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Full text of "Mannus - Zeitschrift für Vorgeschichte 1.1909"

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BUCHHANDLUNG 


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Zeitschrift für Vorgeschichte 


Organ der Deutschen Gesellschaft 
für Vorgeschichte 


:: herausgegeben von :: 
Professor Dr. Gustaf Kossinna 


I. Band 


WÜRZBURG 
Curt Kabitzsch (A. Stuber's Verlag) 
1909 


a eee ee M... . m 


— 


Avd ropelos, A 


Inhalts - Verzeichnis. 


— nn 


Zum Geleit von G. K. ae 
Verhandlungsberidt der Ssründenden Versämmlung- 


` Satzungen der Deutschen Gesellschaft für armas 


Ausschuss und Vorstand . . . . . . . . . . 12, 168, 
Ehrenmitglied Bo e lo ae a G 
Nachrichten (Einzelheiten siehe im tn . . +. a Be 162, 


Abhandlungen, Mitteilungen und Nachrichten. 


Albrecht, G.: Sitzungsberichte der Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte, 
Zweiggesellshaft Berlin. . . . o... 144, 
Beltz, R.: Einige seltenere steinzeitliche, Funde: aus ; Mecklenburg 
Blume, E.: Die chronologische und die ethnographische Methode ders vor- 
geschichtlichen Forschung (Vortrag in der Deutschen Gesellschaft, Posen) 
Blume, E.: Aus der Provinz Posen. Erwerbungen des Kaiser Friedrich- 
Museums zu Posen . . . . +, + + + + © + + + + + . +. o 1908 
1909 
Devoir, A.: Urzeitlihe Astronomie in Westeuropa . 
Frëdin, O.: Einzigartige Steinzeittunde bei Alvastra 
Fuhse, F.: Städtisches Museum Braunschweig . 
Goetze, A.: Ostgotishe Helme und symbolische Zeichen . 
Goetze, A.: Germanische Funde aus der Völkerwanderungszeit 
Günther, A.: Das Museum des Kunst-, Kunstgewerbe- und Altertumvereins 
für den Regierungsbezirk Coblenz 
Hahne, H.: Der nordwestdeutsche Verband für Äktärfümsförscung a in Kassel 
Hekler, A.: Eine neue Bronzebüste eines Germanen . š 
Herrmann, C.: Grabhügel bei Lissdorf, Kreis Naumburg . . 
Hess von Widhdorff, H.: Uber die ersten Anfänge vorgeschichtlicher 
Erkenntnis im Ausgange des Mittelalters . 
Kiekebusch, A.: Die vorgescichtlihe Abteilung des Märkischen Museums 
der Stadt Berlin . 
Kiekebusc, A.: Chronologie; Kultur und Bevölkerung de máridahen 
Bronzezeit . 
Kossinna, G.: Der Ursprine der Urfinnen und der Üsindogermänen Gad 
ihre Ausbreitung nach dem Osten. 
I, Urfinnen und Nordindogermanen š 
Il. Nordindogermanen und Südindogermanen . ) 
Kossinna, G.: Vergessener Bericht über ein Urnengräberfeld der e 
Zeit (?) in Ermsleben, Mansfelder Gebirgskreis, vom Jahre 1710 


127 


]V Inhalts - Verzeichnis. 


Kossinna, G.: Germanen-Darstellungen in der antiken Skulptur 

Kossinna, G.: Nachruf an O. Mertins 

Kossinna, G.: P. Telge, R. v. Weinzierl, J. Mestorf, w. Keets, H. Schumann, 
W. Zenker . a e rer Q 

Kossinna, G.: Société aréhistorique de France. 

Montelius, O.: Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 1 

He & 4.4 

Müller-Brauel, H.: Der Hexenberg am Wege Brauel-Offensen, Kr. Zeven 

Pastor, W.: Das Problem der Trojaburgen . ; 

Rademader, C.: Die germanische ee der Kaiserzeit am Fliegen- 
berge bei Troisdorf . : 

Rademacder, C.: Prähistorisches Muscúm zu Köln 

Rieken, K.: Drei Holzbrandplätze mit Steinkern aus der Bronzezeit 

Schmidt, H.: Ergebnisse meiner ee auf dem Bene bei 
Striegau in Schlesien . re: Be h y E 

Schmidt, R. R.: Das nadien in Deutschland 

Schneider, H.: Rassereinheit und Kultur . 

Voges, Th.: Vorgeschichte des Dorfes Beierstedt bei dercheim: 

Waase, K.: Möritzsher Funde, Urnengräberfunde aus der Leipziger Tief- 
landbucht 

Weinzierl, R. R. von: Übersicht über die Forschungserzehnisse in Nord- 
böhmen . 

Wilke, G.: Entstehung ind Heimatland der Spirale und ethnische Stellung 
der Spiral-Mäanderkeramik . š : ; . 

Wilke, G.: Der neue Skelettfund des Home Aürignadensis Hauser, 


Sachregister . 
Bücherbesprediungen: ; 
Verzeichnis der Abbildungen i im Text And auf den Tafeln ; 


Zum Geleit. 


O 


Mit dem vorliegenden Hefte der „Zeitschrift für Vor- 
geschichte“ tritt zum ersten Male ein Organ an die 
Öffentlichkeit, das aus dem Zusammenschluss der deutschen 
Vertreter der Vorgeschichtsforschung als erste Frucht er- 
wachsen ist und hinfort für die Fachleute der Ort sein soll, 
wo alle ihre Äusserungen von mehr als lokaler oder eng 
landschaftlicher Bedeutung vereinigt werden sollen. Von 
keiner anderen Erwägung gingen wir bei der Gründung der 
Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte aus, als von der 
Erkenntnis der Notwendigkeit, unserer Wissenschaft, deren 
Kundgebungen und Taten bisher nach allen Windrichtungen 
hin zerflatterten, endlich auch in Deutschland einen solchen 
allgemeinen Sprechsaal zu schaffen, wo alle diejenigen ihrer 
Jünger ihre Stimme erheben könnten und erheben sollten, 
die etwas in höherem Sinne Förderliches und für jeden 
Fachmann unentbehrlich Neues mitzuteilen haben. 

Wir folgen hiermit nur dem vor fünf Jahren so glänzend 
gegebenen Beispiele unserer französischen Fachgenossen, 
sowie der Belgier, denen sich im vorigen Jahre Engländer 
und Schweizer angeschlossen haben. 

So wenig die Pflege der Vorgeschichte in Deutschland 
nachsteht dem Stande dieser Wissenschaft in den genannten 
Ländern, so wenig darf uns die frohe Zuversicht fehlen 
auf ein gleich glückliches Gedeihen unserer Gesellschaft 
und unserer Zeitschrift, wie es die ausländischen Gesell- 
schaften und ihre Organe über Erwarten zu erleben die 


Freude hatten. 
Mannus. Bd I, H 1. 1 


2 Zum Geleit. 


Uber die Einzelheiten, die bei der Gründung der Gesellschaft 
und der Zeitschrift in Frage gekommen sind, bringt der im Eingange des 
Heftes wieder abgedruckte Bericht über die gründende Versammlung die 
nötigste Aufklärung. Hier sei daraus nur kurz wiederholt, dass ein 
Bedürfnis nach einer selbständigen Gesellschaft vorgeschichtliher Fach- 
leute bei uns schon seit Jahrzehnten sih fühlbar machte, seit 1900 
ständig beraten wurde und im Herbst vorigen Jahres endlich seine 
Befriedigung fand, so dass am 3. Januar d. J. die formelle Begründung 
der Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte vollzogen werden konnte. 


Unser Ziel geht einmal dahin, durch Veranstaltung von wissen- 
schaftlichen Sitzungen in Haupt- wie in Zweigversammlungen dauernde 
Anregungen zu bieten, geistigen Austausch und persönlichen Zusammen- 
schluss herbeizuführen. 


Unser Hauptziel liegt jedoch in der Schöpfung einer Zeitschrift, 
deren Aufgabe es ist, sowohl den wissenschaftlichen Kleinbetrieb 
zu pflegen durch Einrichtung eines Nachrichtendienstes und durch Berichte 
über wichtige Vorgänge und Arbeiten auf allen Gebieten unserer Wissen- 
schaft, als auch den höheren Anforderungen der Wissenschaft gerecht 
zu werden durch Darbietung gewählter grösserer und kleinerer Original- 
arbeiten. Nach Raum und Zeit soll hier die ganze Vorgeschichte des 
europäisch-vorderasiatischen Kulturkreises nach Möglichkeit gleichmässig 
berücksichtigt und zur Bearbeitung empfohlen werden. 

Tüchtigen Leistungen des Auslandes, in erster Linie solchen 
unserer zahlreichen ausländischen Mitglieder, stehen, wie gleich das erste 
Heft zeigt, unsere Blätter ebenso offen, wie deutschen Arbeiten; doch 
muss mit Rücksicht auf jenen Teil unserer Mitglieder und Leser, die 
ausschliesslich unsere Landessprache lesen, für Arbeiten in fremder Sprache 
die Übersetzung ins Deutsche eintreten. 


Die Anordnung der Zeitschrift wird sih demnach so gestalten, 
dass an der Spitze eines jeden Heftes eine Reihe von längeren Ab- 
handlungen steht, dann kleinere Mitteilungen, eine Abteilung „Aus 
Museen und Vereinen“, sowie Besprechungen von Werken folgen, 
endlich Nachrichten den Beschluss machen. Natürlich lässt sich diese 
Einrichtung erst allmählich bei fortschreitender Organisation ebenmässig 


durchführen. 


Und nun noch ein Wort über den Namen der Zeitschrift, der ich den 
Obertitel Mannus gegeben habe. Derartige Übernamen für Zeitschriften 
und Sammlungen von Werken, die manchen vielleiht altmodish an- 
muten und ans 18. Jahrhundert erinnern, sind in neuerer Zeit immer 
häufiger in Aufnahme gekommen, weil sie von grossem praktischen Vor- 
teil sind wegen der bequemen, sichern und von Missverständnissen freien 


Zum Geleit. 3 


Art ihres Zitierens, während ein langatmiger Titel innerhalb des engeren ` 
Kreises intimer Fachleute in der Schrift sehr bald eine feste Abkürzung 
annimmt, die jedem Neuling wie Laien ein Rätsel aufgibt. Darum be- 
standen oder bestehen noch Zeitschriftentitel wie „Euphorion“, „Klio“, 
„Memnon“. 

Und bedarf es noch vieler Worte, es zu rechtfertigen, dass nicht 
ein farbloses antikes Wort gewählt wurde, sondern eben ,Mannus*? 
Mannus war, wie Tacitus in dem berühmten zweiten Kapitel seiner 
Germania mitteilt, nah der germanischen Anthropogonie und 
Ethnogonie der Sohn des erdgeborenen Tuisto, jenes zweigeschlechtigen 
Urwesens, dem der nordishe Ymir und der indische Yama entspricht, 
und war zugleich der erste Mann, der Menschenvater, gleichsam der 
Urmensh und zwar der indogermanishe, wie auch in der indischen 
Mythologie Manus, der Bruder des ebengenannten Yama, der erste Sterb- 
liche ist. Unser Wort „Mensch“ ist ja nur eine adjektivishe Ableitung 
von „Mann“, eigentlich also der „Männische“. 

So eignet sich „Mannus“ vorzüglich als Name einer deutschen Zeit- 
schrift für Vorgeschichte, weit besser als etwa „Anthropos“, der Mensch 
schlechthin, wie bekanntlich eine andere Zeitschrift sich nennt. 

Wir Vorgeschichtsforscher suchen hinter den äusserlich nur zu oft so 
unscheinbaren, für den Fachmann aber doch so unendlich beredten Resten 
der Vorzeit stets den Menschen selbst zu entdecken und womöglich auch 
die Volksgemeinschaft, der er angehört. Keine Volksgemeinschaft ist 
aber für unsere Vorgeschichte von grösserer Wichtigkeit, als die indo- 
germanische, und innerhalb dieser nehmen wiederum ein erhöhtes Interesse 
in Anspruch, nicht an sich, sondern wegen ihrer geschichtlichen Kultur- 
mission die sogenannten Centum-Völker, d.h. die Nordindogermanen. 

Ihr Typus ist aber am reinsten bewahrt bei den Germanen. Es 
lag darum nahe, eine der schönsten und sprechendsten Verkörperungen 
dieses Typus, die Büste des in kräftigster Jugendblüte prangenden Germanen 
des Berliner Museums, der früher unter dem Namen des Kaisers 
Victorinus ging, als Abbild unseres Mannus zur Titelvignette zu wählen. 


So mögen denn die Wünsche und die Zuversicht, womit 
wir dieses erste Heft in die Weite senden, in dieselben Worte 
zusammengefasst werden, dieden Ausklang der „Gründenden 
Versammlung“ der Gesellschaft bildeten: „Seten wir die 
Vorgeschichte in den Sattel; reiten wird sie schon können!“ 


Grosslichterfelde West, Karlstrasse 10, 1. Mai 1909. 


G.K. 
3% 


Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte. 


Verhandlungsbericht der gründenden Versammlung 


am 3. Januar 1909 im Vortragssaal des Märkischen Museums. 


(Dauer der Sitzung 11—2 Uhr, 43 Anwesende.) 
I. Prof. Dr. Kossinna begrüsst die Versammlung mit folgenden Worten: 


» Hochverehrte Herren! 


So ist denn die für uns grosse Stunde gekommen, wo Sie die 
Vorgeschichte durch neue Organisationen als befreit von allen 
fesselnden Banden, als selbstbewussten Vollbürger unter den ihr 
nahestehenden Wissenschaften endlich erkláren sollen. Sie alle, 
die Sie hergekommen sind, haben schon durch lhr Erscheinen 
bezeugt, dass Sie in diesem Streben mit mir einig sind. Schon 
für diesen Beweis Ihres Vertrauens bin ich Ihnen zu tiefem Dank 
verpflichtet. Ich bin mir voll bewusst, wie viel ich von Ihnen 
verlangt habe, wenn ich verlangte, dass Sie gerade jetzt kom- 
men sollen. Waren doch für die Auswärtigen nicht nur die ge- 
wöhnlichen Unbequemlichkeiten einer weiteren Reise zu über- 
winden, sondern diesmal kam noch der Kampf mit hartem Wind 
und Wetter, mit Frost und Schnee hinzu. Und fast noch schlimmer 
ist die Wahl des Tages am Jahresbeginn, wo fast jedermann durch 
gehäufte Amtsgescháfte an seinen Wohnsitz gebunden ist, wo auch 
die Einheimischen vielfach durch den Besuch lieber Gäste ans 
Haus gefesselt werden. Man sagte dieser Versammlung darum 
ein sicheres Fiasko voraus, und es wurde der Wunsch laut, dass 
ich aus eigener Machtvollkommenheit die Gesellschaft für ge- 
gründet erklären und als Vorsitzender mir einen Schriftführer 
küren, alle genaueren Festlegungen aber der sommerlichen Haupt- 
versammlung überlassen sollte. Auf diesen Wunsch glaubte ich 
nicht eingehen zu dürfen. Denn eine formelle Gründung schien 
mir unter allen Umständen notwendig, und wenn sie nur durch 
zehn Anwesende vorgenommen werden sollte. Denn an der Form 
hängt hier alles. Wie der deutsche Kaiser des Mittelalters trotz 
einstimmiger Wahl nicht Kaiser war, wenn es ihm nicht gelang, 
die Reichskleinodien in seinen Besitz zu bringen, so wären auch 
wir noch keine regelrechte, allgemein anzuerkennende Gesell- 
schaft geworden durch den blossen Willen der Mitglieder. Es 
muss auch hier die rechtliche Form hinzukommen, um die Grün- 


II. 


Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte. 


dung als vollkommen erscheinen zu lassen. Nur so werden wir 
eine Macht sein, die verhandeln kann, die den jetzt überall 
gärenden Elementen der Nachbarwissenschaften als Rech- 
nungsfaktor erscheinen wird; nur so können wir nach 
Auseinandersetzung mit den unser Eigenleben hemmenden 
Nachbarorganisationen, nach reinlicher Scheidung vonihnen, 
dazu kommen, einen ehrenvollen Frieden zu schliessen, 
zum Zwecke gleichberechtigter, einträchtiger Arbeit. Denn 
das ist ja unser Ziel von vornherein gewesen; nicht Krieg 
ist unsere Losung, sondern durch Kampf zum Frieden, zu 
fruchtbarer Arbeit im Geiste unserer Wissenschaft !). 

Darum müssen Sie heute unsere Organisation schaffen, und 
darum mussten Sie herkommen. Sie alle, hochverehrte Kollegen 
und Freunde unserer Wissenschaft, die Sie das in schöner Einig- 
keit und unter Zurückstellung aller Sonderwünsche und aller 
Einzelheiten, die bei der Gründung nicht unmittelbar in Frage 
kommen, heute bewirken wollen, Sie alle begrüsse ich in herz- 
lichster Dankbarkeit und hebe zum Schluss noch mit Freude 
hervor, dass ich in Ihren Reihen auch manches noch jugendliche 
Gesicht leuchten sehe, eine Tatsache, die bei früheren Versamm- 
lungen von Vorgeschichtsforschern schwerlich zu beobachten ge- 
wesen wäre. Es ist mir das ein gutes Vorzeichen, dass, wie 
unsere noch so junge Wissenschaft einer reichen Zukunft entgegen- 
sieht, so auch unsere Gesellschaft die Jugend und damit die Zu- 
kunft für sich hat.“ 

Hierauf schlägt Prof. Dr. Kossinna als 1. Vorsitzenden der 
heutigen Sitzung Herrn Prof. Dr. Lehmann-Haupt-Berlin vor, der 
zusammen mit Herrn Dr. Hahne-Hannover als 2. Vorsitzenden, 
sowie den Herren Mielke-Berlin und Blume-Posen die Leitung 
der Tagung übernimmt. 

Prof. Lehmann-Haupt legt eine Tagesordnung vor, welche 


. genehmigt wird. Sie enthält folgende Punkte: 


m. 


1. Verlesung eines Aufrufes, worin die Grundsätze zum Ausdruck 
gebracht werden, die der zu gründenden Gesellschaft als Richt- 
schnur ihrer Arbeit vorgeschlagen werden sollen. 

2. Verlesung der vorläufigen Satzungen. 

3. Vorschläge zur Wahl des Ausschusses und Vorstandes der 
der Gesellschaft. 

4. Verhandlungen. 

Dr. Hahne verliest den Aufruf, dem er als Einleitung die fol- 

genden Worte vorausschickte: 

„M. H.! Dieser Aufruf soll sogleich eine Antwort sein auf viele 
bereits ausgesprochene und noch unausgesprochene Fragen grund- 
sätzlicher Art, die mit der Gründung der „Deutschen Gesellschaft 


1) Deshalb wird sich unser freier, nur wissenschaftlichen Bedirf- 


nissen entsprungener und wissenschaftlichen Zwecken dienender Zusammenschluss 
auch bewähren, trotz der jüngsten gegen uns gerichteten „Verbände“, die aus dem 
Zustande unerer Wissenschaft eine Machtfrage machen, wobei dann die Vorge- 
schichtsforschung „nicht frei“ sein kann — in unserem Sinne. G. K. 


e s 


Gründungs-Versammlung. 7 


für Vorgeschichte“ im Zusammenhange stehen, und wir hoffen, 
dass dadurch die heutigen Verhandlungen vereinfacht werden 
möchten zugunsten ihres Hauptzweckes, die Gesellschaft als 
gegründet zu erklären.“ 

„Die Grundsätze des Aufrufes sowie die Ihnen alsbald vorzu- 
legenden Satzungen und Wahlvorschläge stellen zugleich das Er- 
gebnis einer sechsstündigen vertraulichen Vorberatung dar, die 
gestern im Kreise von 13 Vertretern und Förderern der europäisch- 
vorderasiatischen Vorgeschichtsforschung stattgefunden hat, deren 
Namen sich übrigens grösstenteils in der Vorschlagsliste für die 
Ausschusswahl finden“. 


Aufruf. 


Die Vorgeschichtsforschung ist im letzten Jahrzehnt auch in 
Deutschland eine selbständige Wissenschaft geworden; ihre Interessen 
können daher nicht mehr nur nebenher durch Organisationen vertreten 
werden, die andere Hauptzwecke verfolgen; — sie muss eine selbständige 
Organisation haben. 


Herr Professor Dr. Kossinna hat es für seine, ihm als erstem Inhaber 
eines deutschen Lehrstuhles für Vorgeschichte vorgeschriebene Pflicht er- 
achtet, neben den idealen auch die praktischen Ziele unserer Wissen- 
schaft zu verfolgen !). Mit der Gründung einer „Deutschen Gesellschaft 
für Vorgeschichte“ und eines selbständigen Fachorganes glaubt er und 
mit ihm an 200 Vertreter und Freunde der Vorgeschichte, die letzte 
Weihe zu der Mündigkeitserklärung der Vorgeschichtsforschung für 
Deutschland vollziehen zu können. 


Wir bitten Sie also, in der heutigen Sitzung vor allem Ihre Zu- 
stimmung dazu zu geben, dass die „Deutsche Gesellschaft für Vorge- 
schichte“ als gegründet erklärt wird. 


Es schweben natürlich noch viele einzelne Fragen, worüber die- 
jenigen, die künftig die Gesellschaft vertreten und die Hauptarbeit leisten 
sollen, sich einigen müssen. 


Das ist jedoch nebensächlich gegenüber dem Hauptzweck der 
heutigen Versammlung: unseren Zusammenschluss vor aller Welt zu 
erklären. Deshalb bitten wir Sie dringend, lassen Sie uns alle Fragen, 
die die Ausgestaltung und das Arbeitsprogramm der Gesellschaft be- 
treffen, auf künftige Sitzungen verschieben. Vorstand und Ausschuss 
werden dann alle Schwierigkeiten viel leichter lösen, als es eine Grün- 
dungsversammlung vermag. 

Die Satzungen, die wir ausgearbeitet haben, zeigen die grund- 
legenden Absichten und Ansichten über das, was wir wollen. Wie wir 
es erreichen können, darüber wird noch vielfach zu beraten sein. 


1) Wir würden es begrüssen, wenn ein zweiter, ebenfalls schon lange erstrebter 
Zusammenschluss zustande käme, nämlich aller Museen, welche die Vorgeschichte 
pflegen, und Hand in Hand mit uns die rein praktische Seite unserer Forschung 

etrieben: möchte doch die durch persönliche Zwistigkeiten immer stärker ein- 
reissende Zersplitterung unserer Kräfte bald Platz machen einer grossen, ein- 
heitlichen, jede besonnene ideale Konkurrenz sichernden Organisation unserer 
Wissenschaft. G. 


8 Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte. 


Was wir jetzt ausführen wollen mit der Gründung der „Deutschen 
Gesellschaft für Vorgeschichte“, ist ein ganz alter Plan, der unter ver- 
schiedenen Formen schon oft erwogen ist, aber nie ausgeführt wurde 
aus Mangel an einer kräftigen Initiative. 


Aus ihrer ungünstigen, ja bedrängten Lage kann unsere Wissen- 
schaft nur ein energischer Schritt herausführen: das ist nach unserer 
Meinung die Gründung einer „Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte“. 


Die Vereinigung der Kräfte als Gegengewicht gegen die 
alte Zersplitterung ist unser Ziel. Möchte vor allem persön- 
liche Uneinigkeit in idealen oder praktischen Fragen zugunsten 
der Sache zurückgedrängt werden durch weiterblickende Be- 
sonnenheit, die der Begeisterung für die gemeinsame Arbeit 
zur Seite stehen muss, damit etwas Ganzes geleistet werde. 


Wir bieten die Hand jeder Organisation, jedem Institut, 
allen Persönlichkeiten und allen Wissenschaften, die in ernster 
Arbeit dazu mithelfen wollen, dass sich die Vorgeschichte einen 
Platz an der Sonne erobert. 


Der Aufruf wird mit lebhaftem Beifall aufgenommen und soll 
nach dem späteren Beschluss der Gesellschaft (s. S. 11) 
dem ersten rein persönlichen Aufruf Prof. Kossinnas zur 
Gründung der Gesellschaft als die erste offizielle Ausse- 
rung der Gesellschaft folgen’). 


1) Mein erster Aufruf war in der Tat ganz persönlich gehalten und auch 
von mir ganz allein: unterzeichnet worden, da es zu umständlich gewesen ware, 
einen aller Beteiligten genehmen Aufruf zustande zu bringen. Absichtlich wurden 
darum die Namen derjenigen, die sich bei der zu gründenden Gesellschaft als 
Mitglieder angesagt hatten, auf eine besondere Blattseite gerückt und sie selbst 
eben nur als Mitglieder bezeichnet („als Mitglieder sind beigetreten“). Unverstánd- 
lich ist es mir daher, wie dennoch eine Unzufriedenheii einiger weniger dieser 
Herren entstehen konnte, die in Verkennung meiner klaren Worte gemeint haben, 
diese ihre Namen vielmehr als Unterschriften meines Aufrufs auffassen zu müssen. 
Mein erster Aufruf war, wie ich es in der Eröffnungsansprache (oben S. 6) ange- 
deutet habe, ein Kampfesaufruf, der natürlich Schärfen nicht vermeiden konnte, 
sollte endlich einmal die Wahrheit gesagt werden. „Fanfaren klingen niemals 
liebenswürdig“, so charakterisierte Willy Pastor meinen Aufruf ganz richtig. Nur 
diejenigen werden freilich diese Schärfen verstehen, die da wissen, wie viele Hinder- 
nisse die oft recht persönlichen Beweggründen entsprungene gegnerische Haltung 
der von mir bezeichneten Kreise unserer aufstrebenden Wissenschaft bereitet hat. 
Meine Freunde und Fachgenossen sind über meine aus dieser Kampfesstimmung 
hervorgegangene Äusserungen hinweggegangen, die unter meiner Fürsprache bereits 
in der gründenden Versammlung durch einen neuen Aufruf ersetzt worden sind. 
Die zürnende Berliner anthropologische Gesellschaft hat eine im versöhnlichen Geiste 
gehaltene Erklärung von mir, die ich ihr alsbald nach unserer Gründung zugehen 
liess, angenommen (Zeitschrift für Ethnologie 1909, S. 117). — Aus einer Stelle 
meines Aufrufes, die sich gegen Übergriffe gewisser Vertreter der Römerforschung 
wendet, hat man in Westdeutschland vielfach einen Angriff gegen die Römisch- 
germanische Kommission in Frankfurt a. M. herauslesen wollen. Darauf kann ich nur 
erwidern, dass ich nicht einmal daran gedacht habe, die Wirksamkeit dieser Kom- 
mission und besonders ihres trefflichen Leiters Dragendorff, mit dem ich fort- 
dauernd in Verbindung stche, in die Erörterung zu ziehen: somit sind alle Ver- 
dächtigungen nach dieser Richtung hin völlig hinfällig. Unversöhnten Gegnern sei 
hier gesagt, dass es nicht in meiner Absicht lag, irgendwen zu kränken, und wenn 
dies irgendwo doch so — unrichtig — empfunden worden sein sollte, so tut mir dieses 
aufrichtig leid. 


Gründungs-Versammlung. 9 


IV. Herr Mielke verliest die vorläufigen Satzungen. 

V. Prof. Lehmann-Haupt verliest die Vorschlagsliste für die Wahl 
des Ausschusses und des Vorstandes der Gesellschaft und weist 
darauf hin, dass sie der derzeitigen örtlichen Verteilung der Mit- 
glieder der Gesellschaft (siehe VII b) entspreche. 

VI. Eine Anwesenheitsliste wird aufgestellt. 


VIl. Die nunmehr eröffneten Verhandlungen beginnen damit, dass: 

a) sich die Versammlung einstimmig mit dem Inhalt des Auf- 
rufes einverstanden erklärt unter Zufügung einiger gering- 
fügiger Zusätze, und dass 

b) Prof. Dr. Kossinna auf Wunsch weitere Angaben über die 
Anzahl der angemeldeten Mitglieder und deren Verteilung gibt. 

Prof. Dr. Kossinna: „Es wird Sie interessieren, zu hören, wie 

sich unsere Mitglieder, rund 200, über Deutschland und über Europa 
verteilen.') 


Das Deutsche Reich teilt sich unter diesem Gesichtspunkte in 
fünf Gebiete: 


1. Berlin, die stärkste Gruppe, zählt 55 Mitglieder. 

2. Nordostdeutschland, westlich bis zur Elbe, ohne Berlin 
und den Anteil des Königreichs Sachsen: 45 Mitglieder. Somit 
gehört die Hälfte unserer Mitglieder in das Gebiet östlich 
der Elbe. 

. Nordwestdeutschland: 33 Mitglieder. 

. Sachsen- Thüringen: 31 Mitglieder. 

. Süddeutschland: 19 Mitglieder. 


_ Aus dem deutschen Sprachgebiet sind weiter zu nennen: 
Österreich-Ungarn: 6 Mitglieder; Schweiz: 3 Mitglieder; ferner 
Dänemark: 1 und Schweden: 3 Mitglieder; endlich Belgien: 2 
und Frankreich: 1 Mitglied; bemerkenswert ist, dass die Vorstände 
von Vereinen und Instituten einen starken Änteil unserer Mitglieder 
ausmachen: im Nordosten sind es 23 unter 45; im Nordwesten 
23 unter 33, in Sachsen-Thüringen 20 unter 31, im Süden 10 
unter 19, im Auslande 12 unter 16, insgesamt also 88 unter 144.“ 


Anmerkung: Da der Aufruf auf die Geschichte des Gründungs- 
planes nicht näher eingeht und diese Geschichte nur dem kleinen 
Kreise wirklicher Fachleute bekannt ist, erscheint es angemessen, 
die einschlägigen Sätze aus einer Mitteilung von Prof. Dr. Kos- 
sinna bei Eröffnung der vorberatenden Vertreterversammlung hier 
einzuschalten: 


„Als Einleitung zu den Satzungsverhandlungen darf ich wohl 
einige ganz kurze Ausführungen machen über die früheren Ver- 
suche, die Vorgeschichte selbständig zu organisieren, die ja leider 
alle gescheitert sind. Vor Jahrzehnten schon wollten die Vorge- 


in 


Q & GI 


. 1) Dass innerhalb unserer Gesellschaft Kleinmut nicht am Platze ist, mag 
die Tatsache zeigen, dass wir trotz aller systematisch betriebenen Versuche der 
egenseite, unsere Mitglieder abspenstig zu machen — was freilich nur in den 
allerseltensten Fällen gelungen ist —, wir uns jetzt auf 242 Mitglieder vermehrt 
haben; die neuen Zugänge liegen hauptsächlich in Nordost, Berlin, Nordwest und 
Im Auslande. G. K. 


10 


VIII. 


Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte. 


schichtsforscher innerhalb der Berliner Anthropologischen Ge- 
sellschaft eigene Fachsitzungen veranstalten; allein die Sache fiel 
ins Wasser, vielleicht mehr aus persönlichen als aus sachlichen 
Gründen. Später hat der verstorbene Direktor Voss den Plan 
gehabt, ausserhalb der anthropologischen Gesellschaften die 
Vorgeschichtsforscher zu einigen um einen festen Kern, den die 
zahlreichen mitteldeutschen Forscher und Museen, namentlich in 
der Provinz Sachsen und Thüringen, bilden sollten. Aber auch 
diesem Plane fehlte ein umsichtiger und kraftvoller Führer der 
Bewegung. Seit der Hallischen Anthropologenversammlung von 
1900, wobei die Angelegenheit von neuem als dringlich bezeichnet 
und vertraulich durchgesprochen wurde, lag die Frage der Ge- 
samtorganisation der Vorgeschichte geradezu in der Luft. 
Und doch geschah nichts. Wie man vorzugehen habe, wurde 
ernstlicher nur erwogen in dem kleinen Kreise, den meine ersten 
Schüler und Zuhörer um mich bildeten. Unter ihnen war es be- 
sonders Herr Dr. Hahne, der sich meinen Bestrebungen zur Ver- 
fügung stellte und sogar selbständig wirkte. Diese Besprechungen 
und Agitationen waren schon 1905 und besonders 1906 in vollem 
Gange. Als Beweis hiefür lese ich ihnen eine Stelle vor aus 
einem Aufsatze Hahnes in Tilles „Deutschen Geschichtsblättern“ 
Jahrgang 1906, Band 8, Seite 56: „Hoffentlich werden die Be- 
strebungen, gerade die der deutschen vaterländischen vorge- 
schichtlichen Forschung gewidmeten Sammlungen durch zusam- 
menschliessende Organisation zu heben, bald von Erfolg sein“. 
1907 ging Herr Dr. Hahne nach Hannover ans Provinzialmuseum 
und damit fing unser Plan an, greifbare Formen anzunehmen. 
Mit der Vollendung der Neuordnung der vorgeschichtlichen Ab- 
teilung dieses Museums, die zu Weihnachten 1907 von Dr. Hahne 
erhofft wurde, glaubten wir die Gründung einer Gesellschaft für 
Vorgeschichte verbinden zu können. Aber die Gründung musste 
hinausgeschoben werden wegen widriger Verhältnisse im Privat- 
leben der Nächstbeteiligten und weil auch die Neuordnung in 
Hannover nur langsam vorrücken konnte. So kam das Jahr 1908, 
und ich beschloss nun, dem langen Zögern ein Ende zu machen 
und ganz allein die Sache in die Hand zu nehmen. So ist denn, 
nach Rücksprache mit befreundeten Fachgenossen im Sommer 
1908, die Sache im Herbst fertig geworden. Natürlich steht uns 
nach wie vor die Frage der Gesellschaft an erster Stelle. Aber 
eine wissenschaftliche Gesellschaft ohne Zeitschrift ist ein Unding. 
Darum war von jeher der Plan der Zeitschrift ein un- 
erlässlicher Bestandteil unserer Gründung“ !). 


Beratung der Satzungen: 


A. Nach sehr eingehenden Erörterungen werden die 88 1, 3, 4, 
5, 6, 7, 8, 9, 10 und 12 mit unwesentlichen Änderungen an- 


1) Auch an dieser Stelle verwahren wir uns nachdrücklich gegen alle mit 


den Tatsachen in Widerspruch befindlichen Unterstellungen und Deuteleien, wie sie 
von bekannter Seite her bei der Agitation gegen unseren Zusammenschluss fort- 
dauernd verbreitet werden! G. 


— t ei WE ui) 


-= 


Gründungs-Versammlung. 11 


genommen. Bei Besprechung der SS 5 und 6 wurde nament- 

lich betont, dass der Geschäftsordnung des Vorstandes bezw. 
Ausschusses vieles anheim gestellt werden solle, was die 
Regelung der Beziehungen zu anderen Organisationen usw., 
sowie innere Fragen der Gesellschaft betrifft. 


B.S 2 wurde in der Form eines Antrages des Herrn Prof. Peiser- 
Königsberg in die Satzungen aufgenommen; S 11 in der 
ursprünglichen Fassung mit geringen Veränderungen. 

Die SS 2 und 11, die wegen ihres inneren Zusammenhanges 
gemeinsam besprochen wurden, gaben Veranlassung zu folgenden 
grundsätzlichen Darlegungen seitens der Versammlung: 


1. Der zu Beginn der Sitzung verlesene Aufruf soll als erste 
offizielle Ausserung der Gesellschaft sobald als möglich ge- 
druckt und versandt werden, zugleich mit den endgiltigen 
Satzungen der Gesellschaft und dem Bericht über die grün- 
dende Versammlung. | 


2. Anerkannt werden die Dezentralisationsbestrebungen, die sich 
in den vorgelegten Satzungen und dem Aufruf ausdrücken, 
und es gelangen die Wünsche und Ansichten der Versamm- 
lung über das Verhältnis zu alten und neuen Vereinigungen 
für Vorgeschichte in folgendem Hinweis zum Ausdruck: 

Die Satzungen der Gesellschaft enthalten den Wunsch und 
die Möglichkeit, dass alle Vereinigungen, Institute usw. für 
Vorgeschichtsforschung, unbeschadet ihrer besonderen und 
örtlichen Bestrebungen, Mitglied der Deutschen Gesellschaft 
für Vorgeschichte werden können. Die Deutsche Gesell- 
schaft für Vorgeschichte will die Ergebnisse der Einzelarbeit 
auf allen wissenschaftlichen Gebieten, soweit sie der Förde- 
rung der europäisch-vorderasiatischen Vorgeschichtswissen- 
schaft dienen, zusammenfassen. Diesem Zweck dient vor 
allem die Zeitschrift der Gesellschaft. 


3. Berlin ist aus naheliegenden praktischen Gründen zum Sitz 
der Gesellschaft gewählt worden; die Vertretung der Inter- 
essen der Berliner Mitglieder soll einer Berliner Ortsgruppe 
zufallen. 


IX. Der Vorsitzende der Gründungsversammlung, Herr Prof. Lehmann- 
Haupt, erklärt nach Annahme der Satzungen (s. S. 14) die Deutsche 
Gesellschaft für Vorgeschichte für gegründet und spricht ihr die 
ersten Glückwünsche aus. 


X. Die Wahl des Ausschusses wird in Übereinstimmung mit der vor- 
gelegten Wahlliste einstimmig durch Zuruf vollzogen. Die erst- 
malige Wahl des satzungsgemäss vom Ausschuss zu wählenden 
Vorstandes wird seitens der gründenden Versammlung durch An- 
nahme der zur Tagesordnung vorgelegten Vorstandsliste vollzogen. 
Die anwesenden Mitglieder des somit gewählten Ausschusses und 
Vorstandes nehmen die Wahl an. 


12 


XI. 


XII. 


Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte. 


In den Ausschuss der Gesellschaft wurden gewählt: 
Geheimrat Prof. Dr. Adalbert Bezzenberger — Königs- 
berg i. Pr., 
Univ.-Professor für vergleichende Sprachwissenschaft, Vor- 
sitzender der Altertumsgesellschaft Prussia. 
Dr. med. Gustaf Eichhorn — Jena, 
Konservator des Germanischen Museums. 
Museumsdirektor Feyerabend — Görlitz. 
Dr. Hans Hahne — Hannover, 
Vorsteher der vorgeschichtlichen Abteilung des Provinzial- 


museums, Privatdozent für vorgeschichtliche Archäologie an : 


der Technischen Hochschule. 
Prof. Dr. Paul Höfer — Wernigerode am Harz, 
Vorsteher des First-Otto-Museums. 
Dr. Albert Kiekebusch — Berlin-Karlhorst, 
Ordner der vorgeschichtlichen Abteilung des „Märkischen 
Museums“. 
Prof. Dr. Gustaf Kossinna — Berlin- Gr.- Lichterfelde -West, 
Univ.-Professor für deutsche Archäologie. 
Prof. Dr. Karl Lehmann-Haupt— Berlin, 
Univ.-Professer für alte Geschichte. 
Obersekretár Hermann Maurer—Berlin. 
Prof. Dr. Ohnesorge — Lübeck. 
Rektor Karl Rademacher — Köln, 
Vorsteher des „Prähistorischen Museums“. 
Dr. J. Reimers — Hannover, 
Provinzialkonservator, Direktor des Provinzialmuseums. 
Prof. Dr. Walter — Stettin. 
Generaloberarzt Dr. Georg Wilke — Chemnitz. 
Dr. Ewald Wüst — Halle a. S., 


Privatdozent für Geologie und Paläontologie an der Universität. 
In den Vorstand wurden gewählt. 


. Vorsitzender: Prof. Dr. Kossinna — Berlin. 

. Vorsitzender: Geheimrat Prof. Dr. Bezzenberger, 
Königsberg i. Pr. 

. Vorsitzender: Museumsdirektor Dr. Reimers — Hannover. 

. Schriftführer: Dr. Kiekebusch -- Berlin. 

. Schriftführer: Generaloberarzt Dr. Wilke — Chemnitz. 

. Schriftführer: Privatdoz. Dr. Wüst — Halle a. S. 

Schatzmeister: Obersekretär Maurer — Berlin. 

Prof. Dr. Ohnesorge-Lübeck dankt im Namen der Anwesenden 

Herrn Prof. Lehmann-Haupt als dem Leiter der heutigen Ver- 

sammlung und Herrn Prof. Dr. Kossinna, dessen tatkräftigen und 

unermüdlichen Werbungen es zugeschrieben werden müsse, dass 

die Gründung einer Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte zur 

Tat geworden sei. 

Schlusswort des Herrn Prof. Dr. Kossinna: 


„M. H! Ich danke Ihnen nochmals für Ihr Erscheinen und Ihre 
verständnisvolle und einträchtige Mithilfe bei den ersten Anfängen 


Q t — QU Do 


Gründungs-Versammlung. 13 


einer eigenen Arbeitsorganisation unserer Wissenschaft. Ich muss 
ein Wort Bismarcks mit geringer Anderung hier anwenden: 
„Setzen wir die Vorgeschichte in den Sattel! Reiten wird sie 
schon können!“ Und nun zum Schluss ein Heil der Vorgeschichte 
und allen, die es gut mit ihr meinen“. 

Nach Schluss der Sitzung fand im Ratskeller ein gemeinschaft- 
liches Mahl statt, an dem sich 25 Mitglieder beteiligten und bei 
dem zu dem erwünschten Ausbau persönlicher Beziehungen viel- 
versprechende Anfänge gemacht wurden. 

An Seine Majestät den Deutschen Kaiser wurde folgendes 
Huldigungstelegramm gesandt: 

An des Kaisers und Königs Majestät! 
Die in Berlin aus allen deutschen Gauen versammelten 
Vertreter der Vorgeschichtsforschung, die soeben die 
„Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte“ gegründet 
haben mit dem Ziel, die Anfänge europäischer Kultur 
aufzuhellen, bitten, Ew. Majestät als dem erhabenen 
Förderer aller Wissenschaften ihre ehrfurchtsvolle 
Huldigung darbringen zu dürfen. 
I. A: Der Vorsitzende 
Universitätsprofessor Dr. Gustaf Kossinna, Berlin. 

Am nächsten Tage lief beim 1. Vorsitzenden folgendes Tele- 
gramm ein: i 
Herrn Prof. Dr. Kossinna, Gr. Lichterfelde, Karlstr. 10. 

Seine Majestät der Kaiser und König lassen für die 
Meldung von der Gründung der „Deutschen Gesell- 
schaft für Vorgeschichte“ und den Huldigungsgruss 
danken. 

Auf Allerhöchsten Befehl 


der Geheime Kabinettsrat von Valentini. 


— -= — - O 


Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte. 


Satzungen. 


i. Name, Zweck, Sitz und Geschäftsjahr der Gesellschaft. 
S 1. 


Die Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte bezweckt den Zu- 
sammenschluss der Vertreter und Freunde der Vorgeschichte zur 
Wahrnehmung aller Interessen der Vorgeschichte: Pflege vorgeschicht- 
licher Forschung, Verbreitung vorgeschichtlicher Kenntnisse, Schutz 
vorgeschichtlicher Denkmäler und Verhinderung des Raubbaues. 


S 2. 

Um diesen Zweck zu erreichen, tritt die Gesellschaft in enge 
Verbindung mit den Provinzial- und Lokalvereinen für Vorgeschichte 
und regt dort, wo Mangel an solchen empfunden wird, zu Neugrün- 
dungen an. Als eigenes Arbeitsgebiet behält sie sich die Veranstaltung 
der Hauptversammlung und die Herausgabe einer Zeitschrift vor. 


S 3. 


Die Gesellschaft hat ihren Sitz in Berlin. 


S 4. 
Das Geschäftsjahr der Gesellschaft ist das Kalenderjahr. 


Il. Organisation. 


S 5. 


An der Spitze der Gesellschaft steht ein Vorstand von 7 Mit- 
gliedern: 3 Vorsitzende, 3 Schriftführer und 1 Schatzmeister. Dieser 
Vorstand wird bei Gelegenheit der Hauptversammlung durch den Aus- 
schuss aus dessen Mitte auf 3 Jahre gewählt und hat innerhalb der 
Wahlperiode das Recht der Zuwahl. Der Vorstand gibt sich eine 
Geschäftsordnung. 


ma = — 


Satzungen. 15 


S 6. 


Der Ausschuss, der aus 15 Mitgliedern besteht, wird durch die 
Hauptversammlung auf Grund einer vom Vorstande vorzulegenden Liste 
von 30 Namen auf 3 Jahre gewählt und ergänzt sich innerhalb der 


Wahlperiode durch Zuwahl. 


S 7. 


Die Mitgliedschaft wird durch Anmeldung beim Vorstande unter 
Berufung auf zwei Mitglieder nachgesucht. Uber die Aufnahme ent- 
scheidet der Vorstand. Die Ernennung zu korrespondierenden und 
Ehren-Mitgliedern erfolgt auf Antrag des Vorstandes durch den Ausschuss. 


S 8. 


Die Mitgliedschaft erlischt: | 
a) durch Austritt, der schriftlich vor Schluss des Geschäfts- 
jahres erklärt werden muss, 


b) durch Ausschliessung mittelst einer Mehrheit von ?/3 des 
Ausschusses. | 


lil. Beitragszahlung. 
89. 


Jedes Mitglied zahlt einen Jahresbeitrag von 10 Mark und erhält 
dafür die Zeitschrift der Gesellschaft. Durch Zahlung eines einmaligen 
Beitrages von 300 Mark wird die immerwährende Mitgliedschaft erworben. 


IV. Hauptversammlung. 
S 10. 


Alljährlich findet eine Hauptversammlung statt, die den Jahres- 
bericht des Vorstandes entgegennimmt und dem Schatzmeister Ent- 
lastung erteilt. 

Den Ort der Hauptversammlung bestimmt der Ausschuss. 


V. Zweiggesellschaften. 


S 11. 


Vereinigungen von Mitgliedern der „Deutschen Gesellschaft für 
Vorgeschichte“ zu Zweiggesellschaften haben das Recht, sich eigene 
atzungen zu geben, die jedoch nicht in Widerspruch zu den Satzungen 
der Hauptgesellschaft stehen dürfen. 


16 Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte. 


Satzungsänderungen und Auflösung. 
S 12. 


Eine Änderung der Satzungen oder die Auflösung der Gesellschaft 
kann nur durch die Hauptversammlung, die in letzterem Falle auch 
über das Gesellschaftsvermögen entscheidet, mit Dreiviertel- Mehrheit 
vorgenommen werden. Anträge müssen dem Vorstande 8 Wochen 
vorher eingereicht und in ihrem Wortlaute den Mitgliedern mit der 
Einladung zur Hauptversammlung zugestellt werden. 


Der Vorstand: 


I. A. 


Univ.-Prof. Dr. Gustaf Kossinna 
l. Vorsitzender. 


Der Ursprung der Urfinnen und der Urindoger- 
manen und ihre Ausbreitung nach dem Osten. 


Vortrag gehalten am 18. Juli 1908 


von Qustaf Kossinna. 


1. Urfinnen und Nordindogermanen. 
Mit 25 Textabbildungen und 11 Tafeln. 


Vorbemerkung: Es lag ursprünglich in meiner Absicht, diesen Vortrag 
mit Ausfüllung der vorhandenen mittleren Lücke und genauen Literaturangaben 
gesondert herauszugeben. Da aber zunächst mehrmonatige Reisen, dann die Griin- 
dung und nun fortgesetzt die weitere Organisation der Deutschen Gesellschaft für 
Vorgeschichte mich vollkommen in Beschlag nehmen, wollte ich nicht länger zögern, 
die schriftliche Unterlage meines Vortrages, wie sie im Juli vorigen Jahres ab- 
gefasst war, weiteren Kreisen zugänglich zu machen, was mir von vielen Seiten 
dringend empfohlen worden ist. Es sei hier gleich bemerkt, dass dieser Vortrag 
Anschauungen wiedergibt, wie ich sie grösstenteils, beispielsweise über die Ancylus- 
kultur und ihre Herleitung aus dem Magdalénien Westeuropas bereits in meinen Vor- 
lesungen über die Steinzeit in den Wintersemestern 1904/5 und 1906:7, sowie über das 
indogermanische Urvolk im Wintersemester 1905/6 und nur zu einem kleineren 
Teile erst in einer Wiederholung dieses letzten Kollegs im Wintersemester 1907/8 
ausgesprochen habe. — Diese Bemerkung erscheint darum besonders notwendig, 
weil zufällig gerade bald nach meinem Vortrage eine ganze Reihe einschlägiger 
Arbeiten erschienen sind, die ich, selbst wenn ich ihnen in keinem Punkte zu 
folgen imstande wäre, nicht in die Erörterung ziehen könnte, ohne das Gefüge 
meiner Darstellung sei es auch nur durch Erweiterung ganz wesentlich zu ändern. 
Am wenigsten gilt dies von den in der Mainzer Zeitschrift Jahrg. III. 1908 er- 
schienenen Kompilafionen über die frühneolithische Zeit in Deutschland, die den 
von mir mitgeteilten Tatsachen und Anschauungen weder etwas hinzuzutun noch 
etwas abzutragen geeignet ist. at! ‘Dagegen berührt sich mit meinen Anschauungen 
und Ergebnissen, wenn auch keineswegs in den ethnologischen Hauptsachen, wo wir 
sehr auseinandergehen, so doch in zahlreichen Einzelheiten archäologischer 
Forschung die durchaus gediegene Arbeit von Wilke über „Neolithische Keramik 
und Arierproblem“ (Archiv f. Anthropologie 1909). Dasselbe Heft des Archivs bringt 
zwei Arbeiten zur Anthropologie des neolithischen Mitteleuropa, deren Ergebnisse 
ich durchaus anerkenne und vielleicht ohne grössere Schwierigkeit in meinen 
Vortrag hätte hinarbeiten können, wenn mir die nötige Musse zu Gebote gestanden 
hatte; es sind das die Abhandlungen von O. Reche, Zur Anthropologie der jüngeren 
Steinzeit in Schlesien und Böhmen, und von A. Schliz, Die vorgeschichtlichen 

Mannus. Bd. 1. 2 


18 Gustaf Kossinna. [2 


Schädeltypen der deutschen Länder in ihren Beziehungen zu den einzelnen Kultur- 
kreisen der Urgeschichte. Namentlich die letztere ist von einschneidender Bedeutung 
durch die Bestätigung, die nun von der anthropologischen Seite her meine schon 1902 
rein auf kultureller Grundlage vorgenommene Zuweisung der Bevölkerung des 
Rössener Stiles zur nordischen Gruppe, dagegen der bis dahin von anderen mit 
ihr gleichgestellten Bevölkerung des Grossgartacher Stiles, wie auch des Hinkel- 
steinstiles und ganz natürlich der Spiralkeramik zur donauländischen Gruppe er- 
fährt. Überhaupt wird Schlizens anthropologischer Nachweis, dass die archäo- 
logisch festgestellten Kulturkreise nicht in beliebiger Weite und Form 
ausgespreitete Kulturteppiche sind, sondern, wie es von mir zuerst und stetig auf- 
gefasst worden ist, wirklichgetragen waren von wohlcharakterisierten 
Volksstámmen mit bestimmtem somatisch-anthropologischem Ha- 
bitus, der kleinen, aber um so anmasslicheren Schreiergruppe der „Nicht- 
ethnologen* unter den Vorgeschichtsforschern hoffentlich wenigstens fiir einige Zeit 
einen wohltätigen Dämpfer aufsetzen und ihnen endlich die ernste Frage nahelegen, 
ob ihr verständnisloses Abweisen der ethnologischen Gesichtspunkte auf einem 
eigensinnigen blossen Nichtwollen oder vielleicht auf einem durch mangelhaftes 
Erkennen hervorgerufenen Nichtkönnen beruht. 

Trotzdem ist es besser, dass mein Vortrag die ihm ursprünglich geliehene 
Gestalt beibehalten hat, damit man den Anteil der verschiedenen Forschungsweisen 
an den gesicherten Ergebnissen der jetzigen Behandlung der indogermanischen 
Frage klarer erkennen kann. Im übrigen habe ich nur selten einmal auf diese 
oder jene allerneueste, im Texte noch nicht benutzte Literaturerscheinung, die 
nur für Einzelfragen von Bedeutung ist, anmerkungsweise hingewiesen. 


Als ich zuerst meine Absicht kund gab, heute über die Indoger- 
manen zu sprechen, begegnete ich der erschrockenen Frage, ob ich 
denn den ganzen Stoff behandeln wollte. Nun, ich kann Sie be- 
ruhigen, das will ich nicht, weil dazu die Vorlesung eines ganzen 
Wintersemesters nicht ausreichen würde. So kompliziert ist die „in- 
dogermanische Frage“ hauptsächlich dadurch, dass erst eine Unmenge 
„Vorfragen“ aus allen möglichen Wissenschaften ins Reine zu bringen 
sind. Die Erledigung dieser Vorfragen nahm in meinem schon mehrere 
Male gelesenen Kolleg über die indogermanische Urzeit stets soviel 
Zeit in Anspruch, dass ich die Entstehung und Ausbreitung der Indo- 
germanen selbst nur in einem kurzen Anhang behandeln konnte. Diese 
Vorfragen lasse ich heute beiseite, muss aber, um Verständnis zu 
finden, für einige dieser Fragen meinen festen Standpunkt genau kund tun. 

Zunächst über die indogermanische Ursprache. Da war es vor 
einiger Zeit Mode — heute ist es Gott sei Dank wieder nicht mehr so 
der Fall —, sich in hyperkritischen Zweifeln zu gefallen, ob es eine solche 


<< os 


3] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 19 


Ursprache überhaupt gegeben habe. Selbst Sprachforscher und Sprachver- 
gleicher machten die Mode mit und sprachen mit überlegener Selbstironie 
von der nur hypothetisch angesetzten Ursprache als einem Phantom, dessen 
Wiederaufbau nur den Zweck habe, zu den ältesten erreichbaren Sprach- 
formen der Einzelsprachen zu gelangen und diese zu erklären. Sie 
spotteten so ihrer selbst und wussten nicht wie. Aber es waren das 
solche Sprachforscher, die nur am grünen Tisch arbeiteten, ohne ge- 
nügend Geschichte und Volksforschung zu kennen. Die Realforscher 
unter den Sprachgelehrten haben diese, wie alle ungesunde Hyper- 
kritik, im Grunde ganz unwissenschaftliche Mode abgetan oder nie 
mitgemacht, aber bei Naturforschern findet man sie auch heute immer 
noch. 


Wenn es also eine indogermanische Ursprache fir mich unter allen 
Umständen gegeben hat, dann natürlich auch ein indogermanisches 
Urvolk. Der Zweifel hieran entspringt einem beinah noch unklareren 
Denken, als der Zweifel an der Ursprache. Denn eine lebendige 
Sprache ohne scharf umrissenes Volk, das sie spricht, ist ein Unding. 


Dieses Volk muss wie alle Völker ursprünglich auf einem ver- 
hältnismässig engen Raume gewohnt haben, wo es eben entstanden ist. 
In so ausgedehnten Räumen, wie etwa das ganze Flachland von Nord- 
frankreich durch Norddeutschland und Mittelrussland bis zum Ural hin, . 
wo in früheren und jetzigen Zeiten einige, freilich wenige Sprach- 
forscher, aber auch ein Mann wie Ratzel die Urheimat der Indoger- 
manen sahen und sehen — in solchen Räumen entsteht kein Volk — 
ganz abgesehen davon, dass schon, die archäologischen Verhältnisse 
gerade diese Annahme ganz unmöglich erscheinen lassen. 


Also ein Urvolk mit einerindogermanischen Ursprache 
auf nicht zu grossem Raume. 


Und dies Urvolk hatte auch einen bestimmten Typus, wie das 
zwar nicht bei einem modernen Volk, wohl aber bei einem Urvolk nur 
natürlich ist. Wenn Sie also wollen, setzen Sie hier meinetwegen auch 
das verpönte Wort „Rasse“ ein. Der bekannte Spott über das „kurz- 
köpfige Wörterbuch“ als Gegenstück zur „indogermanischen Rasse“ 
schreckt mich so wenig, dass er vielmehr nicht den geringsten Eindruck 
auf mich macht. Selbstverstándlich warne ich die Anfänger in der 
Vorgeschichte stets vor der Verwechslung der Begriffe „Volk“ und 
„Rasse“. Hier liegt die Sache aber denn doch anders; man darf auch 
hier nicht Prinzipienreiterei treiben, sondern muss daran denken, dass, 
je weiter wir in die Vorzeit zurückgehen, desto mehr die den Be- 
griffen „Rasse“ und „Volk“ zugrunde liegenden Tatsachenunterschiede 


schwinden, so dass schliesslich beide Begriffe zusammenfallen. Hier 
ore 


20 Gustaf Kossinna. [4 


haben wir einfach die geschichtlichen Tatsachen sprechen zu lassen. 
Die ältesten Geschichtsquellen und Denkmäler, und auf die ältesten 
kommt es allein an, bezeugen die Indogermanen ausnahmslos als 
hochgewachsen und mit heller Komplexion; die Gräberfunde fügen dazu 
die Langköpfigkeit und drittens spricht die Häufigkeit der Vereinigung 
gerade dieser drei Merkmale in einem und demselben Typus bei den 
heutigen Völkern derjenigen Länder, die für die Urheimat der Indo- 
germanen in Betracht kommen, d.h. also Europa ohne die drei süd- 
lichen Halbinseln und ohne Osteuropa oder Nordosteuropa, für jenen 
Typus als indogermanischen Typus, der also dasselbe ist, was wir heute 
den nordischen oder nordeuropäischen Typus nennen. Diese vier Dinge, 
d. h. indogermanische Ursprache, indogermanisches Urvolk, kleinerer 
Urraum als Urheimat und nordischer Typus der Indogermanen, sind 
heute für mich indiskutabel, da ich ein ungeheueres Material in Be- 
wegung setzen müsste, um die Gründe hierfür vorzuführen. 


Um den Ursprung der Indogermanen zu ermitteln, ist es also 
nach meiner Ansicht nur nötig, die früheste Verbreitung des nordischen 
Typus in Europa zu ermitteln. Das war auch schon mein Standpunkt, 
als ich im Jahre 1902 meine archäologische Beleuchtung der indoger- 
manischen Frage in der Zeitschrift für Ethnologie veröffentlichte. Leider 
hat mich damals noch die anthropologische Forschung im Stich ge- 
lassen, so dass ich in einem sehr wichtigen Punkte zu einem Fehl- 
schlusse kam. 


Ich hatte damals als erster die grosse Zweiteilung der nord- und 
mitteleuropäischen Steinzeitkultur erkannt und bekannt gemacht: auf der 
einen Seite in Skandinavien und Norddeutschland die nordische Kultur mit 
Ausläufern nach Mitteldeutschland und später von hier nach Nord- 
österreich, Süddeutschland und der Schweiz, auf der andern Seite im 
ganzen Donaugebiet die sogenannte bandkeramische Kultur, die um- 
gekehrt ihre Ausläufer nordwärts nach Mitteldeutschland sendet: zwei 
enorme Gegensátze. Man hat später an gewisser Stelle diese bedeut- 
same Klärung ignorieren zu dürfen geglaubt, um überflüssigerweise 
weiter gegen die alte, zu enggefasste Einteilung der Neolithik in Band- 
und Schnurkeramik kämpfen zu können. Es sind dabei neue Ein- 
teilungsversuche gemacht worden, es ist von alteuropäischem Horizontal- 
und Vertikalsystem im Gegensatz zum freien Dekorationssystem geredet 
worden. Ein anderer jemand hat statt dessen die Schlagworte „Um- 
lauf- und Rahmenstil“ erfunden. Beide aber glaubten mit diesen 
nach ganz einseitigen Gesichtspunkten ausgedachten Scheidungen meine 
auf dem gesamten hinterlassenen Kulturmaterial aufgebauten ethno- 
logischen Anschauungen widerlegt zu haben, zeigten aber dadurch nur, 


5] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 91 


wie wenigen heute immer noch die Fähigkeit zu eindringender ethno- 
logisch-archäologischer Erkenntnis gegeben ist. 


Nun schien es damals nach freilich nicht fachmännisch geführten 
Untersuchungen so, als wiesen die mitteldeutschen Ausläufer der 
Bandkeramik in Rheinhessen und in der Pfalz denjenigen anthropolo- 
gischen Typus auf, den man den mittelländischen nennt. Und auch 
über die Jordansmühler Skelette ging mir von Breslau aus das Urteil 
zu, sie wären einer kleinwüchsigen, langschädeligen Rasse ange- 
hörig. So war es nicht wunderbar, dass ich mich dahin entschied, in 
dem grossen, scheinbar auch anthropologisch bestätigten Gegensatz 
jener beiden Kulturen zugleich den von Indogermanen und Nichtindo- 
germanen ausgedrückt zu sehen. 


Seitdem sind nun namentlich durch Paul Bartels (1904) und 
Schliz (1906) treffliche anthropologische Untersuchungen gerade der 
Träger der Donaukultur gemacht worden und haben gezeigt, dass diese 
Stämme gleichfalls, nicht nur in Lengyel, was längst bekannt und von 
mir gebührend hervorgehoben worden war, sondern durchweg einen 
wenn auch wohl nicht völlig nordischen, so doch mit dem nordischen 
nächstverwandten Typus aufweisen. Die vereinzelten Gräber dieser 
Kultur, die in Nordfrankreich begegnen, die hunderte von Gräbern am 
Rhein und Neckar, die wenigen aus Thüringen bekannten, die zahlreichen 
aus Schlesien, endlich die wegen des dort fast allein herrschenden 
Leichenbrands wieder nur in geringerer Zahl beobachteten Skelette aus 
Ostgalizien und vom Dnjepr, sie alle auf dieser weiten Strecke zeigen 
ohne Ausnahme denselben einheitlichen langschädeligen Typus, der sich 
nur durch überall feinere Formen von der eigentlich nordischen Abart 
zu unterscheiden scheint. Und genau so besitzen die unzähligen 
Gräber der nordindogermanischen Schnurkeramiker ausnahmslos den 
einheitlichen gröberen, nordischen Typus mit extremer Dolichocephalie, 
wie er übrigens in Skandinavien keineswegs in dieser Einheitlichkeit an- 
zutreffen ist. Damit war meine frühere Ansicht unhaltbar geworden. 


Ich muss aus diesen anthropologischen Gründen jetzt also er- 
klären: sowohl die Träger der nordischen Kultur sind Indogermanen, 
wie die Träger der Donaukultur. Der von mir erkannte Gegensatz 
dieser beiden Kulturen, dem sich alle einzelnen neolithischen Kultur- 
gruppen nur als verschiedene Erscheinungsformen oder jüngere Ent- 
wickelungen unterordnen, bleibt aber natürlich bestehen, und wir haben 
also damit jetzt schon eine Nordgruppe und eine Südgruppe der 
Indogermanen zu unterscheiden. Ich will gleich jetzt erklären, dass 
für mich kein Zweifel besteht, dass diese beiden Gruppen dieselben 
Urgruppen sind, die die Sprachforschung ermittelt hat, die sie aber 


99 Gustaf Kossinna. [6 


anders benennt, námlich West- und Ostindogermanen nach den ge- 
schichtlichen Sitzen jener Gruppen. Zur Ostgruppe rechnet die Sprach- 
forschung die Arier in Asien und von den europäischen Stämmen die 
Slawoletten und die thrakische Völkerfamilie, zu der auch die Armenier 
in Kleinasien gehören. Deren Ahnen sind nun meine Südindogermanen, 
die Donauleute der Bandkeramik. 


Alle anderen europäischen Indogermanen, also Germanen, Kelten, 
Illyrier, Italiker, Griechen, heissen sprachlich Westindogermanen; deren 
Vorfahren sind nach meiner Ansicht die Träger der nordischen Kultur, 
meine Nordindogermanen. Doch damit kommen wir schon zur Aus- 
breitung der Indogermanen. 

Zuerst müssen wir aber noch dem Ursprung der Indogermanen 
weiter nachgehen. | | 

Ein so ungeheueres Gebiet, von Skandinavien und vom Rhein bis 
zum unteren Dnjepr, kann natürlich nicht als die Urheimat der Indo- 
germanen angesehen werden, zumal wir hier schon zwei ganz differen- 
zierte Kulturgebiete haben. Mein Vaterland muss „kleiner“ sein oder 
gewesen sein, sagt der Urindogermane. Die Frage ist also: lag der 
Entstehungsherd der Indogermanen im Donaugebiet bei den Südindo- 
germanen, oder an der Ostsee bei den Nordindogermanen, oder in 
keinem dieser beiden Gebiete, sondern an einer dritten Stelle? 


Hier müssen wir die Siedlungsarchäologie befragen, wie ich sie 
seit Jahrzehnten betreibe. Die Grundsätze sind sehr einfach: zeigt ein 
Gebiet in einer Periode mehr oder weniger starke Besiedlung, in der 
folgenden, d.h. unmittelbar anschliessenden, aber starke Abnahme 
der Siedlungen oder gar Leere, so ist eine Abwanderung der Bevölke- 
rung anzusetzen. Wohin die Bevölkerung abgewandert ist, lässt sich 
nur dann mit voller Sicherheit feststellen, wenn wir Anzeichen einer 
Fortsetzung, d. h. meist einer jüngeren Entwickelung der besonderen 
Kultur der Auswanderer in einem neuen Lande feststellen können. 
Andernfalls aber sind wir auf Mutmassungen oder Wahrscheinlichkeiten 
angewiesen. Umgekehrt liegen Zuwanderungen vor, wenn ein dünn- 
bevölkertes Gebiet ganz plötzlich starke Besiedlung aufweist. 


In der neolithischen Epoche sehe ich nun keine Möglichkeit, im 
eigentlichen Gebiete der Indogermanen einen Ausgangspunkt des indo- 
germanischen Typus zu finden. Sein Ursprung muss weit älter sein. 
Man hat zwar sehr naturwissenschaftlich sein wollen und gesagt: da, 
wo die stärkste Verbreitung einer Art ist, muss auch ihre Heimat 
liegen, so will es die Botanik. Und daher soll der nordische Typus 
nur aus Skandinavien stammen können. Aber der Mensch ist eben 
keine Pflanze, und so gilt auch jener botanische Grundsatz für die 


7] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 23 


Menschengeschichte nicht. Denn sonst müssten wir am Ende die Ur- 
heimat der Angelsachsen nicht an der deutschen Nordseeküste, sondern 
vielmehr in Nordamerika suchen. So allgemeine Grundsätze sind über- 
haupt für alle geschichtlihe Forschung eine bedenkliche, ja gefährliche 
Sache. Diese soll vielmehr jedesmal die besonderen Tatsachen unter- 
suchen und dann mit umfassendem Wissen und gesundem Menschen- 
verstand ihre Schlüsse daraus ziehen. Darum bin ich auch nie ein 
Anhänger der skandinavischen Urheimattheorie gewesen. Der nor- 
dische Typus muss weit älteren Ursprungs sein, als dass er aus Skan- 
dinavien stammen könnte: er muss in der Diluvialzeit seine Wurzeln haben. 

Wendet man die siedlungsarchäologischen Grundsätze auf die paläo- 
lithische Epoche an, so ergibt sich, wie das auch sonst schon an- 
erkannt ist, dass die dünne Bevölkerung von Mittel- und Südost- 
europa während der Zwischeneiszeiten von dem dichtest bevölkerten 
Frankreich ausgegangen ist und beim Herannahen jeder neuen Ver- 
gletscherung den ungünstigen Wirkungen des Klimas durch Rückwan- 
derung nach Westeuropa sich wieder entzogen hat. Ebenso ist es all- 
gemein anerkannt, dass die frühneolithische Langkopfrasse von der fran- 
zösischen Cro-Magnonrasse abstammen muss; denn sie hat keine andern 
ihr noch näher stehenden unmittelbaren Vorgänger. Es fragt sich nun, 
wann sind diese langschädeligen Neolithiker von Frankreich nach Mittel- 
und Nordeuropa ausgewandert ? 

So lange ich die Nordindogermanen für die einzige Indoger- 
manen-Gruppe hielt, war die Sache einfacher. Jetzt kommen aber 
die Südindogermanen dazu, und da muss ich sagen, ich kann die früheste 
Kultur der Südindogermanen nicht von derjenigen der Nordindogermanen 
ableiten, ebensowenig aber umgekehrt die der Nordindogermanen von der 
der Südindogermanen. Beide Kulturen entstammen also einem fremden 
Gebiete, das in der Hauptsache ein und dasselbe Gebiet gewesen sein muss. 

Untersuchen wir zuerst die nordischen Verhältnisse, weil diese 
früher zu beginnen scheinen. 


L. 


Sieht man ab von der geringfügigen Hinterlassenschaft des 
paläolithischen Menschen, die sich hauptsächlich an einigen Punkten in 
der Umgebung Berlins, bei Eberswalde, bei Edingen in Pommern, bei 
Lübeck und vielleicht auch bei Labiau und Rossitten in Ostpreussen vor- 
finden, so wird die früheste Besiedelung, die wir in Norddeutschland 
und Skandinavien feststellen können, durch Geräte bezeugt, die aus 
dem Geweih des von Süden dorthin vereinzelt vorgedrungenen dilu- 
vialen Rens hergestellt sind: es handelt sich hierbei nach den bisherigen, 
leider noch gar zu unvollständigen Materialuntersuchungen neben einigen 


24 Gustaf Kossinna. [8 


rundschaftigen Fischharpunen mit beiderseitigem Widerhaken (Taf. IV, 5), 
die dem Havellande entstammen (Privatbesitz), namentlich um mehrere 
Schaftstangen zu grossen Hacken, Äxten oder vielleicht Würdezeichen aus 
dem zusammenhängenden Gebiete von Schleswig-Holstein, Jütland und 
Fünen, sowie um einen Setzkeil aus Prenzlau (Taf. I, 2, 3). Alle diese 
Geweihstangen weisen eine rundliche Durchbohrung auf, die bei entspre- 
chenden Geräten des obersten Magdalénien niemals vorkommt, wenn auch 
die Durchbohrung des Rengeweihes als solche dem Magdalénien wohlbe- 
kannt war, wie die sogenannten Kommandostäbe zeigen. Das Fehlen des 


1. Typen des Tardenoisien 


Abb. 
(M. Hörnes, d. diluv. Mensch S. 94 Fig. 37). 


diluvialen Rens überall im eigentlichen Frühneolithikum, sein spärliches 
Auftreten in Skandinavien überhaupt, wo es nur im südlichsten Teile 
von Schweden vereinzelt festgestellt werden konnte, beweisen, dass die 
fraglichen Geräte in eine unmittelbar an das Magdalénien anschliessende 
Periode zu setzen sind, d. h. in diejenige Epoche der geologischen 
Entwicklung des Ostseebeckens, die von den schwedischen Eiszeit- 
forschern (de Geer) nach einer charakteristischen arktischen Muschel 
die Yoldia-Periode, nach der Verteilung von Wasser und Land 
aber die Eismeer-Periode der Ostsee genannt wird (Karte Taf. I, 1) und von 
mir seit Jahren in die Epoche nach Schluss des Bühlstadiums der 
Alpengletscher Pencks, das wiederum mit der vierten nordischen Dilu- 
vialeiszeit (ungerechnet die tertiäre Giinzeiszeit) gleichzeitig ist, ge- 
setzt wird. 

Auf welchem Wege wir von diesen Frühzeugen des neolithischen 
Menschen ohne Sprünge weiter zu den reichbezeugten Siedelungen des 


9] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 25 


eigentlichen Frühneolithikums innerhalb der Ancylus- und Litorina-Pe- 
riode der Ostsee gelangen, darüber gewinnen wir einige chronologische 
Sicherheit nur durch den Vergleich des Nordens mit dem Westen 
Europas. In Frankreich und Belgien, den klassischen Ländern für alle 
Fragen des Paläolithikums, sind auch die Übergänge aus dem Paläolithikum 
ins Frühneolithikum und die ersten Stufen dieser letztgenannten Epoche 
neuerdings lückenlos und völlig klar aufgedeckt worden. Rutot hat 
schon mehrfach auf die im obersten Magdalénien eingestreut vorkom- 
menden Formen einer mikrolithischen Kultur aufmerksam gemacht, d. h. 
Formen von Miniatur-Silexgeräten, die nur mittelst einer Schäftung in 
Gebrauch genommen werden konnten. Diese Art von Geräten des aus- 
gehenden Paläolithikums ist die Vorstufe zu der frühstneolithischen Kul- 
turstufe des Tardenoisien, benannt nach dem französischen Fundort 
Fere-en-Tardenois (Aisne), worin jene Formen selbständig werden, d. h. 
nunmehr ausschliesslich auftreten (Abb. 1). Denn nicht nur Pfeilspitzen, 
wie man früher annahm, sondern alle für den damaligen Menschen not- 
wendigen Geräte enthält das Tardenoisien: Beile, Messer, Schaber, 
Hobel, Bohrer, und die Mehrzahl dieser Stücke zeigt die kleine, eigen- 
tümliche, drei- bis viereckige, sogenannte „geometrische“ Gestalt. Auch 
in Norddeutschland gibt es zahlreiche Wohnstätten mit einer solchen 
Kulturhinterlassenschaft, die man früher Feuersteinwerkstätten nannte. 
Ich erwähne nur die im Berliner Museum für Völkerkunde vorhandenen 
Proben aus solchen Wohnstätten des Havel- und Spreegebietes, wie 
Kladow und Schmöckwitz, ferner solche aus der Lüneburger Heide. 

Während das Tardenoisien keinen Abbruch der Kultur, sondern 
eine, wenn auch einseitige Weiterbildung seiner Vorstufe darstellt, folgt 
ihm in Belgien und Nordfrankreich, teilweise auch in Mittelfrankreich, 
sowie im ganzen Dordognegebiet eine Kultur mit völlig andersartigem, 
archaischem Charakter, bei der die Silexgeräte — überwiegend Hohl- 
schaber, während Pfeilspitzen unbekannt sind — wieder in ganz früh- 
diluvial - eolithischer Weise mittels eines als Retoucheur dienenden 
rohen Silexknollens nur ganz grob handlich zugehauen werden und 
allein die „pics“ genannten Schlägel, selten und noch unvollkommen 
auch die ,Spalter” (tranchets) eine beabsichtigte Form erhalten. Rutot 
schreibt diese Kultur einem fremden Barbarenvolke zu, dessen Ein- 
bruch den Untergang der vorgeschrittenen Kulturstufe des Tardenoisien 
herbeigeführt habe. Ich denke weniger an den Einbruch einer fremden 
Bevölkerung, für die ein Ursprungsgebiet nicht zu ermitteln ist, als 
vielmehr an das Emporkommen einer bestimmten Rasse, nämlich der 
kurzköpfigen, gegenüber der bisher in Alleinherrschaft befindlichen Cro- 
Magnon-Rasse. Rutot hat 1905 diese Kultur nach einem Hauptfundorte, 
Flénu bei Mons in Belgien, das Flénusien (Taf. II) genannt. Dieser 


26 Gustaf Kossinna. [10 


Stufe entspricht in Norddeutschland diejenige makrolithische Silexkultur, 
die wir in ein frühes Stadium der Ancylus-Periode der Ostsee setzen 


Abb. 2. Ostseegebiet in der Ancylus-Periode 
(nach: de Geer, Skandinaviens utveckl. u. istiden. Taf. 5). 


müssen, d. h. jener Periode, in der die Ostsee infolge starker Land- 
hebung namentlich im Süden des Beckens einen geschlossenen Binnensee 
bildete, ein Süsswasserbecken mit Süsswassermollusken, wie die Ancylus- 
Schnecke (Karte s. Abb. 2). Eine Fundstätte solcher Silexgeräte ist vor 


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11] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 27 


kurzem am Rande eines Moores bei Kalbe a. d. Milde in der Altmark aufge- 
deckt und beschrieben worden (Taf. III), während jenes Moor selbst vor 
Jahrzehnten schon treffliche Vertreter eines etwas jüngeren Stadiums der 
Ancylus-Kultur herausgegeben hat. Fällt die Yoldia- Periode aller- 
mindestens zehntausend Jahre vor Christus, so wird die Ancylus- 
Periode, die dem Gschnitz-Stadium der Alpeneiszeiten Pencks ent- 
spricht, wie die anschliessende Litorina-Periode dem Stadium der 
Daun-Moränen parallel geht, um 8000 vor Christus oder noch früher 
anzusetzen sein. 

Während der voll entwickelten Ancylus-Periode, d. h. jenes 
Stadiums dieser Periode, da statt der Birken- und Zitterpappelbestände 
schon Kiefernflora und etwa das heutige Klima in Dänemark herrschte, 
ist in Norddeutschland von Hannover bis Ostpreussen, in Dänemark, 
in Südschweden nordwärts bis zur Seensenke und in den baltischen 
Provinzen eine Kultur sehr reich vertreten, die weniger durch Silex- 
geräte als durch Geräte aus Knochen und Geweih charakterisiert wird. 
Unvergänglich wird Georg Sarauws Verdienst bleiben, der aus dem 
bisherigen unklaren Gewirr frühstneolithischer Erscheinungen diese Stufe 
sauber herausgeschält und ebenso klar als erschöpfend im Jahre 1903 
dargestellt hat'). Elch und Urstier sind jetzt im ganzen Umkreise die 
bedeutungsvollsten Tiere im Leben des Menschen und für ‚Dänemark 
durchaus zeitbestimmend. Offenkundigst weist diese Kultur auf das 
Magdalénien Süd- und Mittelfrankreichs, Belgiens und des Oberrhein- 
gebietes als ihren Vorgänger hin. So finden sich jetzt zahlreiche Typen, 
die während des Magdalénien aus Rengeweih hergestellt wurden, ent- 
weder in derselben oder in weitergebildeter Form wieder, aber nun- 
mehr aus Knochen und Geweih vom Elch und Edelhirsch, zuweilen 
vom Urstier, wozu sich weiter die Verwendung der Wildschweinshauer 
gesellt. Um nur einige jener Übereinstimmungen hervorzuheben, wobei 
ich das auch hier ergiebige Gebiet der Steingeräte übergehe, nenne ich 


q _I _  — —ThI 


1) Anmerkung. Die seit April 1908 tätige neue Direktion der „Prähisto- 
rischen Abteilung des Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin“, d.h. Carl Schuch- 
hardt, hat mit der Einrichtung einer im August fertig gewordenen „Sonderaus- 
stellung“ ihre Wirksamkeit begonnen. Schuchhardt selbst hat jedoch hieran keinen 
Anteil genommen, sondern die neue Aufstellung im Museum einem seiner Assistenten 
überlassen. Wenn der „berufenste Vertreter“ der Vorgeschichte Norddeutschlands, 
wie er sich selbst nennt, an diese Aufgabe sich nicht herangewagt hat, wird er 
seine Gründe hierzu gehabt haben, und jeder Kenner wird diese weise Vorsicht 
billigen. Bei dieser Sachlage sollte Schuchhardt aber auch alle Belobigungen des 
geistigen Eigentums Schmidts (Amtliche Berichte aus den Königl. Kunstsammlungen, 
Berlin, Oktober 1908) den Kennern überlassen. Dass diese Ausstellung ihrem Ver- 
fertiger als Gipfelpunkt in der Entwickelung der heutigen Vorgeschichte erscheint, 
darüber werden sich die Fachleute nicht wundern, wenn sie selbst auch der An- 


28 Gustaf Kossinna. [12 


Schaftröhrenäxte mit schräg geschnittener Schneidenfläche aus dem Mittel- 
fussknochen des Urstieres (Abb. 3), wie sie in gleicher Weise das Magda- 
lénien der Freudenthaler Höhle bei Schaffhausen lieferte (Abb. 4). Ebenso 


Abb. 3. '/a Schaftröhrenaxt, Abb. 4. Freudenthaler Abb.5. '/s Ellbogenknochen- 


Maglemose, Seeland Höhle bei Schaffhausen. dolch, Maglemose 
(Aarböger f. nord. oldk. 1903, 222). ` (Aarböger f. n. o. 1903, 232). 


traten die jetzt häufigeren Dolche, die aus dem Ellbogenknochen vom Elch 
oder Edelhirsch geschnitten wurden (Abb. 5), wie schon in der früheren 
Diluvialzeit, so auch, in der Rentierzeit Frankreichs auf, wo der Ell- 


sicht sein sollten, dass der schöne und umfangreiche Denkmälervorrat nicht ent- 
fernt genügend in seinen grossen Zusammenhängen beherrscht und dargestellt 
worden ist, so dass das Ganze einen durchaus unbefriedigenden Eindruck hinter- 
lässt und trotz der Auswahl im Grunde noch eine ,rudis indigestaque moles“ 
bleibt, auch in den Einzelheiten nicht ohne böse Fehler. Gefreut hat es mich aber, 
dass Schmidt jetzt gelernt hat, dass die ältesten ostdeutschen Buckelurnen nun 
doch nicht in die früheste Bronzezeit gehören, wie er vor einigen Jahren sehr 
bestimmt mich belehren wollte. Dass ich gerade an dieser Stelle auf die Sonder- 
ausstellung hinweisen muss, daran ist eine der schlimmsten Sünden im Steinzeit- 
saal schuld, wo ebenso wie in dem „Führer“ nicht die geringste Kenntnis vom Be- 
stehen der Ancylus-Kultur wahrzunehmen ist. Und dies ist um so belastender, als 
gerade das Berliner Museum, besonders infolge der hervorragenden Stellung der 
Mark Brandenburg innerhalb dieser Epoche, wohl das an einschlägigen Denkmälern 
reichste ist: diese Denkmäler sind nun sämtlich in der Versenkung verschwunden! 


13] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 929 


bogenknochen des Bären hiefür verwendet wurde. Von den für die 
Ancyluszeit besonders charakteristischen Fischharpunen finden sich so- 
wohl die rundschaftigen mit ein- oder seltener beiderseitigen Wider- 
haken aus Elchgeweih (Taf. IV, 5, 6, 2f), als die flachen vierkantigen, 
aus Rippen hergestellten, die spiessartig meist nur einen Endwiderhaken 
besitzen (Taf. IV, 2e), endlich auch die einseitig dicht gekerbten (Taf. IV, 2g) 
genau so im Magdalénien aus Rengeweih und Renknochen hergestellt; 
die einseitig dicht gekerbten z. B. im Kesslerloch bei Thaingen (Taf. IV, 3). 
_ Dagegen werden die breiten, flachen Hirschgeweihharpunen mit ein- 
oder doppelseitigen Widerhaken und steter Schaftlochbohrung, die für 
das durchaus nur westeuropäische Asylien (Tourassien) in Südfrank- 
reich, Oberitalien, Schottland und für die Anfänge der Schweizer Pfahl- 
bauten charakteristisch sind (Taf. IV, 7), durch einen Fund aus dem 
Kieler Hafen bei Ellerbek (Taf. IV, 8), der ein versprengtes Exemplar 
dieser Art aufweist, mit dem gesamten Asylien in eine jüngere Epoche 
gerückt, die einem frühen Stadium der Litorina-Periode parallel läuft. 
Zuweilen zeigen die Ancylus-Harpunen Ornamente, und zwar derselben 
Art wie die paläolithischen, so ein Zickzackband, das auch sonst in der 
Ancyluszeit häufig ist, schon in der Yoldia-Periode (Taf. I, 2 Mitte) 
und ebenso bei paláolithischen Harpunen und anderen Knochen- 
geräten, z. B. aus dem Kesslerloch, auftritt. Oder es erscheinen 
naturalistische Tierdarstellungen, so auf einer Harpune von der Ost- 
seeinsel Langeland (Taf. IV, I), auch dieses durchaus im Stile des 
Magdalénien. 

Dem Typus der mit eingebohrtem Schaftloch versehenen Hirsch- 
geweihhacken (Taf. V, 1—3) entsprechen im Magdalénien solche ohne 
Durchbohrung. Auch diese Geráte zeigen in der Ancylus-Periode zuweilen 
reiche Verzierungen in dem genannten, an französischen Rengeweihstücken 
so häufigen Stile (Taf. VI, 1). Dem einfachen gesellt sich das mehrfache 
Zickzack band, ferner Winkelreihen, Wellenlinien, Längslinien, die mit einem 
Saume kurzer, schräg oder senkrecht gestellter Querstrichelchen oder 
kleiner Keile versehen sind, Dreieck- und Rautengruppen u. a. Ein her- 
vorragendes Stück ist ein durchbohrter, feinpolierter Geweihschaft aus 
Kl.-Machnow, Kr. Teltow, nahe Berlin, bei dem diese stark eingetieften Ver- 
zierungen, die zumeist ein „ausgespartes Zickzackband“ freilassen, mit 
schwarzer Birkenteerharzmasse emailliert sind (Taf. V, 4, 5). Ähnliches 
Emailmuster weist eine prächtige Harpune von Peitschendorf, Kr. Sens- 
burg in Ostpreussen, auf (Taf. IV, 4). Eine andere Geweihhacke, wahr- 
scheinlich aus Elchgeweih, die zu Ystad in Schonen gefunden wurde, 
zeigt neben einem schraffierten Rautenmuster, das keineswegs, wie 
Almgren meint, auf jüngerneolithischen Ursprung hinweist, auf beiden 
Seiten die trefflich eingeritzte Darstellung eines Hirsches oder Rehs 


30 | Gustaf Kossinna. 14] 


(Taf. VI, 2). Besonders reich an geometrischen Verzierungen sind die 
früher als Saumglätter bezeichneten, jetzt als Abhäute- oder Schuppen- 
messer gedeuteten, falzbeinartigen, zugespitzten, stets mit einem Anhánge- 
loch versehenen Platten aus Edelhirschknochen, die gleichfalls eine 
Erbschaft der Rentierzeit sind, damals aus Rengeweih geschnitten. Schöne 
Beispiele hiefür lieferten das Havelland (Fernewerder Taf. VI, 4), Hol- 
stein (Travenort Taf. VI, 3), Dänemark. 


Wie die Harpune, so gehen auch ihre siegreichen Nebenbuhler, 
die Angelhaken, auf Vorbilder und Anfänge des südfranzösischen Magda- 
lenien zurück, wo sie stets einästig gebildet sind, während sie in der 
Ancylus- wie auch in der folgenden Litorina-Periode schon die heutige 
zweiästige Form haben, doch stets mit glatter Spitze, noch ohne den 
in jüngerneolithischer Zeit aufgekommenen Widerhaken (Taf. VI, 5, 6). 
Dasselbe gilt endlich auch von den an beiden Enden filetnadelartig mit 
zwei Spitzen versehenen Netzknüpfern. 


Westwärts der deutschholländischen Grenze lassen sich die Er- 
scheinungen der Ancyluskultur durch Holland, Belgien und Nordfrank- 
reich bis an die Seine hin verfolgen, indessen doch nur spärlich, so dass 
man sagen muss, diese Kultur entspricht im ganzen einem älteren 
Einfluss, der von dem Magdalenien Süd- und Mittelfrankreichs sowie 
des Ober-Rheintals, keineswegs aber etwa Österreichs ausgeht. Da 
nun dieser Einfluss in ein so gut wie leeres Land kam, so ist es 
klar, dass er sich deckt mit einer Besiedelung gleichen Ursprungs und 


gleicher Richtung. 


Gegenüber dieser mehr auf Südfrankreich zurückweisenden Ein- 
wanderung der Leute der Ancyluskultur, zu der sich allerdings gleich- 
zeitigEinwanderungen der Leute des mehr nordfranzósischen und belgischen 
Flenusien gesellen, erscheint die weitere Fortsetzung der Ancylus-Kultur 
im Ostseegebiet ausschliesslich auf neue Einwirkungen und Einwanderungen 
aus Nordfrankreich und Belgien zurückzugehen. Gewaltige Landsen- 
kungen im Ostseegebiet führen die klimatisch auffallend milde, durch 
Eichenwaldflora gekennzeichnete Litorina-Periode herbei, so genannt 
wiederum nach einer charakteristischen Schnecke dieses Brackwasser- 
stadiums der Ostsee (Karte: Abb. 6). Die Kultur dieser Zeit, allbekannt 
als die der ältesten dänischen Muschelhaufen, ist eine Tochter des franzö- 
sisch-belgischen Campignien, oder nach Rutot besser Campignyien ge- 
schrieben, das wiederum nichts ist als eine in Stoffauswahl und Formgebung 
der Geräte verfeinerte Stufe des alten Flénusien, mit dem es nicht nur im 
Hennegau (Mons), sondern auch anderwärts überaus häufig an den- 
selben Fundstätten vereinigt angetroffen wurde. Die Spitzhacken oder 
Schlägel (pics) des Flenusien leben hier weiter, die dort begonnene 


15] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 31 


Ausbildung der Form der grossen annähernd dreieckigen „Spalter“ mit 
jener charakteristischen, durch einen einzigen Hieb zugeschlagenen, 
schiefen, langen Schneide ist jetzt vollendet und wird ganz besonders 


soo Am 


Abb. 6. Ostseegebiet in der Litorina-Periode 
(nach: de Geer, Skandinaviens utveckl. u. istiden Taf. 6). 


bevorzugt (Abb. 7 links). Einen sehr bemerkenswerten Fortschritt bedeutet 
die erste Anfertigung von Tongefässen in zunächst noch rohen Formen, wie 
sie im Asylien, Campignyien und in der Litorina-Kultur (Abb. 8a) gleich- 


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39 Gustaf Kossinna. [16 


Abb 7. Silexgeräte des nordfranzösischen Campignien 
(nach M Horncs, d. diluviale Mensch S. 66). 


c b d a Ya 
Abb. 8. Früh-Litorinafunde von Ellerbek, bei Kiel (nach Mestorf: 'j,, ausgenommen a). 


17] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 33 


zeitig auftritt. Die fast völlige Übereinstimmung jener Schlägel des Campi- 
gnyien mit den Beilen der Muschelhaufen (Abb. 8b), jener „tranchets“ mit 
den „Spaltern“ (Abb. 8c), der beiderseitigen Spitzen, Bohrer (Abb. 7 
rechts unten ; 8d), Rund- und Löffelschaber (Abb. 7 rechts), der „Papagei- 
schnäbel“ genannten Werkzeuge (Abb. 7 ganz rechts oben), der Sägen, der 
Scheibenkernsteine, Wurfsteine sichern die Annahme einer Einwanderung 
neuer Bevölkerungsnachschübe längs den Küsten der Nordsee von Westen 
nach Osten, und ihre Spuren erscheinen am Südrande der Nordsee nur 
darum ausgelöscht, weil hier bis heute fortdauernde Landverluste den 
Strand der Litorina-Zeit mit Meeresflut bedeckt haben. Ob die oberitalieni- 
schen Erscheinungen des Campignyien gleichfalls auf Einwanderung aus 
Nordfrankreich beruhen, wie ich glauben möchte, kann nur durch genaue 
Erforschung der dort unmittelbar vorausgehenden und nachfolgenden 
Kulturperioden, also der Bevölkerungszusammenhänge ermittelt werden, 
wie wir das an der Ostsee zu tun in der Lage sind. 


Während die Ancylus-Kultur gebunden scheint besonders an 
stehende Binnengewässer, ist die Litorina-Kultur, abgesehen von Einzel- 
erscheinungen in Polen, wesentlich auf die Küstengebiete beschränkt. 
Sie erscheint in Schleswig-Holstein, Rügen und Vorpommern, östlich 
nicht über Greifswald hinaus, in ganz Dänemark, Schonen und Südnor- 
wegen. Aus dem grössten Teile der Länder am Süd- und Ostrande 
des Ostseebeckens hat sich also eine Abwanderung der Bevölkerung 
der Ancylus-Periode vollzogen, nach Osteuropa, wie wir später sehen 
werden. In Norwegen wird diese Epoche fast ausschliesslich durch eine 
Kultur vertreten, in der die Beile vom Nöstvettypus das Hauptcharakte- 
ristikum abgeben, ein Typus, der in seinem zuerst, obwohl nur selten 
noch, rhombischen, dann dreieckigen, endlich trapezförmigen Querschnitt 
durchaus den echten Litorina-Silexbeilen (pics) gleicht (Taf. VII, 1—4), 
‚allein wegen des in Norwegen mangelnden Rohstoffes nicht aus Silex 
hergestellt ist, sondern aus einem. möglichst ähnlichen, d. h. harten, 
feinkörnigen Eruptivgestein oder vielfach Hornblende, die sich in der 
Art der damaligen Silextechnik grob zuschlagen liessen'). 


Die Erkenntnis, dass die Wohnplätze, die jene Beile vom Nöstvet- 
typus bergen, ebenso wie die dänischen Muschelhaufen durchaus dem 
Verlauf der weit über dem heutigen Küstensaume liegenden Strandlinien 


1) Bald nachdem ich diesen Vortrag gehalten hatte, erschien eine Schrift 
von A. W. Brögger: Vistefundet, En aeldre Stenalders Kjökkenmödding fra Jaderen. 
Stavanger 1908, worin Viste in Jæderen als erster Wohnplatz Norwegens be- 
schrieben wird, der, abgesehen von dem stärkeren Hervortreten der Erbschaft aus 
der Ancylus-Zeit, mit der dänischen Kultur ‘der Muschelhaufen in Stoff und Ge- 
staltung völlig identischen Inhalt birgt. | 

Mannus. Bd. 1. 3 


54 Gustaf Kossinna. [18 


der Litorina-Zeit folgen, dass diese Ansiedelungen aus der Zeit bis zum 
Maximum der Litorina-Senkung stammen, dass endlich dieses Maximum 
nach dem Zusammenstimmen der geologischen und archäologischen 
Berechnung mit grosser Sicherheit um die Zeit von 5000 vor Chr. zu 
setzen ist, — diese Erkenntnisse verdanken wir den jüngsten trefflichen - 
Forschungen der beiden Norweger Brögger, Vater und Sohn, des Geo- 
logen und des Archäologen. 


Allein, welche Beziehungen liegen hier vor zur indogermanischen 
Frage? Sind diese Frühneolithiker überhaupt Indogermanen? Sind es 
Langköpfe? Müssen es nicht Langköpfe sein, wenn sie von der 
Magdalenien-Bevölkerung Frankreichs und Belgiens abstammen sollen? 


Mit dreifachem Nein beantworte ich diese Fragen. Im Jung- 
paläolithikum Belgiens und des östlichen Nord- und Mittelfrankreichs 
gab es auch eine Kurzkopfrasse, die man nach dem Fundorte 
Grenelle bei Paris oder weniger gut nach dem belgischen Fundort mehr 
mesocephaler Schädel Furfooz benannt hat, eine wahrscheinlich ein- 
heimische Rasse, mag sie nun, wie man neuerdings gemeint hat, von 
einem Zweig der Neandertalrasse abstammen oder nicht, mithin völlig 
zu scheiden von den aus Vorder- oder Mittelasien eingewanderten 
Kurzkopfkolonien, deren Ergebnis die sogenannte alpine Rasse ist. 
Desgleichen haben wir in der neolithischen Zeit Frankreichs einen 
starken Prozentsatz Kurzschädel festzustellen, 146 = 21,2%. nach der 
letzten Berechnung Salmons von 1895, neben weiteren 145 = 21,1°!o 
mesocephaler Schädel gegenüber 397 -- 57,70%o Langschädel. Leider 
hat die französische Forschung nicht feststellen können, welchen ge- 
nauer umschriebenen Kulturen diese neolithischen Kurzschädel Frank- 
reichs angehören, die sich von Belgien durch ganz Ostfrankreich bis 
nach dem Mittelmeer erstrecken mit besonders starken Anháufungen 
im Seinegebiet (Pariser Becken) und an der unteren Rhone. 


Allein in Deutschland sind alle Schädel, die wir mit Bestimmtheit 
der frühneelithischen Periode zuschreiben müssen, ausnahmslos Kurz- 
schádel. So aus der Ancylus-Periode die Schädel von Kl. Machnow, Kr. 
Teltow, Spandau (Kopfindex 88,4), Plau in Mecklenburg (Kopfindex 
82), ferner die zahlreichen uralten sogenannten Torfschädel, ich nenne 
die aus Trampe, Kr. Prenzlau (84,1) und Leipzig und die mecklen- 
burgischen, über die sich Ludwig Brückner ausgelassen hat, wie die 
aus Dömitz (79,8) und Gnewezin (80). Nicht anschliessen darf man 
hier die in ihrer Zeitstellung nicht gesicherten kurzköpfigen Skelette 
aus dem Rinnekalns in Livland, einem Hügel, aus dem zwar reiche 
Fundstücke eines gleich zu besprechenden jüngeren Ausláufers der 
Ancylus-Kultur gehoben, allein auch Gräber der Eisenzeit festgestellt 


19] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 35 


worden sind. Aus der Litorina-Zeit kennen wir leider nur sehr wenige, 
dazu nicht einmal fachmännisch gehobene Skelette, was wohl der einzige 
Punkt ist, den man an der sonst die höchsten wissenschaftlichen An- 
forderungen befriedigenden neueren Untersuchung 
einer Reihe dänischer Muschelhaufen bemängeln kann. 
Die jütländischen Skelette von Ertebölle wie von 
Aamölle (Abb. 9) sind beide gross und kräftig, aber 
über die Schädelbildung ist nichts Sicheres festzu- 
stellen möglich gewesen. Hier treten ergänzend um- 
gekehrt westeuropäische Tatsachen in die Lücke: 
die Skelette der beim bergmännischen Gewinn der 
Silexknollen aus unterirdischen Kreideschichten durch 
Einsturzmassen verschütteten Arbeiter, wie sie in 
Belgien schon vor langem zu Obourg (Abb. 10), ganz 
neuerdings auch zu Strépy entdeckt worden sind, von 
1,55 m und 1,70 m Länge, die Schädel kurz, der von 
Obourg mit dem Index 80. Schon diese anthropolo- 

gischen Tatsachen zeigen, dass wir es hier nicht err icons ne 
mit Indogermanen zu tun haben. a en 


Wir müssen nun sehen, wo wir bei der weiteren 
Verfolgung dieser nordischen Verhältnisse den Riss oder vielleicht die 
Naht antreffen, an der sich ein neues Gewebe mit indogermanischem 
Einschlag ansetzt. 


o > 
ar 


Abb. 10. Bergmannsskelett, Obourg, Belgien (nach A. Rutot: Bull. de la soc. d'anthrop. de Bruxelles. XXIV. Pl. 1). 


Schon die eigentliche Litorina-Kultur besitzt, wie die zeitlichen 
westeuropäischen Entsprechungen, das Asylien und Campignyien, die 


ersten Anfänge einer neuen Technik der Steinbearbeitung, indem sie 
3% 


36 Gustaf Kossinna. [20 


die Kunst des Schleifens von Knochen und Geweih auf weiche, grob- 
körnige Eruptivgesteine, den Grünstein, überträgt. Doch wird zunächst 
nicht die ganze Oberfläche der Steingeräte geschliffen, sondern nur die 
Schneide, wie das schon bei der Hälfte der alttypischen, d. h. drei- 
eckigen Nöstvetbeile zu beobachten ist, bei den jüngeren trapezförmigen 
aber, sowie bei den ihnen parallel laufenden südschwedischen Beilen 
des Limnhamntypus (Taf. VIII, 1) durchweg der Fall ist. Damit 
kommen wir in die Periode, in der das trapezoide Nöstvetbeil in 
die völlig internationale Form des stumpfnackigen, allseitig runden 
„Walzenbeils“ (Taf. VIII, 2, 3) übergeht, das in England wie in 
Frankreich und sogar in Nordafrika erscheint, innerhalb Mittel- und 
Nordeuropas aber wesentlich nur in Skandinavien und Nordost- 
deutschland, auffallend häufig in der Mark Brandenburg, der nebst 
Ostpreussen stärkestbevölkerten Gegend der Ancylus-Kultur, wo dieses 
Beil also gewissermassen ein späterer, spärlicher Ersatz für die 
fehlende Litorina-Kultur ist. Eigentümlich ist ihm, dass seine ziem- 
lich glatte Aussenfläche nicht durch Zuhauen, sondern durch allmäh- 
liches, mühsames Abstossen geformt wird. In Norwegen findet sich 
das Walzenbeil noch ganz wie die Litorina-Kultur durchaus gebunden 
an eine Küstenbevölkerung. Es erscheint zudem im Vereine mit einem 
anderen Beiltypus, den ich nur als eine jüngere Erscheinungsform des 
grossen Litorinaspalters ansehen kann, allerdings nicht eines solchen aus 
Feuerstein (Silex), sondern eines aus weicherem (Gestein, wie er in 
Norwegen vorkommt, aber mit derselben charakteristischen, einseitig 
angeschärften schiefen Schneide, die nunmehr allerdings nicht mehr 
zugeschlagen, sondern angeschliffen wird. Es ist die von Brögger ge- 
kennzeichnete und Vespestadtypus (vgl. Abb. 11 ganz unten rechts) 
genannte Form [aus Elchgeweih vorgebildet schon während der Lito- 
rinazeit in dem vorerwähnten (S. 33 Anm.) wichtigen Wohnplatz von 
Viste in Jaderen]. 

Eine wichtige Fundstelle dieser früharktischen Kultur, wie 
ich diese Erscheinungen in Skandinavien nennen will, ist ein Wohnplatz ` 
von Gullrum auf Gotland, der ausserdem ein gleichzeitiges Skelettgrab 
barg. Hier traf man einmal Harpunen, Spitzen, Meissel, Messer und 
Pfriemen aus Elchknochen oder Elchgeweih als Erbschaft der Ancylus- 
Zeit, sowie das eigentümliche Knochenkämmchen der Litorina-Art, 
daneben aber zugleich jungneolithische, mit Widerhaken versehene 
Angelhaken, eine entwickeltere, reichverzierte Keramik, das nur an der 
Schneide geschliffene Grünstein- Walzenbeil, das ganz geschliffene 
Vespestadbeil, endlich — für die Zeitbestimmung dieses Fundes be- 
deutungsvoll — aus Dänemark oder Schonen eingeführte geschlagene 


Silexbeile (Abb. 11). 


21] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 37 


Diese an grösseren Wohnplätzen in Skandinavien erst selten 
angetroffene, in Einzelfunden aber ausserordentlich stark und von 
Dänemark nordwärts bis Lappland und Finnmarken immer zahlreicher 
und dichter auftretende 
arktische Kultur ist ja 
ihrem Hauptinhalte nach 
längst bekannt und 1874 
auf dem internationalen 
Prähistorikerkongress zu 
Stockholm von A. Rygh 
für Norwegen und von 
O. Montelius für Schwe- 
den ausführlich be- 
schrieben und durch 
Abbildungen erläutert 
worden. Eine grosse 
Rolle spielen hier neben 
den weichsteinigen Ves- 
pestadbeilen die über den (ash S e ia Tor MINNES foren: idake. 1897. x). 
ganzen Körper hin ge- 
schliffenen Schiefergeräte: Hohlmeissel, Messer, Pfeil- und Lanzenspitzen 
(Taf. IX, 1, 2). Die Schieferspitzen hat A. W. Brögger wohl mit Recht als 
schon in der Ancylus-Zeit beginnenden Ersatz der frühneolithischen 
Knochenspitzen aufgefasst. Eine zweite Klasse sind die Geräte aus Elch- 
geweih, die in der südskandinavischen gleichzeitigen Kultur fehlen, wie 
Harpunen, Angelhaken, Kämme, Löffel. Dazu kommen noch, wie an 
den Wohnstätten auf der norwegischen Insel Kjelmes am Varangerfjord 
(Taf. IX, 3—5), Geräte aus Rengeweih derselben Form, wie die ge- 
nannten Elchgeweihgeräte; sie können natürlich nicht von dem längst 
ausgestorbenen Diluvialren Südschwedens stammen, sondern nur von 
der abweichenden, aus Sibirien neu eingewanderten Art des „grön- 
ländischen“ Rens. 

Eine ähnliche, vielfach gleichartige arktische Kultur herrscht nun- 
mehr auch in Finnland, wo Silex äusserst selten und nur in spät- ` 
nordischen Formen eingeführt wurde, für die einheimischen geschliffenen 
Geräte aber, wie arktische Messer, Pfeil- und Lanzenspitzen, Meissel 
und Hacken ausschliesslich Grünstein, Sandstein oder Hornblende Ver- 
wendung fand (Taf. IX, 6—14). Dass die arktische Kultur in dieser Form 
bis ans Ende der neolithischen Zeit dauerte, zeigen eigenartig durch- 
lochte Axthämmer mit herausstehenden Knollen, eine Art Kommandoäxte 
(Taf. IX, 12), wie sie ausserhalb Finnlands zuweilen auch in Skandinavien 
vorkommen (einmal auch in Brandenburg), ferner durchlochte Axt- 


38 Gustaf Kossinna. [22 


hämmer mit plastischem Tierkopfende (Taf. IX, 11). Auch hier Ton- 
gefässe mit halbkugelförmigem Boden, weiter Offnung und denselben 


- — -- - ome e en 
_<--—-= - -. = | non 


JE yy was 
VAR ZZ VU, 


Abb. 12. Finnland (nach A. Hackman, Abb. 13. Finnland (nach A. Hackman, 
die Bronzezeit Finnlands Fig. 3). die Bronzezeit Finnlands Fig. 4). 


eigenartigen Verzierungen wie in Skandinavien, wobei das Grubenorna- 
ment in Horizontalreihen abwechselt mit Zonen von dichtgestellten in 
| Schnitt ausgeführten Tannen- 
zweigornamentreihen oder 
von schräggerichteten Punkt- 
stichreihen (Abb. 12. 13), 
ali welch letzteres Ornament 
eng 99 . (z. B. zu Aloppe in Uppland) 
k: amri Mer Te Sf Almgren, vielleicht mit Recht, 
AAA von einem áhnlichen Muster 
der südskandinavischen 


AT x, GH Ganggräber-Keramik herlei- 

shia ES y ten will. Diese Verzierung 

+ ey o; der Tongefässe geht weiter 
ber "122 BE Z+ y | über Finnland südwarts nach 


Livland, wo der Rinnekalns 
eine solche Keramik auf- 
weist, und ostwärts nach 
dem Ladoga- und Onega- 
Abb. 14. Ilmensee (nach Archiv f. Anthrop. N. F. III. Taf. Xv). See und durchs ganze nörd- 

liche und mittlere Russland 
bis zur Wolga, hier besonders stark in den Gouvernements Jaroslaw 
und Wladimir vertreten. 


Nicht ohne Bedeutung ist es, dass solch ein Gefáss vom llmensee 
(Abb. 14) die punktierte Darstellung einer nackten Frau nebst Vierfüssern 


23] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 30 


aufweist. Wird diese Art der Kunstübung der Menschendarstellung 
in der arktischen Kultur selten angetroffen, so ist um so häufiger die 
Tierzeichnung. Und während die Menschendarstellung, wie auch ander- 
wärts zu allen Zeiten schon oft an primitiver Kunstübung beobachtet 
worden ist, wenig gelungen und unbeholfen erscheint, wird die Tierwelt 
in bewunderungswürdiger Naturtreue wiedergegeben, vor allem dasjenige 
Tier, das dem Frühneolithiker seit der Ancylus-Zeit als einziges Haus- 
tier- stündlich vor Augen war, der Hund. Und zwar muss der Hund 
seinem Aussehen nach von der Art der nordischen Spitze gewesen sein, 
wie ihn jetzt noch die nordischen Fischer- und Jägernomaden, auch 
die Eskimos, die alle ja auch sonst die Ancylus-Kultur in erstaunlicher 
Treue bis heute bewahrt haben, als Haustier züchten. Solch eine 
Hundekopfskulptur mit hochstehenden Ohren, als Gegenstück zu einem 
Menschenkopf an dem anderen Ende, ziert den erwähnten Kamm von 
Gullrum (oben S. 36 f.; Taf. X, 1). Der Fundort Äloppe lieferte zwei 
prächtige, naturalistisch gebildete kleine Elche aus gebranntem Ton 
(Taf. X, 3, 4). Aus einem Moore bei Falköping in Vestergötland stammt 
ein kleiner Bernsteinhängeschmuck in Gestalt eines bärtigen Menschen- 
kopfes mit Stirnbinde, dessen tiefe Augenhöhlen zu beiden Seiten der 
balkenförmigen Nase nach einer guten Bemerkung Almgrens ganz auf- 
fallend den Menschenkopf des Gullrumer Elchknochenkammes wieder- 
holen (Taf. X, 2). Und genau so gestaltet ist das Gesicht eines Bernstein- 
hängestückes aus Finnland (Taf. IX, 15) und sind weiter die Gesichter der 
bekannten steinzeitlichen Bernsteinamulettfiguren, die bei Schwarzort 
nächst Memel aus dem Grunde des Kurischen Haffes (Taf. XI, 1—6) 
ausgebaggert worden sind: wichtige Fingerzeige für die feinere Chrono- 
logie und die engeren Kulturzusammenhänge im Beginn der jünger- 
neolithischen Zeit'). Das ostpreussische Bernsteinland hat ja auch 


1) Während der Korrektur kann ich noch auf die neueste Arbeit des unge- 
mein rührigen norwegischen Steinzeitforschers A. W. Brögger wenigstens kurz hin- 
weisen: Et norsk ravfund fra stenalderen: Bergens Museums Aarbog 1908. No. 11. 
Es handelt sich um einen neuen und zwar erst den zweiten bedeutenderen stein- 
zeitlichen Bernsteinfund Norwegens, aus Linnes, Amt Süddrontheim, wie der frühere 
von Gustafson veröffentlichte aus Herö im Romsdal ein Moorfund arktischer Kultur, 
dessen Herkunft über Schweden (Gotland?) aus Ostpreussen gezeigt wird. Be- 
sonderes Gewicht wird auf den Nachweis gelegt, das die gesamte arktische Kultur 
Norwegens aus dem östlichen Schweden und weiter aus den baltischen Provinzen 
Russlands nebst Ostpreussen herübergekommen sei, ein Nachweis, der, selbst wenn 
er sich voll aufrecht erhalten lassen sollte, für die ethnologische Frage und für 
meine hier dargelegten Ansichten überhaupt von untergeordneter Bedeutung wäre. 
Vollere Aufklärung auf diesem Gebiete wird voraussichtlich das zusammenfassende 
Werk Bröggers über die arktische Kultur bringen. 


40 Gustaf Kossinna. [24 


nach Westen über Norddeutschland manche seiner figurlichen Gebilde 
entsandt, so die bekannten drei Tierfisuren aus Bernstein, den Eber 
von Danzig, den Bären von Stolp in Hinterpommern und den Bären 
oder das Pferd von Woldenberg Kr. Friedeberg in der Neumark, aber 
auch das in diesem Zusammenhang noch nie genannte kleine Menschen- 
bild (Taf. X, 5) von Bernburg (Anhalt), das natürlich nichts mit dem in 
seiner Nachbarschaft aufgedeckten spiralkeramischen Grabfund zu tun hat, 
sondern in den Kreis dieser ostpreussischen, arktischen Idole gehört, 
worüber im zweiten Teile dieses Vortrages noch zu reden sein wird. 
An irgend einen direkten Zusammenhang zwischen der figuralen Skulptur 
der arktischen Kultur und derjenigen des donauländischen und süd- 
russischen Kulturkreises der Bandkeramik zu denken, ist für einen 
Kenner der Steinzeitkultur Mittel- und Südosteuropas eine bare Un- 
möglichkeit. Dieser Gedanke Almgrens und anderer vor wie nach ihm 
war wirklich kein glücklicher. 


Die weitere Ausbreitung eines jüngeren Stadiums der arktischen 
Kultur, das man natürlich nicht vorschnell mit der Ancylus-Kultur gleich- 
setzen darf, über Finnland nach Russland hinein, bezeugen ausser der 
eben berührten Keramik die gleichfalls schon genannten Schaftlochhämmer 
aus Finnland und Russisch Kareiien mit jenem Tierkopfende, das wiederum 
nichts anderes darstellt, als den Kopf des arktischen Spitzhundes 
(Taf. IX, 11; XI, 10), ein Fortleben des in der arktischen Kultur Skandi- 
naviens so zahlreich an Schiefermessern erscheinenden Hundekopfgriffes, 
dessen allmählich bis zur Unkenntlichkeit vorschreitende Degenerierung 
Almgren in eine typologische Reihe gebracht (Taf. XI, 8). Zu den 
Seltenheiten gehört ein Axthammer aus Finnland in Widderkopfgestalt 
(Taf. XI, 2). 


In denselben Kreis gehören die Knochenschnitzereien, Menschen- 
und Tierbilder, die Inostranzeff aus der neolithischen Station des La- 
dogasees veröffentlicht hat (Taf. X, 6, 7), endlich in weiterer Ferne die 
merkwürdigen schon stark degenerierten Silexbilder aus Wolosowo im 
Gouvernement Wladimir (Taf. X, 8—11) und andere ostrussische Funde 
gleicher Art. Von entscheidender Bedeutung ist es, dass die einzigen 
gesicherten Schädel dieser Funde, die von Wolosowo, einer kurzköpfigen 
Rasse angehören. 


Noch weiter darüber hinaus bis ins Jenisseigebiet nach Ostsibirien 
führen uns die Gräber mit Skeletten einer kurzköpfigen, doch nicht 
mongolisch gestalteten Menschenart, mit Knochen- und Stein-, aber auch 
schon Kupfergeräten, die an der Basaikha bei Krasnojarsk aufgedeckt 
wurden, vor allem das Grab eines Schamanen, dem ein plump ge- 
schnitztes knöchernes Menschenidol und neben anderen Tierskulpturen 


25] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 41 


die ausserordentlich naturgetreuen Bilder einer Elchkuh und eines Elch- 
kalbes, aus Elchgeweih geschnitzt, beigegeben waren (Taf. XI, 9). Viel- 
leicht schliesst sich hieran als letztes Glied dieser langgezogenen Kette 
von Kulturwanderungen am äussersten Meere die Steinzeit der Aino- 
stämme. 


Das blosse Vorkommen von Muschelhaufen, die nach Münsterbergs 
Angabe (Japanische Kunstgeschichte I, 70) im Süden des Ainolandes 
älter sein sollen, als im Norden, fällt für unsere Frage kaum ins Gewicht. 
Die ihnen zugehörige Keramik zeigt Mattenabdruck. Eher wären hier 
die bekleideten tönernen Menschenfiguren heranzuziehen, während Tier- 
figuren gerade sehr selten sind. Völlige Übereinstimmung zeigen nur 
die von N. G. Munro in seinem soeben erschienenen „Prehistoric Japan“ 
(Yokohama 1908) auf drei Tafeln abgebildeten neolithischen Fischhar- 
punen aus Hirschgeweih. Wibling hat bereits vor einem Jahrzehnt die 
arktische Keramik Schwedens und die entsprechende Russlands mit der 
von ihm als sehr ähnlich befundenen der Alaska-Eskimos verglichen, 
die er in Berlin gesehen hat. Allein die mir von Seler aufgewiesenen 
ganz rohen Tongefässe der Ingalik haben trotz der am Halse befind- 
lichen Reihe tiefeingedrückter Gruben (keine Grübchen) nicht die ge- 
ringste Ähnlichkeit mit arktischer Keramik, wohl aber stimmen die 
Schieferpfeilspitzen und die holzgeschafteten Schiefermesser der Männer 
in auffallendster Weise mit den gleichen Schiefergeräten der arktischen 
Kultur. Diese arktische Kultur nun mit Wibling eine „mongolische“ zu 
nennen, wäre sehr voreilig. Was es mit der von Wibling behaupteten 
Übereinstimmung der Steingeräte der Blekingschen Küstenfunde ark- 
tischer Kultur mit den Geräten der Steinzeitleute am Amur auf sich 
habe, konnte ich jetzt, wo die sibirische Sammlung des Berliner 
Museums für den Umzug verpackt ist, nicht ermitteln. 


Dass diese Kulturwanderungen zugleich ein Zeichen, weil eine 
Folge der Ausbreitung eines Stammes sind und zwar eines der grössten 
Stämme der altweltlichen Menschheit, der Finno-Ugrier, steht 
für mich ausser Frage. Aber noch haben wir ein neues, sprechendes 
Zeugnis für dieses Kulturgebiet und die Anfänge jenes Hauptstammes 
zu behandeln, das sind die Felsenzeichnungen. Allbekannt sind ja jene 
skandinavischen Hällristningar, die in unzähligen Wiederholungen einen 
kleinen Kreis von Stoffen vorführen und sich nicht genug erschöpfen 
können an Sonnenrädern und Fusssohlen, an kleineren und grösseren 
bemannten Ruderschiffen, auch wohl an kindlich unbeholfen dargestellten 
Tieren, wie Rindern und Pferden, sowie an Menschen. Das Bohuslän 
und die Smalene sind das Hauptgebiet dieser eigenartigen zu Beginn 
der Bronzezeit einsetzenden Zeichnungen, doch reichen sie in minder 


42 Gustaf Kossinna. [26 


zahlreicher Verbreitung noch weiter nordwärts, in Schweden bis Upp- 
land, in Norwegen bis zum Drontheimfjord. Diese Zeichnungen tragen 
südskandinavischen Charakter. Ganz anderer Art sind die zum Teil 
erst im letzten Jahrzehnt durch den Norweger Lossius und den Schweden 
Hallström bekannt gewordenen nordskandinavischen Felsenzeichnungen: 
sie gehören der arktischen Kultur an. Ihre Anzahl ist vorläufig noch 
gering, zehn im ganzen, von denen drei auf das schwedische Jämtland, 


Abb. 15. Gebiet arktischer Felsenzeichnungen (1—10) und pS umalenelen (11—13) in Skandinavien 
(nach „Fornvännen“ 1907, 161). 


die übrigen auf Norwegen fallen und hier vom Drontheimfjord im Land- 
inneren nordwärts bis zu dem Ofotenfjord vorkommen. Ausserdem 
finden sich auf der schwedischen Seite!) noch drei Felsenmalereien, zwei 
in Jämtland und eine in Härjedalen (vgl. die Karte: Abb. 15). Sie 
steigen empor bis zu Höhen von über 500 m wie zu Landverk im 
Jämtlande; einige liegen jedoch so tief, dass sie wohl unterhalb der 
Strandlinie der Litorinasenkung sich befinden, also erst der jüngerneo- 
lithischen Zeit angehören können. 


1) In dem soeben (April 1909) mir zugegangenen ersten Hefte des diesjährigen 
„Fornvännen“ S. 55 f. zieht Hallström auch eine norwegische, schon 1878 veröffent- 
lichte arktische Felsenmalerei ans Licht, von Hindhammern in Nordmóre. 


27) Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 45 


Sie bieten keine religiósen Darstellungen, keine Genreszenen, keine 
Geschichtsdarstellungen, wie die Wikingerkriegszüge über See auf den 
südskandinavischen, germanischen Felsenritzungen, sondern lediglich 


Wildtiere des Hochlandes, den 
Bären, den Elch, das Ren in 
meistwunderbarnaturalistischer 
Vollendung der Umrisse, gegen 
die jene südskandinavischen 
Tierdarstellungen armselige 
Stümperei sind. Wir haben 
hier in ausgesprochener Weise 
an einer und derselben Stelle 
die Gegensätze nebeneinander: 
auf der einen Seite das primi- 
tive, allein von der grossen 
Stärke der Erinnerung geleitete, 
vom Denken aber unbeirrte 
Schaffen einer direkt aus der 
Natur schöpfenden Jägerkunst, 
auf der anderen Seite das in 
hohem Masse durch star- 
kes seelisches Innenleben 
und gedankliche Vorstel- 
lungen beeinflusste Bilden 
der mehr aus fernerer 
blasserer Erinnerung 
schaffenden Phantasie des 
kultivierten, an das Haus 
gebundenen Ackerbauers 
und Viehzüchters; Gegen- 
sätze, die man neuerdings 
unter die Schlagworte 
»physioplastische* und 
„idioplastische“ Kunst ge- 
bracht hat. 
Wiedergegeben seien 
hier zunächst die bei- 
den Zeichnungen von 
Landverk in Jämtland 
(Karte Nr. 3, Abb. 16. 17) 
und von Böla im Dront- 
heimfjord (Karte Nr. 6, 


Abb. 18. Böla (nach „Fornvännen” 1908, 69) 


Abb. 19. 20. Béla (nach „Fornvännen“ 1908, 70f.). 


44 | Gustaf Kossinna. 


[28 


Abb. 18—20). Das leider stark abgewaschene Bild von Landverk 
zeigt einen Elch, dem nachstellend ein Bär folgt. Störend an der 


af 


a 
A 
emite 


Abb. 21. Bardal (nach „Fornvännen“ 1908, 63). 


strengen Profilauffassung ist nach Hallströms 
die Wiedergabe je zweier Ohren, bei denen 
muschel angedeutet ist, statt eines einzigen. 


Abb. 22. Bardal (nach ,Fornvánnen” 1908, 65). 


richtiger Bemerkung nur 
übrigens auch die Ohr- 

In Böla, wo bis 1897 
der nördlichste bekannte 
Fundort der Felsenzeich- 
nungen lag, befindet sich 
an einer senkrechten Wand 
neben einem kleinen 
Wasserfall ein sehr schön 
naturalistisches Bild eines 
Rens mit ganz eigenartig 
gestaltetem Geweih, wie 
es aber nach der beige- 
gebenen Zeichnung eines 


lebendigen Renochsen auch heute noch in der Natur vorkommt. 


Eine der schönsten und zugleich die bedeutsamste ist die ark- 
tische Felsenzeichnung von Bardal am Drontheimfjord, die nur 40 m über 
dem Meere angebracht ist (Karte Nr. 5, Abb. 21. 22). Dort befinden sich 


29J Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 45 


zwei vollstšndige und mehrere angefangene treffliche Elchbilder, jedes 
3 m lang, 2 m hoch, und gleichzeitig ist die Klippe in einer Länge von 
fast 30 m und einer Breite bis 10 m mit Schälchenvertiefungen, Fuss- 
sohlen, Menschenfiguren, an fünfzig Tieren und hundert Schiffen über- 


ny Say = r. S 
- yA r Ñ 
LAGE oe LA PIERRE ARCTIQUE AAA ` ¿w 
_ Ah 5 sy 
ew SUEDE er en NORVEGE. e ¿ ç > 
j^ ' i telin - u | 
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P . w t; 7 
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+ Y x` 


FINLANDE 


Abb. 23. (Nach Congrès international d'anthrop. et d'archéol. VII. Stockholm 1874, T. 1, 192). 


zeichnet, von denen eines 4,3 m Lange und 89 Mann Besatzung auf- 
weist: dies alles in südskandinavischem Stile. Dass diese letzteren 
jünger, die arktischen Zeichnungen viel älter sind, also weit hinein in 
die jüngere Steinzeit reichen, hat schon Lossius erkannt und Hallström 
neuerdings sicher erwiesen durch die Beobachtung, dass einerseits die 
feineren Linien der Elchumrisse zwar von den breiten, tiefen Rinnen 


46 Gustaf Kossinna. [30 


der Schiffslinien durchbrochen werden, nicht aber von den ebenso 
breiten Naturfurchen der Klippe, durch die jene Elchumrisslinien, statt 
sie zu überspringen, vielmehr ohne Unterbrechung hindurchlaufen. 
Eine erwünschte Bestätigung des hier behandelten grossen kul- 
turell-ethnographischen Zusammenhanges für den ferneren Osten bieten 
die von Aspelin veröffentlichten Felsenzeichnungen vom Onega, denen 
sich wiederum völlig übereinstimmende aus dem Sibirischen anschliessen. 


Abb. 25. 
- = Nöstvet d arktisch, 
s = eo debil de IR Pr 46. Jahr; Verbreitung der Kurzköpfe in Norwegen 
L = Lappensiedelungen | hundert. (nach A. M. Hansen, Landnam i Norge 
x = Finnen-Ortsnamen. Tf. VI. VID. 


Es ist sehr bedauerlich, dass die von Savenkow bewirkten Auf- 
nahmen der Felsenzeichnungen aus dem Jenisseigebiet, die nach seinem 
Urteil eine merkwürdige Ähnlichkeit mit den Schópfungen des Künstlers 
von der Basaikha (oben S. 40) besitzen, vor ihrer Veröffentlichung 
ihm abhanden gekommen sind und darum zum Vergleich hier nicht 
näher herangezogen werden können. 


In wie ausgedehntem Masse die Feststellung der Hinterlassenschaft 
der arktischen Kultur in Skandinavien heute gegenüber dem Stande 
vom Jahre 1874 gewachsen ist, zeigt ein Vergleich der älteren Ver- 
breitungskarte von A. Rygh (Abb. 23) mit der neueren von A. M. Hansen, 
jenem gedankenreichen, aber in archäologischen, geologischen und 


31] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 47 


anthropologischen Fragen vielfach auf unsolidem Boden stehenden Ver- 
fasser des Werkes, „Landnam i Norge“. Dieser Unterschied bleibt 
wirksam, auch wenn man die zuerst von Hansen als notwendig erkannte 
Einbeziehung der frühneolithischen Siedlungen in die Entwickelung der 
arktischen Kultur als stärksten Zunahmefaktor bei dieser Vergleichung 
ausser Spiel lässt (Abb. 24). 


Setzt man weiter die Verteilung der arktischen Kultur über die 
Küstengebiete Norwegens und die gleichmässige Gebundenheit der 
Litorina-Kultur an die Küstengegend in Vergleich mit der Verbreitung 
der ebenso auf die Küstengebiete beschränkten, aber hier sehr stark 
überwiegenden heutigen norwegischen Kurzkopfbevölkerung, wie dies 
gleichfalls Hansen auf Grund der Untersuchungen von Arbo und Larssen 
getan hat, so ist der innere Zusammenhang dieser Tatsachen un- 


verkennbar (Abb. 25). 


Der anthropologische Typus der skandinavischen Kurzköpfe ist in 
der Hauptsache umschrieben durch die Eigenschaften: blond, blauáugig, 
hochgewachsen. Dazu treten weiter die Merkmale einer schräggewölbten 
Stirn und stark vortretender Brauenbögen. Vor allem aber ist wichtig, 
dass die Kurzköpfigkeit nicht hervorragend erscheint, sondern den Index 
80 zeigt oder wenig darüber. Somit haben wir es mit einem Typus 
zu tun, der dem dänischen Steinzeittypus von Borreby entspricht, und 
sogar schon bei den Skeletten der Muschelhaufen, wie wir gesehen 
haben, vorzuliegen scheint. Und auch Schweden bietet heute in seinem 
südlichsten und östlichsten Gebiete, also gerade dort, wo einst die 
Ancylus- und Litorina-Kultur stark vertreten war, verhältnismässig nicht 
unbedeutende Zahlen dieses hellerfarbigen hochgewachsenen Kurzkopfes : 
erreicht doch nach den Untersuchungen von Gustaf Retzius (1902) 
Schonen mit etwa 19 o Kurzköpfen fast die Zahlen von Westerbotten, 
während Uppland mit 21 °/o nur wenig hinter Lappland mit 23,6 zurück- 
steht. Dagegen ist Mittelschweden ein breites Band stärkster Lang- 
köpfigkeit, die in Sódermannland nur 5°jo, in Dalsland gar nur 4,86 °jo 
Kurzköpfe neben sich hat. 


In Dänemark muss dieser Kurzkopftypus noch viel allgemeiner sein, 
wenn man die neuerdings von H. P. Steensby für Nordfünen, Anholt und 
Westjütland, von L. Ribbing für Bornholm gewonnenen Ergebnisse auf 
das ganze Land übertragen darf, was nach einer soeben erschienenen 
Darstellung von Sören Hansen zulässig erscheint. Es stimmt dazu, 
dass auch die vorerwähnten belgischen Bergmannsskelette eine mäs- 
sige Kurzköpfigkeit aufweisen. 


Um also aus all diesen archäologischen und anthropologischen 
Erkenntnissen meinen Schluss zu ziehen, so bin ich der Ansicht, dass 


48 Gustaf Kossinna. [32 


eine Bevólkerung vom Borrebytypus — vielleicht neben einer stark kurz- 
köpfigen, die zugleich von kurzem Wuchse war — seit dem Ende des 
Magdalénien in allen Stadien der frühneolithischen Epoche von Frank- 
reich, Belgien und dem Oberrhein nach Norddeutschland, Dänemark 
und Südskandinavien gewandert ist und hier die ausgehende paläoli- 
thische Kultur in teilweise neuen Formen weitergebildet hat. Diese 
Bevölkerung muss schon am Schlusse der Ancylus- Zeit aus Mittel- 
schweden und aus dem ganzen östlichen Norddeutschland und den 
baltischen Provinzen ausgewandert und, wie ich glaube, nach Osten 
gezogen sein, da einmal die Litorina-Kultur hier so gut wie unvertreten 
bleibt, dann vor allem aber gerade in diesen Gebieten später und bis 
heute noch der ausgesprochen langschädelige nordische Typus in grös- 
serer Reinheit und Stärke vertreten ist. Innerhalb der baltischen 
Provinzen birgt nur der Rinnekalns in Livland noch die mit finnischer 
Keramik ausgestattete jüngerarktische Kultur. Dass aber auch auf 
Livland dann der Indogermane seinen Fuss gesetzt hat, zeigt eines 
der bis jetzt noch so seltenen neolithischen Gräber des Ostbaltikums, 
das 1904 zu Woisek Kr. Fellin aufgedeckt worden ist und nach 
R. Weinberg einem extremen Langschädel von rund 67 Längen- 
breitenindex zugehórte. Am Ausgang der neolithischen Zeit hat die 
arktische Bevölkerung dann Finnland, das Ladoga-, Onega- und 
Wolga-Gebiet besiedelt. Das mittlere bis untere Wolgagebiet und 
weiter westlich das Land bis in die Nähe des mittleren Dnjeprs 
müssen die Gegenden gewesen sein, wo die Finnen bereits am Ende 
der neolithischen Zeit eine in der finnischen Sprache als Nieder- 
schlag noch heute fortbestehende Kultureinwirkung durch die am 
Dnjepr sesshaften Arier erlebt haben, bevor diese nach Asien ab- 
wanderten. In ähnlicher Weise, wie später die Indogermanen, hat die 
arktische Bevölkerung endlich auch grosse Teile von Asien bis nach 
Östsibirien und möglicherweise sogar Nordjapan hin mit ihrer Kultur 
und Sprache belegt, um hier jedoch, wiederum ähnlich wie die Arier, 
aber auch wie die Indogermanen Ost- und Südeuropas, dem Blute nach 
von der einheimischen Bevölkerung früher oder später absorbiert zu 
werden. Daher die körperliche Verschiedenheit des in den nördlichen 
Breiten Europas und Asiens weit auseinandergezogenen finno-ugrischen 
Stammes, dessen fremde Rassenbestandteile trotz finnischer Sprache 
uns schon im germanischen Norden durch die Lappen so klar vor Augen 
geführt werden. 

Ist meine Herleitung der finnischen Urbevölkerung richtig, dann 
fallen auch alle die schweren Bedenken fort und werden alle die 
Winkelzüge derjenigen Sprachforscher unnötig, die von der auch mir 
über allem Zweifel sicheren Urverwandtschaft des finnischen und des 


33) Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 49 


indogermanischen Sprachstammes überzeugt sind, aber nun darum, wie 
O. Schrader, — freilich ohne eine Spur sonstiger inneren Nötigung, ja 
Berechtigung — die indogermanische Urheimat möglichst nahe an die 
europäisch-asiatische Grenze zu rücken bestrebt sind. Die gemeinsame 
oder wenigstens nahe benachbarte Urheimat beider Ursprachen in 
Frankreich würde alles genügend erklären. Während nun aus Nord- 
deutschland, den baltischen Provinzen und Mittelschweden die arktisch- 
finnische Bevölkerung zeitig abrückte, war ihr in Dänemark, Südschweden 
und Norwegen bei dem späteren Eindringen einer neuen überlegenen 
Bevölkerung ein Ausweichen und Abwandern nach aussen hin nicht 
möglich oder dieses trat wenigstens nicht ein, wie die heutigen anthro- 
pologischen Verhältnisse beweisen. Die Urbevölkerung wurde hier 
gegen Ende der neolithischen Zeit von den neuen südwärts hergekom- 
menen Eindringlingen unterworfen und verlor den Besitz der eigenen 
altererbten Kultur, von der innerhalb der skandinavischen Bronzezeit 
oder gleichzeitig mit ihr sich nicht mehr die geringsten Spuren finden. 
Es ist daher durchaus irrig, mit Montelius von der arktischen Kultur 
als von einer „lappischen“ Kultur zu reden, die seit der Steinzeit her 
in Skandinavien alle Perioden bis auf unsere Tage überdauert haben 
soll, selbst wenn wir nicht wüssten, wie spät die heutigen Lappen 
in Skandinavien eingewandert sind. 


II. 


Wie die Verschmelzung der arktischen und der skandinavisch-indo- 
germanischen Bevölkerung in eine in gewissem Sinne neue, die skandina- 
visch-germanische, sich vollzogen hat, ist schwer zu sagen. Kleine, aller- 
dings doch recht unsichere archäologische Anzeichen einer Vermischung 
könnten vielleicht schon Wohnstättenfunde in Jeederen (Vespestad, Hole- 
heien) und Uppland (Aloppe) und ein Skelettgrab in Gotland (Gothem) 
andeuten, woselbst unter hauptsächlich arktischen Steingeräten auch 
eine geringe Anzahl südskandinavischer Silexgeräte erschienen. Allein 
man muss annehmen, dass die Indogermanen durch strenge Vermeidung 
der Ehegemeinschaft mit Arktiern ihren rein nordischen Typus lange 
bewahrt haben. Als unterworfene, versklavte Leute konnte die arktische 
Bevölkerung weder im Staats- noch im Kriegsleben eine Rolle spielen, 
kam daher auch beim Aussenden eines ver sacrum der jungen Mann- 
schaften von Skandinavien nach Süden, d. h. nach Deutschland, wenig 
in Betracht. Beweis ist die anthropologisch unvergleichlich rein nordisch 
gestaltete Bevölkerung, die von Norddeutschland aus während der Stein- 
zeit das mittlere und südliche Mitteleuropa besetzte und ebenso die- 
jenige Bevölkerung, die von Dänemark und Schleswig-Holstein aus im 

Mannus. Bd. I. 4 


50 Gustaf Kossinna. [34 


Laufe der zweiten Bronzezeitperiode Nordwestdeutschland, insonderheit 
Hannover und Oldenburg, während der dritten Bronzezeitperiode aber 
Nordostdeutschland, insonderheit Mecklenburg, Vorpommern, Nordsachsen, 
Nordbrandenburg besiedelte und hierdurch zum erstenmale und dauernd 
mit dem germanisch zu nennenden Teilvolke des indogermanischen 
Stammes besetzte, mit jenem Volke, das damals sicher schon rein ger- 
manisch sprach, d. h. eine Sprache, die längst mit dem Vollzug der so- 
genannten germanischen Lautverschiebung nach allen Richtungen hin 
gleichmässig begonnen haben musste. 


Doch wir sprachen schon von den Gegensätzen der arktisch-finnischen 
und südskandinavisch-indogermanischen Kultur und Bevölkerung, ohne 
vorher die Anfänge und die Herkunft der letzten untersucht zu haben. Wir 
sahen, dass die internationale Form des stumpfnackigen Walzenbeils 
(Taf. VIII, 2) an der Ostsee ein kennzeichnender Bestandteil der späteren 
Litorina- und der arktischen Kultur wurde und als solcher in Skandinavien 
an eine Küstenbevölkerung gebunden war. Wie überall, wo es erscheint, 
geht dieses Walzenbeil gewissermassen durch Plattdrücken allmählich 
und in unzähligen Übergängen in das jüngere, mehr abgeflachte Walzen- 
beil (Taf. VIII, 3) und weiter in das zuerst noch etwas rundliche, dann flach 
und flacher gestaltete, gleichfalls internationale spitznackige Beil über 
(Taf. VIII, 4). Dieses Spitzbeil kommt nun nie in arktischen Funden 
oder auf arktischem Gebiete vor. In Norwegen gehört es im Gegen- 
satz zu seinem Vorgänger, dem Walzenbeil, durchaus einer binnen- 
ländischen, auf Ackerbau und Viehzucht gestellten Bevölkerung an. 
Es erscheint weiter nicht nur in Silex, sondern in geschliffenem Silex, 
geschliffen zuerst nur an der Schneide, dann über den ganzen Körper 
hin. Das sind aber Erscheinungen, die der arktischen Kultur gänzlich 
fremd sind. Mit grosser Sicherheit setze ich daher die Anfänge der 
indogermanischen Einwanderung in die Periode des spitznackigen Beils, 
die zugleich die Anfänge eines Ackerhackbaues und der Viehzucht mit- 
bringt. Aber woher? Aus Mitteleuropa kaum, denn ausser der arktisch- 
finnischen Bevölkerung Norddeutschlands hat dort in frühneolithischer 
Zeit (und von dort weiter bis in die spätneolithische Zeit hinein) nur 
noch die Pfahlbautenbevölkerung gesessen, in der Schweiz, im oberen 
Rheingebiet bis nach Andernach abwärts und in Württemberg '), mit der 


1) In dem Augenblick, da ich das Imprimatur erteile, erhalte ich durch meinen 
Freund A. Schliz eine Abhandlung über ‘neolithische Landsiedlungen der Pfahlbau- 
zeit‘ im Neckargebiet (Röm.-germ. Korrespondenzblatt 1909, 17 ff.). Ferner entnehme 
ich einer Bemerkung C. Rademachers (s. unten S. 83), dass nunmehr diese Kultur 
nordwärts sogar schon bis Scheuerbusch bei Wahn, Kr. Mühlheim a. Rh., von ihm 
festgestellt worden ist. 


35] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 51 


Kultur des sogenannten Michelsberger Typus, mit riesenhaften Erd- 
festungen und nachweislich mit einer anthropologisch vom nordischen 
Typus durchaus abweichenden, also nicht indogermanischen Bevölkerung. 
Es steht uns als Ursprungsland des indogermanischen Typus, der ja 
vom Cro-Magnontypus abzuleiten ist, gegenwärtig nur Frankreich zu 
Gebote. Und dort liegen die Siedelungsverhältnisse der neoljthischen 
Zeit so, dass die Archäologie geradezu einen massenhaften Auszug der 
Bevölkerung zu Beginn der spätneolithischen Zeit verlangt, jener Zeit, 
da einmal das aus dem Walzenbeil durch Abflachung entstandene zwei- 
flächige, im Durchschnitt spitzovale, im Umriss dreieckige spitznackige 
Beil weiterhin durch Herausbildung von immer deutlicher werdenden 
Schmalseiten in das im Durchschnitt nunmehr vierseitige Spitzbeil über- 
geht, dann ebenso auch das durch Verbreiterung des Nackens entstandene 
zweiflächige, im Durchschnitt spitzovale ,,breitnackige” Beil durch dieselbe 
Herausbildung von Schmalseiten zum vierseitigen sogenannten ,,diinn- 
nackigen‘ Beil wird. Dieses letztgenannte Beil ist bekanntlich dasjenige, 
in dessen Epoche in Mittel- und Nordeuropa die Anfänge der durch 
reiche Entwickelung der Keramik gekennzeichneten jungneolithischen 
Gräberepoche heraufgeführt werden. Da trifft es sich eigenartig, dass 
in Frankreich diese eben erwähnten Beilformen die dortige Beilent- 
wickelung neolithischer Zeit abschliessen, die jüngeren in Mittel- und 
Nordeuropa entwickelten Beilformen wie vor allem das dicknackige 
Beil, das eigentliche Beil der Gräberepoche, dagegen dort völlig fehlen. 
Man könnte nun versucht sein, dem ja immer sehr bedenklichen, um 
nicht zu sagen verzweifelten Auswegsgedanken Raum zu geben, es habe . 
dort eine sogenannte Überdauer der älteren Formen stattgehabt bis ans 
Ende der neolithischen Zeit. Aber eine solche Annahme wird ad ab- 
surdum geführt durch die zweite, mit jener ersten in schönem Einklang 
befindliche Tatsache, dass in Frankreich mit Ausnahme des Pyrenäen- 
gebietes und des Dolmengebietes der Bretagne auch jede nennenswerte 
neolithische Keramik völlig fehlt, wie ich nicht nur aus dem Studium 
der Literatur versichern kann, sondern auch in den französischen Museen 
bestätigt gefunden habe. Denn die sehr spärlichen nordfranzösischen 
Erscheinungen von Bandkeramik des Stichreihen- und des Spiral- 
musterstils sind klärlich nicht der Ausgangspunkt der mitteleuropäischen 
Bandkeramik, sondern versprengte Ausläufer des mittelrheinischen oder 
eher noch des Lütticher Gebietes dieser Kultur, des sogenannten 
Omalien Rutots. Die am Ausgang der neolithischen Epoche stehende, 
kupferzeitliche Dolmenkeramik der Zonenbecher Frankreichs aber, noch 
dazu aus Kurzkopfbegräbnissen, ist erst recht kein geeigneter Ersatz 
für das Fehlen sonstiger reicherer neolithischer Keramik und noch 


weniger ein Ausgangspunkt der mittel- und nordeuropäischen jünger- 
4* 


52 Gustaf Kossinna: Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen usw. [36 


neolithischen Kultur gewesen. In dem fast völligen Abbruch der jünger- 
neolithischen Kultur Frankreichs gerade an dem Punkte, wo in Mittel- 
und Nordeuropa in zwei Gebieten eine grossartige Entwickelung von rasch 
sich folgenden Kulturen beginnt, sehe ich allerdings eine volle Be- 
stätigung meines von vornhefein gefassten Gedankens, dass der Ursprung 
dieser Revölkerung am letzten Ende in Westeuropa, insonderheit in 
Frankreich, liegen müsse. (Fortsetzung folgt.) 


Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Ba. 1. 


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2, 5, 
Hirschgeweihhacken. 1-3 Typen. 4, 5 Kl. Machnow bei Berlin. 5. abgerollte Verzierung (nach Globus 84, 108). 


Kossinna, Der Ursprung der Urfinnen und Urindogermanen. Curt Kabitzsch (A. Stuber's Verlag), Würzburg. 


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Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. 1. Taf. VI. 


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2. Hirschgeweihhacke, Ystad, Schonen. 


3. Travenort, Holstein (Zeitschr.; a 
f. Ethnol., Verh. 1892, 2497." + 


5. 6. Angelhaken aus Elchgeweih: Gollwitz, Kr. Zauch-Belzig, 
Brandenburg; Reddies, Kr. Rummelsburg, Hinterpommern. 


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4. "es Fernewerder, Kr. Westhavelland (Nachrichten ü. d. Alt. 1902, 31). 


Kossinna, Der Ursprung der Urfinnen und Urindogermanen. Curt Kabitzsch (A. Stuber's Verlag), Würzburg. 


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Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. 1. Taf. VII, 


Entwickelung des Nöstvetbeiltypus. 


1. Litorinabeil. 2. Nöstvetbeil mit rhombischem, 3. mit dreieckigem, 4. mit n a RN, Querschnitt 
(nach A. W. Brögger, Öxer av Nöstvettypen Taf. X; IV; V; Ill, 5). 


Kossinna, Der Ursprung der Urfinnen und Urindogermanen. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg. 


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Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. I. Taf. VI. 


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Vom Nöstvetbeil zum Spitzbeil. 
1. Limnhamntypus; 2. rundes Walzenbeil; 3. abgeplattetes Walzenbeil; 4. gewölbtes spitznackiges Beil. 


(1. 2. 3. nach A. W. Brögger, Öxer av Nöstvettypen, Taf. VIII, 13; IX; VIII, 14. — 4. nach W. C. Brögger 
Strandliniens beliggenhed under stenalderen i. d. s. Norge. Taf. VII). 


Kossinna, Der Ursprung der Urfinnen und Urindogermanen. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg. 


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Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. 1. 


Arktische Kultur Norwegens (1—5) und Finnlands (6—15). 
.—5. nach Congrés internat. d'anthrop. & d'archéol. préh. Stockholm 1874, S. 183 ff.; 6.—15. nach Hackman: Fennia 17, No. 31, S. 3, 5). 


Kossinna, Der Ursprung der Urfinnen und_Urindogermanen, Curt/Kabitzsch (A. Stuber’s, Verlag) Würzburg. 


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Taf. X. 


Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Ba. 1. 


Knochenkamm: Gullrum, Gotland. 


7. * 8. */ Silexfigur: Russland. 


6. 7. Knochen: Ladogasee. 9—11. Silexfiguren: Wolosova. .. 


Arktische Skulptur aus Skandinavien, Norddeutschland, Russland. | 
1.—4., 9.—11. nach Almgren, Nordiska stenaldersskulpturer (Fornvännen 1907, Fig. 1—3. 9. 21—26). f 


| Kossinna, Der Ursprung der Urfinnen und Urindogermanen. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg. 


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Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. I. 


7. ''; Axthammer; Finnland. 


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1.—6. Bernsteinamulette ; Schwarzort, Ostpreussen. 


Schiefermesser; Schwedisch Norrland. 


9. Sibirien. Y ly Ye 
10. Russisch Karelien, Finnland. 


Figürliche Skulpfuren arktischer Kultur 
1.-6. nach R. Klebs, d. Bernsteinschmuck der Steinzeit v. Schwarzort Taf. IX; 7. nach Ailio: Journ. d. l. soc. finno-ougr. XXIII; 
8. nach O. Almgren: Fornvännen 1907, 116; 9. nach Congrés internat. d'archéologie XI. Moscou 1892 II, 330; 
10. nach Congrés internat. d'anthrop. et d'archéol. VII. Stockholm 1874, T. X, 290. 


Kossinna, Der Ursprung der Urfinnen und Urindogermanen. Curt Kabitzsch (A. Stuber's Verlag), Würzburg. 


Mannus, Zeitschrift für V orgeschichte Bd. I. 


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1. Ostseegebiet in der Yoldia-Periode (nach 
de Geer, Skandinaviens utveckl. u. istiden Taf. 3). 


Taf. I. 


3. Rengeweihhacke, 
Prenzlau, Brandenburg (nach Arch. 
d. Brandenburgia 10 Taf. Ill, 1). 


2. Durchlochte Rengeweihschäfte, Dänemark (Aarb. f. n. oldk. 1896, 305). 


Cutt Kb Calen, Würzburg. 


Kossinna, Der Ursprung der Urfinnen und Urindogermanen. 


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Das Sonnenrad und das christliche Kreuz’). 


Von 


Oskar Montelius. 
Mit 72 Textabbildungen. 


In einem vor wenigen Jahren veröffentlichten Aufsatz?) habe ich 
nachgewiesen, dass das Rad eines der Symbole der Sonne und des 
Sonnengottes war, dass dieses Symbol bereits lange vor dem Auftreten 
des Christentums dazu angewendet wurde, um die Göttlichkeit zu be- 
zeichnen, und dass es in der christlichen Kirche von der ältesten Zeit 
her dieselbe heilige Bedeutung gehabt hat. 

Da die wirklichen Räder hier auf Erden im Anfang aus vollen 
Scheiben bestanden, also ohne irgend welche Speichen, war ihre Ähnlich- 
keit mit dem am Himmel dahinrollenden Sonnenrade in der Form grösser, 
als zu der Zeit, da die Wagenräder Speichen bekamen. Lange Zeit war 
die Anzahl der letzteren nur vier, wurde alsdann zuerst auf sechs und 
weiterhin auf acht vermehrt, welche Anzahl erst in vergleichsweise 
später Zeit überschritten wurde. Daher wurde auch das himmlische 
Rad bald mit vier, bald mit sechs oder acht Speichen dargestellt. 

Wir werden nun sehen, wie das Radsymbol im Laufe der Jahr- 
tausende so grossen Veränderungen unterlag, dass alle, die mit der Ent- 
wickelungsgeschichte dieses Zeichens nicht vertraut sind, nicht ahnen 
können, dass die Gestalt, worin das Zeichen sich schliesslich zeigt, 
durch eine allmählich sich vollziehende Veränderung aus der ursprüng- 
lichen Form hervorgegangen ist. Dies gilt nicht bloss von dem vier- 
speichigen Rade, sondern ebenso von dem Rade mit sechs oder acht 
Speichen. 


1) Übersetzung aus dem Schwedischen von Ernst Snethlage, revidiert von 
G. Kossinna. 

*) Das Rad als religiöses Sinnbild in vorchristlicher und christlicher Zeit 
(Prometheus. Illustrierte Wochenschrift über die Fortschritte in Gewerbe, Industrie 
de Wissenschaft herausgegeben von Dr. Otto N. Witt. XVI. Jahrgang. Berlin 1904/1905 

o. 16—18). 


54 Oskar Montelius. [2 


Der scheinbar unwichtige Umstand, dass so lange Zeit Räder 
mit nur vier Speichen an Wagen benutzt wurden, hat ganz unerwartete 
Folgen gehabt, wie die nun folgende Darstellung der Entwickelung des 
vierspeichigen Radsymbols zeigen wird. 


Fig. 1. Konsekrationskreuz Fig. 2. Grabstein, Fig. 3. Konsekrationskreuz, 
(Wandmalerei zur Einweihung Schottland. Schweden. 
der Kirche), Schweden. 


Wir erinnern uns, wie man in älterer Zeit bei diesem Symbol oft 
nicht nur den Radreifen und die Speichen, sondern auch das für die 
Achse vorgesehene Loch in der Mitte wiedergab. Es war indes weit 


Fig. 4. Mosaik. Markuskirche, Venedig. 


leichter, nur den Reifen und die Speichen abzubilden. Daher fehlt 
auch gewöhnlich das Loch in der Mitte. Bisweilen sieht man die Ritze 
zwischen dem Reifen und dem äusseren Ende der Speichen, aber ge“ 
wöhnlich ist sie nicht angegeben. 


3] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 55 


Ursprünglich sind die Speichen, wie beim wirklichen Rade, ziemlich 
schmal und überall fast gleichbreit. Allmählich nehmen sie jedoch an 
Breite zu, wobei sie im Anfang noch überall fast gleich breit sind 


Fig. 5. Konsekrations- Fig. 6. Haustein, Fig. 7. An einem Kapitäl, 
kreuz, Schweden. Dänemark. Markuskirche, Venedig. 


(Fig. 1), schliesslich aber werden sie am äusseren Ende stark aus- 
geschweift (Fig. 2—4 und 6). 

Lange bildeten Reifen und Speichen ein Ganzes. Allmählich 
wurde jedach die Vereinigung zwischen ihnen aufgelöst. Die vier 
Speichen lösen sich vom Reifen, so dass sie innerhalb desselben frei 


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Fig. 8. Stelnsarkophag, Ravenna. 


schweben. Die Enden der Speichen sind entweder abgerundet, so dass 
sie der Innenkante des Reifens folgen, oder nach innen geschweift, 
wie bei Fig. 5, oder sie haben auch andere Formen. 

Der Zwischenraum zwischen Reifen und Speichenenden ist ge- 
wohnlich ganz schmal, wird aber zuweilen breiter. Dann sind einige 
Male die vier Speichen nicht von gleicher Lange, sondern eine von 


56 Oskar Montelius. [4 


ihnen, die nach unten gerichtete, wird allmählich länger (Fig. 7—9). 
So sieht man unter den Mosaikbildern, welche die Apsis der berühmten 
Kirche San Apollinare in Classe bei Ravenna schmücken, das in Fig. 9 
wiedergegebene: ein Kreuz, das am unteren Teil viel länger ist als am 
oberen, zeigt sich von einem Reifen umgeben; aber der Zwischenraum 
zwischen beiden Teilen ist so gross, dass das Kreuz überall frei steht. 


Das Kreuz kann sogar so lang sein, dass es sich bis unterhalb 
des Reifens erstreckt. Ein bezeichnendes Beispiel hierfür haben wir 


Fig 9. Mosaik, Ravenna. 


in dem in Fig. 13 abgebildeten Kapitäl aus der Kirche San Clemente 
in Rom. 

Manchmal hat der Radreifen, wie in dem zuletzt angeführten 
Falle, seinen ursprünglichen Charakter verloren. Nicht selten ist er zu 
einem Blattkranz geworden, wie in Fig. 8, 10 und 11. 


Wir erinnern uns, dass man bereits frühzeitig, lange vor dem 
Auftreten des Christentums, zwischen den vier Speichen des Sonnen- 
rades Strahlen einsetzte, die offenbarten, dass das Rad ein Abbild der 
strahlenden Sonne war. Solche Strahlen sieht man auch in der christ- 
lichen Zeit nicht selten, sowohl in der Kreuzesglorie hinter dem Haupte 
Christi — wozu ein Beispiel in dem früheren Aufsatz angeführt wurde — 
als auch in anderen Fällen. Fig. 10 und 12 zeigen gleicharmige Kreuze, 
die zwischen den Kreuzarmen Strahlen haben; das erstere ist nicht von 
einem gewöhnlichen Radreifen umgeben, sondern von einem Blattkranz. 


Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 57 


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58 Oskar Montelius. [6 


Während die Speichen sich in der Weise, wie wir es eben kennen 
gelernt haben, veränderten, war der Radreifen lange erhalten geblieben, 
entweder in seiner ursprünglichen Form, oder in der Umwandlung zu 
einem Blattkranz. Andererseits kommt es vor, dass, während die 
Speichen in der Breite zunehmen, der Reifen immer schmaler wird, 
so dass er schliesslich fast verschwindet. Dies ist der Fall bei den 
Originalen zu Fig. 4 und 6. In der ersteren Figur wird der Kranz nur 
von einer schmalen Linie gebildet, während die Speichen sehr breit 


Fig. 13. Kapitäl, Rom. 


sind. Besser als eine lange Abhandlung beweist dies, dass wir hier 
wirklich ein ursprüngliches Rad vor uns haben, dessen vier Speichen 
im Begriff sind sich aus dem Radreifen zu lösen und ein gleicharmiges 
Kreuz zu bilden, und dass es nicht ein Kreuz ist, das von einem Ringe 
umgeben wird. 


Schliesslich sieht man überhaupt keinen Ring mehr. Nur die 
vier Speichen bleiben übrig, indem sie ein gleicharmiges Kreuz 
bilden. 


Dieses Kreuz, das unter dem Namen des griechischen bekannt 
ist — zum Unterschied von dem ungleicharmigen lateinischen Kreuz —, 
hat manchmal Arme mit breiten abgerundeten Enden, ein Andenken 


7] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 59 


an die Zeit, da es ein Teil des Rades war und die Enden der Speichen 
sich nach dem Radreifen formten. 

Diese Form haben ein paar Kreuze, die aus christlichen Gräbern 
auf Björkö im Mälarsee, dem durch Ansgars Lebensbeschreibung be- 


Fig. 15. Eingehauenes Kreuz im alten Altartisch. 
Dreifaltigkeitskirche, Uppsala. 


Fig. 16. Kirchenglocke Fig. 17. Münze Fig. 18. Kirchenglocke 
vom J. 1515, Frankreich. Olofs Schatzkönigs. vom J. 1475, Frankreich. 


rühmten Birka, herstammen (Fig. 14), und einige andere schwedische 
Kreuze aus dem älteren Teile unserer christlichen Zeit. 

Oft haben die Enden indessen andere Formen (Fig. 15). 

Sehr lehrreich ist ein Vergleich zwischen den beiden in Fig. 16 
und 18 abgebildeten Symbolen, beide um 1500 an französischen 
Kirchenglocken angebracht. Die erstere Figur zeigt ein vierspeichiges 
Rad auf einem hohen Fuss, die letztere ein gleicharmiges Kreuz auf 
solchem Fusse. Die Arme des Kreuzes sind auf ganz dieselbe Weise 
abgerundet wie die gegen den Radreifen stossenden Speichenenden. 


60 Oskar Montelius. [8 


Das gleicharmige, sogenannte griechische Kreuz hat 
also ursprünglich nichts mit dem Kreuze Christi zu tun, 
ein Verhältnis, das um so mehr besondere Aufmerksamkeit verdient, 
als diese Kreuzform äusserst verbreitet gewesen ist und noch ist, nicht 


Fig. 19. Langobardisches Goldkreuz, Italien. Fig. 20. Runenstein, Schweden. 


nur in der griechischen, d. h. der morgenländischen, sondern auch 
gerade in der abendländischen Kirche. 

Die Kreuze, die in Mittel- und Südeuropa in den Grábern ger- 
manischer Völker aus der Zeit kurz nach ihrer Annahme des Christen- 


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Fig. 21. Silberkruzifix, Bjórkó. Fig. 22. Silberkruzifix, Gotland. 


tums angetroffen werden, haben diese Form (Fig. 19), und dieselbe 
Form haben die Kreuze auf den schwedischen Runensteinen aus der 
Übergangszeit zwischen Heidentum und Christentum (Fig. 20). 

Dass dieses Symbol oder richtiger das vierspeichige Rad wirklich 
zu jenen Zeiten als ein Kreuz aufgefasst worden ist, wird in unzweifel- 


9] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 61 


hafter Weise dadurch bewiesen, dass man auf manchen zu derselben 
Zeit geprägten Münzen, die innerhalb der Inschrift ein Rad mit vier 
Speichen zeigen, das lateinische Wort crux (Kreuz) zwischen diesen 
Speichen liest (Fig. 17). 

Obwohl das griechische Kreuz in seiner ältesten Form, mit vier 
gleich langen Teilen, sich überhaupt nicht für die Kreuzigung eignet, 
findet man doch, unter anderem aus den ersten christlichen Zeiten im 
skandinavischen Norden, mehrere als Schmuck getragene Silberkruzifixe 
von dieser Form, wie das aus den ältesten christlichen Gräbern auf 


Fig. 23. Silberkruzifix, Schweden. Fig. 24. Silberkruzifix, Gotland. 


Björkö stammende Original von Fig. 21 und die Fig. 22—24 abgebil- 
deten Kreuze. Wie bei manchen anderen griechischen Kreuzen hat 
der untere Teil, falls er auch nicht ebenso gross ist, wie die beiden 
Seitenarme, so doch durchaus dieselbe, oder mindestens nahezu dieselbe 
Länge, wie der obere Teil; die zwei wagerechten Arme können etwas 
kürzer sein. Bald ist Christus mit deutlich angegebenen Nägeln, die 
durch die Hände gehen, am Kreuze befestigt (Fig. 23), bald ist er 
daran festgebunden (Fig. 24). 


Aus dem früheren Aufsatz erinnern wir uns, dass das vierspeichige 
Rad bisweilen auf einem Stabe getragen wird. Auf dieselbe Weise 
wird auch das gleicharmige Kreuz getragen. 

In der Mitte des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung sehen 
wir ein solches auf einem Stabe sitzende Kreuz oft zur Darstellung 


62 Oskar Montelius. [10 


Christi angewendet. So ist es unter anderem der Fall auf einem um 
550 für den Erzbischof von Ravenna verfertigten prächtigen Thron, der 
mit künstlerisch geschnitzten Elfenbeinplatten bedeckt ist. Eine dieser 
Platten (Fig. 25) stellt den Augenblick bei der Hochzeit von Kana dar, 
da Christus das Wasser in Wein verwandelt. Er trägt in seiner linken 


Fi en = x= 
s 34 = x = A 


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Fig. 25. Elfenbein, Ravenna. Fig. 26. Taufstein, Schweden. 


Hand ein kleines fast gleicharmiges Kreuz, das auf einem Stabe be- 
festigt ist. 


Bereits zu jenen Zeiten hatte man wohl vergessen, dass dieses 
Zeichen eigentlich ein Sinnbild seiner Göttlichkeit war. Es gab nur an, 
wer der Abgebildete war. 


Zu derselben Zeit, wie auch in der Kunst späterer Zeiten, sieht 
man ein solches, auf einer langen Stange getragenes, gewöhnlich gleich- 
armiges Kreuz gleichfalls in der Hand Johannes des Täufers, wie auf 
dem Fig. 27 wiedergegebenen, im fünften Jahrhundert ausgeführten 
Mosaikbild, welches die Wölbung im Baptisterium von San Giovanni zu 
Ravenna schmückt. In diesem Falle kann das Kreuz selbstverständlich 
keine Beziehung auf eine Kreuzigung haben, da ja Johannes den Tod 
nicht auf diese Weise erlitten hat. Wir haben hier deutlich das aus 
uralter Zeit herstammende Zeichen für die Göttlichkeit, oder wohl in 
diesem Falle vielmehr für eine göttliche Sendung. 


11] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 63 


Bei Kenntnis dieses Verhältnisses können wir ohne Schwierigkeit 
die auf den ersten Blick eigentümliche Erscheinung erklären, dass man 
bisweilen ein kleines Kreuz in der Weise angebracht findet, wie auf 
dem Fig. 23 abgebildeten, bei Alt-Uppsala gefundenen Kruzifix aus 
Silber, das als Schmuck getragen wurde. Das Haupt des Gekreuzigten 
ist von einem Heiligenschein umgeben, der zwar durch den langdauernden 
Gebrauch sehr abgenutzt worden ist, aber wahrscheinlich ein gewöhn- 
licher Heiligenschein ist, nicht eine Kreuzglorie. Über dem Haupte 
sehen wir ein kleines, fast gleicharmiges Kreuz und darüber die Hand 


Fig. 27. Mosaikbild, Ravenna. 


Gottvaters mit zwei ausgestreckten Fingern, das Zeichen des Segens. 
Dieses Kreuz verhält sich zu der ganzen Darstellung ganz ebenso wie 
die in dem früheren Aufsatz erwähnte Kreuzglorie. Wie diese kann es 
keine Beziehung auf die Kreuzigung selbst haben, weil es ja deutlich 
genug ist, dass der Abgebildete gekreuzigt ist. Aber es war von Wich- 
tigkeit, anzugeben, wer der Gekreuzigte ist. Diese Aufgabe hatte das 
auf unzähligen Kruzifixen hinter dem Haupte Christi sitzende vier- 
speichige Rad, das Kreuzglorie genannt zu werden pflegt; und dieselbe 
Aufgabe hatte das über seinem Haupte auf dem Kruzifix Fig. 23 dar- 
gestellte Kreuz. 


Da man des Zeichens ursprüngliche Bedeutung vergessen hatte, 
war man sich nicht bewusst, dass man sowohl mit der Kreuzglorie als 


mit dem kleinen Kreuze tatsächlich die Göttlichkeit des Gekreuzigten 
angab. l 


64 Oskar Montelius. [12 


Ein kleines gleicharmiges Kreuz ist in gleichem Sinne sichtbar 
über dem Haupte Christi auf dem Fig. 24 wiedergegebenen Silber- 
kruzifix. Es lag in einem auf Gotland gefundenen Silberschatz, der 
gemäss dem Zeugnis der Münzen im Anfang des 11. Jahrhunderts 
vergraben wurde. 


Manchmal sieht man auch hinter dem Haupte des Gekreuzigten 
statt der Kreuzglorie ein Kreuz, ohne dass ein Ring es umgibt. Das 
ist der Fall bei dem Fig. 26 wiedergegebenen Christusbilde auf einem 
schwedischen Taufstein aus dem Anfang des Mittelalters; natürlich sind 
nur drei von den vier Armen sichtbar. Der Umstand, dass das Kreuz 
hier den Platz der Kreuzglorie, das heisst des Rades, einnimmt, ist ein 


Fig. 28. Silbernes Ellakreuz, Schweden. Fig. 29. Silbernes Ellakreuz, Schweden. 


interessanter Beweis — wenn noch ein weiterer Beweis erforderlich 
wäre — für die Entwickelung des gleicharmigen Kreuzes aus dem Rade. 


Infolge der Neigung an den einmal angenommenen Formen fest- 
zuhalten, die stets alles kennzeichnet, was mit Religion zu tun hat, 
leben die älteren Formen beständig fort an der Seite der jüngeren: 
das Rad mit den vier schmaleren oder breiteren Speichen — entweder 
hängen diese mit dem Radreifen zusammen oder haben sich von ihm 
gelöst — kann also vorkommen, und kommt in der Tat allgemein noch 
zu der Zeit vor, da das von dem Reifen ganz befreite, gleicharmige 
Kreuz bereits längst in Gebrauch war. So haben die sogenannten 
„Ellakreuze“, die in sehr später Zeit in Schweden verfertigt wurden, 
um Heilung von Krankheiten zu schaffen, bald die Form eines Rades 
mit vier am Ende breiteren Speichen (Fig. 28), bald das Aussehen, wie 
es Fig. 29 zeigt, mit einem kleinen gleicharmigen Kreuze, viel kleiner 
als der Kreis, der es umgibt. 


Es kommt eben darauf an, dass man grosse Zeiträume überschaut, 


um einen richtigen Überblick über die in Frage stehende Entwickelung 
zu gewinnen. 


13] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 65 


Noch notwendiger wird dies aus einem anderen Grunde. Lange 
bevor die Entwickelung des Radsymbols, die wir soeben mit besonderer 
Beziehung auf die christliche Kirche geschildert haben, innerhalb dieser 
Kirche — manche hundert Jahre nach dem Anfang unserer Zeitrech- 
nung — dazu geführt hatte, dass das gleicharmige Kreuz auftritt, ohne 
von einem Kranze umgeben zu sein, gab es nämlich bereits ein heiliges 
Zeichen von ganz ebenderselben Form. 


Dieses unerwartete Verhältnis findet seine Erklärung darin, dass 
das gleicharmige Kreuz 
bereits lange vor dem 
Auftreten des Christen- 
tums ein Symbol der 
Göttlichkeit war. 


Ganz regelrecht steht 
dies in Zusammenhang mit 
dem in hohem Grade merk- 
würdigen Umstand, dass die- 
selbe Entwickelung des 
gleicharmigen Kreuzes 
aus dem Rade, die wir so- 
eben innerhalb der christ- 
lichen Kirche kennen ge- 
lernt haben, auch bereits 
lange vor Christi Geburt 
vor sich gegangen ist. 


Fig. 31. Steinskulptur (9. Jahrh. vor Chr.), Assyrien. 


In dem früheren Aufsatze 
sahen wir, dass die assyrischen Könige im neunten Jahrhundert vor 
unserer Zeitrechnung oft mit einem Halsschmuck dargestellt sind, der 
von den Symbolen der Sonne, des Mondes und des Istarsternes ge- 
bildet wird (Fig. 30). Das Zeichen der Sonne ist das vierspeichige Rad. 
Bisweilen sieht man aber an Stelle dieses Rades ein gleicharmiges 
Kreuz, ganz gleich den vier Speichen des Rades (Fig. 31). Diese Speichen 
haben sich also aus dem Radreifen auf vollkommen dieselbe Art ge- 
löst, wie wir das Verhältnis in der christlichen Zeit gefunden haben. 


Manchmal trägt der assyrische König um den Hals nur das Bild 
der Sonne, ein gleicharmiges Kreuz, so gleich dem christlichen Kreuze, 
dass man an dessen hohes Alter nicht glauben sollte, wenn es nicht 
über allen Zweifel erhaben wäre, wie bei der Frage nach dem Original 
zu Fig. 32, das sich aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts vor 
Chr. herschreibt. 


Gleicharmige Kreuze von derselben Form, wie die christlichen, 
Mannus. Bd. 1. 5 


66 Oskar Montelius. [14 


sieht man auf vielen asiatischen Abbildungen aus dem letzten vor- 
christlichen Jahrtausend und noch früher. 


Auf ägyptischen Denkmälern aus der Zeit Ramses des Grossen, 
also aus dem letzten Teile des zweiten Jahrtausends, tragen einige 


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Fig. 32. Steinskulptur (9. Jahrh. vor Chr.), Assyrien. 


Gefangene, die sich durch ihre charakteristischen Gesichtszüge und ihre 
eigentümliche Tracht als Semiten erweisen, solche Kreuze um den 


Fig. 33. Münze aus Phönizien Fig. 34. 
(Anfang des 3. Jahrh. n. Chr.). 


Múnze des Kaisers 
Konstantin d. Gr. 


Fig. 35. Múnze des Kaisers 
Maxentius (Anfang des 4. Jahrh.). 


Hals. Andere dergleichen Kreuze kommen auf Siegelzylindern mit 


babylonischer Keilschrift vor, bald vor einem anbetenden Manne, bald 
über einem sitzenden Gotte. 


Es kann somit kein Erstaunen erregen, dass solche. gleicharmige 


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15] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 67 


Kreuze ebenso auf Sachen aus der rómischen Kaiserzeit zu sehen sind, 
über deren heidnischen Ursprung kein Zweifel herrscht. Auf Münzen, 
die in Phönizien unter der Regierung des Caracalla geprägt sind, findet 
man solche Kreuze über den Häuptern der Dioskuren (Fig. 33). Auf 
einer für Maxentius, den Gegenkaiser Konstantins des Grossen, also 
um 300 geprägten Münze sieht man ein solches Kreuz an dem Giebel 
eines heidnischen Tempels (Fig. 35). 


Ein solches Kreuz sieht man auch auf einer Münze mit dem 
Namen der Stiefmutter Konstantins, der Kaiserin Theodora; aber es ist 
ungewiss, ob die mit ihrem Namen geprägte Münze als heidnisch oder 
christlich betrachtet werden muss. Dieselbe Ungewissheit herrscht auch 
in bezug auf das Kreuz von ganz derselben Form, das auf Münzen 
mit dem Namen der wirklichen Mutter Konstantins, der Kaiserin Helena, 
vorkommt. 


Heidnisch ist dagegen offenbar das Kreuz von derselben Form, 
das auf der Fig. 34 wiedergegebenen Rückseite einer eigenen Münze 
Konstantins angebracht ist. Man hat wenigstens allen Anlass anzunehmen, 
dass sie geprägt wurde, bevor er Christ wurde! die Rückseite der 
Münze zeigt nämlich, wie aus der Inschrift hervorgeht, das Bild des 
Sonnengottes mit einer kleinen strahlenden Sonne auf der einen und 
einem kleinen gleicharmigen Kreuze auf der anderen Seite. 


Auf alle Fälle sind all diese Kreuze vollkommen gleich den 
christlichen, die zu derselben Zeit abgebildet worden sind. 


Andererseits ist das Kreuz, das man auf der zuletzt genannten 
Münze an der einen Seite des Sonnengottes sieht, etwas ganz anderes, 
als das Zeichen, das Konstantin vor dem entscheidenden Kampfe mit 
Maxentius erschienen sein soll — das Zeichen, in dem der Sieg ersterem 
verheissen wurde. Dieses Zeichen, das auf vielen von Konstantin nach 
seinem Siege geschlagenen Münzen dargestellt ist, war weder ein 
griechisches noch ein lateinisches Kreuz. Es war eine Form des sechs- 
speichigen Sonnenrades, worin, wie man, unbekannt mit der wirklichen 
Geschichte des Symbols, glaubte, die zwei 
ersten Buchstaben des griechisch geschrie- 
benen Namens Christi sich fänden. | 

Mehrere Abbildungen in den römischen H 
Katakomben und anderwärts zeigen, dass die 
ersten christlichen Jahrhunderte neben dem 
gleicharmigen Kreuze, wie wir es jetzt be-  Harenireuz. Runenstein, Schweden. 
trachtet haben, auch noch ein ähnliches 
Symbol benutzten, das unter dem Namen ,Hakenkreuz“ bekannt ist 


und nicht selten mit seinem indischen Namen „Swastika“ benannt 
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68 Oskar Montelius. [16 


wird (Fig. 36). Es ist ein gleicharmiges Kreuz, aber mit rechtwinkelig 
umgebogenen Enden. 


Auch dieses Symbol ist uralt. Aber während das oben besprochene 
gleicharmige Kreuz mit geraden Enden ursprünglich bei den semitischen 
Völkern vorkommt, gehört das Hakenkreuz eigentlich den indogermani- 


Do + EX LVCIIAINMAGI 


E:COEM+CALLISTI FACILE-E-COEM-CYRIACAE 
Fig. 38. Hakenkreuz und Fig. 39. Hakenkreuz und Inschrift, 
vierspeichiges Rad, Stein Stein aus den römischen Katakomben. 


aus den Calixtuskatakomben. 


schen Völkern an. Bei ihnen kann dieses Symbol sehr frühzeitig, be- 
reits im dritten Jahrtausend vor Christi Geburt nachgewiesen werden. 


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Fig. 40. Hakenkreuz auf dem Gewand eines Totengrábers. 
Wandmalerei, Katakomben, Rom. 


Es kommt aber auch in den darauf folgenden Zeiten in Griechenland 
und Italien wie anderwárts vor. 


Beim Auftreten des Christentums war somit dieses Zeichen, gleich- 


17] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 69 


wie das Rad und das gleicharmige Kreuz, seit uralten Zeiten ein 
heiliges Symbol und wurde als solches von den Christen, wie wir aus 
den römischen Katakomben ersehen, angenommen (Fig. 38—40). 
Bei den heidnischen Schweden war das Hakenkreuz in den Jahr- 
hunderten, die dort der Predigt des Christentums zunächst vorangingen, 
wohl bekannt. Es ist daher leicht erklárlich, dass manche von den 
Kreuzen der Runensteine ein Hakenkreuz in der Mitte aufweisen, wie 


bei Fig. 37. (Fortsetzung folgt.) 


Urzeitliche Astronomie in Westeuropa». 


Von Commandant Alf. Devoir in Brest. 
Mit 4 Textabbildungen und 3 Tafeln. 


Die Altertumsforscher haben sich seit langer Zeit vorwiegend mit 
der Bestimmung der megalithischen Bauwerke beschäftigt; da Dolmen 
und Hügel als Grabbauten angesehen wurden, richtete sich ihre Auf- 
merksamkeit auf die Gruppen von Menhirs und besonders auf die Stein- 
reihen. 

Gabriel de Mortillet spricht sich in „Le Préhistorique“ folgender- 
massen aus: „Man hat ganz zu Anfang die Steinreihen als Friedhöfe 
angesehen, doch haben die Grabungen diese Vermutung nicht bestätigt. 
Man hat Versammlungsplätze öffentlichen, politischen und religiösen 
Charakters daraus gemacht. Nichts stützt diese Vermutung; im Gegenteil 
scheint die schmale und langgestreckte Form der Steinreihen dem zu 
widersprechen. Die Steinreihen waren wahrscheinlich eine Art Archive; 
jeder aufgerichtete Stein erinnert an eine Tat, eine Person oder einen 
bestimmten Zeitpunkt“. | 

Diese Ansicht, die der gelehrte Altertumsforscher als die ,ver- 
nünftigste Erklärung“ hinstellt, befriedigt den Geist nicht mehr als die- 
jenigen, die er verurteilt. 

Nach Sir John Lubbock dienten die grossen englischen „Crom- 
lechs“ vielleicht als Tempel, doch spricht er nicht über die Bestimmung 
der Steinreihen. Ein Altertumsforscher aus Morbihan (Bretagne), 
Herr Gaillard, der in Plouharnel Carnac wohnte und die Denkmäler 
dieser Gegend genau kannte, kam auf den Gedanken, dass die Stein- 
reihen astronomische Merkzeichen waren; ungenaue Beobachtungen 
erlaubten es ihm aber nicht, aus diesem glücklichen Gedanken die 
Folgerungen zu ziehen, die er im Keime enthielt; er gelangte vielmehr 
zu einer verwickelten Gedankenreihe, die einige ungewisse Hypothesen 
erforderte. 


1) Aus der französischen Handschrift übersetzt von Ernst Wahle, revi- 
diert von G. Kossinna. 


79 Alf. Devoir. [2 


Herr Gaillard versuchte es übrigens nicht, zu verallgemeinern, und 
er sprach dies sehr unumwunden in seiner Abhandlung aus, die in der 
Zeitschrift „Les Sciences appliquées“ veröffentlicht ist: „Ich behandle 
nur die Steinreihen von Morbihan, und es war meine Absicht, aus- 
schliesslich diese zu erklären“ '). 

Genauere, in der Betragne und in England angeszeilte Beobachtungen 
erlauben uns heute, die Frage umfassender zu behandeln. 

Einige Monate vor der Veröffentlichung der Arbeit Gaillards hatte 
ich in Gemeinschaft mit meinem Freunde, dem Gendarmerie-Hauptmann 
Grossin, eine Erforschung der megalithischen Denkmäler der Umgegend 
von Brest begonnen; wir waren durch die Tatsache in Erstaunen ge- 
setzt worden, dass eine bestimmte Anzahl Menhirs und Dolmen parallele 
Reihen bildeten, die deutlich von Osten nach Westen ausgerichtet 
waren, und wir dachten, dies wäre die Hauptrichtung, die von den 
vorgeschichtlichen Baumeistern eingehalten worden sei. 

Das war aber nur ein kleiner Teil des Rätsels. 

Weitere Untersuchungen, die Aufnahme von Denkmälern, die uns 
im Jahre 1895 unbekannt waren, riefen mir Feststellungen ins Gedächtnis 
zurück, die ich einige Jahre früher in dem westlichen Teil des Bezirkes 
Lorient gemacht hatte. Die Menhirs im Departement Finistere, die 
bedeutend weniger zahlreich sind als die von Carnac und Erdeven, 
unterscheiden sich von den unserigen durch gewöhnlich weit beträcht- 
lichere Abmessungen; während die in der Umgegend von Carnac be- 
nutzten Blöcke unbearbeitet und von unregelmässiger Form sind, trifft 
man in der Nordwestecke von Finistere wahre Obelisken, deren ebene 
oder abgerundete Flächen nicht nur aus dem gröbsten herausgearbeitet, 
sondern sorgfältig zugerichtet sind; allein schon der zerbrochene Riese 
von Locmariaker kann von dieser ausgezeichneten Arbeit der vor- 
geschichtlichen Steinmetzen eine Vorstellung geben. 

Ich habe es nicht nötig gehabt, wie Herr Gaillard, Zuflucht zu 
nehmen zur Bestimmung von Standpunkten des Beschauers und zu 
Menhir-Indexen; die Richtlinien, die von den mitunter einander ziemlich 
nahen, mitunter mehrere hundert Meter von einander entfernten Menhirs 
abgesteckt werden, geben die unmittelbare Lösung in einem der 
wichtigsten Fälle. 

Für die hervorragendsten Denkmälergruppen ist die abgesteckte Rich- 
tung diejenige des Aufgangspunktes der Sonne zur Sommersonnenwende, 


1) Sir Norman Lockyer nennt in seinem Werke Stonehenge and other stone 
monuments (London 1906) S. 97 diese Abhandlung von F. Gaillard: L’Astronomie 
Préhistorique und die Zeitschrift, in der sie erschienen ist: Les sciences populaires, 
revue mensuelle internationale (Paris, 15 Rue Lebrun). Kossinna. 


3] Urzeitliche Astronomie in Westeuropa. 73 


oder umgekehrt die des Untergangspunktes zur Wintersonnenwende; 
mit anderen Worten: der vorgeschichtliche Beobachter, der sich an 
einem Endpunkte der Reihe aufhielt, sah zur Zeit der Sonnenwende 
die Sonne an dem andren Endpunkte auf- oder untergehen. 

Er war also in der Lage, seinem Stamm mitzuteilen, dass man 
den kürzesten oder den längsten Tag des Jahres hatte. 

Auf diese Weise wurde in unsern Gegenden die erste Art der 
Zeitmessung ausgeführt. 

Die Richtigkeit dieser Beobachtungen sollte bald bekräftigt werden; 
im Jahre 1901 kam der bedeutende englische Astronom Sir Norman 
Lockyer, der soeben das Denkmal von Stonehenge hinsichtlich der 
Richtlinien studiert hatte, zu denselben Schlüssen, und stellte in einem 
von der Royal Society herausgegebenen Bericht fest, dass die Achse 
dieses Denkmales nach dem Aufgangspunkt der Sonne zur Sommer- 
sonnenwende gerichtet seit). 

Der Unterschied zwischen der in England aufgenommenen Richt- 
linie und derjenigen, die ich in unserm Finistére festgelegt hatte, ent- 
sprach genau dem Unterschied der geographischen Breiten der beiden 
Länder; der Beweis war also geliefert. 

Sobald ich die Abhandlung Sir Norman Lockyers kennen lernte, 
teilte ich ihm die Ergebnisse meiner eigenen Untersuchungen mit; sie 
sind der Gegenstand von Erörterungen in der englischen Zeitschrift 
„Nature“ gewesen. Zahlreiche seit dieser Zeit gemachte Messungen 
haben den Wert des Vorhergehenden nur bekräftigt; sie haben gezeigt, 
dass die vorgeschichtlichen Menschen auch — jedoch seltener — die 
Linie Sonnenaufgang zur Wintersonnenwende — Sonnenuntergang zur 
Sommersonnenwende absteckten. 

Es muss hervorgehoben werden, dass die Bestimmung der zur 
Sonnenwende gehörigen Richtlinien sehr genau ist, dagegen sind die 
auf die Nachtgleiche bezüglichen Richtungen ziemlich schlecht ausge- 
richtet. Diese Tatsache ist nichts Auffallendes, wenn man erwägt, dass 
in der Nähe der Sonnenwende die Auf- und Untergangspunkte sich 
sehr wenig von Tag zu Tag verändern, während zur Zeit der Nacht- 
gleiche der Unterschied sehr gross ist. 

Die auf die Sonnenwenden bezüglichen Beobachtungen sind wahr- 
scheinlich die ältesten; nachdem die astronomischen Zauberer Beginn 
und Ende der längsten und der kürzesten Tage durch Merkzeichen 
festgelegt hatten, bestimmten sie die Dauer des Halbjahres, das sie 
mittels der auf die Tag- und Nachtgleiche bezüglichen Merkzeichen 
in zwei Vierteljahre weiter teilten. 


') Vgl. Proceedings of the Royal Society (London), Vol. 69, 137 ff. Kossinna. 


74 Alf. Devoir. [4 


Diese ureinfache Zeitmessung musste noch vervollkommnet werden. 

Ich hatte — und dieselbe Beobachtung ist in England gemacht 
worden — das Vorhandensein einer dritten Richtlinie beobachtet, oder 
vielmehr zweier in bestimmtem Verhältnis zur Ost-Westlinie stehenden, 
symmetrisch verlaufenden Richtlinien. 


Sir Norman Lockyer hat den Zweck der einander entsprechenden 
Absteckungen, die zwischen den auf die Sonnenwenden und die Tag- 
und Nachtgleichen bezüglichen Richtungen liegen und von ersteren 
um einen für ein- und dieselbe Breite unveränderlichen Winkel abweicht, 
vollkommen bestimmt. 


Sie legen die Richtung fest, in der man den Sonnenaufgang zu 
Zeiten sah, die von den Tag- und Nachtgleichen und von der einen 
oder anderen Sonnenwende gleich weit entfernt sind, und erlaubten 
infolgedessen die Einteilung des Jahres in acht untereinander augen- 
scheinlich gleiche Teile. 


Im Norden und Westen von Finistere sind die Zwischenrichtungen 
allgemein durch die Absteckung einer auf die Sonnenwendepunkte be- 
züglichen Richtlinie abgeschnitten ; ihre Absteckung lässt ausserordentlich 
wenig von der Ungenauigkeit der Absteckung der Tag- und Nachtgleiche 
merken. 


Um alles mitzuteilen, was mit den grossen, vielgestaltigen Denk- 
mälern in Beziehung steht, bleibt nur noch übrig zu sagen, dass jede 
Ausdehnung in die Breite im allgemeinen in einer senkrechten Linie 
oder in Parallelen zur Grundrichtung erfolgt, die ihrerseits die Richtung 
nach dem Tag- und Nachtgleichenpunkt, nach dem Sonnenwendepunkt, 
oder die Zwischenrichtung sein kann. 


Die zugehörigen Azimute sind für die Breite von Brest: von 
Norden 54° und 66° nach Osten, oder symmetrisch von Süden 66° 
und 54° nach Osten. Die Azimute der Sonnenwendpunkte und der 
Zwischenrichtungen nähern sich offenbar dem Meridian, wenn die 
geographische Breite grösser wird. 


Diese einfachen Feststellungen lassen sich gleichmässig gut auf 
die grossen Menhirreihen der Gegend von Morbihan anwenden, wenn 
man die in der Schrift des Herrn Gaillard eingeschalteten Pläne für 
genau hält. So beziehen sich die Steinreihen von Ste. Barbe und 
S. Pierre Quiberon auf den Sonnenaufgang in gleichem Abstand von 
der Herbst- Tag- und Nachtgleiche und der Wintersonnenwende, oder 
auf den entsprechenden Untergang; diejenigen von Erdeven bestimmen 
den Aufgangspunkt der Sonne zur sommerlichen Zwischenzeit. Le Ménec 
und Kerlescant bezeichnen die auf die Tag- und Nachtgleiche bezügliche 
Linie, während Kermario und Le Ménec-vihan die Richtung des Sonnen- 


75 


5] Urzeitliche Astronomie in Westeuropa. 


aufganges zur Sommer- und des Sonnenunterganges zur Wintersonnen- 


wende angeben (Abb. 1). 
Die Richtungen, die auf den der Arbeit des Herrn Gaillard an- 
gefügten Plänen verzeichnet sind, weichen im allgemeinen um 1 oder 2, 


hóchstens 4% von den theoretischen Rich- 


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tungen ab; genaue Beobachtungen würden | RARAS 
diese Abweichungen vielleicht noch er- | _° a = An > 2 A 
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Möglicherweise sind die Zwischen- a, ar $ e re 27 
Steinreihen ursprünglich als einfache Merk- | ` 5 Pa. ae š Bh 
zeichen für die weitere Zeiteinteilung aufge- “ 4. FE fr- 
richtet worden; ihre Bedeutung hat im Laufe | ix ? i 22 are i ie 
der Jahrhunderte in den Augen der grossen |i- 73.222713 $. A ' 
Masse der Bevölkerung vorherrschend wer- }. ¿+ 817. hee 2:21 
den müssen. 1,33 ç sgi 4 Be a) 5 
Diese Steinreihen beziehen sich in |;- 2 £ 344 i 24 2 TA | 
der Tat auf folgende vier Zeitpunkte: den |: 42> a ¿ç | N ñ 
8. November, 4. Februar, 6. Mai und |, $ =. N 5 A 
8. August, die nichts anderes sind — worauf F. (= eet | 
Sir N. Lockyer aufmerksam gemacht hat — | 1! 7 =; 
als die mittleren Zeitpunkte der vier Haupt- 4173 
abschnitte des landwirtschaftlichen Jahres |. NAL A, 
(farmer's year) für ein von dem unserigen |9953) 


nur wenig abweichendes Klima. 

Der Anfang des November ist die Zeit 
der Saat, die vom Februar ab herauskommt; 
in den ersten Tagen des Mai beginnt die 
Blütezeit; wärmere Sommer machten vor 
Mitte August die Ernte schon reif. 

So konnte der allein auf Sonnen- 
beobachtung beruhende neolithische 
Kalender vor fünf oder sechs Tausend Jahren 
die Feldarbeit regeln, und wir wissen, dass 
die asiatischen [? d. Hrsgbr.] Eindringlinge 
Ackerbauer waren. 

Man begreift, wie gross der Einfluss 
der Erfinder der ersten Astronomie sein konnte: anfangs Verkündiger 
der Sonnenwenden und Entfacher der heiligen Feuer, wurden sie mit 
dem Fortschreiten ihrer Wissenschaft die Regler aller ländlichen Ar- 
beiten, dann aller Taten und Handlungen ihrer Stämme überhaupt. 

Durch den Zwang der Dinge selbst, und trotz der physischen 


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Abb. 1. Steinreihen von Le Ménec, 


nach H. du Cleuzion (G. de Mortillet, 
Musée préhistorique Taf. LX). 


76 Alf. Devoir. [6 


Überlegenheit mancher Stammesglieder musste die geistige Auslese, die 
die Baumeister-Astronomen bildeten, unbedingt die Leitung des Stammes 
in die Hand bekommen. 


In der Tat können es nur durchaus hierarchisch gegliederte Ver- 
bände dahin bringen, so mächtige Bauwerke wie die Steinreihen von 
Carnac, wie gewisse Cromlechs in Finistére oder England zu vollenden. 
Hunderter von Armen, die einem einzigen Haupt gehorchten, bedurfte 
es, um die gewaltigen Dolmen von Locmariaker zu bauen, um die 
granitenen Obelisken der Umgebung von Brest aufzurichten, von denen 
manche ein Gewicht von mehr als 50 Tonnen besitzen. 


Und man ist aufs höchste erstaunt, wenn man bedenkt, dass 
einer von ihnen, der Menhir von Melon, — das wichtigste Merkzeichen 
einer auf den Aufgangspunkt der Sonne zur Zeit der Sonnenwende 
bezüglichen Richtung —, dessen Gewicht nicht unter 14,000 kg beträgt, 
so aufgerichtet worden ist, dass zwei seiner ebenen und parallelen 
Flächen auch parallel zur astronomischen Richtlinie sind, die 1500 m 
davon entfernt durch eine Reihe von drei Menhiren festgelegt ist. Die 
vier Blöcke sind genau in einer geraden Linie aufgestellt (Taf. XII, 1, 2). 


Die Aufrichtung von neuen Denkmälern (Taf. XII, 3, 4; XIII, 1, 2; 
Abb. 2, 3), die ee: von PO an den Hauptzeitpunkten 
- i des Jahres waren wahrschein- 
|lich die Gelegenheit zu Ver- 
_ |sammlungen und auch zu 
Festen, in deren Verlauf die 
neolithischen Ackerbauer die 
Grösse der Werke feierten, die 
von ihnen oder ihren Vorfahren 
vollendet worden waren, und 
ihre unterwürfige Frömmigkeit 
schrieb ohne Zweifel das Ver- 
dienst der Einrichtung allein 
dem übernatürlichen Können 
Il der Zauberer zu. 

Haben wir nicht vor vier 
Jahren gesehen, dass die See- 
leute von Nippon ihren Sieg 
allein den göttlichen Vorfahren 
des Mikado zuschrieben ? 


Mein trefflicher Freund Le Rouzie, dessen Arbeiten für die Archäo- 
logie der Gegend von Carnac so wertvoll sind, hat schon lange den 
Gedanken ausgesprochen, dass man mitten in den Steinreihen astrono- 


Abb. 2. St. Denec. 


7) Urzeitliche Astronomie in Westeuropa. 77 


misch-religióse Feste feierte; die früher gemachten Beobachtungen be- 
kräftigen diese Meinung in einzigartiger Weise. 

Die Sonnwendfeuer erinnern noch jetzt an diese Jahrtausende 
alten Bräuche; bei den Steinreihen von Erdeven, die nach dem Zwischen- 
aufgangspunkt der Sonne im Sommer ausgerichtet sind, haben die 
Neolithiker am 6. Mai jeden Jahres das Blühen feiern können und 
vielleicht auch die Arbeit. 


Seit dieser Zeit würde dieser Brauch nur um sechs Tage vorgerückt 
sein. Wenn man alle die Feste prüft, die von dem römischen Heiden- 
tum in den katholischen Kirchenbrauch übergegangen sind, würde man 
sehr viele Überbleibsel wiederfinden, die auf die vorgeschichtlichen 
Zeiten zurückweisen; daher ist auch oft das Kreuz auf dem Menhir 
angebracht, und der Fromme kniet in unsern Tagen an demselben Ort 
nieder, wo vor 5000 Jahren der Fromme betete (Taf. XIII, 3). 


Das enthüllen uns plumpe Blöcke, die auf unserm Boden von 
Menschen aufgerichtet sind, deren Namen wir niemals erfahren werden. 


In der Heide tauchte eine vielleicht weniger gelehrte, aber nicht 
weniger alte Astronomie als die der Chaldaer auf, und wir ahnen, 
welches der geistige und wirtschaftliche Zustand unserer fernen Vor- 
fahren sein konnte. 


Eine Welt, von der man glauben konnte, dass sie auf ewig ver- 
schwunden ist, steigt aus der Nacht der Vergangenheit hervor: in ihren 
seit 40 oder 60 Jahrhunderten verschlossenen Grabkammern haben uns 
die Dolmen und Grabhügel den Schmuck und die Waffen verstorbener 
Geschlechter bewahrt ; ihr Denken selbst stellt uns in seiner erhabensten 
Form die Einfachheit der plumpen Denkmäler vor, die sie gebaut haben. 


In welche Vorzeit versetzt uns diese allein auf der Sonnen- 
beobachtung begründete Astronomie, wenn wir bedenken, dass alle 
südasiatischen oder arischen Völkerschaften seit etwa 40 Jahrhunderten 
im Besitze eines Mondkalenders sind! 


In bestimmten Fällen werden uns die Denkmäler selbst sagen, zu 
welcher Zeit sie aufgerichtet worden sind. 


Die astronomischen Richtlinien, welche die vorgeschichtlichen 
Zauberer festzulegen suchten, sind in der Tat langsamen Veränderungen 
unterworfen, die selbst die Folge von der vorrückenden Bewegung der 
Nachtgleichen sind. 


Diese Unterschiede können der Berechnung unterworfen werden, 
deren Ergebnisse, verglichen mit den im Gelände gemachten Beobach- 
tungen, wertvolle Abschätzungen erlauben. 


Auf diese Weise schreibt Sir Norman Lockyer, der die Hypothese 


78 Alf. Devoir. [8 


einer von den Architekten von Stonehenge gut ausgeführten Absteckung 
vertritt, diesem Denkmal ein Alter von 36 Jahrhunderten zu. 


Die grossen Menhire von Finistëre können zur gleichen Zeit auf- 
gerichtet worden sein, das heisst mitten in der Kultur der Bronze 
(Morgien)'). 

Der kühne Versuch des berühmten Astronomen zeigt, welch un- 
geheures Feld sich vor der Altertumskunde der Gegenwart eröffnet; 
das Studium der „monumen- 
talen“ Zeitrechnung steckt noch 
in den Kinderschuhen. 

Wieviel an megalithischen 
Resten noch reiche Gegenden 
sind im (Gegensatz zu den 
wenigen in der Bretagne und 
auf der anderen Seite des 
Ärmelkanals erforschten Qua- 
dratkilometern entweder noch 
unerforscht oder ungenügend 
untersucht. 

Wenn man ehedem Menhirs 
und Dolmen als allein stehende, 
von einander unabhängige Denk- 
mäler hat ansehen können, so 
hat eine derartige Auffassung 
heute keine Geltung mehr. Wir 
müssen in jedem von ihnen 
eines der Glieder einer zu- 

ath. $ Ra aa sammengehörenden Gruppe 

sehen, von der uns ein Rest 

erhalten ist oder hat verschwinden können, einen der Ringe einer mehr 

oder weniger ausgedehnten Kette, die vom Menschen und von den Un- 
bilden der Witterung mehr oder weniger zerstört worden ist. 


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Es ist also wichtig, die Lage aller noch vorhandenen Denkmäler 
genau zu bestimmen, mögen sie in gutem Zustande oder verfallen sein; 
dagegen sind Verzeichnisse oder Kataloge mit unbestimmten Angaben, 
deren einige vorhanden sind, nunmehr vollständig ungenügend. 


Was die heutige Wissenschaft nötig hat, was wir denen vererben 
müssen, die nach uns kommen, das sind topographische Verzeichnisse 


1) Nach der durch O. Montelius begründeten Chronologie wäre das Jahr 1700 
vor Chr. gegen Ende der ersten Periode der reinen Bronzezeit zu setzen. Kossinna. 


9] | Urzeitliche Astronomie in Westeuropa. 79 


in grossem Massstabe, die durch die Ergebnisse astronomischer 
Forschungen vervollständigt werden. 


Die Kenntnis der auf die Sonne bezüglichen Richtungen ist übrigens 
in hohem Masse dazu angetan, die Arbeit der Forscher zu erleichtern; 
den Kompass in der Hand müssen sie, von einem bekannten Denkmal aus- 
gehend, diejenigen aufsuchen, die sie noch nicht kennen; dieser Methode 
verdanke ich zu wiederholten Malen ausgezeichnete Ergebnisse. 


Die Zukunft wird — zweifellos besser als wir es können — die 
neuen Zeugnisse verwerten, die von sorgfältig ausgeführten Erkundungen 
geliefert würden; solch ein auf der Erde liegender Block, den heut- 
zutage der Archäologe verachtet, würde ein wertvolles Anzeichen sein, 
wenn seine Lage auf einer abgesteckten Linie ihn zu einem unbestreit- 
baren Denkmalrest macht, der seinerseits dazu angetan ist, neue Ent- 
deckungen einzuleiten. 

Aber die Arbeit, kartographisch unsere vorgeschichtlichen Denk- 
mäler systematisch aufzunehmen, ist schwer; um sie gut auszuführen, 
wird es vieler Zeit und vielen guten Willens bedürfen. 

Werden diejenigen, die sich dem widmen werden, in einigen Jahren 
alle noch heute vorhandenen Denkmäler auffinden ? 


Das Gegenteil ist leider weit wahrscheinlicher: Die Ausbreitung 
der Feldbestellung hat schon zahllose vorgeschichtliche Denkmäler ver- 
schwinden lassen; der Bau von neuen Dörfern, das Anlegen von Ein- 
friedigungen in gewissen Gegenden, wo der Besitz sehr zerstückelt ist, 
haben ähnliche Folgen gehabt; in der Bretagne besonders sind die 
niedrigen, die Felder begrenzenden Mauern aus der Geschichte der 
Vergangenheit hergestellt. 

Zweifellos ist es in vielen anderen Ländern ebenso. 

Es würde ein grossartiges Werk sein, in dem Geist der Landleute 
die Achtung vor diesen kostbaren Überresten zu wecken; gewiss müssen 
die Archäologen sich damit befassen, aber sie würden dieser Aufgabe 
nicht gewachsen sein. 

Sie brauchen hingebungsvolle Mitarbeiter, die dem Landmann 
näher stehen, als es bei ihnen der Fall ist, um das gute Wort überall 
da durchdringen zu lassen, wo vorgeschichtliche Überreste vorhanden 
sind, — und wenige Gegenden in Europa’) sind vollständig frei von 


solchen (Taf. XIV). 


1) Zahlreiche Menhire des sächsischen und böhmischen Gebietes sind er- 
wähnt bei G. Wilke: Neolithische Keramik und Arierproblem (Archiv f. Anthropologie 
1909, N. F. VII, 300 Anm.); einige böhmische bei Pić, Cechy předhistorické I, 67 ff.; 
die 22 thüringischen jetzt in dem Werke: Vor- und frühgeschichtliche Altertümer 
Thuringens von A. Götze, P. Höfer, P. Zschiesche. Würzburg 1909. Kossinna. 


80 Alf. Devoir. [10 


Nach Massgabe der Ausdehnung der zu erkundenden Gebiete 
müssen diese Mitarbeiter zahlreich sein; sie müssen Ausdauer besitzen, 
um eine Arbeit von mitunter langer Dauer zu einem guten Ende zu 
führen. 

Für eine solche Aufgabe sind die Lehrer von Natur bestimmt; 
mögen sie die Kinder lehren, dass einst — vor sehr langer Zeit — 
Menschen diese jetzt vom Schweiss ihrer Eltern benetzten Ländereien 
bebauten, dass diese Menschen nicht zu schreiben verstanden, aber 
dass sie, um ihre ländlichen Arbeiten zu regeln, um die Zeit zu messen 
und sich der denkwürdigen Ereignisse zu erinnern, in den Boden grosse 
Steinblöcke setzten. 


Mögen sie ihnen sagen, dass diese vor Zeiten aufgerichteten Steine 
nicht zerstört, sondern gleich den Feenhöhlen, den Zwergenhäusern, 
Tempeln und Grabstätten der Menschen vergangener Zeiten sorgfältig 
erhalten werden müssen. 

Später werden sie ihnen sagen, was diese Menschen waren, oder 
wenigstens, was wir davon wissen, und der gute, dem Kinde anvertraute 
Same wird gedeihen für die ganze Umgebung. 


Auf diese Weise werden die alten Denkmäler, nunmehr besser 
gekannt von denen, die bei ihnen wohnen, vor der Zerstörung bewahrt 
bleiben; die erste Ursache so vieler unwiederbringlicher Verluste ist in 
der Tat nur die Unwissenheit. 


Alberne Legenden haben bis auf heute viele Landleute davon ab- 
gehalten, sich für die Spuren der Vergangenheit zu interessieren, die 
zumeist als Werke bösartiger Geister hingestellt werden, deren Macht 
die Zeit nicht vollständig gebrochen hat. 


Wenn die Landleute lernen, dass man diese Denkmäler ihren Vor- 
fahren verdankt, und welches ihre Bestimmung war, dann werden sie 
die ersten sein, die ihnen die Erhaltung sichern. 


Jedoch nur der Lehrer kann der Verbreiter dieser Elementar- 
kenntnisse, der unentbehrliche Vermittler zwischen der archäologischen 
Wissenschaft und der ländlichen Bevölkerung sein. 


Für jeden von uns ist es also Pflicht, mit den Lehrern, unseren 
natürlichen Mitarbeitern, in den Flecken oder Dörfern ihres Bezirkes 
Beziehungen anzuknüpfen und ihr Interesse für unsere Arbeiten zu 
wecken: wie viele von ihnen werden, fern von den Zerstreuungen der 
Stadt, glücklich sein, in den archäologischen Forschungen ein Mittel zu 
finden, sich in ihrer Mussezeit zu beschäftigen, und gleichzeitig ein 
wirklich nützliches und wissenschaftliches Werk zu tun, dem auch die 
Geistlichen der verschiedenen Bekenntnisse ihre Mitarbeit widmen 
könnten. 


11] Urzeitliche Astronomie in Westeuropa. 81 


Es ist hier natürlich notwendig, einer mehr glühenden als aufge- 
klärten Begeisterung entgegenzutreten ; Aufgabe der organisierten archäo- 
logischen Gesellschaften und ebenso der Staatsgewalt ist es, hier eine 
Bremse anzulegen, und jede Schädigung der Denkmäler zu verhindern. 

Wenn ihre Erhaltung jeden guten Willen für sich hat, müssen die 
Forschungen und Untersuchungen einer strengen gesetzlichen Regelung 


Schema einer megalithischen Gruppe nach den Arbeiten von Sir N. Lockyer und Comm. Devoir. 


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48° 30' nördliche Breite. 
Abb 4. 


unterworfen werden; zu viel Schätze können bei Gelegenheit einer 
schlecht geleiteten Ausgrabung verschwinden. 


Zum Aufsuchen der Denkmäler nach einfachen, hier angegebenen 
Regeln muss die Archäologie alle diejenigen auffordern, die sich dem 
Studium der vorgeschichtlichen Vergangenheit widmen wollen. 


Viele würden augenscheinlich mehr Interesse daran haben, 
Grabungen auszuführen, Sammlungen zu vergrössern: ganz recht, aber 
wir müssen nicht nur für uns selbst, sondern auch für diejenigen arbeiten, 
die nach uns kommen. 


Das Aufsuchen der megalithischen Architekturreste erscheint auf 
Mannus. Bd. I. ° 


82 Alf. Devoir: Urzeitliche Astronomie in Westeuropa. [12 


den ersten Blick eine wenig verführerische Arbeit; vernünftig unter- 
nommen, mit dem Kompass in der Hand, wird sie dagegen Leiden- 
schaft erwecken in jedem, der sich ihr ernsthaft widmet, weil sie von 
nun an auf Grundlagen ruht, deren festes Gefüge sechzig Jahrhunderte 
nicht erschüttert haben. 

Unsere Zeit wird ihre Aufgabe gut erfüllt haben, wenn es ihr ge- 
lingt, die Bausteine für die zukünftige Wissenschaft vorzubereiten und 
zu erhalten. 

In dieser Richtung müssen ohne Zeitverlust und in völliger Über- 
einstimmung alle diejenigen arbeiten, die es sich Mühe kosten lassen, 
in den „megalithischen Gebieten“ die Kenntnis der menschlichen Ver- 
gangenheit vorwärts zu bringen. 


Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. L Taf. XII. 


1. Melon. 2. Melon, Westseite. 


3. Kergadion. 4. Kergadion. a 
Menhire der Bretagne. Be 


Devoir, Urzeitliche Astronomie. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg. 


Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Ba. I. Taf. XIII. 


1. Kerivoul. 


2. Kerivoul. 


3. Bar ar Lann (Portsalle). 


Menhire und Dolmen der Bretagne. 


Devoir, Urzeitliche Astronomie, Curt Kabitzsch (A, Stuber's Verlag), Wirzburg. 


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Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. I. Taf. XIV. 


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1. Hoher Stein bei Grimma (Sachsen). 


2. Grösserer Hünenstein 3. Kleinerer Hünenstein 
bei Benzingerode am Harz. 


De Menhire in Mitteldeutschland. 
voir PARR 
en ı Urzeitliche Astronomie. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg. 


r — um — 


Die germanische Dorfanlage der Kaiserzeit 
am Fliegenberge 
bei Troisdorf, Siegkreis, Reg.-Bez. Köln. 


Von 
C. Rademacher. 
Mit 4 Textabbildungen und 1 Tafel. 


Es ist bekannt, dass zu beiden Seiten des Niederrheins, auf den 
letzten Ausláufern des Gebirges, sich zahlreiche Gräberfelder befinden, 
die zu verschiedenen Zeiten teilweise untersucht und mehr oder weniger 
wissenschaftlich beschrieben worden sind*). Eine zusammenhängende, 
abschliessende Arbeit über die ganze Frage der niederrheinischen Grab- 
hügel steht noch aus. Die letzte zusammenfassende Arbeit von 
A. Kiekebusch?) weist den Grabhügeln einen Zeitraum von der Hall- 
statt- bis zum Ende der Kaiserzeit zu. Kiekebusch glaubt ferner, dass 
Germanen während dieser ganzen Zeit am Niederrhein gesessen haben. 

Ganz gelöst ist diese Frage noch nicht, denn man hatte bis heran 
noch keine einzige Wohnstättenanlage in dem ganzen Gebiete aufgedeckt. 

Um so erwünschter war es, dass die Untersuchungen des Bericht- 
erstatters in den zwei letzten Jahren am Niederrhein, und zwar in un- 
mittelbarer Nähe der Stadt Köln, nicht weniger als vier Wohnstátten- 
anlagen ergaben. Zwei dieser Anlagen reichen nun in eine frühere 
Zeit zurück, während die andern mehr oder weniger mit den Grab- 
hügeln in Verbindung zu setzen sind. 

Die erste Anlage befindet sich im Scheuerbusch bei Wahn, Kr. 
Mühlheim a. Rh., auf dem Gräberfelde, das von der Hallstattzeit bis in 
die Kaiserzeit hinabreicht*). Es sind dort steinzeitliche Hausanlagen 
zum Vorschein gekommen mit einem Inventar *), das der Untergrombacher 


1) Die einschlägigen Veröffentlichungen des Berichterstatters befinden sich 
in den „Bonner Jahrbüchern“ Band 105; „Nachrichten über deutsche Altertums- 
funde“ Jahrgang 1893, 94, 95, 96, 97, 98. 99. 

2) Der Einfluss der römischen Kultur auf die germanische im Spiegel der 
Hügelgräber des Niederrheins von Dr. A. Kiekebusch. Berliner Dissertation 1908. 

*) Vergl. den Aufsatz des Berichterstatters in dem Berichte über die Prä- 
historiker-Versammlung in Köln am 23.—31. Juli 1907. S. 126 ff. 

*) Funde im prähistorischen Museum zu Köln. 

6* 


84 C. Rademacher. [2 


Periode entspricht, eine Periode, die durch Direktor Lehner bei Urmitz 
und Mayen ebenfalls festgestellt wurde. 

Die zweite derartige Anlage liegt auf der Höhe des Vorgebirges 
bei Bonn. Daselbst befindet sich ein kleines Hügelfeld, das der 
ältesten Bronzezeit (Montelius I) zum Teil angehört, wie das eine 
Bronzeaxt!) mit einem triangulären Dolche beweisen. Das. Inventar 
einer Wohnstätte auf dem Terrain dieses Begräbnisplatzes ergab eine 
Keramik, die dem Übergange der Steinzeit zur Bronzezeit entspricht, 
das Bruchstück eines Zonenbechers?) kam an der Stelle zum Vorschein. 
In der Ebene zwischen Rhein und dem Vorgebirge, man könnte fast 
sagen am Fusse jener Höhen, welche die eben erwähnten Grabhügel 
tragen, waren Scherben gefunden worden, die den grossen, dick- 
wandigen Gefässen’) mit langem, zylinderförmigem Halse und fast 
wagerechtem Rande angehören, die man bis vor kurzem der jüngsten 
Bronzezeit, nach Reineckes Vorgang jedoch der älteren Hallstattzeit 
zuschreibt. Die Auffindung dieser Scherben, welche zum ersten Male 
die ältere Hallstattzeit, und zwar in unverkennbarer Übereinstimmung 
mit süddeutschen Formen, für den Niederrhein festlegt, gab Veranlas- 
sung, dort Grabungen vorzunehmen. Es kamen hier mehrere Wohn- 
gruben zum Vorschein, die jedoch der La Tënezeit zuzuweisen sind, 
was die Übereinstimmung mit typischen La Tenezeitlichen Funden in 
Kessenich bei Bonn beweist. 

Die vierte Wohnstättenanlage ward in dem Walde bei Troisdorf 
am Fliegenberg *) entdeckt. Hier sind eingehendere Untersuchungen 
bereits angestellt, über die in folgendem weiter berichtet werden soll. 

Der Fliegenberg ist einer der letzten Erhebungen der bergischen 
Höhen zwischen Siegburg und Troisdorf. Die ganze Gegend ist sehr 
reich an Grabhúgeln. So befinden sich ausgedehnte Gräberfelder bei 
Siegburg, Niederpleiss, Caldauen, Schreck, Altenrath und, kaum 1 km 
vom Fliegenberge selbst, am Ravensberg. Die Funde von dem Be- 
grábnisplatz am Ravensberg beweisen das Hinaufreichen desselben in 
die Hallstattzeit (viele Graphiturnen, konische Halsbildung u. a. m.) 


Der Fliegenberg senkt sich terrassenförmig der Rheinseite zu und 
endigt in einer sehr wasserreichen, sumpfigen Niederung. Nach der ent- 


1) Funde im prähistorischen Museum zu Köln. 
°) Im präh. Museum zu Köln. 


3) Viele derartige grosse Urnen befinden sich im Museum zu Giessen und 
im Museum zu Frankfurt. 

*) Es war zuerst die Bezeichnung „am dicken Stein“ gewählt. Weil dieser 
Stein aber durch das Quarzitbrechen längst verschwunden ist, erscheint der Name 
des Berges, an dessen Fusse die Anlage sich befindet, angemessener. 


3] Die germanische Dorfanlage der Kaiserzeit am Fliegenberge usw. 85 


gegengesetzten Seite verbindet ein Bergsattel den Fliegenberg mit dem 
Güldenberg und dem Lohmarer Berg; ersterer ist die grösste Erhebung 
der Gegend, welche dieselbe in weitem Umkreise beherrscht. Zunächst 
am Fliegenberg erhebt sich der Güldenberg, der nach einer Seite steil 


Lageplan der Grabung am 17.- 20. IX. und 1.—5. X. 1907. Fliegenberg bei Troisdorf. 
Abb. 1. 


zum A 


B ggerflusse abfällt. Uppige Wiesen breiten sich dicht an den 


erg hinan. Der Güldenberg ist mit einem Walle gekrönt, der das ganze 
ateay umschliesst in Form eines unregelmássigen Vierecks (s. Abb. 1). 
Nicht weit von dieser Wallanlage liegen drei vereinzelte Grabhügel. 
__ Man sieht, alle Vorbedingungen für eine prähistorische Dorfanlage 
na hier gegeben: Wasserreichtum, terrassenförmiges Absenken des 
ebirges für den Ackerbau, geschützte Lage (nach der Rheinseite un- 
urchdringlicher Sumpf, nach der anderen der Aggerfluss) dazu uner- 
messliche Wälder für die Jagd. So wird es uns auch erklärlich, dass 
wir Schon für eine frühe Besiedelung der Gegend deutliche Spuren 
àntreffen. Hierzu gehören zahlreiche mikrolithische Geräte, dem Tar- 
enoisien angehörig, eine Werkstätte zur Herstellung von Steingeräten 
aus dem dort anstehenden Material (feiner Quarzit), und endlich zwei 
grosse Vorratsgefässe !), die der jüngsten Bronzezeit zuzuschreiben sind. 
a ea 


') Alle hier genannten Funde befinden sich im Museum zu Köln. 


86 C. Rademacher. [4 


Der Fliegenberg und überhaupt die ganze Gegend sind mit allu- 
vialem Sande bedeckt, worunter Lager von Ton sich befinden. In 
diesem Ton liegt nesterweise Quarzit, der in grossen Blöcken, stellen- 
weise wenigstens, auch bis auf die Oberfläche tritt. Dieser Quarzit 
wird gegenwärtig ausgebeutet, und bei diesen Arbeiten kamen vereinzelte 
dunklere Stellen mit Scherben und dgl. zum Vorschein. Dieser Um- 
stand war Veranlassung, dass von seiten des Kölner Museums hier 
Ausgrabungen vorgenommen wurden, welche um so erwünschter waren, 


Grabung 1. Fliegenberg bei Troisdorf. 17.—20. IX. 1907; 1. X. 1907. Wohngrube I. Baumloch 1 u. 2 
Abb. 2. 


da die Scherben, von denen vorhin die Rede war, nicht mit der Keramik 
der nahen Begräbnisplätze übereinstimmten und auch recht zahlreiche 
Bruchstücke römischer Provenienz sich vorfanden. 


Die erste Grabung fand auf dem vorhin beschriebenen Hang nicht 
weit von der unteren Grenze statt. Zwei nebeneinander liegende kreis- 
runde Gruben, deren sich auf dem Hange eine ganze Anzahl befinden, 
wurden angeschnitten. Es galt zunächst festzustellen, ob diese Gruben 
als Wohngruben oder als Baumlöcher anzusprechen seien. Da wieder- 
holt kleine Scherben prähistorischen Charakters dicht neben und in 
den Gruben aufgehoben waren, schien die Meinung, dass wir es mit 
Wohngruben zu tun hätten, nicht aussichtslos. Durch einen 19 m 
langen Graben wurden die beiden Löcher seitlich angeschnitten. In 
durchschnittlich 75—80 cm Tiefe zeigte sich der Urboden, sehr heller 
trockener Sand, in dem stellenweise Eiseninfiltrationen harte, etwas 
dunklere Stellen hervorgebracht haben. Einzelne Scherben, darunter 


5] Die germanische Dorfanlage der Kaiserzeit am Fliegenberge usw. 87 


Sigillata*) kamen zum Vorschein. Diese Grabung (Abb. 2) stellte also 
zunächst die Bedeutung der an dem ganzen Hange befindlichen kreis- 
runden Gruben fest, die als Baumlöcher demgemäss anzusprechen sind. 
Ich bemerke hier, dass im Laufe der Ausgrabung noch wiederholt 
derartige Gruben angeschnitten und durchgegraben worden sind, stets 
war das Ergebnis dasselbe. 


Vor etlichen 80 Jahren haben hier mächtige Eichen gestanden, 
die ausgerodet worden sind. Als Rodloch der einzelnen Stämme haben 
wir die Gruben anzusehen. Aber dennoch wurde die erste Grabung 
sehr bedeutsam, denn sie führte im weiteren Verlaufe zum Aufdecken 
einer wirklichen Wohnstelle oder Wohngrube. Am südöstlichen Rande 
des Rundwalles, der die grösste der beiden Gruben umgab, stiess man 
auf eine tiefschwarze, sehr harte Schicht, worin Scherben in Menge 
sich vorfanden. Beim Verfolgen dieser Kulturschicht stellte sich eine 
anscheinend runde, muldenförmig eingegrabene Vertiefung heraus, deren 
oberer Durchmesser etwa 4 und dessen grösste Tiefe 1,20 m betrug. 
Rings um diese Mulde, die durchaus mit der dunklen, harten Kultur- 
schicht ausgefüllt war, stand der helle Sand 70—80 cm an. Die 
grösste Tiefe lag neben dem südlichen Rande bei A. Hier fand sich 
ein eisernes Ziehmesser, ein zweites Eisenstück, ein Kannenbeschlag aus 
Bronze mit Ausguss, Henkelrest, Fortsatz mit eisernerm Scharnierrest. 
Bemerkenswert war auch die Stelle bei B, wo aus einer starken Aschenschicht 
Pferdezähne und Knochen gehoben wurden. Knochen lagen auch an ver- 
schiedenen andern Stellen. Die dunkle Schicht hatte durchweg 40—45 cm 
Mächtigkeit. Ganz unten, in 1,20 m Tiefe, wurden grosse römische 
cherben gefunden, doch lag im ganzen die römische Ware in den 
oberen Schichten häufiger als in den tiefern. Ein Stückchen römischen 
lases kam ebenfalls zum Vorschein. Der Sand unter der Kulturschicht 
war ausserordentlich hart und an der Oberfläche mit Kohlenfunken 
durchsetzt. Kohle fand sich durch die ganze Schicht zerstreut. Be- 
sonders bei B traten Kohlen häufiger auf. Die Oberfläche der Kultur- 
schicht lagerte ziemlich horizontal, massenhaft Hüttenbewuf an der 
Südlichen und östlichen Seite, teils leicht zerdrückbar, teils hart 
gebrannt. Nicht nur diese Lehmbrocken des ersten Verputzes traten 
zum Vorschein, auch Reste des feinen Mörtelüberzuges, der ehemals 
die Lehmwand überdeckte. 


Eine zweite und dritte Grabung, bei der ebenfalls Baumlöcher an- 
geschnitten wurden, ergab kein Resultat; nur einzelne Scherben kamen 
zum Vorschein. 


— 


1) Siehe Abb. 2. 


88 C. Rademacher. [6 


Bei der Grabung 4 wurde eine Stelle innerhalb eines kleinen 
Wallvierecks gewählt (vgl. Abb. 1 links). Dieses Wallviereck mit einer Seite 
fast dicht an einen Weiher stossend, ist ganz geebnet. Ein kleiner Graben 
und ein dementsprechender Wall umgibt die Stelle. Ein Durchschnitt des 
Walles erzielte kein Resultat. Das Wallviereck ist durch zahlreiche 
Kaninchen-Gänge ausgezeichnet; bei ihrem Wühlen hatten die Tiere 
einzelne Scherben ans Tageslicht gebracht. Bei diesem Kaninchenbau 
wurde die Untersuchung begonnen. Bald stellte sich ein Dunklerwerden 


Grabung 4. Fliegenberg bei Troisdorf. 3.—4. X. 1907. Wohngrube Il. 
Masstab 1:150. 


Abb. 3. 


des Bodens ein; ganze Massen von Scherben kamen zutage, und in Tiefe 
von 1,25 m wurde der etwas muldenförmige Boden einer Wohngrube fest- 
gestellt (Abb. 3). Die Kulturschicht hatte wieder eine Mächtigkeit von 
40 cm, doch setzten sich die Scherben auch über die Oberfläche der 
dunklen Schicht in ziemlicher Menge fort. Unter der Kulturschicht 
fand sich ein aus faust- und handgrossen Steinen hergestelltes Pflaster 
(tief 110—115 cm), das etwa 1 qm bedeckte. Überdeckt war dieses 
Pflaster von einem hellgrauen, feinkörnigen Sande, der grösstenteils 
aus Asche bestand. Kohlenspuren auf den Steinen, das rotgebrannte 
Aussehen derselben ergaben mit Sicherheit, dass dieses Pflaster als 
Herd benutzt wurde. Die Steine waren flache Flussgeschiebe aus der 
nahen Agger. In dem Pflaster, am östlichen Rande der Grube gelegen, 
fand sich ein römischer Scherben der mittleren Kaiserzeit und ein Glas- 
stück, im westlichen Teile einige Knochen und ein Pferdezahn. 

Die Bodenverhältnisse dieser Wohnstätte waren gleich denen der 
ersten Grube, sehr heller Urboden (Sand), ziemlich schwarze Kultur- 
schicht, darüber eine braune, nicht sehr dunkle Oberschicht. Beim 


7] Die germanische Dorfanlage der Kaiserzeit am Fliegenberge usw. 89 


Weitergraben a—a, 8—8 fand sich je ein Bruchstück eines Mühlsteines, 
ausserhalb der Wohngrube. 

Die Querschnitte a—c, $—f$ sind zu beachten; sie sind ziemlich 
genau, da bei dieser Grube die Dichtigkeit der Kulturschicht am 
stärksten war. Die eine Kurve a—a gibt den mittleren Durchmesser 
an; die zweite 6—£ liegt mehr nach dem südöstlichen Rande hin. 
Bei Vergleichung der beiden Querschnitte ergab sich, dass nur eine 
runde Form der Grubenwand beide Kurven ganz in ihrer Fläche auf- 


Grabung 5. Fliegenberg bei Troisdorf. 4. X. 1907. Wohngrube Ill. Baumloch 4. 
Masstab 1:150. 
Abb. 4. 


zunehmen vermag. Es ist dies ein direkter Anhalt für die runde Form 
der Wohngrube. 

Die folgende Grabung, nicht weit von der bei der ersten Grabung 
entdeckten Wohngrube, begann, wie aus Abbildung 4 ersichtlich ist, 
mit einem Durchschnitt durch eine nunmehr als Baumloch erkannte 

rube. Der Durchschnitt bestätigte das bei den früheren Grabungen 
SCwonnene Ergebnis. Da sich an einer Stelle Scherben zeigten, auch 
der Boden eine etwas dunklere Färbung annahm, wurde der Graben 
—SO fortgesetzt. In den ersten 4-5 m wurde ein Tiefergehen der 
dunklen, auf den ursprünglichen Boden aufgelagerten Schicht (von 
©m—110 cm) festgestellt. Dann stieg der helle Sand wieder auf 
Cm, um von da ab langsam bei fortwährend dunkler und härter 
Werdender Erde auf 110 und endlich auf 120 cm Tiefe zu sinken. 
ler war also eine dritte Wohngrube mit einer vorgelagerten Neben- 

erube festgestellt. 
Die Wohngrube Ill (siehe Abb.) hatte dieselbe Anlage wie Wohn- 


90 C. Rademacher. [8 


grube Í und II, nur war die Kulturschicht bei Grube Ill viel weniger 
durch Kultureinwirkungen gefärbt, auch das Scherbenmaterial erreichte 
nur die Hälfte der Ausbeute von Grube l und II. Dass die Grube aber 
dennoch als Wohngrube anzusprechen ist, beweist die Feuerungsanlage 
an der süd-östlichen Seite. 0,5 m von der Mitte der Grube entfernt 
fanden sich drei in einer Linie aufgestellte, ziemlich derbe, mehr als 
kopfgrosse Quarzitblöcke, die von dem ursprünglichen Boden der Hütte 
25—30 cm aufragten. Hinter diesen, also nach dem südöstlichen 
Rande, zeigte sich eine starke Brandschicht mit sehr viel Kohle und 
Asche. Diese Feuerstelle, die eines Pflasters entbehrte, vielmehr direkt 
auf dem Sande angelegt war, hatte 1 qm Flächenraum. Die drei 
Quarzitsteine haben offenbar als Abschluss des Feuerraumes gegen den 
übrigen Teil des Raumes gedient. Beim Entfernen der Steine behufs 
Untersuchung des unter ihnen befindlichen Bodens fanden sich unter 
den Steinen römische und germanische Scherben vor. 


Eine bemerkenswerte Stelle ist noch bei d im Profil $—y (siehe 
Abb.). Hier senkte sich die Kulturschicht bis auf 150 cm, also noch 
25 cm unter dem sonstigen Boden der Grube. Es muss sich demge- 
mäss hier eine Vertiefung befunden haben, Funde wurden in dieser 
Vertiefung nicht gemacht. 


Eine sechste Grabung (s. Abb. 1) wurde an einem Hügel westlich 
der ersten und fünften Grabung vorgenommen, die kein Ergebnis lieferte. 
Die siebente Grabung erstreckte sich wiederum auf einem länglichen, 
natürlichen Hügel, etwa 15 m Länge, 90 m Breite, 0,80 m Höhe. Ein 
grosser Kreuzgraben lieferte einige Scherben, einen kleinen Bronzering 
von 25 mm Durchmesser und eine kleine römische Münze, sog. Tetri- 
kus. Eine Wohnstättenanlage konnte hier jedoch nicht festgestellt werden. 


Die letzte Grabung fand an einem Punkte statt, dessen Umgebung 
durch Abräumungsarbeiten für die Quarzitgrube sehr stark durchwühlt 
und teilweise abgetragen oder mit grossen Abraummassen bedeckt war. 
An dieser Stelle waren Mengen von Scherben, kleine Bronzestücke, 
unbearbeitete Feuersteinstücke zum Vorscheine gekommen. Nur ein 
kleiner Teil des Platzes war unversehrt geblieben und auf diesen be- 
schränkte sich die Grabung. Etwa 80 cm unter der Oberfläche steht 
der helle, unversehrte Sand an. Darüber beginnt eine dunkelbraune 
Erdschicht, die sich ungeändert bis unter die Humusdecke an der 
Oberfläche hinaufzieht. In dieser braunen Schicht ziemlich viele 
Scherben, römische und germanische, auch einige grobe Feuerstein- 
stücke. Zu bemerken ist hier, dass von Arbeitern in der Nähe dieser 
Stelle ein Feuersteinmesser gefunden war, 8 cm lang, 2,5 cm breit, mit 
gut retouchierten Schneiden. Eine Menge flacher, rotgebrannter Fluss- 


9] Die germanische Dorfanlage der Kaiserzeit am Fliegenberge usw. 91 


geschiebe kamen zum Vorschein, die einem Herdpflaster angehört haben; 
leider war dieses durch die Arbeiten zerstört, so dass nichts Genaueres 
darüber mitgeteilt werden kann. 

Als die ganze Kulturschicht ausgeräumt und untersucht worden 
war, wurden die Grabungen im klaren, unversehrten Sande fortgesetzt, 
und zwar nach Westen. Scherben kamen längst keine mehr zum Vor- 
schein, dafür jedoch eine Anzahl sehr kleiner Feuersteinstücke, meist 
éclats; einzelne mussten als Spitzen angesprochen werden, darunter 
eine sehr fein gearbeitete, überall retouchierte sog. Diéderspitze und 
noch ein Schaber von der Grösse eines kleinen Fingernagels. Auch 
ein Nukleus für die kleinen Geräte fand sich vor und ein etwas 
grösserer Schaber aus Quarzit. 

Diese 'Fundstücke, mikrolithischer Art, haben offenbar mit den 
Wohngruben und ihrem Inhalte nichts zu tun. Sie sind wohl dem Tarde- 
noisien zuzuschreiben und, wie Dr. Hahne mitteilt, dem Funden zu 
vergleichen, die auch in der. Lüneburger Heide vorkommen. 


li. 


Das Fundmaterial. 


_ Nach Beendigung der Grabung sind von den Arbeitern der Quar- 
zitgruben noch mancherlei Funde in dunklen Kulturschichten gemacht 
worden, um deren Bergung und Überweisung an das Kölner Prä- 
historische Museum Herr Hauptlehrer C. Breuer in Altenrath grosse 
Ver dienste sich erworben hat. Es ist Pflicht des Berichterstatters, dem 
errn auch an dieser Stelle den besten Dank auszusprechen. Da die 
oben erwähnten dunkleren Kulturschichten meist als Wohn- oder Abfall- 
gruben anzusehen sind und das Material vollstándig mit dem durch 
die Systematischen Grabungen gewonnenen übereinstimmt, so möge eine 
urze Zusammenstellung der Funde hier folgen (vgl. Tafel XV). 
Funde von Eisen: Ziehmesser, Meissel, Glocke (Abbildung), kleinere 
Eisenstücke unbekannter Verwendung. 

Bronze. Kannenbeschlag (Abbildung), Bronzering, Bronzeblech, Aucissa- 
Fibel (Abbildung). 

Münzen: Augustus- Münze mit Nachstempel, Tetrikus- Münze, Denar 
des Posthumus. 

Mühlsteine: Zwei ganz erhaltene, in der bekannten runden Form der 

römischen Handmühlsteine mit Loch, mehrere Bruchstücke, 
darunter einer mit tiefen, bogenförmig gezogenen Rillen. 


92 C. Rademacher. [10 


Spinnwirtel: Zwei flache, zwei konisch geformte, einer frgm. ohne 
Ornamente. 


Feuerstein: Messer, 8 cm lang, mehrer kleine Feuersteinstücke zum 
Feuerschlagen. 
Poliersteine aus schwarzem Kieselschiefer. 


Hausverputz: Lehmbrocken der Wände und aus Kalkmörtel hergestellter 
feiner Verputz. | 


Formen: Eine massive Tonform zur Herstellung der Gefässe. 
Perlen: Frgm. blaue Glasperle. 


Glas: Einige Bruchstücke römischen Glases. 


Römische Gefässe: Scherben von Sigillata-Gefässen mittlerer Kaiserzeit 
(Abbildung), Scherben von Kochtöpfen mit umgebogenem 
Rande (Abbildung), Henkel und Bruchstücke grosser Am- 
phoren, Henkel von zweihenkeligen Gefässen, Scherben von 
grösseren und kleineren Gefässen mit profilierttem Rande, 
einige mit eingeritztem Wellenornament. 


Germanische Gefässe: Meist nicht mit Drehscheibe hergestellt. Es 
ergeben sich Gefásse aller Art, Gefässe mit Fuss, Gefässe 
mit scharf abgesetzter Bauchwand, zahlreiche Gefässe (weit 
über 50) mit einfachem Randprofil, meist nur kleine Rand- 
leiste aussen. 


Die Farbe der einheimischen Gefässe ist bald schwarz, bald 
schokoladebraun, bald gelb, bald braun, einzelne von sehr 
feiner Arbeit. 


Unter den Ornamenten tritt verhältnismässig oft die Verzierung 
durch Fingernageleindrücke auf und zwar nicht selten in komplizierter 
Form in der Weise, dass jedes Ornament durch zwei Eindrücke her- 
gestellt erscheint, einmal nach rechts, das andere Mal nach links 
gebogen. Meist sind es die kleineren Gefässe mit scharf abgesetzter 
Bauchwand, deren Unterteil diese Verzierung aufweist. Auch auf dem 
Rande tritt deren Fingernagelornament auf, bei einigen Gefässen um- 
zieht ein Band solcher Eindrücke die weiteste Stelle der Bauchwand. 


Mit dem Fingernagelornament verbunden tritt auch das Ausstechen 
kleiner Flächen in dreieckähnlicher Form auf. Zunächst gibt es Gefásse, 
auf denen letztere Verzierung allein angewandt worden ist, daneben 
aber auch solche, auf denen beide Ornamentarten zusammen vorkommen. 
Die Gefässwand ist in Felder zerlegt; abwechselnd ornamentierte man 
nur ein Feld mit dem Fingernagel, das andere Mal zog man vertikale 
Furchen, die dann mit Ausstich verziert wurden (Abbildung). Ein drittes 
Ornament ist eine kleine rundliche Vertiefung, sehr fein und zart an- 


11] Die germanische Dorfanlage der Kaiserzeit am Fliegenberge usw. 93 


gebracht in winkelbandähnlicher Form. Die Winkelbänder treten durch 
Linien, welche die Punzen umziehen, scharf hervor (Abbildung). 


Ein weiteres Ornament entsteht durch das Herausarbeiten kleiner 
Nupfen und Warzen, die, in verschiedener Höhe herausmodelliert, in 
grosser Anzahl die Gefässwand bedecken. Oft ist auch durch Furchen 
oder herausmodellierte dünne Stäbchen die Gefässwand abgeteilt, und 
die Nupfen und Warzen füllen die Abteilungen aus. 


Endlich ist die Kammstrichverzierung zu erwähnen, die entweder 
über der ganzen Gefässwand für sich angebracht ist, oder aber in 
Verbindung mit polierten, mehr oder weniger breiten vertieften, vertikalen 
Streifen. | 


Ein Vergleich des gesamten Fundmaterials mit dem der benach- 
barten sehr zahlreichen Hügelgräber, auch mit dem des nur 1 km vom 
Fliegenberge entfernten Begräbnisplatzes am Ravensberg, beweist sofort 
die grosse Verschiedenheit. Die einheimische Keramik vom Fliegen- 
berge in Form und Ornamentierung ist mit der vom Ravensberge 
nicht gleichzeitig. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass wir es 
am Fliegenberge mit einer germanischen Dorfanlage der Kaiserzeit 
(also nach 50 n. Chr.) zu tun haben, das beweisen die Münzen, die 
Sigillata, die Formen der römischen Gefässe 1). Können wir so die 
Dorfanlage nicht mit den naheliegenden Begräbnisplätzen in Verbindung 
bringen, so tritt sehr auffallend die Übereinstimmung mit den Funden 
zutage, die 1899 von Prof. Gundermann im Giessener Stadtwalde ge- 
macht worden sind und die sich nunmehr im Museum zu Giessen be- 
finden. Hier finden wir dieselben Ornamente in Nupfen und Warzen, in 
Kreisen und Kammstrichen wie am Fliegenberge, hier finden wir dieselben 
ormen der Gefässe. Zahlreiche Fussurnen sind dort bei Giessen gefunden, 
cs war ein Begrábnisplatz ohne Grabhügel. Die Übereinstimmung ist so 
8OSS, dass die Scherben eines Gefässbodens von Giessen, den Herr 
‚Auptmann Kramer mit anderen Scherben dem Kölner Museum freund- 
lichst Uberliess, mit einem vom Fliegenberge vollständig übereinstimmt. 
Š ISt dies ein Gefässboden, der in Giessen und am Fliegenberge innen 
zu einer kegelförmigen Spitze herausgearbeitet ist, ein Vorkommnis, 
as auf keiner Graburne bis jetzt beobachtet werden konnte (Abbil- 
ung von Giessen und Fliegenberg). Hat nun der Giessener Begräb- 
Nisplatz, dessen Keramik mit der der Dorfanlage am Fliegenberge über- 


— 


K 1) Die provinzialrömischen Teile des Fundes gehören, soweit sie ohne 
‚enntnis der Originale bestimmbar sind, in die frührómische Zeit (vgl. Aucissa- 
bel), die germanischen dagegen, die der Vf. ganz richtig mit den Funden aus 
lessen vergleicht, mindestens grösstenteils erst ins 3. Jahrh. nach Chr., was be- 
sonders das Warzenornament der Tongefásse dartut. G. K. 


94 C. Rademacher. [12 


einstimmt, als Graburnen nur jene oben erwähnten Fussurnen, so 
müssen wir unbedingt auch von dem Begräbnisplatze, der zu der Dorf- 
anlage des Fliegenberges gehört, ähnliche oder dieselben Fussurnen 
erwarten. | 

Im Jahre 1882 hatte der Berichterstatter von einem Arbeiter in 
den Quarzitgruben eine Graburne gekauft, die in demselben Jahre dort 
gefunden worden war. Der Mann hat die Stelle damals mir gezeigt. 
Bei dieser Urne, so erzählte der Arbeiter, habe ein ‚roter Deckel mit 
ausgearbeiteten Figuren“ gelegen. Dieser Deckel war verloren gegangen, 
so dass ich ihn nicht zu Gesicht bekommen habe. 1883 vertauschte ich 
die Urne vom Fliegenberge Herrn Geheimrat Finkelnburg in Godesberg, 
ich habe sie seit der Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen,. hatte aber 
wohl noch in der Erinnerung, dass die Form nicht mit den bekannten 
Urnenformen der Gegend übereinstimmte. Die neuesten Ausgrabungen 
am Fliegenberge, die Übereinstimmung des Fundmaterials mit Giessen, 
brachte mir jene Urne lebhaft in die Erinnerung. Herr Prof. Wiede- 
mann in Bonn, Schwiegersohn des Herrn Geh. Rat Finkelnburg, hatte die 
Freundlichkeit, die Urne dem Kölner Museum zu schenken; es war 
eine Fussurne, genau wie die vom Giessener Stadtwalde (Abbildung). 
Bei den Giessener Graburnen sind Sigillatagefässe in grösserer Anzahl 
gefunden worden, und so wird auch der „rote Deckel“, von welchem der 
Arbeiter sprach, eine solche Sigillata-Schale gewesen sein. Hoffentlich 
gelingt es, den Friedhof zu der Ansiedelung aufzufinden. Aber auch 
jetzt schon haben wir den Beweis, dass neben unseren Hügelgräbern 
sich Crabfelder am Niederrhein befinden, die, ohne Hügel errichtet, 
eine andere Kultur zeigen, als die in den bekannten Grabhügeln. 


Es ist das erstemal in hiesiger Gegend, dass eine germanische 
Dorfanlage der Kaiserzeit festgestellt werden konnte. Noch nicht über 
alle Fragen der Hausanlage sind wir unterrichtet, weitere Ausgrabungen 
werden hierüber Aufklärung geben. 


Für die gesamte Beurteilung der niederrheinischen Hügelgräber 
sind die Funde am Fliegenberge aber jetzt schon von grosser Bedeutung. 


Nachtrag. 


Gerade in den Tagen der Korrektur der vorstehenden Mitteilungen 
sind von dem Berichterstatter neue Ausgrabungen am Fliegenberge 
vorgenommen worden, über die an dieser Stelle einige kurze Bemerkungen 
beigefügt werden müssen. 

Zunächst konnte noch eine Wohnstättenanlage (Grabung 10 siehe 
Abb. 1), aufgefunden werden, welche neue Gesichtspunkte der Beurteilung 


13) Die germanische Dorfanlage der Kaiserzeit am Fliegenberge usw. 05 


nicht ergab, nur fehlen die römischen Scherben hier vollständig. Sehr wichtig 
sind aber Gräberfunde, etwa 300 m von der 1. Grabung entfernt (siehe 
Abb. 1), Gräber, die mit der Dorfanlage unbedingt zusammen hängen. 
Unter den Funden sind an erster Stelle zu bemerken: ein Gefáss 
gallisch-römischer Herkunft mit 6 Gesichtern auf der Bauch- 
wand, die 6 keltische Gottheiten darstellen, darunter eine Gottheit mit 3 
Gesichtern, ein Gesicht en face, die beiden andern im Profil darge- 
stellt; ein römisches Gefäss, mit Rillen und S-förmigem Halse, ein 
germanisches Gefäss mit eingeschnittenen Rillen und winkelfórmig 
gegeneinander gelegten Strichgruppen, mit kleinen Punzen und Warzen, 
Bruchstücke eines grossen Bronzegefässes, geschmolzenes Silber, zwei 
Bronzemesser mit Ornamentation, eine Lanzenspitze, eine Eisenfibel mit 
gebogenem Bügel, eine Scheibenfibel mit Feder, Bruchstücke einfacher 
Gefässe und geschmolzenes Glas, einer Flasche wahrscheinlich angehörig. 

Dieser Fund beweist aufs neue die Wichtigkeit der Niederlassung. 
Eine eingehende Publikation wird im 2. Hefte des „Mannus“ erfolgen. 


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Das Aurignacien in Deutschland. 


Vergleichende Stratigraphie des älteren Jungpaläolithikum 


von Rob. Rud. Schmidt-Tübingen. 
Mit 3 Tafeln. 


In meinem Aufbau der jungpaläolithischen Kulturen Deutschlands’), 
den ich auf Grund neuer Funde und Untersuchungen diluvialer Wohn- 
plätze festlegte, habe ich bereits kurz auf die Vertretung des Aurignacien 
in Deutschland hingewiesen. Die Zahl der Funde erlaubt es heute 
durch unmittelbare Gegenüberstellung, durch eine vergleichende 
Stratigraphie der Fundplätze, die Elemente dieser Kultur für Deutsch- 
land eingehender zu untersuchen. 

Die Frage nach dem Aurignacien, der Vorsolutré-Epoche, die sich 
zwischen der primitiven Kultur des Spätmousterien und der Kultur der 
Lorbeerblattspitzen des Frithsolutréen einschaltet, ist in den letzten 
Jahren neu belebt worden. 

Unter den ersten Forschern, welche die Zusammenhänge der eis- 
zeitlichen Spuren des Menschen, den natürlichen Kulturaufbau zu ent- 
schleiern suchten, war Lartet, welcher dem Jungpaläolithikum zwei 
verschiedene Gruppen zuteilte. Er unterschied eine ältere Gruppe von 
Aurignac, Chatelperron und Gorge d’Enfer, der er eine zweite jüngere 
Gruppe mit dem Magdalénien von La Madeleine und dem Solutréen 
von Laugerie-Haute voranstellte. 

Das System Mortillets, das hauptsächlich auf einer Morphologie 
der Industrien basierte, bot dem Vorsolutreen keinen Raum und man 
verlor diese grundsätzlichen Unterschiede der Lartetschen Einteilung 
aus dem Auge, indem man bemüht war, nach Möglichkeit den lücken- 
haften Aufbau Mortillets auszuflicken. Einen von diesen systematischen 
Zielen unabhängigen Weg betrat Dupont, dessen Forschungen in bel- 
gischen Höhlen eine schärfere Horizontierung und Wechsel des archäo- 
logischen Inventars erkennen lassen. Erst neue Nährstoffe, die der 
Frage nach dem Vorsolutreen durch die jüngeren kritischen Forschungen 
und Ausgrabungen Breuils, Cartailhacs, Peyronys, Bardons, Bouyssonies 


1) R. R. Schmidt, Die späteiszeitlichen Kulturepochen in Deutschland. Korresp. 
Blatt d. deutsch. anthrop. Ges. 1908. 
Mannus. Bd. I. 7 


98 Rob. Rud. Schmidt. [2 


u. a. zugeführt wurden, machten sie wieder lebenskráftig. Ein ent- 
scheidender Schritt war hier die vergleichende stratigraphische Studie 
H. Breuils'), der die Typenreihe der einzelnen Aurignacienhorizonte 
festlegte. Breuil unterscheidet besonders auf Grund der Funde von 
Spy, Trou Magrite und Goyet in Belgien, Solutre, Brassempouy, Pair- 
non-Pair, Arcy-sur-Cure, Le Trilobite, La Ferrassie und Cro-Magnon 
drei Niveaus. 

L Das untere Niveau, charakterisiert durch die Funde von 
Brassempouy, La Ferrassie, Abri Audit und Pont Neuf, weist noch eine 
Anzahl von Formen des Spät-Mousterien auf, kennzeichnet sich aber 
vor allem durch die Spitzen vom Typus Chatelperron, eine gekrümmte 
Spitze mit einem retuschierten Rande. Hierzu gesellen sich schon 
breitflache Klingen, grobe Werkzeuge aus Knochen und Horn, schaufel- 
förmig zugeschärfte Knochensplitter und Pfriemen. 

ll. Vielgestaltiger ist das Inventar des mittleren Aurignacien, das 
an zahlreichen Fundplätzen vertreten ist, wie in Cro-Magnon, La Fer- 
rassie, Tarté, Aurignac, Les Cottés und in mustergültiger Weise von 
Bardon und Bouyssonie in La Comba-del-Bouitou untersucht und 
charakterisiert wurde. Im Vordergrunde stehen Leitformen wie der 
Kielkratzer, ein hochdicker nukleusförmiger Kratzer von meist nur 
2—4 cm im Durchmesser?). Als gleichwertige Leitform ist die 
Spitze von Aurignac ihm an die Seite zu stellen, eine flache oder 
halbrunde Knochenspitze, die an ihrer abgerundeten Basis mit einer 
engen Querspalte versehen ist, jedoch kommen auch solche ohne ge- 
spaltene Basis vor. Häufig sind die Messer mit tiefen Kerben und 
Einbuchtungen versehen, die sich entweder unmittelbar gegenüberliegen 
und so eine Taille erzeugen oder an ihren Rändern eine Serie schräg 
gegenüberliegender Wechselbuchten tragen. Weniger zahlreich, beson- 
ders selten an der Basis des mittleren Aurignacien (Bouitou, unteres 
Niveau) sind die Stichel. Das erste Erscheinen des Bogenstichels, ein 
kurzer plumper Stichel, der durch länglich abgesprengte Lamellen 
bogenförmig zugespitzt ist, fällt noch in das mittlere Aurignacien. 
Neben diesem werden Stichel an feineren Klingen und Klingenkratzern 
angebracht. 

lil. Das jüngste obere Aurignacien, das grundlegend in La Font 
Robert, La Gravette und Le Trilobite vertreten, vernachlässigt bereits die 


1) H. Breuil, La question Aurignacienne, Revue préhistorique 1907, Nr. 6 und 
7; und Les gisements Presolutreens du type d'Aurignac, Xllle Congrés d'Anthro- 
pologie et d'Archéologie préhistoriques, Monaco 1906. 

2) Seine verschiedenen Variationen gehen aus der Studie Bardons und 
Bouyssonies, Grattoir caréné et ses dérivés (Revue de l'école d'Anthropologie 1906) 
hervor. 


3) Das Aurignacien in Deutschland: 99 


feinere Retuschierung der Klingenränder. Den Kielkratzer behält dasselbe 
noch bei, der sich von seinem massiven Vorläufer durch kleinere Typen 
unterscheidet. Erst zur vollen Geltung gelangt der Bogenstichel, nicht 
minder typisch sind der Eckstichel mit terminaler Endretusche, prisma- 
tische und polyedrische Kernstichel. In die gleiche Typenreihe setzt 
Breuil den Typus von La Gravette, eine spitze Klinge mit einer abge- 
stumpften Schneide, dessen Bedeutung als Leitform aber dadurch 
herabgemindert wird, dass dieser selbst noch im Solutréen wiederkehrt. 
Überhaupt enthält das ausgehende Aurignacien Westeuropas bereits eine 
Anzahl von Prototypen des Solutréen (wie La Font-Robert). 


Rutots Feststellungen für das belgische Aurignacien ') beruhen 
im wesentlichen auf den bereits erwähnten Forschungen Duponts. Als 
unteres Aurignacien bezeichnet Rutot das belgische Niveau von Hastiere, 
das indessen noch das vervollkommnete Mousterien von La Quina ent- 
hält und somit noch in den Kulturkreis des ausgehenden Moustérien 
fällt. Nach Rutots Annahme aber entspricht der Horizont von La Quina 
dem Breuilschen Horizont der Chatelperronleitformen, denen er nur 
eine lokale Bedeutung zuschreibt. Somit bliebe für das belgische 
Aurignacien nur noch ein mittleres Aurignacien, das belgische Niveau 
von Montaigle, das mit dem Niveau von Cro-Magnon und Gorge d'Enfer 
sich deckt und ein oberes Aurignacien, das belgische Niveau von Trou 
Magrite, bestehen, das dem Niveau von La Font-Robert entspricht und 
wie dieses bereits die Vorboten der Solutréenindustrie aufweist. 


In Osteuropa ist die Aurignacienkultur in typischer Weise in 
Krems und Willendorf vertreten und von Obermaier in den Funden am 
Wagramdurchbruch des Kamp (Niederösterreich) nachgewiesen worden?). 
Überall zeigt sich hier, dass das Aurignacien dem jüngeren Löss an- 
gehört, der nach Obermaiers Feststellung für Niederösterreich und 
Mähren die Kulturen des Aurignacien, Solutréen und Magdalénien ein- 
schliesst. Inwiefern diese Feststellung sich bestätigt, werden wir aus 
den deutschen Funden ersehen können. 


Für die Stratigraphie und Typologie des Aurignacien in Deutsch- 
land sind vor allem die drei Fundplätze Sirgenstein (Schwäb. Alb), 
Ofnet (bei Nördlingen) und Wildscheuer bei Steeden a. d. Lahn grund- 


legend, über die ich bereits in einigen kurzen Fundberichten meiner 


") Rutot, Le Présolutréen ou Aurignacien en Belgique, Congrés préhistorique 


de France 1907. Ders. Moustérien et Aurignacien, Bulletin de l'Académie royale 
de Belgique 1908. 


*) Obermaier, Die am Wagramdurchbruch des Kamp gelegenen niederósterr. 


Quartärfunde, Jahrb. f. Altertumskunde, Zentralkommission f. Kunst- und histor, 
Denkmale, Bd. II. 1908. 


7* 


100 Rob. Rud. Schmidt. [4 


Ausgrabungen der Jahre 1905—08 Mitteilung gemacht habe '), während 
eine eingehende Bearbeitung in meiner Gesamtarbeit über das deutsche 
Paläolithikum Aufnahme findet. 


Sirgenstein. (Schwäb. Alb). 


Die Funde im Sirgenstein, die zum ersten Male für Deutschland 
den Beweis erbracht haben, dass eine Entwicklung der jungdiluvialen 
Kulturen sich auch für unsere Gebiete bestätigte, kommen in erster Linie 
für unsere Aurignacienfrage in Betracht. Der Sirgenstein (Schwäb. Alb), 
eine geräumige Jurahöhle, leicht zugänglich und wohnlich, mit einer 
breiten davor liegenden Terrasse, liess drei Hauptablagerungen unter- 
scheiden, deren mittlere durch zwei Nagetierschichten von einer unteren 
und oberen Hauptablagerung geschieden wurde. Diese drei Haupt- 
ablagerungen haben einen gleichzeitigen, markant sich vollziehenden 
Wechsel in der Beschaffenheit der Bodenablagerung, der Tierwelt, wie 
auch des Nutzinventars des Menschen gemeinsam. Aber die schneller 
fortschreitende industrielle Entwicklung überholt den faunistisch klima- 
tischen Wechsel, der in diesen drei grösseren Ablagerungen zum Aus- 
druck kommt und so zeigen sich innerhalb dieser mehrere weitere 
archäologische Schichten, die sich durch die verschiedenen übereinander 
lagernden Herdstellen der Höhle und Terrasse deutlicher kennzeichnen. 


Die älteste Diluvialablagerung, die unmittelbar auf einem Tertiär 
ruht, zeigt in ihrer unteren Lage ein primitives Mousterien, während 
der obere Horizont ein vervollkommnetes Mousterien enthält, das uns 
in klassischer Weise in dem Moustérien perfectionné von La Quina, 
dem belgischen Horizont von Hastiére, entgegentritt. Dieser Horizont 
zeichnet sich im Sirgenstein durch eine Reihe prächtig retuschierter 
zugeschlagener Schaber vom Typus La Quina, zahlreiche Handspitzen, 
ein auf beiden Flächen bearbeiteter Doppelschaber in Fäustelform, 
Knochenunterlagen (Compresseur) u. a. aus, während er jeglicher An- 
zeichen einer typischen Aurignacienindustrie entbehrt. Unter der Tier- 
welt dieser Schicht finden wir die grosse ausgestorbene Diluvialfauna, 
Mammut, Rhinozeros, aber auch Wildpferd, Ren u. a. Auffallend ist hier 
das starke Überwiegen des Höhlenbären. 

Mit dem Ausgang des La Quina-Horizontes kündet sich eine klima- 
tische Schwankung an, die der kleinen Nagetierwelt der Tundra vorüber- 
gehend günstige Lebensverhältnisse gewährte. Die Nagetierschicht, welche 


1) R. R. Schmidt, Die neuen paläolithischen Kulturstátten der Schwab. Alb, 
Arch. f. Anthr. 1908; die vorgeschichtlichen Kulturen der Ofnet, Bericht des natur- 
hist. Ver. f. Schwaben und Neuburg, Augsburg 1908; Die späteiszeitlichen Kultur- 
- epochen in Deutschland, Korrespondenzbl. f. Anthr. 1908. 


5] Das Aurignacien in Deutschland. 101 


über dem La Quina-Horizont lagert, ist sowohl im Sirgenstein, wie in Ofnet 
und Wildscheuer nur wenige Zentimeter stark. Für uns ist dieselbe aber von 
besonderer stratigraphischer Bedeutung. Mit Abschluss des feuchtkalten 
Klimas bricht ein vollkommener Wechsel in der industriellen Tätigkeit 
sich Bahn. Die Mousterienindustrie tritt mehr und mehr zurück, die 
Bearbeitung der prjgmatischen Klingen und der organischen Substanz 
gelangt in den Vordergrund, als Elemente der jungpaläolithischen Industrie. 

In der mittleren Diluvialablagerung, die das Aurignacien enthielt, 
liessen sich drei archäologisch verschiedene Horizonte dieser Kultur 
feststellen, die ich hier mit Früh- (Unteres), Hoch- (Mittleres) und 
Spät- (Oberes) Aurignacien bezeichne. 

Das Frühaurignacien. Die Hauptmasse der Steinwerkzeuge 
gehört auch hier noch der Moustiertechnik an. Den prismatischen Klingen 
mangelt noch die typische Retusche des Aurignacien, während die 
Rinder zahlreiche Aussplitterungen tragen, so dass sie zuweilen tief aus- 
gekerbt sind. Die Klingen haben nur flüchtig zugeschlagene Kratzer- 
enden und gleichen vollkommen den Stücken, welche sich in dem 
tieferen Aurignacienniveau der Ofnet und Bocksteinhöhle fanden. Häufiger 
sind kurrzdicke Absplisse mit Kratzerenden (Fig. 4, Taf. XVI), die wohl 
als Vorläufer der eigentlichen Tartekratzer oder Kielkratzer anzusehen sind. 
Wohl weist dieses Niveau eine Reihe zugespitzter Klingen auf, die jedoch 
nicht mnit dem Typus von Chatelperron übereinstimmen. Die geschliffenen 
Knoch e nwerkzeuge wie Pfriemen sind kantig und uneben zugeschäfrft, 


Merkm ale, die gleichfalls die álteren Stücke des Bocksteinaurignacien 


zeigen werden. 

Das Hochaurignacien des Sirgensteins bietet einen reicheren 
Typen s chatz, hinter dem die dekadente Moustierindustrie mehr noch 
als in dem vorhergehenden Frühaurignacien zurücktritt. Die Aurignacien- 
tusche ist bestrebt, alle Ecken und Kanten abzustumpfen und zu 
unden, So entsteht eine Reihe symmetrischer Formen, längliche oder 
PitzOvale Kratzer (Fig. 6, Taf. XVI), Doppelkratzer und blattspitzen- 
rmige Geräte. Vielfach sind an den Klingen ein oder mehrere Nutz- 
buchten angebracht. 

Für die volle Übereinstimmung mit dem westeuropäischen mittleren 
Aurignacien spricht vor allem eine Serie typischer Kielkratzer (Fig. 9a, 
Taf. XVII von oben gesehen, Fig. 9b Seitenansicht), wie sie in West- 
europa in Spy, Tarté, Brassempouy, Cro Magnon, La Ferrassie, 
Pont Neuf, Bouitou, Les Cottés, Trilobite, im Osten in Krems, Willen- 
dorf u, a. wiederkehren. Einige mehr längliche und kleinere Kiel- 

kratzer fanden sich an der oberen Grenze dieser Schicht. Selten sind 
noch die Stichel, die an dicken blattförmigen Absplissen und an den 
Kanten der Klingen und Klingenkratzer auftreten, dagegen fehlt dem 


102 Rob. Rud. Schmidt. [6 


mittleren Sirgensteinaurignacien noch der Bogenstichel. Zu dem weniger 
typischen Hausrat sind hier noch Klingen mit Aussplitterungen, sog. 
Steinmeissel, Bohrer u. a. zu erwähnen, die aber auch in den übrigen 
Aurignacienhorizonten wiederkehren. Weit zurück treten im Verhältnis 
zu den zahlreichen Steingeräten des Sirgenstein-Hochaurignacien die 
Knochenwerkzeuge; im Vordergrunde stehen higg eine Anzahl von 
Glättern, die aus den Rippen grösserer Tiere (Bär, Pferd etc.) ver- 
fertigt sind, ferner zugespitzte Elfenbeinsplitter, Wurfspeerspitzen und 
Pfriemen aus Knochen und Horn, Kernstücke von Mammutstosszähnen 
mit sog. Jagdmarken u. a. m. Der gleichen Fundschicht gehört auch 
eine der Form nach mit der Aurignacienspitze übereinstimmende Spitze 
ohne gespaltene Basis an. Alle Knochenartefakte sind hier vollkom- 
mener geschliffen als diejenigen der unteren Aurignacienschicht. 

Einige grundsätzliche Unterschiede weist das jüngste, folgende 
Spätaurignacien des Sirgensteins auf. Zunächst lässt die grosse 
Masse der Steinmanufaktur die sorgfältige Retuschierung, welche dem 
mittleren Horizont ihren besonderen Stempel aufprägt, vermissen. Die 
Klingenabsplisse sind durchschnittlich kleiner und dünner, so dass eine 
Reihe kleinerer, einfacher und doppelter Kratzer hier vorwalten. Noch 
einige kleinere Exemplare des Kielkratzers (Fig. 13a, b, Taf. XVIII) ent- 
stammen dem Spätaurignacien. Mehr stratigraphische Bedeutung kommt 
hier wohl den zahlreicheren Stichelvarietäten zu, von denen der Bogen- 
stichel (Fig. 17, Taf. XVII), der hier sowohl wie in der Bocksteinhöhle 
ausschliesslich einem späteren Aurignacien zufállt. Häufiger sind kurz- 
dicke Kantenstichel (Fig. 21 a, b, Taf. XVIII) und polyedrische Stichel, 
wie auch dünne Eckstichel mit terminaler Endretusche (Fig. 20, Taf. XVIII). 
Hier haben wir das erste Auftreten kleiner spitz zuretuschierter Klingen, 
deren eine Schneide abgestumpft ist, die Breuil mit dem Namen Typus 
de la Gravette (Fig. 22a, b, Taf. XVIII) belegt und als Leitform des 
ausgehenden Aurignacien bezeichnet. Diese Form erlöscht aber noch 
nicht mit dem Aurignacien, kehrt im Solutréen des Sirgenstein wieder 
und lässt sich morphologisch bis in das Spátmagdalénien verfolgen. Ein 
gleiches gilt von den Stielklingen. Auffälliger erscheinen mir einige 
breitere dünne Klingen mit Stielansätzen und der gekrümmte Bohrer 
(Fig. 15, Taf. XVIII), die ich nur in unserem Spätaurignacien bisher ange- 
troffen habe. Die Knochenwerkzeuge des Sirgenstein-Spätaurignacien 
zeigen keine wesentlichen Unterschiede von denen des vorangehenden 
Hochaurignacien auf. Auch diesem Niveau sind wie in dem Früh- und 
Hochaurignacien immer noch eine grössere Anzahl schlecht ausgeprägter 
Moustiertypen beigesellt, anscheinend jedoch nur an Fundplätzen, wo 
grössere Werkstätten sich vorfinden. Bemerkenswert ist, dass eine Reihe 
solcher Moustierstücke eine zweite Retuschierung erfahren, die eine 


7] Das Aurignacien in Deutschland. 103 


völlig verschiedene Patina aufweist; also von verschiedenen Generationen 
benutzt wurden. An einem Fundplatze wie der Sirgenstein, wo einzelne 
Schichten zuweilen mit Silexstücken übersät waren, ist es nicht zu 
verwundern, wenn hin und wieder einige Stücke an die Oberfläche ge- 
rieten, von neuen Ansiedlern verwendet und nach ihrer Weise verbessert 
wurden. : 

Das Sirgenstein - Aurignacien erhält ein besonderes faunistisches 
Gepräge durch das auf dieses Niveau beschränkte, wenn auch seltene 
Vorkormmen der Höhlenhyäne und des Höhlenlöwen. Das Ren ist 
in der Ablagerung des Früh- und Hochaurignacien weit seltener, und 
die nordischen Nager, sowie das Moor- und Alpenschneehuhn fehlen. 
Ein wärmeres kontinentales Steppenklima scheint auf das Kältemaximum 
der unteren Nagetierschicht gefolgt zu sein. Unter der bereits im 
Moustérien vorhandenen Fauna tritt besonders das Wildpferd zahlreich 
hervor ; Höhlenbär, Mammut und Rhinozeros begegnen wir fast in gleicher 
Stärke. Hier reihen sich u. a. noch Edelhirsch, Wildkatze, Caniden 
und O vis argaloides an. 

Die Sirgensteinstratigraphie weist über dem Aurignacien eine 
witere Folge zweier Kulturepochen auf, eines Solutréen und eines 
ilteren Magdalénien. 

Die Ofnethóhle (Bayr. Ries). 

Bereits in den Jahren 1875 bis 1876 nahm O. Fraas') eine Grabung 
in der grösseren Ofnethöhle vor. Die Aufmerksamkeit, die seither auf 
de O f£net gelenkt wurde, förderte nicht gerade unsere Kenntnisse von 
den @iszeitlichen Kulturen, denn dieser nach dem Sirgenstein reichste 
diluviale Fundplatz Deutschlands wurde durch Raubbau fast vóllig er- 
schGp ft, Das Material, das in den verschiedenen Museen und Privat- 
aMMa lungen verstreut lag, überzeugte mich, dass in der Ofnet ein Auf- 
bau \on mehreren Kulturen vorliegen müsse, der uns wichtige 
Aufschlüsse über die Folge und Entwicklung der jungpaläolithischen 
Kulturen versprach. In den Jahren 1907, besonders im Herbst 1908, 
Mahim ich umfassende Ausgrabungen vor, in der Hoffnung noch un- 
est rte Lagerungen zu finden, die eine stratigraphische Feststel- 
ung erlauben könnten. Diese Hoffnung wurde in gewissem Sinne 
"Dertroffen. Unter einem gewaltigen, unmittelbar unter dem Höhlen- 
ngang lagernden, zimmergrossen Felsblock, den ich sprengen liess, 
baute sich zunächst eine 90 cm mächtige alluviale Schicht auf, mit den 

'MsSchlisssen der Metallzeiten und der jungsteinzeitlichen Kultur. In 
“ner Tiefe von 1 m zeigte sich eine nur wenige Zentimeter starke 


rótlichbraune Schichtung mit zahlreichen Ockerstückchen und kleinen 
rer 1 E i D 
1) O. Fraas, Korresp.-Blatt f. Anthr. 1876 S. 57, 


104 Rob. Rud. Schmidt. [8 


Feuersteinmessern, die sich zu zwei muldenförmigen Vertiefungen er- 
weiterte und an dieser Stelle zwei kreisförmige Schädelbestattungen in 
Ocker aufwies. Der grössere Bestattungskreis enthielt 27, der kleinere 
6 mit mannigfachen Schmuckbeigaben ausgestattete Schädel, die zahl- 
reichsten fossilen Menschenreste, welche uns aus jener Epoche erhalten 
blieben. Die Tierwelt dieser Schicht verweist uns an das Ende des 
Diluviums, an die Schwelle der heutigen geologischen Ära. Der hier 
stattgehabte Ritus ist ein spät-paläolithischer Brauch, die Schmuck- 
beigaben und Steinwerkzeuge weisen deutlicher auf das Azilien-Tarde- 
noisien des aussterbenden Paläolithikums. Dieser Ablagerung folgen in 
weiterer Tiefe ein wohl ausgeprägtes Spätmagdalenien, ein typisches 
Solutreen und Aurignacien. Ich kann mich hier auf eine kurze Auf- 
záhlung des Aurignacieninventars beschränken, da ich diesen Fund unter 
dem gleichen Gesichtspunkte bereits in meinem Bericht über die vor- 
geschichtlichen Kulturen der Ofnet') erwähnt habe und eine erschópfendere 
Mitteilung hierúber in Vorbereitung ist, die in meiner Gesamtarbeit über 
die paláolithischen Kulturen Deutschlands Aufnahme findet. 

Für das Vorhandensein eines Frühaurignacien sprechen auch 
hier tiefausgekerbte und ausgesplitterte Klingen mit nur flüchtig zuge- 
schlagenen Kratzerenden (Fig. 5, Taf. XVI), denen die feinere Aurig- 
nacienretusche noch mangelt. Eine stärkere Betonung findet diese 
Epoche durch den Typus von Chatelperron (Fig. 3, Taf. XVI). Andrer- 
seits aber fehlt das reichere Moustierinventar, welches diese Epoche 
im Sirgenstein auszeichnet. 

Die Anzeichen eines vollentwickelten Hochaurignacien künden 
die verschiedenen Kratzervarietäten mit typischer Aurignacienretusche 
und symmetrische Werkzeugformen, darunter Klingen mit einfachen 
und doppelten Kratzerenden, ferner einige coche-grattoirs (Fig. 10a, 
Taf. XVII, Vorderansicht, Fig. 10b, Rückansicht), Bohrer u. a. Ein 
bei meinen Ausgrabungen vorgefundener Kielkratzer und eine unter dem 
Material des Stuttgarter Naturalienkabinetts befindliche Aurignacien- 
knochenspitze mit gespaltener Basis verweisen noch stärker auf die 
Vertretung eines Hochaurignacien in der Ofnet. 

Einige flüchtig retuschierte Klingen, die ich in einem höheren 
Niveau der Aurignacienschicht vorfand, sowie Kratzer, Stichel, atypische 
Kielkratzer, Nukleuskratzer, Messer mit stielförmigen Ansätzen, Pfriemen 
aus Knochen gehören wahrscheinlich bereits einem jüngeren, einem 
Spät-Aurignacien an. Dagegen fehlen diesem Niveau die spitzen 
Klingen vom Typus Gravette, sowie der Bogenstichel und gekrümmte 
Bohrer, die das jüngere Aurignacien vom Sirgenstein auszeichnen. 


1) R. R. Schmidt, Die vorgeschichtlichen Kulturen der Ofnet, Ber. d. naturw. 
Ver. Schwaben u. Neuburg, Augsburg 1908. 


9] Das Aurignacien in Deutschland. 105 


Charakteristisch treten die klimatischen Verhältnisse hervor, 

welche zur Zeit des Aurignacien bestanden. Eine dünne, durch 
nur wenige Nagetiere angedeutete Ablagerung zeichnet auch hier die 
untere faunistische Grenze, über der sich das Aurignacien aufbaut. 
Auch die Stratigraphie der Ofnet bestätigt, wie bereits in meinem 
Fundbericht mitgeteilt worden ist: Das Aurignacien der Ofnet fällt in 
die Epoche einer etwas wärmeren, klimatischen Schwankung, die eine 
reichere Anwesenheit der südlichen Spezies, wie der hier so zahlreich 
vertretenen Hyäne und das vereinzelte Vorkommen des Höhlenlöwen 
gestattete, während die hochnordische Tierwelt, wie das Ren äusserst 
selten erscheint und die klimatisch empfindsamere arktische Kleinfauna 
fast gänzlich zurückgedrängt wird. Eine auffallendere Erscheinung im 
faunistisschen Gepräge des Aurignacienzeitalters der Ofnet ist das massen- 
hafte Vorkommen und Überwiegen des Wildpferdes, des Hauptnahrungs- 
teres des Altsteinzeitmenschen, dessen zahlreichste Reste gerade dieser 
Epoche angehören, während den übrigen Diluvialschichten kaum ein 
Zehntel des Pferdekonsums zufállt. Das gleiche Vorwiegen des Wild- 
perdes im Aurignacienzeitalter bestätigten ja bereits die Funde im 
Sirgenstein u. a. Noch drastischer geht die „Blüteperiode“ des Wild- 
perdes aus dem Aurignacien des französischen Fundplatzes Solutré 
hervor, das durch ein mächtiges Knochenlager dieser Einhufer charak- 
terisiert wird. Unter der übrigen Tierwelt der Aurignacienschicht finden 
wir die Zähne und aufgeschlagenen Knochen des Mammuts, des woll- 
harigen Rhinozeros, des Höhlenbären, des Bison, des Riesenhirsches 
und der verschiedenen Caniden. 

Die Stratigraphie beider nur wenige Meter voneinander getrennter 
Oneth hlen ist vollkommen die gleiche. In beiden wird das Aurignacien 
überlagert durch ein typisches älteres Solutréen, die Kultur der Lorbeer- 

lattspitzen, wodurch zugleich mit Evidenz die Folge von Aurignacien, 

Slutr&en und Magdalenien für Mitteleuropa nachgewiesen wird, eine 

Folge, die von Girod und A. de Mortillet durch die irrtümliche Auslegung 

der Cro -Magnon-Stratigraphie für Westeuropa bisher bestritten wurde. 
Die Bocksteinhóhle. (Schwäb. Alb.) 

Ein Aurignacien, das uns gleichfalls einigen Einblick in seine 
Entwicklung gewährt, lieferten die 1883—84 von Bürger und Losch 
machten Funde in der Bocksteinhöhle des kleinen höhlenreichen 
Halbtro ckentales der Lone (Schwab. Alb). Bürger !) unterscheidet zwei 


1) Bürger, Den. Bockstein, XXIII. Versamml. d. d. anthr. Ges. zu Ulm 1892, 

für Kunst u. Altertümer in Ulm und Oberschwaben. — Die Bocksteinfunde 

befinden sich im Altertumsmuseum in Ulm, im Naturalienkabinett, in der Alter- 
tumssammlung und in der Privatsammlung Hedinger in Stuttgart, sowie in anderen 
Sammlungen. Der Rest der Sammlung, den Bürger, der indessen verstorben ist, 
behielt, ist nicht mehr zu- ermitteln, 


Verein 


106 Rob. Rud. Schmidt. | [10 


Hauptkulturschichten. Die obere Kulturschicht, welche die meisten 
Funde lieferte, war 26—30 cm mächtig. Eine 0,50 bis 1 m starke 
lehmige Zwischenablagerung, die nur sehr wenige Einschlüsse enthielt, 
trennte diese von einer zweiten unteren Kulturschicht, die in einer 
Gesamttiefe von 1,90 m etwa eine Stärke von 40—60 cm hatte und 
bis auf den lebendigen Felsgrund der Grotte herabreichte. Der einheitliche 
Charakter der unteren Schicht blieb dank ihrer tiefen und getrennten 
Lage am stärksten gesichert. Dagegen ist bei der oberen Kulturschicht 
weder eine scharfe Trennung von der Humusablagerung beobachtet, 
noch innerhalb dieser an einer Horizontierung festgehalten worden, so 
dass Neolithikum, Spátmagdalénien und Spätaurignacien in eine Reihe 
gestellt werden. Ein Übelstand mag zu dieser Vermischung der Kul- 
turen beigetragen haben, denn die jungfräuliche Unberührtheit, die 
Bürger seiner Fundstätte nachrühmt, traf nicht zu. Eine Kindesmörderin 
wurde, wie sich nachträglich durch amtliche Überlieferung nachweisen 
liess, dort bestattet, um deren diluviales Alter damals ein heftiger 
Streit entbrannte. ' 

Die untere Kulturschicht enthielt, wie sich aus Bürgers In- 
ventarisierung ergiebt, grosse, breite, im Profil leicht gebogene Klingen, 
deren Ränder unregelmássig retuschiert und mit zahlreichen Aus- 
splitterungen versehen sind. Die Enden der Klingen tragen nicht die 
sorgfältige Rundung des fortgeschrittenen Aurignacien. Für eine archai- 
sierende Technik spricht auch ein kleiner mandelförmiger Keil (Fig. 2, 
Taf. XVI), der über eine Fläche hin retuschiert ist, wie solche noch dem 
Spätmousterien, aber auch dem frühen Aurignacien beigesellt sind. 
Mehrere längliche Kiesel, die in diesem Horizont angetroffen wurden, 
dienten als Unterlage zur Werkzeugherstellung (compresseur). Ganz 
der Technik eines frühen und mittleren Aurignacien entsprechen schaufel- 
förmig zugeschärfte breite Elfenbeinsplitter, ein grober grosser Pfriemen 
(Fig. 1, Taf. XVI), sowie kleinere, alle aber ausgezeichnet durch eine 
gleiche typische, noch unvollkommene Schleiftechnik, d. h. die Stücke 
sind kantig, die Spitze läuft nicht gleichmässig geglättet aus und 
trägt konzentrische Vertiefungen und Unebenheiten. Es sind die frühen 
Versuche einer noch nicht lang erworbenen technischen Errungenschaft 
(desgl. Sirgenstein). Von einer etwas vollkommeneren Technik zeugt 
ein 25 cm langer, aus einer Rippe verfertigter Glätter, dessen Enden 
gerundet, wie sie meist im Hoch- und Spätaurignacien sich finden. 
Die Knochenartefakte der unteren Bocksteinkulturschicht sind wesentlich 
dunkler gefärbt und zeigen eine weiter fortgeschrittene Fossilisation als 
diejenige der oberen Kulturschicht. 

Die Industrie der oberen Kulturschicht kennzeichnet sich 
durch eine Anzahl typischer kurzdicker Bogenstichel (burin busqué), 


11] Das Aurignacien in Deutschland. 107 


Eck-Stichel mit transversaler Endretusche, kleiner Kernstichel und kurzer 

einfacher Schaber; dem gleichen Niveau gehört nach Bürgers Inventari- 
sierung eine prachtvolle Aurignacienknochenspitze mit gespaltener Basis 
(Fig. 8a und b, Taf. XVII) an, die aber aller Wahrscheinlichkeit nach 
dem tieferen Aurignacienniveau entstammt !), ferner ein Pfriemen mit 
Kopf aus dem Metacarpale des Rens, wie ich solche in der oberen 
Aurignacienschicht der Wildscheuer gewann. (Ein vollkommen gleiches 
Stück, als sei es aus derselben Hand hervorgegangen, fand ich in der 
eine halbe Stunde vom Bockstein entfernten Höhle des Hohlesteins des 
geichen Tales, unterhalb einer mächtigen Nagetierschicht). In das 
gleiche obere Aurignacien der Bocksteinhöhle gehören eine Anzahl fein- 
gerumdeter und polierter kleiner Pfriemen; sie sprechen für eine viel 
grössere technische Vollkommenheit als die Knochenwerkzeuge der 
unteren Aurignacienschicht. Noch ein anderer wesentlicher Unterschied 
besteht darin, dass zu den Artefakten aus organischer Substanz der 
unteren Kulturschicht fast ausschliesslich Elfenbein, zu denen der 
oberen Kulturschicht Horn und Knochen verwendet wurden. Unter den 
Schm u ckstücken der oberen Kulturschicht befindet sich ein aus Rentier- 
gtweihh verfertigter geschliffener Anhänger und ein durchbohrter Bären- 
zahn, wwie Bürger einen solchen auch der unteren Kulturschicht zuweist. 


Die Verschiedenartigkeit der Tierwelt dieser beiden Kulturschichten 
giebt sich nach Bürger darin zu erkennen, dass nur der unteren Kultur- 
shicht, die nach meiner Feststellung die Einschlüsse eines frühen bis 
mittleren Aurignacien enthält, die Relikte des Höhlenlöwen, des Riesen- 
hirsch es und zugleich die zahlreichsten der Hyäne angehören, die auch 
n der oberen Kulturschicht (des Spätaurignacien) wiederkehrt. 


| Die übrige Diluvialfauna wie Höhlenbär, Wildpferd und Ren kommt 
n beiden Kulturschichten vor. Das Mammut, Rhinozeros und Bison 
fehlen nach Bürgers Horizontierung dem oberen Niveau. Dieser Tat- 
sache ist wohl nur die Bedeutung eines Lokalkolorits beizumessen. 

Die obere Kulturschicht Bürgers enthielt aber sowohl die Tierwelt 
as die archäologischen Einschlüsse zweier chronologisch weit getrennter 
Epochen: des Spätaurignacien und davon gut zu unterscheiden Arbeiten 
“MES Spätmagdalenien, das nicht allzu reichlich aber typisch ver- 
teten ist. Wir können also bei der Vermischung dieser beiden Kultur- 
Dlagerungen faunistisch kein sicheres Bild für das jüngere Aurignacien 
mehr gewinnen. 


Im Sommer vergangenen Jahres, wo ich eine systematische 
a RN 

1) Der dem Stücke anhaftende Boden ist nicht hellgelb, wie derjenige den 
oberen Kulturschicht, sondern rotbraun wie die Ablagerung der unteren 
Kulturschicht, 


108 Rob. Rud. Schmidt. [12 


Durchforschung der Höhlen des kleinen weltabgeschiedenen Lonetales 
vornahm, überzeugte ich mich, dass der Fundplatz bis auf den Fels- 
boden der Grotte ausgegraben war. Ein grösserer, vor der Grotte 
gezogener Graben zeigte unter der 1 m mächtigen Schuttablagerung früherer 
Ausgrabungen die alte Humusdecke in einer Stärke von 53 cm, darunter 
eine dünne graue blättrige Erdschicht von wenigen Zentimetern, mit 
einigen keramischen Einschlüssen der jüngeren Steinzeit. Weniger 
deutlich vollzog sich der Wechsel zu einer hellgraugelben Ablagerung, 
deren oberer etwa 15 cm mächtiger Teil feinsandiger, der tiefere, etwa 
20 cm starke Teil lehmiger war und durch zahlreiche Brandstreifen und 
Knochenkohlen sich abhob. Den wenigen Knochenresten, die ich in 
der letzteren Schicht vorfand, haftete das gleiche Medium an, das sich 
auch noch an einigen Artefakten der von Bürger beschriebenen Stücke 
aus dem oberen Niveau befindet. Nicht nur aus Analogie, sondern 
auch aus diesen stratigraphischen Feststellungen lassen sich hier also 
zwei Niveaus festlegen. Das obere würde hiernach dem Spätmagda- 
lenien, das untere dem Spätaurignacien entsprechen. Während ich 
unterhalb dieser Ablagerung eine nur durch einige Knochenfragmente 
ausgezeichnete dunkelgelbe, lehmige Zwischenablagerung von etwa 1 m 
Mächtigkeit antraf, die auch Bürger erwähnt, zeichnete sich die unterste 
Kulturschicht durch ihre dunkelgelb- bis rotbraune Färbung aus, 
in der ich vorwiegend grössere Knochenstücke von Mammut, Rhino- 
zeros, Wildpferd u. a. vorfand, die hier bis auf eine Gesamttiefe von 
3,40 m und bis zu dem Felsboden herabreichten. Nagetierschichten 
konnte ich nicht beobachten und keine weitere Horizontierung der 
archäologischen Einschlüsse feststellen. Dazu mangelte es an Fund- 
stücken. Von meiner früher geäusserten Annahme, dass sich auch ein 
Solutréen unter den Bocksteinfunden befinde, muss ich nach dieser 
erneuten Nachprüfung abstehen. Die 
Wildscheuer bei Steeden an der Lahn') 

ist schon seit 1820 als prähistorische Wohnstätte bekannt. Von ihr 
drang einer der ersten schwachen Lichtstrahlen in die Dämmerung 
urgeschichtlicher Forschung. 1874 nahm Oberst Cohausen*) eine 
grössere Ausráumung der Höhle vor und hinterliess darüber einige 
Aufzeichnungen und Angaben über die Fundtiefe der augenfälligsten 
Stücke. Behlen*), der 1905 abermals eine Grabung vornahm, wandte 


1) R. R. Schmidt, Die späteiszeitlichen Kulturepochen in Deutschland und 
Die neuen paläolithischen Funde, Korrespondenzbl. f. Anthrop. 1908. 

3) Cohausen, Die Höhlen und die Wallburg bei Steeden a. d. Lahn, Ann. d. 
Ver. f. Nass. Altertumskunde XV, 1879, S. 223. 

3) Behlen, Eine neue Nachgrabung vor der Steedener Höhle Wildscheuer, 
Ann. d. Ver. f. Nass. Altertumsk. Bd. 35, S. 29, 1905, 


13] Das Aurignacien in Deutschland. 109 


sein Hauptinteresse der Mikrofauna zu und unterschied die einzelnen 

am Stärksten hervortretenden Schichten. Der nördliche Teil des Höhlen- 

eingangs wie der Terrasse blieb jedoch unberührt. Eine im ver- 
gangenen Jahre vorgenommene Untersuchung zeigte hier unter der un- 
gestörten Humusdecke eine lösshaltige, 70—80 cm starke Ablagerung 
mit zahlreichen abgeworfenen Erstlingsgeweihen des Ren, eine nor- 
dische Kleinfauna der Steppe und Tundra und ein Frühmagdalenien. 
Die folgende tiefere Ablagerung mit einem typischen Aurignacien liess 
deutlich zwei Schichten erkennen, eine obere gelbe, lehmige Schicht 
von GO—70 cm mit einem Spätaurignacien und eine untere tief-rotbraune, 
vn GO bis auf 80 cm ansteigende Lehmschicht mit einem Hochaurig- 
nacien. Beide Schichten lieferten bei meiner Ausgrabung noch eine 
Reihe typischer Leitformen. Schliesse ich das mit Tiefenangaben ver- 
sehene Material der Cohausenschen Grabung, das leicht seine Zugehórig- 
keit zur den einzelnen Schichten erkennen lässt (s. Korrespondenzbl.), zu 
einem Gesamtresultat mit ein, so zeigt sich zunächst, dass beide 
Aurigmaciencchichten der archaisierenden Geräte eines Frühaurignacien, 
sowie des Mousterieninventars gänzlich entbehren. Beide Schiehten 
unterscheiden sich jedoch nicht wesentlich. 

Das Inventar der unteren Ablagerung ist bereits ein sehr vorge- 
schrittenes spätes Hochaurignacien. Die Klingen sind im Durch- 
schnitt grösser als diejenigen der oberen Aurignacienschicht, die besten 
Stücke zeigen die typische Aurignacienretusche. Als Leitformen finden 
wir einen kleineren Kielkratzer und einen groben aus Lydit hergestellten 

Ogenstichel. Einige Klingenkratzer tragen Nutzbuchten (coche-grattoir). 
lu den übrigen steinernen Gerätschaften gehören Meissel (lames es- 
qillés), Bohrer, Behausteine u. a. Die gleiche Schicht wies ein kleines 
Depot prächtig zugeschliffener, aus den Mittelfussknochen des Pferdes 
verfertigter Pfriemen auf. Ein falzbeinformiges Elfenbein-Artefakt zeigt 
“me WRautenverzierung (Fig. 7, Taf. XVIII). 

Das Spätaurignacien der oberen Ablagerung enthielt eine 
Grave ttespitze, einen gekrümmten Bohrer (Fig. 16, Taf. 111), Kanten- 
Stichel, Klingen mit Stielansatz (Fig. 14, Taf. XVIII), mehrere schlecht 
retuschierte Messer und Kratzer, einen schaufelförmig zugeschliffenen 
Shrenknochen und einen kleineren diinnen Glatter. Ein tief eingraviertes 
Olfszahnornament auf einem Vogelknochen gehört gleichfalls der 
Oberen Aurignacienschicht an, das von einem schwachen Abglanz jenes 
ersten künstlerischen Triebes zeugt, von dem der Westen Europas uns 
vollendetere Werke überlieferte. Immerhin sind die primitiven Anfänge 
der Ornamentik, die die Aurignacienkultur Belgiens und Frankreichs 
auSzeichnen, auch ein Gemeingut der Aurignacienleute Mitteleuropas. 

Auch eine wohl ausgeprägte Schmuckliebe kennzeichnet in Überein- 


110 Rob. Rud. Schmidt. [14 


stimmung mit den westlichen Funden diese Epoche. Zwei durchbohrte 
Pferdezähne, zwei gleichfalls durchbohrte Geschiebesteine als Anhänger, 
eine durchlochte Lyditperle, drei Korallen und ein unbearbeitetes Bern- 
steinstück sind aus den Aurignacienschichten; ob sie indessen der 
oberen oder der unteren Aurignacienschicht entstammen, lässt sich 
aus den Cohausenschen Notizen nicht mehr feststellen. 

Für das faunistische Gepräge trifft im wesentlichen das zu, was 
bereits für das Sirgenstein- und Ofnetaurignacien gilt. Wärmere Spezies, 
deren bereits das spätere Jungpaläolithikum entbehrt, charakterisieren 
diese Epoche. Die Myäne ist auf die untere Aurignacienschicht, also 
das Hochaurignacien, beschränkt, wo auch die arktische Mikrofauna 
gänzlich fehlt. Auffallend selten ist das Ren im Vergleich zu seinem 
massenhaften Vorkommen in der Magdalénienschicht. Höhlenbär, Mam- 
mut, Rhinozeros tichorhinus, Wildpferd sind in beiden Aurignacien- 
schichten vertreten, zahlreich jedoch nur das Wildpferd. 


Der Hohlefels bei Schelklingen') 
ist eine geräumige Nachbarhöhle des Sirgenstein, im Achtale der Blau- 
beurer Alb, ein gewaltiger Höhlenbärschlupf, der schon in den 70er 
Jahren durch O. Fraas teilweise ausgegraben wurde, von Lokal-Forschern 
aber auf der Suche nach Höhlenbärresten gänzlich durchwühlt wurde, 
so dass eine nachträgliche stratigraphische Feststellung aussichtslos ist. 
Die Funde sind nicht reich. Eine schichtengemässe Untersuchung lag 
den Anforderungen der damaligen urgeschichtlichen Forschung noch 
fern. Das Material enthält vorwiegend ein typisches Spatmagdalénien. 
Einige grössere Klingen und Kratzer, sowie ein massiver Glätter (Fig. 12, 
Taf. XVIII), gehören wahrscheinlich einem späten Aurignacien an. Die 
Tierwelt ist im wesentlichen die gleiche wie diejenige des Sirgensteins. 


Das Buchenloch (Eifel). 

Ein Künstler, der der urgeschichtlichen Forschung ein lebhaftes 
Interesse entgegenbringt, Maler Eugen Bracht, nahm auf der Suche 
nach den Spuren des steinzeitlichen Menschen eine Durchforschung 
dieser im romantischen Kylltal gelegenen Höhle bei Gerolstein vor, deren 
Ergebnisse er in einer ausführlichen Monogrophie niedergelegt hat °). Die 
Funde sind indessen nicht so zahlreich, dass sie unsere Frage neu 
beleuchten könnten. Bracht unterscheidet eine moderne Ablagerung 
mit römischen Gefässscherben, eine Zwischenablagerung mit zahlreichen 
Resten einer arktischen Nagetierwelt (der oberen Nagetierschicht Sirgen- 
stein, Ofnet, Wildscheuer entsprechend), die nur am Eingang der Höhle 


1) O. Fraas, Die Funde im Hohlefels bei Schelklingen. Württ. Jahreshefte 1872. 
3) Eugen Bracht, Die Ausgrabung des Buchenlochs, Festschr. z. XIV. Vers. d. 
Anthr. Ges. in Trier 1883. 


15] Das Aurignacien in Deutschland. 111 


zu erkennen war, und eine darunter befindliche diluviale Kulturschicht. 

Die diluviale Besiedlung der Höhle fällt in eine faunistische Ära, die 
durch Mammut, Rhinozeros, Ren, Wildpferd, Bison priscus und Höhlen- 
bär ausgezeichnet wird. Unter den Silexartefakten sind eine Moustier- 
spitze, ein Klingenabspliss mit Aussplitterung (lame esquillé) und einige 
Stücke, die nur wenige Gebrauchsspuren aufweisen. Das Trierer Pro- 
vinzialrmuseum besitzt einige Knochenartefakte, darunter ein Fragment 
eines Cilatters, der aus einem Rippenstück verfertigt ist, und zwei zuge- 
schliffene Elfenbeinsplitter, wovon der eine spitz, der andere breit aus- 
läuft, alle ausgezeichnet durch kantige Schleifflächen, wie sie die älteren 
Aurignacienstücke des Sirgensteins und der Bocksteinhöhle aufweisen. 
Diese “Stücke gehören auf Grund analogen Vorkommens dem Früh- 
Auignacien an, das hier möglicherweise von einem Moustérien unter- 


lagert ward. 


Die Lössfunde und paläolithischen Funde aus dem 
offenen Diluvium. 


Zeugen die Höhlenablagerungen für mitteleuropäische Verhältnisse 
vn einem gewissen Reichtum technischer Erzeugnisse des Aurigna- 
cienzeitalters, so sind die Funde aus dem offenen Diluvium überaus 
spärlich zu nennen. 

Es ist die verdienstvolle Arbeit Obermaiers, die österreichischen 
lössfunde vom Standpunkt der modernen diluvialarchäologischen 
Forschung aus neu beleuchtet zu haben und jener einseitigen Beurteilung 
entgegen getreten zu sein, die von rein glacial-geologischem Gesichts- 
punkte aus die Funde beliebigen archäologischen Epochen zuteilt, 
A gänzlicher Unvertrautheit mit der Technik und den Leitformen der 
enzelmen Kulturen. So war es auch bisher in Deutschland als fest- 
stehende Tatsache betrachtet worden, dass alle im jüngeren Löss be- 
indich en Kulturreste ins Solutréen gehören. Indessen weisen die 
Lóssfu nde auch in Deutschland nach meinen letzten archäologischen 
Feststellungen, ausser dem typischen Solutréen, alle Kulturphasen des 
'"Ng£Paliolithikum auf, sowohl Aurignacien wie Magdalénien. 


Metternich (Rheinland). 

Der am besten erforschte Aurignacienlössfund liegt unweit jenes 
Gebietes, das bereits eine Wohnstätte der Aurignacienleute der Wild- 
scheuer aufweist. Die paläolithische Fundstelle bei Metternich (Re- 
gerun gsbezirk Coblenz), lenkte bereits vor drei Jahrzehnten die Auf- 
merksamkeit einzelner Forscher auf sich, und A. Schaffhausen hat in 
den Verhandlungen des Naturhistorischen Vereins der preuss. Rheinlande 
und Westfalens der Jahre 1879—83 öfters über diese Funde Bericht 

erstattet, ohne dass ihnen das weitere Interesse der Fachgelehrten 


112 Rob. Rud. Schmidt. [16 


bisher zugewandt wurde. Sichere Aufschlüsse gewannen wir erst in 
den letzten Jahren durch die Beobachtungen Günthers, der, gestützt 
auf eigene Nachgrabungen, sowohl die eigentliche Kulturschicht fest- 
stellte, wie auch genaue Mitteilungen über die Fauna und archäolo- 
gischen Einschlüsse machte'). Ich beschränke mich deshalb auf eine 
archäologische Betrachtung dieser Funde, in denen Günther ein Solu- 
tréen vermutet. Die meisten Artefakte bestehen aus einer Reihe mittel- 
grosser und kleiner Klingenabsplisse, die kleinsten unter ihnen sind völlig 
unretuschiert geblieben und nur als ein Abfallsprodukt zu betrachten. 
Typischer hingegen sind längliche polyedrische (Fig. 19a und b, 
Taf. XVIII) und kürzere nukleusförmige Stichel, wie sich solche unter 
der Sammlung Günthers und unter den früheren Funden des Bonner 
Provinzialmuseums befinden. Diese sind als typische Formen des Spät- 
aurignacien anzusehen und kehren zur gleichen Epoche im Sirgenstein, 
Bockstein u. a. wieder. Bemerkenswert ist noch ein prächtiger Klopfer, 
wie er nicht gerade ausschliesslich aber doch häufig im oberen Aurigna- 
cien des Westens (Trilobit u. a.) vorkommt. Die Tierwelt ist nicht 
vollzählig vertreten, enthält aber die wesentliche Fauna des älteren 
Jungpaläolithikum: Mammut, Rhinozeros tich., Edelhirsch, Bos primi- 
genius und Wildpferd. 
Rhens (Rheinld.). 

Noch besser kennzeichnet seine chronologische Zugehörigkeit der 
einige Kilometer von Metternich entfernte Lössfund von Rhens, wenn 
auch seine Stratigraphie und Tierwelt zurzeit noch nicht vollkommen 
erforscht ist. Die Stücke decken sich im wesentlichen mit denjenigen 
von Metternich. Hier haben wir ausser einer Reihe von Klingenab- 
splissen, die keiner weiteren Bearbeitung unterzogen sind, einen grossen 
Klingenkratzer (Fig. 11, Taf. XVIII) mit einer Retuschierung, wie sie 
übereinstimmend die Aurignacienstiicke der Wildscheuer tragen. Ferner 
einen typischen polyedrischen Stichel und einen Bogenstichel (Fig. 18, 
Taf. XVII). 

Thiede (bei Wolfenbüttel). 

Von den weiteren Funden aus dem offenen Diluvium, welche 
paläolithische Artifakte lieferten, kommt das von Nehring untersuchte 
Thiede?) in Betracht, dessen paläolithischer Fundhorizont faunistisch 
in das Bereich des älteren Jungpaläolithikum gehört. Es liegen in- 
dessen nur einige retuschierte Klingenabsplisse vor, sodass die Zuteilung 


1) Günther, Paläolithische Fundstellen im Löss bei Coblenz, Bonner Jahr- 
bücher Heft 116, 1907 und im Bericht über die Prähistoriker-Versammlung 1907 
in Köln. i 

*) Nehring, Die quartären Faunen von Thiede und Westeregeln nebst Spuren 
des vorgeschichtlichen Menschen (Arch. f. Anthr. 10 u. 11). 


17] Das Aurignacien in Deutschland. -113 
zum Aurignacien nicht weiter nachweisbar ist. Die Gleichaltrigkeit der 
Funde in der Wildscheuer und derer von Thiede und Westeregeln hat, 
auf faunistische Basis gestützt, schon Nehring richtig erkannt. 

Auch den Taubach-Weimar-Ehringsdorf-Funden wird durch die 

jüngsten Forschungen Hahnes ein Aurignacieninventar zugeschrieben!). 

Der Gedanke, dass zur gleichen industriellen Epoche in den Distrikten 
Norddeutschlands und denen Mittel- und Süddeutschlands zwei ver- 
schiedene Tierwelten parallel gehen, ist vielleicht vom geologischen Stand- 
punkt aus diskutierbar, allein wir müssen feststellen, dass typische Leitfor- 
men des Aurignacien bisher wenigstens fehlen. Von allen Taubach-Weimar- 

Ehrin g sdorf-Stücken, welche mir bisher in öffentlichen und privaten Samm- 

lungen zugänglich waren, sowie aus bisher erschienenen Publikationen und 

Abbildungen ist mir nicht ein Stück bekannt, das mit Sicherheit 

dem Aurignacien zuzuschreiben ware. Ein dem grattoir caréné als 

mahestehend” angesprochener kahnfórmiger Schaber?) dürfte wohl kaum 
ene ZÄhnlichkeit mit diesem Typus aufweisen (vergleiche die Typen- 
rihe won Bouitou u. a.). Die Bearbeitung sämtlicher Stücke steht 
durchaus im Einklang mit der Technik des Acheuléen und Moustérien. 

Die typische Aurignacienretusche mangelt gänzlich. Mehr Aufschlüsse 

gewähren vielleicht die jüngsten Funde, von denen Hahne in der Zeit- 

schrift für Ethnologie (Heft 5, 1908) berichtet und worunter falzbein- 
atige latter und ein dem Typus Pointe à la Gravette nahestehende 

Spitze erwähnt werden. 

Fasse ich die Resultate, die einer vergleichenden Stratigraphie 
dieser Fundplätze zugrunde liegen, zusammen, so ergeben sich folgende 
Schl u Ssfolgerungen: 

Das Aurignacien erfährt durch die Ablagerung einer arktischen 
Klein fauna, die untere Nagetierschicht, die den La Quina-Horizont des 
ausgehenden Mousterien begrenzt, zunächst eine scharfe Trennung, die 
sich ü bereinstimmend in den Funden des Sirgensteins, der Ofnet und 
Wildscheuer findet. 

Die Industrie des Früh-Aurignacien, die aus dem Sirgenstein, 
O fnet, dem Bockstein und dem Buchenloch hervorgeht, zeigt einer- 
sets noch eine stärkere Abhängigkeit von der primitiven Moustiertechnik, 
vereint aber andererseits schon in sich die wesentlichen Züge der neuen 
unspaläolithischen Technik. Die typischen Leitformen des vorge- 
schrittenen Aurignacien wie Kielkratzer, Aurignacienspitze und Bogen- 
Stichel fehlen noch gänzlich. Die Randschärfung der im Profil leicht 


— 


der 


1) Hahne und Wiist, Die paláolithischen Fundschichten und Funde der Gegend 
von Weimar. Zentralbl. f. Min. 1908. 


2) Fig. 7. S. 206 der Hahneschen Abhandlung. 
Mannus. Bd. L 8 


114 Rob. Rud. Schmidt. [18 


gebogenen Klingen ist noch eine unvollkommene, die Retusche ist un- 
regelmässig über die tief ausgekerbten und ausgesplitterten Klingen- 
ränder verteilt (Fig. 5, Taf. XVI). Nur selten tragen die Klingen flüchtig 
zugeschlagene Kratzerenden (Fig. 4 und 5, Taf. XV1). Feinsymmetrische 
Formen finden wir noch nicht. Kurze dickprismatische Kratzer (Fig. 4, 
Taf. XVI) mögen als Vorläufer des eigentlichen Kielkratzers des Hoch- 
aurignacien anzusehen sein. Der Typus von Chatelperron (Fig. 3, 
Taf. XVI) zeigt eine geringe Verbreitung und kommt nur in der Ofnet 
vor. An die altpaläolithische Industrie sich anlehnende kleine mandel- 
förmige Keile (Fig. 2, Taf. XVI) sind wie dem Spätmousterien so auch 
dem Frühaurignacien (Bockstein) nicht fremd. Eine spezifische noch 
in ihrer ersten Entwickelung beharrende Technik weist die Bearbeitung 
der organischen Substanz auf. Die groben Pfriemen (ohne Kopf) 
(Fig. 1, Taf. XVI) und die schaufelförmig zugeschärften Knochen und 
Elfenbeinsplitter sind durch kantige oder unebene Schleifflächen aus- 
gezeichnet (Sirgenstein, Bockstein, Buchenloch). Die dekorative Aus- 
schmückung der Knochengeräte setzt im Frühaurignacien noch nicht 
ein, auch findet die Jagdtrophäe als Schmuck noch keine Verwendung. 
Für den Gebrauch von Farbstoffen spricht das Vorkommen des Ockers 
schon mit dem Beginn des Spät-Mousterien im Sirgenstein. Ebenso 
lassen mannigfache ortsfremde Mineralien und Gesteine auf einen be- 
reits schon früher entwickelten Sammeltrieb schliessen. Die indu- 
striellen Charakteristika des Frühaurignacien der erwähnten Fundplätze 
sind im wesentlichen die gleichen, die uns in dem unteren Aurignacien- 
Niveau des Abri Audit, von Chatelperron, Roche au Loup, Pont Neuf 
u. a. entgegentreten. 

Die technisch-stilistischen Eigenschaften des Hoch-Aurignacien 
werden durch die Fundplätze Sirgenstein, Ofnet, Wildscheuer und Bock- 
stein beleuchtet, deren Inventar durch eine gleiche Typenreihe, durch 
gleiche technische Konventionen scharf hervortritt. Die unregelmässige 
Retuschierung des Frühaurignacien wird abgelöst durch eine sorgfältige, 
tiefkannelierende Randschärfung, die sogenannte Aurignacienretusche. 
Die Hochaurignacienarbeit ist leicht kenntlich durch ihre tiefkannelierende 
Retusche, die zuweilen einreihig die ganzen Ränder der prismatischen 
Klingen, häufiger mehrreihig die halbe Oberfläche der Artefakte über- 
zieht oder die Basis der mehr dickprismatischen Klingen durch läng- 
lich schmale Lamellen kielförmig abstumpft. (Fig. 6, Taf. XVD. Diese 
Bearbeitung hat eine Reihe symmetrischer Formen zur Folge. Es ist, 
als sei mit der Epoche der Rundfiguren auch ein stärkeres Symmetrie- 
gefühl erwacht, das selbst in den mitteleuropäischen Werkstätten an 
dem Nutzinventar der Aurignacienleute zum Durchbruch kommt, die 
nicht den vollen Anteil haben an jener hohen künstlerischen Entwick- 


19) Das Aurignacien in Deutschland. 115 


lung, von der uns die Höhlen Spaniens und Südfrankreichs künden. 

Vielfache Anbringung kleiner Buchten an grösseren und kleineren 
Klingen (Fig. 10a, b, Taf. XVII) und Klingenkratzern ist vor allem dem 
Hochaurignacien eigen. Der Kielkratzer (Fig. 9a, b, Taf. XVII) steht 
im Vordergrunde der Typenreihe und zeigt seine grösste Frequenz im 
Hochaurignacien (Sirgenstein, Ofnet, Wildscheuer). Die Aurignacien- 
spitze (Fig. 8a, b, Taf. XVII, Sirgenstein, Ofnet, Bockstein) scheint, 
soweit hier feststellbar, ausschliesslich diesem Niveau anzugehören. 
Die Stichel zeigen noch nicht jene Variation und Häufigkeit, die ihnen 
im Spätaurignacien zukommt, meist kehren sie an dicken, blattfórmigen 
Absplissen wieder. Der Eckstichel taucht schon im Hochaurignacien 
auf, dagegen liegt nur aus dem späten Hochaurignacien der Wildscheuer 
en Bogenstichel vor, ein Typus der mehr auf das Spátaurignacien be- 
schränkt zu sein scheint. Die Bearbeitung der organischen Substanz 
gelangt zur volleren Entwicklung. Ausser der Spitze von Aurignac ist 
ener der verbreitetsten Typen der grosse Knochenpfriemen mit Kopf, 
der meist aus der Metacarpale des Pferdes und Rens hergestellt wird 
(Wilds cheuer, Bockstein, Hohlestein). Grössere und kleinere Glátter, 
Falzbeine (Fig. 7, Taf. XVII) und Wurfspeerspitzen aus Elfenbein und 
Knochen, geglättete und an der Basis gerundete Elfenbeinsplitter, die 
teilweise mit Kerben, den sogenannten Jagdmarken versehen sind, gehören 
zu den Arbeiten der Hochaurignacienleute. Alle Stücke weisen glatte 
Shleifflächen oder gleichmässig zulaufende und gerundete Spitzen auf 
und unterscheiden sich dadurch merklich von der plumperen Ware und 
unvolllkommenen Technik des vorausgegangenen Frühaurignacien. Das 
Hoha urignacien Deutschlands steht mit seinen technischen Eigenschaften 
in Übereinstimmung mit dem mittleren Aurignacien von La Ferrasie, 
Cro- M agnon, Tarte, Aurignac, Les Cottes, Bouitou, dem belgischen 
Niveaus von Montaigle und dem mittelosteuropäischen Aurignacien von 
Krems. 

Das Spát-Aurignacien, das durch die jüngste Aurignacienschicht 
des S irgenstein, der Ofnet, der Wildscheuer, des Bockstein, ferner durch 
die Funde im Hohlefels und den Lössfunden von Metternich und Rhens 
hara kt erisiert wird, hat teils noch die rudimentären Züge der vergangenen 
Epoche, teils schon die Charaktere des späteren Jungpaläolithikum. 
Das Inventar der Spataurignacienschichten ist stets weniger reichhaltig 
als dasjenige des Hochaurignacien. In seinem Gesamtmaterial lässt das 
ausgehende Aurignacien bereits den Verlust der typischen Aurignacien- 
retusche erkennen. Damit treten auch die symmetrischen Formen mehr 
und mehr zurück. Die Klingen sind durchweg kleiner und dünner und 

nähern sich der Industrie des späten Jungpaläolithikum, während die 


Oustierabsplisse ausser in dem Spätaurignacien des Sirgenstein nicht 
8* 


116 Rob. Rud. Schmidt. [20 


wiederkehren. Die Kielkratzer sind seltener und kleiner (Fig. 13, Taf. XVIII. 
Reichere Variationen zeigen nun die Stichel. Der Bogenstichel (Fig. 
17, 18, Taf. XVII Sirgenstein, Bockstein), dessen erstes vereinzeltes Er- 
scheinen bereits in das Hoch-Aurignacien fällt, ist jetzt etwas häufiger. 
Zahlreicher ist der an dünnen Klingen angebrachte Eckstichel mit termi- 
naler Endretusche (Fig. 20, Taf. XVIII, Sirgenstein, Ofnet, Bockstein, 
Metternich). Fast ausschliesslih diesem Niveau ist der kurze nucleus- 
förmige Kantenstichel (Fig. 21, Taf. XVIII, Sirgenstein, Bockstein u. a.) 
eigen; der mehr längliche polyederische Stichel (Fig. 19, Taf. XVIII), der 
einem Nucleus für sehr schmale länglihe Klingen gleicht (Metternich, 
Rhens), ist nur in dem Spätaurignacien anzutreffen und auch in Westeuropa 
auf die jüngsten Ablagerung des Aurignacien beschränkt (z. B. Laussel, 
Dordogne). Einen gewissen chronologischen Anhaltspunkt gewährt unter 
den Bohrertypen des Spätaurignacien der gekrümmte Bohrer (Fig. 15, 
16, Taf. XVIII, Sirgenstein, Wildscheuer) und nur den Gerätschaften des 
Spätaurignacien fand ich dünne, breite Klingen mit Stielansätzen (Fig. 
14, Taf. XVIII) beigesellt (Sirgenstein, Ofnet, Bockstein, Wildscheuer). 
Die Spitze von Gravette (Fig. 22, Taf. XVIII), kommt dem Spätaurig- 
nacien des Sirgenstein und der Wildscheuer zu, besitzt hingegen nicht 
die Bedeutung einer Leitform, da sie auch in der spateren Epoche des 
Solutréen wiederkehrt. Ganz fehlen die Stielklingen, die das Spät- 
Aurignacien von La Font-Robert auszeichnen, die hingegen auch dem 
Solutréen und Magdalénien eigen sind. Die Knochengeräte weisen keine 
wesentlichen Unterschiede gegenüber denen des Hoch-Aurignacien auf. 
Zu Pfriemen wird ein kleineres Material bevorzugt, ebenso sind die 
grösseren Glättwerkzeuge seltener. Die Verwendung des Elfenbeins 
tritt mehr zurück, während Artefakte aus Horn und Knochen vorwiegen. 
Die technisch-stilistischen Eigenschaften dieser Epoche sind im wesent- 
lichen analog dem oberen Aurignacien von La Gravette und Le Trilobite, 
während es die Prototypen des Solutréen von La Font-Robert und des 
belgischen oberen Aurignacien-Niveau von Trou Magrite entbehrt. 

Im engsten Zusammenhang mit dem Streben nach Symmetrie, 
nach einem gewissen Formideal, das an den Gerätschaften des Paläo- 
litnen des entwickelteren Aurignacien, des Hoch- und Spätaurignacien, 
zum Ausdruck kommt, steht ein neues Element: der Sinn für den 
Körperschmuck. Das erste Glied in dieser Entwickelungsreihe scheint 
die Jagdtrophäe einzunehmen, denn aus den tieferen Ablagerungen des 
Hochaurignacien liegen durchbohrte Tierzähne des Höhlenbären und 
des Wildpferdes und ein durchbohrter Anhänger aus Rentiergeweih vor. 
Es fehlen hingegen die eigentlichen Kommandostäbe, deren Prototypen 
bereits im Aurignacien Westeuropas erscheinen. Aber noch mit dem 
Hochaurignacien gesellt sich zu dem erwähnten animalischen Schmuck 


21] Das Aurignacien in Deutschland. 117 


der Schmuck aus durchbohrten Geschiebesteinen, Perlen, Gagat u. a. 
Zur Ausschmückung der Geräte finden die einfachsten geometrischen 
Ornamente Anwendung, das Rautenornament (Fig. 7, Taf. XVIII) im späten 
Hoch-Aurignacien, das Wolfszahnornament im Spätaurignacien. Be- 
schränkt sich die Kunst des Aurignacienmenschen unserer Gebiete auf 
diese schwachen Andeutungen, die dem Inventar der Aurignacien- 
schichten der Wildscheuer entstammen, so versagt die Plastik wie die 
parietale Kunst, deren Anfänge im Westen Europas bis in das Aurignacien 
zurückzuführen sind, anscheinend gänzlich. 

Die Aurignacienindustrie aber, die hier eine in allen ihren wesent- 
lichen Punkten übereinstimmende Typenfolge aufweist, bestätigt auch 
trotz des Ausfalls einer höher entwickelten Kunst, eine Verbindung der 
Kulturzentren West- und Mitteleuropas. Die Einflüsse des Aurignacien 
finden wir selbst in Italien wieder und ihre Kulturgrenze reicht weit 
über Europa hinaus. Geringere Anhaltspunkte haben wir über die 
Existenz und Verbreitung der Rassen des Aurignacienzeitalters. Das 
Aurignacien Westeuropas weist in Spy (zwischen dem Niveau von Hastiere 
und dem typischen Aurignacienniveau) einerseits noch den Neandertal- 
typus auf, während die Aurignacienleute von Mentone der kunstbe- 
gabten Grimaldi-Rasse angehören, die auch als die ersten Vorläufer der 
spätpaläolithischen rituellen Bestattung anzusehen sind. Aus unserem 
Gebiete liegen menschliche Reste des Aurignacien nur aus dem Sirgen- 
stein vor, einige Zähne, die unmittelbar über einer mächtigen Brand- 
schicht im unteren Teile des Aurignacien lagerten; sie zeigen keine 
neandertaloiden Merkmale. 

Von allgemeiner Gültigkeit für das innerhalb meines Untersuchungs- 
gebietes fallende Mittel- und Süddeutschland dürfte die faunistische 
Horizontierung und scharfe geologische Abgrenzung sein, welche aus 
dieser durch mehrere Funde belegten Stratigraphie des älteren Jung- 
palaeolithikum hervorgeht. Das Aurignacien Deutschlands ist ausge- 
zeichnet durch ein wärmeres kontinentales Steppenklima. Die ver- 
gleichende Stratigraphie der Profile zeigt, dass jene Periode als eine 
etwas wärmere klimatische (postglaciale) Schwankung aufzufassen ist, die 
zwischen zwei Kältemaxima eines feuchtkalten Tundraklimas (der oberen 
und unteren Nagetierschicht) fällt. Im Zusammenhang mit der wär- 
meren Klimaphase steht die stete Anwesenheit der südlicheren Spezies 
wie Höhlenhyäne und Höhlenlöwe, welche hier aussdhliesslih diesem 
Zeitabschnitt des Jungpaläolithikum angehören, während die subarktische 
Kleinfauma gänzlich fehlt und das Ren sich vor allem selten in den unteren 
Aurignacienschichten findet. Eine Statistik der Tierwelt des Jung- 
paläolithikum Deutschlands ergibt ferner, dass die zahlreichsten Relikte 
des Wildpferdes dem Aurignacien zufallen, dessen Blüteperiode gleich- 


-3> 


118 Rob. Rud. Schmidt. [22 


falls aus dem westeuropäischen späten Aurignacien hervorgeht, das in seiner 
Faunenreihe ein je nach seiner geographischen Lage sehr verschiedenes 
Colorit zeig. Auch das Mammut ist in dem Aurignacien unseres 
Untersuchungsgebietes noch häufiger als im späteren Jungpaläolithikum. 
In den Höhengebieten Süddeutschlands ist der Höhlenbär besonders 
in dem frühen Aurignacien sehr zahlreich. Zu der übrigen Tierwelt 
gehören das wollhaarige Rinozeros, Bison, Riesenhirsch, Edelhirsch, die 
Caniden, Wildkatze, Ovis argaloides u. a. 

Während nun die Höhlen Mittel- und Süddeutschlands alle Zeit- 
abschnitte enthalten, liegt aus dem Löss bisher kein älteres Auri- 
gnacien vor. 

Die wichtigsten Profile, die ih durch eigne Ausgrabung oder nadh- 
trägliche Untersuchung selbst feststellen konnte, gebe ich zum Vergleich 
in schematischer Darstellung hier wieder, 


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*ü319[3JƏA WNZ əlijoid Jap Zunjjajsiegg 3u3spuuuəu35S 


Erklärung zu Tafeln XVI—XVIII.’) 


R. R. Schmidt, das Aurignacien in Deutschland. 


Tafel XVI, 
Tafel XVI, 
Tafel XVI, 
Tafel XVI, 


Tafel XVI, 


Tafel XVI, 
Tafel XVII, 


Tafel XVII, 
Tafel XVII, 


Tafel XVII, 


Tafel XVII, Fig. 
Tafel XVIII, Fig. 
Tafel XVIII, Fig. 
Tafel XVIII, Fig. 
Tafel XVIII, Fig. 
Tafel XVII, Fig. 
Tafel XVII, Fig. 


Tafel XVII, Fig 


Tafel XVII, Fig 


Tafel XVIII, Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Frúh-Aurignacien. 


Grober Pfriemen, Bodkstein, Untere Kulturschicht. 
Mandelfórmiger Keil, Bockstein, Untere Kulturschicht. 
Chatelperronspige, Ofnet, Untere Aurignacienschicht. 

Kurzer dicker Abspliss mit zugeschlagenem Kratserende, Sirgen- 
stein, Untere Aurignacienschicht. 

5 Klinge mit unregelmässig retuschierten und ausgekerbten Rändern, 
Ofnet, Untere Aurignacienschicht. 


+ NN = 


Hoc-Aurignacien, 


6 Länglich ovaler Krater mit typischer Retusche des Hochaurignacien, 
Sirgenstein, Mittlere Aurignacienschicht. 

7 Falzbeinfórmiges Elfenbeinartefakt mit Rautenverzierung, Wild- 
scheuer, Untere Aurignacienschicht. 

8 Aurignacienknocenspite, Bocstein, Obere Kulturschicht. 

9a Kielkrater, von oben gesehen, 9b Seitenansicht, Sirgenstein, 

Mittlere Aurignacienschicht. 

10 Klingenabspliss mit Buchten, Ofnet, Aurignacienschicht. 


Spat-Aurignacien. 


11 Klingenkrater, Rhens, Léssschicht. 

12 Fragment eines Glätters, Hohlefels-Schelklingen. 

13 Kleinere Kielkrager, Sirgenstein, Obere Aurignacienschicht. 

14 Klingen mit Stielansat, Wildscheuer, Obere Aurignacienschicht. 
15 Gekrümmter Bohrer Sirgenstein, Obere Aurignacienschicht. 

16 Desgl. Wildscheuer, Obere Aurignacienschicht. 

17 Bogenstichel, Sirgenstein, Obere Aurignacienschicht. 


. 18 Desgl. Rhens, Léssschicht. 
Tafel XVIII, Fig. 
Tafel XVIII, Fig. 


19 Langlicher polyedrischer Stichel, Metternich, Löss. 
20 Stichel mit terminaler Endretusche, Sirgenstein, Obere Aurig- 
nacienschicht. 


.21 Kurzer kernförmiger Kantenstichel, Sirgenstein, Obere Aurig- 


nacienschicht. 
22 Gravettespite, Sirgenstein, Obere Aurignacienschicht. 


1) Alle Figuren sind in natürlicher Grösse. 


Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Ba. 1. Taf. XVI. 


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Fig. 4. Fig. 5. Fig. (6. `- © 


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Schmidt, Das Aurignacien`in Deutschland. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg( O) le 
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Fig. 9b. 


Fig. 9a. 


Schmidt, Das Aurignacien in Deutschland. 


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Curt Kabitzsch (A. Stuber's Verlag), Würzburg. 


Digitized > Google 


Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Ba. 1. Taf. XVII. 


Fig. 13b. 


Fig. 19b. 


Fig. 20. 


ao Fig. 15, Fig. 16. F ig. 21b. >~ Fig. 22, -~ | 
chmidt, Das Aurignacien in Deutschland. Curt Kabitzsch (Az Stubet's Vériaf)) Wañbur. 


u. 


Il. Mitteilungen. 


Ostgotische Helme und symbolische 


Zeichen. 


Von Professor Dr. Alfred Götze in Berlin. 
(Vorgetragen in der Sitzung der „Berliner Zweiggesellschaft für Vorgeschichte“ 


vom 22. April d. J.) 


Mit 4 Textabbildungen und 1 Tafel. 


Bei den Vorarbeiten für die Fortsetzung der „Germanischen Funde 
aus der Vólkerwanderungszeit*, deren zweiter Band!) ostgotische 
Diademe und Helme behandeln soll, hat sich eine Anzahl interessanter 
Probleme ergeben, von denen ich hier einige Punkte vorläufig kurz 
hervorheben möchte, deren ausführliche Behandlung aber der genannten 
Veröffentlichung vorbehalten bleibt. 

Über die Herkunft der sechs- bezw. vierteiligen Spangenhelme 


der Merovingerzeit ist 
trotz mehrfachen Erörte- 
rungen nochnichtseiniger- 
massen Sicheres ermittelt 
worden. Namentlich ist 
es bisher noch fraglich 
geblieben, wie sich der 
Typus entwickelt hat 
und auf welche Vor- 
läufer er zurückgeht; all- 
gemeine Vergleiche mit 
orientalischen Helmen 
führen nicht zum Ziel. 
Wenn es nach dem Ent- 
wicklungsgang, den die 
germanische Kunst der 
Völkerwanderungszeit im 
allgemeinen genommen 
at, von vornherein wahr- 
scheinlich ist, dass man 


Abb. 1. Ostgotischer Helm aus Südrussland. 


die Vorläufer der Spangenhelme im ostgotischen Kulturkreise Südruss- 
ands zu suchen hat, fehlte es doch bisher an einschlägigem Fundmaterial. 


== tn A 


1) Erster Band: Gotische Schnallen. Berlin 1907. 


122 Alfred Gótze. [2 


Diesem Mangel ist nun durch einige neuerdings bekannt gewordene 
Helme ostgotischer Herkunft abgeholfen worden, in denen ich die Vor- 
läufer der Spangenhelme sehen möchte (Abb. 1). Sie bestehen aus 
vier dreieckigen Eisenplatten, die an den Rändern zusammengenietet 
sind. Zu beiden Seiten befindet sich je ein Loch zur Befestigung des 
Kinnriemens (oder der Wangenklappen?). Spuren im Eisenrost, in einem 
Falle sogar Überreste eines gepressten Silberbandes lassen erkennen, 
dass den unteren Rand ein umgelegter Ornamentstreifen zierte. Wenn 
auch die Unterschiede zwischen diesen Helmen und den Spangenhelmen 
nicht übersehen werden dürfen, sind sie, was das Wesentliche der Kon- 
struktion anlangt, jedoch derart, dass die ostgotischen Helme die ver- 
nünftige konstruktive Vorstufe für die eigentlich widersinnige Konstruk- 


E d. 


Abb. 2. Schnalle aus Abb. 3. Zeichen von den Runen- Abb. 4. Südrussische Zeichen. 
der Gegend von speeren von Müncheberg 
Kertsch. und Kowel. 


tion der Spangenhelme bilden. Man kann sich den Entwicklungsgang 
wohl so vorstellen, dass die Nietränder zunächst durch Ornamentbänder 
verdeckt wurden, dass letztere immer festere Struktur und konstruktive 
Bedeutung erlangten, wodurch schliesslich die Nietung der Eisenplatten 
aneinander überflüssig wurde und so letztere in ihrer Form degene- 
rierten. 

Ob der ostgotische Helmtypus das originale Ergebnis aus Zweck 
und Technik ist, was wegen der einfachen Form und Technik nicht 
unmöglich erscheint, oder ob schon bestehende Helmtypen mitgewirkt 
haben, lässt sich noch nicht mit Sicherheit nachweisen. In letzterem 
Fall kommt der bosporanische Kulturkreis in Betracht, wo ähn- 
liches vorliegt. Namentlich handelt es sich um Wandmalereien und 
Reliefs, auf denen ganz ähnlich geformte Helme dargestellt sind. Bei 
den engen Beziehungen zwischen der bosporanischen und goti- 
schen Kultur würde es wenigstens durchaus nicht auffallen, wenn 
ausser manchem anderen Kulturgut auch der Helmtypus von den Goten 
übernommen worden wäre. Diesen Beziehungen will ich hier nicht 
weiter nachgehen, sondern sie nur durch ein Beispiel illustrieren. Im 
bosporanischen Kulturkreis kommen eigentümliche Zeichen zahlreich 
vor, die an Gebrauchsgegenstánden, Tongefässen, Waffen, Schmuck- 


“Bingzin Ay ‘(Bepa s,19q03S “w) yoszyiqey imo ‘uZ Sy rstjoquids pun əurjəH əqəsnoBisO *əziəo p 


*pue[ssnipnç sne əgje[durə)jsqeip Əupsiueiodsog 


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XIX 19401 JT PE 9991/9592 3404 ANS 3/241/957127 “SHUUPIAT 


3] Ostgotische Helme und symbolische Zeichen. 123 


sachen, besonders an Schnallen (s. Abb. 2), ferner auch auf Grab- 
steinen und sonstigen Skulpturen (s. Tafel XIX, Herr Mavrogordato war 
so liebenswürdig, mir die Photographie zur Publikation zu überlassen) 
angebracht sind. Sie kommen ferner vor in Funden, die schon gotische 
Elemente aufweisen, sie müssen also den Goten bekannt gewesen sein; 
die Chronologie bereitet keine Schwierigkeiten, da sie sich noch im 3. Jahrh. 
n. Chr. nachweisen lassen. Man trifft sie schliesslich in den ver- 
schiedensten Varianten zusammen mit anderen Zeichen an, die in der 
Form zwar etwas abweichen, aber doch noch unverkennbar verwandt sind. 

Hier kommen wir an eine Stelle, wo Bosporanisch-Gotisches mit 
Skythischem zusammentrifft. Auch die skythische Kultur kennt eigen- 
artige Zeichen, die den bosporanisch-gotischen verwandt sind. Hierauf 
und auf die sonstigen Zusammenhänge skythischer und gotischer Kultur 
(den Nachweis eines direkten Zusammenhanges werde ich an anderer 
Stelle bringen) will ich aber hier nicht eingehen, sondern nur noch 
kurz auf die Beziehungen obiger Zeichen zu den bekannten Runen- 
speerspitzen von Müncheberg und Kowel hinweisen. 

Auf beiden befinden sich ausser der Runeninschrift allerhand 
Zeichen, die teils, wie Triquetrum und Suastika, allgemein verbreitet 
sind, teils aber bisher sonst unbekannt waren (Abb. 2). 

In den oben erwähnten südrussischen Zeichen, die sich an die 
bosporanischen anschliessen, treten nun Vergleichsstücke zu den Runen- 
speer-Zeichen auf (Abb. 4). Die Übereinstimmung im konkreten Bei- 
spiel ist zwar nicht vollkommen; wenn man aber den Stil der in den 
verschiedenartigsten Formen auftretenden südrussischen Zeichen, von 
denen hier nur einige Proben gegeben sind '), in ihrer Gesamtheit über- 
sieht, kann man nicht im Zweifel sein, dass hier ein Zusammenhang 
mit jenen der Runenspeerspitzen vorliegt. 

Das Hakenkreuz Abb. 4c erscheint als eine Zusammensetzung 
aus zwei Zeichen der Form 3b; es kommt übrigens in ganz identischer 
Form auf einem Eisenmesser aus dem Gráberfelde der römischen 
Kaiserzeit von Fohrde, Kr. Westhavelland, vor. Die „Mondsichel“ der 
beiden Runenspeere ist in Südrussland auf einen altarartigen Bau ge- 
setzt, wie es dort mit jenen Zeichen gern geschieht. 

Es erhebt sich nun die Frage: sind die Runenspeere in ihrem 
Fundgebiete oder in Südrussland hergestellt? In ersterem Fall ergibt 
sich ein starker Einfluss der südrussisch-gotischen Kultur auf die nord- 
ostgermanische. Im zweiten Fall tritt sofort die schwerwiegende Frage 
nach der Herkunft der Runen überhaupt in den Vordergrund, für deren 
südlichen Ursprung man die angedeuteten Verhältnisse mit in Anspruch 
nehmen kann. 


1) Ich hoffe, das mir vorliegende reiche Material, das ich zum Teil Herrn 
Mavrogordato verdanke, zum Teil auf meiner vorjährigen Reise in Südrussland ge- 
sammelt habe, bald veröffentlichen zu können. 


u 


Über die ersten Anfänge vorgeschichtlicher 
Erkenntnis im Ausgange des Mittelalters. 
Ein Beitrag zur Geschichte der prähistorischen Wissenschaft. 


Von Dr. Hans Hess von Wichdorff in Berlin. 


Ein eigenartiges Schicksal hat es gewollt, dass die beiden be- 
deutendsten Geologen im Ausgange des Mittelalters — Georg Agricola 
und Petrus Albinus — trotz ihrer umfangreichen und eingehenden 
Kenntnisse sich von den mittelalterlihen Anschauungen über das Wesen 
und die Entstehung der Versteinerungen nicht loszureissen vermochten. 
Nod ein Jahrhundert später erblickte man allgemein in den zahlreichen 
fossilen Pflanzen- und Tierresten, die in den verschiedenen geologischen 
Formationen als Zeugen vergangener Erdepochen und ihres organischen 
Lebens inneliegen, merkwürdige Zufallsgebilde oder, wie man sie nannte, 
»lusus naturae“. Um so auffälliger ist es daher, dass beide Forscher 
auf vorgeschichtlihem Gebiete, dessen Objekte in jener Zeit in ganz 
gleicher Weise abergläubische Deutung erfuhren, bahnbrechend für die 
modernen Anschauungen wirkten. 

Mit welcher Zähigkeit man damals, hauptsächlih wohl aus reli- 
giösen Bedenken, trotz besserer Erkenntnis die alten negierenden An- 
sichten über vorgeschichtlihe Urnenfunde zu vertreten pflegte, zeigt am 
besten Johannes Matthesius in seiner Bergpostille (Sarepta con- 
cione XV !): 

„Ein wunderlih ding ist es gleichwol ! das so mancherley form an 
„denselben Töpffen sein | das auch keiner dem andern gleich ist | vnd 
„das sie vnter der Erden weich sein | wie die Corellen im Wasser | vnd 
„an der Lufft hart werden. Item das in einem jeden Topff was sonder- 
„lichs lieget. Ich hab ein wundschaffen Ringlein an einer Greffin ge- 
„sehen | von Gold | Silber vnd Kupffer | sehr artig gewunden / das hat 
„man in einem solchen Erdtopff gefunden. Man disputirt wol | es sey 
„etwan an dem ort ein Begrebnus gewesen | darinnen man todter Leut 
„Asche j wie in den alten Vrn oder Trentöpfflein | darein man der 
„weinenden Zeeren gefasset habe. Aber weil man die Töpffe nur in 
„Meyen grebt | da sie sich selber verrathen | vnd als were die Erden 
„schwanger | einen Hübel machen | darnah sich die so ihnen nadh 
„gehen | richten | las ichs natürliche vngemachte | vnd von 
„Gott vnd der natur gewirckte Töpffe sein.“ 


') Zitiert bei Petr. Albinus „Meyssnische Bergdhronika“ pg. 179. 


2] Über die ersten Anfänge vorgeschichtlicher Erkenntnis im Ausgange usw. 125 


Der abergläubische Sinn des gemeinen Mannes aber hing an der 
uralten Überlieferung, wonach die vorgeschichtlichen Gefässe das Geschirr 
der sagenhaften früheren Zwergbevölkerung, die als Pygmäen die Höhlen 
des Landes einst bewohnt haben sollten, dargestellt hätten; man nannte 
sie daher gewöhnlich auch Zwergtópfe. Der erste Mann, der mutig 
eine neue Anschauung vertrat, war der ausgezeichnete Geologe und 
beste Bergwerkskenner seiner Zeit, der Arzt Georg Agricola, der zuerst 
in Joachimsthal, später bis an sein Lebensende in Chemnitz ansässig 
war. Agricola wies nach, dass die Erdtöpfe tatsächlich die Urnen seien, 
in denen die frühere heidnische Bevölkerung des Landes ihrer Sitte 
nach die Asche der verbrannten Toten beigesetzt habe. 

Im 3. Anhang des 7. Buches seines im Jahre 1546 erschienenen 
Werkes „De natura fossilium“ gibt Georg Agricola seine Ansichten über 
vorgeschichtliche Fundgegenstände folgendermassen wieder (nach der deut- 
schen Übersetzung des Bergmeisters Ernst Lehmann, Freiberg 1810): 


„Man hat innerhalb der Erde thönerne Gefässe mit engem Halse, 
„weitem Bauche, mit 1, 2 bis 3 Henkeln, zuweilen sogar mit einem 
„Deckel, angetroffen. Sie werden an mehreren Orten ausgegraben, be- 
„sonders bey dem sächsischen Dorfe Fertesleben, einem Matthias Schulen- 
„burg gehörig, in einem Weinberge; ferner bey Lübben in der Nieder- 
„lausitz, 10000 "Schritt von Luckau; weiter auf dem Seeberge in 
„Thüringen, 1 bis 2 Schleuderwürfe weit von Steinburg. Der unwissende 
„Haufe in Sachsen und in der Niederlausitz glaubt, dass sich diese 
„Flashen innerhalb der Erde erzeugt haben; der thüringische, dass 
„sich ihrer die Affen bedient haben, welche ehemals den ausgehöhlten 
„Seeberg bewohnet. Bey Lichte betrachtet sind es Urnen, worin die 
„alten Germanen, dem Christenthume noch nicht zugewandt, die Asche 
„der verbrannten Leichname aufbewahrten. In allen diesen bedeckten 
„Gefässen findet man Asche, manchmal auch Kohlen, ja sogar Ringe.“ 

Petrus Albinus, Agricolas geistvoller Nachfolger, hat in seinen 
historischen und bergbaugeschichtlihen Werken sich zu der gleichen 
Meinung bekannt und zugleich mit. besonderem Interesse die Kenntnis 
der vorgeschichtlihen Dinge befördert. Er war wohl auch der erste 
deutsche Forscher, der eine systematische vorgeschichtliche Aus- 
grabung veranstaltete, um gewisse vorgeschichtlihe Fragen zu lösen. 
Sein Ausgrabungsbericht, vermutlich der älteste erhaltene, lautet folgen- 
dermassen: 

»Derwegen ih mich im Jar 1587 im Herbst die warheit zu 
„erkündigen | selbs vnterstanden etlihe solcher Hügel | so nicht fern 
„von dem Städtlein Zanaw | bey dem Dorff Bergzanaw | auff vnd 
„durchgraben zu lassen | da ich denn in des meisten theils solhe Reyen 
„oder Circkel von grossen Feldtsteinen | vnd im mittelsten Circkel die 
»Vrnas mancherley form | aber weil sie vielleicht von der vietrifft vnd 
„wind am Sande sehr entblöset | meistes theils zubrochen vnd voll Sande 
„oder Erden gefunden | darneben gleichwol in etlihen Aschen | Beyn 
» “nd Kohlen gewesen. Dieses aber ist sonderlich zumercken | das ich 
„kleine Näplein dabey gefunden | fast in der form | wie man die Käss- 
„näplein macht / doch vnten kewlich | auff deren jeden an einer seiten 
„ein Löchlein mit einem Daumen eingedruckt | das mans desto besser 
»dabey halten mögen | Solche haben ich vnd Magister Osswaldus Vogel | 


126 Hans Hess von Wichdorff: Über die ersten Anfänge usw. [3 


„Superintendens zur Zanaw | mein lieber Gevatter vnd vertrawter Freund | 
„für die jenigen Vrnulas angesehen | darein man die Trenen der wei- 
„nenden, so vorzeiten zu den exequiis oder bestetigung der verstorbenen | 
„mit Gelde sein gedinget worden | gesamlet. Werden von etlihen Plen- 
„disteria genennet. ` 
„In dem grósten Hübel oder Berg aber so fast mitten vnter den 
„andern | deren in 16 oder mehr gewesen | funden wir erstlich eins 
„Lachters tieff | ein gantz Menschen Gebein in der ordnung | wie das 
„Cadauer war begraben worden | an welchem die schinbein grosserer 
„lenge | auch die Kinbacken noch gar voll frischer weisser Zeen. Vnter 
»welche noch eins Ladters tieff etliche grosse Feldwacken lagen | mit 
„breite Steinen bedackt / da zwischen ein grosser hauffen gar schöne 
„weisgrawlichte Aschen | welche etwas fette anzugreiffen gewesen. Aus 
„welchen allen so viel zu sehen / das es Begrebnussen der Heyden sein. — 
„Ich las es derwegen dabey bleiben | das es urnae mortuorum sein“. 
Albinus erwähnt in seiner „Meissnischen Bergchronika !)“ ferner 
eine grosse Anzahl vorgeschichtlicher Fundorte, deren Namen mit ihren 
entsprechenden heutigen Bezeichnungen ich hier folgen lasse: 
a) Clóden und Schmiedeberg, zwischen Torgau und Wittenberg rechts 
und links der Elbe gelegen (Provinz Sachsen). 
b) Pue mid bei Senftenberg = Coschenberg bei Senftenberg (Nieder- 
lausitz). 
c) Tribel am Buchholtzerberg = Triebel bei Sorau (Niederlausitz), 
Buchholz Nachbardorf. 
d) Luben zwee Meilen von Luccaw = Liibben bei Luckau (Niederlausitz). 
e) Guckelberg '/2 Meile von Sagen in Schlesien = bei Sagan in Schlesien. 
f) Zwischen Bergsdorff vnd Greus = zw. Bergisdorf und Greisitz bei 
Sagan. 
g) Nicht näher bezeichneter Ort zwischen Bober und Neisse in 
Schlesien. 
h) Fertesleben in einem Weinberg ein halbe meil vom Schlos Schricka 
= Farsleben bei Schricke unweit Wolmirstádt bei Magdeburg. 
i) Reinish Zabern = Dorf Rheinzabern (Pfalz). 
k) Im Land zu Hessen bey Giesa im Dorff Dudershoffen = Duden- 
hofen bei Giessen (Hessen). 
1) Zanaw und Wergzanaw = Zahna und Marzahna bei Wittenberg 
(Prov. Sachsen). 
m) Guben (Niederlausitz). 


1) Petrus Albinus, Meissnische Bergk Chronica. Dresden 1590. Seite 177—180. 


Vergessener Bericht über ein Urnen- 
graberfeld der Latëne-Zeit (?) in Ermsleben, 
Mansfelder Gebirgskreis, vom Jahre 1710. 


Von Gustaf Kossinna. 
Mit 1 Textabbildung. 


Paul Christ. Hoepfneri, scholae senat. Halberstad. Con-Rect., Ger- 
mania antiqua oder kurtze Fragen von denen alten Gebräuchen der 
Teutschen bis auf den ersten Teutschen Käyser Carolum den Grossen 
aus den bewerthesten Auctoribus, soviel davon vorhanden, zusammen 
gefasset. Halle im Magdeb. a. 1711. [Vorrede Blatt b 9—b 11]. 


„Es haben auch erst neulich bey Ausgang des 1710ten und Ein- 
gang des 1711 ten Jahres einige sole Todten-Töpfe in und ausser 
Ermsleben sich hervorgetan... Und ist also glaubähnlich, dass diese 
Todten-Tópfe von den alten Teutfchen in dem Heidenthum herrühren, 
und über 1000. Jahre alt sind. Deren sind etlihe in dem Orte selbst, 
bey Gelegenheit eines neuerbauten Hauses gefunden: etliche aber ausser 
demselben an einem Wassergraben, da das von den nahe gelegenen 
Bergen herabschissende Regenwasser unter die Erde nach gerade weg- 
gespület, dass sie oben nachgefallen, wodurch diese Todten-Töpfe un- 


128 Gustaf Kossinna: Vergessener Bericht über ein Urnengräberfeld usw. [2 


gefähr sind entdecket worden, davon itzt gedachter Herr Past. prim. und 
Inspect. Reimann viele Scherben, aber auch unterschiedliche ganze Töpfe 
bekommen hat, welche Er in Kupfer hiervor stechen lassen [vgl. Abbildung]. 
Es sind aber deren einige von groben Thon fast einen Finger dicke, andere 
aber dünner, und sind inwendig roth, wie ein gemeiner Thon gestalt: 
oder sie sind in der Mitte schwartz und ausswendig und inwendig roth. 
Andere sind ganz zart, wie Serpentin, und schwartz, deren etliche etwas 
dicker, etliche aber gantz dünne, und schön gläntzen, wenn sie von der 
anklebenden Erde gesäubert werden. Ihre Gestalt ist gar unterschiedlich, 
denn einige gehen unten spitz zu: einige sind breit und mit einem 
dicken Bauche. Der Hals ist bey den gröberen lang, bey den subtilern 
kleiner, oder es ist gar nur ein kleiner Rand herum. Die Groben sind 
mit vielen Finger Knippen herum gezeichnet, oder auch mit vielen kleinen 
Strichhen. Die subtilen sind oft ganz bloss, oder haben in der Mitte 
einen oder mehr Reifen herum ; oder sind mit viel andern Strihen und 
Puncten bezeichnet. An den groben sind mehrenteils eine oder zwo 
gebogene Henge oder Handhaben oder nur grosse Puckeln oder Hacken 
von Thon: an den subtilen sihet man dergleihen nicht. Es sind auch 
auf etlichen Deckel gewesen, die aber aus Unverstand und Unvorsichtig- 
keit entzwey gestossen. Insgemein sind sie theils grösser, theils kleiner, 
darunter ein klein schwartzer wie ein Suppen-Töpchen vor die Kinder, 
wobey auch ein k[lJeiner Löffel ist von eben der Materie, der vielleicht 
den Todten solte dienen die Speise damit zu nehmen. Wie man denn 
weiss, dass man den Todten allerley Geräthe habe mit gegeben, so sie 
in diesem Leben gebrauchet, dass sie selbiger auch in jenem Leben 
sich bedienen können, und daneben ihnen Essen und Trinken ins Grab 
gesetzet, wie Micrael. praefat. part. 2. lib. 3 bezeuget. Und Herr 
Schottel, Von der Teutschen Hauptsprache .lib. 5 Tract. 6. p. 1287 
meldet dieses: Ich weiss, dass noch vor wenig Jahren verstopfte Gläser 
mit schönen Bier gefüllet, aus der Erden, da man sie vor vielen Jahren 
den Todten zu gut hineingesetzt, gegraben seyn, und solch ein Glass 
ist mir einmahl in D. Christoph. Albini Medici Stetinensis Hause ge- 
zeiget, welches zum Gedächtnis aufgehoben war. Mit welchen Worten 
ich diese Vorrede schliesse und dem geneigten Leser gegenwärtiges 
Werkcen bestens recommendire, nicht als etwas Vollkommenes, sondern 
als einen Anfang und Anleitung die Antiquitäten unsers Vater- 
landes mehr und mehr aufzusuchen, damit wir nicht hospites 
in patria seyn mögen, da andere Völker ihre Alterthimer so 
sorgfältig zu untersuchen bemüht sind, und wir uns in den 
vorigen Zeiten mehr um andere, als um uns selbst beküm- 
mert haben. 
Er lebe wohl!!!“ [nämlich: der geneigte Leser.] 
Man sieht: „Einst alles wie Heut'!“, 


lil Aus Museen und Vereinen. 


Vorbemerkung. Diese Abteilung unserer Zeitschrift, die bei 
dem ersten Versuche noch recht unvollkommen oder wenigstens unvoll- 
ständig erscheint, soll künftig möglichst reichhaltig ausgebaut werden. 
Dazu ist natürlih die Mitarbeit aller interessierten Museen und ge- 
lehrten Gesellschaften und Vereine unseres Faches allererste und not- 
wendigste Vorbedingung. Vor allem werden hierdurh diejenigen 
Museen und Vereine, die wir zu unseren Mitgliedern 
zählen, ebenso aber auch alle diejenigen, deren mass- 
gebende Vorstände oder Vorstandsmitglieder unserer Ge- 
sellschaft angehören, aufgefordert, ungesäumt an die Arbeit zu 
gehen und baldmöglichst — so dass das nächste Heft des ‚Mannus‘ 
schon die Früchte dieser Arbeit darbieten kann — Berichte über 
wichtige Vorgänge, Tätigkeiten und Veränderungen ihres 
Bereiches abzufassen und dem Herausgeber unaufgefordert 
einzusenden. Besonders wichtig erscheinen ganz knapp gehaltene 
und durch genaue chronologische Bestimmung und Verweisung 
auf bekannte Typen und bekannte Abbildungen verdeutlichte 
Berichte über die Funde der letzten Zeit, denen passend einige Abbildungen 
wichtiger Stücke beizugeben wären. In vielen Punkten ist hier der Be- 
riht über das Posener Kaiser-Friedrih-Museum von Erich Blume ge- 
radezu vorbildlim. Strenge, knappe Sachlichkeit ist Haupterfordernis. 

Eingeleitet wird diese Abteilung durch einen Bericht über die 
Neuordnung der Vorgescichtlihen Abteilung des Märkischen Museums, 
die durh den Neubau des Museums herbeigeführt worden ist. Die 
ursprüngliche Absicht der Verwaltung dieses Museums war es, die Neu- 
ordnung wiederum nach dem verfehlten, von mir seit Jahrzehnten be- 
kämpften und jetzt sogar auch von dem Kgl. Museum für Völkerkunde 
in Berlin aufgegebenen Prinzip der örtlihen Herkunft der Gegen- 
stande vorzunehmen. Noch in zwölfter Stunde aber gelang es mir 
glücklicherweise, die massgebenden Stimmen nach der Richtung zu 
beeinflussen, dass ein System der Aufstellung zu bevorzugen sei, 
das bei einheitlihem Material das chronologishe Prinzip zugrunde 
legt, beim Auftreten verschiedener Kulturgebiete aber zunächst die 
Kulturgruppen und dann erst das chronologishe Moment berück- 
sichtigt. Seit langem vertrete ich dieses gemischte System, dem 
ih in der Literatur oder in der Praxis sonst noch nicht begegnet 
bin, als das einzige mir brauchbar erscheinende. Ich halte um so mehr 
an diesem meinem Prinzipe fest, als nunmehr an der sog. ,Aus- 
stellung‘ der Prähistorischen Abteilung desKgl. Museums 
für Völkerkunde in Berlin jedem fachmännischen Beur- 
teiler klar geworden sein muss, zu welchen Ungeheuer- 
lichkeiten unklaren Wirrwarrs man gelangt bei einem 
Versuche einer völlig starren Durchführung des chrono- 

Mannus. Bd. I. 9 


130 III. Aus Museen und Vereinen. 


logischen Prinzips — sei es auch nur in der unvollkom- 
menen Zergliederung der Perioden, wie sie das Berliner 
Kgl. Museum aufweist — aneinem Materiale, das über eine 
solche Menge miteinander völlig unverwandter Kulturen 
sich ausdehnt. 

Die Hauptsache war aber, dass ich es durchsetzte, dass die Neu- 
ordnung des Märkischen Museums nur einem wissenschaftlich 
geschulten Fachmanne anvertraut werden dürfte. Die Leistungen 
des Herrn Dr. Kiekebusch hierbei haben gezeigt, was alles unter diesen 
Umständen für die Wissenschaft, wie noch mehr für das grössere 
Publikum zu erreichen ist. G. K. 


Die oriai 2 Abteilung des 
Markischen Museums der Stadt Berlin. 


Von Dr. A. Kiekebusch. 
Mit 5 Textabbildungen. 


Das Märkische Museum ist im Jahre 1874 vom Stadtrat E. Friedel 
gegründet worden. Anlass zur Gründung der vorgeschichtlichen Abteilung 
selbst gab der Bronzedepotfund aus der Wuhlheide bei Cöpenick '). 
Die Gegenstände dieses Fundes tragen noch heute die Nummern 1—7. 
Die neueste im laufenden Jahre eingetragene Nummer des Verzeichnisses 
ist 24164. Diese Ziffer kennzeichnet zur Genüge die Arbeit dreier 
kurzer Jahrzehnte. Der bei weitem grösste Teil der Sammlung ist 
durch die Rührigkeit E. Friedels, der vom Kustos Buchholz unterstützt 
wurde, in den Besitz des Museums gelangt. Zwei Vorzüge zeichneten 
die vorgeschichtliche Abteilung des Märkischen Museums aus, wie sie 
mir im Dezember 1907 auf die Empfehlung meines Universitätslehrers 
Prof. Dr. Kossinna hin zur Neuordnung und Aufstellung in den neuen 
Räumen übergeben wurde, Vorzüge, die den Gründern und Verwaltern 
des Museums gewiss ein ehrenvolles Zeugnis ausstellen. 

Einmal ist bei der Sammlung der Altertimer nie darauf gesehen 
worden, dass nur Paradestücke ins Museum kämen. Alles, was an vor- 
geschichtlichen Altertimern im märkischen Boden gefunden wurde, das 
hat man wohlverwahrt. Wertlose vorgeschichtliche Alter- 
tümer gibt es nicht. Diese uns heute in Fleish und Blut über- 
gegangene Binsenwahrheit ist in früheren Jahrzehnten selbst von Fach- 
leuten selten richtig erkannt worden?). Gerade die wenig anspruchsvollen 
Altertümer haben sich aber für die Wissenschaft als recht fruchtbar 
erwiesen, und bei der Behandlung der in heutiger Zeit auf der Tages- 
ordnung stehenden Fragen, wie z. B. der durch Ausgrabung der „Römer- 
schanze“ bei Nedlitz unweit Potsdam wieder aufgerollten Frage nach 
der ‚Chronologie der märkishen Burgwälle?) werden die zahlreichen 


1) Zeitschr. für Ethnologie Il. 1870. S. 171. 

2) Vgl. dazu: A. Kiekebusch: Einfluss der röm. Kultur auf die germanische usw. 
Stuttgart 1908. Strecker u. Schröder. S. 3f. 

3) Zeitschr. f. Ethn. XLI. 1909. S. 127 ff. 


III. Aus Museen und Vereinen. 131 


Scherben des Märkischen Museums noch ein ernstes Wort mitzureden 
haben. Auch auf „neue Formen“ wurde im Märkischen Museum nicht 
einzig und allein gesehen. Ein Provinzialmuseum hat unbedingt die 
Aufgabe — soweit sie ihm von einzelnen Lokalmuseen nicht abgenommen 
wird — alles zu sammeln, was auf die Vorzeit der Provinz nur irgend- 
welches Licht wirft. Für die Beurteilung der Besiedlungsverhältnisse 
in einer bestimmten Zeit ist es z. B. von unermesslihem Werte, zu 
wissen, wie häufig die einzelnen Formen wiederkehren. Ein Zentral- 
museum mag sich vor Dubletten fürchten. Das Provinzialmuseum hat 
seinem ganzen Charakter nach dazu keine Ursache. Jedenfalls liegt 
aber in diesem Unterschiede aud eine der Möglichkeiten, die Interessen- 
sphären beider für die Zukunft in friedliher Weise abzugrenzen. 


Ein zweiter Vorzug der Sammlung des Märkischen Museums hat 
mir die Arbeit wesentlich erleichtert. Die Identifizierung der einzelnen 
Gegenstände erforderte wenig Zeit. Die Nummer war auf jedem Stück 
selber angegeben, nicht etwa auf einem Zettel. Ersteres ist aber un- 
bedingt erforderlih, um unzählige Irrtümer zu vermeiden. Im andern 
Falle richtet jeder Umzug nie wieder gut zu machende Verwirrung an. 
Auch grosse Museen könnten davon einiges erzählen. Man braucht des- 
wegen die Altertiimer nicht zu verunstalten. Die Nummer allein an 
wenig auffallender Stelle genügt vollkommen. Wer sie sucht, 
wird sie schon finden. 

Auf Vollkommenheit hat natürlich auch die vorgeschichtlihe Samm- 
lung des Märkischen Museums nie Anspruch erhoben. Die Funde sind 
fast ausschliesslich Einzel- oder Depotfunde oder Proben aus Gráber- 
feldern, Burgwällen u. dergl. Zusammenhängende Funde aus Gráber- 
feldern, die vom ersten bis zum letzten Grabe untersucht worden 
wären, fehlen fast ganz. Für die wirklich wissenschaftliche Erforschung 
der Vorzeit sind sie aber unentbehrlih. So bleibt der Zukunft noch 
eine grosse, schöne Aufgabe. Bisher fehlte es der Museumsverwaltung 
an Mitteln, um umfangreichere Ausgrabungen vornehmen zu können. 

Die äusseren Schicksale der Sammlungen des Märkischen Museums 
waren ja bisher eine ununterbrochene Leidensgeschichte. Im Laufe 
weniger Jahrzehnte mehrfahe Umzüge. Und unzulänglich waren die 
Räume immer. Da entschieden sich denn die städtischen Behörden zu 
einem Neubau. Seit dem Juni 1908 ist der vom Stadtbaurat Ludwig 
Hoffmann geschaffene Prachtbau vollendet. Für die vorgeschichtliche 
Sammlung war das Erdgeschoss bestimmt. Sieben Räume von ver- 
schiedener Grösse standen zur Verfügung, und in diesen Räumen war 
bereits eine beschränkte Zahl von Schaukästen vorhanden. Diese Be- 
schränkung kam meinen Ansichten und Absichten durchaus entgegen. 
Vom ersten Augenblicke an war ich mir darüber klar, dass die vorge- 
schichtlihen Altertümer geschieden werden müssen in eine Schau- 
sammlung, die in erster Linie der grossen Zahl der Museumsbesucher 
dient, und eine Studiensammlung für die Fachgelehrten. 

Für das grosse Publikum haben die fast zahllosen Tongefässe 
und Steinbeile, wie sie sich immer und immer wiederholen, gar keinen 
Sinn. Die meisten Besucher gehen an den aufgehäuften Schäten ge- 
dankenlos vorüber, staunen allenfalls diese Massen an, suchen im besten 
Falle die Altertiimer der eigenen, engeren Heimat auf und verlassen 

9* 


A A A A A .  — — — — SLS 


132 Ill. Aus Museen und Vereinen. 


das Museum, ohne etwas gelernt zu haben. Ermüdet oder sogar — 
gelangweilt kehren die meisten einem vorgeschichtlihen Museum den 
Rücken. Daher kommt es auch, dass selbst die Gebildeten fast ohne 
Ausnahme von der heimischen Vorzeit nichts, geradezu gar nichts 
wissen. Auch die ausgezeichnete vorgeschichtlihe Abteilung des König- 
lihen Museums für Völkerkunde war bis dahin immer nur für die Ge- 
lehrten da. 

Von vornherein hatte ich mir die Aufgabe gestellt: Wer in Zukunft 
die Schausammlung der vorgescichtlihen Abteilung des Märkischen 
Museums besudt, soll im Laufe von etwa zwei Stunden einen Über- 
blik über die märkische Vorgeschichte gewinnen von der Eiszeit her 
bis zur Germanisierung und Christianisierung der Mark im 12. Jahr- 
hundert. 

Dieser Forderung mussten sich alle anderen Wünsche beugen. 
Man sage nicht, dieser Standpunkt, der das grosse Publikum so stark 
berücksichtigt, wäre nicht wissenschaftlih. „Für das Volk ist das Beste 
gerade gut genug.“ Wer aber endlih der Prähistorie ihren Platz an 
der Sonne erobern will, muss auch für die Verbreitung vorgeschichtlicher 
Kenntnisse sorgen. Das ist bisher von den meisten Museen versäumt worden. 
Die Wissenschaft kommt bei diesem Standpunkt durchaus nicht 
zu kurz. — Selbstverstándlih war mirs, dass die Schausammlung 
chronologisch und nach Kulturen geordnet werden musste. Unmöglich 
kann man einen Überblick gewinnen, wenn man in jedem Saale Hinter- 
lassenschaften aus allen Perioden findet. Uber die Notwendigkeit der 
chronologishen Aufstellung brauche ich hier weiter kein Wort zu ver- 
lieren. Schwerlih würde ich den Mut gefunden haben, mich vor den 
Lesern dieser Zeitschrift zu rechtfertigen, wenn es mir nicht gelungen 
wäre, die chronologischhe Anordnung durchsetzen zu können. Dass mir 
in dieser Beziehung völlig freie Hand gelassen wurde, verdanke ich dem 
Vorsitzenden der Direktion, Bürgermeister Dr. G. Reicke. In Berlin 
war bis dahin keine vorgeschichtlihe Sammlung chronologisch geordnet. 
Die prähistorische Abteilung des Kónigl. Museums für Völkerkunde trat 
dann gelegentlich des Historikerkongresses mit einer chronologisch geord- 
neten Ausstellung an die Öffentlichkeit. 

Die 7 Räume der vorgescicdtlichen Abteilung des Märkischen 
Museums liegen zu ebener Erde (Abb. 1). „Für sie wurde ein schlichter, 
schwerer Eindruck erstrebt. Die Behandlung aller Vitrinen und Schränke 
sowie aller Holzteile mit Verwendung von Holznágeln zeigt einen 
derben ursprünglichen Charakter. Auch die Fussböden wurden in diesem 
Sinne gebildet')“. Der Vorraum nahm 3 Einbäume auf. Ihnen gegen- 
über habe ich 6 grosse Tongefässe aufgestellt, die zugleich je eine der 
6 Perioden der märkischen Vorgeschichte vertreten. Neben diesen wie 
neben allen anderen Gegenständen der ganzen Abteilung liegt je ein 
mit leicht lesbarer Schrift bedruckter Zettel, der ausser 
der Bezeichnung des Gegenstandes stets Fundort und 
Nummer (für wissenschaftlich interessierte Besucher) sowie eine 
ganz kurze Beschreibung trägt nebst Angabe derZeit, aus 


1) Ludw. Hoffmann: Neubauten der Stadt Berlin. Bd. VIII. Märk. Mus. Mit 
50 Tafeln. Berlin 1909. E. Wasmuth. S. VIII. 


HI. Aus Museen und Vereinen. 133 


welcher der Fund stammt. Ausserdem ist in jedem Saale 
eine kleine Holztafel angebracht worden, auf welcher die 
Zeitdauer der betreffenden Periode angegeben ist, z. B. 


Saal VI: „Jüngere Bronzezeit 1200—800 v. Chr.“ ; Saal VIII: „Latene- 
Zeit 500—1 v. Chr.“ 


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Abb. 1. Grundriss der vorgeschichtlichen Abteilung des Märkischen Museums. 


Unter den vorgescichtlichen Altertiimern gibt es bekanntlich viele, 
die auch das Auge jedes Kunstfreundes erfreuen. Es ist darauf gesehen 
worden, dass die Gediegenheit und Schönheit vieler Funde ins rechte 
Licht gerückt wurde. Doch ist selbstverstándlih um des schönen Ein- 
druckes willen niemals ein Gegenstand an einen falschen Platz gestellt 
worden. Strenge Wissenschaftlichkeit war höchstes Prinzip. Die Prä- 
historie will ja nicht nur Kunstgeshichte — sie will mehr, sie will 
Kulturgeschichte sein. 

Bezüglich der Tongefässe kam es mir mehr auf Echtheit als auf 

brundung an. Solche, von denen nur Scherben vorhanden waren, 
wurden selbstverständlich zusammengesetzt, niemals aber „ergänzt“ und 
noch viel weniger etwa mit der Bürste bearbeitet, um ihnen einen Glanz 
zu geben, den sie niemals besessen haben. 

Als Hintergrund für die Tongefässe und als Untergrund für grössere 
Bronzen und für Eisen hat sich der grobe graue Rupfen meiner An- 


134 


Abb. 2. 
Etwa 2000—1600 vor Chr. 
Schwertstab von Metzelthin, Kr. Ruppin. 
Kupferdoppelaxt: Petersberg b. Halle a.S. 
Kupferbeil, Nattwerder, Kr. Ost-Havelland. 
Bronzenadeln mit schräg durchbohrtem 
Kugelkopf: a) Paplitz, Kr. Jerichow Il, 
b) Hohenkränig, Kr. Pera i. N. 
Rollennadel, Ahrendsdorf, Kr. Teltow, 
Bronzedepotfund, Wustermark, Kr. Ost- 
Havelland. 2 Armringe, Schönwerder, Kr. 
Prenzlau. 2 Ösenringe, Kr. Soldin. Hals- 
ring und Spirale, Rehnitzer Bruch, Kr. 
Soldin. Bronzemeissel a) Blankensee, Kr. 
Templin, b) Lunow, Kr. Angermünde. 
Armspirale, Neu-Ruppin. Manschetten- 
armband, Westhavelland. Langgestielte 
Randäxte von Kläden, Kr. Stendal. 

2 Schwertstabklingen von Gr.Schwechten, 
Kr. Stendal. Bronzedolh von Lüben, 
Westpreussen. In der Mitte : Entwicklungs- 
reihe der Bronzebeile (Flach-, Rand- und 
älteste Form der Absatzaxt). 


1. Periode der Bronzezeit. 


liso nat. Gr. 


HI. Aus Museen und Vereinen. 


sicht nach durchaus bewährt. Als Unter- 
grund für Silberfunde wurde ein etwas 
feineres Gewebe mit entsprechender Tönung 
gewählt. Sammet blieb völlig ausge- 
schlossen; auch das Aufziehen auf Papp- 
kartons ist gänzlih vermieden worden. 

Wenn die Shausammlung des Märk. 
Museums auc nur eine Auswahl der vor- 
geschichtlihen Funde aufweist, so wird 
dem Besucher doch nichts Wesentliches 
entzogen. 

Der Steinzeitsaal enthält neben einer 
Sammlung von Harpunen, Hirshgeweih- 
hacken, Beiltypen, Lanzen- und Pfeil- 
spitzen, Messern und Meisseln die jedem 
Vorgeschichtsforscher bekannten Tonge- 
fässe aus der unterirdischen Steinkiste von 
Kl. Rietz, Kr. Beeskow-Storkow !), und 
Steinzeitfunde von Liepe, Kr. Anger- 
münde?), Bandelow, Kr. Prenzlau `), 
Schönwerder, Kr. Prenzlau *), Sternhagen, 
Kr. Prenzlau’) u. a. Aus der ersten 
Bronzeperiode habe ich eine ganze Tür- 
vitrine belegen können, die fast sämtliche 
Typen jener Zeit enthält (Abb. 2). Der 
Depotfund von Mittenwalde, Kr. Teltow °), 
aus der zweiten Periode der Bronzezeit ist 
ja von Kossinna ans Licht gezogen und in 
seiner Bedeutung genügend gewürdigt wor- 
den (Abb. 3). Die Depotfunde von Spind- 
lersfeld bei Cöpenick *), Vehlow (Prignitz) 
und die wissenschaftlih hochbedeutsamen 
Funde aus den Hügelgräbern von Weit- 
gendorf *) vertreten u. a. die dritte Periode. 
Der Saal der jüngeren Bronzezeit ent- 
hält z. B. den Depotfund von Biesenbrow 
und das berühmte Königsgrab von Seddin, 
bekanntlih das Glanzstick des Märki- 
schen Museums. In Saal VII ist die Lau- 
sitzer Keramik aufgestellt, als Vertreterin 
der von Kossinna so genannten Kultur 


| 1) Zeitschr. f. Ethn. XXIV. S. (151). Brunner: Steinzeitl. Keramik in der Mark 


Brdbg. Braunschweig 


1898. S. 4 ff. Abb. S. 5. 


2) Zeitschr. f. Ethn. XII. S. (227) ff. 1880. XXII. S. (367) ff. 1890. XXIV. S. (180) 


1892. Brunner : S. 18 (Abb 


*) Z. f. E. XXIV S. (181). 
5) Z. f. E. XXIV S. (181). 


.) 
8) Zeitschr. f. Ethn. XXIV. S. (180) 1892. Brunner: S. 17. Fig. 48. 
1892. Brunner: Fig. 47. 
1892. Brunner: S. 17. Fig. 49. 


S. 17. 


€) Zeitschr. f. Ethn. XXIV. 1902 S. 209. 
1) Z. f. E. XXIV. S. (427) 1892. XXXIV S. (261) 1903. Brandenburgia (Monats- 


hefte) I.. S. 28 u. 37f. Abb. Tafel. 


8) A. Götze: Kunstdenkmäler der Provinz Brdbg. I. 2. S. 64 f. 


Ill. Aus Museen und Vereinen. 135 


«ler Karpo-Daker. Derselben Kultur gehört auch das von mir erst im 
Februar 1908 ausgegrabene Buckelurnengrab von Hasenfelde bei Fürsten- 
walde an, das genau so aufgestellt wurde, wie ich es gefunden habe 
(Abb. 4). Der grosse Saal enthält die Altertümer der Laténe-Zeit und 
der römischen Kaiserzeit, 
neben den chronologisch 
geordneten Fibeltypen 
meist Funde aus den 
eisenzeitlidien Gräberfel- 
dern der Mark. Bemer- 
kenswert sind namentlich 
die in besonderen Vitrinen 
untergebrachten Mäander- 
urnen nebst Beigaben von 
Budhow und Fohrde aus 
dem Havellande, von See- 
low, Kr. Lebus und von 
Milow, Kr. Westprignitz. 
— Der letzte Saal birgt 
Funde aus der Wenden- 
zeit (6. bis 12. Jahrh.). 
Neben Altertümern aus 
wendischen Ansiedlungen 
und Burgwällen (Tonge- 


fässen A Scherben mit Abb. 3. a al ella Kr. Teltow. 

charakteristischen Verzie- Etwa 1600 - 1400 vor Chr. 

rungen, Sdhlittknochen, 2 Dolchklingen, 1 Randaxt, 1 dickwanzige Bronzepinzette, 
af š ind 1 Bronzenadel und 1 Bronzesichel. 

Sdlá enringen usw.) sin Im Saal V der vorgesch. Abt. d. Mark. Museums. 

hier die hervorragenden a nat. Gr. 


Hacksilberfunde ) von 
Leissow, Niederlandin, Gralow, Tempelhof und Sonnenwalde ausgestellt. 
Die notwendige Ergänzung der Schausammlung ist die Stu- 
diensammlung. Sie ist in 2 Geschossen des grossen Turmes unter- 
gebracht. Jedes Geschoss hat eine Grundfläche von etwa 115 qm. Das 
untere enthält 16 Glasschränke (4 zweitürige, 8 dreitürige und 4 vier- 
türige). Es sind das die Schränke, die zum alten Bestande des Museums 
gehören. Der Raum wird erleuchtet durch 28 Glühbirnen (jede 16 kerzig, 
110 Volt). Das obere Geschoss ist rings an den Wänden mit 2,20 m 
hohen neuen Schränken versehen (18 zweitürige und 1 eintüriger; 
Kiefer ; grau; Wasserbeize). In der Mitte des Raumes stehen für Aus- 
lagen u.a. 2 Tische (1,20x3 m) und an den beiden Fenstern sind kleinere 
Arbeitstishe angebracht, die durch je eine Glühbirne noch besonders 
beleuchtet werden können. Der ganze Raum wird erhellt durh 4 Os- 
ramlampen (jede 100 kerzig, 110 Volt). Zum Anbringen von Hand- 
lampen dienen 7 Steckkontakte. — Die Funde der Studiensammlung 
sind nach Landschaften, Kreisen und Ortschaften geordnet, um ein 
schnelles Auffinden der einzelnen Nummern zu ermöglichen. Auch jeder 


_ !) Vgl. Hervorragende Kunst- und Altertumsgegenstánde des Mark. Mus. in 
Berlin. Heft I. 1896. Mertens & Cie. 


136 III. Aus Museen und Vereinen. 


fremde Forscher, der zu Studienzweden das Mark. Museum besucht, 
würde sich bei der ausgezeichneten Beleuchtung und der verhältnis- 
mässig weitläufigen Aufstellung sofort zurechtfinden. Die Sammlung 
stellt nicht — wie so oft sonst — ein in Kisten und Kästen verpacktes 
Magazin dar, sondern eine wirklich zu Studienzwecken übersichtlich ge- 
ordnete „Studiensammlung“. Die Arbeiten in dieser Abteilung sind 
noch nicht beendet. Jeder Besucher dürfte aber schon den richtigen 
Eindruck erhalten von der Reichhaltigkeit der vorgeschichtlihen Schätze 
des Museums. Die Gefässe von Billendorf und Jessen-Jüritz aus dem 
Kreise Sorau nehmen je allein einen viertürigen Schrank in Anspruch. 
Im oberen Stockwerk sind die Altertiimer aus dem Frankfurter Bezirke 


UERS 
` A ¿NY a = 

4 5 ¿e e de, 
e. Y + Cay er i 


Abb. 4. Buckelurnengrab von Hasenfelde, Kr. Lebus. 
Ausgegraben am 28. Febr. 1908. 
Aufgestellt im Saal VIII der vorgesch. Abt. des Märk. Museums. 
14, nat. Gr. 


untergebracht, im unteren die aus dem Potsdamer und dazu die aus 
der Altmark, aus Schleswig- Holstein, Pommern, Posen und dem 
Rheinlande. 

Ziel ist, dass der Forscher in Zukunft — dazu gehört 
natürlih noch viel Arbeit — nicht nur die Funde selbst, son- 
dern bei jedem Funde auch die entsprechende Literatur 
verzeichnet findet. 

Ih bin niemals im Zweifel darüber gewesen, dass der im Mark. 
Museum eingeschlagene Weg der richtige gewesen ist. Wer sich sonst 
noch davon überzeugen will, der beobachte das Publikum in der Schau- 
sammlung. Die allermeisten gehen nicht mehr verständnislos und ge- 
dankenlos durch die Säle. Sie studieren fast jeden Zettel, werden 
durh die Beschreibung aufmerksam auf die Eigentümlichkeiten der 
einzelnen Funde und nehmen wirklih etwas mit. Probe auf das 
Exempel war es mir, dass einige Berichterstatter, die von der Vorge- 
schichte bisher nichts verstanden — ein einziger Schnitzer verrät ja oft 
den Laien —, an der Hand meiner Zettel und des von mir verfassten 
kleinen „Führers“ einen ganz brauchbaren Überblick über die märkische 


Vorgeschichte geschrieben haben. Sie haben sich also durchgefunden. 


III. Aus Museen und Vereinen. 137 


Das war der Zweck der Schausammlung. Manches muss noch vervoll- 
kommnet werden; durch Hinzufügung einzelner Zeichnungen (z. B. Dar- 
stellung eines germanischen Kriegers der Völkerwanderungszeit im vollen 
Waffenshmuc oder der Frauenkleidung während der Bronzezeit u. dgl.) 
wird vieles noch anschaulicher werden. 

Der ganz kurz gefasste „Führer* gibt selbstverständlih nur die 
allernotwendigsten Fingerzeige. Die genaue Einführung und Erklärung 
muss einem umfangreicheren „Führer durch die vorgeschichtliche Abteilung 
des Märkischen Museums“ vorbehalten sein. 


Abb. 5. Bronze-Wendelring von Fehrbellin (Osthavelland). 
Im Saal VI der vorgesch. Abt. des Märk. Museums. 
t/a nat. Gr. 


Aus der Provinz Posen. 


Erwerbungen des Kaiser-Friedrich-Museums zu Posen, 
vom Juli bis Dezember 1908, 


mitgeteilt von Erich Blume, Posen. 


Zugrunde gelegt ist der Aufzählung eine Einteilung nach den deutlich 
hervortretenden grossen Kulturgruppen, die auf Grund der Kossinnaschen 
Forschungen ethnographisch benannt werden. Die allerältesten vorindo- 
germanischen Kulturstufen sind in der Provinz überhaupt nur sehr schwach 
vertreten. G. v. -- geschenkt von; Grf. = Gräberfeld; fr. — früher; 
Sig. = Sammlung. 


138 


10. 
11. 


lll. Aus Museen und Vereinen. 


I. Indogermanische Zeit 
(Steinzeitlihe Gräberperiode und Periode I der Bronzezeit). 


Golencin, Kr. Posen-Ost: Auf den Höhen am Bogdankatal : 
Prismatishe Messer und Schneide eines Beiles aus Feuerstein u. a. 
(auch jüngere Perioden sind in zahlreihen Scherben von verschie- 
denen Fundstellen vertreten). — G. v. Sammlungsaufseher Thamm 
und wissenschaftl. Hilfsarbeiter Blume-Posen. 


Jesuiterbruch, Kr. Hohensalza: aus der Grünfliessniederung: 
Randscherben mit hängenden kurzen Linien am Rande, offenbar 
von einem Trichterrandbecher, u. a. — G. v. Distriktskommissar 
Schober-Roneck. 

Kischewo, Kr. Obornik: Steinbeil. G. v. Lehrer Gruhn-K. 


Kokorzyn, Kr. Kosten: (Ziegelei): Bei einer amtlihen Aus- 
grabung (vgl. Nr. 36) fanden sih Scherben und ein Tonwirtel aus 
der Steinzeit. | 


Lassek-Luban, Kr. Posen-West: in ausgewehten Sanddünen 
der „Wüste“ an der Warthe: Steinzeitlihe Siedlungsstelle mit 
massenhaften Abfällen von der Feuersteinbearbeitung, Scherben, 
Bewurfstücken u. dergl. Teilweise sind noch bestimmte rundliche 
Plätze mit besonders dichtliegenden Resten zu erkennen, offen- 
bar ehemalige Hüttenböden. Ins Museum gelangten zahlreiche 
Funde: Prismatishe Messer, Pfeilspitzen (meist mit eingewölbter 
Basis) u. a. Geräte aus Feuerstein, meist kleine, selten grössere 
Stücke: wie eine Lanzenspitze, ein dicknackiges Beil aus Feuerstein, 
von Steinbeilen treten besonders die Arbeitsbeile mit abgesetzten 
Nacken hervor. Scherben mit Schnurverzierung (unecht), häufiger 
grössere Stücke von Gefässen mit Wülsten dicht unter dem Rande, 
die manchmal Fingernägeleindrüke aufweisen, Griffzapfen und 
-warzen u. a. 

G. v. Lehrer Vorwerk-Luban und Sammlungsaufseher Thamm-Posen. 


Neugedank, Kr. Obornik: Steinaxt. G. v. Lehrer Gruhn-K. 


Radlau (Grenze von Kazmierz) Kr. Samter: Schneidenteil einer 
Steinaxt u. a. G. v. Distriktskommissar Münster-K. 


Südhof, Kr. Grätz: dicknackiges Feuersteinbeil. G. v. Schäfer 
Siedler-Dombrowo b. Eichenhorst. 


Szczodrowo, Kr. Kosten: diinnackiges Jadeitbeil. G. v. Ritter- 
gutsbesitzer Lehmann-Nitsche-Chelmno b. P. 


Szczodrowo, Kr. Kosten: Schneidenteil einer Steinaxt. 


Szczodrowo, Kr. Kosten: Bronzedepotfund der Periode l 
(2 Halsringe mit Usenenden, 4 grosse ovale offne Armringe), vgl. 
Prähistorishe Blätter 1894 (VI), 20ff. Taf. IV—VI. Nachrichten 
über deutsche Altertumsfunde 1892, 50. Montelius, Die Chronologie 
der ältesten Bronzezeit. S. 37 Nr. 5. — Nr. 10 und 11 Gi. v. Pro- 
fessor Lehmann-Nitsche, La Plata. 


Ill. Aus Museen und Vereinen. 139 


ll. Thrakische (Karpodakische) Kulturgruppen. 


(Älteste Stufe Zeit der Buckelurnen; mittlere Stufe Periode III—IV, 


12. 
13. 


14. 
15. 


16. 
17. 


18. 


júngste Stufe Periode V der Bronzezeit und álteste Eisenzeit). 


Mittlere Stufe (ca. 1300—900 v. Chr.). 


Bomblin II, Kr. Obornik: 7 Tongefásse, 1 Bronzenadel von 
einem Gráberfeld. G. v. Lehrer Gruhn-Kischewo. 

Czempin, Kr. Kosten: Scherben. — G. v. + Gerichtsvoll- 
zieher a. D. Grams-Posen. 

Follstein, Kr. Filehne: 2 Tongefässe. G. v. Lehrer Hantke-F. 
Miala, Kr. Filehne: 18 Tongefásse, 1 'Kásestein” von einem 


Gräberfeld. G. v. Lehrer Bartoschek-M. 


Jüngste Stufe (ca. 900—500 v. Chr.). 


Brodowo, Kr. Schroda: 3 Tongefässe. Sig. Kozubski. 
Dembicz-Kolonie, Kr. Schroda: Keramik, Bronzen (Arm- 
ringe, Nadeln u. a.), Eisenbeigaben, Perlen aus der Sig. Kozubski. 
— Etwa 20 Gräber wurden auf demselben grossen Gräberfelde im 
Juli amtlich ausgegraben. 

Kazmierz, Kr. Samter. Amtliche Ausgrabung auf einem schon 
zerstörten Gráberfeld. (Anm. Es handelt sih um ein anderes als 
das von Schwartz, Materialien zur vorgeschichtlihen Kartographie 
der Provinz Posen, Nachtrag I, 7 f., II, 6 ff., III, 6 f., IV, 3 f. be- 
handelte bekannte Gräberfeld, das auf dem zum Rittergute Neu- 
dorf (früher Kazmierz) gehörenden Vorwerk Gorzewice liegt und 
richtiger unter diesem Namen geführt wird. 


. Markenfelde (fr. Markowice), Kr. Schroda: 2 Tongefásse 


von einem Gráberfeld. Sig. Kozubski. 


. Pierschno, Kr. Schrimm: Keramik von einem Grf. Sig. Kozubski. 
. Roneck, Kr. Hohensalza: Zipfelschale und verzierter Rand- 


scherben. G. v. Distriktskommissar Schober-R. 


. Schroda: Tongefáss von einem Grf. G. v. Fuhrwerksbesitzer 


Wilhelm Schmidt-Schr. 


. Wlostowo, Kr. Schroda: Keramik und Beigaben von einem Gri. 


(vgl. Nr. 39). Sig. Kozubski. 


. Kischewo, Kr. Obornik: 2 gr. fast gleihe geschlossene, hohle 


Nierenringe aus Bronze mit vertieften sich schneidenden Linien und 
Hoftüpfeln verziert (Periode V1), an verschiedenen Stellen einzeln 


gefunden. G. v. Lehrer Gruhn-K. 


lll. Germanische Kulturgruppen. 


(Periode V der Bronzezeit und älteste Eisenzeit im Norden. Laténe- 


25. 


und römische Kaiserzeit fast in der ganzen Provinz). 


a) Ältere Stufen der Laténezeit (ca. 500—150 v. Chr.). 
Chlewisk, Kr. Samter: Urne und Henkelgefäss aus zerstörter 
Steinkiste. 

Golencin, Kr. Posen-Ost: 4 Gräber (davon 3 eingepackte Stein- 
kisten) amtlich ausgegraben. 


140 
27. 
28. 
29. 


30. 
31. 
32. 
33. 


III. Aus Museen und Vereinen. 


Kirchlich-Murzynowo, Kr. Schroda: Henkelgefáss. G. v. 
Lehrer Englert-K.-M. 

Königsrode (fr. Krolikowo), Kr. Schubin: Urnen und Beigefässe 
aus einem Steinkistengrab. G. v. Gutsverwalter Plümicke-K. 
Neu-Paulsdorf (fr. Polskawies), Kr. Gnesen: Urne mit zwei 
Henkeln aus einem Steinpackungsgrabe (?) — G. v. Distrikts- 
kommissar v. Ramsau-Kletzko. 

Nochau, Kr. Schrimm: Keramik und Beigaben. G. v. Domänen- 
pächter L. Kinder-N. 

Radosiew, Kr. Czarnikau: 3 Tongefässe aus einer Steinkiste. 
G. von Hauptlehrer Thiele-Schönlanke. 

Rzadkowo, Kr. Kolmar: Keramik und Beigaben aus Stein- 
kistengräbern. G. von Lehrer Wienke-Rz. 

Walkowitz, Kr. Czarnikau: Urne aus einer eingepackten Stein- 
kiste. G. von Hauptlehrer Thiele-Schönlanke. 


b) Jüngste Stufe der Latönezeit (Reineke D. Tischler A 
150—1 v. Chr.) und römische Kaiserzeit (1—400 n. Chr.). 


34. 


35. 
36. 


37. 


38. 
39. 


40. 
41. 
42. 
43. 
44. 


Dembicz-Kolonie, Kr. Schroda (sicher? vgl. auch Nr. 39): 
2 br. Latenefibelbruchstüce; ein Fibelbruchstiick der älteren Kaiser- 
zeit (Slg. Kozubski). 

Kischewo, Kr. Obornik: Vasenfórmiges Tongefáss und Schale, 
offener drahtförmiger Bronzearmring. Gi. v. Lehrer Gruhn-K. 
Kokorzyn, Kr. Kosten (Ziegelei). Amtlihe Ausgrabung von 
9 Gräbern der älteren Kaiserzeit mit Beigaben (3 Brandgruben, 
5 Urnen mit dunkler oder Branderde, davon 1 mit Waffen, 1 Urne 
in reinem Sande mit Waffen). — Verzierter Scherben g. v. Ritt- 
meister a. D. Hildebrand-K. 

Nochau, Kr. Schrimm: Scherben mit Branderdebelag, u. a. 
Randscherben mit Henkel (D. A.), Mäanderscherben ; Lanzenspitze 
und -schuh mit Feuerpatina. (Anm.: Ausserdem wurde eine ver- 
rostete eiserne Lanzenspitze und ein Schädel aus einem Skelett- 
grabe geschenkt, dessen Zeitstellung nicht sicher scheint). G. von 
Domänenpäkchter Kinder-N. 

Siedlemin, Kr. Jarotschin. Funde aus einem Hügelgrab der 
Kaiserzeit! G. von Pfarrer Gibasiewicz-S. 

Wlostowo, Kr. Schhroda: eiserne Beigaben (Schere, Messer u. a.) 
aus Urnen. Sig. Kozubski. 


IV. Slawishe Periode (ca. 800—1200 n. Chr.). 


Bielawy, Kr. Grátz: Tongefáss mit Wellenlinie verziert, aus 
dem See. Gi. von Professor Lehmann-Nitsche, La Plata. 
Golina, Kr. Jarotschin: Scherben vom Ringwall. — G. von 
Pfarrer Gibasiewicz-S. 

Montscnik, Kr. Schroda: Scerben, Knochen, Schläfenring 
von einem Siedlungsplatz neben dem Kirchhof. 

Posen: Scerben, gef. bei Kanalisierungsarbeiten in der Nähe 
des Doms (ausgehende slawische Zeit). G. der Stadt Posen. 

— Tongefässe derselben Zeit, gef. beim Abbruch des alten jüdischen 
Tempels. G. der jüdischen Gemeinde zu Posen. 


Il. Aus Museen und Vereinen. 141 


Deutsche Gesellschaft, 
Naturwissenschaftliche Abteilung, in Posen. 


Am 17. März fand in der Königlichen Akademie zu Posen 
die monatliche Versammlung der Naturwissenschaftlichen Ab- 
teilung der Deutschen Gesellschaft statt. Erih Blume, wissen- 
schaftlicher Hilfsarbeiter am Kaiser-Friedrich-Museum ergriff das Wort zu 
einem Vortrag über: „Die chronologische und die ethnographische Methode 
der vorgeschichtlichen Forschung“. Nach einem kurzen Überblick über die 
Entwickelung der Vorgeschichtswissenschaft aus der Volkssage heraus bis in 
die Gegenwart, wurden die beiden in den letzten Jahrzehnten geschaffenen 
Hauptmethoden: die chronologische, die auf eine zeitliche Anordnung zielt, 
und die ethnographische, die sich mit der Aufstellung der geographisch ver- 
teilten Kulturgruppen, deren Verschiebung und stammeskundlicher Deutung 
befasst, an Lichtbildern erläutert. Die chronologische Methode wurde einge- 
führt von Oskar Montelius in seinem schwedischen Werke ‘Om tidsbestämning 
inom bronsåldern‘ (Stockholm 1885, Preis 6 Kr.), später für andere 
Perioden weiter angewandt und schliesslich deutsch dargestellt von dem- 
selben Verfasser: „Die älteren Kulturperioden im Orient und Europa. 
Die Methode.“ Stockholm 1903. Auf der Grundlage einer möglichst ge- 
nauen relativen Chronologie arbeitet die ethnographische Methode. Sie 
wurde durch Aufstellung der Kulturgruppen in Ostpreussen von Otto 
Tischler (Schriften der physikalish-ókonomishen Gesellschaft 1890, 97 ff.) 
in einer gewissen Hinsicht vorbereitet und dann vornehmlich durch die 
Verbindung von Ergebnissen der sprachwissenschaftlich - historischen 
Stammeskunde mit den archäologischen Erkenntnissen von Gustaf Kossinna 
auf sichere Grundlage gestellt in einem Vortrage auf dem Kasseler 
Anthropologenkongresse von 1895 über: die vorgeschichtliche Ausbreitung 
der Germanen. Praktisch wurde diese Richtung weitergeführt in seinen 
Arbeiten: Die indogermanische Frage .archäologisch beantwortet (Zeit- 
schrift für Ethnologie 1902, 161 ff.); Uber verzierte Eisenlanzenspitzen 
als Kennzeichen der Ostgermanen — ebenda 1905 — und in kleineren 
Aufsätzen. Durch eigene Studien gewonnene Beispiele für diese Methode 

brachte der Vortragende aus den Provinzen Ost- und Westpreussen vor, 
wo die germanische Stammesgeschichte zur römischen Kaiserzeit schon 
besonders gut geklärt werden kann. Mit dieser Methode mündet die 
Vorgeschichtsforschung in die Geschichte ein. Andererseits arbeitet sie 
Hand in Hand mit den Naturwissenshaften, besonders der Anthropo- 
logie und Geologie: für die Feststellung der Anfänge der menschlichen 
Kultur. Im weitesten Sinne des Wortes ist sie Kulturwissenschaft, die 
Betrachtungsart der Gerätformen und Verzierungen bringt sie in Be- 
ziehung zu der Kunstgeschichte, und mit der sprachwissenschaftlichen 
Altertumskunde muss sie zusammengehen zur Ermittlung der Träger 
der verschiedenen Kulturgebiete. 


142 III. Aus Museen und Vereinen. 


Société préhistorique de France. 


Unser Mitglied Dr. A. Guébhard, Vorsitzender der Société 
préhistorique de France, hat eine bemerkenswerte Ansprache gehalten, 
bei der Gelegenheit, als er am 28. Januar d. J. vom Präsidentenstuhl 
Besitz ergriff. Eine Stelle daraus ist auch für unsere Gesellschaft von 
hohem Interesse. 


Der Redner beklagt es, dass die menschliche Gedankenkapsel, die 
seit der Zeit des Homo Mousteriensis so beträchtlihe Erweiterungen 
gewonnen habe, doch nicht unbegrenzt ausdehnbar sei und darum, wenn 
sie gefüllt sei, sich erst von Altem entlasten müsse, um Neues auf- 
nehmen zu können. 


„Das ist es,“ so sagt er, „was immer weitere wissenschaftliche 
Spezialisierungen notwendig macht. Und ist nicht aus einer solchen 
Spezialisierung nach dem unabwendbaren Gesetz der Arbeitsteilung auch 
unsere französische Gesellschaft für Vorgeschichte geboren worden, 
die durch Spaltung entstandene Tochter der hochehrwiirdigen Pariser 
anthropologischen Gesellschaft, die noch ganz ausser Atem ist (ébrouée) 
über diese unerwartete Parthenogenesis, aber glücklicherweise zurück- 
gekommen ist von ihrer ersten Anwandlung, das Kind zu verschlingen, 
um ihm die Mutter zu erhalten? Mutter und Kind befinden sich wohl. 
Warum sollte sich also erstere, die schon gross ist und täglich grösser 
wird, erschrecken, wenn sie sieht, dass auch letzterer gross wird. 
Den Beweis, dass hier nur ein notwendiges und durch den Lauf der 
Dinge gegebenes Ereignis eingetreten ist, liefert die Tatsache, dass ein 
gleihes in allen Ländern sich wiederholt. Ganz neuerdings sind in 
England, für sein Ostgebiet, ebenso in der Schweiz Gesellschaften für 
Vorgeschichte gegründet worden unter dem Vorsitz hervorragender Ge- 
lehrter, die wir zu unseren Mitgliedern zu zählen die Ehre haben, so 
Herrn Dr. Allen Sturge und Herrn Wiedmer-Stern, den Direktor 
des historischen Museums zu Bern, „des Historischen“ wohlgemerkt! 
Noch bemerkenswerter ist es, dass durch eine eigenartige Umkehr der 
Dinge die neue Schweizer Gesellschaft satzungsgemäss in ihr Bereich 
einbezieht Anthropologie und Ethnologie, die ihrerseits eines besonderen 
Gesellschaftsmittelpunktes ermangeln, und das in einem Lande, wo sie 
trotzdem zahlreiche Anhänger besitzen! In Deutschland besteht die 
Teilung seit lange !). Solche Teilungen sind aber Vervielfältigungen. 


1) Dies ist leider ein Irrtum des hocherehrten Herrn Redners, dem er, wie 
er mir schreibt, durch den Umstand verfallen ist, dass ich selbst 1907 dem 3. fran- 
zösischen Prähistorishen Congress zu Autun, wo ich andauernd den anregenden 
Verkehr des Herrn Guebhard, des Präsidenten jenes Congresses, zu geniessen 
die Ehre hatte, als Vertreter der Deutschen anthropologischen Gesellschaft beiwohnte, 


111. Aus Museen und Vereinen. 143 


Und die Mittelpunkte wissenschaftliher Tätigkeit vervielfältigen, heisst 
alle Wissenschaften stärken, denn scdhliesslih zieht jede von ihnen 
früher oder später ihren Vorteil aus den Fortschritten aller andern. 

Könnten doch die törichten Eifersücteleien ihre Ohnmacht ein- 
sehen und vor der vollendeten Tatsache sich beugen! Alle haben Platz 
an der Sonne; und noch niemals haben Verfolgungen oder gegen- 
seitige Bekämpfungen von Sekten. den Enderfolg einer lebensfähigen 
Religion hintangehalten. Oder ist etwa die Religion etwas Schöneres 
als die Wissenschaft? Bleiben wir der unsrigen treu und öffnen wir 
weit die Pforten des Tempels allen Adepten. Das Gotteshaus zu 
schliessen ist gut für Zeiten der Gefahr. Aber wenn einmal der Kampf 
ums Dasein gewonnen ist, was haben dann die priesterlihen Ver- 
wünschungen noch für einen Sinn? Lasst zu uns kommen gross und 
klein; wir werden uns mit Macht verdoppeln, wenn wir sowohl unseren 
inneren Wert als unsere Zahl verdoppeln. ' 

Der Bekehrungseifer ist immer noch das beste Merkmal der Uber- 
zeugung; ein Glaube, der nicht agitiert, hat keine Wirksamkeit. Jedes 
Mitglied muss in seinem Kreise agitieren für die Gesamtheit durch 
tätiges Werben von Beitrittserklärungen, die man nicht abwarten darf, 
sondern bei jeder Gelegenheit anzuregen verstehen muss. . . .“ 

Da können wir nur sagen: tout comme chez nous. Aud für 
uns gilt in hohem Masse die letzte Mahnung, Mitglieder zu werben. 
Nur eine grosse Zahl von Mitgliedern kann die Gesellschaft gegen 
alle Wechselfälle und äussere Angriffe dauernd schützen. Die fran- 
zósishe Gesellschaft besteht seit 1904, also 5 Jahre lang und hat es 
auf nahezu 350 Mitglieder gebraht. Aber dort sind wenigstens die 
Prähistoriker einig; wären wir deutsche Prähistoriker ganz einig, würden 
wir schon beim ersten Zusammenschluss 350 Mitglieder gezählt haben. So 
aber sind wir erst 250, wir müssen jedoch mit aller Madit dahin 
streben, schon im ersten Jahre wenigstens auf 300 zu kommen. — 
Dann der andere Punkt: wenn in Frankreih — und ich weiss es 
durch meinen Freund Rutot auch für Belgien — nach 5 Jahren die ge- 
nannten Prähistoriker noch mit einer so starken Feindschaft der Anthro- 
pologischen Gesellschaft zu kämpfen haben, wie obige Ansprache zeigt, 
so brauchen wir über unser jetziges unerquickliches Verhältnis zur Ber- 
liner und zur Deutschen Anthropologischen Gesellschaft wahrhaftig nicht 
zu unglücklih zu sein; wir werden gewiss, wenn auch nicht 50 Jahre 
lang, wie Moltke es nach 1870 für das Deutsche Reich voraussagte, 
so doch eine Reihe von Jahren noh Gewehr bei Fuss stehen müssen, 
um uns gegen die eifersüchtigen Unterdrückungsbestrebungen der älteren 
Gesellschaften zu wehren. 


die Herr Guébhard in derselben Rolle eines vermeintlichen Verfechters der Vorge- 
schichtsforschung gegenüber den Übergriffen der vorwiegend anthropologish und 
ethnologisch interessierten Berliner anthropologishen Gesellschaft sich dachte, die 
in Paris die serie Société préhistorique de France gegen die ältere Société 
d’anthropologie de Paris einnimmt. G. K. 


144 111. Aus Museen und Vereinen. 


Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte. 


Zweiggesellschaft Berlin. 


Die Gründung der Zweiggesellschaft der Berliner Gruppe der Deutschen 
Gesellschaft für Vorgeschichte erfolgte am 3. Januar 1909 in unmittel- 
barem Anschlusse an die Gründung der Hauptgesellschaft. Der auf ein 
Jahr gewählte Vorstand besteht aus den drei Vorsitzenden: Universitäts- 
professor Dr. Gustaf Kossinna, General z. D. Rudolf Liebmann 
Exz., Ardiivrat Dr. Georg Schuster, aus den drei Schriftführern: 
Dr. Albert Kiekebusch, Dr. Gustav Albrecht, Bezirksgeologe Dr. 
Joh. Korn und dem Schatzmeister: Zahnarzt Otto Seemann-Berlin, 
Schönhauser Allee 177. Der Jahresbeitrag ist vorläufig auf 3 Mark fest- 
gesetzt worden, für Studierende der Berliner Hochschulen auf 1 Mark. 


Sitzungsberichte. 


Die 1. Sitzung der Zweiggesellschaft Berlin fand am 
13. Februar im Vortragssaale des Märkischen Museums am Mär- 
kischen Platz statt. 

Der erste Vorsitzende, Universitäts-Prof. Dr. Kossinna, eröffnete 
die gut besuchte Versammlung mit einem kurzen Hinweis auf die Ziele 
und Bestrebungen der Hauptgesellschaft und legte dar, dass es die Auf- 
gabe der Zweiggesellschaften sei, die Kenntnis von den Ergebnissen der 
vorgeschichtlihen Forschung in den weitesten Kreisen des Volkes zu 
verbreiten. Zu diesem Zwecke würde die Zweiggesellschaft Berlin in 
jedem Monat eine öffentliche Sitzung mit Vorträgen und Vorlagen ver- 
anstalten und zu geeigneter Zeit Ausflüge zur Besichtigung vorgeschicht- 
liher Fundstätten unternehmen. 

Prof. Kossinna hielt dann einen Vortrag „Germanen-Darstel- 
lungen in der antiken Skulptur“, in dem er unter Vorführung 
zahlreicher Lichtbilder einen Überblick über die der Nachwelt erhaltenen 
römischen Bildwerke, auf denen Germanen dargestellt sind, gab und 
seinen Zuhörern vorführte, welche Körperbeschaffenheit die alten Ger- 
manen zeigten, wie sie sich kleideten und was ihr Tun und Treiben war 
in dem Augenblicke, der vom Künstler für die Darstellung gewählt wurde. 

Nach den Berichten der römischen Historiker erschienen die 
Germanen den Römern als eine durchaus eigenartige, reine und nur 
sich selbst gleiche Rasse, deren auffallend hoher und dabei schlanker 
Wuchs, deren grosse Körperkraft und selbstbewusste, stolze Haltung die 
Bewunderung der römischen Eroberer erregte. Die zweite hervor- 
stechende Eigenschaft des germanischen Typus, die den Römern auffiel, 


HI. Aus Museen und Vereinen. 145 


ist die sogenannte helle Komplexion, zu der eine weisse und zugleich 
rosige Gesichtsfarbe, überhaupt durchsichtige Helle der gesamten Haut, 
blaue, scharfblickende Augen und eine Fülle blonden Gelocks gehören. 
Angaben über die Kopf- und Gesichtsbildung fehlen allerdings bei den 
alten Historikern, aber zur Vollendung des germanischen Typus treten 
hier die Grabfunde ein, denen wir entnehmen, dass Langgesichtigkeit 
und Langköpfigkeit bei den Germanen durchaus vorherrschen. Zu dem 
langen oder besser hohen, schmalen und kräftig profilierten Gesicht ge- 
hören eine länglihe, schmale, feine Nase, die entweder gerade oder 
hakenförmig als Adlernase gestaltet ist, zurücktretende Jochbeine mit 
senkrecht gestellter Wangenplatte, stark hervortretende Augenbrauen 
und eine breite, flahe und hohe, aber nicht gerade steile, sondern 
mehr allmählich aufgewölbte Stirn. Ferner ist die Kieferpartie sehr 
kräftig entwickelt, mit Neigung zu schräg nach vorn gerichteter Stellung 
des Vordergebisses, und der Langschädel erscheint nicht eiförmig, sondern 
ellipsoid, d. h. mit etwas breiterem Stirnteil im Verhältnis zum Hinter- 
haupt, dieses aber ist vom übrigen Schädel kuppelartig abgesetzt und 
nach hinten und unten stark hinausgezogen. 


Aus den Berichten der römischen Schriftsteller und den Ergeb- 
nissen der heutigen archäologischen Grabforschung ergibt sich, dass man 
es bei den alten Germanen überwiegend mit der nordeuropäischen hellen 
Langkopf-Rasse zu tun hat, und die plastischen Denkmäler bestätigen 
dies in jeder Weise. Aus der ältesten Zeit, in der die Römer mit den 
Germanen bekannt wurden, aus dem Kimbern- und Teutonenkriege (um 
100 v. Chr.) und den Kriegszügen Cäsars gegen die Sweben (um 
50 v. Chr.) sind keine bildlichen Darstellungen erhalten, erst aus der 
Zeit des Augustus, als der Kaisersohn Tiberius mit einer Flotte bis 
zur Nordspitze Jütlands vordrang und die Elbe bis Magdeburg hinauf- 
fuhr. Die von ihm unterworfenen Germanenstämme mussten Gesandte 
nach Rom schicken, die an seinem Triumphzuge teilnahmen, und eine 
Darstellung von Szenen dieses Triumphs findet sih auf der Gemma 
Augustea, einer Onyx-Kamee in Wien, auf der auch ein Germanenpaar 
erscheint, der Mann mit lockigem Haupthaar, Vollbart und wildem Auf- 
blick, mit nacktem Oberkörper, Hosen und Schuhen, die Frau in trau- 
ernder Haltung mit in den Händen gestütztem Kopfe und in faltiger 
Gewandung. Der Unterschied des germanischen Typus von dem auf 
der Gemme ebenfalls dargestellten Typus der Skordisken oder Kelto- 
illyrier, die mit dem Torques geschmüct sind und sklavishe Unter- 
würfigkeit zeigen, tritt scharf hervor. Eine gleichzeitige Darstellung von 
drei germanischen Männern mit je einem Kinde und einer Frau, die 
bittflehend wahrscheinlich durch Tiberius dem Augustus vorgeführt werden, 
zeigt die Augustusschale, die 1895 bei Boscoreale gefunden worden 
ist, und mehrere Gesichtstypen germanischer Krieger erscheinen auf der 
Sardonixkamee von Belgrad, auf der der thrakishe Lehnskönig 
Rhoemetalkes über die am Boden liegenden Daker fortsprengt. Alle 
diese Gestalten sind von hohem Wucdhse, vollbärtig und mit stolzem 
Gesichtsausdruck, mit nacktem Oberkörper, Hosen und Schuhen dar- 
gestellt, einige tragen den viereckigen Kriegsmantel, der auf der rechten 
Schulter mit einer Fibel befestigt wurde, die auf dieser Darstellung 
allerdings durch einen Knopf ersetzt ist. 

Mannus. Bd. I. 10 


146 HI. Aus Museen und Vereinen. 


Die Eigenart der germanischen Bekleidung zeigen auch eine Reihe 
von Bronzefigürchen, die von der Verzierung römischer Pferde- 
pektoralien herstammen und Nachbildungen grösserer Skulpturen sind, 
einige derselben lassen auch die charakteristische Haartracht der Ger- 
manen erkennen, das schräg über den Kopf gekämmte und vorn rechts 
in einen Knoten zusammengedrehte Haar, von der auch Tacitus be- 
richtet. Diese Haartracht tritt dem Beschauer ferner auf den Grab- 
steinen römischer Soldaten, die am Rhein aufgefunden worden sind, 
entgegen. Auf diesen in den Museen zu Mainz, Worms, Bonn und 
Wiesbaden aufgestellten Grabsteinen sprengt der römische Reiter meist 
über einen am Boden liegenden Germanen, der mit Hose und Schuhen, 
mit nackter Oberkörper und Haarknoten dargestellt ist, hinweg. Auf 
einem Wormser Grabstein sind auch zwei unterworfene Germanen dar- 
estellt. 
š Aus der Zeit des Kaisers Vespasian sind Reste einer Säulenhalle 
erhalten, die den Innenhof des Prätoriums im Mainzer Legionslager 
umzog und auf deren Sáulensodkeln der Kampf der Römer gegen die 
feindlihen Chatten dargestellt war. Man findet auf den erhaltenen 
Platten marschierende und kämpfende Legionssoldaten und eine trauernde 
Germania (oder Chattia), in der bekannten Trauerstellung mit aufge- 
stiitztem Haupt. Aus der Zeit Domitians, unter dem der römische 
Grenzwall (limes) begonnen wurde, sind Münzen mit der Darstellung 
der Germania capta, einer trauernden weiblichen Gestalt, und eines 
Germanen mit vorn und hinten herabhängendem Mantel bemerkenswert. 
Dieser Mantel, der abweichend von sonstigen Darstellungen ein Loch 
zum Durchstecken des Kopfes hat, findet sich ferner auf einem Triumphal- 
relief im Vatikan, das einen Germanenjiingling mit edlem Gesicht und 
starkem Gelock zeigt, doch verrät diese Darstellung auch griechische Ein- 
fliisse, die in einigen Abweichungen in der Bekleidung (nackte Beine 
und Füsse) hervortreten. 


Eine Reihe von Darstellungen germanischer Volkstypen enthält die 
Trajanssáule in Rom, die der siegreihe Kaiser nah den Kriegen 
gegen die Daker (101—107 n. Chr.) errichten liess. Man erblickt hier 
eine dakishe Gesandtschaft, die von bastarnischen Kriegern geleitet 
wird, eine bastarnische Gesandtschaft, Fürsten und Priester, Kampf- 
-szenen u. a., und auf diesen Skulpturen erscheinen die germanischen 
Männer in gefranstem Mantel, langen Hosen, die durch einen Gurt zu- 
sammengehalten werden, und Halbschuhen; das dichte Haupthaar ist 
nach vorn gekämmt und dort in einem Knoten zusammengebunden. 
Noch reichhaltiger sind die Darstellungen germanisher Typen der 
Markussäule auf der Piazza Colonna in Rom, die zur Erinnerung an 
die Kämpfe Marc Aurels gegen die Markomannen und Quaden (171 
bis 175 n. Chr.) errichtet ist. Auf den nicht sehr gut erhaltenen Reliefs 
erblickt man u. a. germanische Schleuderer (Quaden), die dem Kaiser 
den Ubergang über einen Fluss wehren, die Verteidigung eines Gebirgs- 
passes durch die Quaden gegen römische Auxiliartruppen, die Zerstörung 
eines langobardischen Dorfes durch die Römer, einen gefangenen Fürsten 
der Langobarden vor dem Kaiser, Edlinge der Waristen, die einen Schwur 
leisten, Gruppen von Wandalen und Astingen, die Verteidigung einer 
germanischen Feste durch markomannische Krieger, die Hinrichtung von 


III, Aus Museen und Vereinen. 147 


aufständischen Markomannen und verschiedene Szenen aus dem Kriege 
gegen die Markomannen. Die Darstellungen sind in bezug auf die 
Tracht der germanischen Männer und Frauen, auf die Bauart der Häuser 
und der Befestigungen, auf manche Sitten und Gebräuche, auf die Kampfes- 
weise u. a. von hoher Bedeutung, um so mehr als wir über den Ver- 
lauf der Feldziige durch römische Schriftsteller unterrichtet sind, wodurch 
auch manche Reliefs, so die Gefangennahme des Quadenkönigs Ariogaisus, 
ihre Erklärung finden. 

Typen des bereits erwähnten germanischen Stammes der Bastarnen 
zeigen die Zinnen und Metopenbilder des Siegesdenkmals von 
Adamklissi, das zur Erinnerung an die Siege des Krassus in der 
Dobrudscha errichtet wurde (29 vor Chr.). Die auf diesem Denkmal darge- 
stellten Männer sind schlank und breitschulterig, haben ausdrucksvolleZüge 
und tragen ein enganliegendes Wams mit aufgelegtem Pelzkragen, lange 
Hosen, die zum Teil in Streifen zusammengenäht um die Beine gelegt sind, 
und das Haar in einem redhtsseitigen Knoten zusammengedreht. An der 
Statue der sogenannten Thusnelda in Florenz, die als eine trauernde Ger- 
mania aufzufassen ist, zeigte der Vortragende, dass sich bei diesem 
Bildwerk in Gewandung und Haltung hellenistische Einflüsse geltend ge- 
macht haben, wie sie auch bei dem Tropaeon von Adamklissi zu spüren 
sind. Zum Schlusse ging der Vortragende auf die Darstellungen germa- 
nischer Krieger und Volkstypen in der modernen Kunst ein, wie sie uns 
auf Gemälden, Sockelreliefs und Wandfriesen entgegentreten, und be- 
merkte, dass die hier allgemein übliche Darstellung der Germanen in unbe- 
kleidetem Zustande völlig phantastisch sei. Die Nacktdarstellungen 
auf neueren Bildwerken im Gegensatz zu den bekleideten Figuren der 
antiken Skulpturen gehen nach Ansicht des Vortragenden auf die Kupfer 
in dem Werke Clüvers über das alte Germanien (1631) zurück, aus 
dem sie in die Titelkupfer und Vignetten der Druckwerke des 18. Jahr- 
hunderts übernommen wurden. Die moderne Kunst hat diese Nackt- 
darstellungen der Germanen ohne Berücksichtigung der antiken Bild- 
werke und Nachrichten beibehalten. 

Die 2. Sitzung der Zweiggesellschaft Berlin fand am 
18. März unter Vorsitz des Prof. Dr. Kossinna im Vortragssaale des 
Märkischen Museums statt. 

Der Vorsitzende machte zunächst Mitteilung, dass die Mitglieder- 
zahl der Gesellschaft erheblich gewachsen sei und dass eine ganze Reihe 
von Glückwunsch- und Anerkennungsschreiben eingelaufen seien, worin 
die Absender ihrer Freude über die Gründung der Gesellschaft und 
ihrer Übereinstimmung mit ihren Zielen und Bestrebungen Ausdruck 
verleihen. Darauf wurden die Satzungen der Zweiggesellschaft Berlin 
vorgelegt und einstimmig von der Versammlung angenommen. 


Nunmehr teilte der Vorsitzende mit, dass ein Mitglied der Gesell- 
schaft, der bekannte Archäologe O. Hauser in Basel, der in einem 
interessanten Fundgebiete des Diluvialmenschen, im Vézére-Tale in 
der Dordogne, schon lange tätig ist, die Mitglieder der Gesellschaft für 
Vorgeschichte einlade, die dortigen Fundstátten zu besichtigen (vgl. „Nach- 
richten“), und fügte hinzu, dass er den Besuch nur dringend empfehlen 
könne, da er selbst im vergangenen Sommer dort gewesen sei und 
der Aufdeckung des jugendlihen Skeletts in der unteren Grotte von 

10* 


148 III. Aus Museen und Vereinen. 


Le Moustier durch Prof. Klaatsch beigewohnt habe. Das Skelett und 
namentlich der Schädel sei als der beste und zugleich früheste Ver- 
treter der bis vor kurzem als älteste Ausprágungsform des Menschen 
geltenden Neandertalrasse zu betrachten, und ihm gleichgeartet sei ein bald 
darauf im benachbarten Corréze-Departement zu La Chapelle aux Saints 
gefundenes Skelett desselben Typus mit besonders gut erhaltenem 
Schädel. Gegen Ende des Februar sind bei Clermont sur Oise in 
einer Art Höhle, deren Wände vom Wasser zernagt waren, menschliche 
Gebeine gefunden worden, von denen ein Oberschenkel und ein Kiefer 
mit sehr grossen Backzähnen am besten erhalten sind, doc steht die 
wissenshaftlihe Untersuchung noch aus. Der Vorsitzende knüpfte daran 
Mitteilungen über den Fund des Homo Heidelbergensis, des ältesten 
jetzt bekannten Menschenrestes in den altdiluvialen Sanden beim Dorfe 
Mauer, südöstlih von Heidelberg, und über die Untersuchung des 
Unterkiefers durch Schoetensack und Klaatsh und stellt einen Vortrag 
von Dr. Korn über diesen Gegenstand in Aussicht. 

Zur Vorlage gelangten zwei Werke von Mitgliedern der Gesell- 
schaft, von Geheimrat L. Pfeiffer (Weimar) über die Skelettreste des 
Menschen und die bearbeiteten Tierknochen aus der Diluvialzeit Thü- 
ringens (vgl. unten S. 157) und von Dr. G. Eichhorn „Die paläo- 
lithishen Funde von Taubah in den Museen zu Jena und Weimar“, 
ein Prachtwerk von 39 Quarttafeln mit 272 photographishen Ab- 
bildungen und zahlreichen Federzeichnungen, das als Festschrift zum 
350jährigen Jubiläum der Universität Jena erschienen ist (vgl. unten 
S. 156). Ausserdem teilte Prof. Kossinna mit, dass das Mitglied Frhr. 
Kälmän von Miske in Güns (Ungarn) den ersten Band seines reich 
illustrierten Prachtwerkes über die „Prähistorische Ansiedlung bei Velem 


St. Veit“ der Bibliothek der Gesellschaft zum Geschenk gemacht habe. 
Dr. A. Kiekebusch sprach über die Chronologie, die Kul- 


tur und die Bevölkerung der märkischen Bronzezeit (2000 
bis 500 v. Chr.) unter besonderer Berücksichtigung der Funde des 
Märkishen Museums und gab seinen Zuhörern durch den reichen Inhalt 
des Vortrags und durch eine Fülle von Lichtbildern ein Bild von den 
Gewohnheiten und dem Leben der Bewohner der Mark und der Ost- 
seeländer zur Bronzezeit, von ihren Waffen, ihrer Kleidung und ihren 
Hausgeräten, sowie von der Bestattung und der religiösen Anschauung 
der damaligen Zeit. 

Zunächst liess der Vortragende die zahlreih erschienenen An- 
. wesenden einen Einblick tun in die Art und Weise, wie die Prähisto- 
riker allmählich Ordnung in die mannigfahen Funde der Vorzeit ge- 
bracht haben und wie besonders der Shwede Montelius durch syste- 
matische Vergleihung von Tausenden von Fundobjekten eine genaue 
Typologie und Chronologie geschaffen hat, die es ermöglicht, innerhalb 
der grossen vorgescichtlihen Zeitabschnitte — Stein-, Bronze- und 
Eisenzeit — ziemlich genau abgegrenzte Unterabteilungen festzulegen. 
So haben die Prähistoriker schon früh beispielsweise durch die Be- 
obachtung, dass sih Bronzesahen mit Spiralornamenten meist in 
Skelettgräbern und solhe mit Drachenornamenten stets in 
Brandgräbern vorfanden, festgestellt, dass man zwei Hauptperioden 
der Bronzezeit zu unterscheiden habe, und durch die weitere Beobad- 


> 


111. Aus Museen und Vereinen. 149 


tung, dass die Skelettgräber in einer unteren Kulturschicht lagen, während 
die Brandgräber sih darüber befanden, zuweilen in einem und dem- 
selben Grabhügel, haben die vorgeschichtlihen Forscher erkannt, dass 
die Skelettgräber in diesen Fällen älter als die Brandgráber, also auch 
die Gegenstände mit Spiralornamenten älter als die mit den Drachen- 
ornamenten sind. In Weiterführung dieser Erkenntnis konnte Montelius 
für ganze Reihen von Bronzegegenständen, beispielsweise für Bronze- 
schwerter und Bronzezeitfibeln, eine ziemlich sichere Zeitfolge 
feststellen. 

Der Vortragende zeigt diese Art Ermittelung der Chronologie ge- 
nauer an den verschiedenen Arten der Beile. Die ältesten Formen der 
Bronzebeile lehnen sich an die der Steinbeile an, sie sind glatt und 
sassen infolgedessen bei der Schaftung nicht fest. Um ihnen mehr 
Halt zu geben, wurden die Bronzebeile mit kleinen Rändern versehen, 
die nah und nach erhöht wurden und dann auch einen mittleren 
Quersteg („Absatz“) erhielten. Die Rand- und Absatzbeile sind also 
jüngeren Datums als die glatten Beile, und ihnen folgen die Tüllen- 
beile, deren Einrichtung noch grösseren Halt bei der Schaftung gewährt. 
Nach diesen vier Beiltypen hat man die Chronologie der gesamten 
Bronzezeit bestimmt, indem man für jede Periode 200 Jahre ansetzte 
und für die älteste Periode 400 Jahre annahm. Durch Vergleichung 
mit ägyptischen und griechischen Funden, deren Zeitbestimmung ziem- 
lih sicher ist, kam man dazu, den Beginn der Bronzezeit um das 
Jahr 2000 v. Chr. Geburt anzusetzen, und erhielt so für die älteste 
Periode der Bronzezeit den Abschnitt 2000 bis 1600 v. Chr., für die 
folgenden 1600—1400, 1400—1200, 1200—1000 und 1000—-800 v. Chr., 
denen sich eine Übergangszeit zum Eisen von 800—500 v. Chr. an- 
schliesst. Die Typologie der Beile wird durch die der Schwerter und 
Fibeln und durch die Formen der Gefásse des sogenannten Lau- 
sitzer Typus kontrolliert, und durch fortgesetzte Vergleichung der Fund- 
stücke ist es gelungen, eine genaue Chronologie der älteren und 
jüngeren Bronzezeit und dementsprechend der anderen vorgeschichtlichen 
Zeitabschnitte festzustellen. Die älteren Gefässformen des Lausitzer 
Typus gehören z. B. in die dritte Periode der Bronzezeit, die jüngeren 
in die frühere Eisenzeit von 800—500 v. Chr. Geb., und durch Ver- 
gleichung mit ägyptischen, kleinasiatishen und kretishen Funden war 
es möglich, festzustellen, dass die älteste Bronzezeit im nördlichen 
Europa gleichzeitig mit der 12. Dynastie in Ägypten, mit der mittelmino- 
ischen Zeit auf Kreta, mit den Funden der zweiten trojanischen Schicht 
und der Zeit des Chammurabi (1958—1916 v. Chr.) ist, während die 
dritte Periode der Bronzezeit (1400—1200 v. Chr.) mit dem neuen 
Reich der 18.—20. Dynastie (1580—1100) und der sechsten Schicht von 
Troja (1500—1200), also mit dem Trojanischen Krieg gleichzeitig ist. 


Diese Ergebnisse der vorgeschichtlichen Forschung hat Ed. Meyer 
in seiner neuen Bearbeitung der „Geschichte des Altertums“ bereits 
verwertet, und es ist zu erwarten, dass die Historiker mehr ais bisher 
die Feststellungen der Vorgeschichte in den Kreis ihrer Betrachtungen 
ziehen werden. Der Vortragende ging nun auf die verschiedene Zu- 
sammensetzung der Bronze, die ein wesentliches Hilfsmittel bei Fest- 
stellung des Alters bildet, auf ihre Herstellung und auf die Herkunft 


150 HI. Aus Museen und Vereinen. 


der Bronzegegenstände ein und zeigte, dass die nórdlihen Bronzeleute 
ihre Sachen gegossen haben, wie aus Funden von Gussformen und 
Bronzesachen mit Gussnaht hervorgeht, während die südlichen sie auch 
gehämmert haben, woraus sich mannigfahe Schlüsse über die Herkunft 
einzelner Fundgegenstände ziehen lassen. Aus Darstellungen auf Bronze- 
waffen und Bronzegeräten, sowie aus den nordischen Felsenbildern lässt 
sich erkennen, dass die Bewohner der Mark und der norddeutschen 
Tiefebene Ackerbau und Viehzucht trieben, dass sie das Pferd als Zugtier 
benutzten und den Hund, das Schaf und den Ochsen kannten, dass sie 
der Jagd auf Hirsche, Bären und Auerochsen nachgingen und auf Káhnen 
mit Angel Fischfang trieben. Die Gräberfunde, namentlich solche aus 
Eichensärgen, geben uns Aufschluss über die Art der Kleidung der 
Bronzezeitleute, und die Art der Bestattung, sowie die Beigaben lassen 
erkennen, wie die Bewohner des nördlihen Deutschland zur Bronze- 
zeit über das Leben nach dem Tode dachten, welche Ansichten sie über 
Religion, Sitte und geselliges Leben hatten und in welchem Masse bei 
ihnen abergläubische Vorstellungen entwickelt waren. 


Unter Benutzung von zahlreichen Lichtbildern machte der Redner 
Mitteilungen über Kleidung, Waffen und Hausgeräte der Bewohner 
der Mark und Norddeutschlands zur Bronzezeit, über ihr Leben und 
Treiben, über Ackerbau, Viehzucht und Jagd, über die verschiedene Art 
der Bestattung, über Religion und Kultus und schloss mit einer Vor- 
führung der im Märkischen Museum befindlichen Funde aus der Bronze- 
zeit, die erkennen liessen, dass bereits eine umfangreiche Kultur in der 
Mark vorhanden gewesen ist. 


3. Sitzung am 22. April 1909.: In der Aprilversammlung teilte 
der 1. Vorsitzende, Prof. Dr. Kossinna mit, dass die Hauptgesellfchaft 
Frl. Prof. Johanna Mestorf zum 80. Geburtstage beglückwünscht 
und sie zum Ehrenmitgliede ernannt habe. Frl. Mestorf hat die Ehren- 
mitgliedschaft dankend angenommen. Eine Abbildung des künstlerisch 
ausgeführten Diploms, das der Jubilarin von der Deutschen Gesellschaft 
überreicht worden ist, wird im 1. Hefte der Zeitschrift der Gesellschaft 
veröffentlicht werden (vgl. unten S. 165). Dieses Heft soll Ende Mai 
erscheinen und wird viele reich illustrierte Abhandlungen von namhaften 
Prähistorikern enthalten. Der Vorsitzende teilte ferner mit, dass ver- 
schiedene auswärtige Gelehrte aus Norwegen, Finnland und Frankreich, 
darunter der Vorsitzende der Société préhistorique de France, Prof. 
Dr. Guébhard, der Deutschen Gesellschaft beigetreten seien. Prof. Kossinna 
machte einige Mitteilungen über die französische Gesellschaft, die 1904 ge- 
gründet worden ist und bereits 350 Mitglieder zählt, und führte mehrere 
Stellen aus der Antrittsrede des Vorsitzenden Prof. Guébhard an, die mit der 
Mahnung schliesst, man solle beständig Mitglieder werben, eine Mahnung, 
die auch für die Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte beachtenswert 
ist, da diese erst 250 Mitglieder zählt und noch sehr viele Mitglieder 
gebrauchen kann. (Näheres vgl. unter dieser Abteilung, oben S. 142 f.). 


Zur Vorlage gelangten einige Veröffentlihungen des Leipziger 
Museums für Völkerkunde, so die Abhandlungen von Näbe über die 
steinzeitlihe Besiedlung der Leipziger Gegend, eine reich illustrierte 
inhaltreiche Darstellung, und von Jacob über die Laténe-Funde der 


lIl. Aus Museen und Vereinen. 151 


Leipziger Gegend, die manches neue Material, so über feintónige, ge- 
drehte Latöne-Gefässe, bringt, ferner eine Arbeit des Generaloberarztes 
Dr. Wilke über die neolithishe Keramik und das Arierproblem, eine 
Abhandlung von Montelius über die Chronologie des britischen 
Bronzezeitalters und von dem Norweger Schetelig über die kreuz- 
förmigen Fibeln Norwegens aus der Merowingerzeit (350—550 n. Chr.), 
letztere beide Arbeiten in englischer Sprache und mit zahlreichen Ab- 
bildungen, und schliesslih das bedeutsame Werk über die vor- und 
frühgeschichtlihen Altertümer Thüringens von Göte, Höfer und 
Zschiesche, das die Ergebnisse einer 14jährigen Forschungstätigkeit 
enthält und als das Muster einer vorgeschichtlihen Landesdarstellung 
zu bezeichnen ist. (Näheres hierüber, wie über die Werke von Näbe 
und Jacob s. unter „IV. Bücherbesprechungen“, unten S. 154 ff.). 
Prof, Dr. Götze machte darauf eine vorläufige Mitteilung über 
die Fortsetzung seiner „germanischen Funde aus der Völker- 
wanderungszeit“. Dem ersten Bande, der „gotische Schnallen“ 
behandelt, soll jetzt eine Bearbeitung der ostgotischen Diademe 
und Helme folgen. Das Fundmaterial ist, der Kostbarkeit und Selten- 
heit dieser Gegenstände entsprechend, nicht umfangreich, aber um so 
wichtiger. Das gilt namentlich von den Helmen, die als ein Prototyp 
der germanischen Spangenhelme der Merowingerzeit gelten können und 
deren Ursprung bisher noch nicht genügend geklärt war. Während man 
bei letzteren das Spangengerüst als das Wesentliche und die füllenden 
Eisenplatten als das Sekundäre anzusehen pflegte, zeigte die Urform 
das umgekehrte Verhältnis. Die gotischen Helme sind aus vier drei- 
eckigen Eisenplatten zusammengenietet; Überreste und Spuren von Or- 
namentbändern erinnern an das angesetzte Ornamentband der Spangen- 
helme. Der gotische Charakter der Eisenhelme wird wahrscheinlich 
gemacht durch ihr Verhältnis zu entsprechenden Funden aus dem Bos- 
poranischen Reiche. In Lichtbildern zeigte Prof. Götse die im Museum 
für Völkerkunde befindlihen Diademe und Spangenhelme und einige 
in Südrussland vor kurzem gefundene gotische Eisenhelme und führte 
die auf russischen Grabsteinen und in den Katakomben von Kertsc 
befindlichen Darstellungen von Kriegern mit Plattenhelmen vor. Den 
Schluss bildeten Bemerkungen des Vortragenden über das Verhältnis 
der gotischen Kunst zur bosporanischen und skythischen und besonders 
über eigenartige Monogramme. (Näheres s. unter „Mitteilungen“, oben 
S. 121 ff..) — Den Hauptvortrag des Abends hielt Generaloberarzt Dr. 
Georg Wilke aus Chemnitz über „Entstehung und Heimatland 
der Spirale und ethnische Stellung der Spiral-Mäander- 
keramik“ unter Vorführung zahlreicher Lichtbilder. Unter den ver- 
schiedenartigen Verzierungssystemen in der neolithischen Keramik hat keine 
der wissenschaftlichen Erklärung so grosse Schwierigkeiten bereitet wie die 
Spiral-Mäander-Verzierung, die namentlich in Bosnien und Siebenbürgen 
in geradezu erstaunlicher Fülle und Mannigfaltigkeit vorkommt. Solange 
die mykenishe Herkunft der neolithischen Spirale ein vielfach ver- 
breitetes Dogma war, suchte man die Herkunft und die Entwickelung 
der Spiralornamente aus Vorbildern der Natur zu erklären; ganz anders 
gestaltete sich aber diese Frage, als festgestellt worden war, dass die 
neolithische Keramik weitälter als die mykenische Kultur 


152 111. Aus Museen und Vereinen. 


ist und dass die neolithische Spirale ihre Vorläufer in der 
älteren Steinzeit hat. 


Es lag nun der Gedanke sehr nahe, die neolithische mit der paläo- 
lithischen Spirale in Verbindung zu .bringen, wie dies auch Much in 
seinem Buche über die Urheimat der Indogermanen mit gewissem Vor- 
behalt und neuerdings Grössler in Eisleben in entschiedener Weise 
getan haben, aber Wilke hält einen solhen Zusammenhang für völlig 
ausgeschlossen, weil einmal ein ungeheurer Zeitraum die Spirale der 
älteren und der jüngeren Steinzeit trennt und zweitens die neolithische 
Spirale nicht an der Spitze der vier bandkeramischen Stilformen des 
Neolithikums steht, sondern erst in einem sehr späten Abschnitte des- 
selben auftritt. Ihr voraus gingen Jahrtausende, in denen sich die 
Ornamentik der Gefásse auf die einfachsten geometrischen Elemente 
beschränkte, und es ist nicht anzunehmen, dass eine so schwierige 
Dekorationsweise, wie es die Spiralverzierung ist, jahr- 
tausendelang gewissermassen im Bewusstsein des Volkes 
geschlummert habe und plötzlich ohne jede erkennbare 
Anregung von selbst zu neuem Leben erwacht sei, um in 
raschem Siegeszuge das ganze südliche Mitteleuropa zu 
erobern. Es spriht auh nach Wilkes Ansicht nichts dafür, dass die 
Spirale oder die Spiral-Mäanderdekoration den Vorbildern aus der Natur 
nachgebildet sei, vielmehr ist der älteste Kunststil ein rein geome- 
trischer, und selbst die figürlichen Darstellungen und die Gesichts- 
formen auf Gefässen haben sich durch rein ornamentale Umbildung 
gegebener geometrisher Formen entwickelt. Der Vortragende zeigte 
dies an mehreren Beispielen von Gesichtsgefässen aus Mitteldeutsch- 
land, die eine gewisse Verwandtschaft mit denen der dänischen Gang- 
gräber erkennen lassen, und bemerkte dann, dass das Entwickelungs- 
verhältnis zwischen neolithisher Ornamentik und figürlicher Darstellung 
noch deutlicher als in der Plastik sih in der zeichnenden Kunst aus- 
präge, wo zuerst geometrische Ornamente erscheinen, aus denen sich 
dann Tier- und Menschendarstellungen entwickeln. Im Anschluss an 
diese Bemerkungen führte Wilke aus, dass die Spiral-Mäander- 
Verzierung auch nicht auf bloss spekulativem Wege durch einfache 
Synthese, wie man die Muster der vorangegangenen Stilart erhielt, ent- 
standen sein kann, sondern dass die komplizierten und recht mannig- 
faltigen Formen dieser Ornamentik sih an bestimmte mathe- 
matische Vorbilder angelehnt haben müssen. Für die Mäander- 
verzierungen finden sich derartige Vorbilder in den Schöpfungen der 
Flecht- und Webekunst aller Völker, und selbst konzentrische Kreise 
und Voluten, die als Muster für Spiralverzierungen dienen können, 
kommen dort vor. All die Zickzacklinien und Winkelbänder, die Doppel- 
haken und Dreiecksreihen, die schräggestellten Quadrate und Rhomben, 
die sich auf den neolithischen Gefássen finden, sind als Nahahmungen 
von Flechtmustern anzusehen, und aus der Verschiebung solcher 
Flechtmuster ergeben sich wieder die mannigfachen mäandrischen Figuren, 
die auf den Gefássen der neolithishen Bandkeramik vorkommen. Diese 
Verschiebung der Flecht- und Webemuster kann von dem ausübenden 
Künstler sowohl absichtlih wie unbewusst und versehentlich geschehen 
sein, während sie andererseits ihre Entstehung einem Zufall bei der 


Ili. Aus Museen und Vereinen. 153 


Ausbesserung von mit geometrischen Figuren verzierten Kleidungsstücken, 
beim Faltenwurf des Gewandes oder beim Rollen von Matten und an- 
deren Stoffen verdanken kann. 

Der Einfluss der Flecht- und Webetecnik auf die Keramik spiegelt 
sih schon in den vorausgegangenen Kunstperioden wieder und durch 
die Natur des Geflechtes war der Weg vorgezeichnet, den der Kunststil 
einschlagen musste. Durch verschiedene Gruppierung der senkrecht oder 
schräg stehenden Flecht- oder Gewebestreifen kam man notgedrungen 
zu rein geometrischen Figuren und durch verschiedene Anordnung dieser 
Figuren ergaben sich mannigfache Variationen, die dann zu verschiedenen 
nach Zeit und Ort wechselnden Stilformen führen mussten. An einer 
grossen Reihe von Beispielen erläuterte Dr. Wilke die Ubereinstim- 
mung der Mäanderornamente auf den neolithischen Gefässen mit 
den Mustern auf Flechtwerken und gewebten Stoffen und zeigte dann, 
dass auch die Spiralornamente unter ähnlichen Einwirkungen ent- 
standen seien, und zwar durch dieVerschiebung mehrerer Gruppen von 
Kreisen, die entweder konzentrisch angeordnet und nebeneinander gestellt 
waren oder in gleicher Anordnung sich schnitten. Die Vorführung einer 
grossen Zahl von Gefássen aus Bosnien und aus Siebenbürgen mit 
Spiral- und Volutenverzierungen und der von Wilke dazu entworfenen 
Zeichnungen verschiebbarer Kreissysteme liess die Richtigkeit der 
vom Vortragenden ausgesprochenen Ansicht erkennen. 


Im weiteren Verlaufe seines Vortrags machte Dr. Wilke noch inter- 
essante Angaben über die Heimat der Spiral-Máander-Ornamentik, 
die er in das Gebiet der unteren Donau verlegt, und über ihr 
Alter, für das er nach den neuesten Untersuchungen das dritte 
Viertel des dritten Jahrtausends ansetzt. Much sucht die 
Heimat der Spiral-Mäander-Ornamentik im Harz- und Saalegebiet, von 
wo sie sih den Wanderungen der Indogermanen entsprechend fächer- 
förmig ausgebreitet haben sollte, um schliesslich im südöstlichen Mittel- 
europa durch Aufnahme neuer technischer Elemente zu höchster Voll- 
kommenheit zu gelangen. (Gerade die entgegengesetzte Verbreitung 
haben Kossinna und H. Schmidt angenommen, die beide die Ge- 
burtsstätte der Spirale nach Südosten verlegten und in der mittel- und 
westdeutschen Bandkeramik lediglih eine Ausstrahlung jener hochent- 
wicelten, nah Kossinnas jetziger Anschauung ostindogermanishen 
Kultur erblickten. Auch Wilke ist aus chronologischen Erwägungen, 
wie aus technischen Gründen zu der gleichen Auffassung gelangt. Die 
Heimat der Spiral-Mäander-Dekoration muss dort gesucht werden, wo 
man sie am einfachsten, den mathematischen Konstruktionsfiguren am 
meisten entsprechend antrifft und wo die Voraussetzungen zu ihrer 
Entwickelung, d. h. konzentrishe Kreise und Vierecke bereits bekannt 
waren. Beide Voraussetzungen trafen bisher nur für das untere 
Donaugebiet zu. 

Nicht minder schwerwiegend sind die kHhronologishen Tat- 
sahen. Nah H. Schmidts Untersuchungen ergibt sich, dass alles, 
was im südöstlichen Europa neolithisch ist, älter sein muss als Troja Il. 
Sind Dörpfelds Berechnungen richtig, so muss die Spiral- Mäander- 
Dekoration des unteren Donaugebiets in die Mitte des 3. Jahr- 
tausends v. Chr. Geb. zurückverlegt werden, und zwar ziemlich weit, 


154 IV. Biicherbesprechungen. 


da sie nicht einmal am Schlusse der südosteuropäischen Steinzeit liegt. 
Die Gräber des Rössener Typus sind, wie auch das Vorkommen des 
Leichenbrandes wahrscheinlich macht, in den Anfang der 2. Hälfte des 
3. Jahrtausends anzusetzen, und dementsprechend würde das erste Er- 
scheinen der Spiral-Mäander-Keramik in Mitteldeutschland daher aller- 
frühestens in das 3. Viertel des 3. Jahrtausends, und selbst wenn man 
ein teilweises zeitlihes Zusammenfallen mit der Rössener Periode zu- 
lässt, kaum in die Mitte des 3. Jahrtausends zu verlegen sein, d. h. 
später als im unteren Donaugebiete. Die Heimat der Spiral-Máander- 
Dekoration kann also nicht, wie Grössler neuerdings behauptete, in 
Mitteldeutschland zu suchen sein, sondern liegt im unteren Donau- 
gebiet. Dr. Gustav Albrecht. 


IV. Bucher-Besprechungen. 


A. Götze, P. Höfer, P. Zschiesche, Die vor- und frühgeschichtlichen Altertümer 
Thüringens, im Auftrage Thüringischer Geschichtsvereine und wissenschaftlicher 
Korporationen mit Unterstiitzung der Staatsregierungen von Preussen, Sachsen- 
Weimar, Sachsen - Koburg - Gotha, Schwarzburg - Rudolstadt und Schwarzburg- 
Sondershausen. Mit 24 Lichtdrucktafeln und einer archäologischen Karte. 
Würzburg, Curt Kabitzsch (A. Stubers Verlag) 1909. XLI, 466 S. 

Seit Lissauer in seinen „Prähistorischen Denkmälern Westpreussens* eine 
knapp gehaltene und doch reiche Vorgeschichte dieses Landes nebst einer nach Voll- 
ständigkeit strebenden kritischen Statistik der Funde herausgab, ist mehr als zwei 
Jahrzehnte lang für kein anderes Land eine derartige Darstellung versucht worden. 
Nun erhalten wir endlich die erste würdige, den ungeheuern Fortschritt unserer 
Wissenschaft seit 1887 klar wiederspiegelnde Nachfolge in einer Bearbeitung des 
durch seinen Siedlungsreichtum wie durch die Mannigfaltigkeit der sich ablösenden 
Kulturschichten gleich einzigartigen Thüringer Landes. Vierzehn Jahre hindurch 
haben, in oft entsagungsvoller Hingabe, drei unserer trefflichsten Vorgeschichts- 
forscher daran gearbeitet, zugleich die besten Kenner thüringischer Kultur: mit 
einem stattlichen Bande haben sie uns nun beschenkt, der eine neue Epoche 
thüringischer Forschung heraufzuführen bestimmt ist. 

Thüringen ist hier gefasst als das Land zwischen Werra und Saale, begrenzt 
durch den Kamm des Thüringer Waldes im Süden, durch den Südrand des Harzes 
im Norden. Dass somit das geschlossene, besonders nach Osten hin siedlungs- 
mässig scharf abgegrenzte Kulturgebiet des Saalebeckens von der nordsüdlich ver- 
laufenden östlichen Kartengrenze mitten durchgeschnitten wurde, ist ein schwerer 
Übelstand, wie die Bearbeiter selbst erkannt haben, liess sich aber, nachdem ein- 
mal der Kartenumriss bestimmt war, aus technischen Gründen nicht mehr ändern. 
Die drei Bearbeiter haben den Stoff in der Weise untereinander verteilt, dass 
Höfer (Wernigerode) den an den Harz stossenden Nordteil, Zschiesche (Erfurt) das 
Kernstück des Landes, Götze (Berlin) die Flussgebiete der Saale und der Werra 
in Arbeit nahmen. Zschiesche eröffnet die Darstellung mit einer Mitteilung der 
massgebenden Gesichtspunkte im Plane des Werkes und schildert sein Werden 


IV. Bücherbesprechungen. 155 


(S. I—VID. Darauf folgt eine Übersicht über die Vor- und Frühgeschichte Thüringens 
von Götze (S. IX—XLI), dann die Statistik der Funde von allen dreien Verfassern 
(S. 1—393), dazu Nachträge von Höfer (S. 394—400), endlich ein überaus sorgsam 
gearbeitetes und übersichtlich gestaltetes Literaturverzeichnis von Höfer. Die von 
Götze auf 24 Tafeln angeordneten 379 Abbildungen, ein unentbehrlicher Bestandteil 
des Ganzen, machen den prächtig ausgefallenen Beschluss des Werkes, dessen 
gesamter Inhalt bestehend in mehr als 10000 Nummern auf der im Massstab 
von 1:100000 ausgeführten Karte nach einem gut gewählten Zeichen- und Farben- 
system, das in Zukunft hoffentlich überall festgehalten werden wird, eingetragen 
worden ist und hier mit einem einzigen, wenn auch nicht gerade kurz zu be- 
messenden Blick überschaut werden kann. 

Ungünstig erscheint nur die Anwendung der kaum hervortretenden schwarzen 
Farbe, die für chronologisch unbestimmbare Eintragungen gewählt ist, auch zur Be- 
zeichnung der Menhirs, deren Anzahl 23 betragen soll, aber deren Standorte allein 
von der Karte her ohne Durchnahme des gesamten Textteiles nur sehr schwer zu 
ermitteln sein dürfte, zumal auch ein Sachregister fehlt, während ein Ortsregister 
beigegeben worden ist. | 

Bei der Anordnung der Fundstatistik ist der geographische Gesichtspunkt 
der ausschlaggebende, insofern die Kreiseinteilung zugrunde liegt, innerhalb der 
Kreise die Ortschaften in alphabetischer Reihe behandelt worden sind und die 
Chronologie der Funde erst als letztes Einteilungsprinzip gilt. Ich würde statt 
dessen lieber, wie es bei Lissauer und auch in Höfers Literaturverzeichnis geschehen 
ist, das chronologische Moment an erster Stelle berücksichtigt haben, wodurch weit 
eher ein gewisser Überblick über die Kulturentwicklung zu erreichen gewesen 
wäre. Aber vielleicht waren in diesem Punkte den Verfassern von den unter- 
stützenden Lokalvereinen hindernde Verpflichtungen auferlegt worden. Voll- 
ständigkeit ist natürlich nach Möglichkeit angestrebt worden; aber dass ausser den 
sogleich beigegebenen Höferschen Nachträgen sehr bald eine weit grössere Nachlese, 
vielleicht sogar genügender Stoff für einen eigenen Nachtragsband sich ansammeln 
wird, scheint nach einer Bemerkung Zschiesches von den Verfassern selbst ange- 
nommen zu werden. Wir möchten das als erste Frucht der Anregungen erhoffen, 
die von dem Werke zweifellos ausgehen werden. Um ein paar nur zufällig auf- 
gestossene Lücken zu nennen, so weise ich darauf hin, dass unter dem Stichwort 
„Merseburg“ bei Aufführung der Skelettgräber der Schnurkeramik ein im Britischen 
Museum befindlicher hoher Schnurbecher zu erwähnen war, der nach der Abbildung 
im Bronzezeitführer des Britischen Museums (Tf. VI, 8) dem Wernigeröder Exem- 
plar eines Merseburger Schnurbecher sehr ähnlich sieht. Die schöne Merse- 
burger Amphore des Berliner Museums aber ist abgebildet in Henne am Rhyns 
deutscher Kulturgeschichte 1? S. 7 Fig. 37, einem Werke, von dessen zahlreichen 
Abbildungen aus dem Berliner Museum kaum einer unser Prähistoriker Kenntnis 
zu haben scheint. Aus den vielen im Dunkel verborgenen Privatsammlungen seien 
hier die Beigaben aus schnurkeramischen Skelettgräbern von der Zuckerfabrik in 
Artern an der Unstrut genannt, die im Besitze unseres Vorstandsmitgliedes Dr. Gustav 
Albrecht in Charlottenburg sich befinden. Ferner verweise ich auf die Allstedter 
Funde von Dr. Hans Hahne in Hannover. Um auch von ältester Literatur etwas 
nachzutragen, so sei der mit Abbildungen versehene Bericht über Ausgrabung eines 
Urnengräberfeldes bei Ermsleben, Mansfelder Gebirgskreis, hervorgeholt, den der 
Halberstädter Konrektor Paul Christ. Höpfner in seiner „Germania antiqua“ 
(Halle 1711) bringt (neuer Abdruck oben S. 127 f.). 


Eine treffliche Arbeit ist Götzes Übersicht über die Vor- und Frühgeschichte 


156 IV. Bücherbesprechungen. 


des Gebietes. Wer berücksichtigt, wie exponiert die Stellung gerade dieses Gelehrten 
im Kampfe der wissenschaftlichen Meinungen, namentlich in allen Fragen der 
Steinzeitkultur, im letzten Jahrzehnt gewesen ist, wird nicht ohne hohe Anerkennung 
seine streng objektive, alle strittigen Fragen fast zu sehr vermeidende Darstellung 
aufnehmen. Zu begrüssen ist es auch, dass sich Götze rückhaltlos zu der Berech- 
tigung und Notwendigkeit der Frage nach den Volksgemeinschaften, die hinter den 
Funden stehen, bekennt. Einspruch erheben muss ich hier nur gegen die von ihm 
etzt wiederholte, wenn auch mit Fragezeichen versehene Vermutung, dass das von 
Norddeutschland nach Thüringen eindringende Volk der Kugelamphoren bereits die 
Germanen wären. Wer die ganze Folge der früheren und späteren Völkerbewegungen 
in ganz Mitteleuropa überschaut bis zur endgiltigen germanischen Eroberung 
Thüringens in der frühen Latenezeit — im letzten Punkte stimmt mir ja auch Götze 
zu —, kann in der Bevölkerung der Kugelamphoren, die ja nur bis in den 
Anfang der Bronzezeit in Mitteleuropa fortlebt, um dann völlig auszuwandern, nur 
Nordindogermanen, nicht aber bereits Germanen sehen. Mit vollem Recht erhofft 
der Verfasser, nicht nur für Anfänger und Interessenten eine geeignete Einführung 
in die thüringische Vorgeschichte darzubieten, sondern auch dem kundigsten Fach- 
mann ein gutes Hilfsmittel für Forschung und Darstellung und auch manchen 
trefflichen Wink gegeben zu haben. 

Wir wünschen dem Werk einen schönen, raschen Erfolg, den es verdient, 
auf dass wir eine baldige, auf den doppelten Umfang vermehrte Auflage erleben, 
die dann auch die Behandlung des gesamten Saalegebietes miteinschliessen möge. 

G. Kossinna. 


Eichhorn, Dr. Gustav, Die paläolithischen Funde von Taubach in den Museen 
zu Jena und Weimar. Mit 39 Tafeln und 301 Abbildungen. Jena, Gustav Fischer 1909. 
Wenn man die Funde von Taubach-Ehringsdorf der letzten drei Jahre schon 
vor dem Beschluss der Veröffentlichung des vorliegenden Tafelwerkes — es ist eine 
Festschrift zum 350 jährigen Jubiläum der Universität Jena — gemacht hätte, dann 
wäre vielleicht die Abbildung vieler Silexstücke unterblieben. Der Verfasser weiss 
das ganz gut, er sagte sich aber offenbar, wie nützlich es sei, wenn endlich ein- 
mal der Allgemeinheit in musterhaften, einwandfreien Abbildungen zugänglich 
gemacht würde, was man bisher als menschliche Artefakte der ältesten paläo- 
lithischen Station in Deutschland ansehen musste. 

„Bei einem Versuch, die Taubacher Steinwerkzeuge nach einem bestimmten 
System zu ordnen, das sich auf die Formen derselben aufbaut, stösst man auf 
Schwierigkeiten, da viele Stücke durchaus charakterlos sind und nicht hier oder 
dort untergebracht werden können. Verhältnismässig viel Spitzen gibt es, flache 
blattfórmige sowohl, wie lange, schmale, dreikantige und dicke. Demnächst sind 
klingenförmige zu nennen, im Querschnitt drei- oder vierkantig, ferner scheiben- 
förmige, im Querschnitt flache und dicke. Da unter den Taubacher Formen typische 
Formen fehlen, ist auch die speziellere Zeitstellung innerhalb des Paläolithikums 
schwierig“. So der Verfasser. Jetzt liegt die Sache anders. So lange kein gründ- 
licher Gegenbeweis für die Annahme der Gleichaltrigkeit von Taubach und 
Ehringsdorf erbracht wird, müssen wir Taubach dem spätesten Mousterien oder 
dem Aurignacien zuweisen. Das konnte Verworn schon vor Jahren auf Grund 
der in dem Eichhornschen Atlas auf 35 prächtigen Tafeln dargestellten Funde 
aussprechen, ehe noch die neuen wirklich typischen, tadellos retuschierten Spitzen 
und Doppelspitzen gefunden waren. Die allgemeine Form, die Ausbrechungen, 
die Absplitterungen und die Retuschen geben zu denken; Eichhorn hat nun ein- 


IV. Biicherbesprechungen. 157 


fach alle alten Stücke abgebildet: 251 photographische Aufnahmen von Steinen 
und 21 von Knochen, Prachtleistungen der Ateliers von Zeiss-Jena, auf zusam- 
men 39 Quarttafeln, denen vielfach saubere Federzeichnungen der charakteristischen 
Stücke zur Klärung der verschiedenartigen Randbeeinflussung gegenübergestellt 
sind, sollen den Leser selbst entscheiden lassen. Diese Klärung des photo- 
graphischen Lichtdruckes durch Zeichnung müsste bei so diffizilen Sachen eigentlich 
Regel werden. Herr Eichhorn hat freilich zur Ausführung dieser idealen Ver- 
öffentlichungsart einen splendiden Verleger gefunden. Wegen seiner Idee ist der 
Verfasser sehr zu loben und seines Fleisses wegen — er hat all die sau- 
beren Federzeichnungen selbst gemacht — nicht minder. Der Text beschränkt 
sich auf die Beschreibung der wichtigsten Stücke gleich unterhalb der Zeichnungen, 
auf 2 Seiten Vorwort und auf 8 Seiten Allgemeines; Kritik sollte in der Haupt- 
sache vermieden werden, und das war bei dem vorzüglichen Abbildungsmaterial 
ganz richtig. 
Weimar. A. Möller. 


Pfeiffer, Dr. L., Geh. Med. Rat, Über die Skelettreste des Menschen und die 
bearbeiteten Tierknochen aus der Diluvialzeit Thüringens. Sonderabdruck aus 
Korrespondenz-Blätter des Allgem. ärztl. Vereins von Thüringen. Weimar 1909. 
29 S. 8°. 

Angeregt wurde die Arbeit durch neu gefundene bearbeitete Knochen aus 
den Travertinen von Ehringsdorf sowie durch die Bekanntschaft mit Hunderten von 
rohen neolithischen „Steinbeilen* und Knocheninstrumenten aus Schweizer 
Pfahlbauten, die nicht ohne weiteres — wie die Beile — als Werkzeuge zum Hauen 
und Schlagen angesehen werden können. Daraufhin prüft der Verfasser die schon 
bekannten Funde aus dem limtal und der Hyänenhöhle zu Gera und stellt den 
bisherigen Verwendungsannahmen neue entgegen, die wesentlich auf die Gerberei 
hinauslaufen. Wie Mason in seinem Werke „Aboriginal skin dressing“ an hundert Bei- 
spielen die mannigfachsten Geräte aus Holz, Knochen, Horn und Stein in ihrer 
Verwendung bei der Verarbeitung von Tierhäuten, Därmen und Sehnen beschreibt, 
so glaubt Pfeiffer in den zylindrischen Knochenabschnitten, den flachen, ganz 
wechselvoll gestalteten Knochenplatten, den schmalen meisselartigen Artefakten, 
den Pfriemen, zugespitzten Geweihsprossen und den ausgekerbten Metakarpal- 
knochen der paläolithischen Stationen Thüringens Werkzeuge zur Herstellung von 
Leder, Riemen usw. zu erblicken. Die oft auffällig abgenutzten Gelenkpfannen der 
Schulterblätter, und der seit Portis als Trinkgefässe angesprochenen Beckenknochen 
muss er deshalb nach amerikanischen Vorbildern als Fellschaber erklären. Die Kerben 
und Kritzel auf dem bekanntesten Beispiele, dem „Becher“ aus Taubach im Städt. Mu- 
seum zu Weimar, führen ihn zur Anwendung der grösseren Knochen als Hacke- 
bretter, Ambosse, d. h. Unterlagen oder Stützflächen für das z. B. zuzuspitzende 
Holzstück, von denen Weimar aus La Micoque eine ganze Reihe besitzt und denen 
sich diejenigen aus Ehringsdorf (Fig. 21, 22 und 24) ganz gut anschliessen würden. 
Tragen die in Fig. 12 und 13 abgebildeten Stücke wirklich absichtliche Gravierungen, 
dann wären nach der französischen Chronologie die Funde der Hyänenhöhle nicht 
einheitlich. Der Wellenlinie in Fig. 25 setzt der Verfasser mit Recht das war- 
nende? bei. — Die kleine Arbeit sollte eine Zusammenfassung der bearbeiteten 
paläolithischen Knochen geben ; man hätte dann aber auch auch das Hildesheimer 
Museum und das fragliche walzenförmige Spongiosastück aus Jena berücksichtigen 
müssen. Die auf den letzten Seiten der anregungsreichen Schrift gebotene Ex- 


158 IV. Bücherbesprechungen. 


kursion in die Praxis der primitiven Gerberei (mit eigenen Versuchen) könnte zu 
weiteren Experimenten veranlassen und dann sicherlich manche prüfungswerte 
Gesichtspunkte zur Beurteilung der Verwendungsweise prähistorischer Geräte über- 
haupt liefern. Der Systematik, Chronologie und Typologie will die Arbeit nicht 
dienen; aber die Ansichten über den materiellen Besitzstand des Paläolithikums 
dürften durch derartige kulturgeschichtlich-technische Betrachtungsweisen erweitert 
werden. 
Weimar. A. Möller. 


F. Max Näbe, Die steinzeitliche Besiedlung der Leipziger Gegend unter beson- 
derer Berücksichtigung der Wohnplatzfunde. M. 6 Taf., 2 Karten und 121 Abb. 
im Text (Veröffentlichungen des Städtischen Mus. f. Völkerk. zu Leipzig H. 3). 
Leipzig 1908. 58 S. 4°, 


Es gibt im Königreich Sachsen wenige Gebiete, die aus neolithischer Zeit ein so 
reiches Material geliefert haben, wie die Leipziger Tiefebene. Die Zahl’ der Einzel- 
funde von Steingeräten beträgt hier allein über 2000. Besondere Erwähnung ver- 
dient darunter eine Zahl nordischer Feuersteinbeile und Dolche, die nur durch 
Import in unsere Gegend gelangt sein können. Bemerkenswert sind die in der 
ältern Literatur verstreuten Nachrichten über angebliche Pfahlbauten, von denen 
an drei Stellen Reste gefunden worden sein sollen. Leider hat sich mit Ausnahme 
von der 1873 beim Bau des Elster - Saale-Kanales aufgedeckten Anlage von Funden 
nichts erhalten und auch vondieser sind nur einige Steingeräte übriggeblieben, während 
die Gefässreste verloren gegangen sind. Von Grabfunden sind ausser zahlreichen 
einzelnen Gefässen mit Schnurverzierung und zwei Kugelamphoren, die wohl trotz 
des Fehlens von Skelettresten als Grabbeigaben aufzufassen sind, besonders hervor- 
zuheben zwei grössere Gräberfelder bei Cröbern und Miltitz und mehrere Hügel- 
gräber in Bienitz, sämtlich der Zeit der Schnurkeramik angehörig. Ausserdem fanden 
sich noch zwei Hockergräber in Altranstädt und eines in Günthersdorf, deren 
keramisches Inventar nach Deichmüller in den Aunetitzer Gräbern von Wiederau, 
Pegau, Riesa, Döbeln und Meissen Analogien hat. Von Wohnstättenfunden ist 
besonders bemerkenswert eine Siedlung bei Móritzsch. Der Umstand, dass sich 
hier nur Scherben mit Winkel- und Stichbandkeramik fanden, Spiralbänder - Ke- 
ramik. dagegen völlig fehlte, bildet einen neuen Beleg für die von mir an anderer 
Stelle aufgestellten These, dass wie am Rhein so auch in Mitteldeutschland diese 
verschiedenen Stilarten zeitlich zu trennen sind. Das gleiche gilt von der grossen 
Station von Eutritzsch (über 200 Herdstellen!), wo in den westlichen Herdgruben 
nur Stich- und Winkelbandkeramik, in den östlichen nur Spiralbänder - Keramik, 
in den in der Mitte gelegenen beide Typen gemischt vertreten waren. Zu 
bedauern ist nur, dass diese grosse und interessante Siedelung nicht, wie ich es s. Z. 
dem Grassi-Museum vorschlug, systematisch untersucht worden ist, da eine metho- 
dische Ausgrabung, wie sie sich ein Privatmann in Anbetracht der hohen Kosten 
nur ausnahmsweise leisten kann, neben sonstigen wichtigen Ergebnissen gewiss 
auch Gelegenheit zu eventuellen stratigraphischen Beobachtungen geboten haben 
würde. Bemerkt sei noch, dass sich in dieser Siedlung 8 m von eine Herdstelle 
entfernt zwei als liegende Hocker beigesetzte Erwachsene — freilich ohne Beigaben — 
fanden, während in Möritzsch in einer Herdstelle selbst aus dem Boden ein Kinder- 
skelett, gleichfalls liegender Hocker, aufgedeckt wurde. Übrigens bildet die Beisetzung 
innerhalb der Wohnung durchaus nicht ein vereinzeltes Vorkommnis, wie Herr Näbe 
annimmt. Weitere Beispiele kenne ich von Stützheim i. E., Michelsberg b. Unter- 
grombach in Baden, im Mansfelder Seekreis, Gross Tschernosek und Lobositz a. E. in 


IV. Bücherbesprechungen. 159 


Böhmen und besonders aus Griechenland, so Akropolis in Athen; Eieusis; Therikos; 
Orchomenos (Bulle, Orchomenos S. 68), wo sich die Erinnerung an diese uralte 
Bestattungssitte bis in die klassische Zeit erhalten hat. Ebenso ist Bestattung 
in Wohnungen neuerdings auch in Thanech und Megiddo in Palästina festgestellt 
worden. -- Wenn auch die Schlussfolgerungen des Verf. bei Fachleuten auf 
manchen Widerspruch stossen und insbesondere die Anschauungen über die 
Schnurkeramik keine Zustimmung finden werden, so bildet doch die vorliegende 
Publikation, die weiten Kreisen das in vielen Privat- und öffentlichen Sammlungen 
verstreute Material zugängig macht, eine sehr willkommene Gabe, deren Wert 
durch die zahlreichen guten Abbildungen und die vorzüglichen, kostspieligen Tafeln 
noch besonders erhöht wird. 


Chemnitz. 4 Georg Wilke. 


Karl Jacob, Die La Téne-Funde der Leipziger Gegend. Ein Beitrag zur vor- 
geschichtlichen Eisenzeit der Leipziger Tieflandsbucht. Mit 29 Tafeln und 1 Fund- 
karte. Sonderabdruck aus dem Jahrbuche des Städtischen Museums fiir Völker- 
kunde zu Leipzig. Band Il 1907. Leipzig 1908. 41 S. 4°. 


Gleichzeitig mit der Darstellung der Steinzeit der weiteren Leipziger Umgebung 
durch M. Näbe bietet das Leipziger Museum für Völkerkunde in dankenswertester 
Weise eine solche der Laténe-Periode durch den neugewonnenen Fachmann für die 
vorgeschichtlihe Abteilung. Mit dieser Erstlingsarbeit, die bescheidenerweise nur 
das bisher, meist durch Zufallsfunde gewonnene Material vereinigt vorführen und 
damit zu systematischen Nachgrabungen und eindringenderer Forschung anregen will 
führt sich Jacob auf vorteilhafte Art in den Kreis der Vorgeschichtsforscher ein. 

Zunächst werden die Grabfunde vorgeführt in einer Ausdehnung, die nord- 
wärts bis Delitzsch (Schenkenberg und Löbtau), südwärts an der Elster bis Pegau 
und Zeitz, westwärts in den Kreis Merseburg hinein bis zur Saale (Kl. Corbetha) 
sich erstreckt, deren reichster Mittelpunkt aber die Leipziger Gegend und namentlich 
Leipzig-Süd (Connewitz) bildet. Daran schliesst sich eine Beschreibung dreier Wohn- 
stättenfunde und den Beschluss machen allgemeine Folgerungen und Betrachtungen. 
Neben wenigen bereits anderwärts gegebenen Veröffentlichungen, die hier teils ein- 
fah wiederholt, teils erweitert vorgeführt werden, wie die Hallishen Funde des 
Gräberfelds von Kl. Corbetha, Kr. Merseburg, oder die Dresdener aus Pegau, wird 
in der Hauptsache neues Material geboten, das bisher nur denjenigen wenigen 
Forschern bekannt war, die eingehendere Studien in den Museen und Privatsamm- 
lungen der Gegend gemacht haben. Namentlich seien die schönen Funde der seit 
ihrem Verkauf an das Berliner Museum für Völkerkunde unzugänglich gewordenen 
Sammlung Reichsgerichtsrat Langerhans (Leipzig-Arndtstrasse, Connewitz, Cröbern: 
diese reichen Gräberfunde aus Cröbern sind von Jacob nicht einmal erwähnt worden) 
und die ebenso wertvolle, nunmehr dem Leipziger Museum als Leihgabe übergebene 
Sammlung des Pfarrers Rosenthal in Probstheida (Gräberfeld Cröbern). 

Ausserordentlih stark vertreten, ganz wie in Thüringen, sind auch in den 
Leipziger Funden die feintonigen, dünnwandigen, shwarzgeshmaudten, gedrehten 
Tongefässe, ein Erbteil der soeben von den Germanen hier verdrängten keltischen 
Bevölkerung. Ganz ausgeschlossen erscheint es, dass diese von Jacob als “terra nigra’ 
bezeichnete Ware, deren Verbreitung von Dresden nach Rheinhessen den Weg der 
Ausbreitung der herminonishen Germanen über die keltischen Sitze der Laténe- 
Zeit in Mitteldeutschland wiederspiegelt — wie ich bereits 1907 gezeigt habe —, 
als Importware aus keltischen Ländern anzusehen wäre, wie Jacob meint, der die 
Feststellung dieser frühesten germanischen Drehscheibenarbeit zudem fälschlih für 


160 -IV. Bücherbesprechungen. 


eine neue Entdeckung hält. An Import, jedoch nur aus dem Saale-Elstergebiet her, 
könnte man vielleicht bei den wenigen Stücken dieser Art denken, die bis jetzt aus 
dem nordöstlichen Anhalt und der westlichen Mark Brandenburg zutage gekommen 
sind. Eingehender dies Thema zu erörtern, muss ich einer besonderen Darstellung 
vorbehalten. -— Ungenügend sind die chronologischen Bestimmungen, die noch ganz 
im alten Tishlershen Fahrwasser laufen, trotzdem Jacob von den neuern genaueren 
Untersuchungen dieser Fragen Kenntnis hat. Ein weiterer Mangel ist die Unbe- 
kanntschaft mit den Ergebnissen meiner Mäanderverzierungsforschung, infolgedessen 
Erzeugnisse kaiserzeitliher Radchentechnik der Latène -Zeit zugeschrieben werden. 
Ganz irre gegangen ist der Verf. bei den Grabfunden von MGritzsch, Kreis Merseburg, 
die übrigens, soweit sie der Sammlung Waase-Neuruppin angehören, sehr unvoll- 
ständig mitgeteilt sind, wie ich aus einem mir vorliegenden Manuskript des Herrn 
Waase ersehe. Aber ohnehin ist klar, dass neben offenkundigen Laténe-Grabern, 
aus denen z. B. die Urne Taf. III 19 stammt, ebenso sicher kaiserzeitliche und zwar 
nicht solche aus der früheren Kaiserzeit dort aufgedeckt sind, aus denen z. B. die 
Fussurne Taf. HI 20 herrührt, die keineswegs, wie Jacob meint, eine Laténe-Form 
darstellt, ebensowenig wie das Taf. HI 21 abgebildete Brucdhstück eines tónernen 
Beigefässes, das mit Reihen von aufgesetzten Buckelchen verziert ist, die Bronze- 
gefässnietköpfe nachahmen, sowie mit je einem in die Henkelösen eingehängten 
Tonringe, auf die Hallstattkultur zurücweist, wie Jacob denkt, sondern ganz 
charakteristishe Merkmale der späteren Kaiserzeit besitzt. 
Den weiteren Arbeiten des Verfassers sehen wir mit Interesse entgegen. 
G. Kossinna. 


Erich Blume, Verzeichnis der Sammlungen des Uckermärkischen Museums- und Ge- 
schichtsvereins in Prenzlau. Im Auftrage des Vorstandes bearbeitet. Prenzlau 1909 
(1908). 103 S. 8°. Mit 125 Abb. 


Vorbedingung für das schnelle und nachhaltige Aufblühen der Vorgeschichts- 
wissenschaft in den skandinavischen Ländern seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts 
war nicht sowohl die Menge der Funde, als vielmehr ihre gute Ordnung in den 
Museen und deren mustergiltige Veröffentlichungen, die für die weitere Verarbeitung 
des Fundmateriales eine feste Basis gaben. — Auch in Mitteleuropa, besonders in 
Deutschland hat eine rege, stellenweise begeisterte Sammeltätigkeit im vorigen 
Jahrhundert reiche Schätze aufgehäuft, aber sie sind bis heute in wörtlichem Sinne un- 
übersehbar, da nur von wenigen Sammelstellen für die Dauer brauchbare Ver- 
öffentlichungen ausgingen und gar Sammlungs-Verzeichnisse und Führer, die wirk- 
lih führen, dem Laien wie dem Forscher fast gänzlich fehlen! Jetzt kommt ein 
solher nun aus dem kleinen Prenzlauer Museum, dessen Name für den Prä- 
historiker guten Klang hat durch Schumann-Miecks' Uckermarkische Megalith-Gräber- 
forschung, das Urnenfeld von Oderberg-Bralif, sowie manche Leckerbissen, wie die 
Depotfunde von Arnimshain und Alexanderhof und das prächtige Grab von Damme. — 

Dass aber noch viele andere Schätze in dem Prenzlauer Museum, das seit 
1899 in der umgebauten Heiligengeisthospitalkirche untergebracht ist, „schlummerten“, 
zeigt uns Blumes Sammelverzeichnis. Ein erfreuliches Büchlein, von dem man wirklich 
„etwas hat“! Erstens und vor allem eine wissenscaftlihe Materialsammlung, die 
selbständigen Wert beanspruchen kann; als Führer und kritisches Verzeichnis 
kommt es seiner Pflicht weit mehr nach als irgend eine demselben Zweck dienende 
Schrift nicht nur in Deutschland. 

Vorgeshichtlihe Museen sind in Deutschland zumeist noch eine Welt in der 
man sich langweilt. Man sieht doch aber am Prenzlauer Verzeichnis, dass es möglich 


IV. Bücherbesprechungen. 161 


ist, eine auch dem Laien zusagende Einführung in die vorgeschichtlichen Funde zu geben; 
allerdings muss sie ein Fachmann herrichten: die Sammlung und den Führer da- 
zu! Das ist das Geheimnis, das unsere vielen, vielfach hochwertvollen deutschen 
vorgeschichtlihen Sammlungen seither meist auf dem Niveau unfruchtbarer Sammel- 
stellen hält: das Fehlen fahmännischer Leiter oder Bearbeiter! Blume ist Kossinna- 
schüler, also gewöhnt an strengkritisches Arbeiten, das aber von weiteren Gesichts- 
punkten beherrscht wird. Das Prenzlauer „Verzeichnis“ ist eine der ersten Nuan- 
wendungen der Studien der jungen Berliner Schule für Vorgeschichte! Es steckt 
mehr Arbeit in solh einer Schrift, als man denkt. Ehrliche und strenge Arbeit am 
Material ist aber der einzige Schlüssel für die Erschliessung der Vorzeit! Das Prenz- 
lauer Verzeichnis ist nach folgender Disposition verfasst: 


l. Vorrede und Vorwort betr. die Geschichte des Museums und der vorge- 
schichtlihen Forschung in der Uckermark. 

ll. Die vorgeschichtlichen Altertümer eingeteilt (und aufgestellt) in die Ab- 
schnitte: Steinzeit, Bronzezeit, Laténe-Zeit, röm. Kaiserzeit und slawische Zeit. Jedem 
Abschnitt ist ein knapper und doch alles Wesentliche bringender Überblick über die ucker- 
märkischen Verhältnisse der betreffenden Zeit vorangestellt. Die Ergebnisse der Kossin- 
naschen Arbeiten liegen den Ausführungen zugrunde. Diese 5 Kapitel bilden zusammen 
einen für Laien und Forscher sehr brauchbaren Abriss der uckermärkischen Vor- 
geschichte, reich illustriert durch die Abbildungen charakteristisher Funde aus dem 
Museum. Aus der Übergangszeit vom Quartär zur geologischen Jetzt- 
zeit (Ancylus- und Litorinazeit der Ostsee entsprechend) stammen die ältesten sicheren 
Funde mensdlicher Kulturreste: ziemlih spärlihe und nicht sehr charakte- 
ristische Einzelfunde von einfachen Stein- und Knodengeráten. Der jüngeren 
Steinzeit gehören u. a. Einzelfunde der ältesten Beiltypen an, Vorläufer 
der in den Gräbern der Blütezeit gefundenen. Während der neolithishen „Gräber- 
zeit“ gehört die Uckermark völlig in den nordeuropäischen Kulturkreis, 
den die Tiefstichkeramik kennzeichnet und der uns für das Quellgebiet 
der Indogermanenauswanderungen gilt. Vom Kreise der Nachbarkulturen erreichen 
nur wenige Importe (bandkeramische Steingeräte) die Uckermark. Für alle charakte- 
ristischen Erscheinungen der norddeutschen Megalithgräberzeit bietet das Land und 
das Museum viele Beispiele. 

In der Bronzezeit liegt die Uckermark bis auf ein kleines Gebiet im Süd- 
osten ganz im Bereih der nordeuropäischen Gruppe, die die germanische 
zu nennen ist, da sich schon aus ihr ohne Unterbrechung die frühgeschichtliche Kultur 
der Germanen herleitet. Jener, Südostwinkel fällt seit der Ill. Periode der 
Bronzezeit ins Gebiet der weitausgedehnten ungarisch-ostdeutschen Gruppe (der „kar- 
podakischen“ nach Kossinna. Zeitschrift f. Ethnol. 1902). Das Urnenfeld von Oder- 
berg-Bralit ist ein Beispiel der älteren karpodakischen Gräberfelder; die jüngeren 
sind spärlich vertreten. 

Völlig westgermanischen Typus haben die uckermärkishen Funde der 
Latönezeit bis auf wenige ostgermanische Einstreuungen im Kreise Anger- 
münde. Der Norden des Kreises Prenzlau zeigt während der Laténezeit engere 
Beziehungen zu Pommern (Urnen in Steinpackung, darüber Brandschüttung) gegen- 
über den andern Kreisen, die sih den andern Nachbsrn anschliessen (Urnen in 
freier Erde oder in Steinpackung, aber ohne Brandschüttung). In derälterenKaiser- 
zeit (1.—11. Jhdt. n. Chr) bleibt die Uckermark dem westgermanischen Kulturgebiet 
zugehörig; inderspäteren (Ill. IV. Jhdt.) wird sie ostgermanisch offenbar durch 
Vershiebungen der Bevölkerung. Sichere Unterlagen für Nennung von Stammes- 
namen fehlen noch für die Uckermark in diesen Jahrhunderten. Im V. Jahrhundert 

Mannus. Bd. I, 11 


162 V. Nachrichten. 


verliert die Uckermark, wie ganz Ostdeutschland, ihre Bevölkerung und damit 
die Möglichkeit vorgeschichtliher Funde. Die Zeit der slawischen Besiedelung 
trägt die gleichartigen Züge von ganz Norddeutschland. Die spärlihen geschicht- 
lichen Nachrichten der Frühzeit treffen die Uckermark erst sehr spät, erst nach 
der im XII. Jahrhundert vollendeten Zurückeroberung Ostdeutschlands durch 
die Deutschen. 

Wir wünschen dem Katalog schnelle Neuauflage, auch schon deshalb, weil 
dann vielleicht Glanzpapiertafeln die grossenteils mangelhaften Textdrucke ersetzen 
könnten! Ein uckermärkisches Fundortsverzeichnis und ein solches der grossen und 
kleinen vorgescichtlihen Sammlungen innerhalb der Uckermark und endlich eine 
Literaturübersicht, uckermärkische Vorgeschichte betreffend, sind Zugaben, die künftig 
in keinem derartigen Führer fehlen sollen. 

Der gesdidtlihe Teil des Museums ist Inhalt des zweiten, weniger ein- 
gehend bearbeiteten Abschnittes des Verzeichnisses. Ein Gobelin aus Hindenburg 
und die Reste des Prenzlauer Rolands verdienen hier besondere Beachtung. 

Hannover. H. Hahne. 


V. Nachrichten. 


— nl 


Der Nordwestdeutsche Verband für Altertumsforschung 
in Kassel. 


Bei der Tagung des Nordwestdeutschen Verbandes in Kassel vom 
13.—15. April d. Js. wurden die Verhältnisse und Vorgänge mehrfach zur 
Sprache gebracht, die sich seit der Gründung und dem ersten Auftreten 
unserer Gesellschaft entwickelt haben. Da diese Dinge doch einmal im Zu- 
sammenhang besprochen werden müssen, ist an dieser Stelle hierfür vielleicht die 
beste Gelegenheit gegeben. 

Dass der Zusammenschluss der deutschen Vorgeschichts- 
forscher und -Freunde in unsern Kreisen nachweislich seit Jahren geplant ist, 
darüber spricht der Bericht der gründenden Versammlung (s. oben S. 9f.). Von den 
Vorgeschichtsforschung treibenden Museen innerhalb Preussens 
waren ausserdem seit Jahren energische Bestrebungen ausgegangen, eine Museen- 
vereinigung zu schaffen zu gemeinsamer Arbeit an der vorgeschichtlichen 
Forschung, besonders um die leidige Frage der Ausgrabungskompetenzen, sowie 
die der einheitlichen musealen Verwertung und der so notwendigen Förderung der 
wissenschaftlichen Veröffentlichung der Funde zu lösen. 

Dieses Unternehmen scheiterte an der mangelnden Einigkeit und besonders 
daran, dass das „Zentralmuseum * in Berlin während des Interregnums nach 
Voss’ Tode nicht in der geeigneten Weise seine Stellung und Tätigkeit in diesem 
Zusammenschluss durch einen genügend bevollmächtigten Vertreter übernehmen 
konnte. 

In Bayern haben die gleichzeitig einsetzenden gleichartigen Bestrebungen 
unterdessen zu einer höchst erfreulichen Organisation geführt, in Preussen nur in 
der Provinz Hannover. 


V. Nachrichten. 163 


Während diese Bestrebungen, diepreussischen Musee n zusammen- 
zuschliessen also vorláufig ruhten, setzten nun desto energischer unsere Bemii- 
hungen ein, den andern Teil der als notwendig erkannten Organisation der deutschen 
Vorgeschichtsforschung zu erledigen, den freien Zusammenschluss derEinzel- 
personen, Vereinigungen und Institute in Deutschland, die Vorge- 
schichtsforschung treiben wollen, und sie führten zur Gründung unserer 
Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte, die also von vornherein 
alseinKorrelatzu der erhofften Museenvereinigung gedacht war! 

War für den vor allem praktische Ziele verfolgenden Museenzusammen- 
schluss das Zentralmuseum in Berlin der gegebene Kristallisationspunkt, 
zunächst wenigstens für Preussen, so war es für eine deutsche Gesellschaft 
für Vorgeschichte doch natürlich der Zusammenschluss der Fachleute unter 
Vorsitz des Vertreters des ersten deutschen Lehrstuhles für deutsche Vorge- 
schichte. 

Der grosse sofortige Erfolg des Rufes zur Gründung unserer Gesellschaft 
beweist genügend, dass diese unsere Überlegungen richtig waren. 

Die somit auf einen richtigen und sichtlich erfolgreichen Weg gebrachte 
Entwickelung der Organisationsbestrebungen wurden aber gestört durch 
zwei Dinge: kaum zu entwirrende Fäden persönlicher guter und schlechter 
Beziehungen „der Tonangebenden in der Wissenschaft“ mit ihren Folgen, den 
dazugehörigen polemischen Auseinandersetzungen, verschleierten das 
Bild des Vorganges der „Befreiung der deutschen Vorgeschichtsforschung” in den 
Augen mancher Kreise; und leider bekam unsere Gesellschaft durch die Form 
eines zu heftigen Ausbruchs dieser Unterströmungen bei ihrer Begründung den 
Anschein einer „pietätlosen* Sezession der Vorgeschichtswissen- 
schaft aus dem Schoss aller der wissenschaftlichen Gesellschaften und Verbände, 
die bisher den in Deutschland solange unmündig gebliebenen (bzw. für unmündig 
gehaltenen) Forschungszweig bemuttert (bzw. bevormundet) hatten und naturgemäss 
nicht glauben möchten, dass er zum Aschenbródel geworden war, seit seine Be- 
handlung nicht mehr entsprach seiner wachsenden Bedeutung. Nachträgliche 
Einrichtung von „prähistorischen Fachsitzungen* seitens jener Gesellschaften und 
ähnliches sollen unsern bereits vollzogenen freien Zusammenschluss als unnötig 
erscheinen lassen. Auf Grund dieser Vorgänge konnte ein zweites verwirren- 
des Moment erstarken. Von der vorgeschichtlichen Abteilung der Berliner 
Museen ist nämlich statt der erwarteten Verfolgung des alten Programms des 
Museenzusammenschlusses, von dem u. a. auch das Wiedererstehen der 
leider eingegangenen „Nachrichten über deutsche Altertumsfunde” in grösserem Stile 
erhofft wurde, der Plan ausgegangen, eine Zeitschrift herauszugeben, der neuerdings 
die Aufgabe gestellt ist „die Gesamtinteressen der deutschen vorgeschichtlichen For- 
schung zu pflegen“ und „der gesamtdeutschen Forschung auch die Zusammenhänge mit 
den weiter entfernten Kulturen zu vermitteln“ (Ankündigung vom 13. IV. 1909). Ansich 
brauchte dieses Programm, das fast wörtlich dem unserer Gesell- 
schaft und ihrer Zeitschrift entspricht, ja nur eine „ideale Konkurrenz“ 
zu bedeuten, wenn nicht die Entwicklung dieses Unternehmens anderes gezeigt 
hättel Fürdas Zustandekommen dieser Berliner Zeitschrift wurde von vornherein 
die Hilfe gerade derjenigen an Altertumsforschungen interessierten Gruppen 
beansprucht, die sich durch die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Vor- 
geschichte unangenehm überrascht oder mit mehr oder weniger Recht benach- 
teiligt oder verletzt fühlten und trotz aller unserer Bemühungen unversöhnlich 
geblieben sind, In diesen Kreisen ist durch die Begründung der neuen 

11* 


164 V. Nachrichten. 


BerlinerZeitschrift aus der Reaktion gegen den Kossinnaschen Aufruf eine Agi- 
tationgegenunsere Gesellschaft geschaffen, zu deren Kristallisationspunkt 
die Bemühung um das Zustandekommen der neuen Zeitschrift gemacht wurde. 
Über die Erwägungen, die zur Gründung unserer Gesellschaft geführt haben und 
über deren Ziele werden höchst missverständliche „Aufklärungen“ ge- 
geben, die gelegentlich ans Komische streifen! Die Deutsche Gesellschaft für 
Vorgeschichte wird bald als „eine Art grosser Heimatbund“ hingestellt im Gegen- 
satz zu den Altertumsverbánden, „die wissenschaftliche Forschung treiben, aber 
keine Volksfeste veranstalten wollen“ (Äusserung in Kassel), bald als blosses Mittel 
zur Begründung unserer Zeitschrift und als Konkurrenzunternehmen (!) gegen das 
vermeintlich legitimere der Berliner Zentrale. 

Der eigenen Unternehmung der Berliner Zentrale wird dagegen nachgerühmt, 
dass sie „in erfreulichster Weise alles (sic) vereinigt, was sich in Deutschland 
bisher schon mit Altertumsforschung beschäftigte“, und dass sie „auf sicherem 
Boden stehe“. Durch dieseundähnliche Darlegungenwirdfürweniger 
eingeweihte Kreise unsere Gesellschaft undihre Ziele in ein völlig 
falsches Licht gesetzt, zumal da die betreffenden Darstellungen 
voneiner Seite ausgehen, hinterdereine staatliche Beihilfe steht! 
Und deshalb ist jene Agitation, die an sich ja nur als Intermezzo bis zur allgemeinen 
Aufklärung aufzufassen wäre, geeignet, aus Sachen der wissenschaftlichen Arbeit 
eine Machtfrage,gehandhabtvonEinzelnen, zu machen. Diese Erkenntnis 
fand nun gerade auch während der Kasseler Tagung Ausdruck, deren Verhand- 
lungen und vielfache private Auseinandersetzungen über das Thema aber schliess- 
lich doch einen erfreulichen Eindruck hinterliessen; denn mit aller Ent- 
schiedenheit trat trotz des Aufwallens gegenteiliger Ansichten die Tatsache hervor; 
dass in den Schlachtruf gegen uns keineswegs die Gesamtheit der 
nordwestdeutschenAltertumsforscher einstimmt. Unzweideutig fand auch 
offiziell die Ansicht Ausdruck, dass der Zusammenschluss zur Deutschen Gesell- 
schaft für Vorgeschichte einen erfreulichen Schritt vorwärts für unsere Wissen- 
schaft bedeute. Von berufenster Seite wurden die persönlichen Beiklänge 
der Verhandlungen als das Unwesentliche abgelehnt. Viele und berufene 
Persönlichkeiten, auch aus dem nordwestdeutschen Gebiete, sind zugleich Mitglied 
und Mitarbeiter unserer Gesellschaft und anderer Verbände, die durch die jüngsten 
Vorgänge fast in scheinbar unversöhnlichen Gegensatz zu uns getrieben worden 
wären; sehr angesehene und vornehme Vereine und Institute, die an der Förderung 
der deutschen Vorgeschichtsforschung beteiligt sind, haben, z. T. in vorurteils- 
freier Weise mit dem Ausdruck der Freude über unsere endlich erfolgte Organi- 
sation der deutschen Vorgeschichtsforschung unsere Zeitschrift bereits bestellt 
und wollen auch die geplante Berliner Zeitschrift unterstützen, 
in der Hoffnung auf zwiefache Anregung, infolge der zu erwartenden 
Äusserung verschiedener Standpunkte in den „konkurrierenden beiden vorgeschicht- 
lichen Organen, und in der Erwartung, dass künftig beide Unternehmungen fried- 
lich nebeneinander gehen werden. Zwar wird von den „Gegnern“ geflissent- 
lich stets nur Kossinnas erster „Kampfruf“ als Unterlage für die 
Auseinandersetzungen über die Begleiterscheinungen unserer Organisation 
benutzt, und die offiziellenAusserungenunserer Gesellschaft im Bericht 
über die Griindungsversammlung übergangen, zwar überwuchern die per- 
sönlichen Empfindungen und Rücksichten vielfach noch die sachlichen, 
aber trotzdem kommen überall mehr und mehr Vertreter des weiter- 
blickenden Standpunktes zum Wort; und sie gaben auch auf der Kasseler 


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V. Nachrichten. 165 


Tagung — auch offiziell in der Vertreterversammlung — ihrer Ansicht energisch 
Ausdruck. Dadurch ist auch z.B. der höchst modern anmutende Vorschlag 
einesBoykottes der Konkurrenz, d.h. unserer Gesellschaft und Zeitschrift 
vereitelt worden, der in den Kreisen des „Paktes“ zur Gründung der Berliner 
Zeitschrift seit einiger Zeit propagiert war. Interessant ist, dass der Vorschlag 
motiviert wurde mit der Behauptung, der Stoff für vorgeschichtliche Veröffentlich- 
ungen reiche nicht aus für zwei Zeitschriften ! 

Nun, das von der grossen Mehrheit der Vorgeschichtsforscher und -Freunde 
gewünschte schnelle und frohe Aufblühen unserer Wissenschaft wird 
nicht abhängen von pränumerando geführtem Streit, es wird ausgehen von den 
Stellen, wo stille tüchtige Arbeit geleistet werden wird, und dafür ist eine 
klare Organisation der Arbeit auf dem Gesamtgebiet der deutschen 
Vorgeschichtsforschung eine unentbehrliche Unterlage. Hoffentlich wird 
sie bald in der oben eingangs skizzierten Richtung durchgeführt: gegründet auf 
die natürliche Bedingung der Arbeitsteilung, nicht mehr verwirrt durch 
VorgängeundBestrebungen, dieden ForderungenunsererWissen- 
schaft fernstehen. H. Hahne. 


Das Gesetz über prähistorische Ausgrabungen. Wie die „Inf.“ von 
unterrichteter Seite erfährt, ist der Gesetzentwurf „Zum Schutz von frühgescidt- 
lichen Denkmälern usw.“ dem Preussishen Staatsministerium zugegangen. Das 
Gesetz bezweckt den nötigen Schutz gegen Raubgräbereien sicher zu stellen. 
Praktisch hat sich herausgestellt, dass in erster Linie Volksschullehrer, Händler und ge- 
legentlih auch Offiziere (meist im Manöver) sich mit der Ausgrabung von Funden 
dieser Art beschäftigen. Man will eine Anzeigepflichtbeiden Bezirksregierun- 
gen einführen. Hierdurch soll erreicht werden, dass das Auffinden und Ausgraben 
frühgeschichtliher Funde den Stellen überlassen bleibt, die sih bisher wissen- 
schaftlich damit befasst haben und sie der Öffentlichkeit zugängig machen können. 
In erster Linie ist hierbei an die Museen gedacht; Bezirksregierungen und 
Provinzialkonservatoren kommen hierfür nicht in Betraht. Der Entwurf wird in 
dieser Tagung nicht mehr den Landtag beschäftigen, sondern es ist anzunehmen, 
dass nach Beschluss des Staatsministeriums kommissarishe Beratungen über ihn 
stattfinden werden. | 


Frl. Professor Johanna Mestorf ist am 1. April d. J. aus dem Amte als 
Direktor des Sdileswig-Holsteinishen Museums vaterländischer Altertümer in Kiel 
geschieden, das sie als Nachfolgerin von Professor Dr. Handelmann seit 1891 be- 
kleidet hat, nachdem sie schon seit 1873 als Kustos an dieser Anstalt gewirkt hatte. 
Der Kaiser hat ihr aus diesem Anlass in Anerkennung ihrer ebenso unermüdlichen 
als segensreichen Tätigkeit sein Bildnis mit eigenhändiger Unterschrift verliehen. 


Als Nachfolger von Frl. Prof. Mestorf wurde der seit 1899 am Kieler Museum 
wirkende Kustos Dr. phil. Friedrih Knorr aus Eutin zum Direktor des Museums 
vaterlandischer Altertiimer ernannt. 


Am 17. April beging Frl. Professor Mestorf in Kiel ihren achtzigsten Ge- 
burtstag. Unsere Gesellschaft hat sie aus diesem Anlass nach einstimmigem Be- 
schluss des Ausschusses zu ihrem Ehrenmitgliede ernannt und ihr dies in einem 
künstlerisch ausgestatteten Diplom kund getan, das kennen zu lernen unsere Mit- 
glieder interessieren wird. Wir haben diesem Hefte daher auf Tafel XX eine ver- 
kleinerte Nachbildung beigegeben, die natürlich die Farben des Landschaftsbildes des 
Originals, worin der Fachmann die Steinkammer von Albertsdorf auf Fehmarn so- 
gleich erkennen wird, nicht wiedergibt, 


166 V. Nachrichten. 


Todesfall. Am 15. Mai d. J. hat der Tod zum ersten Male eine Lücke in 
unsere Gesellschaft gerissen, leider eine sehr fühlbare, indem er den im besten 
Mannesalter stehenden Oberlehrer am Gymnasium zum hl. Geist, Professor Dr. 
Oskar Mertins, einen Schulkameraden des Herausgebers dieser Zeitschrift aus 
den 1870er Jahren zu Tilsit, von einem langdauernden Nierenleiden erlöste. 
Obwohl von Hause aus Philologe, hat sih Mertins schon frühzeitig in das Fach 
der Vorgeschichte eingearbeitet und dabei auch der notwendigen Hilfen der Natur- 
wissenschaft sich voll bemachtigt. Schon 1891 zeigte er in der kleinen Schrift „Die 
hauptsächlichsten prähistorishen Denkmäler Schlesiens“ eine nicht gewöhnliche Be- 
herrschung dieses Gebietes. Es folgte dann eine längere Reihe tief eindringender 
Spezialabhandlungen zur Vorgeschichte Schlesiens, die er im 6. und 7. Band der 
Zeitschrift „Schlesiens Vorzeit in Wort und Bild“, später in den „Beiträgen zur Ur- 
geschichte Schlesiens“ erscheinen liess, so über die Spuren des Diluvialmenschen, 
Depotfunde der Bronzezeit, Kupfer- und Bronzefunde, die Urnen-Gräberfelder der 
Bronzezeit, endlich über Steinzeitliche Werkzeuge und Waffen in Schlesien. Sein reiches 
Wissen fasste er dann 1906 zusammen in dem ganz vortrefflihen „Wegweiser durch 
die Urgeschichte Schlesiens“, der binnen Jahresfrist in neuer Auflage erscheinen 
musste. Die deutsche Vorgeschichte und besonders die schlesische verliert in 
Mertins eine hervorragende Kraft, die um so schwerer zu ersetzen sein wird, als 
in Schlesien vorderhand noch kein Nachwuchs an Jüngern unserer Wissenschaft 
herangezogen worden zu sein scheint. G. K. 


Einladung des Herrn O. Hauser nach Les Eyzies (vgl. oben S. 147). 
Les Eyzies, 17. II. 09. 
An die Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte Berlin. 
Hochgeehrte Herren! 

Es stehen während der diesjährigen Ausgrabungskampagne (Januar bis 
November 1909) Stationen des Acheuléen, Moustérien, Aurignacien (inférieur und 
supérieur), Solutréen und Magdalénien zur Ausgrabung. Aller Voraussiht nach 
werden meinen Arbeiten nicht nur durch das französische Unterrichtsministerium 
etwelche Schwierigkeiten in Zukunft bereitet, sondern es werden auch die Grabungen 
in den Stationen des Acheuléen, Moustérien, Aurignacien und Solutréen im Ver- 
laufe des Sommers ohnehin beendet sein. Ich gedenke jedoch, soweit es die Pacht- 
verhältnisse der einzelnen Lokalitäten erlauben, aus jeder Epoche und Station je 
ein Profil intakt zu belassen, um den Besuchern des Vézéretales das Studium der 
einzelnen Perioden in situ zu ermöglichen. 

In Vorbereitung liegt eine übersichtlihe Beschreibung der Stationen 1—45 
(La Micoque, Laugerie, Les Eyzies, Le Moustier, Longueroche) mit Typentafeln, 
Profilen, Ansichten und einem für die Besucher handlichen Übersichtsplan. 

Ich gestatte mir, den verehrlihen Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für 
Vorgeschichte einen Besuch der klassischen Stätten der Dordogne wärmstens zu 
empfehlen. 

Da die Unterkunftsverhältnisse im Dorfe Les Eyzies troß allen unseren Be- 
mühungen immer noch sehr mangelhafte sind, wurden in meinem Standquartier, 
der idyllisch gelegenen Laugerie Haute, 3 gute Zimmer mit 4—5 Betten zur gefl. 
Benütung bereit gestellt. Die Küche ist tadellos reinlih und schweizerisch geführt. 
Bei gutem Wetter kann das Essen im Freien auf einer neuaufgeführten Terrasse 
eingenommen werden. Ferner steht den geehrten Besuchern mein neuerrichtetes 
Bureau sowohl zum Aufenthalt wie auch zum Studium der dort aufgestellten Typen- 
sammlung, aus allen von mir ausgegrabenen Stationen, der Pläne und Photo- 
graphien zur Verfügung. Fuhrwerke ebenfalls in der Laugerie Haute. 


V. Nachrichten. 167 


Bequemste Reiseroute: Paris Quai d'Orsay (ab vormittags 10'°), Limoges 
(an 4% ab 5%), Périgueux (an 65' abends). Empfehlenswertes Hotel in Périgueux: 
Hotel Messageries. Zu allen weiteren Auskünften bin ich immer gerne bereit. 
In vorzügliher Hochachtung zeichnet ergebenst 
O. Hauser. 


Kongresse. 

Der diesjährige, 5, „Congrès Préhistorique de France” wird vom 
26.—31. Juli zu Beauvais (Oise) abgehalten. 

Die ersten drei Tage sind für die wissenschaftlihen Verhandlungen und 
lokalen Besichtigungen, die letzten drei Tage für wissenschaftliche Ausflüge bestimmt, 
wobei besonders Besichtigungen von Dolmen und Menhirs vorgesehen sind. Der 
Kongress ist diesmal verbunden mit einer Ausstellung für allgemeine Vorgeschichte 
und einer zweiten für die Vorgeschichte des Oise-Departements. 

Ein Besuch der stets vorzüglich vorbereiteten und geleiteten französischen Prä- 
historikerkongresse ist sehr lohnend. Der Beitrag für die Teilnehmer ist 12 Franken, 


einzusenden an M. Louis Giraux, Tresorier, 9 bis Avenue Victor-Hugo, in Saint- 
Mandé (Seine). 


Am 31. Juli d. J. beginnt der belgische Congrés archéologique et 
historique zu Lüttich; Beitrag 10 Franken oder mit Verzicht auf die Publikation 
5 Franken, einzusenden an Messieurs les Secretaires Généraux des Kongresses in 
Lüttich, Rue Fabry 14. 


Die diesjährige Hauptversammlung des Gesamtvereins der deutschen 
Geschichts- und Altertumsvereine wird vom 9. —11.Septbr. in Worms tagen. 


Nachdem das Provinzialmuseum in Hannover durch seinen Direktor, unser 
Vorstandsmitglied, Herrn Dr. J. Reimers, an die Deutsche Gesellschaft 
für Vorgeschichte die freundliche Einladung hat ergehen lassen, ihre dies- 
jährige Hauptversammlung in Hannover abzuhalten, hat der Ausschuss 
unserer Gesellschaft einstimmig beschlossen, dieser Einladung Folge zu leisten. 
Für die Tagung ist die Zeit vom 7. bis9. August angesetzt worden. Die König- 
lihe Technische Hochschule zu Hannover hat die Güte gehabt, Vortrags- und Aus- 
stellungsräume zur Verfügung zu stellen. 

Folgender Tagesplan ist in Aussicht genommen worden: 

“Freitag den 6. August 
| ` Nachm. 6 Uhr: Vorstands- und Ausschusssitzungen. 
» 8 „ Begrüssung und geselliges Beisammensein. 
Sonnabend den 7. August 

Vormittags: Sitzung und Vorträge. 

Mittags 12 Uhr: Wiedereröffnung der neugeordneten Vorgeschichtlichen 
Abteilung des Provinzialmuseums und Führung durch diese. 

Sonntag den 8. August 

Ausflug in eine für die vorgeschichtlihe Forschung wichtige Gegend 

(Fallingbostel, Umgebung von Bergen bei Celle). 
Montag den 9. August 

Sitzungen und Vorträge. 

Gemeinsame Mahlzeiten, Führungen und besondere Vorträge in den Museen 
und andern wissenschaftlichen Anstalten Hannovers sind in Aussicht ge- 
nommen, ebenso Sonderausstellungen aus dem (Gebiete der Vorge- 
schichtsforschung. 


168 V. Nachrichten, 


An den Schluss der Hauptversammlung knüpft sih ein Ausflug in den 
Teutoburger Wald zum Besuch der Schlachtfelder der Rómerkriege, insonderheit 
der Varusschlacht als Gedenkfeier zum 1900 jährigen Jubiläum dieser Schlacht. 
Unser Mitglied, Herr Professor Dr. Knoke in Osnabrück, hat die Führung übernommen. 

Hieran schliesst sich weiter, falls eine Beteiligung von mindestens 6 Herren 
stattfindet, ein diluvialarchäologischer Ausflug, dessen Führung unser 
Mitglied Herr Dr. Rob. Rud. Schmidt in Tübingen übernehmen wird: be- 
sichtigt werden die von Herrn Schmidt neuaufgestellten Funde aus Andernach und 
den westfälishen Höhlen (Bonner Prov. Mus.), die Diluvialfunde in Wiesbaden 
(Steeden a. d. Lahn!), Stuttgart (Schussenquelle! im Naturalienkabinett; ausser- 
dem die von Schmidt neu eingerichtete paläolithishe Sammlung des Altertums- 
museums), Tübingen (ausserordentlich reiche neue paläolithische Sammlung des 
Geologischen Instituts), endlich auf etwaigen Wunsch noch Ulm (Bocksteinhöhlen- 
funde). Den Beschluss macht die Besichtigung eines diluvialen Profils der neuen 
Ausgrabungen von v. Koken u. Schmidt in der Schwäbischen Alb. 

An Vorträgen sind bereits angemeldet: 

1. Univ.-Professor Dr. Gustaf Kossinna (Berlin): Über vorgeschichtlichen Handel 
in Mitteleuropa (mit Lichtbildern), Eröffnungsvortrag. 

2. Geheimrat Univ.-Professor Dr. Adalbert Bezzenberger (Königsberg i. Pr.): 
Thema vorbehalten. 

3. Direktor Dr. J. Reimers (Hannover): Beziehungen zwischen Vorgesdiidhts- 
forschung und Denkmalpflege. 

4. Dr. A. Kiekebusch (Berlin): Bronzezeitfunde des Märkishen Museums in Berlin. 

5. Generaloberarzt Dr. Georg Wilke (Chemnitz): Spiral-Mäanderkeramik und 
Gefässmalerei. 

6. Privatdozenten Dr. Ewald Wüst (Halle a. S.) und Dr. Hans Hahne (Hannover): 
Der gegenwärtige Stand der Paläolithikumforschung besonders im Hinblick auf 
die Erforschung des limtal-Paláolithikum (Weimar-Ehringsdorf-Taubach). Hier- 
mit ist verbunden eine Sonder-Ausstellung von paläolithishen Funden aus 
Westeuropa und dem Ilmtal. 

7. Privatdozent Dr. Hans Hahne: Einführung in die neugeordnete Vorgeschicht- 
lihe Abteilung des Provinzialmuseums mit besonderen Ausführungen über 
einige wichtige Fundgruppen. 

8. Dr. Olbricht (Lüneburg): Das Klima der postbaltishen Zeit und die vorge- 
shidtlihe Chronologie. | 

9. Dr. Rob. Rud. Schmidt (Tübingen): Die spätpaläolithischen Bestattungen in 
der Ofnet. 

10. Hochschulprofessor B. Schulz (Hannover): Das Theoderichgrabmal in Ravenna 
und seine Probleme. 

Eine Anzahl weiterer Vorträge steht noch in Aussicht. 

Eine Anmeldung fernerer Vorträge bei der Hauptversammlung kann nur 
dann auf Berücksichtigung rechnen, wenn sie spätestens bis Ende Juni beim 
Unterzeichneten erfolgt ist. Gustaf Kossinna. 


Zum Schatzmeister unserer Haupt-Gesellschaft ist nach einer Zeit inter- 
imistischer Verwaltung dieses Amtes Herr Dr. Gustav Albrecht-Charlotten- 
burg, Rönnestr. 18, gewählt worden. An ihn sind von nun an alle Zahlungen für 
die Hauptgesellschaft zu richten. 


Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. L Taf. XX. 


gFräntein protetor pestort, 


Der ehrwürdigen und allnerehrten Meitorin 
unter Den Denfihen Borgeihihtsiorihern 
aaa PMA Dip src 
Due (jeHídaff fir More 
sum Cage Der Vollendung Des ahlsigften 
abres ihres an Arbrit und Erfolgen fo 
reihen Lebens Die hersien Güm- 
wine aus und ernennt fie su ihrem 


repeps Ehrenmitglied, nonono 


Z Oe OR SO bP Apel 1909 aw Reg 


Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg. 


I. Abhandlungen. 


Das Sonnenrad und des christliche Kreuz ). 


Von 


Oskar Montelius. 
Mit 72 Textabbildungen. 


II. 


Im Vorhergehenden haben wir gesehen, dass sowohl das vier- 
speichige Rad wie das gleicharmige Kreuz oft oben an einem Stabe ge- 
tragen wurde. So sind beide auch auf Grabsteinen abgebildet. 

Wir werden zuerst die Grabsteine betrachten, bei denen das auf 
einem Stabe getragene vierspeichige Rad eingeritzt oder im Relief dar- 
gestellt ist. 

Auf dem Fig. 41 abgebildeten Steine ist das Rad deutlich ange- 
geben, indem die inneren Konturen des Radreifens auch an den Enden 
der Speichen zu sehen sind. Hier sind die Speichen ganz schmal und 
gegen die Enden nicht erweitert. Fig. 42 zeigt einen Grabstein mit 
einem ähnlichen Rade; der Unterschied ist eigentlich nur der, dass die 
Speichen gegen die Enden hin bedeutend breiter werden. 

Einige Male, so auf dem Fig. 43 wiedergegebenen Steine, sitzt 
über dem Rade eine Flagge mit einem kleinen Kreuz zu oberst: der 
Anfang zu der unter anderem aus dem Wappen Gotlands wohlbekannten 
„Kreuzesfahne“, die in diesem Wappen von dem Lamme getragen wird. 

In den eben angeführten Fällen ist das Rad deutlich und hat noch 
keine Veränderung erlitten. Der Radreifen ist leicht erkennbar und 
überall von gleicher Beschaffenheit, die Speichen gehen nicht weiter, 
als bis an den Reifen. 

Andere Grabsteine weisen ganz abweichende Bilder auf. Die 
Speichen sind nicht, wie in älterer Zeit, überall gleich breit; sie haben 
ausserdem so an Länge zugenommen, dass sie über den Reifen hinaus- 
gehen, indem sie auf ihm liegen und ihn teilweise decken. Dieser 
selbst bleibt auch nicht ohne Änderung. Fig. 45 zeigt, wie er zwischen 


1) Übersetzung aus dem Schwedishen von Ernst Snethlage, revidiert von 
G. Kossinna. 
Mannus. Bd 1, H. 3. | 12 


170 Oskar Montelius. [19 


den Speichen sehr schmal ist. Hierdurh und durch die veränderte 
Form der Speichen werden vier kleine Rundteile gebildet. 


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Fig. 41. 
Grabstein, Dänemark. 


Fig. 42. 


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Grabstein, Schonen. Grabstein, Dänemark. 


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Fig. 45. Fig. 46. 
Grabstein, Dänemark. Grabstein, Schottland. Grabstein, Schottland. 


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20] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 171 


Eine Querlinie zwischen der Oberkante des Stabes und dem unteren 
Ende der abwärts gewendeten Speiche macht es deutlich, dass wir in 


Fig. 47. Grabstein, Schottland. Fig. 48. Grabstein, Dänemark. 


Fig.45 wirklich ein Rad mit vier ungefähr gleich langen Speichen vor uns haben, 
das auf einem Stabe sitzt, und nicht ein lateinisches Kreuz mit einem Ring. 
Die vier eben erwähnten Rundteile fin- en 
den sich auf den beiden Figuren 46 und 47 ag 
wieder, obwohl der Radreifen auf dem ersteren 
Steine seinen ursprünglichen Charakter gänz- 
lich verloren hat und auf dem letzteren so 
gut wie vollständig verschwunden ist. Auf dem 
ersteren findet sich nicht mehr irgendwelche 
Scheidelinie zwischen Stab und Rad. Auf dem 
letzteren Steine ist kein Stab gezeichnet, 
woher das Ganze sich jetzt als ein gleich- 

armiges Kreuz darstellt. 

Aud auf dem Fig. 48 wiedergegebenen 
Grabstein, der auf einem dänischen Kirch- 
hofe errichtet worden ist, hat der Radreifen 
seine ursprüngliche Gestalt verloren; er ist 
nicht mehr kreisförmig. 

Der Radreifen kann auch auf eine andere Art seine eigentliche 
Bedeutung verlieren. Wenn er klein wird und gleichzeitig die Speichen 
lang, so entsteht eine solhe Form, wie sie Fig. 44 zeigt. 


Fig. 49. Grabstein, Schottland. 


12* 


172 Oskar Montelius. [21 


Auf dem Grabstein Fig. 49 ist der Reifen auch fast gänzlich ver- 
schwunden. Die vier stark ausgeschweiften Enden der Speichen sind 
jedoch auf die Art, wie wir es früher kennen gelernt haben (Fig. 14 
und 18) abgerundet, so dass ihre Aussenkonturen einen beinahe voll- 
ständigen Kreis bilden. Der obere Teil des Grabsteins ist fast halb- 
kreisförmig abgerundet gewesen. 

Dieser Stein zeigt also in der Tat ein an einem Stabe getragenes, 
gleicharmiges Kreuz, nicht ein Rad. 


Fig. 50. Fig. 51. E 52. 
Grabstein, Schonen. Grabstein, Westergötland. Grabstein, Westergötland. 


Viele andere Grabsteine tragen die Zeichnung eines gleicharmigen, 
auf einem langen Stabe sitzenden Kreuzes. 

Fig. 50 zeigt ein solches Kreuz, dessen Arme in abgerundete 
Enden auslaufen, wie bei Fig. 14. Sie haben also die Form, wie die 
Speichen in manchen Rädern, kurz bevor die ersteren frei von dem 
Radreifen wurden. Fig. 51 und 52 geben Kreuze wieder, deren Arme 
in breite, gradlinige Enden auslaufen. 

+ ý * 

Andere Grabsteine haben selbst die Form eines schmaleren oder 
breiteren, oft ganz hohen Unterteils, das obenauf ein vierspeichiges 
Rad trägt. 


22] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 173 


Die Speichen oder Kreuzarme hören entweder, wie es bei einem 
Rade natürlih ist, an der Innenkante des Radreifens auf (Fig. 53); 
eine deutliche Linie scheidet sie von dem Kranze. Oder sie reichen 
auch ein kürzeres oder längeres Stück über diese hinaus (Fig. 54—59). 
Dass der Teil des Steines, der das Rad trägt, gewöhnlich bedeutend 
breiter ist, als die abwärts gerichtete Speiche, findet seine Erklärung 
in der Natur des Stoffs, weil das Grabmal zu schwach geworden wäre, 
wenn man nicht diese Vorsichtsmassregeln ergriffen hätte. Der Teil 
der drei oberen Speichen, der innerhalb des Radreifens sitzt, ist 
dagegen lange von derselben Breite, wie derjenige, der sich ausserhalb 
des Reifens fortsetzt (Fig. 55), aber späterhin wird auch der äussere Teil 
dieser Speichen bedeutend breiter als der innere (Fig. 54). Selten ist 
jedoch der Unterschied so gross, wie auf dem Fig. 59 abgebildeten Steine. 

Gewöhnlich bilden die Zwischenräume zwischen den Speichen und 
dem Radreifen vier deutliche Öffnungen. Einige Male ist dies jedoch 
nicht der Fall: Das Rad, sowohl der Reifen als auch die Speichen, sind 
nur eingeritzt oder im Relief angegeben, obgleich der Stein dieselbe 
Form hat, wie die vorher erwähnten (Fig. 61 und 62). 

Allmáhlih wird der Reifen immer undeutliher, so dass seine 
Spur mit Schwierigkeit und nur durch einen Vergleich mit den älteren 
Formen aufgefunden werden kann. Manchmal sieht man weder Reifen 
noch Speichen — das heisst denjenigen Teil der letzteren, der inner- 
halb des Reifens gesessen hat —, aber die Kontur des Steines ist die- 
selbe, wie bei denen, die nach oben hin in ein vierspeichiges Rad mit 
weit überschiessenden Speichen endigen (Fig. 64). Bisweilen kann in 
diesem Falle, wie ein eigentümliches Andenken an den Ursprung der 
Form, ein Kreis auf dem Steine eingeritzt sein, obgleich keine Speichen 
innerhalb desselben angedeutet sind (Fig. 63). 

Bei Figur 60 ist der Radreifen verschwunden, aber die Enden der 
Speichen haben die abgerundete Form beibehalten, die sie hatten, als 
sie vom Reifen umschlossen waren. 

Solche Kreuze, wie sie auf den Figuren 41—64 abgebildet sind, 
kommen allgemein auf den britischen Inseln vor. Sie finden sih auch 
in mehreren anderen Ländern, unter anderem in Norwegen und Schweden, 
besonders auf Gotland. 

Die Form hat, auch in -ganz ursprünglicher Gestalt, bis in die 
späteste Zeit fortgelebt. Auf vielen schwedischen Kirchhöfen sieht man 
solche Kreuze von Holz oder Eisen, wie sie in Fig. 65 und 66 abge- 
bildet sind. Bei diesen Kreuzen ist gewöhnlich der untere Teil ebenso 
schmal, wie die Speichen, weil in diesen Fällen der Stoff kein Hinder- 
nis für eine Bewahrung der ursprünglihen Formen in den Weg legte. 


* 
* 


174 Oskar Montelius. [23 


Im 2. und 3. Kapitel des ersten Buchs Mose wird der Garten in 
Eden geschildert und darin erzählt, wie mitten im Garten „der Baum 
des Erkenntnisses des Guten und Bösen“ stand. Da Adam trot des 
Verbotes von der Frucht des Baumes ass — dass es ein Apfel ge- 
wesen wäre, wird nicht gesagt — wurde er aus dem Paradiese ver- 
trieben, auf dass er nicht desgleihen nehmen sollte von „dem Baume 
des Lebens“ und essen und leben ewiglih; und ein Engel wurde mit 


Fig. 53. Steinkreuz, Norwegen. Fig. 54. Steinkreuz, Gotland. 


einem blossen, gezückten Schwerte gesetzt, um den Weg zu dem Baume 
des Lebens zu bewachen. 

Nach den Ausdrücken in diesem Bericht scheint es so, als ob es 
zwei verschiedene Bäume gewesen sind. Aber es spricht viel dafür, 
dass der Baum des Erkenntnisses und der Baum des Lebens ein und 
derselbe gewesen ist, eine Ansicht, die auch im Mittelalter die gewóhn- 
liche war. 

Der Bericht im ersten Buch Mose steht offenbar in Zusammen- 
hang einerseits mit dem heiligen Baum, der in der Religion und Kunst 
Indiens und Assyriens eine so grosse Rolle gespielt hat, und anderer- 
seits mit der Vorstellung, von der sich Spuren bei mehreren Völkern 


24] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 133 


finden, von einer Frucht, deren Genuss ewiges Leben gäbe. So glaubte 
der Parse, dass die Somapflanze ewiges Leben und der Saft der 
Zypresse „Erkenntnis“ gäbe. Auch die Edda erzählt ja davon, wie 
Walhallas Götter ihre Jugend nur so lange bewahrten, als sie von Iduns 
Äpfeln assen. 

Bereits seit den ältesten Zeiten der christlichen Kirche wurde der 
Baum des Lebens im Paradiese als Vorbild des Kreuzes aufgefasst, 


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Fig. 55. Steinkreuz, Gotland. 


und das Kreuz wurde sowohl in der morgenländischen wie der abend- 
landischen Kirche als ein Baum des Lebens inmitten des Paradieses 
gepriesen. In der Kunst des Mittelalters wurde daher das Kreuz oft 
als Baum des Lebens dargestellt. 

So verhält es sich mit den in Fig. 67 und 68 abgebildeten Grab- 
steinen, wo wir ein gleicharmiges Kreuz oben auf einem Baume sehen. 
Dieser ist stark stilisiert, wie es gewöhnlich der Fall ist bei Abbildungen 
vom Baume des Lebens. Auf dem Stein Fig. 52 ist derselbe Gedanke 
dadurch ausgedrückt, dass auf jeder Seite des Stabes, der das Kreuz 
trägt, ein Blatt hervorgesprossen ist. Die Fig. 69 und 70 abgebildeten 
Steine sind mit einem gleicharmigen, von einem Stabe getragenen, sehr 
blattreihen Kreuze geschmüct, das ganz einem Baume mit grosser, 


176 Oskar Montelius. [25 


reich belaubter Krone ähnelt. Bei der zuletzt genannten Figur sieht 

man am Schnittpunkte der Kreuzesarme ein solches Hakenkreuz, wie 
sie oben Fig. 36—40 wiedergegeben sind. 
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In seiner grossen Arbeit über die christliche Kunst *) sagt Garucci: 

„Das Kreuzsymbol, das „gleicharmiges“ und „griechishes“ Kreuz ge- 


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Fig. 56. Steinkreuz (vom Jahre 1361), bei Wisby. 


nannt zu werden pflegt, hat durchaus keine Ähnlichkeit mit dem Kreuz, 
wie es für Hinrihtungen angewendet wurde, sei es bei Römern oder 
Griechen oder gar im Orient. Die Völker des Altertums haben es als 
Zeichen der Erlösung benutzt, man weiss nicht auf Grund welcher Über- 
lieferung“. 

Die Erklärung dessen, was Garucci dunkel scheint, ist im vor- 
hergehenden gegeben: Das gleicharmige Kreuz ist nichts anderes, als 
die bereits in vorchristliher Zeit aus dem Sonnenrade gelösten vier 
Speichen, und das Kreuz bezeichnet daher wie das Rad zuerst den Sonnen- 


1) R. Garucci, Storia della arte cristiana. Prato 1881. I, 155. 


26] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. i 177 


gott und sodann das Göttliche als solches. Es hat diese Bedeutung, 
weil das Rad, wie wir gesehen haben, ursprünglih ein Bild der 
Sonne war. 

Aus dem Aufsatz über „Das Rad als ein religiöses Sinnbild in 
vorchristlicher und christlicher Zeit“ erinnern wir uns, wie man bisweilen 
zwischen den Speichen 
Strahlen sieht, und 
dies nicht nur in der 
ältesten vorchristlichen, 
sondern auch in der 
christlichen Zeit. Zwi- 
schen den Speichen in 
dem hinter Christi 
Haupt sichtbaren Rade, 
welches Kreuzglorie ge- 
nannt zu werden pflegt 
— das Zeichen für 
seine Góttlihkeit — 
sieht man nicht selten 
solhe Strahlen, und 
einige Male wird das 
ganze Rad durch eine 
strahlende Sonne er- 
setzt. 

Da das gleicharmige 
Kreuz aus dem vier- 
speichigen Rade ent- 
standen ist, sollte es al- 
so nicht Erstaunen her- 
vorrufen,wennauchdie- 
sesKreuz alseineSonne 
aufgefasst wurde. Es 
wäre das um so weniger überraschend, als Christus, der ja durch das 
Kreuz repräsentiert wird, selbst auf manche Art in Gedanken mit der 
Sonne zusammengestellt wird. 

Vor dem Christentum hatte man im Süden wie im Norden zu 
Weihnachten, der Zeit der Wintersonnenwende, die Geburt der Sonne 
gefeiert. Kurz nach dem Siege des Christentums durch Konstantin be- 
gann man, zuerst in der abendländishen und etwas später in der 
morgenländischen Kirche, den 25. Dezember als Christi Geburtstag zu 
feiern, den Tag, da „die wahre Sonne“, „die Sonne der Gerechtigkeit“ 
auf die Welt gekommen war. Man konnte das um so leichter tun, als 


Fig. 57. Fig. 58. 
Steinkreuz, Schottland. Steinkreuz, Schottland. 


178 Oskar Montelius. [27 


keine von den Büchern des neuen Testaments etwas über die Jahres- 
zeit erwähnt, da Christus geboren wurde. 

Man kann sagen, dass die Evangelien selber zu einer solchen 
Gleichstellung von Christus mit der Sonne berechtigen durch die Er- 
zählung von seiner Verklärung, da „sein Angesicht leuchtete wie die 
Sonne, und seine Kleider wurden weiss, als ein Licht“, um die Worte 
des Matthäi-Evangeliums zu gebrauchen. 

Im Zusammenhang hiermit müssen wir uns erinnern, dass auch 
bei Jehovah sich gewisse Züge finden, die an den Sonnengott erinnern, 
ein Umstand der um so weniger überraschend ist, als die Juden ja auf 
allen Seiten von Völkern umgeben waren, die den Sonnengott anbeteten. 

So lesen wir im zweiten Buch Mose, 19. Kapitel, beim Bericht über 
die Gesetzgebung auf dem Sinai, wie der Herr vom Berge herabstieg im Feuer. 


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Fig. 59. Steinkreuz, Gotland. 


Und im ersten Buch der Könige 18. Kapitel wurde vom Wett- 
kampf des Elias mit den Baalspriestern berichtet, um zu sehen, wessen 
Gott, Jehovah oder der heidnishe Sonnengott Baal, „mit Feuer ant- 
worten“ würde. Baal sandte kein Feuer zu seinem Altar, aber auf 
des Elias Altar „fiel das Feuer des Herrn herab und verbrannte das 
Brandopfer, Holz, Steine und Erde und leckte das Wasser auf in der 
Grube“. 


28] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 179 


In der Kunst der christlihen Kirche zeigt sich auch vielfach, wie 
tief eingewurzelt der Gedanke an einen Zusammenhang zwischen der 
Sonne und der Gottheit ist oder wie natürlich der Gedanke ist. 


Fig. 60. Steinkreuz Schottland. Fig. 62. Steinkreuz, Gotland. Fig. 61. Steinkreuz, Dänemark. 


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Fig. 63. Steinkreuz, Gotland. 


180 Oskar Montelius. [29 


In manchen Kirchen sieht man über dem Altar eine strahlende 
Sonne mit oder ohne den Namen Jehovas oder dem Auge Gottes in 
der Mitte. 

Bei manchen Monstranzen strahlt eine Sonne von der Hostie, dem 
Leibe Christi, aus, 
wenn sie vor der knie- 
beugenden Gemeinde 
in die Höhe gehoben 
wird (Fig. 71). 

Von manchem Kreuz 
gehen Sonnenstrahlen 
aus, wie auf dem 
Fig. 72 abgebildeten. 
Diese Figur ist einer 
schwedischen Zeitung 
aus dem Jahre 1903 
entlehnt, wo sie als 
Vignetteüber einer Pre- 
digt angewendet wurde. 
Durc einen eigentüm- 
lihen Zufall — oder 
richtiger aufGrund eines 
tieferen Zusammen- 
hanges, dessen der 
Zeichner sich nicht be- 
wusst war, — ist hier 
die von dem Kreuze 
ausstrahlende Sonne 
mit dem Namen des 
Wodentages zusam- 
mengestellt, der ehe- 
mals der Tag der Sonne 
war und jetzt der Tag 
des Herrn ist. 

Hiermit will ich na- 
türlich nicht sagen, dass 

ae Golland Eisenkreuz ie 1749), Jamtland. die Christen noch in 

unseren Tagen in ihrem 

Gott einen Sonnengott sehen. In ihrem Versuch, sich das vor Augen 

zu stellen, was von keiner Menschenhand gezeichnet werden kann, be- 

nutzen sie als Symbol der Gottheit das Höchste, das Strahlendste, was 
Menschenauge gesehen — die Sonne. 


30] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 181 


Als Symbol des Göttlichen ist die Sonne ja besonders passend 
auch aus dem (Grunde, weil alles Leben hier auf Erden auf der Sonne 
beruht. Wenn die Sonne nicht mehr ihr Licht über uns leuchten liesse, 
nicht mehr ihr Antlitz uns zuwendete, dann wäre die Erde und alles, 
was auf ihr kreucht und fleugt, tot. 

Dies wissen wir. Den Völkern des Altertums war das richtige 
Verhältnis zwischen der Sonne und der Erde noch nicht bekannt, und 


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Fig. 67. Grabstein, Westergötland. Fig. 68. Grabstein, Westergötland. 


dessenungeachtet beteten sie allgemein den Sonnengott als den vor- 
nehmsten aller Götter an. 

Bei dem nahen Zusammenhang, der zwischen der vorchristlichen 
und christlichen Zeit, zwischen vordrristliher und christlicher Religion 


sich findet, ist es natürlich, dass vieles im christlichen Kultus — obwohl 
die Christen unserer Tage sich dessen nicht bewusst sind — bei näherer 


Forschung als eng verknüpft mit längst verflossenen Zeiten sich er- 
weisen wird. 


Eins von den Gliedern in der Kette, die uns und unsere Religion 


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182 


Oskar Montelius. [31 


mit unseren Vorfahren und deren Religion seit Jahrtausenden verknüpft, 
ist das von uns eben betrachtete: die aus dem Sonnenrade gelösten vier 
Speichen, das gleicharmige Kreuz. 


Da das griechische Kreuz in so nahem Zusammenhange mit der 


Sonne steht, 


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Fig. 69. Grabstein, Westergötland. 


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wie es nach dem, was wir im Vorhergehenden gefunden 


haben, der Fall ist, und da der Halb- 
mond das heilige Zeichen der Moham- 
medaner ist, so liegt es auf der Hand, 
auf das bemerkenswerte Verhältnis hin- 
zuweisen, dass, wenn Christen und Mo- 
hammedaner, wie es oft geschah, gegen- 
einander kämpften, die ersteren in der 
Tat das Symbol der Sonne, die letz- 
teren das des Mondes auf 


Fahnen führten. 


* * 
* 


Während beinahe zweier Jahr- 
tausende haben die christlihen Völker 
in dem vierspeichigen Rad und im Kreuz 
ihr heiligstes Symbol gesehen, ein Sym- 
bol, das seine unerhört grosse Bedeu- 
tung dadurch erhielt, dass man in seiner 
Form das Kreuz Christi wiederge- 
geben sah. 

Nunmehr wissen wir jedoch, dass 
dies ein Irrtum ist. 

Die Kreuze, welche die Römer und 
andere Völker zu Christi Zeit bei der 
Hinrichtung von Sklaven und groben 
Missetätern anwandten, hatten nicht die- 
selbe Form wie das griechische Kreuz. 
Sie hatten auch nicht dieselbe Form 
wie das lateinische Kreuz. 


ihren 


Aus den Berichten im Neuen Testament erhalten wir allerdings 
keine nähere Beschreibung von der Form des Kreuzes, und die Worte, 
die im griechischen Text und in der lateinischen Übersetzung über das 
Kreuz gebraucht werden, geben ebensowenig irgend welche Aufklärung über 
die Form. Das griechische Wort staurös bedeutet nämlich Pfahl, und die 
ursprüngliche Bedeutung vom lateinischen crux — das englische cross, das 
schwedische kors, das deutsche Kreuz — ist nur Folterwerkzeug '). 


1) Daremberg und Saglio, Dictionnaire des antiquités grecques et romaines. 


Paris 1881. 1?, 1574. 


32] Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 183 


Aber wenn die Schriftsteller aus den ersten christlichen Jahr- 
hunderten von der Form des Kreuzes sprechen, nennen sie es T-fórmig. 
Aud die älteste proa die wir von Christi Kreuz haben, We uns 
dieses in der Form eines 
T ohne irgend eine 
über das Querholz hi- |! D ARAN ANY 
nausgehende Verlänge- [RL LUD IN we PRON All 
rung des Stammes des AN rel) 
Kreuzes. 

Möglicherweise er- 
halte ich künftig einmal 
Gelegenheit, näheres 
über diese interessante 
Frage im „Mannus“ mit- 
zuteilen. Da wird es 
sich auch erweisen, teils 
dass ein Gottessymbol 
von derselben Form wie 
das lateinishe Kreuz, 
mit sehr langem Unter- 
teil, bereits vor dem Auf- 
treten des Christentums 
bestand, ebenso wie wir < i EAS 
gefunden haben, dass es | ia abe 
auch mit dem griechi- N) a it 
schen Kreuz der Fall a! INN MEARAN MU) 
gewesen ist, teils dass f ARC Au A FUN AAR 
das Kreuz, an dem der |), |. a Ny HN 
sterbende oder verschie- | EIA N) Ne Ñ 
dene Christus seit an- | YY 
derthalb Jahrtausenden 
gewóhnlih abgebildet Hy fl it armer COG | ara“ 1 
. ; IM ‘eu | | hi ALE A May ih O Hin 
ist, seine Form erhalten 1) amta l: de N IN un Way INN al de 
hat unter dem Einfluss A Y QU, 
von Symbolen für die |} UA AO 
Gottheit, die wir jetzt esas Fig. 70. — BT — 
kennen gelernt haben. 

Da das gleicharmige Kreuz von der grossen Bedeutung gewesen 
ist, die wir alle kennen, so kénnen wir nun den Sinn der Worte 
verstehen, die im Anfang der ersten Abteilung dieses Aufsatzes geäussert 
wurden: ,der scheinbar unwichtige Umstand, dass das Rad mit nur 
vier Speichen so lange Zeit an den Wagen benutzt wurde, hat sehr 


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184 Oskar Montelius. [33 


unerwartete Folgen gehabt“. Wenn die gewöhnlichen Räder vier Speichen 
nicht während so langer Zeit gehabt hätten, dass man sich auch das 


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Fig. 71. Monstranz. 


den Christen die Bedeutung bekamen, 
weniger Verwunderung erwecken. 


Sonnenrad allgemein als vier- 

speichig vorstellte, so wäre aller 

Wahrscheinlihkeit nah das 

gleiharmige griedhisdhe 

Kreuz niemals entstanden. 
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Das Kreuz, das als 
für die Christenheit am 
meisten charakteristisch 
betrachtet wird, hat also 
tatsählih seinen Ur- 
sprung in vordristlidher 
Zeit. 

Dies im erysten Augen- 
blick überraschende Ergebnis 
darf indessen nicht unsere Ver- 
wunderung erwecken. Als das 
Christentum entstand, waren 
diejenigen, die Christen wurden, 
mit den heiligen Sinnbildern 
vertraut, die ihre Vorfahren seit 
Jahrtausenden mit Ehrfurcht 
betrachtet hatten. Zu diesen 
Sinnbildern gehörte das Rad, 
das gleicharmige Kreuz und das 
Kreuz mit langem Unterteil. Da 
war es natürlih, dass diese 
Zeichen, in denen die Christen 
nur Symbole des Géttlichen, 
nicht irgend eines heidnischen 
Gottes im Gegensatz zu dem 
christlihen, sahen, von den 
Christen als Symbole für ihren 
Gott und seinen Sohn ange- 
wendet wurden. 

Dass diese Symbole bei 
die sie jetzt haben, darf noch 


Wir wissen, wie oft es vorkommt, dass man, wenn die wirkliche 
Geschichte und wirkliche Bedeutung eines Gegenstandes oder einer Er- 


15 


34) Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. 185 


scheinung unbekannt ist, eine Erklärung derselben gibt, die wohl be- 
rechtigt scheinen kann, tatsächlich aber durchaus unrichtig ist. Wenn es 
sih um die Frage nach der Bedeutung eines der Sprache ursprünglich 
fremden Wortes handelt, nennt man eine solche Erklärung „volksety- 
mologish“. Auch auf anderen Gebieten als dem sprachlichen, nicht zum 
mindesten auf dem, das in Zusammenhang mit der Religion steht, 
begegnen wir gleichen Erscheinungen. 


Eine solche ist, um ein Beispiel anzuführen, die Erklärung, die 
man von der Richtung der christlichen Kirchen gegeben hat. Man sieht, 


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Fig. 72. Vignette zu einer Sonntagsbetrachtung. 


dass die Kirchen in der Richtung von Westen nach Osten gebaut werden, 
mit dem Altar gegen Osten, und man glaubt, dies beruhe darauf, dass 
der Altar in der christlichen Kirche gegen Jerusalem gerichtet sein soll 
in derselben Weise, wie der vornehmste Platz in der mohammedanischen 
Moschee die Richtung gegen Mekka angeben soll. Diese Erklärung 
lässt sich gut an, ist aber unrichtig, was unter anderem daraus hervor- 
geht, dass auch die während der ersten Jahrhunderte des Christentums 
gebauten Kirchen, deren Ruinen im nördlichen Syrien liegen, ihre Altáre 
im Osten haben, obwohl ein jeder in jenen Gegenden wohl wusste, 
dass das nicht besonders weit abliegende Jerusalem im Süden lag. 
Die richtige Erklärung ist, dass der Altar in der christlihen Kirche gleich- 
wie in manchem vorchristlihen Tempel deshalb nach Osten gerichtet sein 
soll, weil die Sonne im Osten aufgeht. Von alters her hatte man die 
Vorstellung, dass, wenn man sich gegen Osten wände, man sich gegen 
die Sonne, gegen Gott wände. 


Dieselbe Bewandtnis hat es mit der richtigen Bedeutung der Sym- 
bole, die wir eben betrachtet haben. Man wusste, dass sie heilige, 
von den Vätern ererbte Sinnbilder waren, und man kam dazu, die Er- 

Mannus. Bd. I. H. 3. 13 


186 Oskar Montelius: Das Sonnenrad und das christliche Kreuz. [35 


klärung für ihre Heiligkeit darin zu sehen, dass sie Abbilder des Kreuzes 
waren, an dem Christus einen qualvollen Tod erlitten hatte. Tatsächlich 
stammen sie von so uralten Zeiten her, dass die Überlieferung ihrer 
richtigen Bedeutung in Vergessenheit geraten ist. 

Sie waren nicht Sinnbilder von Christi Erniedrigung 
und seinem Tod als ein Missetáter. 

Sie waren Sinnbilder seiner Gottheit. 


Übersicht über die Forschungsergebnisse 
in Nordbóhmen”. 


Von Inspektor R. R. von Weinzierl, Teplitz-Schönau (+). 
Mit 32 Textabbildungen. 


Das nördliche, wie auch das nordwestliche Böhmen ist von grosser 
Bedeutung in bezug auf die Urgeschichte des Landes selbst, das 
vermöge seiner zentralen Lage in Europa ein für die Erforschung der 
vorgeschichtlichen Kulturen wichtiger Terrainabschnitt des Kontinentes, der 
von den frühesten Zeiten an von Handelswegen durchquert war, Funde 
aller Kulturabschnitte in sich birgt. 

Der autochthone Bewohner hatte sich zunächst zwischen dem Erz- 
und Mittelgebirge festgesetzt und von da fächerartig über die Nord- 
hälfte Böhmens verbreitet, so dass insbesondere der Elbe-, Eger- und 
Bielalauf mit seinen fruchtbaren Niederungen dem Neolithen alles bot, 
was er für sich und seine Viehherden und zu einer friedlichen 
kulturellen Entwicklung benötigte. 

Das Ende des Neolithikums ist gegeben durch das Einsetzen der 
Metallzeit. Die östlichen, westlichen und auch die vom Süden aus 
dem Donaugebiete Böhmen überflutenden Einflüsse der Bronzekultur 


1) Der vorliegenden letzten Abhandlung des hochverdienten böhmischen 
Forschers wurde die Aufnahme in den „Mannus“ nicht versagt, obwohl der vor- 
zeitige Tod des Verfassers es leider unmöglich gemacht hat, durch weitere Ver- 
handlungen seine Zustimmung zu den sachlich notwendigsten Änderungen seiner 
Auffassung und Darstellung zu erlangen. Dahin gehören die verfehlten Ansätze 
der absoluten Chronologie, die besonders bei den Zahlen der Laténeperioden zu 
Tage treten (S. 204), für die Bronzezeit aber vom Herausgeber teilweise eingerenkt 
werden mussten, ferner der Gedanke, das die feinere Ware der Zonenbecher süd- 
licher Import sei (S. 194), namentlich aber die unglückliche Verschmelzung der 
keltischen Bojer und ihrer Nachfolger, der swebischen Markomannen, zu dem rein 
erdachten Stamme der Keltogermanen, denen eine einheitliche, allerdings sich 
stark abwandelnde Kultur zugeschrieben wird, neben der in Böhmen noch eine 
geschlossene spezifisch römische Kultur einhergehen soll, wie andererseits die 
Markomannen vieles schon rein Slawische zugeteilt erhalten, und manches andere, 
das der Kundige alsbald erkennen wird. G.K. 

13* 


188 R. R. von Weinzierl. [2 


ergeben ein neues Bild der besiedelten Fläche. Es zeigt sich genau, 
dass nunmehr mit Ausnahme der Randgebirge und deren Innerland- 
Ausläufer unser heutiges Böhmen bis auf-wenig Terrainabschnitte be- 
völkert war. 

Durch vielfache neue Handelsbeziehungen entstehen neue Handels- 
strassen, die von einem Kulturzentrum zum anderen führen. Schon in 
der neolithischen Kulturepoche 
können wir vom ursprünglichen 
Sitze des Steinzeitmenschen aus 
eine breite Kulturstrasse der Biela- 
Eger aufwärts bis Saaz, von da 
über Schlan nach den Zentrum 
Böhmens und schliesslich dem 
Osten zu feststellen. Von Mähren 
aus ist in dieser Kulturepoche 
zunächst eine Rückstauung nach 
dem Westen fühlbar. In der 
Bronzezeit macht sich die Ein- 
bruchstelle von Taus und jene im 
äussersten Süden, sowie jene im 
nordöstlichen Böhmen geltend; 
letztere bildet den Eingang der 
Lausitzer Kultur. 

Die Hallstattkultur betritt 
vom Östen und Süden her die 
gebahnten Wege ihrer Vorläufe- 
- | rinnen, worauf die Laténe-Kultur 

Robert Ritter von Weinzierl, bei Taus einbricht und der grossen 

geb. 1855, + 9. Juni 1909. Kulturstrasse Beraun abwärts fol- 

gend zunächst in dem mächtigen 

Kulturzentrum von Stradonitz einen Stützpunkt findet, dann nordwärts 

wendend sich bis in das nördliche Böhmen ergiesst und den durch 

die südwärts gerichteten Ausstrómung der Steinzeitkultur eröffneten 

primären Handelswegen nach Norden zu folgend bis in die Gegend von 
Auscha fühlbar wird. 

Vom Rhein her folgt der Latene- über Nordbayern die römische 
Kultur, fränkische Kaufleute dringen bis an die Elbe resp. Biela vor 
und in der Zeit der Völkerwanderung, die keinen Hiatus für Böhmen 
bildet, bringt das Gewoge der ruhelosen Zeit noch andere Kultur- 
momente nach Böhmen. Böhmen ist mehr denn je ein Durchzugsland 
geworden, insbesondere der nördliche Teil, wo alle Kulturmomente in 
den mächtig entwickelten Kulturzentren ihre Einflüsse zur nachwirkenden 


3] Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordbëhmen. 189 


Geltung brachten, so dass wir sagen können, dieser Abschnitt bildet 
eigentlich eine breite, das Land durchquerende Handelsstrasse. 

Die letzten Reste der sesshaften Kelto-Germanen verschwinden, 
das Hin- und Hergewoge der Völkerwanderungszeit verwischt immer mehr 


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Fig. 1a. Stier- oder Votivgefäss von Ribeian. Seitenansicht. 


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das deutliche Bild der kulturellen Entwicklung der einstigen Bewohner 
der fruchtbaren Wasserläufe, das Bild wird immer unklarer, bis dann 
mit dem Erscheinen der Slawen im VII. Jahrh. nach Ch. die Geschichte 
des Landes, wenn auch nicht deutlich, so doch greifbarer wird. 


Aus diesen ganz flüchtigen Andeutungen geht vor allem hervor, dass 
die Urgeschichte des Landes von besonderem Interesse und von hoher 
Bedeutung ist und vielfach den Fusspunkt zu fortgesetzten Studien bildet. 

Aus diesem Grunde wurde massgebenden Ortes Bedacht darauf 
genommen, die Forschungen eingehend durchzuführen, diese fachlichen 
Arbeiten zu unterstützen und in jeder Beziehung zu fördern, um einen 


190 | R. R. v. Weinzierl. [4 


vollständigen Überblick über die kulturelle Entwicklung zu gewinnen. 
Gleichzeitig wurde die Wichtigkeit eines urgeschichtlichen Zentralmuseums 
für das nördliche resp. nordwestliche Böhmen ins Auge gefasst. 

Zu diesem Behufe hat die Gesellschaft zur Förderung Deutscher 
Wissenschaft, Kunst und 
Literatur in Böhmen zu 
Prag die altehrwürdige 
Thermenstadt Teplitz- 
Schönau für die Errich- 
tung dieses Zentralin- 
stitutes ausersehen, ins- 
besondere aus dem 
Grunde auch, weil seine 
Lage im dichtbevölkerten 
‘deutschen Landesteile, 
inmitten vieler vorge- 
schichtlicher Kulturzen- 
tren, dazu berechtigt. 

Im Jahre 1901 
wurde das prähistorische 
Inspektorat für die deut- 
schen Landesteile auf 
Antrag oben genannter 
Gesellschaft errichtet mit 
dem Sitze in Teplitz- 
=| Schönau und vom Lan- 
| desausschusse bestätigt. 
| Mit diesem Momente 

el wurde eine Organisation 


der Forschungsarbeiter 
Fig: 1b. Stier- oder Votivgefäss von Ribeian. Vorderansicht. durchgeführt. Ein Fund- 


als ES FARO 


aT he | 


und Fundorte-Kataster, 
genaue Kartierungen der auch wenig bedeutenden Fundorte, Pläne und 
sonst noch notwendige Karten bilden heute bereits für die Urgeschichts- 
forschung einen bedeutenden wissenschaftlichen Schatz. Die Samm- 
lungen des Museums wurden fortab derart ausgestaltet, dass sie nunmehr 
schon eine reichliche Übersicht geben über die kulturelle Entwicklung 
des autochthonen Bewohners bis zur Slaweneinwanderung. Die Be- 
stände des Zentralinstitutes zählen heute mehr als 20000 Inv.-Nummern; 
dieselben geben Zeugnis von einer jahrelangen, eindringenden Forschungs- 
arbeit, die bis nun zu folgenden Ergebnissen geführt hat. 
-Der autochthone Bewohner unseres Durchforschungsgebietes trägt 


5] - Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordböhmen. 191 


in bezug auf seine Schädelbildung jene Kriterien an sich, die zu der 
Annahme berechtigen, ihn als nordische Rasse anzusprechen !). Dieser 
Neolith überschritt, von Norden herabziehend, das Erzgebirgsmassiv 
nördlich des Teplitzer Bek- 
kens, besiedelte nun zu- 
nächst das ganze Becken 
zwischen dem Erz- und 
Mittelgebirge. Die zahlrei- 
chen Siedelungen und Be- 
gräbnisplätze weisen auf eine 
dichte Besiedelung hin. Die 
keramischen Erzeugnisse 
(Fig. 1 a, b), die Verzierungs- 
motive (Fig. 2, 3) und die 
Technik, sowie die Stein- 
werkzeuge und Waffen (Fig. 4) 
lassen uns einen geschlos- Fig. 2. Bandkeramisches Gefáss von Lobositz. 
senen Kulturkreis erkennen, 

der seiner Typen wegen als der der Bandkeramik bekannt ist. Selten 
nur kommen einfach mit dunkler Erdfarbe bemalte Gefässe vor. Die 
bis jetzt vereinzelt gefundenen Bestattungen zeigen noch keinen ausge- 
sprochenen Totenkultus, wiewohl man bereits mehr als eine Andeutung 
des sogenannten liegenden Hockers vorfindet. Etappenweise rückt der 
Besiedler gegen Westen, Süden und Osten vor*). Am Ende der älteren 
Kulturphase der jüngeren Steinzeit macht sich eine Rückstauung von 
Osten her merkbar, die uns wohl auch die Bemalung des Gefässes der 
Kulturzentren der Bandkeramik aus Mähren bringt. Am Ende dieses 
Kulturabschnittes macht sich, jedoch nur vereinzelt, der Rössener 
Typus geltend und wird nicht allein im nördlichen Böhmen, sondern 
bis in das Zentrum Böhmens hinein, besonders aber an der Elbe gefunden. 


Noch vor dem Erlöschen der Bandkeramik setzt von Norden her, 
mit dieser parallel gehend, die Schnurkeramik ein und zwar in vehe- 
menter Weise, so dass es den Anschein hat, als ob die ältere Kultur- 
phase mit einem Male verwischt worden wäre. Es entstehen an den 
alten Kulturpfaden und Handelswegen neue Kulturzentren, besonders 
in der Elbegegend, wo nicht allein Gräbergruppen, sondern grössere 


) Reche O., Zur Anthropologie d. jüng. Steinzeit in Schlesien und Böhmen. 
(Archiv f. Anthropologie N. F. Bd. V11, Heft 2/3). Braunschweig 1908. 


Schliz A., Die vorgesch. Schädeltypen der deutschen Länder in ihrer 
Beziehung zu d. einz. Kulturkreisen der Urgeschichte. (Ebenda Heft 4). 


2 WeinzierlR. v., Die jüng. Steinzeit in Böhmen. Mit einer Karte. Prag 1895. 


192 R. R. v. Weinzierl. [6 


Friedhöfe teils bereits durchforscht, teils wenigstens angeschnitten wor- 
den sind '). 

Die Keramik der jüngeren Kulturphase des Neolithikums bringt 
uns neue Typen (Fig. 5, 6, 7, 8), neue Verzierungsmotive (Fig. 9) und 


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Fig. 3. Bandkeramische Nutzgefässe von Karbitz-Herbitz. 


endlich auch eine wesentlich verschiedene Technik; dazu gehören präg- 
nante Formen der Steinwaffen und -Geräte (Fig. 10), vielfach anderer 
Hausrat und dgl. m. Die Bestattung der Toten wird streng rituell 
durchgeführt. Sehr selten kommen sitzende, in der Regel liegende 
Hocker vor. Am Ende dieses Kulturabschnittes kommen vereinzelt auch 
Verbrennungen und Schädelbegräbnisse vor. Einzelne Momente berech- 
tigen wohl auch zu der Annahme, dass die Anthropophagie in vereinzelten 


1) Leitmeritz, Lobositz, Gross-Tschernosek: Weinzierl R. v., Der prähistor. 
Wohnplatz und die Begräbnisstätte auf d. Lösskuppe südöstlich v. Lobositz. Mit 
27 Fig. (Zeitschr. f. Ethnol. 1895). 

Neue Funde auf d. Lösskuppe. Mit 7 lllustr. (Verh. d. Berl. Anthrop. Ges. 
1897, 42). 

Eine neolith. Ansiedelung d. Übergangszeit bei Lobositz. Mit 7 Fig. (Zeitschr. 
f. Ethnol. 1894). 

Eine neolith. Ansiedlung oberh. Kl.-Tschernosek. Mit 8 Illustr. (Verh. der 
Berl. Anthrop. Ges. 1895, 684). 

Die neolith. Ansiedelung bei Gr.- Tschernosek a. Elbe. Mit 81 Illustr. (Mitt. 
d. Anthrop. Ges. Wien 1895). 


7] Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordböhmen. 193 


Fällen noch geübt wurde. Die Trepanation (Fig. 11) kommt mit echter 
Schnurkeramik vor. 

In dieser Kulturphase scheint, am Ende derselben, eine robustere 
nordische Rasse den autochthonen Bewohner gewaltsam unterjocht zu 


AAA TREE ARTNET ET TUT UE 


Fig. 4. Pflugschar von Obernitz. 


haben. Das Studium der zahlreichen dolichocephalen Schädel der 
neolithischen Kulturepoche, die die Sammlung des Zentralinstitutes 


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Fig. 5. Grabgefässe zweier neolithischer Hockerbestattungen von Gr. Tschernosek. 


enthält, zeitigt diese Annahmen gegenüber jenen der älteren Kultur- 
phase ?). 
Am Ende dieses Kulturabschnittes kommt, freilich nur vereinzelt, 


— — 


1) Reche, a. a. O. 


194 R. R. v. Weinzierl. [8 


immer aber noch mit echter Schnurverzierung, das Ansa-lunata-Gefáss 
(Fig. 12) vor und schliesslich der glockenförmige Becher (Zonenbecher) 


Fig. 6. Kugelamphore von Bilin. Fig. 7. Kugelamphore von Prosmik a. E. 


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Fig. 8. Typen des schnurkeramischen Kulturkreises von Lobositz und Umgebung. 


und in seinem Gefolge die ornamentierte breit- und flachrandige Schüssel. 
Diese südliche Importware, die ihren Weg über Mähren nach Böhmen 
genommen hat, ist bis in das nordwestliche Böhmen verbreitet. Es 


9] Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordbëhmen. 195 


werden auch lokale Nachahmungen gefunden, die aber gegenüber der 
schönen Importware eine recht primäre Mache aufweisen. 

Eine ganze Reihe der in schnurkeramischen Skelettgräbern ge- 
fundenen glockenförmigen Becher, sowie Fragmente solcher aus neoli- 
thischen Kulturschichten lassen uns diese Keramik gegenüber anderen 
Fundberichten noch als neolithisch ansprechen; diese reicht in die 
frühmetallische Zeit hinein 3). 

Am Ende des Neolithikums tritt, besonders in den Gräbern, die 


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Fig. 9. Schnurkeramische Becher aus dem Elbegebiet. 


sogenannte Pseudoschnur auf (Fig. 13, 14, 15), ein Verzierungsmotiv, 
das die echten Schnurabdrücke ersetzen sollte. 

In den Gräbern finden wir, freilich nur selten, Bernstein und Gold, 
letzteres gleichzeitig mit Kupfer. Besonders der Bernstein und auch 
der importierte Feuerstein zeigen uns, dass Handelsverbindungen mit dem 
Norden, der früheren Heimat unseres Neolithen, fort bestanden haben. 

Noch ehe die Bronze Böhmen überschwemmte, hatte das Kupfer 
in den Steinzeitsiedlungen Eingang gefunden. In Gräbern mit echter 
Schnurkeramik finden wir Ohr- oder Fingerschmuck aus Kupfer °). 

Das Ende der jüngeren Steinzeit können wir für Böhmen mit 
dem Jahre 3000 vor Chr. festsetzen. (? G. K.) 


1) Weinzierl R. v., Importierte neolith. Keramik in Böhmen (Prähistor. 
Blätter VIII). 
3) Gross-Tschernosek a. Elbe. 


196 R. R. v. Weinzierl. [10 


Mit dem Eingange des Kupfers merken wir bereits deutliche Form- 
veránderungen an den Gefássen (Fig. 16), Veränderungen, die durch 
metallzeitige Vorbilder bedingt sind. 

In den Steinzeitgräbern, besonders des Elbegebietes, finden wir 
eine ganze Reihe von Formen der sepulchralen Gefässe, die sich im 
Laufe der Zeit verändert haben gegenüber den primären Typen, und 
diese veränderten Formen erhalten im Beginne der Metallzeit eine 
weitere Ess in der Profilierung, der Henkelgestalt und den Or- 


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Fig. 10. Seltene Form einer gelochten Steinaxt und Steinmesser. Grabfund von Kraiditz. 


namentmotiven. In einzelnen Kulturzentren wirken stärkere Einflüsse 
auf bestimmte Formen ein, so dass endlich in der ältesten Bronzezeit 
sich ein scheinbar neuer Formenkreis ausgestaltet hat, der nach seinem 
Fundorte der Aunetitzer Typus (Fig. 17) genannt wurde. Wir können 
diese neuen Formen zurückleiten bis zu den Grabinventaren der Elbe- 
gegend !), die zeitlich sehr weit von einander abstehen. Die sogenannten 
Aunetitzer Gräber enthalten noch liegende Hocker und bei diesen finden 
wir ein Metallinventar, das reine Typen dieser Kulturphase zeigt, 
so die dreieckigen Dolche (Fig. 18), die säbelförmige Nadel mit dem 
verkehrt kegelförmigen Kopfe, auf dem eine Öse aufsitzt, die einfachen 
Flachbeile u. a. 


1) Gross-Tschernosek, Lobositz. 


11] Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordböhmen. 197 


Wir wissen wohl, wann die Kupferzeit einsetzt, doch können wir 
weder deren Ende, noch einen Übergang zur Bronzezeit feststellen. 
Es liegen uns nur wenige Kupferfunde vor und zwar Beile, die ihrer 
Form nach auf die Schmalbeile der Steinzeit hinverweisen. Der in den 


Fig. 11. Linksseitige Schläfenbeintrepanation von Bilin. 


Fig. 12. Ansa-lunata-Gefässe von Gr. Tschernosek. 


schnurkeramischen Gräbern gefundene Schmuck (Fig. 19) besteht aus 
Ringen, die aus schwachem Drahte einfach zusammengebogen sind. 
In den Muschel- und Zahngehängen finden wir kleine kugelige Kupfer- 
perlen. 


198 R. R. v. Weinzierl. [12 


Naturgemäss sind die Kupfersachen in der Frühbronzezeit ein- 
geschmolzen worden, daher zum gróssten Teile verschwunden. 

In der ältesten Bronzezeit blieb der Totenkultus derselbe wie in 
der Steinzeit. Der Schädeltypus verändert sich wesentlich, neigt der 


Fig. 13. Spät-schnurkeramische Formen aus dem nordwestlichen Böhmen. 


Fig. 14. Amp nore mit Pseudoschnurornament von Lobositz. Fig. 15. Neolithische Amphore von Hostomitz. 


13] Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordbëhmen. 199 


Mesocephalie zu, wiewohl noch typische Langschädel vorkommen. Die 
Untersuchung der menschlichen Reste ergab eine Mischrasse. Etwa 
um 1300 vor Chr. setzt mit aller Vehemenz die Lausitzer Kultur 
ein und verwischt in der ganzen Nordhälfte Böhmens die bestandene 
Kultur. Bis zum Jahre 1000 vor Chr. besteht ein anthropologischer 
Hiatus. Die Toten werden verbrannt, die Asche und die zerkleinerten 
Knochen werden in Urnen beigesetzt. Es entstehen sogenannte Urnen- 
friedhöfe, von welchen jene von Libochowan, Wesseln und Rosawitz 
an der Elbe, von Ratsch im Mittelgebirge die bedeutendsten sind. 
Nur wenige Bronzen, meist angeschmolzene, werden in der Totenasche 


Fig. 16. Spät-neolithische Grabgefässe von Teplitz-Schönau. 


gefunden. Die neue Kultur hat sich in den grossen Kulturzentren 
festgesetzt. 

Im nördlichen und nordwestlichen Böhmen haben wir es mit 
einer reinen Lausitzer Kultur zu tun, die sich wiederum in den einzelnen 
Zentren zunächst autochthon, später durch verschiedene neue Einflüsse 
weiter entwickelt hat. 

In dem ersten Abschnitte der Bronzezeit wurde Böhmen, besonders 
der nördliche Teil, von der pannonischen Kultur überflutet, auch die 
entferntesten und einzelnen Niederlassungen fand der von Osten kom- 
mende Händler. Es entstand ein regelrechter Handel. 

Beschädigte und gebrochene Stücke wurden in ganze umgesetzt, 
die Gusstechnik fand ihren Eingang. 


200 R. R. v. Weinzierl. [14 


Eine grosse Zahl von Depotfunden, zahlreiche verbrauchte Guss- 
formen (Fig. 20), die in den bronzezeitigen Kulturschichten und Gruben 
gefunden werden, und schliesslich zahlreich gefundene, ganze Bronze- 
objekte (Fig. 21, 22), sowie die reichen Grabinventare beweisen einen 
recht ansehnlichen Metallreichtum. Bedeutende Goldfunde, reicher Bern- 
steinschmuck ver- 
weisen uns wieder- 
um auf weit ver- 
zweigte Handelsver- 
bindungen mit dem 
Norden und Osten. 
Der Lausitzer Kultur 
entspricht ein ganz 
neuer, geschlosse- 
ner Formenkreis von 
Gefässen mit neuen 
Verzierungsmotiven. 
Von der einfachen 

doppelkonischen 
Urne an bis zum 
Etagengefäss finden 
wir nur wenig Än- 
klänge an alte, be- 
kannte Formen (Fig. 
23). Der sogenannte 
schlesische Typus 


hat im nördlichen 
Fig. 17. Grosses Vorratsgefäss von Stankowitz. Böhmen keinen Ein- 


gang gefunden. Wir 
können in den einzelnen Varianten nur den Góritzer und Billendorfer 
Typus !) unterscheiden; die vom Westen und Süden nach Böhmen ein- 
dringende Hügelgräberkultur ist im Nordwesten und Norden Böhmens 
nicht fühlbar geworden. Nördlich der Eger sind auch bis jetzt noch keine 
Hügelgräber gefunden worden. Etwa um das Jahr 1000 v. Chr. machten 
sich in den Lausitzer Kultur-Zentren neue kulturelle Momente geltend. 
Neue Gefässtypen und das Eisen werden in den Urnengräbern mit Leichen- 
brand gefunden. Die Früh-Hallstattkultur dringt über Süd- und Südwest- 
böhmen bis nach Norden vor. Sehr lehrreich sind beispielsweise die Urnen- 
gräber von Libochowan. Es wurden ungestörte Grabinventare gehoben, 


3) Voss A., Keramische Stilarten der Provinz Brandenburg und benachbarter 
Gebiete. Mit zahlr. Textillustr. (Zeitschr. f. Ethnologie, Berlin 1903). Nach Voss 
handelt es sich im nördl. Böhmen nur um den Lausitzer Typus „im engeren Sinne“. 


15] Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordbëhmen. 201 


in denen neben den typischen Lausitzer typische Hallstattformen 
(Fig. 24) standen und neben Bronze auch Eisen gefunden wurde. 
Diese Übergangsgräber zeigen so recht die Verschmelzung der Kulturen. 
In der weiteren Reihenfolge wurden wiederholt Brandgräber mit reinen 
Hallstattformen (Fig. 25) 


gefunden, die sich mit der | 3; 
nd 


Hügelgräberkeramik um Pil- Dacheenits, | | 
sen vollkommen decken. In | 2, E | | f 


fast allen kleineren Siede- 


——s so —— - - e 


lungen der Lausitzer Kultur FR ARTE 
NKC Did au ai, 
werden, wenn auch verein Nut Nic Pals Pare 


zelt, Anklänge an die Hall- 
stattkultur gefunden. 

Weiterhin auch bringen 
uns die überlagernden Kul- 
turschichten die Gewissheit, 
dass die Hallstattkultur eine 
lange Spanne Zeit andauerte. 
In einzelnen Urnenfriedhöfen 
finden wie lokalentwickelte, 
neue Formen, rote bemalte 
Grabgefässe und die der | 
Ansiedelung entsprechenden 
Kulturgruben enthalten einen 
typischen Hausrat dieser 
Kultur. 

Auch aus diesem Kul- 
turabschnitte kennen wir | 
keine Hügelgräber aus dem 
nordwestlichen und nörd- 
lichen Böhmen (Fig. 26). | = ne E 

Um das Jahr 400 v. Fig. 18. Kupferdolche von Gr. Tschernitz. 

Chr. setzt, bei Taus ein- 

brechend, die Frühlat&ne-Kultur ein; es dauerte eine geraume Zeit, bevor 
im nördlichen und nordwestlichen Böhmen sich die kelto-germanische 
Besiedlung vollzogen hatte '). Die Kelten, ein kriegerisches Volk von hoher 
Kultur, nahmen alle Elemente der besiedelten Terrainabschnitte und 
Kulturzentren in sich auf und beherrschten das in Besitz genommene 
Land. Ihre hohe kulturelle Stellung, ihre soldatische Organisation gab 


1) Weinzierl R. v, Das Laténe-Grabfeld von Langugest bei Bilin. Mit 
zahlr. Textillustr. und 13 Lichtdrucktafeln. Brschw. 1899. 
Mannus. Bd. L H 3. 14 


202 R. R. v. Weinzierl. [16 


ihnen eine gewisse Machtstellung. Sie bezogen vor allem, den alten 
Handelswegen folgend, die Kulturzentren und vermöge der regen Ver- 
bindung mit den Rheingebieten wurde der Handel reger denn je, in- 
folgedessen die römische Kultur sehr bald im Gefolge der reinen 
Laténe-Kultur nach Böhmen kam. 
Die Gepflogenheit der Totenver- 
brennung erlischt mit der Früh- 
Laténe. Die Kelten bestatteten 
ihre Toten nach einem bestimmten 
Ritus in der gestreckten Rücken- 
lage. Wir finden meist grössere 
Gráber-Gruppen, vielfach grössere 
Friedhöfe von nahe aneinander 
gereihten Gräbern, mit meist 
nördlicher Orientierung. 

Die Männergräber enthal- 
ten allerorts gleichartige Waffen 
(Fig. 27), welcher Umstand auf 
eine mehr soldatische Ausrüstung 
der bewehrten Männer hinweist. 
Die Frauengräber sind meist sehr 
reih mit Bronze- und Eisen- 
schmuck (Fig. 28) dotiert. Selten 
wird Glasshmud gefunden (Fig. 
29). Ein geringer Prozentsatz der 
Gräber enthält keinerlei Schmuck- 
gegenstände, was auf eine gewisse 
Armut verweist. 

Hat die Hallstattkultur be- 
reits das Eisen den Ansiedlern 

Frühbronzezeitiger Halsschmuck von Stankowitz. zur Kenntnis gebracht, so ist mit 

dem Laténe-Volke eine in jeder 
Richtung hin entwickelte Technik der Eisenbearbeitung ins Land ge- 
kommen. | 

Dieses Volk verstand es, aus den leicht schmelzbaren Eisenver- 
bindungen das Metall zu gewinnen; die gefundenen Eisenschmelzöfen 
und die vielfachen Funde von Eisenschlacken in den Ansiedlungen sind 
die Beweise hierfür. s 

Die Kelto-Germanen sind ein Mischvolk; die gefundenen Schädel 
zeigen keine Rassenreinheit mehr. So ergab das grosse Latëne-Grab- 
feld von Langugest alle Schädeltypen. Die Keramik ist bezüglich der 
Formen, der Ornamentik und der Technik der Bearbeitung verschieden 


| | Wong: 


| 2. Volle hta no vet Mia Ha hh. te 
— mE — Y > YF 


17] Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordböhmen. 203 


von der der vorhergehenden Kultur. Auch tritt ein neues Moment 
in den Vordergrund. Die Kelten hatten bereits Kenntnis von der 


| ——— - -- a 


T m a 


— < — — — — — mann PX nn o — 


Fig. 20. Gussplatten von Schiessglock. 


Fig. 21. Bronzezeitfunde aus dem nordwestlichen Böhmen. 


Tópferdrehsheibe, doch sind, alter Geflogenheit gemäss, die Gebrauchs- 
gefässe in der Hand geformt worden, während feinere Schalen, 


besonders aber die sepulchralen Gefásse auf der Scheibe, meist mit 
14* 


204 : | R. R. v. Weinzierl. (18 


feiner Profilierung und Gliederung des Halses erzeugt wurden. Diese 
verweisen auf die klassische Kultur der Rheinprovinzen, von wo die 
römishe Kultur in stetem Kontakte mit unseren Keltensiedlungen 
fortab blieb. 

Die zahlreihen Kleinfunde der Laténe-Kulturgruben zeigen uns, 
dass der Bewohner nicht 
allein ein gewandter Töpfer 
und Schmied war, sondern 
auch alle anderen Handwerke 
verstand und sich auch in 
jeder Richtung hin künstle- 
risch betätigte. Die Textil- 
reste der Langugester Gräber, 
fein und grob gewebte, wie 
auch gemusterte Kleiderreste 
| aus Pflanzenfasern, führen 
| uns den Kelten als geübten 
Weber vor Augen. 

Die Wohnungen, und 
dies vorweg die unter dem 
Bodenniveau versenkten Win- 
terhütten, sind trotz der hoch- 
stehenden Kulturnoch ebenso 
primitiv zu denken, wie sie 
in der Steinzeit waren. 

Die Frúhlaténe-Kultur 
macht sich durchgreifend über 
den ganzen Landesteil gel- 
tend; so finden wir in den 


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nigen Bestattungen Anklange 
an die Mittel-Laténe, nur 
einige Mittel - Latene- Typen 
unter den Fibeln aus Eisen. Der schwere Fussshmuc der Frauen- 
gräber, die grossen Buckel-Scharnier-Ringe, gehören der Frithlaténekultur 
ebenso an wie den beiden folgenden Abschnitten. 

Die Frühlatöne-Kultur gehört dem Zeitabschnitte von 200 bis 
50 vor Chr., die Mittellatöne von 50 vor bis 50 nach Chr. und die Spät- 
latene jener von 50—200 nach Chr. an. 

Die Mittellatene-Kultur war nicht durchgreifend, die Typen der- 
selben bleiben eingestreut zwischen denen des ersten Abschnittes. Die 


Fig. 22. Frühbronzezeitige Gewandnadeln von Kl. Tschernitz. 


19] 


Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordbëhmen. 


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Fig. 24. Urnengrab mit Leichenbrand von Libochowan. 


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206 R. R. v. Weinzierl. [20 


Spátlatene-Kultur dagegen ist schärfer gekennzeichnet in der Keramik 
und den Metallfunden durch zahlreiche Anklánge an die römische Kultur. 


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Fig. 25. Urnengrab mit Leichenbrand von Libochowan. 


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Fig, 26. Bronzeschwert, eiserne Lanzenspitzen, Bronzegeršte und Waffen von Hostomitz. 


In den Kulturgruben dieses Abschnittes werden vielfach klassische Im- 
porte gefunden, unter denen Fragmente von Terra-sigillata-Gefässen 
zu erwähnen sind. Römisch-provinziale Formen werden vielfach ge- 


21] Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordbëhmen. 207 


funden *). Wurde bisher aussdhliesslih die Bestattung des Toten ge- 
übt, so findet im 2. Jahrh. nach Chr. bereits die Verbrennung Eingang. 


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Fig. 27. Früh-Lat£negrabfunde von Liquitz. 


Die Urnen (Fig. 30) dieser Gräber 
zeigen einen durchaus klassischen Typus. 
Waffen und Schmuck werden insgesamt 
der Haupturne, welche die Reste des 
Verbrannten enthält, beigegeben und 
unter dem Bodenniveau versenkt. 

Das Laténe-Volk, das sich am 
Ende des 3. Jahrh. v. Chr. auch auf der 
Prohner Anhöhe (südlich von Langugest) 
und südlich von Dux bis Hostomitz an- 
siedelte, benützte die heisse Therme 
der sogenannten Riesenquelle bei Dux, 
die dort mächtig zutage trat. Die baden- 


Fig. 28. Kunstvoll ausgestaltete 
Bronzearmstange (Löttechnik) aus Liquitz. 


1) Ein Silber-Denarfund (numi serrati) von Liebshausen in Verbindung mit 
römischen Armbrustfibeln lässt die Vergrabungszeit dieses Gelddepots im 2. Jahrh. 


nach Chr. feststellen. 


—  — .— 


208 R. R. v. Weinzierl. [22 


den opferten Schmuckstücke, meist Fibeln und Ringe aus Bronze. Bei der 
Teufung (1882) der im Jahre 1879 nah dem Döllinger-Einbruce ver- 
schwundenen Quelle wurden mehrere Tausend dieser Schmuckstücke zutage 


Fig. 29. Glasarmring von Neusattel. 


Fig. 30. Grabgefäss von Twerschitz. 


gefördert. Die grosse Zahl der prächtigen Laténe-Fibeln gehört einem 
einzigen Typus, dem Frithlaténe-Typus an. Bei der Teufung der im Zu- 
sammenhange stehenden Urquelle von Teplitz im Jahre 1879 wurde 


23] Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordböhmen. 209 


eine grosse Zahl von römischen Denaren und auch Schmuckstücke im 
Quellenschlamme gefunden. Aud einige keltische Münzen wurden ge- 
hoben. Die Römer gehören der Zeit 
von 83 vor bis 313 nach Chr. an. Die 
Fibeln sind prägnante Formen des 2. 
Jahrh. nach Chr. Die Kelten benützten 
offenbar die beiden Thermen schon zu 
Heilzwecken und opferten zum Danke 
der Quellengóttin. Die Riesenquelle 
bei Dux scheint wegen des massenhaft 
geopferten Frauenschmuckes vorweg ein 
Frauenbad gewesen zu sein. 

Vom 3. Jahrh. an verflacht sich 
die Kultur der sesshaften Kelto-Ger- 
manen. Das beginnende Gewirr der 
Völkerwanderung verhindert jedes kul- 
turelle Aufstreben. Die Markomannen- 
Kultur ist im Niedergang begriffen; die 
fortwährende Kampfesbereitschaft im 
Gewoge dieser ruhelosen Zeit lässt 
auch die verschiedenen kulturellen Ein- 
flüsse, die der Westen brachte, in den 
einzelnen Siedelungen nicht zur Geltung 
kommen. Die Merowingisch-Fränkische 
Kultur, die bis hierher vordringt, hinter- 
lässt im 4. und 5. Jahrh. ihre deutlichen 
Spuren in den gehobenen Grabinven- 
taren des Elbegebietes (Fig. 31, 32). 
Ein typisch quadischer Urnenfund ist 
aus dem Westen Böhmens bekannt und 
steht eben so vereinzelt da wie der 
Goldfund von Schellenken bei Dux aus 
dem 6. Jahrhundert. 

Die Markomannenkultur sinkt auf 
eine Tiefe, die charakterisiert ist durch Fig. 31. Fränkisches Mannesgrab von Prosmik. 
eine ganz plumpe Keramik, wohl auf 
der Drehscheibe erzeugt, doch von einer rohen Masse. Der hartge- 
brannte Scherben zeigt im allgemeinen nur eine einfache Profilierung. 
Das Verzierungsmotiv ist ein durch ein kammartiges Instrument einge- 
ritztes, vielfaches Wellenband. 

Schmucklos sind die Gräber der Bestatteten. Das Eisen spielt 
im Hausrat und als Waffe die Hauptrolle. Messer, Scheeren, Waffen 


210 R. R. v. Weinzierl: Übersicht über die Forschungsergebnisse usw. [24 


und sonstige Geräte erinnern mit ihren praktischen Formen an jene der 
Spátlaténe, an die nach unseren Siedlungen gebrachten römischen Formen, 
die durch Jahrhunderte im Gebrauche waren, da sie den praktischen Be- 
dürfnissen der Zeiten entsprachen. Alle anderen kulturellen Momente 
fanden keinen Aufschwung in der Zeit der Völkerwanderung mehr. 

Die Reste der einst dichten Bevölkerung wehrten sich gegen fremde 
Eindringlinge hinter angelegten Wällen, die an den grossen Kultur- 


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Fig. 32. Inventar des Grabes Fig. 31. 


strassen die Anhóhen krönten. Hier in diesem zusammengepferchten 
Gemeinwesen gab es keine freie kulturelle Betätigung, und nur die 
Nahrungssorge liess die Männer ausziehen in die Wälder, während 
andere die Zugänge bewachten. 

Im 7. Jahrhundert wandern die Slawen in Böhmen ein und 
dringen allmählich bis ins nördliche und nordwestlihe Böhmen vor. Die 
Gräber ihrer Bestattungen enthalten eine ebenso rohe Keramik, wie sie 
den Markomannen wenig besser eigen war. Arm an Formen und von 
schlechter Masse sind die Urnen der Slawen-Gräber, aus stark glimmer- 
haltigem Tone auf der Scheibe erzeugt. Diese und die Gebrauchs- 
Keramik unterscheiden sich wesentlich von jenen der Markomannen. 

Der Schmuck der Gräber entbehrt jeder Mannigfaltigkeit. Stiel- 
runde Ringe mit S-förmigem Ende von verschiedener Grösse, aus 
Bronze, Silber, selten aus Gold, vielfach nur mit Silber und Gold 
plattiert waren in die Haarzöpfe der Schläfen eingeflochten. 

Der Schädeltypus gehört vorweg einer brachycephalen Rasse an. 
In der ersten Herzogszeit finden wir bereits Denare in den Gräbern. 


Drei Holzbrandplàtze mit Steinkern aus 
der Bronzezeit. 


Aus der städtischen Abteilung des Niederlausitzer Museums für Alter- 
tumskunde in Kottbus. N.L. | 
Von Frau Kaethe Rieken, Kottbus. 
Mit 11 Textabbildungen und 1 Tafel. 


Auf Anregung des Magistrats der Stadt Kottbus N.L. und durch 
Bewilligung der erforderlihen Gelder seitens des Stadtverordneten- 
kollegiums wurde mir die Möglichkeit gegeben, im Verlauf von drei 
Jahren planmässig ein grosses Urnengräberfeld auf einem Höhenrücken 
in der Nähe der Sachsendorfer Wiesen zwischen den Dörfern Sachsen- 
dorf und Klein Gaglow aufzudecken und seine reichen Schätze, nach 
ihrer Zusammengehörigkeit in der Erde grabweise zusammengehalten, 
der städtischen archäologischen Sammlung einzuverleiben. Die bis jetzt 
gehobenen Gräber enthalten Tongefässe und Beigaben aus der Zeit der 
Buckelurnen bis zu denen aus der jüngeren Bronzezeit. 

Bei der Ausgrabung wurde Graben an Graben auf 1—2 m Tiefe 
gezogen, häufig durch den Ortstein hindurh. So war es möglich, dass 
nur verstreute kleine Gegenstände übersehen werden konnten. Die 
Arbeiter hörten mit ihrem Graben auf, sowie sie auf etwas anderes 
stiessen als Sand, und nunmehr begann meine Feinarbeit in der Erde 
mit Löffel und Pinsel zur Freilegung des Fundes, damit das Gesamt- 
bild vor Entfernung der Gegenstände aus ihrem Lager mit Zeichenstift 
und photographischer Platte fixiert werden konnte. 

Aus dem später zu gebenden umfassenden . Fundbericht müssen 
einige Nummern vorweg genommen werden, weil ein durch günstige 
Umstände unversehrt gebliebener Inhalt zu zeigen scheint, wie die Ein- 
äscherung der Verstorbenen seitens der Stammesgenossen technisch 
vorgenommen wurde. 

Unsere Archäologie arbeitet im Vergleich zu den 
Summen, die für Grabungen im Orient zur Verfügung ge- 
stellt werden, im engeren Vaterlande mit sehr kleinen 
Mitteln, wodurch die Ausführbarkeit beabsichtigter plan- 


212 Kaethe Rieken. [2 


mässiger Ausgrabungen in der Regel ein Wunsch bleibt. 
So mag die Tatsache verständlich werden, dass wissenschaftlich verwertbare 
Holzbrandstätten kaum gefunden zu sein scheinen, jedenfalls nicht be- 
schrieben sind, dass wir bisher keine Vorstellung über die Ausführung 
der Einäscherung vor der Wikingerzeit haben, trotzdem die Funde ein- 
geäscherter kleinster Kinder wie Erwachsener erstaunlich gross ist. Er- 
klárlih wird die Seltenheit des Findens von Ustrinen weiter dadurd, 
dass . jede eine Dauereinrichtung war zur Benutzung ‘bei eintretenden 
Todesfällen, d. h. dass nicht für jede fernere Leiche ein neuer Brand- 
platz genommen wurde, sowie dass die Glut oberirdish, wenn auch 
wahrscheinlich in künstlihen Mulden, loderte, dass die Kohlen ober- 
irdisch liegen blieben und ihre Reste der zersetzenden Wirkung der 
Witterung, der Vegetation und der nivellierenden Tätigkeit der Beacke- 
rung preisgegeben wurden. Ihre Spuren scheinen gleich denen der 
Wohnstätten, soweit diese auf festem Boden, nicht im Wasser, errichtet 
waren, grossenteils durch jene Faktoren verwischt zu sein, aber erhalten 
geblieben sein können sie dort, wo lockerer Boden vom Winde auf- 
gewirbelt, von Regenbächen bewegt, sie alsbald ausreichend bedeckte. 

Folgende bekannte Tatsachen fanden sich auf dem Klein Gaglower 
Gräberfelde wieder vor: 


1. Die grossen Holzkohlenfunde, die auf angeglühter Erde und 
um erhitzt gewesene Steine lagerten, enthielten niemals Spuren von 
Knochenresten. 


2. In den Gefässen mit Knochenasche fanden sich niemals (bezw. 
nur selten angedeutet) Spuren von Holzbrand. 


3. Die Metallbeigaben zeigen vorwiegend die Einwirkung schmel- 
zender Hitze und sind zum Teil innig mit Knochen verbacken, in Zahn- 
lücken eingeschmolzen ; Glas und Goldschmuck ist zum Teil in Tropfen- 
form verändert. 


4. Mit wenigen Ausnahmen sind in den Knochenurnen die Reste 
derart angeordnet, dass die Kopfknochen oben liegen, darunter die 
Armknochen und Rippen, zwischen ihnen häufig eine braunschwarze 
Masse (Rest der inneren Organe?) und im unteren Drittel des Gefässes 
Becken und Beinknochen. 


5. Die Tongefässe der Gräber sind mit wenigen Ausnahmen einer 
Überhitzung nicht ausgesetzt gewesen, d. h. nicht blasig aufgetrieben 
oder angekohlt. 

Ohne weiteres ist aus diesen Tatsachen zu folgern, dass: 

1. Die Leiche in gestreckter Körperlage eingeäschert wurde, da 
andernfalls der unter 4 angegebene strenge Aufbau in dem Aschen- 
gefäss nicht oder nur unter schwerer Mühe ausführbar gewesen wäre, 


3] Drei Holzbrandplätze mit Steinkern aus der Bronzezeit. 213 


2. die Leiche bekleidet und ausgestattet mit Schmuckbesitz ohne 
Entfernung von Weichteilen dem Feuer zur Vernichtung übergeben wurde 
(Verschmelzung der Metallgegenstände mit den Knochen, zerschmolzener 
Glasschmuck, mehrfacher Fund von Ton- und Glasperlen), 

3. eine unmittelbare Berührung der Leiche mit dem Scheiter- 
haufenholz verhindert sein musste, so dass nur die Flamme des Holz- 
stosses und die strahlende Hitze den Körper berührte und ihn ein- 
äscherte. 

Die planmässige Durchforschung des Klein Gaglower Gräberfeldes 
hat, wie mir scheint, den Anfang des Aufschlusses darüber gegeben, 
wieweit die Technik zur Einäscherung vorgeschritten war. Für die dazu 
erforderliche Menge Holz gibt einen gewissen Anhalt die Arbeit von 
Olshausen „Die Leichenverbrennung in Japan“ (Zeitschrift für Ethnologie, 
40. Jahrgang 1908, Seite 100). 

Darnach war zur Einäscherung der sitzenden Leiche in 7—10 Stunden 
bis 75 kg Tannen- oder Fichtenholz erforderlich, auch weniger, je nach 
Beschaffenheit der Leiche (mager, fett, wassersüchtig usw.). 

Auf dem vorgenannten Friedhof sind von mir 182 Fundstätten 
gehoben, z. Teil Gräber, z. Teil Steinsetzungen ohne Spuren eines 
Inhalts, darunter die in folgenden Zeilen bekannt gegebenen drei Stätten, 
die den Eindruck erwecken, dass auf ihnen die Flamme den Körper 
vernichtet haben kann. — Sie führen auf dem Grabplan die Ziffern 
88, 100, 118a und 118 b und lagen inmitten des Urnenfeldes. No. 100 
und 118 lagen nahe zusammen. 

No. 88.0,70 m unter dem Bodenniveau zeigte sich eine zusammen- 
hängende Schicht von Holzbrand in einer Ausdehnung von 9 m O. W. 
zu 6 m N. S. Sein Kern bestand aus einem unregelmássig umrandeten 
Steinbau, 2,50 m O. W. und 3 m N. S. im Durchmesser haltend, mit 
einer Tiefe von 0,45 bis 0,50 m (hierzu Skizze 1). Die N. S. Aus- 


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Skizze 1. Längsschnitt der Brandstätte (88). 


dehnung des Holzbrandes war leider von den Arbeitern in nicht mehr 
genau festzustellender Ausdehnung verkürzt, so dass die erhaltene 
Breite mit 6 m für den Befundbericht vielleicht zu eng bemessen ist. 
Der mit dem Spachtel durchgearbeitete Holzbrand enthielt weder Ton- 


214 Kaethe Rieken. [4 


scherben noch Knochensplitter. Er bildete ein längliches Oval, das in 
einer Mulde ruhte. Von den dünnen, etwa 5—10 cm dicken Rändern 
aus verdickte er sich schnell zum Steinbau hin auf 40—50 cm Dicke, 
hatte hier also die Tiefe desselben und war ihm innig angelagert. Mit 
dem Steinbau bildete der Holz- 
brand ungefähr eine gleichmässige 
Oberfläche, d. h. das Dickenwadhs- 
tum erfolgte von der Peripherie 
an abfallend in die Tiefe, mit 
andern Worten, Holzbrand wie 
Steinbau lagen in einer künstlich 
angelegten Mulde 

Der Steinbau, 40—50 cm 
tief, zeigte gleich dem Holzbrand 
ovale, aber durch verschiedene 
Dicke der Steine bedingte unregel- 
mässig umrandete Form (Skizze2). 

Seine Oberfläche war aus- 
gesprochen muldenförmig gestaltet 


(Skizze 3). 
Die Seiten bildeten Steine 
S. von 30—40 cm Durchmesser, den 
Skizze 2. Oberflächenansicht des Steinlagers. 
Nr. 88. Brandplatz (3 m : 2,50 m). Grund nach dem Innern zu etwas 


kleinere, auf denen solche von 
Faustdicke ruhten. Alle Lücken füllte feiner aber nicht durch Hitze 
verbackener Sand, d. h. dieser hatte die Lücken erst nach aufgegebener 
Benutzung ausgefüllt; denn 
sämtliche Steine, einschliesslich 
der inneren, waren miirbe, 
bröckelten, zerfielen z. T. beim Skizze 3. Querschnitt des Steinlagers bei a (Nr. 88). 
Aufheben und waren ausnahms- (2,50 m). l 
los geschwärzt, soweit sie ein- 
ander nicht berührten, d. h. sie waren alle der sprengenden Feuerein- 
wirkung ausgesetzt gewesen und der russenden Flamme. Zwischen den 
Steinen lagen vereinzelte Holzkohlenreste und wenige Tonscherben ver- 
schiedener Herkunft; deren Wandstärke und Oberflächenausführung liessen 
auf Abstammung von verschiedenen Gefássen schliessen. 

Die seitlihe, von der Tiefe ausgehende Verjüngung des Holz- 
brandes zur Oberfläche (Skizze 1), die erst in einer Tiefe von 0,70 m 
unter dem heutigen Bodenniveau begann, liess unzweideutig die Anlage 
in einer künstlich hergestellten Bodenmulde erkennen, die aber noh 
weit über den Umfang des Holzbrandes hinausgegangen sein wird, 


5] Drei Holzbrandplätze mit Steinkern aus der Bronzezeit. 215 


andernfalls das ganze Feld in der Zeit von rund 3000 Jahren sich 
um 70 cm hätte gehoben haben müssen, wogegen die geringe Tiefe 
der tatsächlihen Gräber spriht. Die Ausfüllung der Mulde konnte 
leiht erfolgen durh den sehr lockeren Flugsand, vorausgesetzt, dass 
er dem Winde frei ausgesetzt war, also die Fläche baumfrei war. 

Die locker gefügten Steine waren wahrscheinlich der Rost, auf dem 
die Leiche ruhte; sie bildeten eine lückenreiche Unterlage für den Körper, 
der damit überall von der zerstörenden Glut erreicht werden konnte, 
ohne dass Berührung mit dem Holzstoss nötig war, die obendrein 
noch durch die muldenförmige Anordnung des Leichenlagers (Skizze 3) 
erschwert wurde. Die Anlage der Ustrine in einer künstlich geschaffenen 
tiefen Mulde geschah wohl im Interesse der Holzersparnis. Es wurde 
damit ein langsameres Feuern möglich; die entfachte Glut konzentrierte 
sih mehr, als wenn der Holzstoss der unberechenbaren Wirkung des 
Windes frei ausgesetzt gewesen wäre, auf den zu vernichtenden Körper: 
das Ergebnis einer feinsinnigen Beobachtungsgabe. Unter Voraussetzung 
der Richtigkeit der Annahme vielfaher Benutzung desselben Brand- 
platzes zur Einäscherung darf man aus der Mürbheit auch der inneren 
Steine folgern, dass die Lücken zwischen den Steinen aus Erfahrung 
bewusst erhalten blieben. Dann muss die Brandstätte z. Zt. der Ruhe 
vor Versandung durch irgend eine Art der Überdeckung geschützt ge- 
wesen sein. 

Nr. 100. Anders gebaut war die Holzbrandstätte No. 100 (Skizze 4, 5). 
In der Tiefe von 0,70 m unter der heutigen Bodenoberfläche lag in Aus- 


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Skizze 4. eae der onde Nr. 100 (7,0 m). Steinlager NS = 1,80 m. 


dehnung von 1,30 m O.W. zu 1,80 m N. S. eine Schicht grosser, etwa 1 Ztr. 
schwerer geschwärzter und bröckelnder Steine, deren Lücken ausgefüllt 
waren mit an der Oberfläche hart geschmolzenem Sande. Er war z. T. 
innig mit den Steinen verklebt. Auf ihnen war kein Holzbrand, bzw. 
nur Spuren davon zu sehen. Die Steinblöcke lagerten auf der an 
dieser Stelle auffallend harten Ortsteinschicht. In gerader Fortsetzung 
der N. S. Länge, unterbrochen durch Holzbrand und diesen begrenzend, 
lag in 1! m Entfernung vom Südende des Steinbaues ein Haufen 
nicht geglüht gewesener, wenn auch an der Holzkohlenseite angeschwärzter, 
mannskopf grosser Steine in einer Tiefe von etwa 0,40 m unter der 
Bodenoberflähe. Jener grosse Steinbau war allseitig umgeben von 


216 Kaethe Rieken. [6 


Holzbrand. Er begann im N. O. und W. etwa 20 cm unter dem Boden- 
niveau in einer Machtigkeit von 9 cm, um bald nach der Tiefe zu auf 
70 cm anzuschwellen, hart an dem Steinbau wieder nur etwa 20 cm 
Dicke zu zeigen, die bestehen blieb bis zum Steinhaufen am S. Ende. 
Die Ausdehnung der ganzen Brand- 
stätte betrug 6,30 m O. W. und 
7m N.S. Die Länge des Stein- 
baus mit 1,80 m erscheint kurz für 
Einäscherung einer Leiche, aber 
nach der wechselnden Máidtigkeit 
der Holzkohlen zu urteilen wurde 
der Holzstoss in voller Stärke nicht 
wie bei No. 88 hart an dem Toten- 
lager errichtet, sondern in einiger 
Entfernung. So glaube ich die ge- 
ringe Machtigkeit der Kohlenschicht 
in der Nähe der Blöcke erklären 
zu dürfen. — Auch bei dieser An- 
ome s, Fildvenaneicht der Brandstitte 10. ordnung konnte die Hitze allein 
Steinlager 1,80 (NS) und 1,30 (OW). einwirken, ohne dass die Gefahr 
der Vermishung der Holzkohlen 
mit der Leichenasche drohte. Der Holzstoss war in seiner vollen Stärke 
nur auf der O. N. W. Seite, d. h. hufeisenförmig aufgetürmt (Skizze 6), 
während an der S. Seite die geringe Stärke des Holzbrandes von 0,20 m 
auf geringere Machtigkeit des Holzstosses schliessen lässt. 


Skizze 6. Querschnitt durch Nr. 100 im nördl. Drittel des ias 
Holzbrand u. Steinlager = 630 m. Steinlager = 130 m 


Die Vergleichung beider Brandplátze lässt vermuten, dass zwischen 
der Benutzung von 88 und 100 Jahrhunderte Zeitraum liegen, was dem 
Zeitunterschiede zwischen den beigesetzten Gefässen und den Beigaben 
wohl entsprechen würde. l 

No. 118a. 40 cm unter der Bodenoberfläche stösst man auf ein 
80 cm starkes Lager wohlgeordneter, locker gelegter grosser Steinblöcke. 
Der Bau zeigt die Masse 2,10 m O. W. und 1,20 m N. S. 

Die Lücken zwischen den oberen Steinen sind ausgefüllt mit nur 
z. T. hart gebranntem Sande. Auf den Steinen wenig, rings um die- 
selben viel Holzbrand; auf dem Lager einige Scherben von Tongefässen, 


1] Drei Holzbrandplätze mit Steinkern aus der Bronzezeit. . 217 


etwas Knochensplitter. Rings um den Steinbau ist Sand bis zu 
einiger, nicht bestimmbarer Tiefe, vermischt mit wenig Holzbrand, im 
Umkreise von etwa 1! m auffallend hart und fest verbacken. Die 
Steinblöcke der Aussenwand wie der Oberfläche waren mürbe, zerfielen 
beim Fortnehmen, während die des Innern ihre natürliche Härte be- 
sassen. Auch die Grundsteine der Seitenflächen bröckelten nicht. Im 
Gegensatz zu der Brandstätte 88 und 100 fehlte hier eine unzerstörte 
Holzbrandshicht. Jene hartgebrannte Sandschicht deutete darauf hin, 
dass auf ihr bedeutende Glut gelodert hatte. 

No. 118 b. Es ist nicht unmöglich, dass zu 118 a eine Holzkohlen- 
schicht 45 cm unter der Bodenoberfläche, von 118 a etwa 2—3 m ent- 
fernt, gehört. Der Holzbrand war diffus vermischt mit kleinen mürben 
Steinen und Steinsplittern und lagerte in 60—90 cm Dicke, 45 cm Breite, 
80 cm Länge ungeregelt oval gestaltet, auf lockerem, nicht hart ge- 
branntem Sande. Die Vermutung ist nicht ganz von der Hand zu weisen, 
dass der Holzbrand von der Einäscherungsstätte entfernt wurde um Platz 
zu schaffen für einen neuen Holzstoss zwecks weiterer Einäscherung 
und vielleicht in einiger Entfernung vergraben wurde oder auch auf die 
damalige Oberfläche des Geländes geschüttet wurde. Wahrscheinlich 
ersteres, wenn man berücksichtigt, dass in No. 100 der Brand an der 
Nordseite in einer Tiefe von etwa 20 cm begann. Die Stichhaltigkeit 
dieser Annahme vorausgesetzt, wären damit die dunklen, für mich bis 
zur Auffindung der vorliegenden Holzbrandstätten unerklärbaren mehr- 
fachen Holzbrandfunde auf dem Kl. Gaglower Gräberfelde wie ander- 
wárts z. B. auch auf dem Gráberfeld in Tauer (Niederlausitzer Mittei- 
lungen Bd. IX. S. 91) erklärt, d. h. als Aschplätze. — Die Bestätigung 
können nur weitere Funde von Brandplätzen mit Steinkern geben. 

Die soeben beschriebenen Brandplätze wurden inmitten des Brand- 
gräberfeldes gefunden und wiesen, da die nähere Umgebung auffällig 
frei von Gräbern war, daraufhin, dass sie zu ihm in Beziehung stehen. — 
Die Annahme, dass die Brandstätten Opferaltäre für die Götter dar- 
stellten, ist nicht unbedingt abzulehnen, und trotz Fehlens jeglicher Hin- 
deutung muss man auch diesen Gedanken festhalten, da wir ausser 
der länglichen Anordnung und zureichenden Grösse keinen Beweis für 
die Auffassung gefunden haben, dass die Brandstätten zur Einäscherung 
der Leichen dienten. — Es ist auffallend, dass weder Knochensplitter, 
noch Metall oder andere Fragmente von den der Leiche beigegebenen 
Gegenständen in den Steinlücken gefunden wurden. Freilich geschah 
das Calcinieren der Knochen, d.h. die Zerstörung des Organischen, 
nicht vollständig. Die schwarze Färbung in manchen grossen Röhren- 
knochen, braunrote, getrocknete Gewebreste in der Innenseite mancher 
Schädelkapselfragmente und die durch den Befund nachweisbare staub- 

Mannus. Bd. 1. H. 3/4. 15 


218 š Kaethe Rieken. [8 


förmige Veraschung erst innerhalb jener Knochenurnen, die durch guten 
Verschluss vor Eindringen von Wurzeln und Sand geschützt waren, — so 
dass das Gefäss halbgefüllt sich ganz leicht anfühlt — und der Inhalt wie 
Asche deuten darauf hin, dass die Fortsetzung der Veraschung erst im 
Gefäss durch jene kleinsten Lebewesen vor sich ging, die ihre Nahrung 
in organischen Stoffen, nicht in mineralischen Kalksalzen finden. 
Immerhin sollte man vermuten, dass trotzdem einzelne Reste sich in 
den sandgefüllten Lücken der Steinsetzung gefunden hätten. Die Unter- 
suchung des Sandes auf Phosphorsäure, die einen Hinweis bei positivem 
Ausfall hätte geben können, wenn die Reste einstmals vorhanden waren, 
unterblieb leider. Auf diese Unterlassung wurde ich erst aufmerksam 
durch das freundliche Interesse, das Herr Professor Dr. Goetze-Berlin 
meiner Arbeit entgegenbrachte. 

Theoretisch ist diese Möglichkeit der Einäscherung von Leichen 
auf den beschriebenen Brandplatzen nicht von der Hand zu weisen, 
wenn wir daran denken, dass unsere Soldaten beim Abkochen im Felde 
ihre Speisen einschliesslich Frischfleisch nicht im Feuer, sondern hinter 
dem Feuer, d.h. in der Richtung: Wind, Feuer, Kochgeschirr in einer 
kleinen Mulde kochen und Frischfleisch in ' bis ìja Stunden gar be- 
kommen. Das Kochgeschirr ist zwar geschlossen, aber der an seiner 
Oberfläche verkohlende Leichnam ist auch ein geschlossener wasser- 
reicher Körper, dessen Inhalt durch Feuer in Kochen gerät, dessen 
Aussenfläche nach Verdunstung des Wassers zunächst mumifiziert ist und 
verschliessend wirkt, so dass die Flüssigkeit im Innern alsbald ins 
Sieden geraten und verdunsten kann aus den durch Platzen entstehenden 
Rissen, Sprüngen und den natürlichen Öffnungen, worauf nach Verar- 
mung an Wasser der weitere Prozess des Verkohlens, Veraschens und 
schliesslih auch Calcinierens der Knochen nicht mehr schwer ist. Dass 
die Hitze in der Umgebung der Steine, die sih dem Leichnam mitteilte, 
eine gewaltige gewesen sein muss, zeigt die Mürbheit selbst 1 Ztr. 
schwerer Steine bis zum Kern. | 

Die zur Einäscherung erforderlihe Zeit kann nur eine Versuchs- 
reihe ergeben. Konnte die Vernichtung des Körpers auf jenen Brand- 
plätzen stattfinden, dann ist entweder allsogleih ein den Steinbau 
überragender grosser Holzstoss um den auf jenem lagernden Leichnam 
errichtet, oder es ist nach Bedarf Holz nachgeschichtet worden bis zur 
dauernden Höhe des Steinlagers. Letzteres Verfahren hat die grössere 
Wahrscheinlichkeit für sich; denn dann konnten Flamme und besonders 
strahlende Hitze, dauernd in der Mulde zusammengehalten, gleichmässig 
auf den Leichnam einwirken bei zweckentsprechend sparsamem Holz- 
verbrauch, und so fände auch die Anlage eines erhöhten Steinlagers 
für Aufbahrung der Leiche ihre praktische Erklärung, d. h. Hochlagerung 


9] Drei Holzbrandplštze mit Steinkern aus der Bronzezeit. 219 


derselben auf porösem Ruhebett zur Benutzung der nach oben mittwärts 
und durch Lücken strahlenden Hitze. 

Die beschriebenen Funde lassen erkennen, dass sie die erhaltenen 
Reste eines Krematoriums oder auch einer Kultstätte sind, die durch 
natürliche günstige Bedingungen ihr Aussehen annähernd unzerstört aus 
der Zeit ihrer Entstehung bis zur Auffindung bewahrt hatten. Ihre 
Veröffentlichung kann daher berechtigt erscheinen. 

Die Bekanntgabe nachfolgender Funde mit den Brandstätten erfolgt 
dagegen nur in der Absicht, dass sie wegen ihrer Eigentümlichkeit und 
etwaigen Zusammengehörigkeit mit den Brandstätten in der Literatur 
niedergelegt sind zu späterer Bewertung beim Auffinden ähnlicher 
menschlicher Bauwerke. Eine auch nur annähernd sichere Deutung der 
Art der Verwendung ist zurzeit unmöglich. 

Als der Magistrat der Stadt Kottbus wusste, dass in seinem Ge- 
lände Gräber aus alten Zeiten ruhten, wurde mir der Auftrag, den 
Inhalt des Feldes zu retten. Voraussetzungslos fing ich in der annähernd 
bestimmten geographischen Mitte des Feldes an und stiess auf die 
Funde 1.2.3.4. durch Anlage eines Grabens in W. O. Richtung und 
bis zur Tiefe der Ortsteinschiht 1—2 m tief. Sie erhielten erst eine 
gewisse Bedeutung bei der Durchsicht der von Anfang an angelegten 
Karte, die gleich dem Felde in Quadrate von 10,0 m:10,0 m Seitenlänge 
eingeteilt wurde. Die Funde 1. 2. 3. 4. wurden Spätsommer 1906 gehoben, 
die Brandstätte 88 Oktober 1907. Erst ihr Zusammenliegen auf der 
Karte führte zu dem Gedanken, dass diese Nummern aktuell zusammen- 
gehören können, um so mehr, als Karte und Aufzeichnungen ergeben, 
dass erstens ausser in der Nähe der Brandstätten keine ähnlichen Ge- 
bilde vorhanden waren und zweitens die Urnen in 0,35 m Tiefe oder 
weniger lagerten, während die Oberfläche des Steinkerns der Brand- 
stätten erst in 0,70 m Tiefe sich zeigte gleich der nachstehend be- 
schriebener Bauwerke. 

Fund 1 (Skizze Nr. 7). In einer Tiefe von 0,70 m kommt in 
weissem Sande ein 1,90 m (N. S.) langes, 0,60 m (O. W.) breites 
lückenhaftes Lager faust- bis mannskopfgrosser Steine (16—20 Stück) 
zutage. 
Es wird umgeben in 0,30—0,60 m Entfernung (je nachdem in 
diesem Lager offenbar durch Entfernung von Blöcken in früheren Zeiten 
Lücken entstanden sind) in demselben Niveau von einem Oval eng 
aneinander gelagerter kleinerer bis grösserer, etwa faustgrosser Steine, 
das am S. Ende einen etwa 0,50 m hohen Berg faustgrosser Steine 
einkreist, dem am N. Ende zwei ebensolche Haufen auswärts angelagert 
sind. Ein locker gepflastertes Oval vielleicht kindskopfgrosser Steine 


umgibt das erste in einer Entfernung von 0,60—0,80 m und ist an 
15* 


220 Kaethe Rieken. [10 


der N. O. und N. W. Seite markiert durch je einen mannskopfgrossen 
Block. Auf dem einen fand sih etwa ein teelöffelgrosser Rest 
Knochenashe (?) und eine Spur Holzbrand. Irgendwelchen Inhalt 
barg die Fundstätte ausser den Steinen nicht. 


O 


“0505000 So „seo 


Skizze 7 (Fund 1). Vergr. 200:1. 


Fund 2 (Skizze 8). Dem Funde 1 parallel in 2 m Entfernung nach 
O., in derselben Bodentiefe gelagert, ruht ein offensichtlich verwüstetes 
Lager Steine mit 2,10 m (N. S.) Länge und 0,50 bis 0,80 (O. W.) Breite. 
Am S. Ende etwa faustgross, bilden sie hier eine dreifache Schicht, 
während das N. Ende nur noch zwei übermannskopfgrosse Steine 
aufweist. Etwa in der Mitte zwischen beiden Enden liegen verstreut 6 
mannskopfgrosse Steine. Ein geschlossenes Oval dicht aneinander ge- 


11] Drei Holzbrandplätze mit Steinkern aus der Bronzezeit. 9291 


reihter, taubenei- bis faustgrosser Steine umringt das Lager in einer 
Entfernung von 0,50—0,80 m. — Offenbar zwecks Erzielung gleicher 
Höhe sind an den Stellen, an denen kleinere Steine verwendet wurden, 
diese bis zur Dicke der grösseren gehäuft. Nur das N. Ende ist her- 


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1 ° k < Ky : «' 
O lolabrand.* 
, = .. s `° Dee 


Skizze 8 (Fund 2) Vergr. 200 11. 


vorragend. Es ist hergestellt aus drei sich berührenden Steinen, von 
denen der mittlere rund und mannskopfgross ist, die zwei seitlichen 
am Fusse flach, sonst gerundet sind. Der Ostseite des Steinovals 
angelagert ist eine 2 m lange, 0,70—1,0 m breite, 0,02—0,1 m mächtige 
Schicht Holzbrand, in der sih durch Brand gelockerte kleine Stein- 
platten und fragliche Knochenreste finden. 


Fund 3 (Skizze 9). In 3 m Entfernung nach O. von Fund 2, 
diesem parallel mit geringer südlicher Verschiebung gelagert kommen ver- 
einzelte grosse Steine zutage, die zwei grössten mit dem Durchmesser 


222 Kaethe Rieken. [12 


21:33:17 cm bezw. 34:24 cm. — Für sich betrachtet hatte dieser Fund 
gar keine Bedeutung, aber 0,28 m unter ihm und von ihm getrennt durch 
eine 0,28 m dicke Sandschicht fand sich ein locker gelegtes Oval faust- 
grosser und kleinerer Steine mit 
einer Länge von 1,80 m (N. S.) 
zur Breite von 0,85 m (O. W.). 
Dieses Pflaster, in der Skizze 


Q 
2 punktiert gezeichnet, war fast 
D lückenlos erhalten und in der- 
o selben Höhe, in 0,10 m Entfernung 
>] umgeben von einem stellenweise 
Š unterbrohenen Oval von 1—2 
Ms; dicht aneinander gelegter faust- 
2 MAL; grosser Steine. Der eine jener 
A oie grösserer Blöcke lag ausserhalb 
a a4 GO70 der Grenzen des tieferen Bau- 
a P= werks. 


Fund 4 (Skizze 10). In 
i O 2 m Entfernung von No. 3 zeigt 
mr sih nach Beseitigung der Sand- 


t: er Q s > . . . 
J `> massen, in derselben Tiefe wie 
Skizze 9 (Fund 3). Vergr. 200: 1. bei den vorangehenden, folgen- 


des Bild. 

Ein nur noch in wenigen Steinen erhaltenes Steinoval von 1 m 
(N. S.) Länge und 0,50 m (O. W.) Breite (Steine mannsfaustgross) 
umgibt in einer Entfernung von 0,33 m 
ein Kreis kindsfaustgrosser Kiesel. Am 
Südende berührt der Ring jenes lücken- 
hafte Lager. An der N. W. Seite ist 
der Kreis durch einen grossen Stein 
unterbrochen, der mit drei kleineren 
eine Nische bildet, in welcher sich 
Holzbrand ohne Knochensplitter mit 
llz Fuss Tiefe, 1 Fuss Länge und 
Breite findet. Die diese Nische bil- 
denden Steine sind intensiv geschwärzt. 

Fund 88 lag im S. von Fund 1. Skizze 10 (Fund 4). Vergr. 200: 1. 
2. 3. 4. mit etwa 5 m Abstand. 
Stehen diese Funde in aktueller Abhängigkeit zueinander, dann darf 
gefolgert werden, dass für No. 88, dessen Sohle im Gebiet des Stein- 
kerns um etwa 0,50 m tiefer lag, als 0,70 m unter dem Bodenniveau, 
eine künstliche Bodenmulde aus Zweckmässigkeitsgründen angelegt wurde, 


13] Drei Holzbrandplätze mit Steinkern aus der Bronzezeit. 293 


eine Annahme, zu der bereits die muldenförmige Gestalt des Holzbrandes 
berechtigte. — Nehmen wir die Tiefe der Gräber hinzu (in Frage 
kommen als nächst gelagerte die Funde: 19. 7. 8. 17. 18. 85. 84. 90. 
89. 150. 151. 149. 153. 152. 82. 81. 80. 79. 83. 86. 87. 91. 62. 45. 


Fund 108 und 109. 


53. 60. 20. 5.), die fast durchweg 0,35 m und weniger betrug, so darf 
man, wenn die Funde 1. 2. 3. 4. in Verbindung mit Fund 88 stehen, und 
alle fünf dem Leichenkult dienten, annehmen, dass diese Stätte ins- 
gesamt in einer künstlihen Mulde angelegt wurde, nicht in einer 
natürlihen! Denn der lockere Sand des Gräberfeldes duldet eine er- 
heblihe Niveauverschiedenheit auf kleinem Terrain so wenig, dass ich 
bei meiner Grabarbeit besondere Funde, die ich andern Forschern in 
ihrer Lage zeigen wollte, kaum für wenige Tage konservieren konnte. 
Der Flugsand deckte den Fund alsbald zu. — Aus dieser elementaren 
Tätigkeit des Flugsandes darf man schliessen, dass die Wächter der 
Stätten Vorrichtungen kannten, etwa in Gestalt von dichten Umzäu- 
nungen, eine Versandung zu verhindern. Denn wie früher erwähnt, 
die Brandstätten sind fraglos in mehrfahem Gebrauch gewesen und 
ihre Konservierung war beabsichtigt und notwendig. 

Fund 108 und 109, Steinsetzungen, sind in photographischer Nach- 
bildung beigegeben. Sie lagen von 100 (Skizze 5) bis 6 m entfernt in 
0,70 m Tiefe. Die Urnengräber 96. 97. 99. 103. 104. 106. 107. 114. 


224 Kaethe Rieken: Drei Holzbrandplätze mit Steinkern aus der Bronzezeit. [14 


103., die später bekannt gegeben werden, ruhten 0,35 m tief und 
weniger. | 

Fund 116 und 117 in der Nähe von 118a und 118 b waren 
Urnengräber. Die planmässige Ausgrabung dieses Feldes 
hat mir erneuert den Beweis geliefert, dass das Gräber- 
suchen mit der Sonde gleichkommt einer Vernichtung 
von sich ergänzenden Urkunden. Der Töpfe sind für die 
Wissenschaft genug gesammelt. Die keramischen Feinheiten 
der Töpfe und die Beigaben können für ihre kulturelle Bewertung 
aufklärende Ergänzung nur bekommen durch planmässige Ergänzung 
des Inhalts ganzer Gräberfelder, nicht einzelner Gräber. 

Im Einzelgrabe ruht ein Moment, im Gräberfelde mit 
seiner lokalen Umgebung eine Summe von Momenten, die 
Geschichte von zusammengehörenden (Generationen. 


Anmerkung. Während der Druclegung vorstehenden Fundberichtes über- 
sendet Herr Prof. Dr. Schuchhardt mir seine Arbeit: „Verbrennungsstätten beim 
Darzauer Urnenfriedhofe“ Zeitschrift des Histor. Ver. für Niedersachsen 1906. Die- 
selbe enthält reichen Literaturnachweis über vorliegende Materie und beschreibt das 
Einäscherungsverfahren vor 1650—1900 Jahren, d. h. aus einer etwa 1'/z Jahrtausende 
später liegenden Zeit als die oben behandelte. Der Unterschied zwischen den 
späteren und früheren Methoden liegt darin, dass auf den Darzauer Verbrennungs- 
státten abgedecktes, schwälendes Feuer die Leiche vernichtete, auf den Gaglower 
Krematorien (wenn man diese als Leichenbrandpläge gelten lassen will) die frei- 
lodernde Flamme. Fortschritte in der technischen Beherrschung des Feuers d. h. 
seiner wirksamen Glut mögen langsam das aesthetishe Gefühl für eine Änderung 
der Verbrennung beeinflusst haben. Die in offenem Feuer verbrennende Leiche 
mit den anfänglichen Bewegungen einzelner Teile, je nachdem die Glut den einen 
Teil früher austrocknete als den andern, mag die Empfindung des Grauenvollen 
wachgerufen haben. Die wirtschaftlihe Frage nach sparsameren Holzverbrauch wird 
bei dem Reichtum an Wald zu damaliger Zeit kaum die Ursache zur Änderung der 
Technik gewesen sein. 


Ebenfalls während der Drucklegung übersendet mir Herr Professor 
Kossinna die Arbeit: Schliz „Der Entwicklungsgang der Erd- und Feuerbe- 
stattung usw.“ 6. Heft des Historischen Vereins Heilbronn, 1900. Der Unterschied 
im Verbrennungsmodus Heilbronn gegen den von Gaglow ist gross! Dort Ein- 
äscherung des Körpers unter Bedeckung mit Brennmaterial (wie es scheint), hier 
sorgfältiges Fernhalten desselben von der Leiche, deren Vernichtung allein durch 
die strahlende Hitze, — dort Vernachlässigung der Asche der einzelnen Leiche, hier 
pietätvolles Sammeln derselben und Ausstattung des Grabes mit Lebensmitteln 
und Beigabe von Schmuck- und Gebrauchs- bezw. auch Lieblingsgegenständen, — 
dafür dort Anhäufung des Leichenbrand haltenden Brennmaterials aus vielen Ein- 
äscherungen zu einem Hügel (der Rest oder der Anfang der Pietät gegen den Ver- 
storbenen ?), hier Vernachlässigung des Brennmaterials, das keine Leichenreste 
enthielt und am geeigneten Platz vergraben oder einfach versdhiittet wurde — 
dort ein Aufbau aus aneinanderpassenden, kantigen Steinen zur Errichtung des 
Crematoriums, hier Aufbau des Leichenlagers aus unbearbeiteten Findlingen, ent- 
sprechend dem Fehlen anstehenden Gesteins in unsrer Gegend, obwohl die 
Sprengung der Steine auch den hiesigen Bronzezeitmenschen bekannt war, wie 
einzelne Gräber beweisen, deren Grenzen aus in Bogenform gesprengten Granit- 
stücken bestehen. — 

Das sind bedeutsame Differenzen in der Ideenwelt der früheren Bewohner 
jener Gegenden, die, räumlich weit getrennt, gleichzeitig vor der Sonne ihr Dasein 
führten. — 


LAX IYL o — J pg »ıyay3ssduog Anl ¿/94/951327 ‘snuunjyy 


Der Ursprung der Urfinnen und Urindoger- 
manen und ihre Ausbreitung nach Osten. 


Vortrag gehalten am 18. Juli 1908 


von Gustaf Kossinna. 


2. Nordindogermanen und Südindogermanen. 
Mit 22 Textabbildungen und 13 Tafeln. 


Vorbemerkung. 15. X. 09. Wie für das erste, so gilt auch für 
dieses zweite Drittel meines Vortrages, dass die ihm zugrunde liegende 
Niederschrift hier in derjenigen Fassung erscheint und erscheinen muss, 
die sie vor anderthalb Jahren erhalten hat, obwohl gerade die in Kapitel III 
berührten Probleme jetzt noch mehr als damals zu näherer Erörterung 
anreizen: leider aber mangelt es mir dafür z. Z. ganz an der nötigen 
Musse. Es ist das um so bedauerlicher, als ich sogleih nah der 
Tagung der Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte zu Hannover eine 
Studienreise von anderthalb Monaten durch Österreich-Ungarn nebst 
Rumänien, Bukowina, Galizien unternahm, die mir für diesen damals 
bereits gedruckten zweiten Teil, wie auch für den noch ungedruckten 
Schlussteil einen reichen Schatz neuen Stoffes und neuer Ergebnisse 
einbrachte, die eine zeitraubende Umarbeitung der Darstellung künftig 
notwendig machen werden. Jetzt nur einige kurze Bemerkungen. 

Da der Jordansmühler Typus herangezogen wird (S. 235), so muss 
ich hervorheben, dass nicht nur, wie bereits Seger in seiner Behandlung 
der schlesischen Steinzeit bemerkt hat, für die hochfüssigen Pilzgefässe 
und die entsprechenden fusslosen Näpfe in Nord-Böhmen, Mähren 
(Brünner Gegend) und Ungarn zahlreihe Parallelersheinungen sich 
finden, sondern dass in der Umgebung Prags die Jordansmühler Keramik 
vollzählig vertreten ist, also mit Einschluss jener so eigenartig verzierten 
charakteristischen Henkelkrüge, die Seger für ureigensten, sonst nirgends 
sih wiederholenden Besitz des Gebietes zwischen Zobten und Oder 
erklärt hat. Doch sind es in Böhmen nicht Doppelhenkel-, sondern 
Einhenkelkrüge, wie sie in gleicher Form, wenn auch abweichender 


226 Gustaf Kossinna. [38 


Verzierung der Pfahlbau im Laibacher Moor geliefert hat. In einem 
Falle finden sich innerhalb einer Kulturschiht mit Spiralkeramik 
neben drei Skelettbestattungen der Spiralkeramik zwei Jordansmühler 
Brandgräber so eingeschlossen, dass sie eine später eingetretene Störung 
der zusammenhängenden spiralkeramischen Kulturschicht zu sein scheinen 
(Abb. 1, 2). Einen endgiltigen Schluss auf die Zeitfolge beider Kulturen 
möchte ich hieraus noch nicht wagen. 

Auffällig ist zugleich der Ritus der Brandbestattung, der innerhalb 
der Donaukultur, wenn man von den in der Kulturstellung unsicheren 


15 


17 16 


Abb. 2. Jordansmühler Typus in der Umgebung Prags. Sammlung A. J. Jfra zu Podbaba. 
1. 2. 5. 6. 7. 10. 11. Podbaba Reiser, Sandgrube mit 2 Brandgräbern; 12. Kulturgrube mit Spiralkeramik 
gemischt; 13. Kulturschicht mit Spiralkeramik gemischt. 
4. 8; 15. Podbaba Meilbeck, 2 Kulturgruben. 


9. 14. Weleslawin, 2 Kulturgruben; 14 gemischt mit Spiralkeramik. 16. Scharkatal, Burgwall, Kulturschicht. 
3. Gr. Holletitz, Bez. Saaz: zusammen mit Spiralkeramik. — 17. Ungarn. 


Brandgräbern mit Steinchenhalsbändern der Hanauer Gegend (ob Gross- 
gartacher oder Rössener Stil?) absieht, hier zum ersten Male festge- 
stellt worden ist; ebenso die verhältnismässig grosse Zahl der so sel- 
tenen Skelettgräber der Spiral- und Stichreihenkeramik in der Nähe 


39] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 227 


von Prag (Podbaba 4, Bubentsch 2, Weleslawin bei Wokowitz 1, Jeneralka 
im Scharkatale 1). 

Alle diese wichtigen Funde konnte ich in der ausgezeichneten, an 
tadellos erhaltenen Objekten und selbst an erlesenen Kabinetstücken 
überreichen Privatsammlung des Herrn Jos. Ant. Jíra zu Podbaba 
studieren. Es wäre für das Weiterblühen der archäologischen Vorge- 
schichtsforschung Böhmens von besonderem Vorteile, wenn diesem ebenso 
fleissigen und gewissenhaften, als bescheiden im Hintergrunde ver- 
bleibenden, überaus interessierten Arbeiter endlich ein geeigneter Wir- 
kungskreis auf diesem Gebiete in seinem Lande eröffnet würde. 

Nod wichtigere, ja einschneidende Ergebnisse brachte das Studium 
der osteuropäischen bemalten Keramik der Steinzeit. Zunächst für ihr 
Verbreitungsgebiet. Professor Hadaczek schätzt, wie er mir mitteilte, die 
Zahl der Ansiedlungsplátze dieser Kultur allein in Ostgalizien auf die 
gewaltige Höhe von etwa 200. Trembowla ist der Nordpunkt am Sered, 
welcher Fluss übrigens nicht so strenge die Westgrenze dieser Kultur 
bezeichnet, wie es bisher schien. Ausser dem S. 239 erwähnten 
Koczylowce ist noch Zerwanica westlicher gelegen; der äusserste West- 
punkt rückt jetzt bis nach Jezupol bei Halicz, nördlich von Stanislau. 
Dagegen muss ich den Fundort Mokrzyszow an der Weichsel in der 
Gegend von Tarnobrzeg, den man wegen eines einzigen, 3 cm hohen, 
auch bei Kohn & Mehlis, Materialien I, 238 Fig. 105 abgebildeten, 
spiralig weiss und rot bemalten Gefässchens heranziehen könnte, nach- 
dem ich das winzige Original in der Krakauer Akademie gesehen habe, 
in Übereinstimmung mit Professor Demetrykiewicz unberücksichtigt lassen: 
es ist klingend hart gebrannt und stand in einer grossen Urne, die ich 
dem 4. Jahrhundert nach Chr. zuschreiben möchte. 

Von grösster Wichtigkeit sind dann die Beobachtungen über die 
Siedelungsanlagen, die mir sowohl von Hadaczek in Lemberg, der in 
Koszylowce umfassend gegraben hat, als auch von Demetrykiewicz in 
Krakau mitgeteilt wurden, der einmal die Ausgrabungen Ossowskis in 
Bilcze Zlota nachgeprüft und weitergeführt, sodann in Wasylkowce durch 
neue Grabungen sich klare Anschauungen verschafft hat. Danach be- 
ruhen Ossowskis Angaben über seine Ziegelgräber mit 
Leichenbrandurnen durchweg auf Täuschung: was er sah, 
sindlediglich Hüttenreste; dieangeblich nur symbolische 
Beisetzung geringfügiger Knochenreste vom Leichenbrande 
ist falsche Deutung tatsächlicher Funde von verbrannten 
Tierknochen. Sehr verdächtig erscheinen hiernach auch die wundersamen 
Leichenbrandbegräbnisse in unterirdischen Gemächern mit bemalten Wänden 
in Südrussland, wie in Petreny: Chwoikos und v. Sterns Grabungen 
bedürfen in diesem wichtigen Punkte entschieden einer strengen Nach- 


228 Gustaf Kossinna. [40 


prüfung. Jedenfalls ziehe ich jetzt schon alle meine Folgerungen über 
die osteuropäische Heimat des steinzeitlichen Leichenbrandes vollkommen 
zurük. Auch in der bei Bilcze gelegenen Gipshöhle Werteba liegen 
keine Gräber vor: die dort zerstreut vorkommenden Skelette sind die 
Reste der Opfer des Einsturzes von Teilen der Höhle gewesen, die 
von Bergarbeitern herrühren mögen. Anthropologisc sind diese Skelette, 
die der Kultur der bemalten Keramik angehören, darum natürlich nicht 
minder wertvoll. Eine Publikation der gesamten einzigartigen Bilcze- 
Werteba-Funde, auch der Skelette, die übrigens nach der Versicheruung 
von Demetrykiewicz von der Krakauer Akademie in die Wege geleitet 
wird, würde einem wahren Bedürfnisse der Wissenschaft abhelfen. 

Darunter befindet oder leider befand sich auch ein jetzt nur noch 
in Abbildung vorhandenes Gefässchen mit Farbmasse, die zum Bemalen 
der Gefässe diente. Verhältnismässig häufig begegnet hier Tiermalerei 
(Stier, Pferd [?], Hirsch, Eichhörnchen), selten auch Menschenmalerei, 
wie einmal auch in Koszylowce, einer Ansiedlung, in der Hadaczek eine 
jüngere, mehr entwickelte Phase erkennen möchte. Beide Fundstátten 
lieferten eigentümliche rechteckige, verzierte, knöcherne Gürtelplatten, 
die an die im Schlussabschnitt zu besprechenden geschweift trapez- 
förmigen Stücke gleicher Bestimmung innerhalb der schnurkeramischen 
Kultur stark erinnern, ebenso wie ein in der Form völlig vereinzelt da- 
stehendes bemaltes Gefäss von Bilcze genau die Gestalt der in Galizien 
ja auch auftretenden schnurkeramischen Amphoren besitzt. Anscheinend 
liegen hier chronologische Hinweise vor. Andererseits kommen in der 
bemalten Keramik Osteuropas (aber auch in Siebenbürgen) horizontale 
Umkränzungen des Gefásshalses mit plastischen Nietköpfen vor, wie sie 
Köhl im Niersteiner Typus aufgewiesen hat. — Ein sitzendes Menschen- 
idol von Horodnica mit Vereinigung beider Beine zeigt übrigens, dass 
der von Chwoiko aufgestellte Unterschied der Beinbildung bei stehenden 
und sitzenden Idolen nicht überall gilt. 

Was die lediglich mit eingeritzter Verzierung bedeckten Gefässe 
und Scherben angeht, so finden sie sih nach Demetrykiewicz und 
Hadaczek überall vereint mit der bemalten Keramik, nach Demetrykiewicz 
zu etwa ein Drittel des Anteiles der bemalten Keramik: das entspricht 
also dem Stil II von Chwoiko. 

Geradezu erstaunlich ist in Ostgalizien und in der Bukowina der 
Reichtum an Silexgeräten gegenüber ihrem Mangel oder verschwindend 
geringen Auftreten in Bessarabien und Südrussland: ein Umstand, der 
mit der Fülle des Rohmateriales am Fuss der Nordkarpaten zu- 
sammenhángt. Und zwar erscheint der Silex in Ostgalizien, z. B. bei 
Nizniow, wie auch in Wolhynien eingebettet in Kreideablagerungen, in 
Westgalizien aber in Jura. Neben massenhaften grossen Nuclei und 


41] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 229 


Schabern sind es hauptsächlich die riesigen, etwas gebogenen Späne 
(Prismenmesser), die Erstaunen erwecken und an die frühneolithischen 
oder spätpaläolithischen gleichen Stücke von Pressigny gemahnen. Es 
scheinen auch grosse Silexbeile vollkommen nordischer Form dieser 
Kultur anzugehören, wie wenigstens Chwoiko in seltenen Fällen für das 
Dnieprgebiet festgestellt hat, Hadaczek aber für Ostgalizien als ganz 
gewöhnlich annimmt. Auch aus Kukuteni sah ich in Bukarest eine An- 
zahl derselben. Die gewaltigen Massen dieser Stücke in meisterhafter 
Ausführung, die man in den Lemberger und Krakauer Sammlungen als 
Einzelfunde und besonders aus grossen “Silexwerkstátten” aufgehäuft 
sieht, bin ich allerdings geneigt, den eingedrungenen nordischen Kulturen 
zuzuweisen, wie auch Demetrykiewicz will. Namentlich scheint das der 
Fall zu sein mit den zahllosen herrlichen, grossen Säge- oder Sichel- 
messern, die allerdings seltener in den rein nordischen, symmetrischen 
Formen erscheinen, als gerade in einer unnordischen Form mit einem 
spitzen und einem breiten, gerade abgeschnittenen Ende (Abb. 3): eine 


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Abb. 3. Silex-Sägemesser aus Sieniawa am San. 
(nach Zbiór wiadomości VI. Krakau 1882. Taf. VI, 17. 


Form, die auffallenderweise innerhalb der von der osteuropäischen so 
merklich abweichenden siebenbürgischen bemalten Keramik in der Um- 
gebung von Kronstadt sehr häufig aus Sandstein nachgebildet erscheint, 
nur einmal aus Silex (Steinbruchhügel und Schnecenberg). Selbst- 
verständlich handelt es sich bei allen galizischen und wolhynischen Silex- 
geräten niemals um nordischen Import, auch wo sie hier in nordischen 
Kulturen auftreten. Das wird nicht nur durch die teilweise eigenartigen 
Formen, sondern auch durh das Rohmaterial erwiesen. Schon seit 
vielen Jahren spürte ich der Herkunft der in ganz Ostdeutschland nicht 
seltenen, stets meisterhaft geschliffenen Silexbeile nach, die jene reizvolle, 
achatähnliche Maserung aufweisen (Abb. 4—6), ohne etwas Sicheres darüber 
ermitteln zu können. In Ostgalizien ist aber dieses Rätsel leicht gelöst, 
wie eine flüchtige Durchsiht des Dzieduszycki-Museums Jedermann 
sogleich belehren wird. Ostgalizien ist das Ursprungsland des 


230 Gustaf Kossinna. [42 


gebänderten Silex und der daraus gefertigten schönen Werkzeuge. 
Von hier aus sind jene Beile über Ostdeutschland bis nach Vorpommern 
(Hinrichshagen), Westhavelland (Kl.-Kreutz), Anhalt (Coswig), Merse- 
burg (Schkopau) verhandelt worden. Da nun die langen Schaber und 


Abb. 4-6. Gebänderter Silex aus der Prov. Posen, Kaiser-Friedrih-Museum in Posen. 
4. Kl. Drensen, Kr. Filehne; 5. Biskupin, Kr. Znin; 6. Jankowo, Kr. Mogilno. 


die kolossalen Spanmesser, die sicher einheimische Arbeit sind, zum 
Teil auch die Maserung besitzen, so zu Wierzbowiec bei Trembowla 
am Sered und zu Horodnica, so ist jeder Zweifel an meiner Auffassung 
ausgeschlossen. 


m. 


Nordindogermanen und Südindogermanen in Mitteleuropa. 


Nachdem wir so ermittelt zu haben glauben, dass in jener Über- 
gangszeit von der älterneolithischen zur jüngerneolithischen Periode, die 
durch die älteste, dem Walzenbeile noch nicht zu fern stehende Form 
des spitznackigen Beiles bezeichnet wird, der nordeuropäische Zweig 
der Indogermanen aus Frankreich nach Norddeutschland und Südskan- 
dinavien eingewandert ist, hat es keine Schwierigkeit, seine weitere Ent- 
wickelung zu verfolgen. Die Zeit des ‚spitznackigen‘ Beiles ist zugleich 
diejenige des wie jenes im Querschnitt spitzovalen ‚breitnackigen‘ Beiles, 
das dem spitznackigen nicht nachfolgt, sondern neben ihm hergeht, denn 
beide Formen nehmen allmählich die Entwickelung der scharfen Seiten- 
ränder zu dünnen Schmalseiten vor. Ich kann daher das breitnackige 
Beil nicht mit Sophus Müller aus dem spitznackigen herleiten, sondern 
führe es auf das ihm ähnlich gestaltete Litorinabeil zurück. Nur das breit- 


43] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 231 


nackige Beil entwickelt sich andauernd weiter, zuerst durch Ausbildung 
von Schmalseiten zu dem ‚dünnnackigen‘, dann durch Verdickung des 
Rückens (Bahnendes, Nackens), zu dem ‚dicknackigen‘ Beile, das in 
der Metallzeit fortlebt. Mit der Schöpfung des dünnnackigen, meist über 
den ganzen Körper hin geschliffenen Beiles sind wir bereits in die 
Epoche der Megalithgräber der nordischen Indogermanen eingetreten, wo zu- 
erst die kleinen Dolmen, danach die grossen rechteckigen Hünenbetten und 
Ganggräber erscheinen, schliesslich die ganz unterirdischen Steinkammern 
und die kleineren Steinkisten folgen. Wir haben mehrere Versuche, 
das Gebiet dieser Steingräber Norddeutschlands kartographisch darzu- 
stellen: leider sind aber alle, auch der letzte von Meitzen, sehr unvoll- 
kommen, da die Grenzen des Gebietes nah Süden wie nach Osten 
überall erheblich zu eng gezogen sind. 

Im Verlaufe dieser Entwickelung, die bis zur Form der einfachen, 
steinschutzlosen Flachgräber führt, findet ein immer weiteres Vordringen 
der Nordindogermanen nach Mitteldeutschland statt, endlich sogar nach 
Süddeutschland, nach der Schweiz und nach Österreich bis fast ans 
Donauufer hin, ja auch gewisse Entwickelungen der österreichischen 
Alpenländer und selbst Ungarns-Siebenbürgens scheinen nordische Ab- 
leger zu sein. Die nicht geringe Reihe von selbständigen Kulturen, die 
die Nordindogermanen hierbei aus dem ursprünglichen Kerne der Mega- 
lithgräberkultur hervorgehen lassen, nämlich zunächst die Ausgestaltung 
des Nierstein-Rössener Stiles, der in zwei Strömungen südwärts geht, 
einmal von Westhannover an den Mittelrhein und unteren Main und 
Neckar, das andere Mal zwischen Harz und Elbe nebst Saale nach 
Thüringen; zweitens diejenige Vertretung der Megalithgräberkultur in Mittel- 
deutschland, die an der Elbe und am Harz im Latdorfer (Bernburger) 
Typus zu neuer Eigenart auswádhst; drittens die Kultur der Kugel- 
amphoren, die gleichzeitig mit dem Latdorfer Typus zwischen Elbe und 
Oder in Westpommern und Nordbrandenburg zur Blüte gelangt und von 
hier aus auf dem einen, südwestlich gerichteten Zuge an die Elbe, die Elbe 
aufwärts bis Böhmen, ebenso die Saale aufwärts und bis ins westliche 
Thüringen sich verbreitet; endlich viertens den jüngsten Sprössling, 
die Elb-Saale-Schnurkeramik, bei deren Geburt norddeutscher, Lat- 
dorfer und Kugelamphorenstil in gleicher Weise Gevatter gestanden 
haben — das ausführlich zu erörtern sollte ursprünglich das Kernstück 
meines Vortrages werden. Allein die Überfülle des Stoffes zwang mich 
zur Beschränkung — und so will ich die Darlegung dieses Kapitels 
der Ausbreitung der Indogermanen, zumal ich damit bereits 1902 einen 
ersten Versuch gemacht habe, für ein anderes Mal zurückstellen. 

Einen kartographischen Niederschlag der genannten nordindoger- 
manischen Kulturen hat noch niemand angefertigt. Wer die unlängst 


262 Gustaf Kossinna. [44 


von Schliz herausgegebene Karte der Verbreitung der in Süddeutschland 
nachgewiesenen steinzeitlihen Kulturen ansieht, wird dort von den 
norddeutschen Kulturen nur die jüngste derselben, die schnurkeramische, 
berücksichtigt finden, wenn auch längst nicht in ihrer vollen Ausdehnung. 
Man muss innerhalb des erstaunlich weiten Bezirkes dieser Kultur zwei 
mehr durch die Gleichzeitigkeit ihres Daseins, als durch ihre innere 
Übereinstimmung verbundene Gebiete scheiden. Im Osten entwickelte 
sich der eine Zweig, den ich die Oderschnurkeramik nenne und auf den 
ich später noch näher eingehe, im Westen der andersartige Zweig des 
Elb-Saalegebietes in der Provinz und dem Königreich Sachsen, sowie 
in Thüringen. Die thüringische Abteilung dieser Kultur entsendet Kolo- 
nien nach Nordböhmen und Mähren, nach Kurhessen, Nassau, Hessen- 
Darmstadt, weiter nach Baden und der Schweiz, endlich von hier wieder 
ostwärts nach Württemberg nebst Bayern. Sehr augenfällig ist im 
untersten Maingebiet und in ganz Süddeutschland ein starker direkter 
Einfluss von einer späten Phase der nordwestdeutschen Megalithkeramik 
her, der jene schwach Sförmig geschweifte, aber auffallend hoch 
aufstrebende Becherform der Megalithgräberkultur dorthin bringt, bei 
der meist der ganze Körper des Gefässes mit dichtgestellten Zonen 
von Tannenzweigornament (Sparrenmuster) oder von ähnlichen Mustern 
bedeckt ist, während die nur spárlih und in kleiner, verkümmerter 
Gestalt auftretende schnurkeramishe Amphore durch thüringische Ein- 
flüsse herangeführt wird. Charakteristisch für diesen Becher ist ein 
schmaler, oft zugleich vom Bauch scharf abgesetzter Standfuss, der 
dem thüringischen Typus durchaus fehlt: dort ist der Boden des Bechers die 
Standfläche des breiten Bauches. Es ist das eine Form, die von manchen 
Forschern, namentlich von Soph. Müller und leider auch von Montelius, ganz 
falsch beurteilt wird, indem sie ohne allen triftigen Grund als eine „südliche“ 
Form dargestellt wird. Solhe hohen Becher mit verjiingtem Fuss 
erscheinen häufiger in Holstein, im Hannöverschen, in Westfalen, am 
Niederrhein und in Holland, dann in dem beregten hessen-nassauischen 
und süddeutschen Gebiet (Taf. XXII, 1—8). Es ist das zugleich die Form, 
mit der die Nordindogermanen Nordwestdeutschlands und Hollands in 
der Kupferperiode der Steinzeit nach England ziehen, wo die Lang- 
schädelgräber in Langhügeln ihnen angehören und zugleich der Bern- 
stein jetzt häufiger sich zeigt, während im Laufe der Bronzezeit hier 
wiederum eine kurzköpfige Bevölkerung mehr und mehr in den Vor- 
dergrund tritt (Taf. XXII, 9—11). 

In Süddeutschland und Nordösterreich erfüllt die Kultur der Schnur- 
keramik Gebiete, die vorher von einer durchaus andersartigen Kultur 
eingenommen waren, nämlich von der bandkeramischen oder Donaukultur. 

Wohl nicht mit Unrecht hat man die ersten Anfänge und Siede- 


45) Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 233 


lungen der Donaukultur an die mittlere Donau verlegt, in die aus- 
gedehnten Lössgebiete an der ungarischen Donau-Theissebene, nebst 
Siebenbürgen, Serbien, Bosnien, Niederösterreih, Mähren. Hier 
finden wir die dichteste Besiedelung, die reichste Entwickelung und, 
wie es scheint, auch die frühesten, primitivsten Erscheinungen dieser 
Kultur d. h. diejenigen, die der Entwickelung der Stichreihenkeramik 
und des mit ihr gleichzeitigen Hinkelsteintypus vorausliegen. Von hier 
aus gehen auch in späterer Zeit Anregungen künstlerischer Art aus, wie 
die aus dem Muster von Systemen konzentrischer Kreise und ineinan- 
dergesetzter Vierecke auf dem Wege der ‚Verschiebung‘ entwickelte 
Spiral - Mäander - Verzierung, die nach Wilkes für mich überzeugendem 
Nachweis je weiter hinauf nach der oberen Donau und dem Mittelrhein 
hin, desto mehr als nur halb verstandene Nachahmung der fertigen 
östlichen Muster übernommen und weitergegeben und zudem hier fast 
nur in den allereinfachsten Gestaltungen ausgeführt wird). 


Man muss danach das Gebiet der oberen Donau bis zum Rhein 
und das Rheingebiet für die verhältnismässig späte Epoche der Spiral- 
Mäanderkeramik als ein Kolonialgebiet jenes österreich-ungarischen Kern- 
landes ansehen. Ein zweites Kolonialgebiet waren die mitteldeutschen 
Länder Schlesien, Böhmen, Sachsen, Thüringen; ein drittes, wenn auch 
kulturell stark abweichendes, war Südosteuropa. 


Es entsteht jetzt die Frage, wann diese Donaukultur einsetzt im 
Verhältnis zu den Anfängen der nordisch-indogermanischen Besiedelung. 
Sieht man auch hier die Steingeráte als Leitmotive an, so ist zunächst 
zu bemerken, dass die anscheinend frühesten derartigen Werkzeuge der 
Donaukultur gekennzeichnet werden durch eine eigentümliche untere Ab- 
plattung, die den ganzen Gerátkórper entlang läuft; ich meine, die all- 
bekannten sogenannten hochgewölbten ‚Hobel‘, in Plättbolzenform, doch 
mit ‚aufgewippter Nase‘ (Schneide), denen sich (später?) die ähnlich be- 
handelten ‚flachen Hacken‘ gesellen. Der hochgewölbte Hobel hat nun 
eine Form, die ihrer ganzen Art nach nicht gut aus einem anderen Vor- 
gänger abgeleitet werden kann, als aus dem Walzenbeil, und zwar durch 
seitliche Zusammendrückung und einseitige untere Abplattung. Er müsste 


1) Inzwischen hat H. Grössler (Eisleben) in seiner Abhandlung: „Die Ent- 
stehung der Spiral- und Máanderverzierung, ihr Alter und ihr Ursprungsland* 
(Jahresschrift für die Vorgeschichte der sächsisch-thüring. Länder 1908 VII, 124 ff.) 
diesen Ursprung ins Saalegebiet verlegt. So geschickt Gróssler auch seine Gegner 
bekämpft, ih kann mich doch zu seiner Ansicht nicht bekennen, weil damit der Ur- 
sprung dieser über so grosse Weiten verbreiteten Kultur gerade in einem äusseren 
Grenzgebiet angenommen wird. Aud stehen die von ihm nachgewiesenen Fälle 
des Vorkommens konzentrisher Kreise in Thüringen zu vereinzelt da gegenüber der 
Fülle der Erscheinungen im östlicheren Donaugebiet. 

Mannus. Bd. I. H. 3/4. 16 


934 Gustaf Kossinna. [46 


dann einer verhältnismässig frühen Zeit angehören und damit könnte 
gut stimmen, das er typisch ist in der rheinhessischen Hinkelsteinkultur, 
der ältesten Vertretung der dortigen Donaukultur, die nach meiner An- 
sicht von der nordischen Rössener Kultur und Bevölkerung überdeckt 
wird, bald aber im Grossgartacher Stil eine eigenartige Mischung her- 
vorbringt, bei der die Urbevölkerung nach Ausweis der Anthropologie 
wieder Oberwasser gewinnt, um dann in der Spiralkeramik ganz zur Herr- 
schaft zu gelangen und erst von der nordischen Kultur der Schnurkeramik 
im Verein mit der Zonenbecherkultur völlig verdrängt zu werden. Schwierig- 
keiten macht allerdings die Tatsache, dass die mitteldeutsche Stichreihen- 
keramik, zu der ja im weiteren Sinne auch der Hinkelsteintypus gehört, 
in Zeiten fällt, die wir nicht für relativ früh anzusehen haben. Hier 
haben wir nämlich den seltenen, bisher noch gar nicht ausgenutzten Fall, 
dass wir nordische und Donaukultur in Vergleich setzen können. In Ost- 
deutschland ist zweimal zu beobachten, wie sogenannte Kümpfe der Stich- 
reihenkeramik (Abb. 8) mit nordischer Keramik in demselben Grabe vereinigt 
sind: zu Kl. Rietz, K. Beeskow-Storkow, (Flachgrab in Steinkiste) mit Kugel- 
amphoren, die schon Schnurornament aufweisen (Abb. 7), und zu Iwno, 


Abb. 7, 8. Steinkistengrab von Kl. Rietz, Kr. Beeskow-Storkow, Prov. Brandenburg. 
7. Kugelamphoren und weitmundige Näpfe. 8. Stichreihenkumpf. 


Kr. Schubin, mit in nordischen Gräbern, die in den Kreis der ostdeutschen 
Schnurkeramik gehören (Abb. 9), mindestens mit dieser gleichalterig sind, 
ausserdem Gefásse von einer Form enthalten, die sich sehr stark den 
Zonenbechern nähert (Abb. 10). Im westlicheren Mitteldeutschland, an der 
Saale sehen wir weiter, dass die böhmisch-thüringische Stichreihenkeramik 
durh Formenaustaush sich als gleichaltrig mit den Anfängen des 
Latdorf-Bernburger Typus erweist, wie ich das ein andermal zeigen 
werde. Soviel scheint dadurch festzustehen, dass der Hinkelsteintypus und 
die Stichreihenkeramik kaum so alt sein können, als die frühesten Erschei- 


BEER. 


kann 


47) Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 235 


nungen der nordwestdeutsch-dänischen Dolmenkeramik, die aber wiederum 
in ostdeutschen Ausláufern, wie wir sehen werden, sich als gleichalterig 
erweist mit dem Jordansmühler Typus in Schlesien, einer Kulturgruppe, 
die etwa dasselbe Alter haben wird, wie die Stichreihenkeramik. 

Wie weit das reine 
spitznackige Beil inner- 
halb oder wenigstens in 


1/3. Etwa !/2. 
Abb. 9. 10. Iwno, Kr. Schubin, Prov. Posen. 


dem Gebiete der Donaukultur vorkommt, entzieht sih noch meiner 
genauen Kenntnis, allein zu Butmir bei Sarajewo, einer Station, deren 
Anfänge für besonders altertümlich gelten — vielleicht mit Unrecht —, 
erscheint neben dem echten hochgewölbten Hobel das Spitzbeil, allerdings 
gleichfalls schon mit der charakteristischen unteren Abflachung. [Das 
echte Spitzbeil fehlt im Osten. Korrekturnote]'). 

Alles in allem werden wir vorläufig wohl nicht zu arg in die Irre 
gehen, wenn wir annehmen, dass die ersten Anfänge der südindogerma- 
nischen Siedelungen an der Donau nicht allzuviel später fallen, als die 
der Nordindogermanen an der Ostsee. Wir haben danach anzunehmen, 
dass am Schlusse der mittelneolithishen Epoche, genauer um die Zeit 
des Gebrauchs-des spitznackigen und des gleichzeitigen breitnackigen Beiles, 


1) Inzwischen ist im August 1908 zu Frankfurt a. M. diese Spezialfrage für 
Süddeutschland von A. Schliz in einem Vortrage behandelt worden, dem ich jedoch 
nah vielen Richtungen hin, in Chronologie, wie in Beurteilung der Kultur- 
zusammenhänge meine Zustimmung versagen muss, wie ich das in Frankfurt so- 
gleich betont habe (Korrespondenzblatt der deutschen anthropologischen Gesellschaft 
1908, 92 ff.). Dass der Pfahlbaukultur der Typus des spitznackigen Beiles zukomme, 
kann ich sehr wohl unterschreiben; dieser Kultur gehört aber nur ein kleines Gebiet 
nichtindogermanisher Bevölkerung. Für die südindogermaniscen Gebiete ist die 
Frage also noch weiter zu verfolgen. 

16* 


236 Gustaf Kossinna. [48 


aus dem bald das dünnnackige hervorging, die Auswanderung der Indo- . 
germanen aus Westeuropa ziemlich gleichzeitig nach zwei Richtungen 
stattgefunden hat. Dann hätten wir hier eine merkwürdige Parallele 
zu den beiden ebenfalls gleichzeitig — um 400 vor Chr. — vollzogenen 
grossen gallischen Auswanderungen aus Frankreich, genauer aus Nord- 
frankreich, des Bellovesus-Zuges nach den südeuropäischen Halbinseln, 
des Sigovesus-Zuges nah dem Ostalpengebiet. 


IV. 


Südindogermanen in Osteuropa. 


Wir haben soeben den Ursprung der Nord- und der Südindoger- 
manen uns klar zu machen gesucht und wenden uns nunmehr dem 
anderen im Thema angekündigten Hauptpunkte zu, der östlichen 
Ausbreitung. 

Auch hier werden wir naturgemäss zu einer Zweiteilung des Stoffes 
gezwungen, entsprechend der uranfánglihen Zweiteilung der Indoger- 

a manen. Doch wenden wir uns diesmal 
FE x` zuerst den Südindogermanen zu und 
AID is | zwar dem östlichen Ausläufer der Donau- 
kultur, der ausserhalb der Karpaten, jener 
bedeutungsvollen ursprünglichen Ost- und 
Südostgrenze des Stammgebietes dieser 
Kultur, seine Stätte gefunden hat und 
bisher in den Kreisen der deutschen Vor- 
geschichtsforsher doch noch wenig ein- 
gehender gewürdigt worden ist, obwohl 

Abb. 11. Blleze Ziota, Ostgalizien. er in einzelnen Teilen, wie namentlich 

_ Grab 8 (nach Ossowoki). aus Ostgalizien, schon vor mehr denn 
dreissig Jahren aufgedeckt worden ist. 

Es ist dies jene neben Wohnstätten fast ausschliesslich aus Leichen- 
brandgräbern mit bewundernswerter bemalter Spiralkeramik gekennzeid- 
nete Kultur, die ausser dem östlichen Teile von Galizien die Bukowina, 
Rumänien, Bessarabien und Südrussland bis an den Dniepr nebst einer 
Exklave auf der Krim einnimmt. Ein gutes Beispiel für Ostgalizien 
bilden die von Ossowski in einer Reihe von Arbeiten veröffentlichten 
reichen Grabanlagen von Bilcze Zlota: Urnengräber in „Ziegel- 
packung“ (Abb. 11), bei denen die eigentlihe Urne sich darstellt ent- 
weder als grosses birnenfórmiges, nur auf dem Oberteile der Aussen- 
seite bemaltes Gefäss mit zugespitztem Fusse und engem, kurzem 
Halse — dem eine stets nur auf der Innenseite bemalte Schale als 


Deckel aufsitzen kann (Abb. 12 a, b und Tafel XXIII, 10, 11) —, oder 


49] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 937 


auch als grosses Gefäss in griechischer Kraterform mit scharf abgesetztem 
oder gleitend übergehendem weit ausladenden und umgebogenen Halse 
(Taf. XXIII, 1. 6; XXIV, 7. 11. 12). Zuweilen auf die Kante gestellt und 
durch die Packung in dieser Form gehalten, birgt diese Urne allerdings bloss 


geringe Spuren des 
Leichenbrandes, der 
nur in symbolischer 
Andeutung beige- 
Abb. 12 a—c. Bilcze Zlota Grab 8 (nach Ossowski). Ir setzt wird (Abb. 1 1). 

Unter den Beigaben 

fallen auf kleinere hochgestreckte doppelkonische Gefässe (Taf. XXIII, 8. 9), 
ferner halbkugelförmige Schalen mit scharf abgesetztem, sehr stark aus- 
ladendem Rande, die wegen ihrer Form von russischen Forschern 
„Schwedenhelme“ genannt worden sind (Taf. XXIII, 7; XXX unterste Reihe; 
XXXI ebenso). Diese Schalen tragen die Bemalung stets nur auf dem 
äusseren Kugelboden, müssen daher ursprünglich als hochangebrachte 
Hängegefässe gedacht worden sein, wenn sie nicht vielmehr, was wahr- 
scheinlicher ist, als Deckel der grossen Urnen ge- 
dient haben. Die merkwürdigste Beigabe sind 
eine Art doppeltrichterförmige Pokalgefässe mit 
oberer und unterer Schale und mittlerer Er- 
weiterung, doch ohne Boden, 
also ganz hohl, von den klein- 
sten bis zu den grössten For- 
men (30 cm hoch in Bilcze). 
Man hat sie, da sie meist in 
Abb. 13. Latdorfer Trommel, Abb. ik «Operngudker” Zwillingsform, durch Stäbe drei- 
Schkopau, Kr. Merseburg. d Tripoliekulter, Dniepr: fah miteinander verbunden, 
auftreten, Opernguckergefässe 

genannt und als Untersätze für Schalen gedeutet (Abb. 12c und Taf. XXIII, 5; 
XXX oberste; XXXI unterste Reihe). Meiner Ansicht nach sind sie als 


Trommeln aufzufassen ganz wie die seit langem bekannten ähnlichen 


238 Gustaf Kossinna. [50 


Tongeräte des Latdorfer (Bernburger) Stils (Abb. 13. 14), die an- 
scheinend auh der Form nach in einem Zusammenhange mit diesen 
spiralverzierten Trommeln stehen !), wobei es nur noch nicht klar 
ist, von welchem dieser beiden Gebiete die Beeinflussung auf das 
andere ausgegangen ist, da wir eben über Zeitverhältnis der nordischen 
Kulturen zu den Donaukulturen, insbesondere zur bemalten Keramik 
noch zu wenig haben ermitteln können (s. S. 228. 234). In der 
Malerei erscheinen nicht nur Bänder von meist sehr stark dege- 
nerierten Spiralen, die auch in einen geschlossenen Kreis, eine Rad- 
figur oder einen Stern (Taf. XXIV, 1. 8. 9. 11. 12) sich wandeln können, 
sondern als Zwickelfüllung auch unvollkommene Tier- und sogar Menschen- 
figuren (Abb. 15. 16; Taf. XXVI; XXVIII rechts)?). 

Ständige Merkmale dieser Kultur sind tönerne Frauenidole, das 
Symbol der Fruchtbarkeitsgöttin (Taf. XXIX), und tönerne Tierbilder, die 
das im Haushalt der Donaukultur wichtigste Haustier, das Rind (Taf. XXIII, 
18. 19) und andere Haustiere versinnbildlihen. Nur selten erscheinen 
Mannesidole, bei denen ausser der Geschlechtsbezeichnung ein von der 
rechten Schulter nach der linken Hüfte über den Leib laufendes Band 
dargestellt und stets nur ein Ohr, das linke, durchbohrt ist, während 
bei den Frauenidolen beide Ohrmuscheln zur Aufnahme von Hänge- 
schmuck eingerichtet sind (Abb. 17 a—c; d). 

Horodnica ist das einzige Gräberfeld, und die bei Bilcze gelegene 
Höhle Werteba die einzige Wohnstätte dieser Kultur in Ostgalizien, die 
eine grössere Anzahl von Menschenskeletten geliefert hat: alles aus- 


1) Hinweisen möchte ich hier wenigstens auf die aus dem nordischen Stil 
stark herausfallenden Verzierungsweisen des Zahnrads und des Malteserkreuzes, die 
beide im Latdorfer Stil, namentlich aber bei den Latdorfer Trommeln häufiger vor- 
kommen, das Malteserkreuz auch auf Gefässen, wie der Schale vom Schöffenberg 
bei Oberwiederstedt (Mansfelder Seekreis), der Halsamphore von Elbekosteletz, 
Gefässresten von Prerow und vom Schlaner Berg, diese drei in Böhmen. Dieselbe 
Kreuzverzierung, nicht eingetieft nach nordischer Art, aber gemalt und zwar stets 
schwarz, findet sih nun recht häufig auf Böden kleinerer Schalen der bemalten 
Keramik. Das Zahnradmotiv scheint allerdings mehr auf den Mondseetypus hin- 
zuweisen. 


2) Als westliche Parallele hierzu bringt H. Grössler eine an genannter Stelle 
(S. 233 Anm.) veröffentlichte mehrfache Ritzung eines klar als solcher erkennbaren 
Auerhahnes auf einem Gefässe von Gr. Oerner, Mansfelder Gebirgskreis. Allein es 
will mir scheinen, als ob das Gefäss trotz aller Fundverhältnisse nach Form (Schalen- 
form) und plastischer Verzierung (senkrechte Bauchwülste) vielmehr in die spätere 
Kaiserzeit (3. Jhr. nach Chr.) gehört und eine Parallele ist zu dem benachbarten 
gleichalterigen Gefäss von Stimnitz Kr. Querfurt, das eine ganz ähnliche Vogel- 
ritzung mit Grübchenumsäumung aufweist und nach seiner Form und den in die 
drei Henkel eingehängten Tonringen unbedingt kaiserzeitlich ist (abgebildet: Album 
der Berliner prähistor. Ausstellung 1880 Sect. V, Taf. 17). 


51] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 239 


gesprochene Langschädel, die aber noch einer näheren wissenschaftlichen 
Charakterisierung entbehren. 

Um manche neue Züge bereichert wurde unsere Kenntnis dieser 
Kultur durch die Ausgrabungen R. Kaindls in Schipenitz in der Buko- 
wina *), namentlih aber durch die Aufdeckung der 
interessanten, kompliziert gebauten Grabstätten von 
Petreny bei Bilzi in Bessarabien, die v. Stern auf 
dem archäologischen Kongress zu Jekatarinoslaw ein- 
gehend dargestellt hat (Taf. XXIlI—XXVD. Nochreicher 
ist diese Kultur in Podolien entwickelt, wo die archäo- 
logische Karte von Th. Volkow vor wenigen Jahren 


Abb. 15. Grosses birnenförmiges Gefäss mit Tier- Abb. 16. Menschenmalerei auf Scherben 
malerei, gefüllt mit angebrannten Weizenkörnern. der Tripoljekultur, Dnieprgebiet (nach Chwoiko). 
Podolien. 


noch gar keine einschlägigen Funde kannte (Taf. XXXIV), und vor allem im 
Dnieprgebiet. Hier ist im Gouvernement Kiew, ein wenig auch noch in die 
Gouvernements Cherson und Tschernigow hinein, besonders durch Chwoikos 
mehr als zehnjährige unermüdlihe und mit glänzendem Erfolge aus- 
geführte Grabungen fast eine neue Urzeitwelt entstanden. In der rus- 
sishen, wie fremden Literatur wird diese ukrainische Steinzeitkultur 


— — — -—- - 


1) Neuestens hat dieser Forscher eine weitere Veröffentlichung einschlägiger 
Art über eine Wohnstätte in Koszylowce bei Tluste in Ostgalizien gemadt, die ich 
dem Stil Il der Tripoljekultur gleichsetze, den wir sogleich kennen lernen werden 
(Tierkopfhenkel an Gefässen, Form der weiblichen Idole). 


240 Gustaf Kossinna. [52 


nach einem der ergiebigsten Fundorte Tripolje-Kultur genannt. Chwoiko, 
der 1899 beim Kiewer Kongresse die erste grössere Ausstellung und 


Abb. 17 a—d. Steinzeitliche Frauenidole (a-c) und Mannesidol (d). Podolien. 


Veröffentlichung dieser Kultur veranstaltete, vermag neuestens drei Stil- 
perioden innerhalb dieser Kultur zu unterscheiden. 

Stil I, der älteste, ist ausschliesslich vertreten in Wohngruben 
(Semljanki) der Kyrillus- 
strasse in Kiew (Abb. 18). 
Dies sind etwa 40 cm 
tief ausgeschachtete Plätze 
von runder bisrechteckiger 
Form im Verhältnis von 
4:5 m, in deren Mitte 
eine Feuerherdstelle ein- 
getieft ist, die mit Speise- 
resten, wie Muscheln und 
Tierknochen, mit Scher- 
Abb. 18. Steinzeitlihe Wohngrube der Kyrillusstrasse in Kiew ben ; kleineren glatten 


(nach Chwoiko). 
Beilen aus Elch- oder 


Hirschgeweih ohne charakteristishe Form, selten mit kleinen rohen 
Silexgeräten, wie Schabern und Messern, sehr selten kleinsten Silex- 


53] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 944 


beilen angefüllt ist (Abb. 19). Durchaus fehlen Pfeilspitzen, grössere 
Steinbeile sowie Schaftlochhämmer; zuweilen birgt die Grube ein ge- 
krümmt liegendes Skelett. Die verhältnismässig rohen Scherben sind 
in ganz einfacher Weise durch Einritzung von punktierten und einfach 
oder mehrfach gestrichelten Linien, von Tannenzweigmustern und alter- 
nierenden Zickzackstrichbändern verziert (Taf. XXXII, 1). 

In Stil II (früher Stil B genannt), der wie Stil III ausschliesslich 
in den „Ploschtschadki* genannten Familiengräbern, jenen mit Holz- 
konstruktionen gestützten, innen aus- 
gemalten Lehmbauten (Taf. XXVII), vor- 
kommt, treffen wir manche der schon 
aus Petreny bekannten Tongefässformen 
(Abb. 20 und Taf. XXVIII), wie die kra- 
terförmigen mit hohlgewölbtem Bauch, 
eingezogenem Halse und ausladendem 
Rande, am Oberteil mit eingeritzter 
Verzierung oder mit Tierkopfreliefs 
(Taf. XXIII, 13. 14). Dazu kommen soge- 
nannte „Fassurnen“ in doppelkonischer, 
rundlicher Wölbung, fast ohne Hals und 
Rand, mit ein bis drei Reihen um- 
laufender Öhre unterhalb der schmalen 
Öffnung, am Oberteile mit eingeritztem 
Tannenzweigmuster (Abb. 20 unterste 
Reihe). Eigenartig sind die kleinen 
» Wassershópfer*, trichterförmige Schäl- 
chen mit eingezogener Wandwölbung der trühesten Tripolje-Kultur (nach Chwbiko). 
und wulstartig verdicktem Standboden 
(Abb. 20 oberste Reihe). Ausser dem Tannenzweigmuster und anderen 
Motiven des ersten Stils werden jetzt Sterne, kleine Kreise, Kreuze, 
konzentrische Halbkreise eingeritzt; dazu kommt noch die Bemalung mit 
schwarz gesäumten Spiralbändern auf hell- oder dunkelbraunem Grund 
(Taf. XXXII, 2). Die entweder stehend mit Vereinigung der Beine in 
einen Stumpf oder sitzend mit Sonderung der Beine dargestellten 
weiblichen Idole zeigen nach Art des steatopygen Schönheitsideals 
starke Betonung des Geschlechtscharakters an Brüsten und zuweilen 
auch Gesdledtsteilen, übertrieben gross dargestellte Gesässe, gewaltige 
durchbohrte Ohren, herausgetriebene Nasen, gut bezeichnete Augen: im 
Ganzen, wenn die Mundbezeichnung fehlt, eine Art Eulenkopf (Taf. XXIX). 

Dem Stil lH (früher Stil A genannt) eigenen die reichst aus- 
geführten Spiralmuster, Wellenlinien, Wellenbänder, Systeme konzen- 
trischer 'Kreise, geritzt und weiss eingelegt, dazu der Gefässgrund mit 


249 Gustaf Kossinna. [54 


Buntmalerei bedeckt (Taf. XXX11,3; XXXIII). Der Grundton ist vorherrschend 
zimmetbraun; die Buntmalerei verwendet die Farben weiss, rot, orange, 
schwarz, gelblich, hell- und dunkelbraun bis violett. Waren die Gefässe des 


Abb. 20. Gefässtypen des Stils II der Tripolje-Kultur (nach Chwoiko). 


II. Stils schon eine feine Tonware zu nennen, so erreicht jetzt die 
Feinheit der Tonschlemmung, die Sauberkeit der Form, oft auch die grosse 
Dünnheit der Gefässwandung den Gipfel und alles das ohne Anwendung 


55) Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 243 


der Drehscheibe (Taf. XXX. XXXI). Von hervorragendem Formensinn zeugt 
die Umgestaltung der grossen kurzhalsigen Birnenurne zur vollen hals- 
losen Bombenform mit engster Miindung, eine Form, die vor kurzem 
von gewisser Seite fälshlih als eine Urform der Bandkeramik 
hingestellt wurde (Taf. XXXI Mitte). 
In diese Periode gehören die schon 
genannten glockenförmigen „Schwe- 
denhelme”, äusserst geschmackvoll 
gefärbt und geritzt (Taf. XXX; XXXI 
unterste Reihen), ebenso die Trommeln 
(,Operngucker“), die entweder in 
zimmetbraunem Überzug ein gefurchtes 
Muster aufweisen, oder weiss bemalt Abb. 21. Gefässscherben mit plastischen 
sind mit schwarz oder dunkelbrauner Mr des oo) Tripolje- 
Umrisssäumung (Taf. XXX. XXXI). Zu 
nennen sind weiter kleine glatte Halbkugelterrinen, auf zwei bis drei 
Füsschen stehend und mit ein bis drei Reihen von Öhren unter dem 
abgesetzten kurzen Halse (Taf. XXXI, oberste Reihe Mitte), endlich noch 
die aus Stil II bekannten, 
flüchtig gearbeiteten klei- 
nen Trichterhalsschalen, 
die jetzt auch zimmetfarbig 
und mit gefurchtem Muster 
verziert, sowie mit zwei 
zipfelartig abwärts gerich- 
teten Öhrzapfen versehen 
sind (ebenda rechts und 
links). Auch weibliche 
Tonfiguren leben noch 
fort, doch zu schemati- 
schen, kreuzförmigen Ge- 
ADD. 22 Germipolje-Kultur (nach Chwolko) = O7 staltungen entartet, die an 
dem ornamentierten bein- 
losen weiblichen Leibe Kopf und Arme nur als Stümpfe andeuten und somit 
den aegaeischen Brettidolen sich nähern (Taf. XXIII, 15. 16; XXIX, 23. 26). 
Gemalte Tier- und Menschenbilder scheinen dem Il. und II. Stile ge- 
meinsam zu sein. Statt der plastischen Tierkópfe als Vasenschmuck des 
II. Stils erscheinen jetzt dreieckig oder herzförmig gebildete Menschen- 
gesichter (Abb. 21). Nur in Stil III begegnen durchlochte Steinhämmer, 
sowie eine kleinere Anzahl flacher Kupferbeile nebst einem grossen 
kupfernen Doppelaxthammer, der auf der einen Seite als Beil, auf der 
anderen als gekrümmte Spitzhacke gebildet ist (Abb. 22, Mitte unten). 


244 Gustaf Kossinna. [56 


Skelettfunde sind neben den fast durchgängigen Leichenbrandgräbern 
äusserst selten; neuerdings hat Chwoiko ihren Anteil auf zwei bis drei 
vom Hundert abgeschatzt. Nach brieflicher Mitteilung sind diese Skelette 
stets langschädelig mit einem Kopf-Index von 72—74. 

Die West- und Südgrenze der Tripolje-Kultur (Taf. XXXIV) bildet in 
Ostgalizien zunächst der Sered, ein von Norden in den obersten Dniestr 
fallender linker Nebenfluss +), dann läuft die Linie nach Horodnica am Süd- 
ufer des Dniestr, springt südwärts über an den Prut nach Schipenitz bei 
Tschernowitz in der Bukowina, geht an diesem Flusse weiter bis Kuku- 
teni bei Jassy in Rumänien, dann über Petreny bei Bilzi in Bessarabien, 
durchquert den mittleren Dniestr bei Soroki, dann den Bug in der Nähe 
von Haissin in Podolien, um bei Uman die Westgrenze des Gouver- 
nements Kiew zu überschreiten, bei Kolnibolota an der Sinjucha das 
Gouvernement Cherson zu berühren, über Swenigorodki dem Ros sich 
zuzuwenden, diesem bis zu seiner Mündung in den Dniepr bei Kanew 
zu folgen und endlich jenseits des Dniepr im Kreise Oster des Gouver- 
nements Tschernigow zu endigen. 

Ein Blick auf die geologisch-klimatologische oder pflanzengeo- 
graphische Karte Russlands zeigt, dass diese ältesten Siedelungen des 
neolithischen Menschen, gerade wie die wenigen paläolithischen Stationen 
Südrusslands, südwärts durchaus innerhalb des Gebietes der Schwarzen 
Erde bleiben und von der Nordgrenze der eigentlichen Steppe sich noch 
erheblich fernhalten, eine Tatsache, die auch dann nicht einzuschränken 
wäre, wenn es mit der Exklave der Tripoljekultur an der Krimküste, 
von der Furtwängler Mitteilung gemacht hat, seine Richtigkeit hat, da 
ja die Südküste der Krim nicht zum Steppengebiet gehört. In der 
eigentlichen Steppe konnte naturgemäss weder in paläolithischer noch in 
neolithischer Zeit der Mensch dauernd bestehen; wenigstens sind dort 
keine Spuren von Ansiedelungen oder Gräbern angetroffen worden, die 
über die Zeit des Skytheneinfalls, also um 800 vor Chr., hinausgehen. 
Es bedarf daher keiner langen kritischen Erörterung, um das Ungereimte 
der nun Jahrzehnte lang wiederholten Behauptung Otto Schraders dar- 
zutun, die südrussische Steppe sei nicht nur das eigentliche Geburtsland 
der Indogermanen, sondern auch diejenige Urheimat, von der aus sie 
über Europa und Äsien sich verteilt hätten. 

Man geht nicht zu weit, wenn man alles, was die Sprachforschung 
bisher gerade über diese Urheimat ermittelt zu haben glaubt — welche 
Ansiht auch immer man hier nachprüft —, in Bausch und Bogen als 
hinfälliges Kartenhaus bezeichnet. Die gesamte sprachvergleichende 


1) Nur der oben (S. 239 Anm.) genannte neue Fundplatz Koszylowce liegt 
noch weiter westlich. 


57] Der Ursprung d. Urfinnen u. d. Urindogermanen u. ihre Ausbreitung usw. 245 


Paläontologie geht auch heute noch vorschnell, ja unbesonnen auf ein 
Endziel aus, das erst über weite Zwischenstationen vielleicht einmal 
von ihr erreicht werden kann. Sie will sogleich die Kultur der noch 
ungeteilten Urindogermanen durch blosse, noch dazu ganz unsystematisch 
betriebene Wortvergleichungen herausdestillieren, ohne zu beachten, 
dass schon mehrere Jahrtausende vor Christus es hier so enorme 
Gegensätze gibt, wie nordische Kultur und Donaukultur, Gegensätze, 
wie sie auch durch die Sprachforschung ermittelt worden sind, was ich 
oben schon erwähnt habe, ohne dass diese aber aus ihrer Erkenntnis 
die nötige Schlussfolgerung für ein methodisches Erschliessen der 
Urzeit gezogen hat. Methodish würde sie vorgehen, wenn sie auf 
sprachlihem Wege zuerst einmal erschliessen wollte: erstens die gemein- 
same Kultur der Nordindogermanen oder Centum-Völker, zweitens die 
gemeinsame Kultur der Südindogermanen oder Satem-Völker. Dann 
erst liessen sich innerhalb jeder dieser Gruppen alter Kulturbesitz und 
späte Kulturübertragung sicherer auseinanderhalten. (Forts. folgt.) 


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Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Ba. L Taf. XXII. 


Abb. 7. 1%. Blémkeberg b. Bielefeld, Abb. 8. !/s. Kaaks b. Itzehoe, Holstein Abb. 9. !js. Andernach a. Rhein 
Westfalen (Mus. Bielefeld). (nach Alt. u. heidn. Vorz. V, 49). (nach Bonner Jahrb. 92 Taf. II 10). 


Abb. 10. Etwa !/s. Abb. 11. 15, Abb. 12. 1/5. Abb. 13. 14. Gegend von Overzaal, Twente; 
Unteres Nahetal. Holzheim bei Giessen. Hebenkies bei Wiesbaden. Borger bei Assen, Drente (nach Holwerda, 
(10—12 nach Alt. u. h. Vorz. V, 49). Nederlands vroegste beschaving Taf. I, 11. 12). 


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Abb. 15. Holderness Etwa !/s. Zig ° 
(nach Greenwell, Abb. 16. 17. Wiltshire, England; Fifeshire, Schottland 
British Barrows). (nach Archaelogia LXI, Taf. X und 5. 111). 


Spátneolithishe Tonbecher Nordwestdeutschlands, Hollands, Englands und Schottlands. 


Kossinna, Der Ursprung der Urfinnen und Urindogermanen. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg. 


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Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. I. Taf. XXV. 


Grosses Gefäss der bemalten Spiralkeramik aus Petreny, Bessarabien. 


Kossinna, Der Ursprung der Urfinnen und Urindogermanen. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s, Verlag). Würzburg. 


Taf. XXVI. 


Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. 1. 


Grosses Gefäss der bemalten Spiralkeramik mit Menschendarstellung aus Petreny, Bessarabien. 


Kossinna, Der Ursprung der Urfinnen und Urindogermanen. Curt Kabitzseh, (A. Stuben s Verlag), Würzburg. 
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Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. 1. Taf. XXVII. 


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(nach Chwoiko). 
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Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Ba. I. Taf. XXIX. 


Tönerne Frauenidole der Tripoljekultur Stil II und Ill. 


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Taf. XXXI. 


Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. 1. 


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Tongefässe der Tripoljekultur Stil III von Tripolje-Tscherbanjewka (nach Chwoiko). 


Curt Kabitzsch (A. Stuber's Verlag), Würzburg. 


Kossinna, Der Ursprung der Urfinnen und Urindogermanen, 


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ll. Mitteilungen. 


Rassereinheit und Kultur. 


Von Privatdozent Dr. Hermann Schneider, Leipzig. 


In dem landläufigen Rassenbegriff sind zwei Elemente verschiedener 
Herkunft zu scheiden, ein biologisches und ein kulturgescichtlihes. Der 
ältere kulturgeschichtliche Faktor ist eine Gleichsetzung der wesentlichen 
Leistungen und Eigentümlichkeiten einer Kultur oder mehrerer Kulturen 
mit einem bestimmten, historisch gegebenen Bestandteil des Volkes oder 
der Völker, die die betreffende Kultur besitzen. Wo Germanen auf- 
treten, entwickelt sich ein glänzendes Rittertum, eine Kunst voll naiver 
Innerlichkeit, eine Weltanschauung voll tiefer Mystik; wo Semiten er- 
scheinen, herrshen anmassende Pfaffen und harte Geldmenschen, die 
Kunst stirbt ab, die Weltanschauung predigt herrische hartherzige Götter, 
die durch Opfer und Demut in guter Laune erhalten werden müssen. 
Psychologisch gewandt erhalten wir den ritterlichen, naiven und tiefsin- 
nigen Germanen einerseits und den anmassenden und doch kriechenden, 
kunstfeindlichen und fanatischen Semiten andererseits. Die „reine Rasse“ 
ist der unveränderliche Kern, der sich in allerlei äusserlich herangebrachtem 
Stoff immer in derselben Weise ausprägt; von ihr stammen alle eigen- 
artigen und wertvollen Kulturleistungen; sie ruhen samt und sonders 
in ihr als Keime von dem Moment der Rassenbildung an. Der Rasse- 
begriff ist in diesem Sinn ein zeitloser Begriff, etwas vollkommen Un- 
veränderliches; wenn die reine Rasse in andere Völker aufgeht, lässt 
sich ihr Geist als das einzig produktive in diesen nachweisen bis die 
Rasse vollkommen zerstört ist und mit ihr die Produktivität des «neu 
entstandenen Gemisches. 

Diesem zeitlosen qualitativen Rassebegriff hat die biologisch und 
entwicklungsgeschichtlich interessierte neuere Forschung einen naturwissen- 
schaftlichen und genetischen Anbau gegeben. Die Rasse bleibt dabei 
unveränderlich, aber sie erhält eine Entstehungsgeschichte, wir fragen 
überall nach dem Werden, also muss auch das Werden der Rasse unter- 
sucht sein. Zugrunde gelegt werden die Erfahrungen und Methoden 
der Tierzüchter bei der künstlichen Erzeugung reiner und neuer Tier- 
rassen. Neue Rassen erhält der Züchter durch Auswahl, Kreuzung nicht 
allzu entfernter Verwandter und durch Reinzüchtung. Also entstehen 
Menschenrassen durch ein glücklihes Zusammentreffen guter Elemente, 


248 Hermann Schneider. [2 


das die Auswahl ersetzt, durch ihre Mischung und durch ihre Isolation, 
die zur Reinzüchtung führen muss. Durch diese Erweiterung ist der alte 
Rassebegriff, ohne irgend etwas von seinen Vorzügen einzubüssen, be- 
deutend verschönt und modernisiert; er hat etwas Darwinistisches in 
sich aufgenommen. 

Leider haben aber Anbauten immer etwas Misslides. Wenn 
Mischung und Reinzüchtung geeigneter Elemente neue produktive Rassen 
schaffen, dann ist nicht zu verstehen, warum diese reinen Rassen, wenn 
sie sich mit bestehenden Völkern mischen, nicht zu neuen noch produk- 
tiveren Rassen werden können, sondern „sich auflösen“ „degenerieren“. 
Hier wissen wir nun einmal sicher, das ein Element der Mischung 
„edel“ ist, wir beobachten Mischung und manchmal auch eine lange 
Reinzüchtung, aber die Produktivität versiegt. Die Einführung des Ent- 
wicklungsbegriffs erschüttert den älteren Teil des Rassenbegriffs. Früher 
waren die Rassen einfach da, „geschaffen“, wenn man will; da gab es 
kein Fragen, warum sie so aussahen, warum sie alle aus der Urzeit 
stammten; in der Urzeit lag eben die Schöpfung. Wenn aber Rasse ein 
Produkt einer Mischung und Reinziichtung edler Elemente ist, warum ist 
dann die Mischung in der Urzeit „Rasse“, in historischer Zeit „Mishmash“? 

Es gibt keine andere Möglichkeit, als konsequent zu sein und zu 
sagen: Rasse ist immer, in der Urzeit wie heute, jedes dauernde 
Ergebnis einer Mischung und Reinzüchtung, das in der Ausbildung von 
körperlichen oder geistigen Zügen gleicher Art bei einer grossen Zahl 
von Individuen besteht und sie im Vergleich mit Verwandten als eine 
besondere Gruppe hervortreten lässt. Rasseneigenart, nationale Eigen- 
art, Stammeseigenart und Familieneigenart sind auf ein und dieselbe 
Weise entstanden: nur die Grösse der Gruppen macht den Unterschied. 
In diesem Sinn kann ich von einigen der heutigen Nationen, die aus 
der Völkerwanderung hervorgegangen sind als Rassen reden; Rassen 
sind die Enderzeugnisse jeder Völkermischung; der Ägypter und Baby- 
lonier der persischen Zeit hat Anspruch auf diese Bezeichnung, wie der 
um 3000 v. Chr.; auch er ist das körperlich und geistig eigenartige 
Ergebnis einer Mischung und fortgesetzten relativen Isolation, einer 
anderen, vielleicht komplizierteren Mischung, einer weniger strengen Iso- 
lation, als seine Urahnen, aber eine „Rasse“, wie sie. 


Nun ist freilih der Ägypter und Babylonier der persischen Zeit 
kulturell unfruchtbar, der der Urzeit dagegen höchst schöpferisch. 
Sehen wir aber genau zu, so ist in Ägypten nicht eine fertig eintretende 
ägyptische Rasse kulturell fruchtbar, sondern etwas Werdendes, ein Ge- 
misch aus drei als Rassen wohlcharakterisierten Elemente, einem libyschen, 
einem semitischen und einem negroiden; unter unsern Augen treten 
diese Bestandteile zu einem neuen zusammen und dann erst setzt mit 
der Wucht einer Explosion die Kulturentwickelung ein; im Verhältnis 
der fortschreitenden Verschmelzung der Teile, der Reinziichtung der 
neuen eigentlich ägyptischen Rasse, versiegt die kulturelle Produktivität. 
Dasselbe scheint für Babylon zu gelten; die grossen kulturellen Leistungen 
sind nicht sumerisch, noch semitisch, sondern das Erzeugnis der Mischung 
von Sumerern und Semiten zu einer neuen babylonischen Rasse, die 
im Mass ihrer Vollendung unfruchtbar zur Kulturneuschöpfung wird. 

Wenn wir nun auf die Bildung unseres Rassebegriffs zurückgehen 


3] Rassereinheit und Kultur. 249 


und besonders die Erfahrungen der Züchter ins Auge fassen, die auf 
ihn übertragen sind, finden wir, dass eigentlich nie etwas anderes zu 
erwarten war. Der Züchter will bestimmte neue körperliche oder geistige 
Eigenschaften in seiner neuen Rasse haben, darum wählt er aus und 
mischt; er will diese Eigenschaften dauernd haben, darum züchtet er 
sein Produkt rein. Das Neue, „Höhere“, die Leistung, der Fortschritt, 
entsteht nur durch Auswahl und Mischung; die Reinziichtung hebt jede 
weitere Neuschöpfung auf, hemmt die Produktion, führt zur Konstanz, 
zum Stillstand. Die Mischung der verwandten, aber verschiedenen Ele- 
mente gibt neue schöpferische Möglichkeiten; die Reinzüchtung hebt 
diese Möglichkeiten grösstenteils wieder auf. 

Man kann in einem Bild das Verhältnis der Rassenmischung zur 
Kultur so ausdrücken, dass man sagt: Wo verschiedene Elemente zu 
einer Mischung zusammentreten, erfolgt ein Ausgleich, der im Beginn 
der Mischung mit der grössten Energie angestrebt wird und am Schluss 
in einem Gleichgewicht vollendet ist. Reine Rassen sind im Gleichge- 
wicht; sie stellen einen Endzustand dar, sind kulturell unfruchtbar. 
Treten sie mit anderen zusammen, so erfolgt eine Gleichgewichtsstörung, 
die der Differenz bez. der Spannung proportional ist; die reinen Rassen 
verlieren ihre Reinheit, „lösen sich auf“, und schaffen nun eine Kultur- 
arbeit, die der Spannung entspricht und sich mit der Spannung im Lauf 
des Ausgleichs vermindert; schliesslich ist die neue Rasse fertig, rein- 
gezüchtet, wenn keine äussere Störung eintritt, und damit kulturell ent- 
wickelt, aber zu neuen schöpferischen Leistungen unfähig geworden. 

Man kann als „Rasse“ auch weiterhin das Ergebnis einer Mischung 
nicht allzu ferner Verwandter mit folgender Reinzüchtung ansehen, muss 
sich aber darüber klar sein, dass wohl die Mischung, nicht aber die 
Reinzüchtung schöpferische Kulturleistungen bedingt, ja, dass die fort- 
schreitende Reinheit das Aufhóren schöpferischer Kulturtaten bedeutet, 
Gleichgewicht, ein Höchstmass der Kulturbreite, nicht der Kulturhöhe. 
Die Rassereinheit ist so weit entfernt, eine Anwartschaft auf schöpferische 
Kulturleistungen zu geben, dass man geradezu sagen kann, dass Rasse- 
reinheit und schöpferische Begabung sich ausschliessen. 


Daraus folgt ohne weiteres, dass es nicht angeht, Kulturleistungen, 
die eben nur bei Mischung von mehreren Rassenelementen entstehen 
können, einem dieser Elemente zuzuschreiben und so eine Rassen- 
begabung zu konstruieren. Die Verführung zu falschen Schlüssen dieser 
Art liegt natürlich darin begründet, dass Kulturrassen, die dem Gleidh- 
gewicht nahe, also kulturell unproduktiv sind, beim Eintritt einer neuen 
reinen Rasse wieder schöpferisch werden können; der babylonische 
Sumerosemit kommt zu neuen Fortschritten durch das Eintreten kana- 
anäischer und später chaldäischer Semiten; der spätrömische Bewohner 
Italiens wird durch germanische Elemente zum Italiener der Renaissance. 
Es liegt sehr nahe, die neuen Leistungen einfach als Leistungen der 
neuen Ankömmlinge zu buchen und zu vergessen, dass diese für sich 
allein, rein, trotzdem es ihnen nicht an Zeit und Anregung von den 
Kulturländern her gefehlt haben kann, nichts erhebliches für die Kultur 
geleistet haben. Der voreilige Schluss muss aber aufgegeben werden; 
es gibt kulturelle Leistungen der italienischen Rasse, aber keine der 
Germanen in dem Italien der Renaissance. 

Mannus. Bd. 1, H. 3/4. 17 


250 Hermann Schneider. 14 


Damit fällt aber fast der ganze qualitative Inhalt der zeitlosen 
Rassenformeln zu Boden. Viel geht dabei nicht verloren; die Rassen- 
formeln dieser Art, kulturgeschichtlich und psychologisch, sind so ármlih 
und so deutlih Schöpfungen der Rassen- und Nationaleitelkeit, sowie 
des Rassen- und Nationalhasses, dass man nur eine innige Genug- 
tuung empfinden kann, wenn sie ausgemerzt werden. 


Die Frage ist nur, was an ihre Stelle zu treten hat. Am besten 
wird man den Ausdruck Rasse beschränken auf Völker uns unbekannter 
Mischung, die nach einer langen Reinzüctung als körperlihe Typen 
differenziert in die Geschichte und damit in andere Mischungen ein- 
treten. Die Ergebnisse dieser neuen Mischungen, die logisch nicht von 
den Rassen zu trennen sind, könnten Völker, Nationen heissen. Es 
gäbe also eine indogermanische, semitische, sumerische Rasse, aber keine 
ägyptische, babylonische etc. Dabei muss im Bewusstsein gehalten 
werden, dass diese Trennung nur eine willkürlich vorgenommene Ver- 
einfachung zu besserer Verständigung ist, dass die „Rassen“ nichts sind 
als Endzustände älterer unbekannter Mischungen gleicher Art, wie die, 
in die sie selbst eintreten. Dass normalerweise die Völker und Nationen 
Europas und Vorderasiens nicht so ausgeprägte Typen darzustellen 
scheinen, als die Rassen der Germanen, Semiten, Hethiter usw. erklärt 
sich daraus, dass 1. zur Zeit der Ausbildung dieser Rassen Europa 
und Vorderasien relativ leer, die Isolation vollkommener war, 2. daraus, 
dass primitive Völker gleichartiger aussehen und 3. daraus, dass die 
heutigen Nationen aus diesen älteren Rassen entstanden, ihre Mischung, 
also auch körperlich einen Ausgleich bilden. 

Treten verschiedene Rassen oder Völker zusammen, so entsteht 
eine Mischung; ihr Ergebnis ist ein körperlicher und geistiger Ausgleich, 
ein neues Volk und eine neue Kultur. Beide entstehen nur nach und 
nach, im Verhältnis der fortschreitenden Mischung; daraus erklärt sich, 
dass die neuen Kulturleistungen erst einige hundert Jahre nach der 
ersten Mischung erscheinen. Die neu entstehende Kultur kann einen 
Fortschritt über alles bis dahin in dem Weltteil oder in der Menschheit 
geleistete darstellen, oder nur eine Ausbreitung älterer Leistungen auf 
eine grössere Zahl sein. Die ersten Leistungen sind auffälliger und 
wichtiger für den Fortschritt der Menschheit, deshalb bisher allein be- 
rücksichtigt worden. 

Welche Faktoren bestimmen die Höhe der Kulturleistung eines 
Volkes? Da käme zunächst die Verschiedenheit der beiden oder mehreren 
Mischungsbestandteile in Betracht, als verschiedene Kulturhöhe und als 
verschiedene Eigenart. Die erste bestimmt die Menge des nachzu- 
lernenden, die zweite die Zahl neuer Möglichkeiten; beide ergeben die 
Grösse der „Spannung“. Ist die Differenz der Kulturhöhe sehr gross, 
so wird die Wahrsceinlichkeit einer Übergipfelung durch die primitivere 
Rasse sinken; ist sie sehr klein, so wird es ebenso sein. Die Wahr- 
scheinlichkeit, dass die Eigenart der Rassentypen sehr verschieden ist, 
besteht namentlich in der Zeit dünner Bevölkerung -der Erde und 
weiter Wanderungen; sie nimmt mit wadısender Bevölkerungsdichte und 
wachsender Mischung aller vorhandenen Rassen bis zur völligen Er- 
schöpfung ab. 

Neben diesem Verhältnis der Mischungsbestandteile zueinander 


5] Rassereinheit und Kultur. 25] 


kommt in jedem Fall in Rechnung der Ort der Herkunft und der der 
Mischung der Bestandteile, d. h. der der Kulturentwicklung. Rassen, 
die Gegenden entstammen, welche, wie der Norden oder die Steppe, 
die Spannkraft im Kampf ums Dasein entwickeln und üben, werden in 
weichen Klimaten, in Ruhe und Überfluss grosse Kraftüberschüsse auf 
Kulturleistungen wenden können. In reichen Ländern, womöglich noch 
in leicht zu schliessenden Grenzen, wird die Entfaltung aller Keime, aber 
auch die Erschlaffung leicht eintreten; von der Natur weniger begünstigte 
Gebiete werden vielleicht gelegentlih noch höhere Kulturleistungen 
sehen, weil sie ihre Bewohner elastisch erhalten; die jüdische, die 
japanische und die mitteleuropäischen Kulturen sind Beispiele dafür, 
doch scheint eine gewisse Entwicklungshöhe in benachbarten reicheren 
Gegenden und deren Einfluss auf das ärmere Land dafür Voraus- 
setzung zu sein. 

Die absolute Höhe der kulturellen Entwicklung im Mischungs- und 
Entwicklungsgebiet ist endlih für die erreichte Kulturhöhe in jedem 
einzelnen Fall ausserordentlich wichtig; was die neueintretende Rasse 
an Kultur vorfindet, ist massgebend für das, was sie erreicht. Offenbar 
gibt es gewisse Punkte in der Kulturentwicklung der Menschheit, deren 
Erreichung dem Glücklihen mühelos, fast mechanisch selbstverständlich 
ganz neue Gebiete erschliesst; ein solcher Punkt ist die Entbindung 
einer Lautschrift. Andere Punkte sind ungünstig und fesseln gewisser- 
massen den neu eintretenden. Jedenfalls kann man aus der vorliegenden 
Grösse der kulturellen Leistung nicht ohne weiteres auf Begabungs- 
unterschiede schliessen; auch hier spielt das Glück eine Rolle. 

Schliesslich bleibt als Restfaktor bei Berechnung der erreichbaren 
Kulturhöhe einer Rassenmischnng die Begabung der Mischungsbestandteile. 
Sie lässt sich nicht ausschalten und soll nicht ausgeschaltet werden. Nur 
die voreilige, wissenschaftlich unfruchtbare und schädliche Bildung quali- 
tativer Rasseformeln soll vermieden werden; wir können das nicht anders, 
als indem wir alles irgend mögliche auf quantitative und sonst kontrollier- 
bare Elemente zurückführen ; sonst wird die „Begabung“, die ja eigentlich 
nur tautologisch „erklärt“, ein Faulbett, statt eines fördernden Durchgangs- 
faktors. Was an qualitativen Elementen sich dem Schema der Entwicklungs- 
stufen der Menschheit, wie allen Erklärungen durch quantitative und 
der Rolle der Quantität in der Naturwissenschaft analoge Hilfsmittel 
entzieht, das soll Begabungsfaktor der in die jeweilige Mischung eintreten- 
den Rassenelemente sein. So sehen wir in der Ferne neue, höhere und 
reinere Rassenbegriffe qualitativen Charakters. Hoffen wir, dass mit 
ihnen niemals in Begeisterung und Hass soviel Unfug getrieben wird, 
wie mit ihren heutigen Ähnen. 


17% 


Der neue Skelettfund 
des Homo Aurignacensis Hauseri. 


Von Georg Wilke, Chemnitz. 
Mit 1 Textabbildung. 


Wie den Lesern des Mannus schon aus den Tageszeitungen be- 
kannt sein wird, hat sih dem Homo Mousteriensis Hauseri, dessen 
Auffindung und Hebung im August vorigen Jahres mit Recht ein so 
allgemeines Aufsehen erregte, ein neuer, gleichfalls einer sehr frühen 
Periode des Paläolithikum angehörender Skelettfund zugesellt, dessen 
Aufdeckung wiederum den in grossziigigster Weise und nach streng 
wissenschaftlihen Gesichtspunkten geleiteten Ausgrabungsarbeiten des 
Herrn O. Hauser zu danken ist. 

Die Fundstelle liegt aber diesmal nicht in Le Moustier, sondern 
etwa 40 km südlih davon auf der einsamen Berghöhe von Combe 
Capelle, unweit des alten Stadtchens Montferrand, das sich mit seinen 
alten Burgruinen malerisch über dem Tale der Couze erhebt. Wie bei 
allen paläolithischen Fundstellen in den Dordogne, so handelt es sich 
auch hier um einen abri sous roche, wie wir ihnen in den Tälern der 
Vézére und Lorréze und ihren Nebenflüssen in so grosser Zahl be- 
gegnen, und zwar ist Combe Capelle noch insofern von besonderem 
Interesse, als hier vier verschiedene Kulturschichten von etwa 0,2 bis 
0,5 m Dicke, getrennt durch sterile Zwischenschichten von '/s—'/: m, 
übereinander gelagert sind. 

Die unterste Schicht, ein Aurignacien inferieur, unterscheidet sich 
hinsichtlih der in ihr eingeschlossenen Kulturreste nur wenig von der 
ihr unmittelbar vorausgehenden Periode, dem Moustérien supérieur, 
wie wir sie von der klassischen Fundstelle, der oberen Grotte oder 
Terrasse von Le Moustier kennen. Wie hier, so steht auch im Aurignacien 
inferieur von Combe Capelle das Feuersteingerät im allgemeinen auf 
einer ziemlich tiefen Stufe und ist noch wenig differenziert. Die bei 
weitem meisten Stücke, denen man begegnet, sind einfache Feuerstein- 
schaber (racloirs) mit ziemlih groben Randretuschen. Nur selten er- 
scheinen feinere Messer und Bohrer oder sorgfältiger bearbeitete Kratzer 
(grattoirs) mit den charakteristischen feinretuschierten Bögen. 

Erst in der zweiten Schicht von unten, dem Aurignacien moyen, 
wird das Feuersteingerät mannichfaltiger und die Bearbeitung eine feinere. 
Die für das Mousterien charakteristischen Typen verschwinden vollständig 


2] Der neue Skelettfund des Homo Aurignacensis Hauseri. 053 


und neue Formen stellen sich ein, unter denen die eigentümlichen pyra- 
midenförmigen grattoirs Tarté und schöne regelmässige viereckige Doppel- 
kratzer mit bogenförmigen Schmalkanten und sehr sorgfältig ausgeführten 
Randretuschen besonders charakteristisch sind. 

Noch mehr differenziert erscheint das Feuersteingerät in der dritten 
Schicht, dem Aurignacien supérieur wo wir zum ersten Male jene präc- 
tigen messerartigen Feuersteinklingen mit zierlihem Griff und ausser- 
ordentlich feinen Retuschen antreffen (pointes ä cran) und auch schon 
eleganteren Schmuckgeräten aus Knochen oder Rengeweih begegnen. 


In der vierten Schicht von Combe Capelle, die bereits einem 
reinen Solutreen angehört, erreicht diese Kultur ihre höchste Entwicke- 
lung. Die schon in der dritten Ablagerung vereinzelt vorkommenden 
pointes à cran sind hier von einer erstaunenswerten Eleganz und Fein- 
heit, und nicht weniger die jetzt zum ersten Male auftretenden pointes 
en feuille de laurier, die loorbeerblattartigen Klingen, die den schönsten 
Lanzenblättern aus der Blütezeit der dänischen Feuersteinindustrie kaum 
nachstehen dürften. Daneben erscheinen, wie schon in der vorigen 
Periode zahlreiche percoirs und burins, kleine Pfeilspitzen und lange 
schmale drei- oder vierkantige, oft sehr fein retuschierte Späne oder 
Stäbchen, die wenigstens zum Teil jedenfalls als Angelhaken gedient 
haben mögen, teilweise wohl auch zur Bearbeitung von feinen Holz- 
und Knochenwerkzeugen benutzt wurden. 

Interessant ist die Tatsache, dass sich bestimmte Gerátetypen, wie 
dies auch anderwärts beobachtet wird, ja bis zu einem gewissen Grade 
schon in La Micoque der Fall ist, immer nesterweise beisammen finden. 
Man darf daraus wohl schliessen, dass schon in jenen fernen Zeiten 
eine gewisse Arbeitsteilung bestand und dass namentlich die Herstellung 
der feineren Werkzeuge wie der pointes ä cran und der Lorbeerblatt- 
spitzen gewerbsmässig von darin besonders geschulten und kunstgeübten 
Meistern betrieben wurde. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf 
einen Irrtum hinweisen, dem man sehr häufig begegnet: Wenn auch die 
Zahl der Feuersteingeräte in allen abris eine ganz ungeheuere ist und 
selbst auch die schöneren Stücke in Fragmenten noch ziem- 
lih häufig vorkommen, so bilden doch vollständig intakte 
Exemplare eine grosse Seltenheit. Während der zwei Tage, 
an denen wir trotz der drückenden Sonnenglut in Combe 
Capelle mit wahrem Bienenfleiss arbeiteten — ausser Herrn 
Hauser und mir noch zwei Arbeiter — kam nur eine einzige 
vollständig erhaltene und in jeder Beziehung tadellose pointe 
à cran zum Vorschein. Ausser dieser fand ich selbst noch in 
der zweitobersten Schicht ein sehr zierliches Stück mit ausser- Abb. 1. +, 
ordentlich zarten Retuschen an der inneren Stilseite (Abb. 1), _ Zierlice 
das mir Herr Hauser, wie alles übrige, was ich in Combe Capelle P sehr temen 
und den sonstigen Stationen persönlich ausgegraben habe, „Reisen o 
zu überlassen, die grosse Freundlichkeit hatte. Und wie in oben. 
Combe Capelle erging es uns auch in Longueroche, Le 
Moustier und La Micoque. Wirklich schöne und typische Stücke, wie 
sie für Museumszwecke geeignet sind, fanden sih auch hier nur sehr 
dünn"gesät. Soviel über das Milieu. 


Die Aufdeckung des Skelettes, das in der untersten Schicht lag, 


254 Georg Wilke. [3 


erfolgte am 26. August, nur wenige Tage nach meinem Besuh von 
Combe Capelle. „Sie müssen dem Menschen geradezu an den Hühner- 
augen herumgekrabbelt haben. — Pech“ so lautete die vorläufige kurze 
Notiz, die mir Herr Hauser in der ersten Freude über seinen neuen 
Fund zukommen liess. Bei der neuen Grabung stiess man in der völlig 
intakten Schicht — eine breccienartige, aus zahllosen Feuersteingeräten 
und Knodenresten, durch Sand und Kalk zusammengekittete Masse — 
zunächst auf die Oberfläche eines Schädels und bei weiterer Freilegung 
auf eine Reihe sorgfältig durchbohrter Schneckengehäuse, die Reste eines 
Kolliers, das man dem Toten in das Grab mitgegeben hatte. 


Wie im vorigen Jahre bei der Auffindung des Homo Mousteriensis, 
so stellte Herr Hauser auch dieses Mal die Grabungen vorläufig ein, 
um die weitere Hebung und Bergung Herrn Professor Klaatsh zu über- 
lassen, den er telegraphisch von dem neuen Skelettfunde in Kenntnis 
gesetzt hatte. Man muss die Fundstelle selbst gesehen und selbst 
dort gegraben haben, um die enormen Schwierigkeiten voll würdigen 
zu können, die das Herauspräparieren der morschen und gebredchlichen 
Skelettreste aus dem harten Kalksteine verursacht haben muss. Aber 
die mühsame Arbeit ward reichlich belohnt. Denn es gelang nicht nur 
den Schädel, der trotz des riesigen, viele Jahrzehntausende auf ihm 
lastenden Druckes und trotz einer frischen Verletzung bei seiner Auf- 
findung im ganzen leidlih erhalten war, glücklih zu bergen, sondern 
auch das übrige Skelett zeigte sich bis auf einige Hand- und Fuss- 
wurzelknochen völlig intakt. 

Besonders interessant war die Lage des Skelettes, das in einer 
künstlichen, den Körperformen sorgfältig angepassten Bodenvertiefung 
deponiert war. Der Körper war etwas nach rechts geneigt, die Beine 
stark gegen den Leib angezogen, sodass wir es hier bereits mit einer 
echten „Hockerbestattung“ zu tun haben, wie sie in den späteren Perioden 
bis zum Schlusse der jüngeren Steinzeit fast überall in Europa geübt 
wurde und im Kaukasus selbst noch in den älteren Abschnitten der 
Hallstattzeit gebräuchlich war. 

Über die Kulturperiode, der das Skelett von Montferrand angehört, 
haben die Grabbeigaben, die über der Brust und neben den Händen 
und Füssen lagen, hinreichend Aufschluss gegeben. Es sind dies typische 
Geräte des entwickelten Aurignacien und es kann daher keinem Zweifel 
unterliegen, dass wir es hier mit einem Vertreter dieser Stufe zu tun 
haben. Wenn sich ausserdem auch noch neben und zwischen den Teilen 
des Skeletts verschiedenerlei dharakteristishe Moustériengeráte fanden, 
so erklärt sih dies eben dadurch, dass man bei der Anlegung des 
Grabes zufällig in die alte Kulturschicht gelangt war. Zu dieser Alters- 
bestimmung passt wohl auch am besten das prächtige Musdelkollier, 
da meines Wissens im Aurignacien inférieur durchbohrte Muscheln bis- 
her noch nicht beobachtet worden sind. 

Welcher Rasse gehörte nun dieser Homo Aurignacensis Hauseri, 
wie er nach der Kulturperiode und seinem Entdecker benannt werden 
soll, an? Solange nur ein kleiner Teil des Schädels aufgedeckt und die 
Beigaben noch nicht freigelegt waren, durfte man das Skelett in Anbe- 
tracht seiner Lage in der untersten Kulturschicht auf diese Periode be- 
ziehen und es lag daher die Vermutung nahe, dass wir es hier mit 


4) Der neue Skelettfund des Homo Aurignacensis Hauseri. 955 


einem Verwandten des im vorigen Jahre freigelegten Homo Mousteriensis 
Hauseri, also einem neuen Vertreter der Neandertalrasse oder wenigstens 
einem Abkómmling von ihr zu tun haben würden. Diese Vermutung 
hat sich indes nicht bestätigt. Nach zahlreichen Photographien und den 
brieflihen Mitteilungen, die ich darüber von den Herren Klaatsch und 
Hauser erhalten habe und nach einem Vortrag, den ersterer am 13. 10. im 
Verein für Erdkunde in Leipzig gehalten hat, handelt es sich hier vielmehr 
um eine völlig verschiedenartige Rasse. Im Gegensatz zu dem Moustier- 
schädel, der mit seinen stark entwickelten Augenbrauenbögen, seiner 
ausserordentlich niedrigen fliehenden Stirn, der starken Einschnürung 
der Schläfenbeinpartien, der hochgradigen Prognathie, der Form des 
Unterkiefers und vor allem dem negativen Kinn noch stark pithekoide 
und negroide Merkmale darbietet, haben wir es beim Homo Aurig- 
nacensis mit einem weit höher stehenden Menschentypus mit schön 
gewölbtem Schädel zu tun, der hinter dem des heutigen Europäers 
kaum wesentlich zurücksteht. Seine nächsten Verwandten bilden viel- 
mehr die Schädel von Brüx und Brünn in Mähren und der von Galley 
Hill, die sämtlih mit dem von Combe Capelle die ganz auffallende 
Länge und Schmalheit und die hochgewölbte Stirn gemein haben und 
ihm auch in der Bildung der Augenbrauenbögen und der Nasenwurzel 
gleihen. Auch die, freilih nur spärlichen sonstigen Skelettreste von 
Galley Hill — Unterkiefer und Gliedmassen — stimmen mit dem Homo 
Aurignacensis durchaus überein. Insbesondere sind beide durch das 
neutrale Kinn charakterisiert. Endlich gehört dieser Rasse auch noch 
das Skelett von Chancelade (Dordogne) an, das freilich einer viel 
jüngeren geologishen und Kulturperiode entstammt, nämlich dem 
Magdalénien. Dieses Skelett, das vor zwanzig Jahren von dem Kon- 
servator des Museums in Périgueux, Dr. Feaux, gehoben und von 
Professor Testus in Lyon sehr eingehend untersucht und beschrieben 
worden ist, hat mit dem Menschen von Combe Capelle nicht nur die 
Schädelform, sondern auch den sonstigen Skelettbau gemein. Insbe- 
sondere zeichnen sich beide durch die verhältnismässige Kürze von Arm 
und Bein und durch das Grössenverhältnis zwischen den oberen und 
unteren Abschnitten der Beine und Arme aus. In beiden Fällen haben 
die Unterschenkel fast dieselbe Länge wie die Oberschenkel und ebenso 
stimmt der Vorderarm fast genau mit dem Oberarm überein. 

Dieses eigentümliche Grössenverhältnis, das wir in ganz ähnlicher 
Weise auch bei den Negern und Australiern beobachten, bildet den 
Hauptunterschied gegenüber den schlanken hochgewachsenen Cro Magnon- 
leuten, die im übrigen, insbesondere in der Schädelbildung eine ganz 
überraschende Übereinstimmung mit der Aurignacgruppe zeigen und 
nach Auffassung des Herrn Klaatsch als unmittelbare Abkömmlinge von 
ihnen zu gelten haben. Hat sich dann weiter aus der Cro Magnon- 
Klasse der europäische Menschentypus entwickelt, so bildet also der 
Homo Aurignacensis den eigentlichen Stammvater unseres Geschlechtes. 


Wo haben wir den Ausgangspunkt dieses neuen Menschentypus 
zu suhen? Auc diese Frage wurde von Herrn Klaatsh in seinem 
Leipziger Vortrage ziemlich eingehend behandelt. Während die Neander- 
talrasse, wie sie am vollkommensten durch den Homo Mousteriensis 
Hauseri repräsentiert wird, ganz unverkennbare negroide Merkmale dar- 


256 Georg Wilke. AS 


bietet und übereinstimmend mit diesen somatishen Beziehungen zu- 
sammen mit einer ausgesprochenen afrikanischen Fauna, dem Elephas 
antiquus u. s. f. erscheint, weist die Fauna, die mit dem Aurignac- 
menschen auftritt, der Elephas primigenius, die Nagetierformen u. a. m. 
auf Asien hin. Freilih bildete auch Asien nur das Durchgangsland. 
Denn die eigentliche Heimat lag weiter südlich in Australien, dessen 
Bevölkerung nicht nur mit der Aurignacrasse sondern selbst noch mit 
dem heutigen Europäer manche Züge gemein hat. Während den Europäer, 
sagt Herr Klaatsch, sowohl die Negerbevölkerung Afrikas, wie die mongo- 
loide Bevölkerung Asiens und des malayischen Gebietes vollständig fremd 
anmuten, fühlt er sich zum Australier wie zu einem ihm viel näher stehenden 
Menschentypus hingezogen. In der Tat waren unter den von Herrn Prof. 
Klaatsch skioskopisch vorgeführten Australierkópfen nicht wenige, die man 
auf den ersten Blick recht wohl für altgermanische Erscheinungen halten 
könnte und selbst einige sprachlihe Beziehungen glaubt Herr Klaatsch 
wie er mir nach Schluss des Vortrages persönlich mitteilte, vermuten 
zu dürfen. So kennt das Australische die Dualbildung und auch laut- 
lih finden sich namentlih mit dem Lateinischen gewisse Uberein- 
stimmungen. Mehr Gewicht, als auf diese wohl mehr auf Zufall be- 
ruhenden sprachlichen Ubereinstimmungen möcte ich auf gewisse 
Kulturparallelen zwischen den heutigen Australiern und den Aurignac- 
und Cro-Magnonleuten legen, auf die Herr Klaatsch in seinem Vortrage 
gleichfalls hinwies. So findet sich die Hockerstellung, wie wir sie oben 
bei dem Skelett von Combe Capelle kennen gelernt hatten auch bei 
den australischen Mumien. Mit den bekannten Höhlenzeichnungen der Cro 
Magnon-Leute in der Dordogne lassen sich recht wohl die australischen 
Felsenzeichnungen vergleichen, die wie jene oft sehr naturalistisch aus- 
geführt sind und meist Darstellungen der heimischen Fauna bilden. 
Die Reihe kleiner Striche, die sich bogenförmig über den Leib der Venus 
von Brassempouy hinzieht und für die man bisher keine befriedigende 
Erklärung hatte‘), hat eine überraschende Ähnlichkeit mit den gleichfalls 
reihenförmig angeordneten Hautnarben, mit denen sich die modernen 
Australierinnen ihren Körper verschönern, und schliesslich sprechen 
einige Umstände insbesondere die Bildung des Fusses und gewisse 
Feuersteingeräte dafür, dass auch die Art des Erkletterns der Bäume 
mittelst der grossen Zehe, die in eingeschlagene Löcher eingesetzt wird, 
bei den Aurignac-Menschen die gleiche war, wie noch heute bei den 
Australiern. 

Als die Aurignacrasse in Europa einzog, fand sie die Neandertal- 
rasse bereits vor, die damals über einen grossen Teil des europäischen 
Kontinentes verstreut war. Selbstverständlih wird es dabei nicht an 
harten Kämpfen gefehlt haben, denn man kann sich nur schwer vor- 
stellen, dass zwei so grundverschiedene Rassen, wie es die Neandertal- 
Moustier und Aurignac-Galley Hill-Menschen waren, auf die Dauer 
hätten friedlich neben- und untereinander wohnen können. Auf diese 


1) Mortillet, Musée prehist. pl. XXVII 230 will in diesen Strichen die 
Darstellung eines Gürtels erkennen, doch spricht dagegen schon der Verlauf der 
Strichreihe, die etwa einem Pfeilbogen gleicht. Hätte der paláolithishe Künstler 
einen Gürtel darstellen wollen, so würde er wohl sicher die Linie horizontal um 
den Leib geführt haben. 


6] Der neue Skelettfund des Homo Aurignacensis Hauseri. 257 


Rassenkämpfe ist wohl auch das Verschwinden des Neandertaltypus 
zurückzuführen, sei es, dass die Vertreter dieser Rasse allmählich der 
Vernichtung anheimfielen, oder dass sie den neuen Ankömmlingen 
weichend in andere Länder abzogen. Immerhin müssen beide Rassen 
doch noch längere Zeit nebeneinander existiert haben, da sowohl für 
das im vorigen Jahre aufgedeckte Skelett von La Chapelle-aux Saints, 
Dep. Corrëze als die Reste von Spy, die beide dem Neandertaltypus an- 
gehören das jung-diluviale Alter durch das Vorkommen reichlicher Mam- 
mut- und Rentierfunde einwandfrei festgestellt ist. Dann aber wird 
man auch mit der Möglichkeit wiederholter Blutmischungen rechnen 
müssen, deren Folgeerscheinungen sogar noch in der Gegenwart sich 
geltend machen mögen. 


Anmerkung. Hier ist der Hinweis wohl nicht unangebracht, dass das vor 
Jahrzehnten in Le Moustier ganz nahe der Fundstelle des Hausershen Homo 
Mousteriensis von Riviere aufgedeckte Skelett einer Frau, das leider noch immer 
nicht veröffentlicht worden ist, nicht den Neandertaltypus zeigt, also wohl nur der 
Aurignacrasse angehören kann und dann, weil aus dem Mousterien stammend, ein 
noch älterer Vertreter der hochstirnigen Aurignacrasse wäre als das Skelett vom 
Combe Capelle, ebenso auch die beiden von Dupont in der Höhle zu Hastiére gefun- 
denen Unterkiefer mit ausgebildetem Kinnhöcker, also wohl „positivem“, mindestens 
„neutralem“ Kinn nach Klaatschens neuester Terminologie, und das bekannte von 
Schmerling entdeckte Schädeldach von Engis (unteres Aurignacien), während der 
Alte von Cro-Magnon, der Urvertreter der jungdiluvialen Cro-Magnon-Rasse, be- 
kanntlih dem mittleren Aurignacien entstammt, also genau ebenso alt ist, wie der 
Hocker von Combe Capelle. G. K. 


Einige seltenere steinzeitliche Funde 
aus Mecklenburg. 


Von R. Beltz, Schwerin. 
Mit 2 Textabbildungen und 1 Tafel. 


1. Als ergiebigste steinzeitliche Siedelung des Landes hat sich 
immer mehr die Fundstelle von Wustrow - Niehagen erwiesen, gelegen 
auf der schmalen Halbinsel Fischland zwischen Ostsee und Saaler 
Bodden. Seit 1898 ausgebeutet (vgl. Mecklb. Jahrb. 64 S. 68 und 106) 
hat sie eine Unzahl von Stücken ergeben, deren Hauptmasse sich in 
der Sammlung ihres glücklichen Entdeckers, des Herrn Dr. med. Lettow 
in Wustrow befindet. Die Lagerungsverhältnisse sind sehr einfach: 
am steilen Abbruchufer über etwa 2 km hin bis etwa 800 m land- 
einwärts liegen auf einer starken Schicht festen Ortsteins (Aus- 
scheidungsprodukt der früheren Heidesandoberfläche) die Gegenstände 
unter einer bedeutenden, vom Winde stark beeinflussten Schicht Blei- 
sandes und Flugsandes. Unter dem Ortstein lagert gelber Geschiebe- 
mergel. Zur Beurteilung der Stelle ist festzuhalten, dass die ganze 
Küste sich in Abbruch befindet und der Landverlust am Fischlande 
jetzt jährlich noch etwa 0,5 m beträgt, früher natürlich mehr, vor un- 
gefähr 4000 Jahren also, zur Steinzeit, die ganze Stelle weit von der 
See, vier bis fünf Kilometer gering gerechnet, entfernt lag. Auch 
andere Momente weisen dahin, dass die ausserordentlich starke Be- 
siedelung des Fischlandes (und des Darsses) dem Bodden, nicht der 
See nachgegangen ist. — Auf der Stelle der Wustrow-Niehagener Siedelung 
ist nun ein Stück aufgetreten, das durch Form und Lagerung aus dem 
Kreise der anderen herausfällt. Der (Taf. XXXV 1 a, b) in zwei Ansichten 
abgebildete „Faustkeil“ von (jüngerem) St. Acheul-Typ ist nach der 
bestimmten Angabe des langjährigen und geübten Erforschers der Stelle, 
des Dr. Lettow nicht auf der Ortsteinschicht, sondern unter der- 
selben im Diluvialmergel gefunden, in der Lehmwand des Hohen 
Ufers. Er besteht aus schwarzem Feuerstein, hat zum Teil noch die 
Kruste, 10 cm Länge, 7 cm Breite, die Seiten leicht gewölbt, eine mit 
Rückenkante; er ist gearbeitet in bekannter altpaläolithischer Technik, ohne 
Retouchen, zeigt auch keine Rollspuren. Das Stück sei hier verzeichnet 
als einer der sehr wenigen Belege für eine ältere nordisch-norddeutsche 
Paläolithik; zu einer Einreihung in ein geologisch-chronologisches Schema 
genügen die Angaben natürlich nicht. — Hinzugefügt sei ein zweites 
Stück von derselben Fundstelle, über dessen Lagerung leider kein Bericht 
vorliegt, ein stumpfspitziger Bohrer altpaläolithischer Form, 13 cm lang, 


2] Einige seltenere steinzeitlihe Funde aus Mecklenburg. 959 


oben der natürliche Stein mit seiner alten Kruste (Taf. XXXV, 2). In 
der Lettowschen Sammlung sind alle Übergangsformen zu den feineren 
scharfspitzigen neolithischen Bohrern vorhanden, und das Vorkommen 
eines derben, altertümlich anmutenden Exemplars in neolithischer Um- 
gebung würde nichts Befremdliches haben, hat übrigens auch in ähn- 
lichen Stücken aus Feuersteinwerkstätten in der Schweriner Sammlung 
(Arendsee b. Kröpelin, Büttelkow b. Kröpelin) seine Parallelen. 


2. In der sicher neolithischen Fundschicht von Wustrow-Niehagen 
finden sich auch Bohrer von einem älteren (Kjökkenmöddings-)Habitus 
(das auf Taf. XXXV, 3 abgebildete Stück 9 cm lang), vielfach, und auch 
sonst tritt diese alte Stufe recht stark hervor, in Spaltern (das auf 
Taf. XXXV, 4 befindliche Stück 7 cm lang), Axten usw. Ein recht 
hübsches Beispiel für den Übergang der Kjökkenmöddingsaxt zu der 
„spitznackigen* neolithischen gibt das in Abb. 5 wiedergegebene Stück 
(10 cm lang). — Die Masse der Funde ist echt neolithisch, doch ist 
es recht auffallend, dass unter der kaum übersehbaren Fülle von 
Gegenständen einige Gruppen fast ganz ausfallen. So sind Kernsteine 
und grössere, prismatische Messer direkt selten, dagegen überwiegen die 
kleinen zierlichen Geräte (kleinste Messer, Nadeln, besonders die Pfeil- 
spitzen, unter denen allein 300 querschneidige usw.) in einem Masse, 
wie an keiner zweiten Stelle des Landes. (Aus Pommern erinnert das 
Ensembie der Feuersteinmanufaktur von Scholpin b. Stolp sehr an das 
Wustrower.) Eine Besonderheit bilden flache runde Scheiben mit ge- 
dengelten Rändern, die man an einer Stelle in Masse aufgelesen hat; 
der Durchmesser beträgt 1,2 bis 4 cm, die Oberfläche ist oft die des 
natürlichen Steines, oft aber auch sehr fein geschliffen; bei fünf ist deut- 
lich erkennbar, wie sie aus geschliffenen Keilen zurechtgearbeitet sind. 
Bei der Mehrzahl der geschliffenen versagt die Erklärung dieser ‘petits 
disques’ als Rundschaber, zumal auch die Schmalseite nicht wie bei den 
Schabern abgeschrägt, sondern scharf gerade abschneidend gebildet ist. 
Man hat sie in Wustrow als Amulette bezeichnet und speziell als 
einen Ersatz der runden, durch Trepanation dem Schädel entnommen 
Knochenplättchen französischer Gräber. In der Form ähneln sie diesen 
in der Tat sehr. Wir geben als Beispiele einen grösseren derberen 
Schaber von 4 cm und ein „Amulett“ sorgsamster Herstellung von 2 cm 
Durchmesser (Taf. XXXV, 6, 7). Eine fernere Besonderheit ist ein kleines 
Tongebilde (Abb. 8), stark gebrannt, aus grauer Masse, 4,7 cm lang, 
ein Unterarm mit geballter Faust, auf der die Finger durch feine Striche 
angegeben sind. Sonst tritt Keramisches leider nicht besonders hervor. 
Die zahlreichen Scherben sind klein, mit Tupfenband, Kerbenband, Band- 
reihen in Glockenbechergeschmack usw.; etwas bessere Specimina sind 
in das Berliner Völkermuseum gelangt. — Die nordischen neolithischen 
Feuersteintypen finden sich vollzählig, wenn auch die durchgebildeten 
Formen der Klingen und Sägen mangeln. Aus anderem Gestein die üb- 
lichen Quetschmühlen, Reibsteine, Schleifsteine, während Äxte usw. sehr 
zurücktreten: ausser einigen Bruchstücken nur zwei durchbohrte Axte 
aus Gneis und zwei undurchbohrte. 

Eine hübsche Ergänzung zu der grossen Wustrow-Niehagener 
Stelle bieten zwei in geringer Entfernung (1 bezw. 2 km) ebenfalls 
auf sandigem Kuppen liegende Feuersteinschlagstätten bei Alt- 


260 R. Beltz. [3 


hagen und Ahrenshoop, deren Untersuchung sich Herr Lehrer 
Mät in Wustrow angenommen hat und die ebenfalls ein recht beträcht- 
liches Material ergeben haben. Der Charakter aller Stellen ist ver- 
schieden: in Althagen überwiegen grössere, gut gearbeitete Messer, 
Kernsteine usw., Ahrenshoop zeichnet sich durch prächtige Feuerstein- 
keile aus usw. Sodann sind noch im Bodden bei niedrigem Wasser- 
stande an zwei Stellen, bei Niehagen und bei Barnstorf Steingeräte, 


Abb. 2. Abb. 1. 
Selpin bei Tessin. 


Tierknochen usw. unter Umständen beobachtet worden, die auf Pfahl- 
bausiedelungen deuten. — Die Siedelungsverhältnisse des Fischlandes 
laden zu einer monographischen Behandlung ein; es wäre eine dankbare 
Aufgabe, auch von allgemeinerer Bedeutung, festzulegen, wie sich diese 
verschiedenen Lokalitäten, die doch Sondercharaktere zeigen, zueinander 
verhalten, besonders auch ihr zeitliches Verhältnis zu bestimmen. Mit 
der Heranziehung der zahlreichen norddeutschen Feuersteinwerkstellen 
zu einer Gruppierung der Typen und Chronologisierung der Typen- 
komplexe ist ja noch nicht einmal der Anfang gemacht worden. 

3. Bei Gelegenheit der sorgsameren Absuchung und Untersuchung 


Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. I. Taf. XXXV. 


Wustrow-Niehagen. 


Beltz, Einige seltenere steinzeitliche Funde aus Mecklenburg. Curt Kabitzsch (A. Stuber's Verlag), Würzburg. 


4) Einige seltenere steinzeitlihe Funde aus Mecklenburg. 261 


einer Feldmark, des Gutes Selpin bei Tessin haben sich auch zwei 
ungewöhnliche Steingeräte ergeben: 1. Einer der bekannten Kjökken- 
móddingspalter (7 cm lang), in echter alter grossflächiger Technik her- 
gestellt, merkwürdig dadurch, dass die Schneide geschliffen ist (Abb. 1). 
In den ergiebigeren neolithischen Stationen finden sich Gegenstände 
älteren Typs und älterer Technik regelmässig, und mit der Erklärung, 
dass es sich da um Relikte einer früheren Kultur handelt, kommen wir 
nicht aus. Es sind vielmehr alte Typen neben den späteren die 
ganze Steinzeit hindurch hergestellt, gelegentlich auch, wie an unserem 
Beispiel, mit der jüngeren Technik; übrigens fanden sich in Wustrow- 
Niehagen auch geschliffene querschneidige Pfeilspitzen. 2. Ein Feuer- 
steinmeissel einfachster Form (10 cm lang), hergestellt aus einer leicht 
gewölbten, nur ] cm dicken Platte, deren obere Seite die natürliche 
Kruste und deren untere (konkave) Seite einen alten Bruch hatte; alle 
vier Seiten sind durch Schliff etwas geglättet, am meisten die rundlich 
geformte Spitze; mir in dieser Art sonst nicht bekannt (Abb. 2). 


Der „Hexenberg“ 


am Wege Brauel-Offensen, Kr. Zeven. 
Ein steinzeitliher Grabhiigel. Fundberiht von 1891. 
Mit 16 Textabbildungen und 1 Tafel, nach Zeichnungen des Verfassers. 


Von Hans Müller-Brauel, Haus Sachsenheim bei Zeven. 


Ziemlich in der Mitte zwischen den Dörfern Brauel und Offensen 
ergiesst sich die Mede, ein kleiner Bach, in die Oste. Von hier ab an 
bildet die (alte) Oste ein Wiesental, auf beiden Seiten ist sie dann von 
Heidehöhen eingeschlossen. Auf diesen Höhen liegen südlich der Oste, 
unmittelbar am alten Osteufer, fünf grosse und mittelgrosse Grabhügel 
dicht beieinander in einer Reihe. 
Alle zeigen die Spuren früherer 
Grabungen und ich vermute stark, 
dass dies die Hügel sind, die im 
Jahre 1696 der Konsistorialrat 
Spilker untersuct hat und wo- 
rüber er in seiner Schrift: „Disser- 
tatio tumulum cum urnis aliquot in 
Duc. Bremensi inventis . .“ berichtet 
hat. Er fand darin verzierte Urnen, 
Metallgeráte, Zangen und einen 
Pferdezahn. Die Urnen und Bei- 
gaben befanden sich, siehe Wád- 
ters Angabe, 1841 noch auf der 
Stadtbibliothek in Stade; ich habe 
nicht erfahren können, wo sie 
heute sind. 

Ewa 200 Schritte weiter süd- 
lih liegen abermals vier Grab- 
hügel, zum Teil sehr grosse, dicht 
beisammen. Der grösste führt im 
Volksmunde den Namen „Uhlen- 
berg“ (das umliegende Feld führt heute noch den Namen Uhlenkamp, 
früher lag hier ein alter Kiefernwald, dessen letzte Reste ih nod 
kannte). — Den Uhlenberg habe ich 1891 untersucht, er sollte eben- 
falls wegen Steingewinnung zerstört werden. Das Grab lag auf dem 
Urboden, in etwa 2 m Tiefe, unter dem Scheitelpunkt des Hügels. An 


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Abb. 1. 2. Beile aus Feuerstein. Uhlenberg. '/s nat. Gr. 


2] Der ,Hexenberg“ am Wege Brauel-Offensen, Kr. Zeven. 263 


Beigaben fanden sich: zwei sehr schöne, gut geschiiffene Steinbeile aus 
hellem Feuerstein (Abb. 1. 2), ein ungewöhnlich schöner, schiffsboot- 
fórmiger Hammer aus einer stark glimmerhaltigen Gesteinsart (Abb. 3), 
ein vasenförmiges Tongefäss mit Bindfadenverzierung (Abb. 4) und 


Abb. 3. Steinhammer. Uhlenberg. '/s nat. Grösse. 


zwei rohe Feuersteinmesser (Abb. 5. 6). Letztere lagen wohl in einer 
Tiefe, in nächster Nähe, aber nicht unmittelbar mit den Fundsachen zu- 
sammen. von dem erwähnten Hammer liess sich der Holzstiel bis auf 
eine Länge von 40 cm in der feucht-moorigen 
Erde verfolgen, aber mehr nur als dunkler, 
modriger Strih in der Erdmasse; Stückchen 
aufzuheben war nicht mehr möglih. Nahe dem 
Grabe lag eine grosse Menge verkohlter Eicheln. 
Sie müssen schon bei der Bestattung hinein- 
gelegt sein; ein späteres Hineinkommen in 
diese Tiefe erscheint ausgeschlossen, denn es 
liess sich genau erkennen, dass kein Mauseloch 
oder etwas ähnliches von der Fundstelle ab 
nach oben führte, oder auch je nach oben oder 
der Seite geführt hatte — die Schichtung des 
Hügels, aus Heidesoden, war überall deutlich 
BEENDETE erkennbar und intakt erhalten. Sie lagen süd- 
verzierung. Unlenberg. 'snat.Gr. lich von der Fundstelle. Erwähnt sei, dass ich 

in ganz gleichen und gleichzeitigen Grabhügeln 
des öfteren südlich der Grabstelle, in gleicher Tiefe lose hingeschüttet 
einen Haufen Holzkohlen fand. 

Auf dem zweiten, halb zerstörten Hügel fand ich vor langen 
Jahren ein kleines Feuersteinmesserhen und eine Ur- Ä 
nenscherbe, die der Bronzezeit angehört. Dieser 
Hügel ist früher durh den Tierarzt Ehlers- 
Soltau geöffnet worden, nach Leutebericht soll 
er hier einen Steinhammer gefunden haben. 
Der dritte, nicht sehr hohe, aber dafür sehr 
umfangreiche Hügel zeigte viele Spuren früherer 
Grabungen. Bei der von mir angestellten Unter- 
suchung ergab er ein Brand-Bohlengrab; die i 
Schicht liess sih, deutlich erkennbar, auf eine Senber e a Ge” 
Länge von drei Metern verfolgen, bei rund 
50 cm Breite; irgendwelche Beigaben fanden sich nicht vor. 

Der vierte Hügel, sehr zergraben, flach, niedrig, umfangreich, ist bisher 
nicht von mir untersucht worden, dürfte aber bei seinem Zustande kaum 
noch irgendwelche Funde ergeben. Auf dem bedeutend höheren Heide- 


964 Hans Müller-Brauel. [3 


rücken auf der Nordseite der Oste liegen insgesamt 10 mehr oder 
minder grosse Grabhügel nahe beisammen, hart an einem alten Strassen- 
zuge. Zweimal kehrt unter diesen die Form der sog. Zwillingshügel wieder. 
Zwei Hügel sind inzwischen durch den jetzt genau darüber führenden Dorf- 
weg 'Brauel-Offensen eingeebnet und verschwunden. Aus einem dieser 
Hügel stammt ein Steinbeil, das ich zurückkaufte (Abbild. 7). Nach Unter- 
suchung des Herrn Dr. Gottsche- -Hamburg besteht es 
aus einer feinen dichten Dyabasart. Von dem zweiten 
nun eingeebneten Hügel war vor Jahren noch eine 
kleine Anhöhe erhalten; als ich diese untersuchte, fand 
sih eine Steinpflasterung von etwa 1 Quadratmeter 
Grösse, an Fundgegenständen aber nichts mehr. 
Wie Die weiter ab nach Westen liegenden Hiigel, dar- 
a unter ein Zwillingshügel, werden z. Z. eingeebnet; bis 
K jetzt ist eine kleine rotgelbe Scherbe zum Vorschein 
gekommen, die ersichtlih einem steinzeitlichen vasen- 
fórmigen Gefáss angehört. 

Der grösste der Hügel nördlich der Oste, einer der 
grössten überhaupt im Kreise Zeven führt im Volksmunde 


noon x An el, 
Ya nat. Grösse. den Namen „Hexenberg“. Er liegt in nächster Nähe 
der beiden ganz abgetragenen Hügel, bildet den süd- 
lichen Anfang einer aus noch drei Hügeln bestehenden Gráberreihe, 
welche in gerader Richtung nach Norden führt. Alle diese sind recht 


klein, niedrig und stark zergraben. 


Der Hexenberg sollte 
vom Besitzer Herbst 1890 
aufgegraben werden zwecks 
Gewinnung von Steinen. 
Da erbat ich mir vorher 
die Erlaubnis einer Unter- 
suchung gegen Zusicherung, 
alle Steine sorgsam aus- 
zulesen. Diese Untersuch- 
ung hat höchst interessante 
und wichtige Resultate ge- 
bracht, deshalb sei ein- 
gehender darüber berichtet. 


MI 


NNN 


EN 


KEY 


Äusserer Befund. 
Der Hügel war vor 


Beginn der Ausgrabung 
ziemlich kreisrund, sein Um- 
fang betrug reichlich 100 
Schritt, sein Durchmesser, N 
Richtung Süden - Norden Der Hexenberg vor der Aufgrabung mit den Löchern. 
18 'la m, Richtung Osten- 

Westen 20 m, die Hóhe, vom Urboden gemessen, gut 3,50 m; er war 
ganz mit Heide bewachsen. Auf seiner Oberfläche zeigte er an neun 
Stellen die Spuren früherer Grabungen, wirklich tief war aber nur der, 
auf der Abbildung 8 mit a bezeichnete Einschnitt, der eine Tiefe von 


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~ 

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N. 


a 
4) Der ,Hexenberg“ am Wege Brauel-Offensen, Kr. Zeven. 965 . 


ca. 1,25 m erreicht hatte. Wahrsceinlich war hier eine, sich in hiesigen 
Hügeln oft findende Nachbestattung einer Urne, die stets dann in Steinen 
gepackt war, gefunden und dann, in der Annahme, weitere Steine berge 
der Hügel nun nicht, die Grabung eingestellt worden. Bei b fand sich 
eine Scherbe der Laténe-Zeit; im Verlaufe der Arbeit wurden an dieser 
Stelle Urnenscherben, Knochen und kleine Eisenbruchstücke gefunden. 
Hier handelte es sich ebenfalls um eine von Steinsuchern zerstörte Nach- 
bestattung. Der mit c bezeichnete Einschnitt war ganz neueren Datums 
und von einem alten Schäfer gemacht, der daselbst nach seiner eigenen 
Aussage „einen Topf mit Geld hatte leuchten sehen“, dann aber beim 
Nachgraben nichts gefunden, auch nichts vorgeschichtliches zerstört hatte. 

Ganz oben, im Gipfel des Hügels, fand sich eine arg zertrümmerte 
Urne, dicht unter der Oberfläche. Sie enthielt eigentümlicherweise keine 
Knochen, sondern ausschliesslich Holzkohle; nach Bestimmung des Herrn 
Dr. Voigt, Assistenten am Hamburger Botanischen Museum, sind es 
Tannenholzkohlen. Die Urne war umstellt mit fünf mässig grossen 
Handsteinen, erhalten ist sie nicht, da der Scherben durch Frostein- 
wirkung vollständig zermürbt war. 


Aufbau des Hügels. 


Eigentimlih war der Aufbau des Hügels, sowohl in Hinsicht auf 
grössere und kleinere Steinpackungen als namentlich in bezug auf die 
Erdmasse. Wie aus Abbildung 9 
ersihtlih — die Abbildung 
zeigt die sämtlichen Steinpak- 
kungen des Hügels von oben 
aus gesehen, keine reichte über 
1 m tief hinunter — war der 
Fuss des Hügels von einem 
Kranz von Steinpackungen ein- 
gefasst, die aber nicht zusam- 
menhingen. Sie bestanden, wie 


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überhaupt alle Steinpackungen ia 
des Hügels, aus nur kopfgrossen ZY- Z % 7 z ok Sg 8 
Steinen. Auch der Mantel des —. 9 7, AN % AX 
Hügels enthielt oft dicht unter 87 my =>? 

der Oberflähe viele Stein- : 


packungen, die aber bis auf 
eine derselben, ohne jeden In- 
halt waren. Diese 
eine enthielt in schö- 
ner Pacung ein 


A K > Abbild. 9. 
kleines, ziemlich roh Hexenberg, die Steinpackungen von oben gesehen. 


geschlagenes Messer 
< aus Feuerstein, das ersichtlich in der Mitte der Packung ein- 
Abb. 10.',Gr. gelegt war (Abbild. 10). 


ra In Abbildung 11 ist die Erdschichtung des Hügels dar- 
Hexenberg. gestellt. Schon zu Anfang der Ausgrabung — ich wähle 


Für sihin stets den Weg, die Erdmasse eines Hügels ganz von der 
einer schönen 


Steinsetzung. Otelle zu bewegen — zeigte sich eine recht regelmässige 
Mannus. Bd. I. H. 3/4. 18 


266 | Hans Müller-Brauel. _ [S 


Schichtung der Erdmassen. Die Lagerung des schwarzgrauweisslichen 
Sandes (nur auf der Westseite zeigte sich ein Strich harten schwarzen 
Ockers) wurde in Abständen von 4—10 cm von schwarzen, etwa 3 bis 
6 mm dicken Linien durchzogen, nur der Scheitel des Hügels war bis 


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Abbild. 11. Hexenberg. Durchschnitt. 


auf eine Tiefe von durchgängig 70 cm ohne diese Linien. Hier hatten 
augenscheinlich Frost und Regen verwitternd eingewirkt. Vom Urboden 
ab wurden an allen Seiten durchgängig 45 solcher Schichten gezählt, 
Schichten, die sich gebildet hatten durch Vermoderung pflanzlicher Stoffe. 

Hier darf man nun wohl bestimmt annehmen, dass die zum Auf- 
bau des Hügels verwandte Erde in Kórben, oder noch richtiger vielleicht 
in grossen Soden einst zusammengetragen wurde. Da das Zusammen- 
tragen in Körben eigentlich lose Erde voraussetzt, die dann ja bei vor- 
wärtsschreitender Erbauung zusammengetreten wäre, und nicht in dieser 
Regelmässigkeit die Schichtung bewahrt haben würde, so darf eine Er- 
bauung aus abgerissenen oder abgestochenen Soden mit Sicherheit vor- 
ausgesetzt werden. Wer einmal Gelegenheit hatte, in früheren Jahren 
eine sog. Miete, wie sie der Landmann errichtete aus Dünger und Heide- 
soden, zu sehen und deren Schichtung beachtet hat, wird diesem zu- 
stimmen. Nur so konnte auch hier bei einer solchen Schichtung der 
einzelnen Soden sich diese Lagerung bilden. Übrigens spricht noch ein 
weiterer Umstand dafür: die Beschaffenheit mancher Stellen, ja manch- 
mal einzelner Soden, die in weissgrauem Sande sonst lagen, war mehr 
oder minder torfartig und entsprach ganz der Oberfläche des nur etwa 
1000 Schritt entfernten „Düngelmoores“. 


Hauptgrab. 


Nicht ganz in der Mitte des Hügels, etwas nach der Ostseite hin, 
in 3 m Tiefe, war das Hauptgrab. Allem Anscheine nach war der Tote 
unverbrannt beigesetzt worden. Es konnten zwar keine Skelettreste 
mehr gehoben werden, aber eine weisslich graue, schmierig fette Erd- 
schicht bezeichnete in dem dort moorigen Boden doch noch mit einiger 
Sicherheit die einstige Lage der Leiche. Weiter muss sie einst, der 
Lage der Beigaben nach, in der Längsrichtung Süden-Norden, mit dem 
Kopfe nach Norden beigesetzt sein. Uber dieser Leichenrestschicht 
hatten die vorhin beschriebenen dünnen schwarzen Schichtstreifen eine 
bedeutend grössere Dicke, ebenso am Kopf- und Fussende, wo diese 
Streifen, deutlih erkennbar, senkrecht liefen. 

Man wird sich demnach die Bestattung wie folgt vorzustellen haben: 

Auf dem Urboden legte man die Leiche mit sämtlichen Beigaben 
nieder. Dann stellte man besonders grosse Heidesoden um 
dieselbe herum, Steine wurden dazu nicht verwandt; darauf erfolgte 
der Aufbau des ganzen Hügels in der oben weiter beschriebenen Weise. 


6] Der ,Hexenberg“ am Wege Brauel-Offensen, Kr. Zeven. 267 


Beigaben. 


Als Beigaben fanden sich folgende Gegenstände. An der Ost- 
seite des Kopfes ein grosser schwerer Schleifstein aus rotem Granit. 
Die Schleifbahn ist nicht besonders glatt, nur recht wenig hohl ge- 
schliffen, also nur kurze Zeit benutzt. Die Ecken des Schleifsteins sind 
teilweise, ebenso wie die Seiten, künstlich abgerundet; dadurch hat der 
Stein eine etwas ovale Form bekommen. Die Länge ist 34 cm, die 
Breite 28 cm. Es könnte erwogen werden, ob nicht der Stein nur zur 
Herstellung des weiter gefundenen Hammers verwandt sei, dann weiter 
nicht benutzt wurde, oder nicht weiter benutzt werden durfte, weil zur 
Herstellung einer Totenbeigabe verwendet, und so in dasselbe Grab 
gelegt wurde. 

An der Westseite des Kopfes stand ein arg zerdrücktes grosses 
Tongefäss (Abbild. 12), mit drei grossen Henkeln. Diese waren der 


A st; 


HR 


Abbild. 12. Abbild. 13. 
Tongefäss mit 3 Henkeln. Vasenförmiges Tongefáss. 
Hexenberg. ‘js. Hexenberg. 'j 


Leiche zugekehrt, also handgerecht für den Liegenden zum Anfassen. 
Das Gefäss ist von einer ganz ungewöhnlichen und sehr seltenen Form, 
kleiner Fuss, weiter Bauch, eingezogener enger Hals. Der Bodendurch- 
messer beträgt 9,4, die obere Halsöffnung 14,5, die Höhe 33, der 
Bauchumfang dabei jedoh 91 cm. Die Wandstärke beträgt oben 0,8 
bis 1 cm. Eigentümlicherweise sitzen die drei Henkel einmal auf der 
grössten Bauchbiegung, dann auf einer Hälfte des Gefásses. Die Ver- 
zierung weicht völlig von anderen steinzeitlichen Gefässen ab; um den 
Hals des Gefässes bis hinab auf die Bauchbiegung läuft ein Ornament, 
das man als umgekehrte Tannenbäume bezeichnen könnte. Es wieder- 
holt sich siebenmal. Auf den Henkeln verläuft eine leichte Rille, die 
wohl durch Fingerstriche hergestellt ist. 


268 Hans Müller-Brauel. [7 


Mir ist nirgendwo, namentlich nicht mit reinen Steinzeitfunden, ein 
ähnliches Gefäss bekannt geworden '). 


Besser gearbeitet und gewohnter in der Form ist das zweite vasen- 
formige Gefäss von 24,2 cm Höhe. Es stand an der Ostseite der 
Leihe, 85 cm südlicher. Ist das grosse Gefäss aus grobem, dunkel- 
braunen Ton gearbeitet, so dieses aus feinerem gelbroten, der aber 
recht schlecht gebrannt ist. Diesem Umstande ist wohl die schlechte 
Erhaltung zuzuschreiben, — bei der Auffindung war das Gefäss nur ein 
š feuchter zermatschter Tonklumpen, erst in 
wochenlangem Suchen gelang der, dann frei- 
lich sichere Aufbau des Gefässes. Der Boden- 
durchmesser beträgt 7 cm, die obere Öffnung 
18 cm. Als Verzierung sind am oberen 
Rande fünf Reihen Striche eingedrückt; Ab- 
bildung 13 zeigt das Gefáss in ‘/s Grösse, 
Abbildung 14 gibt ein Randstück in natür- 
= licher Grösse. Gefásse dieser Art und Form 
Abbild. 14. */ Gr. sind in Nordhannover ziemlich häufig ge- 
funden, in meiner eigenen Sammlung be- 
wahre ich allein aus engem Bezirk fünf heile und Reste von etwa 
ebensovielen, in der Sammlung des Provinzialmuseums stehen zwei, 
von Friedrih Tewes ausgegrabene, aus Hohenaverbergen bei Verden. 
Soweit meine Beobachtungen reichen sind sie fast immer in stein- 
losen Hügelgräbern gefunden, Hügel, die sih durch ihre Grösse und 
oft kegelförmige Gestalt auszeichnen. Bei diesem Gefäss sind die Ver- 
zierungen mit einem Stempel oder einem Holzstäbchen in den nod 
feuchten Ton eingedrückt und zwar besteht jeder Strich, wie aus Ab- 
bildung 14 hervorgeht, aus zwei, vor, bezw. ineinander gemachten Ein- 
drückungen °). 
Diesem Gefáss gegenüber auf der Westseite des Körpers lag der 
in Abbildung 15 gegebene schöne Steinhammer. Nach Untersuchung des 


1) Das Gefäss hat die Form der in Mitteldeutschland so häufigen schnur- 
keramischen Amphore, der ja auch die senkrecht gerillten Henkelösen auf der 
Bauchmitte eigentümlich sind und das senkrechte Fischgrätenornament des Ober- 
teils, wie bei dem Originale der Abbildung 12 (das. nicht mit dem überall aus gleich- 
langen Sparren bestehenden Tannenzweigmuster zu vermengen ist), wenigstens 
nicht unbekannt ist (Langenbogen: ‘Merkbuch’ des Berliner Museums? Taf. Il, 18; 
Burgscheidungen: Mitt. a. d. Pr. Mus. Halle II, Taf. IV, 21; Einsdorf: Vorg. Altert. 
d. Pr. Sachsen Il, Abb. 57; Grossumstadt: Prähistor. Bll. 1895, Taf. I, 7). Merk- 
würdig ist ja die Dreizahl der Henkelösen, die in den rein nordischen Kulturen 
vermieden wird und höchstens in der Weise, wie bei der Amphore vom Hexenberg, 
erscheint, dass die drei Ösen nicht symmetrisch in der Form eines gleichschenkeligen 
Dreiecks verteilt, sondern auf die eine Hälfte des Gefässes beschränkt sind, so 
auch bei einer der schnurkeramishen Amphoren von Einsdorf (Vorg. Altert. d. Pr. 
Sachsen II, Abb. $4). G. K. 


2) Dieser hohe Becher mit verjiingtem, abgesetzten Fusse vom Hexenberg 
gehört ebenso wie der vom Uhlenberg (Abb. 4) zu der in diesem Hefte des 
‘Mannus’ von mir behandelten grossen Klasse spátneolithisher Gefässe Nordwest- 
deutschlands, die wir einerseits in den schnurkeramischen Gräbern von Hessen- 
Nassau, Hessen-Darmstadt und Südwestdeutschland wiederfinden und die anderer- 
seits sih in England und Schottland weiter entwickeln (Mannus I, 232 und 
Taf. XXID. G. K. 


8] Der ,Hexenberg“ am Wege Brauel-Offensen, Kr. Zeven. 269 


Herrn Dr. Gottsche-Hamburg ist er aus einem sehr schönen, dichten, 
kristallinischen Hornblendegestein, das etwas Schwefelkies enthält, ange- * 
fertigt. Die Länge des Hammers beträgt 13,5, die Dicke, im Bohrloch 
gemessen 3,9, die grösste Breite 
an der Schneide 4,7 cm. Die 
Durchbohrung ist unten , und 
oben genau gleichweit, kreis- SH 
rund, mit einem Durchmesser ss 
von 23 mm, der Rand zu beiden see 

Seiten des Bohrloches ist 13, ea 

resp. 14 mm stark. Die Bohrung 
selber ist sehr glatt und sauber, Abbild. 15. Hammer: Hexenberg. ‘js Gr. 

nur einige sdwade Rillen 

sind im Innern bemerkbar. Zu beiden Seiten des Bohrloches zeigt 
der Hammer einen feinen, etwa halb durchgehenden alten Sprung. Bei 
der Auffindung war er so weich, dass er mit einem Messer hätte ge- 
schnitten werden können, eine unbedeutende Verletzung rührt von einem 
Spatenstihe her. Die untere Seite war bei der Auffindung mit einer 
ziemlich dicken rostbraunen Erdkruste bedeckt, die ich zunächst für zer- 
gangenes Eisen hielt. Nach Untersuchung des Herrn Dr. Gottsche war 
es aber eine Art Alaunerde, die sich am Gestein infolge der Zersetzung 
des darin enthaltenen Schwefelkieses gebildet hat. 

Zwishen diesen beiden Fundstücken, etwas höher, also ver- 
mutungsweise im Gürtel oder auf der Brust lag das unter Abbildung 16 
gegebene, 14,2 cm lange und etwa 2 cm breite Messer aus graublauem 
Feuerstein. Beide Seiten sind in ihrer ganzen Länge durch je einen 
Schlag hergestellt, die scharfen Kanten zeigen nur wenige und kleine 
Scharten, viel benutzt kann es demnach nicht sein. 

Weitere Beigaben fanden sich ‚trotz genauer Untersuchung 
nicht vor. 

Ehe ich nun an die Frage der Zeitstellung des Hügels 
gehe, möchte ich hier einer Anzahl interessanter Feuerstein- 
splitter und Feuersteingeräte gedenken, die sich zerstreut in der 
Erdmasse des Hügels fanden. 

Schon zu Anfang der Ausgrabung zeigten sich hie und da, 
in loser Erde, auffallend viele Feuersteinsplitter, bald einfache 
Sprengstiicke und natürliche Knollen, dann aber auch solche, die 
unzweifelhafte Spuren von Bearbeitung trugen. Um völlig sicher 
zu gehen, liess ih jeden auftauchenden Feuersteinsplitter, 
ganz gleih ob Natur- oder Kunstprodukt, aufsammeln. Eine 
nachherige Sortierung der ganzen Masse, wohl an drei Kilo, 
ergab 30—40 Stücke, die entweder sichere Spuren einer Be- 
arbeitung zeigten, oder aber als Geräte oder als misslungene 
Geräte mit einiger Sicherheit anzusprechen sind. Auf der bei- 
gegebenen Tafel (Taf. XXXVI) habe ich die grössere Anzahl 
dieser Stücke abgebildet. Gefunden sind sie durchgängig in 
einer Tiefe von etwa 1,50 m unter der Oberfläche. 

| Ein Versuch, die Stücke nach Formen zu sortieren, zwecks 
Abb. 16. Gr. besserer Auswahl der abzubildenden Stücke, ergab, wenn man 


Hexenberg. `“ . 
Messer. will, folgende Formenreihen: 


270 Hans Müller-Brauel. [9 


1. Nummer 1—4, rohe Feuersteinstücke, mit sicheren Spuren der 
Bearbeitung; 1—3 messerfórmig. Zum Teil ist noch die ursprüngliche 
Kalkkruste des Feuersteines erhalten. 

2. Nummer 5, Schaber aus weissgrauem Feuerstein, mit scharfer, 
dünner Schneide. 

3. Nummer 6—18, Messerchen oder Pfeilspitzen. Nummer 8 ist 
im Feuer gewesen und ganz weiss gebrannt, es lag in 1,40 m Tiefe. 

4. Nummer 18—22. Bei diesen Stücken könnte man glauben, 
unvollendete Pfeilspitzen mit breiter Querschneide vor sich zu haben. 
Gemeinsam ist ihnen allen eine obere dünne scharfe Kante, und ein 
unteres dickes Ansatzende. Die Schlagmarken auf der Unterseite sind 
immer deutlich vorhanden. 

5. Nummer 23, ein Feuersteinstück, das teilweise noch die Kalk- 
kruste hat. Untere Seite grob abgesprungen, mit deutlicher Schlagmarke, 
obere Seite hat ebenfalls deutliche Bearbeitung. Ob beabsichtigt war, 
daraus eine blattförmige Lanzenspitze herzustellen? 

6. Nummer 24 und 25. Beide Stücke sind sicher als kleine Keile 
aufzufassen. Fig. 25 auf Unterseite glatt (schief rund abgesprungen), 
zeigt nur an der Schneide daselbst Schlagmarken. Die obere Seite 
ist, wie Abbildung erkennen lässt, ganz bearbeitet. 

7. Nummer 28—38. Eine Anzahl Splitter, Knollen, usw. teilweise 
mit sicheren Spuren von Bearbeitung. 


Mir schienen diese Stücke so wichtig, dass ich die hauptsächlichsten 
derselben hier auf der beigegebenen Tafel in Abbildung gebe. Ich be- 
gnüge mich mit der Feststellung, dass alle Stücke in der losen Erde 
des Hügelaufbaues gefunden sind. Meiner Ansicht nach dürften wir in 
diesen Stücken Gebrauchsgegenstände vor uns haben, die zu Mahlzeiten 
während der Arbeiten des Hügelaufbaues benutzt wurden. In sehr kurzer 
Zeit zurechtgeschlagen wurden sie entweder nach Gebrauch als wertlos 
hingeworfen und kamen so in den Hügel, oder aber man könnte denken, 
es seien diese Stücke nun durch den Umstand, dass sie zu Mahlzeiten 
benutzt wurden, die einem Toten galten, für anderweitige Benutzung 
nicht mehr in Frage gekommen — also Zeugnisse des Totenkults im weiteren 
Sinne. Vielleicht kann man ja noch einen Schritt weiter gehen. Ich 
habe oben weiter absichtlih betont, dass einmal der Sdleifstein, als 
auch Hammer und Messer aus dem Grabe sehr wenig oder gar nicht 
benutzt seien im praktischen Leben. Es könnten aber diese Stücke 
ebensogut Dinge sein, die von vornherein nur als Grabbeigaben hergestellt 
wurden. Nun sind unter den verschiedenen Knollen und Messerchen 
solche, die der Farbe nah sehr gut aus demselben Feuersteinknollen 
hergestellt sein können, als das Messer, das dem Toten mitgegeben 
wurde. Die Stücke haben dieselbe weisslich graublaue Farbe und zeigen 
im Bruch und Sprung die gleichen Eigenheiten, Eigenschaften, die unter 
diesen Umständen vielleicht doch mehr als zufällig sind. Auch stánde 
ja der Annahme, dass man die Reste des Knollens, aus dem das Mes- 
ser geschlagen war, nachher über den Totenhügel ausgestreut hätte, nichts 
an sich entgegen. Ein Aneinanderfiigen aller bei der Arbeit zurück- 
gelegten Stücke blieb freilich ergebnislos. Für eine Verwendung unserer 
Stücke bei Totenmahlzeiten dürfte m. E. das eine im Feuer gewesene 
Feuersteinmesserchen sprehen. Auch der Umstand, dass in der Erd- 


10] Der ,Hexenberg“ am Wege Brauel-Offensen, Kr. Zeven. 271 


masse des Hügels, und zwar in solcher Tiefe und in unberührten 
Schichten, dass ein späteres zufälliges Hineinkommen als ausgeschlossen 
gelten kann, sich Kohlen fanden, dürfte für abgehaltene Totenschmau- 
sereien sprechen. Die Kohlen sind nach Untersuchung im Laboratorium 
des Botanishen Museums Hamburg Eschenholzkohlen — bemerkt sei, 
dass heute hier in unseren Dörfern die Esche verhältnismässig recht 
selten ist. 

Aus der Gesamtmasse dieser roh geschlagenen Feuersteingeräte 
dürfte aber der Schluss zu ziehen sein, dass solche ziemlich rohen und 
einen hochaltertümlichen Eindruck machenden Stücke noch in verhältnis- 
mässig später Zeit— wie wir gleich sehen werden — gearbeitet wurden. 
Wohnstátten, in denen also ein solhe Ware vorherrschend ist, dürfen 
deshalb nicht ohne weiteres der urältesten Zeit zugewiesen werden’). 

Erinnern will ih hier nur noch daran, dass sich roh geschlagene 
Feuersteingeräte oft in Grabhügeln der älteren und auch nod vereinzelt 
in denen der jüngeren Bronzezeit finden. Ja, in sächsischen Urnen, 
Völkerwanderungszeit, finden sie sih noch recht häufig. In dem von 
mir entdeckten und ausgegrabenen Urnenfriedhofe dieser Zeit zu Hees- 
lingen, Kreis Zeven, der 70 Gefässe und viele zerstörte lieferte, lag 
in über 40 Urnen ein roh geschlagenes Messerchen oder anderes Stück 
aus Feuerstein. Merkwürdigerweise zeigte bei diesem Friedhofe ein fein 
und spitz zugeschlagenes Messerchen oben in loser Erde meist die dar- 
unter in der Tiefe sitzende Urne mit ziemlicher Sicherheit an: es 
machte den Eindruck, als ob bei der Bestattung etwa ein Pfeil über der 
beigesetzten Urne in den Boden gesteckt sei. 

Für die Frage der Zeitstellung des Hügels ist natürlich 
nur das Hauptgrab mit den beschriebenen Beigaben massgebend, und 
hierunter besonders die Tongefässe. Form und Verzierung des vasen- 
förmigen Gefásses kennen wir hier aus Steindenkmälern, die der jüngeren 
Steinzeit angehören — aus dem zerstörten Steindenkmale zu Godenstedt, 
Kreis Zeven (das nur seiner Decksteine beraubt war, als ich zugezogen 
wurde), hob ich neben Beilen und Dolchen von Feuerstein, neben Bern- 
steinperlen und schön ornamentierten charakteristischen Scherben dieser 
Periode ein Gefäss, das diesem hier sehr ähnlich ist, wenn auch die 
Ornamentik noch den älteren steinzeitlihen Gefassen etwas näher steht. 

Die übrigen Gefässe dieser Form, die ich aus Grabhigeln hie- 
siger Gegend hob, zeigen bis auf zwei, die reines Bindfadenornament 
haben, gleiche Verzierungsweise. Die damit zusammen gehobenen Bei- 
gaben sind aber ganz gleichartig; mit den Gefássen mit Bindfadenver- 
zierung wurden je zwei Hämmer, zwei Beile und ein kleines unverziertes 
Näpfchen gefunden, mit den übrigen Gefässen je ein Beil, ein Messer und 
einmal ein Dolch von Feuerstein. In Oldendorf, Kreis Zeven, woher 
ich nur eine einzige Scherbe eines solchen Gefässes aus einem dort 
zerstörten Hügelgrabe erhielt, soll ein Bronzebeil damit zusammen ge- 
funden sein; mit völliger Sicherheit ist aber dieser Fund als ein Fund 


1) Der Verfasser hat die Möglichkeit nicht in Erwägung gezogen, dass diese 
m. E. sicher álterneolithishen Feuersteingeräte bereits Jahrtausende in der Erde 
sich befanden, als sie zusammen mit den sie umschliessenden Heidesoden oder 
mit a lose aufgetragenen Erde beim Aufbau des Hügels zufällig mitverwendet 
wurden. 


972 Hans Müller-Brauel: Der ,Hexenberg“ am Wege Brauel-Offensen usw. [11 


nicht zu belegen, umsomehr, da das Beil an einen wandernden Händler 
verkauft wurde und so nicht erhalten blieb. 

Jedenfalls aber dürften diese Gräber und namentlich auch der hier 
beschriebene „Hexenberg“ bei Brauel-Offensen, ziemlih an das Ende 
der jüngeren Steinzeit zu setzen sein’). 

Sagen möchte ich noch, dass diese Hügel mit beschriebenem Grab- 
inventar hier wenigstens immer ohne Steinbau im Innern sind, sich oft 
in der nächsten Nähe eines noch vorhandenen oder vorhanden gewesenen 
Steindenkmals finden und zwischen Elbe und Weser ziemlich häufig sind, 
in einzelnen Gegenden, so nach der Elbe zu, sogar als sehr häufig 
vorkommend bezeichnet werden müssen. Immer zeichnen sie sich aus 
durch ihre bedeutende Grösse und auch von weitem schon durch ihre 
bestimmte mehr kegelförmige Gestalt gegenüber den mehr runden brust- 
gewölbten bronzezeitlihen Hügeln. 


1) Der Ausdruck ‘ziemlich an das Ende der jüngeren Steinzeit’ ist sehr glück- 
lich gewählt, denn so spät auch diese Gräber mit den schlanken Fussbechern fallen 
— dass sie nicht die allerletzte Phase der spätneolithischen Periode darstellen, 
beweist die Parallele mit den jütischen ‘Einzelgräbern’, die nach S. Müller die 
sich ablösenden Stufen der Untergräber, Bodengräber, Obergräber und Oberstgräber 
A, B aufweisen, von denen die letztgenannten Oberstgräber schon gleichzeitig mit 
den frühstbronzezeitlihen Gräbern vom Aunetitz-Leubinger Typus sein dürften. 
Der schöne Streithammer vom Uhlenberg (Abb. 3), der dem Typus 77 in Soph. 
Müllers Ordning, Stenalderen, entspricht, zeigt, dass das zugehörige Grab der Stufe 
der frühesten jütischen Bodengräber entspricht (Aarböger f. nord. oldk. 1 a ff.). 


Mannus * Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. I. Tafel XXXVI. 


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Müller-Brauel, Der Hezenberg am Wege Brauel-Offensen. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg. 


Digitized by Gooqle 


Möritzscher Funde. 
Urnengräberfunde aus der Leipziger Tieflandbucht. 


Mit 2 Tafeln. 
Von Karl Waase, Neu-Ruppin. 


In Heft 1/2 des „Mannus“ bespricht Herr Professor Dr. Kossinna 
auf Seite 159 und 160 „Die La Téne-Funde der Leipziger Gegend“ von 
Karl Jacob. Am Ende der Besprechung werden auf Seite 160 auch 
einzelne Fundstücke meiner Privatsammlung erwähnt. In der obigen 
Schrift ist nur ein Teil meiner Funde angeführt worden, da aber die 
gesamten, zum Teil recht interessanten Gegenstände meines Privat- 
besitzes für die Allgemeinheit von Interesse sein dürften, so möchte 
ich dieselben im folgenden der Öffentlichkeit übergeben. 


Annähernd in der Mitte der Chaussee Leipzig- Merseburg: liegt 
1 km nördlich von der Landstrasse das Orthen Möritzsh, Kr. Merse- 
burg. Das Gebiet zwischen Dorf und Chaussee wird im Volksmunde 
» Tiefenbreite” genannt. In dieser Feldbreite zieht sich: eine Mulde 
(Tiefe) entlang, die von Grossdölzig aus bis nach Günthersdorf zu ver- 
folgen ist. Die Mulde ist äusserst reich an vorgeschichtlichen Funden 
aller Zeiten. (Vergleiche neben der Jacobschen Schrift auch die Arbeit 
von F. Max Näbe, Die steinzeitlihe Besiedelung der Leipziger Gegend 
unter besonderer Berücksichtigung der Wohnplatzfunde, besprochen im 
Mannus I, 158). 


An einer Stelle der Tiefenbreite, der jetzigen Horburger Gemeinde- 
sandgrube (500 m südlich von Möritzsch), befindet sich eine Begräb- 
nisstátte. Vor ungefähr neun Jahren wurde diese Grube das erste Mal 
geöffnet; dabei stiess man auf eine Anzahl Urnen, die leider fast alle 
vernichtet wurden. Nur ein kläglicher Rest fand Schutz im Hallischen 
Provinzialmuseum (durch Herrn Kantor Nothnagel-Horburg). Das von 
Jacob auf Seite 24 erwähnte Gefáss gehört jedenfalls zu diesem Rest. 


Im Frühjahre 1906 wurde das letzte Stück der Sandgrube abge- 
tragen. Am 8. Februar fand man drei Gefässe. Sie standen in_einer 
Tiefe von 80 cm direkt auf den Sandsedimenten. Zwei davon sind lei- 
der vollständig zerstückelt und ihre Scherben verstreut worden, eine 
Urne dagegen ist zur grossen Hälfte und mit Inhalt erhalten geblieben. 
Ihr oberer Rand hat einen Durchmesser von 19 cm. Diese Weite be- 


974 Karl Waase. [2 


hält der Hals ungefähr 4 cm bei, dann erweitert er sich kaum merk- 
lih, um sich nach unten halbkugelig zu schliessen. Die Gesamthöhe 
beträgt ungefähr 12 cm. Das Aussere zeigt nichts Hervorzuhebendes. 
Das Innere war noch zur Hälfte mit Asche und Knochenresten gefüllt, 
unter den letzteren befanden sich viele Schädel- und Rippenteile, auch 
Röhrenknocen (Tibia und Ulna-Reste). Tafel XXXVII, 1a stellt das 
rekonstruierte Gefäss dar. Der Ton hat grau-braune Farbe, die Aussen- 
seite ist stark geglättet. | 

Die beiden anderen Gefässe scheinen keine Leichenreste enthalten 
zu haben, sie bildeten vielleiht Beigaben. — Höchst interessant sind 
die Fragmente der einen Urne. Zwei grosse und eine Reihe kleinerer 
Scherben befinden sich in meinen Händen. Tafel XXXVII zeigt in 1 b und 
1 c die Details der beiden grossen Bruchstücke (1 b siehe auch Jacob, 
Tafel Ill, 21). Die Scherben genügen, um ein Bild der ganzen Urne 
zu geben. In ihren Massen ist sie ungefähr dem obenbeschriebenen 
Grabgefásse gleihgekommen. Ihre Ausführung beweist eine hochent- 
wickelte Keramik. Das Gefäss hat Schüsselform. Der obere Rand 
ist glatt, nach_aussen abgeschrägt und hier mit einem kleinen Wulst 
versehen. Der Hals der Urne, der oben seinen grössten Durchmesser 
hat und nach innen etwas eingezogen ist, hat eine Höhe von 6 cm. 
Er ist mit schön geschwungenen Henkeln verziert. In jedem derselben 
hängt ein festgebrannter tönerner Ring. Der Scherben Tafel XXXVII 
1 b gibt uns auch Aufschluss, wie der Tonring im Henkel befestigt wurde. 
Zunächst brannte man die Ringe, dann wurde das Gefáss aus weichem 
Ton geknetet, hierauf wurden die Henkel geformt und nachdem man 
in jeden derselben einen Ring gehängt hatte, steckte man den Henkel 
durch zwei Löcher in das Gefáss. Innen am Halse drückte man die 
Tonstreifen nietenartig fest, und nun wurde der so fertiggestellte Topf 
gebrannt. Am oberen Halsrande ist rechts und links vom Henkel je 
eine knopfartige Verzierung angebracht. Von jedem Knopfe geht senk- 
recht nach unten bis zum Halsende ein perlschnurartiges, aus vier kleinen 
Kreisen bestehendes Ofnament. Der untere Halsrand ist mit einem 
aus ebensolchen Kreisen bestehenden Bande umgeben, sämtliche Kreise 
sind kongruent, sie sind mit einem dünnen Sdhilfstengel oder starken 
Grashalme eingedrückt worden. Vom Halsende aus wendet sich die 
Wand des Gefässes in einem stumpfen Winkel nach aussen, um sich 
dann schnell in kleinerem Winkel nach unten zu schliessen und dem 
Ganzen einen tellerartigen Abschluss zu geben. Nach den vorhandenen 
Bruchstücken ist es am wahrscheinlichsten, dass das Gefáss die Form 
gehabt hat, welche die Rekonstruktion in Tafel XXXVII, 1 d wiedergibt. 
Karl Jacob bezeichnet das Gefäss als „die Nachbildung eines (hall- 
stätter?) Bronzegefässes“, Kossinna schreibt ihm „charakteristische Merk- 
male der späteren Kaiserzeit“ zu und nimmt nach mündlicher Mittei- 
lung mit Sicherheit das einstige Vorhandensein dreier Henkel an. 


Die Fragmente der zweiten Beigabe weisen auf ein Tonnengefäss 
hin. Wir veranschaulichen auf Tafel XXXVII drei der grösseren Scherben in 
le, 1f und 1 g, sowie die Rekonstruktion des Gefässes in 1h. Diese 
Urne ist mit Strichornamenten, die parallel mit der Grundfläche gehen 
und jedenfalls durch Fingernageleindrücke hervorgerufen worden sind, 
verziert. Beigaben konnten bei dem bis jetzt beschriebenen Grab 1 


3] Móritzsher Funde. 275 


nicht ermittelt werden, in der Nähe wurden zwei bearbeitete Feuerstein- 
stücke (Schaber) gefunden, die wohl kaum zu dem Grabe gehören 
dürften. 

Den Inhalt von Grab 2 stellt die Abbildung 2a auf Tafel XXXVII dar. 
Das Grabgefáss ist eine Fussurne aus glattem, graubraunen Ton. Sie 
stand unverpackt in 90 cm Tiefe auf den Sandschichten. Der obere ` 
Durchmesser beträgt 17, der Fussdurchmesser 4'/4, die Höhe 13: cm. 
Die Urne fiel, wie die folgenden alle, beim Heben auseinander und 
musste aus vielen Stücken zusammen geleimt werden. Das Innere war 
bis an den oberen Rand mit grobem Leichenbrand gefüllt. Zwischen 
den Leichenresten lagen drei Stücke von Bronzebeigaben. Zwei Teile 
gehören zusammen; sie haben, wie mir Herr Professor Kossinna mit- 
geteilt hat, zu einer Schildfessel gehört '). Der grössere Teil ist mit 
einem aufgenieteten Bronzekegel und mit Kreisen verziert. Wir bilden 
ihn von oben und von der Seite gesehen in natürlicher Grösse ab 
(Tafel XXXVII, 2b und 2c), ebenso das kleinere Stück (2d). Die 
dritte Bronzebeigabe ist ein Kettenrest. In einem Ringe befinden sich 
drei Glieder. Tafel XXXVII, 2e zeigt ein Glied von hinten, 2f von vorn und 
2g das ganze Stück in natürlicher Grösse. Nicht weit von dieser Urne 
lag in gleicher Tiefe der Fussrest eines zweiten Gefásses mit breiterer 
a. (Tafel XXXVII, 2h). Das Grab wurde am 12. Februar 1906 auf- 
gedeckt. 

Grab 3 veranschaulicht Tafel XXXVIII, 3a. Das schüsselförmige 
Gefäss ist aussen stark geglättet und schwarz gefärbt. Den Hals zieren vier 
Horizontalfurchen, durch diese entstehen zwei wulstige Ringe. Bei einer 
Höhe von 16 cm beträgt der obere Durchmesser 26 und der grösste 
Umfang 88 cm. Zwischen dem groben Leichenbrand fand sich ein 
Eisenbeigabenrest, derselbe rührt anscheinend von einer Fibel her. Er 
ist insofern interessant, als sih am Eisen, da, wo sich die Spirale der 
Fibel befindet, das Stück einer Muschelschale als Verzierung angebracht 
ist. Tafel XXXVIII, 3b und 3c illustrieren die Beigabe von der Vorder- und 
Rückseite in natürlicher Grösse. Das Grab wurde am 26. Februar 1906 
in 1 m Tiefe aufgedeckt. Professor Kossinna bezeichnet diesen Fund 
als „offenkundiges Laténe-Grab“ 

rab 4 und 5. Am 4. März desselben Jahres stiess man in 
einer Tiefe von 1,10 m auf zwei nebeneinanderstehende Graburnen. 
Dieselben sind aussen mittelbraun, innen hellbraun gefärbt, aussen stark 
gerauht, innen geglättet. Das erste Gefäss zerbröckelte trotz der an- 
gewandten grössten Vorsicht beim Ausheben so sehr, dass nur zwei 
Bodenreste geborgen werden konnten (Tafel XXXVII, 4a und 4b). 
Das Grab 5 konnte einigermassen erhalten werden (Tafel XXXVIII, 5a). Die 
Urne hat folgende Dimensionen: Oberer Durchmesser 22'J2, grösster 
25, unterer 12'/2 cm, Höhe 15 cm. Die Leichenreste beider Gefásse 
sind äusserst roh gebrannt. Grab 4 hatte als Beigabe den Rest einer 
eisernen Fibel. Tafel XXXVIII, Figur 4c und 4d bildet diesen in natürlicher 


1) Schildfesseln mit solchen fingerhutförmigen Bronzenietköpfen gehören haupt 
sähhlih dem 2. Jahrh. nah Chr. an, erscheinen aber auch schon am Ende des 
1. Jahrh., ebenso noch am an des 3. Jahrh. Dieses Grab braucht also nicht 
wesentlich älter zu sein, als Grab 1 G.K. 


276 Karl Waase: Möritzscher Funde. [4 


Grösse in Vorder- und Riickansicht ab. Im fünften Grabe befand sich 
ein schön erhaltener eiserner Gürtelhaken; von dem dazu gehörigen 
Ringe war nichts zu entdecken (Tafel XXXVIII, Figur 5 b nat. Grösse). 
Beide Urnen enthielten neben der Eisenbeigabe je einen Scherben mit 
gleicher Bogenverzierung. Sie stammen jedenfalls von einem Gefáss 
(Tafel XXXVIII, 4e und Sc). Die Ornamentik erinnert an das von 
K. Jacob auf Tafel XXI abgebildete Gefäss. 

Die späteren Funde von Möritzsch sind in die von Jacob ange- 
führten Privatsammlungen übergegangen. 


Taf. XXXVII 


Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. I. 


Grab 1 und 2. 


Curt Kabitzsch (A, Stuber’s Verlag) Würzburg. 


Waase, Möritzscher Funde. 


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Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte Bd. 1. Taf. XAXVIM. 


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Grab 3, 4 und 5. 


Waase, Möritzscher Funde. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag) Würzburg. 


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Eine neue Bronzebüste eines Germanen. 


Von Anton Hekler, Budapest. 
Mit 1 Abbildung im Text. 


Die beistehend in natürliher Grösse abgebildete Bronzebúste 
stammt aus O-Szóny (Brigetio) und befindet sih gegenwártig im Be- 
sitze des Herrn A. Milh in Komorn (Komárom, Ungarn), wo ich sie 
im Frühjahr dieses Jahres mit anderen Kleinbronzen zusammen in Musse 


278 Anton Hekler. [2 


studieren konnte. Ich kann es nicht versäumen, dem Besitzer für seine 
Liberalität und für die gütigst erteilte Erlaubnis der Publikation auch 
an dieser Stelle meinen wärmsten Dank auszusprechen. 

Die Büste, welche die ganze Brustpartie und die beiden Schultern 
einschliesst, ragt aus einem breiten Blattkelh empor. Schon die Durch- 
bildung der dargestellten Körperteile weist auf einen älteren Mann von 
sehnig hagerer Struktur: der Brustkorb ist mager, eingefallen und die 
Schultern fallen vom Nacken steil herab. Auf diesem Oberleib sitzt 
ein bärtiger Kopf mit länglihem Gesicht, dessen ruhig kontemplativer 
Ausdruck eine klare Intelligenz und ein objektives Anschauungsvermögen 
zu verraten scheint. Die Haare sind am Hinterkopf kurz geschnitten, 
am Oberkopf dagegen lang wachsen gelassen. Dieses lange Haar ist 
von hinten flach anliegend nach der rechten Seite herübergekämmt und 
über der Schläfe zu einem dicken wulstigen Knoten geschlungen. Das 
ist die charakteristische Haartracht der Germanen, wie man sie aus den 
Schriftquellen erschlossen und auch in unserem Denkmälervorrat durch 
viele Beispiele belegt vorgefunden hat. Da das einschlägige Material 
vor kurzem in den Bonner Jahrbüchern (1909, Heft 118, 1 S. 63 ff.) 
von À. von Salis eingehend und mit reichen literarischen Hinweisen 
besprochen wurde, so glaube ich mich hier nur auf das Notwendigste 
beschränken zu müssen. 

Ganz frappant ist die Analogie unseres Germanenkopfes mit den 
Germanendarstellungen am Tropaion von Adamklissi!). Diese Verwandt- 
schaft im Ausdrucke und in der Durchbildung sowie die Art der Arbeit 
führt mich darauf, die Büste in das 1. Jh. nach Chr. zu datieren. Die 
grosse Büstenform ist kein Hindernis für diese Ansetzung in die frühe 
Kaiserzeit. Für die grosse Büstenform, die aus dem Blattkelh empor- 
taucht, haben wir ja schon aus claudischer Zeit in der bekannten sog. Klytia 
den schlagendsten, sicheren Beleg 2). Überhaupt führt die genaue Durch- 
forschung der römischen Büsten immer mehr zu der Erkenntnis, dass 
die grosse Büstenform nicht erst in der trajanisch-hadrianischen Epoche 
entstanden ist. Die künstlerische Vorstellung, die Büste aus einem 
Blattkelhe emportauchen zu lassen, konnte nur in der hellenistishen 
Zeit entstehen. Sie ist ein reizvoller Spross jener künstlerischen Richtung, 
die mit kühner, erfinderisher Phantasie menschliche und tierische Formen 
mit pflanzlichen Motiven im Bilde organisch zu verbinden versuchte und 
die dann in den pompejanischen Wandmalereien mit tollem Übermut 
eine ganze Welt der Unmöglichkeiten dem Betrachter entgegenführt š). 
Die Büste, die unten mit einem Blattkelch ansetzt, ist in der Kunst der 
römischen Kaiserzeit reichlich verwendet worden. Ich begnüge mich mit 
dem Hinweis auf einige Beispiele: Kopenhagen, Ny-Carlsberg Glyptothek 
Nr. 664 (Domitian) und Nr. 671 (Trajan; hier ist am Büstenfuss ein 
Akanthuskelch angebracht) usw. 

Unsere Büste kann als ein neuerlicher Beleg dafür betrachtet wer- 
den, welch starke Anziehungskraft das Erfassen fremder Völkertypen 
Me die römischen Künstler gehabt hat. Dieses lebhafte Interesse für 


y Furtwängler: Das Tropaion von Adamklissi T. VI, 1. 

2) C. Smith: Catalogue of sculpture No. 1874 Pl. XIV. 

3) Für alles Nähere kann ich auf meine Ausführungen im Jahrbuch des kais. 
deutschen arch. Instituts 1909 S. 28 ff. verweisen. 


3] Eine neue Bronzebüste eines Germanen. 279 


die charakteristischen physischen und psychischen Eigenschaften fremder 
Völkerschaften haben die Römer als eine glänzende Erbschaft der helle- 
nistischen Kunst übernommen. Allein auch dafür ist unser Germanen- 
bildnis ein schöner Beweis, dass sie dieselbe Aufgabe mit einer von der 
griechischen völlig verschiedenen Auffassung zu lösen verstanden haben. 
Haben wir in der einzigen erhaltenen hellenistishen Germanendarstellung 
eine leidenschaftliche, überaus aktiv-pathetishe Natur vor uns, so liegt 
andererseits bei den Germanenbildnissen der römischen Kunst das Haupt- 
gewicht in der klaren Akzentuierung eines ernsten, ruhigen, ethisch- 
kontemplativen Daseins. Mit diesem Gegensatze haben wir den funda- 
mentalen Unterschied berührt, der überhaupt das hellenistische und das 
römische Porträt voneinander trennt. Darauf näher einzugehen soll 
indes einer anderen Gelegenheit vorbehalten werden. 


Ergebnis meiner Wallforschung auf dem 
Breitenberge bei Striegau in Schlesien. 


Von Oberlehrer Hermann Schmidt in Löbau i. S. 
Mit 2 Textabbildungen. 


Gelegentlich meines Ferienaufenthaltes in Striegau stellte ich mir 
Michaelis 1906 die Aufgabe, den vorgeschichtlichen Wall auf dem Breiten- 
berge bei Striegau zu untersuchen. Die Erlaubnis zum Graben wurde 
mir unter der Bedingung erteilt, dass ich etwaige wichtige Funde ab- 
liefern solle. 

Aus der Broschüre „Die Striegauer Berge in naturwissenschaftlicher 
und geschichtliher Beziehung von J. Zimmermann“ (Striegau 1892), 
sowie aus Behla: „Die Rundwälle im östlihen Deutschland“, Seite 167, 
entnahm ich, dass schon oft in dem Walle geforscht wurde, und durch 
den Werkmeister des Basaltsteinbruches, Herrn Rohner, erfuhr ich, dass 
im Jahre vorher Herren vom Schlesischen Altertumsverein in Breslau 
im Walle gruben und etliche Kisten mit gefundenen Scherben mitnahmen. 

Der südliche Teil des Walles ist durch die Basalt-Steinbrucharbeiten 
längst verschwunden; die übrigen Teile werden infolge der Erweiterung 
des Steinbruches voraussichtlih demselben Schicksal verfallen. Die 
Länge des westlichen Wallarmes betrug (1906) 135 m, die des östlichen 
Armes nur noch 120 m. (Abb. 1.) 

Zufolge der Abtragungsarbeiten seitens der Steinbrecher zeigte 
der westlihe Arm eine scharfabgestochene, senkrechte Schnittwand 
von 1,85 m Höhe. Sie ähnelte vollständig den Schnittflächen, die sich 
mir in den gewöhnlichen slawischen Erdwällen (ohne Schlacken) in der 
Oberlausitz boten. Die Scherben darin trugen als Verzierung die sla- 
wische Wellenlinie. Recht deutlich zeigte sich das Kopfende eines ver- 
kohlten, 28 cm im Durchmesser haltenden Baumstammes, der in der 
Längsrichtung des Walles lag. 

Ä In dem bereits abgetragenen, zu beiden Seiten des Walles hin- 
geworfenem Erdreich lagen zwischen slawischen Scherben auch solche 
aus vorslawischer Zeit. 

Interessanter erschien mir der östliche Wallarm, in dessen Nähe 
einzelne Schlacken verstreut waren. Weil ich hier keine deutliche 
Schnittwand vorfand, grub ich mit Hilfe meines Schwiegersohnes (Prä- 
parandenlehrer Fritz Pollack) eifrig an vier Tagen einen senkrechten 
Querschnitt bis auf den Grund und zeichnete ihn genau nach Mass ab. 


2] Ergebnis meiner Wallforschung a. d. Breitenberge b. Striegau. 281 


IR 


| 
III 


I 


I 
J 


a = östliche Schnittwand. 


| 
| 


—n == 
b = westlihe Schnittwand. =s === 
d = alte verschüttete Durchstiche. =3 == 

— = — 
e = sattelartige Finschnitte. === 


JJ 


UJ 


II 
158) 


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UN 


Abb. 1. 


Grundriss des slawischen Walles auf dem Breitenberge bei Striegau in Schlesien. 


Nach einer Zeichnung von Fritz Pollack. 
Masstab 1 : 1000. 


Die Schnittfläche hatte eine Länge von 7 m und eine Höhe von 1,20 m. 
(Abb. 2.) 


I. Was ich in diesem Wallarme fand. 


1. Auf dem Grunde, also auf dem gewachsenen Boden unterhalb 
des eigentlichen Walles, lagen in einer Schicht von ca. 15 cm einzelne 


Mannus. Bd. I, H. 3;4. 19 


282 Hermann Schmidt. [3 


Scherben ohne Verzierung aus vorslawischer Zeit. (Abb. 2.) An einer 
Stelle befanden sich ziemlich viel beisammen. Leichenbrand und andere 
Funde beobachtete ich darin nicht. 

2. Die darüberliegende, meist lockere, 20 bis 25 cm starke Erd- 
schicht enthielt Asche, etliche Scherben aus slawischer Zeit, ziemlich viel 
Knochen und ein 7 cm langes Bruchstück eines eisernen Messers (an 
das Schlesishe Altertumsmuseum in Breslau abgeliefert). In dieser 
Erdschicht zeigte sich schräg nach aussen eine runde, 18 cm im Durch- 
messer haltende Höhlung, die ich für einen Fuchsgang hielt. 

3. Uber dieser zweiten Schicht erhob sich der eigentliche Schlacken- 
wall, der ganz ähnlich aufgebaut worden ist, wie man seine slawischen 
Namensvetter in der Oberlausitz errichtete. Die Basalt-Schlacken lagen 
in der Mitte des Walles und zogen sich in der Längsrichtung hin. 

Unter den Schlacken lagerten grössere, flache Steine, die mit 
einer ca. 10 cm starken Schiht dunkler Asche bedeckt waren. Die 
unversehrte Schlackenshicht hatte unten eine Breite von 1,50 m und 
eine Höhe von ca. 60 cm. Im oberen Teile waren die Schlacken 
verwühlt. 

Rechts von der Schlackenshicht zeigte sich mit ihr in gleicher 
Höhe sehr deutlih ein senkrechter, 60 cm breiter Streifen von rotge- 
glühter Erde nebst kleinen, ebenfalls rotgeglühten Steinen. Noch weiter 
rechts (nach aussen zu), bestand der Wall nur aus aufgeschüttetem, 
totem Erdreich, áhnlih wie in den Schlackenwällen der Oberlausitz. 
Als ich jedoch an dieser Stelle noch mehr vom Walle abstah, um einen 
vollständigen Querschnitt zu erhalten, stiess ih — was ich nicht er- 
wartet hatte — auf weissgeglühte Erde, über der in aschenreicher Erde 
ein 50 cm langes, 6 cm starkes, rundes Stück Kohle lag. Daneben 
und darüber kam noch verschiedenes verkohltes Holz zum Vorschein. 

Links von der Schlackenschicht suchte ich vergeblich die rotge- 
glühte Erde, wie sie sonst in senkrechtem Streifen zu beiden Seiten 
der Schlacken vorkommt. Dafür befand sich dort schräg nach oben (in 
der Richtung zum Wallkessel) ein Streifen teils weissgeglühter, teils 
rotgeglühter Erde nebst einzelnen geglühten Steinen. Weiter links 
folgte unter der inneren Wallböschung, und zwar unter grösseren Steinen, 
eine mit Asche und Kohle durchsetzte Erdschicht, die viel Knochen und 
Scherben mit der slawischen Wellenlinie enthielt, wie dies bei den 
Oberlausitzer slawischen Wällen überall zutage tritt. Auffallend waren 
einzelne Schlacken, die in der unteren Hälfte der innern Wallböschung 
mehr oberflächlich lagerten. 

Im oberen Teile war der Wall in seiner ganzen Breite 20 bis 
30 cm tief zerstört. 

Anmerkung. Weder im westlichen, noch im östlichen Wallarme war eine 
Spur von einer einst freistehenden, aus Holz errichteten, mit Erde und Steinen 
ausgefüllten sogenannten „gallischen Mauer“ zu sehen, wie solche in neuerer Zeit — 
glückliherweise nur von sehr vereinzelten Forschern — von allen Wallen, ins- 
besondere auh von den verschlackten, generalisierend angenommen wird. Wer 
jahrelang mit Hacke und Spaten unbeeinflusst in den slawischen Wällen eingehend 
geforsht und das Innere derselben mit seinen meistens recht massigen Erd- und 
Steinanhäufungen nebst den Kulturniedershlägen (Knochen, Scherben, Pflaster, 
Estrich etc.) kennen gelernt hat, der wird sich wohl niemals zu dieser Ansicht be- 


kehren lassen. Ganz abgesehen davon, dass den Slawen im 6. Jahrhundert es 
noch am Geschick und am Handwerkszeuge mangeln mochte, um gezimmerte Ge- 


4] Ergebnis meiner Wallforschung a. d. Breitenberge b. Striegau. 


rüste aufzuführen, kann ich mir nicht denken, 
dass eine aus Holzbalken hergestellte, mit 
Querriegeln versehene, mit Erde und Steinen 
ausgesetzte, mehrere Meter starke „Mauer“ (?) 
durch und durch brennt und dabei so intensiv 
glüht, dass die im Innern liegenden Steine 
schmelzen und verschlacken. Und wenn dies 
wunderbarerweise dennoch geschähe, wie er- 
klärt sich alsdann die rotgeglühte Erde zu 
beiden Seiten der ‘Schlackenschicht ? 


II. Meine Ansicht über diese 
vorgeschichtliche Stätte. 


1. Die Benutzung des Berges in 
vorslawiscer Zeit. 


Die früher auf dem Breitenberge 
gefundenen Bronzegegenstände: Pfeil- 
spitze, Nadel, Bruchstiick eines Ringes 
und Beil (Pollack: „Das prähistorische 
Gewand des Breitenberges bei Striegau“. 
— Striegau 1906 —, S. 7), sowie haupt- 
sächlich die in der untersten Erdschicht 
gehobenen Scherben aus vorslawischer 
Zeit beweisen sicher, dass der Breite- 
berg schon vor den Slawen benutzt 
wurde. Ob hier eine Siedelung war, 
wie auf dem Löbauer Berge in der 
Oberlausitz, oder ob man nur auf der 
Höhe die Toten bestattete, vermag ich 
vorläufig nicht zu beurteilen. Die unter 
dem Walle in der untersten Erdschicht 
vielfach vorkommenden Scherben ohne 
Leichenbrand lassen mich allerdings an- 
nehmen, der Berg habe in vorslawischer 
Zeit als Wohnstätte gedient. Die Toten 
würde man in diesem Falle am Ab- 
hange des Berges bestattet haben, was 
eine Notiz im Zimmermann (Seite 18) 
bestätigen könnte, welche lautet: „dass 
vor zwei Jahren (d. i. 1754) an dem 
sogenannten Breiten Berge, bei Ge- 
legenheit einiger daselbst entdeckter 
Urnen”. 

Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, 
dass man auf dem Berge wohnte und 
zugleih auf ihm die Toten begrub. 
Durch Nachgraben im Wallkessel dürfte 
man aber schwerlich hierüber Aufschluss 
finden, weil durch die spätere Benutzung 
des Berges die Humusschicht vollständig 
durchwühlt sein mag. 


283 


Abb 
Schnittwand des Walles (östlicher Arm) auf dem Breitenberge bei Striegau in Schlesien. 


19* 


Masstab 1 : 30. 


284 Hermann Schmidt. [5 ` 


Anders verhält es sich mit der untersten Schicht unter dem Wall- 
ringe, wo die Erde noch unversehrt liegt, wenigstens soweit sie nicht 
durch die Slawen beim Bau des Walles durchgraben wurde. Auf diese 
Stelle müssen die Forscher ihr Augenmerk richten, wenn volle Klarheit 
erlangt werden soll. 

Durch einen Steinwall scheint die Siedelung in vorslawischer Zeit 
nicht befestigt gewesen zu sein, wie Mertins in seinem Wegweiser durch 
die Urgeschichte Schlesiens, S. 73, annimmt; denn Spuren davon zeigten 
sich an den beiden Schnittflächen nicht. 


2. Die Benutzung des Berges in slawiscer Zeit. 


Die überall im eigentlihen Wallringe gehobenen Scherben mit 
der typischen Wellenlinie, das Bruchstück eines im unteren Teile des 
Walles gefundenen eisernen Messers und der ganze Aufbau des Walles 
bezeugen sicher, dass diese Anlage eine von den Slawen errichtete, 
befestigte Siedelung war, die durch Feuer zerstört wurde. 

Wie ich bereits im 2. Bande (1. und 2. Heft) der Jahreshefte der 
Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte der Oberlausitz dar- 
gelegt habe, denke ih mir die Entstehung einer solchen slawischen 
Wohnungsanlage folgendermassen: 

Nachdem während der Völkerwanderung die hier sesshaften Stämme 
die Gegend verlassen hatten, zogen gegen die Mitte des ersten christ- 
lichen Jahrtausends slawische Familien, bez. Sippen aus den ausge- 
dehnten Ebenen Russlands truppweise mit ihrem Vieh in das leer- 
gewordene oder höchstens nur noch sehr schwach bewohnte Gebiet ein. 

Hatte eine Familie oder eine Sippe einen ihr zusagenden, erha- 
benen, von der Natur geschützten Punkt, wie den Breitenberg, als 
Wohnplatz erkoren, so baute sie am Rande der Höhe ihre einfachen 
Hütten aus Holzstangen und Baumstämmen, zuweilen mit Lehmbewurf. 
Zum Schutze gegen die Winterkälte schüttete sie an ‘die hintere Wand, 
wie auch zu beiden Seiten, soviel Erde und Steine auf, dass die Hütte 
davon nicht nur überragt, sondern sogar bedeckt wurde. So glih die 
Wohnung einem höhlenartigen Raume, in welchem die Insassen während 
des Winters vor Kälte und bei Regenwetter vor Nässe vollen Schutz 
fanden. 

In gleicher Weise errichtete man daneben Ställe für das Vieh und 
die Räume zur Aufbewahrung der Vorräte an Getreide, Stroh usw. 
Zum Schutze gegen Wind und gegen feindlihe Überfälle wurde der 
Wall noch kreis- oder hufeisenartig fortgesetzt und nach und nach er- 
höht, so dass die Hütten nebst Ställen, Schuppen und Scheunen nach 
aussen gänzlich geschützt waren. (Weil die Erde aus der nächsten 
Umgebung genommen wurde, so ist es nicht ausgeschlossen, dass mit 
dem Erdreih auf dem Breitenberge auh Scherben aus vorslawischer 
Zeit in die Umwallung gerieten. Deshalb ist es leicht möglich, dass 
einzelne vorslawische Gefässfragmente neben solchen aus slawischer 
Zeit in den oberen Teilen des Walles gefunden werden.) 

So glich auf primitive Weise die Anlage einem abgeschlossenen 
grossen Bauernhofe oder einem Rittergute mit seinen Wohnhäusern, 
Wirtschaftsgebäuden, Hofmauern und Toren. 


6] Ergebnis meiner Wallforschung a. d. Breitenberge b. Striegau. 285 


Immerhin musste eine solme Hóhlenwohnung auf dem Breiten- 
berge ziemlich feucht sein, weil man zur Umwallung keinen trockenen 
Lehm verwenden konnte, der die Feuchtigkeit nicht durchgelassen hätte. 

Aber man verstand es, sich dadurch zu helfen, dass man das zum 
Walle verwendete Gestein und Erdreich teilweise ausglühte. 

Ob man dies in einem offenen Graben in der Längsrichtung des 
Walles hinter den eigentlihen Wohnräumen durc jenes Verfahren er- 
reichte, wie ich es im „Korrespondenz-Blatt der deutschen Gesellschaft 
f. Anthr., Ethn. u. Urgesch.“, XXXVII. Jahrg., No. 9/11 (1906) — und 
in „Die vorgeschichtlihen Rundwälle in der Amtshauptmannschaft 
Löbau i. S.“ beschrieb, oder ob die Austrocknung (Verschlackung) da- 
durch erzielt wurde, dass man im (Graben abwechselnd viel kleines 
Holz und Steine sehr locker schichtete, mit Erde bedeckte und das 
Holz entzündete — ähnlich, wie Mauersteine aus Lehm in einer Feld- 
ziegelei gebrannt werden — will ich dahingestellt sein lassen. 

Auf jeden Fall geschah die beabsichtigte Ausglühung zwischen 
Erdwänden, denn sonst würde die zu beiden Seiten der Schlacen- 
schicht lagernde Erde mit den Steinen nicht rot geglüht sein, und die 
Intensität der Farbe würde nicht allmählich abnehmen, je weiter das 
Erdreich von den Schlacen entfernt liegt. 

In dieser Beziehung unterscheidet sich der zum Teil verschlackte 
Wall auf dem Breitenberge durch nichts von den Schlackenwällen der 
Oberlausitz (Schmidt: „Die vorgescichtlihen Rundwálle in der Amts- 
hauptmannschaft Löbau i. (S.* Löbau, Olivas Buchhandlung 1909; und 
Jahreshefte der Ges. f. Anthr. und Urgesch. der Oberlausitz, Bd. I, 
S. 165— 241.) 

Wäre die Anlage auf dem Breitenberge nicht in späterer Zeit 
wiederholt benutzt und dadurch an der Oberfläche durchwühlt worden, 
so würde man sich von der Richtigkeit meiner Behauptung leicht über- 
zeugen können. | 

Nun aber ist die obere rote Schicht längst vernichtet, und sogar 
der obere Teil der Schlackenschicht ist auseinander geworfen worden. 
Deshalb wundert es mich nicht, wenn es bei Zimmermann auf Seite 19 
heisst: „Die angeschmolzenen Steine liegen nicht schichten- und reihen- 
weise, wie bei einer Mauer, sondern sind ganz regellos im Walle auf- 
gehäuft“. 

Bei weiterem Abbau des verschlackten Teiles wird der aufmerk- 
same Beobachter die geglühte Erde zu beiden Seiten der unver- 
sehrten Schlackenschicht leicht finden. 

. Dass an dem Querschnitt, den ich grub, das geglühte Erdreich 
links nicht senkrecht stand, sondern sih nach oben schräg zum Wall- 
kessel zog, erkläre ich mir so: bei der Einäscherung des Wohnraumes 
gab die schwache Wand zwischen Hütte und Schlackenschicht nach und 
neigte sich nebst den Schlacken in der Richtung zum Wallkessel. 

Die zutageliegenden Schlacken an der inneren Wallböschung sind 
keinesfalls an der Stelle entstanden, wo sie jetzt liegen, sondern sind 
von der Wallkrone aus dorthin verwühlt worden. 

In den Wällen der Oberlausitz fand ich, dass sich die Wohnräume 
stets nur an die innere Seite des Wallringes lehnten; auf dem Breiten- 
berge scheint jedoh — wenigstens an der Stelle, wo ich rechts von 


286 Hermann Schmidt. [7 


der Schlackenmauer auf Asche, Kohle und weissgeglühte Erde stiess — 
ein Wohnraum auch nach aussen gelegen zu haben. 

Die Herdfeuer brannten in den slawischen Wällen im Freien, in 
der Mitte des Wallraumes, wo man für gewöhnlich die Scherben der 
beim Kochen zerbrochenen Gefässe in grosser Zahl findet. Weil auf 
dem Breitenberge an denselben Stellen wahrsceinlih schon in vor- 
slawisher Zeit gekocht wurde, so ist es selbstverständlich, dass hier 
vorslawische und slawische Scherben durcheinander gefunden werden. 

Das Wasser entnahmen die Burgwallbewohner einer brunnen- 
artigen Vertiefung, die sie an der tiefsten Stelle des Wallkessels in den 
Felsen gruben. Auf dem Breitenberge ist dieses tiefe Wasserloch bereits 
vor einer Reihe von Jahren dem Steinbruche zum Opfer gefallen, wie 
mir ein Herr aus Striegau mitteilte, und wie es Zimmermann auf Seite 31 
andeutet. 

Zimmermann berichtet auf Seite 19 seiner Broschüre, dass im 
Walle zwei gut erhaltene kleine Näpfchen gefunden wurden, wovon das 
eine zur Hälfte mit angebrannten Gerstenkórnern gefüllt war. Hieraus 
ist zu schliessen, dass die slawischen Bewohner des Breitenberges 
Ackerbau trieben, wie dies von den Burgwallbewohnern der Oberlausitz 
zufolge der wiederholten Getreidefunde bekannt ist. 

Als der Breiteberg im Laufe der Zeit durch das Anwachsen der 
Sippe nicht mehr genügenden Platz bot, verliessen einzelne Familien 
den Wall und bauten sih im Tale an einem Fusse an, woselbst sie 
ihrer Hauptbeschäftigung, der Viehzucht und dem Ackerbau, bequemer 
nachgehen konnten, und als durch Zufall oder in kriegerischer Zeit die 
hölzernen Wohnungen im Walle niederbrannten, verliessen auc die an- 
deren Wallinsassen den erhabenen Ort und siedelten sich ebenfalls im 
Tale an, wodurch allmählich die slawischen Dörfer entstanden. 

Infolge des Feuers stürzten die mit Erdreich bedeckten höhlen- 
artigen Hütten im Walle ein. Erde, Steine, Kohle und Asche bedeckten 
nun die eingeäscherte Wohnstätte. 

Alles, was sie an Wirtschaftsniederschlägen verwahrte, erhielt sich 
unter der trockenen Erdschicht auf dem Grunde des Walles, weshalb 
bei vorsichtigem Abtragen des aufgeschütteten Wallringes unter der 
inneren Wallböschung nicht nur Scherben und Knochen, sondern auch 
eiserne Geräte, Spinnwirtel etc. gefunden werden dürften. 

Beim bisherigen Abtragen des Walles mag schon mancher eiserner 
Gegenstand achtlos weggeschaufelt worden sein, weil man ihn mit seinem 
gelbbraunen, dicken Oxydüberzuge für geglühten Lehm hielt. Wollten 
doch die beiden Herren, welche zugegen waren, als ih das Bruchstück 
eines eisernen Messers fand, durchaus nicht glauben, dass es Eisen sei. 
Um sie von meinem Funde zu überzeugen, blieb mir weiter nichts 
übrig, als den Rost an der einen Stelle vorsichtig bis auf den eisernen 
Kern abzuschaben. 

Wie ich von den Burgwällen der Oberlausitz annehme, dass sie 
in der Zeit vom 6. bis 8. Jahrhundert erbaut und benutzt wurden, so 
bin ih auch betreffs des Walles auf dem Breitenberge der Ansicht, 
dass seine Errichtung und Benutzung in diesen Zeitraum fällt. 

Ist meine Annahme richtig, dass sich die Slawen bei ihrer Ein- 
wanderung befestigte Wohnungen auf Höhen anlegten und erst später 


ee ma 


8] l Ergebnis meiner Wallforschung a. d. Breitenberge b. Striegau. 287 


von dort aus die Täler an den Flussläufen besiedelten, so haben wir 
reichlich Stoff, um uns ein Bild von dem Kulturzustande während der 
ersten Jahrhunderte der rein slawischen Besiedelung Schlesiens (und 
der Oberlausitz) zeichnen zu können und sind nicht mehr auf Vermu- 
tungen angewiesen, wie Mertins (Seite 126) schreibt. 


3. Die Benutzung des Berges im Mittelalter. 


Auch im Mittelalter scheint der Breiteberg als Wohnplatz gedient 
zu, haben; denn die auf dem Berge gehobenen, im Breslauer Alter- 
tumsmuseum aufbewahrten Eisensahen deuten darauf hin, «wie Axt, 
Sporn, Pfeilspitze und Stück eines Hufeisens (Pollack, S. 8). 

Ebenso bieten die von Zimmermann (S. 19) erwähnten Brakteaten, 
sowie die meissnischen und böhmischen Groschen Belege dafür. 

Obgleich ich keine Scherben aus dieser Zeit hob, so ist doch nicht 
ausgeschlossen, dass solhe schon gefunden wurden oder noch zum 
Vorschein kommen werden. 

(Die von Zimmermann (S. 19) angeführten menschlichen Skelette 
nebst den eisernen Lanzenspitzen geben keinen Anhalt für die Zeit- 
bestimmung, weil die genaue Angabe der Fundstelle nicht bekannt ist). 


4. Die Benutzung des Berges in späterer Zeit. 


Der Breiteberg hat nicht nur in vorgeschichtlicher Zeit und während 
des Mittelalters eine besondere Anziehungskraft auf die Menschen ausge- 
übt, sondern er lockte auch in späterer Zeit die Bürger Striegaus herbei. 

Befand sich doch — nach dem Berichte Zimmermanns (Seite 30) — 
im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts auf ihm eine kleine Bergrestau- 
ration in Gestalt eines Sommerhauses nebst einer Kegelbahn und 
Lindenallee. 

Für den gewissenhaften Forscher ist es nicht unwesentlich, dass 
er auch davon Kenntnis nimmt, weil ihn sonst etwaige Funde von 
Resten jener Anlage zu falschen Schlüssen verleiten können. 


Ergebnissätze. 


1. Schon in vorslawischer Zeit wurde der Breiteberg benutzt und 
zwar allem Anscheine nach als Wohnplatz. (Von einer Umwallung aus 
jener Zeit ist keine Spur vorhanden.) 

2. Um die Mitte des ersten dhristl. Jahrtausends erwählten die 
zuerst in Schlesien eingewanderten Slawen den Berg als Wohnstätte, 
bauten auf ihm am Rande ihre höhlenartigen Erdhütten und errichteten 
dadurch den Wall, den sie teilweise verschlackten, um trockene Wohn- 
räume zu erhalten. 

3. Auch im Mittelalter scheint der Berg bewohnt gewesen zu sein, 
weil aus jener Zeit Eisensachen und Münzen gehoben wurden. 

4. Am Anfange des 19. Jahrhunderts befand sich auf ihm eine 
kleine Bergrestauration nebst einer Kegelbahn und einer Lindenallee. 
— — Auf jeden Fall bietet der Breiteberg für den Altertumsforscher ein 
äusserst interessantes Arbeitsfeld, und es ist erfreulich, zu hören, dass 
sih die Direktion des Schlesischen Altertumsvereins die weitere Er- 
re ung dieser vorgeschichtlihen Stätte zur besonderen Aufgabe ge- 
stellt hat. ` 


Vorgeschichte 
des Dorfes Beierstedt bei Jerxheim. 
Von Th. Voges, Wolfenbüttel. 


Nicht Klosterurkunden und Stiftschroniken, auch nicht Orts- und 
Flurnamen bilden die einzigen Quellen für die älteste Geschichte unserer 
Dörfer, bedeutsamer noch sind die vorgeschichtlihen Altertümer, die 
der Boden getreulich bewahrt hat, die Steingeräte und Bronzesachen, vor 
allen die schlichten Urnen mit ihren Beigaben. Alles dies sind zwar un- 
scheinbare und geringfügige Gegenstände, aber als gleichzeitige und un- 
anfechtbare Zeugen für uralte Siedelungen unersetzlih. Längst haben 
darum diese Reste aus der Vorzeit Beachtung gefunden, und mancher 
eifrige Sammler hat wertvolle Schätze zusammengebracht. Wenige Orte 
gibt es im braunschweigischen Lande, die, was die Zahl der vorgeschicht- 
lichen Funde anbetrifft, sich mit Beierstedt messen können. Dies Dorf, 
zum Amte Schöningen gehörig, liegt am südlichen Fusse des Heeseberges, 
und seine Feldmark erstreckt sih bis zum Grossen Bruce hin, das von 
der Ilse und Oker bis zur Bode reicht. Nicht die Stätten, die bereits 
in vorkarolingischer Zeit genannt werden, wie Ohrum und Schöningen, auch 
nicht die Dörfer, deren Name allein schon auf die uralte Zeit hinweist, 
wie Wittmar oder Salzdahlum, haben solchen Reichtum an vorgeschicht- 
lichen Fundstücken aufzuweisen wie Beierstedt, und selbst die Orte, 
deren Feldmarken längst als ergiebige Sammelstátten solcher Sachen 
gelten, wie Lelm, Halchter und Lauingen, bleiben doch in dieser Beziehung 
weit hinter Beierstedt zurück. Es ist das Verdienst des Herrn A. Vasel, 
dass sein Heimatdorf heute so bedeutsam dasteht. Zu Ende des Jahres 
1888, als er neben Kunstwerken und Altertimern auch vorgeschichtliche 
Gegenstände zu sammeln begann, waren solche wohl aus den benachbarten 
Dörfern Watenstedt und Jerxheim bekannt, von der Beierstedter Flur 
war bis dahin nur eine Steinaxt und eine römische Emailperle vorhanden. 
Doch wussten sich die älteren Bewohner dort noch zu erinnern, dass 
in den sechziger Jahren beim Rübeneinmieten auf einem Acker west- 
lich vom Dorfe ein Steinkistengrab entdeckt worden war. Innen lag ein 
Skelett, neben welchem einige Tongefässe standen, auch zwei Stein- 
geräte waren beigegeben; ausserdem soll noch ein Bronzeschwert mit 
im Grabe gelegen haben. Niemand wusste freilih, wo diese Sachen 
geblieben waren, niemand sonst kannte Steingeräte oder Bronzesachen. 


2] Vorgeschichte des Dorfes Beierstedt bei Jerxheim. 289 


Das wurde nun bald anders, als Herr Vasel sein Augenmerk auch auf 
dieses Gebiet lenkte. Heute liegen in seinen Schränken wohl an 70 
Steingeräte, die auf Beierstedter Feldmark aufgenommen wurden. An 
Einzelfunden aus Bronze sind freilih nur 3 Stück vorhanden, wie ja 
denn im nordharzishen Hügellande die Metallsachen überall in der 
Minderheit bleiben. Dazu kamen nun aber sehr bald die für die Kultur- 
geschichte des Landes so wichtigen Gräber mit ihrem Tongesdhirr, ihren 
Bronze-, Eisen- und Glasbeigaben. An drei Stellen in der Nähe des 
Dorfes sind Skelettgräber der frühen Bronzezeit aufgedeckt oder doch 
wenigstens gespürt worden. Auf dem Sandberge, östlich vom Orte, liegt 
ein Plan des Herrn Vasel. Hier wurde in einem Steinlager neben 
einem Skelett eine Säbelnadel und ein offenes Manschettenarmband 
aufgenommen, dazu fand sich hier ein zierlimes Henkelgefäss, eine Tasse 
vom Aunjetitzer Typus. Die zweite Stelle liegt westlich vom Dorfe auf 
dem Kleinen Höckels, das Ackerstück heisst „Am Holzwege“ und gehört 
dem Ackermann Herrn W. Lohl. Auch hier kamen drei Gefässe zutage, 
die dem genannten Formenkreise angehören. Die dritte Stelle liegt im 
Westen nahe am Dorfe und zugleih an der Soltau, das Feld heisst 
„Im Möhlensdale“; sein Besitzer ist der Ackermann Herr H. Giltner. 
Es lieferte eine Tasse, wiederum von Aunjetitzer Art. 


Aus der Hallstattzeit stammt dann das Urnenfeld, das westlich 
vom Dorfe auf dem Groten Höckels liegt, einer Erhebung, die jetzt 
Kleiberg, ehemals aber auch Hakelberg genannt wurde. Der Plan ge- 
hört dem Ackermann Herrn Fr. Siemann. Der Friedhof hier erstreckt 
sich von Süden nach Norden in einer Länge von etwa 66 m; er ist unge- 
fähr 30 Ar gross und enthielt 68 Gräber, deren weitaus grösste Zahl 
aus Steinkisten mit Steinpackung nach Art der Gräber von Villanova 
und Bismantova bestand. Es wurden aus ihnen etwa 75 Gefässe nebst 
Schmucknadeln, Armringen, Messern aus Bronze erhoben; Eisen war 
nur ganz wenig vorhanden, dagegen fanden sich Perlen in nicht geringer 
Zahl. Wahrsceinlich ist dies Gräberfeld noch grösser, denn 30 Schritte 
westlich wurde später noch eine Kiste mit Steinpackung entdect, die 
eine doppelt gehenkelte Urne enthielt 5. - 


Ausser den Steinkisten auf dem Groten Höckels haben sich 
auffallenderweise auch Gräber an solchen Orten. gefunden, wo man 
solche gar nicht vermutete. Oben auf dem Heese stand im Abraume 
des Müllerschen Steinbruches ein grosser Topf, in dem sich ein Napf 
befand, der wiederum einen kleinen Becher umscloss. Es sind dies 
Gefässe der Hallstattzeit, wahrscheinlih war es eine Urne mit Bei- 
gefässen. 

Ausserdem wurde altes, zerbrochenes Geschirr gefunden unten auf 
dem Haferkampe, einem Plane, dicht vor den Wiesen des Grossen 
Bruches, der ehemals sumpfiges Gelände war. Erhalten ist ein flacher 
Napf, der jedoch zu wenig ausgesprochene Merkmale hat, um ihn einer 
bestimmten Zeit zuweisen zu können. Gewiss hat auch hier eine Sie- 


1) Einige Urnen und Beigefässe nebst Bronze- und Eisenbeigaben sind ab- 

gebildet in der Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde, Jahr- 
ang XXVII (1894) Tafel I—IV. Die Fundstücke hat Herr A. Vasel dem Herzogl. 
useum zu Braunschweig überwiesen. 


290 Th. Voges. [3 


delung bestanden. Was den Beierstedter Funden einen ganz besonderen 
Wert verleiht, ist dies. Die Gräber, die man auf den Feldmarken 
anderer Dörfer unseres Landes geöffnet hat, stammen — auch selbst 
wenn sie in grösserer Zahl vorhanden sind — immer nur aus einer 
einzigen Periode; so gehören die Urnen von Lauingen nur der Laténe- 
Zeit an, während das Gräberfeld von Lelm-Rábke in das dritte und 
vierte nachdhristlihe Jahrhundert gewiesen werden muss. Die Funde 
von Beierstedt dagegen stammen, wie schon angedeutet wurde, aus ver- 
schiedenen Zeiten. Die zahlreichen Steingeräte sind meist neolithisch, 
und da sie sich auf der ganzen Feldflur zerstreut vorfanden, so darf 
man wohl daraus schliessen, dass die Leute der Steinzeit noch keine 
geschlossene Ortschaft bewohnten, sondern dass ihre Köten vereinzelt 
hier und da lagen. So wird es auh noch in der frühen Bronzezeit 
gewesen sein, da ja, wie bereits bemerkt, die Gräber sich an drei ver- 
schiedenen Stellen befanden, deren Entfernung voneinander die An- 
nahme eines gemeinsamen Friedhofes ausschliesst. So beträgt der 
Zwischenraum zwischen den Gräbern auf dem Sandberge und dem am 
Holzwege 1340 m, und dieses ist von der Fundstelle auf dem Giltnerschen 
Acker an der Soltau ungefähr 240 m entfernt. Dagegen liegen die 
68 Gräber auf dem Groten Höckels so dicht beisammen, dass sie einen 
gemeinsamen Friedhof gebildet haben, und dieses Gräberfeld legt den 
Gedanken nahe, dass unweit dieser Stätte schon zur Hallstattzeit ein 
Dorf mit aneinander geschlossenen Höfen bestanden hat. Es kann kaum 
ein Zweifel darüber sein, dass diejenigen, deren Brandreste hier Grab 
an Grab beigesetzt sind, auch im Leben nadbarlih beieinander ge- 
wohnt haben, Hof an Hof. Und bei der geringen Entfernung dieses 
Gräberfeldes vom letzten Gehöfte des Dorfes — es sind 397,5 m — 
ist anzunehmen, dass dies Hallstatt-Dorf da gelegen hat, wo heute 
Beierstedt liegt. Die Stätte war mit Umsicht gewählt und bot den 
Siedlern mancherlei Vorteile. Im Rücken erhob sich der Hees, der 
ehemals wohl bewaldet war, wie es andere benachbarte Höhen nod 
jetzt sind'). An seinen Abhángen breiteten sich fruchtbare Ackerflachen 
aus, und Quellen lieferten .für Menschen und Vieh Wasser?). Anger 
und Weiden, die sih zur Niederung hinabzogen, boten den Herden 
gute Weide. In zahlreihen Windungen zog die Soltau dahin, und das 
sumpfige Gelände dieses Baches war in Verbindung mit dem nahen 
Bruche ein wirksamer Schutz gegen plötzliche Überfälle von Süden her. 
Wie dies Hallstattlorf hiess, weiss niemand, sein Name ist für immer 
verschollen; auch Spuren und Anzeichen der einstigen Bewohnung haben 
sich nicht erhalten, kein Herd, kein Kiichengeschirr, kein Hausgerát. 


1) Dass der Hees früher mit Gehölz bedeckt war, darf vielleiht schon aus 
dem Namen geschlossen werden; von Leo, Müllenhoff und Walther wird das Wort 
als Wald, Bush und Gestrüpp erklärt. R. Andree, Braunschweiger Volkskunde ?, 
S. 99. Übrigens trug der Hees ums Jahr 1803 noch Buschwerk. Hassel u. Bege, 
Beschreibung der Fürstentümer Wolfenbüttel und Blankenburg Il, 86. Dagegen hat 
der Holzweg westlich vom Dorfe damit nichts zu tun; den Weg benutzen die Beier- 
stedter, wenn sie aus dem Elme Holz holen wollen. 

2) Früher entsprang eine Quelle am Südabhange des Heeseberges, deren 
Wasser durch das Dorf floss. Um das Jahr 1850 gab es im Orte selbst, so vor dem 
Vaselshen Hofe, noch mehrere Quellen. Eine speiste den Teich, der im Südosten 
des Dorfes lag. 


| 4] Vorgeschichte des Dorfes Beierstedt bei Jerxheim. 991 


Der Grund und Boden, wo die alten Köten gestanden, ist ja auch nicht 
in Ruhe geblieben, Brandschutt hat ihn überlagert, und Keller wurden 
angelegt. 

Ausser dem Dorfe mit seinen dicht aneinander gerückten Höfen 
mögen wohl vereinzelt hier und da sowohl in der Höhe am Berge, wie 
in der Tiefe am Bruche noch Siedelungen vorhanden gewesen sein, wie 
die Funde auf dem Heese und auf dem Haferkampe anzudeuten scheinen. 


Wie lange dies Hallstattdorf an der Soltau bestanden hat und ob 
es noch in den folgenden vorgescichtlihen Zeiträumen bewohnt ge- 
wesen ist, wissen wir nicht, wenigstens vorläufig nicht. Der Friedhof 
auf dem Groten Höckels hat nur Altertiimer, die der Hallstattzeit an- 
gehören, Laténe-Sachen fehlen. Solche sind weder hier noch sonst wo 
auf der Feldmark gefunden. Sind die Bewohner ausgewandert, oder 
haben sie die Brandreste ihrer Toten anderwärts eingesenkt? Sind die 
Gräber aus den folgenden Perioden, wie ja so häufig geschehen ist und 
noch immer geschieht, zerstört oder stecken sie noch irgendwo verborgen 
in der Erde? Wenn aber auch die nächstfolgenden Zeiten stumm und 
leer sind, so ist doch schwerlich die Stätte unbewohnt geblieben. Kärg- 
liche Anzeichen liegen vor, dass in römischer Zeit doch hier Siedelungen 
vorhanden waren. So wurde auf dem Giltnershen Acer, wo das 
Henkeltöpfchen der frühen Bronzezeit gelegen hatte, der Fuss eines 
römischen Bronzegefässes oder eines Kandelabers gefunden, und auf 
den Feldern lagen hier und da zerstreut Glas- und Emailperlen aus 
römischen Fabriken. Ferner fanden sich wiederholt Wirtel, deren 
Form ebenfalls auf die römische Kaiserzeit hinweist. Aus der Völker- 
wanderungszeit und den letzten Jahrhunderten vor dem grossen Sachsen- 
kampfe ist dann gar nichts mehr vorhanden, kein Gesdhirr, keine Fibel, 
keine Waffe. 

Plötzlich, ohne dass vorher der Name des Dorfes in Chroniken 
und Annalen genannt wird, taucht in den klösterlihen Urkunden der 
Name Begerstede auf; es ist eins der bedeutsamsten Dokumente, 
worin er zuerst verzeichnet ist. Die Markgräfin Gertrud, die Brunonin, 
stiftete 1115 das Agidienkloster zu Braunschweig und begabte es u. a. 
mit zehn Hufen in Begerstede'). Zwölf Jahre später wird es aber- 
mals und zwar villa Beyerstede genannt). Wenngleich nun erst 
damals das Vorhandensein von Beierstedt urkundlich bezeugt wird, so 
ist es doch als Dorf gleichen Namens weit älter. Nach Arnold stammen 
die Orte, die auf -statt ausgehen, aus dem 5. bis 8. Jahrhundert 3). 
Ein Mann, dessen Name Begheri oder ähnlich lautete, erscheint als 
sein Gründer oder — wie man jetzt wohl richtiger sagen muss — als 
der Wiederhersteller des Dorfes. Wer vor etwa einem Menschenalter 
die Geschichte von Beierstedt in der Art der früheren Ortschroniken hätte 
schreiben wollen, würde gewiss mit dem Jahre 1115, allenfalls mit 
der Gründung der Dörfer, deren Namen auf -stedt ausgehen, ange- 


1) Urkunde des Kaisers Lothar vom Jahre 1134. Orig. Guelficae Il, 519. 

3) Urkunde Herzog Heinrih des Löwen für das Kloster Riddagshausen. — 
Ich verdanke diese Nachricht gütiger Mitteilung des Herrn Geheimen Archivrates 
Zimmermann. š 

3) W. Arnold, Studien zur Deutschen Kulturgeschichte. S. 71. 


292 Th. Voges. ;5 


fangen haben; heute müsste der Verfasser nicht nur die Gründungszeit 
dieser Siedelungen, also die letzten vier Jahrhunderte der vorgeschicht- 
lichen Zeit ins Auge fassen, wiewohl ja ausser dem Ortsnamen nichts 
weiter vorliegt, sondern audh, trotz der noch vorhandenen Lücken, bis in die 
Bronze- und Steinzeit zurückgehen. Somit würde die Geschichte des 
Dorfes keine acht Jahrhunderte, sondern fast 4000 Jahre umfassen. 
Dabei unterliegt es kaum einem Zweifel, dass die Zwischenräume in 
` der Besiedelungszeit, die jetzt noch stumm und leer sind, dereinst zum 
Reden gebracht werden. Sind ja doch erst etwa 20 Jahre vergangen, 
seitdem hier gesucht und geforscht wird, und darum darf man wohl 
hoffen, dass diese Lücken bei einiger Aufmerksamkeit noch ausgefüllt 
werden. Sollten sich aber wirklich die Gräber der Laténe-Zeit und der 
römischen Periode nicht mehr nachweisen lassen, so ist das Fehlen 
dieser Altertümer noch immer kein Beweis für die Verödung des Dorfes 
und für die Wüstenei seiner Feldmark. Aus der Vólkerwanderungszeit 
sowohl wie auch aus der altsámsishen Zeit kann, wie bemerkt, auch 
nichts aufgewiesen werden, trotzdem doch nach der Ortsnamenforschung 
das Dorf damals schon bestand. Aber auch selbst für den Fall, dass 
die Bewohner auszogen, um sich anderswo neue, bessere Wohnsitze 
zu suchen, dass sie mitgerissen wurden von der Wanderlust, die Ge- 
schlechter und Stämme ergriff, so werden die verlassenen Köten nicht 
lange leer gestanden haben. Soweit der Blick zurückgeht in die Ge- 
schichte des Vaterlandes: zu allen Zeiten sind die Gaue bevölkert ge- 
wesen, und der Landhunger hat es nicht dazu kommen lassen, dass 
das mit Mühe urbar gemachte Land wieder vom Walde in Besitz ge- 
nommen wurde; neue Einwanderer haben die ehedem bewohnten Stätten 
aufgesucht und sich die Arbeit ihrer Vorgänger zu nutze gemacht. 

So steht also das Dorf, das von jenem Begeri nicht gegründet, 
sondern nur nach ihm genannt wurde, nicht auf neuem von ihm und 
seinen Leuten der Waldwildnis abgerungenem Boden, es war vielmehr altes 
Kulturland, das sie bebauten. Diese Erscheinung trifft aber auch noch bei 
anderen Orten zu, die auf -stedt ausgehen. Von braunschweigischen Orten 
mögen hier nur Watenstedt und Emmerstedt genannt sein. Ein Gleiches 
gilt von Silstedt bei Wernigerode, von Ober-Wiederstedt im Mansfelder 
Gebirgskreise und von Nienhagen, dem alten Bode-Sargstedt an der 
Holzemme 3). 

Viele der bei diesen auf -stedt ausgehenden Dórfern gefundenen 
Gegenstánde sind nicht das Ergebnis planmássiger Ausgrabungen, sondern 
nur durch Zufall ans Licht gekommen. Wenn aber dereinst in und bei 
den Dörfern, wo sonst wohl Scherben vorgescichtlicher Gefässe gespürt 
wurden, sorgfältige Nachforschungen angestellt werden, so wird sich in 
noch mehr Fällen zeigen, dass auch noch andere dieser auf -stedt aus- 
gehenden Orte keineswegs Anlagen auf eben erst gerodetem Waldlande 
sind, sondern im längst offenen Gelände liegen. Auch die Dörfer, deren 
Name ein -heim, -um usw. enthält, sind weit älter, als man gewöhnlich 
annimmt. Er ist genau so, wie bei vielen Leben- und Büttel-Dörfern, 
die durchaus nicht die ersten und ältesten Ansiedelungen an der Stätte 


1) Über Nienhagen vergl. meinen Aufsatz in der Jahresscrift für die Vorge- 
schichte der sächsisch.-thüring. Länder VII (1908) S. 17. 


6] Vorgeschichte des Dorfes Beierstedt bei Jerxheim. 295 


sind, die jetzt ihren Namen trägt. Jene Fremdlinge, deren Name noch 
im Bestimmungsworte der Dorfnamen steckt, haben ihre Häuser auf 
den Schutthaufen verlassener Köten errichtet, sie haben den Boden bebaut, 
der längst gerodet war!). Die Siedelungskunde darf also nicht mit der 
Frage nach der Bedeutung des Ortsnamens und der Zeit seines Auf- 
tretens einsetzen, sondern muss mit der Erforschung der vorgeschicht- 
lichen Grabstätten beginnen; sie soll nicht nur die ältesten Namensformen 
aus Chroniken und Pergamenten aufsuchen, sondern die noch viel älteren 
Urkunden, nämlich die Urnenfriedhöfe, aufdecken, und so das Vorhanden- 
sein von Dörfern nachweisen, deren Name freilich verklungen und un- 
wiederbringlich verloren ist. 


1) Th. Voges, Vorgescichtlihe Siedelungen im nordharzischen Hügellande. 
Jahrbuch des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig (VI) 1907. S. 9. 27. 


lI. Aus Museen und Vereinen. 


Das Museum des Kunst-, Kunstgewerbe- 
und Altertumsvereins 
für den Regierungsbezirk Coblenz. 
Von A. Günther, Coblenz. 


Das Museum des Vereins befand sich bisher in dem der Stadt 
gehörigen alten Schöffenhause, einem architektonisch merkwürdigen Ge- 
bäude, dessen zwar schöne und stimmungsvolle Räume aber seit langem 
für die Unterbringung der Sammlungen nicht mehr ausreichten. Schon 
seit Jahren hatte daher der Verein sein Augenmerk auf die Erlangung 
weiterer Räume in dem anstossenden alten Kaufhause gerichtet, das 
durch die Errichtung eines Neubaues für das dort untergebrachte städtische 
Realgymnasium im Jahre 1907 frei wurde. Dank der Unterstützung 
bewährter Gönner und dem Entgegenkommen der Stadtverwaltung wur- 
den ihm für seine Zwecke die Erdgeschossräume und die darunter 
liegende grosse gewölbte Halle überlassen. Letztere, zurzeit noch an- 
derweitig benutzt, wird jedoch erst im nächsten Frühjahr dem Verein 
übergeben werden können und soll dann zur endgiltigen und ausschliess- 
lichen Unterbringung der Altertumssammlungen dienen. 

Es galt also im Berichtsjahre zunächst die Erdgeschossräume den 
Zwecen des Vereins dienstbar zu machen. Ursprünglich bildeten diese 
Räume einen einzigen Saal von etwa 25 m Länge und 13 m Tiefe, 
dessen Decke von zwei mächtigen Steinpfeilern mit Eichenholzbügen ge- 
tragen wurde, durch Einziehen von Wänden aber in eine Anzahl Räume 
getrennt war. Das Gebäude selbst wird schon im Jahre 1388 als das 
sogenannte „Neuwehuys“, „ein gestolze gemacht“ erwähnt und diente 
für offentlihe Zwecke als Kauf- und Versammlungshaus. Seit dem 
Jahre 1480 sollte es nur noh dem Handel mit wollenen Tüchern und 
Körnerwaren dienen, während für leinene Tücher, für die Aufstellung 
der städtischen Wage, für Flachs- und Fettwaren ein anderes Kaufhaus 
gebaut wurde. Von vornherein war es aber auch die „gewöhnliche Ge- 
richtsstätte“, wo die Schöffen ihre Sitzungen abhielten und ihr Urteil 
sprachen ?). 


1) Archivrat Richter in der Cobl. Zeitung vom 3. März 1905. 


HI. Aus Museen und Vereinen. 295 


Als Wahrzeichen der Stadt ist an dem Turme unter der Uhr ein 
bärtiger Ritterkopf, „der Mann vom Kaufhaus“, angebracht, der nach 
der Pendelbewegung die Augen rollt und mit jedem Stundenschlage den 
Mund aufsperrt und die Zunge streckt. Für das Schöffengericht wurde 
1530, unter Kurfürst Richard v. Greiffenklau, ein besonderes Bauwerk, 
das bisher vom Verein benutzte Schöffenhaus, aufgeführt, ein noch in 
spätgotischem Charakter mit Renaissance-Anklángen errichtetes Gebäude 
mit schönen Netzgewölben und prachtvollem Erker. 

Dieses Gebäude hatte im Jahre 1889 der um seine Vaterstadt 
hochverdiente Ehrenbürger, Herr Geheimer Kommerzienrat Jul. Wegeler, 
langjähriger Vorsitzender und Ehrenmitglied des Vereins, auf seine 
Kosten instand setzen und für die Zwecke des letzteren herrichten lassen. 
Jetzt übernahm er in ebenso hochherziger und freigebiger Weise auch 
die Wiederherstellung des Saales im alten Kaufhause, die in gediegenster 
Weise zur Ausführung gelangte. Der Verein glaubte sich daher und 
für seine so oft bewiesene tatkräftige Unterstützung zu ganz besonderer 
Dankbarkeit verpflichtet und versuchte dieser durch Beschaffung und 
Anbringung, einer vom Bildhauer Wildermann in Cöln gefertigten Bronze- 
plakette mit dem Bildnis des Herrn Geheimrats in dem neuen Saale 
dauernden Ausdruck zu geben. 

Die Eröffnung des Saales fand in feierlicher Weise am 16. Mai d. J. 
in Gegenwart der Vertreter der Stadtverwaltung und vieler Mitglieder 
des Vereins statt. Der stellvertretende Vorsitzende, Herr Stadtbaurat 
Maeckler behandelte in einer längeren Festrede die Geschichte des Vereins, 
der im Jahre 1908 auf eine 25jährige erfolgreihe Tätigkeit zurück- 
blicken konnte *). Hieran schloss sich ein Rundgang durch die Samm- 


lungen unter Führung des Unterzeichneten. 


Zurzeit ist die Einteilung und Benutzung der Räume folgende: 

Im Erdgeschoss des Schöffenhauses: Im vorderen Raume die ethno- 
logische Sammlung des + Admirals Deinhard (Geschenk des Geheimen 
Kommerzienrat Wegeler), nebst einer Ausstellung mittelalterliher und 
neuzeitliher Keramik von Coblenz und Umgebung; 

im hinteren Zimmer: Bibliothek und Vorstandszimmer. 

In den beiden Räumen des Obergeschosses: Kunstgewerbliche 
Gegenstände verschiedener Zeitalter und Länder und Römische Funde 
der Umgebung von Coblenz: Cobern-Gondorf, Urmitz, Andernach, 
Plaidt und aus den Limes-Kastellen Heddesdorf und Niederberg. 

In dem neuen Saale des Kaufhauses ist die Nordseite für die 
Ausstellung von Gemälde- und Kunstwerken vorbehalten, auf der Süd- 
seite sind einstweilen die vorgeschichtlichen, römischen und fränkischen 
Fundstücke aus Coblenz und der näheren Umgebung ausgestellt. Ausser- 
dem birgt der Kellerraum des Schöffenhauses eine Anzahl römischer Skulp- 
turen, Meilensteine und Reste der römischen Moselbrücke aus Coblenz. 

Das Museum erfreute sich eines anhaltend guten Besuches und 
erwarb sich, da es seine Sammeltatigkeit in bezug auf Altertiimer auf 
die engere Umgebung, also Stadt- und Landkreis Coblenz, beschränkt 


1) Als Festgabe aus diesem Anlasse wurde den Mitgliedern das fast aus- 
schliesslich von Angehörigen des Vereins bearbeitete Heft „Coblenz“ des Rheinischen 
Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz überreicht. 


296 HI. Aus Museen und Vereinen. 


und ein möglichst vollständiges Bild der kulturgeschichtlihen Entwicke- 
lung der engeren Heimat zu geben bemüht ist, in weiteren Kreisen 
Anerkennung und Unterstützung. So wurden ihm mit freundlicher Hilfe 
des Herrn Gymnasialdirektor Dr. Weidgen die bisher im Königlichen 
Gymnasium aufbewahrten alten Skulpturen aus Coblenz, darunter das 
bekannte Grabmal des Vebeius oder Ubceius und der den Kreuzweg- 
göttern Quadriviis gewidmete Stein des Publicanen C. Crisp. Cladaeus 
überwiesen; die Gemeinde Arzheim stellte einen Grabfund der letzten 
Latene-Zeit, bestehend in mehreren Tongefässen, Eisenschwert, Lanze, 
Eisenfibel und einfachem Bronzereif mit dicker Glasperle zur Verfügung; 
aus Vallendar erhielt es mehrere Hallstatt-Gefässe, aus dem Coblenzer 
Stadtwald eine Urne der jüngeren Bronzezeit mit Scherben anderer 
Gefässe und den Resten eines Bronze-Armringes, von Herrn Apotheker 
Kiefer zwei römische Urnen (Ende des |. Jahrhd.) von seiner Baustelle 
am Moselweisser Weg; von den Erben des verstorbenen Herrn Ge- 
heimrat Mütze mehrere bronzezeitlihe Gefässe aus Rhens, römische 
Funde aus Urmitz usw. 

Aber auch finanzieller Unterstützung erfreute sih das Museum 
und freiwillige Beiträge seiner Mitglieder ermöglichten nicht nur den 
Erwerb weiterer Fundstücke, sondern auch die Übernahme der lokal- 
geschichtlich wertvollen und reichhaltigen Güntherschen Sammlung, wo- 
durch es seinem gesteckten Ziele der Altertumssammlung wesentlich . 
näher rückte. 


Die Altertumssammlung umfasst nunmehr folgende Gruppen: 


Paläolithische Zeit: 


Diluviale Tierreste aus Metternich und Rhens, u. a. Mammutzähne, 
Schädel, Unterkiefer und Zähne von Rhinozeros antiqu., Reste von 
Cervus elaphus, Bos primig., Equus caball. foss. usw. 

Aurignacien: Silexartefakte und Steingeräte aus Metternih und 
Rhens (veröfftl.: Günther in Bonner Jahrbücher Heft 116 und R. R. Schmidt 
im „Mannus“ Heft 1/2), sowie Silexartefakte aus der Friedhofenschen 
Lössgrube in Metternich und aus Karlich. 

Magdalénien: Silexartefakte und Knochenstücke vom Martinsberg 


b. Andernach. 
Neolithische Zeit: 
Silexartefakte (10 Klingen) aus Rübenach bei Coblenz, geschliffene 


Steinmeissel von der Kartause (Coblenz), Urmitz u. a. O., ein facettierter 
Hammer der Schnurkeramik von Boppard, Steinwerkzeuge von Metter- 
nih usw. 

Gefässe und Scherben, darunter reich verzierte Stücke, der jüngeren 
Winkelbandkeramik nebst einzelnen Scherben der Grossgartacher, der 
Spiral-Mäander- und der Zonenkeramik aus Wohngruben am Jägerhaus 
b. Urmitz (Veröffentlihung demnächst). 


Bronzezeit: 


Grab- und Einzelfunde von Gefássen und Schmuckstücken ver- 
schiedener Perioden vom Jägerhaus b. Urmitz (zum Teil veröfftl. Günther 
in Bonner Jahrb. Heft 110). 


111. Aus Museen und Vereinen. 207 


Grab- und Einzelfunde aus Metternich b. Coblenz, Rhens, Ritbenach, 
Urmitz, Kartause-Coblenz und Coblenzer Stadtwald. 


Hallstatt-Zeit: 


Fundstücke einer Hallstatt-Wohngrube in Coblenz-Lützel (veröfftl. 
Günther im Korrespbl. d. Westd. Zeitschr. Jahrg. XXI, Nr. 11), desgl. 
von der Petersshen Ziegelei in Rhens; Grab- und Einzelfunde aus 
Urmitz, Vallendar und Sayn. 


Latene-Zeit: 
Ältere Laténe-Zeit: 

Grab- und Einzelfunde vom Jägerhaus b. Urmitz (zum Teil veröfftl. 
Günther, Bonner Jahrbücher Heft 110), Grabfunde von Coblenz-Neuen- 
dorf und Pfaffendorf bei Coblenz, 1 Flaschenurne aus Coblenz. 

Mittlere Laténe-Zeit: 

Grabfund aus dem Coblenzer Stadtwald. 

Jüngere Laténe-Zeit: 

Grabfunde aus dem Coblenzer Stadtwald (z. Teil veröfftl. Günther 

im Korrespbl. d. Westd. Zeitschr. Jahrg. XXl, Nr. 11) und dem Arz- 


heimer Gemeindewald. 
Römische Zeit: 


Die Fundstücke des frührömischen Gräberfeldes bei Coblenz- 
Neuendorf (veröfftl. Günther, Bonner Jahrb. Heft 107). 

Desgl. des Trevererdorfes im Coblenzer Stadtwald (veröfftl. 
Bodewig in Westd. Zeitschrift XIX). 

Desgl. eines frührömischen Gräberfeldes vom Kaiserin Augusta-Ring 
in Coblenz (erwähnt in Bodewig, Das römische Coblenz, Westd. Zeit- 
schrift XVII, Ill und im Korrespbl. ders. XX, 7 und 8). 

Desgl. eines Gräberfeldes des I.—IV. Jahrhd. von der Löhrstrasse 
zu Coblenz (zum Teil veröfftl. ebenda). 

Desgl. eines spätrömischen Gräberfeldes am Markenbildchenweg 
zu Coblenz (desgl.). 

Fundstücke aus der Altstadt zu Coblenz (desgl.). 

Sechs römische Meilensteine vom Engelsweg (jetzt Römerstrasse) 
zu Coblenz, darunter drei mit ziemlich vollständigen Inschriften von 
Claudius (44 n. Chr.), Traian (98 n. Chr.) und wahrscheinlih Nerva 
(97 n. Chr.), (veröfftl. von Günther in den Coblenzer Tagesblättern und 
Lehner im Korrespbl. d. Westd. Zeitschr. XVIII, Nr. 4 und 5). 

Römische Skulpturen und Inschriftsteine aus Coblenz und aus der 
römischen Moselbrücke daselbst (zum Teil in: Bodewig, das römische 
Coblenz, Westd. Zeitschr. XVII, III). 

Fundstücke des 1.—IV. Jahrhunderts aus Cobern-Gondorf, Urmitz, 
Andernach und Plaidt. 

Fundstücke aus den Limes-Kastellen Neuwied-Heddersdorf und 
Niederberg (z. T. im grossen Limeswerk (ORL), Kastell Niederberg). 


Fränkische Zeit: 


Grabfunde aus Coblenz, Metternih, Urmitz, Sackenheimer Hof 
. Bassenheim. Rhens, Sebastian Engers und Mülhofen. 
Mannus Bd. I. H. 3/4. 20 


298 HI. Aus Museen und Vereinen. 


_. Hieran schliesst sich die reiche Sammlung von Erzeugnissen des 
Mittelalters und der Neuzeit. 


Von den Arbeiten und Erwerbungen des Vereins aus den 
letzten Monaten sind zu erwähnen: 

Die Aufdeckung der römischen Stadtmauer und Kulturschichten bei 
dem Neubau des Hauses Altenhof 3 in Coblenz, 

die Aufdeckung weiterer Teile der Römischen Heerstrasse am 
alten Engelsweg, wobei auch der von Eltester (Bonner Jahrb. Heft 52, 
1872) erwähnte Seitenkanal wieder festgestellt wurde, 

die Aufdeckung eines Römischen Töpferofens in Niederberg (ver- 
öfftl. Günther im Röm.-Germ. Korrespbl. Jahrg. Il, Nr. 5, 1909), 

die Aufdeckung mehrerer Gräber der Antoninen-Zeit in Arenberg 
b. Ehrenbreitstein, 

der Erwerb einiger fränkischer Gefässe aus Urmitz. 


Prähistorishes Museum zu Köln. 
Von C. Rademacher, Köln. 


Das Städtische prähistorische Museum zu Köln, begründet von der 
Kölner Anthropologischen Gesellschaft, wurde im August 1907 eröffnet. 
Die Eröffnung war verbunden mit einem prähistorischen Kongress'), zu 
dem namhafte Forscher des In- und Auslandes erschienen waren. Seit 
der Eröffnung haben sich die Sammlungen bedeutend vermehrt, sodass 
an dieser Stelle einiges darüber mitgeteilt werden mag. Das Museum 
selbst, in den Räumen des „Bayenthurmes“ untergebracht, besteht aus 
drei übereinander liegenden geräumigen Sälen. Der untere Saal enthält 
nur Diluvialfunde Westeuropas, der zweite Übergangsperioden zur jüngeren 
Steinzeit, die jüngere Steinzeit und die Bronzezeit, der dritte Saal endlich 
Hallstatt- und Laténezeit sowie römische Kaiserzeit. 
| Was die Vermehrung der paläolithischen Periode angeht, so sei 
an erster Stelle hier erwähnt, dass bei der Eröffnung des Museums 
eine Sonderausstellung von Funden aus La Micoque und La Grange aus 
dem Vézéretale in dem Museum zur Aufstellung gelangt war, die 
berechtigterweise die Aufmerksamkeit der Forscher wachrief. Als eine 
hochherzige Schenkung des Förderers unseres Museums, des Geheimen 
Kommerzienrates Herrn E. v. Rath, ist diese Sammlung in den Besitz 
des Museums übergegangen. Das Kölner Museum besitzt nunmehr die 
reichhaltigste und wichtigste Sammlung von La Micoque, jener bekannten 
Acheuléen-Moustérien-Station, die sich durch die wunderbare Feinheit 
der Objekte und ihre einzige, elfenbeinartige Patina auszeichnet. Die 


1) Der Bericht über die Verhandlungen des Kongresses, herausgegeben von der 
Kölner Anthropologischen Gesellschaft, ist vor kurzem erschienen, 179 S. gr. 8 mit 
193 Ab. u. 5 Tafeln. Preis 3,50 Mk. 


DD ee apama stamma NN n, 


HI. Aus Museen und Vereinen. 209 
zierlichen und feinen Keile vom Acheultypus sind in den verschiedenen 
Formen und Gróssen vorhanden und fast alle, wie auch die übrigen 
Moustérientypen, von einer wunderbaren Sorgfalt der Bearbeitung. Die 
Magdalénien-Station La Grange weist neben zahlreichen typischen Ge- 
räten dieser Periode einzelne hervorragende Werkzeuge auf, die eine 
doppelte Bestimmung hatten. Unter den Knochen- und Hornwerkzeugen 
ist bemerkenswert ein Doppelpfriem mit halbkreisförmigem Handgriff, 
Amulette, verzierte Knochen und endlich eine sog. Lampe, die nicht 
weit von dieser Station, bei La Marsaille, gefunden worden ist. 


Aus Chelles und Acheul selbst wurden typische und atypische Stücke 
erworben, daneben auch Chelles-Keile aus Italien. Prof. Schweinfurth 
stiftete eine umfangreiche Sammlung paläolithischer und eolithischer Werk- 
zeuge aus Ägypten (Theben), welche die Übereinstimmung dieser primi- 
tiven Kulturen für Westeuropa und Afrika aufs deutlichste zur Anschauung 
bringen. Das Mousterien der Krapinahöhle ist vertreten durch eine 
Kollektion typischer Steingeräte und menschlicher Skeletteile, deren 
Abgüsse der verdienstvolle Forscher der Krapinahöhle, Prof. Gorjanovié- 
Kramberger in Agram, als Geschenk dem Museum überwies. Auch 
die vorhandenen Sammlungen des Solutréen und Magdalénien fanden 
durch geschlossene Funde reiche Vermehrung, sodass nunmehr die ge- 
samte paläolithische Abteilung in einer gewissen Vollständigkeit und 
Reichhaltigkeit vorhanden ist und einen Überblick über die Kulturent- 
wickelung während des Diluviums gestattet, und das nicht nur durch 
eine sog. Typensammlung, sondern hauptsächlich durch zusammen- 
hängende, geschlossene Funde. 

Die Ubergangsperioden zur jüngeren Steinzeit konnten durch die 
Bemühungen des Museums auch im Rheinlande festgestellt werden. 
Das aus den Schriften Rutots bekannte Flénusien, charakterisiert durch 
die eolithenartige Bearbeitung des Silex, wurde in Muffet bei Aachen 
entdeckt. Da Rutot eine Kollektion des belgischen Flénusien dem 
Museum stiftete, ermöglicht die Zusammenstellung ein Urteil über die 
Übereinstimmung der beiden Fundplätze. Auf dem Lousberge bei Aachen 
fand sich eine Campignien-Station. - Die Wohnstätten haben auf dem 
Plateau des Berges gelegen. Durch Abschwemmungen sind zahlreiche 
Silexstücke, darunter typische Geräte, an die Abhänge des Berges 
gerollt, wo sie 1908 entdeckt worden sind. Typische Gratbeilformen 
vermischt mit solchen, die bereits an das eigentliche Beil des Neolithi- 
kums erinnern, obschon die Polierung noch vollständig fehlt, beweisen, 
dass die Station einer Zeit angehört haben muss, die dem polierten 
Beile direkt voranging. 

Die Tardenoisienindustrie mit ihren mikrolithischen Geräten konnte 
in der Umgegend von Köln (Troisdorf) festgestellt werden. Diéder- 
spitzen, Schaber und andere kleine Geräte sind 1908 daselbst gefunden. 
Zum Vergleich wurden französische Tardenoisiengeräte aus verschiedenen 
Fundorten erworben. Das Robenhausien von Spiennes in Belgien ist 
durch eine reiche Auswahl vertreten, die neben Kratzern, Schabern, 
Bohrern, die Entwickelung des polierten Beiles aus dem Gratbeil vor- 
führt. Bemerkenswert sind grosse Schlägel aus Feuerstein, gefunden in 
dem Bergwerk zu Spiennes, wo die Neolithiker ihren Feuerstein gewannen. 
Bekannt ist die Station ja besonders durch den Umstand geworden, 

20* 


300 lil. Aus Museen und Vereinen. 

° 
dass Skelette der alten neolithischen Feuerstein - Bergleute hier zutage 
gekommen sind. (Vergl. Rutots Schrift hierüber und ‘Mannus’ l, 35.) 
Interessant ist eine Erwerbung aus den russischen neolithischen Stationen 
mit denselben Formen der Feuersteingeräte und einer Keramik, die als 
Ornamente tief eingedrückte, kreisförmige Stempelverzierung aufweist. 
Auch die Sammlung der rheinischen polierten Steingeräte fand eine be- 
merkenswerte ‚Ergänzung durch eine Anzahl fein polierter, zum Teil 
durchbohrter Axte und Hammer aus der Gegend des Niederrheins, die 
als Einzelfunde von dem Museum erworben werden konnten. Pfeil- 
spitzen, Schaber und Messer des Neolithikums fanden sich an ver- 
schiedenen Orten. 

Für die Keramik des rheinischen Neolithikums sind bedeutsam 
die Funde von dem Gräberfelde bei Kretz am Laacher See, welche die 
Firma Zervas Söhne in Köln dem Museum überwies. Es sind zierliche, 
der bandkeramischen Stufe angehörige Gefässe teils mit Winkelband, 
teils mit Spiralverzierung. Ein kleines Gefäss verdient besondere 
Beachtung. Es trägt an dem S-förmigen Halse eine Anzahl Warzen, 
die als Band das Gefäss umgeben. Dem Künstler muss der Ursprung 
und die Bedeutung dieser Warzen, die eine Nachahmung der Brust- 
warzen darstellen, noch geläufig gewesen sein, denn zwei solcher Warzen, 
nebeneinander gestellt, ganz ausser der Reihe, beweisen dies aufs 
deutlichste. 

In der Nähe von Köln, bei Wahn, konnte 1907 eine steinzeitliche 
Station, der Untergrombacher Periode angehörig, entdeckt werden, die 
bereits charakteristische Funde lieferte. Die vollständige Erforschung 
steht noch aus. | 

Die Sammlungen aus der Bronzezeit fanden sehr zahlreiche Ver- 
mehrung, zunächst durch Bronzefunde aus dem Bieler See samt der 
dazu gehörigen Keramik und der Aufstellung eines grossen Modelles 
eines bronzezeitlichen Pfahlbaudorfes, das der Verein der Kölner Alter- 
tumsfreunde dem Museum stiftete. Ungarn ist in den Erwerbungen 
des letzten Jahres durch einen reichen Bronzedepotfund, wie durch eine 
Anzahl der bekannten Kupferäxte vertreten, desgleichen konnten einige 
. zierliche Becher, alle incrustiert, erworben werden. Die rheinischen 
Bronzeäxte wurden durch eine ganze Anzahl vermehrt, meist Geschenke 
von Gónnern. Vor allem ist hier ein Grabfund aus einem Hügel bei 
Köln zu erwähnen, der neben einem triangulären Dolche eine seltene 
Form der Axt aufweist. Es ist ‘eine Absatzaxt mit rundem, langaus- 
gezogenem Mittelstück, durch eingeschlagene Ornamente reich verziert. 
Eine ähnliche Axt ist bisher in den Rheinlanden und auch in Deutsch- 
land nicht gefunden, wie das Prof. Lissauer einige Tage vor seinem 
Tode noch dem Berichterstatter mitteilte. Auch eine prächtige Radnadel 
aus der (Gegend des Laacher Sees gelangte in das Museum. Zum Ver- 
ständnis des Publikums dienen das Modell einer Bohrmaschine zur 
Durchlochung der Steingeräte, das Modell eines Pfahlbauwebstuhles 
und zwei spatbronzezeitliche Gräber, welch letztere in einer Nische 
des 2. Saales Aufstellung gefunden haben. 

Eine andere Nische enthält einen vollständig aufgebauten Grab- 
hügel, wie sie zu Tausenden an beiden Seiten des Niederrheines sich 
vorfinden. Das Grab ist aus der Hallstattzeit und leitet zu dem 


Ill. Aus Museen und Vereinen. 301 


dritten Saal über, der die Funde aus den Grabhügeln des Niederrheines 
enthält. Seit der Eröffnung ist dieser Saal neugeordnet und die Samm- 
lung sehr vermehrt worden. Das Gebiet zwischen Sieg und Wupper ist 
nunmehr mit einer gewissen Vollständigkeit vertreten.” Von allen Be- 
gräbnisplätzen zwischen Sieg und Wupper ist eine grosse Anzahl Grabfunde 
zu einem Gesamtbilde vereinigt, alles nach Gräbern sorgfältig geordnet. 
Jedes Grab ist abgeteilt und enthält eine Grabskizze, die den Hügel 
und seinen Inhalt zur Darstellung bringt. Nunmehr gelingt es auch 
hier, an die Zeitstellung der Funde heranzutreten. 

Schon bei der Eröffnung des Museums waren Funde von einer 
germanischen Niederlassung auf dem Fliegenberge bei Troisdorf vor- 
handen. Die Untersuchungen über die ja im 1. Hefte des „Mannus“ 
Bericht erstattet worden ist, werden fortgesetzt. Es ist eine Nieder- 
lassung der römischen Kaiserzeit, die bis ins 4. Jahrhundert sich ver- 
folgen lässt. Auch die Gräber dieser Niederlassung sind gefunden, 
reich ausgestattet mit Silberfibeln, Bronze-Scherben, römischen Gefässen, 
germanischen Urnen, darunter auch die belgische Gesichtsvase mit 
den sechs Gótterbildnissen. Ein genauer Bericht hierüber wird dem- 
nächst folgen. Diese Gräber sind ohne Hügel. Im Scheuerbusche bei 
Wahn konnten ebenfalls Gräber der römischen Kaiserzeit festgestellt 
werden, meist zerbrochene Gefässe germanischer oder römischer Prove- 
nienz, übereinstimmend mit den Funden in Giessen. Bei Cleve ward 
Ahnliches in diesem Jahre beobachtet. Dort im Walde bei Moyland 
finden sich eine Anzahl Gräberfelder mit ganz verschiedenem Charakter. 
Eines mit Graburnen, wie sie in niederrheinischen Hügeln typisch sind, 
andere mit Scherben, darunter vielfach solche römischer Herkunft, 
zahlreiche Brandasche, zerstreute Knochen, ganz kleine Hügel. In den 
Grabhügeln zwischen Sieg und Wupper, wie sie im Kölner Museum 
ausgestellt sind, findet sich dagegen nur einmal eine Spur römischer 
Beimischung (Wahn). Die genauen Ergebnisse werden ebenfalls dem- 
nächst veröffentlicht werden. 


Städtisches Museum, Braunschweig. 


Neue Erwerbungen mitgeteilt von F. Fuhse. 
Mit 3 Abbildungen im Text. 


Für die vorgeschichtlihe Abteilung wurde im Geschäftsjahr 1908/09 
die Sammlung des Oberrealschullehrers Krone erworben: Funde von 
neolithischen (bes. bandkeramischen) Siedelungen bei Hessen a. Fallstein, 
Halchter und Ohrum am Oder, Gr. Vahlberg und Wittmar an der Asse; 
Laténe: Leiferde, Kr. Wolfenbüttel, Wasbüttel; Völkerwanderung: Ösel, 
Wolfenbüttel, Harzbüttel. — An Einzelfunden der Sammlung Krone sind 
zu erwähnen: 98 Steinwaffen (axte und Hämmer aus verschiedenen Ge- 


302 IH. Aus Museen und Vereinen. 


steinsarten) von der Feldmark Räbke am Elm. Der Reichtum an Stein- 
waffen auf dieser kleinen Feldmark war ein ganz ausserordentlicher. Fast 
alle öffentlichen und Privatsammlungen unseres Landes besitzen von 
dort eine grössere Anzahl von Steingeráten. — Vom Osel stammt ein 
Instrument von weissem Feuerstein, das als Urtypus des Töpfer- 
rádchens zu betrachten ist (s. Abbildung 1 in nat. Gr.). Man kann 
mit ihm nicht nur in Ton, sondern auch in Holz und Leder bequem ein 


aus Punkten sich zusammensetzendes Ornament eindrücken. — Bronze- 
absatzäxte aus Helmstedt, Wendeburg und vom Regenstein. Tüllenaxt 
mit ausladender Schneide aus Helmstedt. — Ringförmige blaue Glas- 


perle mit vier gelben Augenringen aus usis ähnlich Pit-Déchelette, 
Le Hradischt de Stradonitz Pl. VI, 


Abb. 1. 1/. 
Ösel, Kreis Wolfenbüttel. 


Abb. 2a b. 13. 
Roskilde, Seeland. 


Se. Hoheit der Herzog-Regent überwies eine grosse und aus- 
gezeichnete Sammlung dänischer Steinwaffen und Werkzeuge, darunter 
die seltene ‘Fliigelaxt’ von Roskilde, 18 cm lang (Abb. 2), nebst einigen 
Bronzeschwertern und Axten. 

Hr. Oberlehrer Hahne III schenkte eine kleine Axt aus grauem 
Stein und einen bearbeiteten Feuersteinsplitter aus dem Forstbezirke 
Wolfstal bei Stiege im Harz. Bisher waren aus jener Gegend vorgeschicht- 
liche Gegenstände nicht bekannt. 


111. Aus Museen und Vereinen. 303 


Aus der Provinz Posen. 


Erwerbungen des Kaiser-Friedrich-Museums zu Posen 
vom Januar bis Juni 1909 
mitgeteilt von Erich Blume. 


| Zur Einteilung der Funde werde ich fortan die fünf kulturell- 
chronologischen Gruppen wählen, die ich in dem Bericht über die Neu- 
ordnung der vorgeschichtlichen Abteilung, erschienen in dem Verzeichnis 
über die vorgeschichtlihe Sonderausstellung, dargelegt habe: 


Ausstellung im Kaiser-Friedrich-Museum 
vor- und frithgeschichtliche Altertümer 
aus dem Gebiet der Provinz Posen. Posen 1909. 


Im Folgenden werden nur die Erwerbungen aufgeführt, die in jenem 
Verzeichnis nicht behandelt sind. 


Abkürzungen: G. = Geschenk; Kr. = Kreis; Grf. = Gräberfeld; 


Brz. = Bronzezeit; v. = von; fr. = früher. 


ll. Indogermanische Zeit. 


1. Bei Czarnikau aus der Netze in Station 177/178. Steinaxt- 
hammer; Grundriss Spitzoval, dessen eines Ende quer abgeschnitten 
ist; Bohrloch konisch; gef. im Sommer 1898. — G. der kgl. Wasser- 
bauinspektion Czarnikau. 

2. Golencin, Kr. Posen-Ost. Funde von einem steinzeitlichen 
Siedlungsplatz (Splitter, Spanmesser, Pfeilspitzen aus Feuerstein; 
Reibsteine, Schleifsteinbruchstück, Scherben u. a.) auf den Höhen 
am Bogdankatal. Vgl. Mannus I, 138, Nr. 1. — Gesammelt u. gesch. 
von Sammlungsaufseher Thamm, Posen. | 

3. Nifke, Kr. Schrimm. Funde von einer steinzeitl. Siedlungs- 
stelle auf Sanddünen an der Wartheniederung, offenbar denen 
von Lassek-Luban, Kr. Posen-West (Mannus, I, 138, Nr. 5) zeit- 
lich parallel. — Am 20. VI. gefunden vom Verfasser. 


HI. Thrakische (karpodakische) Kulturgruppen. 


4. Czarnikau. Zwei Tongefässe, eines noch mit Leichenbrandresten, 
und Scherben von wenigstens fünf andern (Brz. 4); gef. „bei den 
Durchsticharbeiten in Station 16213 der Netze in der Wiese der 
katholischen Pfarrgemeinde Cz.“ — G. d. kgl. Wasserbauinspektion 
Czarnikau. 

S. Bei Czarnikau aus der Netze in Station 176/7: Steinaxthammer 
von fünfeckigem Grundriss; Bohrloch konisch; auf einer Seite Spur 
einer falsch angesetzten Hohlbohrung. Gef. im Nov. 1898 beim 
Baggern. — G. wie Nr. 4. 


304 
6. 


Zalesie noch eine wie die oben genannten Gefässe von ihm 
selbst gefundene kleine Bronzeschnalle, die hier abgebildet ist. 
Sie hat einen eingliedrigen ovalen Rahmen und rechteckige, 
nicht sehr sauber gearbeitete Riemenkappe. Der Dorn zeigt 
eine abwärts gebogene Spitze und an der Wurzel eine recht- 
ekige Erhöhung, die mit einer Rille verziert ist und zu beiden 
Seiten von dieser mit Linien. Das Stück gehört der jüngeren 
Kaiserzeit an, etwa der Tischlerschen Periode D, und ist eines 


III. Aus Museen und Vereinen. 


Chojno, Kr. Rawitsch. Vom Grf. in der Grzeba (vgl. Ausst. 
Nr. 241—435 u. a.) Tongefässe und Metallbeigaben aus einem 
Grabfund und viele Scherben aus zerstörten Gräbern (Brz. 5; 
älteste Eisenz.). — Amtliche Untersuchung am 2. VI. 

Sulmirschütz (Sulmierzyce), Kr. Adelnau. Flur Zalesie (ndl. 
v. Š.) Verzierter graphitierter Scherben von einem Grf. (jgst. Stufe). 
Vom selben Grf. stammen die beiden Tongefässe Posener archäo- 
logische Mitteilungen I, Taf. VII, 16 und VIII, 5 (Text S. 23 f.), 
die also auch örtlich mit den kaiserzeitlichen Funden nichts zu tun 
haben. Diese sind südlich von S. gehoben worden (Flur Wielki zal). 
— Mitteilung und Geschenk von Pfarrer Gibasiewicz, Siedlemin ?). 


IV. Germanische Kulturgruppen. 


Tongefäss, wohl aus der Umgebung von Czarnikau, dessen Fund- 
ort aber nicht feststeht; eingeliefert mit Nr. 4. Vgl. Abb.: es er- 
innert sehr an westgermanische Laténeformen in Profil wie Ver- 
zierungen (wagerechte Linie auf der Schulter, darüber 20 alternierend 


Nr. 8. 1/6. Nr. 10. 1/3. 


schräggestellte Strichgruppen bis zum Halsansatz; herab von ihr 
laufen 16 senkrechte Linien in ungleichen Zwischenräumen. Das 
Tongefäss steht m. W. in der Provinz Posen vereinzelt da. — 
G. d. kgl. Wasserbauinspektion Czarnikau. 

Kokorzyn, Kr. Kosten. Ziegelei. Tongefäss und Bruchstücke 
einer Lanzenspitze und eines Messers aus Eisen, zusammen gefunden 
auf dem Grf. der römischen Kz. Vgl. Mannus I, 140, Nr. 36 und 
Ausstellung Nr. 2051 und 2463—2482. — Gi. v. Rittmeister Hilde- 


brand, K. 


1) Herr Pfarrer Gibasiewicz besitzt von dem Gräberfeld 


der wenigen dieser Zeit aus der Provinz Posen (vgl. Ausstellung 
im Kaiser-Friedrih-Museum S. 18). Zu Nr. 7. !}ı. 


III. Aus Museen und Vereinen. 305 


10. Posen, Stadt (Oberwilda). Kleines Tongefäss mit fast zylindrischer 
Wandung und dickem ausladenden Rande, zugedeckt mit alt aus- 
gebrohenem Tongefässboden, gef. zwischen Scherben in einer 
Brandgrube nahe der Grenze von Dembsen, Kr. Posen-West, beim 
Bahnbau. Es enthält noch Branderde und Leichenbrandreste. 
Abb. (Laténezeit). — G. d. kgl. Eisenbahnbauabteilung für den 
Umbau des Bahnhofs Posen. 

11. Spiegel (fr. Oporzyn), Kr. Wongrowitz. Unterteil einer Urne 
aus einem Steinkistengrabe. Vgl. Ausst. Nr. 734—736. — Gi. v. 
Lehrer Kliemke, Sp. 


Unbestimmt. 


12. Bei Czarnikau aus der Netze: 5 hohe gerundet pyramidenförmige, 
oben wagerecht durchbohrte Netzsenker. Beschnittenes Hirschgeweih. 
G. d. kgl. Wasserbauinspektion Czarnikau. 


Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte. 
Zweiggesellschaft Berlin. 


Sitzungsbericht. 


In der 4. Sitzung der Zweiggesellschaft Berlin am 22. Mai 1909 im Vor- 
tragssaale des Märkischen Museums legte der 1. Vorsitzende, Universitäts-Professor 
Dr. G. Kossinna, verschiedene neu erschienene Werke vor, so die von E. Hollack 
im Auftrage des Provinzialverbandes bearbeitete Vorgeschichtliche Über- 
sichtskarte von Ostpreussen nebst dem die „Erläuterungen“ enthalten- 
den Textbande, eine Arbeit, die sämtliche neueren Forschungen zu verwerten sucht, 
ferner eine Abhandlung des Dorpater Gelehrten R. Hausmann, die als Fortsetzung 
zu dem Kataloge der grossen archäologischen Ausstellung zu Riga vom Jahre 1896 
eine „Übersicht über die archäologische Forschung in den Ost- 
seeprovinzen im letzten Jahrzehnt“ gibt, und schliesslich das zweibändige 
überreich illustrierte Werk von O. v. Hovorka und A. Kronfeld „Vergleichende 
Volksmedizin*, in dem sich neben volkskundlichen und kulturgeschichtlichen 
Abhandlungen auch viele den Prähistoriker interessierende Mitteilungen, so über 
Beigaben in Grabstätten, Amulette und andere Arten von Abwehrmitteln, Dämonen- 
glauben u. a. finden. 

Der vom 1. Vorsitzenden gleichfalls vorgelegte, von J. Heierli verfasste 
1. Jahresbericht der Schweiz. Gesellschaft für Urgeschichte enthält 
einen Überblick über die Entstehung und die Geschichte der Gesellschaft und über 
die in den Jahren 1907—1908 in der Schweiz gemachten vorgeschichtlichen Funde 
und lässt ersehen, dass die Gesellschaft eine Zentralisierung der vorgeschichtlichen 
Funde und die Gründung eines schweizerischen Archivs für Vorgeschichte als 
Grundlage für eine künftige Vorgeschichtliche Karte der Schweiz anstrebt. Ferner 
gelangten zur Vorlage mehrere Abhandlungen von Rutot über den Unterkiefer des 


306 111. Aus Museen und Vereinen. 


Homo Heidelbergensis, über die Hauserschen Skelettfunde von Moustier und 
über die Eolithenfrage, eine Arbeit von Schierholz über die Örtlichkeit der 
Varusschlacht und eine Abhandlung von Stuhl (Würzburg) über das altrömische 
Arvallied, endlich einige akademische Abhandlungen des hervorragendsten Keltisten, 
unseres Mitgliedes Heinrich Zimmer „über direkte Handelsverbindungen 
Westgalliens mit Irland im Altertum und frühen Mittelalter“, 
worin besonders die Mitteilungen über den Weinhandel der gallorömischen Zeit 
von höchstem Interesse sind. 

Prof. Kossinna teilte darauf mit, dass ein Mitglied der Gesellschaft, 
Prof. Dr. O. Mertins in Breslau, gestorben sei, ein verdienstvoller Prähistoriker, 
der zahlreiche Abhandlungen über die Vorgeschichte Schlesiens, besonders aus 
der Bronzezeit, und 1906 einen „Wegweiser durch die Urgeschichte Schlesiens* 
verfasst habe (s. S. 166 u. 322). Ausserdem gelangte die Einladung der Verwaltung 
des Provinzial-Museums in Hannover zum Besuch der vorgeschichtlichen 
Ausstellung, die anlässlich der Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft 
für Vorgeschichte veranstaltet wird, zur Verlesung. Prof. Dr. Kossinna und 
Privatdozent Dr. Hahne knüpften daran nähere Mitteilungen über das Programm 
der vom 6.- 9. August 1909 in Hannover stattfindenden Hauptversammlung. 

Zur Vorbereitung auf den im Juni geplanten Ausflug nach Seddin hielt 
Dr. A. Kiekebusch einen kurzen Vortrag über das Königsgrab bei Seddin, 
in dem er unter Vorführung zahlreicher Lichtbilder ausführliche Angaben über die 
Örtlichkeit, über die Grössenverhältnisse des Grabhügels und der Grabkammer, 
über die dort gemachten Funde und über die mit dem Hügel verknüpften Sagen, 
sowie über einige benachbarte Hügelgräber machte. 

Schriftsteller Willi Pastor behandelte darauf in einem Lichtbilder-Vortrag 
das „Problem der Trojaburgen“, in dem er die Bedeutung dieser Stein- 
setzungen als Kultstätten des Sonnendienstes nachzuweisen suchte, eine Ansicht, 
die bereits Ernst Krause in seinem Werke über die „Trojaburgen Nordeuropas“ 
(1893) ausgesprochen hat. Der Vortragende ging von dem in der Frühlingszeit 
von den Kindern eifrig betriebenen Spiele „Himmel und Hölle“ aus und zeigte, 
dass der mit Kreide auf das Strassenpflaster gezeichnete Spiralgang mit den Zahlen 
1—12 und den Feldern „Himmel“ und „Hölle“ eine Nachbildung der Labyrinthwege 
der Trojaburgen sei. Dieses Kinderspiel weise auf ein früheres Volksfest zurück, 
das wiederum seine Entstehung einem uralten Kultgebrauche verdanke. 

In Wisby auf der Insel Gotland benutzen die Kinder beim „Trojaspiel*, das 
unserem „Himmel-und-Hölle-Spiel“ verwandt ist, die sogenannte „Trojaburg*, 
ein eigenartiges Gebilde aus Findlingsblöcken mit labyrinthisch verschlungenen 
Gängen, die von den Spielenden durchlaufen werden, mit dem Zweck, als Erster 
den Ausgang wieder zu erreichen. Diese Steinsetzung ist uralt, wie die in den 
Erdboden halb eingesunkenen erratischen Blöcke erkennen lassen, ausserdem deuten 
verschiedene Sagen von der Entstehung der Trojaburg auf ihr hohes Alter hin. 
Von Kindern ist die Steinsetzung nicht erbaut worden, dagegen spricht die Grösse 
einzelner Blöcke, vielmehr ist sie von Erwachsenen angelegt, und zwar, wie aus 
älteren Darstellungen hervorzugehen scheint, zur Veranstaltung von Volks- 
festen. In Gotland selbst hat sich hiervon nichts erhalten, nur das ,Trojarennen* 
der Kinder ist als Nachklang eines früheren Volksfestes zu betrachten, aber aus 
der Darstellung einer Trojaburg in einer Klosterhandschrift des 12. Jahrhunderts, 
aus labyrinthischen Zeichnungen auf kretischen Münzen des 4. vorchristlichen Jahr- 
hunderts und aus der figurenreichen Darstellung des Tonkruges von Traglia- 
tella, der dem etruskischen Kulturkreise des 7. Jahrhunderts vor Christi Geburt 


111. Aus Museen und Vereinen. 307 


angehört, ersieht man, dass die ,Trojaburgen” im Mittelalter und bereits im Alter- 
tum bekannt waren und zur Veranstaltung von Volksfesten oder Festspielen benutzt 
wurden. Für die letzte Annahme ist die Darstellung auf dem Kruge von Traglia- 
tella von Bedeutung: sie zeigt den aufrechtstehenden Grundriss einer Trojaburg, 
ähnlich der noch erhaltenen Steinsetzung in Wisby, und vor dem Ausgange zwei 
Berittene, die soeben die labyrinthisch verschlungenen Gänge verlassen haben, 
während vor den Reitern eine Gestalt mit einer Keule und vor dieser sieben Jüng- 
linge im Tanzschritt einherschreiten, die mit Speeren und einem Schilde, auf dem 
der Sonneneber dargestellt ist, bewaffnet sind. Der erwähnte Grundriss ist durch 
das in runenähnlicher, rückläufiger Schrift eingeritzte Wort „Truia* als Trojaburg 
gekennzeichnet. Man hat es hier mit einer Darstellung zu tun aus einer Zeit, als 
die Trojaburgen noch Festspielplätze für Erwachsene waren. 

Der Reigen, der auf dem genannten Kruge dargestellt ist, dürfte das gleiche 
sein, was spätere Zeiten mit dem Namen „ludus Trojae“ bezeichnen, und da bei 
diesen Spielen, wie Vergil berichtet, Figuren geritten wurden, die den Linien des 
kretischen Labyrinths entsprachen, so haben sie, wie die Darstellungen auf kretischen 
Münzen zeigen, in Beziehung zur Trojaburg gestanden. Welchen Charakter diese 
Festspiele trugen, lässt sich aus anderen Darstellungen des Tragliatella-Kruges er- 
sehen, wo die Beischrift einer weiblichen Figur „mi Velena“, „ich bin Helena‘ 
zeigt, dass der Inhalt des Spiels der Helena- bezw. der Trojasage entnommen 
worden ist, und da diese Sage als Erzählung von den Schicksalen der entführten, 
gefangenen und schliesslich wieder befreiten Sonnenfrau gedeutet wird, so 
haben die Trojaspiele sicherlich in Beziehung zum Sonnenkult gestanden. Wie die 
weibliche Gestalt auf dem Tragliatella-Kruge die jungfräuliche Sonne bezeichnet, so 
ist die erwähnte keulentragende Gestalt als Vertreter des Wintergottes anzusprechen, 
man hat es also in der Darstellung mit dem Kampfe des Winters gegen die Sonne 
und mit dem Siege des wiedererwachenden Frühlings zu tun. Denselben Gedanken 
sollten auch die Trojaspiele zum Ausdruck bringen, und wenn man erwägt, 
dass in älteren Berichten mitgeteilt wird, durch die Volksfeste bei den Trojaburgen 
und ähnlichen Steinsetzungen sei in England und in der Mark Brandenburg das 
Wiedererwachen der Frühlingssonne gefeiert worden, wenn man daran denkt, dass 
das „Himmel-und-Hölle-Spiel“ unserer Kinder im Mai und Juni, in den Tagen des 
beginnenden Frühlings, der wiedererwachten Sonne ausgeübt wird, so dürfte es 
keinem Zweifel unterliegen, dass die Trojaspiele und mit ihnen in noch höherem 
Grade die Trojaburgen in Beziehung zum Sonnenkult gestanden haben. 

Es fragt sich nun, aus welchen religiösen Bräuchen heraus die Trojaspiele 
entstanden sind, und wie man dazu kam, diesen Festen solche merkwürdig ver- 
schlungenen Gebilde, wie es die Trojaburgen sind, zugrunde zu legen. Für die 
Beantwortung dieser Frage ist von grosser Wichtigkeit ein Volksglaube, der sich, 
wie Willi Pastor erwähnte, mit einer erstaunlichen Zähigkeit noch heute hier 
und da in Schweden erhalten hat, der Glaube, dass man mit den Troja- 
burgen „Wetter machen“ könne. Das Landvolk glaubt, dass man einen 
Sturm herauf- oder herabbeschwören, dass man die Sonne erscheinen oder ver- 
schwinden lassen kann, je nachdem man die Gänge der Trojaburg nach der einen 
oder nach der anderen Richtung hin durchläuft, und diese Anschauung deckt sich 
gewissermassen mit dem, was einige antike Autoren von alten heiligen Reigen be- 
richten, nämlich, dass die Teilnehmer die Dinge bezauberten oder entzauberten, 
je nachdem ihr Reigen dem rechts oder links stehenden Anführer folgte. Liegt 
dieser letzten Anschauung eine altgermanische Kultvorschrift, die der Rechts- 
umwandlung aller Heiligtümer, die dreimal mit der Sonne umgangen werden 


308 111. Aus Museen und Vereinen. 


mussten, zugrunde, so tritt uns in der Benutzung der Trojaburgen zum Beschwören 
oder Bezaubern der Sonne die Weltanschauung der noch auf schamanistischer 
Stufe stehenden Völker entgegen, der Gedanke, dass man die Dinge durch 
ihr Ebenbild bezaubern könne, ein Gedanke, der noch heute im Zauber- 
glauben der Naturvölker, im Votiv- und Amulettaberglauben einen Ausdruck findet. 
Im Labyrinth der Trojaburgen hat man versucht, die Sonnenlaufbahn nachzu- 
bilden, und glaubte, mit diesen Gebilden über die Sonne selbst 
Macht zu gewinnen. 

Das kunstvoll verschlungene Gebilde einer Trojaburg, wie man sie z. B. bei 
Wisby findet, kann aber nicht die älteste Gestalt dieser Stätten eines ganz ursprüng- 
lichen Sonnendienstes gewesen sein, und in der Tat finden sich einfachere Gebilde, 
so eine Trojaburg auf der Insel Wier im hohen Norden, bei der konzentrische 
Kreise mit wechselnden Ausgängen einen Gang umschliessen, der zu einer ganz 
einfach spiraligen Anlage führt! Einfache Spiralen oder ein System konzen- 
trischer Kreise sind es auch, die uns auf alten Darstellungen der Trojaburgen, auf 
den englischen Bildsteinen, auf den Schwellensteinen der nordischen Ganggräber 
und in den Figuren des „Himmel- und Hólle-Spiels* entgegentreten, und sie sind 
nach Pastors Ansicht auch die ursprünglichste Form der Trojaburgen gewesen. 
Und diese Form weist zugleich auf das Ursprungsland der Trojaburgen, auf den 
skandinavischen Norden hin. Hier bietet die Sonnenlaufbahn tatsächlich 
das Bild einer sich verjüngenden Spirale oder enger werdender konzentrischer 
Kreise dar, und diese Sonnenlaufbahn, die immer wieder beobachtet wurde, hat 
ein noch schamanistisch geschulter Geist in den Steinsetzungen der Trojaburgen 
nachzubilden versucht. Vom Norden aus haben sich die Trojaburgen über ganz 
Europa ausgebreitet, ihr Verbreitungsgebiet reicht vom nördlichen Eismeer bis in 
das Mittelmeergebiet und von Island bis tief nach Russland hinein. Bei all diesen 
Trojaburgen ist die Spirallaufbahn der Sonne als Grundgedanke der An- 
lage benutzt worden, und wenn sie auch, wie bei der Trojaburg in Wisby, bis 
zur Unkenntlichkeit entstellt scheint, so liegt dies an dem Standpunkt des Beobach- 
ters, denn in Südschweden und weiterhin nach Süden ist die Spirallaufbahn der 
hochnordischen Sonne immer weniger erkennbar. Die schräg gegen die Erde stehende 
Sonne beschreibt hier Halbbogen von Osten über Süden nach Westen, die sich 
gegen die Sonnenwende des Sommers zu verjüngen, gegen die des Winters erweitern, 
und diese verschiedenen Halbbogen finden sich in den genau orientierten Gängen 
der Trojaburg von Wisby, wie Willi Pastor durch mehrfache Beobachtungen fest- 
gestellt hat, wiedergegeben. 

Dass die Spiralen allein oder in Verbindung mit konzentrischen Kreisen 
das heilige Sonnenzeichen des Nordens waren, ist aus verschiedenen Dar- 
stellungen auf vorgeschichtlichen Kultdenkmälern ersichtlich, so aus den Zeichnungen 
auf der Scheibe des Sonnenwagens von Trundholm auf Seeland, der aus der älteren 
Bronzezeit stammt, so aus den Spiralfiguren über der Eingangspforte und auf den 
Schwellensteinen irischer und skandinavischer Ganggräber und aus den mannigfach 
verschlungenen Spiralornamenten auf Gegenständen aus der jüngeren Bronzezeit. 

Diese Zeichnungen und flächenhaften Darstellungen der Sonnenscheibe und 
ihrer spiraligen Laufbahn gehören sämtlich jüngeren Kulturperioden an, in älteren 
Zeiten versuchte man die Sonnenlaufbahn plastisch nachzubilden, und als Er- 
gebnis dieser Kultur- und Kunstrichtung sind die sogenannten „Wallburgen“ 
anzusehen, die als Hügel von beträchtlicher Höhe entweder von einem zur Spitze 
aufsteigenden spiraligen Gange umgeben oder in kreisförmigen Terrassen abgestuft 
sind. Diese Hügel haben nicht, wie vielfach angenommen worden ist, zu Vertei- 


IV. Bücherbesprechungen. 509 


digungszwecken gedient, sondern waren Kultstätten, und zwar Stätten des 
.‚Sonnenkults, der von jeher die germanische Weltanschauung beherrscht hat. 
Man sollte die Hügel deshalb, wie Pastor vorschlägt, mit dem Namen „Wal- 
burgen“ bezeichnen, um im Anklingen an verwandte Worte, wie Walhall, Walküre, 
Walstatt, auf ihre einstige Bestimmung als Kultstätten hinzuweisen. In einigen 
Gegenden hat sich der Name „Walburg“, „Walsburg“ oder „der Wal“ tatsächlich 
erhalten, und der frühere Brauch, um die Osterzeit nach diesen Hügeln ,walpern* 
zu gehen und auf der Höhe das Osterfeuer anzuzünden, deutet auf die ursprüng- 
liche Bestimmung der ,Walburgen* als Stätten des Sonnenkults hin. Dass 
auf diesen Hügeln auch Steinaltäre errichtet waren, zeigt eine den Walburgen ähn- 
liche Terrassenanlage in Frankreich im Departement de l'Aveyron, auf deren Höhe 
sich eine Dolmenanlage erhebt, und Pastor ist der Ansicht, dass nur ein Teil der 
Dolmen als Gräber anzusehen ist, und dass andere, die frei zutage liegen und 
von vierfachen Steinkreisen umgeben sind wie in Schweden, ebenso zahlreiche 
Menhirs und Cromlechs als Altäre und Heiligtümer anzusprechen sind, und zwar 
als Kultstätten des Sonnendienstes, wie Stonehenge und ähnliche Steinsetzungen, 
die in das Kultgebiet der Trojaburgen einzureihen sind. 

An den Vortrag schloss sich eine längere Besprechung, in der die Ansichten : 
Pastors von verschiedenen Seiten in einzelnen Punkten angefochten wurden, 
ausserdem kamen einige Beispiele von Steinsetzungen, die den Trojaburgen ver- 
wandt sein dürften, zur Erwähnung. So wies Geheimrat Mühlke auf eine mittel- 
alterliche Steinsetzung in der Nähe von Tondern, die ,Treuburg” genannt, 
hin, Rektor Monke auf den Wunderkreis oder Irrgarten auf dem Haus- 
berge bei Eberswalde, der noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts als 800 
Schritt lange Laufbahn vorhanden war, auf den „Jecketanz“ bei Ahrensfelde 
(Kr. Lebus) und auf „Behrend Kirchhof“ in der Schorfheide bei Joachims- 
tal, Redakteur Scheuermann auf Hügelwälle im Elsass, die den Trojaburgen 
gleichen und auf denen noch heute Sonnenwendfeuer angezündet werden, und 
Direktor Feyerabend auf Schalensteine mit Näpfchen und konzentrischen Kreisen 
in der Nähe von Grabsteinen in der sächsischen Oberlausitz. An der Diskussion 
beteiligten sich ferner Privatdozent Dr. Hahne, Dr. A. Kiekebusch und Prof. 
Dr. Kossinna. Dr. G. Albrecht. 


IV. Bücher - Besprechungen. 


Robert Forrer, Reallexikon der prähistorischen, klassischen und frühdhristlichen 
Altertümer. — Mit 3000 Abbildungen. Verlag von W. Spemann in Berlin und 
Stuttgart. — Gr. 8°. VIII u. 943 S. — Preis gebd. 28 Mk. 

Robert Forrer, Urgeschichte des Europäers von der Menschwerdung bis zum An- 
bruche der Geschichte. — Mit mehr als 1500 Abbildungen. Stuttgart, Verlag von 
W. Spemann. (Spemanns Compendien 2). — Kl. 8°. VIII u. 584 S. — Preis 
gebd. 6 Mk. 

Die beiden Nachschlagewerke für vorgeschichtlihe Archäologie, die zu Weih- 
nachten 1907 fast gleichzeitig erschienen, bekunden schon im Titel verschiedene Ziele. 


310 IV. Bücherbesprechungen. 


Julie Schlemm will in ihrem „Wörterbuh zur Vorgeschichte“ (Berlin 1908) ein 
„Hilfsmittel beim Studium vorgescichtliher Altertümer von der paläolithischen Zeit 
bis zum Anfange der provinzialrömischen Kultur“ schaffen, indem sie vornehmlich 
die in der Literatur auftauchenden Benennungen der Fundtypen sehr fleissig zu- 
sammenträgt, ohne aber kritisch zu sichten, und oft unter Ausserachtlassung gerade 
des Wesentlichen. 

Ganz anders Robert Forrers Reallexikon! Von den drei darin vereinigten 
Stoffgebieten kommen hier nur die prähistorischen Altertümer in Frage; doch wird 
manchem Forscher in diesem Fache die Mitgabe der klassischen und friihchristlichen 
Artikel willkommen sein, gerade wenn er diesen Zweigen ferner steht. 

Forrer geht neben der Berücksichtigung häufiger genannter Fundplätze, die 
kurz durch Wort und Bild erläutert werden (z. B. Oberflacht, Rondsen), mehr darauf 
aus, sich dem stofflich Wesentlichen zuzuwenden, und behandelt so die Gerätgruppen 
(z. B. Äxte, Schwerter), die Zeitstufen, und eine Reihe von Realien, die in der 
Fachliteratur meist nur eine untergeordnete Rolle spielen und selten ausführlicher 
bearbeitet werden. Hierhin gehören die Abschnitte über Arbeitsstoffe der Vorzeit, 
Flora, Fauna, zum Nahrungswesen, zur Kleidung, Bauten, Handel und Verkehr u. a., 
. Abschnitte, bei denen oft die Verbindung mit der klassischen Archäologie fruchtbar 
wird. Man wird sie besonders freudig begrüssen, mag auch manchmal eine lücken- 
hafte Materialsammlung und die Spärlichkeit der Literaturangaben gerade hier un- 
angenehm empfunden werden. Aber Forrer erfrisht durch die Eigenschaft, aus 
eigner Anschauung darzustellen, und durch selbständige Verarbeitung des vorhandenen 
Materials, die oft neue Gesichtspunkte einträgt. 

Es liegt in der Natur eines Forschers, der nicht bloss aufspeichert, sondern 
auch verarbeitet, über die Gruppierung des Einzelmaterials hinaus zur zusammen- 
fassenden Darstellung zu gelangen. So liess Forrer seinem Reallexikon alsbald die 
»Urgeschichte des Europäers“ folgen, die er selbst im Vorwort als Zusammenfassung 
aus dem Reallexikon charakterisiert. Allerdings verdiente sie mehr den Namen 
einer Kulturgeschichte, denn die Entwicklung der Kultur tritt in besonders reichem 
Masse hervor. Mehr als 1500 Abbildungen die zumeist den 3000 des Reallexikons 
entnommen sind, erläutern den Text und machen dieses wie jenes Werk schon 
allein recht wertvoll, da sie oft neue noch nicht bekannte Gegenstände wiedergeben’). 

Eine auf streng methodischer Grundlage ruhende Chronologie und auf dieser 
wiederum aufgebaute Ethnographie liegt ihm ferner, und doch werden auch nur 
auf diesem Wege die höchsten Ziele einer Kulturgeschichte erreicht werden, die die 
Entstehung und Wanderung kultureller Errungenschaften und die stammestümliche 
Eigenart der Kultur zur Aufgabe hat. 

Das Werk entgeht auch dem Umstande nicht, der Vorzug wie Nachteil aller 
bisher erschienenen Gesamtdarstellungen wie der von Hoernes?), Déchelette*) ist, 
und den auch Sophus Müllers Urgeschichte Europas unter einer Gruppierung des 
Stoffes nach grossen Kulturgebieten nur äusserlich verdeckt: nämlich dass sie immer 
nur ein engeres Gebiet genauer beherrschen, das ihren Kern bildet. 

Eine auf gleichmässiger systematischer Grundlage zu schreibende Übersicht 
über Europa ist auh für einen heute kaum mehr möglich, es sei denn, dass ihm 


1) Als recht störend empfindet man in beiden Werken, dass die auf Text- 
seiten aus den Abbildungen zusammengestellten Tafeln nach eigner Numerierung 
(die überhaupt überflüssig ist) zitiert werden anstatt nach den Seitenzahlen, wo- 
durch gewöhnlich ein mehrfaches Hin- und Herblättern erforderlich wird. 

+) Urgeschichte des Menschen 1892; Urgeschichte der Menschheit. 3. Aufl. 1905 
(Sig. Góschen Nr. 42). 

3) Manuel d’Archéologie préhistorique celtique et Gallo-romaine. I. Paris 1908. 


IV. Bücherbesprechungen. 311 


für die einzelnen Länder gründliche Vorarbeiten zu Gebote stehen. Wohl wäre eine 
solche Darstellung besonders für Mitteleuropa sehr erwünscht. Ein Hand in Hand 
Arbeiten mehrerer an einer solchen Aufgabe ist weit weniger denkbar, als an einem 
Nachschlagebuch. Dafür módte man es aber empfehlen, wenn man auch Forrers 
Bedenken teilt (S. VIII), ist erst einmal ein Grundplan gegeben. Man wünschte 
sich für die Gegenwart ein Werk, dass nach Forrerschen Gesichtspunkten mit einer 
Materialsammlung nach Schlemmscher Art arbeitet, mag es immerhin umfangreicher 
werden. 

Die Zukunft aber wird einmal ein Sachwérterbuch der Altertumskunde er- 
` heischen, das die Realien der Bodenfunde verbindet mit den auf sprachwissenschaft- 
lihem Wege gewonnenen. Noch stehen wir hier in den allerersten Anfängen. 
Auf germanistisher Grundlage begann Moriz Heyne mit den 5 Biichern deutscher 
Hausaltertümer von den ältesten geschichtlihen Zeiten bis zum 16. Jahrhundert. 
Hoops’ „Waldbäume und Kulturpflanzen im germanischen Altertume” bilden ein 
anderes Beispiel. Unter Heranziehung volkskundliher Forschung gelangt Rudolf 
Meringer in seinen Arbeiten über „Wörter und Sachen“ in den Indogermanischen 
Forschungen Bd. XVI—XXI und als Fortsetzung davon in der kulturhistorishen 
Zeitschrift für Sprach- und Sachforschung „Wörter und Sachen“ zu wertvollen Er- 
gebnissen. Leider scheint diese vielversprechende neue Forschung, die gerade für die 
indogermanishe Altertumskunde unentbehrlihe Fühlung mit der vorgescichtlichen 
Archäologie noch nicht ‚gewonnen zu haben. Und doch gehört auch diese Ver- 
bindung zur ganzen Erfassung des Zieles. In dieser Richtung ist auch das Real- 
lexikon späterer Zeit zu erwarten; wie es andererseits einmal kein Sprachwörterbuch 
geben wird, das ohne Abbildungen zu denken wäre, es genüge denn allereinfachsten 
-Übersetzungszwecen. 

Posen. Erich Blume, 


Emil Hollack, Vorgeschichtlihe Übersichtskarte von Ostpreussen. — Erläuterungen 
zur vorgeschichtlihen Übersichtskarte. Glogau-Berlin, Carl Flemming. 1908. 

Gleichzeitig mit den badischen und thüringishen Inventarwerken erscheint 
ein in Anlage und Ziel verwandtes von Ostpreussen, ein höchst wertvoller Gewinn 
für die prähistorische Forschung, der es das gewaltige, in seiner Art ja ganz einzige 
ostpreussishe Material übersichtlich und zum Teil überhaupt erst zugänglich macht. 
Die Aufgabe ist in die Hände eines Forschers gelegt, dessen Arbeitsfeld im wesent- 
lichen die Durcharbeitung des Landes, besonders in unerschlossenen Strichen, nach 
. seinen vorgeschichtlihen Bodenschätzen gewesen ist; er kann uns daher vieles 
Neue und Selbstgewonnene bieten, und es ist begreiflich, wenn dieses subjektive 
Element in dem Werke stark hervortritt; allerdings nicht immer zu seinem Vorteil. 

So befremdet es zunächst gleich an der Karte, dass Verfasser sich seine 
eigene ziemlich krause Terminologie gesucht hat, während man sich in Archäologen- 
kreisen doch längst an die Zeichen und Farben der Stocdkholmer Verständigung ge- 
wöhnt hat und diese in den anderen Inventarwerken zu grunde gelegt sind und 
sih bewährt haben. Im übrigen ist die Karte (1:300000) einfach gehalten, 
aber übersichtlich und praktisch leicht verwendbar (zur Nachahmung zu empfehlen 
z. B. die Einteilung in Übersichtsvierecke), mehr als die ja sehr viel genauere, 
aber dadurch unhandliche Thüringer. Wir vermissen die Angaben der Höhenzüge 
oder Höhenshidhten, deren Bedeutung für Besiedelungsdaten auf der west- 
preussishen und mecklenburgischen so deutlich hervortritt. Die Kreise sind ab- 
geg-enzt, doch fehlen leider die in dem Buche viel angewandten Landschaftsnamen 
(Masuren usw.), deren Kenntnis Verfasser doch nicht allgemein voraussetzen darf, 


312 IV. Bücherbesprechungen. 


zumal sie durchaus nicht gleihmässig gebraucht werden. Auch im Text war eine 
kurze Charakteristik der landschaftlichen Verhältnisse und der siedelungsgeschicht- 
lichen Bedingungen geboten. — Wenn das gesamte Material auf einer Karte ver- 
einigt ist, so ist dagegen hier nichts zu sagen (im allgemeinen würde Referent 
eine Scheidung nach Perioden oder, wenn man eine grosse Karte haben will, Über- 
sichtskarten für die einzelnen Perioden in der Art von Lissauers westpreussischer 
Karte vorziehen), da die grosse Masse der ostpreussischen Funde in eine Periode 
(Hollacks „weitere Eisenzeit“) fällt. Auch ist durchaus zu billigen, wenn die Einzel- 
funde im allgemeinen auf der Karte nicht aufgenommen sind (im Text wären sie 
willkommen gewesen). 

Das Werk beginnt mit einer „Einführung in das Studium der Karte“, in der 
eine Übersicht über den Gang der Vorgeschichte gegeben und das chronologische 
Schema begründet wird, das der Terminologie der Karte zu grunde liegt. Der 
Verfasser hat sih damit auf ein Gebiet begeben, das ihm sichtlich nicht liegt, 
und die (auch stilistisch nicht einwandfreie) Darstellung besteht im wesentlichen aus 
einem Referat der bisherigen Formulierungen, besonders Tischlers, Kemkes, Bezzen- 
bergers und einer — wenig glücklihen — Kombination derselben ohne eigenen 
Standpunkt. Völlig wehrlos steht H. besonders der Chronologie gegenüber, trotz 
des naiven Versuchs, sich durch Synchronismen weiterzubringen (Steinzeit = Salomos 
Tempelbau, 21. Dynastie usw.; ältere Bronzezeit = Lykurg, erste Olympiade; jüngere 
Bronzezeit = attisher Seebund, Censoren in Rom usw.). Welche Jahrhunderte 
z. B. eigentlich der älteren Bronzezeit zugeschrieben werden, wird aus der Darstellung 
S. XXXVI kein Mensch entnehmen können, da Verfasser sich einverstanden erklärt 
sowohl mit Bezzenberger, der die untere Grenze um 800, als mit Tischler, der einmal 
— in unglückliher Stunde — die Rantauer Funde um das 8. bis 7. Jahrh. vor Chr. 
angesetzt hatte, Funde einer Stufe, die doch noch in den früheren Abschnitt 
(Montelius IN) der in Ostpreussen „ältere Bronzezeit“ genannten Periode fallen 
und die ganze Entwicklungsreihe Montelius IV/V noch vor sih haben müssen. — 
Die Gruppierung der Funde geschieht nach dem Schema: Steinzeit (ohne weitere 
Gliederung); ältere Bronzezeit, unter welhem Namen man in Ostpreussen (Kemke, 
Prussia-Katalog 1) die Perioden M. I—V zusammenzufassen pflegt; jüngere Bronze- 
zeit (= M.VI, jüngste Hallstatt, älteste Laténe-Stufen); erste Eisenzeit (jüngere 
Laténe-Stufen), weitere Eisenzeit. Die einzelnen Abschnitte werden nach Grabformen, 
Verbreitung, Gerättypen charakterisiert, etwas ungleichmässig (bei der ersten Eisen- 
zeit fehlt die Typenbeschreibung überhaupt!), aber sonst korrekt. Schmerzlich ver- 
misst man nur eine Abbildung der Typen, wie sie doch alle verwandten Inventar- 
werke gegeben haben und wie sie hier bei der ganz singulären und überreichen 
Erscheinungswelt der ostpreussischen Eisenzeit dem Fernerstehenden unentbehrlich 
ist. Zum Teil kann der klare und übersictliche Prussia-Katalog aushelfen; doch 
steht ja die Neubearbeituug des zweiten Teiles noch aus. — Das Schwergewicht 
liegt natürlich auf dem Abschnitte über die „weitere Eisenzeit“, deren ungeheures 
Material nach der Art der Gräberfelder, den Tischler -Bezzenbergershen Typen- 
‚gruppen B—H nebst den dabei hervortretenden ,Kulturkreisen* (was H. dar- 
unter versteht, ist mir nicht ganz klar geworden) und der Verteilung über das 
Land gesichtet wird. Nach dem Auftreten eines Typs der Gruppen B usw. ist dann 
im Text und auf der Karte das Grabfeld den betreffenden Gruppen zugescrieben; 
das führt mehrfach irre, wenn vereinzelte an dem Orte gefundene Stüce als 
gleichberechtigt mit der Masse der Fundstücke behandelt werden und so aus der 
Beschreibung nicht hervorgeht, welchem Abschnitte das Feld im wesentlichen an- 
gehört. — Unentbehrlich für das Verständnis solcher Inventare ist auch eine Über- 


IV. Bücherbesprechungen. 313 


sicht über den archäologischen Betrieb der betreffenden Landschaft. Jeder Forscher 
weiss, dass es durchaus nicht gleichgiltig ist, von wem ein Denkmal untersucht 
ist, und dass die grössere oder geringere Menge von Fundstellen in einer Gegend 
zum grossen Teile davon abhängt, ob sich ein geschickter Erforscher gefunden hat 
oder nicht. In dem vorliegenden Werke fehlt selbst bei der Einzelbeschreibung 
meist der Name des Untersuchers, das Jahr der Bergung usw., sodass nicht immer 
ersichtlich ist, ob es sich um Zufallsfunde oder systematische Ausgrabung handelt, 
ob die Stelle erschöpft ist, das sichtlihe Denkmal noch besteht usw. 

Den Hauptteil nimmt das „Verzeichnis und nähere Charakteristik der vor- 
geschichtlichen Gräber und sonstigen Plätze“ ein. In ihm liegt die eigentliche Arbeit 
und der Wert des Werkes. Die Ordnung ist alphabetisch, eine systematische Über- 
sicht ist am Schluss gegeben. Die Anordnung ist klar, reiche Literaturnachweise 
vorhanden. Referent hat Gelegenheit gehabt, das Verzeichnis bei einem Studium 
der Sammlung zu benutzen, und es praktisch und zuverlässig gefunden. Hier er- 
füllt das Werk seinen Zweck voll, und wir schulden dem Verfasser rückhaltlosen 
Dank für die entsagungsvolle Arbeit, deren Umfang nur der zu schätzen pflegt, 
der selbst in ähnlicher Weise tätig gewesen ist. 

_ Schwerin. | R. Beltz. 


Karl Schirmeisen, Die arishen Góttergestalten. Allgemein verständliche Unter- 
suchungen über ihre Abstammung und Entstehungszeit. — Brünn, K. Winiker. 
1909. — 336 S. 


Seiner vor fünf Jahren erschienenen mythologisc - prähistorishen Studie 
über „die Entstehungszeit der germanischen Góttergestalten” (Brünn 1904) hat 
K.Schirmeisen nun ein nicht minder originelles Werk folgen lassen. Seine ein- 
gehenden Untersuchungen über die arischen Göttergestalten gründen sich wohl auf 
den Inhalt des Rigveda und Awesta; in der Deutung der vedisch-awestishen Texte 
folgt jedoch der Autor keineswegs den bereits von Anderen ausgetretenen Pfaden, 
sondern schlägt vielfach neue Wege ein, ohne sich jedoch zu verhehlen, dass ein- 
zelne derselben später möglicherweise als Irrwege erkannt werden könnten. In der 
gehaltvollen Einleitung (dem ersten der acht Abschnitte, in die das Werk geteilt 
ist) bespriht Schirmeisen zunädst das ,Endziel der mythologischen Forschung’. 
Er fasst die Góttergestalten als „ein Produkt zahlreicher Faktoren, einen Nieder- 
schlag der verschiedensten Erkenntnisse und Erfahrungen der Völker“ auf und sieht 
in der Mythologie neben der vorgescichtlihen Forschung und der Ethnologie „das 
beste Hilfsmittel zur Erschliessung der mensclichen Urgeschichte“. Schon in der 
oben zitierten Schrift über die „Entstehungszeit der germanischen Göttergestalten“ 
hat der Autor dargelegt, dass jede einzelne Gottheit „das getreue Spiegelbild der 
materiellen, geistigen und sittlihen Kultur des Volkes ist, von dem sie geschaffen 
wurde“ und dass sich in jeder Göttergestalt „die natürlihe Beschaffenheit ihres 
'Entstehungsgebietes wiederspiegeln* müsse. Diesen gewiss ganz einwandfreien 
Standpunkt nimmt der Verfasser nun auch bei seinen neuen Untersuchungen ein 
und sucht aus den Attributen, den Fähigkeiten und Gewohnheiten, die in den 
Mythen den einzelnen Göttern zugeschrieben werden, einen Schluss auf die Ent- 
stehungszeit der letzteren zu ziehen, indem er an dem Gedanken festhält, dass die 
Ausgestaltung der Gottesidee schon mit den crsten Anfängen der menschlichen 
Geistesentwicklung begonnen hat und dass jede wesentliche Veränderung in den 
Kulturzustánden die Tendenz erkennen lässt, eine neue Gottheit zur Herrschaft zu 
bringen. Auch die Entstehung neuer Berufsstände führte zur Entstehung 

Mannus. Bd. I. H. 3/4. 21 


314 IV. Bücherbesprechungen. 


neuer Góttergestalten, wie denn auch der Einfluss von Völkerwanderungen und 
Rassenmischungen auf die Entstehung neuer Götter nicht gering zu achten ist. 

So kommt der Autor zu dem Schlusse, dass die Gottheit der paläolithischen 
Menschen eine noch nicht geschlechtlich differenzierte Feuergottheit, 
die älteste Religion demgemäss ein absoluter Monotheismus gewesen sein 
muss. In der mesolithischen Zeit trat eine Wassergottheit auf, neben der auch 
Sonne und Mond — ,wahrscheinlich als die Sprósslinge der alten Feuergottheit“ 
— verehrt wurden. In den nördlicheren Gebieten erscheint die Sonne als weibliche 
der Mond als männliche Gottheit; die Mondgottheit stellt der Autor als Haupt- 
gottheit des Mesolithikums hin. In der neolithischen Zeit spielen bereits zwei 
Hauptgottheiten — eine ältere südlichen und eine jüngere nördlichen Ursprungs — 
eine Rolle. Neben dem „Vater Himmel“ und der „Mutter Erde* erscheint nach 
und nah eine „bäuerliche Gewittergottheit*, in den nördlicheren Gebieten wahr- 
scheinlih auch eine „Göttin der Morgen- und Frihlingsréte*. In das Neolithikum 
fällt auch die erste Zusammenstellung von Gottheiten zu einer „Jahreszeitendreiheit“ 
sowie eine gewisse Kenntnis des Sternenhimmels. In der älteren Metallzeit (dem 
„Dolchzeitalter“) treten insbesondere die Frühlingsgottheiten hervor, während 
die kulturell so wichtige jüngere Metallzeit (das „Schwertzeitalter“) die Entstehung 
neuer Góttergestalten, beziehungsweise die Umgestaltung der älteren Gottheiten im 
wesentlichen zum Abschluss bringt. Ein wichtiges Kapitel, das an die schwierigsten 
Probleme der Urgeschichtsforschung rührt, behandelt die „Einflüsse der Rasse- 
mischungen und Vólkerwanderungen”, ein weiterer, sehr interessanter Abschnitt die 
„Entstehung des Zodiakus“. 

Der zweite Hauptabschnitt behandelt „die alten Feuergottheiten*; die Titel 
der übrigen Hauptabschnitte lauten: „Der lichte, strahlende Himmelsgott und seine 
abgeleiteten Formen“. — „Die Planetengottheiten*. — „Die Gewittergottheiten*. — 
„Die Helfer der Gewittergottheiten*. — „Frühlingsgöttinnen“. — „Die Gottheiten 
der dritten Jahreszeit und ihr Gefolge“. 

Auf weitere Einzelheiten kann bei dem überreichen Inhalte des Werkes an 
dieser Stelle nicht eingegangen werden. Nur an einem Beispiele möge die Art 
und Weise, wie der Autor aus der von ihm eingehend studierten vedisch-awestischen 
Literatur seine Schlüsse zieht, mit wenigen Worten dargelegt werden: Die Wirk- 
samkeit Vrtras und die Fluht Agnis werden mit der Eiszeit identifiziert. 
Indras Sieg über Vrtra repräsentiert die Nacheiszeit. Der winterlihe Charakter 
Varunas deutet auf eine vorneolithische Entstehung; er ist offenbar eine 
Weiterentwicklung des eiszeitlihen Feuergottes Tvashtr. Da der Schleuderstein 
fast die einzige Waffe Indras ist, so fällt die Entstehung dieses mit Thor-Donar 
identischen Gottes in das Neolithikum. Ähnlich fällt die Entstehungszeit Mithras 
(= Merkur) in die ältere Metallzeit, da unter den Waffen dieses Frühlingsgottes 
das Schwert fehlt. Das Endergebnis aller dieser Untersuchungen ist, dass im 
vedishen Olymp die Mythologien dreier Völkergruppen vereinigt sind; es waren 
dies wahrscheinlih Germanen, nördliche Mischvólker und Iranier. 

Brünn. Prof. A. Rzehak. 


Albert Kiekebusch, Der Einfluss der römischen Kultur auf die germanische im 
Spiegel der Hügelgräber des Niederrheins nebst einem Anhang: Die absolute 
Chronologie der Augenfibel. Inaug.-Dissert. Berlin 1908. (Auch u. d. T.: Studien 
und Forschungen zur Menschen- und Völkerkunde. 111. Stuttgart, Strecker & Schröder. 
3,— M.). 

Die erste Doktordissertation an der Berliner Philosophischen Fakultät über 
ein Thema der vorgeschichtlihen Archäologie müsste in dieser Zeitschrift erwähnt 


IV. Bücherbesprechungen. 315 


werden, auch wenn ihr Inhalt weniger bedeutsam wäre, als derjenige der oben 
genannten Abhandlung. Herr Kiekebush hat zum Erweise seiner erfolgreichen 
Studien ein Thema grossen Umfangs und historischer Wichtigkeit gewählt, das 
Thema vom Einfluss der römischen Kultur auf die Germanen mit der Einschränkung 
auf die Germanen am Niederrhein. Es ist selbstverständlih, dass der von dem 
hohen Werte seiner Wissenschaft und seines Studiums erfüllte Archäologe dieses 
Thema nur auf dem Wege der Archäologie behandelt, und dass er zunächst es be- 
gründet, warum nur das Studium des Bodenmaterials, und zwar nach den neueren 
Fortschritten in Typologie und Chronologie, in der Ausgrabungstechnik und in der 
Sorgfalt der Beobachtung, imstande ist, die Aufgabe zu bewältigen. 

Schon in diesem einleitenden Teile ahnen wir etwas von den Hindernissen 
einer solchen Untersuchung gerade im Gebiete des Niederrheins, wenn wir hören, 
dass bei Ausgrabungen der früheren Jahrzehnte die „barbarischen“ Altertiimer acht- 
los oder verächtlich beiseite geworfen worden sind (S. 3). 

Mit Recht wird in weiteren vorbereitenden Abschnitten auf die frühere Über- 
schätzung des römischen Kultureinflusses bei gänzlicher Unterschätzung der boden- 
ständigen germanischen Kultur und auf die Überwindung des letzteren Vorurteils hin- 
gewiesen; dabei auch manche Fehler früherer archäologischer Ansichten erörtert, die 
durch mangelhafte Unterscheidung der verschiedenen Perioden römischer Beein- 
flussung oder auch durch Verwechselung von Handelsbeziehungen mit Beeinflussung 
der Lebensart und des Handwerks herbeigeführt wurden. Hierher gehören auch 
fehlerhafte Einschätzungen von gutgearbeiteten Geräten (Fibeln, Gefässen), die 
man für römisch beeinflusst hielt, während die betreffende Industrie ihre Anregungen 
von viel älteren südlichen Einflüssen empfangen hatte. Verfasser stellt die Forderung 
auf, dass Einwirkung römischer Waren auf germanische Produktion nur dann be- 
hauptet werden darf, wenn die römischen Vorbilder aufgezeigt werden können, 
nach denen gearbeitet worden ist (S.9). Er scheint zwar diesen trefflihen Grund- 
satz bald darauf zu vergessen (S. 11), wenn er versichert, dass in der späteren 
Kaiserzeit die Einwirkung römischer Arbeit auf germanische Technik sich mit Sicher- 
heit beobachten lässt, ohne uns ein einziges Beispiel von Vorbild und Nachbildungen 
zu nennen; aber wir bemerken später, dass er die Durchführung seines Themas 
auf das dritte und vierte Jahrhundert überhaupt nicht ausgedehnt, also diesen 
wichtigen Teil der Untersuchung wohl auf spätere Zeit verschoben hat. Verfasser 
beginnt den ersten Hauptteil mit Charakteristik seiner Quellen (Ausgrabungs- 
berichte, Museen), um dann die Chronologie oder besser Einteilung der römischen 
Kaiserzeit zu begründen und darauf die provinzialrómishe Kultur auf Grund der 
Hauptfundstellen (Haltern, Hofheim) und der darauf beziiglichen Literatur zu be- 
schreiben. 

Diese beiden Abschnitte, überschrieben „Die Chronologie der römischen Kaiser- 
zeit“ und ,Provinzialrómishe Kultur“ enthalten m. E. den besten Teil der Abhand- 
lung, eine gut begründete Einteilung der römischen Kaiserzeit in drei Perioden mit 
Übergangszeiten und eine treffliche, in Kürze belehrende Beschreibung der römischen 
Kulturreste am Rhein während der ersten Periode. — 


Hätte K. sein Thema vollständig durchführen („bewältigen“) wollen, so hätte 
er in ähnlicher Weise wie die erste auch noch die zweite und die dritte Periode 
schildern müssen. Denn wer den Einfluss der römischen auf die germanische Kultur 
darstellen will, muss zuerst die römische, dann die germanische, dann die Spuren 
und Beweise der Beeinflussung letzterer durch erstere darstellen. In einer Disser- 
tation war dies offenbar nicht möglich; Verfasser hat sich deshalb auf Abschnitte 
beschränkt; für die zweite Periode der kaiserzeitlihen Kultur verweist er auf den 

21* 


316 IV. Bücherbesprechungen. 


Limes und seine Kastelle; für die dritte Periode unterbleibt auch ein solcher Hin- 
weis. Eine Rechtfertigung dieses abgekürzten Verfahrens liegt ja nahe, aber Ver- 
fasser hätte doch nicht unterlassen sollen, auf die Lücke aufmerksam zu machen. 

Der zweite Hauptteil umfasst folgerichtig die germanische Kultur am Nieder- 
rhein und zwar unter der Überschrift „Die niederrheinischen Hügelgräber“. In der 
Tat enthalten diese zahlreichen Hügelgräber das Material zur Beurteilung der ger- 
manischen Kultur; und wohl deshalb, weil man nur aus ihrem Inhalt den etwaigen 
römischen Einfluss zu erkennen vermag, ist auch das (kurze) Kapitel vom römischen 
Einfluss unter diese Überschrift mit aufgenommen. Dieses Kapitel S. 64—66 müssen 
wir also als den logisch zu erwartenden dritten Teil der Untersuchung gelten lassen. 


Diese Hügelgräber nun sollen am Niederrhein ein ganz besonders schweres 
Rätsel aufgeben. Sie sollen nach bisherigen Beurteilungen einer verblassten Hall- 
stattkultur angehören, von dem Einfluss der Laténe-Kultur sollen sie keine Spuren 
zeigen; germanishe Gräber der Laténe-Zeit und der Kaiserzeit hat man vergeblich 
gesucht; es soll also am Niederrhein eine Lücke geklafft haben, „die fast tausend 
Jahre umfasste“ (S. 28). 

Der Verfasser löst schliesslih durch eingehendes Studium des Materials und 
der Ausgrabungsberichte die Schwierigkeit mit der Erkenntnis, dass der Inhalt 
der Hügelgräber Beziehungen sowohl zur Hallstattzeit als auch zur Laténe-Zeit und 
zur römischen Kaiserzeit aufweist, dass die Gräberfelder also die ganze Zeit von 
der Hallstattkultur bis zur Periode der römischen Herrschaft am Rhein ausfüllen, 
und dass demnach am Niederrhein jene verblasste Hallstattkultur bis in die Römer- 
zeit fortbestanden hat. Diese Erkenntnis ist gewiss eine verdienstvolle Leistung 
und die darauf verwandte Mühe alles Lobes wert. — 

Aber eine Verwunderung überkommt uns darüber, wie es möglich gewesen 
ist, dass diese Erkenntnis am Niederrhein solange gefehlt hat, dass man so lange 
hin- und hergeraten hat, bis man gegen alle Behauptungen misstrauisch geworden 
ist. Sollte hierin eine Erklärung oder Entschuldigung für die Erscheinung liegen, 
dass die Römerforschung am Rhein sich so lange geringschätzig gegen die deutsche 
Vorgeschichtsforschung verhalten hat? 

Die Tatsache, dass die Urnengräber und Urnenfriedhöfe seit der späteren 
Bronzezeit oder jüngeren Hallstattzeit bis in die Völkerwanderungszeit in der Anlage 
und Bestattungsweise einander sehr ähnlich sind, ist bei uns und in ganz Nord- 
deutschland ebenso zu konstatieren, wie am Niederrhein, aber darum sie als „ein- 
heitlich* zu bezeichnen oder „als ein untrennbares Ganzes zu betrachten“ würde 
recht bedenklich sein und das Urteil verwirren. Auch bei uns sind die Beigaben 
aus diesen Zeiten meist recht dürftig, aber doch ist eine Unterscheidung möglich 
geworden dadurch, dass man die durch Beigaben oder Fundgemeinschaft datierten 
Gefässe dazu benutzte, um die gleichartigen Gefässe, wenn sie auch ohne Beigaben 
vorkommen, mit zu datieren. Die Typen sind ja ungemein weit verbreitet. Aus 
der S. 36-39 gegebenen Beschreibung der niederrheinischen Grabhügel-Keramik 
glaube ich viele alte Bekannte zu erkennen, deren Periode bei uns längst bestimmt 
ist, besonders auch viele der Laténezeit angehórige. Man vergleiche z. B. die mit 
schönem hallstättischen Schrägrand versehenen Gefässe, die in Lat&ne- Gräbern 
Mecklenburgs gefunden sind; die rauh gemachten mit glattem Rand oder auch mit 
senkrechten glatten Streifen (also rauhen Feldern), die auf der Wandtafel der Pro- 
vinz Sachsen als Laténe-Typen gezeichnet sind; die mit mehrzinkigem Instrument 
flechtwerkartig verzierten der Latene- und der Kaiserzeit; die vielen terrinenför- 
migen, wie die bei Koenen vom Urnenfriedhofe der Golzheimer Heide bei Düssel- 
dorf gezeichnete (Taf. XIX, 2), deren so viele bei uns aus Gräbern der Kaiserzeit 


IV. Bücherbesprechungen. 317 


bekannt sind, — und man wird, wie ich, auf den Gedanken kommen, dass die Ver- 
legenheit wegen der klaffenden Lücke nicht einzutreten brauchte, wenn die Finder 
oder Verwalter der rheinischen Urnenschätze ihre Blicke weniger nach Westen und 
Süden, als nach Osten und Norden gerichtet hätten, wo ja doch die Verbindungen 
der bis zum Rhein vorgedrungenen Germanen liegen mussten. 

Ein anderer Grund der eingetretenen Ratlosigkeit scheint mir aber auch in 
einer gewissen summarischen Art der Ausgrabungen zu liegen. Wenn nicht jedes 
Grab für sich als geschlossener Fund behandelt, sondern die Ausbeute ganzer 
Felder durcheinander gebracht ist, kann man natürlich nicht die Zeitfolge in der 
Besetzung eines grossen Feldes beobachten und der Inhalt eines zufällig datierten 
Grabes kann nicht zur Datierung vieler anderer verwendet werden. Aus der sum- 
marischen Behandlungsweise, die Kiekebusch der als „untrennbar Ganzes” be- 
trachteten Gräbermasse angedeihen lässt, glaube ich auf summarische Ausgrabungen 
schliessen zu müssen, würde aber solche nicht mit der Meinung entschuldigen 
können, dass die richtige Ausgrabungsmethode erst in den letzten zehn Jahren 
gefunden sei (S. 14 und 37), da Hostmann schon 1874 gezeigt hatte, wie man ein 
Urnenfeld (Darzau) ausgraben und beschreiben muss; — von vielen späteren Bei- 
spielen nicht zu reden. — Unbegreiflich ist es ferner, dass so viele Ausgrabungs- 
funde „verschollen“, dass andere nur oberflächlich beschrieben sind. Möchten doch 
endlich die Grundsätze überall begriffen werden: „Wer nicht berichtet, soll auch 
nicht ausgraben* und „Urgeschichtliche Dokumente dürfen nicht in Privatzimmern 
verschwinden“. 

Nachdem Kiekebusch einen zusammenhängenden Kulturzustand der Be- 
wohner des Niederrheins vom 8. Jahrhundert bis in die Kaiserzeit nachgewiesen 
hat, kann er zur ethnologischen Bestimmung übergehen und hat gewiss recht, wenn 
er die ganze in den Hügelbrandgräbern bezeugte Kultur für eine germanische hält, 
zumal im benachbarten Treverergebiet die Kelten bis zur Mitte der Laténezeit durch 
Skelettgräber und anders geartete Keramik charakterisiert sind. Die germanische 
Zugehörigkeit hätte m. E. auch positiv erwiesen werden können durch den Ver- 
gleich mit den germanischen Urnenfeldern Norddeutschlands, wie denn auch die 
eigentümlich „verblasste“ Beschaffenheit der Hallstatt- und der Laténe-Typen in 
den niederrheinischen Hügelgräbern m. E. nur dadurch erklärt werden kann, dass 
die Bevölkerung jene Hallstättischen und Latene-Einflüsse nicht direkt vom rheini- 
schen Süden empfangen hat, wo ihre Feinde sassen, sondern aus ihrer östlichen 
Heimat mitgebracht oder von ihren östlichen Verwandten überkommen hat, zu 
denen jene Einflüsse von Böhmen (Boii) her und auf dem Elb- und Saalewege 
gelangt waren. 

Zuletzt wendet sich der Verfasser dem römischen Einfluss zu. Während bei 
den Germanen, die der römischen Machtsphäre unterworfen waren, am Oberrhein, 
Mittelrhein und im Mosellande dieser Einfluss am dortigen Fundmaterial sehr ge- 
nau erkannt und sein Fortschritt verfolgt werden kann, lehren die niederrheinischen 
Hügelgräber, dass die freien Germanen sich während der frühen und mittleren 
Kaiserzeit dem römischen Einfluss unzugänglich verhalten haben. Dass in der 
späten Kaiserzeit (3.—4. Jahrhundert) sich die Sache anders verhält, und hier sich 
römische Einwirkungen auf Technik und Leben der Eingeborenen beweisen lassen, 
wird nicht ausgeführt. Ob die Hügelgräber nicht bis in diese Periode reichen ?') 

Als Anhang gibt Verfasser noch eine dankenswerte und nützliche Unter- 
suchung über die absolute Chronologie der Augenfibel, die auf Grund der Funde 


') Nach der Veröffentlihung von Rademacher in H. 1/2 dieser Zeitschrift S. 94 scheint die späte 
Kaiserzeit in Flachgräbern bestattet zu haben. 


318 V. Nachrichten. 


und Beobachtungen in Haltern, Neuss, Hofheim, Urmitz, Andernach zu dem Ziele 
führt, dass vier Entwickelungsstufen zu unterscheiden sind, die innerhalb der ersten 
50 Jahre unserer Zeitrechnung sich vollzogen haben. Die germanische Herkunft 
dieser Fibel ist schon von Almgren erkannt worden. Aber die wichtige von Kiekebusch 
festgestellte Tatsache, dass das Prototyp und die erste Entwickelung desselben nur 
in Böhmen häufiger auftreten, scheint mir einen nicht zu unterschätzenden Hin- 
weis auf das Land und das Volk zu enthalten, von dem die germanischen 
Techniker jener Zeit ihre wichtigsten Anregungen empfingen. 
Wernigerode. Paul Höfer. 


V. Nachrichten. 


Grabhügel bei Lissdorf nahe Eckartsberga, 
Kreis Naumburg. 


Anfang September d. J. wurde in Flur Lissdorf bei Eckartsberga ein Stein- 
kistengrab aufgedeckt. Der Gutsbesitzer Bornschein wollte einen Teil des Hügels 
abtragen, um ihn mit Feldfrücten bestellen zu können. Dabei stiess er auf eine 
Steinplatte, einen der gewaltigen Decksteine des Grabes. Beim Abheben liess man 
sie unvorsichtigerweise ins Grab fallen, wodurch die in der Kiste stehenden Ge- 
fässe vollständig zertrümmert wurden. Als ih am 11. September die Grabstätte 
untersuchte, hatten Unberufene in dem Grabe gewühlt und die vorhanden gewesenen 
Scherben, durchbohrte Tierzähne, Menschenknochen usw. achtlos beiseite geworfen. 
Bis zur Hälfte war jetzt das Grab mit Erde angefüllt, trotzdem es ursprünglich keine 
enthielt. Ungefähr von 4 bis 5 Menschen fanden sich Knochenreste vor, sodass 
ich zu dem Schlusse kam, dass hier Nachbestattungen stattgefunden haben mussten. 
Bei meiner Untersuchung beobachtete ich zunächst Reste einer Steinpackung über 
der Steinkiste. Darunter fand ich im Niveau der Deckplatten eine flachgewölbte 
Steindeckung von keilfórmigen Steinen, die mit Gipsmörtel unter sich und mit dem 
dahinterliegenden noch vorhandenen Deckstein verbunden waren. Als ich auch diese 
Steinpackung entfernt hatte, kam die genannte 1,85 m lange und 0,20 m dicke Stein- 
platte zutage, die den hinteren Teil des Grabes bedeckte. Somit füllte die mit 
Gipsmörtel verbundene Steindeckung eine Lücke zwischen den zwei grossen Deck- 
platten aus. 

Am 14. September setzte Herr stud. phil. et archaeol. Hagemann, der am 11. 
September auch zugegen war, die Ausgrabung fort. Nach kurzem Bemühen fand sich 
meine Vermutung bezüglich der Nachbestattungen bestätigt; denn an der östlichen 
Schmalseite der Kiste befand sich ein quadratischer Eingang von 0,55 m Seitenlänge, 
durch den die Leichen in der Steinzeit nachbestattet worden sind. 

Um den Zugang zu dieser Tür, die mit Steinplatten zugesetzt war, zu er- 
reichen, war ein Weg angelegt. In der Breite des Grabes führte der gepflasterte, 
rechts und links mit Steinplatten eingefasste Weg, sich nach aussen zu immer ver- 
breiternd, rampenartig auf die Oberfläche des Hügels. In und neben dem rampen- 
artigen Zugange befanden sich bronzezeitlihe Nachbestattungen. Eigenartig war 
die Beisetzung dieser Toten: Nachdem man die über einer Steinsetzung aufgetragene 
Humuserde, ungefähr 0,75 m mächtig, abgetragen, stiess man nach Wegnahme der 


V. Nachrichten. 319 


Steine auf einen seitlich liegenden Hocker, der, mit dem Gesicht nach Osten ge- 
wandt, begraben worden war. Als Beigabe fand man Scherben einer Tonschale. 
So setzte sich die Ausgrabung von oben nach unten zu fort, fünf Skelette zutage 
fördernd, die schichtenweise, mit zwischenliegender Steinpackung übereinander be- 
stattet worden waren. Als ih am Nachmittag eintraf, konnte ich die fünfte Leiche 
blosslegen, die leider fast ganz aufgelöst war. Als Beigabe fand ich Trümmer eines 
schwarzen Gefásses mit ausgeschweiftem Rande. Eine Rekonstruktion war ausge- 
schlossen. Trümmer von mehreren Gefässen, die eine Zusammensetzung nur teil- 
weise ermöglichen lassen, wurden in ziemlicher Anzahl gefunden. Als hauptsidh- 
lichste Fundobjekte sind zu nennen: 1. eine 10 cm lange Bronzenadel mit annähernd 
kugelförmigem Kopf; 2. die Hälfte einer Brillenspirale von 5--6 cm im Durchmesser; 
3. Teil eines Ringes aus Bronzedraht, spiralförmig gewunden; 4. kleine Réllchen 
und Perlen ebenfalls aus Bronze, die, auf eine Schnur gereiht, als Halskette Ver- 
wendung gefunden haben mögen. Die Knochenteile lagen teilweise ungeordnet 
durcheinander. Trotzdem die meisten Gefässe in kleinen ,Steinkisthen* mit Deck- 
platte beigesetzt waren, ist doch kein einziges vollständig aufgehoben worden. — 
Beim Ausráumen des steinzeitlichen Grabes fand man in der östlichen, linken Ecke, 
nahe an der Tür, mit Erde, Menschen- und Tierknochen vermengt, einen 10 cm 
langen Knochenpfriemen. Sonst ist trotz sorgfältiger Untersuchung in der Kiste 
nichts von uns aufgefunden worden. — Die Grabanlage befindet sich ungefähr 20 
bis 25 Minuten vom Dorf entfernt und liegt nördlih vom Ort auf einer Anhöhe, 
die teils mit Buschholz bewachsen, teils der Landwirtschaft nutzbar gemacht worden 
ist. Der sanftgewölbte Hügel erstreckt sih von Westen nach Osten und zeigt 
mehrere Erhöhungen, die vermuten lassen, dass noch mehrere Gräber vorhanden 
sind. Die Ausdehnungen der bis jetzt aufgedeckten Grabanlage sind folgende: Die 
Steinkiste misst in ihrer ganzen Länge, von Westen nach Osten 2,40 m und in der 
Breite 1,40 m. Sie ist mit schönen Kalksteinplatten ausgesetzt, die ganz regel- 
mässig aneinandergefügt und mit Gipsmörtel verbunden sind. Die Tiefe des Grabes 
beträgt 1,05 m, von der Sohle des Grabes bis zur Oberfläche des Hügels 1,80 m. 
Einschliesslich der bronzezeitlichen Nebenbestattung ist die Grabanlage 3,80 m lang. 
Der Hügel selbst ist ungefähr 40 m lang und 18 m breit. Die Höhe lässt sich 
leider schwer bestimmen, da man schon früher die gute, aufgetragene Humuserde 
behufs Feldregulierung sich zunutze gemacht hat. Was die weiteren Grabungen 
noch erschliessen werden, bleibt der Zukunft vorbehalten. Die wenigen Fundgegen- 
stände sind in den Besitz des Herrn Student Hagemann übergegangen. 


Naumburg a. S., 10. X. 09. Lehrer Carl Herrmann. 


Einzigartige Steinzeitfunde bei Alvastra. 
Ein Pfahlbau zum ersten Mal in Skandinavien gefunden. 
Viertausendjährige Äpfel, Weizenkörner und Holzgeráte. 


Eine in ihrer Art einzigstehende Ausgrabung ist während des September 
für Rechnung der Stockholmer Kgl. Akademie der schönen Wissenschaften, Ge- 
schichte und Altertimer von Dr. Frödin östlih vom Omberg gleich bei der Eisen- 
bahnstation Alvastra gemacht worden. 


320 V. Nachrichten. 


Im vorigen Jahre wurden hier einige Gerštfunde gemadht, die darauf hin- 
deuteten, dass das grosse Moor, das sich dort befindet, Reste eines alten Wohn- 
platzes bárge. Bei seinen Untersuchungen hat Dr. Frödin nicht nur diese Annahme 
bekräftigt gefunden, sondern zugleich die äusserst interessante Entdeckung gemadt, 
dass wir es hier mit Überresten eines Pfahlbaues zu tun haben, des ersten, der 
in Nord-Europa gefunden wurde. Aus dem konservierenden Kalkmoor sind weiter 
Waffen und Geräte aus Stein, Flint, Knochen, Horn und sogar aus Holz ausge- 
graben, und ausserdem verkohlte Äpfel und Weizenkörner — alles nach ganz zu- 
verlässiger wissenschaftliher Datierung wohl 4000 Jahre alt. Mehr kann man 
nächstes Jahr zu finden hoffen, wenn die Ausgrabungen fortgesetzt werden; unter 
anderem bleibt noch zu untersuchen, welche Form und Konstruktion der gefundene 
Pfahlbau gehabt hat. 


Dr. Frödin, der kürzlich von seinen Grabungen nach Stockholm zurückgekehrt 
ist, hat in „Dagens Nyheter“ einige Mitteilungen über den bemerkenswerten Fund 
gemacht. 


Der Fundplatz liegt gerade an der Kante des Dags-Moores, gleich östlich vom 
Eisenbahnhotel in Alvastra. Als der Besitzer im vorigen Sommer mit Deicharbeiten 
beschäftigt war, wurden die ersten Funde gemacht: Nusschalen, Steinwaffen usw., 
die zu den wissenschaftlichen Ausgrabungen dieses Sommers Veranlassung gaben. 
Dr. Frödin liess einen metertiefen Graben auf 56 Quadratmeter ausheben, und hier 
auf dem Boden des Grabens fand er eine Kulturschicht von ein Drittel Meter 
Midtigkeit. Unter dieser Schicht stiess er auf einen Fussboden (Plattform) von 
Kiefern- und Birken-Stämmen, die meisten ausgezeichnet gut erhalten, die Birken- 
stämme noch mit der teilweise übrig gebliebenen weissen Rinde. Der Fussboden 
erstreckte sich über eine Fläche von mehr als 50 Quadratmeter hinein unter die 
Torfshicht zu beiden Seiten des Grabens und ruhte auf Pfählen von ungefähr 
10 cm Durchmesser. Hier war also die Plattform eines Pfahlbaus, des einzigen 
bisher nicht nur in Skandinavien sondern in ganz Nord-Europa gefundenen !). 


In den Alpengegenden hat man Reste alter Pfahlbauten gefunden, aber ob- 
wohl augenscheinlih nach demselben Prinzip gebaut, unterscheidet sih doch der 
in Alvastra ausgegrabene von diesen mitteleuropäischen Pfahlbauten. Eine geo- 
logische Untersuchung, vorgenommen von Dr. L. von Post, hat nämlich an die Hand 
gegeben, dass der schwedische Pfahlbau nicht wie die Schweizer im See selbst ge- 
standen, sondern in einem Morast auf dem schwach abfallenden Strande. Die Platt- 
form hat teils auf den Pfählen geruht, teils auf dem Morastboden selbst, und das 
Wasser ist unter dem Gebäude in ebenmässigem Laufe durchgeflossen. Hier waren 
die Bewohner geschützt gegen Überfälle sowohl von der Land- als der Seeseite, 
geschützt durch den unpassierbaren Morast. Selbst kamen sie hinüber auf schmalen 
Stegen, von denen man auch einige Spuren gefunden hat. 


Wie gross der alte Pfahlbau gewesen ist, kann erst die fortgesetzte Ausgrabung 
zeigen. Es ist möglich, dass man andere ähnlihe Bauten in der Nähe findet — 
das ist sogar wahrsceinlich, da weder die schweizer Pfahlhäuser noch die Land- 
wohnplätze, die man in Schweden angetroffen hat, vereinzelt liegen, sondern zu 
mehreren vereint. Übrigens ist der gefundene Pfahlbau kein „Einfamilienhaus“ 
gewesen. Auf der Plattform liegen nämlich mehrere Herde, 6 auf der bisher aus- 
gegrabenen Fläche. Die Stämme in ihrer Umgebung sind von der Hitze verkohlt 


1) Um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen, sei daran erinnert, dass in Norddeutsch- 
land, so in Mecklenburg (Wismar u. a.), Posen (Czeszewo) und mehrfah im südlichen Ostpreussen 
(Masuren), steinzeitlihe Pfahlbauten aufgedeckt und ausgebeutet worden sind. G. K. 


V. Nachrichten. 391] 


und die Steinplatten gesprungen. Eine Raumeinteilung hat es offenbar nicht ge- 
geben, die Herde liegen so nahe aneinander, dass die Wánde verkohlt waren. 
Wahrscheinlich hat ein grosses Dach von Fellen oder von Zweigen und Torf sich 
über die ganze Plattform erstreckt. — Dr. Frödin hat Reste der schmalen Streben 
gefunden. | 

Über der Plattform lag, wie schon erwähnt, eine 30 cm dicke Schicht von 
Abfällen, die verschiedene interessante Sachen enthielt. Es fanden sich dort Waffen 
aus Stein und Flint, Pfriemen und Meissel aus Knochen und Horn, ausserordentlich 
gut erhalten im Sumpfwasser, das den Stein angegriffen, das Knochengerät aber 
konserviert hat. Es fanden sich dort Scherben von Tongefässen, Wildschweinszähne, 
die offenbar als Zierat gebraucht sind, Knochen in Menge von Wildschweinen und 
Edelhirshen, an denen also kein Mangel war, Nussschalen in Massen. Man fand 
auch verkohlte Weizenkörner und verkohlte Äpfel — ein Teil von ihnen liegt jetzt 
unter Glas im Nationalmuseum, und das verdienen sie, denn wohl hat das Stein- 
museum verschiedene alte Raritäten, aber 4000-jährige Apfel hat es bisher nicht 
beherbergt. So alt sind sie indes. Der Wohnplatz gehört nämlih in die Gang- 
gräberzeit, einem späteren Teil der Steinzeit ungefähr vom Jahre 2500 bis zum 
Jahre 2000 v. Chr. 

Man hat wohl gewusst, dass der Weizen schon zu der Zeit bekannt war, man 
weiss es aus Abdrücken in gefundenen Tongefässen, aber dies ist Originalweizen 
von vor mindestens 4000 Jahren, und das ist etwas Neues. Ebenso einzigstehend 
sind die Äpfel, der erste Fund seiner Art in Skandinavien. Vermutlich hätten die 
jetzt verkohlten Äpfel keinen Preis auf der Herbstausstellung des Pomologischen 
Vereins bekommen, sie sind wohl recht und schlecht Sauerobst gewesen, aber den 
Ostgötern der Steinzeit haben sie auf alle Fälle ebensogut geschmeckt wie die Nüsse. 
Weder botanish noch zoologisch ist der Fund übrigens bis jetzt bearbeitet. 

In einer Spalte zwischen zwei Stämmen fand sich schliesslich ein kleiner sehr 
gut gearbeiteter Holz(angel)haken, das erste erhaltene Holzgerät, das in Schweden 
aus so alten Zeiten gefunden ist. Nächstes Jahr, wenn Dr. Frödin mit der Unter- 
suchung des vom wissenschaftlihen Standpunkt Interessantesten, nämlich der Kon- 
struktion des Hauses, fortfährt, hofft er unter der Plattform im Schutz der Stämme 
noch mehr merkwürdige Dinge in dem prächtigen Kalkmoor zu finden, vielleicht 
geradezu Kleidungsreste. I 

Das schon Gefundene zeugt ausser davon, dass die Gegend schon zu der 
Zeit reich und fruchtbar war und dass sie mit Menschen bevölkert war, die in Pfahl- 
hütten wohnten, auch davon, dass die Bevölkerung in Handelsverbindung mit anderen 
Völkern gestanden hat. Die Flintgeräte beweisen das — aller Flint ist ja impor- 
tiert — aber auch eine schöne Bernsteinperle in Form einer Doppelaxt, dem Symbol 
der Gottheit. 


399 V. Nachrichten. 


Todesfälle. 


Nachträglich bringen wir ein Bild des ersten uns durch den Tod geraubten 
Mitgliedes, Professor Dr. Oskar Mertins in Breslau, dessen Bedeutung für 
unsere Wissenschaft im ,Mannus* S. 166 
bereits skizziert worden ist. 


Am 5. Juni d. J. starb der Kgl. 
Rumänishe Hofgoldshmied Paul 
Telge zu Berlin, bekannt durd die 
zahlreihen trefflihen Nachbildungen 
vorgeschichtlicher Gold- und Silberfunde, 
z. B. von Vettersfelde, Sacrau, Pe- 
troassa, Wittislingen, Hiddensö, deren 
hauptsächlihste er in der Schrift 
„Prähistorische Goldfunde in gesetzlich 
geschützten Nachbildungen“ in Wort und 
Bild behandelt hat. 


Am 9. Juni verschied plötzlich 
zu Freiburg i. S. unser Mitglied, der 
Kustos des Teplitzer Museums, k. k. 
Konservator Robert Karl Ritter 
von Weinzierl. Er war geboren 
1855 zu Weissaugezd in Böhmen, stu- 
dierte an der Prager Technischen Hodh- 


Prof. Dr. Oskar Mertins : : un 
, schule und an der dortigen Universität, 
aii aa iT 1500 ie wurde Sekretär der Prager Physiokra- 


tischen Gesellschaft und betrieb neben- 
bei aufs eifrigste das Studium der Vorgeschichte, die er durch fortgesetzte Aus- 
grabungen in Nordböhmen auch praktisch förderte. Seine zahlreichen Schriften zur 
Vorgeschichte, mit denen er seit 1894 hervortrat, finden sich fast alle genannt in 
der „Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordböhmen“ (Mannus S. 187 bis 
210), die sein Schwanengesang werden sollte. Wegen seiner erfolgreichen Arbeiten 
wurde er 1897 zum k. k. Konservator ernannt und 1899 als Kustos des von ihm 
geschaffenen Zentralmuseums für Nordböhmen bestellt, das er in trefflichster Weise 
einrichtete, verwaltete und vermehrte und dessen Schätze er in den , Tatigkeitsberichten* 
der wissenschaftlichen Welt auch literarish eröffnete. Der neuen tatkräftigen Be- 
wegung, die zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte führte, 
schloss er sich alsbald freudigen Herzens an und sogleich stellte er seine letzte 
obengenannte Abhandlung, worin er ein Fazit seiner Lebensarbeit zieht, dem ‘Mannug’ 
zur Verfügung. So schien es angebracht, dieser Abhandlung zugleich sein körper- 
lides Bild mitzugeben (S. 188). Möge dem nunmehr verwaisten reihen Museum 
zu Teplitz bald ein Leiter erstehen, der mit gleicher Inbrunst, Tatkraft und Ge- 
schicklichkeit der Verwaltung und Mehrung seiner Schätze sich weiht. 


V. Nachrichten. 393 


Am 20. Juli entsclief in Kiel unser erstes und einziges Ehrenmitglied 
Fräulein Professor Dr. med. Johanna Mestorf, Direktor des Schleswig-Hol- 
steinishen Museums vaterländischer Altertiimer 
a. D. Noch zum 17. April, ihrem 80. Geburts- 
tage, hatte ich ihr zugleih mit dem im ersten 
Mannushefte wiedergegebenen Ehrendiplom den 
Wunsch der Gesellschaft übermittelt, sie noch 
lange Jahre die unserige nennen zu dürfen. 
Die Erfüllung dieses Wunsches blieb uns versagt. 

Seit ihrem 70. Geburtstage, 1899, ist 
J. Mestorf fortgesetzt der Gegenstand so zahl- 
reicher Ehrungen und infolgedessen so zahlreicher 
öffentliher Besprechungen gewesen, dass ihr 
äusserer Lebenslauf in weiteren Kreisen bekannt 
sein dürfte. 

f Geboren am 17. April 1829 zu Bramstedt Profesor D£ Johanna Mona 
in Holstein als Tochter eines Arztes nahm sie 17. 4. 1829 — 20. 7. 1909. 
während der 50 er Jahre des vorigen Jahrhunderts 

längeren Aufenthalt in Schweden, was für die Heranbildung ihrer archäologischen 
Neigungen und ihrer Begeisterung zu heimatlimer Altertumsforshung von ent- 
scheidender Bedeutung wurde. Seit 1859 lag sie in Hamburg antiquarischen Studien 
ob, die sie seit 1865 zunächst zu Übersetzungen skandinavischer Werke führte, wie 
Nilssons „Ureinwohner“, Wibergs, Hildebrands, Worsaaes, Undsets, Soph. Müllers 
und Montelius’ einschlägige Schriften, denen in den letzten Lebensjahren noch 
Salins „Germanische Tierornamentik“ (1904) sich anschloss. 

Bald aber folgten eigene wissenschaftlihe Schöpfungen, beginnend 1868 mit 
den „Bildern aus der Vorzeit Schleswig-Holsteins“. Reicher wurde diese selb- 
ständige Tätigkeit, nachdem sie 1873 zum Kustos des Schleswig-Holsteinischen Mu- 
seums vaterlandischer Altertiimer ernannt und 1877 der ,Anthropologische Verein 
in Schleswig-Holstein“ gegründet worden war. Ihre beiden Werke ,Vorgeschicht- | 
lihe Altertümer aus Schleswig-Holstein“ (1885) und „Urnenfriedhöfe in Schleswig- 
Holstein“ (1886) sind die Quellen, aus denen jeder Forscher zunächst schöpft, wenn 
er eine Belehrung über die Vorgeschichte Schleswig-Holsteins sucht. Dazu kam die 
lange Reihe wertvoller Abhandlungen in den „Mitteilungen des Anthropologischen 
Vereins“ (seit 1888) und in den „Berichten“ des Museums, besonders nachdem sie 
1891 als Nachfolger Prof. Handelmanns an die Spitze dieser Anstalt gerückt war. 
Hervorgehoben seien hierunter ihre Arbeiten über „Steinaltergräber ohne Stein- 
kammer unter Bodenniveau“ (1892, 1899), ,holsteinishe Gürtel“ (1897), „Glas- 
perlen aus Frauengräbern der Bronzezeit“ (1900), „Danewerk und Heithabu“ (1901), 
„Wohnstätten der älteren neolithishen Periode in der Kieler Föhrde“ (1904), 
„Moorleichen“ (1900, 1907). 

Ihr Hauptwerk jedoch, womit sie sich ein dauerndes Denkmal gesetzt hat, ist 
das musterhaft eingerichtete, geordnete, verwaltete Museum selbst. Hierin konnte 
sie ihrem Jugendideal, die ihr in Schweden vertraut gewordene, damals der deut- 
schen so weit überlegene skandinavische Methode der archäologischen Forschung in 
Deutschland anerkannt und geübt zu wissen, so recht von Herzen nachgehen, und 
dies zumal im Dienste ihres engeren Heimatlandes, dem sie über alle Massen an- 
hing. Sie war ein erbitterter Feind aller Zentralisation von Berlin her und sah in 
den allerneuesten Personaländerungen an der Berliner Zentralstelle, wie sie mir 
in einem langen, ernsten Briefe gestand, nach allen Richtungen eine Gefahr für 


324 V. Nachrichten. 


den gedeihlichen Fortschritt der Vorgeschichtsforschung. Noch ganz kürzlich schrieb 
sie mir, dass „nach ihren Erfahrungen die Lokalforschung von höchstem Werte“ sei, 
„vorausgesetzt, dass sie nicht dilettantisch betrieben, sondern von wohlgeschulten 
Kräften nach strenger Methode vollzogen wird. Diese werden der Deutschen Gesell- 
schaft für Vorgeschichte nicht fehlen und da dürfen wir von ihrer ernsten Arbeit 
die schönsten Erfolge erhoffen“. 

Noch von ihrem Sterbelager aus liess sie es mich wissen, „dass sie die ihr 
erwiesene Ehre* (der Ernennung zum Ehrenmitgliede) „stets besonders dankbar 
empfunden hat“. 

Nicht das geringste Verdienst J. Mestorfs besteht darin, dass sie es verstanden 
hat, die richtigen Kräfte zu ihrer Unterstützung im Museumsdienste heranzuziehen 
und durch wissenschaftlich wie praktisch gleich gut geschulte Mitarbeiter und Nach- 
folger für die in der Museumsverwaltung so notwendige Bewahrung der Überlie- 
ferung zu sorgen. 


Ende Juli starb plötzlih unser Mitglied der Schriftsteller Wilhelm Keetz 
in Hitzacker (Prov. Hannover), der sich mandes Verdienst um die Vorgeschichte 
seiner engeren Heimat erworben hat. 


Am 12. November verschied zu 
Löcknitz bei Stettin nach langem, schweren 
Leiden unser Mitglied Sanitätsrat Hugo 

* Schumann. 

Geboren am 2. Márz 1853 als 
Pfarrerssohn zu Untersiemau bei Koburg, 
mit 16 Jahren ganz verwaist, studierte er 
in Jena und Leipzig, um 1878 nach früher 
Heirat in Löcnitz als Arzt sich niederzu- 
lassen. Der Mangel geistiger Anregungen 
in dem kleinen Orte trieb ihn zum Studium 
der Geschichte, dann bald der Vorgeschichte 
seines neuen Heimatlandes, der er trotz 
schwerer Landpraxis alle freie Zeit, meist 
Nachtstunden widmete. Die erste Frucht 
dieser Studien war 1886 die Schrift über 
„Die Burgwälle des Randowtales" (Balt. 
Stud. 37). In rashem Zuge bemachtigte 
er sich der Kenntnis der Hauptperioden 
der pommersch-nordbrandenburgischenVor- 
geschichte und vertiefte diese Kenntnis be- 
ständig, wie seine andauernden Veröffent- 
lihungen neuer Funde bewiesen. Seine 
„Urnenfriedhöfe in Pommern“ von 1889 
(Balt. Stud. 39) haben die wissenschaft- 

Sanitätsrat Hugo Schumann. liche Sicherung vergänglichen Materials ge- 

a a 1509; bracht und können darum nie völlig ver- 

alten. Ausser den „Baltishen Studien“ 

brachten die „Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft“ und die 
„Nachrichten über deutsche Altertumsfunde* zahlreichste Aufsätze von ihm. 


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, 


V. Nachrichten. 325 


Beiträge zur Kenntnis der Steinzeit lieferte er durch Behandlung der Stein- 
kistengräber von Blumberg (1888), Lebehn (1889), Retzin (1896), Hammelstall (1902) ; 
der Flachgräber von Glasow, Casekow, Oberfier (1891), Stramehl (1894), Char- 
lottenhóh (1899); der Steingerätdepots von Bagemühl (1888), Brüssow (1890), 
Randowtal (1895); sowie der Tongefässverzierungsarten (1891). 


Der Bronzezeit gewidmet sind seine Abhandlungen über den Bronzedolch von 
Magnushof (1902) aus Per. I; die Funde Clempenow (1897), Peenefluss (1897), 
Arnimshain, Crüssow, Rosow (1901), aus Per. Il; Angermünde (1901), aus Per. Ill; 
Hörncentutuli (1890), Alt-Storkow (1891), Schwennenz (1894), Nassenheide (1900), 
aus Per. IV; Goldarmringe (1888), Hanshagen (1898), Vietkow (1900) aus Per. V. 


Der frühesten Eisenzeit gehören an die Schriften: Die pommerschen Hohl- 
wülste (1892) und „Die Waffen und Schmucksachen Pommerns zur Zeit des Laténe- 
Einflusses, ihr Charakter und ihre Herkunft” (Lemckefestschrift 1898). 


Sehr wichtig sind seine Veröffentlihungen über germanishe Gräber aus 
früh- und spätrömischer Kaiserzeit, wie die von Obliwitz (1891), Zirzlaff (1892); — 
Borkenhagen, Falkenberg, Redel (1892—94), Bodenhagen (Baumsarg 1899), Hohen- 
selchow (1902); sowie aus merowingischer Zeit von Friedefeld (1898). 


Reichhaltig waren auch seine Äusserungen über wendische Skelettgräber: 
Ramin (1898), Boeck, Bagemühl (1890), Wollin (1891, 1892, 1894), Friedefeld (1893); 
über Hacksilberfunde schrieb er 1902; über ein karolingishes Gefäss 1901. 


Bei den Skelettgräbern der Steinzeit, wie der römischen Kaiserzeit und der 
wendischen Epoche widmete er der anthropologischen Untersuchung der menschlichen 
Reste stets die grösste Sorgfalt, was nicht dankbar genug anerkannt werden kann. 


Von selbständigen Werken seien noch die Festschrift der Pommerschen Ge- 
sellschaft für Geschichte und Altertumskunde an die Berliner anthropologische Ge- 
sellschaft genannt: Der Bronzefund von Hökendorf (Stettin 1894), besonders aber 
seine nützlihe Zusammenfassung „Die Kultur Pommerns in vorgeschichtlicher Zeit“ 
(Balt. Stud. 46, 1896). 

In den letzten Jahren seines Wirkens widmete er sih unter dem Einfluss 
seines Prenzlauer Freundes A. Mieck, des verdienstvollen Schöpfers des schönen 
Prenzlauer Museums, ganz der Erforschung der Uckermark. In diese Epoche fällt 
sein kleiner Vortrag über die „Vorgescichtlichen Beziehungen der Uckermark während 
der Stein- und Bronzezeit“ (Prenzlau 1899), die mit A. Mieck gemeinschaftlich 
verfasste Schrift „Das Gräberfeld bei Oderberg-Bralitz“ (Prenzlau 1901) und nament- 
lih sein umfangreihes und reifstes Werk „Die Steinzeitgräber der Uckermark“ 
(Prenzlau 1904), worin er für die richtigere Beurteilung der Gráberepodhen und 
Kulturgebiete der Steinzeit Norddeutschlands Anerkennenswertes geleistet hat. Leider 
bedeutet dies Werk nicht nur den Höhepunkt, sondern auch den Endpunkt seines 
wissenschaftlihen Schaffens. In den letzten fünf Jahren lähmte ein Herzleiden 
seine Arbeitskraft und verhinderte jeglihe wissenscaftliche Tätigkeit. 


Erstaunlich reichhaltig und vielseitig war die Arbeit dieses Mannes, der, ob- 
wohl Privatmann, in den letzten zwanzig Jahren fast allein die Vorgeschichte 
Pommerns in Verwaltung genommen hatte. Ehre seinem Andenken! Man er- 
schrikt vor dem Gedanken, dass Pommern, dieses herrliche, unerschépflich reiche 
Fundgebiet der Vorzeit, etwa auch den Segen der Arbeit dieses Thüringers hätte 
entbehren müssen und fragt sich, wie lange das jetzige völlige Darniederliegen der 
Sorge um die Vorgeschichte dieses Landes denn noch andauern soll! Ist niemand 
in Pommern da, der mit gleichem Eifer und gleicher Versenkung sich seiner Heimat 


326 V. Nachrichten. 


widmen oder wenigstens einen lauten Mahnruf ins Land erschallen lässt, nahdem 
Stettin und Stralsund gleichmässig verödet erscheinen? Oder wird wieder alles 
Heil von dem Herrn Minister in Berlin erwartet? 


Am 3. Dezember entschlief zu Bergquell-Frauendorf nach langem, schweren 
Leiden unser Mitglied der Geheime Sanitätsrat Dr. Wilhelm Zenker, Leiter 
eines Sanatoriums, im 71. Lebensjahre. Auf archäologischem Gebiete hatte er, wie 
in Frankreich Thieullen, die Neigung in Steinen, die Naturgebilde waren, mensch- 
liche Artefakte zu erkennen. G.K 


Erklärung. 

Heft 1 der „Prähistorischen Zeitschrift" S.101 behauptet Direktor Schuchhardt, 
in der Versammlung des Nordwestdeutschen Verbandes, die am 19. April 1909 in 
Cassel tagte, sei „festgestellt“, dass die von mir im Lager des Habichtswaldes ge- 
fundenen Scherben „nicht rómish* seien. Diese Behauptung entspricht 
nicht der Wahrheit. Vielmehr haben diejenigen Herren, die sich die Scherben 
ansahen, das Vorgezeigte teils als wirklich römische, teils als möglicherweise römische, 
teils als Laténe-Ware anerkannt, und diejenigen, die das nicht vermochten, wussten 
überhaupt nicht, was sie damit anfangen sollten. Kein einziger der Herren 
aber hat sich dem Urteil Schuchhardts, dass sie karolingisch seien, 
angeschlossen. 

Osnabrück. Dr. F. Knoke. 


Berichtigung. 

Mannus Heft 1/2 S. 134 ist unter Abb. 2 die Bezeichnung „Nachbildung“ hin- 
zuzufügen bei folgenden Stücken: Schwertstab von Metzelthin (Original in Privat- 
besitz), Randbeile von Kläden, Schwertstabklingen von Gr. Schwechten, Dolch von 
Lüben. — S. 135 muss es unter Abb. 3 heissen: dickwangige Pinzette. 


Unsere Gesellschaft, die am 3. Januar mit 199 Mitgliedern begründet 
wurde, beim Erscheinen des ersten Mannus-Heftes (Juni) auf 250, bei der Haupt- 
versammlung in Hannover (August) auf 280 Mitglieder angewachsen war, zählt 
deren gegenwärtig (Dezember) 330. 

Am Gründungstage wurde Herr Geheimer Kommerzienrat vom Rath in Köln 
lebenslängliches Mitglied, im Dezember hat Seine Kóniglime Hoheit der 
Herzog von Cumberland, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg 
die immerwährende Mitgliedschaft erworben. 

Innerhalb des Ausschusses ist an Stelle des ausgeschiedenen Universitáts- 
professors Dr. Lehmann-Haupt das rührige Mitglied Privatdozent Dr. Rob. Rud. 
Schmidt in Tübingen gewählt worden. — Das Amt des Schatzmeisters der Haupt- 
gesellschaft hat an Stelle von Dr. Albrecht-Charlottenburg, der aus Gesundheits- 
rücksichten sein Amt niederzulegen sich gezwungen sah, Zahnarzt Dr. Bordes in 
Berlin W. Schillstr. 10 übernommen. 


V. Nachrichten. 327 


Die Festschriften der Hauptversammlung zu Hannover 


sind, soweit der Vorrat reicht, auf gewöhnlihem buchhändlerischen 
Wege zu beziehen durh den Kommissionsverlag von Ludwig Ey 
in Hannover, Georgstr. 47, und zwar: 


1. 


2. 


Festschrift des Provinzialmuseums zu Hannover. 
7 Bogen 4°, 6 Tafeln. Mk. 2.— 


Kurze Übersicht der wichtigsten Literatur der Vorge- 
schichte Mitteleuropas auf Grund des Vorgeschichtlichen 
Apparates des Germanischen Seminars der Universität Berlin 


zusammengestellt von Ernst Wahle, revidiert und ergänzt von 
Gustaf Kossinna. 1 Bogen 8°. Mk. —.25 


. Grabungen des Museumsvereins für das Fürsten- 


tum Lüneburg im Jahre 1908. Von Michael Martin Lienau. 
9 S. 80, 2 Tafeln. Mk. —.25 


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Digitized by Gooqle 


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