiner Kugelchen, die sich nur 
schwierig zu gr5sseren Massen vereinigen. 
Dies geschieht beim Buttem, und Sie wissen, 
dass dies fur den Unerfahrenen keine leichte 
Sache ist. Ebenso ist Eigelb eine derartige 



143 



Doppelte Bindung 

Emulsion; es besteht aus einem gelben Qly 
dem Eier^ly das wieder in Gestalt kleinster 
Tr(5pfchen in Eiweiss aufgeschlMmmt ist 

Welchen Wert derartige Emulsionen fiir 
die Temperamalerei haben kdnnen, ergibt sich, 
wenn man sich die Wirkungsweise einer 
passend zusammengestellten, z. B. Casein mit 
Lein5Uimis, vergegenwICrtigt. Wird eine Farbe 
damit angerieben, so kann man sie beliebig mit 
Wasser verdiinnen, kann sie also wie Aquarell 
Oder Guasche anwenden. Beim Trocknen wird 
zunMchst das Casein in Wasser unloslich. 
Gleichzeitig beginnt aber auch der Oxydations- 
vorgang am Lein&l, und dieses wird gleich- 
falls fest. Das Farbkom ist also auf doppelte 
Weise gebunden, und zwar durch ein Binde- 
mittel, das vermSge seiner eigentiim- 
lichen wabigen Struktur eine besondere 
ZMhigkeit besitzt. 

Wegen dieser Vorziige wird als Tempera 
gegenwSCrtig meist irgend eine Emulsions- 
tempera beniitzt. Um eine solche herzustellen, 
bedarf man zunMchst eines in Wasser 15s- 
lichen, einigermassen schleimigen Stoffes. 
Hierzu kann arabisches Gummi, Leim, Eiweiss, 
Casein usw. beniitzt werden. Femer bedarf 
man eines dies oder fliissigen Harzes mit den 
erforderlichen Eigenschaften; hier bieten sich 
einerseits die trocknenden 6le, wie Lein-, 
Mohn- und Nussdl an, andererseits die fliissigen 



144 



dltempera 

Harze und Fimisse, wie Terpentine Copaivay 
Canadabalsam, auch 51iger Bernstein- oder 
Kopallack, Riihrt man einen der zuerst ge-» 
nannten, in Wasser zu einem Schleim von dl- 
konsistenz gel5sten Stoffe mit etwa einem 
Flinftel bis einem Zehntel aus der zweiten 
Reihe zusammen, so vereinigen sich beide als* 
bald zu sahnelChnlichen, undurchsichtigen Ge- 
mengen, die nach etwa viertelstiindiger Be- 
arbeitung die richtige BeschafFenheit haben 
und durchsichtig auftrocknen. 

Meist wird Eigelb als wSsseriger Bestand- 
teil benutzt, doch ist dies nicht sehr zweck-> 
msLSsig. Denn im Eigelb ist bereits ein 6l 
enthalten, das aber nicht trocknet und ausser- 
dem die stark gelbe FSrbung hat. Besser ist 
Eiweiss, noch besser Casein, in Ammonkarbo- 
nat gel5st. B&cklin hat in der letzten Periode 
seines Schaffens eine L5sung von Kirschgummi 
benutzty in welcher je ein Neuntel Petroleum, 
Copa'iVabalsam und Terpentin emulsioniert war. 
Hiergegen wMre h5chstens einzuwenden, dass 
das Petroleum dberflussig erscheint; doch kann 
es immerhin Wirkungen haben, die sich nicht 
alsbald voraussehen lassen. 

Die technische Bedeutung der Tempera 
liegt nun darin, dass hier die im vorigen 
Briefe erw£[hnte Trennung der mechanischen 
und optischen Wirkung des Einbettungsmittels 
systematisch durchgefUhrt werden kann. Man 

Ostwald, Malerbriefe. XO 

145 



malt (Bit T«mperafaf4>o, holt si« nsch dftm 
Tr^lcknen mtt wieto Fimis tierons and kami 
Miraof wieter ohoe Sehwitrigkeit mit aener 
'Pomptraiftrbe weftsr arbeiten tmd von fnuom 
AMiMeii. Ebento httaa man aiif ^^incr Unter- 
iMtmg van T^ftipem dlfaite auftrogto, fia<- 
ittMitttih Hiit satcher Farbe Itaamrsfi. Bs iftt 
naGh< £• Merger Mhr waOirachflkdiab, dass die 
Seli6«li0it 4ar Parbe in den altvlSmiacaheo 
Bifdem auf Ml<Aie VVfaiae ^ ^amr Obtr 
Tempera — erreiCht wordMi tat Da ein ^ditm 
TampcratModemittel vcrmtfge wamtr auaam- 
iii€iigf66eititenBMchfiffenlieit durch 4iec&n^'e 
Masse austrsckncn uad fest wenden kaos^ao 
flMt die Ursaelie des iteisseos, die im vodi^Mi 
Briefe beziiglich der dftfarbe dargeiac^-wordaii 
war, hier fort; audi die Anwenduag der la- 
sierenden Ol&rbe btingt sie nioht mit, dean 
eine Lasor ist natiutlfemilss ein acftir diinBcr 
Aiiftrag. AUerdlngs ist luerbei verauagefietat, 
dass nicht berdits durcdi den Mdgnmd das 
Reissen bedkigt wird. Um dies zn vermeideny 
ist auch der MalgJPtsnd in Tempera suszvifittireQy 
4ind zwar miSgllohst diinn.*) 

So sind wir, lieber Freund^ eodlibb am 
Ende vmserer gemeinsamen Wanderui^ an- 



*) Gemahlen^r Schwerspat mit einem solchen (ver- 
dfinnten) Tempera -Bindemittel dtinn aufgfetraefoa, g^6t 
einen vorsUgliclMn Malgrund, auch fir Paatttll. 



146 



Waklfrcdli49it 

gelangt. Freilich miissen Sie zuna'chst wie 
Moses sich damit begnOsen, das gelobte Land 
der zuverlMssigsten Technik vor sich zu sehen; 
das Betreten in Gestalt eines erprobten Re- 
zejites l^nn ichlhaen noch nicht errndglietien, 
weil meine Arbeiten ndch nieht wdt getmg daxn 
gediAen sUnd. Aber ich glaiibe dttirch die 
Pestlegiing der WissenschaMichcm OruikUageh 
ddch den expeiimmtler^nden Kdns^adssen 
(He Aufgaben und die Mittdl zu ihrer Ltfftung 
hltireiehend* klar gemacht zu haben, um ihren 
Bemtihungen etne bestimmte Richtung ^u 
gebenudd das bisfaer so verbmtete planlwe 
uiid attf einen gltteklichen Zu&li berecHnete 
Heriithprdbieren entbehtlich zu^ xnachen. £s 
ist ja offenbar, dass die Ldsung der Aufgabe 
kc3ne eihdc^utige ist; man wird eote ^nzie 
Anzahl von Kombinattonen ^asammensteiien 
ktkinen, die aile nahezu gleich groase Vorztlge 
hlA>en. Um so bes$er , dann ist auch Sic die 
pers^nliche Eigenart des Kiinstlers noc^ reich- 
lich Raum vdrhanden. Aber ich hoffe wenig- 
stens das erreic^t zu haben, dass kfinftig der 
Kfinstler nicfht blindHhgs sich Zusammeu- 
setzuiigen mit Phantasienamen,' die als Tem- 
pera ohne Angabe der Bestandteile angebcrten 
werden, anTertraat, sondem vor alien Di^en 
zu wissen verlangt, woraus das Bindemittei 
besteht. 



H7 



Verbesserung der Mittel 



XVI. 

Lieber Freund! 

£^ ist zweifellos lichtig, dass man auch 
mit unvoUkommenen Mitteln Bilder schafFen 
kaniiy deren Wiikung auch als Darstellung der 
Wirklichkeity des Lichtes und der Luft in der 
Landschaft etwa^ sehr gross ist. Ihre Frage, 
ob alsdann die Mdhe um die Verbesserung der 
Mittel nicht dberfliissig sei, muss ich allerdings 
verneinen. Schon die Tatsache, dass die mei- 
sten grossen Maler, und insbesondere solche, 
welche weitgehende optische Wirkungen in 
ihren Bildem hervorzubringen gewusst haben, 
sich sehr eingehend um die Verbesserung ihrer 
Mittel gekUmmert haben, beweist die wirk- 
liche Bedeutung derselben. Aber man wird 
auch ganz allgemein sagen k3nnen, dass wenn 
ein Mann schon mit geringen Mitteln Erheb- 
liches leisten kann, er mit besseren Mitteln 
entsprechend weiter kommen wird. 

Dass die besseren Mittel aber nicht in jeder- 
manns Hand auch sch^nere Kunstwerke er- 
geben, liegt natiirlich daran, dass auch die 
besten Mittel nichts helfen, wenn man sie 
nicht zweckmk'ssig verwendet. Der Maler hat 
nun alien Grund, sich iiber die Wirkungen, 
die er mit seinen Mitteln erreichen kann, klar 
zu werden, denn wie ich Ihnen fHiher 



148 



Darstellung des Hellen 

(S. 133) dargelegt habe, iibertrifft der Umfang- 
der Lichtreihe in der Natur bei weitem den, 
welcher dem Maler zur Verfiigung steht. Wenn 
dieser also helle Lichterscheinungen zu malen 
haty so sieht die Aufgabe anfangs nahezu holF- 
nungslos aus. Betrachtet man aber anderer- 
seits gewisse Bilder, die mit Benutzung der 
erforderlichen Kenntnisse und Geschicklich- 
keiten auf einen derartigen EfFekt gemalt sind, 
so erstaunt man liber die blendende Wirkung, 
die der Maler mit seinem schwachen gemalten 
Licht hervorzubringen weiss. 

In meinem Zimmer hUngt an der hellsten 
Stelle eine Landschaft von Jespersen, den 
Sonnenuntergang iiber einer Heide darstellend. 
Die Sonne ist ziemlich tief am Horizont, aber 
noch nicht von Nebeln bedeckt; am Himmel 
befinden sich verstreute W51kchen. Beim Be- 
trachten des Bildes empfindet man ein ganz 
ahnliches Gefuhl der Blendung, das die Be- 
trachtung der wirklichen Sonne in dem dar- 
gestellten Zustande, wo man sie eben ansehen 
darfy hervorrufen wiirde. Dabei ist die Sonne 
nicht einmal mit dem allerhellsten Weiss ge- 
malt, sondern gelblich; in der Mitte befindet 
sich 9 wie man bei genauerem Zusehen er- 
kennt, ein violettrStlicher Fleck; auch hat der 
Maler auf pastosen Auftrag verzichtet. £s ist 
also mit mcissigen Mitteln ein ahnlicher Ein- 
druck erreichty den die unverhSltnismMssig viel 



149 



grteseren HetUigkeitsonteischiecle der Wirklich- 
keift herycirbriiiifeiL 

A^alysieFt faan cite HtUismittel im eiii;Eriiiaa, 
8^ ergeben okh tqtf^v^ BcBoniierheiten* D4e 
Heidc und 4er ^immel sfod in dcpr t^lOie d«r 
SoockC viel l^ller, ai» sonBt eemult; lunnib^el- 
beac u»te;r der Sonne ist 4er Hotiff9ot Inst 
ebenso h^, wie der liiauqd imd die Sasaie. 
Bei der wirUiohen Srscheinuxi^ hat man 4en 
gleiohen Eindruok; es ruhrt dies von der Ober- 
strablung oder Irradiation her. Dies iat etQe 
Eigenschaft unseres Auges, venule <jteren 9ich 
jedes heUe Qebiet ^(chejabar tlber die angren- 
zenden D^unkeiheiteQ fa^naua verbreitet, und 
zwar um^o mehr, |e griteer der HeUigikeits- 
unterschied isrt. Hier ist er sehr groaa^ der 
jMLaler hat demc^t^rechend ein sehr weities 
X^berstr^ung^ebiet gemajt, Man k5nnte tm^ 
wenden, d^p diese t^beratrnhiung im Bilde 
durch dieaelben ^iittel hervorgebracht werd/sn 
n;ii|aste« wiye in der Natur, niiti^cb diirch 
l^febeneinapc^rsetzea von lieU und Punkel. 
Hier aber 4nidet der Maler aeoie ^^ehr eoge 
Gren^e ^n de^n ^iel zu geringen Helligkeijta- 
unterschied aeiQer alusserateyi Farbetoffe: sein 
bestes Weiss neben seinem beaten Schyrarz 
gi|>t nur eipe sehr unb/»4eutfEmde t^berstraMung, 
die mit der dpr Spnne gegen d^n Horiepnt. gar 
nicht zu yiBigleic^en iat. Deshalb hat er sich 
dadurch gehplfep) da^s pr die Erscheinung, 



150 



Darstellung snbjtfklifVer Empfindungen 

in WirktichJc&it H'Ur subjektiv im 
Auge des BresclxffiieTs entfltebty abi^efativ 
m »ei»Sild g«snalt hmt Indcm csr dadupch 
im Aage enicD i ftinl i cli en 2te8taod lieprvontift, 
d» flbkle mac tatstfchttolie t^bwatrafabu^ statt, 
bvwi^kt «r bn dem Beschaner die Bmpfiiidiinif 
dcr blendendcR HeAUgkeife^ die erfabmngt- 
gemiln die Ursadre einer Oberstvafaking Kit* 

EBermit iat cm uagebcncr wkhtigea und dcr 
manugftkigsten Anwendimgen fithj^ca Pruwip 
anagespcocben^ von dem die Kiinatlear uiibe* 
wusst Oder bewosat bestitndig Anwcndnng 
maciien:snaiiiiiialt die sabjektivea Neben- 
eracbeiXMMigien der I^icfa^wirkiuirgixiaBild^ 
urn den KiAdxmck z^ii erweckea, ala wiSren 
deren objective Ursacben vtirhrandeii* 
AofdenihescfariebeneDBflde findcn aicah nocb 
mehrere Anvpidfuigctt des glaichen BtinzipB. 
Jener itHffiobe Fleck in der Mitte 4iar •Sonne Ter- 
tiitt die Tatsacfae^ dasa die Mitte unaerea Qe^ 
eidttsfeldea tine etwas wenlger Irchtenipfind- 
li^e SMle eftthtOt, aU iitare sliiciiste Umgdbvog 
iat Diesear Umatand kancnt taica gewittmttclien 
Oeteauoii dea Angee gar nielit aur Bmpte * 
dug, woUl aber bei der Blendim%« md danm 
bat itan der Mater oocli aur in die 8cnu» ge* 
miUt. 

Daa VarachmitElBete ist ainr iMgnuier Uaoh 
stand. Wenn man in die Sonne geseban teaty 
so beh^ man im Aoiga wsitarend einiger Zeit 



X5I 



N 

das Nachbild der Sonne, das durch eine Reihe 
von ziemlich lebhalten Farben ,^bkllngt'^ Und 
zwar erscheint dies Nachbild, das in einer Ver- 
linderung des Augenbintei^;rundes an der Stelle, 
wo die Blendung stat^eftinden hatte, besteht, 
fiberall dort, wohin man den Blick richtet, es 
ist also mit dem Auge beweglich. Der 
Maler hat nun derartige iarbige Nachbilder der 
Sonne an verschiedene Stellen seines Bildes 
gesetzt und ist dabei so vorsichtig verfahren, 
dass man die iarbigen Flecken als solche nicht 
unmittelbar empfindet, sondem erst beim ge- 
naueren Zusehen unterscheiden kann. Dem- 
gemass bemerkt der unvorbereitete Zuschauer 
iiberhaupt nicht, dass der Maler die Nachbil- 
der hingemalt hat; er hat nur in seinem 
Auge, das auf irgend welchen anderen Stellen 
des Bildes ruht, die gleiche farbige Erschei- 
nung, als hStte er das Nachbild der Sonne im 
Auge, und da er diese Empfindung wieder- 
findet, wenn er seinen Blick auf andere Stellen 
des Bildes richtet, so gesellt sich dazu der 
Eindruck, dass dies Nachbild mit dem Blicke 
wandert, gerade wie ein richtiges Nachbild. 
Da er derartiges nur von der Blendung des 
Auges durch grosse Lichtunterschiede herkennt, 
so wird alsbald der Eindruck bewirkt, solche 
Helligkeitsunterschiede seien tatsiichlich vor- 
handen. 

Es ist sehr zu beachten, dass der Blen- 



isa 



Gewdhnung 

dungseindruck dieses Bildes auf den Unvor- 
bereiteten sehr gross ist; er verschwindet aber 
ein wenig, wenn man die Mittel genauer unter- 
sucht hat und ist bei mir, der ich dies oft ge- 
tan habe, bereits ziemlich viel geringer ge- 
worden, als er anfangs war. Dies ist ein 
natiirlicher und unvermeidlicher Vorgang, der 
ein grosses Licht auf gewisse geschichtlich 
beglaubigte Tatsachen wirft, die uns sonst 
schwer verstandlich sind. Solange der Be- 
schauer nur solche Nachbilder kennt, die durch 
eine wirkliche Blendung entstehen, miissen die 
gemalten, von deren Existenz er noch keine 
Erfahrung hat, ausserordentlich iiberzeugend 
wirken, indem sie ihm das Vorhandensein einer 
wirklichen Blendung suggerieren. In dem Masse, 
als er aber lemt, dass es auch gemalte Nach- 
bilder gibt, wird der Schluss von den Nach- 
bildern auf die Blendung immer weniger bin- 
dend und die Wirkung schwacht sich ab. Diesen 
eben geschilderten Vorteil der unwidersteh- 
lichen Suggestion hat offenbar ein jeder Maler, 
der als erster eine derartige Nachahmung der 
Natur entdeckt und anzuwenden weiss. Der 
Beschauer, der diese VerhMltnisse nicht kennt, 
unterliegt der Suggestion um so sicherer, je 
weiter abliegend vom Gewohnten die neue Er- 
werbung ist, wcihrend die spstteren Beschauer, 
denen das neue Mittel durch vielfache Anwen- 
dungen, die sie in Bildem gesehen haben, ge- 



153 



Vorttil das BMten 

Ufofig geipordai iflt» van jener zwingesden 
Snggcw/tiotx iiidits mehr cwnpffinden* So .eddKton 
sioh die entbuatiMtisdbeii Beri^rte on jdem 
Alleitaiii flbor die BusscriU'dftUtliclic IftrtCiriictH 
kcdt dnr von den demfillgen Jftnlcni crneichtBD 
Wirkongent wShrend vrir nach dem, vtmi^ wir 
vm JCDM91 Malcrotfin wiiiBn, sie xwar vfiiinut* 
Uoh nadi anderea Sctten aehr aohdn, aber niclits 
weniger als nat n ra lUa ti a c h hcrvDrragend fin* 
daa wiirdeB. Neulii^ wurde ich von emen 
Fraunde gofragty wie die zeitg enttsaiachen Be* 
ridite fiber die ana a e rord eatHcltie NatiirlscMMat 
der Lraodachaften Gdottoa ru erUMren aeien. 
da docfa, wie der Angenafdiein lehrt« dieae 
L«ndacli«fte& flr una vaai einer IdndlsChec 
HilfloajglQrit in der Aufiaaaung miid DarateUung 
BuA Sie Aotff^ort iat eben, daaa jene Zeit- 
I^Bnoaaen neben den GeaichtBeiadriickea der 
waridichen Natur iainliGhe» dtirch Kunat her- 
vergebradite meht kannten und daber von der 
Annfiksensng^ die Giotto ala ersfeer errekfat 
hatte, in deradlben Weiae atsggeativ beeinfluaat 
wurden, vnt der hentige Bescfaauer von dem 
•charfaimiigeo Nachbikksinaler Jeaperaen« 

Waa ich Ifanoi hier fiir die Blenduoga- 
erscheinungen entwickelt habe« gilt natlMich 
allgemein von alien aufajelctiv en^ftuidenen 
Wirkangmi dea Xaaaeren liiohtea auf daa Auge* 
Um Bmen noch eln andcsrea Bmapidi vomi- 
itthrea nnd IfaMo dadttreb die ganz anaaer- 



154 



D«r fleekig» Htemel 

oxdenfeUohc Allgemeinheit und Fruchtbarkeh 
dieses Prinzips zu zeigen, will ich noch eiiieii 
FaH er&rtern, d^^ des fleckigpen Him- 
laels. Scit tintr nicht grossen Aixzahl von 
Jahrcn fUUte ich imch duixb dmit dutnme 
Matttcr, den ELimmel zu malen, geSrgert : sie 
bestand dluis, dass man verschiedene blaiiie 
und rtitiiche gcobe Stridbe kreuzweise neben- 
einander setzte. Da ich den Himmel niemals 
so gesehetn hatte^ betrachtete ich die Sacfae 
als eine (sehr verbreitete) Mode^ bis ich ein* 
nud auf ein Bild stiess, in weichem dies Prin* 
zip sacfagemass und nicbt auaserlich mecha- 
niacfa benutzt worden war. Hier waren die 
beiden FarbtiSne, ein griinblauer und ein r6t- 
lichvicdetter, sorgfiQtig so gcgffineinander abge-^ 
stimmty dass ifare Helligkeit gleich war 
und ihrc gegenaeitigen Grcnzen dadurch tAibk 
liur sdiT schwer erkennen lieasen. Wean man 
eine derart behandelte Flliche httraehtfit^ so 
weiss man nicfat recht> auf welche von beiden 
Farben man daa Auge einsteilen soH, denn 
da das Auge nicht voUstSndig achromatisch 
ist, so braucht es Sir verschiedene Farben 
eine etwas verschiedene Einstellung. Eine ahn- 
liche Unsicherheit empfindet man, wenn man 
in den ganz klaren Himmel schaut, in dessen 
Tiefe sich kein Gegenstand befindet, der ver- 
m5ge seiner bestimmten Ent&mung eine btt* 
stimmte Einstellung der Augen veranlasst, und 



155 




dco, dcno Ftfilisloff und TlimlfmiUflj Dcckuog^ 

sind ja aoch dot Ifittd, von der 



KJndmck hervorznbriiigen, dcr dcm der natiir- 
lichen Ersclieinnng iml i fimnmL Der Unter- 
sdued liegt nor in der zancbmenden Verwick- 
hmg and Vemumnigfaltigiing der Erscheinqng, 
War es bisfaer nor die Farbe selbst ohne Rfick- 
siclit aof ihre Begrenzung and g^enseitige 
optische Beeinfliissiing, die ivir betrachtet 
haben, so sind nunmelir die Obereinstimmun- 
gen und Verschiedenheiten znr Sprache ge- 
kommen, welche diese Farben in ihrer Wir- 
kung auf das Auge im Vergleich zu der natiir- 
lichen Erscheinung zeigen. 



XVII. 

Lieber Freundl 

Sic flussem sich zufrieden mit den An- 
regungen und F0rderungen, die Sie meinem 
letzten Brief entnommen batten, betonen aber 



156 



Akademischer Unterricht 

mit sichtlichem Ingrimm, dass Ihnen hiervon 
seinerzeit auf der Akademie nicht der leiseste 
Schimmer gesagt und erkl^t worden sei, und 
dass Sie unzweifelhaft sich eine Menge nutz* 
loser Arbeit und schwer iiberwundener Irr- 
tiimer erspart hittten, wenn Sie friiher zu der- 
ardgen allgemeinen und doch auf den einzelnen 
Fall leicht anwendbaren Betrachtungen ange- 
halten worden wICren. 

Ich selbst kenne den Betrieb der Akade* 
mieen nicht aus eigener Erfahrung, muss aber 
allerdings zugeben, dass die Ausserungen von 
Kiinstlem, aus denen spater etwas Erhebliches 
geworden ist, iiber ihre auf der Akademie ver- 
brachte Studienzeit fast ohne Ausnahme recht 
ungiinstig lauten. Dies steht in einem auffal- 
lenden Gegensatz zu der Tatsache, dass die 
Gelehrten sehr oft ihrer Universitatslehrer 
dankend gedenken, ja nicht selten erklaren, 
dass das Beste, was sie geleistet hatten, der 
Schulung Oder wenigstens Anregung ihrer aka- 
demischen Jahre zu danken sei. Nun muss 
ich die FIChigkeit selbstsCndiger wissenschaft- 
licher Forschung ebenso hoch stellen, wie 
die selbstSndiger kiinstlerischer Gestal- 
tung. Wenn nun die erste Fahigkeit erfolg- 
reich und in einer den Z5gling befriedigenden 
Weise von einer Lehranstalt ausgebildet wer- 
den kann, so muss ich dies auch von der an- 
deren annehmen, d. h. ich muss die MSglich- 



157 



koit bchflopteo, den Unterricht sdf der Koiurt- 
akadeinie ebenso IBrderiiA uad begeistemd za 
gortalteo, vHe sich der wisscDsehafUiclie Unter- 
richt erfahrangttniffwrig gestalten lliMt. Wenn 
dies 2iel nicht erreicllt wild, eo kann es nor 
an der Lehrmetiiode oder dem I^hriidiidt 
liegen. Dcmn an der Kunstakademie wtrd ja 
wie an der UnhreraitlCt der Unterricht von Sol- 
chen erteQt, die die FShigkelt artbetfindigen 
Schaffisns an eigenen Werken erwieaen haben. 

Nun achelnt allerdinga sax der Kunfitakademie 
die Oroppe von LrOhriUchMii zu fthlen oder 
nor atiefinfitteriich behandelt zu vrefden, die 
idtk ala unbedingt grun^egend ftir jede gesnnde 
KunstObung anaehen muss, die Naturwissen- 
sc ha ft en. Anatomie einerselts, Geofnetrie 
und Perspektive andererseits werden wohl ge- 
l^rt. Aber mlt wie diirftigem Brfolge, zelgt 
ein Rundgang durch irgend eine AusstcAlung 
neuer Bilder, in denen die perspektivisc^en 
Pehler — nun wir woUen sagen — nicht airtten 
sind. Dass Physik, insbesondere Optik, Phy* 
siologie des Sehens und endlkh Psychdiegie 
geiehrt wQrden, scheint liicht vorzukommen. 
Mit der Chemie hat man im Ihteresse der 
maltechnischen Fragen aUerdinga eben einen 
schUchtemen Anfang gemacht. 

Ich zi5gere nicht, die Ketzerei auszusprechen, 
daas der bildende Kiinstler eine ihinde- 
stena ebenso griindliche naturwissen- 



158 



Notwendigkeit n tMu r^ wfl tanBcbaftlicher Bildung 

schaftliohe Bildunghftbetimufts, wie b«i*- 
apiftliiw^ise d«r M^ediiziBer. Dafiir kann 
w grotse ToUe ddr ttbltchim Aistiiettk, die woU 
moist der V<«rtragefHle ebensowenig bcgretft; 
wie der H5rer, auf sich berahanilaaaon. Afidere 
Dinge, die txxir dbenso entbebxiieh soheinen, 
iMoe iefa lieber uobe^eiehnet, um die amm*' 
a^pebeodeo Reformer zusiachat in den GrenMO 
dea Ausffibrbaren ^u faalten. 

&ie warden fragen, woher der SdiUler die 
Zeit hietfiir netameo aoll. Die Antwort lic^ 
darin, dass ihm eine rationelle, d. fa, auf die 
Sache gehende wisaenachafdiefae Bildungy 
set aie Bochao elementar, daa Handweiic seiner 
Kunst in ganz unuberaehbarer Weise erleiob^ 
tem wird. Was er aieh senat miihseUg als 
eine tmvarstandene Kegel hat eiopriKgenaiiisseo, 
wobei er aich immer noeh zu besinnen hat> 
ob mcht gerade daa Qei^eBteil vorgeschrieben 
iat> daa braiieht ihm alsdaim nur eimnal ge* 
aagt au warden, ond er kann ea dem Zusam* 
me&hang seinea rationellmi Wisaena einver* 
letben, denn es iat mir etoe einzehie Anwendung 
fldlgemeiner Gresetae, die er kennt* Wenn man 
wie ich tiigUeh gesehen hat» wie achnell einem 
Sebitter die aaehgemSaae Anw^iduog allge* 
meiner Gesetee znr featen Denkgewohnhait 
werden kann, so hat man in eine derartige 
Ldbrmathode etniiinbegreQatea VertrauMi. Und 
weno der KunatachiUer sich ttberzeugt, wie 



159 



Sehen lemen 

bald ihm das, was er lemt, die kiinstlerische 
Arbeit erleichtert, so wird er das Erwerben 
derartiger Kenntnisse mit derselben Freude 
betreiben, wie sic die Regel beim jungen Na- 
turwissenschaftler ist. 

Aber wohin bin ich geraten! Da ist wieder 
der Lehrer mit mir durchgegangen. Ich wende 
mich zu den psychophysischen Bedingungen 
der Malerei zurtick, und mache Sie auf ein 
wichtiges allgemeines VerhsQtnis aufinerksam, 
das ich der Wirkung wegen auf eine m5glichst 
auffallende Form bringe. 

Zum Zwecke der malerischen Wie- 
dergabe der Natur muss der Kiinstler 
erst neu sehen lernen. 

Dies ist deshalb nStig, weil wir keineswegs 
die Dinge so sehen, wie sie sich, optisch ge- 
sprochen, dem Auge darbieten, sondem so, 
wie wir sie am besten erkennen. Wir be- 
nutzen nsCmlich gew5hnlich unsere Augen nicht 
dazu, um einfach die verschiedenen Farben- 
und Lichtempfindungen, die uns die Aussenwelt 
bietet, alsfarbigeFlecken aufzunehmen, son- 
dem um uns in der Aussenwelt ftir allerlei tag- 
liche und praktische Zwecke zu orientieren. 
Beispielsweise sehen wir fiir gewohnlich nichts 
von den schiefen Winkeln, unter denen uns 
infolge der perspektivischen Verschiebungen 
die HMuser erscheinen. Vielmehr fassen wir 
diese gesehenen schiefen Winkel als rechte 



i6o 



Praktisches und kiinstlerisches Sehen 

auf, d. h. wir subtrahieren den uns bekannten 
Einfluss der Perspektive von dem tatssichlichen 
Gesichtsbilde und konstruieren uns daraus das 
rechtwinklige Haus. Dies macht sich geltend, 
wenn das Kind oder allgemein der unentwickelte 
Mensch zu zeichnen beginnt: alle Dinge, von 
denen er erfahrungsmassig weiss, dass sie rechte 
Winkel haben, zeichnet er auch rechtwinklig, 
obwohl sie ihm tatsachlich schiefwinklige Ge- 
sichtsbilder geben. Das gleiche gilt fur die 
perspektivische Verkleinerung femer Gegen- 
stMnde: alle Fehler, welche der Ungeiibte 
in dieser Beziehung begeht, liegen in dem Sinne, 
dass er die perspektivische Verkleinerung ge- 
ringer zeichnet, als sie tatssichlich sich dar- 
stellt. Giotto hat beispielsweise noch nichts 
von der Perspektive verstanden und hat nur 
ungefahr gewusst, dass feme Gegenstlinde 
kleiner erscheinen. Seine unaufh&rlichen per- 
spektivischen Fehler bestehen fast alle darin, 
dass er die Verkleinerung zu gering zeichnet. 
Das gleiche gilt endlich fiir die Farben. 
Praktisch interessieren uns die Farben der 
Gegenstande auch nur als Hilfsmittel des £r- 
kennens, und somit subtrahieren wir von jeder 
gesehenen Erscheinung die uns bekannte be- 
sondere V^irkung der gerade vorhandenen Be- 
leuchtung und wenden unsere ganze Aufmerk- 
samkeit auf die Erkennung der Eigenfarbe des 
Gegenstandes, seine spgenannte Lokalfarbe. 

Ostwald, Malerbriefe. XZ 

i6i 



Bis ticf in die aogcminntr gnssc Z€A dcr itft* 
licnisclicii Mslcrci kam man den Emfloss diuei 
GewShnons: veriblgen; alle Biider werden so 
dargcstellt, als wSren sSmdidie Gegenstande 
dnrch fiu1>loses Lricht bdeaditet. Selbst dort, 
iro die BeotMicfatong so onzweideiitig ist, dass 
sie nicfat fibersehen urerden kann, wie bei dem 
Blan der Femen, wird dieses wie eine Lokal- 
&rbe behandelty and von den besonderen Um- 
stSnden, dnrch welcfae das Femblaa modi- 
fiziert wird, findet sich last nichts beachtet 
und ausgedriickt. 

Diese Beispiele liessen sich noch vielfoch 
vermehren, doch urerden Sie das wohl noch 
leicfater und mannigfaltiger aus Ihrer Erfahrung 
tun kdnnen, als ich es vermag. So will ich 
nur einen allgemeinen Schluss daraus ziehen 
und ihn zu einer entsprechend allgemeinen 
Regel benutzen, die fiir die kiinstlerische Ar- 
beit massgebend ist, soweit sie die Darstellung 
der natOrlichen Erscheinung anstrebt. Der 
Kilnstler muss sein Auge und sein Be- 
wusstsein unaufhSrlich dazu zwingen, 
sich jene fUr dieZwecke despraktischen 
Lebens erworbene innere Bearbeitung 
und Umgestaltung der Gesichtsein* 
driicke wieder abzugewShnen; er muss 
sich dazu erziehen, nur Formen und 
Farben zu sehen, ohne Beziehung auf 
das, was sie ,,in Wirklichkeit" darstellen. 



z62 



Sehen lernen 

In dem Masse, als er diese ^Wirklichkeit'^ aus- 
zuschalten gelemt hat, wird er in den Stand 
gesetzt sein, in seinen Bildem den Eindruck 
der Wirklichkeit wiederzugeben. Denn seine 
Aufgabe ist ja, fiir jeden dargestellten Gegen- 
stand im Auge des Beschauers die optische 
Wirkung hervorzubringen, welchen der Gegen- 
stand hervorrufen wiirde, wenn er sich dort, 
wo er dargestellt ist, selbst befSnde. Die 
praktische „t}bersetzung'' oder das Erkennen 
besorgt dann der Beschauer des Bildes seiner- 
seits; und gerade der Umstand, dass er diese 
Obersetzung erst selbst besorgen muss, ruft 
in ihm den Eindruck hervor, als befande sich 
der wirkliche Gegenstand vor ihm. Umgekehrt 
wird jede in das Bild hineingemalte der- 
artige Cbersetzung den Beschauer aufinerksam 
machen, dass es sich nicht um den Gegen- 
stand selbst handeln kann, sondem nur um 
eine Darstellung desselben. 

Wenn ich schliesslich das, was hier im 
einzelnen von Fall zu Fall erlautert worden 
ist, in einen allgemeinen Satz zusammenzu- 
fassen versuche, so erhalte ich die folgende 
Kegel Oder Mahnung, die sich jeder Kiinstler 
immer wieder ins Bewusstsein rufen soUte, 
bis er sich daran gew3hnt hat, bestandig da- 
nach zu handeln. Diese Regel ist dieselbe, 
die sich aus den Mitteilungen der grossen 
Kiinstler selbst von Lionardo bis B3cklin als 

II* 
163 



Bewu88te Arbeit 

Summe ihrer Weise entnehmen IsCsst. Sie 
heisst: 

Der Kiinstler schaf fe bewusst. £r sei 
sich unaufh5rlich klar iiber den Zweck, 
den er eben erreichen will, und iiber die 
Mittel, mit denen er ihn erreicht. 

Jedem Kiinstler gelingen von Zeit zu Zeit 
noch weit iiber das von ihm Vorausgesehene 
und bewusst Gewollte in besonders gliicklichen 
Augenblicken Dinge, iiber welche er selbst er- 
staunt. Hierin liegt eine Quelle grosser Fort- 
schritte. Solchen gliicklichen Funden gegeniiber 
hat er die heilige Pflicht, nicht zu ruhen, als 
bis er genau herausgebracht hat, worauf die 
besondere und neue Wirkung beruht, die ihm 
da gelungen ist, und er hat die Richtigkeit 
einer auf diese Frage gefundenen Antwort da- 
durch zu priifen, dass er eine gleiche oder 
Mhnliche Wirkung nunmehr bewusst hervor- 
bringt. 

Dies ist in kurzen Worten der eine und 
wahrscheinlich hMufigere Weg, auf welchem 
der Kiinstler fortschreitet. Bin anderer liegt 
darin, dass er sich durch die Natur, die £r- 
fahrung Aufgaben stellen lasst, deren LSsung 
noch nicht versucht oder gelungen ist, und 
dass er durch das Experiment die Mittel zu 
gewinnen versucht, um das neue Problem zu 
bewlQtigen. Die Aussicht, eine derardge Auf- 
gabe zu 15sen, wird um so grosser sein, je 

164 



Schluss 

sicherer der Kiinstler einerseits die bereits 
vorhandenen Ausdrucksmittel beherrscht, und 
je klarer er andererseits liber die Bedingungen 
der Wirkung, optische, wie psychologische 
ist. Auch hier ist also eine mdglichst weit- 
reichende Klarheit und Bewusstheit die Grund- 
lage alles Erfolges. £s findet hier eine Shn- 
liche Umwandlung statt, wie in alien anderen 
menschlichen Dingen; was friiher von dem 
unerkl£[rbaren Eingreifen h5herer Machte ab- 
h£(ngig erschien, wissen wir jetzt nicht nur 
naturwissenschaftlich zu begreifen, sondem 
auch hervorzubringen. Ebenso hat in der 
Kunst die unbewusste Eingebung dem 
bewussten Kcinnen zu weichen. 



Druck Ton Breitkopf & HiCrtel in Lreipzig. 



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