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Zeitschrift fur Vorgeschichte
Organ der Deutschen Gesellschaft
für Vorgeschichte
:: herausgegeben von ::
Professor Dr. Gustaf Kossinna
L Erganzungsband
Bericht uber die I. Hauptversammlung
zu Hannover, 6. bis 9. August 1909
WURZBURG
Curt Kabitzsch (A. Stuber's Verlag) `
1910
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Königl. Universitätsdruckerei H. Stürtz A. G., Würzburg.
Inhaltsverzeichnis.
Freitag, den 6. August:
Begrüssungsabend. Redner: Professor Mohrmann.
Festschriften
Sonnabend, den 7. August:
Universitätsprofessor Dr. Kossinna: SE Ober den ‚Vorgeschiäht
lichen Handel in Mitteleuropa“ ;
Begrüssungsreden: Landeshauptmann v. a wen nse, Professor R oss,
Geheimrat Frank, ProfessorMohrmann, Professor Dr. Kossinna
Eröffnungsreden im Provinzialmuseum: Dr. Reimers, Dr. Hahne
Wissensckaftliche Vorträge:
Dr. Reimers: Vorgescichtsforschung und Denkmalpflege
Dazu: Kossinna
Prof. Dr. Höfer: Die Erforschung mittelalterlicher Buden
Dazu: Reimers, Hahne, Wadenroder, Höfer
Dr. Olbricht: Das Klima der postbaltischen Zeit und die vorgeschichtliche
Chronologie (mit 1 Textabb.) by. dar
Dazu: Korn, Olbricht, Wüst, Blenden e Olbrict.
C. Schwantes: Slawische Skelettgräber bei Rassau, Provinz Hannover
(mit 1 Textabb.) ;
Dazu: C. Shwantes, Kiekebusch; d. S Kiekebüsc
Festmahl:
Dichtungen von H. Hahne (mit 1 Zierleiste von Prof. B. Schulz) .
Sonntag, den 8. August:
Ausflug nah Wohlde und den Sieben Steinhäusern bei Süd-
bostel a ae u ee ee E
Dazu: Hahne, e e
Montag, den 9. August:
Geschäftssit zung
N Wi Se
L. Feyerabend: Die Entstehung der Schlackenwälle und die verschiedenen
Typen der Burgwälle in der Oberlausitz . . 0 A
Dazu: Schmidt, Kossin na, Feyerabend, schmidt :
Dr. Kiekebusch: Die wichtigsten Bronzezeitfunde des Märkischen
Museums der Stadt Berlin Be A d
Dazu: Bezzenberger, Kidhebus di: Reimers, Neos :
Dr. R. R. Shmidt: Die . Bestattungen der Ofnet (nit
Tafel I) . be ie gee
Dazu: Berzenbevger, R. R. Shmidt, Rossland:
Seite
49
56
63
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Seite
Diluvialarhäologishe Konferenz (mit Tafel II): Hahne, Wüst,
Hahne, Blanckenhorn, Wüst, R. R. Schmidt, Wüst, Hahne. — Blankenhorn 63
Prof. Bruno Schulz: Das Grabmal des Theoderich zu Ravenna und
seine Stellung in der Architekturgeschi dite 70
Geheimrat Prof. Dr. Bezzenberger: Ostpreussishe Grenzbezie-
hungen (mit 1 Textabb.) 72
Professor Dr. Knoke: Wanderung über das Schlachtfeld dés Teuto-
burger Waldes 76
Dazu: Kossinna Sa 87
Professor Dr. Kosa iihai Schlusswort eh A ote oe. ae et ee OB
Dienstag, den 10. August bis Donnerstag, den 12. August:
Ausflug ins Wesergebirgeundinden Teutoburger Wald unter
Führung von Prof. Dr. Kossinna und Prof. Dr. Knoke . . 88
Professor Dr. Kossinna: Exkurs über den Flurnamen ‘Idistaviso’ . 90
Freitag, den 13. August bis Montag, den 16. August:
Ausflug zum Besuch neugeordneter Sammlungen des deut-
schen Paläolithikums unter Führung von Dr. R. R. Schmidt 93
Dr. R. R. Schmidt: Die geologischen und archäologischen Ergebnisse
meiner seit 1906 vorgenommenen Ausgrabungen in süddeutschen Höhlen 95
Dr. R. R. Schmidt: Die Epochen der parietalen Kunst in den Höhlen
Südfrankreihs und Spaniens . . oe
Dr. R. R. Schmidt: Entwicklung der palaolithischen Steintechnik . . . 98
Geh. Rat Dr. Pfeiffer: Gebrauch und Be einiger paläo-
lithischer Geräte 99
Prof. Dr. v. Koken: Funde aus en Diluvium von Gafsa bei Tunis und
vom Harzvorlande . 99
Dr. R. R. Schmidt: Die diluvial- prähistorische Sammlung deutscher Funde
in Tübingen r D „ r 100
Verzeichnis der Teilnehmer N 105
107
Rednerliste
Freitag den 6. August.
Nachmittags um 6 Uhr fand im Künstlerhause eine Sitzung des
Vorstandes statt, an die sich eine Sitzung des gesamten Ausschusses
anschloss.
An derselben Stelle erfolgte abends das erste gesellige Bei-
sammensein der Tagungsgaste. Dieser Begrüssungsabend war sehr gut
besucht, auch von Damen, und verlief in angeregt behaglicher Stimmung.
Geh. Baurat u. Konsistorialbaumeister Prof. Mohrmann,
Hannover,
begrüsste die Teilnehmer an der Tagung seitens seiner niedersächsischen
Heimat in humoristischen und gemütvollen Worten. Erfreulich war die
rege Anteilnahme der Einheimischen, die sich bereits an diesem Abend
zeigte.
Folgende Schriften und Andenken wurden den Teilnehmern
an der Tagung iiberreicht:
1. Als Abzeichen für die Teilnehmer:
Nachbildung einer Gewandhafte in Vogelform der späteren
Völkerwanderungszeit, aus einem Funde von Anderlingen, Kr.
Bremervörde stammend, der im Prov.-Museum aufbewahrt wird
(vgl. Jahrbuch des Prov.-Mus. zu Hannover für 1907/8).
2. Die Festschrift enthält folgende Arbeiten:
1. Dir. Dr. Reimers: Einleitung (Jahresbericht 19089 für das
Provinzialmuseum).
2. Dr. Hahne: Zur Ausgestaltung der vorgeschichtlichen Slg.
des Provinzial-Museums zu Hannover als Hauptstelle für
vorgeschichtlihe Landesforschung in der Provinz Hannover.
. Ders. Bericht über die Ausgrabung von Hügeln bei Wohlde,
Kr. Celle.
. Ders. Bericht über Ausgrabungen bei Hoya.
. Ders. Vier Serien Steingeräte der Eingeborenen von Australien.
. Ders. Eine Holzkeule der Eingeborenen von Australien mit
bildlichen Darstellungen.
3. Bericht über die Ausgrabungen des Lüneburger Altertumsmuseums
von M. M. Lienau.
4. Kurze Übersiht der wichtigsten Literatur der Vorgeschichte
Mitteleuropas zusammengestellt von E. Wahle, revidiert und
ergänzt von Gustaf Kossinna.
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Kurzer Wegweiser durch die vorgeschichtlidhie Sammlung des
Provinzial-Museums zu Hannover (Hahne).
. Führer durch die Stadt Hannover.
. Präsenzliste usw.
Für die Teilnehmer an der diluvialarchäologischen Konferenz:
Serien von lithographierten Postkarten, die Ausgrabungen und
Funde O. Hausers im Vezéretal zeigend.
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Sonnabend den 7. August.
Kgl. Technische Hochschule.
Vorm. 9 Uhr. Die Tagung wird eröffnet durch einen mit 80 Licht-
bildern ausgestatteten Festvortrag von
Universitätsprofessor Dr. Kossinna, Berlin:
Vor geschichtlicher Handel in Mitteleuropa.
(Kurzer Auszug) !)
Was wissen wir von dem Handel der Vorzeit? Noch vor wenigen
Jahrzehnten waren selbst Fachleute geneigt, alle vorgeschichtlichen
Gegenstände unseres Landes von besserem Aussehen für Handelsware
aus Südeuropa her anzusehen. Heute, wo die Vorgeschichtsforschung
aus Stoff, Form und Stil der Altertiimer genau ihren Ursprung, ihre
Heimat und Entstehungszeit kennt, weiss man, wie gering der Anteil
der Importware ist gegenüber der einheimischen Fabrikation jeder
Gegend. Die wichtigste Frage für den Handel sind die Handelswege.
Die Beförderungsart der Waren in der Vorzeit selbst bis in die Stein-
zeit hinein war im Grunde keine andere und keine viel schlechtere
als wie sie vor 100 Jahren, d. h. vor dem Aufkommen der Dampf-
fahrzeuge üblih war, nämlih auf Pferde- und Rindergespannen
oder auf dem Rücken von Saumtieren. Für Reiten und Fahren haben
wir Beweise in der Steinzeit. Viel wichtiger noch war der Wasser-
weg. Bereits in der Steinzeit wurden fernliegende Inseln, wie
Helgoland, Bornholm, Gotland, vom Festlande aus besiedelt. Kultur-
verbindungen zwischen Pommern und Südschweden ohne den Anteil
Dänemarks, (Steinhämmer), desgleichen von Südschweden nach England
ohne den Anteil von Dänemark und Nordwestdeutschland (Steinkisten mit
Loch), desgleichen von Irland und Dänemark (Goldene Halskragen) ohne
Nordwestdeutschland zeigen den Verkehr über die hohe See. Dieser
Seeverkehr geschah in riesenhaften geruderten Einbäumen, die bald
durch aufgesetzte Bordflanken und eingefügte Querhölzer (Spanten)
verbessert wurden. Sicherer war der Binnenverkehr auf Flüssen.
Die wichtigste Verkehrsader mit grosser Einheitlichkeit der Kultur
und der Bevölkerung, wie auch der Importartikel war das Donau-
gebiet, namentlich in der Zeit der Spiralkeramik, wo aus dem Roten
Meer und dem östlichen Mittelmeer die purpurne Spondylusmuschel und
—
1) Der vollständige Vortrag wird erscheinen als Sonderheft der Darstellungen
über früh- und vorgeschichtliche Kultur-, Kunst- und Völkerentwiclung, heraus-
gegeben von Prof. Dr. Gustaf Koss inna. Würzburg, C. Kabitzsch.
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die Dentaliummuschel bis an die oberste Donau heraufkam, bis Ober-
schlesien wenigstens der Obsidiangebrauch. Keineswegs so einheitlich
ist das Rheingebiet, wo in der Schweiz und am Oberrhein das Pfahl-
bauvolk südeuropäishen Charakters den frühesten Getreidebau
nach Mitteleuropa bringt und die Prunkbeile aus Halbedelgestein wie
Nephrit, Jadeit und Chloromelanit über Mitteleuropa und weiter hinaus
verbreitet. Die mit dieser Pfahlbaubevölkerung am Mittelrhein zusammen-
stossenden donauländischen Südindogermanen verbreiten gewisse teils
schmale, hochgewölbte, teils breite, flachgewölbte steinerne Hacken (Acker-
baugeräte) und grosse querdurchlochte steinerne Pflugscharen über Nord-
deutschland, d. h. zu den Nordindogermanen, die ihrerseits herrlich
geschliffene Feuersteinbeile, aufs schmuckste zugeschlagene Lanzenspitzen
und Dolche südwärts bis ins Alpengebiet versandten.
Der Haupthandelsartikel der Nordindogermanen war der
Bernsteinshmuc, dessen Rohmaterial ihnen in Jütland und Ostpreussen
(Menschen- und Tieridole) in so reicher Weise zur Verfügung stand.
Dieser Bernsteinhandel hielt sich während der Steinzeit streng inner-
halb des Gebietes der Nordindogermanen, doch führten sie ihn bei
ihrer Ausbreitung im Westen bis zur Schweiz, im Osten bis nach Ost-
galizien mit sich. Erst als sie nach Südeuropa vordrangen, mit Beginn
der Bronzezeit, finden wir auch dort Bernsteinschmuck.
Die norddeutschen Ströme, selbst Elbe mit Saale, und die Weichsel
waren mehr Wegweiser für die südliche Ausbreitung der Nordindoger-
manen als wie für das Eindringen südlichen Importes nach dem Norden.
Eine Ausnahme macht das Wesertal in der älteren Bronzezeit, wo
einerseits die Nordwestdeutschland nunmehr besetzenden Germanen
Bernsteinshmuck und gewisse Formen des Bronzeshmucks (gerippte
Halskragen) an die mittlere und obere Weser, ins Maingebiet und nach
Süddeutschland abgeben, anderseits die in den genannten Gegenden
sich jetzt konsolidierende keltische Bevölkerung wiederum besondere
Bronzeschmuckformen, worunter die Radnadel hervorragt, den germanisch
gewordenen hannoverschen Landen und den Nachbarprovinzen zuführt.
So müssen wir bei den Kulturwanderungen und im Verkehr der Vorzeit
viererlei unterscheiden:
1. Ausbreitung der Kultur durch Ausbreiten der Bevölkerung,
2. Einzelimport fremder Ware,
3. einheimische genaue Nachahmung der Fremdware,
4. selbständige Weiterbildung eingeführter Warentypen.
Mit Einsetzen der Bronzezeit setzt sich die Elbstrasse nicht nur
zur Donau fort, sondern geht weiter südwärts direkt über die Alpen
nach Italien. Zum ersten Male dringt die Bevölkerung ins Hochgebirge.
In der Benutzung der Pässe steht noch wie heute obenan der Brenner,
über den die Früherzeugnisse der italischen Bronzezeit nach Norden
wandern, ein Verkehr, der aber bald abbriht. Das Aufkommen ge-
hämmerter Bronzeblehwaren mit getriebenen Verzierungen in der
mittleren Bronzezeit Südeuropas eröffnet einen neuen Zustrom ita—
lischer Ware nach Mitteleuropa (während Westeuropa ganz zurücksteht,
auch in einheimischer Technik), der bis zur römischen Kaiserzeit unter
langsamer Steigerung sich anhaltend fortsetzt. Gleichzeitig mit der
getriebenen Ware beginnt auch die Einfuhr ägyptischen Glasschmudss.
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Fragen wir nach der Art des Handels, so war seine älteste Form
ein reiner Tauschhandel, wie er schon in paläolithischer Zeit nachweis-
bar ist; desgleichen in neolithischer Zeit. Doch kommt zu dieser Zeit
als Folge der Rinderzucht die Berechnung nach Stückvieh oder Rinder-
häuten als Werteinheit auf. Man besass dadurch eine Geldart: das
„Viehgeld“. Das Aufkommen des Metalls brachte dem Handel ein
neues, verbessertes Zahlungsmittel: zunächst das Kupfer und das Gold,
bald auch die Bronze. Im Süden war Cypern, in Mitteleuropa Ungarn
ein hervorragendes Gebiet der Kupfergewinnung. Gold wurde in
Irland und besonders in Siebenbürgen produziert, von wo wir — wenig-
stens in Ostdeutschland — nachweislich auch die Bronzemischung
bezogen. Blieb das Metall in unregelmässiger Form, so musste es
abgewogen werden, und die dazu nötigen Wagen, wenn auch aus Holz,
hat es sicher schon zur Kupferzeit bei uns gegeben. Bequemer war
es, das Metall zu Barren von bestimmtem Gewicht zu formen. Der-
artige Barren wurden gern in Form von bestimmten Geräten oder von
Schmuck gegossen, jedoch ihrem Zweck entsprechend in sehr plumper,
massiger Weise, z. B. in Form von Halsringen, Armringen, Flachbeilen
und besonders auh kupfernen Doppeläxten in Form der Amazonen-
axt. Diese Art der Äxte war zugleich ein Symbol des Blitzes und
des Himmelsgottes, auf Kreta zugleih Hoheitsmarke und Handels-
marke. Ihre Verbreitung in Mitteleuropa scheint auf Herkunft aus Süd-
frankreich und weiter über See aus Kreta zu sprechen. Dazu stimmt,
dass die meisten deutschen Stücke dieser Art nach der Kretischen Mine
von 618 Gramm abgewogen sind, wenige nur nach der älteren ägypti-
schen, eines nur nach der babylonishen Urmine. Sind diese Stücke
aber abgewogen verhandelt worden, so muss es auh Gewichte gegeben
haben und solche hat dann auch kürzlich der Strassburger Vorgescichts-
forsher FORRER aus Schweizer Pfahlbauten nachgewiesen, die
auf die drei genannten und auf die seit der Eisenzeit zur Herrschaft
gelangte phönikische Mine abgeformt sind. Er hat auch gezeigt, dass
ein grosser Teil der Bronzegeräte und des Bronzeshmucs der Bronze-
zeit in bewundernswerter Technik so modelliert worden ist, dass er fertig
gegossen ein bestimmt gewolltes Gewicht besass. Bezahlt wurden die
erhandelten Waren teils mit sogen. Bronze-Ringgeld, teils mit Bruch-
Bronze. Von abgewogenen, gestempelten Metallbarren bis zur geprägten
und staatlich garantierten Münze war dann ein Schritt, den die Griechen
vollzogen, deren Münzprägung von den Kelten in Frankreich wie in
Mitteleuropa aufgenommen wurde. Das geschah in der Laténe-Zeit,
dem Höhepunkt der vorrömischen Eisenkultur. Unser Wort Eisen selbst
stammt aus dem Keltishen. Verhandelt wurde Roheisen in doppel-
pyramidenförmigen Barren („Luppen“). Nur die britischen Kelten benutzten
meisselformige Eisenbarren zugleich als Zahlmittel. Den Germanen
brachte die Latene-Zeit eine reichlihere Zufuhr von Glasperlen, die
Kunst der Emaillierung und neuen Anteil an dem durch einige Jahr-
hunderte unterbrochenen Ankauf italischen Bronzegesdhirrs.
ie. 27 2
Nunmehr erfolgten im reichgeschmücten Lichthofe der Hochschule
die Begriissungsansprachen.
Landeshauptmann v. d. Wense
begrüsst die Tagung im Namen der Provinzialverwaltung, die von jeher
der Vorgeschichtsforschung ihr Interesse zugewandt hätte, da sie ja im
Provinzialmuseum eine grosse und wertvolle vorgeschichtliche Sammlung
besässe und zu pflegen hätte und das Land Hannover besonders reich
an vorgeschichtlihen Bodenaltertümern sei.
.Mit Genugtuung habe daher die Provinzialverwaltung die moderne
Entwicklung der Vorgeschichtswissenschaft verfolgt, die ja Jeden mit Be-
friedigung erfüllen müsse, der Verständnis für das wichtige Arbeitsgebiet
dieser Forschungen habe. Die Eroberung eines akademischen Lehrstuhles
und die Begründung der Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte seien
hocherfreuliche Stufen zu kräftiger Weiterentwicklung der deutschen Vor-
geschichtswissenschaft.
Die Provinzialverwaltung habe ihre Teilnahme an den modernen
vorgeschichtlihen Forschungen auch dadurch gezeigt, dass sie einen
Schüler KOSSINNA’s, Herrn Dr. HAHNE, berufen habe zur Neuordnung
und weiteren wissenschaftlichen Bearbeitung der vorgeschichtlihen Samm-
lung des Provinzialmuseums. Dass die deutsche Gesellschaft für Vor-
geschichte Hannover als Ort ihrer ersten Tagung gewählt habe, darin
erblicke die Provinzialverwaltung eine besondere Wertung für diese Samm-
lung und die übrigen vorgeschichtlichen Schätze der hannoverschen Heimat,
deren Pflege sich die Provinzialverwaltung immer angelegen sein lassen
würde.
Hochschulprofessor Ross, Hannover,
als Vertreter des Rektors der Kgl. Technishen Hochschule:
Hochansehnliche Versammlung!
Meine Damen und Herren!
Ich habe die Ehre, im Namen Sr. Magnifizenz des Herrn Rektor
Sie hier willkommen zu heissen, und ich tue dies mit ganz besonderer
Freude, da Sie ja gewissermassen unsere Gäste geworden sind, dadurch,
dass Sie Ihre Tagung in den Räumen der Hochschule abhalten. Es ist
aber mehr als diese rein äusserliche Beziehung, worauf ich hier hinweisen
möchte. Die technischen Hochschulen machen gegenwärtig eine Wandlung
durh in der Richtung ihrer geistigen Betätigung. Noch vor wenigen
Jahrzehnten stürmten, geblendet durch die namenlosen Erfolge, die
technischen Wissenschaften und mit ihnen die Hochschulen etwas wild
ins Leben hinaus; jetzt ist eine gewisse Beruhigung eingetreten und die
Hochschulen fangen im Genusse ihrer grossen Erfolge an, sich darauf
zu besinnen, dass auch die Technik einen Kulturbildner darstellt und den
Zusammenhang mit den allgemeinen Zielen der Menschheit nicht entbehren
kann. Während früher in der Bezeichnung , Technische Hochschule“ mehr
das Wort technisch betont wurde, wird gegenwärtig der Hauptnachdruck
auf das Wort „Hochschule“ gelegt, und eben dadurch sind die technischen
Hochschulen auf dem Wege, an den allgemeinen Kulturaufgaben der
Zeit tätig mitzuarbeiten.
— 6 —
Es hat deshalb gerade unsere Hochschule seit einigen Jahren grossen
Wert darauf gelegt, Fächer zu pflegen, die den allgemeinen Geistes-
wissenschaften angehören, um bei den vielfachen, bedeutenden, aber rein
materiellen Einzelergebnissen der Technik ein geistiges Gegengewicht zu
haben in diesen mehr idealen und philosophisch zusammenfassenden
Gebieten, die unmittelbar an die menschliche Geistestätigkeit anschliessen.
Denn alle Kulturaufgaben führen in letzter Linie auf den Menschen
zurück, und immer und immer wieder führen hierher auch die Wissen-
schaften der Vorgeschichte, die Sie insbesondere pflegen und die bei
Ihrer Tagung hier zur besonderen Geltung kommen sollen. Unter diesem
Gesichtspunkt der Menscheits-Wissenschaften berühren sick also ihrer
innersten Natur nach die Gebiete, in denen Sie tätig sind, mit den
Bestrebungen der Hochschule.
Ausserdem aber spreche ich hier als Vertreter der hiesigen Abteilung
für Baukunst und darf in deren Namen Ihnen einen ganz besonders
herzlihen Willkommengruss bieten. Denn uns von der Abteilung für
Architektur verbinden mit Ihnen schon seit längerer Zeit vielfache Fäden.
Nachdem vor einigen Jahren bereits Adolf MICHAELIS es ausgesprochen
hatte, dass die klassische Archäologie sich mit der prähistorischen Forschung
in Fühlung gesetzt habe, ist es neuerdings immer klarer und deutlicher
hervorgetreten, dass für die kunstwissenschaftliche Betrachtung der deutschen
mittelalterlichen und der frühen germanischen Kunst die deutsche Vor-
geschichtswissenschaft unentbehrlich ist. Es hat sich dann auch auf diesem
Gebiet eine wesentlihe Wandlung vollzogen, und während man vor
einigen Jahrzehnten noch alle Hände voll zu tun hatte, die einzelnen
Werke zu erforschen und sie möglichst genau zu datieren, sucht man
jetzt hinter diesen Werken die schaffenden Energieen der einzelnen
Epochen zu erkennen und sucht in letzter Linie ihre Eigentümlichkeiten
zu erklären durch das, was hinter jedem Kunstwerk steckt, nämlich durch
die Eigenschaften des an ihm tätigen Menschen. Wie aber überall das
fertige Naturprodukt und auch das fertige Kunstwerk einzeln und für
sich betrachtet, vollzusitzen scheint voll unlösbarer Rätsel, treten bei der
Verfolgung des Einzelnen in der Entwicklungsgeschichte einer ganzen
Reihe immer mehr und mehr die grossen Werte hervor, die gerade am
deutlichsten in den primitiven Stufen vorhanden sind, und deshalb
wenden sich die kunstgeschichtlichen Bestrebungen gegenwärtig so gern
den ganz frühen Epochen zu, wo in der Vorgeschichtszeit die einzelnen
Völker mit ihren Stammes-Eigentümlichkeiten entstehen und zum ersten
Male beginnen, ihre Sinnesart in einfachen Geräten und in einfachen
Kunstformen zu äussern.
Es hat deshalb unsere Abteilung für Baukunst mit grosser Freude
begrüsst, dass es vor einiger Zeit ihr möglich war, einen Forscher aus
Ihren Reihen sich anzugliedern, nämlich den Privatdozenten Dr. HAHNE.
Es sind trotz der Kürze der Zeit aus der gemeinsamen Arbeit schon
allerlei nützliche Ergebnisse hervorgetreten und wir haben die Hoffnung,
dass es uns gelingen wird, auf diesem Wege fortschreitend unsere Be-
ziehungen noch inniger zu gestalten.
Aus diesen Darlegungen mögen Sie aber ersehen, dass es tatsächlich
nicht nur der Zufall der Räumlichkeiten ist, der uns hier zusammenführt,
sondern dass zwischen der Technishen Hochschule im allgemeinen, der
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Abteilung für Baukunst im besonderen, und Ihrer Vorgeschichtswissen-
schaft eine ganze Reihe von gemeinsamen Berührungspunkten vorhanden
ist, und ich darf deshalb wohl sagen, dass Sie nicht nur unsere Gäste
hier in den Räumen der Hochschule sind, sondern dass ich Sie hier als
unsere Freunde begrüssen darf, und mit diesem Gruss verbinde ich
den Wunsch, dass Ihre Tagung hier für Ihre Wissenschaft erfolgreich,
für unsere gemeinsamen Bestrebungen erspriesslih und für die Stadt
Hannover ehrenvoll sein möge.
Geh. Rat Frank war erschienen im Namen des durch eine
Dienstreise unerwartet ferngehaltenen Stadtdirektors und seines durch
Erkrankung ebenfalls im letzten Augenblick verhinderten Vertreters
Senator Dr. Mertens.
Geh. Baurat und Konsistorialbaumeister Professor
K. Mohrmann:
Meine Herren!
Im Namen des Heimatbundes Niedersachsen heisse ich Sie herzlich
willkommen, indem ich der Freude Ausdruck verleihe, dass Sie die erste
deutsche Tagung für Vorgeschichte in unser altes Sachsenland verlegt
haben, dieses für die Forschung wichtige Gebiet unseres Vaterlandes,
das die Völkerbrücke bildete zwischen Nord- und Südgermanen und das
deutsche Ausfallstor, aus dem Sachsen und verwandte Stämme hinaus-
zogen nach England und weiter nach der neuen Welt, andrerseits weit
nach dem Osten in die baltishen Lande, überall deutsche Art und
deutsche Kraft verbreitend. Hier sind wir in einer modernen Grossstadt,
aber nur wenige Meilen brauchen wir hinauszuziehen — und wir wollens
morgen tun —, dann umschliessen uns die schöne Heide und das weite
Land, auf dem wie vor Jahrtausenden die Langschädel wohnen, wenig
gewandelt nach Brauch und Sprache, nach Sitte und Sage und wenn
wir an den Hünengräben stehen, dann haben wir das Gefühl „hier
sind tausend Jahre wie ein Tag“.
Hier binden uns noch feste unzerfaserte Seile mit der Vorzeit
zusammen, hier ist die Vorgeschichte keine weltfremde Wissenschaft,
kann sie Hand in Hand gehen mit Heimatforschung und Heimatpflege.
Mit dem Wunsche, dass Vorgeschichte und Heimatforschung zart
verbunden durch Heimatliebe Seite an Seite zu hohen Zielen wandern,
rufe ich Ihnen nochmals herzlich zu: Willkommen im Sachsenlande.
Begrüssungsschreiben waren eingelaufen vom Oberpräsidenten
und vom Konsistorium der Prov. Hannover, sowie vom Präsi-
denten der Société préhistorique de France, Herrn Professor Dr.
A. Guébhard in Paris.
Universitätsprofessor Dr. Kossinna:
Ich habe zunächst unsere grosse Freude auszusprechen über den
regen Anteil, den die Bestrebungen unserer Gesellschaft hier zu Lande
und besonders in dieser Haupt- und Residenzstadt Hannover finden
und der in der grossen Zahl warmer Begrüssungsansprachen zum Aus-
druck gekommen ist.
8
In erster Linie gebührt dieser Dank der Landesverwaltung,
deren Gruss ich mit besonders warmen Gefühlen erwidere. Denn wenn
wir heute hier unsere Tagung, die erste unserer jungen Gesellschaft, in
so schönen Formen vollziehen können, so ist die Provinz daran die
Hauptschuldige. Zunächst durch die Verhältnisse, die sie der Vorge-
schichtsforschung geboten hat: ich meine nicht den wunderbaren Reich-
tum des Bodens an Altertiimern, der dies Land zu einem der ergiebigsten
Forschungsgebiete Norddeutschlands in indogermanischer wie in ger-
manischer Vorzeit macht, sondern ich denke dabei an die Organisation
der Arbeit, um diese Schätze des Bodens zu heben, zu konservieren
und für die grossen Fragen unserer Wissenschaft zu verwerten. Zur
Zeit des Königreichs Hannover gab es schon viel hochinteressierte,
arbeitsame Einzelforsher in diesem Lande, ich nenne den Grafen
Münster-Langenlage, v. Estorff, den berühmten englischen (Gelehrten
Kemble. Sie alle erfreuten sich der königlihen Gunst und Förderung,
aber erst als Hannover Provinz wurde, bekam es sein Provinzialmuseum
und damit eine Vereinigung der bisherigen Privatsammlungen zu einem
Landesmuseum. Und wie dies Provinzialmuseum ausgestattet ist, davon
uns durh den Augenschein zu überzeugen, werden wir hier alsbald
Gelegenheit haben. Genau wie ein königliches Museum! Keine preussische
Provinz hat dem etwas Gleichwertiges an die Seite zu stellen. Ganz
besonders aber danke ich der Provinz für die Freigebigkeit, mit der sie
unsere schöne nationale Wissenschaft bedenkt, dass sie zeigt, nicht bloss
in Babylon und Ägypten seien Aufgaben zu lösen, die grosse Summen
deutschen Geldes verschlingen, sondern dass auch in unserem Vater-
lande für die heimischen grossen archäologischen Aufgaben, die ebenfalls
nur gelöst werden können, wenn viel Geld zur Verfügung steht, — dieses
Geld da ist und gern hingegeben wird. Möchte dieser Sinn für die
heimische Forschung an den massgebenden Stellen der Provinz nie eine
Minderung erfahren! Wir danken der Provinz, dass sie den ersten
Schritt getan hat, um unserer Wissenschaft hier die Gewähr der Dauer
und einer steten Tradition für die Zukunft zu sichern, indem sie einen
wirklichen Fachmann der Vorgescichtlihen Abteilung zum Leiter gab,
einen unserer tüchtigsten jüngeren Forscher, einen Mann, der „von der
Pike auf“ als Prähistoriker gedient hat.
Weiter habe ih der Technischen Hochschule von ganzem
Herzen zu danken schon für das hohe Verständnis, das sie im allge-
meinen unserer Wissenschaft entgegenbringt. Hier in Hannover ist zum
ersten Male erkannt worden, dass die deutsche Kunst, auch die Bau-
kunst, im karolingischen Zeitalter nicht wie Minerva aus dem Haupte
des Zeus hervorspringt, sondern dass sie grossenteils in der weiter
zurückliegenden deutschen Vorzeit ihre Wurzeln hat, die nur der Vor-
geschichtsforscher bloslegen kann. Die Hochschule hat dieser Erkennt-
nis mutig die notwendige Tat folgen lassen und einen Prähistoriker
in die Reihen ihrer Lehrer aufgenommen. Hoffentlich findet sie hierin
baldigste Nachfolge bei den Schwesteranstalten. — Im besonderen habe
ich aber der Hochschule zu danken für uns so ehrende lebhafte Teil-
nahme an unserer Tagung, namentlich für die gütige Bewilligung dieser
fürstlichen Räume zu unseren Vorträgen, wodurch unsere Tagung von
vornherein einen äusseren Glanz erhält, dem wir eine entsprechende
est Ar e
innere Bedeutung unserer Tagung an die Seite zu stellen uns heiss
und hoffentlich nicht ohne Erfolg bemühen werden.
Und nun das Provinzialmuseum! Seine Begrüssung unserer
Tagung haben wir alsbald noch zu erwarten. Aber ich darf unsere
hohe Dankespflicht gegen diese Behörde wohl schon jetzt hervorheben.
Die Leitung dieses Museums, vor allem mein hochverehrter Freund
Direktor Dr. Reimers, hat sich ja von Beginn an die grössten Ver-
dienste erworben um unsere junge Gesellschaft. Darum kamen wir
auch freudigen Herzens zu diesem Ehrentage des Provinzialmuseums
und nahmen es dankbar an, wenn wir mit der Feier des Museums
unsere eigene Feier verbinden durften. Niemals wird es in den Jahr-
büchern unserer Wissenschaft vergessen werden können, dass der jetzige
hohe Aufschwung der Vorgeschichte in dieser Provinz wesentlich dem
tatkräftigen Vorgehen des Museumsdirektors Reimers zu danken ist,
der es erreichte, der Vorgeschichtsforschung im Museum und damit in
der Provinz eine selbständige Stellung zu schaffen.
Auch der Stadt Hannover danken wir für die leider nur schrift-
lich möglich gewordene Begrüssung. Wie gern kommt nicht jedermann
nach Hannover; und wie besonders gern wir Archäologen. Denn eine
Stadt, die ein Provinzialmuseum in ihren Mauern birgt und dann es
noch für geboten hält, vier weitere Museen selbst einzurichten und
zu unterhalten, das Kästnermuseum, das Kunstgewerbemuseum, das
Vaterländische Museum, und schliesslich noch das Schulmuseum:
eine solche Stadt hat es uns angetan. Wenn ich bei dieser Gelegen-
heit einen Wunsch an die Stadtverwaltung richten darf, so wäre es der,
dass diese Museen mit dem Provinzialmuseum Hand in Hand gehen
möchten, um jedwede Konkurrenz zu vermeiden, die nur zu einer Ab-
schwächung ihrer segensreichen Tätigkeit beitragen könnte.
Ih danke auch der hohen Staatsregierung für Ihre Teil-
nahme, die sie durch Abordnung eines Vertreters des Herrn Ober-
präsidenten zu unserer Tagung bekundet hat.
Ich danke endlich auch den wissenschaftlihen Vereinen, die uns
begrüsst haben, insonderheit unserem hochverehrten Herrn Professor
Mohrmann als Vorsitzender des Heimatbundes. Gibt es doch kaum
eine Wissenschaft — oder ein ganzer Kranz von Wissenschaften muss
man sagen, wie er sih im Namen Heimatbund zusammenfindet —,
die unseren Bestrebungen gleich nahe steht und der wir mit solcher
Sympathie gegenüberstehen, wie eben. gerade Volkskunde und Heimat-
forschung. Niedersachsen ist der gegebene Boden für Heimatforschung
wie für Vorgeschichte; darum wiederhole ich freudig den Wunsch des
Herrn Professor Mohrmann: mögen beide hier stets Hand in Hand
ihre hohen völkischen Ziele verfolgen.
lch darf hier vielleicht das Begrüssungsschreiben eines unserer
eifrigsten und wackersten Mitglieder vorlesen, des Herrn Theobald
Bie der in Hamburg, der zu seinem grossen Leidwesen hier zu er-
scheinen verhindert ist; er weist mit Recht auf die hohe Stellung hin,
die Leibniz in der Vorgeschichtsforschung einnimmt:
„Sich der Urgeschichtsforscher zu erinnern, die vor uns die Wege
der Forschung bereiten halfen, gehört zu den natürlichen Dankespflichten.
— 49 —
So darf auch die Deutsche Gesellschaft fiir Vorgeschichte, die sich
Hannover für ihre erste Tagung erwählt hat, nicht an einem Manne
vorübergehen, der vor 200 Jahren an gleicher Stätte gewirkt und wie
kaum ein anderer seiner Zeit sich der Erforschung der Urgeschichte
gewidmet hat. Ich meine Gottfried Wilhelm von Leibniz.
Zweierlei muss dabei im Voraus erwähnt werden: 1. Es liegt im
Charakter jener Zeit begründet, dass Leibniz die Urzeit weniger vom
kulturgeschichtlidien Standpunkte aus — wie wir es uns zur Aufgabe
gestellt haben — als vom naturwissenschaftlihen aus sondiert hat;
2. hat Leibniz sich nicht auf ein Gebiet ausschliesslich konzentriert,
sondern hat sich mit gleicher Liebe der Erforschung der natürlichen
Urgeschichte, der Wanderungswege unserer Vorfahren und
der Sprachgeschickte gewidmet. Wenn es aber wahr ist, dass
Eccards 1750 erschienenes Werk „de origine Germanorum“ auf Leib-
nizens Einfluss zurückzuführen ist, so muss er auch der ältesten
Kulturgeschichte seine Aufmerksamkeit zugewandt haben.
Auf diesem Gebiete hat uns Leibniz reiches Material hinterlassen.
Erwähnt seien ausser seiner erst 1749 erschienenen „Protagaea“ nament-
lich die kurz nach seinem Tode von Eccard herausgegebenen „Collectanea
etymologica“, die sehr wertvollen „Unvorgreiflihen Gedanken“ ent-
haltend, und die erst vor sechs Jahrzehnten von G. H. Pertz ver-
öffentlichten und mit grosser — aber wohl nicht andauernder — Freude
begrüssten „Geschichtlihen Aufsätze“, deren letzter (vierter) Band den
wertvollen „Entwurf der welfischen Geschichte“ enthält. Gerade dieser
zeigt, wie sehr Leibniz bestrebt war, seinen Stoff wie man sagt ab ovo
zu entwickeln.
Zwar schliesst sich Leibniz bei Ergründung der Wanderwege der
Germanen denen an, die für eine ursprünglich asiatische, dann skythische
Heimat derselben eintreten; in seinen Sprachforschungen, deren Resultate
die Unvorgreiflihen Gedanken bieten, hat er aber einen durchaus ger-
manozentrischen Standpunkt herausgearbeitet. „Die Untersuchung
der deutschen Sprache“, heisst es da, „würde nicht nur ganz
Deutschland, sondern auch zugleich ganz Europa aufklären“.
Übertragen wir diesen Gedanken auch auf die kulturgeschichtlichen Er-
scheinungen, so dürfte das uns vorschwebende Bild in sich abge-
schlossen sein.
Bekanntlih verdankt die Philosophie Leibniz den Begriff der
»praestabilierten Harmonie“. Da wäre es vielleicht nicht unzeitgemäss
zu untersuchen, inwieweit diese Auffassung mit dem eben gekennzeich-
neten germanozentrischen Standpunkte zusammenhängt. Denn Leibniz
war ein Mann, in dem Wissenschaft Leben und Weltanschauung
wurde. Nichts ist da von einander zu trennen. Und wenn wir Leibniz
ein unvergängliches Denkmal in uns errichten wollen, so gelingt uns
das am besten, wenn wir in seinem Geiste wirken und erkennen, dass
Wissenschaft, Leben und Weltanschauung zu einer wundervollen Harmonie
sich zusammenfügen müssen.
Hierauf wurde bei herrlichstem Wetter das Frühstück auf der
Gartenterrasse der Kgl. Technischen Hochschule eingenommen, sodann
die Fahrt durch die Stadt nach dem Provinzialmuseum angetreten, wo-
selbst in der grossen Kuppelhalle die Begriissungsansprachen von Seiten
der Leiter des Provinzialmuseums und der sofort zu eröffnenden, neu-
geordneten Vorgescichtlihen Abteilung desselben stattfanden.
Museumsdirektor Dr. Reimers:
Zu der Wiedereröffnung unserer vor- und frühgescichtlichen
Sammlung heisse ich Sie in den Räumen unseres Museums herzlich
willkommen. Wir empfinden es als eine besondere Ehrung, dass die
Wiedereröffnung unserer vorgeschichtlihen Sammlung sich vollziehen
darf in Gegenwart und unter den prüfenden Augen der berufensten
Vertreter der vorgeschichtlichen Wissenschaft. Wer eine Antwort sucht
auf alle die Fragen, warum eine solche hervorragende Sammlung, wie die
unsrige, so wenig bekannt gegeben ist, warum das reiche Material nicht
schon längst durch Publikationen der Wissenschaft, mehr als es geschehen
ist, zugänglich gemacht wurde, der wird eine zutreffende Antwort nur
finden können, wenn er einen Blick wirft auf die Entwicklung unseres
ganzen Museums, dessen Geschick von denselben Bedingungen abhängig
war, wie dasjenige unserer vorgeschichtlihen Sammlung. Unser Museum
ist aus dem Zusammenschluss dreier Vereinssammlungen im Jahre 1853
als Museum für Kunst und Wissenschaft entstanden und bestand aus
den Sammlungen des historischen Vereins für Niedersachsen, zu der
die vorgeschichtlihe Sammlung gehörte, sowie aus den Sammlungen
des Vereins für die öffentliche Kunstsammlung und der naturhistorischen
Gesellschaft in Hannover. Das Museum war ein auf Aktien gegründetes
Privatunternehmen und blieb es bis nach den Ereignissen von 1866
die Vereine nicht mehr im stande waren, die finanziellen Lasten der
Weiterführung der Sammlungen zu tragen. Da trat die Provinzial-Ver-
waltung helfend ein dadurch, dass sie 1870 die Lasten übernahm, ohne
an der Organisation und dem Betriebe durch die Vereinstätigkeit etwas
zu ändern. Nur an Stelle des Namens, Museum für Kunst und Wissen-
schaft trat dann der Name Provinzial-Museum. Im Jahre 1886 übernahm
dann die Provinz auch die Gebäude und das Grundstück des Museums
an der Sophienstrasse, sowie die gesamte Aktienschuld. Eine wesent-
lihe Änderung trat dann im Jahre 1890 ein als mit der Anstellung
eines Direktors systematische Museumsarbeit ermöglicht wurde, gegen
die naturgemäss die Tätigkeit der Vereine allmählih zurücktreten
musste, bis die Sammlungen vor wenigen Jahren durch Kauf ganz in
den Besitz der Provinz übergingen. Diese Entwicklungsgeschichte ist
deutlich auch in der Entwicklung der vorgeschichtlihen Sammlung zu
erkennen. War es nun möglich, auf den Gebieten der Naturkunde und
der Kunst immer mehr Fachkräfte in den Dienst des Museums zu stellen,
so war es doch noch nicht möglich, für die Bearbeitung der vorgeschicht-
lichen Sammlung einen Prähistoriker von Beruf heranzuziehen. Solange
dieses nicht geschehen konnte, habe ich mich darauf beschränken müssen,
Unheil zu verhüten und nach Möglichkeit die durch Dilettantismus und
Händlertum bedingte Schädigung abzuwenden, bis wir dann vor etwa
‘drei Jahren in Herrn Dr. HAHNE einen Fachmann gewannen, der
— 49: —
die Sammlungen neu ordnen, neu bestimmen und wissenschaftlich
bearbeiten konnte. Das Resultat der Wirksamkeit des Herrn Dr. HAHNE
wird Ihnen heute vorgeführt, aber nicht vorgeführt kann Ihnen werden
die ungeheure Arbeit, die damit verbunden war, eine seit 50 Jahren
zusammengetragene Sammlung, der jede wissenschaftlihe Behandlung
gefehlt hatte, auf den Boden gesicherter Nachrichten zu stellen. Und
wenn es auch dem historischen Vereine für Niedersachsen naturgemäss
nicht möglich war, eine wissenschaftliche Bearbeitung eintreten zu lassen,
so wollen wir ihm doch heute danken, dass er den Grundstock zu
unserer hervorragenden Sammlung gelegt hat. Danken wollen wir am
heutigen Tage allen denen, die in selbstloser Hingabe an den Samm-
lungen gearbeitet haben, wir wollen besonders dankbar eines Mannes
gedenken, den uns im Mai d. J. der Tod zu früh genommen hat.
Die Arbeit aber, die Herr RUNDE unserer vorgeschichtlihen Samm-
lung geleistet hat, und der geradezu monumentale Katalog derselben,
den er gearbeitet hat, werden seinen Namen für immer mit der Samm-
lung verknüpfen. Und vor allen Dingen auch wollen wir der Provinzial-
Verwaltung danken, die in nie versagender Bereitwilligkeit durch
Bereitstellung von Mitteln uns das Vorwärtskommen ermöglicht hat.
Welche aussergewöhnliche Schwierigkeiten zu überwinden waren, wissen-
schaftliche Ordnung in unsere vorgeschichtlihe Sammlung hineinzubringen
und welche aussergewöhnliche Arbeitsleistung aufgewendet werden musste
und aufgewendet worden ist, bevor Ihnen heute die Sammlung vor-
geführt werden konnte, das werden Sie jetzt am besten und zuver-
lässigsten aus dem Munde des Herrn Dr. HAHNE erfahren, der diese
Schwierigkeiten zu bewältigen hatte und diese Arbeit geleistet hat, für
die ihm lebhafte Anerkennung und Dank am heutigen Tage gebührt.
Privatdozent Dr. H. Hahne:
Von froher Bedeutung ist der heutige Tag für mich, an dem ich
den ersten Teil des schönen Auftrages abschliessen kann, eine der
ältesten und reichst vorgeschichtlihen Sammlungen Deutschlands so
herzurichten und zu bearbeiten, dass sie künftig vollwertiges wissen-
schaftliches Material für unsere Forschung darstellt.
Bei Beginn der Arbeit im Mai 1907 schien die Durchführung der
mir aufgetragenen „Neu-Aufstellung der — allerdings 17000 Nummern
starken — Sammlung nach modernen Grundsätzen“ ein Leichtes an der
Hand des erwähnten Kataloges von RUNDE; sie war auf etwa ½ Jahr
geschätzt worden.
Die eingehende Vergleihung von Katalog und Material
erledigte sich schnell, auh der Zusammenstellung der Funde nach
Fundarten war vorgearkeitet durch einen bereits weit geförderten
Zettel-Auszug aus den Hauptkatalogen.
Bei der Zusammenstellung geschlossener Funde nach
dem Hauptkatalog aber zeigten sich so viele bedenklihe Angaben und
völlige Unmöglichkeiten, die gerade die alten schönen Materialien be-
trafen, dass eine Nachprüfung an der Hand von Literatur und
Fundprotokollen Erfordernis wurde, sollte nicht die Zahl der „ge-
sicherten Funde“ gar zu sehr einschrumpfen. Originalpapiere, besonders
Fundprotokolle, lagen aber besonders zu älteren Funden fast gar nicht
se j3 eg
vor, in den alten Jahrgängen der „Nachrichten“ und der „Zeitschrift“
des historischen Vereins für Niedersachsen ist mancher Fundbericht über
Materialien der alten Sammlung des Vereins, wenn auch meist in sehr
kurzer Form niedergelegt.
Die Sorgsamkeit der Wenigen, die gute vorgeschichtlihe Ausgra-
bungen und Veröffentlichungen gemacht haben, hat aber keinen dauernden
Einfluss auf die weitere Behandlung dieser Funde ausüben können!
Typisch für die frühere Bewertung vorgescichtliher Forschung. Und
dieser Mangel betrifft in unserem Falle noch die Materialien der 80er
Jahre!
Die Literaturvergleichung brachte über eine Reihe fraglicher
Funde Aufklärung, dafür aber für viele gesichert scheinende neue
Fragezeichen. Die Angaben in LINDENSCHMIT's „Altertümern“
u. a. erwiesen sih danach zum grossen Teil als unsicher. Es zeigte
sich schliesslich auch noch, dass die Angaben der älteren Katalog-
serien, auf denen der RUNDE’sche Katalog beruht, bereits unzu-
verlässig sind, und aus einer Reihe Stichproben wurde klar, dass nur
mit einer Durcharbeitung von Grund auf mit unserer vorgeschichtlichen
Sammlung etwas zu machen sein würde. Es galt vor allem die Original-
fundberichte aufzufinden und zu verarbeiten und die ältesten Kataloge
und Eingangsjournale, vor allem auch die Originalkataloge der alten
grossen Sammlungen, die ja als Ganzes s. Z. in die Sammlung des
historischen Vereines und die Fideikommissgalerie des Gesamthauses
Braunschweig-Lüneburg übernommen worden sind, und somit den alten
reichen Stamm unserer Sammlung bilden. Der Erfolg eines Versuches
an der Sammlung v. ESTORFF und v. MUNSTER zeigte, dass diese
wesentliche Erweiterung der Arbeit sich lohnen würde; so trat an die Stelle
einer Neu-Aufstellung eine Art Neu-Ausgrabung, und diese Arbeit war
vom Glück begünstigt! Vor allem haben sich die Originalkataloge
und wertvolle Notizen zu fast allen alten Sammlungsbeständen ge-
funden und hunderte von Fundberichten und gleichwertigen Papieren.
Die Fundgeschichte mancher dieser „Wertpapiere“ ist recht interessant
(s. den 2. Aufsatz in der Festschrift für die Tagung: H. HAHNE
„zur Ausgestaltung der vorg. Sammlung des Prov.-Mus. zu Hannover
zur Hauptstelle für vorg. Landesforshung“ — gleichlautend den im
Jahrbuch d. Prov.-Mus. zu Hannover 1808/09). Reichlihe Abbildungen
in allen diesen Schriftstücken haben die zweifellose Wiederentdeckung
manches alten und neueren schönen wichtigen Fundes gewährleistet.
Die Ergebnisse dieser Arbeiten sind der Grundstock geworden für
ein „Archiv für vorgeschichtliche Landes forschung in der
Provinz Hannover“, das der vorgeschichtlichen Landes-Sammlung des
Provinzialmuseums angegliedert ist; und weiter ergab sich nun die Mög-
lichkeit, dass eine seit langem bestehende Absicht der Provinzialverwaltung
zur Ausführung gelangen kann: Das Material der vorgeschimt-
lichen Landes-Sammlung zu veröffentlichen und ein Inventar
der vorgeschichtlihen Denkmäler der Provinz im Stil der Kunstdenk-
mäler-Inventare und somit die Bearbeitung der archäologischen
Karte der Provinz in Angriff zu nehmen. — Das wird die Arbeit der
nächsten Jahre sein. Unsere Ende 1908 begründete Museen-
vereinigung für vorgescichtlihe Landesforschung in der Provinz
ze | se
Hannover“ und der in diesen Tagen zu gründende „Landesverein f. v.
L. i. d. P. H.“ (am 7. VIII. 09 begründet) sollen im engen Zusammen-
schluss mit der vorgeschichtlidien Landessammlung im Provinzialmuseum
und dem „Ardiv f. v. L. i. d. P. H.“ die Förderung unserer Wissen-
schaft in einheitliche Bahnen leiten und ihr frisches Aufblühen gewährleisten.
Die erste sichtbarste Frucht der geschilderten umfangreichen und
oft recht schwierigen Vorarbeiten für unsere Ziele ist aber die Neu-
ordnung und Neuaufstellung der vorgeschhihtlichhen Landes-
sammlung im Provinzial-Museum. Hemmender und drückender Raum-
und Lichtmangel und das Missverhältnis zwischen den Ansprüchen, die
unsere Forschung auf Grund ihrer in den letzten Jahrzehnten schnell
erworbenen Mündigkeit machen möchte und der Möglichkeit, Erfüllung
dieser Ansprüche in Form von reichlicheren Mitteln, Räumen und Hilfs-
kräften zu erlangen, lassen als Stückwerk erscheinen, was wir Ihnen
heute zeigen können!
Es ist mir eine besondere Genugtuung, dass die Wiedereröffnung
der Sammlung geschieht unter den gestrengen Augen meines dankbar
verehrten Lehrers KOSSINNA und bei Gelegenheit der ersten Tagung
der „Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte“, deren Begründung den
Abschluss des Teiles seiner Lebensarbeit bedeutet, an dem ich teilnehmen
durfte. Ganz besonders freue ich mich, bei dieser feierlichen Gelegenheit
an dieser Stelle meinem lebhaftesten Danke Ausdruck geben zu können,
den ich seit den ersten Tagen meiner Arbeit in diesem schönen Hause
immer gefühlt habe gegen einen Vorgesetzten und eine Verwaltung,
die mit hervorragender verständnisvoller Freigiebigkeit den verwickelten
Arbeitsgang einer Aufgabe erleichterten, deren Erfüllung unserer Wissen-
schaft zum Heile gereichen möge!
Die hier anschliessende Führung durch die von Dr. Hahne mit
grösstem Fleiss, findigstem Spürsinn und gediegenstem Wissen neuge-
ordnete Vorgescichtlihe Abteilung zeigte in auffälligster Weise, wie
allein durch strengste wissenschaftlihe Durcharbeitung aus einem zwar
reichen, aber bisher noch rohen und ungeordneten Materiale ganz von
selbst lichtvolle Entwicklungsstufen der Kultur aufgebaut werden können.
Nachm. 4 Uhr. Kgl. Technische Hochschule.
Vorsitz: Universitätsprofessor Dr. Kossinna.
Provinzialmuseumsdirektor Dr. Reimers, Hannover:
Vorgeschichtsforschhung und Denkmalpflege.
Wenn wir von Denkmälern reden, von Denkmalschutz und Für-
sorge, dann müssen wir zunächst uns klar machen, was ein Denkmal
ist. Der Begriff des Denkmals kann nicht definiert werden. D. h.
es können keine Merkmale angegeben werden, die allein auf den
Begriff Denkmal und nicht auch auf andere Begriffe anwendbar wären.
Es kann daher auch der Begriff Denkmal nicht gesetzlich festgelegt
werden. In der preussischen Verwaltung gilt ein Gegenstand dann als
ein Denkmal, wenn er der Vergangenheit angehört und von künst—
lerischem, kunstgeschichtlihem und geschichtlichem Interesse ist. Daraus
— 15 —
folgt ohne weiteres, dass zu den Denkmälern nicht Kunstdenkmäler,
wie kirchliche und profane Bauten, Bilder und Statuen allein gehören,
sondern, dass zu ihnen auch Archivalien, ältere Drucke, Siegel und Wappen
zu zählen sind. Und ebenso unzweifelhaft ist es, dass alle Gegenstände
der Vorgeschichte, Gräber, Grabfunde, Wohnstätten und Einzelfunde zu
den Denkmälern gerechnet werden müssen, die Anspruch auf Schutz
und Fürsorge haben, welche den Denkmälern gewährt werden muss.
Wenn dies auch in dem trefflihen Buche von LEZIUS: „Das Recht der
Denkmalpflege in Preussen“ anerkannt ist, so ist doch diese Gleichbe-
rechtigung von historischen und vorhistorischen Denkmälern in das Be-
wusstsein der Allgemeinheit nicht eingedrungen. Es weiss ein jeder,
wenn er von einem Hause ein Holzrelief entfernt, wenn er aus. einer
Kirche einen Kommunionkelch mitnimmt, wenn er in einem Museum
eine Statue vom Postament stürzt, oder ein Bild aus dem Rahmen
schneidet, dass er dann wegen Diebstahl oder Sachbeschädigung schwer
zur Verantwortung gezogen wird; er weiss aber nicht, dass er desselben
Vergehens sich schuldig macht, wenn er auf fremden Grund und Boden
einen vorhistorischen Hügel angräbt, und hat kein Empfinden dafür,
dass er mit der leicht erbeuteten Urne ein geschlossenes, der Wissen-
schaft wertvolles Kulturbild der Vergangenheit zerstört hat.
Es weiss ein jeder, dass für jeden ein auf Uhniversitätsstudium
gegründetes Wissen notwendig ist, wenn er in einer Wissenschaft
zu Worte kommen will, er weiss, dass er sih dem Fluche der Lächer.
lichkeit aussetzen würde, wenn er ohne ein solches Wissen in Fragen
etwa der klassischen Archäologie mitreden wollte, aber er glaubt sich
für einen berufenen Vertreter prähistorischer Wissenschaft halten zu
dürfen, wenn er seinen Kaminsims mit leicht erbeuteten vorgeschicht-
lichen Urnen schmückt und sie nach einem Handbuche chronologisch
aneinander gereiht, seinen staunenden Freunden vor Augen führt. Die
Minderschätzung vorhistorischer Denkmäler und Wissenschaft wird weiter
beleuchtet durch folgenden Umstand. Als im Jahre 1900 der erste
Denkmaltag in Dresden tagte, an dem das hessische Denkmalschutz-
gesetz aus der Taufe gehoben wurde, da ist es erst einem dreimal
von mir erneutem Äntrage gelungen, dass in den Endresolutionen dieser
zweitägigen Beratungen, auch die vorhistorischen Denkmäler aufgenommen
wurden. Wenn aber auch ein grosses preussisches Denkmalschutzgesetz
aus verschiedenen Gründen nicht zustande gekommen ist, so sind doch
im Ministerium die Nöte der vorgeschichtlichen Denkmäler nicht aus den
Augen verloren. Die Beratungen über Schutzmassnahmen werden dort
eifrig fortgesetzt und voraussichtlich bald zum Abschluss gelangen und
dem preussischen Landtage vorgelegt werden können. Wenn nun auch
gesetzlihe Schutzmassnahmen mit grosser Freude begrüsst werden
müssen, so ist doch auch ebenso notwendig, dass die Ursachen der
Minderschätzung der Prähistorie beseitigt werden. Eine der wesent-
lichen Ursachen dieser Minderschätzung ist die präponderierende Stellung
der klassischen Archäologie und der Umstand, dass die prähistorische
Wissenschaft bis vor kurzem keine selbständige Stellung hatte, sondern
als geduldetes Anhängsel bei der klassischen Archäologie und der An-
thropologie ein Unterkommen suchen musste. Die präponderierende
Stellung der klassischen Archäologie hat ihren wesentlichen Grund in
— 16 —
der Erziehung unserer Jugend. Von Jugend auf werden wir mit klassi-
schen Geiste getränkt, wird uns Begeisterung eingeflösst für Hellas und
Rom, und wohl uns, dass es so ist. — Wer zum ersten Male die Sieben-
hügelstadt betreten, wer durch die Strassen Pompejis gewandert, wer
die Tempel von Pästum, Segesta, Selinunt und Agrigent gesehen, dem
gehen Schauer der Ehrfurcht durch die Brust. Und wer vom Kolonos
neben den Denkmälern von Karl Ottfried Müller und Charles Lenormand
die Augen erhebt zur marmorschimmernden Pracht der Akropolis von
Athen, vor dessen geistigem Auge steigen die Gestalten der homerischen
Welt empor. — Und wer in Tiryns oder Mykenai eine Gefässscherbe
vom Boden erhebt, der nimmt dieselbe mit heim und hält sie wie ein
Heiligtum, während ihm eine gleihe Scherbe in der Haide der Heimat
eine Scherbe unter wertlosen Scherben bleibt. Dichter und Historiker
haben der klassischen Archäologie den Weg gewiesen und in ihrem Rat
wagt kein Unberufener zu sprechen, und diese Ehrfurcht vor dem klassi-
schen Altertum und diese Hochschätzung ihrer Vertreter, dieser ge-
waltige Vorsprung lässt sich nach so langer Vernachlässigung nicht ohne
weiteres einholen, auch nicht durch Gesetze. Aber auf den Denkmal-
tagen, von denen in diesem Jahre der zehnte in Trier stattfinden wird,
haben bis jetzt die berufenen Vertreter der Prähistorie gefehlt. Und
wenn die vorgeschichtlihe Wissenschaft die Ungleichheit in der Wert-
schätzung der historischen und vorhistorischen Denkmäler aufheben will,
dann müssen auch die Prähistoriker auf den Denkmaltagen erscheinen
und ihre Stimme erheben dort, wo über Schutz und Fürsorge für die
Denkmäler verhandelt wird. Hellas und Rom bedürfen keines äusseren
Schutzes, sie sind geheiligt in der Anschauung der ganzen gesitteten Welt.
Die Lehre von Hellas und Rom ist seit WINCKELMANN nur von berufenen
Priestern verkündet worden. Und wenn es bereits gelungen ist, die
vorgeschichtliche Wissenschaft ebenbürtig in die Reihe der Geisteswissen-
schaften eintreten zu lassen, dann wird es auch mit Hilfe der Deutschen
Gesellschaft für Vorgeschichte gelingen, zu erreichen, dass nur Männer
der Wissenschaft als berufene Forscher der Vorgeschichte angesehen
werden, dass unserer Jugend Begeisterung eingeflösst wird für unsere
eigene Vergangenheit und dass die Hinterlassenschaft unserer eigenen
Heimat gleichgeachtet wird dem Erbe antiker Welt. Und wenn wir
so schwinden sehen werden den Unterschied zwischen historischen und
vorhistorischen Denkmälern, wenn ihnen gleiche Wertschätzung, gleicher
Schutz und gleiche Fürsorge gewährt wird, dann auch wird der Prähistorie
lächeln die Sonne Homers.
Univ.-Professor Dr. Kossinna
spricht seinen lebhaften Dank aus für den Vortrag, er teilt die Hoff-
nung des Vortragenden, dass die strenge Vorgeschichtswissenschaft bald
eine gewichtigere Stimme erhalten werde bei den Denkmalschutz-Be-
ratungen; er bittet endlich Herrn Museumsdirektor Dr. Reimers für
diesen Nachmittag den Vorsitz übernehmen zu wollen.
Vorsitz: Museumsdirektor Dr. Reimers.
Professor Dr. Höfer, Wernigerode:
Die Erforschung frühmittelalterliher Burgen.
Die vorgescichtliche Wissenschaft hat den Kulturnachlass derjenigen
Generationen zu studieren, welche ausserhalb unserer geschichtlichen
Kenntnis fallen, sie ist die Wissenschaft von den Anfängen und der Ent-
wickelung menschlicher Kultur in vorgeschichtlicher Zeit. Sie hat es sich
Jahrzehnte lang sauer werden lassen, in die dunkeln und verworrenen
Reste, die der Erdboden hergab, Licht und Ordnung zu bringen, bis sich
durch das Zusammenwirken vieler, durch sorgfältiges Vergleichen und
scharfsinniges Schliessen die Reihenfolge der Kulturerscheinungen ergab,
die Ursprungsländer und die Einwirkungen von Land zu Land immer
deutlicher erkannt wurden.
So gewann man eine Vorkulturgeschichte. Sie wissen, dass
Forschertrieb und scharfsinnige Kombination sich damit nicht beruhigt
hat. Man lernte Kulturkomplexe unterscheiden, die gleichzeitig neben-
einander bestanden, ohne sich untereinander zu vermischen, und er-
schloss Völkerunterschiede und Völkergrenzen, auch Völkerwanderungen,
periodisches Leerstehen und Neubesiedelung von Gebieten, zugleich die
Herkunft der Neusiedler. KOSSINNA lehrte die allmähliche Verbreitung
der Germanen in Deutschland und die archäologische Unterscheidung
der Ostgermanen von den Westgermanen. Von der Vorkulturgescichte
gelangte man so — erst in neuester Zeit — zur Vorgeschichte und
begann Lichtstrahlen in das Dunkel zu werfen, das bisher überall die
ersten Kapitel der Geschichtsschreibung umgeben hatte.
Von dieser grossartigen Ergänzung der Geschichte durch die Vor-
geschichte, an welcher nur wenige Forscher sich beteiligen können, weil
sie die umfassendste Kenntnis der Funde, genaueste Beobachtung des
Einzelnen und grössten Scharfsinn des Urteils verlangt, möchte ich Sie
jetzt auf eine andere, weniger glänzende, aber immerhin sehr nützliche
Ergänzung hinweisen, welche die vorgeschichtlihe Forschung der Ge-
schichtsforschung leisten kann in denjenigen Gebieten die zwar schon
von geschriebenen Nachrichten berührt und erhellt werden, die aber in
den Einzelheiten so wenig aufgeklärt sind, dass die Geschichtsschreibung
nur ahnen lassen kann, wie die Dinge im einzelnen sich zugetragen
haben mögen. "
Aber gerade auf diesen ahnungsvollen Gebieten ist gewöhnlich der
Phantasterei und luftigen Mutmassungen ein weiter und bequemer Spiel-
raum geöffnet, und hier ist es allein die Methode der vorgeschichtlichen
Forschung, welche mit ihrer kritischen Sonde dem Spiel ein Ende macht
und die Spekulanten zum Schweigen bringt, dafür aber durch langsame
und mühevolle Forscherarbeit im einzelnen aus dem Erdboden die gül-
tigen Beweise hervorholt für das, was in Wirklichkeit geschehen ist, und
so die geschriebenen Quellen ergänzt an denjenigen Stellen, wo jene
uns im Ungewissen lassen.
Die deutsche Geschichte beginnt mit dem Zusammenstoss der ger-
manischen Völker mit den Römern; römische und einige griechische
Schriftstelier sind die Quellen; aber von diesen ist leider soviel ver-
2
=. AR e
loren gegangen, und das Erhaltene ist in den Einzelheiten und nament-
lich in allem Topographischen so wenig genau, dass von jeher die
Richtung der Feldzüge, die Ortlichkeit der Schlachten, die Lage der
Festungen durch Kombination ergänzt werden musste und dadurch zu
einem lebhaften Streit der Meinungen Gelegenheit gegeben war. So-
lange man glaubte, aus der regelmässigen Form mancher Verschanzungen
auf römische Entstehung schliessen zu dürfen, konnte es nicht fehlen,
dass man römische Kastelle und Standlager längs der vermuteten
Strassenzüge auffand und mit diesen Funden wieder die Meinungen
über Richtung und Ausdehnung der römischen Feldzüge in Deutschland
stützte, bis eines Tages bei der Erklärung eines solchen Römerlagers
vor einer Versammlung von Urgeschichtsforschern der Ruf laut wurde:
„Wo sind die römishen Funde?* — Seit diesem Rufe war es mit dem
Hypothesenspiele vorbei. Die ernste Methode der Vorgeschichtsforschung,
die ihre Schlüsse nur auf tatsächliche Funde und gut beobachtete Fund-
verhältnisse aufbauen kann und in zäher und mühsamer Arbeit aufge-
baut hat, protestierte gegen das irreführende Spiel mit Möglichkeiten
und Einfällen, das durch Ausdeutung von Schriftstellern, eigene Kom-
binationen und äusserlihe Betrachtung des Bodens Erkenntnisse ge-
winnen wollte, die nur durch Eindringen in den Boden und Beobachtung
der dort aufbewahrten Reste errungen werden können. — Seitdem sind
viele vermeintlich römische Lager und Festen dahingesunken; der regel-
mässige Grundriss wurde in mehreren Fällen als Werk der Franken
erkannt, die ihn von den Römern gelernt hatten, wie diese ihn einst
von den Etruskern übernommen haben. Dafür sind zwei wirklich römische
Festungen als Stützpunkte römischer Feldzüge in Niederdeutschland
durch die Funde erwiesen und datiert: Haltern und Oberaden, und
können Ausgangspunkte zu weiteren geschichtlichen Erkenntnissen werden.
Ein anderer durch die Geschichtsquellen nur angedeuteter Vor-
gang ist das Vordringen der Slawen in Deutschland; wie diese Bewegung
durch die Bodenforschung erhellt werden kann, wird noch ein späterer
Vortrag des heutigen Tages an einem Beispiele lehren.
Ob es gelingen wird, die in den Geschichtsquellen fast ganz ver-
schwiegene Ausbreitung der Sachsen über Nordwestdeutschland durch
die Mittel der Vorgeschichtsforschung in ihren einzelnen Phasen nadh-
zuweisen, steht noch dahin; bis jetzt haben wir noch keine Kriterien
erlangt, haben uns wohl auch noch nicht genügend bemüht, um unter
den Bestattungen der Völkerwanderungszeit die sächsischen von denen
der älteren Völker, Chauken, Langobarden, Angrivarier, Cherusker,
Brukterer zu unterscheiden. Meines Erachtens müssten die Urnengräber
des 3. und 4. Jahrhunderts in den Museen von Hannover, Braunschweig,
Altmark, Magdeburg, Lippe, Westfalen auf einen derartigen Unterschied
hin studiert werden.
Viel heller als die Sachsen sind die Franken und ihre Taten durch
das Licht der Geschichte bestrahlt. Seit dem 6. Jahrhundert hat dieses
Volk seine eigenen Geschichtsschreiber hervorgebracht, und Karls des
Grossen Herrschertätigkeit wird nicht nur durch verschiedene Annalisten,
sondern auch durch die Sammlung seiner Gesetze und Kapitularien,
seiner Briefe und Urkunden unserer Kenntnis erschlossen. Aber das
Einzelne seiner Massregeln, namentlich das Topographische, die Anlegung
5 AQ: Ze
der Heerstrassen und Marken, die Einsetzung seiner Vasallen auf Königs-
länderei, die Königshöfe und Königsburgen, selbst die Sitze der Gau-
grafen werden nicht genannt, denn die fränkischen Annalisten berichten
nur die Hauptsachen, die Ursachen und Erfolge der Feldziige; die ört-
lichen Massregeln bleiben ihnen unbekannt, wie die Geographie von
Nord- und Mitteldeutschland überhaupt.
So kommt es, dass wir über den Ursprung wichtiger Burgplätze,
aus denen später Städte geworden sind, nichts erfahren. Bei den
sächsischen Schriftstellern und in den Urkunden des 10. Jahrhunderts
werden viele von ihnen als vorhanden und als Herrensitze genannt,
ihre Entstehung aber bleibt in Dunkel gehüllt, wenn wir auch bei vielen
aus ihrer Eigenschaft als Reichsgut, Bischofs- und Grafenbesitz auf
fränkische Gründung schliessen. — Ausser diesen später reich entwickel-
ten Anlagen finden wir aber in manchen Gegenden, namentlih in der
Nähe alter Strassen Reste von früh verfallenen Befestigungen, die in
der geschriebenen Überlieferung nicht erwähnt, oder höchstens als ver-
ödet genannt werden; sie sind älter als die Zeit der Urkunden, Schen-
kungen und Verlehnungen ; öfter finden sich derartige Umwallungen auf
Anhöhen, und enthalten die Reste ‘einer Kapelle zum Beweise, dass es
sich um frühchristlihe Anlagen handelt. Treffen wir derartige Stätten
im Harz, der erst in karolingischer Zeit, durch fränkische Massregeln
aus einem wilden Gebirgswalde in königlichen Forst verwandelt und mit
den ersten Ansiedelungen versehen ist, so haben wir ganz besonderen
Grund, sie für fränkish zu halten. Die Erforschung solcher Anlagen
und ihrer Verbindung mit den ältesten Wegen des Harzes würde ganz
besonders imstande sein, uns über die Methode fränkischer Besitzer-
greifung, Aufschliessung und Besiedelung des herrenlosen Urwaldes
aufzuklären.
Es sind also hauptsächlich Fragen der Lokalgeschichte, die hier
unsere Wissbegier reizen und auf Antwort harren, Fragen, deren Be-
antwortung aber auch für das Verständnis der grossen geschichtlichen
Vorgänge von Bedeutung und Wert sind; die Geschichtsquellen können
sie nicht lösen, auch die Urkunden reichen für die nordharzischen Ge-
biete nicht soweit zurück; so sind wir denn, um Sicherheit zu erlangen,
auf die Bodenforschung angewiesen.
Sehr leicht wäre nun diese Forschung, wenn wir über den Nadh-
lass der frühmittelalterlihen Jahrhunderte, besonders über die Tonge-
fässe ebensogut unterrichtet wären, wie über Geräte und Gefässe der
vorgeschichtlihen Perioden. Aber hier fehlen uns ja die wichtigen Auf-
bewahrungsstätten der verschiedenzeitlichen Kulturprodukte, die wir aus
den vorgeschichtlichen Zeiten bis in die frühfränkische Periode besitzen:
die mit Beigaben ausgestatteten Gräber.
Mit der Zeit Karls d. Gr. hört die Sitte auf, die noch in mero-
vingischer Zeit herrschte, den Toten Schmuck, Geräte und Gefässe bei-
zugeben. Auch die rheinishen Forsher müssen ihre Kenntnis der
karolingischen und spätkarolingischen Keramik den Baufundamenten,
Töpfereien oder Wohnstätten entnehmen. Bei uns sind die Steinbauten,
in deren Fundamente man die Bauopfer barg, erheblich jünger und
schwer datierbar; Tongefässe sind auch bei uns in Nischen der Funda-
mente gefunden worden, sie gehören meines Wissens immer der mittel-
2*
alterlichen, hartgebrannten, grauschwarzen Ware an. Von Töpfereien
so früher Zeit wie die won Meckenheim bei Bonn oder Pingsdorf bei
Köln (— 881) ist bei uns bisher kaum eine bekannt geworden. Die
Wohnstättenfunde, welche gewiss vielfach Scherben des karolingischen
oder spätkarolingischen Alters enthalten, sind meist unsicher und be-
stritten, weil der Platz auch in späteren Jahrhunderten bewohnt gewesen
ist und durch die verschiedenen Aufräumungs- und Fundierungsarbeiten,
auch noch durch das Grabenziehen bei Ausgrabungen die Reste durch-
einander gewühlt, öfter sogar die älteren über den jüngeren zu liegen
gekommen sind.
Dennoch müssen wir Mittel und. Wege suchen um festzustellen,
wie bei uns — ich meine im inneren Deutschland — die Töpferware
im 8. und 9. Jahrhundert beschaffen war, d. h. in der Zeit, ehe vom
Westen her durch ‘den Einfluss der Franken und der christlichen Stif-
tungen der steinzeugartige Ton und der schärfere Brand in Brennöfen
eingeführt wurde.
Bei einer Anzahl fränkischer Burgen oder Höfe in Hannover und
Westfalen, die SCHUCHHARDT ausgegraben hat, ist die Zeitbestimmung
ganz besonders durch den Umstand gesichert worden, dass sich darin
gelbweissliche, hartgebrannte Scherben, mit braunroten Tupfen und
Bändern grob bemalt, befanden, eine Topfware, die am Rhein als
spätkarolingisch mit Sicherheit bestimmt ist und nach dem Hauptfundorte
Pingsdorfer Ware genannt wird ).
Solche Scherben fanden sich z. B. auf der Aseburg bei Herzlake
an der Hase, in der curtis Altschieder ?), in der curtis Bossendorf bei
Haltern“), in Dolberg und der Bumannsburg an der Lippe‘), in der
Hünenburg bei Rinteln, der Pipinsburg bei Sievern und andern Orten des
nordwestlichen Deutschlands. Es ist selbstverständlich, dass die Bewohner
der genannten Orte zu keiner Zeit sich ausschliesslich der Pingsdorfer Topf-
ware bedient haben, die vielleicht nur als Prunkgeschirr dorthin gekommen
ist. Die grosse Masse der gefundenen Scherben gehörte zum Teil einer
groben, schwarzbraunen Topfware an, die ohne Drehscheibe hergestellt und
schlecht gebrannt war, deren Rand schräg aufwärts gerichtet ohne Ver-
dickung abschloss; zum andern Teil stammten sie von etwas dünneren
und auch schärfer gebrannten Gefässen, die auf der Scheibe gedreht
waren und einen ebenfalls schräg aufwärts gerichteten, aber an der Lippe
verdickten und schärfer profilierten Rand hatten. Neben diesem immer-
hin groben Geschirr fand sih auch schon jene harte dem Steinzeug
ähnliche Topfware, die aussen dunkelgrau, im Bruch hellgrau, immer auf
der Töpferscheibe hergestellt ist, die am Rande feinere Profile und
auf dem Oberkörper oft schon die horizontalen Reifelungen zeigt, die
auf unsern mittelalterlihen Gefässen Jahrhunderte lang angewendet
worden sind.
1) Vgl. Const. KOENEN, Bonner Jahrb., 103 S. 125 ff. Taf. VI.
2) Vgl. C. SCHUCHHARDT, Neue Jahrbb. für d. klass. Altert., Gesch. u.
deutsche Literatur, Jahrg. IH, 1900, Abt. I, S. 107 u. 111, und Atlas vorgeschichtl.
Befest. VII, 1902, S. 70.
3) Vestische Zeitschr. Bd. XIV, Jahrg. 1904, S. 5.
4) Mitt. der Westfäl. Altertumskommission, H. I, 1899.
— 21 —
Von der groben Ware kommen auch Stücke vor, die aussen oder
innen oder beiderseits einen roten Uberzug haben (vielleidit Rötung
des Tons durch Hitze 7).
Diese drei Sorten von Scherben sind auf allen karolingischen
Plätzen, die SCHUCHHARDT untersucht hat, zusammen mit den
Pingsdorfer Scherben vorgekommen, er bezeichnet sie deshalb mit Recht
als zusammengehörig und karolingisch. Wollte man einen Teil als jünger
und aus späteren Zeiten der Bewohnung stammend ansehen, so könnte
dafür'nur die harte, steinzeugartige Sorte in Betracht kommen. Aber
in den Scherbenhaufen von Pingsdorf fanden sich in den höheren Lagen
besonders häufig die Reste von blauschwarzen, harten Kugeltöpfen ;
diese Sorte hat sich also, auch wenn sie etwas jünger ist, doch unmittel-
bar an die bemalte gelblichweisse Sorte angeschlossen. |
An diese Beobachtungen haben wir uns bei unseren Untersuchungen
zu halten. Auf Pingsdorfer Scherben haben wir um so weniger zu
rechnen, je weiter wir vom Rhein entfernt sind; dagegen muss uns
die grobe, lockere und schlecht gebrannte Topfware ein Fingerzeig sein,
dass wir Reste des 8. und 9. Jahrhunderts vor uns haben. Auf der
Uferbefestigung von Höbeck bei Gartow an der Elbe, die durch Karl
d. Gr. aus Holzbalken, Flechtwerk und Erde 806 errichtet ist, fand sich
jene Topfware in Menge. Zu bemerken ist übrigens noch, dass an den
Pingsdorfer Gefässen auch rundstabförmige Randverstärkungen und aus-
wärts gebogene Lippen vorkommen; ausserdem auch zylindrische oder
konisch sich erweiternde Ausgussröhren; derartige Randbildungen und
Ausgussröhren sind demnach auch bei der groben, schwarzbraunen Topf-
ware der spätkarolingischen Zeit nicht ausgeschlossen.
Diese aus dem Westen Deutschlands gewonnene Datierung der
groben, braunschwarzen Topfware wird in unseren Gegenden häufig, be-
sonders durch Laienmund, bestritten, nicht etwa dadurch, dass man die
Beweise obiger Datierung widerlegt — denn diese sind gewöhnlich un-
bekannt —, sondern durch die Einwendung, dass Leute späterer Jahrhun-
derte doch immer noch solche grobe und schlechte Ware erzeugt und
benutzt haben könnten, auch wenn die gutgeschlemmte und gutgebrannte
Tonware seit dem 10. Jahrhundert bekannt und gebraucht war. Da
diese groben Scherben auch auf Burgen gefunden werden, die nach den
Geschichtsquellen erst im 12. Jahrhundert erbaut sind, so, meint man,
sei der Beweis erbracht, dass dergl. Topfware noch im 12. Jahrhundert
hergestellt und gebraucht sei.
Es ist nun zwar schwerlich anzunehmen, dass eine Industrie noch
Jahrhunderte lang ein uraltes Verfahren mit schlechtem Erfolge angewen-
det habe, nachdem ein weit besseres Verfahren längst bekannt und
verbreitet war, dass Töpfer, die geeignete Brennöfen hatten, trotzdem
noch am offenen Feuer oder in schlechten Ofen eine schlechtere Ware
herstellten, die keinesfalls billiger, aber viel zerbrechlicher war als die
hartgebrannte, und zu längerer Bewahrung von Flüssigkeiten kaum
brauchbar. Deshalb geht die Meinung gewöhnlich dahin, dass die alter-
tümlichen schlechten Gefässe nicht von Berufstöpfern, sondern von den
kleinen Leuten selbst hergestellt seien entweder weil in der Gegend
Töpfereien fehlten, oder weil man der Ersparnis wegen sich mit Schlech-
terem behalf. — Hiergegen spricht nun wieder die grosse Gleichför-
— 22 —
migkeit der Ware z. B. in der Bildung des Randes, die man als Stil
bezeichnen kann. |
Mit allem Nachdruck aber muss ich mich gegen die Meinung wen-
den, dass man aus dem Vorkommen der verschiedenartigen Scherben
auf demselben Burgplatze auf Gleichaltrigkeit derselben schliessen müsse,
oder dass alle dort gefundenen Scherben nicht älter sein könnten als
die Entstehung der Burg, deren Erbauung uns zufällig durch geschicht-
liche Angaben bekannt ist. Denn ehe die uns bekannte Burg gebaut
worden ist, hat auf demselben Platze oft schon etwas anderes gestan-
den, wovon Geschichtsquellen nichts melden, wovon nur wenige Funda-
mente zeugen, wenn man sie findet, oder auch nur schwer zu erkennende
Pfostenlöcher, wenn nicht diese Spuren dürftiger Holzhäuser schon in
frühen Zeiten mit dem Boden weggeräumt sind. In solchen Fällen könnten
die verschiedenzeitlihen Scherben Zeugnis von den verschiedenen Be-
bauungsperioden abgeben; aber Gleichzeitigkeit derselben kann durch
das Vorkommen auf demselben Burgplatze nicht bewiesen werden.
Ich erinnere an die geschichtlih bekannte Burg auf dem Sachsen-
stein bei Sachsa am Südharz, die Heinrich IV. 1072—1074 erbauen
liess; bei der Ausgrabung erkannte Geh. Baurat BRINCKMANN an dem
Mauerwerk und an der Bauart noch zwei ältere Bauperioden, sodass
der Platz schon viel früher bebaut gewesen war, als die Nachricht
Lamberts von Hersfeld ahnen liess.
Ähnlich steht es mit der Hasenburg am Südharz.
Auch auf der Burg Anhalt im Harz sind bei der Ausgrabung ver-
schiedene und verschiedenartige Fundamente gefunden worden, auch
Scherben der verschiedensten Art, besonders auch die oben beschriebenen
groben Sorten, sind aufgelesen; nach Angabe der Arbeiter sollen sie
durcheinander gelegen haben, die groben Stücke wohl auch oben, was
bei der vielfachen Umwühlung und Wegräumung des Bodens nichts
beweisen würde. Auch ich habe nahe vor dem Burgtore am Berg-
abhange Erdhaufen gesehen, aus deren Oberfläche grobe Scherben
hervorragten, also ganz oben liegend; aber diese Haufen waren ange-
schüttet, sie enthielten offenbar Abraum vom Burgplateau, der bei irgend
welchen Neubauten aufgegraben, weggekarrt und hierher geschüttet war;
auch am grossen Turm fand ich grobe Scherben an der Oberfläche
liegend; auch dort muss einst der Boden tief herausgegraben sein, als
man den Turm fundamendierte, ganz abgesehen von den Bodenbe-
wegungen bei der letzten Ausgrabung.
Lassen wir die groben Scherben mal ganz bei Seite, so giebt
uns gerade die Burg Anhalt auch noch andere deutliche Mahnungen,
dass wir die Bodenfunde aus Burgplätzen nicht nach dem Datum eines
Burgenbaus, der geschichtlich bekannt ist, beurteilen sollen:
Unter den Scherben fielen mir 3 auf, die ganz anders als die
übrigen, lockere wie feste, hergestellt waren; sie sind sehr dünn, nur
2 mm stark, von feingeschlämmter Masse und fast durchgebrannt, aussen
und innen gelbrotbraun, nur in der Mitte des Bruchs zeigt eine graue
Linie die ursprünglihe Farbe des Tons. Aussen zeigen sich schwache
horizontale Reifelungen, die noch durch schwach eingedrückte Verzierungs-
bänder belebt werden. Diese Verzierungsbänder der 3 Scherben sind
einander ähnlich, aber nicht gleich und unterscheiden sich durchaus von
| 23
\
den kräftigen, aus senkrechten Kerben gebildeten Zierbändern der hart-
gebrannten Töpfe. Sie sind. mit dem Rädchen eingedriickt und ihre
Muster haben ihre Parallelen in rädchenverzierten Gefässen der Franken,
die uns aus Belgien bekannt sind. Scherbe 1 hat dasselbe Rädcen-
muster wie ein Gefäss des fränkischen Friedhofs von Harmignies ),
Scherbe 2 das gleiche wie ein Gefäss von Orp le Grand bei Namur
und ein anderes von Anderlecht bei Brüssel“), Scherbe 3 hat grosse Ahn-
lichkeit mit zwei Mustern von Limet bei Namur’). Diese belgischen
Friedhöfe gehören der Merovingischen Zeit an.
Ähnlich steht es mit einem andern Fundstück der Burg Anhalt,
einem tönernen Gefässdeckel von hellroter Farbe, die durch radial ge-
zogene weisse Streifen belebt wird. Der Deckel ist durch eingedrückte
runde Stempel verziert, wie sie sich an fränkischen Gefässen des 7. Jahr-
hunderts in den Reihengräbern Westdeutschlands, aber auch bei Erfurt
und Aschersleben gefunden haben. Das Aschersleber Grab (bei West-
dorf) war ausser mit 2 Gefässen auch mit einer Franziska ausgestattet,
einer Waffe, die den Franken vom 5. bis 7. Jahrhundert eigen war‘).
Die Stempel auf unserm Tongerät sind Kreise mit 2 sich kreuzen-
den Durchmessern. Merkwürdigerweise befindet sich unter den eisernen
Fundsachen derselben Burg ein Instrument, das unten eine in 4 Viertel
zerspaltene Kreisplatte bildet und zur Herstellung solcher Stempel ge-
eignet ist.
Das Vorkommen dieser Stücke im Boden der Burg Anhalt giebt
gewiss zum Nachdenken Anlass.
Die Stempeleindrücke erinnern an die Aufdeckung eines Töpfer-
ofens in Wienrode bei Blankenburg (1897); denn dieser enthielt u. a.
das Fragment eines Topfdeckels mit 2 runden Stempeleindrücken, die
durch ein Gittermuster gefüllt waren; im übrigen 2 fast vollständige
Kugelgefässe, eine mit der Hand gemachte zylindrische Ausgussröhre
und Bruchstücke von 95 Gefässen, die alle kugelförmigen Bauch und
den „kragen- oder trichterförmigen Rand“ aufwiesen, wie die früher
beschriebenen rohen Topfscherben; auch den grobkörnigen Stoff, die
Handarbeit, die schwarzbraune und blaugraue Farbe haben sie mit jenen
gemein, dagegen ist der Brand besser und hat bei manchen, Stücken
schon klingende Harte hervorgebracht. Wir dürfen hier den Übergang
zur hartgebrannten blauschwarzen Töpferware erkennen und den Ofen
dem 9. Jahrhundert zuweisen.
Durch einige rohgeformte zylindrische Ausgussröhren erinnert er an
den Töpferofen vom Stukenberge bei Wernigerode und die zahlreichen
Herdstellen an demselben Platze und auf dem benachbarten Köhler-
brink, welche, 1867 und 68 aufgedeckt, ausser der rohen Tonware mit
kragenförmigen Rändern, darunter 2 Stücke mit Ausgussröhren, auch
1) van BASTELAER, Les vases de formes purement franques et les ornements
a la roulette, 4me Mémoire, 1895, Pl. Il, Fig. 186.
2) van BASTELAER, 5™e Mémoire, 1897, Fig. 225 und 229.
3) van BASTELAER, 4me Mémoire, 1895, Fig. 171 und 181.
) Abbildungen der 3 im Skelettgrab von Westdorf gefundenen Beigaben s.
in GÖTZE, HOFER, ZSCHIESCHE, Die vor- und frithgeschichtlihen Altertümer
Thüringens, Fig. 312, 316, 324. Uber den Gebrauch des fränkischen Wurfbeils s.
AGATHIAS, Historiarum Il, 5 und lib. hist. Francorum, M. G. Merov. Il, p. 252 u. 253.
— 24 —
eine karolingische Scheibenfibel mit 4 symmetrischen Figuren, aus er-
habenen Linien bestehend, geliefert haben.
Bei Günthersberge im Harz an einer sehr alten Harzstrasse war-
tet eine sehr altertümliche, in schriftlichen Quellen nicht erwähnte Be-
festigung auf genauere Untersuchung und Datierung. Die bisherige,
vorläufige Grabung hat fast ausschliesslich die oft genannte grobe Topf-
ware und mit Lehm gebundene Mauern ans Licht gebracht. Auch diese
sehr wünschenswerte Untersuchung, ebenso wie die der Alten Burg von
Aschersleben, die man jetzt durchaus zu einer mittelalterlihen Warte
degradieren will, die ich aber für die alte Grafenburg des Schwabengaus
halte, und manche andere Ausgrabung von Resten der mittelalterlichen
Frühzeit werden nicht zu sichern Ergebnissen durchgeführt werden können,
solange wir nicht mit aller Bestimmtheit wissen, wie bei uns die Gefässe
und Scherben der karolingischen Zeit beschaffen waren. Wir müssten
also zunächst eine Burgstätte genau untersuchen, die schon Funde karo-
lingischer Zeit ergeben hat und auch sonst in ihrer Anlage dem bisher
ermittelten Charakter karolingischer Befestigungen entspricht, die aber
in späterer Zeit nicht weiter benutzt worden ist.
Als eine solche Burgstätte schlage ich u. a. die Struvenburg bei
Benzingerode vor, die aus 2 rechteckigen Umwallungen auf dem schmalen
Rücken eines Bergkammes besteht; in dem Walle sind Pfostenlöcher
gefunden, ferner 2 lanzettförmige eiserne Pfeilspitzen und ein bronzener
fein profilierter Sporn mit eiserner kurzer Spitze, von einer Art, wie
sie nur aus der Zeit bis zum 8. Jahrhundert bekannt ist; am Fusse des
Berges aber ist eine Scheibenfibel, mit Zellenschmelz (émail cloisonné)
verziert, aufgehoben worden. In Urkunden wird der Ort nur als wiist
erwähnt. — Ein anderes geeignetes Objekt für eine solche Belehrungs-
Ausgrabung sehe ich in den Harzburgen bei Ilfeld, 2 Bergkuppen, deren
jede mit einem ovalen Wall umgeben ist. Während die Burg Ilfeld
über dem Bähretale erst um 1100 gebaut und schon 1170 abgerissen
ist, der Name des Ortes aber eine Gründung in der ersten Besiede-
lungsperiode d. h. in karolingischer Zeit voraussetzt, dürfen wir diese primi-
tiven Befestigungen, deren Umgebung noch 1189 Reichswald war, für
den karolingischen Jagdhof Ilfeld halten. Gefässcherben von dort bestehen
aus feingeschlämmten Ton, sind aber nur schwach gebrannt; darunter
befindet sich wieder die ungeschickt hergestellte zylindrische Ausgussröhre,
wie sie im Töpferofen von Wienrode und in den primitiven Wohnstätten
am Stukenberg und Köhlerbrink (auch auf der karolingischen curtis
Heisterburg am Deister) gefunden worden ist. — Es ist dringend zu
wünschen, dass keine Ausgrabung wieder vorgenommen wird, in der
nicht die Funde, besonders auch die Scherben, auf das sorgfältigste
beobachtet, gesammelt und mit Vermerk der Fundstelle versehen werden.
Dr. Reimers
stimmt den Anregungen des Vortragenden lebhaft bei und erwähnt, dass
seitens des Provinzialmuseums in neuester Zeit begonnen sei, früh-
mittelalterlihe Burgreste systematisch zu untersuchen.
— 25 —
Privatdozent Dr. Hahne:
Die Kulturreste des früheren Mittelalters sind bis heute
Stiefkinder der Forschung, wenigstens soweit sie niht durh Kunstwert
den Kunsthistoriker interessieren. — Welche öffentliche Sammlung zeigt
die Keramik jener Jahrhunderte in systematisher Weise? — Audh die
Aufdeckung der frühmittelalterlihen Burgstätten und sonstigen Sied-
lungen ist bis heute nicht offizielle Aufgabe irgend eines wissenschaft-
lichen Institutes. Die wichtigen Ergebnisse der von Professor Höfer
geschilderten Forschung sind seither meist — nicht immer glücklihe —
Erfolge privater Arbeit oder doch der Arbeit einzelner Forscher und
gelehrter Gesellschaften oder Vereine.
Neuerdings bricht sich aber doch die Erkenntnis Bahn, dass jene
frühmittelalterlihen Reste von ganz besonderer Bedeutung sind als
Bindeglieder zwischen histérischer und prähistorischer Zeit.
Die Forshungsmethoden der modernen Vorgeschichtswis-
senschaft sind es aber, die berufen scheinen, auch die Reste dieser
Übergangszeit aufzuarbeiten. Die vorgeschichtliche Abteilung des hiesigen
Provinzialmuseums hat sich zur Aufgabe gemacht, diese Forschungen
für die Provinz Hannover in die Wege zu leiten, wie sie auch die früh-
mittelalterlihen Funde in ihr Sammel- und Arbeitsgebiet aufgenommen
hat. Manche unserer Schloss- und Burgstätten tragen unter modernen
und frühgeschichtlihen Bauten sicher auch noch vorgeschichtliche Reste;
hoffentlich finden wir bald ein deutsches Troja und Myken! — Mit der
Untersuchung der „Burg“ bei Königsdahlum haben wir den Anfang
unserer derartigen Untersuchungen gemacht. Herr Dr. Wackenroder
leitet die Ausgrabung und wird Ihnen über die Ergebnisse berichten
können. Die „Burg“ bei Königsdahlum ist die wüste Stätte eines durch
Chroniken seit dem XIII. Jahrhundert bezeugten Schlosses (castillum)
aus dem Besitz der Ottonen. — Seit dem XIII. Jahrhundert wird nur
noch eine Marienkapelle erwähnt, der Burgberg dient seitdem als Stein-
bruch. Von jeher sind Mauerreste, auch Graber, Gefässscherben, Estrich-
böden und Metallteile beim Steinbruchbetriebe gefunden, aber nie war
seither ein systematische Grabung oder sonstige Aufnahme ausgeführt.
Vor Kurzem haben wir eine solche begonnen. Die noch vorhandenen
letzten Reste der Anlage sollen nun eingehend untersucht werden.
In Königsdahlum liegen die Verhältnisse insofern günstig, als die
Burgstätte seit dem Mittelalter nicht wieder bebaut wurde. Wir hoffen
auch bald auf heute noch bebauten Siedelungs- bezw. Schlosstätten
Untersuchungen ausführen zu können.
Dr. Wackenroder-Hannover
bemerkt zu dem Vortrage Prof. Höfers, dass das auf der Burg Anhalt
(wird z. Z. publiziert von Dr. W.) gefundene keramische Material, das
z. Z. publiziert werden solle, nach seiner Meinung dem XII. und XIII.
Jahrhundert angehöre und. dass auch die sonstigen Funde keinen Anlass
geben, eine karolingishe Besiedelung anzunehmen, wie vielleicht die
Gelegenheitsfunde von der Fikenburg (Museum in Wernigerode). —
Uber die Ergebnisse der kürzlich (im Juli) erst in Angriff genommenen
Ausgrabungen bei Königsdahlum ist bis jetzt noch nicht viel zu be-
— 26 —
richten: Blosgelegt sind Reste einer mittelalterlidien kirchlichen Anlage
und eine Anzahl Gräber, ausserdem wahrscheinlich aus zwei versdue-
denen und zwar älteren Bauperioden stammende Mauerreste. Das bis-
her aufgefundene Scherbenmaterial gehört nach Dr. Wackenroder’s An-
sicht dem XII. und XIII. Jahrhundert an.
Professor Dr. Höfer:
Wie ich schon vorher erwähnt habe, sind ausser der mittelalter-
lichen, hartgebrannten, steinzeugartigen Topfware, die schwarzgrau oder
blaugrau, im Bruche aber hellgrau aussieht und die mannigfache Ver-
zierungen aufweist, in grosser Menge auch die grobkörnige, schlecht-
geschlemmte und schlecdhtgebrannte Topfware, die im Bruche schwarz
aussieht und regelmässig unverziert ist, gefunden worden. Beide Sorten
lassen sich sehr leicht unterscheiden aber auch zu feineren Unter-
scheidungen bieten die Scherben der Burg Anhalt interessantes Material.
Da dasselbe hier nicht vorliegt, ist eine Demonstration unmöglich.
Dr. Konrad Olbricht, Lüneburg:
Das Klima der postbaltischen Zeit und die
vorgesckicktliche Chronologie.
Mit 1 Textabbildung. .
Der heutige Mensch versucht es mit Erfolg immer mehr, sich von
Klimaschwankungen unabhängig zu machen. Diesen Zweck verfolgten
zum Teil schon die grossen Bewässerungswerke, die wir von den Kultur-
völkern des Altertums her kennen und die heute unter europäischem
Einfluss in Agypten und Mesopotamien wieder aufleben. Aber noch
heute zeigen uns die grossen Hungersnöte in Vorderindien und China,
dass auch bei hochentwickelten Völkern der Kampf gegen die Ver-
heerungen nur kurzer Trockenzeiten nicht immer ein siegreicher ist. Um
wie viel mehr muss der primitive Mensch von den viel grösseren Klima-
schwankungen der jüngsten geologischen Vergangenheit abhängig ge-
wesen sein. Manche noch heute rätselhaften Wanderungen der vorge-
schichtlihen Zeit werden uns unter ganz neuer Beleuchtung erscheinen,
wenn wir sie nicht auf blosse Launen der jeweiligen Völker zurückführen,
sondern bedenken, dass auch hier Klimaveränderungen eine Hauptrolle
spielen, dass sie die Physiographie grosser Landschaften verändern und
darum oft den von den Naturschätzen abhängigen Menschen zur Aus-
wanderung zwangen. Aber die Veränderung der Physiographie eines
Gebietes unter dem Einfluss variierender Klimate prägt auch den Kulturen
gewisse Eigentümlichkeiten auf, wenn wir auch hier erst im Anfange
unserer Erkenntnis stehen. Darum wollen wir heute einige dieser
Fragen betrachten, um so zu weiterer eingehender Berücksichtigung dieser
Verhältnisse den Ansporn zu geben.
Wir geben zuerst einen Überblick der Klimaschwankungen des Eis-
zeitalters und fragen uns dann, ob wir schon jetzt imstande sind, ge-
wisse Beziehungen zwischen Kulturentwicklungen und Klimaschwankungen
festzustellen. Wenn wir einmal bestimmte Kulturstufen mit bestimmten
as OF ala
Klimaschwankungen identifiziert haben und fiir das Ausmass der letzteren
Zahlenwerte erhalten, werden wir imstande sein, die Chronologie der
menschlichen Kulturentwicklung für Zeiten festzustellen, deren Alters-
bestimmungen bisher ganz vage und hypothetisch waren.
l.
Nicht zum mindesten unter dem Einflusse des epochemachenden
Werkes von PENCK und BRUCKNER „Die Alpen im Eiszeitalter“
haben sich in unserer Auffassung der klimatischen Verhältnisse dieser
eigenartigen Zeit grosse Änderungen vollzogen. Einerseits ist es uns
zu ziemlicher Gewissheit geworden, dass die Eiszeiten sih über die
ganze Erde verfolgen lassen und überall eine gleichmässig erfolgende
Depression der heutigen Schneegrenze darstellen (soweit nicht jüngere
Krustenbewegungen diese Harmonie gestört haben). Damit fallen schon
eine Reihe von Theorien für die Entstehung der Eiszeit weg, so die
CROLLsche Theorie, nach der die Eiszeiten alternierend auftreten und
die bekannte Pendulationstheorie, nach der Polschwankungen die Haupt-
rolle spielen. Indem sich uns zugleich immer deutlicher die Zusammen-
hänge zwischen Faltungen, Meeresregressionen und Eiszeiten zeigen,
ahnen wir, dass diese nicht kosmisch bedingt sind, sondern sich als
Folgeerscheinungen gewisser uns noch unbekannter Störungen des Erd-
inneren, die in seltsamer Periodizität eintreten, erklären lassen.
Den wichtigsten Fortschritt der Eiszeitforschung stellt das Auffinden
der Beweise für lange Interglazialzeiten dar, in denen es stellenweise
wärmer war als heute und das mediterrane Klimagebiet sih bis nach
Deutschland hinein erstreckte, erkenntlich an seinen rötlichen Verwitte-
rungsrinden.
PENCK und BRUCKNER unterscheiden neuerdings vier Eiszeiten,
die sie nach Flüssen im Alpenvorlande Günz-, Mindel-, Riss- und
Würmeiszeit genannt haben. Aus den beiden älteren Eiszeiten stammt
der Deckenschotter, aus den jüngeren der Hoch- und Niederterrassen-
schotter. Dock macht es PENCK auch wahrscheinlich, dass wir noch
altere Eiszeiten haben, deren Spuren nur verwischt sind, einerseits durch
die starke Abtragung in den Interglazialzeiten, anderseits durch jiingere
Eiszeiten, die ihr Abtragungsgebiet bis in das Ablagerungsgebiet älterer
Gletscher ausdehnten. Gerade die Lösse der mittelrheinishen Tief-
ebene scheinen für diese Frage sehr bedeutungsvoll zu werden. In
den Alpen ist die Risseiszeit die ausgedehnteste, während in Nord-
deutschland diese Stellung der Mindeleiszeit zukommt.
Dieses Missverhältnis erklärt sich daraus, dass in den Alpen während
des Eiszeitalters eine starke Hebung einsetzte und so die jeweiligen
Schneegrenzen der verschiedenen Eiszeiten wesentlich modifiziert wurden,
indem einerseits die Schneegrenzen älterer Eiszeiten verbogen wurden,
anderseits infolge der stetigen Hebung leicht die Gletscher jüngerer
Eiszeiten weiter vorrücken konnten, als diejenigen älterer Eiszeiten, die
in anderen Gebieten am ausgedehntesten waren. So sehen wir in den
Südalpen gerade die Gletscher der Würmvereisung am weitesten ins
Alpenvorland stossen und hier die mächtigen Moränenwälle aufbauen,
die Ihnen ja aus der Literatur genügsam bekannt sein dürfen.
— 28 —
So wird es uns sehr erschwert, aus dem vorhandenen Material
die Bedeutung der einzelnen Eiszeiten zu ermessen, da immer — auch
bei uns in Norddeutschland — tektonische Faktoren das einfache Bild
gestört haben.
Ebenso sind wir auch nicht imstande aus den uns bekannten Ab-
lagerungen der Zwischeneiszeiten zwingende Schlüsse auf die relative
Länge dieser Zeiten zu ziehen.
Die Interglazialzeiten zeichnen sich durch warme Floren und Faunen,
limnische Ablagerungen, mächtige Lösse und starke Verwitterungsrinden
aus, von denen die letzteren um so wichtiger sind, als sie die von
Gegnern der Interglazialzeiten bei den übrigen Funden entgegengehaltene
Theorie von blossen Gletscheroszillationen entgiltig abweisen. Die
neuesten Funde machen es zugleich wahrscheinlich, dass Steppenzeiten
mit ausgedehnter Lössbildung die Höchstphase einer Zwischeneiszeit ein-
nehmen und sich an diese Mediterranzeiten anschliessen, die ihrerseits
wieder von Waldphasen begleitet werden. Dies zeigen nicht nur die
schönen Profile, die Ew. WUST aus Taubach aufgenommen hat, sondern
auch die Tatsache, dass an vielen Stellen die interglazialen limnischen
Ablagerungen in der Lüneburger Heide durch eisenschüssige Sande
unterbrochen werden, die im Maximalstande der Zwischeneiszeit ein
arides Klima anzeigen, das nicht nur eine starke Abtragung, sondern
zugleich die Bildung eisenschüssiger Sedimente förderte.
Die Interglazialzeiten sind nun nicht nur von verschiedener Länge,
sondern auch von verschiedener Intensität der in ihnen wirksamen klima-
tischen Faktoren, denn wenn gerade eisenschüssige Bildungen in älteren
Interglazialzeiten überwiegen, so ersehen wir daraus, dass damals die
mediterranen und subtropischen ariden Gebiete weiter nach Norden vor-
rückten, als in älteren oder jüngeren Interglazialzeiten. Insbesondere
hängt die Verwitterung wesentlich mehr von der Intensität der klima-
tischen Faktoren, als von der Länge der Zeiträume ab'). Wenn sich
die Verwitterungsrinden der Mindel-Riss-Interglazialzeit und die der
Riss-Würm-Interglazialzeit wie 12 zu 3 verhalten, so können wir daraus
noch keine absolut giltigen Schlüsse auf die Längen dieser Zeiten ziehen,
da doch die Verwitterung eine Kombination der Arbeit darstellt, die Zeit-
länge und Klimaintensität zusammen leisten.
Von Wichtigkeit ist die Klimakurve der Postwürmzeit. Nach einer
längeren Zeit der Achenschwankung rückten in den Alpen die Gletscher
noch einmal vor. Das ist der Bühlvorstoss, dessen Moränen man neuer-
dings immer mehr ins Alpenvorland vorschiebt. Ihm entspricht in Nord-
deutschland der jüngere Vorstoss, der bis an die baltische Endmoräne
reicht, den ich daher baltischen Vorstoss genannt habe, um so seine
Identität mit dem Bühlvorstoss noch nicht unbedingt auszusprechen, ob-
wohl eigentlich gewichtige Zweifel dagegen nicht mehr bestehen.
Wichtig ist es, dass wir in Norddeutschland an vielen Stellen auf
die Dauer und klimatischen Verhältnisse der baltischen Schwankung
schliessen können, die ich mit der alpinen Achenschwankung identifiziere.
1) Wirferinnern hier nur an die starke Lösungskraft der grosse tiefgründige
Verwitterungsböden schaffenden warmen tropischen und subtropischen Regen im
Gegensatz zu den kühlen Regen unserer Zonen.
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— 30 —
Wir ersehen aus ihnen, dass in die baltishe Schwankung nicht nur die
Bildung ausgedehnter Lösse und lössartiger Bildungen fällt, sondern
zugleich auch die Täler stark ausgetieft wurden, stellenweise sogar ganze
Talsysteme sich erst bildeten ).
Auf den baltischen Vorstoss folgt die postbaltische Zeit. In sie
fallen niht nur die Gschnitz, Daun und Tribulaunmoränen der Alpen,
sondern auch mächtige jüngere Sande in Norddeutschland, vielleicht hier
sogar auch lössartige Bildungen.
Die alpinen Moränen zeigen uns, dass dreimal nah dem Bühl-
vorstoss die Alpengletscher noch weiter vorrückten, als heute und zwar
nehmen diese Vorstösse an Ausmass allmählich ab, ihre Schneegrenzen
verhalten sich wie 600: 400: 200. An vielen Stellen zeigen Lösse und
warmtemperierte Floren auch im Alpengebiet an, dass zwischen den
Gletschervorstössen Zeiten lagen, in denen das Klima jedenfalls erheblich
wärmer war als heute, aber diese Funde sind vereinzelt, da sie zum
Teil durch die jüngeren Gletschervorstösse, zum Teil durch fluviatile
Erosion abgetragen wurden. Ebenso zeigen auch die mächtigen heute
bewachsenen Schuttkegel an, dass in der Postbühlzeit das Klima min-
destens einmal wesentlich wärmer und trockener war, als heute.
In Norddeutschland haben zwei von ganz verschiedenen Voraus-
setzungen ausgehende Untersuchungen für die postbaltische Zeit das
Alternieren von Regen- und Trocenzeiten erwiesen. Einerseits die Unter-
suchungen von Professor SCHULZ in Halle, dessen Ergebnisse Sie auf
der Ihnen vorgelegten Tabelle ęrsehen. Sodann meine eigenen Auf-
nahmen im unteren Ilmenautal, aus denen sich vier postbühle Trocken-
zeiten ?) ergeben, die sich durh Verschüttung des Tales mit Sand aus-
zeichnen, deren Intensität sich aus der Mächtigkeit der aufgeschütteten
Sande ungefähr errechnen lässt und auffallenderweise in demselben
Masse nach der Jetztzeit zu abnimmt, wie die der alpinen Vorstösse.
So sehen wir, dass diese alpinen Vorstösse und die norddeutschen
Terrassen Wellentälern und Wellenbergen einer einheitlichen Klimakurve
entsprechen, die wir so aus den in verschiedenen Gebieten gemachten
Erfahrungen herleiten können. Ich habe diese Steppenzeiten nach
den Heideflüssen, die ins Elbtal münden, Ilmenauzeit, Luhezeit, Neetze-
zeit und Seevezeit genannt, und werde mich ihrer einstweilen auch be-
dienen, so lange wir keine bessere Bezeichnung finden.
Wichtig ist auch die Parallelisierung mit den Ablagerungen der
norddeutshen Moore, die wir besonders SCHULZ verdanken. Die
Moore wurden in der sehr trockenen Ilmenauzeit und Luhezeit ganz ausge-
blasen. In der Daunzeit bildete sich der untere Sphagnetumtorf, in
der Neetzezeit der Grenzhorizont und in der Tribulaunzeit der obere
Sphagnetumtorf, dessen Bildung noch heute andauert und durch die
1) Nach meinen neuesten Aufnahmen haben wir lössartige Bildungen in der
Lüneburger Heide sogar noch in der Gschnitz-Bühlzeit.
2) Die Teilnehmer an dem Ausfluge in die Lüneburger Heide im Anschluss
an die erste Hauptversammlung unserer Gesellschaft haben gesehen, wie heute die
dichte Pflanzendecke die Abtragung verhindert und starke Abtragungen nur einsetzen
können, wenn bei Trockenzeiten die Pflanzendecke weitständig wird und stellenweise
sogar ganz fehlt.
kurze Seevezeit anscheinend nicht erheblich unterbrochen wurde. Wenig-
stens kennen wir nicht die Spuren einer derartigen Unterbrechung.
Diese Worte zur kurzen Orientierung. Heben wir als besonders
wichtig noch einmal hervor, dass die postbaltishen Klimawellen nicht
etwa Oberschwingungen der grossen glazialen Klimawellen darstellen,
sondern in gewissem Sinne diesen gleichwertig sind und nur das all-
mähliche Ausklingen des an klimatischen Gegensätzen reichen Eiszeitalters
nach der Jetztzeit zu darstellen. Wir gehen also nicht etwa einer neuen
Interglazialzeit, sondern anscheinend einer neuen Tertiärzeit entgegen
und wenn unser Klima sich von dem tertiären so erheblich unterscheidet,
so liegt dies an der ganz andersartigen Verteilung von Wasser und Land.
Aber es erscheint als ein eigenartiges Zusammentreffen, dass unser
Menschengeschlecht erst in unserer Zeit seine grosse Kulturhöhe erreichte,
wo keine neue Eiszeit diese mehr zu vernichten vermag.
Die absolute Dauer des Eiszeitalters ist zurzeit noch nicht ge-
nauer zu bestimmen. Die bisherigen Forschungen schwanken zwischen
J Million und einer Million Jahren. Diese grossen Gegensätze erklären
sich daraus, dass man wohl an der Erosionsarbeit von Flüssen einige
Anhaltspunkte für das Postglazial hatte, aber nicht imstande war, die
postglazialen mit den glazialen Klimawellen in irgend welche Beziehungen
zu setzen. Sie sehen aber, dass dies auf Grund der von mir aufge-
stellten Klimakurve schon ermöglicht wird!). Nehmen wir für die post-
baltische Zeit als rohen Durchsdhnittswert rund 30000 Jahre an, welche
Zahl wir aus dem Riickschreiten mancher Wasserfalle und dem Wachsen
einiger alpinen Deltas entnehmen, so bekommen wir für das gesamte
Eiszeitalter rund 250000 Jahre. Diese Zahl nähert sich auffallend den
Schätzungen von HESS und MORTILLET. Wir werden ihr um so mehr
ein gewisses Vertrauen schenken können, zumal wir noch sehen werden,
dass gerade beim Annéhern an die jüngste Geschichte manche Kultur-
stufen sich auffallend mit dem Alter decken, das ihnen aus anderen
Gründen der Historiker gibt. Dies gilt insbesondere von der alten
ägyptischen Geschichte.
Aber abgesehen davon, dass sich viele historisch festgelegte Daten
so auffallend mit den von uns gewonnenen decken, sprechen noch andere
Gründe für eine gewisse Wahrscheinlichkeit unserer Zahlen.
Der von uns angenommene Zeitraum genügt vollkommen, um aus
den Eolithen sich die moderne Kultur entwickeln zu lassen, zumal unsere
neuesten Forschungen darzulegen scheinen, dass das Strepyien mit seinem
plötzlichen Kulturaufschwung in den Anfang der Eiszeit zu stellen ist
und die Stufen des Reutelien, Mesvinien und Mafflien mit ihrer er-
staunlichen Persistenz noch dem Pliozän angehören. Wir kommen hier-
mit zum zweiten Teile unseres Vortrages, indem wir einige wichtige
Zusammenhänge zwischen Klimaschwankungen und Kulturentwicklung
kurz darlegen wollen.
1) Diese Klimakurve entstand durch Fortsetzung der postbaltischen Klimakurve,
für die wir schon viel Anhalt haben, nach rückwärts und stellt natürlih auch nur
einen Versuch dar. Einige Herren haben sich an der auffallenden Harmonie dieser
Kurve gestört, ich werde deshalb gelegentlich zeigen, weshalb ich mir den Verlauf
gerade so vorstellen möchte.
II.
Noch wissen wir nicht mit Sicherheit, an welcher Stelle sich
zum ersten Male aus uns noch unbekannten Vorfahren ein menschen-
artiges Wesen entwickelte. „Ex oriente lux“ gilt noch heute für den
Historiker, wie noch kürzlich Eduard MEYER in seinem interessanten
Vortrage über „Alte Geschichte und Prähistorie“ dargelegt hat. Wir
können diese Anschauung nicht beweisen, bekommen aber immer mehr
Anhaltspunkte dafür, dass seit einer gewissen uns noch unbekannten
Phase des Eiszeitalters Mitteleuropa im weitesten Sinne der Entwick-
lungsherd der Menschen wurde und sich diese hier unter dem Einfluss
des ständig wechselnden Klimas, der ständig sich verschiebenden be-
wohnbaren Gebiete und der immer variierenden Lebensbedingungen
weiter entwickelten. Wie sich die Wanderungen während des Eiszeit-
alters verhalten haben, wissen wir noch nicht, da das vorliegende Material
zur Beantwortung dieser wichtigen Fragen noch nicht ausreiht. Auch
ein kühler werdendes Klima des baltischen Schildes wird den Menschen
zur Auswanderung zwingen und es ist ersichtlich, dass solche nordsüdlich
gerichtete Wanderungen um so häufiger eintreten werden, je stärker
die Besiedelung Skandinaviens geworden ist. Gerade für die Bronze-
zeit scheinen derartige Wanderungen charakteristisch zu sein. Dieser
Art von Wanderungen bedingt durch ein kühler werdendes Klima und
angedeutet durch eine Expansion nordeuropäischer Stämme steht eine
andere Art von Wanderungen gegenüber, die gerade durch ein trockener
werdendes Klima angedeutet wird. Wenn in kühleren regenreicheren
Zeiten die Menschen die Steppengebiete besiedeln, so werden sie aus
diesen bei trockenen Zeiten vertrieben und so werden Wanderungen
von Osten nach Westen — aus Innerasien nach Europa, aber auch
nach China, Turan und Vorderindien — stattfinden, die um so häufiger
werden, je zahlreicher der Mensch diese trockenen Gebiete besiedelt.
Derartige Wanderungen werden dann ein Einschieben von Halbkulturen
in höher entwickelte Kulturen bedeuten und so Erscheinungen erklären,
die wir etwa als „Kulturverarmungen“ bezeichnen können. Derartige Wan-
derungen von Osten her scheinen tatsächlich eine grosse Rolle zu spielen
— neolithische Wanderungen von Lössstämmen, Mongolenwanderungen
des Mittelalters — und so wird die Frage zu beantworten sein, in wie
weit nicht manche eigentümlihen Kulturen des Paläolithikums, die
periodisch wechseln ), so zu erklären sind, vielleicht fällt hierdurch auch
neues Licht auf die Verbreitung der Rundköpfe. Expansionen inner-
asiatischer Stämme in trockenen Zeiten und Expansionen europäischer
— in jüngster Zeit germanischer — Stämme in kühlen regenreichen
Zeiten wechseln also periodisch miteinander ab und ergeben das bunte
Bild der Wanderungen und Kulturumformungen, dessen Deutung eines
der Hauptziele der Forschung kommender Zeiten sein dürfte. Jetzt
sind wir allerdings noch weit von diesem Ziel entfernt.
Im Anschluss hieran wollen wir noch einige’ weitere Punkte her-
vorheben, die für die Erforschung der Vorgeschichte von Bedeutung sind,
1) Auf diesen wichtigen Punkt scheinen auch Untersuchungen von Herrn WÜST
hinzuzielen, die leider wegen Kürze der Zeit in der paläolithischen Konferenz nicht
mehr zum Ausspruche kamen.
= 83
nämlich die Veränderungen der Pflanzendecke bei variierenden Klimaten
und die dadurch bedingten Verschiedenheiten im Auffinden von Boden-
schätzen sowohl, wie in der Wahl und Beschaffenheit der Wohnplätze.
Steppenzeiten zeichnen sich durch eine spärlihe Bewachsung aus; der
Boden steht an vielen Stellen an: so ist der Mensch leicht imstande,
Bodenschätze zu entdecken, die sonst unter der dichten Pflanzendecke
verborgen liegen. So ist es leicht, etwaige Tonlager auszubeuten und
Töpfergeräte anzufertigen. Vielleicht spielt auch hierbei die starke Be-
sonnung während des heissen trockenen Sommers eine Rolle. Wir
erinnern nur an das Auffinden von Jadeit und Nephrit. In trockenen
Zeiten finden wir starke periodische Wolkenbrüche, die dann die Täler
mit Sand verschütten. So wird der Mensch in solchen Zeiten gezwungen,
seine Wohnstätten auf hohe Terrassen am Flussrande zu verlegen. Auch
das ist charakteristisch für die Lage mancher Kulturen (z. B. Wohnsitze
mit Bandkeramikfunden aus der Wetterau).
In einem feuchten regenreichen Klima bedeckt umgekehrt ein dichter
Pflanzenwuchs die Gegend und das Auffinden von Bodenschätzen wird
dem primitiven Menschen, dem z. B. eiserne Grabwerkzeuge fehlen,
sehr erschwert. Solche Zeiten werden dann unter Umständen eine
Töpferkunst erschweren.
Auch die Frage der Wohngruben scheint hierher zu gehören. Bei
unserem rezenten regenreichen Klima ist der Boden stark durchnässt
und manche Wohngruben würden tage- oder wochenlang unter Wasser
stehen.
Bei einem kontinentalen Klima hingegen folgt heftigen Wolken-
brüchen meist eine schnelle Austrocknung durch die brennende Sonne.
Zugleich ist der Winter kalt und so bieten die Wohngruben besseren
Schutz, als über dem Boden sich erhebende Wohnungen.
Auf das Verbreitungsgebiet der megalithischen Denkmäler fällt eben-
falls Licht, wenn wir geographische Momente berücksichtigen. Zwei Fak-
toren bedingen die starke Entwicklung derartiger Denkmäler, einmal das
Vorhandensein von geeigneten Blöcken, sodann aber die Möglichkeit,
diese ohne Schwierigkeiten aufzufinden. So beschränken sich einmal
die megalithischen Denkmäler nur auf diejenigen Flächen Westeuropas,
wo ältere von Graniten (mit ihrer typischen Wollsack- und Blocver-
witterung) durchsetzte Formationen über mesozoische lockere Sedimente
tauchen (Bretagne, Südengland, Gebiete mit nordischen Findlingen), treten
aber wieder in diesen Gebieten nur dort auf, wo kein undurchdringlicher
Wald diese Gesteine verhüllt, sondern wo diese mit Heidekrautflächen
bewachsen sind, oder auch mit anderen kraut- und grasartigen Beständen,
aus denen sich die grossen Blöcke deutlich erkennbar erheben und so
zur Benutzung anlocken. (Vgl. die Heiden Frankreichs, Englands und
die Lüneburger Heide gegenüber den bewaldeten deutschen Mittelge-
birgen.) Hieraus können wir umgekehrt wieder schliessen, dass manche
Heidegebiete schon seit dem Neolithikum ihren heutigen Vegetations-
charakter besessen haben.
Wir dürfen überhaupt die grossen Hindernisse, die der dichte Wald
dem primitiven Menschen entgegenstellt, nicht zu gering schätzen.
Noch auf einen wichtigen Punkt wollen wir hinweisen, nämlich auf
die bekannten Ausbrüche des Vernagtferners. Es ist wahrscheinlich, dass
3
— 34 —
die Gletscher, welche in postbühlen regenreichen Zeiten weit in die Täler
hinabreichten, an vielen Seiten Nebentäler absperrten und sich so Stau-
seen von nicht geringem Ausmasse bildeten. Dadurch ist uns die Frage
nahe gelegt, ob nicht Gletscherausbrüche in solchen Zeiten eine grosse
Rolle spielten, ob diese nicht zeitweise viele Alpentäler unbewohnbar
machten und die Bevölkerung zwangen, sich an geeigneten Stellen zu-
sammenzudrängen. Als solche Stellen sind, zumal ein dichter Wald das
Gebiet bedeckte, die blauen Spiegel der Seen recht geeignet. So finden
wir gerade in den Alpen die Pfahlbauten hoch entwickelt, diese fehlen
aber auch an anderen Stellen nicht, wo Seebecken in dichte Wälder ein-
geschaltet sind. (Holstein, Teile Dänemarks.)
So sehen wir hier manche Probleme auftauchen, die zur Beurteilung
vorgeschichtlicher Kulturen von Bedeutung sind, die aber nur durch ein
Zusammenarbeiten von Gelehrten der verschiedensten Richtungen geklärt
werden können. Auch bei der Chronologisierung der postbaltischen
Stadien der Ostsee müssen wir von neuen Gesichtspunkten ausgehen.
Ich kann leider diesen Punkt nur flüchtig streifen und erwähne als be-
sonders wichtig die pflanzengeographischen Untersuchungen von SCHULZ).
Das Yoldiameer entsteht im Anschluss an das Abschmelzen der Gschnitz-
gletscher, die ein kleines Inlandeis bildeten, in der folgenden trockenen
Zeit verschwindet die Ostsee bis auf einige Salzpfannen und in einer
jüngeren Zeit senkt sich das Gebiet, so dass die Fluten der Nordsee
wieder eindringen und zugleich die Salzpfannen lösen. Nur so erklärt
sich der auffallend grosse Salzgehalt des Litorinameeres?).
Überblicken wir nun noch kurz einige postbaltische Kulturen. Auf
ein detailliertes Eingehen verzichte ich ausdrücklich, da erst die Forschung
der nächsten Jahre hier einiges Licht bringen dürfte.
Wir bemerkten schon, dass das Jungneolithikum mit seiner auffallen-
den Stagnanz der Kulturen noch dem Pliozän angehören dürfte und erst
mit dem Strepyien mit seinem merkwürdigen Aufschwung das Eiszeitalter
einsetzt. Die zwei Jahrhunderttausende, die wir nach unserer Kurve gern
als Dauer des Paläolithikums annehmen möchten genügen, um aus dem
Strepyien das Magdalénien sich entwickeln zu lassen. Schon beim Paläo-
lithikum haben wir keine allmähliche Weiterentwicklung, sondern ein
periodisches Wiederkehren mancher Kulturen, wie Ihnen Herr Dr. WÜST
berichten wird). Mit dem Magdalénien beginnt die postbaltische Zeit,
deren Klima wir schon charakterisiert haben.
Die ersten 16000 Jahre dieser Zeit nehmen die transneolithischen
Kulturen ein‘). Ich habe in der Tabelle den undankbaren Versuch ge-
macht einige dieser Kulturen zu parallelisieren und möchte mir einige
kurze Bemerkungen dazu gestatten. Ich kenne nicht Kulturen, die ich
mit Bestimmtheit in die IImenauzeit und die Gschnitzzeit setzen möchte,
der folgenden Luhezeit gehört meiner Meinung nach die Ancyluskultur an,
sowie die älteren Kjökkenmöddinger. Aus dieser Zeit finden wir gerade
1) SCHULZ, Die Verbreitung und Geschichte einiger phaneroganer Arten in
Deutschland usw. Zeitschrift für Naturwissenschaften 1909. S. 53—175.
) Dieses fällt nach pflanzlichen Resten in die kühle regenreihe Daunzeit.
) Wegen mangelnder Zeit ist dieser sehr wichtige Bericht ausgefallen.
4) Vergleiche dazu die an Tatsachenmaterial reiche Darstellung von G. KOSSINNA
über den „Ursprung der Urfinnen usw.“, Mannus I, Heft 12.
— 35 —
überwiegend Andeutungen einer Kiefernflora in Gebieten, wo diese heute
wegen des zu feuchten Klimas nicht mehr vorkommt. Schon daraus können
wir schliessen, dass damals nicht nur ein kontinentales Klima bis nach
Dänemark und Schleswig-Holstein herrschte, sondern dass vielleicht da-
mals auch grosse Teile der Nordsee landfest waren. In diese trockene
Zeit fällt auch das Tardenoisien, das ich in gewisse Zusammenhänge
mit den jüngeren Aufschiittungsterrassen der Ilmenau bei Lüneburg bringen
konnte. Die tardenoisienartigen Kulturen bei Lüneburg vermeiden die
jüngeren Ilmenauterrassen und zeigen an, dass anscheinend in der Luhe-
zeit das Tardenoisien seine Hauptentfaltung hatte. Es ist eine ausge-
prägte Steppenkultur. Der Mensch siedelt auf den hohen Heidehügeln, die
als waldbedeckte Regeninseln über die Steppen der niedriger gelegenen
Gebiete ragten. Den Boden bedeckte nicht das festigende Heidekraut.
Steinpflasterungen schützten ihn vor zu starker Verwehung. Der Mensch
siedelt auf Terrassen am Rande der Täler, die bei den häufigen Platz-
regen oft unter Wasser gesetzt und mit Sand verschüttet wurden. Der
Habitus der Artefakte zeigt, dass ein Nomadenvolk schnell wanderte
und nur vorübergehend Halt machte, um seinen Wasservorrat zu er-
gänzen.
Nunmehr beginnt das Neolithikum mit seiner sorgfältigen Bear-
beitung der Steine und dem Anbau des Getreides. Die jüngeren Kjökken-
möddinger, sowie die Pfahlbauten sprechen für ein kühles regenreiches
Klima mit starker Bewaldung. Gleichzeitig mit der Periode der älteren
Pfahlbauten ist die mittelrheinische Tiefebene reich besiedelt, was meiner
Meinung nach auf eine regenreiche Zeit hinweist, da dieses ausgesprochene
Regenschattengebiet in trockenen Zeiten sicher einen Ackerbau des
primitiven Menschen recht erschwerte. In der jüngeren Periode der
Pfahlbauten, die wir vielleicht als geographische Verbreitung klimatisch
bedingter Formen ansehen können, beginnt eine deutlih erkennbare
Wanderung von Lösstämmen, das scheint auf ein trockenes Klima hin-
zuweisen, auch die an vielen Stellen sehr hoch entwickelte Keramik
dürfte dafür sprechen.
In der Metallzeit entstehen wahrscheinlich die meisten der mega-
lithischen Denkmäler, zugleich begegnen uns zum ersten Male deutlich
erkennbare Nordsüdwanderungen germanenartiger Stämme, die für ein
kühles regenreiches Klima bezeichnend sind.
Es ist von Wichtigkeit nunmehr unsere Chronologie auf ihre
Richtigkeit zu prüfen, da jetzt auch die Weltgeschichte des Historikers
beginnt. Wir finden da seltsame Übereinstimmungen. Ägyptische In-
schriften deuten an, dass 2000 vor Chr. in der heutigen Wüste Nomaden
Viehzucht trieben, das spricht für eine regenreiche Zeit. Es beginnt die
hohe Kulturentwicklung Ägyptens, Mesopotamiens und die mykenische
Kultur, die sich vom Historiker chronologisch fixieren lassen. Sie alle
fallen dann in die letzte regenreiche Zeit unserer Tabelle, womit ange-
deutet ist, dass auch die Blütezeit dieser alten Kultur z. T. klimatisch
bedingt ist. In dieselbe Zeit fallt auch die grosse Expansion der Indo-
germanen (Arier) bis nach Turan und Vorderindien. Inwieweit der
Einschlag indogermanischer Elemente auch die vorderasiatischen Kulturen
mitbedingt hat, vermögen wir nicht zu sagen. Rassen- und Kulturherde.
Schon einige Jahrhunderte vor Christus beginnt die Völkerwanderung
31
— 36 —
mit dem Ostwestwandern skythischer Stämme (a. 700). Diese Zeit ist
ausgezeichnet durch eine gewaltige Expansion mongolischer Stämme und
den dadurch mitbedingten Verfall mancher Kulturen. In Europa schieben
sich die Mongolen anscheinend gerade in den Gebieten am weitesten
nach W. vor, wo wir auch in den älteren Zeiten Andeutungen ausge-
dehnter Ostwestwanderungen haben. Alles Andeutungen einer heissen
Zeit mit kalten Wintern und heissen trockenen Sommern. Jetzt werden
manche stark bevölkerte Gebiete, die zugleich Regenschattengebiete sind,
zu kleinen Zentren, die ständig Völkerwellen aussenden, so z. B. die
Lüneburger Heide. Diese trockene Seevezeit scheint bis zum Ausgange
des Mittelalters angedauert zu haben, nun beginnt eine neue kühle Zeit
mit starker Kulturentwicklung und Expansion der Germanen in weitestem
Sinne. Leider muss ich wegen mangelnder Zeit darauf verzichten,
mehrere Beweise dafür anzugeben.
Mit Absicht habe ich mich bemüht, diesen Vortrag nicht mit Einzel-
heiten zu überladen, zumal die Beherrschung des inzwischen gesammelten
Materials die Arbeitskraft eines einzelnen bei weitem übersteigt. Ich
wollte nur einige neue Gesichtspunkte andeuten, um zu zeigen, wie not-
were ein Zusammenarbeiten der verschiedensten Arbeitskräfte ist, um
eine Einseitigkeit zu vermeiden. Besonders wird es für den Historiker
von Bedeutung sein, die Abhängigkeit des Menschen von der Natur
noch mehr zu betonen als bisher'). Dann wird sich immer mehr die
Kluft ausfüllen, die noch heute Vorgeschichte und Geschichte trennt und
der Historiker wird erkennen, dass die letzten 5000 Jahre, die er stolz
„Weltgeschichte“ nennt, nur zu erklären sind durch jene zehntausende
von Jahren, seit denen der Mensch seine Kultur, Intellekt und Religion
besitzt.
Zugleich möchte ich auch bemerken, dass die in diesem Vortrage
entwickelten Anschauungen nur die Quintessenz eines von mir schon
während langer Zeit gesammelten Arbeitsmateriales sind, dessen aus-
führliche Darstellung und Begründung ich hoffentlich in Zukunft einmal
bringen kann.
Landesgeologe Dr. Korn-Berlin
erklärt, dass er „als Vertreter der kgl. geol. Landesanstalt“ den Aus-
führungen O.'s entgegentreten müsse. Auf Grund der bisherigen Ergeb-
nisse der preussischen Landesaufnahme glaube er, dass die Altersan-
setzung der llmenauterrassen nicht richtig sei, dass es sich vielmehr um
Talsandterrassen aus ...... handele. Auf die Parallelisierung des
norddeutschen mit dem alpinen Quartär müsse man zurzeit überhaupt
noch verzichten, daher auch auf Aufstellung von allgemeinen Klima-
kurven des Quartärs. Wir müssen abwarten, bis die Landesaufnahme
die verglichenen Gebiete durch Kartierung verbindet. — Die Lösse sind
ein zu unsicheres Hilfsmittel. — Das Eis, das fast bis Halle gereicht
hat, ist nicht mit Sicherheit als Riss-Vergletscherung zu bezeichnen.
1) Wir wollen durchaus nicht bestreiten, dass grosse Männer immer leitend
in die Weltgeschichte eingegriffen haben, aber sie lösten dann nur Spannungen
aus, deren Ausgleich auf natürlihem Wege doch auch erfolgt wäre.
Dr. Olbricht:
Es scheint mir voreilig und durchaus ungerechtfertigt, alle Talsand-
terrassen Norddeutschlands auf Grund einer Schablone erklären zu
wollen. Für die Ilmenauterrassen passt sie jedenfalls nicht. Sie ent-
standen nachweislich erst lange nach dem Abschmelzen der Gletscher
im Anschlusse an grosse Schuttkegel, welche die Heideflüsse ins Elb-
tal geschoben haben. Diese Schuttkegel wurden, wie ich demnächst ein-
gehender nachweisen werde, in regenarmen Zeiten aufgeschüttet, wie
sich dies aus einer Betrachtung der Abtragungsverhältnisse ergibt. Meine
Anschauungen sind als sehr unbequem schon von vielen Seiten bekämpft
worden; doch hoffe ich, dass eine sachliche Diskussion nach Erscheinen
meiner Arbeit — die in den Forschungen zur deutschen Landes- und
Volkskunde erscheint und zwar gegen Weihnachten — hier manches
klären wird.
Privatdozent Dr. Wüst- Halle:
Wenn hier eben Herr Dr. Korn als Vertreter der kgl. Preuss.
Geologischen Landesanstalt sich Herrn Dr. Ol bricht gegenüber prinzipiell
gegen Versuche, die norddeutschen Quartärbildungen mit den alpinen
zu parallelisieren, ausgesprochen hat, so möchte ich demgegenüber be-
tonen, dass es auch nicht wenige Geologen gibt, die sich nicht damit
begnügen können, die Quartärgliederungen der verschiedenen Gebiete
unverbunden nebeneinander zu stellen, sondern vielmehr das wissen-
schaftlich durchaus berechtigte, ja notwendige Bedürfnis empfinden, diese
verschiedenen Gliederungen mit einander zu parallelisieren. Für solche
Parallelisierungsversuche haben sich gerade die Lössbildungen als ein
ausserordentlich wichtiges, vielleicht als das wichtigste Hilfsmittel er-
wiesen, das in besonders grosszügiger Weise von Steinmann ver-
wendet worden ist. Wenn sih, wie Herr Dr. Korn sagt, die kgl.
Preuss. Geologische Landesanstalt gerade gegenüber der Verwendung
der Lössbildungen zu Parallelisierungszwecken ablehnend verhält, so
darf man bei der Beurteilung dieses Umstandes nicht übersehen, dass
die glänzenden Ergebnisse der modernen Lössforschung, wie sie sich
besonders in der oberrheinischen Tiefebene seit den grundlegenden Ar-
beiten Shumacher’s entfaltet hat, bei der genannten Anstalt vielfach
nicht genügend beachtet oder verstanden worden sind, wie beispiels-
weise ein Blick auf die Behandlung der Lössbildungen selbst noch in
der neuesten, erst in diesem Jahre erschienenen Auflage von Wahn-
schaffe's Buche über die Oberflächengestaltung des norddeutschen Flach-
landes zeigt. Und gerade eine Beachtung der Lössverhältnisse zeigt,
dass Herr Dr. Olbricht vollkommen recht hat, wenn er, was Herr Dr.
Korn beanstandet, die Vereisung, welche bis etwas südlich von Halle
gereicht hat, der Würm-Eiszeit zuschreibt, denn das Gebiet dieser Ver-
eisung und das Verbreitungsgebiet des Jüngeren oder Riss-Würm-Lösses
schliessen sich gegenseitig ziemlich genau aus, wie das zu erwarten ist,
wenn die in Rede stehende Vereisung der Würm-Eiszeit angehört.
a 38 2s
Prof. Dr. Blanckenhorn-Berlin:
Auch ich habe diesen recht interessanten, aber zugleich etwas
phantasievollen Darstellungen gegeniiber einige Bedenken auszusprechen.
Besonders die hier aufgezeichneten zuletzt erläuterten Klimakurven
erscheinen mir etwas zu ideal, zu schön, als dass sie der Wirklichkeit
gut entsprechen könnten; es liegt in diesen Linien zu viel Regelmässig-
keit. Solche Regelmässigkeit gibt es kaum in der Natur.
Auch ich habe mich gerade vor kurzem mit der Zeichnung von
Klimakurven der Diluvialzeit beschäftigt und in der Junisitzung der
Deutschen geologischen Gesellschaft zu Berlin eine solche Kurve be-
sprochen, wie sie sich als Resultat aus meinen schon vor, 15 Jahren
begonnenen Studien über das Diluvium in Palästina und Ägypten er-
gab. Da waren Gegensätze zwischen allen Perioden in Bezug auf die
Intensität der ehemaligen Niederschläge, namentlich aber auch in Bezug
auf ihre Dauer vorhanden. Diese unabhängig aus meinen eigenen
Studien gewonnene Kurve stimmte im grossen Ganzen mit derjenigen
von Penck-Brückner überein, d. h. sie zeigt in den wesentlichsten Punkten
damit eine gewisse Parallelität, wenn sie auch ihre für jene Gegenden
geltenden Eigentümlichkeiten aufwies. Aber regelmässig war diese
Kurve nicht. Ich bin der Meinung, dass jede Gegend ihre eigene von
der anderer entfernter Gebiete etwas verschiedene Klimakurve der Ver-
gangenheit haben wird, aber eine gewisse Parallelität oder Überein-
stimmung speziell in Bezug auf die Dauer der Perioden muss vor-
handen sein.
Auf sonstige Einzelheiten aus dem inhaltreichen Vortrage, die mir
ebenfalls bedenklich erscheinen, näher einzugehen, würde hier die Zeit
nicht ausreichen. |
Dr. Olbricht:
Der Ausdruck Phantasiegebäude entspricht keineswegs der wissen-
schaftlihen Würde dieser Versammlung. Jede Klimakurve der Eiszeit
beruht z. Zt. auf hypothetischen Voraussetzungen und die Art ihrer
Konstruktion hängt nicht zum mindesten von den Gründen ab, die
man als Ursachen der Klimaschwankungen des Eiszeitalters ansieht.
Die Klimakurve von Herrn Frdh. Blanckenhorn beruht augenscheinlich
auf den Terrassenfunden im Mittelmeer. Hierbei tauchen mehrere
Fragen auf, die sich um so schwieriger gestalten, als einmal wir selt-
samerweise noch recht wenig von der Stärke der Abtragung unter den
verschiedenen Klimaten wissen, sodann aber gerade im Mittelmeergebiet
der Mensch die Physiographie grosser Gebiete durch Entwaldung ganz
und gar verändert hat. Terrassen als Abtragungsprodukte brauchen
nicht immer unter gleichen klimatischen Verhältnissen entstanden zu
sein, zumal wenn sie in so eigenartigen klimatischen Zonen liegen, wie
sie das Mittelmeergebiet aufweist. Sodann spielen hier aber auch tek-
tonische Faktoren eine Rolle, die einmal die Abtragung variieren, zu-
gleich aber auch Terrassen verbiegen können. Erst nach Ausscheidung
dieser Faktoren erhalten wir ein klares Bild. Ich glaube aber nicht,
dass wir so weit schon sind. Jedenfalls ist es voreilig, andere An-
schauungen a priori deshalb zu verwerfen, weil sie mit eigenen nicht
harmonieren.
— — _~
— 39 —
Curt Shwantes, Hamburg:
Slawishe Skelettgräber bei Rassau, Prov. Hannover.
Mit 1 Textabbildung.
Rassau liegt im Kreis Ülzen, damit im alten Bardengau. Da es
zugleich nahe der Grenze des hannövershen Wendlandes liegt, so ge-
hört es zu dem vielumstrittenen Grenzgebiete der Barden und Drewanen.
Eine besondere Eigenart des Fundplatzes ist die, dass die jüngeren
slawischen Skelette in einen alteisenzeitlichen Urnenfriedhof eingebettet
worden waren. Dadurch waren die alten Urnengräber zum grossen Teil
zerstört worden. Die Grabung ergab an slawischen Funden 48 Skelette.
Dieselben lagen zerstreut, nicht in Reihen, in der Richtung W-O, waren
aber zum grossen Teil sehr zerfallen. In vielen Gräbern deutete nur
eine schwärzliche Färbung der Füllerde auf das frühere Vorhandensein
eines Skeletts. Die Tiefe der Gruben schwankte zwischen 0,45—1 m.
Bei einigen Skeletten konnten Spuren eines Holzsarges nachgewiesen
werden; Sargnägel wurden nicht gefunden. Manche Skelette lagen unter
Steinpackungen, bei anderen fanden sich nur wenige Steine auf dem
Körper; noch andere lagen frei in der Erde. Von den 48 Skeletten
waren 38 ohne Beigaben. Auch die übrigen 10 waren zum Teil nur
spärlich mit Beigaben bedacht worden. Es fehlte jede Spur von sla-
wischem Tongerät. In 6 Gräbern fand sich je eine Silbermünze, und
= sind es nach der gütigen Bestimmung von Herrn Prof. MENADIER-
erlin:
N. 1—3: Braunschweigisch-Lüneburger Löwenpfennig aus dem letzten
Viertel des 13. Jahrh. [N. 2: Mitte des 13. Jahrh.]
Nr. 4: Markgräflich Brandenburger Pfennig aus Salzwedel mit dem
Kopf des Markgrafen über dem Schlüssel aus der 2. Hälfte
des 13. Jahrh.
Nr.5: Mecklenburger Stierkopfpfennig mit Kreuz zwischen den
Hörnern vom Ende des 13. Jahrh.
Nr.6: Bruchstück eines Brandenburg. Denars aus der 2. Hälfte
des 13. Jahrh. Bahrfeldt Nr. 363.
Von den sonstigen Beigaben sind von besonderer Wichtigkeit zwei im
Durchmesser 6 cm grosse hohle Schläfenringe aus Bronzebleh. Die
typische S-förmige Schleife lässt sofort den slawischen Charakter er-
kennen. Ausser diesen fanden sich noch mehrere bronzene Kopfringe
ohne Schleife oder Biegung, ferner Fingerringe und ein eigenartiger
Schmuck, aus 3 bronzenen Hohlkörpern bestehend, die an einem Bronze-
draht aufgereiht waren. Dieser Schmuck, aus anderen slawischen Fund-
plätzen Europas als Ohrgehänge bekannt, scheint bei seiner häufigen
Wiederkehr in derselben charakteristischen Gestalt geeignet zu sein, als
Kennzeichen slawischer Gräber den Schläfenringen an die Seite gestellt
zu werden. Auch in der Provinz Hannover sind schon früher sehr ähn-
liche Bronzegehänge in Skelettgräbern gefunden worden, ohne dass man
sie als slawisch erkannte. Vor allen Dingen gehören als solche erwähnt
zu werden die bronzenen „Perlen“- Gehänge, die v. ESTORFF unter
so eigenartigen Umständen bei späteren Skelettbeisetzungen innerhalb
eines Steinzeitgrabes bei Klein-Prezier, Kreis Ulzen fand. Zwei Skelette
u:
von Rassau zeichneten sich durch einen grossen Halsschmuck aus, der
aus zahlreihen an Wollfäden aufgereihten weissen und blauen Schmelz-
perlen und bronzenen Hohlkörpern bestand. Ferner seien eine Reihe
Beigaben eines weiblichen Skeletts von Rassau.
In der Mitte zwei bronzene Schläfenringe; der linke umschliesst Glasperlen, der rechte Schmelzperlen
und eine bronzene Schnalle, die an der rechten Schulter lag. Die die Ringe umgebenden Glasperlen,
bronzenen Hohlkörper und Anhängsel gehoren wie die in den Ringen liegenden Perlen zum Halsschmuck.
bronzener und eiserner Schnallen erwähnt, von denen die feineren,
kleineren Bronzeschnallen zur Befestigung des Gewandes gedient,
während die massigen Eisenschnallen vielleiht an einem Gürtel ge-
sessen haben. Besonderen Wert dürften noch vorzüglich erhaltene Tuch-
reste haben, die ein geköpertes Wollgewebe mit deutlichen Webekanten
erkennen lassen.
Ein Teilnehmer:
Die Gräber seien wahrscheinlich deutsch, nicht slawisch.
C. Schwantes:
Dass das Slawentum sich in der Rassauer Gegend lange erhalten,
ist durch Urkunden bis 1289 festgelegt. Auch das lange Festhalten an
den Landwehren, die gegen die Slawen errichtet waren und die noch
1392 auf ausdrücklichen Wunsch der „Ritter, Knechte und Erben“ des
Fürstentums Lüneburg gebessert und gefestigt werden sollten, beweisen,
wie kräftig und drohend die wendische Nachbarschaft noch damals war.
Vollends bewiesen wird aber der slawische Charakter der Gräber
durch die in jeder Hinsicht typischen Schläfenringe, die in ihrer Gestalt
und auch in ihrer Befestigung (sie lagen je an einer Schläfe) durchaus
slawishem Gebrauch entsprechen. Für slawische Kultur spricht auch
das erwähnte Gehänge aus Bronzedraht mit den drei bronzenen Hohl-
körpern.
— 4 —
Derselbe Teilnehmer:
Die Schläfenringe seien zu gross, um slawisch sein zu können.
C. Schwantes:
Dieser Einwand ist durchaus hinfällig. Denn auch Beltz be-
richtet (Wend. Altert. S. 218) von zwei hohlen Schläfenringen aus
Bartelsdorf in Mecklenburg, deren Durchmesser 6 cm beträgt; ebenfalls
erwähnt Koehler aus Posen (Zeitschr. f. Ethn. 1896, S. 246—251)
einen Schläfenring von 5,5 cm Durchm. aus Slaboszewo, zwei Ringe
aus Czerlin von 14,5 und 15 cm Umfang, aus Buszkowo sogar Ringe
von 6—8 cm Durchm.
Dr. Kiekebusch- Berlin:
Die verzierten Ohrgehänge kommen nicht nur — wie Herr
Schwantes meinte — in Thüringen und Dalmatien vor. Sie sind eine
häufige, weitverbreitete Begleiterscheinung der Hacksilberfunde und
finden sich z. B. auch in der Mark.
Weit mehr aber interessiert mich eine andere Frage. Herr
Schwantes gab an, dass die Skelettgräber von Rassau innerhalb eines
älteren Friedhofes aus der Hallstattzeit liegen. Als ich vor zwei
Jahren den Spuren römischer Kultur auf norddeutshem Boden nach-
ging, kam ich auch nach Rassau und lernte dort Funde aus einem
Latène-Gräberfelde kennen, die sich teils in der Sammlung des Herrn
A. Jenge-Ulzen, teils auch sonst in Privathänden befanden. Ich habe
diese Funde in meiner Dissertation (Einfluss der römischen Kultur auf
die germanische im Spiegel der Hügelgräber des Niederrheins. Stutt-
gart, Strecker u. Schröder 1908, S. 48 u. Anm. 256) erwähnt. Handelt
es sih bei dem von Herrn Schwantes besprochenen älteren Friedhof
aus der „Hallstattzeit“ um den von mir als Latène- Gräberfeld bezeich-
neuen SCH um einen ganz anderen, also um einen dritten Friedhof bei
assau
Lehrer G. Schwantes-Hamburg:
Wenn auch die Rassauer Urnengräber einer Kulturstufe angehören,
die zeitlich südlichem Laténe entspricht (1.—2. Stufe P. Reineckes), so
dürfen wir den Namen Laténe hier doch nicht verwenden, weil der In-
halt jener Kultur noch keine Beeinflussung durch die Laténe-Kultur
zeigt. Die Urnengräber gehören m. E. vielmehr einer Kultur an, die,
im nördlichen, germanischen Gebiet entstanden, der Latène -Kultur
gegenübergestellt werden muss. Sie entwickelt sich vornehmlich aus
der Hallstattkultur. Erst um 300 v. Chr. traten bei uns Laténeeinfliisse
stärker hervor, es entsteht eine Mischkultur aus Laténe-Elementen und
der nordischen Hallstattkultur, und erst im Spat-Laténe ist das ein-
heimische Element so gut wie ganz verdrängt. Ich hoffe, Ihnen diese
Ansicht in einer demnächst erscheinenden Arbeit eingehender entwickeln
zu dürfen.
— 4&2 —
Dr. Kiekebusc:
Mir sind derartige Gedankengänge, wie sie Herr G. Schwantes
eben entwickelte, durchaus nicht ganz fremd und neu. Ich selber habe
ja nachgewiesen, dass die Hügelgräber am Niederrhein mit ihrer Hall-
stattkultur bis in die römische Kaiserzeit hineinreichen. Ja, ich habe
sogar ganz deutlich ausgesprochen, dass wir selbst in Norddeutschland
noch während der Kaiserzeit Nachwirkungen der „Hallstatt kultur“ ver-
spüren (a. a. O. S. 30 u. S. 55). Die Gefässe von Darzau im Provinzial-
museum zu Hannover. bildeten geradezu den Ausgangspunkt für diese
meine Beobachtungen. — Um so dringender aber möchte ich davor
warnen, derartige Erscheinungen ohne zwingende Gründe zu verallge-
meinern und dadurch die chronologischen Begriffe zu verwirren. Das
könnte unserer jungen Wissenschaft, die sich während der letzten
Jahrzehnte erst aus so schweren Krisen emporgerungen hat, unend-
lich schaden.
Am Niederrhein gibt es überhaupt keine Laténe-Kultur. Da
liegt die Sache also ganz anders. Gewiss sind hier in Norddeutschland
gerade bezüglich der frühen Eisenzeit die Dinge noch nicht ganz geklärt.
Ich bestreite auch gar nicht, dass auf dem Rassauer Friedhofe auch
Hallstattsachen vorkommen können. Ich habe aber noch keine gesehen.
Was ich sah, das waren Funde, die durchaus Laténe-Charakter auf-
wiesen, und solhe Funde dürfen wir doch nicht — mindestens doch
wohl nicht ohne weiteres — der „Hallstattzeit“ zuschreiben. Ganz
entschieden aber muss ich mich dagegen aussprechen, die „norddeutsche
Hallstattzeit“ bis an den Beginn unserer Zeitrechnung oder gar darüber
hinaus dauern zu lassen. Die Begriffe Kultur und Zeit können nicht
streng und scharf genug auseinander gehalten werden.
Festmahl.
Ein Festmahl stand nicht auf der Tagesordnung; aber das gemein-
same Essen am Abend des 7. August wurde zu einem fröhlichen Feste
durch strahlenden Frohsinn und Humor, der alle die fast 100 Teilnehmer
bei guter Verpflegung in den vornehmen Räumen des Künstlerhauses
beherrschte, und der sich in vielen Tischreden ernster und heiterer Art
äusserte und noch erhöht wurde durch einige Erscheinungen auf der
Bühne, über die in folgendem auf vielfachen Wunsch gewissenhafter
Bericht erstattet werde!“)
Festprolog.
Auf des Sinnbergsspitze sitzt die Wala, gekleidet als Weib der
Germanen der zweiten Bronzezeitperiode. Sie liest von drachenköpfigem
Brett die Runen des Schicksals der europäischen Menschen. Die Sonne
steht im blauen Himmel über ihr in der Form der Scheibe von Tründ-
holm auf Seeland.
Rhapsodisch-Seherisch hebt sie bei den Klängen des „Feuerzaubers“
aus der Richard Wagner „Walküre“ also an:
Eiswogen drängen zum grünen Strand,
Winterriesen droh’n Erda’s Ende:
Keimen und Hoffen,
Werden und Blühen,
Welken und Tod —
Ewige Not!
Da lodert’s vom ragenden Fels,
Sein gleissendes Schwert
Schmiedet Baldur, der Held! —
Durch Eis und Nacht
Loht siegende Glut,
Tausendstimmig jubelts zum Lichte, zum Leben. —
So einst, wie heute!
Es rinnt die Zeit
Von der kreisenden Spindel der Ewigkeit.
Und über die Erde
Wandern der Menschen Geschlechter —,
Werden und blühen und welken:
Unter Haide und Moos
) Die Zierleiste zeichnete Prof. B. Schulz-Hannover. Die „Dichtungen“
entstammen einer schwachen Stunde Hahnes.
— 44 —
Rasten Helden vom Kampf,
Rosten strahlende Schwerter,
Ruhen tausend Herzen vom Hoffen. —
Über der shlummernden Stätte
Schreiten die Enkel,
Schwingen eigene Schwerter,
Hoffen eigenes Hoffes!
Gestern und Heute:
Einer Sonne Glut, —
Ahnen und Enkel;
Eines Stammes Blut!
Ihr vom leuchtenden Heute,
Richtet rückwärts den forschenden Blick!
Wisst Ihr der Vorzeit Denken,
Eurer Ahnen Not und Glück?
Unter Moos und Haide |
Ruht mand)’ scharfes Schwert,
Ruht mand)’ helles Geschmeide,
— Ruht manches Wissen wert:
Kennt Ihr die Art der Ahnen,
Kennt Ihr Euer eignes Geschick! —
Ihr vom leuchtenden Heute,
Richtet rückwärts den forschenden Blik! —
Tastendes Werden von Tier zu Mensch,
Weltsieges Beginn!
Wunsch und Wille drängen, die Erde zu meistern;
Zur Herrschaft hob sie die Tat,
Als sich das spähende Auge verband
Mit der fassenden, formenden Hand.
Wandern und Kämpfen —
Stolzer hebt sich der Gang,
Freier der Blick;
Wissendes Tun wählt frei der eigenen Sippe Gesetze.
Norden und Süden! —
Durch Fernen geschieden
Der Länder und Menschen
Wesen und Art:
Südliches Glühen,
Blendendes Blühen —
Nordisches Wesen trotzig und hart.
Zu eng wird das Land:
Die Waffen zur Hand!
Es wandern vom Norden
Reisige Horden. —
Ihr von dem Stamme des Nordens,
Der sich weithin die Länder errang,
Bis von Weltmeer zu Weltmeer
= 45 e
Herrschend die Sprache der Heimat klang:
Frei von fremden Gewalten,
Treu der eigenen Art!
— Habt Ihr die Treue gehalten,
Habt Ihr die Freiheit bewahrt?
Indogermanen! — —
Schimmernd in Ganges Fluten
Spiegeln sich stolzen Geistes hohe Bauten,
Ewiger Schönheit Wunder
. Im Meere von Hellas:
Aller Erbe erringt
Weltmädtig Rom! —
Jenseits der Alpen in rauhen Zonen
Grünet mächtig der alte Stamm
In namenloser Völker stillem Werden!
Vergessen ist längst des Blutes Band,
Das den stolzen Süden dem Norden verband! —
An Germanias Grenzen kraftlos sinkt
Der sieggewohnte Adler römischer Legionen.
Blonder Barbaren
Verwegene Scharen
Schützen vor Schande den heimischen Herd:
Tollkühn’ Beginnen,
Die Welt zu gewinnen
Hat sie der mächtigejFeind gelehrt!
Blutig bahnt sih zum Süden
Noch einmal der Norden den Weg,
Donnernd brechen die Tore des Weltreichs
Wandernder Völker brandende Wogen:
Der Germanen Geschick wird die Geschichte der Welt.
Ihr vom leuchtenden Heute,
Wendet rückwärts den forschenden Blick:
Euer Tun und Denken l
Ruht auf der Ahnen Not und Glück!
— Unter Moos und Haide
Ruht manch’ scharfes Schwert,
Ruht mand)’ helles Geschmeide
Ruht manches Wissen wert!
Was die Ahnen geschaffen
Ward Euch Wissenschaft:
Auf Eurer Vorzeit Waffen
Glänzt die Siegesrune der Kraft!
Damen-Toast.
Ein vollgewaffneter römischer Legionär, die Hildesheimer Athena-
schale gefüllt mit Wein emporhebend, redet in ‘thiudisker’ Sprache,
wie folgt:
— 46 —
Rom grüsst Germania libera!
Den rauhen Norden haben wir Euch nie geneidet!
Viel herrlicher als Eure sturmgepeitschten Meere
Ist uns’re blaue Adria;
— Nur Euren schönen grünen Rhein,
Den musstet Ihr uns geben:
Wir gaben Euch dafür die gottgeschaff' nen Reben
Und manche Kunst und manches Wissen habt Ihr uns zu danken! —
Die Waffen macht: Dass die Euch längst zu eigen,
Als wir Euch forderten zum blutigen Reigen,
Das wussten wir seit Kimbern und Teutonen!
Und dass der edelste von allen Erdenschätzen
In reicher stolzer Fülle Euer Eigen ist,
Das hat von uns schon mancher Euch gesungen,
Der wie Ausonius, es selbst erfuhr:
Der Lilie Weiss,
Der Rose zarte Glut,
Der Sonne Gold,
Des Himmels strahlend Blau:
Herrlich geeint seh’ ich’s
In der german’schen Frau!
Vom edelsten Weine einen tiefen Zug: Heil Euren Frauen!
Wie herrlich steh’n sie da: Erhalterinnen der Germania libera!!
Die beiden Moorleichen.
Mitternachtspuk mit Gesang und Tanz.
Ort: Vorgeschictlihe Sammlung des Provinzialmuseums zu
Hannover. Im Hintergrunde nebeneinander zwei Schränke, über ihnen
grosse Schilde:
DEE SNE 5
B
„Muhmie“ aus Gross-Fullen Rechte: Re R
Neuerwerbung! »Moorleiche von Etzel
in ihnen je eine Moorleiche, furchtbar echt.
Zeit: Um Mitternacht.
Die Nachtwache macht die Runde; in fröhlichster Stimmung plaudert
sie mit sih von den Erlebnissen des Tages: von dem unbegreiflichen,
unvernünftigen, sinnlosen Eifer, mit dem der „Herr wissenschaftliche
Hilfsarbeiter“ jetzt alles umkramt hier unten im „prähistorischen
Keller“ — von der grossen Weisheit mancher Besucher, so des Herrn
Professors aus Berlin mit dem unbehaltbaren nicht niedersächsischen
Namen, — von der wunderbaren Auffindung der neuen , Torf-Muhmie* —
dabei entschlüpfen ihm einige despektierlihe Ausdrüke über den
ideellen und ästhetischen Wert des edlen Paares — es schlägt gerade
zwölf Uhr und mit sehr echtem Barditus fahren die Köpfe der lebendig
gewordenen Moorleichen durch die Glassceiben.
Unter den Klängen der „Prügelszene“ entflieht das Menschlein
und die Geister haben das Wort nach der schönen Melodie „Wir
tanzen Ringelreih'n“ (Dollarprinzessin):
Links:
= AF Ae
I.
Jeder für sich:
A: Thonars Wetter breche Dir die Knochen! —
Nicht 'mal Nachts ist man hier ungestört!
B: War das der neue Nachbar der gesprochen?
Mir ist als hätt’ ich lautverschiebungsfreies Deutsch gehört! —
A: Wie eine Wurst im Rauchfang, aufgebaumelt,
Wie ein achtbein’ges Kalb begafft von aller Welt, —
B: Vor Freude mir das Herz im Busen taumelt:
Da hat man einen Zeitgenossen neben mich gestellt!
A: -- Wie ahnungslos sie Alle sind,
Wenn sie die Köpfe sich um uns zerbrechen,
Von wo, von wann, weshalb und was wir sind,
Und schiesslich ratlos jammern:
„Könnten die doch sprechen! —“
B: Was Tacitus verraten hat,
Das ist das Einz’ge, was sie wissen:
Dass wir ob irgendeiner Missetat,
Vor langer Zeit ins
Moor geschmissen!
Au.B zus.: Eins-zwei-drei: schwubbdiwupp,
Hinein ins Moor!
Bald guckt kein Zipfel mehr von uns
Daraus hervor:
Das Torfmoos nistet uns in Haar und Flaus,
[: Und als Moorleichen
Buddelt uns die Nachwelt aus :]
II.
(Auch die Arme fahren durch die Scheiben:)
A: Ich muss Dich einmal was fragen,
Ach es lässt mir keine Ruh!
B: Sollst Dih nicht mit Zweifeln plagen;
Frag’ nur, liebe „Muhmie*, frag’ zu!
A: Wir sind uns doch schon einmal wo begegnet?
Dein edles Antlitz ist mir wohlbekannt!
B: Als Hiebe es im Teutoburger Wald geregnet,
Sind wir zusammen durchgebrannt !!
A: Arminius sprach: „nun nicht gemuckt!
Nun feste auf die rém’schen Banden!“ —
(fassen sich bei den Händen)
Und als er einmal weggeguckt,
Da waren wir nicht mehr vorhanden. —
B: Wir wollten lieber nur von ferne seh’n
Die blutige Affäre,
Doch ein Schersant hat uns geseh’n,
Da kamen wir in die Misère:
Au.Bzus.: Eins, zwei, drei:
(sie springen aus den Schränken und tanzen nach dem schönen „Ringelreih'n“)
Schwubbdiwupp pp u. S. w.
III.
A: Futschikato ist der Kalk aus allen Knochen
Rock und Hose, wie auf einem Rohrgestell! —
B: Zur Strafe hat für das, was wir verbrochen
Das Moor uns windelweich gegerbt das — einst so dicke — Fell!
A: Wir waren hübsche Kerle, schlank gewachsen:
Und wie betrüblich sind wir jetzo anzuseh'n,
B: Da wir zum Abscheu aller braver Niedersachsen
Als prähistorische Verbrecher im Museum steh’n!
A: Ach schéner war’s im weichen Moor,
Wo niemand sich um uns gescheret,
Bis die Professorin aus Kiel
Die Mitwelt über uns belehret!
A: Das Ewig-Weibliche zog uns hinan! !
— Ach hätt’ es uns doch lassen liegen —
Ich reisse wieder aus — sobald ich kann,
Und lasse mich nicht wieder kriegen! —
Au.Bzus.: Eins-zwei-drei schwubbdiwupp
Hinein in’s Moor,
Bald guct kein Zipfel mehr von uns
Daraus hervor —
Das Torfmoos nistet wieder uns in Haar und Flaus,
[: Und niemehr buddelt uns die
Nachwelt aus! :]
(Verschwinden !)
— 49 —
Sonntag, den 8. August:
Ausflug nach Wohlde und den sieben Steinhäusern b. Südbostel.
Ein herrlicher Spätsommertag strahlte über dem „Ausflug in die
Heide“; die grosse Anzahl der Teilnehmer (an 100) ermöglichte die
Stellung eines Extrazuges von Celle nach Bergen und zurück, sodass
wir fast unabhängig waren von der Zeit. Durch die grosse Liebens-
würdigkeit der benachbarten Hofbesitzer, die ihre Wagen für die Weiter-
fahrt zur Verfügung stellten, und nicht zuletzt durch die rührige Tätigkeit
unserer, den Ausflug vorbereitenden Mitglieder in Bergen (Meyer jun.,
Römstedt, Brandes), gestaltete sich der Ausflug so, dass er allen Teil-
nehmern eine wunderschöne Erinnerung bleiben wird.
ln Celle wurde dem neuen „Vaterländischen Museum“, dem
Lebenswerke des Fabrikanten Bomann-Celle, unter dessen Führung ein
Besuch abgestattet: eine Perle unter den deutschen Museen, von ästheti-
schem Feingefühl und gründlicher Kenntnis der heimatlichen Verhältnisse
zeugend, ein Kulturmuseum im wahren Sinne.
Durch die Heide, die das wiesenreiche Ortzetal durchschneidet,
führt die Kleinbahn nah Wohlde, einem Dorf von wenig Höfen, das
aber auf frühere grössere Bedeutung zurückblickt; hiervon zeugen die
Reste einer frühmittelalterlichen (Wallfahrts-?) Kapelle und der „Schand-
pfahl“ an der Stelle der einst hier stattfindenden Märkte. Die nahe
Kirchenkoppel der Lambertikirche von Bergen ist eine Ausgrabungsstelle
des Provinzialmuseums (s. in der Festschrift der Tagung), der Rest
einer einst gewaltigen Hügelgräberkette, die sich hufeisenformig um
Wohlde herumzog.
An Ort und Stelle erläuterte Dr. HAHNE die betreffenden Arbeiten
und wies auf Grundsätze der Denkmalpflege hin, die seitens des Prov.
Mus. angewandt werden, um auch Stellen, an denen ausgegraben und
Erdaltertümer ausgebeutet sind, so herzurichten bezw. zu hinterlassen,
dass sie landschaftlich und wissenschaftlich reizvoll bleiben.
Bei der Wagenfahrt nah Bergen wurden botanische, geographische
und geologische Studien getrieben. Im „Deutschen Haus“-Bergen (Wirt
ist unser Mitglied Brandes) gabs ein „vorhaltendes“ Mittagessen. Unser
Mitglied Präzeptor Römstedt, der bewährte Retter und Erhalter der
Altertümer der Umgebung, zeigte uns manch’ Bemerkenswertes in
Bergen und vor allem seine schöne und reiche Sammlung heimatlicher,
vorgeschichtliher und volkskundliher Gegenstände und Funde. Die
Grabfunde aus Bronzezeit-Hügeln der Umgebung, die Römstedt bei Urbar-
machung der Gegend gerettet hat, interessierten besonders, zumal im
Hinblik auf die Wohlder Ausgrabungen (s. d.). Auf der Diele des
Schulhauses empfingen uns zwei spinnende Mütterchen als Gruss aus
„alter Zeit“.
„Die Umgebung von Bergen bildet ein hügeliges Gebiet, das mit
einer lössartigen Bildung überdeckt ist und darum weite Ackerländer
trägt, die mit Hainen durchsetzt sind“ (OLBRICHT).. — Von Bergen
ging die Wagenfahrt zunächst gegen den Falkenberg zu in „ein kuppen-
reiches mit Wald, Heide und Gras bewachsenes Hügelland, das sich
inselartig über die welligen Flähen der Umgebung abhebt und von
gelbroten Sanden aufgebaut wird, die in den tiefen Wegen überall
4
— 50 —
aufgeschlossen sind“ (OLBRICHT). In nächster Nähe von Bergen, mit
seinen der Heide schon abgerungenen Getreide- und Obstlandereien,
hat sih — wie lange noh? — unberührt von Dampfpflug und
„Ameliorationen“ ein köstliches Stück Heidelandschaft erhalten, mit allen
ihren feinen Reizen und hochinteressanten Erscheinungen der Natur
und Vorgeschichte. Uns wurde von ortskundigen Führern alles zu sehen
vermittelt, selbst eine Schnuckenherde, plaggenhauende Heidjer, Holzer
und Jmker fanden sich am Wege unserer 18 Wagen starken Karawane ein!
Vorgeschichtliche, geologische, geographische, botanische und zoologische
Diskussionen schwirrten hin und her. Gross war das Staunen derjenigen,
die zum ersten Male in die Heide kamen, ob all der stillen Schönheit
und stolzen Grosszügigkeit! Die Fahrt ging an Hügelgräbern vorbei
und einem weitblickenden Osterfeuerberg, auf dessen Kuppe aus den
Resten dieser Feuer bereits ein ganzer Hügel entstanden ist und vorbei
an diluvialen Sandkuppen, deren manche seltsam geformt sind, sicherlich
wohl mit Zutun des Menschen, wie der Sinnberg mit seinen terrassen-
förmigen Stufen. Durch den Manhorner Wald mit seinen berühmten
Wacholdern, die ihren Todeskampf mit dem Kulturwald kämpfen, gelangten
wir dann zum Hauptziel der Fahrt, zu den „sieben Steinhäusern“ bei
Siidbostel. Fünf dieser prachtvollen Megalithgraber sind erhalten und
liegen am Südhang einer jetzt aufgeforsteten Erhebung am östlichen,
linken Ufer des „Blutbaches“ mit seinen wildreichen Wischen. Professor
KOSSINNA erläuterte an dieser klassischen Stätte des nordindo-
germanischen Neolithikums Bedeutung und Anlage der sagenumwobenen
stolzen Grabbauten. Die „einsamen Flächen der „Südheide“, die mit
Wadholdern, Birken und Fichten durchsetzt an Savannen erinnern“
(OLBRICHT) trugen den ersten rosaroten Schleier der Heideblüte, die
sich heuer recht verzögert hatte. In den Niederungen schimmerten die
Moore. Wundervoll ging das Abendrot über die weiten friedvollen
Flächen, als wir den Heimweg antraten, nachdem in unseres Mitgliedes
Brandes Marketenderzelt ein kräftiger Imbiss uns gestärkt hatte und
die Umgebung der Steinhäuser durchwandert war. Auf der Rückfahrt
wurde uns noch ein eindrucksvoller Anblick bereitet: Einer der begütert-
sten und nach Heideart stolzesten Besitzer gestattete uns die Durchfahrt
durch seinen im dichten „germanischen Walde“ liegenden Hof, wo er
uns mit seiner zahlreichen Sippe (es hausen oft 50 Männer und mehr
auf solch einem Besitz!) freundlich grüsste.
In Bergen wurden wir mit freundschaftlichen Verführungskünsten noch
bis tief in die Nacht im „Deutschen Haus“ bei Bier und Wein gefesselt.
In fröhlihen Reden und Widerreden äusserte sih die glückliche
Stimmung, von der alle Teilnehmer an diesem schönen Tage getragen waren.
Montag, den 9. August:
Kgl. Technische Hochschule.
Vorm. 10 Uhr Geschäftssitzung.
Vorsitz: Universitätsprofessor Dr. Kossinna.
1. Der Vorsitzende erstattete einen kurzen Jahresbericht.
2. Der Antrag des Vorstandes auf Satzungsänderung: Zusatz
zu 8 11 „Mitglieder, die ihren Wohnsitz in Gross-Berlin,
= 51 i=
Spandau, Potsdam und in den Kreisen Teltow, Nieder-
barnim, Osthavelland haben, sind verpflichtet, der Berliner
Zweiggesellschaft beizutreten“ wurde ohne Diskussion angenommen.
3. Der Vorsitzende erläuterte den Vertrag des Vorstandes
mit dem Verleger über die Herausgabe des Organs der Gesellschaft,
der Zeitschrift ‘Mannus’ , und legte ein Schriftstück hierüber zur Ein-
sicht vor.
4. Der Bericht des Schatzmeisters Dr. Albrecht konnte nur
schriftlich erfolgen, da Herr Albrecht durch Krankheit zu Hause fest-
CR wurde. Der Stand der Finanzen des ersten Jahres bis zum
3. August war danach folgender:
Einnahmen: Ausgaben:
Mitgliederbeitrage . 3119,48 Mk. Drucksachen . 693,85 Mk.
Zinsen ; 7,80 „ Porto . . . 250,04 „
Unvorhergesehenes 14,99 , Reisekosten . 56,60 „
Loe ul Bürobedarf, Schreibhilfe 154,10 „
R Unvorhergesehenes . . 26,05 „
Summa 1180,64 Mk.
Einnahmen . 3142,27 Mk.
Ausgaben . . 1180,64 „
mithin Kassenbestand 1961,63 Mk.
Herr Bodenstab-Neuhaldensleben und Herr Franck- Frankfurt
übernahmen freundlih die Revision der Rechnungen und beantragten
nach erfolgter Revision die Entlastung des Schatzmeisters. Die Gesell-
schaft sprach ihre Zustimmung zur Entlastung aus.
Vorm. 11 Uhr Vorträge.
Der Vorsitzende bittet Herrn Geheimrat Bezzenberger, nun-
mehr den Vorsitz übernehmen zu wollen.
Vorsitz: Geheimrat Universitätsprofessor Dr. Bezzenberger.
Museumsdirektor Feyerabend, Görlitz.
Die Entstehung der Schlackenwälle und die ver-
schiedenen Typen der Burgwälle in der Oberlausitz.
Wohl in keinem Gau unseres deutschen Vaterlandes tritt die Vor-
geschichte der letzten Jahrtausende so eng an den Laien heran wie in
der Lausitz, die durch ihre Gräberfelder mit den herrlichen Gefäss-
typen, die noch heute die Bewunderung der Keramiker erwecken, eine
besondere Bedeutung hat. Die Oberlausitz zeichnet sich dazu noch aus
durch gegen hundert Ringwälle aus der Vorzeit, die zum Teil in
herrlicher Lage auf grossartiger Höhe mit uralten Waldbeständen der
Landschaft einen ganz eigenartigen Charakter geben. Diese Ringwälle
sind seit Jahrzehnten der Gegenstand eifriger Forschungen gewesen,
doch sind die Ergebnisse, grösstenteils deswegen, weil diese Forschungen
nicht umfassend waren, sehr verschieden ausgefallen. Ich habe versucht,
in völlig objektiver Weise die massgebenden Stellen zu durchforschen,
und zwar sind die Forschungen festgestellt worden durch Photographie,
fachmännische Messung und Zeichnung.
4*
z — ze
Unter den Ringwällen der Oberlausitz scheint der Löbauer Schaf-
berg eine besondere Stellung einzunehmen, doch scheiterte zurzeit
eine eingehende weitere Forschung an der Unhöflichkeit des Löbauer
Magistrats. Im Äusseren bietet er viel Ähnlichkeit mit dem Altkönig.
Eine zweite Gruppe von Ringwällen (z. B. Landeskrone, Ostro,
Stromberg) bieten eine Wallkonstruktion, die sih mit der Schilde-
rung des Cäsar im Bellum Gallicum VII, 23 von den „gallischen
Mauern“ fast vollkommen deckt. Längs- und Querbalken sind in regel-
mässigen Abständen schichtenweise übereinander gelegt, die Zwischen-
räume zwischen den Balken mit Steinen, und die viereckigen Löcher von
mehreren Quadratfuss mit Steinen und mehr oder weniger Erde ausgefüllt.
Die Balken bestehen fast durchweg aus Eichenholz von 10—20 cm Durch-
messer. Diese Balken sind in einer gegen 2 m starken Aussenmauer von
gewaltigen Steinen verankert und in der nach aussen liegenden Hälfte des
Walles enger gelegt als in der inneren, die aber auch durch eine schwächere
Innenmauer abgegrenzt sind. Die Mauer ist eine für Wind und Wasser
vollkommen durchlässige Trockenmauer. Ob bei diesen Wällen sich
Palisaden befunden haben, lässt sich nicht mit Bestimmtheit feststellen,
ist aber wahrscheinlich. Gerät das Holzwerk einer solchen Mauer in
Brand, so erzeugen die starken Eichenbalken, durch den Wind, der
durch die zwischen den Steinen der Aussenmauer befindlichen Fugen
dringt, angefacht, eine derartige Hitze, dass das dazwischen liegende
Gestein, meist Basalt und verwandte Gesteine, während des Brandes
und noch nach dem Zusammenbruch in der grossen Hitze schmilzt und
verschlacht, Der innere Teil der Mauer ist von der Stelle ab, wo der
Zusammenbruch erfolgte, und von diesem gedeckt, in der bisherigen
Form meist stehen geblieben. Das ist die Erklärung der Holz- und
Steinwälle sowie der verschlackten Wälle, wie sie die genaue Forschung
und die wissenschaftlichen Aufnahmen ergeben haben.
Solche Werke, die offenbar nach vielseitigen Funden der vor-
slawischen Periode angehören, sind meist von den Wenden in der
späteren Zeit der Regermanisierungskämpfe (8.—10. Jahrhundert nach
Chr.) aufs neue benutzt und mit Erde überschüttet worden, wo sie
es nicht vorzogen, ganz neue Wälle aus Erde und Steinen zu schütten
(z. B. Niethen, Loga, Nieda, Kittlitz, Schöps), die fast ausnahmslos eine
hufeisenförmige Gestalt haben. Die offene Seite ist durch Wasser, Sumpf
oder steile Felsabfälle geschützt. Die entgegengesetzte erhebt sich in
allmählicher Steigung von der offenen Stelle aus bis zu 30 m. Die
Funde, die bisher gemacht wurden, gehören in den Schanzen der 1. und
2. Gruppe der vorslawischen, in den überschütteten oberen Schichten
der wendischen Zeit (Burgwalltypus) an, die der letzten Art von Schanzen
lediglich der letzteren. In Döbschütz, Kreis Görlitz, lassen sich in der
dortigen Schanze die beiden Bauperioden klar beweisen; zudem hat
noch im Innern des Walles eine breite Treppe, offenbar aus der ersten
Bauperiode stammend, das Besteigen der Wallkrone durch die Verteidiger,
auch mit schwereren Verteidigungsmitteln, schweren Steinen und der-
gleichen, ermöglicht.
Die Ringwälle dienten zweifelsohne als Burgen oder Fliehburgen,
deren Unterschiede sich im einzelnen schwer feststellen lassen, und
werden in der Oberlausitz schon in der Urkunde Heinrichs II. von
= 53 ei
1006 als „castella“ bezeichnet. Von gottesdienstlihem Gebrauch hat
sich nicht die leiseste Spur gefunden.
Die Ergebnisse der Forschungen wurden durch Lichtbilder, nach
photographishen Aufnahmen und Zeichnungen hergestellt, klar und
verständlich veranschaulicht.
Oberlehrer Schmidt-Löbau:
Weil mich der Herr Vortragende so oft erwähnt hat, so sehe ich
mich genötigt, gegen seine Ausführungen betreffs der Burgwälle Stellung
zu nehmen. Was Herr Direktor Feyerabend über die Oberlausitzer
slawischen Wälle vorgetragen hat, sind die Ergebnisse einer noch nicht
zweimonatigen Forschung in einigen Wällen. Bei meinen intensiven
Nachgrabungen im Laufe von 11 Jahren habe ich genau gezeichnet, was
ich in den Ein- und Durchschnitten Wichtiges fand, und daraus zog ich
meine Schlüsse über Aufbau und Zweck der Wallanlagen. — Photographien
können täuschen, wenn die weissen Stäbchen, welche die Richtung des
verkohlten Holzes hervorheben sollen, nicht genau gesteckt sind, und
wenn die schrägliegende Kohle nicht markiert wird. Ganz besonders
lässt die Photographie nicht die Lage desjenigen Holzes erkennen, das
als Hirnholz (Querschnitt der Adern) auf dem Bilde ersceint.
Ich behaupte ganz entschieden, dass die slawischen Wälle einge-
stürzte Wohnungen enthalten; denn auf dem Grunde der inneren Wall-
böschung werden unter der Kohle Scherben vom slawischen Typus zu
Hunderten gefunden.
Von gallischen Mauern ist keine Spur vorhanden. Etliche der
vorgeführten Zeichnungen (betreffs des Walles bei Döbschütz) erkläre
ich für Phantasieerzeugnisse.
Universitätsprofessor Dr. Kossinna:
Die Tatsache, dass bei den rein wendischen Burgen bisher niemals
Spuren von Holzeinbauten in den aus Lehm und Steinen aufgebauten
Wällen entdeckt worden sind, hat mir schon lange den Gedanken nahe-
gelegt, dass die kunstvolle Aufrichtung sogenannter „gallischer Mauern“
in Nordostdeutschland ausschliesslich in der jüngeren Bronzezeit bei der
karpodakischen Bevölkerung geübt wurde, während die Wenden mit der
roheren Aufschichtung von Erd- und Steinwällen ohne Holzkonstruktion
sich begnügten.
Direktor Feyerabend:
Gegenüber Herrn Schmidt kann ih nur noch einmal betonen:
Die Bauart der genannten Wälle ist die typische Art der gallischen Mauern.
Oberlehrer Schmidt:
Herr Direktor Feyerabend hat in seinem Vortrage weder die
unter der Kohle lagernden Scherben, noch die daselbst liegenden
anderen Kulturniederschläge erwähnt, wie Knochen, Spinnwirtel, Stein-
pflaster, Estrich, Lehmbatzen, Getreide und eiserne Gegenstände.
— 54 —
Ich halte meine Meinung aufrecht, dass die slawischen Wälle be-
festigte Wohnplätze waren, wie ich dies ausführlich klarlegte in meiner
Abhandlung: „Die _vorgeschichtlichen Rundwälle in der Amtshauptmann-
schaft Löbau i. S. (Jahreshefte der Gesellschaft f. Anthr. u. Urg. der
Oberlausitz, Bd. II, Heft 3/4 — und als Sonderabdruck. Kommissions-
verlag: Emil Oliva, Buchhandlung in Löbau i. S.).
Dr. KRiekebusch-Berlin:
Die wichtigsten Bronzezeitfunde des Märkishen Museums
der Stadt Berlin.
Die vorgeschichtlihe Abteilung des Märkischen Museums enthält
eine Reihe hervorragender Funde aus der Bronzezeit, deren ganze
wissenschaftlihe Bedeutung selbst in Fachkreisen noch lange nicht ge-
nügend gewürdigt worden ist. Die Schätze des Märkishen Museums
wurden vielfach sogar unterschätzt, weil sie einer grossen Zahl von
Vorgeschichtsforschern fast unbekannt waren. Nur ein kleiner Teil von
Prähistorikern hat sih bisher auh mit den Funden des Märkischen
Museums vertraut gemacht. Heute kommt es nun darauf an, die Be-
deutung der wichtigsten Funde ins rechte Licht zu setzen, einige der
bisher noch nicht veröffentlichten Funde bekannt zu geben und bei Be-
sprechung anderer, schon bekannter, diejenigen Fragen und Probleme
herauszuheben, die eine besondere Betrachtung nötig erscheinen lassen.
Nach kurzer Vorführung der Funde aus der 1. Bronzeperiode
(2000—1600 v. Chr.) und des Depotfundes von Mittenwalde
aus der 2. Periode (etwa 1600—1400 v. Chr.) werden — ebenfalls an
der Hand zahlreicher Lichtbilder — die recht bedeutsamen Bronzen
näher besprochen, die das Märkishe Museum aus der 3. Periode
(1400—1200 v. Chr.) besitzt, besonders der Giesserfund von
Spindlersfeld, Kr. Teltow ') sowie die prächtigen Ringe, Kniebergen
und der Halskragen (mit Spiralverzierung) des Depotfundes von Vehlow
(Prignitz). Ausführliche Auseinandersetzungen werden den Funden aus
den Hügelgräbern von Weitgendorf (Prignitz) gewidmet. Diese
Funde sind für die Wissenschaft unschätzbar. Grab für Grab wird
seinem Inhalte nach im Lichtbilde vorgeführt, und die einzelnen Bronzen
(Schwerter, Ringe, Goldspiralen, Messer, darunter 2 Rasiermesser mit
Pferdeköpfen, Fibeln, Reste einer Bronzetasse) werden eingehend be-
sprochen, namentlich aber wird auf diejenigen Merkmale hingewiesen,
die den ganzen Fund in die 3. Periode weisen. Bei dieser Gelegen-
heit wird hervorgehoben, wie sicher die Vorgeschichtsforschung bezüg-
lich der Chronologie heutzutage schon arbeitet. Es gibt gewiss keinen
Prähistoriker, der mit der Chronologie genau vertraut ist — und andere
kommen ja nicht in Betracht —, der die Weitgendorfer Funde einer
anderen Zeit zuweisen würde.
Hierauf wird das Glanzstück des Märkischen Museums, das
Königsgrab von Seddin (Prignitz)2) einer eingehenderen Betrach-
1) Abb. Willy Spatz: Der Teltow. Berlin 1905. Rob. Rohde. S. 8.
2) Festschrift des Märkischen Prov.-Mus: Berlin 1901. Stankiewicz. S. 33 ff.
(mit Abb.).
— 55 —
tung unterzogen. Auch an dieses Grab knüpft sich noch manche unge-
löste Frage. Erst neuerdings sind vom Vortragenden im Auftrage des Mär-
kischen Museums genaue Messungen mit dem Theodolithen vorgenommen
worden. Das Grab ist 11 m hoch und hat 300 Schritte im Umfang.
Es ist das grösste „Hünengrab“ überhaupt (Redner wäre für Angabe
grösserer Einzelgräber dankbar) und sicher auch eines der interes-
santesten. Zuletzt werden allerlei offene Fragen berührt bezüglich des
Namens, der sih an das Grab knüpfenden Lage vom dreifachen Sarge,
der Herrichtung des Hügels und der Lage und des Baues der Grab-
kammer.
Mit der Vorführung und Besprehung des Depotfundes von
Biesenbrow (Uckermark) aus der 5. Bronzeperiode (1000— 800 v. Chr.)
schliesst der Vortrag.
Geh Rat Prof. Dr. A. Bezzenberger- Königsberg
„gibt seinem Bedauern Ausdruck, dass mehrere vom Vortragenden ge-
zeigte Bronze-Depötfunde nicht publiziert seien. Es sei überhaupt ein
Mangel, dass nicht mehr publiziert werde. Wer nicht Jahr für Jahr -
eine Museumsreise mache, könne infolgedessen mit der Forschung nicht
Schritt halten. Reichten in einem Museum die Kräfte zu Ausgrabungen
und Publikationen richt aus, so möge man die Ausgrabungen auf das
nötigste beschränken. Jedenfalls müsse, was ausgegraben werde, auch
sorgfältig veröffentlicht werden.
Zu einem der Bronzesichelfunde fragte Geheimrat Bezzenberger,
aus welchem Grunde dieser Fund gerade in die Ill. Periode zu setzen sei.“
Dr. Kie ke busch
erwidert, dass er die Möglichkeit einer anderen Datierung der Sicheln
als solcher einräume.
Dir. Dr. Reimers- Hannover:
Dem Vorschlage des Herrn Geh. R. Bezzenberger kann ich nur
zustimmen und wir sind in Hannover zu der Überzeugung gekommen,
dass es auch erwünscht ist, die Sammlungen als solche dem Publikum
durch Veröffentlichungen zugängig zu machen, und ich kann mitteilen,
dass wir bereits ein solches Werk in Vorbereitung haben, dass die
Mittel bereitgestellt sind und wir in der Lage sein werden, vielleicht
schon am Ende dieses Jahres mit dem ersten Heft herauszukommen.
Universitätsprofessor Dr. Kossinna:
Was der Vortragende hier über die brandenburgische Bronzezeit
gezeigt und gesprochen hat, deckt sich inhaltlich, namentlich auch nach
der chronologischen Seite, mit dem, was ich seit manchen Jahren in
meinen Vorlesungen über brandenburgische Vorgeschichte vortrage, die
Herr Kiekebush während mehrerer Jahre fleissig besucht hat. Um
so weniger kann ich es ungerügt lassen, dass er bei der Erläuterung
der Funde des Seddiner Königsgrabes, das er nach seiner Mitteilung
— 56 —
ganz besonders studiert hat, wieder den alten Fehler macht, das lanzett-
förmige Bronzegerät, ein ärztlihes oder ein Toilettengerät, als Pfeil-
spitze zu bezeichnen. Es hätte das um so weniger geschehen sollen,
als Voss seiner Zeit gerade bei Erörterung der Seddiner Fundstücke
hierüber seine triftigen Einwendungen vorgebracht und auch veröffent-
licht hat.
Rob. Rud. Schmidt:
Die spätpaläolithischen Bestattungen der Ofnet.
Beitrag zur Paläoethnologie des Azilien-Tardenoisien.
Mit Tafel I.
Von einer kurzen Schilderung der gesamten Ofnetfunde, wie es
das Thema meines auf der I. Tagung für Vorgeschichte gehaltenen
Vortrags vorgesehen, weiche ich hier ab und gebe einem spezielleren
Thema den Vorzug. Denn einen kurzen Fundbericht habe ich bereits
in meiner Abhandlung über die spätpaläolithischen Kulturen der Ofnet ')
niedergelegt und eine eingehende Bearbeitung dieser Funde, die bereits
abgeschlossen ist, wird im Laufe dieses Jahres in dem Gesamtwerke
erscheinen, das die Ernte meiner mehrjährigen Ausgrabungen und die
Neubearbeitung der gesamten paläolithischen Funde Deutschlands enthält.
Über die Ofnetfunde selbst möge hier nur einiges vorausgeschickt
werden. Über einem Schichtenkomplex von mehreren jungpaläolithischen
Kulturen der grossen Ofnethöhle bei Nördlingen lagerte eine mit Rötel
und Aschenteilchen stark durchsetzte, dünne Ablagerung, die sich unmittel-
bar unter dem Höhleneingang zu zwei muldenförmigen Vertiefungen
erweiterte. In diesen zeigten sich zwei Bestattungen, deren grössere
27 gruppierte und in Ocker eingebettete Schädel enthielt, während kaum
1 m davon entfernt, sich. eine zweite Bestattungsgruppe von 6 Schädeln
fand. Beide Gruppen zeigen den gleichen Bestattungsritus, die Ocker-
und Teilbestattung. Sämtlihe Schädel, die dicht nebeneinander, wie
Eier in einem Neste, gelegt waren, sind mit dem Gesichtsskelett der
gleichen Himmelsrichtung, dem Westen, der untergehenden Sonne zu-
gewendet.
Die Bestattung hat, nah den Fundverhältnissen zu schliessen,
bald nach dem Eintritt des Todes stattgefunden, denn sämtliche Schädel
besitzen ihre Kiefer und einen oder mehrere Halswirbel. Die Beisetzung
der Schädel ist anscheinend nach und nach, und zwar konzentrisch um
die erstbestatteten erfolgt. Von den übrigen Körperteilen zeigten sich nur
einige verkohlte Knochenstücke, ebenso lassen Holzkohle und Aschenspuren
auf eine Einäscherung der übrigen Körperteile schliessen, wenn die Ver-
brennung auch nicht an dem Bestattungsorte selbst stattgefunden hat.
Frauen und Kinder herrschen in auffallender Weise unter den Bestatteten
vor, während nur 6 Schädel dem männlichen Geschlecht zuzuschreiben
sind. Die Schmuckbeigaben lassen bestimmte Sitten erkennen. Den
Frauen war ein reicherer Schmuck aus Hirschzähnen und durchbohrten
Schnecken, welch letztere teils ferneren Gebieten (z. B. dem Mittelmeer)
D Bericht des naturwissenschaftl. Ver. f. Schwaben und Neuburg, 1908. Siehe
auch: H. BREUIL, Le gisement quaternaire d’ Ofnet. L’Anthropologie, 1909, t. XX, Nr. 2.
Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte, I. Ergänzungsband. Taf. J.
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Ein Teil der grösseren Bestattungsgruppe der Ofnet.
(Die anschliessende vordere Hälfte der Bestattung ist hier bereits entfernt.)
Rob. Rud. Schmidt: Die spätpaläolithischen Bestattungen der Ofnet. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg.
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—- 57 —
entstammen, den Kindern fast ausschliesslich Schneckenschmuck zuge-
teilt. Die männlichen Schädel besassen keine Schmuckbeigaben.
Die Stratigraphie lässt deutlich die zeitliche Grenze erkennen,
innerhalb der wir die Funde anzusetzen haben. Die Bestattungsschicht
hebt sich sowohl von dem liegenden Spätmagdalénien wie von dem
hangenden Vollneolithikum scharf ab und ist in ihrer Ausdehnung gut
zu verfolgen gewesen. |
Die archäologischen Einschlüsse, die ausser einer Anzahl atypischer
Geräte zwei kleine trianguläre Silexformen enthielten, die den Schädeln
anhafteten, sprechen für die Zugehörigkeit jener Bestattung zu einem
Kulturkreis mit Tardenoisienformen.
Allein die Tardenoisientypen sind keine zeitlich eng umschriebenen
archäologischen Leitformen, sie beginnen mit dem diluvialen Spät-
paläolithikum, finden sich als Begleitformen des Azilien und überdauern
das Campignien.
Zur näheren Festsetzung dieser Ofnetkultur bleiben uns zwei Wege
offen, die chronologische Zuteilung, die uns die Tierwelt gestattet und
die Parallele, die uns ` durch analoge Sitten und Gebräuche darge-
boten wird. |
Die Tierwelt der Bestattungsschicht setzt sich aus Edelhirsch, Eich,
Wildschwein, Gulo borealis und Löwe!) zusammen. Die ältere diluviale
Makrofauna fehlt bereits. Weder von Haustieren noch von keramischen
Einschlüssen des Neolithikum zeigte diese Ablagerung Spuren. Das Vor-
kommen von Felis leo verweist uns nachdrücklicher auf das ausgehende
Spätpaläolithikum der Pyrenäen, das, wie in La Tourasse, noch die Reste
des Löwen enthielt, der bekanntlih in West- und Mitteleuropa nicht
die Diluvialzeit überlebte. In Belgien zeigte die Tierwelt der Tarde-
noisienepoche noch ein ausgesprochenes diluviales. Gepräge und kenn-
zeichnet sich durch die Kältefauna des späten Renntierzeitalters?), wo-
runter sich Renntier, Eisfuchs, Schneehase u. a. finden, während die
arktische Tierwelt im Tardenoisien der pyrenäischen Halbinsel und Nord-
deutschlands bereits zurückgedrängt ist. |
Schon das faunistische Kolorit des Ofnettardenoisien zeigt, dass
wir am Ausgange der Diluvialzeit, an der Schwelle der heutigen geolo-
gischen Ära stehen und verlangt also eine relativ sehr frühe Ansetzung
der Bestattungszeit im „Tardenoisien“. Dass das Ofnetprofil eine
unmittelbare Überlagerung von Magdalénien und Tardenoisien ohne
sterile Trennungsschicht zeigte, will ich ausser Acht lassen, denn dies
spricht, wie mir zahlreiche Ausgrabungen zeigten, weder für, noch
gegen eine unmittelbare Folge, da das geologische Uhrwerk so heterogen
arbeitet, dass alle in Zahlen ausgedrückten Zeitberechnungen zu sehr
vagen Vermutungen werden. Noch engere Bande mit dem diluvialen
Paläolithikum knüpft der erwähnte Bestattungsritus der Ofnetleute, dessen
Stellung unter den Bestattungsbräuchen der Diluvialzeit ich hier näher
festlegen möchte, um damit zugleich die kulturelle Stellung dieser Epoche
zu beleuchten.
1) Letzterer ist von Herrn Dr. FREUDENBERG, die übrige Tierwelt der Ofnet
von Herrn Prof. v. KOKEN bestimmt worden.
2) Vgl. E. RAHIR et A. DE LOE, Note sur l’exploration des plateaux de
l’Ambleve. Mémoir. Soc. d’Anthropologie de Bruxelles, T. XXII. 1904.
— 58 —
Bereits im Mousterien begegnen wir der rituellen Bestattung, der
unterirdischen Einscharrung der Toten. Mit der älteren Renntierzeit
ersteht eine grössere Mannigfaltigkeit in der Bestattungsweise, wie vor
allem die 16 Skeletfunde in der Grotte von Mentone zeigen. Die
Orientierung scheint eine rein willkürliche zu sein. Die Bestattung der
ganzen Skelette bleibt aber bis an das Ende der paläolithischen Ära
bestehen, ebenso die Ockerbestattung, die ausschliesslich ein Brauch
der spätpaläolithischen Bevölkerung West- und Osteuropas ist. Sie setzt
mit dem Aurignacien von Grimaldi und Cro-Magnon ein, kehrt im
Solutreen von Brünn u. a. wieder und findet sich schliesslich in der
Azilienbestattung von Mas d’Azil. Ahnliche Grabbeigaben sind dem
Spätpaläolithikum eigen. Sehr häufig ist der Hirschzahnschmuc, der
schon aus den Aurignacienbestattungen von Grimaldi bekannt ist, im
Azilien '), während die oft massenhafte Verwendung von Schnecken das
westeuropäische diluviale Tardenoisien geradezu kennzeichnet °).
Wenig Aufmerksamkeit hat man bisher der Teilbestattung im
Paläolithikum geschenkt, deren erste Anfänge anscheinend bis in das
Solutreen zurückreihen. PIETTE selbst hat derartige Funde einzelner
Schädel, Schädelkalotten und Kiefer als Überreste einer Anthropophagen-
mahlzeit gedeutet. Folgende paläolithische Teilbestattungen West-
europas lassen sich unseren Funden in der Ofnet nähern: Das
Profil der Grotte du Placard (Rochebertier)*) enthielt nach den Auf-
zeichnungen des verstorbenen M. de MARET verschiedene menschliche
Reste. Das obere Solutréen dieses Fundplatzes wies einige Schädel-
fragmente und einen Kiefer auf. Im tiefsten Teile der Magdalénien-
schicht zeigten sich vier dicht nebeneinander gruppierte Schädel, deren
Hirnschalen nach unten gekehrt waren, während sich von den übrigen
Körperteilen nur ein humerus und femur beisammen vorfanden. Einer
etwas höheren Lage der gleichen Magdalenienshicht entstammt ein
Kieferstück; in gleicher Horizontale lagerte in der Mitte und im Vor-
dergrunde der Grotte eine Schädeldecke und links vom Eingange ein
isolierter weiblicher Schädel mit Kiefer“), der auf einer Felsplatte
ruhte und von einem reichen Schmuck durchbohrter und undurchbohrter
Schnecken umgeben war. Hier haben wir also ausser einigen zerstreuten
Schädelfragmenten die gruppenweise Anordnung einzelner Schädel und
den mit Schmuckbeigaben ausgestatteten weiblichen Schädel. Die einzelnen
Schädelkalottenteile sind teils mit Einschnitten versehen, teils durch
Schläge und Retuschen zu einer Schalenform zurecht gestutzt. Der
wohl erhaltene weibliche Schädel mit Schmuckbeigaben weist auf eine
Übereinstimmung mit den Bestattungsgebräuchen der Ofnet.
Ähnlich verhält es sich mit den Funden aus der Grotte des Hommes
1) PIETTE, Album des Galets coloriés du Mas d’Azil.
) VAN DEN BROECK, Quelques mots à propos des nouvelles fouilles exécutées
dans la Grotte de Remonchamps (fin de l’âge du renne) et de la découverte d'un
collier préhistorique et coquilles d’origine etrangere. Mem. Soc. d’Anthr. de Bruxelles,
T. XXI. 1902,03.
3) BREUIL u. OBERMAIER. L' Anthropologie 1909. T. XX. Nr. 5. p. 523—530.
) Der Schädel ist von Hamy, ohne die weiteren Fundumstände zu erwähnen,
beschrieben worden im Congres international d' Anthropologie et d’Archéologie
préhistoriques, X. Sess. Paris 1889.
— 59 —
bei Arcy-sur-Cure, die der Abbe PARAT!) ausbeutete. Die über einem
Aurignacien ruhende Schicht barg drei Schädel, gleichfalls auf einer
Felsplatte gruppiert und mit diesen nur ein einziges Silexmesser.
Obgleich diese Ablagerung von Parat als „Couche néolithique“ bezeichnet
wird, enthält sie weder Keramik noch Haustiere. Anscheinend gehört
sie dem ausgehenden Paläolithikum an.
Auch in Mas d’Azil (r. Ufer) hat PIETTE einen wohl erhaltenen
isolierten Schädel in einer Frühmagdalenienschicht aufgefunden und zu
dem fast ausschliesslihen Vorkommen von Schädelresten in der Grotte
von Gourdan ?) bemerkt PIETTE auch das Anhaften der ersten beiden
Halswirbel und des Kiefers.
Die Massenbestattung der Ofnet bleibt indessen ein Vorkommen
ganz singulärer Art. Die erwähnten Bestattungsbräuche der Ofnetleute
sind dem Neolithikum aber gänzlich fremd.
Wie sich die Ockerbestattung und die Schmucksitten der Ofnetbe-
völkerung bis auf das Aurignacien zurückführen lassen, so lassen auch
die technisch-stilistischen Konventionen der Tardenoisienindustrie sich
morphologisch auf die vorausgehenden spätpaläolithischen Kulturphasen
zurückführen.
Schon BREUIL?), dessen Ausführungen ich hier kurz wieder-
gebe, hat auf die Herkunft und Entstehung der Tardenoisien-
industrie hingewiesen. Einzelne den geometrischen Tardenoisien-
typen nahestehende Silexgeräte kommen bereits im Aurignacien vor
und zwar in jenen fast triangulären Vorläufern der pointe-ä-cran,
wie solche aus dem Aurignacien der Grotte von Mentone und von
Willendorf bekannt sind. Ähnlichkeiten treten auch bei anderen
Werkzeugtypen beider Kulturen hervor. Hieraus schliesst BREUIL,
dass die Wiege der Tardenoisienindustrie bereits im Aurignacien
liege oder die Kultur des Tardenoisien wenigstens in dem Aurig-
nacien vorgebildet sei. Diese Annahme gewinnt festeren Boden,
wenn wir bedenken, dass einzelne Länder wie Italien, Sizilien und
die Riviera (Grimaldi) nur die beiden verwandten Kulturen des
Aurignacien und Tardenoisien oder, unter dem erwähnten morpho-
logischen Gesichtspunkte betrachtet, nur eine einzige fortdauernde,
dem Aurignacien entspringende Kultur aus der spätdiluvialen Ara
besitzen. Die in Italien anscheinend kontinuierliche Kultur vom
Typus Aurignac und die daraus hervorgegangene Kultur vom Typus
Fére en Tardenois hätte alsdann in West- und Mitteleuropa durch
die Invasion der Solutreen-, Magdalenien- und Azilienbevölkerung
eine Unterbrechung erfahren. Eine Anzahl triangulärer Formen
findet sih auch im ausgehenden Magdalenien und im Azilien,
unter anderem in dem für uns den geographischen Übergang bil-
denden Gebiete der Rhone.
Die Beobachtungen finde ich zum Teil durch meine Ausgra-
SECH in Süddeutschland bestätigt. Die Vorläufer der geometrischen
1) Abbe PARAT, La Grotte des Hommes ä Saint-More. Bull. Soc. des Sc.
d’Yonne 1896.
2) PIETTE, Sur la grotte de Gourdan. Bull. Soc. Anthr. Paris 1873.
) Le Gisement d’Ofnet. l’Anthropologie (Variétés) 1909. Bd. XX. S. 213—14.
= 60; <2
Tardenoisientypen sind in allen Fundplätzen des Magdalenien und
besonders des Spätmagdalenien, einzelne in denen des Spätaurignacien
enthalten. Aber die spätpaläolithischen Einflüsse verbreiten sich noch
weiter über das Frühneolithikum. SARAUW’) hat zuerst auf die nahe
Verwandtschaft der Frühneolithikkulturen Dänemarks mit dem Spät-
paläolithikum hingewiesen, MUNRO?) eine gleiche für England,
REINECKE?) und KOSSINNA *) für Deutschland. Allein die
Übereinstimmung dieser Kulturen wurde im wesentlichen auf die
Ähnlichkeit einiger Knochenarbeiten besonders der Azilienharpunen
begründet. Eine Durchsicht der frühesten neolithischen Funde
Deutschlands zeigte mir bisher noch unbeachtet gebliebene Ver-
bindungen, die zwischen den frühneolithischen und spätpaläolithi-
schen Kulturen bestehen, und zwar eine Fortdauer der technischen
Konventionen des Spätpaläolithikum an den Steingeräten des
Frühneolithikum, die einerseits einen Einschlag des Magdalénien,
andererseits des Aurignacien erkennen lassen und selbst die paläo-
lithischen Leitformen wieder hervorbringen. Diese über das
Magdalénien hinausgehende spätpaläolithische Technik beharrt bis
zum Campignien. Ih muss mich an dieser Stelle auf diesen
Hinweis beschränken, während ich mir eine weitere Besprechung
an der Hand von Illustrationen in einer späteren Arbeit vorbehalte.
Die Tardenoisienmikrolithik fällt also teils in das Diluvium selbst,
teils in die heutige geologische Ara. Für die Annahme der Gleichzeitig-
keit des Azilien und Tardenoisien spricht eine mir kürzlich mitgeteilte
Nachricht von BREUIL, OBERMAIER und ALCALDE DEL RIO über
ihre ergebnisreichen Forschungen in den Höhlengebieten Nordspaniens ).
Die erwähnten Forscher fanden in der Höhle von Valle bei Racines
(Provinz Santander) ein typisches Azilien mit flachen Hirschhornharpunen,
Helixschichten und zahlreichen Tardenoisientypen nebeneinander; eine
gewisse Parallele zu den Funden der Ofnet, wo die Verbindung der
rituellen Bestattungsweise und der Schmucksitten des Spätpaläolithikum
mit den technischen Konventionen und Schmucksitten des Tardenoisien
auf innige Berührung oder Verschmelzung des Tardenoisien mit den
Kulturelementen des Spätpaläolithikum schliessen lässt.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich also, dass wir
die Ofnetbestattungen in eine ältere dem Diluvialpaläo-
lithikum nahestehende Epoche mit Tardenoisientypen zu
setzen haben, die mit dem Azilien zusammenfällt. Die
analogen Bestattungsgebräuche, die uns das ausgehende
Paläolithikum bieten, berechtigen, wie auch die Begleit-
fauna, diese chronologische Zuteilung. Daher darf die
D SARAUW, En stenalders boplads i Maglemose ved Mullerup, sammenholdt
med beslaegtede fund. Aarböger for Nord. Oldkyndighed og Historie 1903, S. 148 f.
) Robert MUNRO, On the transition between palaeolithic and neolithic
civilisation in Europe, in the Archaeological Journal, Bd. LXV, 1908, S. 205—244.
3) REINECKE, ZurKenntnis der frühneolithischen Zeit in Deutschland. Mainzer
Zeitschr. Bd. III, 1908.. S. 44 68.
*) KOSSINNA, Der Ursprung der Urfinnen und der Urindogermanen.
Mannus I, S. 25 ff.
8) Vergl. den indessen erschienenen Bericht von H. OBERMAIER, der diluviale
Mensch in der Provinz Santander (Spanien). Prähistorische Zeitschrift. Bd. I, H. 2, 1909.
=; 161 =S
Zugehörigkeit der Massenbestattung der Ofnet zum Azillen-
Tardenoisien, als diejenige Epoche, die sich unmittelbar
dem Sp&tmagdalénien anschliesst, als feststehend be-
trachtet werden.
Die Ergebnisse der anthropologishen Untersuchung des Ofnet-
materials, die SCHLIZ vornahm, mögen hier kurz angedeutet sein, ohne
sie mit meinen Ausführungen weiter in Einklang zu bringen. Unter
den Bestatteten beider Bestattungskreise finden sich Repräsentanten
zweier verschiedener Rassen, die nach SCHLIZ’s neuerer Feststellung dem
Grenelletypus und dem Brünn-Engistypus angehören. Die Bevölkerung
des Azilien-Tardenoisien der Ofnet ist ausserordentlich kleinwüchsig
gewesen, doch finden sich zwei Schädel von grösseren Ausmassen
darunter. Ein abgeschlossenes Urteil hierüber steht bevor.
Für die eigentümliche Orientierung der Ofnetschädel nach Westen
fehlt aus den steinzeitlichen Kulturkreisen Europas jegliches analoge Vor-
kommen. Der Orientierung der Schädel, die beiden Gruppen gemeinsam
ist, mag eine religiöse Idee zugrunde liegen, die sich vielleicht der Auffassung
der alten Ägypter nähert, die das Reich ihrer Toten im Westen wähnten.
Sie isolierten den Schädel und zergliederten den Körper ihrer Abge-
schiedenen, um vor der Wiederauferstehung der Toten gesichert zu sein.
Auch einige ethnographische Vergleiche mögen zur Illustration jener
eigenartigen Bestattungsweise herangezogen werden und zugleich die
Mannigfaltigkeit der Deutungsweise uns bezeichnen. Bei den Bestattungs-
bräuchen der Naturvölker kehrt die Sitte, einzelne Teile des Körpers
besonders zu behandeln, häufig wieder, und vor allem ist es der Kopf,
der gern vom Körper getrennt und besonders aufbewahrt wird. So
findet sich im Gebiete des Buddhismus in Tibet und in Bhutan die
Sitte, den Leichnam auszusetzen, ihn zu zerschneiden oder den Raub-
vögeln zu überlassen, während der Kopf von den Anverwandten, beson-
ders dem Sohne, ‚als Heiligtum aufbewahrt wird. Eine ähnliche Auf-
fassung wie die Ägypter hegt der Indianerstamm der Bonaks, dessen
Totenbannung eine Entvölkerung der Erde vorzuschützen sucht. U. a. m.
Kehren wir zu unserer Ofnetbestattung zurück. Die grosse Anzahl
der beisammenliegenden Toten musste den Gedanken an den Ver-
bleib der dahingeshiedenen Seelen erwecken und mochte die Vor-
stellung eines besonderen Totenkultus hervorgebracht haben, zu der
viele Naturvölker gelangt sind, ein Glaube, der sich zuweilen mit den
Vorstellungen des scheinbaren „Todes der Sonne und des Mondes im
Westen“ verknüpft ') (das Havaiki der Polynesier).
Mit der Totenbannung aufs innigste verbunden ist die Teilbe-
stattung und Verbrennung bei den prähistorischen Primitiven, wie bei
den einzelnen Stämmen heutiger Naturvölker.
| Schliesslich mögen die kolorierten Steine, die wahrscheinlich den
metaphysischen Anschauungen der Azilienbevölkerung entsprungen sind,
mit jener eigenartigen Bestattungsweise in Einklang gebracht werden
können. Die Kunst der Azilienbevölkerung hat sich bereits gänzlich
von der realistishen Darstellungsweise der Kunst des paläolithischen
Jägers entfernt. Selbst die auf zoomorphischer und technisch-stilistischer
1) SCHURTZ, Urgeschichte der Kultur.
— 62 —
Grundlage beruhende Verzierungskunst hat hier konventionellen Zeichen
Platz gemacht, die vollkommen von der früheren Kunsttradition losgelöst
erscheinen. Arthur Bernhard COOK ) glaubt den „Galets colories“
eine ähnliche Bedeutung beimessen zu dürfen, wie sie die Churingas
der Bewohner Zentralaustraliens besitzen. Diese Churingas aus Stein
oder Holz sind mit zahlreichen Zeichen in Form einfacher roter Streifen
oder gravierter Zeichen ausgestattet. Ohne in der Darstellung irgend
welche Ähnlichkeit mit lebenden Wesen zu erreichen, stellen dieselben
die Abgeschiedenen dar, deren Seele in sie übergegangen. Auch
SPENCER und GILLEN berichten uns über die Arunta, dass jede lokale
Totemgruppe ihr Churinga-Depot an einem sicheren Versteck oder in
einer Höhle besitzt. Geoffroy SMITH *) gibt eine gleiche Erklärung
von den Churingas bei den Tasmaniern und seine Mitteilung bestätigt,
dass die kolorierten Steine die Abgeschiedenen darstellen. Diese Aus-
legung ist uns um so bedeutsamer, da die Tasmanier in mehr als einem
Punkte eine auffällige Verwandtschaft mit den paläolithischen Jäger-
stämmen zeigen. Der Totemglaube der spätpaläolithischen Bevölkerung
steht nicht unvermittelt vor uns. REINACH hat bereits früher seine
Ansicht, dass die Tierzeichnungen einer totemistischen Vorstellung ent-
springen, geäussert, Nun haben CARTAILHAC und BREUIL in ihrem
hervorragendem Werke „La Caverne d'Altamira“ an der Hand eines
umfangreichen ethnographischen Vergleichsmaterials der rezenten stein-
zeitlichen Jägerstämme jene Frage nach allen Seiten erschöpft und
sind zu dem gleichen Resultate gelangt, dass ein Kausalzusammenhang
zwischen der naturalistischen Tierdarstellung und dem Totem bestehe °).
Hierauf und auf ethnographisch vergleihendem Boden fussend, glaube
ich wenigstens auf den Weg zu einer Erklärung jener eigenartigen Be-
stattungssitten der Ofnet hinweisen zu können, und möglicherweise den
Bestattungsritus der Ofnet und die Sitten der Azilienbevölkerung West-
europas auf gleiche oder verwandte Ursachen zurückführen zu dürfen,
als hervorgegangen aus gemeinsamen Wurzeln geistiger Kultur. Die
Schädel der beiden Bestattungskreise, deren Nacheinanderbeisetzung
ich als sehr wahrscheinlich betrachte, lassen auf ein längeres Verweilen
schliessen, als wir gemeinhin einem paläolithischen Jägervolke zutrauen.
Die Anlage eines Totensammelplatzes spricht zugleich für ein bereits be-
stehendes soziales Gefüge jener Kulturträger. Denn eine gewisse kultur-
fördernde Bedeutung mag, wie SCHURTZ betont, die Ansammlung von
Toten an einem Platze haben, „die Massengräber werden leicht zu
Sammelpunkten und Heiligtümern eines Volkes und bilden den Kristal-
lisationskern fester gesellschaftliher Gebilde“. Damit würde sich aber
zugleich das Niveau dieser Bevölkerung mehr und mehr den Kultur-
elementen der Vollneolithiker nähern. Den Hiatus, den die geologisch-
stratigraphische Forschung bereits ausgefüllt hat, sehen wir auch in
kultureller Beziehung vollständig überbrückt und die Übergänge sich
allmählich vollziehen.
1) Arthur Bernhard COOK, Les Galets peints du Mas d'Azil, l’Anthropologie,
XIV, 1903.
2) SMITH, A naturalist in Tasmania; Auszug in The Nation, New York, 1909,
I, p. 519.
3) Vgl. auch GROSSE, Anfänge der Kunst.
— 63 —
Geh.-Rat Prof. Dr. Bezzenberger:
fragt den Vortragenden, wie die beiden unter den Ofnet-Schadeln nach-
gewiesenen Rassen sich auf das männliche und weibliche Geschlecht
verteilen.
Dr. R. R. Schmidt:
erwidert, dass dies noch nicht untersucht worden sei.
Univ.-Professor Dr. Kossinna:
Ih möchte besonders darauf hinweisen, dass wir Dank der
Forschung des Herrn Dr. Schmidt nunmehr zum ersten Male auch aus
Süddeutschland die eigentümliche Stufe des Frühneolithikums kennen
lernen, die wir das Asylien nennen, die bisher nur in Westeuropa,
Frankreich, England und Schweiz, festgestellt worden war. Gleichzeitig
bemerke ich, dass die merkwürdige Sitte der Ockerbestattung keines-
wegs mit dem Frühneolithikum aufhört, sondern im Spätneolithikum,
namentlich Südrusslands, ganz gewöhnlich ist, wie ich das 1908 in
meinem Vortrage über die Urnidogermanen näher ausgeführt habe
(mittlerweile vollständig veröffentlicht Mannus II, 80 f. und 107 f.).
Selbst in die Bronzezeit setzen sih die „rot gefärbten“ Skelette
mancherorts fort.
Diluvialarhäologische Konferenz.
Mit Tafel II.
HAHNE gibt zunächst für diejenigen Teilnehmer, die weniger in
die Ergebnisse und Fragen der „Diluvialarchäologie* eingeweiht sind,
einen Überblick über die derzeit herrschenden Ansichten betreffs Eintei-
lung der Kulturreste des quartären, paläolithischen Menschen und ihre
Einreihung in die geologischen Eiszeit-Schemata. -— Die archäologi-
schen Einteilungen gingen bisher aus von den Funden in Frankreich,
dem klassischen Lande des Paläolithikums, die geologischen von den
Ergebnissen der Glazialgeologie der Alpen und Nordeuropas.
Die von vornherein durch diese Verschiedenheit des Standpunktes be-
dingten Schwierigkeiten der Parallelisierung verstärkten sich fort-
während, je eingehender hier und dort die Forschungen betrieben wurden
und je feiner die Unterscheidungen regionaler und chronologischer Art
in der Diluvialgeologie und Diluvialarchäologie wurden.
Für die weitere Arbeit der Diluvialarchäologie der eigentlichen
Urgeschichte, können die Erfahrungen der „Vorgeschichte“, d. h. der
Archäologie der späteren prähistorischen Kulturperioden nützlihe Winke
und wertvolle Arbeitshypothesen geben: Grosse und kleine Wanderungen
von Menschengruppen und Kulturerscheinungen sind sicher auch für die
Urzeit anzunehmen zur Erklärung von Erscheinungen, die gegen einseitige
Schemata verstossen! In der Diluvialpaläontologie spielen mit Klima-
veränderungen gleichgehende Ab- und Zuwanderungen verschiedenartiger
Tiergruppen nach verschiedenen Richtungen bereits eine grosse Rolle.
— 64 —
So scheint mir u. a. die Untersuchung nötig, wieweit Frankreich
bezw. Westeuropa wirklich das Ausgangsgebiet aller quartären Kulturen
Nord-, Mittel- und Südeuropas ist. Das Vorhandensein oft beträchtlicher
„kulturfreier“ Schichten und das Auftreten eingreifender geologischer
Erscheinungen (Erosion, Aufschiittung) zwischen den klassischen Hori-
zonten scheint mir diese Zweifel zu rechtfertigen, zumal wenn dieselben
Horizonte in anderen Gebieten weniger voneinander geschieden sind,
sollte diese Möglichkeit erwogen werden, wie z. B. gerade betreffs des
Moustérien und Aurignacien.
Dazu kommt, dass sich bei eingehenderer „Typologie“ die bisher
auf Grund des alten französischen Schemas fast immer stillschweigend
angenommene lückenlose Entwicklungsfolge der paläolithischen Kulturen
doch als zweifelhaft erweist. So deutete z. B. HORNES bereits an, dass
das Solutréen mit dem weit älteren Acheuleen nähere Form-Verwandtschaft
zeigt als mit den im System benachbarten Stufen. Solange wir aber
keine erschöpfenden, geologish und archäologisch einwandfreien und
moderner Fragestellung genügenden Veröffentlichungen der grossen, gar
sehr zerstreuten Fundmaterialien haben, müssen wir uns allerdings bei
vorsichtigen Vermutungen bescheiden. Leider bringen Museen-Reisen’)
hier auch nicht immer die nötige Aufklärung, zumal nicht in Frankreich!
Die Arbeiten von WÜST und mir in den quartären Travertinen
des Ilmtales bei Weimar, Ehringsdorf und Taubach, leitete von vornherein
der Grundsatz, altes und neues verwendbares Material möglichst voll-
ständig, wenigstens in Bild und Beschreibung, zusammenzubringen, die
Fundschichten detailliert zu untersuchen und ihre Einschlüsse an paläon-
tologisch-archäologischen Funden möglichst genau zu horizontieren, was
bisher fast gänzlich versäumt worden war. Dabei arbeitete jeder von
uns für sich mit den Methoden seiner Wissenschaft; desto erfreulicher
und wertvoller dürfte die Übereinstimmung der Ergebnisse sein.
Seit dem Jahre 1871 sind in Weimar, 1876 in Taubach, etwa
1900 in Ehringsdorf Kulturreste aus den diluvialen Travertinen be-
kannt. Die reihen Fossilienfunde dieses Schichtenkomplexes gaben
die ersten Versuhe der Einreihung derselben in die Eiszeit-
schemata; eine exakte archäologische Diagnose kam lange Zeit nicht
zustande, die Funde schienen zu „uncharakteristisch“; höchstens dem
weitgefassten , Moustérien“ wurden sie zugezählt, dann gab man sie
dem Chelléen, auch dem Eolithikum, durch geologische Gründen ver-
führt. Dem Moustéro-Chelléen wurden sie zuerst von OBERMAIER,
zuletzt 1908 (Korr.-Bl. d. dtsch. Ges. f. Anthr. 1908, S. 9—10) von
VERWORN zugewiesen.
1907 habe ich aber bereits auf die Verwandtschaft der damals
vorliegenden Funde mit dem neuerkannten Présolutréen BREUIL’s,
im speziellen der Stufe von Hastière hingewiesen ) (Zschr. f. Ethnol.
1907, S. 261—62); diese Ansicht wurde durch unsere weiteren Arbeiten
und neue Funde bestärkt, und zu der Ansetzung erweitert, die in der
1) Wären erst alle paläolithischen Materialien so durchgearbeitet wie in den
von R. R. SCHMIDT neugeordneten süddeutschen Sammlungen!
1) Diese Feststellung muss immer wiederholt werden, so jetzt gegen die Be-
merkungen MOLLER’s im Mannus 1909, Heft 1/2,S. 156. (Vgl. Zschr. f. Ethn. 1908,
S. 881 — 87.)
Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte. I. Ergänzungsband. SE E dé
Abb. 1. Schaber mit feiner Randbearbeitung.
Ehringsdorf, Fischers Bruch. Illter der b
4 Horizonte der „Hauptschichten“. Abb. 2. Schaber.
Abb. b stellt den (in der Abb. a unteren) Ehringsdorf, Fischers Bruch. IV ter (oberster)
Schaberrand dar. der 4 Horizonte der „Hauptschichten“.
Abb. b stellt den (in der Abbildung a
unteren) Schaberrand dar.
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Abb. 3. Doppelspitze. Ehringsdorf. Schwarzscher Bruch. Etwa 1 m unter d. Pariser.
Diluvialarchäologische Konferenz. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg.
— 65 —
unten folgenden Tabelle wiedergegeben wird. Es darf i. U. wohl auf
die früheren Zusammenfassungen unserer Ergebnisse hingewiesen werden,
so die im Bericht über die Prähistorikerversammlung in Köln 1907,
S. 75 ff. (mit Literaturliste) und die Referate im Archiv für Landes-
und Volkskunde der Provinz Sachsen. Halle 1909.
WUST: Die paläolithisdien Fundstätten der Gegend von Weimar
sind die am meisten genannten Deutschlands. Ihre Bedeutung beruht
weder auf einer besonderen Reichhaltigkeit des Fundmateriales noch,
wie vielfach zu Unrecht angenommen worden ist, auf einem besonders
hohen Alter, sondern vielmehr darauf, dass sih der Einordnung der
Funde in die Stufenfolge der diluvialen Kulturen grosse Schwierigkeiten
entgegenstellen, denn solche Kulturen dürfen nicht mit dem Schlagworte
„atypisch“ abgetan werden, sondern verdienen vielmehr eingehendste
Untersuchung, weil sih gerade in den Erscheinungen, welche nicht in
des landläufige Schema passen, die wichtigsten Quellen neuer Erkenntnis
eröffnen. Die paläolithishen Fundschichten der Gegend von Weimar
sind geologisch gesprochen jung: sie gehören der letzten grossen (Riss-
Würm-) Interglazialzeit an. Das Profil der Diluvialablagerungen der
Gegend von Weimar lässt erkennen, dass sich die letzte Interglazialzeit
aus zwei Waldzeiten und einer zwischen diese fallenden Steppenzeit zu-
sammensetzt. Der ersten dieser beiden Waldzeiten gehören alle zur
Zeit arhäologisch bereits genauer beurteilbaren Funde an. Die
Kulturen der interglazialen Waldzeiten, aus denen verhältnismässig sehr
wenige Ablagerungen vorhanden sind, fehlen grossenteils in dem üblichen
Schema der Aufeinanderfolge der diluvialen Kulturstufen und daraus
erklärt sich die Schwierigkeit der Einordnung der paläolithischen Kulturen
der Gegend von Weimar. Die Geologie zeigt durch den Nachweis
zweier interglazialer Waldzeiten, welche zeitlichen Lücken in dem üb-
lichen Schema bestehen, und wie verfehlt es daher ist, die bisher ge-
nauer bekannt gewordenen Kulturen für die aneinander schliessenden
Glieder einer lückenlosen Entwickelung zu halten.
HAHNE: Zu dieser Tabelle seien noch einige Bemerkungen ge-
stattet. Sie sehen, dass ich nicht kurzerhand das ganze Fundinventar
einer Schicht von WEI als oberes „Moustérien“ oder ,Aurignacien“
bezeichne; davor warnen den Prähistoriker die Erfahrungen mit den
Begriffen Hallstattkultur und Latene-Kultur!
Mit den Formen und der Technik der Funde von La Quina (oberes
Mousterien) zeigen viele Stücke aus den Hauptschichten von Ehrings-
dorf allerdings weitgehende Ähnlichkeit, verbunden aber mit Abweichungen
mancherlei Art. — Zum westeuropäischen Aurignacien bestehen allerlei
„Beziehungen“; mehr ist nicht sicher zu sagen und auch nie von mir
behauptet worden. Ich sehe solche Beziehungen in allen Horizonten
von W-E-T. Aus T. liegt eine doppelt durchbohrte Rehphalange vor,
und aus T. und W. allerlei Schaber- und Kratzerformen (z. B. kleine
ringsum fein und steil bearbeitete Geräte u. a. m.), die sehr an die
Typen des Aurignacien erinnern, mehr als an die des Mousterien oder
älterer Stufen. Ähnliches ist mir z. B. aus den mit T. (geologisch und
paläontologisch) parallelisierten Wildkirchli nicht bekannt, liegt aber nach
R. R. SCHMIDT’s Mitteilung vor in dem Moustérien (mit kalter
Fauna —) vom Sirgenstein. Aus Frankreich kenne ich ähnliche Er-
5
Abschnitte des
Eiszeitalters Ablagerungen
Ilm Kies (1—2 m) ; —
Fossilien-
Ill. oder Riss-Eiszeit - bestand Sr re
kalten 5
' is Blumenb.
Unt Reicher
d T cd age Fossilien- El. antiquus
Wald- 885 8888 ; 3 bestand |Falc. Rhin.
phase DR 'gemässigten Merckii Jag. (Schwalbe)
Waldklimas
Ill. oderRiss-
Würm-
Interglazial- |
Zeit
i | Ärmlicher ee
= 00.00... Fossilien- =
Steppen- | bestand
phase Loss ( Pariser“) kontinenta- er
| | ca. Im lenSteppen-
| ` klimas |
Pr Fos- El. antiquita-
| Il. | Obere liar Tos tis Blumenb.
WR. | Travertine. | Seance asl ik Mercii |
— | a bis ca: 285 Waldklimas | 8
s ? Gehängeschutt El. primigen. El. primigen.
IV. oder Würm-Eiszeit (bis ca.3,5m) Z.T. D
G Gehängeschutt u; Gm 8
(bis ca.3,5 m) z.T.
Postglazialzeit u. wohl äolischer
Löss (b. ca. 0,5 m)
Tabelle. (Hierzu Taf. II, Abb. 1—3)
Gegend von Weimar
Fossilien-
Ärmlicher
Arten von
Elephas und Reste von
bestände Rhinoceros Menschen |
primigenius
|
|
Weimar
|
|
Körperliche
Homo
“Auf der Oberfläche der Kiese
uncharakteristischeSilex- und
Quarz-Abschläge
Unsichere Funde von un-
charakteristischenAbschlägen
|
Sandige Hauptfundschicht:
„Taubackhorizont“
mit gleichem Steingerät-
inventar, wie in T. und frag-
licher Knochenbearbeitung
Wie in Weimar
Wie in Weimar
Ehringsdorf
| Taubadh
Menschliche Kultur-Reste
(geglättetes Knochenstück)
Sandige Hauptfundschicht :
„Taubachhorizont*“
Primitive kleinliche Abschlag-
Industrie m. T. feiner fechnik
| (ähnl. d. unt. Moustérien
| Sirgenstein).Primit.Knochen-
bearbeitung. Durchbohrte
| Rehphalange. Anklänge an La
| Quina u. Aurignacienformen.
EhringsdorferHauptschichten |
(Fischers Bruch! Etwa 4Hori- |
zonte). La Quina-Typen und
-Technik. Anklänge an das
Aurignacien. (Abb. 1. 2.)
—
(Schwarz, Doppelspitzeabb.3)
Im ganzen: Inventar ähnl. d.
Pariser:
| Uns
Ehringsdorf oberst.Schichten |
„Hauptschichten“.
Unsicher, ob Kulturreste
enthaltend.
An der Oberfläche des
uncharakt. Abschläge
melle (Magdalénien?
Neolithikum 2).
icher: 1 schlanke gr. Lam- |
| BE
|
Unsichere Funde —
a
2
Digitized by Google
ss GT oe
scheinungen, es treten z. B. in der unteren Stufe von La Micoque, auch
in der Fundschichht des Homo Mousteriensis Typen auf, die z. B. „dicke
Kratzer“ und andere Aurignaciengerate in der Form vortäuschen — viel-
leicht „vorahnen“? Das können aber auch Konvergenzerscheinungen sein.
Das Auftreten der Doppelspitze (Abb. 3) und feinbearbeiteter
anderer aus Lamellen hergestellter Spitzen, in den oberen und
obersten Ehringsdorfer Schichten, und die verfeinerte „Aurignacien“
(-Druck!-) -Retusche (Abb. 1) inmitten des La Quina-Inventares: Das
scheinen doch „Beziehungen“ trotz des Fehlens des übrigen klassischen
Aurignacien-Inventares zu sein. — Eine zweite Frage ist es, ob hier
Einflüsse etwa aus dem klassischen Aurignacien auf eine lokale, sonst
im Stile des oberen Mousterien weiterarbeitende Steintechnik vorliegen,
oder etwa Vorstufen, aus denen sich das eigentliche Äurignacien ent-
wickelt hat, das dann in Westeuropa seine Blüte erlebte: Das würde
Ost-West-Wanderungen voraussetzen! Die Stein-Industrie des Menschen
von Krapina und Spy (in letzterem Fundorte zwischen einem Mou-
stérien- und einem Solutréen- Horizont eingeschaltet) scheint ähn-
lihen „La Quina-Charakter“ mit Anklängen an fortgeschrittene Indu-
strien zu zeigen. Auf alle Fälle ist einerseits das Urteil VERWORNS
(Korr.-Bl. d. dtsch. anthr. Ges. 1908, S. 63) allzu summarisch: Dass die
oben abgebildete Doppelspitze, (die keineswegs eine „prachtvolle Technik“
zeigt), gleich für die ganze Fundschicht „oberes Aurignacien“ als Be-
zeichnung rechtfertigt. Andrerseits ist WIEGERS', allerdings auf geo-
logischen Umwegen gewonnene Überzeugung, dass die Funde von W-E-T
dem ,Chelléen oder Alt-Acheuléen* zuzuschieben seien, nicht archäo-
logisch belegt. (Präh. Ztschr. I, 1909, S. 10 ff.).
Wenn einst bei den Ausgrabungen an den (für unsere Systeme
immer noch in vielen Beziehungen klassischen) westeuropäischen Fund-
stellen nicht mehr die grossen Mengen der unscheinbaren Klein- und
Nebengeräte der Kulturhorizonte auf die Abfallhalden wandern werden,
und wir authentishe Gesamtinventare der einzelnen diluvialarchäo-
logischen Kulturen und „Typenkarten“ haben werden, wie sie sich in der
Vorgeschichte immer mehr bewähren als unentbehrliches „Quellenmaterial“
— dann werden wir mit Berechtigung so apodiktisch urteilen können,
wie es heute nur unberechtigterweise geschieht.
In der „diluvialarhäologishen Ausstellung“ dieser
Tagung finden Sie u. A. das gesamte arhäologisheFundmaterial
von WUST’s und meinen gemeinsamen Untersuchungen in W-E-T auf-
gestellt, sowie ergänzende Darstellungen und Abbildungen von bzgl.
Material aus anderem Besitz!).
BLANCKENHORN: Im Jahre 1905, als Herr Dr. HAHNE und
RUTOT noch an ein eolithisches Alter der Taubachindustrie dachten,
habe ich als einer der ersten bereits mit aller Schärfe meine Meinung
dahin ausgesprochen und zu beweisen gesucht, dass es sich bei der
betreffenden Industrie von Taubach nur um Mousterien bezw. spätes
Altpaläolithikum handeln könne. An dieser Meinung halte ich noch
heute fest, auch im Gegensatz zu WIEGERS, der neuerdings die Tau-
1) Eine Darstellung des gesamten Materiales der „Diluvialarchäol. Ausstellung“
wird an anderer Stelle gegeben werden.
AN
= UGB. zei
bachfunde dem Adcheuléen zustellen möchte, was ich für ebenso ver-
fehlt halte, wie die Zuteilung zum Solutreen oder zum Aurignacien.
Die von H. WUST (aus der nicht geniigend bewiesenen Aquivalenz
von Pariser und Löss und einem einzigen angeblihen Funde von
Rhinoceros Mercki über dem Pariser) geschlossene Dreiteilung des
letzten Interglazials mit zwei warmen Waldphasen mit Rhinoc. Mercki
unten und oben und einer trockenen kühlen Löss- oder Steppenperiode
dazwischen als Höhepunkt des Interglazials erscheint mir theoretisch
vorläufig noch so unverständlich, dass noch viel sicherere und unzwei-
deutigere Fundtatsachen abgewartet werden müssen, bevor man dieser
gewagten Hypothese ernstlich näher tritt.
WÜST beantwortet einige von Dr. KORN-Berlin an ihn gerichtete
Fragen über die Lagerungsverhältnisse der IImschotter und des Parisers
in W-E-T. ).
R. R. SCHMIDT hält die oberen Funde von W-E-T nicht für
Aurignacien sondern erkennt eine gewisse Verwandtschaft mit der Ar-
beitsweise der La Quina-Kultur und Ubergangsphase zum Jungpaläo-
lithikum, also oberes Mousterien an. Die Technik der Stüce ist
überall in W-E-T von der des Aurignacien sehr verschieden, auch an
der Doppelspitze. Die Formen, die HAHNE für Aurignacien ähnlich
hält, kommen schon im Acheuléen, besonders aber in La Quina vor.
WUST hält für wahrscheinlich, dass im Sirgenstein usw. Kultur-
und geoiogische Horizonte fehlen, besonders weil sein Wald-Steppe-
Wald-Turnus im Sirgenstein nicht belegbar ist.
HAHNE: Uber die Form-Ahnlichkeiten bei Retusche-Differenzen
liessen sich Vermutungen anstellen (Materialschlechtigkeit? Schlechtere
Nachahmung besserer Vorbilder oder „Vorstufen“ für westeuropäische
höhere Formen bezw. Technik). Ich gebe Schmidt zu, dass die Technik der
mit den „Aurignacien“ verglichenen Stücke aus W-E-T nicht identisch
ist mit den „klassischen“ Stücken; man darf aber wohl nicht auf die
Technik alles Gewicht legen.
Wir stehen noch mitten in der Arbeit in allen den hier berührten
Fragen. Unterhaltungen, wie die heutigen, und Diskussionen an der
Hand möglichst vollständigen Materials werden Klarheit in unsere Fragen
bringen. Bis dahin wird noch viel für Diluvialgeologie und Diluvial-
archäologie zu tun sein, besonders auch zur Ausbildung der beider-
seitigen Forschungs methoden!
Betreffs der archäologischen Parallelisierung von W-E-T ist Folgen-
des als Ergebnis der heutigen Diskussion und den Unterhaltungen
an der Hend des ausgestellten Materials festzustellen: Wohl allgemein
ist als zweifellos anerkannt die weitgehende Übereinstimmung der
Funde aus den mittleren Schichten der unteren Travertine
von Ehringsdorf (besonders auch der neuesten Funde aus dem
FISCHER schen Bruch) mit den La Quina-Typen. Die Doppelspitze
ist nah R. R. SCHMIDT ebenfalls in La Quina-Technik hergestellt. Die
kleinliche Industrie von Taubach (Taubachhorizont der unteren Tra-
vertine) ist sichtlih demälteren, unteren Moustérien des Sirgen-
1) Meine Antwort auf die vorausgehenden Bemerkungen des Herrn Blancken-
horn fehlt, weil diese Bemerkungen nicht in der Diskussion gefallen waren, sondern
nachträglich in den Sitzungsbericht eingefügt worden sind. Wüst.
— 69 —
steins verwandt. Einige Stücke der Ehringsdorfer Funde
fallen in der Technik aus dem Rahmen der La Quina-Stufe und zeigen
z. T. zweifellos deutliche Anklänge an Aurignacienretuscke,
so das in Abb. 2 dargestellte Stück aus dem Fischer'schen Bruch.
BLANCKENHORN, Berlin: legt im Auftrage der Frau Professor
SELENKA einige Knochenreste aus den bekannt gewordenen Pithecan-
thropus-Schichten von Trinil in Java vor, die von den Ausgrabungen
der Selenka-Trinil-Expedition herrühren und nach der Auffassung des
Herrn Dr. CARTHAUS, des letzten Geologen dieser Expedition, Spuren
menschlicher Bearbeitung aufweisen. Die Frage, ob in diesen altdiluvialen
oder oberpliocänen Schichten Spuren des Menschen als Zeitgenossen
des Pithecanthropus vorliegen, ist in javanischen, holländischen und
deutschen Tageszeitungen, auch mehreren wissenschaftlichen Zeitschriften
zuerst von Dr. CARTHAUS, dann besonders von Dr. ELBERT, dem
früheren Geologen der Selenka-Expedition, angeschnitten worden, ob-
wohl letzterer gerade die am meisten in Betracht kommenden Stücke
seiner Zeit übersehen und achtlos beiseite geworfen hatte. Namentlich
aus diesem von ELBERT und Dr. DENNINGER weggeworfenen Abfall
hat nun Dr. CARTHAUS besseres Material zusammengesucht, aus dem
er Schlüsse auf die Tätigkeit des Menschen in der Zeit der Ablagerung
der Pithecanthropus-Schichten zieht.
Die von H. BLANCKENHORN unter Zustimmung der Frau Professor
SELENKA und des Dr. CARTHAUS mitgebrachten Stücke sind nur
eine Auswahl dieser Suite und bestehen aus zwei spitzen und zugleich
scharfkantigen Elfenbeinstücken eines Stegodon-Stosszahnes, die beide
gut in der Hand liegend eine gefährliche Schlag- und Stoss-Waffe darstellen,
einer Anzahl kleiner pfriemenartiger Knochensplitter, wie man sie in paläo-
lithischer Höhlenausgrabungen oft findet und einigen quer durchbrochenen
Röhrenknochen von Boviden und Hirschen mit teilweiser Schwärzung.
Nach dem im allgemeinen übereinstimmenden Urteil der Herren
Prähistoriker, welchen diese Stücke in Hannover vorgelegt wurden, wie
auch des H. BLANCKENHORN selbst, könnten die Sachen wohl von
Menschen benutzt und ein wenig bearbeitet sein, aber diese Annahme
ist keineswegs notwendig, da man wenigstens alle vorgelegten Stücke
sih auch auf rein natürlihem Wege durch verschiedene Vorgänge
in ihren jetzigen Zustand gebracht denken kann. Die Knochen, Elfen-
beinstücke und Kohlen sind also für sich allein noch nicht be-
weiskräftig, sie zwingen nicht zur Annahme der Existenz eines
Menschen während der Ablagerung der Pithecanthropus-Schichten, die
übrigens nach der Ansicht der Mehrzahl der in Betracht kommenden
Forscher (auch der Selenka-Expedition) nicht pliocänen, sondern diluvialen
Alters sind. Steinartefakte irgend welcher Art hat die Pithecanthropus-
Schicht überhaupt nicht geliefert.
Die nähere Beschreibung der in Rede stehenden fraglichen Manu-
fakte bleibt für die Abhandlung des H. Dr. CARTHAUS in der bald
erscheinenden grossen Publikation der Selenka-Trinil-Expedition, heraus-
gegeben von Prof. BLANCKENHORN, vorbehalten. Es erübrigt sich
demnach, hier auf weitere Einzelheiten einzugehen.
Schluss: 4 Uhr Nachmittag.
— 70 —
Nachm. 5 Uhr. Kgl. Technische Hochschule.
Vorsitz: Universitätsprofessor Dr. Kossinna.
Hochschulprofessor Bruno Schulz, Hannover:
Das Grabmal des Theoderih zu Ravenna und seine Stellung
in der Architekturgeschichte ).
Trotz des grossen Interesses, das die Forschung seit langer
Zeit dem Grabmal des Theoderih zu Ravenna zugewandt hat, ist, auch
in der dabei grundlegenden Frage der Rekonstruktion des Bauwerkes,
noch kein befriedigendes Ergebnis erzielt worden, weil die bisherigen
Ergänzungen ohne bestimmte wissenschaftliche Methode rein probierend
gemacht worden sind. Von der Tatsache aber ausgehend, dass ein
Bauwerk keine Willkür- oder Zufall-Schöpfung, sondern ein durch ge-
wisse Bedingungen gewordenes Glied einer bestimmten Entwicklungs-
reihe typischer Formen ist ebenso wie jedes organische Wesen in der
Natur, können wir mit mehr Erfolg als bei nur probierender Rekon-
struktion versuchen die ursprüngliche Gestalt des Bauwerks festzustellen.
In ihrer Gesamtanordnung zeigen die hellenistisch-römischen frei-
stehend errichteten Grabbauten eine ganz bestimmte typische Aufein-
anderfolge charakteristischer Teile: ein möglichst schlicht und geschlossen
gehaltenes hohes Untergeschoss, darauf ein meist mit den reichsten
Mitteln der Architektur ausgestattetes Hauptgeschoss, darüber ein nied-
riges attikaartiges Obergeschoss als Fuss für die darauf folgende zen-
trale Abschlussform, die als Pyramide, als Kegel oder als Kuppel ge-
staltet ist und in der Regel oben eine statuarische Bekrönung trägt.
Dieselbe Aufeinanderfolge zeigt auch das Theoderich-Grab in dem unteren
Zehneck, dem Zehneck des Hauptgeschosses darüber und dem niedrigen
Zylinder, der die monolythe Kuppel trägt. Die weitere Frage nach der
ursprünglichen äusseren Gestaltung des Denkmals im Einzelnen fällt nun
fast ganz zusammen mit der Frage nach der ursprünglihen Erschei-
nung des Hauptgeschosses, und diese, eine Frage der monumentalen
Wandausbildung, kann nur beantwortet werden auf Grund einer allge-
meinen Entwicklungsgeshichte der monumentalen antiken Wand. Diese
Entwicklungsgeschichte ist bisher noch nicht genügend bekannt, lässt sich
jetzt aber wenigstens in den grossen Zügen vom Beginne der klassischen
griechischen Zeit durch die hellenistische, die römische und die frühe
mittelalterliche Kunst verfolgen. Bestimmend und typisch für den zweiten
Teil dieser Entwicklung, etwa von Augusteischer Zeit an, ist die für
figürlich-plastishen Wandschmuck bestimmte Wandnische in rechteckiger
und giebelbekrönter oder halbkreisförmiger und bogenbekrönter Gestalt
mit architektonischer Umrahmung aus zwei Säulen mit Gebälk: Aedicula
und Concha, und deren Kombinationen und Weiterbildungen. Ursprüng-
lih als Schmuckform in eine durch Pilaster begrenzte Wandfläche ein-
zeln eingefügt, wird die Wandnishe dann in Reihen zu mehreren neben-
) Dieser durch zahlreiche Lichtbilder erläuterte Vortrag, der mit besonders
lebhaftem Beifall belohnt wurde, wird hier in kurzem Auszuge wiedergegeben; voll-
ständig erscheint er als Heft A der „Darstellungen über früh- und vorgeschichtliche
Kultur-, Kunst- und Völkerentwiclung“, herausgegeben von Prof. Dr. Kossinna.
ürzburg, C. Ka bitzsch.
— 71 —
einander angeordnet. Es entstehen so als Reihe von Bogennischen
die Blendarkade (Porta aurea zu Spalato) und als Reihe von Giebel-
nischen die Anordnung eines Zickzacks als Giebelreihe über Pilastern
(Torgebäude des Klosters Lorsch). Schliesslih werden diese Formen
durch Weglassen der Säulen oder Pilaster zum Bogenfries und Zid-
zackfries reduziert.
Acht von den Wänden am Hauptgeschoss der Theoderich-Grabmals
sind nun auch heute noch mit je zwei flachen Nischen geschmückt, über
denen sich, genau axial, je zwei rundbogige Einarbeitungen in der Wand
befinden, die gegen die Ecken des Gebäudes mit einer steilen Schräge
endigen, und die nur den Zweck gehabt haben können, darin einbin-
dende Rundbogen-Steine, also Verdachungen der Nischen, aufzunehmen.
Zu solchen Nischenverdachungen gehören aber historisch die typischen
sie tragenden Säulen, und auch technisch verlangen am Theoderich-
Grabmal die in die Wand wenig einbindenden Steine, für welche keine
weiteren Befestigungsspuren vorhanden sind, unabweislich eine noch-
malige Unterstützung vor der Wand. So haben wir uns also die Nischen-
paare mit je drei Säulen und je zwei in die Einarbeitungen zwanglos
passenden Verdachungen ausgestattet zu denken. Der Abstand der
Säulen von den Wänden wird nun bestimmt durch die Vorsprungstiefe
des an der Ostseite befindlichen Ausbaues (80 cm), der, wie die Ein-
arbeitungen an der Wand darüber beweisen, mit genau denselben Ver-
dachungssteinen überdeckt war wie die flachen Nischen an den anderen
Wänden. So fügt er sich auch in die allseitig symmetrische Silhouette
des Bauwerks harmonisch ein, während er bei dem jetzigen Zustand
des Bauwerks und anderen neueren Rekonstruktionen (von DURM und
HAUPT) für den Blik von Süden oder Norden her als hässlicher
Auswuchs aus dem sonst ganz symmetrischen Bau herausragt. Die
Westwand des Hauptgeschosses wird durch die Tür eingenommen, die,
wie die Einarbeitungen neben ihr für die Gebälkkröpfe zeigen, von zwei
Einzelsäulen flankiert war, die den beiden äusseren Säulen an den
übrigen Wänden entsprachen. Die Form dieser Einarbeitungen neben
der Tür, die mit gradliniger senkrechter Kante gegen die Tür hin auf-
hören, zeigt, dass hier das Gesims sich senkrecht in die Höhe kröpfte,
um dann wagerecht auf der noch vorhandenen konsolengetragenen —
ohne diese Zutat übermässig schwachen — Hängeplatte über der Tür
fortzulaufen, genau wie das noch vorhandene Kämpfergesims über der
Tür des Untergeschosses. Zwei einzelne rechteckige Einarbeitungen un-
mittelbar neben der Tür an ihrem oberen Ende zeigen durch Form und
Lage unzweifelhaft, dass sie einst die typischen antiken Türkonsolen
aufgenommen haben. Der Vorsprung der Wände des Untergeschosses
vor die des Hauptgeschosses (1,38 m) erklärt sih durch die Säulen-
stellung aus rein architektonischen Gründen, als „Umgang“ kann er nicht
aufgefasst werden, da Niemand da herumzugehen und des Toten Ruhe
zu stören hat; auch würde der „Umgang“ hinter dem Ausbau an der
Ostseite bei Annahme einer Umwehrung nur etwa 25 bis 45 cm lichte
Breite behalten.
Dem Sinn und Zweck der architektonischen Wanddekoration nach
gehört schliesslich in die Doppelnischen an den acht Wänden des Haupt-
geschosses noch Statuenschmuck und nach Analogie der hellenistisch-
der Kuppel eine
Helden selber.
freiendigende Bekrönung, etwa das Bild des dort ruhends a
leibt natürlich
Ob dieser Schmuck wirklich jemals ausgeführt war,
zweifelhaft.
So erklären sich zwanglos die an dem Grabmal des g
gotenkönigs uns erhaltenen Formen und zeigen, dass auch
und vielumstrittene Bauwerk sich harmonish an seiner Stell
sonst verfolgbare Entwicklungsgeschichte der Baukunst einreiht.
Geheimrat Universitätsprofessor Dr. Bezzenberger,
Königsberg i. Pr.:
Ostpreussische Grenzbeziehungen.
Mit 2 Abbildungen im Text.
In den Jahren 1877 und 1878 wurde unweit Gerdauen in der alt-
preussischen Landschaft Barten durch A. HENNIG!) ein reiches Gräber-
feld mit Münzen aus der Zeit von 1352 — 1413 aufgedeckt, das zwar nach
Lage und Bestattungsweise den Regeln der spätheidnischen Friedhöfe
der Westslawen ) entsprach, nach Verhör der geschichtlichen Zeugen)
aber als preussisch ‘anzusehen ist. Schon der Flurname des Gräber-
feldes: „Pracher-Liske“ (d. i. Bettler-Liske) gibt diesem preussisches
Gepräge, denn Liske ist ein preussisches Wort, bekannt mit der Bedeu-
tung „Lager“ und als Bezeichnung einer Krüger- und Gartner-Nieder-
lassung neben einem Ordenschloss ). Das Schloss aber dieser Liske
ist benannt nach dem preussischen christlichen Edlen Girdaw, der hier
seine Holzburg „post multa bella et impugnationes, quas a compatriotis
suis apostatis sustinuit“ verbrannte, um sich nach Königsberg zu flüchten “),
und zwischen dieser Begebenheit und den ältesten Münzen des Gräber-
feldes liegen nur etwa 80 Jahre. In diesem kurzen Zeitraum also
müsste die Gerdauer Gegend polonisiert sein, wenn die Gräber der
Pracher-Liske slawisch wären. Das ist aber nicht nur an und für sich,
sondern auch angesichts der damaligen politischen Verhältnisse und des
Auftretens des Ordens eben in dem Gerdauer Gebiet unglaubhaft und,
soweit ich sehe, mit keinem urkundlihen Faktum zu begründen. Man
übersehe auch nicht, dass der Inhalt jener Gräber eine wohlhabende
sesshafte Bevölkerung voraussetzt.
In diesem Gräberfelde nun sind nicht in weniger als 3] Exemplaren,
demnach als ein gewöhnliches Schmuckstück, Schnallenfibeln wie Abb. A
gefunden. Sie erscheinen als eine Abart der „Hufeisenfibel mit gerollten
Enden“ (Abb. B), die in Ostpreussen und den Ostseeprovinzen gegen
1) Vgl. seine Berichte: Zs. f. Ethnol. XI, 303, Sitzungsberichte der Altertums-
gesellschaft Prussia V, 9.
) S. MÜLLER, Schlesiens Vorzeit III, 192.
3) Im allgemeinen verweise ich auf meine Arbeiten über die litauisch-preuss.
Grenze, Altpreuss. Monatsschrift XIX, 650, XX, 123 und auf TÖPPEN, Geographie
S. 21, Lotar WEBER, Preussen vor 500 Jahren S. 132, 140, 535.
‘) TÖPPEN, Altpreuss. Monatsschrift IV, 148, 511.
5) Vgl. TÖPPEN, Geographie S. 216, BÖTTICHER, Bau- und Kunstdenkmäler
Ostpreussens Il, 98.
— laos 8 fe oe — —
== FE
Ende der heidnischen Zeit häufig ist!) und noch in dem Gräberfeld
bei Splitter (XIV.|XV. Jh., Sitzungsberichte der Prussia XXII, 345) vor-
kommt. Beiläufig bemerkt ist sie, wie mir scheint, die Fortsetzung
Abb. A, 1:1. Abb. B. 1:1.
einer bekannten provinzialrömischen Schnallenfibel und ist sicher die
Mutter einer nicht minder bekannten Scheibenfibel °).
Was diesen Gerdauer Fibeln ihr Besonderes gibt, ist die Gestaltung
ihrer Enden. Sie hat meines Wissens in Ostpreussen ihresgleichen nur
an einem Sporn aus Oberhof (Kreis Memel), der wahrscheinlich etwas
älter, aber zeitlich nicht genau zu bestimmen ist, und eine Übergangsform,
die jene Enden-Behandlung begreiflich machte, fehlt hier gänzlich.
Überhaupt stehen diese Enden nur durch ihre Linienführung nicht
völlig zusammenhanglos in dem gleichzeitigen Formenkreis Ostpreussens
und der Ostseeprovinzen, indem sie sich hierin mit Kettenträgern der
Wikingerzeit ’) und S-förmigen Schliesshaken‘) berühren. Allein diese
Ähnlichkeit ist so unauffällig und die ornamentale Behandlung, die
ornamentale Richtung dieser Stücke ist so besonders, dass sie, hier
fernzuhalten sind. Geradezu verblüffend ist dagegen die stilistische Über-
einstimmung der Gerdauer Fibeln mit slawischen Schläfenringen.
Nach der schon erwähnten °) grundlegenden Abhandlung S.MÜLLERS
und nachdem von LISSAUER ê) die Wiege dieser Ringe in Osterreich-
Ungarn vermutet war, hat NIEDERLE ““) ausgeführt, dass eine in der
ersten Hälfte des I. Jahrtausends n. Chr. in Ungarn gebildete Schläfen-
ring-Form (eben die mit S-förmiger Schlinge) in Böhmen Aufnahme
gefunden und von da aus sich unter den westlichen Slawen verbreitet
1) Vgl. z. B. meine Bronze-Analysen S. 94 f.
| ) Vgl. die Uber Ee Materialy po Arch. Rossii XXV, Taf. VIII, F ig,
Taf. XV, Fig. 10—12 und die ausgebildete Form z. B. Sitzungsberichte der Prussia XXII,
344, Fig. 198.
3) Z. B. meine Bronze-Analysen S. 93, Fig. 121.
) Z. B. Rigaer Katalog Taf. XVIII, Fig. 34, 35.
Oben S. 72 Anm. 2. Das von ihm S. 101 unter 1 verzeichnete Exemplar der
ESTORFFschen Sammlung ist nach freundlicher Auskunft HAHNES in Prag ge-
kauft. Sicher bezeugt werden aber die Schläfenringe für Hannover durch das Gräber-
feld bei Rassau (Münzen aus dem XIII. Jh.), s. oben S. 49 und Prähist. Zs. I, 85
(die slawischen Gräber lagen hier nicht in Reihen).
D Korrespondenzblatt XXII, 138.
7) Wiener Anthropol. Mitteilungen XXIV, 194.
zs J4
habe. Im wesentlichen ist dies auch die Ansicht HAMPELS '), nach
welchem der Gebrauch der Schläfenringe eine Sitte der Sarmaten war
und von ihnen an ihre Nachfolger in Ungarn und ihre nördliche Nach-
barschaft abgegeben wurde.
Ih bin überzeugt, dass alles dies richtig ist, überzeugt aber auch,
dass man noch einige Schritte rückwärts gehen muss, denn man kennt
weit ältere Schläfenringe aus dem Kaukasus-Gebiet:) und zwar u. a. in
einer Form, die shon NIEDERLE mit einer ungarischen verglichen hat
(a. O. Fig. 277, 278), und von der sich die pfropfenzieherartigen Formen
z. B. aus Keszthely (LISSAUER a. O. Fig. 11, 12) nicht trennen
lassen ?). Die grosse Zeitdifferenz darf nicht abhalten, in diesem und
ähnlichen Fällen — ich erinnere an andere Kaukasus-Beziehungen *) —
einen geschichtlichen Zusammenhang zu behaupten, muss vielmehr lehren,
dass es latente tausendjährige Überlieferungen wie der Wörter, so der
Sachen gibt.
Spezifisch slawisch, wie die Schläfenringe in Europa ausser Ungarn
sind, fehlen sie im Inneren des ganzen Ostbalticums, waren aber seinen
nächsten Nachbarn nicht fremd; sie erscheinen in Kurganen des Peters-
burger Gouvernements, aber nicht in den Gräbern von Mekshof°); wir
kennen keinen aus Ostpreussen, aber wir stossen auf sie unter den
Funden von Drogitschin®), das im XII. Jahrhundert russischer Besitz
war; sie begegnen, wie LISSAUER a. a. O. uns sagt, in Westpreussen
nicht östlich von der Weichsel und nördlih von der Ossa — d. h. nicht
in der altpreussischen Landschaft Pomesanien, die gegen Pommern und
das polnische Culmerland ’) durch diese Flüsse begrenzt wurde, aber
sie sind gefunden im Kaldus £) bei Culm und nahe dem linken Weichsel-
ufer in Gruczno °) (hier in einem Falle zusammen mit einem „Wenden-
pfennig“, also einer Münze aus 970—1070 n. Chr.) und Warmhof ).
Dass im Gebiete von Mewe (hier liegt Warmhof) im XIII. Jahrhundert
auch Preussen ansässig waren, macht hierbei nichts aus, denn die Orts-
namen, deren Schreibungen diese Tatsache erhärten sollen, „sind un-
verkennbar slawischen Ursprungs“ !°) und zeigen die Mewer Preussen als
Eindringlinge.
An Möglichkeiten, auf Preussen zu wirken, hat es den slawischen
Schläfenringen also nicht gefehlt, und wenn man nicht einen blinden Zufall
behaupten will, muss man in den Gerdauer Fibeln eine solhe Wirkung
anerkennen und wird nur über das „wie“ streiten können. Mir selbst er-
1) Altertümer des frühen Mittelalters I, 439. Anders PIC, Urnengräber Sp.
258 ff., dessen Angaben ich aber nicht prüfen kann.
2) VIRCHOW, Koban S. 44, RÖSSLER, Zs. f. Ethnol. XXXIII a Fig. 36b,
XXXVII, Ko Fig. 23, 136, Fig. 65, 137, Fig. 74, Chantre Caucase Il, 175.
3) Wegen der Schläfenringe von Keszthely und Kettlach vgl. REINECKE,
Wiener Anthropol. Mitteil. XXIX, 39, 48, 51.
*) TISCHLER, Schriften der physik.-ökon. Gesellsch. XXIX, 115.
5) HAUSMANN, Sitzungsberichte der gel. estn. Gesellsch. 1907, S. 117.
D Materialy IV, 23, Taf. II, Fig. 27, vgl. STIEDA, Sitzungsberichte der Prussia
XIX, 19, TOPPEN, Geographie S. 32.
1) Lotar WEBER a. O. S. 3.
e 7 LISSAUER, Prähist. Denkmäler der Provinz Westpreussen S. 184 bezw.
. 192 f
d Nachrichten über deutsche Altertumsfunde IX, 26.
10) LORENTZ, Archiv f. slaw. Philologie XXVII, 472.
= 95). =
scheint es am wahrscheinlichsten dass Schlafenringe wie Korrespondenz-
blatt XXII, 140, Fig. 7 von oder für Preussen durch Einhängen einer
Nadel und In-die-Höhe-Biegen der Enden (um das Abgleiten der Nadel
zu verhindern) zu Schnallenfibeln gemacht wurden, und dass also
die „Hufeisen-Fibeln mit Rollenenden“ nur in dem Sinne Vorgänger der
Gerdauer Fibel gewesen sind, dass sie ihnen den Boden bereitet haben.
Wie aber eine wissenschaftlihe Rechnung nur selten ohne Rest
aufgeht, so bleibt auch hier eine Unklarheit, denn Gerdauen liegt im
Herzen Altpreussens, und seine Fibeln werden auch nicht durch einen
Fund mit den Schläfenringen geographisch vermittelt. Allein solche
Verhältnisse sind nicht selten, und oft genug werden wir sie einfach
hinnehmen müssen, oft genug aber auch erwarten dürfen, die fehlenden
Verbindungsglieder bald durch eine Ausgrabung zu finden. Eine andere
Stellungnahme ist vorläufig auch dem Oberhofer Sporn gegenüber nicht
möglich.
Indem also die spätheidnischen Altpreussen die slawischen Schläfen-
ringe als solhe ablehnten, aber nach eignem Bedarf und Geschmack
benutzten, machten sie es mutatis mutandis ebenso, wie ihre Vorfahren
mit den Gesichtsurnen. Klar ausgeprägt werden diese bekanntlich gegen
Osten durch die Weichsel-Nogat-Linie ') ziemlich genau begrenzt. Was
sich ihnen darüber hinaus, also auf ausgemacht preussishem Boden
anreiht — in den Kreisen Braunsberg und Fischhausen im Norden,
Löbau im Süden ?) — beschränkt sich auf Gefässe von verwandter Form,
oder mit Andeutungen von Gesichtsteilen, die sich als solche erst durch
den Vergleich der pommerellischen Gesichtsurnen erschliessen lassen.
Man machte hier also Konzessionen an einen Typus, den man verschmähte.
Wie zur Zeit der slawischen Schläfenringe, so gegen Ende der
Bronzezeit zeigt sich die Weichsel demnach als Westgrenze des preus-
sisch-litauischen Stammes. Aber sie war es weder ununterbrochen
zwischendurh, noch von jeher, denn der Unterlauf der Weichsel von
Fordon ab ist nichts uraltes *) und angesichts ihrer Geschichte kann es nicht
für einen Zufall gelten, dass das ostpreussische Neolithicum bis zur Oder
reichte *), sondern wird seinen guten geo-, oder vielmehr hydrographischen
Grund haben; die grossen Gräberfelder aber von Crossen, Thierberg
und Pettelkau°) ergeben für das II Jh. n. Chr. eine Verlegung jener
Westgrenze an die Passarge-Linie.
1) D. h. den alten Flusslauf der Weichsel, s. TÖPPEN, Beiträge z. Geschichte
des Weichseldeltas (Abhandl. z. Landeskunde der Prov. Westpreussen VIII) S. 14.
2) Vgl. OLSHAUSEN, Berlin. Verhandl. 1899, S. 156.
) JENTZSCH, Schriften der physik.-ökon. Gesellsch. XXI, 190.
) TISCHLER, Schriften der physik.-ökon. Gesellsch. XXIV, 112, KOSSINNA,
Zs. des Vereins f. Volkskunde VI, 12 f. Uber TISCHLERS Ausdehnung seines
Ostbalticums A. W. BROGGER, Den arktiske Stenalder S. 255. i
5) Sitzungsberichte der Prussia XXII, 130.
Gymnasialdirektor. Professor Dr. F. Knoke, Osnabrück:
Wanderung über das Schlachtfeld des Teutoburger Waldes).
Die Frage nach der Ortlichkeit der Schlacht im Teutoburger Walde
hat schon seit langen Zeiten nicht nur die Arbeit der Gelehrten in An-
spruch genommen, sondern vielleicht noch mehr die Phantasie der
Laienwelt beschäftigt. Muss das schon im allgemeinen als ein erfreu-
liches Zeichen des Interesses angesehen werden, das wir an den An-
fängen unserer vaterländischen Geschichte nehmen, so ist es doppelt
erfreulich, wenn wir sehen, dass in dem Jubeljahre des Teutoburger
Sieges sich in vielen Kreisen eine lebhafte Begeisterung für jene Taten
unserer Vorzeit geltend macht, eine Begeisterung, die ihrerseits wieder
das Verlangen stärkt, endlih einmal zu einer sicheren Kenntnis von
dem Schauplatze zu gelangen, auf dem vor neunzehnhundert Jahren
eine der wichtigsten Begebenheiten unseres Volkes sich vollzogen hat.
Denn man mag noch so sehr betonen, dass es nicht darauf an-
komme, wo sich die Geschichte zugetragen habe, als vielmehr, dass
sie überhaupt geschehen sei: der denkende Mensch lässt es sich nun
einmal nicht nehmen, ein klares Bild von den Ereignissen zu begehren,
ganz abgesehen davon, dass das Urteil über ihre Bedeutung nicht von
der Frage nah dem Wo zu trennen ist.
Dass wir bisher zu keiner Einigung gelangen konnten, liegt einmal
an der verschiedenen Bewertung derjenigen Quellen, aus denen wir
unsere Kenntnisse zu schöpfen haben, insofern man sich darüber nicht
zu verständigen vermochte, welchen der vorhandenen Schriftsteller, die
angeblich sich widersprechen sollten, der Vorzug zu geben sei. Das
führte zu einer weitgehenden Meinungsverschiedenheit zwischen unseren
namhaftesten Geschichtsforschern. Ich brauhe nur die Namen RANKE
und MOMMSEN hierbei zu nennen.
Eine Erschwerung der Erkenntnis trat ferner dadurch ein, dass
man gewissen Berichten unserer klassischen Schriftsteller, deren Zuver-
lässigkeit man im übrigen gelten liess, doch die Glaubwürdigkeit absprach.
Insbesondere sollten die Schlachtenschilderungen des Tacitus, durch die
mittelbar auch die Lage des Teutoburger Waldes bestimmt wird, auf
freier Phantasie beruhen. Man berief sih dabei auf den Eindruck des
Märchenhaften, den seine Schilderungen hervorriefen, und machte geltend,
er sei nicht selbst in Deutschland gewesen. Man bedachte jedoch nicht,
dass dem Tacitus die ausführlichsten Berichte zeitgenössischer Schrift-
steller vorgelegen haben, ja dass ihm auch das Archiv in Rom,
aus dem er seine Kenntnisse gewinnen konnte, offen stand. Sodann
aber verkannte man den rhetorischen Charakter seiner Darstellung. Steht
doch die Kunst des rhetorischen Schriftstellers im umgekehrten Ver-
1) Angesichts desJUmstandes, dass ein wirklicher Besuch des Schlachtfeldes
in das Programm der Tagung? aufgenommen worden sei, erklärte der Redner die
Wanderung auf die Walstatt in den Vordergrund stellen zu wollen.
hältnis zu der des Märchenerzählers. Findet auf diesen das Wort An-
wendung: „Märchen, noch so wunderbar, Dichterworte machens wahr“,
so stellt umgekehrt der rhetorische Geschichtsschreiber wirkliche Be-
gebenheiten so dar, dass sie wunderbar erscheinen, und ich glaube,
wenn Tacitus hören könnte, was seine Tadler an ihm auszusetzen haben,
so würde er sich eines Lächelns nicht erwehren können. Denn sie ver-
helfen ihm ja gerade zu dem Triumphe, nach dem er strebte. In der
Tat lassen sich denn auch alle Ortlichkeiten nach den Beschreibungen
dieses Schriftstellers noch im Gelände wiederfinden.
Weiter war es verhängnisvoll, dass man zumeist die Sprache unserer
Quellenschriftsteller nicht genügend kannte. Auch angesehenen Forschern
gegenüber muss dieser Vorwurf erhoben werden. Und doch sollte sich
keiner an die schwierige Untersuchung heranwagen, ohne dass er ins-
besondere der Ausdrucksweise des Tacitus ein eingehendes Studium
zugewandt hat. Ich habe schon früher einmal gesagt, dass das erste
Wort in diesem Streit der Philologie zukomme, und dabei ist es auch
geblieben.
Wie die Sprachwissenschaft in diesen Dingen entscheidend sein
kann, davon erlaube ich mir einige Beispiele anzuführen. Im 8. Kapitel
des 2. Buches der Annalen heisst es, es sei ein Fehler gewesen, dass
Germanicus bereits an der unteren Ems landete. Erratumque in eo,
quod non subvexit militem dextras in terras iturum. Ita plures
dies efficiendis pontibus absumpti. Die letzten Worte übersetzte man
bisher immer: „So vergingen mehrere Tage mit der Herstellung der
Brücken“. Plures dies heisst aber gar nicht: „mehrere Tage“, wie ich
nachgewiesen habe, sondern: „mehr Tage“, als nämlich der Fall ge-
wesen wäre, wenn die Soldaten, die in die rechts, d. h. östlich befind-
lichen Länder vorgehen sollten, weiter stromaufwärts gefahren wären.
Es geht also hieraus hervor, dass das Heer des Germanicus damals
an der Ems und Hase hinaufgegangen ist. — In dem Bericht über die
Schlaht d. J. 15 n. Chr. heisst es bei Tacitus: Trudebanturque in
paludem gnaram vincentibus, iniquam nesciis, ni Caesar productas
legiones instruxisset. Hier übersetzte man bisher stets: „und sie wären
in den Sumpf gedrängt worden, wenn nicht der Cäsar die Legionen
gegen die Feinde aufgeboten hätte“. Ich habe aber aus dem Sprach-
gebrauch des Tacitus nachgewiesen, dass es heissen muss: „Sie wurden
(wirklich) in den Sumpf gedrängt, bis der Cäsar die Legionen gegen die
Feinde aufbot“. Dass durch diese Darstellung von der Schlacht ein
ganz anderes Bild gewonnen wird, das liegt doch auf der Hand. —
Weiter heisst es am Ende des Schlachtberichtes: Et manibus aequis
abscessum. Das sollte heissen: „Man trennte sich nach unentschiedener
Schlacht“, und so behauptete man, die vielen Barenauer Münzen könnten
doch unmöglich auf ein unentschiedenes Treffen bezogen werden; sie
gehörten vielmehr der Schlacht vom Jahre 9 an. Aber abscessum heisst
gar nicht: „man trennte sich“. Dieser Übersetzung lag eine Ver-
wechselung mit discessum zu grunde. Abscedere ist dasselbe wie das
griechische «royuostv und wird von dem gebraucht, der das Schlachtfeld
räumt. Die Worte heissen also: „Und er (nämlich Germanicus) räumte
das Schlachtfeld, ohne dass er einen Sieg erfochten hatte“.
za GR ae
Nach der Schlacht d. J. 15 trat Germanicus den Rückzug an, und
Tacitus berichtet über diesen Rückzug mit den Worten: Mox reducto
ad Amisiam exercitu legiones classe, ut advexerat, reportat . . Caecina,
qui suum militem ducebat, monitus .. pontes longos quam maturrime
superare. Das heisst: „Hierauf führte er (Germanicus) das Heer an
die Ems zurück und schaffte die Legionen auf der Flotte, so wie er sie
hatte herfahren lassen, wieder heimwärts ... Cäcina dagegen, der seine
eigene Mannschaft führte, hatte die Weisung, so rasch als möglich über
die langen Brücken hinweg zu gelangen“. Hier hatte man bisher allgemein
angenommen, in dem Heere des Germanicus, das sich zur Ems zurück-
zog, habe sih auch das des Cäcina mitbefunden. Deswegen könnten
die langen Brücken nicht östlich dieses Flusses gelegen haben. Aber
wenn es heisst, dass Germanicus nach der Ankunft an der Ems die
Legionen den Fluss habe hinabfahren lassen, so liegt es doch auf der
Hand, dass unter diesen alle Legionen des von ihm geführten Heeres ver-
standen werden müssen. Das gibt man auf gegnerischer Seite auch zu.
Aber man behauptet, die Truppen Cäcinas seien eben von diesen Legionen
mit den Worten: Caecina qui suum militem ducebat nachträglich aus-
genommen worden. Diese Auffassung ist jedoch nicht zulässig; denn
durch den Zusatz: classe, ut advexerat wird der Begriff legiones auf
die 4 Legionen des Germanicus, die allein mit der Flotte gekommen
waren, von vornherein beschränkt. Die 4 Legionen Cäcinas konnten
also von den im Text genannten legiones nicht ausgenommen werden,
weil sie zu ihnen nie gehört hatten. Vielmehr konnten sie nur von
dem Gesamtheere (exercitus) ausgenommen werden. Das ist so klar
als irgend etwas in der Welt. Die pontes longi waren demnach rechts
der Ems zu suchen, wo sie auch wirklich zwischen Meerholz und Brägel
von mir gefunden worden sind. Keine andere Ortlichkeit entspricht auch
der Schilderung der Kämpfe bei den langen. Brücken). — Verführt
durch den Ausdruck aggeratus nahm man auch regelmässig an, die
pontes longi hätten aus einem Erddamme bestanden. Agger bedeutet
aber jedwede Schichtung, mag das Material nun aus Holz oder Plaggen
oder Erde bestehen. Nachweislih wurden aber die Moorbrücken aus
Faschinen, Brettern und Plaggen aufgeschichtet. — In der Schilderung
der Schlacht am Angrivarierwalle heisst es von den Deutschen im Walde:
genere pugnae et armorum superabantur, und man hat daraus ge-
schlossen, die Deutschen hätten sich in der Schlacht eine Niederlage
zugezogen. Aber abgesehen davon, dass hier nur von dem Nachteil
die Rede ist, in dem sie sich rücksichtlih der Kampfart und der Waffen
befanden, bezeichnet das Imperfektum superabantur nur ein zeitweiliges
Verhältnis und gestattet keinen Schluss auf das spätere Ergebnis.
1) Dass die pontes longi nicht links der Ems zu finden sind, bestätigt neuer-
dings auch WILMS in Nr. 31 der Sonntags-Ausgabe der Hamburger Nachrichten,
nachdem ihm „neun Jahre oft angestrengten Suchens“ mit der Nachforschung nach
ihnen dahingegangen waren, um zu der Gewissheit zu gelangen, .dass von der
Lippe bis an das Nordende der Grafschaft Bentheim sich weder eine Spur einer
langen Moorbriicke gezeigt hat, noch die Notwendigkeit, sie aufs Moor zu legen“.
Wenn er jedoch dann schliesslich sich auf das Bourtanger Moor zurückzieht, so muss
er selbst zugeben, dass hier „die montes des Tacitus fehlen“. Auch diese Gegend
kann demnad nicht in Frage kommen.
= 798 as
Endlich heisst: equites ambigue certavere nach dem Sprachgebrauch
des Tacitus nicht: „Die Reiter fochten mit unentschiedenem‘, sondern
„mit unglücklihem Ausgange“.
Ich könnte noch mehr Beispiele anführen, in denen eine richtige
Schrifterklärung eine Entscheidung ohne weiteres herbeizuführen imstande
ist. Ich verzichte darauf, um die Zuhörer nicht zu ermüden.
Aber während man die notwendigen Voraussetzungen der Erkenntnis
bei Seite liess, sah man sich nach anderen Grundlagen seiner Wissen-
schaft um. Da kamen die Militärschriftsteller und behaupteten, man
müsse auf Grund strategischer Erwägungen die Berichte unserer Quellen
verbessern. Weiter drängte sich jene Klasse von Archäologen in den
Vordergrund, die unter Nichtberücksichtigung unserer schriftstellerischen
Quellen allein auf die Ergebnisse der Spatenarbeit ihre Meinung gründen.
Von den Archivaren und Germanisten will ich hier nicht weiter reden.
Zu einem befriedigenden Ergebnis wird man niemals kommen,
solange irgend ein Fach einseitig die Lösung in die Hand nimmt. Hier
kann nur eine Verbindung der verschiedensten Wissenschaften zum Ziele
führen, und wenn es mir, wie ich glaube, möglich wurde, bei meinen
Untersuchungen einige Fragen zur Entscheidung zu bringen, so verdanke
ich das nicht nur einer eingehenderen Untersuchung der Sprache unserer
historischen Quellen, sowie einer genaueren Kenntnis der Ortlichkeiten,
sondern auch dem Umstande, dass ich auf denjenigen Gebieten, auf
denen ich mich nicht sicher fühlte, stets angesehene Fachmänner zu Rate
zog. Insbesondere muss ich es dankbar anerkennen, dass mich Con-
stantin KOENEN mit der grössten Bereitwilligkeit und Uneigennützig-
keit stets hierbei unterstützt hat.
Aber nicht bloss Irrtümer grundsätzliher oder einleitender Art
sind daran schuld gewesen, dass wir lange Zeit nicht weiterkamen,
sondern die Fehler machten sich auch auf dem weiteren Wege unserer
Forschung geltend. So liess man sich vielfach durch unsere Geographie-
bücher und Atlanten täuschen, die den Namen des Teutoburger Waldes
für den ganzen das westfälische Tiefland nördlich begrenzenden Gebirgs-
zug eingetragen hatten. Erst der Bischof Ferdinand von Paderborn be-
zeichnete jedoch zu Anfang des 18. Jahrhunderts den Lippischen Wald
mit diesem Namen und dehnte ihn auch auf den Osning aus. Jedenfalls
sind wir in der Ansetzung des Schlachtfeldes der Varusschlacht an diese
geographische Bezeichnung nicht gebunden.
Verkehrt war es ferner, aus dem Namen „in dem Toyte“ oder „to
dem Toyte“, mit dem seit dem 14. Jahrhundert ein Gehöft am Fusse
der Grotenburg bezeichnet wurde, schliessen zu wollen, dass der ganze
Berg der Teut und dementsprechend eine Burg dort oben die Teuto-
burg geheissen habe. Dass bei einer solhen Annahme die Bezeichnug
„in dem Toyte“ keinen Sinn hat, ist klar. Aber auch mit „to dem“ sind
mitunter nur die Hofstellen selbst bezeichnet. So gibt es bei Leese
unweit Rehburg zwei Gehöfte des Namens „to den Hütten“. Ähnliches
kommt anderswo vor. Nach der ältesten Urkunde muss Toyto als die
ursprünglihe Form des Namens angesehen werden. Dann sieht man
aber nicht ein, wie die Römer hieraus Teuto machen konnten. Unter-
schieden sie doch bei den griechischen Wörtern ganz genau Ev und ut.
— 80 —
Eine Verwechselung kommt nirgendwo vor. Mit dem Teut bei Detmold
ist es also nichts.
Man hat sich auch alle möglihe Mühe gegeben, auf der Groten-
burg, wo das Hermannsdenkmal steht, eine alte Volksburg, nach der
das ganze Gebirge benannt sein sollte, nachzuweisen. Aber die wochen-
langen Grabungen, die SCHUCHHARDT zu diesem Zwecke unternahm,
haben leider nur einige Steinwerkzeuge an das Tageslicht gefördert, und
schliesslich bestritten Gelehrte überhaupt das Vorhandensein einer alten
Burg daselbst und erklärten den angeblichen Steinwall für eine natürliche
Lagerung. Dass auch die sonstigen Nachforschungen in der Gegend des
vermeintlichen Schlachtfeldes mit dem Spaten nur ein negatives Ergebnis
zeitigten, braucht nur nebenbei erwähnt zu werden.
Irrig war ferner die Behauptung, dass das Teutoburger Schlacht-
feld im Lande der Cherusker gelegen habe. Das wollte man aus einer
Bemerkung Strabons über die Cherusker und ihre Verbündeten, in
deren Lande die Schlacht stattgefunden habe, schliessen, während es
doch auf der Hand liegt, dass bei dieser Wortstellung der Relativsatz
unmöglich allein auf die Cherusker bezogen werden kann.
Ein dritter, aber allgemein verbreiteter Irrtum ist die Annahme,
es bestände ein naher örtlicher Zusammenhang zwischen dem Schlacht-
felde und dem Kastell Aliso, ein Irrtum, der ja auch ursprünglich der
Verlegung des Teutoburger Kampfplatzes in den Lippischen Wald zu-
grunde lag, seit man jene römische Festung an der Stelle des Dorfes
Elsen wähnte. Nun wurde bekanntlich Aliso nach der Schlacht d. J. 9
unserer Zeitrechnung von den Deutschen eingeschlossen, und man hat
eine Anekdote des römischen Militärschriftstellers Frontinus auf diese
Befestigung bezogen. Er erzählt: „Als die, welche aus der Varusnieder-
lage sich gerettet hatten, belagert wurden (reliqui ex Variana clade cum
obsiderentur), da führten sie die gefangenen Deutschen in den Speichern
umher, schnitten ihnen die Hände ab und entliessen sie darauf, um den
Feinden zu erzählen, dass es an Vorräten den Belagerten nicht mangele“.
Nun steht freilih nicht ohne weiteres fest, dass diese Festung Aliso ge-
wesen sei. Denn der Name wird an dieser Stelle nicht genannt. Da
indessen das bei Frontinus erzählte Ereignis immerhin einen ausge-
dehnten Lagerplatz voraussetzt, auch der Ausdruck „cum obsiderentur“
auf ein längeres Verweilen der Deutschen vor der Festung schliessen
lässt, was für Aliso zutreffen würde, so bin auch ich geneigt, die ange-
deutete Erzählung auf dieses Kastell zu beziehen. Es kommt nur darauf
an, ob die dort genannten reliqui wirklich Flüchtlinge aus der Schlacht
im Teutoburger Walde waren. Das aber muss bezweifelt werden.
Nach Dio Cassius, bezw. seinem Kompilator Zonaras befanden sich in
Aliso, wie es scheint, nur wenige Kerntruppen, wohl aber viele Bogen-
schützen, dazu viele Unbewaffnete, inbesondere auch Weiber und Kinder.
Dass alle diese nicht vom Schlachtfelde entflohen sein können, darf wohl
angenommen werden. Von den letzteren insbesondere versteht sich das
von selbst. Weiber und Kinder befanden sich freilich auch im Heere des
Varus. Diese gerieten aber natürlich in Gefangenschaft, und Armin liess
jene vor der Schlacht von Idistaviso für die römischen Überläufer ausbieten.
Auch die vielen Bogenschiitzen und Unbewaffneten machen stutzig. Sollte
es nicht möglich gewesen sein, die römischen Soldaten des Varusheeres,
u Bi =a
die etwa auf der Flucht die Waffen weggeworfen hatten, mit neuen
Verteidigungsmitteln in der Festung zu versehen ?
Nun zwingt aber auch der Ausdruck „ex Variana clade“ keineswegs
dazu, an die Teutoburger Schlacht hierbei zu denken. Clades kann die
Schlacht bedeuten. Es kann aber auch ebenso ganz allgemein die Kata-
strophe bezeichnen, die unter Varus über die Römer in Deutschland
hereingebrochen war und auch den Verlust der Festungen daselbst zur
Folge hatte. „Reliqui ex Variana clade cum obsiderentur“ heisst demnach:
„Als diejenigen, die sich aus der Varuskatastrophe gerettet hatten, be-
lagert wurden“. Gemeint sind dann ausser Soldaten namentlich die bürger-
lichen Ansiedler, die sich mit Weib und Kind in der Nähe der Festungen
niedergelassen hatten und auf die Nachricht von der Varusschlacht, so-
weit sie es vermochten, sich in das ihnen günstig gelegene Kastell Aliso
retteten. Fassen wir die Frontinusstelle in diesem Sinne, so hört der
örtlihe Zusammenhang zwischen Teutoburg und jener Festung auf.
Auch aus einem anderen Bericht hat man eine Zusammengehorig-
keit der beiden Gegenstände herleiten wollen. Als nämlich Germanicus
i. J. 16 n. Chr. an der Lippe unweit des Kastells Aliso sich befand, nahm
er wahr, dass die Deutschen einen Gedächtnishügel der in der Varus-
schlacht gefallenen Römer, einen sogenannten Tumulus, zerstört hatten.
Man hat dabei an den das Jahr vorher im Teutoburger Walde aufge-
schütteten Leichenhügel gedacht, Dieser hat aber damit nichts zu tun.
Der eben genannte Tumulus war vielmehr an der Lippe gelegen und zu einer
Zeit errichtet worden, als die Römer noch nicht imstande waren, auf
das Schlachtfeld selbst wieder zu gelarigen. Er war ein sogenanntes Keno-
taphion. Wir erhalten also auch in Hinsicht auf Aliso für die Ansetzung
der Teutoburger Walstatt freie Hand.
Für die Lage des Schlachtfeldes ist zunächst die Frage von ent-
scheidender Bedeutung, wo Varus i. J. 9 sein Sommerlager aufgeschlagen
hat. Es heisst bei Dio, die deutschen Fürsten lockten ihn &g te try
Xspovoxida xal ngdg tov Ovicoveyov. Man hat die Worte übersetzt:
„in das Cheruskerland nach der Weser zu“ oder „in der Richtung der
Weser“. Wenn das richtig wäre, so hätte der Schriftsteller mit den letzten
Worten nichts gesagt. Denn in Rom wusste jedermann, dass die Cherusker
an der Weser wohnten, dass also der römische Statthalter, wenn er in
ihr Land reisen wollte, in der Richtung dieses Flusses seinen Weg zu
nehmen hatte. Die Worte können daher der regelmässigen Bedeutung
der Präposition rsecs entsprechend nur heissen: „nach der Weser“. An
ihren Ufern muss also das Sommerlager aufgeschlagen worden sein.
Dass zugleich der mittlere Stromlauf gemeint ist, ergibt sich aus
der Lage des Landes der Cherusker, die auf beiden Seiten daselbst
ihren Wohnsitz hatten. Mit Recht nimmt man denn auch allgemein an,
dass das Sommerlager in der Gegend von Oeynhausen oder Rehme sich
befunden habe, wo dem Varus gemeldet wurde, dass ein Aufstand
ausgebrochen sei, und ich selbst habe dort und auf dem sog. Hahnen-
kampe Grabungen vorgenommen, um die Spuren des Lagers wieder-
aufzufinden, habe aber ebensowenig wie später SCHUCHHARDT solche
dort entdecken können. Es ist auch schwer, einen bestimmten Platz da-
für zu bezeichnen, da der Spielraum für die Nachforschung ein ziemlich
grosser ist. Auch Minden liegt durchaus nicht ausserhalb der Möglich-
6
— 82 —
keiten. Für die Frage nach dem Zuge des Varus vom Sommerlager nach
dem Teutoburger Walde ist es übrigens gleichgültig, an welchem Punkte
neben der mittleren Weser das Lager errichtet wurde, weil Varus unter
allen Umständen bei Oeynhausen den Fluss verlassen musste, um dort-
hin zu gelangen. |
Aber auch die Ansicht muss zurückgewiesen werden, nach der be-
hauptet wird, das Schlachtfeld müsse in der Nähe des Sommerlagers
sich befunden haben, weil noch am Abend vor der Schlacht die deutschen
Fürsten mit dem römischen Statthalter zusammen gespeist hätten. Wir
wollen auf die RANKE’she Hypothese, nach der die Deutschen das
Sommerlager in einem Augenblicke angegriffen hätten, als Varus zu
Gericht sass, nicht näher eingehen. Die Mitteilung des Florus, aus der
diese Ansicht geschöpft ist, bezeichnet nur das allgemeine Verhalten des
Feldherrn, der, anstatt auf seiner Hut zu sein, die Zeit mit Rechtsprechen
hinbrachte. Auch lag nach Tacitus das Schlachtfeld nicht an der Weser,
und die RANKEsce Ansicht, die sich eine Zeit lang eines gewissen Bei-
falls erfreute, darf gegenwärtig wohl als abgetan angesehen werden.
Der Auffassung, dass die deutschen Fürsten am Abend vor der
Schlacht in der Gesellschaft des Varus sich befunden hätten, liegt eine
falsche Übersetzung des Wortes convivium zugrunde. Denn dieses be-
zeichnet nicht eine gewöhnliche Abendmahlzeit, sondern ein ausserordent-
liches Gelage, zu dem besonders geladen wurde. Ein solches wurde aber
doch nicht jeden Abend abgehalten, und wenn bei Tacitus von einem
letzten convivium die Rede ist, so ist über das Datum dieses Gelages
damit nichts gesagt. Ja, es muss seit dem Entschluss des römischen
Statthalters, von seinem Sommerlager aufzubrechen, bis zum Beginn des
Kampfes sogar noch eine geraume Zeit verstrichen sein, und auch das
Versprechen der Fürsten, nach dem Aufgebot ihrer Leute zu einem Stell-
dichein unterwegs sich einzufinden, hat zur Voraussetzung, dass dieser
Ort eine grössere Strecke von dem Sommerlager entfernt gewesen ist.
Nun kann der Zug des Varus von der Weser aus nur nach dem
Rhein hin, also in südöstlicher Richtung, beabsichtigt gewesen sein, denn
Varus brach mit seinem gesamten Tross auf. Ja, was noch wichtiger
ist, es befanden sich auch Weiber und Kinder mit im Zuge. Dass diese
Weiber nicht Gattinnen der Soldaten waren, die etwa aus zärtlicher
Liebe ihnen überall hin folgten, hat shon MOMMSEN nachgewiesen.
Er bezweifelt daher die Richtigkeit jener Mitteilung. Sie wird gleich-
wohl nicht zu verwerfen sein. Wir haben aber unter den Weibern
und Kindern die Familien der Civilisten zu verstehen, die, wie auch die
Ausgrabungen bei Haltern wieder bestätigt haben, überall neben den
römischen Standlagern sich aufzuhalten pflegten. Wenn diese also den
Feldherrn begleiteten, so geht daraus hervor, dass er für das Jahr 9
überhaupt das Sommerlager abgebrochen hat, um nach Züchtigung der
Aufrührer an den Rhein zurückzukehren.
Würde freilih nur der Rückmarsh nach dem Rhein beabsichtigt
gewesen sein, so hätte Varus die regelmässige Etappenstrasse, die über
Bielefeld nah Hamm geführt haben wird, wählen müssen. Nun aber
handelte es sich zunächst um die Unterdrückung des Aufstandes. Dieser
aber war gerade in der Absicht unternommen worden, den Statthalter
von seinem regelmässigen Wege abzulenken und in ein gebirgiges Ge-
— 8 —
lände zu locken, wo sein Heer vernichtet werden sollte. Der Weg, den
Varus einschlug, muss also seitwärts der Hauptstrasse gelegen haben.
Dass es ein gebirgiges Gelände war, in das man einzog, wird uns
ausdrücklich bestätigt. Der Zug bewegte sich aber auch nicht neben
einem Gebirge hin, wie MOMMSEN und nach ihm andere angenommen
haben. Das Heer wurde vielmehr zwischen Bergen, aus denen man sich
nicht mehr wohl retten konnte, angegriffen. Auch das erste Lager wurde
innerhalb des Gebirges aufgeschlagen. — Es kann sich aber auch nicht
um einen Gebirgszug gehandelt haben, der etwa seitwärts getroffen
wurde, wie alle diejenigen anzunehmen gezwungen sind, die das Schlacht-
feld in den östlihen Teil des Osning verlegen, sondern der Marsch
muss tagelang zwischen Bergwänden weitergeführt haben. Diese Be-
dingung wird aber nur in den westlichen Abschnitten des Berglandes
zwischen der Weser und dem Rhein erfüllt.
Diejenigen, die die Walstatt in den Lippischen Wald verlegen, berufen
sich regelmässig auf den Bericht des Tacitus, nach dem Germanicus
i. J. 15, ehe es zum Kampfe mit Armin kam, das Land der Brukterer
zwischen Ems und Lippe bis zu ihrer äussersten (irenze verwüstete und
hierbei in die Nähe des Teutoburger Waldes gelangte. Diese Grenze,
meinen sie, sei eben der Lippische Wald gewesen, und darum müsse
der Feldheer unweit Detmold auf das Schlachtfeld gelangt sein. Das
ist jedoch eine irrige Voraussetzung. Die Grenze des Bruktererlandes
fiel im Gegenteil mit dem breiten Sumpfgürtel zwischen Osning und der
Ems zusammen, und die ultimi Bructerorum wohnten, vom römischen
Standpunkte aus angesehen, im äussersten Nordosten ihres Landes, etwa
in der Gegend von Sassenberg und Harsewinkel. Das Hauptquartier des
Germanicus mochte etwa bis Warendorf vorgerückt sein, als man sich
zum Besuch der Walstatt entschloss. Konnte man doch daselbst die
Berge des Teutoburger Waldes deutlich schon erkennen.
Nun traf Germanicus, als er das Schlachtfeld betrat, zunächst auf
das erste Varuslager, das auf der Walstatt errichtet war, und dann auch
auf das zweite. Es heisst bei Tacitus: Prima Vari castra ... ostenta-
bant, dein. . intellegebantur. Diese Zusammensetzung von prima und
dein kann aber nur die Aufeinanderfolge der Ereignisse während des
Besuches des Kampfplatzes bezeichnen. Die Deutung der Stelle, dass
mit prima Vari castra von vornherein das von Varus zuerst hergerichtete
Lager habe bezeichnet werden sollen, verstösst gegen den Gebrauch des
Schriftstellers. Auch Hist. V, 8 findet sich in demselben Sinne die Zu-
sammenstellung primis munimentis urbis, dein regia, templum intimis
clausum, obwohl gerade die prima munimenta die jüngsten waren. Die
Befestigungen werden jedoch in der Reihenfolge, in der die Ankommen-
den sie betrachteten, nach einander aufgeführt. Erst die Beschreibung
der prima Vari castra lässt erkennen, dass dieses Lager zugleich das
vom Feldherrn zuerst hergestellte war.
Die angeführte Stelle beweist nun aber, dass die Wanderung des
Germanicus über das Schlachtfeld in derselben Ordnung wie der Zug
des Varus sich vollzogen haben muss. Wir dürfen also dem Marsch
der Römer i. J. 9 nicht eine Richtung geben, die der des Germanicus
i. J. 15 entgegengesetzt ist. Damit sind namentlich alle diejenigen Ort-
lichkeiten ausgeschlossen, die auf der Linie von Borgholzhausen über
6*
— 84 —
Bielefeld nach Örlinghausen angenommen werden könnten. An allen
diesen Stellen würde Germanicus in umgekehrter Richtung wie Varus
die Walstatt durhwandert haben. Da aber dieser von Nordosten und
jener von Westen herkam, so kann diese Sdwierigkeit nur gehoben
werden, wenn wir annehmen, dass Germanicus die Marschlinie des
Varus seitwärts getroffen habe, und das war möglich, wenn er von
Warendorf aus nach Norden zog, während Varus von Oeynhausen in
westlicher Richtung sich fortbewegt hatte.
| Ferner hat nach der Versicherung des Tacitus das Schlachtfeld
nicht weit von der Stelle gelegen, an der Germanicus i. J. 15 die Ems
verliess. Damit ist aber die Gegend von Barenau oder gar von Damme
ausgeschlossen. Diese Gegenden hätte der Feldherr bei Beginn des
Feldzuges mit weniger Mühe von Meppen aus erreichen können.
Weiter erfahren wir aus Tacitus, dass zwischen dem Orte, an dem
Germanicus i. J. 15 die Ems verliess, und dem Sdhlachtfelde sich ein
Moor befunden hat. Cäcina wurde daher vorausgeschickt, um für den
Übergang des Heeres Moorbrücken zu legen, und bei der Voraussetzung,
dass der Zug von Warendorf nach Iburg stattfand, war es von Interesse,
nicht nur festgestellt zu sehen, dass es wirklih auf jener Linie ein
Moor gibt, das die gerade Verbindung in der west-östlichen Ausdehnung
von einer Meile unterbricht, sondern es musste versucht werden, ob nicht
noch Spuren jener Brücken aufzufinden seien. Dieser Versuch wurde
i. J. 1894 von mir unternommen, und siehe da, ohne dass die Be-
wohner der Gegend etwas davon ahnten, wurden genau an dem Punkte,
an dem ich sie gesucht hatte, die Bohlen mit den Merkmalen römischer
Herstellung in der Tiefe angetroffen ').
Noch etwas anderes ist zu berücksichtigen. Nachdem nämlich Ger-
manicus das Schlachtfeld besucht hatte, verfolgte er Armin durch un-
wegsames Land und lieferte ihm dann zwischen Bergen und Moor eine
Schlaht. Bekanntlich hat MOMMSEN die Barenauer Münzfunde auf
die Schlaht vom J. 9 bezogen. Das dortige Gelände passt indessen
nicht auf jene Begebenheit, wohl aber vortrefflih zu der Beschreibung,
die Tacitus von der Schlacht des Jahres 15 gibt. Ferner darf als aus-
gemacht gelten, dass die berühmten pontes longi des Domitius, über
die Cäcina i. J. 15 seinen Rückzug antrat, in den ebenfalls nachträglich
entdeckten Moorbrücken zwischen Mehrholz und Brägel wiederzuerkennen
') In Nr. 25 a. a. O. versucht WILMS das Verhältnis wieder umzukehren, indem
er behauptet, ich hätte den Germanicus erst von Warendorf nach Iburg ziehen
lassen, nachdem ich zwischen diesem Orte „einen Bohlenweg im Moore aufgefunden“
hätte, trotzdem dass ich in meiner Schrift: „Die römischen Moorbrücken in Deutsch-
land“, Berlin 1895 S. 129 ff. über das zeitliche Verhältnis dieser Begebenheiten keinen
Zweifel gelassen hatte. Wenn er dann weiter behauptet, dieser Bohlenweg im Sassen-
berger Moore existiere nicht, denn er habe ihn mit zwei anderen Herren gesucht und
nicht gefunden, so muss man allerdings über diese Schlussfolgerung erstaunt sein,
mehr noch aber darüber, dass er meint, jemand, der eine ganze Reihe von Moorbrücken
teils selbst ausgegraben, teils ihrer Aufdeckung durch andere beigewohnt hat, könne
in diesem Falle „ein Opfer einer Selbsttäuschung gewesen“ sein, und dies alles,
obwohl bekanntermassen in der angeführten Schrift auf vier Seiten die gefundene
Moorbrücke mit allen Einzelheiten beschrieben worden war der Art, dass selbst die
Form der kunstvoll hergerichteten Löcher in den Brettern zur Abbildung gelangte.
Warum fragte W. nicht den Gastwirt Kattenbaum aus Rippelbaum, der für mih am
9. und 10. Oktober 1894 die Ausgrabungen vorgenommen und mir noch vor kurzem
— 85 —
sind. Denn die Ansicht, dass dieser Legat noch bis zur Ems mit
Germanicus zusammen seinen Rückzug bewerkstelligt habe und dem-
gemäss die langen Brücken westlich des Flusses zu suchen seien, ver-
dient nach dem, was früher über diesen Gegenstand ausgeführt wurde,
keine weitere Widerlegung.
Ist dies aber richtig, hat Germanicus i. J. 15 wirklich bei Waren-
dorf die Ems verlassen, hat er ferner nah dem Besuch des Schlacht-
feldes sich bei Barenau befunden, hat endlich Cäcina über die pontes
longi bei Mehrholz seinen Rückzug angetreten, so haben wir das Schlacht-
feld des Teutoburger Waldes auf der Linie zwischen jenen Orten auf-
zusuchen, und zwar an derjenigen Stelle, an der Germanicus von
Warendorf aus in das Gebirgsland eintrat. Dies ist aber das Gelände
bei Iburg.
Noch etwas Wichtiges kommt in Betracht. Als Germanicus i. J. 15
nach der verlorenen Schlacht seinen Rückzug antrat, nahm er eine Ab-
teilung seiner Reiterei mit und schickte diese sodann nicht etwa auf
geradem Wege, wie sie gekommen war, zum Rhein zurück, sondern
liess sie an der Nordseeküste entlang nach Hause sich begeben. Was
in aller Welt hätte den römischen Feldherrn zu dieser Massregel ver-
anlassen können, wenn das Schlachtfeld des Teutoburger Waldes, das
er kurz vorher besucht hatte, in den Gegenden der Ems- und Lippe-
quelle oder noch weiter östlich oder gar, wie noch neuerdings behauptet
wurde, südlih der Lippe sich befunden hätte? Die Anordnung des
Feldherrn erklärt sich nur, wenn wir wissen, dass Germanicus auf seinem
Rückzuge die Ems an ihrem Unterlauf erreichte. Mit anderen Worten:
die Begebenheiten des Jahres 15 und damit auch das Teutoburger
Schlachtfeld müssen weiter in die nordwestlichen Gegenden verlegt werden.
Ist es doch auch eine militärische Unmöglichkeit anzunehmen, dass der
römische Feldherr i. J. 15, wenn er wirklich seinen Feldzug auf die
Gegenden der Lippequelle richtete, die Ems zur Basis seiner Operationen
gewählt haben sollte und nicht vielmehr die Lippe.
Ich habe den Namen des Teutoburger Waldes als den des Ge-
birges an der Düte bezeichnet, wie übrigens schon vor mir MOSER und
STUVE, ohne dass mir das bekannt war, getan hatten. Diese Deutung
hat die Zustimmung angesehener Germanisten gefunden. Alles trifft
die Wahrheit der von mir behaupteten Tatsachen ausdrücklich bezeugt hat?
W. sagt: „Ich habe die Brücke nicht finden können“. Ich habe aber in dem bezeich-
neten Buche ausdrücklich mitgeteilt, dass die Spuren der Bohlen bei dem Zustande
der Vermoderung, in dem sie waren, nur schwer zu finden seien. Ausserdem aber
habe ich damals schon mitgeteilt, dass an jener Stelle Torf gestochen werde, und
es ist nicht ausgeschlossen, dass dies seit den Jahre 1894 in noch weiterem Um-
fange geschehen ist, sodass seitdem die Spuren der Brücke verschwunden sein
können. So ist z. B. von den beiden nördlichsten Brücken im Moore bei Brägel
gegenwärtig nichts mehr zu sehen. Oder will W. daraus folgern, dass auch diese
niemals existierten? Auf die Möglichkeit einer Zerstörung habe ich bereits
1895 nach Erscheinen meines Buches den damaligen Oberpräsidenten der Provinz
Westfalen, Exzellenz Studt, schriftlih hingewiesen und die Brücke seinem Schutze
empfohlen. Warum hat W. nicht damals schon nachgegraben, wenn er Zweifel in
die Wahrheit meiner Angaben setzte? Oder warum hat er seit dem Jahre 1900,
seitdem er gräbt, bis vor kurzem geschwiegen? Das Verfahren W's. verdient bei
allen wahrheitsliebenden Männern die schärfste Missbilligung.
88
demnach zusammen, um das Schlachtfeld in die Gegend von Iburg zu
verlegen.
Ich nehme also an, dass Varus i. J. 9 n. Chr. — es wird im Herbst
gewesen sein — von Oeynhausen aufbrach, um das ihm bezeichnete auf-
rührerische Volk, das wir uns im Münsterlande denken dürfen, zu be-
stralen, Dort wohnten die Brukterer, und es ist gewiss nicht zufällig,
dass Germanicus i. J. 15 diesen Stamm mit seinem besonderen Hass
verfolgt.
Der Weg führte den Statthalter über Bünde und Melle nach Iburg.
Durch den dortigen Pass hoffte er an den Ort des Aufruhrs zu gelangen.
Aber zu seinem Schrecken nahm er wahr, dass der Pass verlegt war. So
musste er sich denn entschliessen, noch im gebirgigen Gelände ein Lager
aufzuschlagen. Es war das erste Varuslager, das auf der Walstatt er-
richtet wurde und das Germanicus nach 6 Jahren deutlich noch erkennen
konnte. Von ihm haben sich auch gegenwärtig noch die Spuren in der
Nähe von Iburg wiederfinden lassen. Es hatte einen Flächenraum von
15 Hektar, was als das normale Mass für drei Legionen anzusehen ist.
Da es unmöglich war, den Durchgang durch den Pass von Iburg
zu erzwingen, sah sich Varus genötigt, die bisherige Richtung west-
lich fortzusetzen, um womöglich bei Rheine an die Ems zu gelangen,
wo er in Sicherheit sein musste. Dieser Marsch führte ihn schliesslich
bei Stift Leeden in den Habichtswald. Die Ortlichkeit passt in jeder
Hinsicht zu der Beschreibung, wie wir sie in unseren Quellen finden.
Ich habe auf Grund dieser Übereinstimmung bereits i. J. 1884 die Gegend
als den Ort der Varusschlacht bezeichnet, ohne dass ich hier oder bei
Iburg mich auf Funde von Altertümern berufen konnte. Es war deswegen
von Bedeutung, dass i. J. 1896 das zweite Varuslager, dessen Überreste
ebenfalls Germanicus i. J. 15 noch wiedererkannte, im Habichtswalde
wirklich aufgefunden werden konnte.
Man hat es bezweifelt, dass die noch gegenwärtig sichtbaren Wälle
einem solchen Lager angehörten. SCHUCHHARDT meinte im Verein mit
PHILIPPI und KOEPP, sie seien von einem Förster angelegt. JOSTES
aus Münster wollte beweisen, sie stammten aus dem Jahre 1668. Dann
wieder untersuchte RITTERLING die Anlage und kam zu dem Ergebnis,
dass sie mittelalterlich sei. Aber die Altertümer, die nachher aufgefunden
wurden, wiesen sie in die Zeit der Römerkriege. Hunderte von Scherben
lagen auf dem ganzen Platze zerstreut. Es mögen einige darunter ger-
manischen Ursprungs sein. Auch die Deutschen hielten sich dort auf und
feierten ihren Sieg. Die grosse Masse der Gefässreste ist indessen Laténe-
Ware und stammt daher vom Rhein. Einige sind sicher als römisch an-
zusprechen. Verschiedene Randstücke von Kochtöpfen gehören, wenn auch
unrömisch, doch dem Gesdhirre an, wie es von den römischen Soldaten
augusteischer Zeit am Rhein und an der Lippe benutzt wurde und in den
dortigen Lagern und Kastellen sich wiederfindet. Dazu kommen Gegen-
stände von Eisen und Blei, verschiedene Waffenstücke, eine gut erhaltene
Schnellwage und ein Bleigewicht, das mit seinen Buckelverzierungen einem
römischen Gewicht des Bonner Provinzialmuseums völlig gleicht. Römisch
ist auch die Technik der Verschanzungen, insbesondere befindet sich an
zwei Toren die unter dem Namen der ‘clavicula’ bekannte Walleinziehung.
SCHUCHHARDT hat freilich unlängst verschiedentlich behauptet,
= RF
die im Lager des Habichtswaldes gefundenen Scherben stammten aus
fränkischer Zeit; die Anlage sei daher eine karolingische Curtis, und er
setzte hinzu, in die Reihe dieser Curtes habe er sie bereits i. J. 1899
gestellt, eine Behauptung, die den Tatsachen ins Gesicht schlägt. Denn
sowohl auf der Philologenversammlung des genannten Jahres wie in der
zum Abdruck gelangten Rede behauptete er das Gegenteil, indem er sich
damals der JOSTESschen Erklärung anschloss.
Gegen die Annahme einer Curtis spricht übrigens schon allein der
Umstand, dass sich auf dem ganzen Raume nicht die geringste Spur
einer Ansiedelung gefunden hat. Auch hat SCHUCHHARDT sein soeben
erwähntes Urteil bereits wieder eingeschränkt, indem er neuerdings er-
klärt, nur einige, vor dem Tore gefundenen Scherben seien karolingisch.
Es sind diejenigen, die SCHUMACHER und LINDENSCHMIT in Mainz
mir als Latene- Ware augusteischer Zeit bezeichnet hatten.
Es lässt sich also an dem römischen Ursprunge des Lagers im
Habichtswalde nicht wohl zweifeln. Ist dies aber der Fall, dann gibt es
keine Möglichkeit, die mitten im Walde gelegene Befestigung anders
unterzubringen, als dass wir sie als das zweite Varuslager aus der Schlacht
im Teutoburger Walde deuten. Zu dieser Annahme stimmt auch die
Grösse des Lagerplatzes, der bei mehr als 2 Hektar Flächeninhalt Raum
für reichlih 7000 Mann bot, und eine grössere Zahl wird von den
18000 Soldaten, mit denen Varus ausgezogen war, im letzten Augen-
blicke wohl nicht mehr vorhanden gewesen sein.
Man hat das Schlachtfeld des Teutoburger Waldes an den ver-
schiedensten Stellen gesucht. Keine dieser Stellen hält die Probe aus.
Keine entspricht den gegebenen vielfachen Bedingungen. Nur das Gelände
zwischen Iburg und dem Habichtswalde vereinigt alle Eigenschaften, die
es gestatten, die Walstatt dorthin zu verlegen.
Bei Detmold ist jenes stolze Hermannsdenkmal durch Ernst von
Bandel errichtet worden; der Künstler ging dabei von der Voraussetzung
aus, dass in derselben Gegend sich die Schlacht des Jahres 9 ereignet habe.
Dies ist nun freilich nicht der Fall gewesen. Aber darum steht das schöne
Denkmal doch an seiner rechten Stelle. Denn es findet sich in der Heimat
des Cheruskerfürsten, und wenn in diesen Wochen patriotische Männer und
Frauen in grosser Zahl zu jenem Berge pilgern, um Deutschlands ersten
Helden zu feiern, so wollen auch wir, sei es persönlich, sei es geistig,
mit dabei sein. Verdient es doch der Mann, der einst unter schwierigen
Verhältnissen im Kampfe mit den mächtigsten Feinden unser Vaterland
befreite und es ermöglichte, dass wir ein freies Volk geblieben sind, ein
Volk, das auch in Zukunft seine Unabhängigkeit behaupten wird, wenn
es den Geist zu pflegen weiss, der unsere Ahnen einst beseelte, als
sie im Teutoburger Walde die Freiheit sich erkämpften.
Universitätsprofessor Dr. Kossinna:
spricht seine Freude darüber aus, dass die Deutsche Gesellschaft gerade
im Jubeljahr der Varusschlacht dem Vortragenden Gelegenheit geben
konnte, seine wohl erwogenen Ansichten über die Ortlichkeit des Schlacht-
feldes im Teutoburger Walde — mögen sie sich einst als die richtigen
erweisen oder mag nach Lage der unzureichenden Überlieferung eine
— 8&8 —
volle Sicherheit hier überhaupt nicht zu erreichen sein — in Ausführ-
lichkeit mitzuteilen, was um so notwendiger war, da dem Vortragenden
von seinen wissenschaftlichen Gegnern bisher stets in unwürdigem Tone
und mit gehässigen Entstellungen seiner Ansichten entgegengetreten
worden ist.
In einem längeren Schlusswort dankt dann der Vorsitzende
von Herzen allen, die zu dem ebenso harmonischen wie glanzvollen
Verlauf der ersten Tagung für Vorgeschichte beigetragen haben, vor
allem den Behörden, der Landesverwaltung, für die nach allen Rich-
tungen gehende, weitgehende Unterstützung, der Kgl. Technischen Hoch-
schule für die herrlichen Vortragsräume, dem Provinzialmuseum für die
opferwillige Arbeit, der Vorbereitung der Tagung, besonders auch für
die gediegene und prächtige Festschrift, ferner dem Lokalausschuss für
seine unübertrefflihen Leistungen, allen Vortragenden für ihre schönen
Anregungen, endlich der ganzen Bevölkerung der hannoverschen Lande,
die, soweit wir ihr nahetreten konnten, eine von der angeblichen han-
növerschen Steifheit weit entfernte, geradezu übersprudelnde Begeisterung
kund gab, für ihre so sympathische Teilnahme an allen Veranstaltungen
der Tagung.
I. Ausflug 10. bis 12. August
ins Wesergebirge und in den Teutoburger Wald unter Führung
von Universitätsprofessor Dr. Kossinna und Gymnasialdirektor Professor
Dr. Knoke, Osnabrück.
Im Anschluss an die Hauptversammlung fanden zwei mehrtägige
Ausflüge statt. Der erste, ein dreitägiger, vom 10. bis 12. August, galt
dem Teutoburger Walde und den Stätten des germanischen
Freiheitskampfes gegen Rom vor 1900 Jahren, der in diesem
Jahre in so grossartiger Weise gefeiert worden ist.
Unter der Führung des Vorsitzenden der Gesellschaft, Universitäts-
professor Dr. Kossinna, brachen am 10. August 12 Mitglieder!) von
Hannover in aller Frühe auf, um zunächst das Schlachtfeld von Idi-
staviso aufzusuchen.
Von wolkenlosem Himmel blickte die Sonne herab, als die Porta
Westfalica mit der Bahn erreiht wurde. Nachdem man sich dort
ein wenig für die Wanderung gestärkt und an der herrlichen Aussicht
in das Weserland und auf den gegenüberliegenden Wittekindsberg mit
dem Kaiser Wilhelm-Denkmal erfreut hatte, ging es durch das alter-
tümliche einst von der Schalksburg beherrschte Städtchen Hausberge
in die Gegend, welche nach Oberst Dahm der vielgesuchte Kampfplatz
von Idistaviso ist. Der Wald, der früher die Anhöhen und Hügel be-
deckte, die sich vor die Bergkette lagern, ist jetzt grösstenteils ver-
schwunden. Doch trotz der empfindlichen Sonnenglut auf den schatten-
losen Wegen herrschte heiterste und angeregteste Stimmung.
1) Es waren an der Fahrt beteiligt die Herren: Bezzenberger (Königs-
berg i. Pr.); E. Blume (Posen); Bodenst ab (Neuhaldensleben); Dr. O. Fleisch-
mann (Bergen b. Celle); Girke (Berlin); Knoke (Osnabrük); Kossinna
(Berlin); Krause (Döbeln); Schmidt (Löbau); W. Schulz (Minden); Wahle
(Delitzsh); Walter (Pegau).
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Bald gelangte man dicht hinter dem Kirhhofe Holzhausen an
den Rand der Schlucht von Helserbruch, wohin einst die Germanen den
auf Seiten der Römer kämpfenden Bataverfürsten Chariovalda und seine
Mannen gelockt hatten, um sie dann niederzumachen.
Von hier aus konnte man die Idistaviso-Ebene überblicken,
die, an einigen Stellen noch heute sumpfig, sih von dem Hügelland
zur Weser hinzieht.
An dieser Stelle machte Baesch Kossinna, der andauernd die
Situation des Schlachtfeldes erklärte, Mitteilung von seiner etymologischen
Erklärung des altgermanischen Namens Idistäviso, die einigen der
Teilnehmer dieses Ausfluges bereits aus den Vorlesungen von Professor
Kossinna über die Geschichte und Kultur der Römer am Rhein bekannt
war (s. Exkurs S. 90).
Am Horizonte, am jenseitigen linken Ufer des Flusses, bemerkte
man die sih dem Wiehengebirge vorlagernden Höhen des Hahnen-
kampes, den die Römer als Lagerplatz ausersehen hatten. Auch der
Standplatz der Germanen, die im grossen Bogen von Holzhausen bis
Holtrup die Abhänge besetzt hatten, war gut zu übersehen.
Nun wurde das Tal von Helserbruch durchwandert und durch
Wiesengelände erreichte man die Senkung von Möllbergen, die sich
nach der Weser hin zu einer Schlucht verengert. Durch dieses Tal
umging der römische Reiterführer Stertinius die Germanen von Süd-
osten her, um Germanicus, der auf der Linie Vennebeck—Helserbruch
von Westen her vordrang, die Hand zu reichen.
Heiss brannte die Mittagssonne und so bedurfte es noch besonderer
Anstrengung, die mächtigen aus Kies und Geröll bestehenden Höhen
nördlich von Veltheim zu ersteigen. Dort oben aber luden schattige
Bäume zum Lagern ein und bei schöner Aussicht auf das etwas strom-
aufwärts gelegene Eisberger Tal, das im Gegensatz zu Oberst Dahm
Gymnasialdirektor Professor Dr. Knoke für den Schauplatz der furcht-
baren Schlacht hält, war es endlich vergönnt, einen kleinen Imbiss ein-
zunehmen.
An der Weser sind die roten Dächer von Eisbergen sichtbar; zu
diesem Dorfe sendet die Gebirgskette mehrere Ausläufer. Hier war es,
wo nach Knoke die Germanen ihre Aufstellung genommen hätten. Die
Römer, die ihr Lager in der Nähe von Möllbergen gehabt hätten und
zwischen Weser und Bockshorn in die Ebene eingerückt wären, füllten
den westlichen Teil des Tales. Die durch einen Vorberg verdeckte
Einsenkung des Gebirges bei Lohfeld, durch die Stertinius seinen Weg
genommen hätte, um den Germanen durch den Pass von Kleinenbremen
in den Rücken zu fallen, konnte man erkennen.
Nachdem so die Teilnehmer auch von dieser Gegend des Weser-
landes, die von Knoke für das Schlachtfeld in Anspruch genommen
wird, ein Bild gewonnen hatten, stiegen sie hinab, vorbei an der gewal-
tigen Kiesgrube „Bockshorn“, zum Dorfe Veltheim, das als Fund.
stätte spätrömischer Germanengräber mit Beigabe von Bronzeeimern
des Hemmoorer Typus (mit Tierfries) zu Beginn des Jahres archäo-
logisch so bekannt geworden war, um nach Osnabrück zu weiteren
Unternehmungen zu fahren. Doch in Bad Oeynhausen wurde noch
— 90 —
die Zeit des Aufenthaltes zur Besichtigung des Kurparkes mit dem neu-
erbauten Kurhause und der Funde aus dem Reitergrabe der Merovinger-
zeit benutzt. (Walter Schulz.)
Exkurs über den Flurnamen ‘Idistaviso’.
Von Gustaf Kossinna.
Gehen wir an die Erklärung dieses altgermanischen Namens heran,
so haben wir zunächst die Worte des Tacitus zu betrachten an der
einzigen Stelle, wo uns jener Name überliefert wird, in seinen An-
nalen ll, 16, wo er sagt. . campum, cui Idistaviso nomen. Nach
dem Sprachgebrauch dieses Schriftstellers muss der Name Idistaviso
hier notwendig ein Nominativ sein, wie ein vorzüglicher Kenner des
Tacitus, der alte Nipperdey, schon vor einem halben Jahrhundert fest-
gestellt hat (vergl. auch Gronov zu Livius I, 1). Trotzdem hat gerade
die römische Altertumskunde hier mit Vorliebe den Fehler gemacht, von
einem ‘campus Idistavis us oder einem Idastavisusfelde zu sprechen.
Nicht nur weniger bedeutende Gelehrte wie Pfitzner, Geschichte der
Kaiserlegionen S. 113, sondern auh ein Mann wie Heinrich Kiepert
auf seinen Karten von Germanien, auch auf der Karte zu Th. Mommsens
Röm. Gesch. Bd. V, wo Mommsen selbst im Text (Anm. S. 49) in un-
durchsichtiger Weise von einem ‘idistavisischen Felde’ spricht. Seitdem
scheint aber die Form Idistavisus auf der römischen Seite der römisch-
germanischen Forschung die allein bekannte zu sein. So finden wir
sie z. B. bei A. Koepp, die Römer in Deutschland, bei Dahm, Schuch-
hardt. Trotzdem ist sie zu verwerfen. Innerhalb der germanischen
Forschung hat man die überlieferte Namensform lange Zeit leider auch
nicht unangetastet gelassen. Bekannt ist ja, dass Jacob Grimm die
schon durch Herm. Müller (Marken des Vaterlandes S. 99: Idisaviso)
vorbereitete Änderung der Überlieferung in Idisiaviso vornahm, das
er als ‘nympharum pratum’ glossierte (Deutsche Mythologie I, 372) und
Andere als Elfen-, Feenwiese, Forbiger als Jungfernhaide erklärte.
Jacob Grimms Vermutung ist gewiss sinnreich und verführerish; auch
paläographisch ist seine Lesart nicht allzu kühn, sondern wohl zulässig.
So hat sie auch Müllenhoff bestochen, der sehr scharf für sie eintrat
(Zeitschr. f. deutsch. Altertum 9, 248) und so habe auch ich in jungen
Jahren eine Lanze dafür gebrochen (Anzeiger für deutsches Altertum
1887, 206 f.). `
Trotzdem ist diese Änderung der Lesart zu verwerfen, denn sie
bleibt unbefriedigend, weil sie grammatische Schwierigkeiten bringt.
-viso statt -visa, wie man dann erwarten sollte, kann als zulässig
bezeichnet werden, nicht aber im Genetiv Pluralis idisia statt idisio.
Darum wird man vorsichtigerweise die überlieferte Lesart lieber nicht
antasten, sondern zu erklären suchen. Leicht ist diese Aufgabe nicht
und unsere besten Etymologen sind darum einer Erklärung ausgewichen.
Da wir aber eine solche doch nicht unversucht lassen sollten, wage ich
es, jetzt zu veröffentlihen, was ich bereits vor fünfzehn Jahren
darüber erdacht habe.
Will man dem Namen mit Erfolg zu Leibe gehen, so hat man,
glaube ich, zunächst die alte Auffassung, als lage hier eine Zusammen-
setzung mit -viso vor, fallen zu lassen. Abzuteilen ist vielmehr Idi-
— 9) —
und staviso. Idi, altsächsisch id, althochdeutsch iti und ite, angel-
sächsisch ed ist vollkommen klar als lateinisch re- wieder, ‘zurück’;
wahrscheinlich gehört auch griechisch ère hierher. Dieses Wort liegt vor
in ahd. itmälon ‘strafen’ und mhd. iteniuwe ‘ganz neu’. Der zweite
Stamm hängt zusammen mit der Wurzel stä oder stä (ablautend)
Stehen’ und enthält den erweiterten Stamm stauwjan = — ‘stehen
machen’, ‘stauen’. Staviso oder Idistaviso wäre demnach ein
Gegenstand oder eine Örtlichkeit, die eine Rückstauung hervorbringt;
vielleicht also ein Damm, wobei daran erinnert sei, dass die Idistaviso-Niede-
rung heute noch sumpfig ist (S.89). Nicht ganz klar war mir dabei das Suffix
so oder iso. Ich teilte seiner Zeit Friedrich Kluge meine Etymologie mit,
erfuhr von ihm, dass er ähnliche Gedankengänge gehabt habe, für das
Suffix so aber auch keine Erklärung wisse, es sei denn, dass ein
pluralisches Suffix iso hier vorliege, zu vergleichen mit indisch éshu,
wobei aber die Endvokale nicht übereinstimmten. Den Anstoss Kluges
und auch Möllers, dass man am Beginn des Wortes statt idi- vielmehr
edi oder eda erwarten müsste, glaube ich mit einem Hinweis auf das
Schwanken zwischen Segi- und Sigi-, Fenni und Finni in der
antiken Überlieferung derselben Zeit abwehren zu können.
Dagegen hat mein Kopenhagener Freund Hermann Möller, an den
ich mich dann wandte, mir einige Bildungen mit Suffix -isö, -izö
nachgewiesen; so altsächsisch lunisa agl. lynis, mhd. lüner = Lünse;
mittelniederdeutsh premese, mhd. ahd. premse, bremse ‘Hemm-
schuh’; ferner Ableitungen wie Zunder, Schlenker (von zünden,
schlenken), wo r aus z entstanden ist; endlich fiigte Edward Schréder zu
diesen Worten, die sämtlich Werkzeuge oder Mittel zu etwas bezeichnen, in
mündlicher Besprechung noch germanische Flussnamen auf -s, wie Ips,
Selters, Solms (?), vielleiht Hekese (bei Osnabrück) hinzu.
Ist meine Auslegung richtig, so war auf den Wiesen des Weser-
ufers, bei Rehme also, eine Abdämmung des Flusslaufes gemacht worden,
die sih wohl erklären lässt, da die Weser in früheren Zeiten ihren
Lauf hier öfters geändert hat und daher vielleicht Altwässer auf diesen
schönen Weidegründen abgeschnitten werden sollten.
Meine Erklärung ist längst nicht so phantasievoll, wie die Grimm-
sche, vielleiht aber kommt sie in ihrer Realistik der Wahrheit, ein
kleines Stückchen wenigstens, näher.
Um 3.35 Uhr kamen die Herren in Osnabrück an. Auf dem
Bahnhofe wurden sie vom Archivrat Dr. Krusch und Gymnasialdirektor
Dr. Knoke empfangen und nach dem „Grossen Klub“ begleitet, in dessen
prächtigen Räumen ein festliches Mittagessen eingenommen wurde, an
dem noch einige weitere Osnabrücker Herren sich beteiligten und das
durch warmherzig gesprochene Tischreden gewürzt wurde. — Dann
schritt man zunächst zur Besichtigung des Museums, dessen reich-
haltige vorgeschichtlihe Sammlung das lebhafte Interesse der Besucher
erregte. Dasselbe gilt von den vielfahen Funden der Schlachtfelder
und Lager aus der Zeit der Römerkämpfe, insbesondere des Lagers
im Habichtswalde. Aber auch bei Iburg, Barenau und Brägel-Mehrholz
hatte der Boden manches wertvolle Stück geliefert. Auch zur Be-
sichtigung des Rathauses, der Marienkirche und des Domes
= o E
sowie einiger merkwürdiger Gebäude der Krahnstrasse und Burstrasse
war noch Zeit genug geblieben.
Am 11. August wurde in der Frühe die Fahrt nah Barenau
angetreten, der sich ebenfalls verschiedene Herren aus Osnabrück an-
geschlossen hatten. Unter Führung des Herrn Fuhse-Niewedde wurden
die Stellen besichtigt, an denen die augusteischen Goldmünzen in den
Jahren 1904 und 1908 sich gefunden hatten. Besonders aber war es
darum zu tun, das Gelände bei dem Gute Barenau, wo durch die Be-
gegnung von Berg und Moor ein leicht zu verteidigender Pass gebildet
wird, einer Besichtigung zu unterziehen. Es braucht nicht weiter ge-
sagt zu werden, dass sämtliche Herren davon auf das äusserste über-
rascht waren, wie sehr die örtlichen Verhältnisse mit der Darstellung
des Tacitus von der siegreichen Schlacht des Arminius gegen Germanicus
des Jahres 15 nach Chr. übereinstimmen ). Auch die grosse Zahl der
megalithischen Gräber in der Nähe von Venne, die zugleich einen Be-
weis für die frühe Besiedelung der Gegend liefern, erregte das Er-
staunen der Besucher.
Nachdem sodann des Mittags in dem Gasthause von Meyer neben
dem Bahnhofe von Ostercappeln ein Frühstück eingenommen wor-
den war, fuhren sämtliche Teilnehmer des Ausflugs mit der Eisenbahn
nach Diepholz und von hier auf einem Leiterwagen nah Mehrholz,
wo zunächst der Graben des von Knoke wieder aufgefundenen Cäcina-
lagers an zwei Stellen aufgedeckt wurde. Sodann ging es in das Moor
hinein, um einige der dortigen Moorbrücken zu untersuchen. Leider
konnte jedoch bei der Kürze der Zeit und Nässe des Bodens die
Grabung nicht bis zu der Tiefe der Brücke Nr. 3 der Prejawaschen
Karte fortgesetzt werden, wohl aber wurde ein Stück der Brücke Nr. 4
blossgelegt. Von besonderer Wichtigkeit war es jedoch, dass auch hier
die Taciteische Schlachtschilderung — es handelt sich um die der Kämpfe
des Cäcina bei den pontes longi vom Jahre 15 nach Chr. — in dem
Gelände deutlich verstanden werden konnte. Nach einem gemeinsamen
Mahle im „Grafen“ zu Diepholz wurde die Rückfahrt nach Osnabrück
angetreten.
Am 12. August früh fand der Ausflug nach Iburg statt. Hatte
schon am Tage vorher die Schönheit der Osnabrücker Gegend die Be-
sucher überrascht, so wurde an diesem Tage angesichts des grossartigen
Gebirgslandes mit seinem ungeheuren Waldreihtum die Überraschung
noch gesteigert. Dazu kam das historische Interesse, das die Ortlich-
keit erregte. Eingehend konnte das Schlachtfeld des Teutoburger Waldes
bei Iburg, die Gestalt der dortigen Berge und Schluchten, sowie die
Stätte des ersten Varuslagers besichtigt werden. Dann wurde nach einem
Mahle im Felsenkeller um Mittag die Fahrt über Jagen und Natrup
auf derselben Linie, auf der einst das unglücklihe römische Heer im
Jahre 9 n. Chr. gezogen war, fortgesetzt.
Auch auf diesem Abschnitte des Weges liess sich die Überein-
stimmung mit dem Bericht des Do Cassius leicht feststellen. Nach
etwa zwei Stunden fand die Einfahrt in den Habichtswald statt, wo
1) Mommsen und andere verlegen hierher bekanntlih den Schlussakt der
Varusschlacht vom Jahre 9 nach Chr G. K.
— 93 —
namentlich das zweite Varuslager genauer in Augenschein genommen
wurde. Der militärische Charakter dieser alten Befestigung zwischen
den tiefen Schluchten, der Wall, der sich auf allen Seiten noch erhalten
hat, die Tore mit ihrer Clavikula errregten im besonderen Grade die
Aufmerksamkeit der Besucher. Bezeichnend sind aber auch die viel-
fachen sumpfigen Stellen im Walde und besonders das ausgedehnte
Moor, das sich auf der Nordseite um den Habichtswald herumzieht.
Alles stimmt auch hier in jeder Hinsicht zu der örtlichen Beschreibung,
wie sie sich bei Do Cassius, Florus usw. findet.
Nach einer Rückfahrt durch die ununterbrochen durch landschaft-
liche Schönheit ausgezeichnete Gegend fand gegen Abend die Rückkunft
in Osnabrück statt. Die ganze Zeit hindurch wurde die Unternehmung
durch das günstigste Wetter unterstützt. (F. Knoke.)
Mit innigem Dankgefühl für die treffliche Leitung dieser Fahrten
durch Professor Knoke, bei denen alles klappte und geschichtliches
Denken wie edelster Naturgenuss in gleicher Weise zu ihrem Rechte
kamen, löste sich die Reisegesellschaft auf, zum Teil um noch weitere
Absteher nach den übrigen herrlichen Gegenden des Teutoburger
Waldes zu machen. G.K.
II. Ausflug: 13. bis 16. August
zum Besuch neugeordneter Sammlungen des deutschen Paläo-
lithikums, unter Führung von Dr. R. R. Schmidt, Tübingen.
Zur Exkursion: Bonn bis Stuttgart.
Von H. Hahne, Hannover.
In Bonn trafen nur einige Exkursionsteilnehmer am 13. VIII. zu-
sammen. Ein kurzer Rundgang durch das Provinzial- Museum, das
durch seinen Neuanbau in die glückliche Lage gesetzt ist, seine ge-
samten Sammlungen zur würdigen Geltung zu bringen, stand unter der
gefälligen Führung von Herrn Direktor Dr. LEHNER. Das Interesse
galt vor allem der neu aufgestellten paläolithischen Sammlung und dem
ehrwürdigen alten Neandertaler. Die ältesten Zeugen diluvialen Lebens
in den Rheinlanden und Westfalen sind hier die Funde aus den west-
fälischen Höhlen Klusenstein, Balve und Lethmathe und die Aurignacien-
lössfunde von Metternich am Rhein. Am vollkommensten zeigt sich
die Magdalénienkultur in der Station von Andernach mit ihrer vollen-
deten Steinindustrie und Knochenarbeiten, darunter die künstlerischen
Arbeiten. Die Funde entstammen der alten SCHAAFFHAUSENschen
Sammlung. Mit Genugtuung möchten wir hier feststellen, wie gut eine
modern-ästhetische Aufmachung sich mit einer instruktiven und wissen-
schaftlichen Aufstellung vereinbaren lässt. Herrn Geh.-Rat BONNET
sei unser Dank gebracht für die Ausstellung seiner Archäolithe aus dem
Cantal, die er in liebenswürdiger Weise für die Teilnehmer unserer
Exkursion arrangierte. Leider musste der geplante Besuch in Koblenz
und Wiesbaden unterbleiben, da die grössere Teilnehmerzahl erst in
Stuttgart zusammentraf. Am Nachmittag des nächsten Tages konnte
in Stuttgart unter Leitung von Herrn Dr. DIETRICH der Sammlung des
— 94 —
Naturalienkabinetts ein Besuch abgestattet werden. Dank der eifrigen
Forschungen von OSKAR und Eberhard FRAAS ist hier eine her-
vorragende Sammlung der diluvialen Höhlenfauna aus dem Schwäbischen
Jura erstanden, die wohl die reichhaltigste innerhalb Deutschlands sein
dürfte. Von der Diluvialkultur dieser Höhlen zeugen die meist in den
60er bis 80er Jahren ausgegrabenen Funde aus der Ipfelhöhle, dem Hohle-
fels und der Ofnet. Vor allem aber fesselten die einzigartigen Funde
aus dem Magdalénienlager an der Schussenquelle mit seinem Riesen-
inventar an bearbeiteten Rentiergeweihen. Leider fehlt dem prächtigen
Material in Ermangelung an Raum die richtige Heimstatte. Durch die
Neuordnung von SCHMIDT tritt nur die lithische Industrie besser hervor.
Hier wie in den anderen Sammlungen sind die Funde ergänzt durch
Originalstücke und Abgiisse der SCHMIDTschen Diluvialfunde.
Der Abend dieses Tages brachte ein geselliges Beisammensein
hoch über dem Lichtermeer der schönen schwäbischen Hauptstadt.
Ehe die Abfahrt am Sonntagmorgen nach Tübingen angetreten
wurde, galt den Prähistorika des Altertumsmuseums in Stuttgart noch
ein kurzer Besuch, dessen Glanzseite freilich nicht im Paläolithikum,
sondern in der vorgeschichtlichen Metallzeit und der römischen Kaiserzeit
liegt. Erfreulich ist, dass auch hier dem reichen Schwäbischen Paläo-
lithikum ein Platz eingeräumt wurde. Hier war es weniger die kleine
Sammlung von Originalstücken, die Interesse bietet, sondern eine voll-
ständige Typensammlung aller paläolithischer Epochen der deutschen
Funde vom Chelléen bis Azilien, die SCHMIDT in Gipsreproduktion
zur Aufstellung gebracht hat. Einige Originale aus den Schwäbischen
Höhlen Sirgenstein, Bockstein, Ofnet, Hohlefels und Schussenquelle
reihen sich als kleine Einzelfunde dieser Sammlung an, während zu
deren Seite die Sirgensteinfundschichten aufgebaut sind.
In Tübingen fanden sih 12 Herren!) zusammen, um einige
Tage bei diluvialgeologischen und -archäologischen Fragen zu verweilen,
an der Hand der reihen Sammlungen der prähistorischen Ab-
teilung des geologischen Institutes (Bericht s.S.100) und einer
Sonderausstellung diluvialarchäologischer Funde, die für diese Zu-
sammenkunft von Dr. R. R. SCHMIDT aufgestellt war. Die Sonder-
ausstellung enthielt folgende Fundgruppen:
1. Funde von Thaingen: Magdalénien aus dem Museum in
Konstanz.
2. Die Funde aus dem Bockstein bei Ulm: Aurignacien und
Magdalénien aus dem Altertumsmuseum in Ulm und der
Privatsammlung?) des Herrn Med.-Rates Dr. Hedinger in Stuttgart.
1) 1. Herr E BACHLER, Museumsdirektor, St. Gallen. 2. Herr Dr. BERNETT,
Museumsleiter, Nürnberg. 3. Herr E FRANK, Frankfurta.M. A Herr Prof. GAUS, Heiden-
heim (Württ.). 5. Herr Priv.-Doz. Dr. HAHNE, Hannover. 6. Herr Sekretär
HORMANN, Nürnberg. 7. Herr Prof. Dr. v. KOKEN, Tübingen. 8. Herr Kustos
A. MÖLLER, Weimar. 9. Herr Geheimrat Dr. PFEIFFER, Weimar. 10. Herr Dr.
R. R. SCHMIDT, Tübingen. 11. Herr P. WERNERT, Tübingen. 12. Herr Priv.-Doz.
Dr. WUST, Halle a. S.
) Letztere ist durch Vermächtnis in den Besitz der prähistorischen Abteilung
des Geologischen Instituts übergegangen. `
3. Die Funde aus der Kl. Ofnet: Aurignacien, Solutreen,
Magdalénien. — Ausgrabungen des Herrn Pfarrer SCHIPS,
Schloss Nehresheim (Württ.).
4. Die Lössfunde von Achenheim im Elsass: Acheuléen usw.
Privatsammlung des Herrn WERNERT-Tübingen.
5. Funde aus den verschiedenen Stufen von Weimar-Ehrings-
dorf-Taubach aus dem städt. Museum in Weimar und aus
der Sammlung HAHNE - Hannover, die bereits in Hannover
ausgestellt war.
Im Geologischen Institut fanden die täglichen Zusammenkünfte statt;
dort wurden folgende 5 Vorträge und Demonstrationen gehalten, an die
sich lebhafte Debatten anschlossen:
I. Dr. R. R. SCHMIDT: Uber die geologischen und archäo-
logischen Ergebnisse seiner seit 1906 vorgenommenen
Ausgrabungen in süddeutschen Höhlen.
Einige wichtige Punkte seien hier herausgegriffen.
Die bedeutendsten Fundplätze sind der Sirgenstein und die Ofnet,
deren Schichten ein typisches Gerätinventar und eine Folge von mehreren
Kulturen vom frühen Primitiv-Mousterien bis zum Azilien-Tardenoisien
aufwiesen.
Die grosse Säugetierwelt ist vom Mousterien bis zum Früh-Mag-
dalénien, mit dem erst Mammut und wollhaariges Rhinozeros auf den
Aussterbeetat gelangen, ziemlich einheitlich und weist keine sonderlichen
Wedhsel auf. Auch der Höhlenbär bleibt vom Moustérien bis Früh-
Magdalénien. Das Rentier wird im späten Spätpaläolithikum häufiger,
während es im Aurignacien (Ofnet, Wildscheuer) seltener ist. Höhlen-
löwe!) und Höhlenhyäne sind allein auf die Aurignacienschichten be-
schränkt, das Wildpferd ist überall häufig bis zum Spätmagdalenien,
während seine Blütezeit dem frühen Spätpaläolithikum angehört.
Viel markanter wird die Stratigraphie durch die vorkommende
Nagetierwelt. Der La Quinahorizont des späten Mousterien wird zunächst
durch eine Nagetierschicht, die eine boreale, auf den tiefsten Klimastand
jener Zeit hinweisende Mikrofauna enthält, von dem Aurignacienhorizont
getrennt. Das massenhafte Auftreten von arktischen Nagetieren, die
im Hochaurignacien fehlen, wiederholt sich verstärkt im Früh-Magda-
lénien, hier aber lässt sich im Verlauf des Nagetierschichtenkomplexes
zum Spatmagdalénien aufwärts eine allmählihe Wandlung zur Steppe
und schliesslih zum Wald konstatieren. Auch die grössere Tierwelt
zeigt diese allmähliche Umwandlung zu unserem heutigen Waldklima an.
Im Früh- und Hochmagdalenien haben wir noch häufig Ren, das
mit dem Spätmagdalenien die Albgefilde verlässt und der Waldfauna,
vor allem dem Edelhirsch, Platz macht. Diese Resultate seien in nach-
stehender Tabelle kurz veranschaulicht, in der nur ein Teil der süd-
deutschen Funde aufgenommen ist. Als ältester Fundplatz Süddeutsch-
lands sei Achenheim im Elsass dieser Tabelle noch angeschlossen, dessen
Fundinventar, das ein typisches Acheuléen aufweist, von Herrn P.
WERNERT-Tübingen gesammelt wurde.
) Der Höhlenlöwe kehrt im Azilien-Tardenoisien der Ofnet noch einmal wieder.
Tabelle A.
—
| Fundplätze |
c |
=
3
Kulturschichten R 8 2 | T: 11
Süddeutschlands) „ |2 f 2 8 2 5 SEN
2 „ B 5 5 K
r vi bi vo = E
2 ojl% E . o
P S F SSS S
5 Sc T a |<
| Azilien- T + — ae ae = Rezente Waldfauna, vor-
Al Tardenoisien | | | | wiegend Hirsch; Höhlenlöwe.
Spät- VF d Hirsch, Reh; Ren und
Magdalénien i+ EE a | +| + || Steppenmikrofauna selten
Hoh- C 5 Sale Ss Ren, Steppenarten, Tundra-
Magdalénien | | || mikrofauna zurücktretend
————_— | ee — — — —
Früh = | | ‚Ren hi häufig; Mammut un
1 + | — — — — — — ashorn i. Aussterben. Tundra-
Magdalénien | mikrofauna vorherrschend -
|
|
— rn
Wildpferd und Ren häufig;
—— | — — oo — 1 ——
Solutreen ++: — — ſD — — — Mammut, Nashorn, Höhlen-
| | bär etc.
Spät- i+ + AE Ä + e 8 e ei 2
Auri j Se ai rn Diluv. gr. Säugetiere wie im
8 „ E NW Moustèrien, dazu Höhlenhyäne,
Hoch- | BEN DEE ae Pe | | Löwe, Edelhirsch. (Ren in Ofnet
Aurignacien | | und Wildscheuer selten.) Keine
— : —-—-— a2 |] — —3ʒ arktischen Nagetiere. Wildpferd
A N „ sehr häufig.
urignacien |
Nagetierschicht SE ES +/?);—j-—,— | + | Arktishe Nager (Lemminge)
1 Kl =
Moustérien ee | a be Höhlenbär, Mammut, Rhino-
oop — — — — — zeros tich., Ren, Wildpferd,
Frith. = 3 GES | e Bison priscus.
ustéri | |
Spät- E A We ER = BR E o Rhinozeros Merkii, Reh,
| Acheuléen | | Hirsch u. a.
1) Siehe: R. R. SCHMIDT, Die neuen paläolithishen Kulturstätten der
Schwab. Alb. 1908. Archiv f. Anthr. Bd. VII, H. 1.
Ders. Die späteiszeitlihen Kulturepochen in Deutschland und die neuen
paläolithischen Funde. 1908. Korrespondenzbl. d. D. Ges. f. Anthr.
Ders. Die vorgeschichtlichhen Kulturen der Ofnet. 1908. Bericht des natur-
wissenschaftl. Ver. f. Schwaben u. Neuburg.
Ders. Das Aurignacien in Deutschland. 1909. Mannus, Bd. I, H. 1,2.
Ders. Der Sirgenstein und die diluvialen Kulturstätten Württembergs. 1910.
E. Schweizerbart’scher Verlag, Stuttgart.
Ders. u. P. WERNERT, Die archäologischen Einschlüsse der Lössstation
Achenheim (Elsass) und die paläolithischen Kulturen des Rheintallösses. 1910.
Prähistor. Zeitschr. Bd. I, H. 3/4.
Ders. Die spätpaläolithischen Bestattungen der Ofnet. 1910. Mannus
Ergänzungsband I, S. 56 ff.
— 97 —
Hierauf wurde ein Vergleich mit den norddeutschen Funden, be-
sonders Weimar-Ehringsdorf-Taubach angeschlossen. `
Über diese Fragen wurde lebhaft diskutiert (WUST, HAHNE,
BÄCHLER, MÖLLER, PFEIFFER); es wurde erreicht, dass die Fragen
für weitere Forschungen mehr als bisher präzisiert wurden.
Für Weimar-E.-T. bildet den „festen Punkt“ für Parallelisierungen,
dass wenigstens eine dem Moustérien nahe stehende Kultur, be-
sonders durch die neueren Funde nachgewiesen ist, zwar in den unteren
Waldtravertinen mit warmer Fauna. Im Sirgenstein gehört das
: Moustérien aber in eine „kalte Fauna“.
II. R. R. SCHMIDT: Die Epochen der parietalen Kunst in
den Höhlen Südfrankreichs und Spaniens. Der Vortrag stützte
sich auf die in dem Prachtwerke CARTAILHACS und BREUILS „La
caverne d' Altamira, peintures et gravures murales des cavernes paléo-
lithiques“, Imprimerie de Monaco ), niedergelegten Forschungen. Die
Hauptergebnisse sind in nachstehender Tabelle zusammengefasst.
Entwiclungsstadien der
parietalen Kunst | Dargestellte Tiere Stationen
Figuren tief eingraviert. Blosse Steinbock, Pferd; |La Grèze, La Mouthe
steife Profilumrisse, einzelne i ’ ’ ’
= Bison und Mammut Les Combarelles, Ber-
Linien rot oder schwarz nad- selten. nifal, Font-de-Gaume,
gezogen. Altamira, Marsoulas.
— — —
Te noch 8 eingravierte
mrisslinien. Schwarz, selten rot :
1 aufgetragen. Einzelheiten mehr Pferd, Hirschkuh,
betont, aber noch schhwache Model-
lierung; später stärkeres Hervor-
treten der Silhouette.
La Mouthe, Combarel-
Rentier, Mammut, |les, Font-de-Gaume,
Bison (Antilope 7). Marsoulas, Altamira.
Eingravierung weniger tief; Graf-
fiti leicht nachgezogen.
a) Feinere Modellierung in
Hirsch, Rentier,
schwarz; Font-de-Gaume,
Ill. b) Flächen- u. schattenhafte Auf- nu 5 Altamira, Marsoulas.
Togong in rot oder schwarz. t °
Bilder von grosser Ungleich-
heit.
|
Der Graffiti tritt mehr und mehr n; i
vor den das Haarkleid markie- ann Die grossen Fresken
IV. renden Linien zurück. kuh. Renti A Pferd, von Altamira, Marsou-
a) schwach polychrome Fresken, " ‘Antilope las, Font-de-Gaume.
b) lebhaft polychrome Fresken. pe-
EEE 8 |
Konventionelle Figuren des Azi-
v. lien. Keine Tierdarstellungen. = Marsoulas, Mas d’Azil
Zeichen ähneln denen der kolo- u. a.
rierten Steine.
1) Der Fürst von Monaco hat die Gewogenheit gehabt, ein Exemplar dieses
kostbaren Werkes unserer Gesellschaft zu widmen; für diese hohe Aufmerksamkeit
sei auch an dieser Stelle ehrfurchtsvoller Dank öffentlich ausgesprochen. G. K.
7
— 98 —
Die Untersuchung, vorwiegend auf Altamira gestützt, ergibt, dass
zur ältesten Kunstepoche (I—II) Figuren von Steinbécken und Wild-
pferden vorherrschen, in einer fortgeschritteneren Kunstepoche (II-III)
steht die Darstellung der Hirsche im Vordergrunde, während zur Blüte-
zeit der Freskomalerei (IV) die Bisonfresken und die bildnerischen Dar-
stellungen von Wildschweinen in der Mehrzahl sind. Betrachten wir
die faunistischen spätpaläolithischen Horizonte Südfrankreichs, so zeigen
diese ebenfalls in der ältesten Ablagerung, im „Equidien“ PIETTES
ein Vorwiegen von Wildpferd und Steinbock, im ,Tarandien* das Maxi-
mum der Hirsche und schliesslih im „Elapho-Tarandien“ das zahlreiche
Vorkommen von Bison und Wildschwein. Auf diese Weise lässt sich
eine annähernde chronologishe Festsetzung jener einzelnen Kunst-
Epochen erzielen.
Wichtige Stützen für die Richtigkeit dieser chronologischen Aus-
legung bietet auch das Kunstinventar der paläolithishen Schichten,
das in frappanter Weise die gleichen Kunstprinzipien und die gleiche
Technik erkennen lässt.
Die Psychologie der parietalen Kunst wird erhellt durch die gleiche
Kunstbetätigung rezenter Jägerstämme. Getragen wird jene Kunstbe-
tätigung anscheinend durch totemistische Vorstellungen.
Der Erforschung der diluvialen Kunststätten steht noch ein reiches
Programm bevor, und wir begrüssen es, dass die Durchführung desselben
durch Unterstützung des Fürsten von Monaco sicher gestellt ist.
UL An der Hand der ausgestellten reichhaltigen Sammlungen klas-
sischer Fundplätze gab R. R. SCHMIDT ferner einen Überblick über
die Wandlung in der Arbeitsweise der Paläolithen, über die Entwicklung
der Steintechnik. Da eine auf blossen Formen beruhende Einteilung,
besonders der altpaläolithischen Epochen zuweilen auf schwachen Füssen
steht, oft auch die typischen Leitformen in unserem fundarmen Deutsch-
land an manchen Fundplätzen fehlen, so begründet SCHMIDT seine
Einteilung hauptsächlich auf die feinen Unterschiede der Technik, vor
allem auf die Retusche, die die Launenhaftigkeit der vom Materiale ab-
gängigen Form nicht teilt. Ihre typische streng konventionelle Ausprägung
hat trotz der Verschiedenheit des Materials nur eine geringe Variations-
breite. Einige Grundmerkmale, unter Weglassung der Begleitindustrie,
kurz charakterisiert, sind folgende:
Strépyen: wenige ungleichmässig grosse, rohe Abschläge zur
Entfernung der Kruste an einigen Stellen (Spitzen, Schneiden)
der von Natur aus handlichen Silexknollen.
Chelléen: Grosse, breite „Muschelretusche“ mit stark konvexen
Negativen an „ficrons“ und anderen massiven Geräten.
Acheuléen: Schmalere, länglih feinsplissige „Muschelretusche“
an breitbasigen, mandelförmigen, dünnen Geräten.
Früh-Mousterien: An dekadenten Keilen eine dem Spät-
acheuléen nahestehende Retuschierungsart. An Spitzen und
Schabern kurze partielle Randschärfung.
Spat-Moustérien La Quinaphase: „Stufenretusche“, d. h. kurz-
splissige, hintereinander stehende, nach dem äusseren Rande zu
kleiner werdende, absteigende Retuschierung (an La Quina-
schabern). (An Kratzerprototypen Beginn der Kannelierretusche.)
— 99 —
Aurignacien: Kräftige, gleihmässige „Kannelierretusche“, die
den ganzen Klingenrand bedeckt, zuweilen mit kleinerer, kurzer
Stufenretusche vereinigt. Die Kratzerenden der Klingen durch
fächerförmige Retuschierung abgerundet („Aurignacienretusthe“).
Spezialtechnik der Kielkratzer u. a.
Solutréen: Feine, dünnsplissige „Schuppenretusche“ auf beiden
Flächen der Lorbeerblattspitzen; an Klingen Randbearbeitung,
degenierte Aurignacienretusche.
Magdalénien: Seltenere Bearbeitung der ganzen Ränder; mit
dem Ausgang des Paläolithikums stets kleiner werdende „Nage-
retusche“.
Diese dem Laien allerdings weniger in die Augen springenden
Merkmale, vereinigt mit den übrigen technischen und stilistischen Eigen-
schaften, bieten sichere Mittel zur Erkennung der einzelnen paläolithi-
schen Industriephasen.
Das gemeinsame Studium des Vergleichsmaterial brachte viel Anregung
für weitere Arbeiten und ergab Klärung über manche wichtige Fragen.
IV. Herr Geh.-Rat PFEIFFER - Weimar hielt einen Demonstrations-
vortrag über den Gebrauch und die Herstellungsweise einiger
paläolithischer Geräte aus Stein und Knochen ). Die Experimente
an Glasnuclei (Würfel) ergaben interessante technisch-physikalische Auf-
schliisse. Das massenhafte Vorkommen von der Länge nach geteilten
Renntiergeweihen in Schussenried wurde nach analogem ethnographischen
Vergleichsmaterial als Gerätinventar einer Gerbstation erklärt und experi-
mentell erläutert.
V. Herr Prof. Dr. v. KOKEN demonstrierte seine Funde aus
dem Diluvium von Gafsa bei Tunis), das Einschlüsse sowohl
einer alt- wie jungpaläolithischen Industrie ergab und die Silexfunde
aus dem Diluvium der Harzvorlande (Braunschweig, Mascherode).
Das Zusammensein in Tübingen hat allen Teilnehmern sehr viel
Anregung geboten. Ein so reiches vergleichendes diluvialarchäologisches
Material, wie es in den Sonderausstellungen in Hannover und Tübingen
vereint war, ist seither noch nicht in Deutschland beisammen gewesen.
Zu hoffen ist, dass sich bei ähnlichen Gelegenheiten zu Meinungsaustausch
und Studium besonders auh die an diesen Fragen mitarbeitenden
Fachleute öfters zusammenfinden möchten; dadurh würden viele
müssige Papierfehden vermieden werden können!
An den Spätnachmittagen und Abenden führten fröhliche Ausflüge
die Teilnehmer in die waldreiche Umgebung Tübingens, wobei auch, rezente“
Interessen an der Schönheit der Natur zu ihrem Rechte kamen und
die persönlichen stets so wünschenswerten Beziehungen gepflegt wurden.
Dank vor allem der Tätigkeit unseres Mitgliedes R. R. SCHMIDT
gestalteten sih die Tübinger Tage zu einem höchst wertvollen und
eindrucksreihen Abschluss der so ausserordentlih gut gelungenen
ersten deutschen Tagung für Vorgeschichte.
1) Vergl. PFEIFFER „über die Skelettreste des Menschen und die bearbeiteten
Tierknochen aus der Diluvialzeit Thüringens“. Korr.-Bl. d. allg. ärztl. V. von Thüringen.
Weimar 09. S. das Referat in Mannus |, S. 157.
3) Vgl. v. KOKEN „Das Diluvium von Gafsa (Süd-Tunesien) und seine prähisto-
rischen Einschlüsse“. Neues Jahrbuch f. Mineral etc. 1909. S. 1—18, Tafel 1—6.
7*
` d
25602
Die diluvial-prähistorishe Sammlung Deutscher Funde
in Tübingen.
Von Rob. Rud. Schmidt.
Nachdem die eiszeitlihen Kulturen in Frankreih durch die For-
schungen LARTETS und MORTILLETS auch dem Verständnis weiterer
Kreise nahe gerückt waren, erstanden, durch die Lokalforschungen ge-
nährt, an vielen günstig gelegenen Plätzen bereits zur Mitte des vorigen
Jahrhunderts diluvial-archäologische Sammlungen. Von dem Auslande
wusste vor allem England (British Museum) den besten Teil der käuf-
lichen Funde an sich zu ziehen. In den Altertumssammlungen Deutsch-
lands wurde den altsteinzeitlichen Relikten von allen vorgeschichtlichen
Dokumenten von jeher eine etwas stiefmütterlihe Behandlung zuteil.
An Arbeitskräften aus den deutschen Geologen- und Prähistorikerkreisen,
die der Diluvial- Archäologie ihr Interesse zuwandten, fehlte es nicht,
Allein die durch klimatische Verhältnisse bedingte sporadische Besiede-
lung unseres Landes zur Eiszeit erschwerte hier die Erforschung der
diluvialen Kulturen und machte ein Zustandekommen einer grösseren
diluvial-archäologishen Sammlung einheimischen Materials unmöglich.
Kleinere Sammlungen einzelner Fundplätze erwuchsen naturgemäss eher
in dem gebirgs- und höhlenreichen Mittel- und Süddeutschland. In
Norddeutschland besass vor allem Weimar, Jena und Hannover (HAHNE)
eine nennenswerte Sammlung von Taubach-Weimar-Ehringsdorf, ein
Fundplatz, der seit PORTIS Zeiten nur langsam sein Geheimnis sich ent-
locken lässt. Ausser Taubach kommt den Funden der Lindentaler Hyänen-
höhle, die im Besitz des Städtischen Museums in Gera sind und nach
meiner Bestimmung der La Micoquephase angehören, durch ihre archäo-
logische Stellung die grösste Bedeutung zu, an die sich schliesslich die
Mousterienindustrie aus der Baumannshöhle im Harz u. a. anschliessen.
Mit der Rheingegend südwärts betreten wir mehr das reichere jung-
paläolithische Gebiet.
Das Bonner Provinzialmuseum enthält die prächtigen Magdalénien-
funde von Andernach und einige Stücke aus westfälischen Höhlen und
dem rheinishen Löss, Wiesbaden die älteren Funde aus der Wild-
scheuer bei Steeden a. d. Lahn, Koblenz in letzter Zeit die Lösskulturen
von Rhens und Metternih; weiter südlich Stuttgart die wertvollen
Magdalénienkulturen der Schussenquelle und das Paläolithikum einiger
kleiner Höhlenfunde Schwabens, Ulm die Bocksteinfunde, Augsburg
eine Serie aus der Ofnet und Konstanz den kostbarsten Teil der
Magdalénienindustrie von Thayngen. In den meisten Sammlungen wurde
mir eine vollkommene Neuordnung und Neuaufstellung der paläolithischen
Funde in den letzten Jahren möglih; an einigen kleineren Museen
konnten früher teils verschollene Funde aus dem Dunkel der Depots
und der Vergessenheit wieder ans Tageslicht gerückt werden.
Die diluvial-prähistorische Abteilung des geologischen Instituts in
Tübingen ist aus einer kleinen Sammlung hervorgegangen, die Prof. v.
KOKEN für seine Vorlesung über Urgeschichte des Menschen schon
vor einer Reihe von Jahren angelegt hatte. Der ständige Zuwachs
— 101 —
den die Sammlung in den letzten vier Jahren durch die Ausgrabungen in
den Höhlen Schwabens erhielt, bedingte die Einrichtung einer besonderen
diluvial-prähistorischen Abteilung als Glied der geologischen Instituts-
sammlung, der ich meine gesamten früheren Funde zugewiesen habe.
Das ausserordentliche Interesse, das KOKEN schon früher für die dilu-
vialen Ansiedelungen Schwabens gehegt hat, die Nähe des höhlenreichen
Jura, wo bereits seit den 70er Jahren mancher Spatenstich von OSKAR
FRAAS uns die diluviale Vergangenheit erschloss und nicht zuletzt der
Beistand, durh den der württembergische Staat die Weiterführung
meiner seit mehreren Jahren vorgenommenen Ausgrabungen nun mittels
einer besonderen Unterstützung sicherte, machte es hier möglich, eine
diluvial-archäologische Sammlung zu begründen, die den weitaus grössten
Teil der Funde aus den eiszeitlichen Kulturstätten Deutschlands in sich
vereint und eine Übersicht über die gesamte Kulturentwicklung des fossi-
len, insbesondere des diluvialen Menschen gewähren soll.
Die primitive eolithische Kultur im Sinne RUTOTS und seiner An-
hänger wird aus Norddeutschland durch die von KOKEN aus den inter-
glazialen Sanden und Kiesen von Braunschweig, Mascherode und Volk-
marsrode') gesammelten Eolithen und Archäolithen vertreten. Auch
Süddeutschland weist durch die im Laufe des Jahres von mir aufge-
hobenen Silexe eolithischer Natur aus dem Eolithenlager in den alt-
diluvialen Flusskiesen von Steinheim?) (O.-A. Heidenheim) zum ersten
Male jene primitiven, den westeuropäischen Eolithen vollkommen peice
kommenden Instrumente in anscheinend unerschöpflicher Zahl auf.
Bei der Aufstellung des Paläolithikums und der Verschiedenheiten
der einzelnen Lokalsuiten galt es auch das grosse gemeinschaftliche
Band der Gesamtentwicklung der paläolithischen Kulturen Europas über-
sichtlich hervortreten zu lassen.
Ein Fundplatz, dessen Stratigraphie erstmals in Deutschland das
zusammenhängende jungpaläolithische Kulturgebäude zu erkennen gab, war
der Sirgenstein?). Die an Einschlüssen reiche Kulturschichten ergaben
Suiten eines älteren Mousterien und eines späteren Mousterien vom Typus
La Quina, brachten eine lückenlose Folge der typischen Aurignacien-
kulturen, ein weniger vollendetes Solutréen und aus der jüngsten Kul-
turschicht eine ältere Magdalénienindustrie, jeweils ausgezeichnet durch
ein bestimmtes faunistisches Kolorit. Im Sirgenstein sind vor allem
die Industriestraten durch wohlausgeprägte Leitformen belegt, welche
die technischen Konventionen der einzelnen Kulturphasen am schönsten
hervortreten lassen. Zu Seiten der archäologischen Funde des Sirgenstein
ist eine Feuerstelle mit den verbrannten Knochen aus den unteren Hori-
zonten der Kulturablagerung wieder aufgebaut, ebenso eine Werkstätte,
die einen Blick in die Werktätigkeit der Moustierleute gibt. Der Sirgenstein
wurde 1906 ausgegraben. Ein anderes Bild zeigen die Kulturen aus den
Ofnethöhlen )) im Ries bei Nördlingen. Hier setzt die Besiedelung
1) E. v. KOKEN: Diluvialstudien, Jahrb. f. Mineralogie, Geologie, Paläonto-
logie 1909.
1) Unveröffentlict.
3) R. R. SCHMIDT: Die neuen paläolithischen Kulturstätten der Schwäb. Alb.
Arch. f. Anthr. N. F. Bd. VII. H. 1.
) R. R. SCHMIDT: Die vorgeschichtlichen Kulturen der Ofnet. Ber. d. naturw.
Ver. f. Schwaben und Neuburg. Augsburg 1908.
— 102 —
erst mit dem Aurignacien ein und reicht bis an den Ausgang der Dilu-
vialphase. Die Ofnetniederlassungen ergaben das vollentwickelte Solutréen.
Einen überraschenden Anblick gewähren die Bestattungen aus der spät-
paläolithishen Epoche des Azilien- Tardenoisien, zwei Gruppen von
27 und 6 Schädeln, denen noch die Spuren der Ockerbeisetzung anhaf-
ten. Kolliers aus durchbohrten Hirschzähnen und durchlochten Schnecken
und Feuersteinbeigaben umgeben die eigenartige Gruppe, die wieder
aufgebaut wurde, wie sie vorgefunden worden war, und wohl das
seltsamste Monument eines vorgeschichtlichen Totenkultus bilden dürfte.
Aus dem Gebiete und Grenzgebiete Schwabens reihen sich mehrere
jungpaläolithische Funde, die gleichfalls meinen Ausgrabungen der letzten
Jahre entstammen und nun Aufstellung gefunden haben: Es sind die
Magdelénienfunde vom Hohlefels bei Hütten, die ein Hoch- und
Spatmagdalénien zeigen, Funde aus einer kleinen Grotte bei Schhmie chen
(beim Sirgenstein) und dem Probstfels im oberen Donautal bei
Beuron), die ein typisches Spätmagdalénien enthalten, sowie eine
Reihe kleiner Funde aus Schwaben.
Die Funde aus der Wildscheuer im Lahntal), die im vergangenen
Jahr ausgegraben wurden, ergaben sowohl ein typisches Aurignacien
mit Stein- und Knochenarbeiten, als auch ein älteres Magdalenien. Sie
bilden unsere wertvollsten ausserschwäbischen Funde.
Teils durch Schenkung, teils durh Tausch konnten letzthin eine
Reihe von Stücken für unsere Sammlung erworben werden, die einen
kleinen Teil der Magdalénienfunde der Schussenquelle, von Andernach,
Thayngen und dem degenerierten Magdalénien von Istein, den Aurigna-
cienfunden der Bocksteinhöhle u. a. enthalten.
Endlih habe ich, um das Bild der Gesamtentwicklung der paläo-
lithischen Kulturen in Deutschland zu vervollständigen, soweit möglich,
eine Typenreihe sämtlicher bedeutsamen Funde, die in anderen Samm-
lungen Deutschlands untergebracht sind, wenigstens in Form von Abgiis-
sen herbeigezogen. Diese Abgusssammlung birgt noch das Acheuléen
von Achenheim i. E., das Mousterien von Weilerswistbach (Westf.),
das Moustérien vom Typus La Quina von Taubach-Weimar-Ehrings-
dorf, das jüngere Aurignacien der Lössfunde von Rhens und Metternich,
das Aurignacien und Magdalénien der Ulmer Bocksteinfunde, des Hohle-
stein, das Solutréen von Cannstatt, das Magdalénien der Schussenquelle,
von Thayngen u. a. Grössere Etiketten beabsichtigen den Werdegang
der paläolithishen Technik und ihre Eigentümlichkeiten verständlich zu
machen. Ein besonderer Schrank wird z. Zt. der technischen und
experimentellen Seite gewidmet, welche die genetische Reihe vom rohen
Keil und Bulbussplitter bis zum degenerierten Spätmagdalenien veran-
schauliht. Die Ahnlichkeit zuweilen wiederkehrender Formen zu ver-
schiedenen Epochen paläolithischer Kultur zeigt zugleich, wie sehr wir
auch anderer Stützen als blosse Typenreihen bedürfen, darum soll ausser
dieser die Eigentümlichkeit der Retuschierung in deutlicher Weise demon-
striert werden. An paläoanthropologischem Material besitzt die Sammlung
1) R. R. SCHMIDT: Die späteiszeitlihen Kulturepochen in Deutschland und
die neuen paläolithishen Funde. Korrespbl. d. deutsch. Ges. f. Anthrop. 1908.
— 105 —
ausser den erwähnten Schädeln aus der Ofnet noch Zähne des diluvialen
Menschen aus dem Aurignacien des Sirgenstein.
Einen übersichtlichen Vergleich über die Stratigraphie der diluvialen
Wohnstätten sollen vor allem die grossen Profile der Fundplätze geben,
als natürliches Tagebuch unserer Vorgeschichte. Die Schichten sind in natür-
licher Mächtigkeit hinter Glaswänden aufgebaut, in genauer stratigraphischer
Folge, wie sie bei den Ausgrabungen vorgefunden wurden, mit den
faunistischen und archäologischen Einschlüssen und ihren Herdstellen.
Vorerst wurden solche vom Sirgenstein und der Ofnet eingerichtet. Uber
dem Profil des Sirgensteins erhebt sich noch ein 2,50 m hohes Modell
des Sirgensteinfelsens, mit seiner schutzbietenden Terrasse und dem
Höhleneingang, das auch dem Laien das geologische Bild zugänglicher
macht und ihm die Lebensweise des Eiszeitmenschen andeutet.
Von der Tierwelt konnte nur einiges, auch für das weitere Publikum
von Interesse, ausgestellt werden, während dem Studium des Spezial-
forschers ein Raum im Souterrain mit der gesamten Tierwelt der Fund-
plätze offen steht. Als älterer Bestand der geologischen Sammlung
haben rings an den Wänden Schränke mit den diluvialen Raubtieren,
den Hirschen und Elefanten der Eiszeit Aufstellung gefunden. Ein
interessantes Bild gewähren die massenhaften Nagetiere aus dem Hohle-
stein im Lonetal, die die allmähliche Wandlung des Klimas am Aus-
gang der Diluvialepoche andeuten. |
Die reichhaltige Sammlung ausserdeutschen Materials sei im An-
schluss wenigstens kurz erwähnt. Prof. KOKEN hat durch Kauf ein präc-
tiges Material aus den klassischen Fundplätzen Frankreichs und Belgiens
erworben und soweit es tunlich ethnographisches Vergleichsmaterial (z. B.
tasmanisches) herangezogen. Von der eolithishen Manufaktur West-
europas und Ägyptens besitzt unsere Sammlung die Industrien aus dem
belgischen Fagnien, Reutelien und Mesvinien RUTOTS und eine grössere
Kollektion der SCHWEINFURTHscen Funde von Theben. Archäolithische
Funde aus dem Miocän von Puy Courny bei Aurillac und Eolithe aus dem
Mesvinien von Bergerac wurden letzthin für die Sammlung erworben. Das
Praechelléen (Strepyen RUTOTS) liegt in typischen Abgüssen vor,
während die Chelles- und Acheulstufen durch eine Reihe guter Stücke
aus dem französischen Altpaläolithikum belegt werden. Das Moustérien
weist prächtige Seiten aus Le Moustier selbst und La Micoque auf, das
Aurignacien aus Miremont, Le Ruthe, Longeroche, La Roche, Sergeac und
der Grotte de Pataud. Die Solutréenindustrie wird durch Stücke aus
Solutré und Laugerie-Haute vergegenwärtigt, dem sich noch ein fran-
_ zösisches und schweizerisches (Schweizersbild) Magdalénien anschliesst.
Die schöne Sammlung aus dem ägyptischen Altpaläolithikum
verdankt Tübingen der SCHWEINFURTHschen Schenkung. Auch das
nordafrikanische Paläolithikum ist jüngst durch die Funde, die KOKEN
in der Umgebung von Gafsa südlich von Tunis machte, zur Geltung
gekommen und enthält sowohl Stücke aus der alt- wie aus der jung-
paläolithischen Industrie.
Von der Höhe der diluvialen Kulturentwicklung zeugt eine grössere
Sammlung aller hervorragenden Stücke der glyptischen Periode Frank-
reichs in Abgüssen, besonders diejenige der PIETTEschen Sammlung,
— 104 —
die ih von dem ,Musée des anquitées nationales“ in St. Germain
erwarb, während eine Reihe von Photographieen die Entwicklung der parie-
talen Kunst Südfrankreichs und Spaniens zeigt, die ich durch die freund-
liche Vermittlung H. BREUILS erhielt.
Der intellektuellen Entwicklung des diluvialen Menschen, die wir
durch seine Kulturen hier schrittweise verfolgen können, geht die physische
Entwicklung des fossilen Menschen parallel, der ein besonderes Abteil
der Sammlung gewidmet ist, das Abgüsse der Neandertalgruppe Mittel-
und Westeuropas bis zu den hochentwickelten Rassen des ausgehenden
Diluviums aufweist, die in vergleichender Weise zur Ausstellung gelangt
sind, um die Rassenmerkmale hervortreten zu lassen.
Einen illustrierten Führer, der zugleih eine Einführung in das
Studium der Diluvialvorgeschichte und ihrer Literatur bilden soll, beab-
sichtige ich im Laufe dieses Jahres abzufassen.
Verzeichnis der 101 Teilnehmer
(darunter 8 Damen).
1. Vorsitzender: Kossinna, Gustaf, Dr., Universitätsprofessor, Berlin.
2. Vorsitzender: Bezzenberger, Adalbert, Univ.-Prof., Dr., Geh.
| Regierungsrat, Königsberg i. Pr.
3. Vorsitzender: Reimers, J., Dr., Direktor des Provinzial-Museums
und Provinzial-Konservator, Hannover.
A.
Atzel, H., Pfarrer, Nerkewitz.
B
Behnke, Wilhelm, Dr. phil., Direktor des
Kestner-Museums, Hannover.
Bernett, Dr., Direktor der Naturhistor.
Gesellschaft, Niirnberg, mit Frau.
v. Bibra, Freiherr, Major a.D., Hannover.
Bieder, Th., Hamburg.
Blanctenhorn, Max, Prof., Dr. phil., Berlin.
Blasius, Wilh., Prof., Dr., Braunschweig.
Blume, Kaiser Friedrich Museum, Posen.
Bock, Ernst, Lehrer, Letter, Kreis Linden.
Bodenstab, E., Neuhaldensleben.
Bödecker, Dr. phil., Lehrte.
Borchard, B., Dr., Charlottenburg.
Busse, Herm. u. Frau, Berlin. Woltersdorf.
D.
Dehning, H., Lehrer, Celle.
E.
Ey, Ludwig, Buchhändler, Hannover.
F
Fastenau, J., Dr. phil., Hannover.
Feyerabend, Museumsdirektor, Görlitz.
Fischer, Rich., Hamburg.
Franck, Geh. Baurat, Hannover.
Franck, E., Frankfurt a. M.
Fritze, Direktor, Dr., Hannover.
Fuhse, Dr., Museumsdirektor, Braun-
schweig.
G.
Girke, Georg, stud. phil., Berlin.
—
Graefe, H., Ingenieur, Linden.
Grösser, Max, cand. theol., z. Zt. Han-
nover-Döhren.
Günther, Schulinspektor, Clausthal.
H
v. d. Hagen, J. O., Schmiedeberg bei
Greiffenberg i. M.
Hahne, Frau Kommerzienrat, Hannover.
Hahne, Frau llse Magdalene, Hannover.
Hahne, H., Dr., Privatdozent, Hannover.
Hartwich, Dr., Arzt, Havelberg.
Hauthal, R., Prof., Dr., Hildesheim.
Heller, Lehrer, Nienburg a. d. W.
Herting, Bildhauer, und Frau, Hannover.
Hildebrand, Pfarrer, Leuthen, Kr. Cottbus.
Höfer, Prof., Dr., Wernigerode.
J.
Jahn, Martin, stud. phil., Berlin.
Jarck, Konservator des Museums Stade.
Jürgens, Dr., Hannover.
K.
Kabitzsch, Curt, Würzburg.
Kasten, Prof., Dr., Hannover.
Kiekebusch, Albert, Dr., phil, Berlin.
Klingholz, Fritz, Prof., Hannover.
Korn, Joh., Dr., Königlicher Bezirks-
geologe, Berlin.
Krause, Hans, Dr., Döbeln.
Kuhlgatz, Friedr., Hannover.
Kunze, Prof., Bibliotheksdirektor, Han-
nover.
L.
Langerhans, Medizinalrat, Celle.
Langerhans, jun., stud., Celle.
— 106 —
Lenz, Prof., Dr., Lübeck.
Lienau, Abteilungs-Vorsteher am Museum
in Lüneburg, und Frau.
Löhe, C., Redakteur (Hannoverscher An-
zeiger), Hannover.
Lühmann, Oberlehrer, Braunschweig.
M.
Mente, Lehrer, Rebenstorf.
Mertens, Prof., Magdeburg.
Meyer C., sen., Bergen b. Celle.
Meyer, C., jun., Bergen b. Celle.
Meyer, F., Redakteur (Hannover. Tage-
blatt), Hannover.
Mohrmann,Warthold, stud. phil., Hannover.
Mohrmann, Karl, Prof., Geh. Baurat,
Hannover.
Müller-Brauel, Hans, Schriftsteller, Zeven
in Hannover.
O.
Olbricht, K., Dr., Liineburg.
P.
Pastor, Willy, Berlin.
Pessler, Dr., Direktor des Vaterländischen
Museums, Hannover.
Peter, Hugo, stud. litt., Hannover-Döhren.
Pfeiffer, Dr., Geh. Medizinalrat, Weimar.
Pfeiffer, Dr., Prof. der Physik, Hamburg.
Plettke, Fr., Konservator des Städtischen
Morgenstern - Museums, Geeste-
münde.
R
Rathgen, Bo Dr., Berlin-Friedenau.
Reischel, Professor, Hannover.
Riemschneider, Georg, Buchdruckerei-
besitzer, Hannover.
Römstedt, Praeceptor, Bergen b. Celle.
Ross, B., Professor und Frau, Hannover.
S.
Schmelzer, G. und Frau, Hannover.
Schmidt, R. R., Dr., Tübingen.
Schmidt, Henry, Dr., Hannover.
Schmidt, Herm., Oberlehrer, Löbau i. Schl.
Schulz, Walter, stud. phil., Minden i. W.
Schulz, B., Prof., Hannover.
Schwantes, C., Hamburg.
Schwantes G., Lehrer, Hamburg.
Seeler, Bergen b. Celle.
Siedentopf, Frau Marie Charlotte, Magde-
burg.
Staffel, Dr., San.-Rat, Chemnitz.
Staudinger, W., Dr., I. Assistent a. landw.
Institut, Halle a. S.
W.
Wackenroder, E., Dr., Hannover-List.
Wahle, Ernst, stud. archaeol., Delitzsch
b. Halle.
Walter, H., Dr., Pegau.
Weise, Dr., Hannover.
Wernert, Paul, Strassburg.
Winkler, Albert, stud.hist., Charlottenburg.
Wüst, E., Dr., Privatdozent, Halle.
Rednerliste.
Bezzenberger 50, 63, 72. Olbricht 26, 37, 38.
Blanckenhorn 38, 63, 67, 69.
| Pfeiffer 99.
Feyerabend 51, 53. f
Frank 7. Reimers 11, 14, 24, 55,
Ross 5.
Hahne 12, 25, 49, 68, 65, 68.
1 an i H. Schmidt 53.
i R. R. Schmidt 56, 63, 68, 95, 97, 98.
Kiekebusch 41, 42, 54, 55. Schulz 70.
Knoke 76. C. Schwantes 89, 40, 41.
v. Koken 99. G. Schwantes 41.
Korn 36.
Kossinna 2, 7, 16, 50, 53, 55, 63, 87, 88, 90. Wackenroder 25.
v. d. Wense 5.
Wist 37, 65, 68.
Mohrmann 1, 7.
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Zeitschrift für Vorgeschichte
Organ der Deutschen Gesellschaft
für Vorgeschichte
: herausgegeben von ::
Professor Dr. Gustaf Kossinna
Il. Ergänzungsband
Bericht über die Il. Hauptversammlung
zu Erfurt, 31. Juli bis 3. August 1910
bearbeitet von
Dr. Gustav Albrecht
und
Prof. Dr. Gustaf Kossinna
WÜRZBURG
Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag)
1911.
Königl. Universitätsdrucerei H. Stürtz A. G., Würzburg.
Inhaltsverzeichnis.
Sonntag, den 31. Juli:
Begrüssungsabend. Redner: Professor Dr. Biereye .... .
Festschriften ; „ oe er
Montag, den 1. August:
Universitätsprofessor Dr. G. Kossinna: Festvortrag über „Die Frau in
Seite
der Vorgeschichte Mitteleuropas. H
Begriissungsreden: Landesrat Nitschke, Geheimer Sanitätsrat
Dr. Zschiesche, Gymnasial-Direktor Professor Dr. Biereye,
Professor Dr. Kossinna 4
Wissenschaftliche Vorträge:
Geh. Sanitätsrat Dr. Zschiesche: Das vorgeschichtliche Erfurt und
seine Umgebung . . 8
Prof. Dr. Götze: Die vorseschichtlichen Burgen der Rhön und: die Steins-
burg auf dem Kleinen Gleichberge bei Römhild 11
Privatdozent Dr. H. Hahne: Über die Moorleichen der Provinz Hannover
(mit Tafel I, ID es : 18
Stud. archäol. A. Winckler: Ober Gewebstoffe der Moorleichen f 27
Zu den beiden Vorträgen: ee Bezzenberger, Gett
Möller 29
Stud. archäol. E. Wa bien Ein Fall von ‘Skelettbestattung anid ein neo-
lithisches Totenopfer aus dem Mansfeldischen (mit 4 Abbildungen:
Tafel Ill) € oa „ „ 30
Dazu: Götze, Wahle, Jacob. Wahle, Albrecht, Wahle,
Koss inna : d &, % er: SG. SBE a ee OS
Ausflug nach Möbisburg . 37
Dienstag, den 2. August:
Geschäftliche Sitzung : 37
Wissenschaffliche Vorträge:
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Bezz ee Die ältere und die jüngere
Steinzeit in Ostpreussen „ ae Se. ee. a SO
Dazu: Wahle, R. R Schmidt, Beszenberger 40
Univ.-Professor Dr. G. Kossinna: Eine 5 E CHE (mit
Tafel IV). . e 4
Dazu: Hahne (mit Tafel V), Dietrich, Bezzenbergeri Schmidt,
Bodenstab, Berger, Kossinna, Busse 42
Dr. R. R. Schmidt: Das Altpaläolithikum Deutschlands und. seine
Parallelen mit dem altpaläolithischen Kulturkreis Westeuropas . 43
Dazu: Wüst, R. R. Schmidt, Hahne. 44
z W =
Univ.-Professor Dr. O. Fleischer: Die Stellung der Indogermanen in
Inner-Kleinasien um das Jahr 1000 v. Chr. (1500—700)
Dazu: Bezzenberger, Fleischer, Kossinna.
Paul Berger: Seltene vorgeschichtlihe Funde aus der Mersehurger
Gegend . . E Aë ee
Dazu: M. Wilcke, Berger, Wüst 8 4
Prof. Dr. Pfau: Über vorgeschichtliche „Feuersteinwerkstätten“ in der
Rodlitzer Gegend (Sachsen) 8 e Be ye Ses te Sin DS ee
Dazu: Bezzen berger aS de u “Eby tla ee. We
A. Giinther: Die Bronzezeit im Neuwieder Becken i Sei Cee he oa
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. 5 Schlusswort
Bierabend der Stadt Erfurt Scao iet a aooi EE
Dichtungen von Geheimrat Dr. Zehe ene
Mittwoch, den 3. August:
Ausflug nach Weimar, Ehringsdorf, Buchfart und Öttern
(Bericht von A. Möller) . . 2 2 2 2 6 rr?
Ausflug vom 4. bis 7. August
nach den vorgeschichtlichen Burgen des Feldatals und der Steins-
burg (Kleiner Gleichberg) bei Römhild an von A. Götz >
Verzeichnis der Teilnehmer 3 Er :
Rednerliste.
Seite
70
91
Sonntag, den 31. Juli.
Nachmittags 5 2 Uhr fand eine Vorstandssitzung in der „Ressource“
statt, in der die Tagesordnung der 2. Hauptversammlung und die
Reihenfolge der wissenschaftlichen Vorträge festgestellt wurde. Daran
schloss sih um 6 Uhr 25 Min. eine Sitzung des Ausschusses, in der
die Wahl der Protokollführer erfolgte und beschlossen wurde, der
Gesellschaft als Ort der nächsten Tagung Coblenz vorzuschlagen.
Um 8 Ta Uhr abends wurde in der „Ressource“ der Begrüssungs-
abend eröffnet, der sehr gut besucht war. Ausser Mitgliedern der
Gesellschaft für Vorgeschichte mit ihren Damen waren Herren und
Damen aus Erfurt anwesend.
Gymnasial-Direktor Professor Dr. BIEREYE, Erfurt,
begrüsste die Anwesenden mit folgender Ansprache
Hochgeehrte Herren!
Im Namen des Ortsausschusses Erfurt bitte ich Sie, mir freund-
lichst einen Augenblick Gehör gewähren zu wollen!
Von allen Teilen unseres Vaterlandes haben Sie sich nach unserer
Stadt begeben, nach dem Herzen der Herzlandschaft Deutschlands, des
schönen Thüringen.
Mit hochgespannten Erwartungen werden Sie hierher gekommen
sein! Sie werden die Reize der Natur geniessen wollen, die gerade
von unserem Lande im Munde der Dichter und Denker gepriesen werden,
die in der Pracht der grünen Wälder und der blühenden Auen, in den
unzähligen Gartenanlagen mit ihren duftenden Blumen und feinstgepfleg-
ten Nutzgewächsen den staunenden Augen sich offenbaren und jedes
empfängliche Herz entzücken. —
Sie werden sich sagen, dass Sie sich hier in einer uralten
Kulturstätte befinden, die bei dem Zauber ihrer Lage von Ost und
West, von Süd und Nord die vielseitigsten Einflüsse von jeher auf
sich wirken lassen konnte, die eine Zeitlang die geistige Hochburg der
Deutschen war, und insbesondere dem Manne, der, wie kein anderer,
der Entwicklung unseres Innenlebens die Richtung gab, — ich meine
Doktor Martin LUTHER, — das geistige Rüstzeug für sein weltbewe-
gendes Wirken gewährte — und Sie werden schauen wollen, was an
denkwürdigen Zeugen aus grossen Zeiten und von grossen Männern
hier erhalten ist. —
1
DEE, Ze
Sie werden vor allem aber auch in unserem Lande den in so
grosser Anzahl erhaltenen Spuren nachgehen wollen, die durch kundigen
Forschersinn aus jenen Zeiten zutage gefördert sind, die nichts wussten
von einer Aufzeichnung oder Überlieferung, — Spuren, die auf das
Ursein unseres Geschlechtes helleres Licht werfend, allemal die schär-
feren, die eindringenden und die weiterblickenden Geister um so tiefer
anregen werden!
Meine Herren! Mögen die Erwartungen, mit denen Sie zu uns
gekommen sind, nicht enttäuscht, sondern eher übertroffen werden!
Mögen Sie geistbildende und herzerhebende Anregungen in reicher
Fülle mit von uns hinwegnehmen! Mögen die Tage und Stunden, die
Sie unter uns in Erfurt und seiner Umgebung weilen, Ihnen bleibend
in freundlicher Erinnerung stehen!
Mit diesen aufrichtigen Wünschen heissen wir Sie heute Abend
von ganzem Herzen willkommen!
Beim Eintragen in die Teilnehmerliste erhielten die Teilnehmer
nebst dem Programm folgende Schriften:
1. ZSCHIESCHE, Erfurt: I. Zwei neolithische Gräber mit
Schnurkeramik von Erfurt. II. Weitere Funde aus der `
merowingischen Zeit von Erfurt und Umgegend. Mit 2 Tafeln
und 3 Textabbildungen. Sonderabdruck aus Heft 30/31 der
Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertums-
kunde von Erfurt.
2. Kurze Übersicht der wichtigsten Literatur der Vorgeschichte
Mitteleuropas, zusammengestellt von E. WAHLE, revidiert und
ergänzt von Gustaf KOSSINNA.
3. Erfurt in Thüringen. Bearbeitet von Max TIMPEL,
Alfred OVERMANN, Adolf BERGMANN, Albert REIN-
HARDT und Wilhelm RUDOLPH. Mit 16 Tonbildern,
20 Bildern im Text und einem Stadtplan mit dem Steiger-
wald und Ilversgehofen. Erfurt 1910.
4. Teilnehmerliste.
Montag, den 1. August.
Ressource.
Vorm. 9 Uhr. Die 2. Hauptversammlung wird eröffnet durch
einen mit 40 Lichtbildern ausgestatteten Festvortrag von
Universitätsprofessor Dr. G. KOSSINNA, Berlin:
Die Frau in der Vorgeschichte Mitteleuropas +);
(Kurzer Auszug nach dem Bericht des Erfurter Allgemeinen Anzeigers.)
Der Redner kniipfte in humorvoller Weise an die Bestrebungen
eines Teils der heutigen Frauenwelt nach politischer Gleichstellung mit
1) Der vollständige Vortrag wird erscheinen als Heft der Mannus-Bibliothek,
herausgegeben von Professor Dr. Gustaf KOSSINNA. Würzburg, Curt Kabitzsch.
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dem männlichen Geschlechte an. Er wies dann auf den Gegensatz hin,
den die Stellung der Frau in älterer, namentlich in vorgeschichtlicher
Zeit zu derartigen Bestrebungen einnehme. Über die Stellung der Frau
im Leben der vorgescichtlihen Völker berichtet uns in offenkundiger
Weise das aus dem Erdboden gehobene reiche Fundmaterial an vor-
geschichtlichen Kulturgegenständen.
Mann und Weib hatten in vorgeschichtlichher Zeit scharf getrennte
Wirkungskreise. Der Mann widmete sich hauptsächlich dem öffentlichen
Leben und war der Familie fast nur Schutz und Schirm gegen
Feindesgefahr. Sonst sorgte er für sie nur hie und da durch Beschaffung
animalischer Kost in Ausübung der Jagd. Seine Hauptbeschäftigung
war jedoch vornehmes Nichtstun, unterbrochen zuweilen durch Sport.
Auf den Schultern der Frau dagegen lastete die volle Bürde der
täglichen Arbeit, deren jede Familie zu ihrer Erhaltung bedurfte: die
Arbeit der Ernährung und der Kindererziehung. Hierbei zeigt die Frau
drei Entwicklungsstufen. Zuerst als blosse Sammlerin für den Tages-
bedarf ist sie Schöpferin der menschlichen Arbeit. Später als Vorrats-
sammlerin ist sie die Schöpferin des wirtschaftlichen Besitzes. End-
lich auf dritter Stufe als Pflegerin von Nahrungspflanzen ist sie Schöpferin
unseres Besitzes an Kulturpflanzen, die sie zugleich anbaut in der
Wirtschaftsform des Hackbaues. Die beiden ersten Stufen der Ent-
wicklung der Frau gehören in Europa noch dem paläolithischen Zeit-
alter, die dritte aber, wo die Frau die Schöpferin des Getreidebaus wird,
bereits dem neolithischen Zeitalter an. Wie heute noch die Negersfrau
mag sie oft, das jüngste Kind auf dem Rücken, im Sonnenbrande ihrer
harten Feldarbeit obgelegen haben. Fiel dem Manne die schwierige
Arbeit zu, das Feuer anzumachen, so war die noch schwierigere an-
dauernde Sorge, das Feuer zu hiiten, Sache der Frau. Redner
führte verschiedene Bilder vorgeschichtlicher Hausgeräte vor. Jedes Haus
besass eine „schöne Müllerin“, denn die Frau musste das Korn auf der
primitiven Handmühle selbst zerreiben.
Ebenso lag ihr die Herstellung der Tongefässe ob, die in der
Weise geschah, dass immer ein feuchter Tonring auf den andern gelegt
und das Ganze jedesmal verstrichen und geglättet wurde. Der Brand
geschah am offenen Feuer.
Weiter musste die Frau für die Herstellung der Gewebe Sorge
tragen. Redner ging unter Vorführung lehrreiher Abbildungen des
näheren ein auf die primitiven Systeme vorgeschichtlicher Webstühle
und der dazu gehörigen Geräte; er beleuchtete die Verwendungsart der
in den vorgeschichtlichen Niederlassungen so häufig gefundenen Spinn-
wirtel und der sogenannten Webegewichte. Die oft zusammen gefun-
denen fünf Tonkegel der letzteren ergeben drei Gewinde, von denen
mittels eines Fadensammlers der zum Weben erforderliche Faden ab-
gewickelt wurde.
Redner war auch in der Lage, im Bilde Beispiele für die Machart
und Verzierung der Gewebe und überhaupt für die Trachten der
vorgeschichtlichen Frau vorzuführen. Aus der älteren Bronzezeit Schles-
wig-Holsteins und des benachbarten Ostseekiistengebietes sind uns ganze,
aus Wollgewebe bestehende Frauentrachten dadurch erhalten geblieben,
dass die Frauenleichen in Särgen aus Eichenholz beerdigt worden waren,
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deren Gerbsäure erhaltend gewirkt hat. In einem solchen Grabe hatte
die Frau eine kurze Armeljacke an, die nur im Rücken und am unteren
Ärmelrand Nähte aufwies. Der Halsschlitz war mit einer Bronzefibel
geschlossen. Der nach oben hin sehr faltenreihe Rock bestand aus
einem einzigen Webestück und war in der Hüfte mit einem Quasten-
gürtel umschlungen. Über den Kopf war ein Haarnetz gezogen, um
den Hals ein breiter bronzener Kragenschmuc, um die Unterarme waren
spiralig gewundene Bronzebandzylinder, um die Finger kleine Spiralen
aus gleihem Metall gelegt. Der Gürtel hatte eine grosse, herrlich ver-
zierte Bronzeplatte über dem dadurch verdeckten Knoten und in ihm
steckte ein Bronzedolch mit Holzscheide.
Die germanischen Frauen der vorgeschichtlihen Zeit beteiligten
sich nur ausnahmsweise am Kriegskampfe der Männer; sie stellten
sich jedoh in die Reihen der Kämpfenden, um die Verwundeten zu
bergen und zu pflegen, denn sie kannten die heilbringenden Pflanzen-
säfte und auch die heilenden Zaubersprüche. Diese Fähigkeiten und
die der germanischen Frau nachgerühmte Fähigkeit, als Seherin in
die Zukunft zu schauen, waren ganz dazu angetan, ihr ein hohes An-
sehen zu verschaffen, wie ja auch aus der reichen Ausstattung der
Frauengräber mit Schmuck und sonstigen Beigaben hervorgeht.
Was das Verhältnis von Frau und Mann betrifft, so herrschte
bei den Germanen durchaus die Einehe vor. Rechtlih war zwar die
Frau das Eigentum des Mannes, das er in zwingendster Not sogar ver-
kaufen konnte; tatsächlich aber genoss sie bei ihm hohes Ansehen und
besass einen grossen Einfluss. Eine Mitverbrennung, wie sie bei den
Indern vorkommt oder bis vor kurzem üblich war, gab es bei den Ger-
manen nicht, mit Ausnahme einiger nach Südosteuropa versprengter
Stämme, die diese Unsitte von ihren dortigen Nachbarn übernommen
haben durften. Erst die Wikingerzeit des skandinavischen Nordens
scheint häufigere Fälle eines freiwilligen Witwentodes zu kennen. Bei
den Germanen des Tacitus aber war die Witwe so frei gestellt, dass
sie bei manchen Stämmen sogar eine Wiederverheiratung eingehen konnte.
Auf den Eröffnungsvortrag folgten die Begrüssungsansprachen.
Landesrat NITSCHKE,
als Vertreter des Landeshauptmanns der Provinz Sachsen
überbrachte die Wünsche der Provinzial-Regierung für einen gedeihlichen
Verlauf der Tagung.
Geheimer Sanitätsrat Dr. ZSCHIESCHE, Erfurt,
als Vertreter des Vereins für Geschichts- und Altertums-
kunde in Erfurt begrüsste die Versammlung im Namen des Vereins
und hob hervor, dass die Gesellschaft für Vorgeschichte keinen geeig-
neteren Ort für ihre Tagung habe wählen können als Erfurt, denn diese
Stadt liege im Mittelpunkt eines Gebietes, das reich an vorgeschicht-
lihen Funden aus allen Perioden der Vorzeit sei, ausserdem besitze
Erfurt zahlreiche geschichtliche Stätten und viele sehenswerte Bau- und
Kunstdenkmäler.
— 5 —
Gymnasial-Direktor Professor Dr. BIEREYE
als Vertreter der Königl. Akademie gemeinnütziger Wissen-
schaften zu Erfurt: Als derzeitiger Vizepräsident der Kgl. Akademie
gem. Wiss. zu Erfurt habe ich die Ehre, Sie, meine Herren, im Namen
dieser Körperschaft zu begrüssen.
Die Erfurter Akademie hat von jeher alle Gebiete mensch-
licher Wissenschaft mit Interesse verfolgt, namentlich soweit sie für den
heimatlihen Boden unserer Stadt und Thüringens in Betracht kommen.
Im Laufe ihres mehr als anderthalbhundertjährigen Bestehens hat sie
in ihren Abhandlungen und Vorträgen wohl keine einzige Disziplin, die
in dieser Hinsicht von Bedeutung wäre, ausser Acht gelassen. Schein-
bar ist ihr nur die Prähistorie entgangen, jedenfalls findet sich unter
den vielen Arbeiten, die im letzten Jahrhundert aus der Feder der
Mitglieder unserer Körperschaft hervorgegangen sind, kaum eine, die
sich auf Ihr Fach, meine Herren, bezöge. Um so interessanter wird
es für Sie sein, zu hören, dass vor bereits mehr als 130 Jahren der
feinsinnige und geistig hochbedeutende Protektor der Erfurter Universität
und Akademie, der kurfürstl. Meiningische Statthalter Frh. v. DALBERG
das Augenmerk der Gelehrtenwelt auf die Bedeutung der im Roten
Berge südl. von Erfurt entdeckten alten Urnen, Schmuckgegenstände
und Waffen hinwies, ja, auf eigene Kosten weitere Nachgrabungen vor-
nehmen liess und dass u. a. 1777 Professor FRANK einen Vortrag
hierüber hielt und dabei die Worte sagte: „Zu den Hauptgeschäften
der Akademie gehört es, dass ihre Mitglieder tiefer in die Geschichte
des Vaterlandes eindringen, die daselbst verborgenen Merkwürdigkeiten
aufsuchen und gemeinnützig machen“. — In unseren Tagen ist man ja
längst über ein blosses ,Aufsuchen und Gemeinnützigmachen“ hinweg;
das Studium der Prähistorie hat Sie viel weiter geführt: von allen Ge-
bieten der materiellen wie geistigen Kultur haben Sie eines nah dem
anderen in Ihren Bereich gezogen. Ihr Arbeitsfeld hat eine gewaltige
Anziehungskraft gewonnen, und ist gewissermassen zu einem Brenn-
punkte des geistigen Lebens geworden. Immer mehr vertieft und ver-
geistigt kann Ihre Wissenschaft zu einer Sonne werden, die auf die
Natur wie Geisteswelt gleihermassen Licht und Leben hinverbreitet.
Möge gerade diese zweite Tagung in den Mauern unserer Stadt
Erfurt Sie ein gut Stück weiter auf solchen Wege vorwärts bringen!
Das ist der Wunsch, den ich Ihnen heute im Namen unserer Akademie
zurufen möchte!
Universitäts-Professor Dr. G. KOSSINNA:
Indem ich für die freundlihen Begrüssungen unserer Gesellschaft
herzlihen Dank sage, tue ich dies in erster Linie gegenüber dem Herrn
Vertreter der Provinzialverwaltung. Wir sind es leider ja gewohnt,
dass unser Staat selbst den dringlichsten Anforderungen unserer so her-
vorragend nationalen Wissenschaft zugeknöpft, ja interesselos gegenüber-
steht, es sei denn dass es sich um Gegenden mit vorherrschend römischer
Provinzialkultur handel. Um so freudiger und dankbarer begrüssen
wir das hohe Verständnis und Interesse, noh mehr die opferwillige
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Hand, die von jeher und besonders im letzten Jahrzehnt die Provinzen
für die Bedürfnisse der heimischen Vorgeschichtswissenschaft bewiesen
haben. Das konnten wir voriges Jahr in Hannover nicht genug aner-
kennen und wiederholen es jetzt in gleicher Weise für die Provinz
Sachsen. |
Ebenso herzlich ist unser Dank an den Magistrat der Stadt Erfurt
— der Herr Oberbiirgermeister ist heute gerade durch eine Reise ab-
gehalten, hier zu erscheinen, wird aber die Begriissung unserer Ge-
sellschaft seitens der Stadt am Festabend nachholen —, an die Kgl.
Akademie und den Altertumsverein. Ich brauche nicht erst hervorzu-
heben, wie gern wir nach Thiiringen gekommen sind, dieser Perle in
dem goldenen Kranze schöner deutscher Landschaften, so recht „in
Deutschlands Mitten“. Schon im vorigen Jahre machte der Wunsch,
nach Thüringen zu gehen, dem hannöverschen Plane starke Konkurrenz.
Dieses Jahr sehen wir unsere Sehnsucht nach Thüringen in glücklichster
Weise gestillt, dank der liebenswürdigen Einladung der drei Erfurter
Grossmäcdte, des Erfurter Dreibundes: Akademie, Altertumsverein,
Magistrat.
Thüringen nimmt eine ganz besondere Stellung ein in der Ge-
schichte unserer Wissenschaft; von hier gingen einige der ältesten Werke
über deutsche Vorgeschichte aus, um die Wende des 17. und 18. Jahr-
hunderts, wie die von BUTTNER und OLEARIUS; hier setzten, nachdem
Deutschland bei Jena zu Boden geworfen war und in einem Aufflammen
der Begeisterung fiir altdeutsche Kunst und altdeutsches Dichten ein
neues Selbstbewusstsein zu gewinnen trachtete, die Bestrebungen für
heimische Denkmälerkunde in so vorbildliher Weise ein, dass die
Sachsen-Thüringischen Lande unzweifelhaft an der Spitze dieser Be-
wegung standen und uns eine noch heute unentbehrliche Literatur auf
diesem Gebiete schenkten.
Sie haben schon aus meinem Festvortrage vernommen, dass in
dem Chorus dieser Geister auch unser grösster Dichtergenius nicht
fehlte. Aber nicht nur in rein wissenschaftliher Weise nahm GOETHE
Anteil an unseren Bestrebungen, auch bei einem dichterischen Meister-
werke jener Zeit hat er in das Gewebe der Haupthandlung den Einschlag
einer Nebenfigur gefügt, mit der er dem Interesse für unsere Wissen-
schaft den Tribut seiner Anerkennung zollt. Ich meine die Gestalt der
„Architekten“ in den 1809 verfassten Wahlverwandtschaften, über deren
Urbild aus dem Leben ich nichts weiter ermitteln konnte, als die Be-
merkung Jacob GRIMMs (Briefwechsel zwischen J. und W. GRIMM aus
der Jugendzeit. Weimar 1881, S. 187), dass GOETHE dabei „vielleicht“
an den Architekten ENGELHARD in Kassel gedacht habe. Zwei Stellen
dieses Werkes sind es besonders, die unser Interesse erregen:
1. Buch II, Kap. 2: „Der Architekt zeigte den Frauen die verschie-
denen Nachbildungen und Entwürfe von alten Grabmonumenten, Ge-
fässen und anderen dahin sich nähernden Dingen und als man im Ge-
spräch auf die einfacheren Grabhügel der nordischen Völker zu reden
kam, brachte er seine Sammlung von mancherlei Waffen und Gerat-
schaften, die darin gefunden wurden, zur Ansicht, Er hatte alles sehr
reinlich und tragbar in Schubladen und Fächern auf eingeschnittenen,
mit Tuch überzogenen Brettern, so dass diese alten ernsten Dinge durch
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seine Behandlung etwas Putzhaftes annahmen und man mit Vergnügen
darauf, wie auf die Kästen eines Modehändlers, hinblickte“.
2. Aus Ottiliens Tagebuch: „Es ist wohl wahr, die Sammlung
des Architekten von Waffen und alten Gerätschaften, die nebst dem
Körper mit hohen Erdhügeln und Felsenstücken zugedeckt waren, be-
zeugt uns, wie unnütz die Vorsorge des Menschen sei für Erhaltung
seiner Persönlichkeit nah dem Tode. Und so widersprechend sind wir!
Der Architekt gesteht, selbst solche Grabhügel der Vorfahren geöffnet
zu haben, und fährt demnach fort, sich mit Denkmälern für die Nach-
kommen zu beschäftigen“.
Und auch jetzt gerade ist wieder von Thüringen eines der wich-
tigsten Werke zur deutschen Vorgeschichte ausgegangen, das schnell so
bekannt gewordene Inventar der „Vor- und frühgescichtlichen Alter-
tümer Thüringens“, das wir den Herren GOTZE, HOFER und unserem
Erfurter Geschäftsführer Geheimrat ZSCHIESCHE verdanken. Ihm, der
ja auch der Vorsitzende des hiesigen Altertumsvereins ist, danke
ich zugleich für die kleine, aber gehaltvolle Begrüssungsscrift. Wir
selbst, der Vorstand unserer Gesellschaft, hatten die Absicht, gleichfalls
eine Festgabe zu bieten; allein der Umfang der dafür in Aussicht ge-
nommenen Druckschrift wuchs unter der Hand so an, dass sie nicht
mehr rechtzeitig fertiggestellt werden konnte.
Ih danke auch der Kgl. Akademie für Ihre Einladung und Be-
grüssung. Die Beziehungen unserer Wissenschaft zu ihr sind ja früher
engere gewesen, als in neuerer Zeit; jedem Fachmann in der Vorgeschichte
sind die Acta academica der alten Erfurter Akademie bekannt und wäre es
auch nur aus den Veröffentlichungen des berühmten Depotfundes aus
der Frühzeit der Bronzeperiode von Neunheilingen oder der seltenen
Terrasigillataschale von Erfurt. Ich kann mir nicht versagen, zu wünschen
und zu hoffen, dass von nun an die Vorgeschichte im Betätigungskreise
der Akademie wiederum eine grössere Rolle spielen möge.
Endlih der Magistrat: es war für uns eine Freude und bei
dem Gange nach Thüringen gewissermassen selbstverständlich, dass wir
in die freundliche Blumenstadt Erfurt einkehrten, die dank ihrer glück-
lichen Lage und einer weisen Verwaltung nicht nur ihren alten Ruf
als Hauptstadt Thüringens sich bewahrt, sondern einen beispiellosen
Aufschwung zu einer modernen Grossstadt genommen hat. Wie man
hört, sollen hier im Sommer die Kongresse aller Art gar nicht auf-
hören, und das zeigt schon, dass der Fremde sich hier wohl fühlt. Um
so höher wissen wir darum die Anerkennung des Magistrats für unsere
Wissenschaft zu schätzen, die er durch seine Einladung hierher im all-
gemeinen und durch die besondere Einladung zu dem morgigen Fest-
abende uns erwiesen hat.
Darauf trat eine längere Frühstückspause ein.
Um 12 Uhr wurde die Sitzung wieder eröffnet.
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Vorsitz: Universitäts-Professor Dr. G. KOSSINNA.
Geh. Sanitätsrat Dr. ZSCHIESCHE, Erfurt:
Das vorgeschichtliche Erfurt und seine Umgebung.
Der Vortragende führte etwa Folgendes aus:
Schon in der jüngeren Steinzeit hatte der Mensch die natürlichen
Vorzüge der Ortlichkeit, wo sich jetzt Erfurt erhebt, mit scharfem
Blicke erkannt. Hier, wo die den Gerafluss bisher einengenden
Höhen beiderseits zurücktreten und das Tal sih mehr und mehr weitet,
fand er alles, was zu einer Niederlassung erforderlih war. Die ehe-
mals weit stattlicher fliessende Gera lieferte ihm das unentbehrliche
Wasser und Fische im Überfluss, der damals wohl dichtere Wald bot
mannigfache Früchte und hegte schmackhaftes Wild und der fruchtbare
Lehmboden der Uferhänge ermöglichte erfolgreihen Ackerbau. Die
Niederung selbst war versumpft, deshalb finden wir dort nur selten
Spuren von steinzeitlihen Ansiedelungen, sondern fast ausschliesslich
auf den trockenen Abhängen.
Besonders sind zwei Stellen in Erfurt durch umfangreihe Dorf-
anlagen aus der Gruppe der Bandkeramik ausgezeichnet, die
westliche und südwestliche Abdachung des Petersberges und der
Nordhang des Steigerwaldes. Hunderte von meist kesselförmigen
1 bis 1,5 m tiefen und 1,5 bis 2 m im Durchmesser haltenden Herd-
gruben mit dem üblichen Inhalte an Scherben, Steingeräten, Knochen
usw. sind hier aufgedeckt. Grössere Gruben, die man als Wohngruben
deuten könnte, sind nicht beobachtet. In der Ansiedelung am
Steiger finden sich neben bandkeramischen Scherben auch solche vom
Rössener Typus. In der Nähe von Erfurt finden sich noch an zahl-
reichen Stellen die Spuren mehr oder weniger umfangreicher Dörfer aus
dieser Zeit, flussaufwärts bei Bischleben, Ingersleben und beson-
ders Neudietendorf, wo auf der Mitte der jetzigen Bahnhofsan-
lagen sich ein grosses steinzeitlihes Dorf befand. Flussabwärts ist
fast das ganze linksseitige steile Ufer der Gera bis nah Gispers-
leben besiedelt gewesen, z. B. am Krankenhause, an der „hohen Stadt“
usw. Auch auf dem Plateau am sogenannten Ala cher See weisen
Funde darauf hin. Stark bewohnt war ferner der rote Berg bei
Gispersleben, eine reiche Fundstätte aller Perioden bis zur slawischen
Zeit. So zahlreih die bandkeramishen Herdgruben sind, so selten
finden sih Gräber. Sie beschränken sich auf einige wenige am
Steiger, darunter allerdings ein bemerkenswertes, ausgezeichnet
durch reihe Schmuckstücke aus Spondylusschalen. Ein Grab mit 2
Kinderskeletten stammt von der „hohen Stadt“. Alle Skelette waren
liegende Hocker. Am Steiger sind auch noch einige Gräber mit
gestreckten Skeletten mit Beigaben von Rössener Gefässen
gefunden. — Gräber mit Schnurkeramik sind aufgedeckt am süd-
westlichen Abhang des Petersberges, darunter eins bemerkenswert
durch die Auskleidung mit Eichenbohlen; ein anderes enthielt 3 liegende
Hocker. Weitere sind gefunden im Johannisfelde, auf dem kleinen
Hirnzgenberge und in der weiteren Umgebung auf dem schon
erwähnten roten Berge, dem kleinen roten Berge, auf der
= 98 =
Schwellenburg usw. — Noch sind zu erwähnen 3 Gräber mit Zonen-
gefässen.
Die Funde aus der älteren Bronzezeit sind dürftig. Erwäh-
nenswert ist ein Depotfund von Mittelhausen, drei Flachäxte und
zwei Ringe. Es folgen dann zeitlich die Skelettgräber vom „Todten
Mann“ bei Waltersleben und vom roten Berge. Ein grösseres
Gräberfeld mit Leichenbrand findet sich dicht bei Erfurt am Binders-
lebener Wege. Die Graburnen, meist mit Beigefässen, waren von Steinen
umsetzt. Sehr dürftige Beigaben von Bronze, darunter eine Vasen-
kopfnadel. Im Johannisfelde sind wiederholt Gräber mit Bronze-
beigaben gefunden, doch ist alles zerstreut. — Dem Hallstätter
Kulturkreise ist ein Grabhügel bei Elxleben a. d. Gera zuzuzählen,
der in einer Nachbestattung ein Skelett mit einem schönen Torques barg.
Reicher ist die Hinterlassenschaft aus der Laténezeit. Am
nordwestlichen Abhang des Petersberges, vor dem Ändreastore hat
sich ehemals eine grosse Siedelung befunden. Hunderte von Herdgruben
sind hier allmählich bei den neuen Strassenanlagen aufgedeckt. Die
Gruben gleichen im wesentlichen den steinzeitlichen, doch sind hier auch
einige grössere gefunden worden, die man als Wohngruben bezeichnen
kann. Von den Topfscherben von dort zeigen verschiedene die Spuren
der Drehscheibe und haben einen schön profilierten Rand. Ferner
stammen daher ein segelförmiger Ohrring von Bronze, ein vierkantiger
Halsring von demselben Material, an den offenen Enden mit 4 Kugeln
verziert, ein Stück eines Jetringes, Perlen von Ton und blauem Glas
und verkohlte Körner einer kleinen Weizenart. Weitere grössere Ansiede-
lungen befinden sich flussabwärts auf der schon erwähnten „hohen
Stadt“ und auf dem roten Berge bei Gispersleben, sowie flussauf-
warts bei Apfelstädt, westlih von Neu-Dietendorf. Die zu der
Erfurter Wohnstätte gehörigen Grabstätten sind noch nicht entdeckt, viel-
leicht sind sie schon zerstört. Dagegen sind bei Gispersleben und
Andisleben Brandgräber aus dieser Zeit gefunden. Fibeln von Eisen
und Bronze, sowie schön gegliederte Bronzeketten vom Zaumzeug der
Pferde stammen daher. Aus der weiteren Umgebung seien noch die
Brandgräberfelder bei Holzhausen, auf dem Simmel bei
Eischleben und bei Sömmerda erwähnt.
Es sei hier noch einiger alter Wallburgen gedacht, die wohl
zum Teil bis in die Bronzezeit zurückreihen. Ganz in der Nähe im
Steiger befindet sich eine solche Anlage, ein einfacher Abschnittswall.
Weiter ist anzuführen die Burg bei Möbisburg, ein Wall auf der
Mühlberger Schlossleite und die umfangreihe Alteburg bei
Arnstadt, die Fundstätte zahlreicher Laténe-Sachen. Hier hat
sich auch eine Feuersteinwerkstätte befunden.
Römische Sachen sind meines Wissens im Stadtgebiete selbst
nicht gefunden, wohl aber in der Umgegend. Münzfunde, die ja
in Thüringen sehr häufig sind, sind bekannt von Windischholzhausen,
vom roten Berge und von Bischleben. Von letzterem Orte
stammt auch eine Bronzefibel und vom roten Berge ein (efäss
aus Terra sigillata, das leider verschwunden ist, nur die Abbildung ist
uns erhalten. Auch ein Gefäss (Grabfund?) von Ilversgehofen
dürfte hierher gehören. In die Zeit der Völkerwanderung werden
wir den schönen Grabfund von Bischleben setzen können (Gefässe,
Schildbuckel und Fibel von Bronze, Schnalle von Silber mit Goldblech
und 2 Almandinen besetzt). Es sei hier die Vermutung ausgesprochen,
dass von den oben erwähnten Herdgruben der Laténezeit wohl manche
bis in diese und die Merowingerzeit hineinreihen. Die Scherben
der gewöhnlichen Gebrauchsgefässe der Latönezeit und der späteren
Jahrhunderte bis in die Merowingerzeit lassen keinen Unterschied er-
kennen. Erst in den letzten Jahren haben sich die Funde aus der
zuletzt erwähnten Periode gemehrt. Mitten in der Stadt auf dem
Anger fand sih ein Skelett und als Beigaben 2 silberne Schnallen
und eine zwischen den Zähnen befindliche Goldmünze, eine barbarische
Nachbildung eines Triens von Justinian l. Die Prägung der Münze
ist um 550 anzusetzen. Noch bis heute hat sich an manchen Orten
unter der Landbevölkerung Thüringens die Sitte erhalten, den Toten
eine Münze in die Hand oder zwischen die Lippen und Zähne zu legen.
Weitere Merowinger Gräber wurden dann gefunden am südwest-
lichen Abhang des Petersberges (von hier stammt ein sehr schöner,
tadellos erhaltener Glasbecher) und östlich nahe der Stadt im Kräm-
pferfelde, dann beim Bahnhof Gispersleben und auf dem roten
Berge. Sie weisen alle das typische Grabinventar auf. Mit den
Merowinger Funden gewinnen wir den Anschluss an die geschichtliche
Zeit der Stadt. Im Jahre 742 bezeichnet BONIFATIUS in einem Briefe
an den Papst ZACHARIAS Erfurt als eine uralte Stadt heidnischer
Ackerbauer. Auch slawische Funde sind zahlreich vertreten. In
unmittelbarer Nähe der oben erwähnten Merowingergräber im Kräm-
pferfelde wurde in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein grosses
Gräberfeld entdeckt. Neben eisernen Sporen, Messern, Eimerreifen
und Henkeln, Ohrringen von Silber und Goldbleh mit Filigranarbeit,
Schmuckperlen aus verschiedenem Material fanden sich die charakteristischen
Schläfenringe aus Bronze und Silber. Ein zweites grosses Gräber-
feld vor dem Löbertore bei der Wüstung Daberstadt ist eben-
falls hierher zu setzen. Auc bei Bischleben am Windeberg ist ein
slawischer Friedhof gewesen, der die gleihen Funde wie oben
geliefert hat.
Zum Schluss noch einige Worte über den Petersberg und die
schon oben erwähnte Burg bei Möbisburg. Es kann kaum zweifel-
haft sein, dass der fast isoliert sich erhebende Petersberg, der die Peters-
kirche trägt, schon in der Vorzeit umwallt gewesen ist. Der sagenhafte
Thüringer König MERWIG soll hier eine Burg erbaut haben und eine
zweite westlich des heiligen Eichenwaldes der Wagd (des jetzigen
Steigers), die Merwigsburg, von der das jetzige Möbisburg seinen
Namen erhalten haben soll. Von der alten Befestigung auf dem Peters-
berge haben freilich die mannigfachen dort vorgenommenen Veränderungen
nichts mehr übrig gelassen, die andere Burg aber bei Möbisburg ist
noch heute als viereckige Umwallung deutlich erkennbar. Aber beide
Stätten sind auch noch Heiligtümer gewesen. Auf solchen altheiligen
Stätten pflegten die Heidenbekehrer christlihe Kapellen zu erbauen.
Schon in sehr früher Zeit ist eine solhe sowie ein Kloster auf dem
Petersberge errichtet worden, und in Möbisburg steht die Dorfkirche
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noch heute innerhalb der alten Umwallung. Dafür sprechen auch die
mannigfachen interessanten Sagen, die sich an beide Ortlichkeiten
knüpfen.
Professor Dr. GÖTZE, Gross-Lichterfelde:
Die vorgeschichtlichen Burgen der Rhön und die
Steinsburg auf dem Kleinen Gleichberge bei Rémhild.
Zu dem Ausflug, der sih an die Tagung anschliesst, mögen
folgende Bemerkungen als Einleitung und Orientierung dienen. Wenn
in dem Programm der Besuch nur von drei Burgen vorgesehen ist, soll
das nicht zu der Annahme führen, als ob es die einzigen jener Gegend
wären. Dieser jetzt abseits der grossen Verkehrsstrassen liegende Teil
Deutschlands ist vielmehr überraschend reich an prähistorischen Be-
festigungen, die nicht nur des grossen archäologischen Interesses, sondern
auch ihrer landschaftlich reizvollen Lage halber mehr Beachtung ver-
dienen, als ihnen bisher zu teil geworden ist.
Wenn man von Thüringen über Eisenach nach der Rhön reist,
passiert man im breiten Werratal hinter Salzungen das bekannte
Laténe-Graberfeld von Leimbach. Bald erscheinen im Hintergrunde die
Basaltkegel der Rhön, deren nördlichster Vorposten, der Ochsen bei
Vacha, den Reigen dieser Befestigungen eröffnet. Es folgen nach Süden
auf dem linken (westlichen) Felda-Ufer der Geiskopf auf dem Diet-
richsberg oberhalb Wölferbütt, weiter der Beyer bei Weilar und die
Hessenkuppe bei Dermbach. Etwas abseits vom Felda-Tale nach
Westen der Arzberg bei Otzbach, weiterhin der Stallberg bei Rass-
dorf, der Habelsberg bei Tann und die Milseburg bei Kleinsassen.
Im südlichen Teile der Rhön folgen der Gangolfsberg bei Roth und
in grösserem Abstande der Meternich bei Bad Brückenau. Auf dem
rechten (östlichen) Felda-Ufer liegen die Stoffelskuppe bei Rossdorf,
der Umpfen bei Kaltennordheim und die Altemark bei Erbenhausen,
östlich von letzterer die Disburg bei Wohlmuthausen und weiter im
Werratale die Rentmauer bei Melkers und der Dolmar. Südlich hier-
von die Steinsburg und der Grosse Gleichberg bei Römhild und
der Queienberg bei Queienfeld.
Diese Befestigungen sind unter sich verschieden und müssen daher
einzeln betrachtet werden. Im folgenden werden nur die wichtigsten
Daten erwähnt, bezüglich der weiteren Einzelheiten sei auf meine Dar-
stellung in den von G. VOSS herausgegebenen Bau- und Kunstdenk-
mälern Thüringens!) verwiesen, wo auch die Literatur angegeben ist.
Der Ochsen (630 m über N.N.). Den Gipfel umgibt ringförmig
ein Wall aus Basaltsteinen, dem sich in grösserem Umfang ein Vorwall
vorlagert. Von letzterem erstreckt sich auf der Südsüdwest-Seite ein
System von Wällen tief hinab, um eine Quelle in die Befestigung ein-
zubeziehen. Offenbar ist die Quelle während der Besiedlungsdauer
mehrere Male talwärts ausgewichen, was eine Erweiterung der Anlagen
1) Heft XXXI, XXXIV, XXXVI ff.
— 12 —
veranlasste. Fundamente von Hütten, zahlreiche Scherben und eine
Anzahl Waffen und Geräte lassen erkennen, dass der Berg längere
Zeit besiedelt war. Für die Datierung kommen hauptsächlich in Betracht
ein Laténe-Schwert, ein Hiebmesser, ein Gürtelhaken und ein Mahl-
stein von einer Rotationsmühle. Den Zugang zum innersten Ring
bildet ein Torweg, der durch zwei übereinander greifende Wall-Enden
gebildet wird.
Der Beyer (713m). Um den Gipfel laufen zwei konzentrische
Ringwälle aus Basalt. Am Abhange befinden sich zwar zahlreiche
Wohnpodien und Ackerterrassen, die Besiedlung scheint aber nur kurze
Zeit gedauert zu haben, denn trotzdem durch Wegebauten u. dgl.
die Oberflähe an vielen Stellen wund gemacht ist, sind bisher noch
keinerlei Artefakte, namentlich auch keine Scherben beobachtet worden.
Wenn somit dieses wichtige Hilfsmittel für die Datierung vorläufig
versagt, macht es der allgemeine Charakter der Anlagen im höchsten
Grade wahrscheinlich, dass sie in die Laténe- oder allenfalls in die
Hallstatt-Zeit zu setzen sind.
Die Hessenkuppe oder der Rederberg (690 m). Die ovale
Kuppe wird von einem Basaltwall umringt, der seine stärkste Entwick-
lung gegen den Sattel hat, mit dem der Berg mit der benachbarten Höhe
zusammenhängt. Hier befindet sich auch der Eingang, der wie beim
Ochsen durch zwei übereinander greifende Wall-Enden gebildet wird.
Im umwallten Raum liegen drei parallelle Wallstücke.e Scherben, Hand-
mühlen und eine Eisenschere zeigen, dass die Befestigung in der
Latene-Zeit in Benutzung war.
Der Arzberg (572 m). Um den langen ovalen Gipfel zieht sich
ein Basaltwall, dessen Eingang wiederum durch zwei übereinander
greifende Wall-Enden gebildet ist. Ein vorspringender Vorwall gewährt
dem Tor einen besonderen Schutz. Von Funden ist noch nichts bekannt
geworden, die Art der Anlage macht aber die Datierung in die Laténe-
Zeit wahrscheinlich. N
Die Stoffelskuppe trägt auf ihrer Spitze Überreste eines
kleinen mittelalterlihen Bauwerks. Auf zweidrittel Höhe des Basalt-
kegels läuft ein Wall herum, dessen Alter ganz zweifelhaft ist. Diese
Befestigung bleibt deshalb bei den folgenden Erörterungen ausser Betracht,
Der Umpfen (696 m). Während die bisher aufgezählten Be-
festigungen auf einzelnen steilen Bergkegeln liegen, ist es hier eine
nach dem Feldatal vorspringende Zunge eines gewaltigen Bergmassivs,
die durch einen einfachen Basaltwall geschützt ist. Er erscheint jetzt
als Abschnittswall, das Bollwerk ist aber vielleicht ursprünglich um
den ganzen geschützten Raum herumgegangen und später, soweit es
auf dem steilen Plateaurande stand, abgestürzt. Funde liegen noch
nicht vor. Die Anlage gehört vermutlich in die Laténe- oder Hallstatt-Zeit.
Die Altemark (676 m). Runder Basaltkegel, um dessen Spitze
ein einfacher Steinring läuft. Der Wall enthält, wie ich durch eine
Nachgrabung im Jahre 1904 feststellte, den unteren Teil einer Trocken-
mauer aus Basalt und Kalkstein, deren Aussenwand bis zu 0,60 m Höhe
erhalten ist. Brandspuren machen die Verwendung von Holzversteifungen
wahrscheinlich. Die Mauer hatte, soweit sie aus Stein bestand, eine
Höhe von 2½ bis 3m und eine Stärke von 3m. Bei der Ausgrabung
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wurden Scherben eines dickwandigen, schlecht gebrannten Gefässes mit
rauher Aussenflache und die Hälfte eines ovalen Mahlsteins aus rotem
Sandstein gefunden. Hiernach ist die Anlage zweifellos prähistorisch
und zwar wahrscheinlich laténe- oder hallstattzeitlich.
Die Disburg (710m). Ovaler Basaltring um den Gipfel mit
Eingang an der schmalen Südseite in der schon geschilderten Weise
durch Übergreifen zweier Wall-Enden. Kleine Steinrücken, die den
Wall streckenweise auf der Innenseite begleiten, scheinen von Gebäuden
herzurühren, die sich an die Innenseite der Mauer anlehnten. Für die
Datierung ist eine bei den Ausgrabungen des Jahres 1821 gefundene
Früh-Latene-Fibel massgebend. Ob ein tordierter Oberarmring ost-
deutscher Form in Beziehung zur Besiedlung der Bergspitze steht, ist
ungewiss, da nicht einmal feststeht, ob er oben oder auf den Abhängen
oder am Fuss des Berges gefunden ist.
Die Rent mauer (etwa 450 m). Über dem Dorfe Melkers erheben
sich die Melkerser Felsen. Auf dem darüber liegenden Plateau liegt
ein halbkreisförmiger Wall, der sich an den Steilrand anlehnt. Er
besteht anscheinend aus kleinen Kalksteinbrocken. Funde liegen nicht
vor. Da es ungewiss ist, ob der Wall überhaupt in vorgeschichtliche Zeit
zurückgeht, bleibt er im folgenden ausser Betracht.
Der Dolmar (740 m). Das langgestreckte, grosse Plateau wird
von einem einfachen niedrigen Wall aus Basalt und Kalksteinen um-
ringt, in dem ich bei mehreren Querschnitten keine Mauerkonstruktion
feststellen konnte. Der einzige Fund ist ein goldenes Regenbogen-
schüsselchen; trotzdem der grösste Teil des Plateaus durch frische
Anpflanzungen wund war, konnte ich doch nicht eine einzige Scherbe
finden. Auf der Fläche hat also jedenfalls keine umfangreiche und
langdauernde Ansiedlung bestanden. Näheres, auch die Literatur, vgl.
GÖTZE, HÖFER, ZSCHIESCHE, die vor- und frühgeschichtlichen Alter-
tümer Thüringens S. 226.
Der Queienberg ist das äusserste Ende eines von der Steins-
burg nach Nordwesten sich erstreckenden Kalksteinrückens. Er fällt in
einer scharfen Kante nach Norden steil ab. An diesen Rand lehnen
sich auf dem schwach geneigten Südabhang die Befestigungswerke an:
zunächst ein grosser Querwall, der dann nach Westen umbiegt und sich
gabelt; westlich hiervon ein viereckiger Wall, an dessen Westseite sich
ein ovaler Wall anschliesst. In dem viereckigen Raum stand im Mittel-
alter eine Wallfahrtskapelle. Von vorgeschiditlichen Artefakten ist noch
nichts gefunden worden, die Datierung ist unsicher.
Der grosse Gleichberg oder Bernberg (678m). Das von
Nord nach Süd langgestreckte Plateau ist auf der Nord-, West- und
Südseite mit einem einfachen Basaltwall umgeben, während die steil
abfallende Ostseite eines solchen Schutzes entbehrte. Im Südwall
befindet sich ein senkrechtes Pfostenloh von 30 cm Durchmesser. Auf
dem ausgedehnten Plateau sind Funde aus verschiedenen Perioden
gemacht worden, die sogar, wie ein in der Nähe des städtischen Basalt-
werkes gefundenes grosses dreieckiges Jadeitbeil zeigt, bis in die Stein-
zeit zurückgehen. Wenn auch in den bisherigen Funden eine bestimmte
Epoche nicht besonders hervortritt und so eine sichere Datierung des
Walles nicht möglich ist, weist doch die durch das Pfostenloch verbürgte
se C SE
Kombination von Stein- und Holzkonstruktion mit Wahrscheinlichkeit
auf die Laténe- oder Hallstatt-Zeit.
Während ich über die vorstehenden Burgen aus eigener Anschau-
ung berichten konnte, sind mir der Geiskopf, der Stallberg, der Habel-
berg, die Milseburg, der Gangolfsberg und der Meternich nicht bekannt.
Geiskopf und Habelberg sind Abschnittswälle, Stallberg, Gangolfsberg
und Meternich werden als Ringwälle bezeichnet, und die Milseburg ist
ein an die steile Bergkuppe sich anlehnender Halbring mit verschiedenen
kleinen Aussen- und Innenwällen; die zahlreihen Funde gehören der
Laténe-Zeit an. (LANGE, Hessen in vor- und frühgeschichtlicher Zeit.)
Die Steinsburg auf dem kleinen Gleichberge bei Römhild (641 m).
Den ganzen oberen Teil des Berges bedeckt ein kompliziertes System
von Basaltwällen, das im einzelnen hier nicht beschrieben werden kann.
Ich muss mich darauf beschränken auf die reiche Literatur zu verweisen,
deren wichtigste bis 1904 erschienenen Schriften in den „Bau- und
Kunstdenkmälern Thüringens“ Heft XXXI (1904) zitiert sind !).
Die Bedeutung der Rhönburgen als keltische
Grenzwehr gegen die (Germanen.
Der Schlüssel zur Beurteilung dieser Burgen liegt bei der Steins-
burg, mit der wir uns also zunächst beschäftigen müssen. Wenn man
hin und wieder der Ansicht begegnet, dass diese schon längst erforscht
oder dass infolge der Verwüstungen für die Wissenschaft dort nicht
mehr zu holen sei als schon bekannt ist, so ist das ein Irrtum. Seit
zehn Jahren beschäftige ih mich auf Veranlassung des Hennebergi-
schen Altertumsforschenden Vereins und im Einvernehmen mit der
herzoglichen Regierung zu Meiningen eingehend mit ihr und widme ihr
unter tatkräftiger Beihilfe des Herrn Apotheker KADE jährlich mehrere
Wochen, Dabei hat sich herausgestellt, dass unbeschadet der grossen
Verdienste JACOBs die exakte Untersuchung der Bauwerke erst be-
gonnen hat und dass bei der von mir befolgten Methode“) trotz der
beklagenswerten Zerstörungen sogar aus den angeblich vernichteten
Teilen noch manches wertvolle Ergebnis gewonnen werden kann. Der
erste Teil des Programms, die genaue Aufnahme der Befestigungswerke
in ihrem gegenwärtigen Zustand, wird in Kürze erledigt sein. Vorher
sollen aus wohlerwogenen Gründen Aufdeckungen in grösserem Mass-
stabe nicht vorgenommen werden, und erst wenn diese stattgefunden
haben, wird eine exakte Datierung der einzelnen Befestigungsabschnitte
und damit eine zuverlässige Darstellung der Entstehungsgeschichte der
Steinsburg möglich sein. Immerhin liegen bereits soviel Beobachtungen
vor, dass die Hypothese, die ich vor mehreren Jahren über die Be-
deutung der Steinsburg als keltische Grenzfestung aufstellte °), immer
festeren Boden gewinnt.
1) Über die neueren Untersuchungen vgl. GOTZE, Die Arbeiten auf der Steins-
burg im Jahre 1907. (Neue Beiträge zur Geschichte deutschen Altertums, 21. Lie-
ferung, Meiningen 1907, S. 162-168, mit 3 Tafeln).
+) Vgl. ANTHES, Der gegenwärtige Stand der Ringwallforshung (Bericht
über die Fortschritte der römisch-germanischen Forschung im Jahre 1905, S. 30).
Ders., Ringwallforshung (VI. Bericht der römisch- germanischen Kommission, 1911).
) Neue Beiträge zur Geschichte Deutschen Altertums, 16. Lieferung, 1902.
11
Den Ausgangspunkt bildet die Grösse und der Umfang der Be-
festigungswerke. Die Länge der Wallzüge beträgt insgesamt ungefähr
9 km mit einem kubischen Inhalt von schätzungsweise 200 000 Kubik-
meter Mauer — die heutigen Wälle sind nämlich zusammengefallene
Trockenmauern aus unbehauenen Basaltsteinen. Der äusserste Ring
umschliesst ein Oval von über 1000 m Länge und 800 m Breite. Es
handelt sich also um Bauten, die eine gewaltige Arbeitsleistung dar-
stellen. Nimmt man an, dass ein Mann täglih 2 Kubikmeter Mauer
baut, erhält man eine Leistung von 100000 Arbeitstagen. Dazu kommt
das Herrichten des Untergrundes, der Transport des Baumaterials, das
Sortieren der Steine, wofür wiederum 100000 Arbeitstage anzusetzen
sind. In dieser Schätzung ist die für die Entstehungsgeschichte der
Steinsburg wichtige Beobachtung der letzten Zeit, dass nämlich Umbau-
ten in grossem Umfang stattgefunden haben, noch nicht berücksichtigt.
Nähere Angaben über diese Umbauten behalte ih mir an anderer
Stelle vor.
Es liegt hier ein Werk vor, dessen Ausführung die Kraft einer
einzelnen Gemeinde übersteigt. Wenn auch an vielen Stellen des Berges
berreste von Häusern, Wohnpodien und andere Ansiedlungsspuren
vorhanden sind, war die ansässige Bevölkerung der Steinsburg bei
weitem nicht zahlreih genug zur Schaffung solcher Anlagen, Aber
auch die Leistungsfähigkeit der umliegenden Ortschaften, wenn sie sich
zum Bau einer Fliehburg zusammengetan hätten, würde nicht aus-
gereiht haben. Hier waren grössere Kräfte wirksam, hier war ein
grosser Bezirk, ein Stamm oder Gau an der Arbeit beteiligt. Das hat
aber zur Voraussetzung, dass dieser grosse Bezirk auh am Nutzen
interessiert war. Dann war die Steinsburg keine Fliehburg im gewöhn-
lichen Sinne, von der nur die nächsten Nachbarn Nutzen hatten, sondern
hier waren grosse, weitreichende Interessen im Spiel, die den ganzen
Stamm oder Gau angingen.
Zu demselben Ergebnis kommt man durch die Frage nach der
Möglichkeit der Besetzung und Verteidigung. Die Verteidigungslinie des
äusseren Ringes hat eine Länge von 3100 m, die eine enorme Mann-
schaft beansprucht. Und wenn man auch annehmen wollte, dass diese
schwache Befestigung beim Angriff eines starken Feindes von vorn
herein preisgegeben und nur die Verteidigung des zweiten Ringes,
einer riesigen Mauer, beabsichtigt gewesen wäre, so musste man doch
noch eine Strecke von 2% km besetzen. Man sieht, dass wie beim
Bau so auch bei der Verteidigung grosse Menschenmengen erforderlich
waren. Also auch auf diesem Wege kommen wir dazu, die Beteiligung
eines grossen Bezirks anzunehmen.
Welcher Art solche weitreihenden gemeinsamen Interessen waren,
ergibt sich aus der Betrachtung der allgemeinen politischen Lage. Die
Erbauung der Steinsburg oder wenigstens ihr Ausbau zu einer grossen
Festung erfolgte im 5. bis 4. Jahrhundert v. Chr., und zwar waren es
Kelten, die damals in dieser Gegend sassen. Das keltische Gebiet
reichte bis hinein nach Thüringen, aber es war, wie wir aus KOSSINNAS
Arbeiten wissen, durch die von Norden herandrängenden Germanen
bedroht. Mag nun der Rückzug der Kelten aus Thüringen allmählich
oder sprungweise vor sich gegangen sein, so kann ihnen die unerfreu-
ze, AE ei
lihe Tatsache, dass sie an Boden verloren, nicht verborgen geblieben
sein. Druck erzeugt Gegendruck, und damit sind die Bedingungen für
den Zusammenscluss eines grösseren Gebietes zur Abwendung einer
Alle gleichmässig bedrohenden Gefahr gegeben. Hierin findet nun auch
die Entstehung einer grossen Festung wie der Steinsburg ihre Erklärung.
Es mag beachtet werden, dass die Mehrzahl der keltischen
Oppida in Frankreich fast ausschliesslich der letzten Zeit der gallischen
Unabhängigkeit angehören, also wahrscheinlich erst kurz vor der Ankunft
der römischen Legionen erbaut worden sind). Hält man daneben, dass
die Entstehung der Steinsburg in die Zeit des Vordringens der Ger—
manen fällt, so liegt es nahe, in beiden Fällen die Bautätigkeit mit
dem Andringen eines mächtigen Feindes in ursächlichen Zusammenhang
zu bringen.
Die Steinsburg bildet gegen einen aus Thüringen zu erwartenden
Feind einen vorzüglichen Zentralpunkt der Verteidigung. Durch ihre
Lage hinter der in erster Linie gefährdeten Grenzzone war sie gegen
plötzliche Uberrumpelung gesichert, während sie als Ausgangs- und
Stützpunkt für Unternehmungen nach verschiedenen Seiten hin sich
vorzüglich eignete. War das Kriegsglück nicht günstig, so nahm sie hinter
ihren ausgedehnten starken Mauern nicht nur ein geschlagenes Heer
sondern auch die Bewohner des umliegenden Landes in ihren Schutz.
Die nach allen Seiten weithin freie Aussicht gestattete es, durch Feuer-
und Rauchsignale Meldungen aus grosser Entfernung entgegen zu nehmen
und weiter zu geben. Dass die Gallier ein vorzüglihes Meldewesen
hatten, bezeugt CAESAR, der seine Verwunderung ausspricht, wie
schnell die Nachricht eines seiner Siege vom Lager des CICERO zu
dem des LABIENUS gelangte).
Wenn drüben in Thüringen Kriegsrüstungen vorbereitet wurden
oder Streitkräfte sich in Bewegung setzten, konnte dies durch Posten
vom Kamm des Thüringer Waldes nach der Steinsburg signalisiert
werden, und dort war man in der Lage, ebenfalls durch Fernsignale
die waffenfähige Mannschaft eines grossen Bezirks sofort zu mobilisieren.
Die im Schutz der Steinsburg zusammengezogenen Streitkräfte konnten
von hier aus je nach Bedarf mit Leichtigkeit sowohl nach einem der
Pässe des Thüringer Waldes als auch gegen einen das Werratal auf-
warts marschierenden Feind geworfen werden. Man hatte auch die
Möglichkeit, die vorgelagerten kleinen Burgen durch Signale zu warnen,
von denen ein Teil im Gesichtskreis der Steinsburg liegt, so der Dol-
mar, der Beyer, die Disburg und der Queienberg. Von Dolmar sind
ausser dem Beyer und der Disburg dem Auge erreichbar der Ochsen,
der Dietrich, der Arzberg und die Hessenkuppe.
Dass diese Burgen — soweit datierbare Funde vorliegen — der
Latöne-Zeit (bezw. Späthallstattzeit) angehören, wurde schon oben
betont. Sie schliessen sich aber auch unter sich und mit der Steins-
burg zu einer Kultur-Einheit zusammen, indem sie einen ganz be-
stimmten Typus in der Anlage gegeniiber andern Befestigungen erkennen
lassen. Es sind Gipfelburgen, d.h. ihre Erbauer suchten mit Vor-
') DECHELETTE, Revue de la Synthèse historique No. 7, Juli-August 1901.
2) Caesar B. G. V, 53.
=. 1 en
liebe die höchsten Berggipfel auf. Wenn das geschah trotz der unbe-
quemen Zugänglichkeit, der Schwierigkeit der Wasserversorgung und
mancher anderer Nachteile, die eine solche Situation mit sich brachte,
so müssen eben besondere Ursachen vorliegen. Um von der Natur
geschützte Stellen zu finden, waren sie durchaus nicht auf diese Spitzen
angewiesen. Es gibt in dem fraglihen Gebiet namentlih an den Tal-
rändern genug Plätze, die sich vorzüglich für Befestigungen und besonders
für die bequeme Anlage von Abschnittswällen eignen ohne die bezeich-
neten Nachteile aufzuweisen. Wenn man sieht, dass in andern Gegenden
z. B. im Thüringer Zentralbecken die Form des Abschnittswalles in
mittlerer Höhenlage vorwiegt '), trotzdem es auch dort nicht an höheren
Berggipfeln fehlt, so vermute ich in der Bevorzugung der Berggipfel
eine durch lange Betätigung erworbene Gewöhnung, wie sie sich inner-
halb eines im Gebirgsland gross gewordenen Volkes ausbildet, und die
durch gewisse Lebensgewohnheiten gestützt wird, d. h. mit einem Wort
ein ethnologisches Moment. Bei den in Rede stehenden Burgen, wo
ausser Kelten nur noch Germanen in Frage kommen, kann die Wahl
nicht schwer sein.
Es liegt mir natürlich fern den Tacitus zu missbrauchen, wie es
zuweilen geschieht, und unter Berufung auf Germ. c. 16 zu sagen, die
Germanen hätten überhaupt keine Burgen gebaut. Aber wenn man
überall im keltischen Gebiet, nicht nur in Deutschland sondern nament-
lich auch in Frankreich, Burgen der in Rede stehenden Art sieht, während
sie in unbestritten germanischem Gebiet in der Früh- und Mittel-Laténe-
zeit fehlen — wie viel schöne Kuppen hat nicht der Harz! — so kommt
man eben ganz von selbst zu der Anschauung, dass die Gipfelburg der
Hallstatt- und Laténezeit ein keltischer Typus ist. Ein weiteres Merk-
mal dieser Burgen, das bis zu einem gewissen (irad vom ersten abhängt,
besteht in der den Gipfel konzentrish umgebenden Befestigungsanlage,
von der nur ausnahmsweise wie beim Umpfen abgewichen wird. Die
Wohnpodien, die massiven Hausfundamente und die hoh am Berg
hängenden Ackerterrassen vervollständigen das typische Bild.
Dass diese Gipfelburgen nun gerade in der Zone der keltischen
Nordgrenze auftreten, ist wohl kein Zufall. Es machte sich eben dort
ein grösseres Bedürfnis nach Schutz gegen den vorwärts drängenden
germanischen Nachbarn geltend.
Ihre geographische Verbreitung gibt beachtenswerte Hinweise auf
die Richtung, in der sich die germanische Welle bewegte. In der Zone,
die von der Steinsburg östlih dem Thüringer- und Frankenwald ent-
lang geht, scheinen sie zu fehlen, man muss also annehmen, dass diese
Gegend nicht gefährdet war. Das ist nun in der Tat der Fall, denn
hier reichte keltisches Gebiet noch weit über das Mittelgebirge in das
Gebiet der oberen Saale in den heutigen Kreisen Saalfeld und Ziegen-
rück hinein. Der Umstand, dass keltishe Bevölkerung sich dort so
lange halten konnte, deutet darauf hin, dass der germanische Stoss
nicht nach Süden ging. Er richtete sich vielmehr nach Südwesten und Westen
gegen das südliche Vorland des nördlihen Thüringer Waldes und gegen
1) ZSCHIESCHE, Die vorgeschictlihen Burgen und Wälle im Thüringer
Central Bechen (Vorgeschichtlihe Altertümer der Provinz Sachsen, Heft X—XII).
2
— 18 —
die Rhön, und veranlasste die dort wohnenden Kelten zu Schutzmass-
regeln, d. h. zur Erbauung der genannten Burgen.
Das westlich anschliessende Gebiet des Vogelsberges, Taunus und
Westerwaldes ist noch zu wenig erforscht, als dass man sich ein aus-
reichendes Bild der Besiedlung in jener Epoche machen könnte. Jeden-
falls fehlen aber auch hier die keltischen Gipfelburgen nicht und
namentlich scheint den grossen Taunusburgen eine ähnliche Rolle wie
der Steinsburg zugefallen zu sein, während die Bedeutung des Düns-
berges bei Giessen und des Heunsteins bei Dillenburg erst nach der
weiteren archäologischen Aufklärung Hessens besser hervortreten wird.
Nach diesem Vortrage wurde die Sitzung geschlossen und ein
gemeinsames Mittagsmahl in der „Ressource“ eingenommen.
Nachmittags 4 Uhr: Ressource.
Vorsitz: Universitäts-Professor Dr. G. KOSSINNA.
Direktorial- Assistent und Privatdozent Dr. H. HAHNE,
Hannover
Über die Moorleichen der Provinz Hannover.
Mit Tafel I und Il.
Mit dem Schlagworte „Moorleichen“ bezeichnet man mensch-
lihe Leichen, die in bestimmten Gebieten Nordeuropas im Torfmoor
gefunden werden, durch chemische Einflüsse mumienartig konserviert;
mit oder ohne Kleidung altertümlicher Art, die auf frühgeschichtliche
Zeit hinweist; bisweilen in auffälliger Lage und Stellung, mit Anzeichen
von Fesselung und absichtlicher Versenkung. — Bereits im Anfang des
XIX. Jahrhunderts wandte sich den Moorleichen wissenschaftliches Inter-
esse zu. Durch Joh. MESTORF erfuhren diese Funde 1900 und
1907 die erste vorzügliche zusammenfassende Bearbeitung (im 42. und
44. Bericht des Vaterl. Museums zu Kiel). Viele Einzelheiten bleiben
aber noch zu erforschen, die es dann auch ermöglichen werden, den
Beziehungen dieser Fundgruppe zu den grösseren Fragen der Vor- und
Frühgeschichte weiter nachzugehen. Auf die germanische Stammeskunde,
Sitten- und Rechtsgeschichte, Kleidungskunde, sowie auf somatisch-
anthropologische Fragen und endlich auf wichtige geologische und geo-
graphische Verhältnisse, so 2. B. auf die Torfmoor- Entwicklung, wirft
die eingehendere Untersuchung der Moorleichen Licht.
Von den mir z. Zt. bekannten 56 Moorleichenfunden
entfallen auf Danemark 19 (Jiitland 16, Fiinen 1, Falster 2), Schleswig 7,
Holstein 4, Nord-Hannover 18, Oldenburg 2, Holland 5, Irland 1.
Aus verschiedenen Griinden werden in die Moorleichen-Unter-
suchung hereingezogen auch die ,Moorschuhe“ und „Moorkleider“,
d. h. Funde von einzelnen Kleidungsresten oder von paarweise, öfters
auch in grösserer Zahl beisammenliegend im Moor zum Vorschein
kommenden Lederschuhen, wie sie aus Holstein, Schleswig, Hannover,
Oldenburg und Holland bekannt geworden sind. Berücksichtigt werden
müssen überhaupt alle archäologischen Funde, zumal Moorfunde jeder
Art (z. B. Moorbrücen), die sicher oder möglicherweise zeitliche und
andere Beziehungen zu den Moorleichenfunden haben und mit ihnen
zusammen grössere chronologische oder kulturelle Gruppen bilden.
Schon bei den ersten wissenschaftlihen Auseinandersetzungen
über Moorleichen wurde auf geschichtliche Überlieferungen hingewiesen,
die für altgermanisches Recht die Versenkung ins Moor
(bezw. in den ,Sumpf*) als Strafe für gewisse Verbrechen (Ehe-
bruch besonders) bezeugen; so auf Tacitus, Germania, Cap. XII., als
die älteste der betreffenden Nachrichten; aber bereits aus altrömischer
Zeit ist dies Ertränken im Sumpf als Strafe bezeugt (Livius Hist. I, 51),
andererseits in der älteren Edda (Gudrunlied), weiter z. B. in den
Gesetzen der Burgunder und in gelegentlihen Notizen bis ins
Mittelalter hinein, sicher bis ins XV. Jahrhundert. Betreffend die
Chronologie der Moorleichenfunde ist nah J. MESTORF bisher
folgendes zu sagen: Die bei den Leichen gefundenen Kleidungs-
stücke zeigen weitgehende Übereinstimmungen in Schnitt und Stoff.
Sehr häufig finden sich hemdartige, meist ärmellose Kittel, auch solche
aus Fell, und häufig grosse viereckige, oft fransenbesetze Tücher
(Plaids); mehrmals Hosen, Binden, Schnuren, Ledergurte und
Lederschuhe. Die Gewebe bestehen immer aus Wolle und zeigen
mancherlei charakteristische Ubereinstimmungen in der Herstellung der
Fäden und Nähte, sowie in den Webemustern. Die Moorleichen-
gewänder zeigen nun weiter allerlei Übereinstimmungen besonders mit
den Kleiderresten aus dem Torsberger Moorfunde des (II.) III.
bis IV. Jahrhunderts nach Christo. In diese Zeit („um 300“)
gehört auch die einzige bei einer Moorleiche gefundene Bronzefibel
(Corselitze. MESTORF 1900, No. 15).
Die silbernen „Kapselanhänger“ von Obenaltendorf betonen
aber nach den Untersuchungen von E. BLUME (1910)') die Zeit
um 200. Die Beziehungen der „Moorleichen- Garderobe“ zu den
immer zahlreicher bekannt werdenden bildlichen Darstellungen
und Beschreibungen germanischer Tracht im Bereiche römischer
Kunst und Literatur bestätigen im ganzen diese vorläufige Ansetzung
in frühe nachchristliche Zeit wenigstens für die Mehrzahl der Moor-
leihen. - Auf dieselbe Zeit weist die grosse Ahnlichkeit der S chu he
unserer Fundgruppe mit Schuhen, die z. B. im Brunnen der Saalburg
gefunden sind. Endlich geben die bildlichen Darstellungen des Silber-
kessels von Gundestrup mehrfache wichtige Fingerzeige für unsere
Untersuchungen, die angedeutete zeitliche Ansetzung der Moorleichen
wird durch sie unterstützt (KOSSINNA).
Zur Vorsicht gegenüber dem naheliegenden Versuch,
die Gesamtheit der Moorleichen als eine zeitlich, be-
grenzte Fundgruppe aufzufassen, mahnt zunächst die Über-
legung, dass Versenkung in Sumpf und Moor sowohl als Strafge-
brauch, wie als Begräbnisart für sehr verschiedene Zeiten bezeugt ist.
Besonders nackten Leichen gegenüber ist deshalb Vorsicht geboten,
1) E. BLUME, Die germanischen Stämme und die Kulturen zwischen Oder
und Passarge zur römischen Kaiserzeit. (Diss. Berlin), Würzburg 1910, S. 92.
2*
D
und solchen Funden gegenüber, bei denen über die Art der Kleider-
reste nichts Sicheres bekannt ist. Aber auch die Tatsache, dass die
Moorleichenkleidung z. B. mit den Torsberger Funden und datierbaren
Germanendarstellungen weitgehende Übereinstimmung zeigt, würde erst
eindeutig sein, wenn nachweisbar wäre, dass die betreffenden Gewebe-
techniken und Kleiderformen nicht auch in früherer oder späterer Zeit
in dem betreffenden Gebiete Nordeuropas in Übung gewesen sind. —
Die Moorgeologie lässt uns bei unseren chronologischen Fragen bisher
fast noch ganz im Stich.
Die Moorleichen sind ausserordentlih „vielseitige* Funde und
bieten Angriffspunkte für mancherlei exakte Untersuchungen auf natur-
wissenschaftlihem und archäologischem Gebiete. Schlussfolgerungen
weiterblickender Art in den oben angedeuteten Richtungen werden
besser erst aufzustellen sein, wenn alle Moorleichenfunde
kritisch untersucht sein werden.
Beobachtungen, die ich bei Gelegenheit der museumtechnischen
Bearbeitung der 3 Moorleichenfunde des Provinzialmuseums zu Hannover
machte, sowie bei dem Versuch der Nachbildung von anderen Moor-
leichenkleidungsstücken aus der Provinz Hannover führten mich zu ein-
gehenderen Untersuchungen zunächst der Moorleichenfunde
der Provinz Hannover. Von den Ergebnissen dieser Arbeit, über
die ein ausführlicherer Bericht als Veröffentlichung aus dem Provinzial-
museum zu Hannover in Vorbereitung ist, will ih in Folgendem aus-
zugsweise einiges mitteilen.
Von den 18 Moorleichenfunden, die aus der Provinz
Hannover bekannt geworden sind, werden die Reste von 6 in 4
verschiedenen Museen aufbewahrt; von den anderen sind vier
nach gerichtliher Untersuchung auf den nächstgelegenen Friedhöfen
begraben, die übrigen sind teils alsbald nah dem Auffinden ver-
kommen, teils ist ihr weiteres Schicksal unbekannt. Von mehreren
Moorleichenfunden sind sehr gute Fundnachrichten erhalten, z. T.
unveröffentlicht in unserem „Archiv f. vorgesch. Landesforschung“; aber
auch aus schlechten Fundberichten von Augenzeugen ist mancher wich-
tige Hinweis zu entnehmen, oft allerdings nur sozusagen zwischen den
Zeilen zu finden; deshalb habe ich bei allen Funden vielfach Nachfragen
angestellt über die Fundstellen, die Vorgänge bei der Hebung des
Fundes u. a. m. Die Museen zu Emden und Stade überliessen dem
Provinzialmuseum gütigst leihweise ihre Funde zur Untersuchung für
einige Zeit. Die Leiche von Brammer bei Kreepen konnte ich im
Museum für Völkerkunde untersuchen und photographieren. Bei der
Untersuchung der Funde selbst traten und treten aber fortwährend
neue Fragen auf, sodass die Untersuchungen heute noch nicht als ab-
geschlossen zu betrachten sind.
Viele der notwendigen Untersuchungen sind ausserordentlich
langwierig und schwierig. Herrn Studiosus Alb. WINCKLER verdanke
ich wertvolle Hilfe bei der Untersuchung der Gewebe, die er als mein
Volontär mit grosser Geduld und Gewissenhaftigkeit ausführte. Seine
Untersuchungsergebnisse liegen vielen meiner Angaben über die Gewebe
zugrunde.
=. we
Auf zwei besonders fruchtbare und interessante Beobachtungen,
die sih mir ergaben bei der Untersuhung der Form der Moor-
leichenkleider, will ih im voraus zusammenfassend hinweisen.
Erstens stellte es sich heraus, dass die Tragefalten der Gewandung
und die abgetragenen Stellen oft noch erstaunlich gut erkennbar waren
und zu allerlei Schlüssen über die Tracht berechtigten. Ausserdem war
oft die Zusammengehörigkeit und ursprüngliche Lage, sowie
z. B. die „Unterseite“ und „Oberseite“ einzelner Teile und Kleiderreste
der Leiche an verschiedener Färbung zu erkennen, die offenbar
Folge der Einwirkung des Moores und der Verwesung ist.
Zugunsten der Übersichtlichkeit wähle ich im Folgenden die Form
knapper Fundberichte.
I. Moorleichenfunde, von denen Reste vorhanden sind.
1. Bernuthsfeld, Kr. Aurich. Im Moore „Hogehahn“, 400 m west-
lich von der Landstrasse bei der Kolonie Tannenhausen, gefunden
1907; zunächst wieder vergraben, bald aber wieder sorgsam durch
Archivrat Wächter gehoben. Aufbewahrt im Museum zu Emden.
Männliche Leiche mit 20 cm langem Haupthaar, lag bekleidet
auf dem Rücken. Die Kleidung bestand aus folgenden Stücken:
a) Ärmelrock
b) Kapuze
c) Umschlagetuch
d) Plaid, mit Fransen an einer Schmalseite
e) f) 2 lange Binden
g) Wollschnurreste
h) Lederriemen
i) Lederne Messerscheide
k) Lederriemchen |
I)-o) 4 Zeugstücke von unsicherem Zweck
p) 1 Kappe aus Kalbfell, die in 200 m Entfernung von der
Leiche gefunden ist, gehört wahrscheinlich zu ihr
q) Ein „Stock“ von 128 cm Länge ohne Bearbeitung lag „bei
der Leiche“.
Metallteile sind nicht gefunden worden. An dem Lederriemen hat
ursprünglich eine Schnalle gesessen; sie ist entfernt ohne Verletzung des
betr. Riemenendes, also wohl zerrostet. Der
a)b)Ärmelrock und die Kapuze sowie die Stücke I-o bestehen
aus einzelnen Zeugstücken (der Rock aus 43, die Kapuze aus 8),
die 22 vershiedene Webemuster zeigen und teils mit
zweckmässigen Nähten aneinander gefügt, teils als Flicken
über abgetragene Stellen genäht sind, woraus hervorgeht, dass
der Rock wirklich lange Zeit getragen ist. Alle Stoffteile sind
aus Wolle gewebt, und zwar in Leinenbindung sowie als Köper,
Streifendrell und Rautendrell. Auffällig ist ein Köpergewebe,
das aus zweifarbigen Fäden so gewebt ist, dass ein gross-
kariertes „schottisches“ Muster entstanden ist; es sitzt am Rock
vor der Brust. Der Rock hat einen „Stehkragen“, sowie
— 22 —
links vorn einen Schlitz zur Erweiterung des Halsausschnittes.
Die Armel sind lang und eng. Die Kapuze hat vielleicht
am Rockkragen gesessen, wo Nahtspuren vorhanden sind.
c) Das Tuch ist nach den Tragefalten u. a. zu urteilen benutzt
als Umhang über Rücken und Brust (Mantel, Sagum); es
besteht aus dickem, lockerem Wollköper und zeigt an mehreren
Stellen aufgenähte Stücke zweifarbigen Gewebes.
d) Das Plaid zeigt dickes, lockeres Streifendrellgewebe.
e) f) Die Binden aus rauhem Wollgewebe in Leinenbindung zeigen
Falten, die darauf deuten, dass sie wohl als Fuss- und Bein-
Wickel gedient haben.
h) Der grobe Lederriemen ist nicht ohne weiteres als Leib-
gurt anzusprechen, da er wohl nicht viel länger als 75 cm
gewesen ist und weil die Schnall-Löcher anders verteilt sind
als bei einem Gürtel.
i) Die Messerscheide aus feinem Leder ist für ein „Rücken-
messer“ (kleiner Sax) gemacht,
k) Die Fellkappe ist in sorgfälltiger Arbeit hergestellt aus Fell
einer Ziege, deren dunkeler Rückenstreifen (?) einen von vom
nach hinten über den Kopf laufenden Schmuckstreifen bildet.
I) -o) Der Zweck der 4 Zeugstücke ist unsicher; sie sind keine
zufällig abgerissenen Fetzen, zeigen zu je 2 symmetrische Form
und Nähte; Benutzungsspuren lassen vermuten, dass wenigstens
die zwei grösseren Stücke bei der Fussbekleidung verwendet
worden sind; die kleinen mögen ursprünglih mit der Kapuze
im Zusammenhang gestanden haben.
2. Brammer bei Kreepen, Kr. Verden. Im Hingstmoor gefunden
1903; aufbewahrt im Kgl. Museum f. Völkerkunde in Berlin.
Männliche Leiche mit, bis 25 cm langem, gelocktem Haupt-
haar und etwa 1'js cm langem Kinn- und Wangenbart; sie lag mit
dem Gesicht nach unten nackt im Torfmoor, der rechte Arm lag
über, der linke unter dem Kopf, die Beine waren angezogen.
Spuren von Fesselung an Armen und Füssen waren und sind
noch erkennbar, hierauf wies auch die Lage hin. Bei (auf?) der
Leide lagen 3 Steine von etwa 20—25 Pfund, sowie zwei „Stäbe“.
Reste von zusammengedrehten Ruten sind mit der Leiche eingeliefert.
3. Marx, Kr. Wittmund. (Marx-Etzel). Im Hilgenmoor (Kirchen-
moor) bei Etzel gefunden 1817; aufbewahrt im Provinzial-
museum zu Hannover. Wahrscheinlich männliche
Leiche, lag bekleidet auf dem Rücken, von 2 (oder 4) „Pfählen“
niedergehalten, die im Sand des Moorbodens eingerammt waren
und sich über der Leiche kreuzten; sie sind verloren. Von der
Leihe ist kein Körperteil aufbewahrt (vgl. No. 4). Die
Kleidung bestand nach einem zeitgenösischem Berichte aus:
a) „Mantel“
b) Wams
c) Kniehose
d) 2 Lederschuhen.
Es sind folgende Kleidungsreste vorhanden:
a) Reste eines Gewandstückes (Jacke, Hemdrock?), bestehend aus
— 23 —
zwei aufeinandergenähten Lagen von verschieden feinem Woll-
gewebe in Leinenbindung (das feinere mit doppeltem Ein-
schlagfaden). `
b) Rumpfkleid (Überwurf) aus einem langen Wollköperstück her-
gestellt durch Zusammennähen der Schmalseiten bis auf einen
Schlitz am unteren und ein Loch für den einen Arm am oberen
Rande. Nach den Falten und Abnutzungsstellen, sowie der Ver-
färbung ist das Stück so getragen, dass der linke Arm durch das
Armelloch gesteckt wurde und Kopf und rechter Arm zunächst
oben aus dem Gewand herausgestreckt wurden. Der dabei unter
der rechten Achsel liegende Zeugrand wurde dann vorn und hinten
gefasst und über der rechten Schulter durch eine Nadel zu-
sammengehalten, wodurch das zweite Armloch gebildet wurde.
c) die Kniehose aus einem Stück Wollengewebe, dessen Mittel-
teil als Rautendrell, dessen Ränder als Streifendrell gewebt
sind, hergestellt in einem einfachen Schnitt ähnlich dem einer
Babyhose. Der Leibteil der Hose ist durh Einnähen eines
Leibbindenförmigen Stückes verstärkt. An der Hose sind mehrere
Flicken eingesetzt.
d) Von den zwei Schuhen ist nur einer im Provinzialmuseum
aufbewahrt, der zweite ist 1817 nach Groningen abgegeben an
die dortige Akademie (vergl. unten unter Schuhfund von Ar-
dorf). Unser Schuh ist aus einem Stück Fell (Rind) geschnitten;
Reste von Haaren sind an der Innenseite noch vorhanden. Der
Schnitt des Schuhes zeigt grosses Verständnis für die natürliche
Form und Bewegung des Fusses. Die sehr gefällige Verzierung
passt sich vorzüglich dem praktischen Zweck des Ganzen an,
da sie nur auf ruhenden Flächen angebradt ist. (Die Rekon-
struktion, wie sie in Lindenschmit Altt. u. h. V. Il. 7. 5. und
anderen Stellen gegeben ist, entspricht nicht ganz der Wirklichkeit.)
4. Marx, Kr. Wittmund. (Marx-Stapelstein). Ebenfalls im Hilgen-
moor bei Stapelstein gefunden 1861 ; aufbewahrt im Provinzial-
museum zu Hannover. Das Geschlecht ist unbestimmt.
Die Leiche lag „wie begraben“, „Kleiderreste lagen dabei, von
mindestens 3 Kleidungsstücken“. Aufbewahrt sind eine grosse
Anzahl stark zusammengedrückter und zerknitterter, meist nur
kleiner Wollgewebefetzen (Leinen- und Köpergewebe) ohne er-
kennbare Gewandform; auffallend ist ein Stück aus sehr feinem
Wollgewebe mit dunklen Längsstreifen sowie Reste zweier Borden
in Brettchenweberei. Der skelettierte Schädel der Leiche ist
vorhanden, es ist nachweislih der in der Literatur fälschlich
der Leiche von Marx-Etzel (No. 3) zugeschriebene (so bei Virchow
„Beiträge zur physischen Anthropologie der Deutschen“ S. 239).
Der Schädel gehört einem Erwachsenen an (geschlossene Spheno-
basilarnaht!).
5. Neu-Veerssen, Kr. Meppen. Im Provinzialmoor bei Gr.-Fullen gefun-
den 1900; aufbewahrt im Provinzialmuseum zu Hannover.
Männliche Leiche mit etwa 20 cm langem, welligem Haupthaar und
kurzgeschorenem Hinterhaupthaar, Kinn-, Wangen- und Lippenbart;
lag nackt auf dem Rücken mit angezogenen Armen und Beinen.
— 24 —
Die Lage der Beine lässt sich z. B. durch die vorhandenen
Spatenstiche feststellen, die zugleich mehrere benachbarte Knochen
und Gelenkteile durchschnitten, also gleichsam deren Lage zu
einander markiert haben. 1901 wurde in 4 m Entfernung ein
„Tuch in der Grösse einer zusammengerollten Pferdedecke“ gefun-
den, vielleicht also ein Kleidungsstück, das zu der Leiche gehörte
(verloren). Spuren von Fesselung u. dergl. sind nicht nachzuweisen.
6. Obenaltendorf, Kr. Neuhaus a. d. Oste. Im Obenaltendorfer
Moor, nordöstlih der Schule gefunden 1895; zunächst wieder ver-
scharrt, dann von Herrn Lehrer MEIER sorgsam wieder aufgegraben.
Aufbewahrt im Museum zu Stade, aber einige Fetzen (vom
Plaid) im Kgl. Museum für Völkerkunde zu Berlin.
Männliche Leiche, von der viele Reste aufbewahrt sind,
so der Kopf mit 8 cm langem, welligem Haupthaar, deutlicher
Scheitelglatze, kurzgeschorenem Lippen- und Wangenbart (das Kinn
ist am Kopf nicht vorhanden). Die Leiche ist bekleidet gefun-
den, ihre Lage ist nicht festgestellt worden. Die Kleidung der Leiche
selbst ist von den Torfgräbern stark zerfetzt, und erst später zu-
sammengesetzt worden (r.-g. C.-Mus. Mainz); es sind vorhanden:
a) Hemdrock ohne Armel
b) Plaid mit Fransen an beiden Schmalseiten
c) 1 Hosenbein (wohl das linke)
d)e) 2 kurze breite Binden
f) g) 2 Lederschuhe
h)i) 2 Anhänger aus Silberbleh in Form plombenartiger
Kapseln.
a) Der Hemdrock ist aus einem langen Stück Wollgewebe (in
Leinenbindung mit doppelten Einschlagfäden) hergestellt, indem
die Schmalseiten zusammengenäht sind bis auf einen Schlitz
unten und einen für einen Arm oben. Die Langseite, die somit
der obere Rand des Gewandes wurde, ist zusammengenäht bis
auf einen Schlitz für den Hals. Für den anderen Arm ist ein
Armloch in das Gewebe eingeschnitten. Uber Brust und Rücken
laufen 3 dunkle eingewebte Streifen, nahe dem unteren Saum
deren 2. |
b) Das Plaid ist ein gr. Webestück in derselben (aber mit grö-
beren Fäden hergestellten) Gewebetechnik wie a) mit je einem
dunklen eingewebten Streifen an jeder Schmalseite. Die Breit-
seiten mit Webekante, die Schmalseiten mit 5cm langen Fransen,
aus den Enden der Kettenfäden gedreht, versehen. Die Falten
und Verfärbungen lassen vermuten, dass die Leiche in das
Plaid eingewickelt war. An einem zu diesem Plaid gehörigen
Stück Zeug kleben menschliche Haupthaare.
c) Ein Hosenbein oder Reste von zweien (fälschlich als
„Kapuze“ ergänzt) gehört zu einer Kniehose, die aus derselben
Gewebeart, wie a) hergestellt ist. Eingewebte dunkle Streifen
laufen nahe dem unteren Rande quer um den äusseren Schenkel-
teil. Sehr deutliche Tragfalten im Sinne der Kniehose sind
vorhanden.
— 25 —
d) e) Die Binden bestehen aus Wollgewebe in Leinenbindung mit
Resten von Schnüren an den Ecken. Bei der Auffindung haben
sie „unterhalb des unteren Randes“ des Hemdrockes gelegen;
sie zeigen sehr auffällige Falten und Abnutzungstellen. Die
Falten treten in genau derselben Weise an einem Stück Zeug
in der Grösse dieser Binden auf, wenn man es fest um das
Knie wickelt und dann kräftig das Knie beugt.
f) g) Die Lederschuhe sind zur Zeit auf Gipsfüsse gezogen, und zwar
auf zwei verschieden lange und breite, weil Einrisse und fehlende
Stücke an den Sohlen u. a. m. nicht berücksichtigt worden sind
bei der Ergänzung der Schuhe. Ein Stück Lederwerk, das
nicht bei der „Rekonstruktion“ verwendet ist, zeigt, dass sich
an der Innenseite der Schuhe Haare befinden (Rind). Der
Schnitt ist grundzüglich gleich dem des Marx-Etzeler Leichen-
schuhes. Das Ornament ist spärliher. Der Teil des Schuhes,
der die Aussenflähe (bezw. obere Fläche) des Mittelfusses
deckt, ist in mehrere Streifen aufgelöst, deren breitester das
Hauptornament trägt. —
h)i) die beiden Anhänger sind je aus einem Sanduhr-
förmig geschnittenen Stück Silberblech so hergestellt, dass die
runden, löffelartig hohlgetriebenen Enden mit ihrer Hohlseite
aneinander gebogen und durd einen zwischen sie senkrecht auf ihre
Ränder gelöteten Messingstreifen vereinigt sind. Das schmale
Mittelstück ist dabei zur Ose gebogen. An welcher Stelle der
Leiche diese Schmuckstücke gefunden sind, ist nicht sicher; sie
zeigen Abscheuerung in den Osen und haben je eine verzierte
und glatte, zugleich mehr abgescheuerte Seite.
Anhangsweise sei hier angeführt der
Schuhfund von Ardorf, Kr. Wittmund. Im Torfmoor am „Hei-
ligenstein* wurden 1817 3 Lederschuhe gefunden, „einer für einen
Erwachsenen, zwei für Kinder“; sie waren „ohne Zierrate“ und
„aus einem Stück gemacht“. Einer der kleinen Schuhe „soll nach
Groningen gekommen sein“. — Nach Groningen ist nun aber
nach vorhandenen Akten 1817 auch einer der Schuhe von Marx-
Etzel (s. oben) gekommen! Auf meine Anfrage nach diesem Marx-
Etzeler Schuh wurde mir von der Akademie in (Groningen
gütigst ein Lederschuh zur Untersuchung leihweise übersandt, der
sichtlich identisch ist mit dem in „Äntiquiteiten“ 1819 abgebildeten,
der von der Marx-Etzeler Moorleiche stammen soll, aber ganz be-
deutende Unterschiede aufweist gegen den im Provinzialmuseum zu
Hannover aufbewahrten, sicher zu jener Leiche gehörigen. Er ist
viel kleiner, unverziert, von einfacherem Schnitt und ohne Haare
an der Innenseite und völlig unbeschädigt. Gerade auf diese ihn
von dem Etzeler Schuh unterscheidenden Eigenschaften passt nun
aber die Beschreibung der Ardorfer Schuhe genau (obwohl über
das Vorhandensein der Haare bei den Ardorfer Schuhen der betr.
Bericht im Unklaren lässt). Andererseits ist im Bericht über die
Marx-Etzeler Leiche von zwei reich ornamentierten Schuhen die Rede.
Das Fundjahr ist dasselbe; Ardorf und Etzel liegen nicht weit von
einander. Eine Fundvermengung ist m. E. nicht ausgeschlossen.
— 26 —
II. Moorleichenfund, von dem ein guter Fundbericht in
einer Gerichtsakte vorhanden ist.
7. Landegge, Kr. Meppen. Im v. Santenschen Moor bei der, Land-
egger oberen Tenge“ gefunden 1861. Die sehr eingehende
verlorene gerichtliche Untersuchungsakte befindet sich in Kopie im
Hannoverschen Archiv für vorgescichtlihe Landesforschung. (Im
Auszug veröffentlicht in MULLERs „Statistik“.)
Männliche Leiche mit 7—8 cm langem Haupthaar und kurz-
geschorenem Bart, lag nackt mit dem Gesicht nach unten. Der
rechte Arm war gebeugt, der linke Arm auf den Rücken gebogen,
das rechte Knie gebeugt, sodass die Sohle nach oben blickte, das
linke Knie ebenso gebeugt. Der linke Fuss fehlte („sicher nicht
beim Torfstechen abgestochen*). Uber dem Rücken der Leiche
lagen zwei Knüppel (einer davon bearbeitet), auf den Kniekehlen
anscheinend Grassoden. Die Leiche wurde in Altharen begraben.
III. Moorleichenfunde, von denen lückenhafte Berichte
vorhanden sind.
8. Düring, Kr. Geestemünde. Im Torfmoor bei Düring gefunden
1833. Gerichtlih untersucht, Untersuchungsergebnis nur im Aus-
zug vorhanden im Hann. Archiv f. vorgesch. Landesforschung.
Vielleicht weibliche Leihe mit Resten wollener
Kleidungsstücke, dabei ein starker Holzknüppel. In Loxstedt
begraben.
9. Heseler Vorwerk, Kr. Leer. Im Torfmoor beim Heseler Vor-
werk gefunden 1853. Menschliches Skelett, (wohlnicht bekleidet,
„bis auf die Knochen vermodert“). Es ist wieder eingegraben.
10. Lehe, Kr. Lehe. Im Brillen-Moor nördl. v. Lehe gefunden 1870
(717); gerichtlih untersucht; die Akten sind vernichtet. Die
Leiche ist in Lehe begraben. Menschliche (männliche?) Leiche,
bekleidet mit „einem Stück Zeug, wie eine Pferdedecke, mit
Schuhen an den Füssen und einem Hüftgurt wie eine Geldkatze,
der die Decke zusammenhielt“. |
11. Neuenwalde, Kr. Lehe. Im Torf nördl. vom Dahlemer Holz
gefunden 1865. Menschliche Leiche in horizontaler Lage (Kopf
im Norden), wohl auf dem Rücken liegend; mit einem „Gewand
ohne Knöpfe und Knopflöcher, ähnlich dem der Mausefallenhändler“,
keine Weste, Hose, Gürtel oder Schuhe. Ein faustgrosser Stein
lag neben der Leihe. Der Fund ist alsbald verzettelt.
12. Rhauder Westerfehn, Kr. Leer. Tief im Torfmoor westlich
von R. W. gefunden 1858. Menscliche Leichenreste („heel ver-
gahn“), die alsbald wieder weggeworfen worden sind.
IV. Leichenfunde, von denen nur unsichere Berichte
vorhanden sind.
13. Im Lande Hadeln. „Ein menschliches Skelett beim Kleikuhlen-
wühlen gefunden“.
14. Im Riepener Moor. Am westlichen Ende des Riepener Moores
im Kreise Zeven befindet sich auf alten Karten die Stelle bezeichnet,
Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte, II. Ergänzungs-Band. Tafel I.
Die Moorleichen der Provinz Hannover.
(Rekonstruktionen.)
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Ke a l 0
Pe Lk
1. Bernuthsfeld 2. Marx-Etzel
= 21. S. 22.
7. Obenaltendorf
S. 25.
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10. Bernuthsfeld (Fellkappe-Schnitt) 11. Marx-Etzel (Hosensdhnitt)
S.. 22. 8. 24. (Silberkapsel) S. 25.
——
12 Obenaltendorf
Hahne, Die Moorleichenfunde der Provinz Hannover. Curt Kabitzschf (A. Stuber/s Verlag), Würzburg.
Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte, II. Ergänzungs-Banad. Tafel II.
Rauten-Köper
Streifen-
Köper
(wagerechte
Streifen)
e sije € sti A
An
e? mr
Sek Like,
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j. sri Por k aa
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Diagonal-
Köper
-
` ` mmm -> — t h att 22 ~
Streifen-Köper (senkrechte Streifen).
Gewebe der Knie-Hose von Marx-Etzel: Vorderteil des rechten Oberschenkels.
Stelle, wo die rechtwinklig zu einander verlaufenden Streifendrellmuster des Randes
des Webestückes zusammenstossen mit dem Rautendrellmuster des Mittelteiles.
Hahne, Die Moorleichen der Provinz Hannover. Curt Kabitzsch (A, Stuber’s Verlag), Würzburg.
THE NEW YORK
PUBLIC LIBRARY
ASTOR, LENOX AND
TILDEN FOUNDATIONS
— 27 — f
„wo im Jahre 1754 ein toter Körper gefunden und vom Amte
Zeven eingeholet und beerdigt worden“. — Die Stelle müsste
demnach nahe Sittensen, Kr. Zeven im Eckel-Moor sein.
15. Rütenbrock, Kr. Meppen. Im Meppenschen Torfmoor soll
etwa 1830—36 eine menschliche Leiche, mit wollenem Zeug
bekleidet, gefunden sein. Uber die angebliche gerichtliche
Untersuchung war schon 1860 nichts mehr zu erfahren.
16. Südgeorgsfehn, Kr. Leer. Im Torfmoor bei S. gefunden zwischen
1840—45, nach anderen in den 1860er Jahren.
Menschliches Skelett mit „Teilen von Kleidungsstücken“
und „Resten eines Sarges*(?)
Umstehende Tabelle S. 28 soll die Moorleichenfunde der Provinz
Hannover zusammenfassen nach einigen ihrer Merkmale.
Diese Tabelle mögen noch folgende zusammenfassende Angaben
über die Hannoverschen Moorleichen ergänzen:
1. Sämtliche Gewebe bestehen aus Schafwolle, nur in dem Gewebe
der langen Binden von Bernuthsfeld scheinen straffe Tierhaare einge-
sponnen zu sein.
2. Es scheint, dass die jetzt durh das Moor meist fuchsigrot
gefärbten Gewebe ursprünglih „naturfarbig hell“ waren, die jetzt
dunkelerfarbigen Kleidungsstücke und eingewebten jetzt dunkelbraunen
Einzelfäden und Streifen ursprünglich „naturfarbig dunkel“.
3. Die bekannt gewordenen Schuhe sind sämtlich aus einem wohl
gegerbten aber meist mit Haaren. versehenen Stück Leder geschnittene
„Bundschuhe“, im Schnitt und Ornament nahe einander verwandt.
4. Die männlichen Leichen haben meist langes (8— 25 cm) welliges
Haupthaar und kurzgeschorenen Lippen-, Wangen- und Kinnbart.
5. Bei zwei Leichen sind sichere, bei dreien sind wahrscheinliche
Anzeichen für Knebelung und andere Gewaltakte vorhanden.
6. Es ist nicht sicher, ob weibliche keichen unter den bisher aus
der Provinz Hannover bekannt gewordenen, gefunden sind.
(Nachschrift während der Korrektur: Durch die weiteren Unter-
suchungen wurden die hier wiedergegebenen Ergebnisse in einigen
Punkten korrigiert, in vielen erweitert und erheblich vertieft. Im Jahr-
buch des Provinzialmuseums zu Hannover 1909—10, Teil Il, sind zu-
nächst die Moorleichenreste, die im Provinzial-Museum zu Hannover auf-
bewahrt werden, eingehend behandelt).
Stud. archäol. Albert WINCKLER, Berlin
machte im Anschluss an den Vortrag Mitteilungen über Studien, die er
unter Leitung von Dr. HAHNE den Gewebstoffen der Moorleichen im
Museum zu Hannover gewidmet hat. Die Gewebe weisen eine grosse
Mannigfaltigkeit auf — oft sogar an demselben Kleidungsstück — und
zeugen nicht nur von Schönheitssinn, sondern, besonders in der Bildung
der Webekanten, auch von einem verblüffend hohen Stande der Technik.
In den Geweben kommen Taft, Köper, Streifendrell, alles in ein-
oder mehrfarbiger Ausführung, und besonders Rautendrell vor. Letz-
terer ist kennzeichnend für germanische Stoffe, wie dies auch aus Dar-
Fundort und
Ge-
| | S | | | Hemd- Ärmel- Ka- Knie- | , | SÉ : j | Ver-
Aufbewahrungsort schlecht Lage Plaid | Tuch rok | rock | puze | Hose Binden |Schnur| Riemen Schuhe schiedenes
I. Sichere Funde.
+ +
1. Bernuthsfeld, Kr. > 7 + 43 (2 je 14 cm Grosser v 75 Fellkappe, Mes-
, b : | 5 ide,
Aurich. Mus. Emden | TT. ſauf d. Ricken) Zu D “tangy | " breit, 370 | | em, kleiner Stock (130 cm)
2. Kreepen, Kr. Verden. RS gered a
M. f. V. Berlin. M. 3 rere — —
3. Marx-Etzel, Kr. Leg dave Rück
Wittmund. Prov- | Mm ag Piahien| I Pragliche Lee om 2
Mus. Hannover. nieder gehalten Gewandreste | lang)
4. Marx-Stapelstein, Fragliche
Kr. Wittmund. Prov. 7 Kleidungs—
Mus. Hannover. reste . dë
5. Neu-Veersen, b. + ?oder + ?
Gross-Fullen, Kr.Mep- M. a ea später
pen.Pr.-Mus.Hannover. getunden zb a) | l
+ | N
6. Obenaltendorf, Kr. + + (1 Bein |,, 2 Kurze 2 silberne
Neuhaus. Mus. Stade. M. 178 cm) In a ra re ‘ 2 Anhanger
7. Landegge, Kr. a. d. Bauch, wohl | = ik
Meppen, nur Fund- M. gefesselt, 2Kniip-
bericht vorhanden. pel, nackt | |
Il. Nur aus lückenhaften Berichten bekannte Funde.
8. Düring, Geestemiinde.| W.(?) | Holzknüppel, dabei Kleidungsreste
9.Heseler Vorwerk,
10.Lehe, Kr. Lehe. +? 2 Hüftgurt
11.Neuenwalde, 8 =e
Kr. Lehe. ce fera FIRST
12.Rhauder Wester- Skelett, wohl
fehn, Kr. Leer. nackt
III. Unsichere Funde.
13. Land Hadeln. „Skelett“
14. K : e ne r Moor, „Leichnam“
15.Rütenbrock, š ? ;
Kr. pp Leiche mit Kleidung und Wolle
16. Südgeorgsfehn, „Skelett“ mit Kleidungsresten
Kr. Leer. und „Sargresten“.
z DI a
stellungen germanischer Männer und Frauen in der römischen Kunst
hervorgeht.
Die Ausführungen HAHNEs und WINCKLERs wurden durch Zeich-
nungen und Photographien der Gewebe, sowie durch Nachbildungen
eg Moorleichen-Kleider und ihre Vorführung am menschlichen Körper
erläutert.
Direktorial-Assistent Prof. Dr. A. GÖTZE, Gross-Lichterfelde,
weist auf Funde von Gewandstoffen in Ostpreussen hin, die noch nicht
veröffentliht sind und auf die Herstellung von Webekanten durch
Brettchenweberei in den Funden von Anduln und Thorsbjerg ).
Univ.-Prof. Geh. Reg.-Rat Dr. BEZZENBERGER, Königsberg,
macht darauf aufmerksam, dass die von Prof. GOTZE aus den Andulner
Geweberesten erschlossene Brettchenweberei in neuerer Zeit noch in
Litauen vorgekommen sei. Man habe mehrere der betreffenden Brett-
chen nebst angefangener Arbeit in Stallupönen gefunden.
Direktorial-Assistent Dr. H. HAHNE, Hannover:
Brettchenweberei haben wir seither an den Hannoverschen Moor-
funden nur einmal bemerkt *); die Webekanten und Kettenherrich-
tung zeigen an unseren Stoffen reiche Verschiedenheit. Die Ergeb-
nisse der betreffenden Untersuchungen hier vorzutragen, hätte zu weit
geführt, sie werden bei der ausführlichen Veröffentlichung unserer Be-
obachtungen (s. oben) berücksichtigt werden.
Museumskustos Armin MÖLLER, Weimar:
Das Urhemd wird nah HAHNEs Untersuchungen durch Zusammen-
falten eines rechteckigen Tuches und Vernähung der oberen Ränder bis
auf einen bleibenden Spalt zum Durchstecken des Kopfes hergestellt.
Römische und frühamerikanische Untergewänder zeigen einen Fortschritt:
das handtuchähnliche Stück Zeug erhält schon beim Weben einen Spalt
als Kopföffnung. Bei den Gewändern der Moorleichen liegt die Kopf-
öffnung quer zur Körperrichtung, bei amerikanishen Hemden dagegen
der Spalt in der Längsrichtung. Letztere Richtung stellt einen Fort-
schritt dar, der bis heute beibehalten wurde.
1) Näheres vergl. A. GOTZE, Brettchenweberei im Altertum in: Zeitschr. für
Ethnol. 1908, S. 81 ff.
2) Vergl. STETTINER, Brettchenweberei in den Moorfunden in: Mitteilungen
d. anthropol. Vereins in Schlesw.-Holst., Kiel 1911, S. 26 ff. (bes. S. 55).
a. 50 éi
Stud. archadol. E. WAHLE, Delitzsch:
Ein Fall von Skelettbestattung und ein
neolithisches Totenopfer aus dem Mansfeldischen.
Mit 4 Abbildungen (Taf. III).
Im Auftrage des Provinzial-Museums zu Halle a. S. hat Vor-
tragender im Frühjahr 1910 Ausgrabungen im Mansfeldischen
geleitet und ist durch die gütige Erlaubnis des Herrn Direktor REUSS-
Halle in der Lage, einige Ergebnisse mitzuteilen. Eingehende Fund-
berichte liegen bei den Akten des Museums, das die Untersuchungen
veranlasst und die Kosten bestritten hat. Ebenda werden auch die
gefundenen Gegenstände aufbewahrt.
Nordöstlih von Burgisdorf (Mansfelder Seekreis) war an einer
Stelle, wo ein Feldweg in den anstehenden hellgelben Löss ein-
geschnitten ist, beim erneuten Abstechen der Lösswand, 70 cm unter
der Oberfläche, ein etwa 1 m langer, tiefschwarz gefärbter Erdstreifen
N
Femur D
Sa N
Humerus `^. Ki
Fibula. S \
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Mandibula \ |
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EN SL,
Cəlva N = , ‘Tibie
N SE
x x
X j Tibia
„
Radius Femur
Abb. 1.
zutage gekommen, aus dem einige menschlihe Knochen herausragten.
Die Untersuchung ergab, dass in der angegebenen Tiefe eine schwarze
seen. | ee
„Brandschidit“ von 1 m Breite und noch 1,7—2 m Lange sich durch
den Boden zog, auf der sic) menschliche Knochen in ganz unregel-
mässiger Lage fanden. Die ,Brandschicht“ bestand aus kleinen Stücken
Holzkohle, die sih im Löss als mehr oder weniger dicht verstreute
tiefschwarze Brocken kenntiih machten. Ihre Lagerung spricht dafür,
dass sie bereits als solche in die Grube geschüttet worden sind, nicht etwa,
dass in der Grube ein Feuer gebrannt hat. Beachtenswert ist die Lage
der Knochen zueinander. (Abb. 1.) Es fanden sich vor: eine nicht
gut erhaltene Calva und in ihr das Mittelstück der Maxilla mit einigen
Zähnen und mehreren nicht geschlossenen Alveolen; ein Umstand, der
für ein Ausfallen der Zähne nach dem Tode ihres Trägers spricht.
Ferner lagen in der Schädelkapsel: 1 Stück der grossen Hinterhaupt-
Schuppe, welches zur Hälfte das grosse Hinterhauptloch einfasst, 3 aus
dem fehlenden Teil der Maxilla stammende Molaren, sowie einige
kleinere Stücke des Schädels. Etwa 25 cm davon entfernt lag die
unversehrt erhaltene Mandibula, aus welcher post mortem 6 Zähne
ausgefallen sind. Sodann lagen auf der „Brandschicht“: 1 Clavicula,
1 Scapula (doch von ihr nur der Processus coracoideus mit den un-
mittelbar benachbarten Teilen), 2 Humeri (rechter und linker), 2 Radii
(r. u. J.), 1 Stück von der linken Beckenhälfte, 2 Femora (r. u. l.),
2 Tibiae (r. u. I.), 1 Fibula, 2 Wirbelreste, 6 Rippenstücke, 2 Bruch-
stücke von Fibula oder Radius. (Die letztgenannten kleineren Knochen,
die regellos auf der Brandschicht verstreut lagen, sind auf der Abbildung
nicht verzeichnet.) Gefässe, Stein- oder Metallbeigaben wurden nicht
vorgefunden.
Die Skeletteile sind sämtlich mehr oder weniger stark beschädigt.
Vom Schädel ist nur das widerstandsfähige Dach erhalten, und auch
dieses weist starke Brüche auf. Die zerbrechlicheren Schädelteile mit
Ausnahme des in der Schädelkapsel vorgefundenen Stückes der Maxilla
fehlen. Dasselbe ist mit den schwächeren Teilen des Schulterblattes
der Fall. Die langgestreckten Extremitätenknochen sind an den Enden
und Kanten abgestossen, oder diese fehlen vollständig. Zusammen-
stellung und Beschaffenheit der Knochen sprechen dafür, dass sie von
einem Individuum stammen, und zwar dürfte der Tote, dessen Ge-
schlecht sih nach den vorhandenen Resten nicht bestimmen liess, das
60. Lebensjahr bereits erreicht haben. Die Nahtsynostose ist über ihre
Anfänge hinaus; die Zähne sind sämtlich schon stark abgekaut.
Das vollkommen gleichartige Aussehen der Knochen wie auch ihre
Lage auf einer „Brandschicht“ lässt schliessen, dass sie alle zu einer
Zeit daselbst niedergelegt wurden. Die Knochen sind aber auch an
eben jenen Stellen der Schicht hingelegt worden, an denen sie vor-
gefunden wurden. Irgend welche Störungen im Boden, auch etwa durch
Hamsterbauten, konnten nicht nachgewiesen werden. Und sollte es sich
wirklih um ein zerstörtes Grab handeln, was hat den Finder dann
veranlasst, nur die grösseren Knochen wieder auf die Kohlenschicht zu
legen, die kleineren aber, bis auf die wenigen, die er der Schädel-
kapsel anvertraute, nicht bei den übrigen zu lassen? Und wie wollte
man den Umstand erklären, dass die langen Extremitätenknochen sämt-
lih an den Enden und Kanten abgestossen sind? Die Knochen sind
also in der Lage beigesetzt worden, in der sie bei der Ausgrabung
32 A
angetroffen wurden. Und diese Lage zueinander wie auch der Erhaltungs-
zustand und das Fehlen vieler Teile sprechen dafür, dass sie bereits
ohne Fleischteile der Erde übergeben wurden.
Die Frage nach der Zeitstellung des Fundes lässt sich nicht genau
beantworten. Zeiten, in denen Leichenverbrennung üblich gewesen,
kommen wohl kaum in Betracht. Späte Kaiserzeit wäre möglich, ebenso
die fränkische Periode; eher wohl aber Stein- und ältere Bronzezeit.
Der Grad der Verwitterung lässt sich nicht als Zeitmesser verwenden.
Es ist ja auch nicht festzustellen, wie lange die Knochen vor der Bei-
setzung den Witterungseinflüssen ausgesetzt gewesen sind.
Zur Erklärung des Befundes können folgende Hinweise dienen.
Bei primitiven Völkern findet man häufig den Brauch, die Toten auf
Wanderungen mitzunehmen, bis man sie in heimatlicher Erde bestatten
kann. FORRER') vermutet, dass die vielen Fälle von Skelettbestattung,
die sich für die vordynastische Zeit Ägyptens nachweisen lassen, auf
denselben Brauch zurück zu führen sind. ROCHHOLZ’) führt Bei-
spiele dafür an, dass noch im deutschen Mittelalter in Fällen, in denen
man umständehalber nicht in der Lage war, den Toten in heimatlicher
Erde beizusetzen, man entweder den Kopf mitnahm und das übrige
an Ort und Stelle bestattete, oder die Fleischteile löste, sie verscharrte,
um wenigstens die Knochen nicht im Stiche lassen zu müssen.
Bedeutsam sind auch die Beobachtungen, die in Böhmen“) und
neuerdings auch in der Wetterau‘) gemacht wurden. Hier fanden sich in
mehreren bandkeramischen Wohngruben in ungestörter Lage je ein
Schädel ohne Unterkiefer, welche, nach den Fundumständen zu schliessen,
in der noch benutzten Hütte zu Kultzwecken aufgestellt gewesen
sind. Dies sind archäologishe Belege dafür, dass man Schädel von
Verstorbenen noch längere Zeit aufbewahrt hat. Dass dies mitunter
mit dem ganzen Skelett geschehen ist, dafür ist der vorliegende Fall
ein Beweis’).
Etwa 2 km nördlich von der vorstehend beschriebenen Fundstelle
zieht sich in ost-westlicher Richtung ein Höhenzug hin, dessen west-
liches Ende der durch schnurkeramishe und bronzezeitliche Bestat-
tungen bekannt gewordene Säringsberg bildet“). Etwa auf der Mitte
dieses Rückens, auf der Feldmark des Dorfes Heiligenthal (Mans-
felder Seekreis), sind, wie die Überlieferung berichtet, vor Jahren
„Steine und Urnen“ gefunden. Die Untersuchung des Berichterstatters,
die sich auf eben jene Stelle bezog, hat denn auch ein zum grössten
Teil zerstörtes prähistorisches Denkmal ans Licht gezogen. Es konnte
eine 30—75 cm tief liegende Steinschüttung von etwa 20 m Länge und
18 m Breite nachgewiesen werden, deren unregelmässige Form Ab-
1) R. FORRER, Steinzeit-Hockergräber zu Achmim, Strassburg 1901; ders.
Urgeschichte des Europäers, Tafel 71, S. 226.
? Deutscher Glaube und Brauch im Spiegel der heidnischen Vorzeit, I, 1867,
S. 232 ff.
3) v. WEINZIERL in: Zeitschrift für Ethnologie 1897, Verhandl. S. 46.
*) Corr.-Blatt der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, 1910, S. 21.
5) Über Skelettbestattung im allgemeinen siehe: DECHELETTE, Manuel
d’Archéologie préhistorique I, 1909, S. 469—471 (mit Literatur).
) Jahresschrift für die Vorgeschichte der sächsisch-thüringischen Länder, VIII,
1909, S. 87, 113.
— 33 =
bildung 2 erkennen lässt. Am Ostrande bestand sie aus einer dünnen
Lage von kaum faustgrossen Steinen, doch verstärkte sie sich von hier
aus nach Nordwesten bis zu 50 cm Dicke, woselbst sie von mehreren
aufeinander liegenden Schichten unregelmässiger Steinplatten gebildet
wurde. Auf der ganzen West- und Nordfront war sie zackig und un-
regelmässig, sowie scharf abgeschnitten, im Gegensatz zu ihrem lang-
samen Verlaufen in südöstlicher Richtung. Es ist demnach anzunehmen,
dass sich die Steinschüttung einst noch weit nach Westen und Norden
ausgedehnt hat!).
Diese bei der Auffindung noch 200 bis 250 qm grosse Schüttung
ist, wie sich durch Beobachtung der Mächtigkeit des humosen Löss
deutlih nachweisen liess, auf der alten Oberfläche errichtet worden,
worauf ein Hügel über ihr gewölbt wurde.
In dem Erdreich zwischen, sowie unmittelbar über und unter der
Schüttung wurden Scherben angetroffen, die sämtlih dem Bernburger
Typus angehören’), sowie 3 grössere Silexspäne.
Etwa in der Mitte des noch angetroffenen Teiles der Schüttung
wurden unter ihr und in sie hineinragend mehrere von Natur nicht
dorthin gelangte grosse Steinblöcke angetroffen, die jedoch ebenso
schwer zu deuten sind, als sih ihr unmittelbarer Zusammenhang mit
der Schüttung beweisen lässt. Doc haben sie sicher nicht zu einem
Steinkranz oder Steinzaun gehört; auch sind sie nicht als Reste eines
Steingrabes zu deuten.
Wichtigere Funde wurden am Ostrande der Steinschüttung unter
einem unvermittelt 2 m weit aus ihr herausspringenden Ausläufer ge-
macht. Unter diesem fanden sich in einer 1,65 m langen und 1,05 m
breiten Grube von 1,45 m Tiefe und elliptishem Grundriss, die mit
humosem Löss gefüllt war, 2 übereinander auf der rechten Seite mit dem
Kopf im Westen liegende Hocker, nur durch eine Schicht faustgrosser
Steine von einander getrennt (Abb. 3, auf Taf. III; oben Grundriss, unten
Aufriss). Jeder Hocker hatte einen Silexspan als Beigabe; ferner lag
im unteren Teil der Grube ein Scherben vom Bernburger Typus mit
Innenverzierung, sowie bei dem unteren zwei von einer Fleischbeigabe
stammende Tierknochen. Der obere, durch Hamstergänge sehr zerstörte
Hocker bot nichts besonderes; dagegen war bei dem unteren durch
nichts, auch nicht durch Hamsterbauten gestörten Skelett (Taf. III, Abb. 4)
die Lagerung eines Teiles der Knochen sehr auffallend. Die beiden
Schlüsselbeine lagen übereinander in 3 cm Abstand und genau parallel,
das linke auf die Mandibula gelehnt. Das linke Schulterblatt fehlte
vollständig. Dort, wo der obere Teil des Brustkorbes sich befinden
musste, war nur ein Durcheinander von Hals- und Rückenwirbeln,
sowie von Rippen. Atlas und Epistropheus lagen wohl noch genau auf-
einander, aber nicht unmittelbar unter dem Foramen magnum, sondern
1) Die punktierte Linie auf der Abbildung (Taf. III) soll nur den erhaltenen
Rest der Steinschüttung als Teil des Ganzen zur Darstellung bringen.
2) Sowohl der älteren, neuerdings in Walternienburg so schön vorgefundenen
Stufe (Jahresschrift VI, 1907, S. 89, VIII, 1909, S. 217), wie auch der jüngeren,
z. B. in Drosa (Jahresschrift IV, S. 33) und dem Lausehügel bei Halberstadt
(Augustin-Friederih, Abbildungen von mittelalterlichen und vorchristlichen Alter-
tümern des Bistums Halberstadt, 1872, S. 7.) beobachteten.
3
— 34 —
etwa 4 cm davon entfernt. Auf diesem Gewirr lagen die Epicondylen
des linken Humerus, der genau nord-südlih gelegt war und zwar mit
dem Caput im Süden, also in der entgegengesetzten Lage, in welcher
er im Körper liegt. Er war wagerecht gelegt; 11 cm unter dem Caput
schlossen sich Ulna und Radius desselben Armes an und zwar das
distale Ende, während das proximale nach dem unteren Brustkorbe zu
sich befand. Die unteren Extremitäten, der Beckengürtel, die Lenden-
wirbel, sowie der untere Teil des Brustkorbes lagen in ungestörtem
Zusammenhang; auch die rechte obere Extremität nebst zugehörigem
Schulterblatt, dessen Zusammenhang mit dem Schlüsselbein infolge
der nicht normalen Lage der letzteren allerdings nicht mehr vorhanden
war. Zwischen den Knochen beider Unterarme lagen ganz allein
einige Rippen.
Beide Toten waren männlichen Geschlechts und ausgewachsen;
der obere mass etwa 1,60 m, während der untere 1,80—1,85 m gross
gewesen sein mag. Beide waren Langschädel; doch steht eine anthro-
pologische Untersuchung noch aus. Hinsichtlih der Zeitstellung lässt
sich nur sagen, dass die Anlage in die jüngere Stein- oder älteste
Bronzezeit fällt und dass sie nicht älter sein kann als der Bernburger
Typus. Denn die zahlreihen Scherben dieser Art brauchen nicht un-
bedingt gleichaltrig mit dem Denkmal zu sein; sie können schon vorher
dort gelegen haben. Auch ist es möglich, dass sie sich in der Erde
befanden, die man zum Aufwölben des Hügels zusammenbradtte.
Ebenso gut ist aber auch denkbar, dass sie bei dem Aufbau der An-
lage eine bestimmte Rolle gespielt haben und das Denkmal also der
Kultur des Bernburger Typus zuzurechnen ist. Sonst könnte es auch
zur Stufe der Kugelamphoren, der Schnurkeramiker, Glockenbecherleute
und der Aunetitzer gehören').
Die Frage, ob Steinschüttung und Hocker in unmittelbarem Zu-
sammenhang stehen, glaube ich, ist unbedingt zu bejahen. Die Stein-
schüttung hat man sich wohl als den schützenden Mantel eines grösseren
Grabes vorzustellen, das bereits in früherer Zeit entfernt worden
ist, jedenfalls aber den Kern der Anlage gebildet hat. Denn die beiden
bescheiden am Rande der Schüttung übereinander bestatteten Toten
waren Diener, die ihrem Herrn in den Tod gefolgt sind. Nur so
lassen sie sich in ihrem Verhältnis zu der Steinschüttung würdigen.
Fälle, in denen Herr und Diener zusammen bestattet wurden, sind aus
1) In vorstehendem Bericht ist der nachfolgend beschriebene Fund nicht be-
rücksichtigt, da ich ihn für bedeutend jünger als die Gesamtanlage hielt. Es fand
sich nämlich nahe des Westrandes der Schüttung in einer in dieser ausgesparten
flachen Mulde ein umgestülpter Gefässboden, sowie neben und unter ihm verschie-
dene zueinander gehörige Scherben und einige ganz kleine Bronze-(?)Stiidkchen.
Nachdem nun aber aus den Scherben ein einhenkliges Kännchen zusammengesetzt
worden ist (wovon ich erst nach dem Vortrage Kenntnis erhielt), wird, falls sich
dieses zeitlich festlegen lässt, das Alter der Gesamtanlage sich genauer bestimmen
lassen; denn in stratigraphischer Hinsicht lag sie unter dem Gefäss (andererseits
aber, wie schon vermerkt, über den Bernburger Scherben). Sollte es mir möglich
sein, das Kännchen typologisch und chronologisch einzureihen, so gedenke ich später
in der ,Jahresschrift für die Vorgeschichte der sächsisch-thüringishen Länder“
darüber zu berichten.
Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte, II. Ergänzungs-Band. Tafel III.
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Abb. 2. Abb. 3.
Wahle, Ein neolithisches Totenopſer. Curt Kabitzsch (A. Stuber's Verlag), Würzburg.
zs 595) 2
Bodenfunden bereits mehrfach bezeugt'). Aus frühgeschichtlicher Zeit
sind schriftlihe Belege dafür vorhanden, dass Pferde, Habichte und
Knechte ihrem Herrn, die Frau ihrem Gemahl mit in den Tod gefolgt.
Die in vorliegendem Fall beobachtete unregelmässige Lage der
Skeletteile des Schultergürtels, oberen Brustkorbes und linken Armes,
wie auch das Fehlen des linken Schulterblattes, lässt sich nicht auf
irgendwelche Einflüsse nach bereits erfolgter Bestattung zurückführen.
Und da bei diesem Funde nicht anzunehmen ist, dass der Tote im
Kampfe geblieben, so bildet eine absichtliche rituelle Zerstückelung die
einzige Erklärungsmöglichkeit. Es sei in diesem Zusammenhang darauf
hingewiesen, dass MOGK?) einige Stellen aus der altnordischen Lite-
ratur nachweist, nach denen man bei der Opferung von Menschen „die
Rippen blossgelegt und die Lunge herausgezogen hat“, womit jedoch
nicht gesagt sein soll, dass in vorliegendem Falle dasselbe stattgefunden
haben muss. „Man scheint die Lunge als den Sitz der Seele betrachtet
zu haben, die natürlich allein dem Gotte gehörte“ (MOGK). Eben darin
beruht der Wert dieses Fundes, dass er, obwohl nur noch als Torso
geborgen, ein Denkmal einstiger gesellschaftliher Zustände und vor-
geschichtlicher Bräuche ist. Fälle von ritueller Leichenzerstückelung kom-
men häufiger vor, als allgemein angenommen wird. Es ist ihnen jedoch
noch nicht die Würdigung zuteil geworden, die sie verdienen. Hätten
die Völker zu allen Zeiten Leichenbestattung geübt, so wären wir in
der Lage, die Ergebnisse religions- und sittengeschichtlicher Forschung
auf archäologishem Wege zu ergänzen. Ob es auch so gelingt, wo
man von Skelett- zu Brandbestattung übergegangen ist und umgekehrt,
sei noch dahingestellt. Vorläufig müssen wir uns damit bescheiden,
derartige Gräber gut zu untersuchen und nicht, wie es bei vielen Fällen
von Leichenzerstückelung geschehen SEH mag, anormale Lagerung von
Knochen auf „Verschleppung durch Nager“ zurück zu führen, wie dieser
Terminus technicus in vielen Berichten zu lesen ist.
Direktorial-Assistent Prof. Dr. GOTZE, Gross-Lichterfelde,
weist auf einen ähnlichen Fund von Leichenzerstücelung im Bären-
hügel bei Wohlsborn in der Nähe von Weimar hin?).
Stud. archäol. E. WÄHLE, Delitzsch:
Es war nicht meine Absicht, die Befunde des Prof. GÖTZE irgend-
wie zu bezweifeln. ld bezweckte mit dieser Bemerkung nur auf die
Untersuchungen GROSSLERs hinzuweisen, der, wie ich aus dem Munde
eines tüchtigen Mansfeldischen Lokalforschers erfahren habe, stets be-
strebt war, anormale Lagerung von Knochen auf „Verschleppung durch
Nager“ zurückzuführen.
7) Z. B. in den Hügeln von Leubingen, Kreis Eckartsberga, und Helmsdorf,
Mansfelder Seekreis.
*) MOGK, Die Menschenopfer bei den Germanen, 1909, S. 9.
3) A. GOTZE, Menschenopfer im Bärenhügel b. Wohlsborn, Grossh. Sachsen-
Weimar in: Verhandl. d. Berl. Gesellsc. f. Anthrop. 1893, S. 142 ff.
3*
— 36 —
Museumsassistent Dr. K. JACOB, Leipzig:
Es scheint mir gewagt, bei der Skelettbestattung an den Schädel-
kult zu erinnern. Bei den Naturvölkern, die diese Sitte haben, wird
meist der Leichnam erst beerdigt und dann nach einiger Zeit wieder
ausgegraben, wobei der Schädel vom Rumpf getrennt wird. Der Schädel
wird über der Erde aufbewahrt und nicht, wie bei uns, wieder bei-
gesetzt. — Hätte man den Leichnam erst längere Zeit mit sich geführt,
um ihn als Skelett in heimischer Erde beisetzen zu können, so würde
man wohl kaum eine 2 m lange Grube ausgeworfen, sondern sich mit
einer bedeutend kleineren Grube begnügt haben, in der man dann die
Knochen als Haufen oe nicht so weit verstreut) beigesetzt hätte.
Stud. archäol. E WAHLE, Delitzsch:
Demgegenüber bin ich nur in der Lage, auf die Tatsachen hin-
zuweisen.
Städt. Bibliothekar Dr. G. ALBRECHT, Charlottenburg:
Die Sitte, das Skelett oder einzelne Knochen Verstorbener zum
Zweck der Bestattung in der Heimat aus fernen Ländern mitzuführen,
wird in mittelalterlihen Schriften und Dichtungen vielfach erwähnt.
Namentlich in der Zeit der Kreuzzüge wurde das Verfahren, das Skelett
für die Überführung in die Heimat von den Fleischteilen loszulösen,
häufig angewendet, so z. B. bei der 1270 erfolgten Überführung der
Gebeine Ludwigs IX. von Agypten nach Frankreich. In meiner Disser-
tation „Vorbereitung auf den Tod, Totengebräuche und Totenbestattung
in der altfranzösischen Dichtung“ (Halle 1892) habe ich diese Art der
Bestattung geschildert und mit Textstellen belegt.
Stud. archäol. E. WAHLE, Delitzsch:
Die Lagerung eines Teiles der Knochen (auf der Abb. 1 rechts
unten) macht es wahrscheinlich, als habe man beabsichtigt, die Hocker-
stellung der Unter-Extremitäten nachzuahmen.
Univ.-Professor Dr. G. KOSSINNA, Berlin:
Bei dem Hocker mit Zerstückelung kommen nicht alle neolithischen
Kulturen als möglich in Betracht, wie der Vortragende bemerkte, denn
bei der Glockenbecherkultur finden sich niemals Langschädel-, sondern
stets Kurzschädelskelette.
* *
*
Gegen Schluss der Sitzung machte Geh. San.-Rat Dr. ZSCHIESCHE
einige Mitteilungen über den Ausflug nach Bischleben und Möbisburg,
ferner führte stud. archäol. A. WINCKLER an einem von ihm herge-
stellten Webstuhl Versuche zur Herstellung von vorgeschiditlichen Ge-
webstoffen vor.
— — — — —
— 37 —
Nachmittags 6 Uhr:
Ausflug nach Möbisburg.
Der Ausflug nach dem nahe gelegenen Möbisburg galt haupt-
sächlih der Besichtigung der dortigen „Burg“. Die Burg ist eine
viereckige Umwallung auf einem niedrigen an die Gera stossenden
Hügel. Der östliche Teil, ebenso die beiden Eingänge sind noch
gut erhalten. Innerhalb der Umwallung steht die Dorfkirhe. Die Be-
festigung dürfte aus der fränkischen Zeit stammen, reicht aber viel-
leicht noch weiter zurück, wie eine hier gefundene bronzene Laténe-
Fibel vermuten lässt. Sonst beschränken sih die Funde auf wenig
charakteristische Scherben. Die Kirche innerhalb der Umwallung und
zahlreiche Sagen lassen vermuten, dass hier eine Kultusstätte gewesen
ist (s. oben Vortrag von Dr. ZSCHIESCHE). Von den Sagen sei nur
die von den Schatzgräbern erwähnt, denen der Teufel die Hälse um-
drehte. Er kam, in ein rotes Kleid gehüllt, auf einem kleinen mit
zwei Böcken bespannten Wagen angefahren. Donar ist hier unverkennbar.
Vier an dem Gesims der Kirche kunstlos ausgehauene offenbar sehr
alte Köpfe sollen die Schatzgräber darstellen.
Nach der Besichtigung vereinigte der Abend die Teilnehmer im
Garten des Gasthauses „Zur Forelle“ in Möbisburg.
Dienstag, den 2. August 1910:
Vormittags 9 Uhr:
Geschäftliche Sitzung in der „Ressource“.
Vorsitz: Universitätsprofessor Dr. G. KOSSINNA.
1. Der Vorsitzende erstattet einen kurzen Bericht über das ver-
flossene Geschäftsjahr.
2. Der Schatzmeister Dr. BORDES erstattet den Kassenbericht,
demzufolge der Stand der Finanzen am 2. August 1910 der
nachstehende ist:
Einnahmen Ausgaben
vom 3. August 1909 bis vom 3. August 1909 bis
2. August 1910 2. August 1910
M. M.
a. Mitgliederbeiträge a. Drucksachen . 2363,69
(davon 1 = 300 M. b. Porti, Depeshen . 178,88
auf Lebenszeit) . 4245,55 c. Reisekosten 30,—
b. Zinsen der Bank . 85,45 d. Bürobedarf . . . 146,51
c. Unvorhergesehenes . 39,67 e. Unvorhergesehenes . 10,20
M. 4370,67 M. 2729,28
Einnahmen ...... 4370,67 M.
Ausgaben . — 2729,28 „
1641,39 M.
Dazu Saldo-Vortrag vom 3. VIII. 09 + 1961,63 „
Kassenbestand re 3603,02 M.
— 38 —
Hierbei ist zu bemerken, dass bei den Ausgaben die Unkosten
für die Drucklegung und Versendung des 2. Bandes des Mannus „mit
2870 M. nicht aufgeführt sind“, dass also der Kassenbestand dement-
sprechend kleiner wird.
3. Der Beschluss des Vorstandes und des Ausschusses, im Jahre
1911 die dritte Tagung für Vorgeschichte in Coblenz abzuhalten, wird
der Versammlung mitgeteilt.
4. Universitäts- Professor Geh. Reg.-Rat Dr. BEZZENBERGER
stellt den Antrag, dass die heutige Tagung für Vorgeschichte bei dem
preussischen Kultusministerium vorstellig werden solle, der Herr Kultus-
minister möge dahin wirken, dass bald ein Gesetz für den Schutz der
vorgeschichtlihen Denkmäler in Preussen erlassen werde.
Nachdem Geheimrat BEZZENBERGER seinen Antrag begründet
hat, erklärt GÜNTHER-Coblenz:
Im allgemeinen stehen wir auf dem Standpunkt, dass es eines
Gesetzes zum Schutze der frühgeschichtlihen Denkmäler usw. bedarf.
Insbesondere muss der Raubgräberei, der Zerstörung von Hügelgräbern,
Ruinen usw. ein Riegel vorgeschoben werden. Es fragt sich aber nur,
wem der Gesetzentwurf zugute kommen soll. Wenn nur die grossen
Museen berücksichtigt werden sollen, so muss ich darauf hinweisen,
dass im Rheinlande, wie auch die Bonner Jahrbücher ausweisen, viel
von privater Seite und von den Lokalmuseen und Vereinen gearbeitet
worden ist, was dann aufhören würde. Überhaupt scheint die Denk-
malspflege und der Heimatschutz nicht gewahrt und gefördert, wenn die
Altertumsfunde usw. dem heimischen Boden entfremdet werden. Dann
scheint der Entwurf auch ein Polizeigesetz und zum Teil ein Enteig-
nungsgesetz zu sein, wo von dem Urteil der unteren Polizeiorgane
gegebenenfalls abhängig gemacht wird, was als frühgeschichtliches Denk-
mal zu betrachten ist. Es ist aber auch bezüglih des Verbleibs der
Sachen eine Lücke vorhanden, da schliesslich, wenn der Grundbesitzer
oder Finder die Stücke nicht an die Behörde ablässt, dem Händler
immer noch Tür und Tor geöffnet ist, während die Beobachtung und
Feststellung der Fundumstände verloren geht.
Auf eine Frage des Vorsitzenden, ob er also, wenn das Gesetz die
Lokalforschung nicht berücksichtige, dagegen sei, antwortet GUNTHER
mit „Ja“!
Der Antragsteller Geheimrat BEZZENBERGER führt dem gegen-
über aus, dass die Rücksicht auf kleinere Sammlungen nicht zu weit
gehen dürfe, da sie viel zu viel vorübergehenden Bedingungen unter-
worfen seien und den Überblick erschwerten. Die Verhältnisse z. B.
der Provinz Sachsen mit ihren ungefähr 25 Sammlungen finde er durch-
aus nicht erstrebenswert. Es werde Sache der Gesetzgebung und der
Praxis sein müssen, einen billigen Ausgleich zwischen den Interessen
einmal der grossen und der kleinen Museen und andererseits der Boden-
eigentümer und der Wissenschaft zu finden. Auf keinen Fall könne der
F bei der Handhabung des Gesetzes ausgeschaltet
werden.
Hierzu erklärt GUNTHER, auch er halte den Regierungspräsidenten
für die geeignete Instanz, nidit aber die untergeordneten Verwaltungs-
u 580, wi
und Polizeiorgane, die bisher noch sehr wenig Verständnis für die Vor-
geschichte bekundet und ihr Gutachten in der Angelegenheit bisher
meist abgegeben hätten, ohne mit den betreffenden Vereinen und Personen
Fühlung zu nehmen.
Bei der Abstimmung, ob überhaupt ein Gesetz für notwendig ge-
halten werde, stimmt auh GÜNTHER dafür mit dem Bemerken, dass
er grundsätzlich dafür sei, dass aber bei der Ausführung die Lokal-
vereine usw. berücksichtigt werden müssten. Im übrigen soll der nicht
ausgraben dürfen, der nicht veröffentlicht.
Der Antrag BEZZENBERGERs wurde einstimmig angenommen.
4. Die erwählten Kassenrevisoren erstatteten Bericht, und Ober-
lehrer SCHMIDT - Löbau stellt den Antrag, dem Schatzmeister Ent-
lastung zu erteilen. Der Antrag wird einstimmig angenommen.
5. Geh. Reg Rat Prof. Dr. BEZZENBERGER spricht dem ge-
schäftsführenden Vorstande den Dank der Gesellschaft für die gute
Führung der Geschäfte aus und fordert die Anwesenden auf, sich zum
Ausdruck ihres Dankes von den Plätzen zu erheben.
6. Verlesung von Telegrammen und Glückwunscschreiben.
7. Der Vorsitzende, Prof. Dr. KOSSINNA, ermahnt die An-
wesenden, eifrig Mitglieder für die Gesellschaft zu werben und sich
rege an den Arbeiten für den „Mannus“ zu beteiligen, dann schliesst
er die geschäftliche Sitzung.
Vormittags 10% Uhr:
Eröffnung der wissenschaftlichen Sitzung.
Vorsitz: Universitäts-Professor Dr. G. KOSSINNA.
Univ.-Prof. Geh. Reg.-Rat Dr. BEZZENBERGER, Königsberg:
Die ältere und die jüngere Steinzeit in Ostpreussen.
(Kurzer Auszug.)
Der Vortragende führte zunächst aus, dass die ältesten Spuren
des Menschen in Ostpreussen sich heute — entgegen einem Satze
TISCHLERs — weit über die jüngere Steinzeit verfolgen lassen. Zum
Beweise legte er eine photographische Tafel vor, welche die von SARAUW
in „En Stenalders Boplads“ nachgewiesenen ostpreussischen Stücke der
Ancylus-Zeit vereinigt, und zeigte Abbildungen mehrerer Objekte, die
derselben Periode der ostpreuss. Steinzeit entstammen, oder doch viel-
leicht zuzuschreiben sind. So u. a. einer beschnittenen Rentierstange
aus dem untermezoischen Walde bei Rossitten (Kur. Nehrung) und
eines Mammutknochens aus einem Kieslager des Kreises Heydekrug
mit menschlichen Eingriffen. Noch älter sei vielleiht eine Silexklinge
aus der Nähe von Königsberg. — Weniger als aus der Ancylus-Zeit
besitze Ostpreussen sichere Zeugen aus der Litorina-Zeit. Immerhin
hebe sie sih aber durch das Vorkommen des Walzenbeils deutlich
genug ab, und jedenfalls gebe es dort manches Stück, das jünger als
— 40 —
Ancylus- und älter als neolithische Zeit sei. Dahèr seien mindestens
zwei Perioden einer ostpreuss. älteren Steinzeit zu unterscheiden.
Mindestens ebensoviele seien aber auch in der jüngeren Steinzeit zu
erkennen. Diese Scheidung zeige der in Abbildungen vorgelegte Befund
des berühmten Grabhügels bei Wiskiauten (Samland). Die Be-
völkerung, die die Trägerin der ostpreussischen Steinzeit-Kultur war,
hält der Vortragende für eine preussisch-litauische und suchte dies durch
die Entwicklung der litauischen Bezeichnungen für „Meer“ und „Haff“
(mares = Kurisches Haff, jurios = Ostsee) zu erweisen.
Stud. archäol. E. WÄHLE, Delitzsch:
Ich möchte im Anschluss an die Ausführungen des Herrn Vorredners
auf eine für die Würdigung des nordostdeutschen Neolithikums bedeut-
same Tatsache hinweisen.
Von dem Standpunkt KOSSINNAs aus kann man ein Verschmelzen
finno-ugrischer und indogermanischer Kulturelemente beobachten. In Grab-
funden aus Nordostdeutschland (aus Ostpreussen: 3, Westpreussen: 2,
Posen: 1), die nach Steingeräten und Gefässen in die Zeit der Schnur-
keramik fallen, finden sich Bernsteinperlen, die ebenso verziert sind und
dieselbe Technik aufweisen, wie die Stücke von Schwarzort, die nach
BERENDT ein weit höheres geologisches Alter haben, als jene jung-
neolithischen Grabfunde. Befunde auf Scherbenplätzen sind nicht in Be-
tracht zu ziehen, obwohl das Zusammenvorkommen von schnurverzierten
Scherben und Bernsteinarbeiten (einmal sogar einer Bernsteinfigur) ganz
von der Technik derer von Schwarzort auf 7 verschiedenen Fundstellen
doch wohl auffallen muss. Für das lange Weiterleben der ancylus-
zeitlichen Kultur spricht auch die Verzierungsart der Knochenplatten aus
dem jungneolithishen Grabe von Wiskiauten, für die KOSSINNA
(Mannus Il, 1910, S. 76) Parallelen nennt, und deren Schmuck in der-
selben Manier ausgeführt ist wie die Verzierung auf dem Geweihstück
von Klein-Machnow, das nach den Ausführungen SCHOTENSACKs in
das Frühneolithikum fällt. Es wäre demnach der Schluss berechtigt,
dass die aus dem Megalithgrabergebiet nach Osten vordringenden Indo-
germanen im nordöstlichen Deutschland auf die zurückgebliebenen Reste
der nach Osten abgewanderten Finno-Ugrier gestossen seien.
Dr. R. R. SCHMIDT, Tübingen
entgegnet auf die Ausführungen des Geh. Reg.-Rats Prof. Dr. BEZZEN-
BERGER, dass ein Vergleich der erwähnten Silexklinge mit den Aurig-
nacien-Typen nicht möglich ist. Derartigen Silexklingen ist kein chrono-
logischer Wert beizumessen; sie können in allen Phasen der älteren
und der jüngeren Steinzeit vorkommen.
Universitäts-Professor Geh. Reg.-Rat Dr. BEZZENBERGER
erwidert gegen stud. WÄHLE, dass Ostpreussen keinen einzigen Anhalt
für die Annahme finnischer Bevölkerung biete und gegen Dr. SCHMIDT,
9 | ONE
dass er sein Urteil über das betreffende Feuersteinstück als Nicht-
Aurignacien dankbar annehme und ihn bitte, den bei Heydekrug ge-
fundenen Mammutknochen mit vermutlichen Eingriffen von menschlicher
Hand bei seinem demnächstigen Besuch persönlich zu untersuchen.
Universitäts-Professor Dr. G. KOSSINNA, Berlin:
Eine merkwürdige Baummarke.
Mit Tafel IV und V.
Ich lege hier zwei glatt gespaltene Kloben Eichenholz vor, die von
einem Baume stammen, der vor etwa zehn Jahren am „Ransberg“,
einem Vororte von Dülken im Rheinlande, links von der Landstrasse
Dülken-Viersen gefällt, klein gemacht und als Brennholz verbraucht
worden ist. Diese beiden Stücke, der einzig erhaltene Rest des Baumes,
sind mir durch Vermittelung des Kgl. Landesgeologen Herrn Professor
Dr. POTONIE in Berlin von Seiten des Lehrers W. LOMNITZ in
Dülken zugegangen. Sie sehen auf der glattgespaltenen Fläche des
einen Stückes ein eingeschnittenes Zeichen und auf dem andern Stücke
den Gegendruck, das Negativ dieses Zeichens, das sich erst beim Dicken-
wachstum des Baumes gebildet hat (Tafel IV). Wenn ein Einschnitt
in den Stamm eines lebenden Baumes durch die Rinde bis in den
Holzkörper des Baumes hineingeht, so hinterlässt er hier eine Narbe,
die dann vom Kambium aus alljährlich mit neuen Holzlagen, den Jahres-
ringen, überdeckt wird. Diese Uberdeckungsanlagen schmiegen sich zu-
erst der durch den Einschnitt künstlich vertieften Oberfläche an, um
dann allmählih den gewohnten Verlauf zu nehmen. Auf diese Weise
gelangt der Einschnitt immer tiefer in den Stamm hinein. Aus der
Anzahl der Jahresringe über dem Einschnitt kann man bei einem frisch-
gefällten Baum ohne weiteres das Jahr ermitteln, in dem der Einschnitt
gemacht wurde.
| Da unsere beiden Abschnitte der einzige Rest des Stammes sind,
ist diese Ermittelung hier also leider nicht möglih. Die Wölbung der
beiden Abschnitte ist schwach; der Stamm wird also schon ziemlich
dick gewesen sein, als der Einschnitt erfolgte. Nach der Mitteilung des
Lehrers hat der Baum an einer Stelle gestanden, die nach der Dülker
Chronik im 12. Jahrhundert ganz mit Wald bedeckt gewesen sei, die
aber jetzt nur noch wenige Bäume aus jener Zeit her aufweist. Uber
das Alter des Einschnitts erfahren wir hierdurch nichts; immerhin wird
er einige hundert Jahre alt sein.
Diese Angelegenheit würde im Wesentlichen nur botanisches In-
teresse besitzen, wenn das Zeichen ohne Bedeutung wäre. Es ist aber
im Gegenteil sehr interessant, weil es äusserst selten ist. HOMEYERs
bekanntes Werk über die Haus- und Hofmarken des Mittelalters bietet
fast nichts ähnliches; nur ein einziges Zeichen fand ich dort, das zwar
ähnlich, aber weit einfacher in der Gestalt ist. Ich wäre dankbar, wenn
mir jemand Parallelen nachweisen könnte.
— 49 —
Direktorial-Assistent Dr. H. HAHNE, Hannover,
berichtet über einen ähnlichen aus Marwitz bei Beyersdorf in der
Neumark stammenden Fund, wo sih in einem Stück Buchenholz eine
Zeichnung in Gestalt eines eisernen Kreuzes als Blüte eines blätterbe-
setzten Stieles befindet (s. Taf. V, Abb. 1). Darunter stand wohl eine
vierstellige Jahreszahl, wovon die erste und die letzte Ziffer fehlt, die
dritte (eine 2?) halbzerstört ist; erhalten ist eine 8, wohl als Hunderter-
zahl. In einer Gegend, wo sich auch sonst viel alter „Aberglaube“
erhalten hat, kann man wohl auch an Überbleibsel der Sonnenkreuz-
Darstellung denken. Möglicherweise haben auch militärische Kreuze und
dergleichen Veranlassung zu solchen Darstellungen gegeben ).
Pastor DIETRICH, Frienstedt,
erwähnt die Zeichnung einer Kirche auf der Rinde einer Kastanie in
dem Dorfe Kirchheim (Kr. Erfurt), die erst vor 40 Jahren gepflanzt
wurde und ist der Ansicht, dass der Brauch, derartige Zeichen in Bäume
einzuschneiden, nicht alt zu sein brauche.
Universitäts-Professor Geh. Reg.-Rat Dr. BEZZENBERGER:
Eine solche eingeritzte Zeichnung unter der Rinde einer etwa
600 jährigen Eiche ist vor einigen Jahren im Kreise Rossejny (Gouvern.
Kowno, Russland) gefunden worden. Sie zeigt ein Rad und kann nur
einige 100 Jahre alt sein.
Oberlehrer SCHMIDT, Löbau i. S.,
führt zur Erklärung der tief eingeschnittenen Baumzeichnungen an, es sei
sehr wohl möglih, dass an dem Baume eine Marke aus schwachem
Eisenblech, ein Heiligenbild, ein Amulett oder dergl., befestigt war, die
im Laufe der Jahre einwuchs und somit von den neuen Jahresringen
vollständig bedeckt wurde. Als man nach dem Fällen des Baumes den
Stamm spaltete, fiel das vom Rost zerstörte Metall heraus, ohne dass
die Arbeiter etwas davon bemerkten.
Apotheker BODENSTAB, Neuhaldensleben,
erwähnt, dass zu Braunschweig ein zur Zeit der Freiheitskriege einge-
schnittener Name zweier Personen in einem Holzkloben gefunden und
dieser dem Museum einverleibt worden ist.
1) Während des Druckens konnte noch eine zweite (Taf. V, Abb. 2), einen
Mann mit merkwirdigen Hut (?) darstellende Baum-Zeichnung beigefiigt werden,
aus einem Buchenstamme, der etwa in der Mitte des XIX. Jahrh. bei Nienburg
a. Weser gefallt worden ist. Die ausserhalb (uber) der Figur angesetzten Jahresringe
liessen sich zählen, es sind fast genau 100. — In dem Kopf ist die Jahreszahl 1741
eingeritzt und zwar die einzelnen Ziffern in Spiegelschrift, sodass ihr Abdruck (in
der äusseren Holzschicht) aussieht, wie 1471. Die Darstellung scheint obszön zu sein.
Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte, II. Ergdnzungs-Band. Tafel IV.
a b
Bildlihe Darstellung auf einem Abschnitt eines Eichstammes von Dülken, Rheinland.
B Holzschicht mit dem „Abdruck“ der Einritzung.
b) Holzschicht mit der Einritzung.
Kossinna, Baum-Marke. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg.
THE NEW YORK
PUBLIC LIBRARY
ABTOR, LENOX AND
Nu. O FOUNDATIONS
—— «4
Tafel V.
Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte, II. Ergänzungs-Band.
Abb. 1.
— — ae
t ep.
—
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(Provinzialmuseum zu Hannover.)
Nienburg a. Weser.
Marwitz b. Beyersdorf, Neumark (Privatbesitz).
Bildlihe Darstellungen aus Buchenstämmen.
a) Zentrale Holzschicht mit den Einritzungen,
b) Periphere Holzschicht mit dem „Abdruck“ der Einritzungen.
zsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg.
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Curt Ka
Hahne, Baum- Marke.
THE NEW YORK
PUBLIC LIBRARY
Aron, LENOX AND
vu. da N FOUNDAT.C 3
— 43 —
Privatier Paul BERGER, Merseburg:
Nach langjährigen Beobachtungen an verschiedenen Baum-Ein-
ritzungen und deren Verwachsungen, kann ih mich auch nur den Aus-
führungen des Hrn. Prof. KOSSINNA anschliessen. Entschieden handelt
es sich in vorliegendem Falle um eine Schnitt-Vernarbung ähnlich dem
Prozess, der nach Verletzungen bei der menschlichen Haut als „Narbe“
verheilt.
Universitäts-Professor Dr. KOSSINNA, Berlin:
CONWENTZ hat ein ähnliches Rotbuchenholzstück veröffentlicht,
das die Jahreszahl 1678 trägt. Modern ist also eine solche Sitte nicht,
sondern volkstümlich und kann als solche uralt und ebenso auch noch
neu sein.
Rentier BUSSE, Woltersdorfer Schleuse bei Erkner:
In der Provinz Brandenburg, Reg.-Bez. Potsdam, zweigt sich von
der Chaussee, die von Treuenbritzen nach Jüterbog führt, zwei Kilo-
meter südlich vom ersten Ort, ein Waldweg nah Frohnsdorf ab.
Etwa in der Mitte dieses Weges, westlich an demselben, befindet sich
eine etwas erhöhte mit Steinen und Baumzweigen belegte Erdstelle.
Hieran knüpfen sich Sagen aus älterer Zeit. Unaufgeklärt ist das Alter
der Erinnerungen, und es bleibt fraglih, ob diese bis zur Vorzeit
zurückgehen. Jedenfalls ist festgestellt, dass sich an einigen in nächster
Nähe stehenden Bäumen verrostete, eiserne Landwehrkreuze gefunden
haben. Es sollen Landwehrleute, die in der Schlacht bei Dennewitz
verwundet wurden, sich bis hierher geschleppt haben und an dieser
Stelle gestorben und beerdigt sein. Die Landleute, die hier vorbei-
gehen, brechen Baumzweige ab und werfen diese darauf.
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Dr. R. R. SCHMIDT, Tübingen:
Das Altpaläolithikum Deutschlands und seine Parallelen
mit dem altpaläolithischen Kulturkreis Westeuropas.
(Kurzer Auszug.)
Der Vortragende berichtet über die ältesten diluvialen Spuren
des Menschen in Deutschland und bringt diese Funde in Parallele mit
dem westeuropäischen Altpaläolithikum. SCHMIDT hat die gesamten alt-
steinzeitlihen Funde Deutschlands zusammengefasst und kommt zu dem
Ergebnis, dass die ersten sicheren Anfänge menschlicher Besiedlung zur
Eiszeit in Deutschland bis in das Acheuléen zurückreihen. In diese
Epoche fallen die Funde von Sablon bei Metz, Rüderbach und
Achenheim i. Els. In Achenheim ist vor allem eine einwandfreie
Schichtenfolge festgestellt worden. Diese Überreste fallen in die Ab-
lagerungszeit des Älteren Lösses und gehören nah SCHMIDT der
— 44 —
letzten Zwischeneiszeit an. Auch die vielumstrittenen Funde von Tau-
bach-Ehringsdorf-Weimar, die schon zu Anfang des vorigen
Jahrhunderts bekannt geworden sind, glaubte SCHMIDT noch der
letzten Zwischeneiszeit zurechnen zu dürfen. Die Ehringsdorfer Industrie
zeigt in den oberen Fundschichten Geräte, die nah SCHMIDT und
anderen dem ausgehenden Acheuléen nahe stehen. Die Tierwelt der
Fundschichten von Achenheim und Taubach ist eine zwischeneiszeitliche
Waldfauna. Ein ganz anderes Bild zeigen die folgenden jüngeren
Kulturen des Altpaläolithikum. Die Baumannshöhle im Harz, der
Sirgenstein und andere schwäbische Höhlenfunde enthalten typisches
Moustérien. In diesen jüngeren altpaläolithischen Kulturen der letzt-
genannten Höhlen haben wir dann im Gegensatz zum vorangehenden
Acheuléen eine eiszeitliche, einheitliche arcto-alpine Tierwelt, die zur
Ablagerungszeit des Jüngeren Lösses in Deutschland gelebt hat und die
der letzten Eiszeit und der unmittelbar folgenden Nacheiszeit angehört.
Von dem Mousterien aufwärts durch das Jungpaläolithikum besitzen wir
in Deutschland einen vollständigen Aufbau der Kulturen, die SCHMIDT
durch seine letztjährigen Ausgrabungen in Mittel- und Süddeutschland
nachgewiesen hat.
Universitäts-Professor Dr. Ewald WÜST, Kiel:
Eine auch nur annähernde Gleichzeitigkeit der Acheuléen von
Achenheim und West-Europa mit den Kulturen des Travertingebietes
von Weimar halte ih — von archäologischen Erwägungen ganz abge-
sehen — aus geologischen Gründen für völlig unmöglih. Zwischen das
Acheuléen und die Kulturen des Travertingebietes von Weimar fällt
ohne Zweifel eine grosse Eiszeit, m. E. die Riss-Eiszeit.
Dr. R. R. SCHMIDT, Tübingen,
entgegnet zu den Bemerkungen von Prof. WÜST, dass andere Inter-
pretationen als diejenige von WUST über die chronologische Festsetzung
der Travertine von Weimar und Umgebung möglich sind und auch von
verschiedenen Seiten angeführt worden sind.
Direktorialassistent Dr. H. HAHNE, Hannover:
In der Literatur und sonstigen Erörterungen werden falschlich die
Fundstellen Taubach, Weimar und Ehringsdorf zusammengeworfen, was
zu vermeiden ist, aus geologischen und archäologischen Gründen.
Für „eolithisch“ ist s. Zt. nur der Taubachhorizont gehalten worden,
die Ehringsdorfer Funde haben mich bereits 1906 zu der Ansetzung
„Mousterien“ und schon bald zur Vergleichung gewisser Erscheinungen
in dem obersten Ehringsdorf-Horizonten mit Technik und Formgebung
des Aurignacien geführt, nicht aber zur Gleichsetzung mit dem
Aurignacien. Weder für die Ansetzung des Acheuléen in die letzte
Zwischeneiszeit noch für die Ansetzung des Ilmtal-Paläolithikums (Tau-
bach-Ehringsdorf) in das Acheuléen scheinen mir die Gründe stichhaltig.
— 45 —
Universitäts-Professor Dr. Oskar FLEISCHER, Berlin:
Die Stellung der Indogermanen in Inner-Kleinasien
um das Jahr 1000 v. Chr. (1500—700).
(Kurzer Auszug.)
Kleinasien, durch den Halys zweigeteilt, scheidet sich auch in seiner
geographischen Namengebung dadurh auf den ersten Blick in eine
westliche und östliche Hälfte, dass fast alle östlihen Landschaftsnamen
im Altertume auf -ene auslauten. Zu Dutzenden häufen sich solche
Namen hier, während sie in der westlichen Hälfte nur ganz versprengt
vorkommen. Diese Landschaftsendung ist indogermanisch, speziell arisch
(ainja). Auch in den arischen Ländern Asiens, besonders in Ariana bis
zum Indus und Himalaja kommt sie vor, aber nicht, wie im kleinasiatischen
Osten, in zusammenhängender Masse, sondern nur vereinzelt und zwar
zum Teil in Doppelungen zu Kleinasien. Daraus wird ersichtlich, dass
der Zug dieser Namensbewegung nicht vom Osten nach Westen ge-
gangen ist, sondern umgekehrt von Ost-Kleinasien nach dem Osten.
Noch deutlicher ergibt sich dies aus den geographischen Sondernamen,
wie Caucasus, Caspia, Casius, Saca, Soanus, Sindi u. v. a., die in
den Kaukasusländern dicht aneinander geschichtet sind, in Asien aber
nur versprengt in gleicher oder ähnlicher Gestalt wiederkehren. Die-
selben und andere Namen sind aber vom Kaukasus aus auch nach
Westen, nach Kleinasien gezogen (der Vortragende gibt davon eine
grosse Zahl von Beispielen), insbesondere nach dem inneren Kleinasien
d. h. zu den Gegenden am mittleren Halys und oberen Euphrat und
Tigris. Überall kann bei der Menge von Parallelen von keinem Zufall
die Rede sein, und da die Kaukasusländer das Tertium comparationis
aller Gleichungen sind, so muss hier der Ausgangspunkt aller liegen.
Je näher dem Kaukasus, desto mehr häufen sich die Parallelen. In
Persien sind sie viel häufiger als im Iran. Ja fast alle Namen der
Persis und Carmanias finden sih im Kaukasus wieder und zwar so,
dass die von Carmania vor allem aus Iberien und Colchis, die der
Persis aus den Ländern zwischen Kaukasus und dem Araxes zu stammen
scheinen. Und nicht nur die persischen geographischen, sondern auch
die Personennamen, insbesondere die des persischen Fürstengeschlechtes
der Achämeniden, teilen diese Eigentümlichkeit; denn letztere gehen
grösstenteils auf Flussnamen Armeniens zurück, ein weiteres Zeugnis
der bekannten Hochachtung der alten Perser für die Flüsse.
Ferner ergibt sich ein offenbarer Zusammenhang in den Namen
der Achämeniden mit denen der Fürsten des alten armenischen Reiches
Urartu (Ararat). Es liegt daher nahe, den ältesten Namen der Perser,
Artäer, mit dem der Urartäer zu vergleichen. In der Tat gab es ein
Reich Parsua, das Urartu südlich benachbart war; es wird sogar zeit-
weilig eine Provinz desselben genannt. Südlich von Armenien zeigen
sich dann auch in dem Namen der alten Landschaft Artacene, in dem
der Hartusch-Kurden und der heutigen Stadt Bersiga Spuren der alten
Artäer-Perser. Da sich noch z. B. Kyros König von Parsua nennt, so
kann an der Stammesgleichheit zwischen diesem Parsua am Tigris und
dem späteren Persien kein Zweifel obwalten; aber sie können geo-
— 46 —
graphisch nicht dieselben Länder sein, sondern die Perser müssen früher
eben am oberen Tigris gesessen haben.
Die älteste Dynastie der Perser wird übereinstimmend von diesen
wie den Griechen auf Perseus von Argos zurückgeführt. Die Sage von
Kyros ist nur ein Wiederschein der Perseussage. Erst von Perseus nannten
sich die Perser so, vorher nannten sie sich selbst Artäer, die Griechen
nannten sie aber Kephenen nach Kepheus, ihrem Könige, dem Vater
der Andromeda. Kephene aber ist die Landschaft, um die Stadt Kephe
am Tigris (jetzt Keif), zwischen den Reichen der Perser, Meder, Kossäer,
Chatti, Phönizier und Mitani gelegen. In den assyrischen Inschriften heisst
die Landschaft Kipän, in den ägyptischen Annalen des Thutmosis
Kepuna oder Kapuna und ihre Bewohner Kepuna oder Keft. Die
ägyptischen Denkmäler bilden Keft-Leute des öfteren ab; sie zeigen
weder ägyptische noch semitische Züge und die Kunstformen der von
ihnen dargebrachten Geschenke atmen direkt hellenishen Schönheits-
sinn. Es ist uns sogar noch eine Sprachprobe von ihnen erhalten ge-
blieben, eine Beschwörungsformel, die der Vortragende als griechische
Pentameter erkannt hat. Somit sind die Griechen bereits im 17.16.
Jahrhundert v. Chr. in Innerkleinasien ansässig gewesen und die Perseus-
sage ist dadurch als brauchbare geschichtliche Reminiscenz erwiesen.
Es muss mindestens die persische Dynastie aus einer Vermischung von
Griechen und einem kleinasiatischen Volke entstanden sein. Aus ver-
schiedenen Nebenumständen ergibt sich dabei ein bestimmter Zusammen-
hang zwischen Mykene beziehungsweise Argos und dieser Gegend Inner-
kleinasiens. Ja, eine Unzahl peloponnesisher Namen finden sich in
Kappadocien und Pontos, und Argos, Laconika und Messene kehren
sogar direkt in denen des kappadocischen Städtedreiecks unweit des
Euphrat (in Melitene) wieder: Arca, Lacotene, Mesene, ebenso wie
sich der griechische Stadtname Mykene (man beachte die Endung -ene)
in den assyrischen Inschriften als Mukania wiederfindet, das südöstlicher
Nachbar Kappadociens war.
Univers.-Professor Geh. Reg.-Rat Dr. BEZZENBERGER:
Die Verbreitung von Ortsnamen bildet nur dann ein historisches
Beweismaterial, wenn sie ein einwandfreies nationales Gepräge tragen.
Wo das nicht der Fall ist, wo z. B. eine nachweislich gemeinindogermanische
Bildung an einer Stelle oft, an einer anderen spärlich auftritt, besteht
die Möglichkeit, dass sie dort gewuchert hat, hier verkümmert ist und
beweist also keine Kolonisation. — Die Erklärung der angeblich alt-
griechischen (vorhomerischen) Schwurformel santzkapi penai usw. ist aus
dialektologischen und anderen Gründen zu bestreiten.
Universitäts-Professor Dr. FLEISCHER
widerlegt die sprachlichen Bedenken und hält eine Verkümmerung ur-
sprünglicher indogermanischer Namensgebung in Asien (Iran) für ebenso
ausgeschlossen als er das zusammenhängende Auftreten indogermanischer
— 4] —
Namen im Osten Kleinasiens für ein deutliches Zeichen ihrer dortigen
Anwesenheit ansehen muss, für das ja auch so vieles andere zur Ge-
nüge spricht.
Universitäts - Professor Dr. KOSSINNA, Berlin:
Kürzlich hat Professor Hugo WINCKLER in einem Nachtrag zu
seiner ersten Veröffentlichung über seine lichtbringenden Entdeckungen
in der Chetiterhauptstadt Boghazköi es gegen Eduard MEYERS Wider-
spruch als zweifellos sicher hingestellt, dass das Volk der Charri den-
selben Namen trage, wie die Arier, und dass beide südlich des Kau-
kasus, etwa in Armenien, ihre geschichtlih nachweisbare Urstatt gehabt
hätten, was deutlich auf die Herkunft der Arier aus Europa auf einem
Wege am Kaukasus vorbei hinweise. Es trifft das ebenso mit unseren
prähistorisch-archäologischen Siedlungsforschungen überein, wie die Er-
gebnisse der interessanten und wichtigen Ortsnamenforschung des Herrn
Professor FLEISCHER.
Nachmittags 3 Uhr in der „Ressource“.
Vorsitz: Univers.-Professor Geh. Reg.-Rat
Dr. BEZZENBERGER.
Privatmann Paul BERGER, Merseburg:
Seltene vorgeschichtliche Funde aus der
Merseburger Gegend.
Der Vortragende legt verschiedene seltene Stücke aus seiner Samm-
lung vori):
1. Drei Zierbeile aus Diorit (Kommandostäbe), die aus unter-
irdischen Steinpackungsgräbern bei Merseburg stammen.
2. Verkohlte Reste einer Speise (Pflanzennahrung) aus der
Steinzeit, die von Professor SCHROTER-Zürich als Leindotter (Came-
lina sativa) festgestellt worden sind. Zum Vergleihe wurde frisches
Material aus Erfurt vorgelegt.
3. Die Photographie eines bearbeiteten Eichen-Pfahlbau-
stammes, dessen äusserst primitive rohe Bearbeitung erkennen lässt,
dass es sich tatsächlich um einen Pfahlbaurest handelt. l
4. Schildkrötenschalen aus Herdgruben, die geröstet als
Nahrung gedient haben. Durch das zahlreiche Vorkommen der Schalen
als Überreste von Mahlzeiten wird erwiesen, dass die noch heute in
der Elster und in anderen Flüssen vorkommende Schildkröte (emis)
keine verwilderte Art ist, sondern schon in der Vorzeit hier in grosser
Anzahl heimisch war.
1) Da dem Redner für seinen Vortrag nicht mehr genügend Zeit zur Ver-
fügung stand, um die vorgelegten Funde eingehend zu behandeln, musste er seine
Ausführungen wesentlich abkürzen und behält sich für später eine ausführliche Ver-
öffentlichung mit Abbildungen vor.
— 48 —
5. Eigenartig gearbeiteter Muschelschmuck und Tonscheiben,
die als Zierrat dienten, ferner Pfeilspitzen aus Knochen. Die echte
Perlmuschel ist ebenfalls in den Merseburger Gewässern damals heimisch
gewesen. i
6. Photographien von gewaltigen Reibsteinen im Gewichte von
4—5 Zentnern.
7. Eigenartige Bronze-Gussformen, die zur Herstellung von
glatten und gedrehten Halsringen, Messern, Schwertern, Dolchen, Nadeln
u. a. gedient haben. Es sind zerschlagene, nur einmal zu gebrauchende
(sogenannte verlorene) Formen aus gebranntem Lehmsand. In einer
Nadelform steckte noch das Gussobjekt, da das Metall beim Giessen
zu früh erkaltet war.
Kreisschulinspektor Dr. M. WILCKE, Zeitz:
Ih möchte Herrn BERGER fragen, ob er die Muschel nur ein-
mal oder öfter gefunden hat. Für mich ist die Frage deshalb von
Wichtigkeit, weil ich dieselbe Muschel — wie Herr Professor WUST
bestimmt hat — in Herdgruben bei Weissenfels in grösserer Anzahl
(gegen 30 Stück) gefunden habe, die die steinzeitlichen Bewohner wohl
aus der nahen Saale geholt und verspeist haben.
Privatmann P. BERGER, Merseburg: _
In der Asche von Herdgruben fand ich öfter Schalen der Perl-
muschel. Die Beschaffenheit der Schalen liess erkennen, dass sie er-
hitzt worden waren, also Mahlzeit-Uberreste bildeten. Zum Teil sind
die Schalen asch- oder bleigrau, sie büssten also ihre ursprünglich
weisse Farbe durch das Erhitzen ein. Die irisierende Farbe der Schalen
blieb aber bestehen, wenn auch nicht mehr so intensiv leuchtend oder
schillernd. Bearbeitete Muscheln waren nicht dabei. Zeit: ältere Bronze-
zeit bis jüngere Steinzeit.
Universitäts- Professor Dr. Ew. WUST, Kiel:
Die herumgegebene Muschel ist nicht die Fluss-Perlmuschel, Mar-
garitana margaritifera, sondern Unio sinuatus, eine südwesteuropäische
Form, deren nordöstlichstes Vorkommen gegenwärtig im Rhénegebiete
nachgewiesen ist. Prähistorische und historische Funde der Muschel sind
aus Mitteleuropa schon lange bekannt: Konnte man diese Funde bisher
als importierte Schalen deuten, so zeigen neue Funde des Herrn Kreis-
schulinspektors Dr. WILCKE, des Redners und nunmehr des Herrn
BERGER, dass diese Muschel in der geologischen Gegenwart, und zwar
wie meine Funde bei Halle ergeben, bis in das 15. Jahrhundert noch
in Mittel-Deutschland gelebt hat!). Es ist dringend zu wünschen, dass
) Vergl. WÜST, Nachrichtsblatt der Deutschen Malakozoologischen Gesell-
schaft, 1910, S. 111—115.
— 49 —
bei Ausgrabungen Muscheln und überhaupt alle Tierreste auf das sorg-
samste beachtet werden. Denn diese Tierreste liefern uns ungemein
wertvolles Material zur Erforschung unserer Tierwelt in geologisch jungen
Zeiten — die Haustierreste ausserdem überaus wertvolle Hinweise auf
prähistorische Wanderungen.
Professor Dr. W. Cl. PFAU, Rochlitz i. Sachsen:
Über urgeschichtliche „Feuersteinwerkstätten“ in der
Rochlitzer Gegend (Sachsen).
Rodhlitz besitzt für die früheste Geschichte Sachsens eine beson-
dere Bedeutung. Um das Ende des 10. Jahrhunderts bildete es den
Vorort eines wiederholt genannten Burgwarts, der in den Kämpfen
Heinrichs II. gegen Boleslav von Polen von grosser Wichtigkeit war und
zeitweilig in den Vordergrund rückte, da Boleslavs Stiefsohn, Guncelin,
die Familie der Ekkehardinger, die bisher im Besitz dieses Landgebietes
gewesen war, stark benachteiligte. Aus verschiedenen Gründen darf man
wohl weiter als sicher annehmen, dass Rochlitz auch unter den Vor-
gangern Heinrichs des Heiligen bereits einen von den Deutschen be-
setzten Ort grösserer Bedeutung bildete. Nach chronistischhen Angaben
besass die Petri-(Schloss-)Kirche einen Kelch von Heinrich l. und dessen
Gemahlin. Das Rochlitzer Muldenufer wurde unter den Ottonen als
Grenze zwischen den Bistiimern Meissen und Merseburg festgelegt. Die
hervorragende Stellung, die Rochlitz schon zu so früher Zeit in
Westsachsen einnahm, hing zweifellos hauptsächlich damit zusammen,
dass der Ort bereits vor dem Einrücken der Deutschen, in den Tagen
des Wendentums, den Mittelpunkt eines bedeutenden Verkehrs in einer
stark besiedelten Gegend bildete. Dass die Rochlitzer Pflege in slawi-
scher Zeit schon verhältnismässig dicht bevölkert war, geht aus den
zahlreichen wendischen Scherben auf den Fluren, aus den vielen wendi-
schen Orts- und Liegenschaftsnamen usw. zur Genüge hervor. Aus der
Geschichte der Rochlitzer Saupenschaft') lässt sich weiter ablesen, dass
das Wendentum der Rodhlitzer Gegend sogar eine ganz eigenartige Rolle
gespielt hat. 16 Saupen, die in fünf verschiedenen Dörfern zu beiden
Seiten der Mulde (Wickershain, Nosswitz, Gröblitz, Stöbnig, Gross- und
Kleinstädten) wohnten, bildeten unter sich eine selbständige Gemeinde,
die unter einem gewählten Saupenrichter stand. Mit der Gemeinde-
einrichtung und Verfassung derjenigen Ortschaften, in denen die Saupen-
güter lagen, hatten diese Freibauern so gut wie nichts zu tun. Sie
traten als Schöppen zum Rochlitzer Landgericht, das in Rochlitz auf
dem Urtelsplatz tagte, zusammen. Eine Genossenschaft gleicher Art
‚dürfte sich in ganz Mitteldeutschland nicht wieder nachweisen lassen,
und höchstwahrsceinlich leitete sich die Würde dieser Saupen zum
guten Teil von der bevorzugten Stellung ehemaliger Zupane her, denen
die deutschen Eroberer einen Rest ihres alten Ansehens gelassen hatten.
Eine militärische Bedeutung erhielten die Saupen noch dadurch, dass
1) Vergl. C. PFAU, Die Saupen vom alten Rochlitzer Landgericht. 1900.
| 4
— 50 —
sie den Landesherrn auf seinen Reisen im Burgwart zu begleiten hatten
und dass ihnen ursprünglich augenscheinlich die Wache über die wichtig-
sten Strassen und Furten oblag. Wahrscheinlich konnte sih das Roch-
litzer Wendentum zu einer besonderen Blüte entfalten, weil die von
ihm in der Gegend vorgefundenen urgescichtlihen Verhältnisse sehr
günstig waren.
Die Wenden haben die Rochlitzer Gegend nicht erst erschlossen;
nicht selten sind die Spuren in der Pflege, die auf dortigen Verkehr
und Besiedlung vor der Slawenzeit hinweisen, z. B. Scherben von ur-
geschichtlichen Gefässen mit ihren charakteristishen Ornamenten. Die
Verzierung der jüngeren Steinzeit habe ich bisher, gelegentlich meiner
etwa zwanzigjährigen Forschung, erst viermal auf je einem Scherben nach-
weisen können, und zwar in Stöbnig (Bachen), Seelitz (Vogelsang), Zettritz-
Winkeln (Hochlade) und Nosswitz (Walsche). Häufiger treten Scherben
der jüngeren Bronzezeit auf. Am meisten unter allen vorgeschichtlichen
Artefakten lassen sich geschlagene Feuersteine, wie Schaber und Späne
mit Kernstücken und Abfall, nachweisen. Vorzüglich gearbeitete Beile,
Hämmer aus verschiedenen Gesteinsarten, Pfeilspitzen aus Feuerstein
bilden keine Seltenheiten. Die Beile sind meist gut gearbeitet, z. T.
geschliffen, doch kommen auch ganz grob gearbeitete vor. Mitunter
trifft man ein einfach gelochtes oder sonst nur roh bearbeitetes Ge-
schiebstück. Unter den geschlagenen Artefakten lassen sich gelegent-
lich vereinzelte retuschierte oder gekerbte Stücke nachweisen. Aus der
Bronzezeit konnte ich zweimal Gräberfelder, die nicht sehr reich sind,
aufdecken (Stöbnig, Seelitz) und zwar sowohl mit oberirdischer als
unterirdischer Bestattung. Unter den Hügelgräbern fand ich eins, in
welchem 2 Tote in sitzender Stellung bestattet worden waren. Skelett-
gräber treten aber selten auf; Leichenbrand überwiegt. „Herdgruben“
liessen sich bisher nicht in der Rochlitzer Gegend entdecken).
Im Vergleich mit manchen anderen Strichen kann die Rochlitzer
Pflege nur als mässig reick an prähistorischen Artefakten bezeichnet
werden; doch scheint sie besondere urgeschichtlihe Eigenheiten auf-
zuweisen. Eine solche Merkwürdigkeit dürfte schon darin bestehen,
dass die hiesigen Ortsfluren ganz auffällig arm an urgeschichtlichen
Scherben, trotz der hier zahlreich auftretenden Steinartefakte, sind, und
dass ein Dorfgebiet meist nur eine einzige Fundstelle von Spanmassen
bietet. Der Umstand, dass die Rochlitzer Pflege nur wenig ergiebig
an vorgeschichtlichen Artefakten ist, dürfte die hiesigen prähistorischen
Verhältnisse durchsichtiger erscheinen lassen als in manchen anderen
Landstrichen.
Besonders dankbar für prähistorische Forschungen erweisen sich in
der Gegend die Grenzgebiete der Dorffluren, d. h. die breiten Striche,
1) Die prähistorishen Funde habe ich näher erläutert in folgenden Studien:
Topographische Forschungen über die ältesten Siedlungen der Rodhlitzer Gegend.
— Geschichte der Töpferei in der Rochlitzer Gegend von den frühesten vordhrist-
lichen Zeiten bis auf die Gegenwart. — Grundriss der Chronik über das Kloster
Zschillen. (Heft 3, 4, 5 des Vereins für Rochlitzer Geschichte.) Die Stellen ur-
geschichtlicher Funde in der Gegend sind gemeinsam mit Flurnamen, Wällen,
Sagengebieten auf Karten eingetragen worden, die der K. sächs. Kommission für
Geschichte überwiesen worden sind.
— 1 —
die sich zu beiden Seiten der Flurscheide hinziehen. Die prähistori-
schen Wälle der Gegend liegen regelmässig im Grenzstrich der Ortsflur,
ebenso kommen in diesem Gebiet die bisher entdeckten Gräberfelder
vor und selbst Einzelgräber oder deren Spuren lassen sich zuweilen
dort nachweisen, wennschon derartige Bestattungsstellen gelegentlich
auch im Innern der Dorffluren anzutreffen sind. — Vor allem enthalten
die Grenzstriche in der Regel mehr oder weniger reichhaltige Steinspan-
gebiete, deren ich etwa 80 in ungefähr 50 Dörfern durch systematische
Feldforschung entdeckte. Zuweilen geht der heutige Rain der Ortsflur
mitten durch ein derartiges Artefaktengebiet (z. B. Beedeln—Meusen;
Stollsdorf—Nosswitz, an der Walsche); gewöhnlich liegt letzteres aber
in einem nur geringen Abstand von der Flurscheide entfernt. Meist
findet sich das Steinspangebiet auf einer Bodenschwellung, auf einem
Buckel an einem Grenztal, wo oft der Grenzbach läuft, oder auf einem
Berg am Grenzfluss, und zwar nicht selten da, wo nicht nur 2, sondern
3 Dorffluren zusammenstossen, also an besonders charakteristischer
Stelle (z. B. Winkeln auf dem Silberhack, in der Nähe der Grenze
mit Zschoppelshain — Topfseifersdorf; in Seitenhain auf dem Ziegen-
rücken bei der Grenze mit Schlotterhartha— Göritzhain usw.). Bemerkens-
wert ist ferner, dass diese Steinspangebiete nicht nur in den Ortschaften
auftreten, die gewöhnlich als wendische Siedlungen aufgefasst werden,
sondern auch, soweit ich untersucht habe, in Dörfern, z. B. Obergräfen-
hain, Topfseifersdorf, Weissbach usw., die man als deutsche Grün-
dungen anspricht, wie dies bei den Waldhufendörfern der Fall ist. Selten
besitzt ein Ort zwei oder mehrere Stellen von Massenlesefunden. Letz-
teres kommt besonders bei denjenigen Ortschaften vor, deren Flurgebiet
durch das Zusammenfliessen der Gesamtliegenschaften verschiedener,
ursprünglich selbständiger Niederlassungen entstanden ist, was z. B. für
die Stadt Rochlitz gilt, in deren Flurbezirk die Siedlungen Witschitz
(Mützenburg) und Koselitz oder Koselich, an welch letzteres noch der
Liegenschaftsname Kesseling erinnert, sowie z. T. Zassnitz eingegangen
sind. Zwei Spangebiete besitzt auch Sachsendorf, das der gewöhnlichen
Ansicht nach von sächsischen Kolonisten gegründet sein müsste. Die
Güter des Dorfes gehören nach zwei verschiedenen Kirchen; es zerfiel
im Mittelalter in Lehnssachen auch in 2 Hälften, die verschiedenen Herren
gehörten, und die Gruppierung der dortigen Bauerngehöfte deutet darauf,
dass der Ort ursprünglich aus zwei verschiedenen Dörfern bestand.
Ähnliches gilt augenscheinlich weiter von Erlau, Schwarzbach usw. Bei
solchen Ortschaften liegt mitunter ein Steinspangebiet ausnahmsweise
auch mehr nach dem Innern der Ortsflur, welche Eigenheit augen-
scheinlich mit Grenzveränderungen beim Eingehen von früheren Sied-
lungen zusammenhängt. Im folgenden spreche ich nur von Ortschaften
der Rochlitzer Gegend, die seit uralten Zeiten in ihrem Flurbestand
offenbar so gut wie unverändert geblieben sind.
Unter einem Steinspangebiet verstehe ich ein Flurstück, auf welchem
Langspäne, Kernstücke, Absplissen oder allerlei grobe Abfälle aus Feuer-
stein in auffälliger Menge vorhanden sind, so dass diese Funde als
Massenlesefunde angesehen werden können. Dass es sich hierbei um
Massenfunde handelt, zeigen freilich erst vieljährige Untersuchungen
einer und derselben Stelle. Zunächst trifft man auf ihr nur einzelne
4*
8
verstreute Späne usw.; die Stelle liefert aber trotz des Ablesens der
Artefakte nach jeder neuen Ackerung und Auswaschung durch Regen
und Schneewasser immer neue Findlinge in grösserer oder geringerer
Zahl, so dass dieselben, zusammengetragen, mit der Zeit eine meist
stattliche Sammlung ausmachen. Auf den meisten dieser Fundstellen
kommt hin und wieder der sogenannte Schaber vor; noch öfter lassen
sich dort eigenartig gerauhte Steine nachweisen, die nicht selten eine regel-
mässige Grundform (kugelig, kreuzförmig, birnenförmig, prismatisch usw.)
anstreben und in ihrer Massigkeit an die Kernstücke erinnern.
Mitunter kommen auch einige Funde aus sogenanntem Bandjaspis
auf diesen Gebieten der Rochlitzer Gegend vor. Weitere Feuerstein-
artefakte, wie Beile, Hämmer, Pfeilspitzen u. a., oder rohe, ungeschlagene
Feuersteine finden sich dort nur ganz ausnahmsweise; auf den meisten
dieser Fundstellen habe ich von derartigen Dingen, obschon ich diese
Gebiete jedes Jahr wiederholt untersuchte, überhaupt noch nichts an-
getroffen. Von den vorliegenden Feuersteinsachen (besonders Kern-
stücke und Späne) sind viele im Feuer geglüht oder darin zersprungen.
Auffällig ist, dass von den seltenen Beilen u. a. aus anderem Material
als Feuerstein meist nur Bruchstücke gefunden werden, und diese er-
wecken in ihrer Eigenart oft den Anschein, als ob die in Rede stehenden
Geräte absichtlich zerschmettert worden wären. Auf manchen Stellen
sind zahlreiche Feuersteinartefakte patiniert, z. B. auf dem Bieserner
Steinberg, was hauptsächlich von der Bodenbeschaffenheit der Fund-
stätte herzurühren scheint. Als besonders reich an Spänen erweisen
sich die Massenfundstellen der Stadtflur. |
An prähistorishen Scherben sind die Steinspangebiete gewöhnlich
sehr arm. Meist findet man von solchen Gefässtrümmern auf einem
Feld im Laufe der Jahre nur kärgliche Reste, und zwar gehören die-
selben fast durchgängig der jüngsten Bronzezeit (Zeit der Buckelgefässe
vom Lausitzer Typus) an. Auf diesen Spangebieten habe ich bisher nur
zwei Scherben der späteren Steinzeit, mit Schnurenverzierung, ge-
funden. Viele dortige vorwendische Scherben lassen sich, da sie keine
Ornamentierung oder andere Kennzeichen aufweisen, nicht näher be-
stimmen. Wendishe Scherben mit Wellenornament kommen auf den
Steinspangebieten häufiger vor, mitunter sogar in sehr starker Zahl;
doch gibt es auch Steinspangebiete, auf denen selbst die Wendenscherben
selten sind. Auf allen diesen Fundfluren treten aber die frühdeutschen
Scherben mit ihren eigenartigen Verzierungen in grösserer Menge auf,
besonders jene auffälligen Henkel, die ich ihrer Form und Verzierung
wegen „geschlitzte Wursthenkel“ nenne. Hüttenbewurf, Leichenbrand u. a.
konnte ich auf diesen Fundstellen nicht nachweisen.
Die Steinspangebiete der Gegend sind zu sehr verschiedenen Zeiten
durch Rodungen erschlossen worden. Es gibt solche Fundstellen, die
nachweislich bereits seit mehreren Jahrhunderten Äcer bilden, wie
z. B. ein Feld auf dem Rochlitzer Galgenberg; andere sind erst vor
wenigen Jahrzehnten blosgelegt, z. B. der Ziegenrücken in Doberenz,
der Steinacker in Gröbschütz an der Rädsche, der Acker auf der Gulke
in Pürsten, einige erst vor wenigen Jahren, z. B. ein Ackerstück
auf dem Steinberg in Biesern. Eine Spanstelle, im östlichen Teil des
Kesslingsholzes zu Rochlitz, habe ich selbst aufgedeckt, an einem Fleck,
— 53 —
wo nie Feld gewesen ist. Die Späne fanden sich hier z. T. bis etwa
34 m Tiefe im Boden. Ein Unterschied zwischen den seit undenklichen
Zeiten erschlossenen und den erst jüngst freigelegten Fundgebieten be-
steht hinsichtlich der Ausbeute kaum; auf denjenigen Fundstellen, die
schon seit Jahrhunderten dem Ackerbau dienen, mögen jedoch manche
Langspäne im Laufe der Zeit zerbrochen sein.
Bemerkenswert ist, dass sich diese ausgeprägten Massenfundgebiete
bisher trotz eingehender Untersuchungen nicht im Innern der Ortsfluren
nachweisen liessen. Mit den Rodungen kann diese Eigenheit nicht zu-
sammenhängen. Die Artefakte aus Feuerstein sind im weichen Acker-
boden so gut wie unverwüstlich, erhalten sich hier in ihrer ursprüng-
lichen Form vorzüglich, gehen aber nicht verloren. Lassen sich im Innern
der Dorfflur keine ausgeprägten Steinspangebiete nachweisen, so haben
hier letztere auch nicht bestanden. Unsre Dorffluren, vor allem die-
jenigen, in welchen Blockfelderwirtschaft bestand, waren bis in die
neueste Zeit überall von zahlreichen Gehölzen durchsetzt, die erst im
19. Jahrhundert allmählich verschwanden. An diesen Stellen müssten
demnach Steinspangebiete in erster Linie anzutreffen sein, wenn sie
hier überhaupt bestanden hätten.
Nach Ausweis der Funde auf den Steinspangebieten der Gegend
ist zweifellos anzunehmen, dass Späne auf diesen Stellen hergestellt
worden sind. Ob aber jedes hier auftretende Artefakt erst hier ent-.
standen ist, lässt sich nicht angeben. Dies gilt z. B. von einer Pfeil-
spitze, einem Hammer. Nur auf drei Spanstellen bin ich der ersteren
begegnet; sie kommt wie der Hammer sonst als Einzelfund auf Feldern,
wo sonst nichts Prähistorisches zu finden ist, vor. Solche vereinzelte
Pfeilspitzen aus Feuerstein fand ich z. B. auf je einem Acker in Nöbeln,
Cossen. Es wäre deshalb recht gut möglich, dass die auf einem Stein-
spangebiet gelegentlih auftretende Pfeilspitze, oder ein vereinzelter
Hammer, ein Beil aus Grünstein usw., nicht in einem ursächlichen Zu-
sammenhang mit der Spanschlagerei auf den Massenfundgebieten stünde.
Wegen der Steinschlagarbeit auf diesen Stellen wären dieselben
zunächst als Steinbearbeitungs- oder Werkstätten aufzufassen. Mit einer
solchen Erklärung dürfte aber ihr Charakter noch bei weitem nicht be-
friedigend gekennzeichnet sein, denn es fragt sich, ob diese Späne auch
hier verwendet worden oder ob sie als wertloser Abfall liegen geblieben
sind. Allerlei Späne, Kernstücke, Absplissen, Schaber u. a. trifft man
auch ganz gewöhnlich in gleicher Weise auf Gräberfeldern und im
Mantel der Hügelgräber sowie in deren Umgebung selbst an. Also sind
an diesen Stellen die Feuersteine wohl ebenfalls erst geschlagen worden,
aber man wird deshalb die Grabstätten nicht als Werkstätten hinstellen.
Auch in den Wallen der Gegend kommen diese Artefakte vor. Der
prähistorische Mensch schlug seine Steine offenbar ganz gewöhnlich da,
wo er die Späne usw. brauchte. Deshalb findet man auch sehr oft,
wenn man die ausgewaschenen Felder untersucht, an einer oder der
anderen Stelle vereinzelte Späne mit Abfall, wo man sonst nichts weiter ent-
decken kann, in der Rochlitzer Pflege z. B. in der Nähe von Dorfhäusern,
wo von einem Massenfundgebiet meist nicht die Rede sein kann. Reste
von Gräberfeldern sind die ausgeprägten Steinspangebiete nicht, denn es
lässt sich auf ihnen gar nichts nachweisen, was auf Beerdigung deutete,
= SA
vor allem kein Leichenbrand, keine Mengen von Urnenscherben. Ver-
schiedene unserer Steinspangebiete stossen an Steinbrüche, an Sand-
und Lehmgruben (z. B. in Grosstädten, in Penna) an; doch ist dort
noch nie ein Grab, eine „Herdstelle“, oder eine sonstige unterirdische
prähistorische Anlage angebrochen worden. Auch durch gelegentliche
Nachgrabung konnte ich ausser den üblichen Steinspänen, Kernstücken usw.
nichts entdecken. Wohnstätten haben auf den Steinspangebieten sicher
ebenfalls nicht gestanden, denn nichts weist auf dieselben hin. Da der
Ackerbau von manchen Dörfern in der Rochlitzer Gegend bereits zum
mindesten in der jüngsten Bronzezeit betrieben wurde, wie die Getreide-
klopfer und die vorzüglich aus Rochlitzer Stein gearbeiteten Mahlsteine
in gleichzeitigen Gräbern, z. B. in Stöbnig, beweisen, so müsste man
doch derartige Gegenstände in Verbindung mit prähistorischen Spinn-
wirteln, sogenannten Webgewichten u. a. auf gewissen Steinspangebieten
erwarten können, falls da Hütten gestanden hätten. Man findet solche
Gegenstände dort ebensowenig wie Hüttenbewurf, Herdstellen usw. Nach
den verschiedenfachen Funden auf den Steinspangebieten scheinen der-
artige Stellen bis in die frühgeschichtlihen Zeiten herein so gut wie
ununterbrochen besucht und wohl zu gleihem Zweck benutzt worden
zu sein. In wendischer und frühdeutscher Zeit haben sich aber die
Dorfhäuser siher auch nicht auf diesen Massenfundstellen erhoben,
denn sonst würden wohl unsere Dörfer, wenigstens zum grössten Teil,
noch heute dort stehen.
Es ist nicht recht ersichtlich, weshalb auf den Steinspangebieten,
falls es lediglich Schlagstätten gewesen wären, keine Wohnungen hätten
stehen sollen. Weshalb sollte der urgeschichtlihe Mensch der Gegend
hinaus in die freie Flur gehen und zwar regelmässig auf Stellen, die
heutzutage im Gebiet der Dorfgrenze liegen, um hier seine Feuersteine
zu spalten, nicht aber in oder bei seiner Wohnung? Warum bearbeitete
er hier den Feuerstein, gerade dasjenige Material, das in der Gegend
zu grösseren Hämmern, Beilen und ähnlichen Alltagsgebrauchsgegen-
ständen fast gar nicht verwendet wurde? Warum stellte er auf diesen
Stellen nicht auch die grossen Mahlsteine, die Beile, Hämmer usw. her,
die aus anderem Stein, z. B. Porphyrtuff, Grünstein und dergl. bestehen,
d. h. aus Material, das doch in der Gegend im Naturzustand so oft
auftritt? Diese zahlreichen Werkzeuge sind sicher selbst von der ein-
heimischen Urbevölkerung verfertigt worden, da dieselbe in der Bear-
beitung der Steinarten eine erstaunlihe Geschicklichkeit besass, wie
charakteristische Stücke der Gegend beweisen. Überdies findet man in
der Rochlitzer Pflege auch unfertige Stücke, z. B. solche, die beim
Bohren zersprungen sind. Werkstätten für die angedeuteten Steinarten,
wie Grünstein, Gabro usw., habe ich nicht nachweisen können, und nur
an einer Stelle, wo auch mehr spätbronzezeitliche Scherben lagen, näm-
lih am Poppitzer Kuhberg, konnte ich erkennen, dass man hier den
Gnandsteiner sogenannten Bandjaspis zu Beilen verarbeitet, oder
wenigstens einschlägige Versuche angestellt hatte. Leider ist die be-
treffende Feldstelle in ihrer ursprünglichen Bodenbeschaffenheit durch
frühere Erdarbeit z. T. etwas verändert worden. Auffällig ist ferner, dass auf
den meisten Feuersteinspanstellen grössere ungeschlagene Stücke als
Rohmaterial gar nicht vorkommen; ihr Vorhandensein sollte man aber
— 55 —
doch erwarten, falls diese Fundgebiete lediglich Werkstätten waren.
Der Abfall, der beim Bearbeiten der Beile entsteht, muss nach Aus-
weis der Schlagmarken in der Hauptsache schuppenartig, blätterig sein;
derartiger Abfall findet sich auf den Steinspangebieten aber ziemlich
selten, da hier Langspäne bei weitem vorherrshen. Auf der Stelle,
wo Bandjaspisbeile hergestellt worden waren, lag blättriger Abfall.
Die Rochlitzer Gegend ist arm an oberirdischem Feuerstein, und
selbst in ihren tiefen Sandgruben der Neuzeit tritt er nur selten auf.
Der Feuerstein, der auf den Spanstätten verarbeitet wurde, ist hierher
zweifellos erst aus entlegenen Gebieten, wie etwa aus der Gegend des
Colditzer Waldes, hergeholt worden; in gleicher Weise verschaffte man
sich den sogenannten Bandjaspis aus dem mehrere Stunden weit ent-
fernten Gnandstein. Da der Feuerstein in der Rochlitzer Gegend zu
grösserem Gerät so gut wie gar nicht verwendet und fast nur zu den
überdies nicht häufigen Miniaturgegenständen, wie niedlichen Beilchen,
Pfeilspitzen gebraucht wurde, so könnte man sich die Massen der Stein-
späne auf den zahlreichen Stellen gar nicht erklären, falls jene den
Abfall aus Werkstätten bilden sollten, nicht aber die gewünschten Ge-
brauchsgegenstände selbst. Man wird aber doch den Feuerstein nicht von
weit her auf eine entlegene Stelle jeder einzelnen Dorfflur geholt haben,
bloss um ihn hier zu schlagen und dann die gewonnenen Langspäne
und sonstigen Gebrauchsgegenstände, wie die sogenannten Schaber, un-
benutzt liegen zu lassen. Vielmehr ist wohl anzunehmen, dass diese
Massen von Langspänen usw. erst an Ort und Stelle gebraucht worden
sind, ehe man sie weggeworfen, z. T. vielleicht sogar in die Erde ge-
borgen hat.
Wenn die Steinspangebiete im Grenzstrich der Ortsfluren weder
die Stellen von Gräbern noch von Wohnstätten gewesen sein können,
so müssen sie m. E. ihr Entstehen ganz besonderen Anlässen verdanken.
Aus der Eigentümlidikeit, dass sie regelmässig im Gebiet der Mark
liegen, darf man vielleicht schliessen, dass sie mit letzterer in einem
ursächlichen Zusammenhang stehen. Natürlich ist hier unter Grenze
nicht eine geometrische Linie, sondern Grenzland, Grenztal, Grenz-
holz usw. zu verstehen, denn nach solchen Liegenschaften wurde früher
die Ortsgrenze im Volksmund bestimmt. Noch jetzt haben wir in der
Rochlitzer Gegend zahlreiche Liegenschaften, die nach ihrer Lage an
der Grenze und zwar sowohl wendish als deutsch benannt werden,
z. B. Grinke, Gränke, Lacht, Lachtweg, Sorge '), Hegeholz, Hegeteich,
Hegebach usw. Dorfartige Niederlassungen müssen sich in der Roch-
litzer Gegend sehr frühzeitig gebildet haben, wennscon sie hinsichtlich
der Anzahl ihrer Hütten und Bewohner nur sehr dürftig gewesen sein
können. Das, was diesen Siedlungen den Ortscharakter verlieh, war
die allmähliche Festlegung einer Ortsflur mit ungefährer Grenze.
Die Rodhlitzer Gegend gehört in Sachsen zu denjenigen Strichen,
1) Das Wort Sorge (= zarche, Rand) findet sich in der Rochlitzer Gegend
auch in den Ortsnamen Neusorge, Beisorge; letzterer Ausdruck bezieht sih auf
eine Häusergruppe in Auerswalde. Uber Neusorge und Auerswalde (Beisorge) ging
die Grenze des alten Rochlitzer Gaues. Unter Sorge ist demnach bei diesen beiden
Namen die Gaugrenze zu verstehen. Sonst gibt der Flurname (Neu-) Sorge regel-
mässig eine Liegenschaft auf der Grenze der Ortsflur an, z. B. in Rochlitz, Poppitz.
— 6 —
die auf beschränktem Raum die meisten Dörfer aufweisen, welch letztere
infolgedessen zum guten Teil nur sehr klein sind und mitunter bloss
5—6 Güter mit etwa 200 Acker umfassen. Urkundlich genannte Sied-
lungen sind eingegangen, und ihre Liegenschaften sind zum Bereich
andrer Ortschaften geschlagen worden, haben deren Flurbestand ver-
grössert. Besonders im Gebiet von Waldhufendörfern der Gegend weiss
die mündliche Überlieferung von dort verschwundenen Niederlassungen
(Angsdorf, Zschappach, Elzing, Haina, Wiedendorf) zu berichten, dabei
wahrscheinlich an eine geschichtliche Tatsache anknüpfend. Der Verkehr
in der Rochlitzer Gegend dürfte zu prähistorischer Zeit ein reger gewesen
sein, wie nicht nur die Funde, sondern auch der Umstand andeutet,
dass zahlreiche einheimische, eigenartige Steinarten, wie der Rochlitzer
Porphyrtuff, der Garbensciefer, der Gnandsteiner „Bandjaspis“ usw.
durch die gesamte Pflege vertrieben und hier verarbeitet wurden. Dieses
Verkehrsleben einer ansässigen Bevölkerung und der Ackerbau musste
bald dazu führen, Einzelpersonen, Familien oder Genossenschaften
Landbesitz zu sichern und durch Grenzen festzulegen. Ackerbau ohne
letztere ist wohl kaum denkbar; wenn Feldwirtschaft bereits etwa ein
Jahrtausend vor Christus in der Rochlitzer Gegend betrieben wurde,
so ist es doch wohl ziemlich wahrsceinlih, dass man hier auf die
Grenzangelegenheiten schon in prähistorisher Zeit das Augenmerk
allmählich richten musste, und sicher spielte dann die Ortsmark eine
grosse Rolle bei den Wenden, aus deren Sprache wir sogar das Wort
Grenze, das in der Rochlitzer Gegend in der Form Grinke oder
Gränke noch heute Markliegenschaften verschiedener Dörfer (Zöllnitz—
Seebitzschen; Göppersdorf—Bernsdorf—Beedeln) bezeichnet, herüber-
genommen haben. Die später in unsre Pflege einwandernden Deutschen
haben hier m. E. wahrscheinlich gar keine Urgründung von Ortschaften
vorgenommen, weil sie die im grossen und ganzen festgelegten Orts-
fluren bereits vorfanden. Durch die Kolonisten wurde wohl nur die
Bevölkerung der Ortschaft verstärkt, der Ackerbau verallgemeinert und
gehoben, vielleicht wurden auch einzelne Walddörfer, die sich bis dahin
in der Hauptsache vom verschiedenfachen Ertrag der Forsten genährt
hatten, in ackerbautreibende umgewandelt, wobei die Gruppe der Dorf-
häuser nach einem bestimmten Plan angelegt und die vorhandene Flur
tunlichst gleichmässig geteilt werden mochte. Gebiete von Waldhufen-
dörfern waren sicher auch von Wenden besiedelt; denn in der Rochlitzer
Gegend liegen derartige Ortschaften meist da, wo besserer Boden ist,
und wo die Feldwirtschaft wegen der grösseren Ebenheit der Fluren
sich leichter gestalten musste. Es wäre doch gar nicht zu begreifen,
weshalb die ackerbautreibenden Slawen der Pflege sich besonders gerade
die für ihre Arbeit ungünstigen Dorfgebiete sollten ausgesucht haben.
Die einwandernden Deutschen nahmen hier wohl hauptsächlich die
besseren Ortsbezirke für sich in Anspruch und führten in letzteren
besonders deutsches Leben, somit vielleicht eine neue Flurteilung ein.
Bei den Römern waren die Grenzangelegenheiten schon sehr früh-
zeitig geregelt, bereits Jahrhunderte vor Christus. Dem König Numa
schreibt man die Errichtung der religiösen mit Opfern verbundenen
Grenzfeste, der Terminalien zu, die zu Ehren des Deus terminus, dem
alle Grenzsteine geheiligt waren, im Februar abgehalten wurden. Fest-
— 57 —
gelegte Grenzen müssen vor ihrer Verwischung bewahrt werden, müssen
von Zeit zu Zeit nachgeprüft, besichtigt werden. Vor allem muss darauf
hingewirkt werden, dass alle Ortsinsassen, zumal die heranwachsende
Jugend, den Verlauf der Grenzen kennen. Als in Rochlitz 1709 die
Ortsflurgrenze durch eine Kommission revidiert wurde, beteiligten sich
ausser der letzteren zahlreiche Beamte, die 16 Landsaupen, Bürger
und „eine ziemlihe Menge Kinder, welche mit Fleiss zu einem so
denckwürdigen Actu aus den Schulen herbeygeholet worden,“ an der
Handlung '). Nach der damaligen Ratsrechnung bekamen die Schul-
knaben „bey Beziehung derer Weichbilder“ Geld. 1711 hatten Kurrent-
schüler den Feldmesser auf der Grenze zu begleiten. Als 1524 die
Flurgrenze des Dorfes Seelitz bei Rochlitz neu reguliert wurde, umritt
die Kommission nach dem Rochlitzer Amtsbuch die Grenze. Nach dem
Erbbuch des Rodhlitzer Amtes um 1600 hatten die Amtsuntertanen die
Pflicht, ihre Berainungen jedes Jahr einmal mit den Nachbarn zu um-
gehen. Meines Erachtens dürfte auch die Rochlitzer Urbevölkerung
eigne Flurumzüge, Grenzzusammenkünfte abgehalten haben und hödhst-
wahrscheinlich verband sie mit dem Begriff der Mark besondere religiöse
Anschauungen. Darauf deutet manches hin. Für die Rochlitzer Gegend
ist bemerkenswert, dass die Ortssagen?) allerhand gespenstische, meist
hauptlose Unwesen, wie Pferde, Kälber, Hunde, Reiter, Männer, weisse
Frauen, Feuergestalten u. a. regelmässig lediglich im Grenzgebiet der
Dorfflur umgehen lassen, z. B. bei einer Brücke, einer Mühle, einem
Bauerngut, im Grenzholz, bei einem Teich, einer Grube, in einem
Hohlweg und dergl. Der Kreuzweg spielt in der Rochlitzer Gegend
keine Rolle als Spukstelle. Diese Ortssagen entstammen doch wohl
prähistorischer Zeit, denn solche Fabelwesen lassen sich schwerlich
genügend nur aus christlicher Vorstellung erklären. Wenn mitunter in
der Gegend ein derartiges Unwesen nicht bei einer heutigen Ortsmark,
sondern an andrer Stelle erscheinen soll, so ist dies regelmässig da
der Fall, wo eine Siedlung der Sage oder der archivalischen Quelle
nach eingegangen ist, wo Ortschaften zusammengefallen sind. Die ein-
schlägige prähistorische Forschung muss Hand in Hand gehen mit einer
gründlichen Untersuchung der Ortsgeschichte. In Erlau liegt das Spuk-
gebiet mitten im Dorf, an der weissen-Brücke am Fuss des Steinberges.
Von der Brücke geht ein Weg nach dem letzteren, wo ein Steinspan-
gebiet ist. Zweifellos ist dieser Weg ursprünglich Grenze gewesen, und
zwar zwischen zwei Dörfern, die nunmehr Erlau bilden. Aus amtlichen
Quellen konnte ich nicht entnehmen, dass Erlau aus zwei Ortschaften
1) HEINEs Chronik, S. 399.
) Bei den Aufzeichnungen über Ortssagen sind gründliche Nachforschungen
darüber anzustellen, ob gewisse Flurstellen bei den Einheimischen stark in Verruf
stehen, ob Erzählungen von umgehenden Reitern, Kälbern u. a., die an einer gewissen
Stelle erscheinen sollen, wirkliche Sagen und als solche allgemeiner bekannt sind
oder waren, oder ob sie lediglich Mitteilungen einer abergläubischen, hinsichtlich
der Wahrheitsliebe fragwürdigen Person bilden. Viele „Sagen“ in Sagensammlungen
sind sicher keine. Zur gründlichen Durchforschung des Sagenstoffes einer Gegend
gehören für den einheimischen Sagenforscher m. E. Jahrzehnte. Vergl. meinen
Aufsatz in der Leipziger Zeitung, Wissenschaftl. Beilage, 1904, Nr. 64: Über sächsische
Sagenforschung.
— 58 —
gebildet worden wäre. Doc sagt die alte „Kirchengalerie“ (Lief. 6,
S. 22): „Die Einwohner des Dorfes sind in zwei Gemeinden, die obere
und niedere, getheilt“, und noch heute spricht der Volksmund von
Ober- und Nieder-Erlau. Diese Namen müssen ursprünglich zwei selb-
ständige Dörfer bezeichnet haben; die an Erlau angrenzenden Ober-
und Nieder-Crossen, Ober- und Nieder-Thalheim bilden noch heute
vier Ortschaften. Sehr oft liegt das Steinspangebiet da, wo sich nach
allgemeinerer Sage der angedeutete Spuk vollziehen soll, und mehrfach
verdanke ich die schnelle Auffindung des Massenfundgebietes nur meiner
Sagenkenntnis. Eine sehr verrufene Sagenstelle ist in städtischem
Grenzgebiet z. B. die Strasse bei der Libbe, bei Kinz’ Brücke, wo u. a.
besorders der Libbhund umgehen soll. Diese Stelle liegt zwischen
drei Steinspangebieten : Brandsäule (Acker an der Abdeckerei), Schieferberg
und Ziegenrücken am Lisjenloh. In der Nähe des Steinspangebiets
auf der Wälsche bei der Brille. geht auf dem Lachtweg das Brillen-
männchen um, beim Steinspangebiet an der Kolkauer Ludsche (Grenze)
soll der Ludschenmann erscheinen usw. Was unter den spukenden
Gestalten ursprünglich zu verstehen ist, warum sie meist ohne Kopf
erscheinen sollen, ob sie als rein mythische Wesen aufzufassen sind,
oder ob zu ihrer Erklärung das Zusammenfliessen verschiedener religiöser
Vorstellungen vorausgesetzt werden möchte, wird sich wohl kaum je
sicher ausmachen lassen. Wenn viele Fabelwesen als kopflos erscheinen
sollen, so liesse sich denken, dass diese Sagen an Enthauptungen an-
knüpfen. In prähistorisher Zeit opferte man Menschen und Tiere.
Die Todesstrafe der Vorzeit kann zum guten Teil als Sühnopfer für
die beleidigten Gottheiten angesehen werden. Enthauptungen haben in
Sachsen ehemals sicher nicht selten auf Grenzen stattgefunden. Nach
Ausweis alter sächsischer Karten hatte in manchen Gegenden des Landes
fast jeder Ort, jedes Dorf, eine eigene Gerichtsstätte — und zwar auf
der Flurmark. Von der Rochlitzer Pflege hat sich eine solche Karte
leider nicht erhalten. Nachweislich lagen aber die Gerichtsstätten der
Stadt Rochlitz draussen auf der Ortsflurgrenze, nämlich auf der Kuppe
des Galgenberges (Grenze mit Gröblitz) und auf dem Brandsäulenacker
(Grenze mit Seelitz); beide Stellen enthalten Massenfunde prähistorischer
Artefakte, auf welche Eigentümlichkeit ih schon in meinem Aufsatz
„Topographishes vom alten Rochlitz“ (Neues Archiv für sachs. Ge-
schichte Bd. XXVIII, H. 3, 4, S. 299) hingewiesen habe. Die Sitte,
die Gerichtsstätten auf die Ortsmark zu verlegen, knüpft wahrscheinlich
an prähistorische Verhältnisse oder Vorstellungen an.
Auch der Umstand, dass in der Rochlitzer Gegend in der Urzeit
gern in jenen Gebieten bestattet wurde, wo heutzutage die Ortsscheide
verläuft, dürfte mit einer religiösen, auf die Grenze bezüglichen An-
schauung zusammenhängen; lag letztere vor, so trug ihr Vorhandensein
sicher mit zum Rechtsschutz, zur Sicherung der Mark bei. Die in Rede
stehenden Steinspangebiete, die wohl kaum jemals sicher erklärt werden
können, halte ich i. a. für Stellen, welche bei Flurumzügen Sammel-
punkte bildeten, wo Grenzzusammenkünfte stattfanden, die zum guten
Teil den Anstrich von Kulthandlungen haben mochten. Wie wir durch
Nachrichten aus der Zeit der ältesten germanischen Mission und der
mittelalterlihen Kirchenzucht wissen, nahm die Bevölkerung jedes Jahr
— 59 —
Flurumzüge unter Ausübung von allerhand heidnischen Bräuchen vor !).
Spiele, Mahlzeiten, Opferungen, Pferderennen, das Tragen eines heid-
nischen Bildes durch die Fluren usw. bildeten dabei wichtige Einzel-
heiten, die wiederholt von der Geistlichkeit verboten oder christianisiert
wurden. Die heidnischen Flurumzüge konnten nicht unterdrückt werden,
sie lebten weiter unter kirchlicher Verbrämung, zum guten Teil bis in
die neue Zeit. Bei den christlichen Flurumzügen führte man nicht selten
Opfertiere mit, die am Schluss der Feier geschlachtet und verschmaust
wurden. Reste vom Festmahl, wie Knochen, Asche, Kohle, Scherben
vergrub man in die Erde oder legte sie in Ställe, um das Glück zu
fesseln, Fruchtbarkeit zu erzielen. In der Rochlitzer Gegend findet man
öfters in Äckern einige prähistorische Scherben, die zu ganz verschied Aen
Gefässen gehören, zusammen in die Erde versenkt, mitunter bis zu
Metertiefe. Diese Trümmer könnten wohl Überreste von den Schmau-
sereien der Flurfeiern darstellen; auch versenkte Asche ohne jegliche
Beigaben habe ich angetroffen, z. B. in Weiditz, in Rochlitz. Man
beschenkte offenbar die Erde oder die Felddämonen. Reste dieser
Opfersitten bilden die in der Rochlitzer Gegend noch oft anzutreffenden
„Scheunen“, d. h. die bei der Ernte stehengelassenen und mit Blumen
zusammengebundenen Ährenbüschel auf dem Ackerrand, ferner die
Münzen, die bäuerliche Wöchnerinnen in die Plumpe werfen usw. Das
reinigende Feuer spielte bei dem auf die Flur bezüglichen Kult eine
grosse Rolle, z. B. jenes Feuer, das als „Hagelfeuer“ zur Abwehr der
Wetterdämonen angebrannt wurde, aber auch das Johannisfeuer usw.“).
Wenn man die Steinspangebäude als Stätten ansieht, die bei Flur-
umzügen und bei alten, in religiöser Vorstellung wurzelnden Grenz-
bräuchen eine wichtige Rolle gespielt haben, so liesse sich vielleicht
manche auffällige Eigenheit dieser Stellen ohne Schwierigkeit erklären.
Zweifellos haben dort in der Urzeit Feuer gebrannt, wie die geglühten
Artefakte und Steinabfälle beweisen. Diese Feuer haben aber sonst
im freien Feld keine Spuren hinterlassen, denn man findet hier keine
Brandstellen. Die Asche ist demnach wohl im Winde verweht, vielleicht
ist sie auch z. T. mit weggenommen, um an anderen Stellen wegen
ihrer vermeintlichen Zauberkraft niedergelegt zu werden. Die Steinspäne
mögen in der Hauptsache zum Zerkleinern des Fleisches gedient haben.
Mit jedem Span konnte man schwerlich schneiden, denn viele Späne
greifen nicht. Deshalb mussten wohl oft auch kleinere Späne abge-
schlagen werden, um geeignete schneidende grosse zu erzielen. Zum
Zerlegen des Leders, des Felles diente m. E. zum guten Teil mit jenes
rundliche Werkzeug, das man in der Literatur gewöhnlih als Schaber
hingestellt, das aber wohl auch der prähistorische Vorläufer des eisernen
1) Eine reichhaltige Zusammenstellung von derartigen Flurbräuchen mit chro-
nistischen Belegen aus verschiedenen Zeiten gibt z. B. Gehmlich in dem Aufsatz
„Flurprocessionen“. (Leipziger Zeitung, Wissenschaftliche Beilage, 1897, Nr. 70).
) Einen eignen Brauch berichtet Sachsengrün, S. 202, vom Dorf Schweina
in Thüringen. Dort zog man noch im 19. Jahrhundert am heiligen Abend nach
dem Antoniusberg, errichtete hier aus Feldsteinen eine etwa 10 Fuss hohe Pyramide,
das sogenannte „Steinhäuschen“, brannte Besen an und sang kirchliche Lieder.
Das Einreissen des Steinhaufens beendete die Feier.
— 6 —
„Halbmondes“ ist, dessen sich noch jetzt manche Lederarbeiter, z. B.
Sattler, zum Beschneiden des Leders bedienen. Der steinerne „Schaber“
kommt auf den Steinspangebieten öfters vor. Dass man auf letzteren
häufig Späne, mitunter auch Beilchen, in das Feuer warf und dadurch
zum weiteren Gebrauch untauglich machte, könnte dadurch erklärt werden,
dass Gegenstände, die bei einer Kulthandlung gedient hatten, der ab-
sichtlihen Vernichtung anheimfielen. Aus demselben Grund wurden
vielleicht andere Gegenstände, wie grössere Beile, zerbrochen. Auffällig
sind auf den Steinspangebieten die mitunter auftretenden Miniaturbeilchen.
Man nimmt zuweilen an, dass derartige Gegenstände Kinderspielzeug
gewesen sind, eine Ansicht, die für manche Fälle sicher ihre Berechtigung
hat. Auf den Rochlitzer Steinspangebieten bestehen aber diese winzigen
Beile ganz gewöhnlich aus Feuerstein, d. h. aus dem Material, das sonst
in der Gegend kaum zum alltäglichen Handwerksgerät Verwendung fand.
Weshalb sollte man gerade dieses Gestein zu Kinderspielzeug ver-
wenden? Ich halte diese Beilchen für Votivsachen. MONTELIUS ver-
tritt aus wichtigen Gründen die Ansicht, dass das Beil als Symbol der
Sonne gegolten habe, eine Annahme, die auch andere Forscher jetzt
zu der ihrigen ') gemacht zu haben scheinen. Ist diese Auffassung von
MONTELIUS richtig, dann liesse sich auch erklären, weshalb man in
der Rochlitzer Gegend solche Votivsachen gern aus Feuerstein herstellte:
Der geschliffene Feuerstein glänzt am meisten von allen sonst zu Beilen
verwendeten Steinarten. Als Votivgegenstände halte ich besonders auch
die mitunter auf den Steinspangebieten nachweisbaren Beile, die aus
Stein, z. B. weichem Schiefer, hergestellt sind, dessen Natur der Ver-
wendung des Gerätes zum Hauen oder Schneiden geradezu zuwiderläuft.
Für die Deutung der Steinspangebiete dürften ferner Flurnamen
mit zu berücksichtigen sein. Viele derartige Massenfundstellen befinden
sich in der Rochlitzer Gegend auf Liegenschaften, deren Namen mit
dem Wort „Stein“ gebildet sind: Steinläde, Steinacker, Steinberg usw.
Man sollte erwarten, dass derartige Gebiete steinicht wären und darnach
benannt wären. Merkwürdigerweise erweisen sich aber diese Flurstücke
gar nicht als besonders steinig, oder wenigstens nicht als steinreicher
als zahlreiche andere Stellen der Ortsflur; viele der „Stein“liegenschaften
haben sogar guten Boden. Diese Namen können also schwerlich i. a.
auf die Bodenbeschaffenheit Bezug haben, umsomehr, da sie gewöhnlich
schon üblich waren, bevor auf den betreffenden Stellen Ackerbau ge-
trieben wurde. Die ,Stein“liegenschaften der Rochlitzer Gegend liegen
oder lagen regelmässig im Grenzgebiet der Ortsflur, z. B. die Stein-
läde zu Zschauitz, der Steinberg in Carsdorf, in Weiditz usw. Liegt
eine solche „Stein“flur heute nicht im Grenzgebiet, wie z. B. der Stein-
berg in Erlau, so haben dort wohl regelmässig Grenzveränderungen
stattgefunden. In Dölitzsch liegt der Steinacker nach der Narsdorfer
Grenze zu, aber doch ziemlich weit von letzterer ab. In Narsdorf er-
zählt man sich, es habe dort in der Nähe der Dölitzscher Grenze ehe-
mals ein Dorf „Wiedendorf“ bestanden, und Dölitzsch selbst nennt eine
Flur dort „wüste Acker“. Möglicherweise leiten diese Liegenschaften
1) Jahreshefte der Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte der Ober-
lausitz, Bd. II, S. 284.
— 61 —
ihre Bezeichnung z. T. von einem Steinhaufen oder Block her, der ehemals
hier lag oder stand und als Grenz- oder Versammlungszeichen diente ').
Mitunter befinden sich Blöcke noch jetzt auf Steinspangebieten, z. B.
in Doberenz, z. T. sind sie entfernt worden, wie auf dem Steinspan-
gebiet des Bieserner Borstelberges. Von letzterem sagen die „Acta,
die Bereingung der Hospitalgüther betreff., 1791“ (Rochl. Ratsarchiv),
dass dort u. a. eine „Feldwaacke“ vorhanden sei, die von den Grenz-
nachbarn als „ein Grenzmahl“ angesehen werde. Auf dem , Steinge-
wende“ zu Grossstorkwitz bei Pegau, soll ein Monolith gestanden
haben, der mit eigenartigen Zeichnungen (Drachen, Reitern) bedeckt
ist; dieser merkwürdige Stein, der sich jetzt im Museum des Kgl.
sächsischen Altertumsvereins zu Dresden befindet, hat in der prä-
historischen oder frühdeutschen Literatur noch nicht die Beachtung ge-
funden, die er meines Erachtens verdient. Er wurde vom Volk Malk-
stein genannt; da der Laut r oft in | übergeht, so ist gar nicht un-
wahrscheinlich, dass der Block ursprünglich Markstein hiess.
Als Grenzzeichen dienten früher auch oft aus Erde aufgeschüttete
Hügel, die noch jetzt hier und da in Deutschland vorkommen. Einen
solchen Hügel aus prähistorischer Zeit entdeckte ich in der Rochlitzer
Gegend zu Nosswitz auf einer Markflur, der Welshe. Er liegt im
Saum eines Holzes, an das sich ein Feld mit Steinspänen anschliesst,
und wahrscheinlich erstreckt sich dieses Spangebiet in das Gehölz selbst
hinein, um den Hügel herum. Letzterer enthielt nur Steinspäne, ein
Stückchen Steinaxt, einige Kohlenbrocken und einige Knochenreste,
Scherben, aber keinen geschichtlichen Artefakt. Diese Gegenstände
erinnern lebhaft an die „Zeugen“ (Steine, Scherben, Kohlen), die
man unter Grenzsteine legt, und es wäre deshalb recht wohl denkbar,
dass die Verwendung der „Zeugen“ auf vorgeschichtliche Gepflogenheiten
zurückginge. Solche prähistorische Grenzhiigel, wie sie der auf der Noss-
witzer Welsche m. E darstellt, mag es auch in anderen Gegenden
geben, und vielleicht ist manches urgeschichtlihe Hügeldenkmal, das
man in der Literatur als zerstörtes Hügelgrab hingestellt hat, weil es
keine Urnen, sondern nur Scherben u. a. enthielt, nichts weiter als ein
Grenzzeichen gewesen. Den Brauch der Grenzhügel (Kopitzen) *) kannten
auch die Slawen. Diese Denkmäler spielten ehemals bei den Flurum-
zügen sicher eine besondere Rolle, wie wir aus noch bestehenden Dorf-
sitten erkennen können. In der Wittenberger Gegend findet alle zehn
Jahre zwischen den Dörfern Bergholz und Grabo mit Musikbegleitung
das sogenannte „Grenzeziehen“ statt, wobei man die Grenzhigel revi-
diert. Jeder Hügel wird mit dem Spaten aufgegraben, dann mit der
Schippe geglättet, und zwar hat jede Gemeinde die ihrer Grenze ent-
gegengesetzte Seite aufzufrischen. Dabei wird getrunken. Befindet sich
1) Bei den Wenden bereits hiess zuweilen ein Grenzberg Camenahgora,
Steinberg. In der Oberlausitzer Grenzurkunde von 1228 (Cod. dipl. Sax. reg. Il,
2, 385), wird die Grenze u. a. auch über einen Camenahgora geführt. Letzterer ist
nach A. MEICHE der jetzige Steinberg bei Niederneukirh. (Vergl. N. Archiv für
sächs. Geschichte, Bd. XXI, S. 208).
) Vergl. z. B. Schlesisch-polnische Grenzfehden. Beilage zum 56. Jahres-
bericht des K. Gymnasiums zu Rawitsch, 1909, S. 17. |
ein neuer Besitzer im Zug, so wird er auf den ersten und letzten
Haufen gesetzt. Schmaus und Tanz beendigt die Feier im Gasthof,
früher wohl im Freien !).
Auffällig dürfte sein, dass in der Rochlitzer Gegend jeder soge-
nannte „Ziegenrücken“ ein Steinspangebiet enthält, so z. B. in Gröblitz,
Lastau, Seitenhain usw. Ob dieser Name mit den Steinspangebieten
zusammenhängt, lässt sich natürlich nicht nachweisen. Von ihrer Form
können die Ziegenrücken-Fluren schlechterdings ihren Namen nicht haben,
wohl aber wäre es schliesslich nicht undenkbar, dass der Ausdruck
„Ziegenrücken“ durch Volksetymologie entstanden ist“).
Steinspäne enthalten auch die Wallanlagen der Rochlitzer Gegend,
und da diese Bauten ebenfalls regelmässig im Grenzgebiet der Orts-
flur auftreten, so scheinen sie hier einen ähnlichen, vielleicht denselben
Zweck gehabt zu haben wie die Steinspangebiete. Uber die Bedeutung
der prähistorischen Wälle ist viel geschrieben worden. Meines Erachtens
ist es schwerlich angängig, alle Wälle nur als zu dem gleichen Zweck
errichtet anzusehen, in dieser Angelegenheit zu verallgemeinern. Jeder
Wall muss für sich einzeln untersucht und gedeutet werden. Die Wall-
anlagen der Rochlitzer Gegend können aus verschiedenen Gründen
schwerlich als Verteidigungsstätten oder als Siedlungsstellen gedient haben.
Hätte man Verteidigungswerke schaffen wollen, so wären oft andere
Kuppen in der Nähe viel geeigneter gewesen. Die Wälle sind zum
guten Teil sehr klein und auffällig arm an Scherben, Knochen, manche
enthalten derartige Dinge gar nicht; eine Brandstelle lässt sich darin
nur ausnahmsweise entdecken, und nie konnte ich hier eine Waffe
finden, obgleih ich in allen diesen Wällen, z. T. mit Arbeitern, viel
gegraben habe; in verschiedenen derselben gewähren überdies angelegte
Felder einen gründlichen Einblick in das Bodeninnere, das aber ausser
einigen wendischen und frühdeutschen Scherben, sowie geschlagenen
Feuersteinen so gut wie nichts ergibt, z. B. in Fischheim, Köttern.
Mitunter steht ein Wall geradezu in einem Steinspangebiet, wie z. B.
in Biesern, Grenze mit Steudten. Ich vermute, dass wenigstens die
meisten Wälle der Rochlitzer Gegend, die im allgemeinen sehr niedrig,
mitunter kaum 1 m hoch sind, in erster Linie zum Abhalten von Grenz-
versammlungen, Gerichtshandlungen u. a., gedient haben; nebenbei hätten
sie noch in Kriegsgefahr zum Schutz, zur Bergung des Viehes usw. be-
nutzt werden können. In der älteren geschichtlichen Zeit wurden unsre
Gotteshäuser der Gegend, die doch die vornehmsten Kultstätten bilden,
augenscheinlich zugleih mit für den Kriegsfall berechnet, wie die
1) Nach Zeitungsberichten, Juni 1906.
2) Der Ausdruck „Ziegenrücken“ erinnert etwas an das „Bockshorn“ im Grenz-
gebiet des alten Reichsstifts Quedlinburg. Nach dem Urkundenbuch der Stadt
Quedlinburg war die Bockshornschanze ein vorgeschichtliches Hügeldenkmal, das
bis um 1820 zum Abbrennen der Osterfeuer benutzt wurde, obwohl eine Polizei-
ordnung zwischen 1617-24 bereits das „sündhafte Bockshornbrennen“ verboten
hatte. Der betreffende Brauch bestand darin, dass Haufen von Pferde- und anderen
Knochen errichtet und durch Teertonnen in Brand gesetzt wurden. Nachgrabungen
führten dort zur Aufdeckung eines aus behauenen Steinen hergestellten, 1 m Höhe
und 1,5 m Breite fassenden Denkmals, ferner einer Pyramide von aufeinander-
gelegten Kieselsteinen, in deren Nähe Urnen, Knochen von Menschen usw. ge-
funden wurden.
— 63 —
romanischen Schiessschartenfenster, sowie die gelegentliche Befestigung
durch Verteidigungsmauern und Bastionen einer Kirche, z. B. derjenigen
zu Geithain, erkennen lassen. Eine Kultstätte konnte also unter be-
sonderen Umständen eine weltliche Bedeutung erlangen.
Fasst man die Steinspangebiete als Stellen von uralten Flur- und
Grenzzusammenkünften, die mit Schmausereien oder Opferungen ver-
bunden waren, auf, so liesse sich auch vielleicht der Umstand erklären, dass
sie sehr arm an prähistorischen, reicher an wendischen, am ergiebigsten
an frühdeutschen Scherben sind. In den ältesten Zeiten ass oder opferte
man wahrscheinlich, zumal in Walddörfern, vorwiegend Fleisch, das roh
verzehrt oder nur über dem Feuer geschmort wurde. Dazu brauchte
man kein Geschirr. In späteren Tagen, als der Ackerbau immer mehr
Eingang fand und vervollkommnet wurde, verzehrte man möglicherweise
bei diesen Feierlichkeiten mehr Gerichte, die den Erzeugnissen der
Feldwirtschaft zu verdanken waren und die in Gefässen zubereitet
werden mussten. Unter den frühdeutshen Scherben auf den Stein-
spangebieten der Grenze findet man auch solche mit dem Radkreuz,
das in der Rochlitzer Gegend nur auf frühdeutschen Gefässen vorzu-
kommen scheint. Das Rad auf urgeschichtlichen Gefässen ist wohl als
Sonnenbild, also als Kultzeichen, aufzufassen '); in christlicher Zeit
deutete man aber augenscheinlich das alte Radzeichen allmählih zum
benimbten christlichen Kreuz um, wie gelegentliche Zeichnungen an-
deuten. Kommen Scherben mit solchen Kultzeichen auf den Böden
von Gefässen, die niemals Spuren einer alltäglichen Abnutzung zeigen,
auf den Steinspangebieten der Grenze und in Wällen vor, so wider-
spricht dies nicht der Ansicht, dass diese Stellen in der Hauptsache
der Ausübung von Flur- und Grenzkult gedient haben. Der Kult liebt
archaistische Formen, und wahrscheinlich ist durch ihn die Benutzung
des Feuersteins zum Schneiden bis in verhältnismässig späte Zeit fort-
geführt worden, auch in deutschen Gegenden. Damit erklärt sich viel-
leicht z. T. mit das Vorhandensein der zahlreichen Späne in Gemein-
schaft von jüngeren Scherben auf den Steinspangebieten. Livius lässt
Hannibal 218 vor Christus mit Silex opfern’). Nach PREUSKER ver-
wendeten sächsische Bauern Steinbeile noch im 19. Jahrhundert zu
sympathetischen Kuren von Pferdekrankheiten.
Die prähistorische Wissenschaft hat m. E. die Pflicht, sich auch mit
dem Flurkult der altheidnishen Urbevölkerung und dessen Überresten
eingehend zu beschäftigen, sowie die Grenzfrage zu erörtern; derartige
Untersuchungen sind von grösster Wichtigkeit für geschichtliche Arbeiten
über das Entstehen unserer Ortschaften und der Festsetzung ihrer
Flurbezirke.
Wenn ich für die spätere prähistorische Zeit bereits Dörfer in der
Rochlitzer Gegend annehme, so glaube ich mich damit kaum in einen
Widerspruh zu der Annahme zu setzen, die Germanen hätten keine
Dörfer gehabt. Man kann den Begriff Dorf und Ort sehr verschieden-
fach verstehen und meist denkt man sich doch wohl unter demselben
1) MONTELIUS, das Sonnenrad und das christliche Kreuz. Mannus, Bd. I.
*) Vergl auch Jahreshefte der Gesellschaft für Anthropologie und Urge-
schichte der Oberlausitz, Bd. Il, S. 285.
— 64 —
eine grössere Gruppe von zusammengehörigen Häusern oder Gütern,
nicht aber die zugehörige Ortsflur. Die Besiedlung innerhalb der letzteren
war in prähistorischer Zeit sicher so schwach, dass grössere Gebäude-
gruppen kaum vorkommen konnten. Wenn trotz der deutschen Ein-
wanderung, trotz der bedeutenden Bevölkerungszunahme, trotz des mit-
unter vorkommenden Zusammenfliessens von mehreren Siedlungen zu
einem Ort in der Rochlitzer Gegend jetzt alte sogenannte wendische
Dörfer mitunter nur 5—6, gewöhnlich nicht mehr als 7—9 Güter ent-
halten, so müssen doch diese Ortschaften schon in der Wendenzeit sehr
dürftig gewesen sein. Wie viel mehr mag dies in noch früherer Zeit
gewesen sein! Die wenigen Acker und Wiesen dürften damals als so
geringfügig erschienen sein, dass sie inmitten der starken Waldbestände
kaum zur Geltung kommen konnten. Auf einer Dorfflur lebten ursprüng-
lich wohl nur wenige einzelne Familien, vielleicht zuweilen lediglich eine
Sippe, d. h. ein solches Dorf wies Besitzverhältnisse etwa wie ein
späteres Rittergut auf, das in der Hand einer Familie ruht, obgleich die
zugehörige Flur ebenso gross, mitunter noch bedeutender als diejenige
eines mässigen Ortsgebiets ist. Dass einem Römer, der unter einem
Ort eine grössere augenfällige Gruppe von Gebäuden mit anstossenden
Äckern verstand, ein derartiges dürftiges Dorf der Rochlitzer Gegend
nicht als solcher erschienen wäre, dürfte wohl ziemlich sicher sein. Die
Siedlungen im Waldland erforderten viel Rodearbeit, um die Stätte für
die Hütten, geeignete Wege und einige Felder, die zuerst wohl regel-
mässig in der Nähe der Wohnungen entstanden, anzulegen. Sollte
diese Arbeit nicht in Frage gestellt werden, so musste man die Wohnungen,
falls sie einmal vernichtet worden waren, wieder an ihrer Stelle auf-
bauen. Vermehrte sich die Bevölkerung einer Ortsflur im Laufe der
Jahrhunderte, so werden sich doch wohl neue Gemeindeglieder die vor-
liegenden Verhältnisse zu nutze gemacht haben, d. h. sie werden sich
tunlichst in der Nähe der schon vorhandenen Hütten und bebauten
Flächen niedergelassen haben, schon deshalb, um die alten Wege mög-
lichst mit ausnützen zu dürfen. Ich vermute deshalb, dass im grossen
und ganzen sich unsere heutigen Dorfgehöfte allmählih im Laufe der
Jahrhunderte dort entwickelt haben, wo schon in urgeschichtlicher Zeit
Anwesen standen. Innerhalb vieler Ortschaften der Rochlitzer Gegend
hat man neuerdings bei Bau- und Gartenarbeiten, in Höfen und Gärten,
einzelne Steinbeile, Steinspäne und dergl. gefunden, z. B. in Geithain,
Geringswalde, Seupahn, Weissbach, Wickershain usw., wie dies auch in
anderen Gegenden der Fall ist, z. B. in Pegau. Um die Ortshäuser
herum, in nächster Nähe, trifft man auf den Fluren aber ganz gewöhn-
lich wendishe und frühdeutshe Scherben. Wenn auf der Stelle der
Ortshäuser die prähistorischen Artefakte nicht mehr als Massenfunde
nachgewiesen werden können, so dürfte dies in erster Linie daran liegen,
dass durch Ausschachtung unter den Gebäuden, durch deren numerische
Zunahme, durch das Auffüllen der Strassen, durch Meliorationen in den
Gärten u. ä. die ursprünglichen Bodenverhältnisse innerhalb des Gebietes
von Dorfgehöften so vollständig verändert worden sind, dass hier früher
vorhandene Massenfunde verloren gehen mussten.
Dass keine Regel ohne Ausnahme ist, dass Ausnahmen erst die
Regel bedingen, wird natürlich auch betreffs der Erklärungsversuche der
— 65 —
Entwicklung unserer Dörfer und der Bedeutung der Steinspangebiete
zu beriicksichtigen sein. Uber die erste Festsetzung einer gesamten
Ortsflur in der Rochlitzer Gegend geht aus den ältesten archivalischen
Quellen nichts hervor; letztere behandeln nur gelegentliche Streitigkeiten
über vereinzelte Grenzstriche, z. B. legt eine Urkunde von 1290 einen
Grenzstreit zwischen den Dörfern Kralapp und Weiditz, die an der
Mulde zusammenstossen, bei: „Duximus terminos praedictarum villarum
Kralop et Widizc distinguendos antiquis tamen terminorum signis reno-
vatis“, und 1399 musste diese Grenze, wobei es sich um einen „wert,
der da gelegin is in der Muldow czwuschin beiden dorfern“ handelte,
abermals erneuert werden). Also vor 1290 gab es schon alte Grenz-
zeichen, sogar im Schwemmgebiet des Flusses.
Aus dem Umstand, dass gar keine archivalische Nachricht von der
Urfestsetzung einer Ortsflur der Rochlitzer Pflege vorliegt, liesse sich
auch schliessen, dass die Gesamtgrenzen schon vor den Deutschen im
grossen und ganzen vorgezeichnet waren. Jedenfalls beweisen die zahl-
reichen Steinspangebiete, welche die Rochlitzer Gegend gleichmässig
durchsetzen, in ihrer Eigenart ganz besonders mit, dass dieses ganze
Gebiet schon in der Urzeit in den Händen einer ansässigen Bevölkerung
war, und das die frühere Annahme, wonach die Rochlitzer Gegend vor
der Wendenzeit einen menschenleeren Strich Sachsens gebildet habe,
vollständig unberechtigt und unannehmbar erscheinen muss. Der Nadh-
weis von Steinspangebieten ist für die Erforschung prähistorischer Ver-
hältnisse sicher viel wichtiger als derjenige von Einzelfunden, und es
dürfte geboten erscheinen, ersteren ganz besondere Aufmerksamkeit zu
widmen. Wahrscheinlich lassen sie sich auch in anderen Landstrichen
oft genug noch auf alten Grenzen von Ortschaften auskundschaften, zu-
mal in Gegenden, wo Siedlungen gar nicht oder wenig eingegangen sind.
Die einschlägigen, umfassenden Felderuntersuchungen erfordern freilich
Geduld, vieljährige Ausdauer. Etwaige anfängliche Misserfolge beim
Nachspüren sollten die Langmut nicht erschöpfen; beruhen sie doch
vielleicht nur auf einem Mangel an der nötigen Erfahrung, Übung, Orts-
kenntnis, mitunter wohl auch an Forschergliick.
Universitäts-Professor Geh. Reg.-Rat Dr. BEZZENBERGER:
Wir haben hier eben zwei schöne Privatsammlungen gesehen und
in diesen Tagen von mehreren anderen gehört, die wahrscheinlich
ebenso interessante Aufschliisse geben könnten. Von diesen weiss die
Wissenschaft aber gar nichts, und dass wir jene nun kennen, verdanken
wir nur zufälligen Gelegenheiten. Das ist höchst bedauerlih, um so
bedauerlicher, als sich die Zahl der öffentlichen vorgeschichtlichen Samm-
lungen bezw. Museen der Provinz Sachsen auf mindestens 25 beläuft.
Soll dies Verhältnis erträglich werden, so kann es nur dadurch geschehen,
dass jeder, der ausgräbt, in jedem Falle einen vernünftigen Bericht er-
stattet. Wer das nicht will, möge das Ausgraben und auch das Sammeln
) Abgedruckt: SCHÖTTGEN & KREYSSIG, Diplomataria etc., Il, 241, 272.
5
— 66 —
unterlassen und dem Boden nicht Altertümer entreissen, die in ihm
besser geborgen sind, als in den meisten Privatsammlungen. Hat er
sonst kein Organ für seine Berichte, so wird ihm der „Mannus“ gern zur
Verfügung stehen. Die Herren, die aus Liebhaberei „buddeln“, sollten
es sich doch auch gesagt sein lassen, dass Grabbeigaben geweihte
Stücke und aus ganz anderen Gründen der Erde anvertraut sind, als
dass die Epigonen sich ihrer wie beliebiger Raritäten bemächtigen und
sie in ihren vier Wänden verstauen, in denen sie die wenigsten studieren
und prüfen können. Sie sollten sich gesagt sein lassen, dass man die
Ruhe einer Grabstätte, ebenso aber auch jeden anderen ehrwürdigen
Platz nicht stören darf ohne höhere Gründe, und diese Gründe können
auf unserem Gebiete nur streng wissenschaftliche sein. Nur genaue
Berichte und eine allgemeine Benutzbarkeit der Funde vermögen solche
Eingriffe zu sühnen.
Vorsteher des städt. Tiefbauamts A. GÜNTHER, Coblenz:
Die Bronzezeit im Neuwieder Becken.
(Kurzer Auszug) ).
Nach einer ungefähren Schilderung der Lage und der Entstehungs-
geschichte des Neuwieder Beckens und seiner steinzeitlichen Besiede-
lungsperioden, von dem Paläolithikum in den Aurignacien-Stationen bei
Kärlich, Metternich und Rhens, der Magdalenien-Station bei Andernach
und den neolithischen Funden der Rössener, der Grossgartacher, der
Spiral-Mäander, der Untergrombacher (mit den Festungen bei Urmitz
und Mayen), der Schnur- und der Zonenbandkeramik kommt Vortragender
zur Bronzezeit.
Er stellt fest, dass hier vorläufig, wie in Thüringen, noch eine
Lücke in der älteren Bronzezeit vorliege, dass ihr Vorhandensein und
Bestand aber ausser den von früher bekannten Vorkommnissen eines
Flachbeils aus dem Rhein bei Neuwied und einer Radnadel bei Urmitz,
durch ein schwarzes Gefäss aus Weissenturm- Andernach im Mainzer
Museum und eine gelbe Kugelflashe mit kleinem breiten Henkel von
Weissenturm-Urmitz im Bonner Museum und ein Flachbeil aus dem
Walde bei Vallendar gesichert sei.
Um so besser, zahlreicher und fast an allen Orten des Beckens
sei die jüngere Bronzezeit vertreten.
Die Gefässe sind von schönen, an Bronzevorbilder erinnernden
Formen und sehr geschmackvoll durch eingeritzte Gurtlinien, über die
Schulter herabfallenden feinen Linien- oder Strichbändern verziert.
Besonders schöne Verzierungen weisen grosse Teller oder Schüsseln
auf, durch palmettenartig über die Bodenflache gebreitete Linienbündel,
vom Rande ausgehende konzentrische Kreisabschnitte, schraffierte
Dreieckornamente usw.
') Eine ausführliche Schilderung der Bronzezeit im Neuwieder Becken ist im
„Mannus“, Bd. 3, Heft 1/2, als Schlussteil der Abhandlung „Zur Entstehungs- und
Besiedlungsgeschichte des Neuwieder Beckens“ erschienen.
— 67 —
Auffallend ist der Mangel an Waffen und Werkzeugen in Metall,
spärlich auch die Beigaben an Schmuck. Doch sind Lappenbeile, ge-
schweifte Messer und eine Form zur Herstellung schmaler lanzett-
förmiger Messer gefunden worden.
Meist handelt es sich bei den Fundstellen um Grabstätten; am
Jägerhaus bei Mühlheim fanden sih Wohngruben und Grabstätten ge-
mischt vor. Die Gräber sind Flachgräber ohne Steinsetzung, nur aus-
nahmsweise ist eine bankartige Umstellung oder eine Abdeckung der
Urne mit Steinplatten festgestellt. Eine grosse Urne birgt die Leichen-
brandreste und etwaige Beigaben, die von einer umgestülpten Schüssel
überdeckt sind. Darüber befinden sich einige kleinere Gefässe und
Schalen, das Ganze ist wiederum mit einer Schüssel überdeckt.
Die Bronzezeit führt mit sehr schönen zierlichen Gefässen,
geschmückt mit kräftig eingeritzten, mitunter Farbeinlagen aufweisenden
konzentrischen Kreisornamenten oder Winkelband, Stichmustern usw. zur
Hallstattzeit über. l
Vortragender erläutert an einigen Gefässen und Zeichnungen, sowie
Messern und Nadeln seine Ausführungen. Er weist auf ein Tongefäss
mit zylindrishem hohen Hals und zwei Bauchspitzen hin, das als Kinder-
flasche diente, und gibt zum Schluss eine Erklärung über die Herstellung
der Tongefässe aus einzelnen über Formen gefertigten Teilen. Diese
Herstellungsart habe sich bis in die fränkishe Zeit erhalten.
—
Universitäts- Professor Geh. Reg Ra Dr. BEZ ZEN BERGER
dankt den Anwesenden für ihre rege Teilnahme an den Vorträgen und
gibt der Hoffnung Ausdruck, dass die nächste Tagung in Coblenz ebenso
zahlreich besucht sein wird wie die diesjährige. Ferner dankt er dem
Lokalausschuss für die Bemühungen, die er für die Veranstaltungen
während der Tagung aufgewendet hat, und allen Vortragenden für die
mannigfachen Änregungen, die sie den Teilnehmern gegeben haben,
dann schliesst er die wissenschaftlihe Sitzung.
* m *
Am Nachmittag fand ein Rundgang durch die Stadt Erfurt und
eine Besichtigung ihrer Sehenswürdigkeiten, vor allem des Doms, unter
Führung von Gymnasial-Direktor Prof. Dr. BI EREVE und Stadtarchivar
Dr. OVERMANN statt, ferner ein Besuch des städtischen Museums
unter Führung von Geh. Sanitätsrat Dr. ZSCHIESCHE.
Um 8 Uhr abends nahm der von der Stadt Erfurt veranstaltete
Bierabend in der „Ressource“ seinen Anfang. Nachdem Bürger-
meister SCHMIDT die Teilnehmer der Tagung im Namen der Stadt
begrüsst hatte, dankte der 1. Vorsitzende der Gesellschaft, Universitäts-
Professor Dr. KOSSINNA, für die liebenswürdige Aufnahme und feierte
Erfurt als Stätte der Wissenschaft und als Sitz gelehrter Vereinigungen,
von denen sich verschiedene auch mit der Vorgeschichte beschäftigt
hätten. Professor Dr. O. FLEISCHER - Berlin dankte darauf dem Vor-
stande der Gesellschaft für Vorgeschichte, dass er die Tagung so trefflich
vorbereitet und ein so gutes Gelingen der 2. Hauptversammlung herbei-
5*
en e
geführt hatte. Von dem Verein zur Veranstaltung von Volksunter-
haltungen wurden Szenen aus dem Thiiringer Dorfleben — Die Spinnstube
von A. Ludwig — nebst volkstiimlichen Liedern zur Darstellung gebracht,
die lebhaften Beifall fanden. Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. BEZZENBERGER
dankte den Darstellern fiir ihre Darbietungen und gab dem Wunsche
Ausdruck, dass solche Spiele, die zur Belebung der volkstümlichen
Überlieferung und zur Kräftigung der Heimatliebe von hohem Werte
wären, eifrig gepflegt und von massgebender Stelle stets unterstützt
werden möchten. Nachdem Geh. Sanitätsrat Dr. ZSCHIESCHE die
Damen gefeiert hatte, fand der Festabend, dessen angeregt heitere
Stimmung noch durch den gemeinschaftlihen Gesang einiger von Ge-
heimrat ZSCHIESCHE verfasster humorvoller „prähistorischer“ Lieder
erhöht wurde, gegen 12 ½ Uhr seinen Abschluss.
I.
Der Urbürger von Erfurt.
Mel.: Es kann ja nicht immer so bleiben etc.
Es legte in uralten Zeiten
Der Steinzeitmensch, jüngst ward es
kund,
Am Petersberge und Steiger
25 Zu unserer Stadt schon den Grund. :,:
Er baute am Ufergelände
Die Hütte von Flechtwerk und Lehm;
Die Bauart noch findet die Neuzeit
25 Als Zinselwand warm und bequem. ::
Noch waren die Messer und Meissel,
Pfeilspitzen und Äxte von Stein,
Doch formt er schon tönerne Becher,
2, Nur fehlte drin leider der Wein. :,:
Schon mahlt’ er auf steinerner Platte
Getreide und webte und spann,
Und briet in der glühenden Asche
25 Sein Wildbret und Ochsenfleisch an. :,:
Zerschlug dann mit steinernem Hammer
Die Knochen und sog draus das Mark;
Das machte zum Kampf mit dem Bären
5: Und Wisent ihn mutig und stark. :
Doch schwer war der Kampf um das
asein,
Es fehlte im sehr das Metall.
Vergebens zermartert er’s Hirn sich
„ Im Schädel dolichocephal. zu
Da bracht’ eines Tages im Sommer
— Das gab mal ein grosses Geschrei —
Ein Handelsmann fern aus dem Süden
2 Die schimmernde Bronze herbei. :,:
Man gab ihm dafür, was er wollte,
Wie hat da der Fremde gelacht,
Und hat den Bewohnern Ur-Erfurts
: Noch öfter die Bronze gebracht. :,
Allmählich erschien dann das Eisen
Und trat seine Weltherrschaft an.
Jetzt hat die la Tene-Zeit begonnen,
2: Rief fröhlich da jeglicher Mann. :
Nachdem man sich dann noch ein
Weilchen
An römischen Dingen erfreut,
Kam echtes germanisches Wesen,
,: Die merowingische Zeit. ;,:
Doch war man noch immer befangen
Im Dunkel der heidnischen Nacht,
Noch wurden im Monte St. Petri
:: Dem Donar die Feuer entfacht. ;,
Da kam ein Apostel gezogen,
Der heilige Mann Bonifaz:
Getauft müsst Ihr alle jetzt werden
2, Ihr Erfurter, sprach er und tat's. ;,:
Von da beginnt Erfurts Geschichte,
Die eignet sich nicht zum Gesang,
Er würde vielleicht auch, ich fürchte,
„: Für heute ein wenig zu lang. ::
Lasst dankbar des Urbürgers Minne
Uns trinken in urdeutschem Bier,
Denn hätt' er nicht Erfurt gegründet,
2,: Wir sässen heut' sicher nicht hier.: :
Im Hockergrab unten vernimmt es
Der Vorfahr und denket erfreut:
Es gibt doch noch redliche Leute
„ In dieser papierenen Zeit. :,:
mrt — .-. .
Der Beginn der Metallzeit.
Am Berge St. Peters einst hauste
Ein Jüngling in steingrauer Zeit,
Der hatte sein Herze vertandelt
An eine blondlockige Maid.
Wo nordwärts steigt aus der Aue
Die Schwellenburg, ragte ihr Haus.
Sehnsüchtig schaute der Knabe
Vom Morgen bis Abend hinaus.
Einst trieb sie die Torfkuh zur Tränke,
Da hat er sich zu ihr gesellt,
Und hat mit klopfendem Herzen
Die übliche Frage gestellt.
Mein Lehmhaus, die Herden und Äcker,
Die Sklaven, mein Alles sei Dein —
Komm mit mir Du Liebste, Du Holde,
Umfange mich, sage nicht nein.
Dir bring ich den Halsschmuck von
Zähnen,
Die Marmorringe schneeweiss,
Und Töpfe vom Rössener Typus,
Die schönsten, wie Jedermann weiss.
Mel.: Ich weiss nicht was soll es bedeuten etc.
Von Bernstein seltene Perlen
Und Muscheln vom indischen Meer,
Gewänder blzu wie der Himmel —
Als Königin gehst Du einher.
Den Blondkopf schüttelt sie trotzig,
Geh fort, ich ziehe richt mit.
Vergebens fleht er und bietet
Ein Beil von grünem Nephrit.
Was zog er aus lodenem Wammse
Geschmeide wunderbar schön.
Hell glänzte das feurige Kupfer —
Das hatte noch niemand geseh'n.
Und als er den Hals ihr und Finger
Mit leuchtenden Ringen geschmückt,
Da senkte sie schämig das Köpfchen,
Da hat er sie an sich gedrückt.
Die Lippe gepresst euf die Lippe
Beseligt die Maid er umfing.
So hat die Metallzeit begonnen
Mit einem Verlobungsring!
Der erste Rodler.
Als die Cimbern und Teutonen
Nicht mehr länger konnten wohnen
In der Heimat, die zu klein,
Sprachen sie, was kann da sein:
Auf zum warmen Süden.
Und mit Rossen und mit Rindern
Zog man los nebst Weib und Kindern.
Beide Könige voran,
Bojorix der tanf’re Mann,
Teutobod der Riese.
Durch Germanien und durch Gallien
Ging es langsam nach Italien.
Da kam man von ungefähr
Auch den Römern in die Quer,
Die den Weg versperrten.
Missvergnügt sah von den Höhen
Bojorix das Lager stehen.
Stürm’ ich, haut man kurz und klein
Von dem Wall die Schädel ein
Meinen tapfern Cimbern.
Mel.: Als die Römer frech geworden etc.
Da sprach einer von den Recken:
Majestät, die müss'n wir necken.
Auf den Schilden Menn für Mann,
Auf der schneebedeckten Bahn
Fahren wir zum Leger.
Bojorix hub an zu lachen:
Schwerenot, das woll'n wir machen,
Das gibt einen Heidenjux;
Kinder auf die Schilde flugs,
Haxen hoch und abi!
Und so sausten sie zu Tale
Tausende mit einem Male.
Furchtbar scholl ihr Barritus
Weithin wie ein Todesgruss
Den entsetzten Römern.
Bebend dachte im Gemüte
Cztulus, du meine Güte,
Nie sah ich solch’ üblen ‘Scherz.
In d:e Hosen fiel das Herz
Manchem Centurionen.
— 70 —
Als er nun vorbeigefahren Dass dies wirklich so gewesen,
An der Spitze seiner Scharen, Kann man bei Plutarchus lesen.
Höflich grüsste mit dem Helm Er hat treulich aufbewahrt
Grinsend Bojorix der Schelm, Uns die erste Rodelfahrt
Und zog wieder rückwärts. Uns’rer tapfern Ahnen.
Und zu Ehren der Geschichten
Sollt’ ein Denkmal man errichten.
Stellet einen Menhir auf
An der Etsch und schreibt darauf:
Bojorix dem Rodler.
— meaa
Mittwoch, den 3. August.
Ausflug nach Weimar, Ehringsdorf, Buchfart und Öttern.
Über 60 Herren brachte der Neunuhrzug nah Weimar, die sich
zunächst die prähistorishe Abteilung des aufstrebenden Städtischen
Museums ansehen wollten. Die Gäste wurden am Bahnhof empfangen
und durch die Stadt geleitet, wobei man rasch einen Blick warf auf das
Grossherzogl. Museum, das Denkmal Karl Alexanders, des Wieder-
erbauers der Wartburg, auf Wielands Wohnhaus, das neue in seiner
vornehmen Einfachheit wirklich feierlich stimmende Theater mit dem
davor aufgebauten herrlichen Doppelstandbild der Dichterheroen, auf
das bescheidene Heim Schillers und auf das stolze Wohnhaus des
Dichter-Staatsministers Goethe. Hier, auf dem Frauenplan, beginnt nun
schon das prähistorische Weimar, denn Goethes Haus, das Goethe-
nationalmuseum, ist ja schon auf Tuffkalk gegründet, und ihm gegen-
über fand man 190/ in den unterlagernden Kiesen einen Mammut-
molaren; Goethes mineralogische Sammlung enthält mehrere Fundstücke
von Elephas aus der Umgegend.
Der Weg führte dann weiter am Wielanddenkmal vorüber in das
Städtishe Museum, einem ehemaligen Schlosse in hübschem Park.
Dort wurden die Teilnehmer des Ausfluges, zu denen sich noch einige
Herren und Damen aus Weimar gesellt, vom Kustos der Anstalt begrüsst,
nachdem ihnen als ganz bescheidene Festgabe einige kleine Schriftchen
und Ansichtspostkarten überreicht worden waren.
Weil die vorgeschichtliche, insonderheit die paläolithische Bewegung
in Weimar naturgemäss im Vordergrund stehen muss, so hat man im
Vestibül der l. Etage zum Verständnis der diluvialen Tierwelt mächtige
Schädel vom indischen und afrikanischen Elefanten aufgestellt“), an denen
im Bunde mit abnormen Wachstumserscheinungen an Flusspferd- und
Hasenschädeln die unbegrenzte Längenentwicklung der Schneide-Stoss-
zähne klar gemacht werden soll, damit auch der Laie erkenne, dass
Mammutzähne von 5,60 m einstiger Länge, — von denen im gleichen
Raum sechs imponierende Reste (dabei ein Bruchstück von 2,40 m) aus
Süssenborn aufgestellt waren, — nur auf hohes individuelles Alter,
nicht aber auf abnorme Körperhöhe der Tiere schliessen lassen.
) Auch ein Paar sibirishe Mammutstosszähne von 2,77 m Länge, Geschenke
der Grossh. Kommerzienräte WESTENDARP-Hamburg.
— 71 —
Von solch allgemeinen biologischen Erwägungen aus sind auch die
Molaren, innerhalb der einzelnen Spezies, in dem einen Schrank des
Taubachsaales aufgestellt, der in drei grossen Frei- und acht
Wandschränken die Ausbeute der weitbekannten Fundstätte in z. T.
recht instruktiven Stücken enthält. Winzige Zähne von embryonalen
Tieren bis zu einem Riesenexemplare von 48 cm Länge (letzterer vor-
läufig leider nur im Abguss), in allen Stufen der Abrasion, sind ausgestellt,
über 100 Stück. Neun Unterkiefer zeigen das kontinuierliche Vorrücken
der Kauwerkzeuge, ein solcher aus Süssenborn — Eleph. trogon. —
präsentiert gerade den Augenblick des Auswerfens eines Zahnes von
nur noch 6 cm Kaufläche vor einem Ersatzzahn von 18 cm Länge. —
Alle bekannt gewordenen Spezies der Tierwelt sind vertreten, auch das
Kleinzeug; eine Reihe von 11 Vogeleiern wurde als Neuheit behandelt.
Gerade bei so reichem Material kann der Erhaltungszustand benutzt
werden, in der Zusammentragung am Fundort beseelte Kräfte zu ver-
muten. Im 2. Zimmer — Boviten, Rhinozeroten und Flora der llm-
travertine, Funde aus dem Stadtgebiet — kann dann das Werkzeug-
material des Urmenschen studiert werden. Neben den Hammern (?)
aus Bären-Unterkiefern und neben Knochentrinkschalen (?) liegen 300
geschlagene Silex und Kiesel, und 150 neue Stücke, soeben einer alten, bis
jetzt in Verborgenheit schlummernden Sammlung entnommen; sie bringen
die primitive Moustierkultur Taubachs zur Darstellung. Die Reste der
Sonnreinschen Feuerstelle waren neu aufgestellt, der dabei liegende
schwarze Nucleus mit fünf Abschlagstellen fand besondere Würdigung,
ebenso der Schädel von Ovibos moschatus (Frankenhausen). Drei Ol-
bilder: das heutige Taubach, darüber Taubach zur Zeit der Elefantenjäger,
Diluvialmenschen bei der Mahlzeit, von Os. HERRFURTH gemalt und
von einem bekannten Gönner gestiftet, sollen die Aufnahmefähigkeit für .
die Bedeutung der toten Knochen und Steine erleichtern.
Der dritte Saal wird beherrscht von den neuen Ehringsdorfer
Funden, die uns in das höhere Moustérien und in das Aurignacien
führen. Hübsche Querschnitte durch schwere Blöcke der Fundschicht,
dabei eine Platte mit nicht weniger als fünf, leider sterilen Aschenlagern,
quadratmetergrosse aufgeklappte Horizontalschichten, zeigen deutlich die
Verteilung von Asche und Kohle, der geschlagenen und angebrannten
Knochen, sowie der zerhauenen Steine und geben so auch im Zimmer ein
klares Bild der Fundumstände, das unveränderlih für die spätesten
Geschlechter aufbewahrt werden kann. Kleinere Platten, jede eine
Besonderheit einschliessend, füllen die beiden oberen Fäcer des Mittel-
schrankes, sie illustrieren zum Teil die Tierwelt des engeren Fund-
platzes und geben in den übrigen Fächern einen lehrreichen Hinter-
grund für die reihe Folge von bearbeiteten, vorläufig einzig in Mittel-
deutschland dastehenden Werkzeugen. Schaber und Kratzer, zum Teil mit
mathematisch genauer Linienführung der Aıbeitskante, zwei Messer-
bruchstücke von sehr jung anmutendem Querschnitt, subtil gearbeitete
Spitzenschaber, 12 Spitzen, Amboss und Klopfstein, und vor allem
die herrliche Doppelspitze, sie alle waren den meisten Besuchern ja
noch neu, und manch neidischer Blick betrachtete diese Unica des reinen
Mousterien, das in den drei beidflächig bearbeiteten Schabern Anschluss
an das Aurignacien findet.
— 72 —
Das Vergleichsmaterial der Vortaubachzeit aus Tasmanien, Kent,
Aurillac; das Fagnien, Reutelien, Mafflien, Mesvinien und Strépyien
Rutots, in über 500 Exemplaren gewiss ausreichend vertreten, enthält
wie Chelléen und Acheuléen (in einem dritten Schranke), viel lehrreiche
Stücke. Die Parallelstationen zu Ehringsdorf, La Quina, La Micoque,
Le Moustier und La Lauselle sind gleichfalls reich vertreten und können
sich in ihren drei Wandschränken wohl neben den reichen Sammlungen
Cölns sehen lassen. Auch das jüngere Paläolithikum ist in einem
besonderen Schranke durch gute Originale und die wichtigsten Abgüsse
durch 324 Nummern zur Anschauung gebracht. Die schönen Abgüsse
Dr. R. R. SCHMIDTs in Schrank 10 fassen dann noch einmal an einer
deutschen Typensammlung das ganze Paläolithikum einheitlich zusammen.
Die Bemühung, möglichst alle Typen im Original zu beschaffen,
ist nur durch das auffällige Interesse der weitesten Kreise der Bewohner-
schaft des kleinen Weimar an den wichtigen Heimatfunden verwirklicht
worden. Drei Herren: Kommerzienrat Otto HAAR, Kommerzienrat
SCHMIDT und Geh.-Rat Dr. PFEIFFER bewilligten Summen von solcher
Höhe, dass die beachtenswerte Ausstattung dieses Saales in 1% Jahren
ermöglicht wurde.
Soll aber die Bedeutung Ehringsdorfs auch dem Laien gewinn-
bringend klargelegt werden können, dann musste solch reichhaltiges
Material von auswärts beschafft werden. Überhaupt hat man sich in
Weimar stark von pädagogischen Gesichtspunkten leiten lassen. Das war
nötig, um mit Rücksicht auf die territoriale Zerrissenheit der Landschaft
möglichst kräftig auf Nachbargebiete wirken und auch dorthin den Sinn
für die Bedeutung der vor 30 Jahren kaum beachteten unscheinbaren
Feuersteinsplitter verpflanzen zu können.
Von diesem anerkennenswerten Standpunkt ging auch der eine Haupt-
förderer des Museums aus, indem er nach eigenen gründlichen Studien
in zwei Schränken so ziemlich die ganze vor geschichtliche Technik
in Originalen und in mit antiken Werkzeugen selbstgefertigten Objekten
stiftete. Die Steintechnik nimmt bei dem ausgesprochenen steinzeit-
lichen Lokalcharakter naturgemäss den Hauptraum ein: Schlagwirkung
auf Glas, Obsidian und Feuerstein, Entstehung der vollständigen
Schlagkegel bei Schlag auf die Mitte ebener Flächen, schräge Schlag-
richtung (= Entstehung der Schlagzwiebel), sekundäre Schlagerscheinungen,
leiten die Reihen ein und führen uns über die Klingenfabrikation bis
zur Rand- und Flächenretushe unter Benützung aller bekannten Me-
thoden und des verschiedensten Materials. All diese Erscheinungen,
denen sich eine umfangreiche Rohmaterialsammlung anschliesst, sind in
Prachtserien vertreten, sorgfältig ausgewählt aus tausenden von Ver-
suchsstücken als Frucht jahrelanger Übungsstudien.
Ein äusserst reichhaltig illustrierter Katalog) hängt zur Be-
nutzung an den Schränken, und zu eigenen Versuchen steht dem
Publikum, unter Aufsicht des wohlinstruierten Führers Lindig, eine
Nachbildung der Schweizerbildstation zur Verfügung, auf der man unter
Benutzung von Kugel- und Kantenamboss und der verschiedensten
1) PFEIFFER, Ludwig, Die steinzeitliche Technik. Weimar 1910. Kom.-Verl.
d. Städt. Museums. 20 Pfg.
DE, , 2
Hammerformen sich selbst z. B. die schönste Moustierspitze nach
Ehringsdorfer Vorbildern höchst eigenhändig schlagen kann, eine Ein-
richtung, die auch Fachleuten willkommen sein dürfte und in Weimar
zur Festlegung des Unterschiedes zwischen Taubach und Ehringsdorf
nicht gut umgangen werden konnte. Ebenso war Gelegenheit gegeben,
das Schneiden und Sägen von Knochen an eingeweichtem Material
(eine Entdeckung PFEIFFERs) unter Verwendung von Flintsand oder
Burins oder Rundschabern auszuprobieren, wie natürlich auch das
Schleifen und Polieren der Knochen, die Behandlung von Holz mit
dem eigentlihen Messer, der Steinaxt usw., die Flechtarbeit, Fell- und
Ledertechnik, mit guten knappen Erklärungen versehen, ausgestellt sind.
Bei diesem Abschnitt, der als völlige Neuheit naturgemäss die ge-
spannteste Aufmerksamkeit erregte, hatte Herr Geh. Rat Dr. PFEIFFER
die Vorführung selbst übernommen !).
Die Übergänge zur heimischen Neolithik werden veranschau-
licht durch grosse Serien von Grand Pressigny (Schrank 11), wohl die
instruktivste Sammlung von sogen. livres de beurre in Deutschland (von
Dr. CHAUMIER ausgewählt), sowie in Schrank 12 durch 200 Fundstücke
aus Spiennes, darunter auch Gradaxte mit den ersten Schliffspuren, und
reiches Klingen- und Schabermaterial mit den nötigen schweren Kem-
steinen. Wegen Platzmangel mussten hier auch ältere Funde von
Obourg, Vellereille, Helin und das ägyptische Paläolithikum SCHWEIN-
FURTHs untergebracht werden.
Dann kommt mit 2500 Nummern eine ziemlich vollständige Pfahl-
bausammlung. 500 roh bearbeitete Instrumente, aus Abfällen und flachen
Rollsteinen, nur durch Ansdhleifen einer einfachen Schneide hergestellt,
eröffnen die Reihen, an die sich Übergangsstufen bis zu formvollendeten
Äxten und Hämmern aus edlem Material, Meissel und Schneider, 56 an-
gesägte Fundstücke (darunter drei mit Klopfrinnen auf beiden Seiten),
Klopf- und Schleifsteine, steinerne Bohrergriffe und Steinformen für die
Töpferei usw. anschliessen, technisch und typologisch die Entwicklung
der Seenformen illustrierend. Sehr reichhaltig ist das Feuerstein-
material vertreten. Schaber, besonders elegante Klingenrundschaber,
Kratzer, Klingen, Bohrer, Erweiterer, Lanzen- und Pfeilspitzen — auch
geschliffene — gibt es genügend, sie alle können sich sehen lassen.
Auch fehlen nicht Mühlsteine, Polier- und Glättsteine, Netzsenker,
Webstuhlgewichte, Spinnwirtel aus Ton und Stein; selbst eine der frag-
lichen Kopfstützen ist vorhanden, sodass neben dem mannigfachen
Knochen- und Hornmaterial, neben etwa 100 geschäfteten Klingen und
den zahlreichen keramischen und Metall-Objekten (hauptsächlich von
Corcelettes und Auvernier) durch sorgfältige Auswahl, sowie durch das
liebenswürdige Entgegenkommen des Historischen Museums in Bern und
die Freigebigkeit des Herrn Kommerzienrat HAAR in Schrank 13 - 16
eine Schausammlung untergebracht werden konnte, wie sie zweckent-
sprechender wohl nicht auf einmal wieder beschafft werden kann.
An Schrank Nr. 10 vorbei mit der schon erwähnten Tübinger
Sammlung — Stiftung des H. Fabrikbesitzer W. SCHMOLLER in Omaha-
1) PFEIFFER, Beitrag z. Kenntnis d. steinzeitl. Fellbearbeitung. Mit 103 Ab-
bildungen, in: Zeitschrift für Ethnologie, 1910, S. 835— 895.
— 74 —
Nebraska ') — führt der Weg dann in einen kleinen Verbindungsgang,
der links eine schöne Vergleichssammlung aus Nordamerika — auch
eine Stiftung eines Stadtkindes, des Herrn Architekten EHRHARDT in
Louisville —, rechts aber unsere nordische Neolithik (Geschenke
von Generaloberarzt Dr. SCHWABE und Geh.-Rat Dr. PFEIFFER) beher-
bergt. Trotz der schönen Rundschaber, der Pfeilspitzen in A Sägefeilen-
form und trotz der schönen Hämmer, ist die Sammlung noch etwas
dürftig. Die Ubergangsformen zu erlangen (Mannus I, Taf. VIl und
VIII), wird freilich vorläufig ein frommer Wunsch bleiben.
Nun kommen wir in den Heimatsaal.
Den Kernpunkt bilden neben der nach Berliner Art auf einer Fläche
von 10 m Länge bei 1 m Höhe aufgestellten Typensammlung der Schlag-
werkzeuge aus Stein (1000 Stück) die 19 Originalgräber. Sie sind
nach eigener Methode des Herrn MÖLLER hergestellt und zwar so,
dass die durch Gips an Ort und Stelle festgelegten Skeletteile und
Beigaben sich alle noch an genau ursprünglicher Stelle befinden, z. T.
noch im „autochthonen“ Material gelagert. Das ist wohl die einwand-
freieste Präparationsmethode, die den grossen Vorteil bietet, dass nach
der neuesten Verbesserung auf leichte Weise auch jeder Knochen zum
Herausnehmen eingerichtet werden kann. Die Vorzüge dieses Gipsver-
fahrens zeigen sich z. B., wenn ein Skelett innerhalb seiner Steinkiste
oder seiner Felsen- oder Erdgrube fixiert und zugleih Form und Aus-
dehnung der Gruft bis zur möglichen Genauigkeit wiedergegeben werden
soll. Diese Zweckmässigkeit wirkt sehr einleuchtend an der grossen
Kalbsriether Steinkiste mit Hocker und 22 Beigaben aus der Kugel-
amphorenzeit, noch mehr aber an der spätneolithischen Bestattung einer
Frau auf zwei vollständigen Rindern (Mittelhausen bei A.). Auch ein
älterer Hocker aus den ältesten Schichten des Kalbsriether Hügels mit
paläolithisch extrem hochgezogenen Knieen, der in ein Felsenloch ein-
gezwängt sich vorfand, und dessen Reste sich nun völlig intakt dem Be-
schauer im Glaskasten präsentieren, bezeugt die Notwendigkeit der
allgemeinen Einführung dieser Art der Konservierung bei wichtigen
Fällen. — In Weimar sind alle Arten der Skelettlagerung nach dieser
Art ausgestellt, bis zu den merowingischen gestreckten Leichen, bei deren
einer sichtbar gemacht wurde, wie durch Erddruck am Widerstande des
festen Beckenrandes das verrostete Eisenmesser durchbrach. Von Interesse
war für einige Herren bei einem solchen in ursprünglicher Lage aufge-
stelltem Grabfund mit Schnuramphora, Schnurbecher, Glocken-Zonen-
becher, C3 Steinbeil, facettiertem Hammer, Messer und Knochennadel,
das Auftreten des ersten Metalles, da im Ohr dieser Schmucknadel sich
ein Ringchen aus Kupfer vorfand. Nur hatte man hier auch die um-
gebende mit Kupfersalzen durchtränkte Erde mit ausheben müssen, was
ganz gut gegangen wäre, wie an jenem Kalbsriether älteren Hocker
deutlih zu sehen ist, dessen Knochen zum überwiegenden Teile noch
in der lockeren, jetzt durch Schellack gefesteten Graberde lagern. —
Noch zweimal sahen wir übrigens in Weimar Kupfer in der neolithischen
Aera; einmal sind es 23 röhrenartig zusammengebogene Blechstückchen
1) Herrn SCHMOLLER verdankt des Museum in der 2. Etage unter anderem
auch noch eine gegen 400 Nummern umfassende Sammlung indianischer Gegenstände.
u I o
neben einer Kette von 204 Hundezähnen und 60 durchbohrten Muschel-
scheibchen, das andere Mal ist es eine kleine Spirale neben 183 solcher
Zähne nebst Flintklinge und Knochennadel, beide Gräber mit den grossen
Thüringer Amphoren. Ein drittes Grab mit frappant ähnlichem Inventar
lieferte kein Metall, aber wiederum Amphora und Kette, letztere, wie in
allen Fällen, neben der Leiche, vom Knie zum Kinn, gelagert, und
diesmal auch noch Röhrenperlen aus Knochen als Glieder aufweisend.
Diese drei Kettengräber lagen bis 15 km auseinander.
Die Besucher wurden auch auf besonders merkwürdige Geräte-
formen aufmerksam gemacht: die sieben Beile aus Jadeit und ähnlichem
seltenen Gestein, fünf davon einem Depotfund angehörend, ein Depot-
fund von schuhleistenförmigen Hacken, Pflugschar mit zwei Löchern, Stein-
beil vom Typ der Randleistenbeile, wiederholt umgearbeitete Hammer
und Flachbeile, Keulenkopfkugeln und -scheiben, zwei Beile mit Spuren
der einstigen Befestigungsarten, Miniaturbeilchen, Beil (?) mit Schneide
auf der Längsseite, fünf schwere Rillenhämmer usw. Ferner sah man
die ganze Entstehungsgeschichte des Beiles vom rohen Block bis zum
fertigen Instrument, — alles an thüringischen Originalen — die drei
Methoden des Sägens der Steine, darunter eine fast fertige Pflugschar mit
Schnitt auf drei Seiten TZ mit Bohrloch und erster Schliffspur,
einen schweren zur Hacke vorbereiteten und zweimal mit Bogenscnitt
gesägten Kieselschieferblock (vgl. Die vor- und frühgesch. Altert. Thüringens,
Taf, V, 76) von 2900 g Gewicht und ausserdem eine Zusammenstellung
von Originalfunden für die Entstehung des Bohrloches: Vorbereitung
(Ausklopfen einer Vertiefung), Ansetzen des Bohrers, Bohrlöcher von
verschiedener Tiefe und Durchmesser und wechselnder Wandstärke des
Hohlbohrers, Benützung mehrerer Bohrer, Bohren von zwei Seiten aus,
zweimal verunglückte Bohrung, Bohrkerne, Bohren mit Massivbohrer
und zum Vergleiche moderne Bohrung auf Drehbank. Das leitete über zu
den Modellen: Vorrichtung zum Bohren von Eichenholz mittelst ein-
fachem Silexsplitter, Steinsäge, einfache, tadellos und rasch arbeitende
Hohlbohrmaschine; langgestielter Bohrer (mit Bogenantrieb) für Holz,
heimischen Originalspitzen nachgeahmt, Feuerbohrer mit steinernem
Originalgriff. Daneben stehen die Modelle der Gross-Gartacher Wohn-
gruben (bis die Heimat Ersatz dafür bietet), denen im nächsten Jahre
Nachbildungen der grössten thüringischen Hügelgräber angereiht sein
werden.
Wie dem Besucher (Hörer) zur weiteren Klärung der gewonnenen
Anschauungen an dieser Stelle vom Führer weitröhrige Bohrer von Bam-
bus aus der Südsee gezeigt und diese wohl auch in ihrer verblüffend
schnellen Wirkung auf starke Tridacnaschalen (Anfertigung breiter Arm-
ringe) vorgeführt werden, so hat man auch angefangen, eine kleine
Sammlung von Schmucksachen moderner Steinzeitvölker hier auszulegen,
ebenso Vergleichsstüke — immer nur in bescheidener Zahl und in
strengster Parallele zur Heimat — zu Waffen u. a. Ein geschäftetes
Steinbeil mit Spuren fleissiger Benutzung müsste in jedem auf Belehrung
in weiterem Sinne gegründeten Museum vorhanden sein, schon um die
rasche Formänderung infolge ständigen Nachschleifens und den daraus
sich ergebenden Typenreichtum zu erklären. — Für keramische Fragen,
Entstehung des Gefässes, liefern Wohngruben und Gräber verhältnis-
— 76 —
mässig selten einwandfreies Material genug, deshalb muss auch hier die
Topffabrikation im wesentlichen an leicht erlangbaren modernen Beispielen
der Südsee und aus Afrika geklärt werden, denn nicht jede Gegend
gibt freigebig so viel heraus, wie die von Weimar, die in ihrer weiteren
Umgegend gleich drei Gefässe zur Verfügung stellte, deutlich den Auf-
bau aus Schüssel und mehreren zonalen Ringen zeigend. Im anderen
Falle würde ja sonst zu Gunsten der Lösung allgemeiner technischer
oder typologischer oder entwicklungsgeschichtlicher Fragen durch Heraus-
nehmen des betreffenden Objektes das Grabinventar, die Chronologie
und die Systematik zerrissen werden.
Briht man nach und nach mit der herkömmlichen Aufstellung
prähistorischer Objekte, ordnet man sie nicht mehr allein um ihrer selbst
willen, zeigt vielmehr die Dinge nur im ursächlichen Zusammenhang,
nicht nur nach Grabfunden, Verwendungs- und Herstellungsart sortiert,
stellt sie ausserdem auch aus, sie direkt in ihrer Wirkung vorführend,
bringt einige Typen in vollständig ehemaligen Zustand, ganze Lanzen
mit blank geputzter Spitze, glänzenden Bronzeschmuck, wiederhergestellte
Eimer, Messer und Beile mit allen bekannten Schäftungsmethoden; fertigt
man Pflüge, Hacken, Rillenhämmer (Posekel) an — alles möglichst streng
nach Originalen, soweit angängig —, zieht man in noch viel ausgiebigerer
Weise, als es in Weimar geschehen konnte, Modelle und Bilder heran
(Vorgeschichte im Lichte der bildenden Künste), baut man Gräber und
einige Wohngruben vollständig mit Originalmaterial wieder auf (etwas
anders wie in Steinheim), dann hat man eine Schausamm-
lung, die ein lebendiges Bild früherer Kultur dar-
bietet. Dann werden sich an den Sonntagen unsere Museen füllen und
die Zahl wirklich brauchbarer Helfer in Stadt und Land wird sich
mehren, Denkmalschutz und Anzeigepflicht bei Funden wird Ehrensache,
denn Verständnis für die Bedeutung eines unverstandenen Wertes heiligt
denselben. Weimar will diesen Weg versuchen, die dort geschauten
Proben davon sind versprechend. Die Fundprotokolle mit vollständigen
Lageskizzen, Querschnitten und Photos werden gedruckt, Auszüge davon
kommen ausserdem neben jeden geschlossenen Fund auf handlich ge-
staltete Tafeln, wie man das an anderer Stelle im Berliner Völkermuseum
schon länger — zuweilen wohl mit schädlicher Textbreite — versucht
. hat. Dadurh wird auch die Fachwissenschaft nicht zu kurz kommen,
der ja ausserdem die im unteren Teile der meisten Schränke angebrachten
Schiebekästen zur Verfügung stehen, die das weniger Interessante auf-
nehmen, das Fundmaterial aus Wohngruben und Kulturschichten, die
die raumfüllenden Doubletten bergen, die zur Chronologie und Typologie
unersetzbar, zur Charakterisierung eines Ausschnittes eines vorgeschicht-
lihen Bildes aber entbehrt werden können.
Die allgemein eingeführten „Zimmer“ unsrer Trachten- und Volks-
museen müssen im archäologishen Museum in ähnlicher Weise mit
gleichem Endzweck (Milieu und Stimmung) entstehen. Auch dessen
Material muss — in oben angedeuteter Art restauriert und ergänzt —
in solher Ordnung aufgebaut werden, dass es „abgerundete Augen-
blicke“ aus dem Leben der Vorgeschichte, sprechend und lockend, dar-
stell. Das Gemälde des Künstlers, in den modernen Museumspalästen
ins Treppenhaus verbannt, wird dann den Hintergrund jedes Saales des
— — — — ; e mpägpen ër. —— p' A2 ᷑ ͥ uꝛ— — — a
vorgeschichtlihen Heimatmuseums bilden. Bei der Bruchstücknatur
unserer Funde darf die Ergänzung des durch Wetter und Boden-
chemismus unkenntlich Gewordenen nicht der Phantasie des Beschauers
überlassen bleiben: hier muss das grosse Wandbild den Ausgang der
Betrachtung abgeben, und die ausgelegten Objekte dürfen nur die Er-
läuterung der dargestellten Szenen bilden. Wir wollen uns doch nichts
vormachen mit unserm abstrakten Denken: in einer guten Stunde, nicht
nur in poetischer Stimmung der Kongress-Festtafel, umhüllen wir ja
doch den Hocker in seiner Kiste mit Fleisch und Kleidung, wir sehen
wirklich die Töpferin von Corcelettes bei ihrer Arbeit. Ob der Franke in
Mainz wirklich in allen Einzelheiten richtig dargestellt ist, das ist ebenso
unwesentlich wie die Frage nach der Höhe des Prätoriums der castra
ad limitem. GABRIEL MAX, CORMON, VASNETZOFF und KUHNERT
dürfen nicht umsonst gemalt haben; die Saalburg und die Wartburg
sollen die besuchtesten Museen Deutschlands bleiben. Man mache in
Berlin in irgend einer Ecke einen Versuch, und das jetzt so schmerzlich
5 Interesse Sr. Majestät an Scherben und Feuersteinen ist auf
einmal da.
Doch nun von der Zukunft zurück zur Gegenwart. Der lange
Wandschrank des prähistorischen Heimatsaales enthält in seinen Pulten
die geschlossenen steinzeitlichen Grabfunde. Bei selbstgehobenen
Funden findet sich ein kleiner Lageplan, ein Querschnitt durch das
Grab und seine Umgebung, ein Aufriss mit eingezeichneten Skelettresten
und Angabe der Stellung der Beigaben (nach Photo). Die Schädel,
in der deutschen Normale orientiert, stehen dabei, auch einzelne
interessante Knochen mit verheilten Brüchen oder Verwundungen, Rippen-
brücke mit abnormer Callusbildung wurden ausgelegt. Dass eine schön
polierte Armschutzplatte eines Zonenbechermannes gerade auf beiden
einst gebrochenen Unterarmknochen lag, bedurfte natürlih einer be-
sonderen Erklärung. Ganz kurze Hinweise, Stichwortmanier, belehren
über Herstellung und Füllung der Ornamentik, Entstehung dieses
Gefässes — eine Terrine ist nichts weiter als ein zerbrochener Schnur-
becher mit geschliffenem Bruchrande —, über Ursachen der auffälligen
Rote einer Amphora und über sonstige Absonderlichkeiten. Uber
diesem Schrank haben Platz gefunden eine Entwicklungsgeschichte der
Keramik in Scherbenfunden und, noch höher, grosse Tafeln, vorläufig
aoe nur einige, den Aufbau der mehrperiodigen Hügelgräber er-
äuternd.
Alle andern Funde, die geschlagenen Feuersteine, 60 Knochen-
instrumente, Geweiharbeiten, 120 Spinnwirtel, Webegewichte usw.
mussten sich einstweilen, nach herkömmlicher Weise aufgestellt, in einem
einfahen Wandschrank genügen lassen; die Mühlsteine, dabei ein
Bodenstein von über 100 Pfund Gewicht, fanden in entwicklungs-
geschichtlicher Ordnung Platz auf einer langen Wandbank, einer davon
zum Gebrauch eingerichtet.
Bandkeramik und Rössener Zeit sind nur schwach vertreten,
von ersterer ist nur ein Grab gefunden worden mit Mühlstein, Bomben-
gefäss und flacher Hacke; Sche benmaterial von Ansiedlungen ist reich-
licher vertreten, einige grosse Stücke aus Allstedt, Taubach, Gross-
— 78 —
schwabhausen und vom Ettersberg konnten restauriert werden. Nur die
wichtigsten Scherben sind ausgestellt.
Die Bernburger Zeit war in den 18 Jahren unserer Sammel-
tätigkeit auch noch nicht genügend zu beschaffen. Meist handelt es sich
um Zufallsfunde und Produkte von Raubgräberei. Doch soll nächstes
Jahr ein wichtiges Grab mit Holzbau wiederhergestellt und beschrieben
werden, mit typischen Gefässen, dabei auch der grösste in Thüringen
gefundene Topf, reich ornamentiert, mit zwei Spitzwarzen unterhalb
des Henkels.
Die Aunjetitzer Sachen sind nur erst zum geringsten Teile
aufgestellt; das liegt an technischen Schwierigkeiten, da sie sich oft über
schnurzeitlichen Gräbern finden. Trianguläre Dolche, fünf Säbelnadeln
und ein goldener Noppenring machen erneute Untersuchung des Nachbar-
geländes nötig; ein schwerer „Schwurring“ (MONTELIUS, Chronol. d.
alt. Bronze-Zeit, Fig. 148) stellt eine Seltenheit dar. Auch innerhalb der
Stadt haben sich in der letzten Zeit an zwei Stellen Aunjetitzer Hocker
in Steinpackungen gefunden.
Die Metallzeit, gegenüber den früheren Perioden in Mittelthüringen
überhaupt zurücktretend, sehr oft an Hügelgräber gebunden, die von
KLOPFFLEISCH so ziemlich alle untersucht wurden, haben wir aus
der Umgegend nur in drei bedeutungsvolleren geschlossenen Funden.
Der Rest eines Depotfundes von vier Stück Lappenbeilen, eine Grab-
ausstattung eines 4—Sjährigen Mädchens aus Apolda, mit Kette und
steinbeilartigen Anhängern und imitierter Gelenknadel aus Bronze,
ein Hügelgrabfund mit Armbändern und einem unechten Torques, ein
ganz ähnlicher Fund mit zwei langen Nadeln usw. Einzelsachen sind
zahlreicher. Die Typen der Axte sind alle vertreten, Kupferbeil, Absatz-
beil und Lappenbeil mit verschwindendem Mittelsteg fehlen nicht, die
Hoffnung auf den Erwerb eines für die Ontogenese so wichtigen Hohl-
beiles mit durch Gravüre angedeuteten Lappen ist vorhanden. Auf die
Cölledaer Doppelaxt (LISSAUER, Doppeläxte, Z. f. Eth. 1905, S. 519)
und ein graviertes Flachbeil (ähnlich wie bei LISSAUER, Z. f. Eth. 1904,
S. 540, Fig. 3) sei hingewiesen. Doch auch hier könnte bei Vorhanden-
sein von Geldmitteln der Spaten wertvolle Erganzungen bringen.
Von Lanzenspitzen — bis zu Hallstattformen — sehen wir nur
sechs Stück; eine kleine Pfeilspitze mit blattförmiger Schneidenpartie,
eine Kurzschwertklinge und Dolchreste mögen weiterhin die Armut der
Umgegend illustrieren. Nadeln sind dagegen zahlreicher vertreten, elf
Stück; ferner sind vorhanden: zehn Halsringe, zehn Armreifen, zwei Spiral-
scheiben, sechs glatte Zierscheiben, einige Fibeln, drei Sicheln, kleine
Kettenspiralen u. a. — Das Topfmaterial stammt in der Hauptsache nicht
aus Gräbern. An die 30 Stück konnten restauriert werden, Halsstücke
mit Kerben und Fingereindrücken weisen auf Vorratstöpfe bis zu 50 cm
Durchmesser, ein bis auf geringe Partien aus Bruchstücken aufgebautes
Riesengefäss von 60 cm Höhe und 51 cm Hauptdurchmesser zeigt,
abgesehen von der Ornamentik, die verblüffendste Ähnlichkeit mit einem
fast gleichgrossen von Burgkemnitz i).
1) FORTSCH, Tongefässe d. Bronze-Zeit. Zschrift f. Nat.-Wiss., Band 69.
Leipzig 1896.
e — ͤ w— ²mĩ — a Wem, im emm, — ees a . — — —— ga,
Gräber der jüngsten Stufe fehlen. Nur ein Hallstatt- Frauengrab,
jedoch zerstört, konnte untersucht werden. Ebenso selten sind die
Tènegräber, doch werden im nächsten Jahre die ersten Ergebnisse
der Grabung auf einem Urnenfriedhof bei Grosskromsdorf ausge-
stellt werden können, auf dem die Gefässe meist unter ausgedehnten
Steinpflasterungen Platz gefunden haben, sowie die Ausbeute aus einem
Hügelgräberfeld bei Troistedt, das vorläufig in drei Tumuli nur je
eine ganz zerdrückte Urne ohne Metallbeigaben erbrachte.
Die Römische Provinzialzeit ist nur in der Nordgrenze des
Gebietes durch Wohngruben und Skelettgräber festgestellt worden. Sie
lieferten Webegewichte — gleich 12 Stück in einem Loch — Spinnwirtel,
Kämme, Armbrust- und Scheibenfibeln, silberne Pfeilspitzen, goldene
Fingerringe, einen Aureus von Victorinus (Cöln 265— 67 n. Chr.), hölzerne
Eimer mit Bronze- und Silberbeschlägen, gegossene und getriebene
Metallschalen, Tongefässe, darunter eine langhalsige Flasche; aber keine
Eisenwaffen. Ansiedlungen mit zahlreihem Scherbenmaterial bot Arn-
stadt-Ichtershausen.
Bekannt ist aber Weimar durch seinen Reichtum an Hinterlassen-
schaft der fränkisch-merowingischen Periode geworden. An vier
Stellen der Stadt haben wir merowingische Graber mit Skeletten z. T. in 3m
Tiefe gefunden. Auch ist jüngst die erste Hausanlage festgestellt worden.
Fünf der Skelette mit ungewöhnlich reichen Beigaben sind in situ präpariert
worden und erregen immer die grösste Aufmerksamkeit. Im wesent-
lichen fand sich in Weimar eigentlich alles, was auch die rheinischen Gräber
liefern. Angon und Kurzschwert fehlen, ebenso die durchbrochenen
Zierscheiben. Die Formen der Messer und Langschwerter sind ziemlich
vollständig; Eimer, Bronzegefässe, Dreifüsse, Schüreisen, Glas- und Ton-
geschirr; Zierscheiben, Muscheln, Anhänger aus Flachblech, Riemen-
beschläge, Gürtelschnallen, Perlen aus verschiedenem Stoff, Kämme
und Nadeln und vor allem zahlreihe Fibeln mögen den Reichtum der
Ausbeute bezeugen, zum grössten Teil aus geschlossenen Grabfunden
stammend. Von berufener Hand wird eine grosse, besonders glanzvoll
ausgestattete Publikation vorbereitet, die wohl schon 1912 vorliegen
und die ziemlich alles in guten Abbildungen bringen wird, vielleicht
auch die Erfurter und Mühlhäuser Vorkommen einschliessend, so dass
wir bald den Formenschatz und das Verbreitungsgebiet dieser Periode
in Thüringen übersehen können. — Wie wertvoll die Weimarische Skelett-
fixierungsmethode werden kann, beweist die Leiche eines hydrocephalen
buckligen Mädchens aus dem Hauptfriedhof, deren Rückseite vor der
Umlagerung in Gips abgegossen wurde und so zu anatomischen Unter-
suchungen ausreichend benutzt werden kann. Dieser Kretin stärksten
Grades ist nach gebräuchlihem Ritus beerdigt worden, wenn auch nur
zwei Fleischbeigaben die Ehrfurcht (oder Furcht) vor der Verstorbenen
andeuten können. Welchen Nutzen hätte diese Monstrosität einem
Museum ohne unser Verfahren gebracht?
Die Slawische Zeit ist mit nur drei geschlossenen Grabfunden
vorhanden. Dabei handelt es sich aber um hübsch getriebene goldene
Ohrringe an zusammengesetztem Hängewerk, Drahthalsringe von Silber
und um einen Halsring aus gedrehtem schmalen Silberband. Im übrigen
sind es zahlreiche Schläfenringe, Ohrschmuc und Fingerringe aus Silber
— 80 —
und Gold und Perlenschmuck; dann noch Einzelfunde (Kamm und Glas-
ringe von der Buchfartsburg) und Ergebnisse von gelegentlicher Eröff-
nung von Einzelgrabern: fünf Sicheln, Messer, Paukenfibel und eine Lanzen-
spitze neben kleinen Volutenringen aus Bronze für Ohr und Schläfe.
Aus Ansiedlungen ist natürlich zahlreihes Scherbenmaterial ausgestellt.
Auf einer Tafel synthetisch angeordnet, ist die Verwendung des Kammes
veranschaulicht, von dem auch ein Originalexemplar vorhanden ist:
Wellenlinien mit dem sechszinkigen, fünfzinkigen usw. bis zur Ver-
wendung eines ausgefaserten Hölzchens. Drei ausgedehnte Friedhöfe
harren ihrer Ausgrabung.
Aus dieser Übersicht mit ihren verschiedenen Ausblicken redet die
Notwendigkeit der Beschaffung von Geldmitteln eine deutliche Sprache.
Die Gemeinde kann beim besten Willen nicht mehr tuen als jetzt schon
geschieht, gilt es doch, auch noch die volkskundliche, naturkundliche
und ethnographische Abteilung zu unterhalten. 35 Räume umfasst das
Städtische Museum, nur neun davon sind der diluvial-prähistorischen
Abteilung eingeräumt. Wollten sich doch recht bald noch weitere Gönner
neben den schon genannten Persönlichkeiten finden, damit wenigstens
= wichtigsten Friedhöfe in einzelnen Teilen genauer untersucht werden
Önnten.
Einige der Besucher wandten sich dann der anschliessenden ethno-
graphischen Abteilung zu, die, soweit es bei der Art ihrer Zusammen-
bringung — meist Geschenke — möglich war, zusammengestellt wurde,
um das Bild von der Kultur eines steinzeitlichen Volkes zu ergänzen. Im
Südseekorridor ist das im wesentlichen durchgeführt worden, vor allem
sollte gezeigt werden, was Instrumente der Steinzeit leisten können.
Axte und Beile aus Muschel, Knochen und Stein in den verschiedensten
Originalschäftungen bilden den Ausgangspunkt. Auf die indirekte
Befestigung in einem kurzen Holzstiel, der seinerseits wieder in einen
Keulenstock eingesteckt oder an einen Hakengıiff angebunden ist, ist
besonders hingewiesen, da es sich um eine Befestigungsart handelt,
die m. W. unter unseren mitteldeutschen Funden noch nicht bekannt
geworden ist. Ebenso sollen beachtet werden die viel widerstandsfähigen
Rotangstreifen als Bindemittel gegenüber Bast, Lederstreifen und Sehnen.
Isolierte Klingen laden zum Vergleich mit der Heimat ein, der später
noch interessanter und belehrender wird, wenn auch andere Gebiete
das bezügliche Material geliefert haben, um durch die internationale
Formenübereinstimmung das Universelle in der Technik auf einen einzigen
überschauenden Blick hin darzutun. Weise Beschränkung ist Grund-
bedingung. — Auch die anderen ursprünglichen Materialien für Werk-
zeuge: Stein (Obsidian), Muschelschale, Kokosschale, Knochen, Zähne
und Holz sind in den manigfachsten Arbeitsgeräten vertreten, eigentlich
nur ausgestellt, zu zeigen, wie man bei primitivsten Mitteln nicht bloss
praktisch, sondern auch ästhetisch befriedigend arbeiten kann. Da alle
die etwa 3909 Sachen aus unseren Südseekolonien nicht geographisch
geordnet sind, so können die Speere, Keulen und Schwerter, Bogen
und Pfeile, die Kleidungsstücke, der Schmuck, die Hausteile und die
eigentlichen Schnitzereien, deren Ornamentik usw. in ihrer sachlichen An-
ordnung auch viel bequemer zur Verdeutlichung allgemeiner Gedanken
und Lehrsätze verbraucht werden. Wenn dabei der Gedanke kommt,
— 8&8 —
welch ganz andere Vorstellungen uns vom Können und Fühlen der
heimischen Urbewohner überliefert worden wären, hätten sih auch deren
technische Leistungen aus Holz erhalten, so könnte das nadh zwei
Richtungen sehr förderlich sein.
Allmählih war die zur Besichtigung des Museums bestimmte Zeit
überschritten worden, und es bedurfte energischer Mahnungen, endlich
die im Hofe harrenden Omnibusse zu besteigen, und den zweiten Teil
des Tagesprogramms, die Besichtigung der Brüche Ehringsdorfs, in An-
griff zu nehmen. Es ging durch die herrliche, noch z. T. von Goethe an-
gelegte Belvederer Allee, vorbei am Wohnhause und Denkmale Liszt's,
am Hause Prellers und am römischen Hause vorüber, immer zur Linken
den historischen Park, zur Rechten die bebauten einstigen Travertin-
brücke, und unter uns die Tuffschichten, die noch Schätze für die
Diluvialgeologen und Paläolithiker bergen mögen, und die nur dürftig
durch die dem Publikum gesperrten Parkhöhlen (künstlih) auf-
geschlossen sind. An der ,Falkenburg* kann man zeigen, wie die die
jungen feuersteinführenden Ilmgerölle überdeckenden Travertinschichten
vollständig durchschnitten und durc einen seitlichen Wasserlauf weg-
gewaschen worden sind, die nur einen halben Kilometer ilmaufwärts,
in Ehringsdorf, die kolossale Machtigkeit von 17 m erreichen. An den
Brüchen des Herrn Kämpfe daselbst wurden die Wagen verlassen.
Der wunderbare Aufschluss war durch das freundliche Entgegenkommen
des Besitzers durch Niedertreiben eines Schachtes bis zu den die Kiese
unterlagernden Lettenschichten noch instruktiver gestaltet worden. Man
konnte das für die stratigraphishe Messung so wichtige Band des
Parisers in seiner wechselnden Mächtigkeit verfolgen, sah die so ver-
schieden gefügten Tuffbänke, und konnte ermessen, wie schwierig die
Chancen des Findens und des Rettens bei dem oft glasharten Ein-
bettungsmaterial werden können. Wenn auch in den letzten Monaten
keine Kulturschicht angeschnitten worden war, so konnte doch genau
die Stelle unterhalb des Parisers, beinahe auf der Sohle des Bruches,
untersucht werden, an der sich seit 1909 die Asche- und Kohleschichten
— ohne bearbeitete Feuersteine — fanden, und ebenso die höhere Fund-
zone im lockeren Tuff mit den schönen breiten Spitzen und der Doppel-
spitze (bei SCHWARZ). Die lockeren Schichten, z. T. aus pulverigem
Travertin bestehend, gerade in einigen bedeutenderen Nestern in ver-
schiedenen Höhen angeschnitten, wurden natürlich fleissig durchstöbert,
neben einer Menge Conchylien fand sich zufällig ein Incisor von Castor.
Der Herr Vorsitzende sprach Herrn KÄMPFE, dessen verschiedene
Kalköfen und Mühlen ebenfalls besichtigt wurden, den gebührenden Dank
für die freundlihe Aufnahme aus, und Herr MÖLLER führte dann am
Hauboldschen Bruche vorüber, der das Ansteigen der Schichten nach SW.
recht deutlich zeigte, und in dem auch, dicht unter dem Pariser, eine fast
10 m lange, aber äusserst schwache Kulturschicht bemerkbar war, die
aber ausser einigen gestaltlosen Silexsplittern bis jetzt noch nichts
Brauchbares lieferte. Im Fischerschen Bruche endlich war zwar
der Fundkomplex in 19 m Tiefe augenblicklich verschüttet, doch konnte
man sich an der Hand der vorigen Brüche ein gutes Bild der Lagerungs-
verhältnisse machen. Ein umfangreicher Block, zu langen Treppenstufen
verarbeitet, zeigte noch besser als die Museumsstücke die wechselnde
6
— 82 —
Stärke und den horizontalen Verlauf der schwarzen Schicht inmitten
des fast weissen Kalksteines. Kleinere Stückchen von der vorjährigen
Ausbeute wurden als Andenken mitgenommen; eine kleine Serie von
Funden, darunter zwei Spitzen und ein Schlagstein, zwei noch in
Travertinbrocken eingeschlossene Kratzer waren ausgestellt, und daneben
auch Scherbenmaterial, Klopfstein und Lehmbewurf aus einer band-
keramischen Ansiedlung, wie sie überall in der Humusdecke des Bruch-
gebietes vorkommen. Diese Decke hatte auch geologisches Interesse,
da sie eine Mächtigkeit von 3,50 m aufweist, aber durch eine dicke
Schicht wenig gerundeter Müschelkalkgerölle in zwei Abteilungen getrennt
wird, also von ganz jungen Uberflutungen berichtet. Auch Herrn
FISCHER, der gleichfalls in hochachtungswertem Lokalpatriotismus
seine Funde dem Museum in Weimar zur Verfügung gestellt und dem-
selben in allen Fällen das Vorkaufsrecht überlassen hat, wurde dafür
Anerkennung und Dank vom Vorsitzenden, Herrn Professor KOSSINNA,
ausgesprochen.
Dann ging es über die Felder wieder zu den auf der Strasse
harrenden Wagen und hinauf nach dem Grossherz. Lustschlosse Belvedere,
reich an Erinnerungen an Weimars klassische Zeit; über ein breites
Muschelkalkplateau hinweg, aus dessen Wasserrissen unser Goethe den
ersten Fund eines Elefantenstosszahnes beschrieben; später in langsamer
Fahrt ein steiles Erosionstal hinab in die Gefilde des hier ausserordent-
lich schmalen und tief eingeschnittenen Ilmtales, hin nach dem wirklich
reizend gelegenen Buchfart. Der gute „Garl“ erwartete uns schon,
und bald vereinigten sich die zahlreichen Ausfliigler an zwei langen
Tafeln der grossen Veranda von Karl Köhlers Restaurant zu einem ein-
fachen, aber schmackhaften und reichlichen Mahle, das durch einige
hübsche Ansprachen gewürzt wurde. Herr Univ.-Prof. Dr. KOSSINNA
fasste zusammen, welchen Nutzen und welch hohen Genuss die Fahrt
nach Weimar bis jetzt gebracht, und zollte der prähistorischen Abteilung
des Museums und deren Leiter warme Worte der Anerkennung, sprach
dem Lokalausschuss, der Stadtbehörde, insonderheit dem anwesenden
Bürgermeister, Herrn Dr. DONNDORF, den verbindlichsten Dank der
Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte aus, mit der Bitte, dieser ein
gutes Andenken zu wahren, im Interesse für die Ausgestaltung des
Museums nicht zu ermüden und diesen Dank auch den anderen Herren
vom Gemeindevorstande übermitteln zu wollen. Herr Dr. DONNDORF,
anknüpfend an die riihmende Anerkennung des Vorredners, in Weimar
so erstaunlich Vieles und Schönes gefunden zu haben, dankte für die
hohe Ehre des Besuches dieser gelehrten Gesellschaft, die Weimars Be-
deutung für die vorgeschichtliche Forschung wohl kräftig verbreiten helfen
werde, und hob dann hervor, dass neben den städtischen Behörden, die
von Anfang an dem jungen Unternehmen warmes Entgegenkommen ge-
zeigt, auch an die übrigen Gönner und Förderer gedacht werden müsse, vor
allem an S. Königl. Hoheit den Grossherzog, Herrn Kommerzienrat
HAAR, Herrn Geh.-Rat Dr. PFEIFFER, ferner an den Gründer des
Museums, Herrn Generaloberarzt Dr. SCHWABE und an den Kustos
der Anstalt. Seine warmherzige Rede klang aus in einem Hoch auf
die Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte und ihren Vorsitzenden.
Die Wagen brachten uns dann ein Stück ilmaufwärts zur Besich-
= BF as
tigung der Heidingsburg, bekannter unter dem jüngeren Namen
Martinskirche. Die Felsen des Bergplateaus fallen auf drei Seiten
ziemlich stark zu Tal, und der Aufstieg kostete daher — das Wetter
war den Mannusjiingern an diesem Tage ausnehmend hold — manch
Tröpflein Schweiss. Herr Prof. GOTZE erklärte vom Kamme des noch
gut erhaltenen Südwalles a aus die Anlage der
Befestigung, den vermutlichen Aufbau dieses Brand-
walles, die Bedeutung der ihm waldwärts (nach dem
Hauptberge zu) vorgelagerten Senke, berichtete von
den noch vor 25 Jahren vorhanden gewesenen und
jetzt kaum noch erkennbaren Bauten, den Schanzen
bei b und c und den minder wichtigen bei d,
ferner über die spärlichen Funde und über das mut-
massliche Alter der Festung), die, ähnlich wie die
gestern geschaute Möbisburg eine hohe Bedeutung
bei der umwohnenden Bevölkerung zur Zeit der
Christianisierung gehabt haben müsse, da ja beide
Kultstätten sonst nicht durch den Bau christlicher
Heiligtümer „geheiligt“ worden wären (die Martins-
kirche, eine Kapelle von kaum 50 qm Grundfläche,
ist jetzt sogar in ihren Grundmauern verschwunden).
Auch die drei anderen in der Nähe liegenden alten
Burgen (Weimar selbst hat eine, Altenburg“), wurden
e
1). In der an die Ausführungen GOTZEs sich anschliessenden Erörterung über
das Alter und die Anlage des Walles bemerkte Geh. Sanitätsrat Dr. ZSCHIESCHE,
dass der Wall aus verschlacktem Lehm bestände. Gegen diese Annahme erklärte
sich Oberlehrer SCHMIDT-Löbau in folgender Ausführung: „Die Schlacken aus
dem Walle auf der „Martinskirche“ sind keinesfalls geglühter und verschlackter
Lehm, sondern lediglich geschmolzener Kalkstein. Die zum Teil rote Masse kann
leicht zu der Ansicht führen, dass es geglühter Lehm sei. War doch auch VIRCHOW
der Meinung, als er 1870 in den Basaltschlacken auf dem Stromberge bei
Weissenberg in der Oberlausitz und in den Nephelinschlacken auf dem
Löbauer Berge rote, ziegelartige Bröckel fand, es sei Lehm als Flussmittel zum
Schmelzen des Gesteins verwendet worden. Als ich vor zwölf Jahren die Wall-
forschung begann, waren für mich die roten Brocken ein Rätsel. Beeinflusst durch
die Erklärung VIRCHOWs, war ich beinahe geneigt, sie ebenfalls für geglühten
Lehm zu halten, obwohl es mir nicht einleuchten wollte, weshalb die Erbauer der
Wälle den vielen Lehm auf die Berge geschleppt haben sollten; denn die Kuppen
des Stromberges und des Löbauer Berges enthalten keine Spur von Lehm. Endlich
fand ich die Lösung des Rätsels. Beim Auswerfen der Schlacken aus verschiedenen
Wallen (Stromberg, Löbauer Berg, Hutberg in Schönau a. d. E., Landeskrone bei
Görlitz, Breiteberg bei Striegau i. Schles.) waren auch rotgeglühte Steine mit
herausgebracht worden, die neben den Durchstichen liegen blieben. Durch den
Einfluss der feuchten Luft war der geglühte Basalt (bez. Nephelindolerit), sowie
auch der geglühte Granit auf dem Bilplatze bei Georgewitz (Jahreshefte der Ges.
f. Anthrop. u. Urgesch. d. Oberlausitz, Bd. II, S. 150) schon nach etlichen Jahren
30 stark verwittert, dass er vollständig einer ziegelartigen Masse glich. Wie sich
diese Erscheinung beim Basalt, Nephelindolerit und Granit zeigt, so tritt sie hier
im Walle auf der „Martinskirche“ auch beim Kalkstein auf. Ubrigens behält nach
meiner Beobachtung der geschmolzene Lehm keine rote Farbe, sondern, wie man
bei den übermässig scharfgebrannten Ziegeln sehen kann, bekommt er eine bläuliche
Farbe, und eine Verwitterung erfolgt dann überhaupt nicht, was genugsam bekannt
ist, weshalb man geschmolzene Ziegel zu Grundmauern am Wasser verwendet.
Geschmolzene Ziegel sind auch bedeutend schwerer als verschlackter Stein.
Zufolge meiner langjährigen, vielfachen Beobachtungen bestreite ich ent-
6*
— 84 —
erwähnt, deren eine, die Otternburg, unter Führung des Herrn Kustos
MÖLLER von einem Teile der Ausflügler besucht wurde, während die
zweite Abteilung, die mannbarere, schwindelfreie, die Buchfartsburg
erklomm, um einmal zu sehen, wie die von der Heidingsburg aus
erkennbare, dicht über dem Dorfe im steilen Felsenhang so rätselhaft
herabschauende Löcherreihe sih in der Nähe ausnehme. Beide Ab-
teilungen brachte deshalb der Wagen nach Buchfart zurück.
Der Zugang zur Buchfartsburg ist wirklich nicht so ein-
fach, die drei letzten der 12 Löcher sind kaum noch zu erreichen. Alle
Kammern liegen in gleihmässigem Abstande in horizontaler Reihe,
stellen Reste einfacher in die senkrehte Wand des Wellenkalkes
getriebene Gemächer dar, und nur die vordersten, noch mit dürftigem
Mauerstützwerk und Fensteröffnungen versehen, lassen erkennen, wie
prähistorisch die Wohnstätten der Vorfahren der Herrn von Orlamünde
gewesen sein müssen, wie sicher sich die Burgherrn in der damals
völlig uneinnehmbaren Feste aber auch gefühlt haben mögen. Auch der
übliche unterirdische Gang ist vorhanden, sein Anfang wurde in einem
der letzten Dorfhäuser, dem Sommersitz eines beliebten Arztes in
Weimar, gefunden; seine Richtung weist nach der Burg. Genaueres
darüber sowie über die vorurkundlihe Geschichte der Höhlenwohnung
(Überlingen, Regenstein), ist nur von einer Grabung im hohen Schutt-
kegel tief unten auf der Ilmaue zu erhoffen.
Die Mutloseren hatten es unterdessen bequemer. Sie fuhren stolz
durch Buchfart hindurch, überquerten die Ilm auf einer der alten
thüringischen überdachten Holzbrücken aus schwerem Balkenwerk, hielten
sich flussabwärts bis Öttern am linken Ilmufer, um dort nach erneutem
Übergang die Wagen zu verlassen und den Anblick der in unsrer
weimarischen Schweiz einzig dastehenden, sich mathematisch genau
senkrecht bis zu 80 m erhebenden Talwand auf sich wirken zu lassen.
Diese unersteiglihe Wand musste natürlich die Alten zur Anlage einer
Fliehburg unbedingt herausfordern, zumal auf der anderen Seite der
Einschnitt des Ziegentales das Erklimmen der schmalen Bergzunge stark
erschwerte. Von den Verhauen usw., die diese Seite der Ziegen-
oder Otternburg einst deckten, sind Reste bei der leichten Ver-
witterbarkeit des Wellenkalkes nicht zu erwarten. Selbst auf der Drei-
ecksspitze kann man nur notdürftig zwei Quergräben a u. b als Uber-
bleibsel ehemaliger Befestigungsstücke ansprechen. Anders ist es aber
auf der bewaldeten Basaltseite. Dort erhebt sich ein mächtiger Quer-
wall c mit tiefem Graben, der freilich nur geringe Brandspuren aufweist,
in seinem Verlauf von jener grandiosen Steilwand an bis zur flachen
schieden, dass die rote Masse in den Schlacken geglühter Lehm ist; im Gegenteil
behaupte ich mit Bestimmtheit, dass man es bei dieser Erscheinung mit geglühtem,
an der feuchten Luft verwittertem Gestein zu tun hat.
Auch hier bedauere ich, dass cer Wall nicht durchstochen worden ist. Aus
dem Aufbau und aus den etwaigen Funden hätte man leicht Aufschluss über die
Erbauer des Walles erhalten können. Das Äussere und die Lage der Schlacken,
die an der einen Stelle zutage treten, lassen mich fast annehmen, dass der Wall
aus slawischer Zeit stammt. Ist es jemand bekannt, ob im Wallraume slawische
Scherben gefunden worden sind? (Professor GÖTZE bejaht diese Frage.) Wenn
dies der Fall ist, so glaube ich, nicht zu weit zu gehen, wenn ich sage, dass die
Slawen auch den Wall erbaut haben.“
ei BE e
Böschung des Ziegentales aber von dem fortifikatorischen Talent der
unbekannten Erbauer ein prächtiges Zeugnis ablegt. Der Führer der
Abteilung konnte leider über das Alter der Anlage nichts sagen, da das
geringe Scherbenmaterial zu stark verwittert ist, um
auch nur einigermassen diskutierbare Schlüsse ge-
statten zu können. — Interessant waren auch noch 2
eine Reihe von flachen Wallzügen, die sich etwa
400 m weiter im Walde fin den, über deren Bedeu-
tung — sie sind nur unvollständig vorhanden — vor d
der Vornahme kostspieliger Spatenarbeit sich genau N
so viel sagen lässt, wie über eine dabei liegende
redoutenartige Anlage. Beim Abstieg konnte dann
noch auf einen alten Bärenfeng aufmerksam gemacht b
werden, dessen Entdeckung bei der Untersuchung z
einer im dichtesten Unterholze sich erhebenden grab-
hügelartigen Erhöhung erfolgte, die sich schliesslich
als das Aushubmaterial jener nur 15 m entfernten
Trichtergrube entpuppte.
Eine Stunde weiter, da, wo der Fluss das bekannte scharfe Knie
macht, hätte man dann die Stellen zweier weiterer Burgen besuchen
können, die Himmelsburg') und den Burgberg in Nellingen.
Trotz schönen Wetters und reizvoller Gegend war die Sache all-
mählich etwas anstrengend geworden. Darum sollte auch die Belohnung
nicht ausbleiben. Der Gastfreund „Garl“, klug und fromm, kannte den
Brauch und gedachte nach vollbrachter Tagung der Götter, sonderlich
unseres huldvollen Schirmherrn Mannus. Ihm zum Preise und zur höheren
Ehre dampfte der steingemauerte Altar, und würzige Düfte des
schmorenden Opferfleisches wallten uns Fahrern entgegen. Der breit-
bäuchige Oberpriester waltete seines Amtes, würdevoll die schier
gefährlich andringenden Gläubigen vertröstend, mit prüfendem Gabel-
stich die „Göttergabe“ wendend. Ein jung Säulein war blutigem Stahle
erlegen, und herrlich schmeckte sein zartes Fleisch, sorglich und sparsam
ins weichhäutige Geröhre seines Leibes gestopfet. — Ohne Rostbratwürste
geht es nun einmal nicht in Thüringen. Und kommt die Mannusschar
zum zweiten Male, dann soll sie ein zweites Leibgeriht der Her-
munduren zu schmecken bekommen: Kloss mit Gänsebraten.
In friedlihem Austausch der Gedanken ging nun noch ein Stündchen
dahin, unterbrohen durch einen launigen Trinkspruh des Herrn Geh.
Rat Dr. ZSCHIESCHE, der in Kämpfes Bruch sogar die ersten Spuren
von Gerste als Urgrund des süffigen Stoffes gefunden zu haben glaubte,
und deshalb nicht umhin konnte, einen kräftigen Schluck hellen Ehrings-
dorfers auf das Wohl der Veranstalter dieser an Erfahrung so reichen
Fahrt nach Weimar zu trinken.
Dann vertraute man sich zum letzten Male den Rädern an, um
mit sinkendem Tage die Heimfahrt anzutreten. In der Veranda des
Hotels „Kaiserin Augusta“, diht am Bahnhofe, vereinten sich die letzten
Reste der Getreuen, um dann endlich nach 9 Uhr nach Ost und West
davonzudampfen. A. Möller.
1) GOTZE, Z. f. Eth. 1896, S. 116.
— 86 —
Ausflug vom 4. bis 7. August
nach den vor geschichtlichen Burgen des Feldatals
und der Steinsburg (Kleiner Gleichberg) bei Römhild.
Nach Schluss der Erfurter Tagung reisten die Teilnehmer“) nach
Vacha. Die Fahrt ging durch das in vorgeschichtlichher Zeit reich be-
siedelte mittlere Thüringen, dann durch die dem Thüringer Wald vor-
gelagerte fundarme Zone, hinter Eisenach kreuzte man den Thüringer
Wald und gelangte, von dem im Hintergrund auftauchenden Bergkegel
des Ochsen begrüsst, bei Salzungen in das bis zum Eindringen der
Germanen kulturell von der süddeutschen Zone abhängige Werratal.
Nachdem Leimbach mit seinem grossen Latöne-Gräberfeld passiert war,
verliess man den Zug in Vacha, wo der Vertreter der Weimarischen
Regierung, Herr Bezirksdirektor WEIMAR, und der Grossherz. Ober-
förster Herr KREHAN die Teilnehmer empfingen. Nach einer Stärkung
im „Adler“ begann die Fusswanderung.
Gleich beim Verlassen des Ortes glaubte man sich in prähistorische
Verkehrsverhältnisse versetzt. Ein in der vergangenen Nacht nieder-
gegangener Wolkenbruch hatte Weg und Steg überschwemmt und nötigte
zu pfadlosen Umwegen über Felder und Wiesen. Beim Anstieg zum
Öchsen bekam man wieder festen Boden und guten Weg und erhielt
so ad oculos et ad pedes demonstriert, warum im Altertum die Höhen-
wege eine wichtigere Rolle als heute zur Zeit der regulierten Flusstäler
spielten. Beim Beginn des Steilkegels wurden Ackerterrassen gekreuzt,
die sich bis fast zu den Befestigungswerken hinaufziehen. Die klare,
durch den Regen gereinigte Luft gestattete einen köstlichen Rundblick
vom Aussichtsturm auf die zackigen Rhöngipfel mit ihren prächtigen
Buchenwäldern. Einige laténe-zeitlidie Funde vom Ochsen, die in der
Schutzhütte aufbewahrt werden, wurden bei einem Imbiss besichtigt.
Auf dem Abstieg machte Herr BODENSTAB auf das Vorkommen
von Bergroggen (Elymus europaeus) aufmerksam, der in der Nähe der
Quelle am unteren Teil der dorthin reichenden Befestigungen in ziem-
licher Menge wächst. Auch auf den anderen Burgen wurde er, um dies
hier vorauszuschicken, beobachtet, sobald man sich der alten Besiedlungs-
zone näherte. Es verlohnte sich wohl eine Untersuchung, ob die Ver-
mutung sich bestätigt, dass man es hier mit verwilderten Überbleibseln
keltischen Ackerbaues zu tun hat.
Weiter führte der Weg über Völkershausen nach Dietlas und von
da mit der Felda-Bahn nach Dermbach, wo man sich im Sächsischen
Hof bei Forellen, welche die Felda reichlichh spendet, von den An-
strengungen des Tages erholte.
Am 5. August wurde früh der Beyer bestiegen. Gleich hinter
Beyershof, wo der Basaltkegel beginnt, wurden zahlreiche Ackerterrassen
überschritten, weiter ging es an einem grossen Basaltfeld und dann
) Die Herren BERGER (Merseburg), Freiherr v. BIBRA und Gemahlin
(Hannover), Apotheker BODENSTAB und Frl. Tochter (Neuhaldensleben), Prof.
GÖTZE (Berlin), Apotheker KADE (Römhild), Prof. KOSSINNA (Berlin), Museums-
vorsteher LIENAU und Gemahlin (Lüneburg), Versicherungsbeamter REINHARDT
(Erfurt), Oberlehrer H. SCHMIDT (Löbau), stud. W. SCHULZ (Minden) und stud.
E. WAHLE (Delitzsch).
— 8] —
steil ansteigend an Wohnpodien vorüber nach dem durch einen doppelten
Wall konzentrish umgebenen Gipfel. Der Abstieg führte auf der Süd-
seite über eine grosse Terrasse mit Grabhügeln und eigentümlichen
niedrigen Steinwällen, deren Bedeutung noch nicht feststeht; auch hier
stand viel Bergroggen.
Am Nachmittag wurde die schöne Sammlung des Herrn Apothekers
KELLER besichtigt und dann die Weiterfahrt nach Kaltennordheim
angetreten. Von dort ging es mit Wagen das Feldatal immer weiter
aufwärts durch Kaltensundheim mit schönen geschnitzten Holzarchitek-
turen, weiter durch frische, von prächtigen Waldbergen umrahmte Wiesen,
unter der Alten Mark bei Erbenhausen vorüber nach der Passhöhe des
Stellbergs.
Jenseits erschien bald der bayrische Flecken Fla dungen in der
Abendsonne mit seiner gut erhaltenen, durch eine Anzahl Türme be-
wehrten Ringmauer. Der Rundgang in der Dämmerung durch den stillen
altertümlichen Ort erzeugte eine Stimmung, dass man sich um einige
Jahrhunderte zurückversetzt glaubte.
Am 6. August bestieg man wieder die Eisenbahn und fuhr über
die Kirschenstadt Ostheim, Mellrichstadt und Rentwertshausen nach
Römhild. Unter Führung, der Herren Bürgermeister GRIEBEL,
Apotheker KADE, Lehrer HÖFER und Lehrer KESSLER wurden die
Sehenswürdigkeiten der Stadt besichtigt, so namentlich die Kirche mit
einem prächtigen Grabmal aus Bronze, einem Meisterwerk Peter Vischers,
und die Bonsach sche Sammlung von Steinsburgfunden und anderen
Altertümern aus der Umgegend Römhilds.
Nah dem Mittagessen im Schlundhaus wurde der Grosse
Gleichberg in Angriff genommen. Nach langem Anstieg, der an
einer grossen Mardelle am Kochsbrunnen und der Landesheilstätte
vorbei über die Alteburg, eine jedenfalls mittelalterlihe Befestigung
führte, gelangte man auf das langgestreckte Plateau. Die Besichtigung
des vor mehreren Jahren entdeckten Pfostenlohes im südlichen Teile
des Ringwalles wurde leider durch Regen gestört, sodass der Rückzug
nach dem im Sattel zwischen den beiden Gleichbergen am Sandbrunnen
gelegenen „Waldhaus“ angetreten werden musste, wo Nachtquartier
genommen wurde.
Der 7. August war der Steinsburg auf dem Kleinen Gleichberg
gewidmet. Bei dem Umfang der Anlagen und der schwierigen Zu-
gänglichkeit kann an einem Tage nur ein kleiner Teil begangen werden,
aber bei sachkundiger Führung ist es immerhin möglich, die wichtigsten
Punkte kennen zu lernen und einen Totaleindruck des gewaltigen Werkes
zu bekommen. Von wichtigen Einzelheiten wurde die verschiedene
Konstruktion der Mauern und ihre Konservierurg mit Zement gezeigt,
ferner verschiedene Hausunterbauten (einer mit Widerlager für die Holz-
diele), Wohnpodien, Gräber u. a. m. Auch auf die erst kürzlih be-
obachteten Spuren von Umbauten der Mauern mit ihren Konsequenzen
für die Baugeschichte der Steinsburg wurde hingewiesen.
Wie schon früher von anderer Seite, so wurde auch jetzt von
Herrn Prof. KOSSINNA und den andern Teilnehmern riickhaltlos an-
erkannt, dass die Methode, nach der die Steinsburg jetzt bearbeitet
— 88 —
wird, richtig ist und zu einem günstigen Endresultat führen wird; auch
die Art der Konservierung der Mauern fand allgemeinen Beifall.
An der Begehung nahmen auch Vertreter des Hennebergischen
altertumsforschenden Vereins zu Meiningen mit ihrem Vorsitzenden,
Herrn Oberbaurat FRITZE, teil.
Nach gemeinsamem Mahl im Waldhaus endigte der Ausflug, der
zwar bei der Bezwingung der steilen Basaltberge einige körperliche
Anstrengungen erforderte, aber wohl den meisten Teilnehmern ein
ihnen bis dahin fremdes Gebiet von hoher landschaftliher Schönheit
und archäologischer Bedeutung erschloss. AR
ötze.
Verzeichnis der 113 Teilnehmer.
—— —
1. Vorsitzender: Kossinna, Gustaf, Dr. phil., Univ.-Professor, Berlin.
2. Vorsitzender: Bezzenberger, Adalbert, Dr., Univ.-Professor, Geh. Regierungs-
Rat, Königsberg i. Pr.
1. Schriftführer und Protokollant: Albrecht, Gustav, Dr. phil., städt. Bibliothekar,
Charlottenburg.
A.
Adrian, Jos., Dr. phil., Rektor, Erfurt.
Alberti, Pfarrer, und Frau, Ulrichs-
halben.
Arendt, Hugo, Bildnismaler, Erfurt.
B.
Baehr, Max, Rentier, Erfurt.
Berger, Paul, Privatmann, Merseburg.
Biereye, Dr. phil., Professor, Gymn.-
Direktor, Erfurt.
Bibra, Freiherr von, Major a. D., und
Frau, Hannover.
Bischoff, Dr. iur., Geh. Ober-Justiz-
rat u. Landgerichts-Präsident a. D.,
und Frau, Erfurt.
Bodenstab, E., Apotheker a.D., und
Tochter, Neuhaldensleben.
Brehmer, Fräulein, Erfurt.
Buschmeyer,Fr., Kunstmaler, Erfurt.
Busse, Hermann, Rentier, Wolters-
dorfer Schleuse b. Erkner.
C.
Caemmerer, Dr. phil., Professor,
Arnstadt.
Caesar, Adolf, Apotheker, Erfurt.
D.
Deile, Professor, Erfurt.
Dietrich, Pastor, Frienstedt.
Dunkel, Rud., Rentier, Elxleben a. G.
F.
Fleischer, Oskar, Dr. phil, Uni-
versitäts-Professor, Berlin.
Florschütz, Dr. med., Sanitätsrat,
Gotha.
G.
Gerstenhauer, Lehrer, Büssleben.
Girke, Georg, cand. phil., Berlin.
Götze, Alfred, Dr. phil., Professor,
mit Frau und Tochter, Gross-
Lichterfelde.
Griepentrog, Curt, Gymn.-Ober-
lehrer, Erfurt.
Günther, A., Vorstand des städt.
Tiefbauamtes, Coblenz-Lützel.
Güther, Hugo, Buchhändler, Erfurt.
Gutsche, Dr. phil., Stadtschulrat,
Erfurt.
H.
Haake, Dr. med., Arzt, Braunschweig.
Hagen, Joachim von der, Museums-
kustos, Prenzlau.
Hahne, Hans, Dr. phil., Direktorial-
assistent u. Privatdozent, Hannover.
Hennig, Fritz, Realgymnasiast, Erfurt.
Hesse, Fräulein, Erfurt.
J.
Jacob, K., Dr. phil., Museumsassistent,
Leipzig.
Jahn, Martin, cand. phil., Berlin.
Jahr, Dr. phil., Oberlehrer, Erfurt.
K.
Kade, C., Apotheker, Römhild.
Kalklösch, L., Pastor emer., Erfurt.
Kickton, Stadtbaurat, Erfurt.
Knoch, Dr. med., Geh. Sanitätsrat,
und Frau, Erfurt.
Koch, Pfarrer, Tröchtelborn.
Kossinna, Richard, Justizrat, Nord-
hausen.
Krauth, Dr. phil., Professor, Erfurt.
— 90
Kropp, Philipp, Privatgelehrter, Jena.
Krüll, Rektor, Erfurt.
Kubale, Oberstleutnent a. D., Erfurt.
Kuntze, H., Rentmeister, und Frau,
Burgscheidungen.
L.
Lienau, M. M., Abteilungs-Vorsteher
am Museum, und Frau, Lüneburg.
Lilliendahl, Kommerzienrat, Neu-
dietendorf.
Loos, Regierungsrat, Erfurt.
Lorenz, Wilhelm, Photograph, Erfurt.
Ludewig, Dr. iur., Justizrat, und Frau,
Erfurt.
M.
Meyer, Stadtrat a.D., und Frau, Erfurt.
Michaelsen, A., Kaufmann, u. Frau,
Erfurt.
Möller, Armin, Kustos des städt.
Museums, Weimar.
Müller, Paul, Justizrat, und Frau,
Erfurt.
N.
Nagel, Lehrer, Erfurt.
Nitzschke, Dr. iur., Landesrat,
Merseburg.
Nöller, Fr., Rentier, Erfurt.
Nuernberg, Dr. med., Arzt, u. Frau,
Erfurt.
O.
Ost, Dr. pub: Gymnasial-Oberlehrer,
Erfurt
Overmann, Dr. phil., Stadtarchivar,
und Frau, Erfurt.
P.
Peschel, E., Lehrer, Nünchritz.
Peters, Stadtbaurat, und Frau, Erfurt.
Pfau, Cl., Dr. phil., Professor, Roch-
litz i. Sa.
Pfeiffer, L., Dr. med., Geh. Medizinal-
rat, Weimar.
R.
Rehlen, W., Stadtrat, Nürnberg.
Reichardt, Versicherungs - Beamter,
Erfurt.
Reineke, Otto, Vikar, Erfurt.
Reisert, Zahnarzt, Erfurt.
S.
Schmidt, Carl, Fabrikant, Erfurt.
Schmidt, H., Oberlehrer, und Frau,
Löbau i. Sa.
Schmidt, Rob. Rud., Dr. phil., Privat-
dozent, Tübingen.
Schneider, Th., Pfarrer, Stutzhaus.
Schneider, Dr. phil., Professor,
Erfurt.
Schröder, Arno, Pfarrer, Hainichen
b. Dornburg.
Schulz, Walther, stud. phil.,
Minden i. W.
Schumann, Gottl., Rentier, und Frau,
Erfurt
Staffel, Dr. med., Arzt, Chemnitz.
Starcke, Dr. med., Arzt, Vieselbach.
Steinbrück, Carl, Kaufmann, Erfurt.
Stenger, Emil, Kaufmann und
Gärtnereibesitzer, Erfurt.
Sturm, Otto, Ökonom, Erfurt.
T.
Teichfischer, K., Kaufmann, Erfurt.
V.
Volkstedt, H., Lehrer, Erfurt.
W.
Wagner, E., Lehrer, Kerspleben.
Wahle, Ernst, stud. archaeol.,
Delitzsch.
Walter, E., Dr. phil., Professor, Stettin.
Wilcke, Max, ‘Br. hil., Königl. Kreis-
schulinspektor, eitz.
Winckler, Alb., stud. archaeol., Berlin.
Wü 4 19 Ewald, Dr. phil., Professor,
iel.
Z.
Zschiesche, Paul, Dr. med., Geh.
Sanitatsrat, Erfurt.
Zs ch iesche, Amtsrichter, Cölleda
i. Th.
Zuckschwerdt, Dr. med., Sanitats-
rat, Sprottau.
Rednerliste.
Albrecht 36. | Kossinna 2, 5, 36, 41, 43, 47.
Berger 43, 47, 48. Möller 29.
Bezzenberger 29, 38, 89, 40, 42, 46,
99, 9T: Nitschke 4.
Biereye 1, 5.
Bodenstab 42.
Busse 43. Pfau 49.
Dietrich 42. Schmidt, H., 42, 83.
Schmidt, R. R., 40, 48, 44.
Fleischer 45, 46.
Götze 11, 29, 35, 83. Wilcke, M., 48.
Günther 38, 66. Winckler 27, 36.
Hahne 18, 29, 42, 44. Wüst 44, 48.
Wahle 80, 35, 36, 40.
H
Jacob 36. Zschiesche 4, 8, 36.
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> Zeitschrift für Vorgeschichte
Organ der Deutschen Gesellschaft
3 a für Vorgeschichte
, = ~ herausgegeben von
Professor DF Gustaf Kossinna
. Rey WÜRZBURG
3 Gurt Kabitzsch (A Stuber Verlag)
* 1910.
Einzelpreis Mk. 4.—
für Mitglieder der Gesellschaft und Abonnenten Vorzugspreis Mk. Sm
` aueh nur für
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Curt Kabitzsch ai Stuber's Verlag) in | Würzburg.
KT? zur Früh- und Vorgeschichte m
herausgegeben von
Professor Dr. Gustaf Kossinna.
Heft 1:
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Die Burgwalle des Ruppiner Kreises. Zeg
Ein Beitrag a Heimatkunde.
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Rektor Wilhelm Bartelt und Mittelschulichter Karl Waase in Neuruppin. > =
Mit 1 Karte und 20 Tafeln, enth. 27 Lagepläne und 227 Abbildungen.
gë Einzel-Preis Mk. 5.50. . -
Subskriptions-Preis, wenn auf die ganze Serie abonniert wird, Mk. 4.40.
ühevoller Untersuchungen, isk als Beitrag
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Diese Arbeit, das Ergebnis langjähriger mü
Ste bringt ein vollständiges Verzeichnis
zur Heimatkunde des Ruppiner Kreises gedacht. `
der Ruppiner RundwaHe, von welchen ein Teil bisher in der Literatur kaum jemals Er-
wähnung fand. Eine Kreiskatte bietet Übersicht über Verteilung und Anordning der
Wulle, das reichhaltige Illustrationsmaterlal eine solche über die bisherigen Funde. Alles
was Bedeutung. hat für die Burgwallforschung, für die en ees
ie Heimatkunde, ist Ba verzeichnet worden.
Demnächst erscheint: ae Heft 2:
| Latönezeitliche Funde an der si gr
E GE Völkergrenze zwischen Saale und Elster. |
; ‚Von Philipp Kropp-Jena. BS
Ca. 8 Bogen mit ca. 170 Abbildungen im Text u. einer Kane: l
Einzelpreis ca. Mk. 6.—, Subskriptionspreis ea. Mk: 4.8.
In Vorbereitung: an Heft 8:
Die germanischen stamme
J | ds Kulturen zwischen Oder und Passarge zur. römischen Kalserzeit.
Von Dr. Erich Blume-Posen. S
Ca. 12-15 Bogen mit ca. 200 Abbildungen. Deg
Einzelpreis etwa Mk. 9.—, Subskriptionspreis etwa Mk. 7.— .
Tit vor- und frihgeschightlichen Alterlümer n
im Auftrage D Geschichts vereine und wissenschaftlicher -
Korporationen mit Unterstützung der Staatsregierungen von Preussen,
Sachsen: Weimar, Sachsen- Coburg - Gotha, Schwarzburg- Rudolstadt KS
cH = und Schwarzburg-Sondershausen ` | + E
— — herausgegeben von xx x⁊öyqy i
Prof. Dr. A. Götze Prof. Dr. P. Höfer „
Berlin- Grosslichterfelde Wernigerode
= a ER Sanitäts- Rat I Dr. P. Zschiesche E? , \ SE?
Erfurt.
Mit 24 Lichtdrucktafeln und einer archäologischen’ Karte.
Preis brosch. Mx. 20.—, gebd. Mk. 22.—. —.
Im Text gibt zunächst Zschiesche Auskunft über die Entstehung des mühevollen Bie dann Götze
e ausführliche und sehr lesenswerte Übersicht über die Vor- und Frühgeschichte Thüringens Als Kern des Werkes
ad hierauf das von den drei Autoren bearbeitete Fundverzeichnis (400 S.), ein von Höfer verfasstes wertvolles Lite-
raturrerzeichnis (48 S.), Ortsregitter und Talelerfauterung. Die vorzüglich ausgeführten Lichtdrucktafeln beruben sum
grössten Teil auf eigens für das Werk bergestellten Wee ie Aufnahmen und gewäbren einen vollen blick
2. den 2 Thüringens an höchst bemerkenswerten Funden aus allen alten Kultur perioden Europas,
n baben cine Musterarbeit geliefert, auf welche sie selbst und
- wKarrespondensdlatt d. Deutsch. Geschichts- und Altertumsvereine“, =
=
-
sole sein
Ne
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s Land, dem sie line ist,
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u ) „Mannus“, Zeitschrift für Vorgeschichte
herausgegeben von Professor Dr. Gustaf Kossinna
erscheint in
“ swangleser Felge, jährlich etwa 5-4 Hefte, die zusammen einen Band
von ca. 20 Drum bogen mit ebensoviel Tafeln und reichlichen CC :
a. ee Rinselme Hefte sind nicht käuflich.
BEES pro Jahr M. 16.—.
ES nah- Verzeichnis des Heftes 1—3 vom II. Bande:
I. 8
i “Rademasiier, C., (Köln),. Germanisehe Gräber der Kaiserzeit am Fliegenberge bei
Troisdorf, Siegkreis, Reg.-Bez. Köln. Mit 14 Textabbildungen und 4 Tafeln.
. Montelius, O., (Stockholm), Naturrevolutionen in Mittel-Italien vor dreitausend
Jahren. Mit 20 Textabbildungen.
— Gunther, An, (Coblenz), Zur Entstehungs und Besiediungsgesehichte des Neu-
wieder Beekens. Mit 18 Textabbildungen und 5 Tafeln,
n G., (Berlin), Der Ursprung der Urfinnen und Urindogermanen und ihre
- . Ausbreitung nach Osten. III. Nordindogermanen und Südindogermanen. Mit
71 Textabbildungen und 1 Karte,
piii O., Stockholm), Ein schwedischer Pfahldau aus der Steinzeit. Mit 80
*
Textabbildungen.
f Il. Mitteilungen.
Berner, U., (Berlin), Rasse, Rassenmischung und Begabung.
Bieder, Th., (Hamburg), Die deutsehe -Rassenforschung und Ihre. Ausprägung in
. L. Woltmann.
-_ Kossinga, G., (Berlin), Zum Homo Aurignacensis. Mit 1 Tafel. „
Auerbach, A., (Gera), Tardenoisien in Ostthüringen. Mit 9 Textabbildungen:
. Gtinther, A., (Coblenz), Zwei Zonenbeeher aus Urmitz. Mit 3 Textabbildungen.
_ Bezzenberger, A., (Königsberg), Zur Geschichte der Sichel. Mit 3 Textabbildungen.
Waase, X., (Neu-Ruppin), Kantower Funde. Mit 5 Tafeln.
—
Hindenburg, A (Grossbeeren), Neue Funde der Latöne-Zeit aus dem Kreise Teltow, |
extabbildungen. — - =
Krause, x 5 L., (Strassburg), Spelz- und Alemannengrenze.
Kossinna, G., (Berlin), Zur Wochengdttervase vom Fllegenberg bei Troisdorf,
IBAN: Mit 5 Textabbildungen.
III. Aus Museen und We
i Beltz, Ry (Schwerin), Vorgeschiehtliche Funde und Untersuchungen in: 1 Mecklenburg.
907—1909. Mit 9 Textabbildungen.
A M., (Bromberg), Berieht über Neueingänge des Jahres 1909 in der vor-
g geschichtlichen Sammlung im Museum der historischen Gesellschaft zu
Bromberg. Mit 20 Textabbildungen.
Berliner Zweiggesellschaft der Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte.
„Ausflug nach Seddin. ` ee
Kossinna, G., (Berlin), Ansprache über die kultungeschichtliche Stellung der Prignitz `
in der Vorzeit. Mit 6 Textabbildungen und 1 ‘Tafel.
Sitzungsberichte. |
IV. Bücherbesprechungen. A
V. Nachrichten. (Mit 2 Porträts.)
ee: Heft 4 (Schiussheft des II. Bandes) erscheint im Januar 1914 und wird auch
Titel und Register dieses Bandes a ten.
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| ` germanenprob blems en, indem sie an der Ss der archäo
historiker, sondern auch für den Ethnographen, bier serge und 3 von h
wech aber früh. wii. vorges d ichtlieh
= Kultur- Kunst- und Vo ‚Ikerentwie lung =
herausgegeben von
` Professor Dr. Gustaf Kossinna. `
ae Jengi und — m
len und Thraker.
8 Von Dr. Georg Re a:
: Mit 100 Textabbildungen und 1 Tafel.
*.
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De. Einzel-Preis Mk. 4.50. 5
‘Subskriptionsprels, wenn auf die ganze Serie abonniert wird, 3 Mk, KE Eé
Die vorli ende Studie soll einen Bei zur Lösung des n Basar de l
ogischen FERS atsachen die Herkunft de der
und bellenischen Stämme Nord-Giriechenlands aufzuklären su cht. ke"
Fp inn- und Jee? zeuge.
Entwieklung und Anwendung in = ee E
` vorgeschichtlicher Zeit Europas. W S
Von ee T
M. von Kimakowicz-Winnieki ER
Museumsdirektor in Hermannstadt (Siebenbürgen). EEE =
| Mit 107 Textabbildungen. (+
Einzel-Preis Mk. 4.50, Ne Be, A
Subskriptions-Prets, wenn auf die ganze Serie abonniert. wird, Mx. 3. jee = A
Diese Arbeit soll in erster Linie auf die verfehlte Forschungsrichtung in der Corgeschi
aufmerksam machen, Sie enthält ferner eine Anzahl neuer Gesichtspunkte und Deutungen, die “Gru
eingehenden Studiums der gesamten Textiltechnik festgestellt werden konnten, „Sie ist nicht — l
In Vorbereitung: | 3. Heft: $
Das Grabmal des "eier zu Raven
seine Stellung in der Architektugeschiche. Be as:
von acy EE
| Bruno Schulz, Gs Ry DE
2 l ord. Profesor für Architektur an der Kgl. Technischen Hochschule, Hannover. d ës a.
Mit ca. 85 Textabbildungen. Se, As | Ee A
——— Einzelpreis ea. Mk. 4.50. > abe `
Subskriptionspreis, wenn auf die ganze Serie abonniert wird, Ca m. am. Ka
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II. Ergänzungs-Band, ` Band.
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Zeitschrift o m
Organ der Deutschen Gesellschaft
für Vorgeschichte
herausgegeben von
Professor D! Gustaf Kossinna
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"WÜRZBURG
Gurt Kabitzsch (A Stuber's Verlag)
1911.
Einzelpreis Mk. 3.50.
Für Mitglieder der Gesellschaft und Abonnenten Vorzugspreis Mk. 2.80,
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Curt! Kabitzsch (A. — in „Würzbur burg
Inhalts-Verzeichnis des I. Bandes qv u. 850 S. mit 88 Tafeln u. 221 Textabbildungen) è
Geleitwort. — N und Satzungen der Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte. —
I. Abhandlungen: Kossinna, G., era) Der) Der ice éi: der Urfinnen und der Urindogermanea und
Osten. apen, Mit 25 Textabbildungen und 11 Tafeln.
— Kossinna (Berlin), Der Ursprung der Trannen und der Uciniogermanen und ihre A
nach dem Osten. Nordindogermanen und S eg gen Mit
‚und 8 Tafeln. — Rademacher, C., aan Ge
Kin. Mi
22 und 18 Tafeln.
Montelius, O., (Stockholm), Das . und das christliche Kreuz I. Mit 40 Textabbildungen. —
Montelius, O., (Stockholm), Das Sonnenrad und das christliche Kreuz Il. ( ope, Mt und Schluss). Mit
Sa Textabbildungen. — Devo r, a. (Brest), gt parc 55 in d
Die e Dorfaninge d
bei Troisdorf, Siegkreis, Reg.-Bez. 5 bildungen und 1 Tafel. — Schmidt, F R. 95 ee
Das Aurignacien in Deutschland. V eg armer des älteren Jungpaläolithikum. Mit 8 Tafeln. —
Weinzierl, R. R. v Gees Übersicht über die Forschungsergebnisse in Nordbéhmen.
Mit 32 Textabbildungen 1 Porträt. — Rieken, E., (Kottbus), Drei Holzbrandplätze mit Steiakern aus
Ger Bronzezeit. Aus der städt. Abteilung des Niederlausitzer Museums fir Altertumskunde in Kottbus N.-L. Mit
11 Textabbildangen und t Tafel. — II. Mitteilungen: Goetze, A., (Berlin), Ostgotische Heime und symbolische
Zeichen. Mit 4 Textabbildu und 1 Tafel. — Hess von Wichdorff, H, (Berlin), H Über die ersten An-
e Mal, chtlicher Erkenntnis im A e des Mittelalters. Ein
Wissenschaft. — "Kousiunn, G., m), V ner Bericht über ein loengräberfeld der Lathne-
Zeit (7 in 3 Mansfelder Gebirgskreis, vom Jahre 1710. it 1 Textabbildmg. — Schneider, H., ( A
Rassereinheit und Kultur. — Wilk e, C., (Chemn Rain: Der neue Skeilettfund des Homo A
Hauseri. Mit 1 Textabbildung. — ree R., (Schwerin), Einige une einzeitliche Funde aus Meck--
lenburg. Mit 2 Textabbildungen und 1 Tafel. — Müller- r-Drauel, H Zeren, Der „Hexen am Wege
Brauel-Offensen, Kr. Zeven. Ein steinzeitlicher Grab Fundbericht von 1891. Mit 16 Textabbildungen und
1 Tafel. — Waase, E., (Neu-Ruppin), Möritzscher er Urmengräberfunde aus der Tieflandbucht.
Mit 2 Tafeln. — Hekler A., (Budapest), Eine neue 1 eines . Mit A
Schmidt, H H., (Laban), Erge Wallforsch
des
res der Provinz eben Ee des
em Moscone zu Ce uli--Deaember 1908. — Blume, E E., (Posen), Aus der. Provinz Posen.
Rete ices des Kaiser Friedrich-Museums zu Posen vom Januar bis Juni 1909, Mit 3 Texta —
Günther, A. (Kobienz), Das Museum des Kunst:
R bezirk Coblens. — Rademacher, C., (Köln), Prähistorisches Museum zu Köln. —
Fuhse, F., 5 Städtisches Museum Braunschweig. Mit A Textabbildungen. — Deutsche Ge
sellschaft Naturw.-Abt. Vortrag: Blume, Die chronologische und eth e Methode der vor-
8 Forschung. — Société préhistorique de France. — Sitzungsberichte der iner 2 weiggeselischaft der
Gesellschaft für Vorgeschichte, — IV, Bücherbesprechungen. — V. Nachrichten. (Mit 8 Porträts u. 1 Tafel.)
| Anballn-V erzeichuis des II. Bandes (IV u. 863 S. mit 17 Taf. u. 278 Textabbildungen):
: Rademacher, C., (Köln), Germanische Gräber der Kaiserzeit am Fliegenberge
bei Troisdorf, St Siegkr „Reg. Bea. Kin. Mit 14 Textabbildungen und 4 Tafeln. — Montelins, O., (Stockholm),
Naturrevolutionen in Mittel-Italien vor dreitausend Jahren. Mit 20 Textabbildungen. aauther, A.
el Zur Entstehungs- an Besiediun DEE des Neuwieder Beckens. Mit 18 Textabbildungen
n. L — Kossinna (Berlin), der Urfinnen und Urindo en und ihre
8 nach Osten. fi. ordindogermanen und Südindogermanen. Mit 71 Textabbildungen und 1 Karta.
Frödin, O., (Stockholm), En schwedischer 1 aus der Steinzeit. Mit 80 en
II. Mitteilungen: Berner, U., (Berlin), Rasse, Rasse une une Begabung. — Bieder, Th., (Ham-
burg), Die deutsche Rassenf: senforschung und ihre 3 = in Dr. I Woltmann. — Kossinna,Q,
(Berlin), Zum Homo EE Mit ı ee uerbach „ (Gera), Tardenoisien in Ost-
thüringen. Mit 9 Textabbildungen. — Gtinther, A (Coblenz), Zwei Sie aus Urmitz, Mit 3 Tezt-
leiert — Bezzonberger,A., Se Zur Geschichte te der Sichel. . Textabbildungen.
Sange, K., (Neu-R ), tower F it 5 "Talelo. — Hindenbur W., e Nene
Funde der Latène-Zeit aus pea — Teltow. Mit 21 Textabbildungen rause, E. H. L., (Stras-
burg), Spelz und Alemannengrenze. — Kossinna, G., (Sonin), Zur W Wochen ttervase vom "Fü
Troisdorf, Si krola “Mit 15 extabbildungen. — Sol iF Fr., (Peking), Das Kima Norddeutsch-
zeit der Eiszeit. Mit 5 Teztabbi 5 ndt, ( i ), |
Kossinne, G., (Berlin), , Zum Dreipe acob, K. H., (Leipzig), Bronzegefäss oder Stock-
knopf? Mit 2 Textabbi — Wee (berg und ereinen: Beltz, ence (Schwerin), Vorgeschichtliche
Funde und eo in Me eckienburg. el at Mit 9 Textabbildu ngen. — Schultze, M, (Brom-
berg), Bericht tiber Bene Kings des Jahres un vorgeschichtlichen Sammlung im Museum
er historisc zen zu Bromberg. . Berliner Zweiggesellschaft der Dout-
rgi Gesellschaft fü Vorgeschichte, Ausflug nach Beck — Kossinaa, G., ae Auge über die kultur-
e Stellung der itz in der Vorzeit. Mit 6 Textabbildungen el. Sitzungsberich
Bücherbesprechungen. — Nachrichten. (Mit 2 Porträts.) — VI. VI. Mitalicder-Verscichais,
I. Ergänzungsband:
Bericht über die l. Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte
zu Hannover, 6. bis 9. August 1909, herausgegeben von Professor Dr. Gustaf Kossinna.
IV u. 107 S. mit 2 Tafeln und 4 Abbildungen im Test, — Preis Mk. 4.—, Einbanddecke M. 1.—.
EE
Inhalt: A und Weihereden: — Festmahl: Aufführungen e: Kossinna, Ober
vorgeschichtlichen in Mitteleuropa, — Reimers, Vor, — eet > apies. — Höf fer,
. Die L eben — ng Ze ima der Zeit und „„
Behe Chronol — Schwantes, Slawische Hannover). — Feyerabend,
tstehung der Schlackenwälle und die „ Et in der Oberlausitz. — Kiekebusch,
Die wichtigsten Bronsezeitfunde des Museums — Schmidt, Den
Bestattungen der Ofset. — Schulz, Das Theoderichgrabmal su A und seine Stellung in der
— Bezssenberger e Grensbezichungen. — Knoke, 7 über das Schlacht,
des Teuto Waldes. archäologische Konferenz. — 3 : H
nach Wohlde zu den Sieben Steinhäusern bei Südbostel ‘cad in A den Teutoburger
— ee “ie deutsche Pai aichi (18. : Kofsiane 1 5 a Sees cat cad
ungen en 1 ums 2186. cam
seiner beit 1696 vorgenommenen Ausgr süd — Schmidt, Die Epochen
—— deutscher Funde in Tübingen.
Kuat ne Höhlen Südfrankreiche und enn. Schmidt, Die
Fortsetzung des |
siehe 3. Umschlag-Seite!
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Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag) in Würzburg.
„Mannus“, Zeitschrift für Vorgeschichte Dr. Gustaf —
etwa 3-4 Hefte in loser Fo VV ebensoviel
SC Tafeln und reichlichen T Riase Haho dad nicht kiall `
ru Einbanddecken A M. 1.—.
Inhalts-Verzeichnis des Ill. Bandes.
I. Abhandlungen.
Günther, A ve (Koblenz-L.), Zur Entstehungs- und Besledlungsgeschlehte des Neu-
nn Beekens. Mit 14 Textabbildungen und 18 Tafeln.
Schetelig, H., 15 88 Vorgesehlehte Norwegens. Ergebnisse der letzten zehn
ahre. Mit 76 Textabbildungen.
v. d. Hagen, J. O., (Schmiedeberg), Der Fergitzer Burgwall. Mit 6 Textab-
dungen und 6 Tafeln
Schirmeisen, K., (Brünn), Buchstabenschrift, Lautwandel, Göttersage und Zeit-
rechnung.
Asmus, R., ee), Vorneolithisehe Feuersteinwerkstätten und Wohnplätze
ge eterow (Mecklenburg). Mit 2 Textabbildungen und 8 Tafeln.
J. H., (Prag), Neolithisehe emalte Keramik in Böhmen. Mit 21 Textab-
bildungen und 3 Tafeln.
I. Mitteilungen.
| Mötefindt H., (Wernigerode), Triehterrandbecher aus der Provinz Sachsen. Mit
7 Textabbildungen.
Milller-Branel. H., (Zeven), Ein Vorgänger des Dreiperiodensystems.
- Schneider, a (Leipzig), Zum heutigen Stand der Vorgesehichtsforsehung.
ne or d (Berlin), Anmerkungen zum heutigen Stand der Vorgeschichts-
orsehun
Neue Tg vorgesehichtlicher Altertümer in den Höhlen von Dane bei
Schulz, W., (Minden), Das germaisehe: Wohnhaus in vorgeschichtlicher Zeit
nach den Bodenfun
IL Aus Museen und Vereinen.
walter, E., (Stettin), Die Entwicklung des Stettiner Museums In den letzten zehn
Jahren. Mit > Textabbildungen.
Blume, en Zur Glasflasche von Latkowo, Prov. Posen. Mit 4 Text-
a ungen
Berliner Zweiggesellschaft der Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte. Sitzungsberichte.
IV. Bücherbesprechungen.
| | V. Nachrichten. |
gw: Das 2. Doppel- (zugleich Schluss-) Heft des III. Bandes erscheint im Dezember 131.
ll. Ergänzungsband
Bericht über die II. Hauptversammlung der |
Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte
zu Erfurt, 31. Juli bis 3. August 1910,
herausgegeben von Professor Dr. Gustaf Rossinna und Dr. Gustav Albrecht.
91 Seiten mit 3 Tafeln und 3 Abbildungen im Text. N
Preis Mk. 3.50,
— für Abonnenten des Mannus und Mitglieder der Deutschen Gesellschaft fur Vorgeschichte Mk. 2.80.
eng Ansprachen. Vorträge: Hossinna, Die Frau in der Vorgeschichte
ar Gg hiesche, Das vorgeschichtliche Erfurt und seine Umgebung. —
Gate. ie vorgeschichtlichen Burgen der Rhön und die Steinsburg auf dem Kleinen
Gleichberge bei Römhild. — Hahne, Über die Moorleichen der Provinz Hannover. —
Wahle, Ein Fall von Skelettbestattung und ein neolithisches Totenopfer aus dem Mans-
feldischen. — Kossinna, Eine . Baummarke. — Bezzenberger, Die ältere
und jüngere Steinzeit in Ostpreussen. — Schmidt, Das Altpaläolithikum Deutschlands
und seine Parallelen mit dem altpalkolithischen Kulturkreis Westeuropas. — Fleischer.
Die Stellung der Indogermanen in Inner-Kleinasien um das Jahr 1000 v. Chr. — Berger,
Seltene vorgeschichtliche Funde aus der Merseburger Gegend. — Pfau, Über urgeschicht-
liche „Feuersteinwerkstätten“ in der Rochlitzer Gegend (Sachsen). — Günther, Die
Bronzezeit im Neuwieder Becken. — Ausflüge: Nach Weimar, Ehringsdorf, Budhfart und
Öttern von A. Möller. — Nach den vorgeschichtlichen Burgen des Feldatals und der
Steinsburg (Kleiner Gleichberg) bei Römhild von Prof. Götze.
e
Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag) in Warzburg/
Die vor- und fribgesehichtlichen Alferlimer Thiringens
im Auftrage Thürin 17 Geschichts vereine und wissenschaftlicher
Korporationen mit Unterstützung der Staatsregierungen von Preussen,
Sachsen-Weimar, Sachsen-Coburg-Gotha, Schwarzburg- -Rudolstad
d und Schwarzburg-Sondershausen o-
herausgegeben von
Prof, Dr. A. Götze Prof. Dr. P. Höfer
Berlin-Grossliehterfelde Wernigerode
Sanitäts- Rat Dr. P. Zechiesche
Erfurt.
Mit 24 Lichtdrucktafeln und einer archäologischen Karte.
Preis brosch. Mk. 20.—, gebd. Mk. 22.—.
Im Text gibt zunlichst Zechissche Auskımft Sher 5 des mühevollen Unternehmens, dasa Gates
eine ausführliche und sehr lesenswerte Übersicht über die Vor- und Frühgeschichte Thüringens, Als Kern des Werkes
2 arg o Ae Bie done . he
nis (43 S.), ter und Tafelerliuterung. Die vo a Li n be
3 5 estellten photographischen Aufnahmen und gewähren einen vollen blick
ber den Reichtum un babes of Bt n böchst erkenswerten Funden aus allen alten 33 Europas.
Die drei Autoren haben eine Musterarbeit geliefert, auf welche sie selbst und das Land, dem sie gewidmet ist,
stolz sein können. l „Korrespondensbiati d. e „„ und Altertumsvereinne'‘.
„ MO Neu! u
= Die Welt der Träume. = —
Von Havelock Ellis. |
Deutsche Original-Ausgabe besorgt von Dr. Hans Rurella.
_ XII und 296 Seiten. Brosch. Mk. 4.—, gebunden Mk. 5.—.
Inhaltsverzeichnis: Einleitung. — Elemente des Traumlebens. — Die Lo
des Traums. — Die Sinne im Traum. — Die Gemütsbewe en der träumenden
Seele. — Der Flug-Traum. — Die Symbolik der Träume. I. Einleitung. IL Traum-
deutung. — ‚Träume von Verstorbenen. — Das Gedächtnis im Traum. — Zusammen-
fassung und Schluss. — Appendix.
„Träume können, wenn sie richtig verstanden werden, ufis einen Schlüssel für
das Leben als Ganzes geben.“ Mit diesen Worten schliesst Ellis, dessen Ruf durch
seine sexualpsychologischen Schriften begründet ist, das Vorwort zu seinem neuesten
Werk, das einen erheblichen Fortschritt unserer Kenntnisse über das
Traumleben bedeutet, nicht nur für die Psychologie, sondern auch für die
Psychiatrie, für wichtige Gebiete der Nervenpathologie, für die 11 e ed
Ästhetik, besonders aueh für die Psychologie der Kunst, namentlich der
Den Vorgeschichtsforscher dürfte namentlich das Kapitel vom F DESS das ver-
schiedene Beziehungen zur Vorgeschichte hat, interessieren.
Mittelalterliche Plastik
Würzburgs.
Versuch einer lokalen Entwickelungsgeschichte vom
Ende des 13. bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts.
Von Professor Dr. Wilhelm Pinder - Darmstadt.
Preis brosch. Mk. 12.—. Mit 78 Abbildungen auf 56 Tafeln.
Dem Kunsthistoriker und Historiker von Beruf, sowie den Geschichts-
und Kunstfreunden unter den Lalen bietet das Werk reiches Interesse, zumal
15 auch zur fränkischen und Würzburger Lokalgeschichte nicht unwesentliche Beiträge
liefert.
Kgl. Univ.-Druck. I. d., Würsbg
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THE NEW YORK PUBLIC LIBRARY
REFERENCE DEPARTMENT
This book is under no eircumstances to be
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