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Full text of "Mannus Ergänzungsband 6.1928-8.1930"

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Feſtgabe 
für den 70 jährigen 
Guſtaf Koffinna 


von 


Freunden und Schülern 


Mannus 
Beitfchrift für Vorgeſchichte 
„ . 
VI. €rga nzungsband 


Mit 4 Porträts 
und 276 Abbildungen im Text 


Kl 


Leipzig Verlag von Curt Kabitzſch 
| 1928 


Alle Rechte, insbefondere das der Überſetzung, vorbehalten. 
Printed in Germany. 


Drud der Univerſitätsdruckerei h. Stürtz . G., Würzburg. 


D OF NM BONDERT 


m 1a 


Geleitwort. 


Sehr geehrter Herr Geheimrat! 


Wieder bringen Ihnen Freunde, Schüler und Mitarbeiter 
einen Glückwunſchſtrauß! Die Saat Ihres arbeitsharten Cebens 
iſt längſt aufgegangen und Sie dürfen, ſelbſt zu verdienter 
größerer Ruhe ſchreitend, täglich neu die Gewißheit erleben, 
daß Ihr Beitrag am großen Weitergang der Erkenntnis der 
Vorzeit groß war! Dor allem haben Ihre Forſchungen die 
Blicke Dieler ungeahnt geweitet, und nicht nur im engeren 
Kreiſe der Vorgeſchichtsforſchung. Sie ſind ja zuerſt bewußt 
über Grenzen gegangen, die unverrückbar ſchienen. Seit wir 
durch Sie gelernt haben, auf ſicheren Wegen ins faſt ſchon um: 
beſtrittene „Dunkel“ der Vorzeit vorzudringen, iſt weite Sicht 
über der Frühzeit der Menſchheit. Eine erſte bewußte Sührer: 
tat wird Ihnen zu danken bleiben; und daß die gezeigten Wege 
nun weiter geſichert und fortgeführt werden von Denen nach 
Ihnen, erhöht Ihr Verdienſt. Daß die meiſten fic) deſſen be: 
wußt ſind, ſoll dieſer Band zeigen. 

Mancher iſt aus zwingenden Jufallsgründen verhindert 
geweſen, einen Beitrag zu geben: Sie wiſſen ja, daß Viele um 
Sie ſtehen in dankbarer und verehrungsvoller Arbeitsver- 
bundenheit, die auch über menſchliche — oft allzumenſchliche 
Hhinderungen dauert und wirkt: in die Zukunft, die über die 
Wege und Leiſtungen der heutigen richten wird. Seit die Tore 
zur Vorzeit, nicht zum wenigſten durch Sie, geöffnet worden 
find, ſchließt ſich auch der Kreis der natürlich zuſammen— 
gehörigen Einzelforſchungen um die Frage der herkunft unſeres 
Volkes und ſeiner Urtung mit Blicken in ungeahnte Fernen; 
und Forſchungszweige erkennen ſich als engverſchwiſtert, weil 
dienend den Einzelzweigen des einen Stammes, deſſen Anfänge 
in der fernſten Vorzeit liegen. Ihr Ruf, dem „Indogermanen“- 
Problem in Erweiterung der Frage nach der herkunft der Ger— 
manen auf Grund der Rulturgeſchichte nachzugehen, hat er: 
friſchend, aufſtöbernd, belebend, erfreuend gewirkt auf Sorſchung 


130324 


VI Geleitwort 


und Anteilnahme im Volke; und ſchon ijt auch in Unſätzen eine 
„angewandte Vorzeitforſchung“ möglich und Volkskunde mit 
geſchichtlich-vorgeſchichtlicher Weitſicht! Was ſchadet es, daß 
friſcher Wind auch Staub und gröbere Sachen aufwirbelt; ſelbſt 
Gewitter ſind nur natürlich nach frohem Stürmen! Nehmt 
Alles nur in Allem: es ijt ſeitdem eine Luft, als Vorzeitforſcher 
zu leben — und als Volkheitsforſcher. Dieſer Geburtstags⸗ 
ſtrauß iſt aus vielen Gärten zuſammengetragen: Erdgeſchichte, 
Menſchenleibeskunde, Volkskunde, Glaubenstumskunde, Kunjt- 
geſchichte und Wortgeſchichte und die Mutter Geſchichte wiſſen 
Ihnen Dank! Die meiſten Gaben bringen natürlich die Arbeiten 
im Felde des Spatens! Alle deutſchen und viele fernere Länder 
ſind vertreten. Alle Geber haben denſelben Willen; die Der 
antwortung für ſeine Gabe trägt jeder gern ausdrücklich ſelbſt. 
Wären der deutſchen Dorzeitforihung ſchon größere Mittel 
zur Verfügung, wäre der Geburtstagsſtrauß ſtattlicher! Nun, 
jo ſolls der nächſte werden! Die KHusſichten ſind zwar mäßig, 
aber der Wille deſto beſſer; alſo tun Sie nun noch das notwendige 
Ihre dazu bis zur Fünfundſiebenzig! 

Deutſchland über alles! Unbeſchadet des weiteſten Blickes 
in alle Welt, wie ihn ja gerade unſere Wiſſenſchaft lehrt und 
anerzieht, ſei unſerer Kräfte Maß der deutſchen Vorzeit ge: 
widmet und der Erkenntnis der Wurzeln und Erbgänge, die 
aus ihrem Mutterſchoße in unſere Gegenwart und Zukunft 
ſteigen! In dieſem Zeichen werden wir ſiegen! 


hahne. 


— 
e, 


Guftaf Roffinna Bruder Richard 
Urzeit (in Tilfit) 


1907 
Zur Typologie und Chronologie von Guftaf Koffinna 


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Inhaltsverzeichnis. 


Geleitwort von Hh. Hahne „ 

I. Dot: und Srühgeſchi chte 
1. Sunde 

a) Rorddeutſchlaaaggggggggggggg‚‚‚‚‚‚d 


b 


C 


d 


— 


— 


— 


— 


Ein meſoli Anne Sundhorizont auf Sylt und feine Analyfe auf Grund 
der ſteintechniſchen Typologie. Studie von h. Hahne. Mit 4 Ab⸗ 
bildungen im CTeͤekkkknnkk Co more 

Über C.A, 2 a ea ß v der Ellerbek⸗Kultur aus der Eckern⸗ 
förder Bucht. E von Mee On Mit 4 Abb. im Tert 

Ein Megalithgrab bei Gier hagen im Kreiſe Ojtprignig. Don Walter 
Matthes. Mit 3 Abbildungen im Text... ttt 

Eine neue oſtpommerſche Pfahlhausurne. Don Otto Kunkel. Mit 
A Abbildungen im Ce kl 

Das parole folyeimerdhen von Wutike (Oftprignik). Don Jörg 
Cedler. Mit 1 Abbildung im Deekkktetttt!rnenmnnu 

Norboftdeutichland ET De DE a ͤ EEN 

Zwei germaniſche Grabfunde aus Rondfen, Kr. Graudenz (Römiſche 
Kailerzeit). Don Wolfgang La Baume. Mit 11 Abb. im Text 

Stelettgraber zwiſchen Weichſel und Memel aus der römiſchen Kaiferzeit. 
Zur oſt EE Gotenfrage. Don Wilhelm Gaerte. Mit 1 Karte 


Oftdeut 0 CCC 
Ein Grab Wë Stein-Bronzezeit bei Bautzen. Don Walter Stenzel. Mit 
4 Abbildungen im Teeeſktteettttũgdſ qc 
Ein bemerkenswertes Grab der Periode „Göritz II. in Wieſenau (Cand⸗ 
kreis Guben). Von M. M. Lienau. Mit 4 Abbildungen 
Eine i Siedlung aus Niederſchleſien. Don Ernſt peterſen. 
mit 7 Abbildungen im Mert. ttt 
ge? neue verzierte Canzenſpitzen der Kaiſerzeit aus Oberſchleſien. Don 
Kurtz. Mit 4 Abbildungen im TLe tet. 
FH Krauſengefäße des 4. Jahrhunderts n. a aus der Provinz 
Oberſchleſien und ihre weitere Verbreitung. Don B. v. Richthofen. 
Mit 7 Abbildungen im Teͤeeekdmeeennndnnnndd ee ee 
Mitteldeuiſchlan sss eee 
Ein Prachtſtück neolithi ae Töpferkunſt. Don Nils Riklaſſon. Mit 
10 Abbildungen im ert / ß ee 
Die . Dolche der älteſten Bronzezeit im 1 Sachſen. 
Don Gotthard Neumann. Mit 5 Abbildungen im Cerkrtt . 


Bron ne Sibelgußformen. Don O. S. Gandert. mit 7 Abb. im Uert 
Kee? Belichts- und Cürurne o Riegmed in Anhalt. Don M. König. 


ein Krötengefäß aus einem EEN en Gräberfeld von Halle: 
Trotha. Don Friedrich Holter. Mit 5 Abbildungen im 1 

Zur Frage nach der Enddatierung der Billendorfer Kultur in achſen. 
Don Georg Bierbaum. Mit 14 Abbildungen im Cent 
Die „Schwurſchwerter“ der Wartburg — Taleae ferreae. Don Alfred 
Götze. Mit 2 Abbildungen im Tek 
Eine Silberfibel der ſpätrömiſchen Zeit von Leuna, K. Merſeburg. Ihre 
Einordnung und Bedeutung. Von Walther Schulz. Mit 12 Abbil⸗ 
ungen mee Be ee Dee 
Cin SE ge in der Burgauer Kiesgrube bei Jena. Don Guſtaf 
horn. Mit 7 Abbildungen im Ten 
weſtdenlſchand J)) y ee ee 
Ein neuer Sund der Sirgenſteiner Stufe in Weſtfalen und die Srage der 
Herkunft dieſer Kultur. Don Julius Andree. Mit 4 Abb. im Tert 
Ein Knochen mit creas aus dem Rheinland. Don Carl Rade— 
moder, Mit 10 Abbildungen im Gert . 2. 2. 2 2 2 2 nn 
Germaniſche und galliihe Kulturen am Niederrhein. Unter bejonderer 
Berückſichtigung neuer Mittel-Latene-Sunde. Don Erich Rademacher. 
Mit 15 Abbildungen im Teʒeeeekkõhꝑ:ꝛ⁊iũſ ee ee 


102 
109 


121 
127 


176 


X Inhaltsverzeichnis 
Germanenfunde der Latéenezeit am en Niederrhein. Don Rudolf 
Stampfuß. Mit 7 Abbildungen im Mert... 2 2 2 2220. 
Die hannoperfd; engliſchen Benfelguburnen der Dölferwanderungszeit. 
N Schweh Stig Roeder. Mit 15 Abbildungen im Tert ........ 
V! nd hl a ae AL yet 
Die ſchnurkeramiſchen Totenhäufer von Sarmenstorf. Don hans 
P EE mit 17 Abbildungen im Tert . . . 2. 2 2 2 2200. 
F Se 0 u. . 6 Auen y x Ge Se wh 
Zur 51 ac des Schatzes von Nagy St. Miklös. Don Walter Schmid. 
bbildungen im Wert . hh 
h) Siebenbürgen „ o . ee ee te a 
Ein ae. pom EEN bei Brenndorf, Siebenbürgen. Don 
Hermann Scroller it 1 Abbildung im Tete 
ieh ens Bech ew be 
Cauſitziſche Elemente in Griechenland. Don D. Gordon Childe. Mit 
4 . ( ²˙ Se ta Re. a ee aes “ee, E Bed 
(a gea) d re fet ] ᷣ¼ͥd . ð K a EE 
Ein Wikingerſchwert mit deutſchem Namen aus Irland. Don Adolf 
Ma 100 Mit 5 Abbildungen im Tgtt erh.. 
2. Zuſammen ng F323 y 
a) Ae der Urgeſchichte des Menſcheeee??nsnsnnd 
e Kultur des Neanderthalers. Don Eduard Benin gen 
b) Porgeſchichtliche Völker und Wanderungen 
Zur W us Von In. Boſch⸗Gimpera und Georg Kraft. 
Mit 4 Abbildungen im Tckkldlldãla‚adaddddd‚‚d‚d eee ee 
Dölferwanderungen vor der "Dölterwanderungszeit in Schleſien. Don 
Martin Jahn. Mit 3 Karten im Tett.. kk 
Grundſätzliches zur Erſchließung urgeſchichtlicher Wanderungen. Don 
f ⁵ y k 
II. Bee und Nachbarwiſſenſchafte nns 
aher 
ge e aus der Vor- und Frühgeſchichte Süddeutſchlands. 
Eugen ige ee 
Natürliche Stammestunde als Hilfswiſſenſchaft der Vorgeſchichtsforſchung. 
Don hermann Albert Prietzz e 
2% Doku ee ee Ee 
Die vorgeſchichtlichen Graburnen im Volksglauben. Don Paul Sartori 
Gleitſteine Norddeutſchlands und ihre Beziehungen 40 religiöſen Anjdhauungen 
der Vorzeit. Don Martin Schultze. Mit 3 Abbildungen im Gert . . 
Se Dilstanientunde: u a sc A 38.8 RS EE Res ee a 
Der Name des Großvendigers. Ethnologiſche Skizze. Don R. §. Wolff 
Ae ORE NGTONS ehe ee er Sie ut, A SS 
Sturmgott und Sternengott. Don Friedrich Solger. ..... 2.2... 
Thors Bergung. Don Wolfgang Schultazazͤpz 
Oddi helgaſon und die Beſtimmung der GE N alten Island. 
Don Otto Sigfrid Reuter. Mit 1 Zeichnung im Tenkt 
Altgeweihte Stätten. Archäologiſche Beiträge zur deutſchen Rechtsgeichichte und 
ee e Don Erich Jung. Mit 14 Abbildungen im Text . 
5, Klaſſiſche Archäologie: 2 
ä Ornament. Don G. Rodenwaldt. Mit 5 Abbildungen im 
6. Kunſtgeſchichte i yd 
. und darſtellende Kunſt. Don Nils Aberg. Mit 8 Abbildungen 
) P he, ee a 1 
Die Entſtehung der germaniſchen Slechtbandornamentik. Don Herbert 
Kühn. Mit 20 Abbildungen im TgkmuꝶM ... 
Neue Begriffe zur Erfaſſung der deutſchen Kunſt. Don Maria Grunewald 
7. GeſchichtsſchreibunnaEansnů E 
Teutonen und Kimbern. Ein gemeinſames Arbeitsfeld der deutſchen und 
klaſſiſchen Altertumskunde. Don hans Philipp. Mit 15 Abb. im Cert 
Mitarbeiter-⸗ Verzeichniss 
ee ¶⁰yddd yy We EE 


Schlußwort von Walther SchulnnIvvͤͤͤp: ß U. 


I. vor- und Frühgeſchichte. 
1. Funde. 
a) Nordòdeutſchland. 


Ein meſolithiſcher Fund horizont auf Sylt und feine 
Analyje auf Grund der ſteintechniſchen Typologie. 


Studie von hans Habne. 
Mit 4 Abbildungen im Tert. 


Als Einleitung zu der vorliegenden 
Mitteilung ein Stückchen Erinnerungen eines 
Prähiſtorikers als Beitrag zur Geſchichte 
unſerer Wiſſenſchaft bei Gelegenheit des 
Rückwärts ſchauens zu Ehren des heutigen 
Tages! 

Die Erforſchung des Meſolithikums ijt 
jung: um 1900 begann der , Hiatus” zwiſchen 
Paläolithi kum und Neolithikum fic) zu füllen; 
um 1902 lernten wir die vorneolithiſchen 
nacheiszeitlichen Kulturen in ancyluszeitliche ‘a 
und litorinazeitliche zu ſcheiden, die einen ö 
dem weſteuropäiſchen CTardenoiſien, die 
anderen dem Campignien verwandt, — jene 
Klingen⸗Kulturen mit Knochenwerkzeugen, 
dieſe Kulturen gröberen Juſchnittes, den 
älteren Muſchelhaufen verwandt —, jene 
im ganzen weſteuropäiſch, im Norden ſeiner 
Zeit nur erſt in Spuren vorhanden, dieſe 
hier häufiger. 

Im Jahre 1891 habe ich (16 jährig) 
meine erſten Schritte in die Dorgeſchichte 
getan mit der Auffindung einer Silex-Schlag⸗ 
ſtätte in einem Dünental nördlich dicht beim 
Kronprinzenhotel bei Wenningſtedt auf der 
Inſel Sylt. Um einen Granitblock lagen viele 
typiſche neolithiſche Späne, in der Nähe auch 
ausgeſprochene neolithiſche Geräte: Dolch⸗ N 
bruchſtücke, Schwalbenſchwanzpfeilſpitze u. a. Abb. 1. Uberſichtskarte. 

m.; alles auf einer an ihrer Oberfläche intenſiv 

ſchwarzen, amorphen Feinſandſchicht, unter der ſich feine horizontalgeſchichtete 

gröbere Sande mit aufrechtſtehenden Reſten vermoderter, vertorfter Pflanzen 

fanden. In der nächſten Nähe war die obere Sandſchicht von Wind und 

und Regen zerſtört, bis hinab auf die Schotterſchicht, die die diluviale Serie 
Mannus, Jeitſchrift für Vorgeſch., VI. Erg.⸗Bd. 1 


WENNING “AtEoT > 
Ol eractaus 


INSEL Set 


2 D. Hahne [2 


abſchließt; hier ſammelte ich gröbere Geräte; ähnliche an verſchiedenen 
Stellen auf Sylt in gleicher Lage (Kliff und Binnenland). Ich nahm alles 
für das, als was es damals „Wiſſende“ anſahen: „atupiſche neolithiſche 
Geräte“; an der Schlagſtätte waren nur charakteriſtiſche Schlagklingen ver⸗ 
treten. Mit beſtimmten „Rulturen“ des damaligen Schemas war das von 
mir gefundene gröbere Inventar nicht vergleichbar; einige ſchöne Rund- 
ſchaber glichen zwar denen des Neolithikums und älterer Steininduſtrieen 
bis ins Paläolithikum. 

Im folgenden Jahrzehnt lernte ich die Silexfunde vieler deutſcher 
Gegenden aus Literatur, Muſeen und eigener Sammeltätigkeit kennen; an 
manchen Stellen, wie 3. B. auf Rügen, traf ich auf Ahnliches wie meine 
Sylter Stücke, in Muſeen und Derdffentlidungen waren dieje „rohen“ 
Formen kaum vertreten und beachtet bis auf wenige Ausnahmen von „frag⸗ 
lichem Depotmaterial“. Im „altneolithiſchen“ Inventar der nordiſchen 
Länder traf ich jedoch immer wieder auf einige „Sylter Typen”, zumal in 
Materialien der Muſchelhaufenzeit und „fraglicher neolithiſcher Fund⸗ 
ſtellen“ im Nord- und Oſtſeegebiet. 

Die Eolithenforfhung um 1900 hat manchem Prähiſtoriker, mehr 
noch zunächſt den teilnehmenden „praktiſchen Caienforſchern“, zu denen ich 
bis 1905 auch noch gehörte, die Augen für das Tecdhnifche der Steinzeit⸗ 
kulturen, zumal für die Silexſchlagkunſt geöffnet. Es tauchten ſeitdem auch 
hier und da bereits Sunde und Fundkomplexe von bisher unbekannten „primi⸗ 
tiven Steininduſtrien“ auf: ich erinnere an Eugen Brachts Troskyfunde ). 
Bracht war einer der eifrigſten Sucher und Forſcher gerade folder, bisher 
vernachläſſigter Dinge. Er, mein väterlicher Freund ſeit den gemeinſamen 
Colithenjahren 1902 — 1905, ermutigte mich auch zu weiteren Unter⸗ 
ſuchungen auf Sylt, wo er {pater auch ſelbſt ſammelte; ſeine Sunde aus 
den Jahren 1900 und folgenden ſind jetzt mit meiner Sammlung in den 
Beſitz der Landesanitalt für Vorgeſchichte gekommen. In die Geologie des 
nordeuropäiſchen Diluviums und Alluviums hat mich dann beſonders E. Wüſt 
eingeführt; wir haben 1911/12 auch in Sylt zuſammen gearbeitet und durch 
Grabungen den geologiſchen Fundhorizont der Syltfunde (wir ſprachen 
vom „Sultien“ !) feſtgeſtellt. Eine Grabung 1912 brachte ein endgültiges 
Ergebnis. Mittlerweile wurden mir dem „Sulthorizont“ zugehörige Sunde 
von Wyf und auch ſonſt aus Schleswig- holſtein bekannt; die Gruppe galt 
mir von nun ab ſicher als poſtglacial und meſolithiſch. In wiederholten 
Sommeraufenthalten habe ich auf Sylt weiter geſammelt; ſtellte mittler- 
weile immer wieder zweifelloſe „Sylttypen” in Sundgruppen aus Sfan- 
dinavien, auch aus Polen (von Roslowski mitgeteilt) feſt und fand „Be⸗ 
ziehungen“ zu Vorkommen in Ägypten, Italien, Paläſtina, auch zu Japan. 
Auffällige Einzelheiten der Bearbeitungsart der Sylttypen lernte ich zweifel⸗ 
los in La Micoque und Taubach kennen. Immer deutlicher ſchied ſich gleich— 
zeitig die mit dem Campignien verwandte meſolithiſche Sundgruppe Nord— 
europas von den meſolithiſchen Klingeninduſtrien, wie ſie in den letzten 
Jahren immer zahlreicher mitgeteilt wurden. Das von uns fog. „Haide— 
Paläolithikum“ von Wehlen u. a. fand ſich an immer zahlreicheren Stellen 
und wurde Prototyp für die meſolititiſchen Klingeninduſtrien Nordeuropas. 
In Halle wurden mir die Funde vom Galgenberg und Kriegſtedt die erſten 
Belege. Mit den Syltfunden Verwandtes war noch nicht in geſicherter 


) Bericht über Tagung in Coblenz. Mannus 1912. IV. S. 36. 


3) Ein meſolithiſcher Sundhorizont auf Sylt ufw. 3 


geologifher Lagerung bekannt. Auf Sylt habe ich bisher meine Unter⸗ 
ſuchungen nur bei den kurzen Sommeraufenthalten ausgeführt; die tupo⸗ 
logiſchen Ergebniſſe wenigſtens ſind nun ſoweit gefördert, daß ſie wohl 
veröffentlicht werden dürfen. 

Die Anthropologentagung in Hamburg 1928 ſchien mir die rechte 
Gelegenheit, endlich meine 35 jährigen Beobachtungen bekannt zu geben, 
zumal da das nordͤdeutſche Meſolithikum auf dem Tagungsplane and. In 
der Sonderausſtellung waren die Sunde vom Scyalenjee!) und andere zweifel⸗ 
los verwandt meiner Sultſtufe. Allerdings trat die Zuſammengehörigkeit 
nicht ſo ek oe in die Erſcheinung infolge einer grundfäßli anderen 
Auswahl und Tupenſonderung, als ich ſie für richtig halten muß. Ich betone 
hier ſchon im voraus, daß ſich mir eine ganz induktive, rein vom örtlichen 
Material ausgehende Erkenntnisart der „Steininduſtrien“ jeden Alters als 
richtig erwieſen hat, die ich die techniſche Typologie nennen möchte. 
Ich habe fie mittlerweile auf viele Steinzeitfundſtellen und⸗Sund komplexe, 
beſonders auch des Paläolithikums angewandt: mit wichtigen Ergebniſſen, 
die ich zunächſt in die muſeale Husſtellung in Halle eingearbeitet habe. Bei 
meiner Veröffentlichung über Taubach⸗Weimar⸗Ehringsdorf, auch bei Ge⸗ 
legenheit der Eolithenbeſprechungen habe ich fie bereits angedeutet, ohne 
bisher rechtes Derjtändnis zu finden, wohl wegen der Dorherrſchaft der 
alten Formen = Typologie. — Hier fei fie zuerſt veröffentlicht! 

Die Inſel Sylt ijt der nördlichſte 37 km lange deutſche Anteil der in 
der Vorzeit zeriſſenen ſüdjütiſchen Weſtküſte; die mittleren etwa 7 km des 
Nordſeeſtrandes der Inſel werden vom roten Kliff gebildet; es iſt der 
Steilabſturz einer großen Scholle diluvialen Blocklehmes, der hier auf tertiären 
Schichten liegt; an der höchſten Stelle ragt das Kliff bis über 30 m über die 
Nordſee empor. Nördlich bei Kampen und ſüdlich bei Weſterland, öſtlich 
etwa mittwegs zwiſchen Wenningſtedt und Braderup ſind die Grenzen des 
Kliffblocklehmes. In dem gewaltigen Rüſtennordſüdprofil find ſüdlich von 
Wenningſtedt einige Eintalungen im oberen Diluvium ſichtbar, eine davon 
ijt heute noch waſſerführend und ſteht mit hochgelegenen Quellengebieten 
bei Wenningſtedt in Verbindung, unter anderem mit dem Teich am Denghoog, 
dem wundervoll erhaltenen Megalithgrabe nördlich bei Wenningſtedt; ſonſt 
iſt die Diluvialhöhe faſt ſchildartig glatt. 

In allen klufſchlüſſen liegt auf dem Blocklehm eine vielgeſtaltige Serie 
von Kiefen und Sanden der Abjchmelzperiode, die ihrerſeits oben abgeſchloſſen 
wird von einer Hnreicherungszone großer und kleiner Gerölle, von denen 
viele, beſonders auf Kliffhöhe, ſtark windgekantet find. Der geſamte diluviale 
Komplex ijt rot bis gelb gefärbt. Die Windkanterzone zeigt allerlei Der- 
witterungserſcheinungen durch Hitze, Kälte, Waſſer und Wind: ijt alſo ſichtlich 
Ergebnis einer ſtürmiſchen Trockenzeit. Über ihr lagert überall eine um 
0,50 m ſchwankende Feinſandſchicht, der „Haidſand“ nach älterer geologi- 
ſcher Bezeichnung. Er findet ſich nämlich überall in der von Haide bedeckten 
Landſchaft der Inſel Sylt und der Nachbarinſeln, ſowie auf dem benachbarten 
Seſtlande. Meine Annahme, daß weit hinein nach Norddeutſchland, zumal 
auch in der Lüneburger Haide geologiſch, geographiſch und mineralogiſch 
derſelbe haidſand nachweisbar iſt, wenn auch mit örtlichen Verſchiedenheiten 
geringfügigerer Urt, ſcheinen ſpezialgeologiſche Unterſuchungen der letzten 
8 159. Siehe Seſtſchrift zum 50 jähr. Beſtehen d. hamburg. Muſ. f. Dölkerkunde 1928. 


15 


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NEOUTHICUM 
| MESOLITHICUM : SYLTSTUFE 
GERÖLLEZONEN 


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HAIDSAND 


| 


SANDE MIT PFLANZENRESTEN ` 


[4 


‘Abb. 2. Überſichts⸗Profil. 


5] Ein meſolithiſcher Sundhorizont auf Sylt uſw. 5 


Jahre zu beitätigen. Es fei hier bereits bemerkt, daß in und dicht unter (?) 
dieſem Haidſand überall in Norddeutſchland meſolithiſche Funde ſowohl der 
Klingenkulturgruppe, als auch der Sultſtufe vorkommen. Lavenjtedt und 
Wehlen gehören meines Erachtens hierher und auch Schalenſee. 

Der Haidfand zeigt zu oberſt intenſive Schwärzung, faſt anmoorige 
Beſchaffenheit, beſonders ſtark auf Sylt. Dieſer Horizont iſt die Oberfläche 
zur Zeit der neolithiſchen Beſiedelung geweſen, auf ihm ſtehen die 
Steinzeitgräber Sylts und hier finden ſich eindeutige neolithiſche Stücke. Mein 
Werkſtättenfund von 1891 gehört hierher. 

Das unterſte Drittel des Haidjandes zeigt 1—2 wohlerkennbare Geröll⸗ 
zonen in graubrauner Sandmaſſe mit Undeutung von Schichtungen. Die 
oberen Zweidrittel find mehr oder weniger tiefbraun verfärbte feine 
ungeſchichtete Sande. Zwiſchen den Geröllzonen (3. T. in die obere hinein⸗ 
ragend) und der ſchwarzen Oberfläche liegen die Sunde meiner Sylt- 
kultur. Über dem Haidjand liegen flächige Dünenſande und Dünen; auf 
und in ihnen „rezente“ Kulturrejte bis zur Gegenwart. 

Knochen von Menſchen und Tieren, Knochengeräte, Keramik fand ſich 
im „Sylthorizont“ nirgends, wohl aber zerſtreute Holzkohle; viele der Werk⸗ 
zeuge und bearbeiteten Geſteinstrümmer ſind zerbrannt. 

Der jährliche Kliffabbruch durch Seeangriff beträgt durchſchnittlich 5 m; 
dabei weichen auch die Rüſtendünen zurück und geben, wenn Sturm und 
Regen fie bearbeiten, immer weitere Haidſandflächen frei, die dann eben: 
falls, weil der Sand leicht beweglich iſt, ſchnell abgetragen werden. Die im 

Sand enthaltenen Geſteine bleiben liegen und vermiſchen ſich allmählich mit 
den ebenfalls ſchwer beweglichen groben Maſſen der Windfanter= und An⸗ 
reicherungszone. Wird auch die Moräne (Blodlehm), die bei Kliffhöhe 14 m 
dick iſt, von oben her angegriffen, ſo ſinkt der ganze grobe Geſteinsteppich 
ſchließlich weiter in die Tiefe derartiger atmosphäriliſcher Erofionsmulden- 
gebiete. Die Slugjande und Wanderdünen verdecken zeitweilig alles wieder; 
die dauernden Sandwehen und Sandſtürme polieren alle Geſteinstrümmer 
und die Geräte bei ihrem Verweilen an der neugebildeten Oberfläche. 

Die ſekundären Unreicherungszonen dieſer Art auf dem Kliff find 
die leichteſt zugänglichen Jundſtellen der Syltitufe. Un friſch zerſtörten Haid— 
ſandſtellen haben die Stücke „friſcheres“ Husſehen; aus der Schicht genommene 
ſind noch „duff“, und die kbſpliſſe zeigen bisweilen noch Luftgehalt unter 
SE eeh Abjplipjchiippden, z. B. an den Rernſteinen und an gedengelten 

ändern. 

In verſchiedenartigen Aufjchlüffen, wie Wegerändern, Bauſtellen uſw. 
im Inneren des Landes werden freigelegte Geräte der Sultſtufe, ohne wind— 
poliert zu werden, bisweilen patiniert: bei erdfriſchen Stücken mit milchiger 
bis hochweißer Farbe. | 

Die meiſten Geräte der Sultſtufe find aus Silex hergeſtellt, beſonders 
dem ſchwarzgrauen Mukronatenſilex und oft aus Bryozoönfeuerftein; feltener 
aus verſchiedenen anderen Gejteinen. 

Um manche Eigenarten der Sultſtufe zu verſtehen, die zugleich 
paradigmatiſch ſind für andere Fundgruppen, iſt es nötig ſich zunächſt 
auch noch zu vergegenwärtigen, was das Grundmaterial dieſer Stein— 
induſtrie „geologiſch erlebt“ hat, bis es in Menſchenhand zu Geräten 
geformt wurde. 

In der Grundmoräne ſind zahlreiche mehr und weniger zerſchundene 
Silexknollen und broden verhanden; viele find zerquetſcht und zeigen den 


6 H. Babne [6 


auf „Gletſcherdruck“ zurückzuführenden Juſtand: Schrammen, Kritzen, Schal- 
abspliſſe, Stufenbrüche, Druckſteilbuchten, Pſeudoranddengelungen und andere 
Jerſchindungen (vgl. meine Ausführungen 3. B. Rorreſpondenzbl. d. dtſch. 
anthr. Geſ. Tagungsberichte: Greifswald 1904; Salzburg 1905; beſonders 
Tübingen 1911; Bericht d. Tagung d. Naturf. u. Ärzte: Breslau 1904; Prot. 
d. Arch. geol. Gef. XII, 1905; Tagung d. Gef. f. dtſch. Vorgeſch. Hannover 
1909; Jeitſchr. f. Ethnol. 1904, S. 53, 1905, S. 1024). 


Diele Geſteine ſind zerklüftet und zu annähernd rechtwinkligen Trümmer⸗ 
formen zerfallen, zeigen auch Abplagungen von Flächenſchuppen („cupules“) 
meiſt mit Verſteinerungen und anderen Einſchlüſſen im Jentrum, um das 
annähernd konzentriſche Wellungen laufen. Es ſind das Zerſpellungen durch 
Atmospharilien, die heute noch geſchehen. 

Innerhalb des Mergels ijt wenig Patina und wohl gar keine Glanz: 
bildung an Knollen und Trümmern von Siler vorhanden, vielmehr häufig 
Rauhungen, d. h. Oberflächenzerſetzung durch Verwitterung. Diele Siler- 
ſtücke aus dem Mergel ſind gut ſchlagbar im Sinne der ad lung von Stein⸗ 
geräten. Menſchliche Geräte kenne ich aus den diluvialen 
Schichten nicht, — auch nicht aus dem oberſten Gerdlle-, Sand- und Ries⸗ 
ſchichten, die wohl der Epiglazialzeit angehören. Aud) die (früheſt⸗poſt⸗ 
glaciale?) Hnreicherungszone und die mit ihr wohl identiſche Windfanter- 
zone ijt, wo fie intakt unter wohlerhaltenem Haidſand liegt, ohne menſch⸗ 
liche Spuren, ebenſo die untere, wahrſcheinlich auch die zweite Geröllzone 
des unteren Haidſanddrittels. Hier tritt ſehr häufig matte milchige, dicke 
Patina an den natürlichen Silextrümmern und Geröllen auf, die faſt alle 
wenig geeignet als Husgangsmaterial für Herſtellung von Steingeräten ſind. 
Geräte, die gelegentlich ſchon nahe der Geröllzone gefunden werden, ſind 
duff, wie die übrigen im oberen Haideſande. 


Die zahlloſen Trümmerformen der Unreicherungszone dagegen 
müſſen herausgefordert haben zur Verwendung als Geräte, wenn Menſchen 
jie fanden (eventuell auch durch Aufgrabung gewannen), die mindeſtens 
die „eolithiſche Mentalität“ hatten, alſo die Fähigkeit, Naturtrümmer ohne 
weiteres oder nur unter hinzufügung geringfügiger nachhelfender Be- 
arbeitung als Gerät zu benutzen. Derlodend mußte dieſes Material, unter 
dem fic) viel gut ſchlagbare Knollen und größere Trümmer finden, auch 
ſein für Menſchen, die im Beſitz erfahrungsmäßiger Werkzeugsvorſtellungen 
fortgeſchrittener Art waren. Uns, die wir nach dem bisher üblichen Schema 
in Steininduſtrien jeden Alters die üblichen Sormentypen der Klopfſteine, 
Kernjteine, Meſſer, Bohrer, Kratzer und Schaber zu ſuchen gewöhnt find, 
ijt es leicht, alle dieſe Formen ſozuſagen natürlich vorgebildet hier 
zu finden. Eine leichte Herrichtung läßt durch Schlagen, Preſſen, paſſive 
Retouche u. dgl. auch mit geringer experimenteller Erfahrung ſchnell allerlei 
Geräte herſtellen. Auch wenn Wagen über ſolche Schichten fahren und andere 
natürliche zertrümmernde Einwirkungen auftreten, werden die Kanten und 
Schärfen dieſer Naturtrümmer pſeudo-xetouchiert, aber immer in der wohl— 
bekannten ſinnloſen, unregelmäßigen Art der „nichtintentionellen“ Jer— 
ſchindung ). 

Kerniteine und gute ÜUbſpliſſe und mancherlei nunmehr als Typen 
erkannte Stücke entſtehen weder auf natürliche Weiſe, noch durch ſolche Zufälle. 


1) Aud) Übungserperimente von Kollegen und Kollegoiden treten gelegentlich 
auf! Es wäre nützlich, daß jie an jo wichtigen Fundſtätten nicht liegen gelaſſen würden. 


7] Ein meſolithiſcher Sundhorizont auf Sylt ufw. 7 


Das Geſamtbild der Sultſtufe zeigt vielmehr eine techniſch⸗tuypologiſche 
Einheit vom Rohmaterial bis zu den feinſten und vollkommenſten Geräten. 
Es fet im voraus betont, daß ſämtliche Typen zum Teil aus Natur⸗ 
trümmern mit deutlich verfolgbarer geringer Herrichtung entſtanden ſind, 
zum größeren Teil unter Anwendung zielbewußter weitergehender, oft ge⸗ 
radezu genialer Anwendung geſchickter Nachhilfe durch Schlag und grobe 
Drucktechnik; ſehr viele find hergeſtellt aus abſichtlich geſchlagenen Abſpliſſen 
von der gröbſten bis zur feinſten Art. So könnten Trümmergeräte, 
Kernſteingeräte und Abſchlaggeräte innerhalb der Tupenſerien unter: 
ſchieden werden. 

Wichtig iſt die ſich ſofort erhebende Frage: Sind die aus Naturtrümmern 
„ohne weitere Formungsbearbeitung“ gefertigten Stücke nur bequeme Nach⸗ 
ahmungen von den anderen, aus abſichtlich hergeſtellten Schlagtrümmern 
gemachten, — oder umgekehrt? Beſaßen alſo die betreffenden Menſchen 
der Sultſtufe bereits eine regelrechte „Steininduſtrie“, die fie infolge der Auf: 
findung des bequem vorbereiteten Rohmateriales ſozuſagen ins Eolitbijche 
bzw. KUrchäolithiſche zurückfallen ließen, — oder bildeten fie auf Sylt und an 
entſprechenden Stellen infolge der hilfeleiſtung der Natur und ihrer Bereit⸗ 
ſtellung verlockender Trümmerformen eine ihnen bereits zugehörige alter⸗ 
tümliche Steininduſtrie weiter aus bis zu der Sylter Stufe? Die Anwendung 
einer möglichſt ſtrengen techniſchen Typologie wird Klärung ſchaffen und den 
Sonderfall zeigen, daß die Sylter Nacheiszeitleute Menſchen mit beſtimmten 
Gerätevorſtellungen waren und einer typifchen Formgewöhnung, die ihre 
Zugehörigkeit zu dem Umkreis der weitverbreiteten Kultur: 
ſtufe der Campigniengruppe erweiſt. In Anpaſſung an ihr örtliches 
Steinmaterial und ſicher aus Notwendigkeiten ihrer Sylter Lebensbe- 
bedingungen „modifizierten“ fie ihr „Vorſtellungserbe“ weitgehend, fait 
bis zur Unkenntlichkeit, als ſei ein „eolithiſches Erbe“ in ihnen lebendig. 

Dieſer Fall muß während aller Steinzeitperioden immer wieder vor⸗ 
gekommen fein; er ijt mir ſeither deutlich geworden, 3. B. in Taubach und 
an anderen Fundorten, wo ein örtlicher Materialmangel herrſchte. Sowohl 
ſehr ſchlechtes als ſehr gutes Ausgangsmaterial wird etwaige in ſeinem Be- 
reich eingewanderte Steintechniken örtlich wandeln. Beſonders leicht waren 
bisher ſchon ſolche Beobachtungen an Induſtrien mit auffälligen wohl: 
erkennbaren Gerätformen zu machen, fo an den Klingeninduſtrien oer: 
ſchiedenen Alters. Aber dieſe Gruppen find erfahrungsgemäß jo hartnäckig 
in der Wahrung ihres Formkreiſes geweſen, daß ſie faſt immer nur Kaliber 
und Schönheit ihrer Geräteformen beeinfluſſen ließen. Ein ſchönes Beiſpiel 
ijt eine faſt unmöglich kleinkalibrige Klingenfultur von Rauſchen in Samland 
(durch D S. Kraufe gefunden), deren Ausgangsmaterial kleine Strand: 
gerölle waren. Andererſeits ſind aus den klurignacſtufen und anderen 
Horizonten des Dezeretalgebietes mit feinem ſchönen Silexgrund material 
vielfach auffällig „primitive“, richtiger urzeitlich großzügige Geräte bekannt 
geworden, die faſt die ganze damals „moderne“ Typenreihe der betreffenden 
Stufen über den Haufen geworfen haben: z. B. aus Abri Laufel. 

Anders ſchon verhalten ſich die altpaläolithiſchen Gruppen, zumal die 
Sauſtkeilkulturen und auch die noch etwas als archäologiſche Rumpelkammer 
behandelte Le Mouftier-Kulturfolge. Das „Primitiv-Mouſtérien“ 3. B. 
ſcheint ein Kümmer-Mouſtérien (übrigens mit Sultſtufenähnlichkeit einiger 
Typen!) zu fein infolge Materialmangels, z. B. im Sirgenſtein. Für die 


8 , D. Hahne ) [8 


Frage der Einordnung von Taubach⸗Weimar⸗Ehringsdorf) find mir 
dieſe Seititellungen beſonders wichtig geworden, denn dort herrſchte in den 
unterſten Horizonten (Taubad; und Weimar) ſichtlich Materialkümmernis, 
während zur Zeit der klaſſiſchen Ehringsdorfhorizonte, und auch ſchon an 
gewiſſen Stellen des Taubachhorizontes beſſeres Grundmaterial zur Der 
fügung geſtanden haben muß, was allein ſchon den ſchnellen Formenwandel 
zum klaſſiſchen Ehringsdorfinventar erklärt. Gerade in Taubach „unten“ 
treten auch Ahnlichkeiten mit der Syltitufe auf und bleiben in Ehringsdorf 
andeutungsweiſe beſtehen, vielleicht wieder eine „Erb⸗Beziehung“. 

Aud) in Ca Micoque hat die Grundmaterialgüte gegenüber ſonſtigen 
Mouſtérienhorizonten tupologiſche Derheerungen angerichtet, wenigſtens in 
den Köpfen mancher heutigen Bearbeiter! Das berühmte „Typengemiſch“ 
ijt allerdings nur zum Teil tatſächlich vorhanden und zwar als Riſchung 
von ausgeſprochenen Spätmouſtierformen, unter denen 3. B. infolge der 
Materialgüte aus ſehr großen, dicken Abſchlägen nicht nur Spitzen, ſondern 
durch zweiflächige feinſte Bearbeitung Pſeudofauſtkeile, die bekannten klaſ⸗ 
ſiſchen fauſtkeilartigen Spitzen, geſchlagen werden konnten; wie ich ſchon an 
anderer Stelle und vielfach mündlich und bei muſealer Darlegung betont habe, 
ijt nun aber in La Micoque in großem Umfange auch natürliche Jer-- 
trümmerung und ZJerſchindung der maſſenhaften Abſchläge und Abfälle 
geſchehen, gelegentlich auch fertiger Geräte der Mouſtierart! ?) Alles das 
ſinnloſe groß- und klein⸗ und ganz kleinkalibrige „Steingemüſe“, das eben 
nicht menſchlicher Ubſicht entſprungen ijt, dt alſo auf komplizierte Weiſe ent⸗ 
ſtanden! Die gleiche Beobachtung konnte ich in Le Mouſtier machen: dort 
iſt durch eine Mouſtérienſchicht eine Zeitlang offenbar ein höhlenbach ge: 
floſſen und hat ähnliche Derheerungen angerichtet. Huch für gewiſſe Er⸗ 
ſcheinungen in Taubach⸗-Weimar⸗Ehringsdorf habe ich den gleichen Verdacht. 
Meine Beobachtungen am Seejtrand von Rügen und in den Kreidemühlen 
lieferten die gleichen ſinnloſen Produkte, wenn abſichtlich geſchlagene Silex⸗ 
trümmer kurze Zeit, nicht bis zur Derjtumpfung der Ränder in die Schwemm⸗ 
bottiche bzw. die Brandung gerieten. Ganz beſondere Bedeutung haben ſolche 
Erfahrungen und Experimente, 3. B. meine Hochdruckverſuche, wie für die 
Klärung der fog. Eolithenfrage, fo auch für die Feſtſtellung natürlicher Zer⸗ 
trümmerungs- und Jerſchindungsformen des Silex überhaupt, die zu kennen 
notwendig iſt, wie man ſieht. 

Es iſt eine an Unmöglichkeit grenzende Schwierigkeit, alle dieſe Dinge 
in Veröffentlichungen allgemein verſtändlich klarzulegen, fo lange nicht 
die Möglichkeit ſehr ausgedehnter zeichneriſcher Darſtellung und Wiedergabe 
und weitgehender Beifügung vergrößerter photographiſcher Aufnahmen por: 
handen iſt. In der praktiſchen Unterweiſung, weiß ich, ſind alle dieſe Dinge 
ſchnell weiterzugeben, natürlich nur an dafür „Begabte“. Die Formenkreiſe des 
Préchelleen bzw. des Eolithitums und Archdolithifums find gar nicht zu per: 
ſtehen und zu entwirren ohne alle dieſe Kenntnijje. Sie find auch geradezu 
die Prototypen für die hier angedeuteten Zuſammenhänge zwiſchen 
Materialverſchiedenheit und Dariabilität der Geräteformen 
und der Geräteherſtellungstechnik; denn für die Menſchen dieſer 
Stufen ſtand im Dordergrunde ihrer Gerätebeſchaffung durchaus der 


1) Dal. u. a.: Zeitſchr. f. Ethn. 1907, S. 261; Zentralbl. f. Mineralogie uſw. 1908, 
Nr. 7, S. 197; Tagung Hannover 1909. Mannus Bericht; Prähiſt. Derſammlung Köln 
1907. Korr.⸗Bl. dtſch. anthr. Gef. S. 10. 

2) l. c. Tübingen. 


9] Ein meſolithiſcher Sundhorizont auf Sylt ufw. 9 


Geräte zweck, d. h. die Arbeitsabficht, noch nicht die Formabſicht; es beſtand 
zwar eine vorgefaßte, techniſch⸗typologiſch zu verſtehende Gerätevorſtellung, 
aber nicht eine die Geſamtform der Geräte betreffende „Forme precongue‘ ! 

Ein merkwürdiges Wiederhinneigen zu „primitivem“ Verhalten bei 
der Geräteherſtellung liegt nun zweifellos auch in der Syltſtufe vor. — 

Ganz zweifellos iſt die Feſtſtellung, daß ſich die Geräte ſtellenweiſe 
in größerer Unzahl angeſammelt vorfinden; hie und da um große Blöcke 
und in der Umgebung von Anſammlungen mittlerer Gerölle, die vielleicht 
herdſtellen oder irgendwelche Begrenzungen innerhalb von Wohnplätzen 
gebildet haben. Die Kliffhöhe hat bisher am wenigſten Gerät geliefert und dabei 
auffallend gute; es machte mir den Eindruck, als ſeien an den hängen und in 
den Mulden des Diluvialplateaus die eigentlichen Wohn⸗ und Arbeitsplätze 
geweſen, in die zum Zwed der Verarbeitung alles brauchbare Grundmaterial 
zuſammengeſchleppt worden ijt. Daher auch die vielen, nach wenigen charakte- 
riſtiſchen Schlägen offenbar als unbrauchbar liegen gelaſſenen Arbeitsſtücke. 
In der Umgebung und entfernt von den Siedelungen hat naturgemäß eben: 
fells mancherlei Arbeit ſtattgefunden, aber mehr mit fertigen Geräten. 

Noch eine Beobachtung ſcheint mir wichtig zu ſein, nämlich daß immer 
wieder eine beſtimmte Typengeſellſchaft an den verſchiedenen Haupt: 
Anjammlungsitellen oft ganz dicht beieinander auftrat, 3. B. eine Unzahl 
rundſchaberartiger Geräte bei zahlreichen ſchneidenden und einigen ſpitzen 
bohrerartigen Formen; dabei dann in größerer Jahl die zackigen Formen (ſiehe 
unten); oft von jedem Tup auch nur ein Stück! „Balken“ und beilförmige 
Geräte fanden ſich ganz vereinzelt, mehrere der mir bekannten außerhalb 
der größeren Anjammlungen. Die zerbrannten Geräte find häufig in 
den Anjammlungsitellen; es ijt ſehr natürlich, daß Geräte ins Heröfeuer 
geraten ſind. Naturtrümmer ſind kaum zerbrannt gefunden, wohl aber 
große Gerölle, die wohl zum Herdrand gehört haben. 

Der Überſicht halber ſeien nun die techniſch-typologiſchen haupt— 
formen in der Reihenfolge genannt, wie ſie die ſteintechniſche 
Unterſuchung ergab. Der Siler reagiert in grundſätzlich beſtimmter 
Weiſe auf Gewalteinwirkungen, die ihn treffen; Übſplißformen und Aer 
klüftungen an ſich entſtehen weitgehend gleichartig bei natürlichem zufälligem 
Sertrummern wie bei ſinnvollem Bearbeiten; der Unterſchied beſteht in 
der Anordnung der Bearbeitung, der Dermeidung gewiſſer das Gerätbild 
ſtörender Jertrümmerungen und vor allem in der Ausleje geeigneter Aus- 
gangsſtücke. 

I. Klopfſteine beſtehen überwiegend aus Quarzit und Felsgeſteinen. 
Manche ſehr große Formen mit ſtarker, faſt zu Abplatiungen führender Be- 
nutzung einer Stelle ſcheinen mir Umboſſe für paſſive Bearbeitungen zu fein 
(Nr. I u. 2.) Vielleicht find auch manche der „Balken“ (IX) Bearbeitungs- 
geräte. Das Kaliber der zweifelloſen rundlichen, gut handlichen Klopfſteine 
iſt verſchieden: von Fauſtgröße bis zu kleinen, ganz zierlichen, ſehr gut ge: 
wählten handlichen Stücken. Die nächſten Folgen der Steinſchlagekunſt mit 
ſolchen Klopfſteinen verſchiedenen Kalibers, find überall zu unterſcheiden: 
grobe Abjchläge (IV) und grobe Schlagnarben in Form der bekannten 
Hhalbmonde und Ringe an den Klopfflächen beſonders der Kernjteine und 
feine und feinſte Klopfſpuren und Übſchläge von allen Typen. 


II. Kernjteine find in großer Menge und von ſehr verſchiedener 
Größe vorhanden und zeigen drei hauptformen gemäß der verſchiedenartigen 


[10 


Hahne 


A 


10 


1/, nat. Gr. 


Abb. 3. Gerattypen. 


11] Ein meſolithiſcher Sundhorizont auf Sylt uſw. 11 


Abb. 4. Gerättypen. ½ nat. Gr. 


12 D. Hahne [12 


Herrichtung, die auf Erzielung beſtimmter Abſchlagformen beruht: 1. un⸗ 
regelmäßige Kerne, von denen Übſchläge „wie fie ſich gerade ergaben“ 
gewonnen worden ſind; die ſtark zerarbeiteten Stücke zeigen den gleichen 
Charakter wie die angefangenen. 2. Eine ganz charakteriſtiſche Ve Sorm 
nimmt ihren Ausgang von flachen Knollen, von denen in die Flächen hinein 
ringsherum Hbſpliſſe geſchlagen find. Es entſtanden fo Stücke, die an die 
diskusförmigen Kerniteine des . erinnern, die aber auch in Ägypten, 
Italien, den nordiſchen Bezirken des geſamten Steinalters, häufig in La 
Micoque und Taubad)- Weimar⸗Ehringsdorf vorliegen. Das Ergebnis find 
„Iindenblattförmige“ und rundliche Abjdlage, zur Heritellung von Spitzen 
und Rundformen gut geeignet und von einer Regelmäßigkeit der Form, die 
bei gröberen Kernjteinen ſchwieriger zu erhalten iſt. 5. Langformen, melt 
von annähernd zulindriſchen, ſchon von Natur prismatiſchen Stücken ab⸗ 
gearbeitete Abſchläge, CTangabſpliſſe, die bisweilen ſchon durch die Be: 
ſchaffenheit der Knollen und des Materiales als gute Lamellen entſtanden 
ſind; aber ganz ſelten ſind ſie von der Feinheit der aus den Klingeninduſtrien 
her bekannten. An allen Stücken ijt deutlich, daß Schlagtechnik, nicht Druck⸗ 
technik angewandt worden ijt. Kufſchlußreich find Stücke, die weggeworfen 
ſind, weil ein e? Gë Maſſe liegendes Hindernis weitere Abfpellungen oer: 
eitelte. (Nr. 3, 4 u. 5. 

III. 1 beſonderer Art, die anſcheinend nicht Oe nicht 
mehr!) zur Gewinnung von Abfdlagen gedient haben, ſind die „Polueder“, 
bei deren Herrichtung es offenbar darauf ankam, möglichſt viele unregelmäßige 
ſcharfe Kanten und Spitzen zu gewinnen. Derartiges wird in anderen Stein⸗ 
induſtrien als Wurfſteine angeſehen. Manche von ihnen ſind länglich, 
auch annähernd ſcheibenförmig und kegelförmig. (Nr. 6.) 

IV. Die Abſchlagformen ſind entſprechend den Rernſteinformen 
rundlich, blattförmig, lamellenartig oder unregelmäßig. Auffallend viele 
zeigen „Schnabelform“, was für die Formgebung gewiſſer Inſtrumente 
(XIII, XVI) wichtig wurde. Entſprechend dem im Ganzen klein- und mittel⸗ 
kalibrigen Grundmaterial find ganz große Ubſchlagformen ſelten; fie find 
auffälligerweiſe meiſt nicht weiter bearbeitet, bis auf die lamellenförmigen, 
die als Meſſer wieder erſcheinen. 

Es folgt nun eine für die Sulterſtufe ganz beſonders kennzeichnende 
Gruppe (V—IX), deren Einzelformen ebenſo häufig aus Knollen und groben 
Naturtrümmern, wie aus groben Abjdlagen hergeſtellt worden find. 

V. Zadentantige. Meiſt recht grobe Stücke verſchiedenen Kalibers, 
die dadurch gekennzeichnet ſind, daß eine oder mehrere Kanten mittelſt weniger 
großer Schläge grobzackig geſchlagen ſind, meiſt ſo, daß die Jackenreihe längs 
einer Flachſeite des Stückes angeordnet ijt. Es gibt Zwiſchenformen zu den 
Dolyedern hin; vielleicht gehören als Geräte auch III und V zuſammen. 
Manche Stücke find ſichtlich „Sägegeräte“. (Nr. 7, 8 u. 9.) 

VI. Spitzzackige. Huch dieſe Gruppe iſt mit III und V verwandt; 
ihre Eigenart beſteht darin, daß eine Fpitze beſonders herausgearbeitet 
worden iſt; bisweilen iſt rechts und links neben ihr noch je eine kleinere vor— 
handen. Die Stücke find im ganzen oft dreieckig pyramidenförmig; fie haben 
Form- und offenbar Gerätbeziehung zu XII und XIV. Manche ſind offen- 
ſichtlich „Bohrer“. (Nr. 10, 11 u. 12.) 

VII. Steilgeſchlagene. Meiſt plattenförmige oder quaderförmige 
Stücke, an einer oder mehreren langen Flächen durch aneinandergereihte ſorg— 
ſame Abſchläge bearbeitet und zwar nur mit großen, nicht mit darauf— 


13] Ein meſolithiſcher Sundhorizont auf Sylt uſw. 13 


geſchichteten kleineren und kleinſten Abſchlägen. Sehr oft liegen nur zwei ſehr 
regelmäßige und gleichgroße Ubſchläge nebeneinander. Längere Stücke 
ſehen aus wie Gebißreihen. (Nr. 13.) 


VIII. Flachgeſchlagene. Mit den vorigen (VII) verwandte Stücke, 
aber ſichtlich das Beſtreben zeigend, an ſich ſchon flache Knollen und 
Trümmer noch flacher zu geſtalten, meiſt durch Bearbeitung einer Fläche, 
die dann auffallend regelmäßig von allen Kanten her laufende Flachabſchläge 
aufweiſt. meiſt find es annähernd rechtwinklige Stücke. Einige größere 
Stücke tragen dieſe Bearbeitungsart an zwei Flächen; es entſteht dadurch 
etwas den fog. „Vorarbeiten“ neolithiſcher Slachbeile Ahnliches, wie es aber 
auch in der Campigniengruppe vorkommt und in paläolithiſchen Induſtrien. 
Manche Stücke laſſen an Verwendung als geſchärfte „Wurfſcheiben“ denken! 
(Nr. 14 u. 15.) 


IX. Balken. Stücke in der Technik von VII und VIII, aber ausgeſprochen 
formgewollt. Mehrere mir bekannte Stücke haben eindeutig gewollten recht⸗ 
wintligen Cängs- und Querſchnitt, find alſo Balkenformen im engeren Sinne. 
Vielleicht find es Seuerſchlagſteine? Andere find vielleicht nur infolge 
Materialverſagens unregelmäßiger; einige haben ſichtlich Neigung zu Ipitz⸗ 
formen, mehrmals mit linſenförmigem Querſchnitt. Dieſe Stücke könnten 
auch zu XI geſtellt werden. (Nr. 16, 17 u. 18.) 


X. Mandelformen. Eine nicht geringe Anzahl verſchiedenen Kalibers. 
Die meiſten zeigen ganz ausgeſprochen die Abficht, aus bearbeiteten Kern- 
ſtücken fauſtkeilartige Geräte herzuſtellen, deren eines Ende ſtumpf, dick 
und wenig bearbeitet iſt, deren anderes Ende eine meiſt breite ſchneidende 
„Spitze“ darſtellt. Dieſer offenbar als „Arbeitsſtelle“ des Gerätes gedachte 
Teil verdankt ſeine Beſchaffenheit häufig feinerer Bearbeitung, meiſt aber 
iſt es der unbearbeitet gelaſſene ſcharfrandige bis ſchneidend⸗flache Teil eines 
großen natürlichen Trümmers oder künſtlichen Ubſchlages oder die Stelle, 
wo zwei Schlagflächen, die an dem Stück angebracht worden ſind, in einer 
Schneide zuſammenlaufen. Die Materialkümmernis hat es mit ſich gebracht, 
daß ſehr verſchiedene, oft geradezu grotesk anmutende, aber von überlegener 
Materialbeherrſchung zeugende Schlagmaßnahmen angewendet worden find, 
um den Gerätezweck zu erreichen. Auch dieſe Formen könnten kümmerliche 
Ausführungen im Sinne von Gr. XI fein. (Nr. 19, 20 u. 21.) 


XI. Cangbeilformen. Stücke von eindeutiger Urtung, gekennzeichnet 
durch dreieckigen oder linſenförmigen Querſchnitt, dickes „Griffende“ und 
ſpitz ſcharfes „Urbeits⸗Ende“. Einige Stücke find völlig gut gelungene Kern: 
beilformen des Schemas der Pics aus dem Campignien. Mehrfach kommen 
aus groben Hbſchlägen hergeſtellte Stücke vor mit einer faſt löffelförmigen, 
aber nicht geſondert bearbeiteten Spitze. Wieder ſind es meiſt, wohl infolge 
des Materialmangels, kleinere Stücke. Das einzige von mir gefundene Stück 
in der Cänge von faſt 20 em trägt an der äußerſten Schneideſpitze beider— 
ſeitig Schliff! Es iſt nicht in der intakten Schicht, alſo nicht an primärer 
Lagerjtelle gefunden; demnach iſt auch nicht ſicher auszuſchließen, daß 
es ſeinen Schliff erſt ſpäter, vielleicht im Neolithikum, bekommen hat. 
(Nr. 22 u. 23.) 

Die 15 Formen XII und XIII ſind wieder ſozuſagen eine 
Sippe im ſchlagtechniſchen Sinne; als Geräte ſcheinen ſie der gleichen Abſicht 
entſprungen; infolge der Materialeigenart find fie techniſch-typologiſch ver: 
ſchiedenartig. 


14 D. Hahne (14 


XII. Grobe Bogenfpißen. Aus Knollen, Trümmern und Übſchlägen 
in ſehr verſchiedenem Kaliber hergeſtellt. Kennzeichen für alle iſt die Bogen⸗ 
form der bearbeiteten Gerätſpitze. Das ganze erinnert an die Papageien⸗ 
ſchnabelformen des Paläolithikums, die aber auch im Meſolithikum und 
Neolithikum überall häufig find; in Sylt find fie beſonders grob. (Nr. 24 u. 25.) 

XIII. Schneide- und Reißſpitzen. Ahnlich XII, aber von feinerer 
Ausführung, meiſt aus von vornherein ſchnabelförmigen Spitzabſchlägen her⸗ 
geſtellt, bisweilen mit ganz geringer Nachhilfe zum Beſten der Geſamtform; 
meiſt mit Handlichkeitsanpaſſungen an der Baſis oder am Rückenteil. Die 
Arbeitsitelle, die Hohlſpitze, ijt meiſt gar nicht, gelegentlich aber auch ſehr 
fein, ſogar flächig gedengelt, fo daß die Abſicht, eine Schneideſpitze zu er: 
halten, ganz deutlich wird. Andere Stücke ſcheinen mehr zur Verwendung 
als Bohrer verſchiedener Feinheit beſtimmt geweſen zu ſein. (Nr. 26 u. 27.) 

XIV. Hohlgeſchlagene. Huch dieſe Formen haben ganz grobe und 
ganz feine Vertreter: aus Knollen, Trümmern und Abfdlagen hergeſtellt. 
Schon unter den ſteilgeſchlagenen Stücken (VII) und den Jackenformen (V) 
ſind vielleicht hierher gehörige Gerättypen. Das kennzeichnende iſt die zweifel⸗ 
los gewollte Herſtellung einer konvexen Arbeitsitelle von der Art der Hohl⸗ 
ſchaberkanten; es find aber ſehr grobzackig⸗geſchlagene Stücke nicht ſelten; 
andere wieder find von großer Feinheit der Arbeit an der Arbeitsitelle. Die 
großen Kaliber find nie ſehr fein gedengelt; fie ſind alſo nicht etwa nur 
„Vorarbeiten“, ſondern eben grobe Typen! Die Geſamtformen find ſehr 
verſchieden: Querformen und Langformen; die Kerben nehmen öfters die 
ganze Quer: oder Cängsſeite eines Stückes ein; dieſe Typen find am meiſten 
verwandt mit VII, bisweilen ſitzen an Langformen mehrere Kerben neben- 
einander; oder ſie ſitzen bei Langformen an einer Querſeite. Oft liegen 
zwei ſorgſam geformte Kerben nebeneinander, während die Spike keine 
Bearbeitung zeigt. (Nr. 28, 29, 30, 31, 32.) 

Die Formen XV und XVI find wiederum eine Sippe, ebenfalls von 
groben und feinen Formen und mit wenig oder feiner Bearbeitung. 

XV. Meſſerformen. Natürliche und künſtliche Ubſchläge. Zweck und 
Hauptformenanteil ijt eine ſchneidende Kante. Häufig find Lamellenformen. 
Aus unregelmäßigen Abjdlagen find oft Dreieck- und Trapezformen durch 
einfaches Zerſchlagen hergeſtellt. Die Schneidekante ijt auch bei groben, 
dicken Stücken oft durch feine und feinſte Slächendengelung (paſſive Retouche 
oder Druckretouche) erzeugt. Manche Späne zeigen nur an den Griffſtellen 
etwas Unpaſſungsbearbeitung, an den Arbeitsitellen keinerlei Herrichtung, 
wohl aber ausgeſprochene Zerarbeitung, Ubnutzung, gelegentlich ſogar bis 
zum Hochglanze geſteigert. (Nr. 33 u. 34.) | 

XVI. Schneideplatten (E. Bradt). In allen Steinzeitinduftrien 
eine kaum beachtete, aber zweifellos äußerſt wichtige Gerätſippe. Es handelt 
lid) oft um ſehr grobe Meſſerformen, die aber nicht die Langform erſtreben, 
ſondern eher rundliche Schneiden, vergleichbar den Ledermeſſern der Schuſter 
auch u. a. dem bekannten „Frauenmeſſer“ der Eskimo. häufig ſind auch 
Formen, bei denen die runde Schneide neben einer Spitze liegt und Spitze und 
Schneide aus dem Gerätſtück pflugſcharähnlich hervorragt. Manche Stücke 
ſind ringsum grob „geſchärft“, vielleicht, um als „Wurfſcheiben“ zu dienen 
(vgl. bei VIII). Ich möchte für Sylt und andere Steininduſtrien grund— 
ſätzlich ſcheiden zwiſchen Scheibenformen und Pflugſcharformen. Beide 
können dick ſein, die Scheibenformen ſind dann den gemeinhin als Rund— 
ſchaber aufgefaßten flachen Rundformen von Geräten mit gedengelter Kante 


15] Ein meſolithiſcher Sundhorizont auf Sylt uſw. 15 


formal naheſtehend. Gemeinſames Kennzeichen dafür, daß fie zu meiner 
Sorm XVI gehören, iſt überall die Geſamtform, die auf Handlichkeit im Sinne 
der Schneideplatte hindeutet. Auffällig oft iſt die ſchneidende Rundung nur 
ein kleiner Teil einer großen im übrigen nicht bearbeiteten Kante des Gerätes; 
dem Schneideteil liegt dann eine für das Anfaſſen mit geſtrecktem Zeigefinger 
befonders geeignete ſtumpfe oder ſtumpfgemachte Längstante gegenüber. 
Das gleiche gilt von den Pflugſcharformen, nur daß dieſe ſehr häufig eine 
ſichtlich gewollte feine Schneideſpitze haben, die oft nicht nur an der eigent⸗ 
lichen Schneidelängskante gedengelt ijt, ſondern auch jenfeits: dann aber 
nicht bis hin zu der Greifſtelle (Singerauflage). (Nr. 55, 36, 37, 38 u. 39) 

Dieſe Formen müſſen künftig überall beſonders beachtet 
werden. In La Quina, La Micoque, 9 u. a. m. haben ſie meines 
Wiſſens ſogar ausſchlaggebende Wichtigkeit für Typologie und Technik der 
betreffenden Induſtrien. Aud) unter den fog. Saujtfeilen ſpielt dieſe Gerät⸗ 
form eine große Rolle. Es hat fic) mir ergeben, daß wir vom Spätmouſtérien 
ab keineswegs alles was Mandelform hat, für Fauſtkeile halten dürfen, vor 
allem nicht in La Micoque. Die Schneideplatten ſpielen eine große Rolle; 
febr viele Keile und der größte Teil der fog. Mouſtierſpitzen find Pflugſchar⸗ 
formen der Schneideplatten. — Es iſt kein Zufall, daß in Sylt eine geradezu 
klaſſiſche „Mouſtierſpitze“ gefunden ijt, aus einem ſehr ſchön geratenen Blatt- 
abſpliß von ausgezeichnetem Material hergeſtellt; alſo ein „Idealſtück“, welches 
dieſen Form- und Gerätwillen deutlichſt zeigt. (Nr. 40.) 

In dieſem Zufammenhange ijt zu betonen, daß unter den fo viel⸗ 
geſtaltigen natürlichen und künſtlichen Abſplißformen der Syltjtufe wie 
aller anderen Steininduſtrien jeden Alters überall die für dieſe Schneide⸗ 
platten in Scheiben⸗ oder Pflugſcharformen geeigneten Stücke geſchickt aus⸗ 
gewählt find und durch ihre oft nur geringfügige Formnachhilfe und Arbeits- 
ſtellen-Ddengelung zu ausgeſprochenen Geräten geworden find. Aud) hier 
find aber die Ubnutzungserſcheinungen oft das einzig auffällige Anzeichen 
ihrer Zugehörigkeit zu dieſen Gerattypen. 

XVII. Rund formen. In dieſer Gruppe, deren Kennzeichen die 
rundbogige, ſorgſam gedengelte Arbeitsfante ijt, ſeien aus techniſch-tupo⸗ 
logiſchen Gründen offenſichtlich verſchiedene Gerattypen zunächſt zuſammen— 
gefaßt. Am deutlichſten unterſcheiden ſich 

a) Rahnformen, die zweifellos formale und techniſche Beziehungen 
zu den „Rielkratzern“ haben. Sie ſind aus Naturtrümmern oder ganz groben 
ÜUbſchlägen hergeſtellt. Einige zeigen ſehr deutlich Abnutzungsſpuren als 
hobelgeräte wie jene. Aud) die formale Ahnlichkeit ijt groß; ſogar die 
im Aurignacien und Magdelénien nachweislich gewollten kleinen „Naſen“ 
und Kerben neben der rundgedengelten Querfante find unter den Sult— 
formen auch vorhanden. Die Kieldengelung iſt oft beſonders fein und dünn— 
ſpänig, faſt gelegentlich aurignacartig. (Nr. 41 u. 42.) 

b) Rundſcheibenformen, an denen ſich eine einzelne Rundkante, 
bisweilen zwei ſich gegenüberſtehende, gelegentlich von perſchiedenen Slächen 
her bearbeitete (wechſelſtändige) Bogenkanten befinden. Manche Stücke 
ſind ringsherum völlig gedengelt! (Nr. 44 u. 45.) 

Aud) dieſe Stücke ſind aus Naturtrümmern oder Abjchlägen hergeſtellt. 


e) Geſtielte Formen. Bereits manche der Rundſcheibenformen, 
zumal die aus Ubſchlägen hergeſtellten find länglich, wobei die Schlagſtelle 
des urſprünglichen Abſchlages der Rundfante gegenüberliegt. Sind die 


16 SZ D. Hahne zn Ä [16 


Stücke aus Lamellenabjdlagen geformt, ergibt ſich die Cangform bzw. Stiel- 
form von ſelbſt; immer liegt hierbei die Rundkante dem Schlaghügel des 
Abfdlages gegenüber. Bei einer Anzahl der Rundformen iſt aber der Stiel 
ganz offenſichtlich ausdrücklich gewollt und durch Sonderbearbeitung erzielt 
worden. Einige Stücke tragen gegenüber der Rundkante herrichtungen im 
Sinne ſchneidender Spitzen; ſie ſind vielleicht zu den kombinierten Geräten 
zu zählen (XIX). (Nr. 45 u. 46.) | 

Dieſe Rundformen find, zumal für wenig Geübte und Liebhaber- 
ſammler überall die auffallendſten und daher begehrteſten Stücke. Es iſt 
mir auf Sylt immer wieder aufgefallen, daß fie, zumal am Ende der 
„Badeſaiſon“, ſelten zu finden find, deſto häufiger im Beſitz von Gelegenheits⸗ 
ſammlern! 

XVIII. Meißelformen. hier ſeien ſeltene, vielleicht zum Teil zu⸗ 
fällig bei der Abficht, andere Geräte herzuſtellen, entſtandene Stücke hin⸗ 
geſtellt. Manche find aus Knollen (nucleigen) oder Trümmern entſtandene 
Langformen; die Meißelkante ijt ſchmal und liegt an der Spitze des Gerätes; 
fie könnten auch kümmerliche Langbeilformen fein. Andere aber find zwar 
grob hergerichtete, aber ausgeſprochene Meißelformen, vielleicht aller- 
dings auch als geradkantige Kratzer bzw. Schaber zu verwenden geweſen. 
Wieder andere ſind grobe, an ungeſchickte Mandelform erinnernde Stücke, 
deren auffallendſter Beſtandteil die bisweilen durch ſeitliche herausarbeitung 
betonte meißelartige Schärfe iſt: vielleicht ganz kümmerliche Beilformen. 

Nr. 47. 
Einige Stücke aber ſind ganz ausgeſprochen wohlbearbeitete Meißel⸗ 
geräte, die an die fog. queren Pfeilſpitzen erinnern. (Nr. 48.) 

Es muß hier betont werden, daß unter den vielen Hunderten der mir 
bekannten Stücke nicht ein einziger ausgeſprochener Scheibenſpalter ſich be⸗ 
findet, obwohl die Heritellung dieſes Gerätes nach Ausweis der klbſchlag⸗ 
formen ſehr leicht möglich geweſen wäre! Ganz wenige Stücke ſcheinen mir 
verdächtig, eine Kümmerform eines Scheibenſpalters zu fein und ſomit die 
typologijche Verbindung zu den nordiſchen Campignienkreiſe der Muſchel⸗ 
haufen noch ſicherer herſtellen zu können. (Nr. 49.) In einem Falle aber 
handelt es ſich um einen regelrechten Slintenjtein; die find natürlich zur 
Zeit des Flintenſchloſſes auch auf Sylt hergeſtellt worden, und mein Stück 
ſtammt von einer Stelle, wo auf der Kliffoberfläche der Haidſand längſt 
zerſtört iſt und Rulturreſte aller Zeiten bis in die Gegenwart lagen. 

XIX. Kombinierte Formen find in der Sultſtufe ſichtlich ſehr ſelten; 
ich erwähnte fie ſchon vermutungsweiſe bei XVII. Unter den formal 
kaum hergerichteten Geräten mögen naturgemäß manche mehreren Zwecken 
gedient haben, etwa gleichzeitig zum Schneiden, Bohren, Kratzen u. dgl. 

Die Erklärung der Seltenheit hängt zuſammen mit der Frage nach der 
Gerätebeſtimmung der einzelnen techniſch-typologiſchen Formen. | 

XX. Hier feien einige fragliche Stücke eingeordnet, die möglicher- 
weiſe verfehlte Vorarbeiten zu neolithiſchen Beilen find, obwohl nicht aus- 
geſchloſſen ijt, daß fie beſonders ſummetriſche Balkenformen (XIV) der 
Sultſtufe ſind. Allerdings ſind ſie dick patiniert, wie die neolithiſchen Funde 
auf Sylt es häufig ſind. — 

Bei der Beſchreibung der ſteintechniſch⸗typologiſchen 
Sormengruppen ergab ſich der Hinweis auf ihre Benutzung 
faſt überall von ſelbſt. Es ſei hier ausdrücklich betont, daß es an der 
Zeit ijt, von den alten ſchematiſchen Analogiebezeichnungen wie Meſſer, 


17] Ein meſolithiſcher Sundhorizont auf Sylt ufw. 17 


Beile, Kratzer, Schaber nicht allzu ſchulmeiſterlichen und ſchematiſchen Ge⸗ 
brauch zu machen. Schon die Bezeichnung Beil, Axt, Sauſtkeil find vielfach 
irreführend geweſen und werden es immer bleiben. Vor allem aber bindet 
und beengt ſolche Einteilung, die doch nur die Folge einer Übertragung aus 
Metallformen rückwärts in die Steinformen zum Ausgang gehabt hat, die 
kulturarchäologiſchen Begriffe und Anſchauungen von vornherein und Ger: 
hindert nur allzu oft, die rechte Erkenntnis der tatſächlichen Verhältniſſe: 
vor allem bei Denjenigen, denen nicht techniſche, viſuell betonte Auffaffungs- 
gabe bei ihren Studien an Steininduſtrien zur Seite ſteht. Immer wieder 
muß betont werden, daß wir künftig ſuſtematiſch vom örtlichen Typenmaterial 
und in letzter Linie von dem örtlichen Rohmaterial bei der Analyfierung 
von allen Steinzeitfundgruppen ausgehen müſſen. | 


Andererjeits iſt die gar zu freigiebige Derwendung der Begriffe der 
„Handlichkeit“ und mutmaßlicher Gerätverwendbarkeit der techniſch⸗typo⸗ 
logiſchen Typen zu einem Arbeitszweck ebenſo leicht irreführend, zumal 
wenn es ſich um Stücke handelt, die nach dem bisherigen Schema „atupiſch“, 
ungewöhnlich und neuartig ſind. — 

Wir wollen es für die Syltftufe zunächſt bewenden laſſen bei der ge: 
gebenen Einteilung, die ſich a) den Nachweis zweifelloſer menfdlicet 
Bearbeitung örtlichen Rohmateriales begründet und der Feſtſtellung zweifel⸗ 
loſer techniſch⸗typologiſcher Formengruppen mit verſchiedener Variations⸗ 
breite. Meine 35 jährige Erfahrung auch bei der Einführung von Fachleuten 
und Laien in die Erkennung von Steinzeitinduſtrien jeden Alters hat mich 
immer wieder gelehrt, daß meine techniſch⸗typologiſche Methode, weil ſie 
alle Erſcheinungen der Steinſchlagtechnik der örtlichen Sundgruppe vom Roh⸗ 
material bis zum „ſchönſten“, vollkommenſt gelungenen Stück zu berück⸗ 
ſichtigen zwingt, der beſte Ausgangspunkt iſt für alle weiteren Verſuche, 
e und ihre Verwendung im Sinne von archäologiſchen Grup⸗ 
pierungen zu beſtimmen. Das farn dann mit Hilfe von Analogieſchlüſſen 
aus gegenwärtigen „primitiven“, ſozuſagen ſteinzeitlichen Kulturen innerhalb 
der Völkerkunde geſchehen oder rückſchließend aus jungſteinzeitlichen und 
altſteinzeitlichen, auch techniſch wohldurchforſchten Fundgruppen. Für die 
Erkenntnis der in neuerer Zeit mehr und mehr zum Vorſchein kommenden, 
dem bisherigen Wiſſen „ungewöhnlichen“ Steininduſtrien, zu denen auch 
unſere Sultſtufe gehört, ijt dies ein ſicherer, rein induktiv und daher vor⸗ 
ſichtigerer Weg zur Klärung als bisherige Sormtypologien. 

Ohne weiteres erkennbar in ihrerer Beſtimmung als Geräte find 
für die Syltſtufe die ſchneidenden, ſägenden, bohrenden Typen; Schaber und 
Kratzer mögen manche der bogenkantigen und ſcharfkantigen Stücke geweſen ſein, 
einige Formen ſogar ganz gewiß! Klopfiteine und Beilformen find eindeutig; 
auch Kernfteine und Übſchläge. Es braucht kaum betont zu werden, daß bei 
der Sonderbeſchaffenheit des Rohmateriales auf Sylt die genaueſte Kennt- 
nis der möglichen Naturtrümmerformen Dorausſetzung für jede 
Sorfdung ijt. Immer wieder fällt dem Wiſſenden in dieſer Beziehung in 
allerlei Steininduſtrieveröffentlichungen gröbſtes Sehlgreifen auf, ſelbſt ſeitens 
geologiſch Geſchulter und ſeitens geübter Archäologen; aus vielen, beſonders 
der „ungewöhnlichen“ Steininduſtrien jeden Alters kenne ich in Literatur 
und Muſeen allerlei Naturgebilde, die als Geräte gehen! Don den „eoli— 
thiſchen“ Materialien ganz zu ſchweigen, feien nur die nachgerade zur Land— 
plage werdenden norddeutſchen Diluvialfunde aus den Moränenkomplexen 


Mannus, Zeitfcrift für Vorgeſch., VI. Erg.-Bd. 2 


18 D. Hahne [18 


genannt, die dadurch nicht menſchlicher werden, daß fie geſchäftig zu „Palä⸗ 
olithikum“ umgefaſelt werden! 

Ich habe mich abſichtlich auf einige Andeutungen bezüglich der archä⸗ 
ologiſchen Dergleichung der Syltfunde beſchränkt. Geologiſch⸗archä⸗ 
ologiſch iſt der hinweis auf die Beziehungen zur Campigniengruppe 
hier zunächſt ausreichend; es muß jedoch betont werden, daß die zweifel⸗ 
loſen Kernbeile nicht aus intakter Schicht ſtammen! Meine Unterſuchungen 
müſſen künftig noch durch weitergehende Grabungen ergänzt werden. — Die 
gelegentliche Erwähnung von techniſchen und Formähnlichkeiten mit alt⸗, 
mittel⸗ und jungſteinzeitlichen Gruppen ſoll zunächſt nur vorbereiten und 
anregen! Wir beginnen ja gerade erſt mutig zu werden gegenüber den alt⸗ 
ehrwürdigen Schemata; müſſen uns natürlich hüten vor blindwütigem Um⸗ 
ſtürzen; die allmählich ſelbſtverſtändliche Mitberückſichtigung größerer 
Geſichtspunkte der Völker- und Raſſengeſchichte hilft uns zu weiterem 
Ausblid: deſto ſicherer muß aber der Untergrund geſtaltet werden für die 
„rein archäologiſche“, auch für die techniſch⸗typologiſche Beurteilung beſonders 
ſolcher Fundgruppen, wie der Syltitufe. Sie iſt meiner Meinung bei 
künftigen Frageſtellungen unentbehrlich, gerade wegen ihrer weitweiſenden 
„Beziehungen“ zu Lebensraum, Erbe und Anpaſſungserſcheinungen, die fie 
mit anderen „biologiſchen“ Kriteriengruppen in der heutigen Menſchheits⸗ 
forſchung gemein haben. 

Einige gerätetechniſch-archäologiſche Bemerkungen ſeien zum 
Schluß geſtattet, die wegweiſend ſein könnten. Die flach⸗, hohl⸗ und zackig⸗ 
geſchlagenen Typen ſind auffällig genug, um weiter beachtet zu werden, 
zumal da fie, ob nun als Konvergenzerſcheinungen oder als Erbe, ſehr weit⸗ 
verbreitet ſind. Das gilt auch von den „Diskusformen“ der Rernſteine; 
auch von den „Polyedern“ (Wurfſteinen?). Nochmals weiſe ich aber beſonders 
auf die „Schneideplatten“ hin, die geradezu eine Art „Völkergedanke“ der 
Steinſchlagtechnik ſind! Aud) die etwaigen Wurfſcheiben haben große zeit⸗ 
liche und geographiſche VDerwandtſchaftsumkreiſe. 

Zuletzt noch ein Sonderfall! Bekannt ijt die altägyptifche Sichel mit 
Holzſchaft und aus ſteinmeſſerartigen Silexplatten zuſammengeſetzter Schneide. 
In unſerem „nordiſchen“ und mittel-europäiſchen Neolithikum habe ich 
zweifellos entſprechende Klingenſtücke in großer Jahl in Wohnſtätten nach⸗ 
gewieſen; Bearbeitung und Abnugung machen die Diagnoſe ſicher. Die 
aus Spänen zuſammengeſetzten Schneiden mancher nordiſch-meſolithiſcher 
Harpunen ſind techniſch ähnliche Typen, außerdem auch nahe verwandt 
im Gerätezweck, der die lange Schneide durch Zuſammenſetzung aus Einzel- 
ſchneiden erzielt. Eine verwandte Vorrichtung ſind die von Wetzſtein und 
Virchow bekanntgegebenen nordafrikaniſchen rezenten eggenartigen Dreſch— 
geräte aus Holzbohlen mit eingeſetzten Reihen von Steinzähnen ). Der 
Gedanke der Werkſtückreihung mußte wohl nahegelegen haben, ſobald 
die Technik des Schäftens von den Steinzeitmenſchen erfunden worden 
war, Bei Steininduſtrien mit erjtaunlidjer Häufung gleichartiger Gerättypen 
und zwar gerade von Formen ohne ausgeſprochenen Einzelgerätcharakter 
war mir immer wieder der Gedanke gekommen, ob da wohl die Heritellung 
von „Reihungsgeräten“ jener oder anderer grob-ſägeförmiger Arten 
vorliegen könnte. Das gilt 3. B. auch von den maſſenhaften „Spitzen“ der 
Mouftierform. Aud) von den groben Spitzen- und Zackentypen aus der 


1) Zeitſchr. f. Ethn. 1873, Wetzſtein S. 270; Virchow S. 166. 


19 Ein meſolithiſcher Sundhorizont auf Sylt uſw. 19 


Sultſtufe, vielleicht auch den „pflugſcharförmigen“ Schneideſpitzen! Man 
könnte auch an Waffen denken: etwa wie heifiſchzahnſchwerter der Südſee! 

Für die geſtielten „Schaber“ ijt Schäftung ja wohl nicht nur im Neo⸗ 
lithikum zweifellos anzunehmen; Herrichtungsſpuren in Form ſymmetriſch 
ſeitlich angebrachter Kerben, ſowie Abnugungsfpuren weiſen meiner Meinung 
ſchon im Aurignacien darauf hin; auch 3. B., daß an vielen ſolchen „Schabern“ 
in allen Steinzeitſtufen ſtärkere Jerarbeitung nur auf dem einen Endteile 
der „Schabekante“ deutlich ſichtbar ijt, und außerdem dieſe fo aſummetriſch 
gearbeitet iſt, daß ihre Benutzung gewolltermaßen nur lokaliſiert war und 
zwar mit beſtimmter Geräthaltung. Experimentell iſt das leicht nachahmbar. 
Die Sulter Stücke zeigen dieſe Bearbeitungsart auch. Man fragt ſich oft: „was 
haben dieſe Steinzeitmenſchen nur immerzu geſchabt, gekratzt und zerriſſen?“ 
Vielleicht iſt hier eine Wegweiſung zu weiteren Unterſuchungen! Sägen und 
gröbere reißende Geräte ſind und waren vielfach nützlich; bei der Acker⸗ 
und Oberflächenbereitung im Gras- und Haideboden, auf Eis u. |. f. denkbar. 
Ich erinnere an die Ödlandeggen die heute noch in Nordͤdeutſchland, aller⸗ 
dings mit Holzzähnen benutzt werden. Man mag auch bedenken, daß 
„Eßbeſtecke“, d. h. beſtimmte Juſammenſtellungen von Geräten zur Der 
wendung bei der Speiſebereitung ſich herausgebildet haben mögen: ſo würde 
ſich das von mir auch anderweitig beobachtete öftere Beiſammenliegen be⸗ 
ſtimmter Geräte erklären, wie etwa von Meſſerformen, Kratzern („Cöſern“), 
Spitzen und Klopfſteinen! Auf ſolche Gerätgeſellungen muß künftig mehr 
geachtet werden, um Hinweiſe auf Gewerbe und anderen Gewohnheits⸗ 
Gerätegebrauch in Steinzeitkulturen zu gewinnen! 

Die wichtige Frage der genaueren Einordnung der Syltfunde 
in ein allgemeines archäologiſches Schema wird von dem End- 
urteil der Geologie abhängen, das bei der derzeitigen lebhaften babe 
glazialforſchung wohl bald zu erwarten iſt. Aud die Dollenanalyje habe 
ih ſchon aufgeboten, da die Haidſandſchichten, 3. C. auch die tieferen 
Horizonte mit den Pflanzenſtümpfen ber humös find. 

Soviel läßt fich pea alias ſchon ſagen: die Sultſtufe iſt poſt⸗ 
glazial, älter als das lokale Neolithikum, gehört in einen Schichtenkomplex, 
der als Haidjand auf einer Windkanter⸗ und Derwitterungszone liegt, die 
Trockenheit und Wärme in hohem Maße erlebt hat; die unteren Teile des 
Haidſandes weiſen Verſchwemmungsfolgen auf, wie Gerdlleftreifen und 
Waſſerſchichtung; der eigentliche Fundhorizont hat Winddünenſandcharakter. 
Über ihm folgt die faſt anmoorige neolithiſche Oberfläche des Haidſandes. 
Ich glaube jagen zu können, daß Cavenſtedt, Wehlen und Verwandtes z. T. 
in tieferen Poſtglazialſchichten liegen; auch die Galgenbergfunde von Halle 
und verwandte poſtglaziale Klingenkulturen. Kalbe a. M. dagegen liegt 
wieder in anmoorigen Sanden dicht unter der heutigen Oberfläche. Auf 
die bereits hier und da angeſchnittene Frage der Wurzelzuſammenhänge 
der meſolithiſchen Kulturen wird mit größerer Ausfidt auf Erfolg 
als heute einzugehen ſein, wenn ihre Tupenkunde geſicherter ſein wird, 
wozu hoffentlich dieſe Mitteilung der Syltfunde dient, zumal die hinweiſe 
auf die techniſche Tupologie. 


2* 


Über frühneolithiſche Baggerfunde 
der Ellerbek⸗Kultur aus der Eckernförder Bucht. 
Don 5. heß von Wichdorff. 
Mit 4 Abbildungen im Tert. 


Schon vor einer Reihe von Jahren find mir durch einen Freund, Herrn 
Kunſtmaler C. Krafft in Berlin⸗ Charlottenburg, eine Anzahl bisher in der 
a Al ant Wiſſenſchaft unbekannter, wichtiger bearbeiteter Knoden- 
funde zugänglich gemacht worden. Dringende geologiſche Aufgaben haben 
indeſſen die Veröffentlichung dieſes neuen Fundpunktes der Ellerbek⸗Kultur 
verzögert. Wie aus einer im Beſitz des herrn Krafft befindlichen Urkunde 
des preußiſchen Zollverwalters Lau in Eckernförde aus dem Monat Juli des 
Jahres 1896 hervorgeht, find die Fundgegenſtände im Juni 1891 und im 
Juli 1896 bei Ausbaggerungsarbeiten im Eckernförder Hafen aus einer 20 Sub 
unter dem Meeresſpiegel liegenden Moorſchicht an das Tageslicht gefördert 
worden. Die genaue Sunditelle ijt bekannt. Sie liegt im Eckernförder hafen 
zwiſchen der Eckernförder Bucht und dem Windebyer Noor an der ſchmalſten 
Stelle des Außenhafens, öſtlich nahe der Holzbrücke, die den Außenhafen 
vom Binnenhafen trennt, an der Borbyer Seite gegenüber dem Zollamt. 
Eine auf der Borbyer Seite mündende Regenwaſſerſchlucht bringt gelegentlich 
ſtarke Abſchlämmaſſen in das Hafenbecken herab, die von Zeit zu Zeit zur 
Erhaltung der Waſſertiefe ausgebaggert werden müſſen. ö 

Die Funde wurden bereits im März 1905 vom Derfaſſer dem bekannten, 
leider vor wenigen Jahren verſtorbenen Wirbeltierkenner Geheimen Bergrat 
Prof. Dr. Henry Schröder an der Preußiſchen Geologiſchen Landesanitalt 
in Berlin zur Beſtimmung der in Betracht kommenden Tierarten vorgelegt. 
Der nachfolgenden Beſchreibung find die Beſtimmungen D. Schröders zu⸗ 
grunde gelegt. | 


Beſchreibung der einzelnen Sunde. 


Nr. 1. hirſchgeweihhacke. Rechte Ubwurfſtange eines mittelſtarken 
Hirſchgeweihes mit gut entwickelter, vollſtändig erhaltener Roſe (7 * 6 cm). 
Die Augenjprofje ijt auf natürliche Weiſe ausgebrochen und nur noch 6 cm 
lang erhalten und am ziemlich ſcharfen Ende augenſcheinlich nicht benutzt 
worden. Die erſte Sproſſe über der Augenjprojje (Eisſproſſe) ijt 2 em von 
der Hauptſtange bis zur Hälfte ſcharf abgeſägt und dann nach hinten ab— 
gebrochen worden, wobei zwei kleine ſpitze Doder ſtehen geblieben find. 
Hinter der Eisſproſſe ſetzt ſich die hauptſtange noch 5 em lang fort in deutlich 
hackenförmiger Geſtalt, wobei nur die eine hälfte der Hauptſtange erhalten 


2] ber frühneolithiſche Baggerfunde der Ellerbet-Kultur aus der Eckernförder Bucht 21 


iſt. Unmittelbar hinter der Eisſproſſe zieht eine ſcharfe, durchaus einwandfrei 
von Menſchenhand herrührende, noch unvollendete Sägerille quer über die 
Hauptſtange und weiſt bemerkenswerterweiſe noch reichliche Spuren des 
rötlichen Zägemehles auf. An dieſer Stelle ijt die Rückſeite der Hauptitange 
abgebrochen. Die poröfe Innenmaſſe des Geweihes iſt anſcheinend abſicht⸗ 
lich beſeitigt worden. Der Sägeſchnitt geht über die Umbiegung des Geweihes 
hinweg weiter und iſt auf der Schmalſeite der 
Hauptſtange als 6—7 mm breite Sägerille beſonders 
deutlich entwickelt, fie reicht hier in einem Coch bis 
in das hohle Innere der Hauptſtange. Hugenſchein⸗ 
lich ſollte der Gegenſtand (ebenſo wie Nr. 2) als 
Hirſchgeweihhacke dienen. Beſonders auffällig bei 
dieſem Werkzeug iſt nun der Umſtand, daß der 
Herſteller verſehentlich viel zu weit ſägte und da⸗ 
durch die Gebrauchsfähigkeit ſtark beeinträchtigte. 
Das Arbeitsſtück iſt demnach wohl ſofort nach Der: 
ſtellung von ſeinem Bearbeiter als unbrauchbar für 
den beabſichtigten Zweck erkannt und weggeworfen 
worden. Darauf deutet auch der Umſtand hin, daß 
noch nicht einmal das Sägemehl entfernt wurde Abb. 1. Birichgeweißhade 


(Abb. 1). | aus re ernförder 
Nr. 2. Hhirſchgeweihhacke. Mittleres Haupt: . 
ſtangenſtück von 32 em Länge mit einer 7½ em een lt 


langen Seitenſproſſe, die innen ausgehöhlt iſt. Don 

Wichtigkeit iſt, daß die Höhlung dieſer Seitenſproſſe nicht durch die gegen⸗ 
überliegende Außenwand der Hauptſtange hindurchgebohrt iſt. Es handelt 
ſich alſo nur um eine Vorarbeit für Typus II der Hirſchgeweihhacken. Die 
Hauptitange iſt an beiden Enden durch ſcharfe Sägeſchnitte zur Hälfte abge⸗ 


Abb. 2. Hirſchgeweihhacke aus dem Eckernförder Hafen. 
(Gezeichnet von C. Krafft, Charlottenburg.) 


D 
D 


trennt worden, wobei das kürzere Ende hadenförmig ausläuft und am Rande 
etwas abgeſtoßen ift. Die Ausläufer der Sägeſchnitte find an beiden Enden 
als 3/, mm breite, deutliche Rillen erkennbar. Die Seitenſproſſe ijt in einer 
Entfernung von 7½ cm von der Hauptitange quer vollkommen durchſägt 
und zeigt dort eine glatte Sägeſchnittfläche. Die poröſe Innenmaſſe des 
Geweihes (H überall entfernt worden und die Hoblung ijt künſtlich rund aus- 
geſchabt worden (Abb. 2). f 


2 D, Heß von Wichdorff (3 


; 898 3. Unterkiefer eines Rindes mit den drei letzten Jähnen, unbe⸗ 
arbeitet. 

Nr. 4. Fellſchaber (2), flachgerundetes, abgeſpaltenes Stück von der 
Hauptſtange eines ſehr ſtarken Hirſchgeweihes, 1314 cm lang und 6 cm breit, 
mit einer gleichmäßig bogenförmigen, ſpitzwinklig abgeſchliffenen 5 em breiten 
Schneide. Am oberen Ende iſt der Gegenſtand ganz unregelmäßig ausge⸗ 
ſprungen. Es handelt ſich um ein zweifelloſes Werkzeug, das vielleicht als 
Sellſchaber, aber mehr in Hobelart, verwendet worden iſt (Abb. 3a und 3 b). 

Nr. 5. Hirſchgeweihhacke, gearbeitet aus Roſe, Hauptſtange und 
flugenſproſſe, 13 em lang. Die Hugenſproſſe ijt als 8 em, alſo handbreiter 
Griff benutzt worden, während die ſchwache Hauptſtange durch Abfchlagen 
bis 2 em über der Roſe, als 6 em lange, ſpitz zulaufende Hacke geformt iſt. 
Nirgends ſind an dem Gegenſtand Sägeſpuren zu ſehen. Das ganze Werk⸗ 
zeug hat, wie die intenſive Rötung neben fleckiger Schwärzung durch benach⸗ 
bart geweſene Holzkohlen einwandfrei erweiſt, zweifellos im Seuer gelegen 
und iſt völlig durchgebrannt worden. | 

Nr. 6. Bearbeitete Augenfproffe eines 
Hirſchgeweihes, in der Sehne gemeſſen 22 em lang, 
ſchwach gebogen, vollſtändig erhalten mit einem 
kurzen Stumpf der Hauptſtange, von der die Augen= 
ſproſſe ſcharf abgeſchlagen worden ijt. Die Augen= 
ſproſſe iſt vollkommen ausgehöhlt und die Hhöhlung 
rund ausgeſchabt, um als Schafttülle zu dienen. 
Die Spitze iſt an der inneren Seite geglättet und 
ganz am Ende etwas beſchädigt. 

Nr. 7. Augenjproffe eines Hirſchgeweihes, 
19 em lang, mit abgebrochenem Stumpf der 
ſchwachen Eisſproſſe. Das Stück iſt deutlich angekohlt, 

hafen. die äußerſte Spitze durch Gebrauch deutlich geglättet. 
(Gezeichnet von C. Krafft, Die poröſe Innenmaſſe des Geweihes iſt noch 
Charlottenburg.) größtenteils erhalten, nur der innerſte Teil ſcheint 
eine ſpitze, nach vorne abgerundete Schafttülle ge⸗ 
tragen zu haben. Nach der Hauptſtange zu ijt der durch Brand mürbe 
gewordene Gegenſtand in neuerer Zeit, wahrſcheinlich beim Ausbaggern, 
zackig abgebrochen, ſo daß man die urſprüngliche Beſchaffenheit dieſes 
Werkzeuges nicht mehr feſtſtellen kann. 

Nr. 8. Hugenſproſſe eines Hirſchgeweihes, 17 cm lang, mit vollſtändig 
erhaltener, innerer poröſer Maſſe, ſehr ſtark kalziniert, vielleicht durch Seuer- 
einwirkung. Infolge ſeiner mürben Beſchaffenheit iſt der Gegenſtand beim 
Ausbaggern beſchädigt und ſeiner natürlichen Oberfläche verluſtig gegangen. 

Nr. 9. Abgebrochene Spitze einer Hirſchgeweihſproſſe, 11 cm lang. Der 
Gegenſtand weiſt deutlich ſichtbare Feuereinwirkung auf, die ſich durch out: 
fällige Rötung und Schwärzung tundgibt. Infolgedeſſen ijt die urſprüngliche 
Beſchaffenheit des Werkzeuges nicht mehr erkennbar. Es iſt ſtark beſchädigt. 

Nr. 10. Meißel mit polierter Schneide, aus der Augenfproffe 
eines hirſchgeweihes gefertigt, ſtark gebogen, 11½ cm lang. An 
der Innenſeite der Spike ift die rauhe Oberfläche 214 cm weit durch Abipliffe 
abgeglättet und breit zugeſchärft, an der Außenjeite ijt die Spitze 5 em lang 
durch Gebrauch außerordentlich deutlich abgeglättet. Am dicken Endteil iſt 
das Werkzeug durch ſcharfe, ſchief nach der Hauptitange zu laufende Schnitte 
vom Bet der Hugenſproſſe abgetrennt, jo daß eine gleichmäßige runde Offnung 


4) Über frühneolithifche Baggerfunde der Ellerbek⸗Kultur aus der Eckernförder Bucht 23 


entitanden iſt. Die poröſe Innenmaſſe ijt vollſtändig entfernt, die höhlung 
rund ausgeſchabt oder möglicherweiſe auch durch den ſicher früher hier ange⸗ 
brachten Holzgriff des Werkzeuges allmählich entfernt (Abb. 4a und 4b). 

Nr. 11. Eberzahn, in der Sehne 8 em lang, mit abgenutzter Spitze. 

Nr. 12. Kleinerer Eberzahn, in der Sehne 614 cm lang. 

Nr. 13. Mittelfußknochen eines Rindes, 21 em lang, an der einen. 
Schaftſeite ſtark geglättet, ſonſt unbearbeitet. Unterhalb der Gelenkrollen an 
der Oberfläche anſcheinend mit Schlagſpuren bedeckt, vielleicht möglicherweiſe 
infolge Benutzung des Gegenſtandes als Keule; andererſeits können auch 
beim Ausbaggern ähnliche Einwirkungen entſtanden fein. 

Nr. 14. Bruchſtück eines Oberſchenkels vom hirſch, 13 cm lang, teil⸗ 
weiſe geglättet und nach Ausweis der ſchwarzen Flecken anſcheinend im 
Seuer geweſen. 

Nr. 15. Schädelechtes Stück eines hirſchgeweihes mit Roje und Stirn⸗ 
bein, alſo keine Abwurfſtange wie bei den anderen Funden, ſondern von 
menſchenhand erlegter hirſch. Das Geweih iſt vom Menſchen vom Schädel 
abgeſchlagen worden. Hauptitange und fugenſproſſe 
ſind 11 bzw. 10 em lang erhalten und ſcharf ab⸗ 
gebrochen. Der ganze Gegenſtand iſt allem Anfdein 
nach vollſtändig unbearbeitet. be 

Nr. 16. Prächtig bearbeitete Steinfeule 
aus ſehr hartem, ſchwärzlichgrünen, ſtark 
chloritiſierten Diabas, der infolge ſtarken Ge⸗ 
haltes an Magneteiſenerz und Schwefelkies ein be⸗ 
ſonders hohes ſpezifiſches Gewicht aufweiſt, 19 cm Abb. 4 u. b. Meißel mit 
lang. Das Geſtein eignet ſich wegen ſeiner außer⸗ e 
ordentlichen Schwere zu einer Keule hervorragend (Gezeichnet von C. Krafft, 
gut. Der 7½ cm lange Reulenkopf iſt flaſchen⸗ Charlottenburg.) 
förmig mit 15 Cängsrippen verſehen, zwiſchen 
denen 15 Rillen entlang ziehen. Oben iſt er glatt abgeſchnitten. Der 11½ em 
lange Griff iſt vollkommen glatt, im Durchſchnitt ein Rechteck mit flach⸗ 
gewölbten Breitſeiten, die oben 3½ em, unten 3 om mellen, Die ebenen 
Schmalſeiten find oben 1 cm und unten ½ cm breit. Das ſtumpfe Griffende 
ijt glatt abgeſchnitten und noch ½ em breit. An der einen Schmalſeite beginnt 
3,2 cm unter dem vorſpringenden Keulentopf eine 1 cm breite Einkerbung 
von A mm (ee, eine Erſcheinung, die ſich in gleicher Ausbildung auch bei 
einem Keulenfopf von der Inſel Fünen wiederfindet. Dieſe beſonders ſchöne 
Steinfeule aus dem Untergrund des Eckernförder Hafens iff vor kurzem 
erſtmalig von G. Koffinna beſchrieben und abgebildet worden 4). Sie gehört 
zu einer Gruppe von Steinwaffen, die nach G. Koffinna auf Jütland und 
Schleswig beſchränkt iſt und als eigengeſchaffenes Gerät bei den Sinno— 
Indogermanen auftritt 4), 


Auswertung der Eckernförder Sunde, 


Was nun zunächſt die urſprünglichen Cagerungsverhältniſſe der Gegen⸗ 
ſtände anlangt, ſo iſt allgemein zu bemerken, daß bei Baggerfunden die 
genaue Fundſchicht nie ganz ſicher angegeben werden kann. Es erſcheint 


ay 6. Koffinna: Urſprung und Derbreitung der Germanen in vor- und frübr 

dere licher Zeit (Leipzig, Verlag von C. Rabitzſch 1928), S. 216—222. Die Abbildungen 

lea geſchilderten Eckernförder Steinkeule (Abb. 208 a und 208 b) befinden fid auf 
eite 220. 


24 5. Heß von Wichdorff | [5 


durchaus klar, daß die einer viel jüngeren Kulturftufe der Steinzeit angehörige 
Steinfeule nicht genau in der gleichen Kulturſchicht gelegen hat wie die be⸗ 
arbeiteten hirſchgeweihe. Wichtig aber iſt andererſeits das in der oben ge: 
nannten Urkunde niedergelegte Urteil des Zollverwalters Cau, daß die Sunde 
einer Moorſchicht in 20 Suß Tiefe unter dem Meeresſpiegel entſtammen, 
da er ſofort nach der hebung der Funde an Ort und Stelle auf dem Bagger 
ſorgſame Beobachtungen und Erkundigungen nach den näheren Fundum⸗ 
en anſtellte und das gleichzeitig mit emporgebrachte Moor⸗Baggermaterial 
elbſt noch vor Augen hatte, wie aus den Mitteilungen des Jollverwalters 
Lau an ſeinen Enkel Krafft klar hervorging. Hier bei den Baggerarbeiten 
im Eckernförder Hafen waren aber die Fundumſtände nicht fo günſtig wie 
bei den Ellerbef-Sunden im Kieler Hafen, wo ein fo ausgezeichneter Moor: 
kenner wie C. A. Weber fofort die einzelnen Moorſchichten feſtſtellen und 
unterſcheiden, auch gleichzeitig die genaue Fundſchicht moorbotaniſch feſt⸗ 
legen konnte. Das verhinderte hier ſchon die Vermengung der Schichten durch 
den Baggerapparat. Es erſcheint ſo ohne weiteres verſtändlich, daß die 
Steinteule einer oberen andersartigen Moorbank urſprünglich angehörte als 
die in einer etwas tieferen anderen Moorſchicht lagernden Hirſchgeweih⸗ 
Artefakte der Ellerbek⸗Kultur. | 

Das Auftreten einer Torfmoorablagerung im Untergrund des Eckern⸗ 
förder Hafens ijt vom geolegijchen Standpunkt aus recht erklärlich. In der 
vollkommen gleichartig entſtandenen Bucht des Kieler Hafens find in den 
Jahren 1901— 19035 eine ganze Reihe (157) Bohrungen zur Unterſuchung 
des Untergrundes desſelben für die Anlage des neuen klusrüſtungsbaſſins 
ausgeführt worden. Die Bohrproben dieſer zahlreichen Bohrungen im Kieler 
Hafen ſind vom Derfaſſer in den Monaten Februar bis April 1904 eingehend 
unterſucht worden. Das klusrüſtungsbaſſin, in deſſen ganzen Bereich die 
Bohrungen regelmäßig verteilt ſind, liegt auf der öſtlichen Seite der Kieler 
Bucht vor den Ortſchaften Ellerbek und Wellingsdorf links von der Einmün⸗ 
dung der Schwentine in die Kieler Söhrde. An vielen Stellen ſind unter dem 
Waſſerſpiegel unmittelbar die Sortjegungen der diluvialen Bergzüge der 
benachbarten Höhenrücken der Küſtenlandſchaft entwickelt. Auf anderen, weit 
ausgedehnten Strecken des Ausrüjtungsbajlins ſinkt der diluviale Untergrund. 
oft recht ſteil und plötzlich in die Tiefe. Hier ſind unter dem Meereswaſſer 
der Kieler Bucht mächtige rezente Meeresſchlickablagerungen zum (Übſatz 
gelangt. Unter dieſem recht jungen Meeresſchlick ſind aber größere zuſammen⸗ 
hängende Torflager vorhanden und durch die Bohrungen in weiter Der: 
breitung nachgewieſen worden. Im allgemeinen werden dieſe ſubmarinen 
Torflager von dem diluvialen ſandig⸗kieſigen Untergrund unmittelbar unter⸗ 
lagert. An manchen, oft ausgedehnten Stellen liegt aber unter dem Torflager 
und über dem liegenden Diluvialſande noch eine mehr oder minder mächtige 
Süßwajjer-Alblagerung, die teils als Wieſenkalk, teils als Moormergel mit 
Süßwaſſerſchnecken und ſchließlich ſeltener auch als Diatomeenmergel ent— 
wickelt iſt. Die geologiſchen Profile, die vom Derfaſſer auf Grund der Bohr— 
ergebniſſe längs der geraden Bohrlinien entworfen wurden, laſſen nun klar 
erkennen, daß es bei allen dieſen ausgedehnten Torflagern im Untergrunde 
des Kieler Hafens und eben erſt recht bei ihren liegenden Süßwaſſer-Hb⸗ 
lagerungen ſich um ehemalige Bildungen auf dem Feſtlande handelt. 
Wo heute die Wellen des Kieler Hafens gegen die Rüſte von Ellerbek und 
Wellingsdorf branden, war urſprünglich Seſtland. Zwiſchen den Bergrücken 
waren damals einzelne kleine Süßwaſſerſeen vorhanden. Auf ihrem Grunde. 


6] Über frühneolithiſche Baggerfunde der Ellerbet-Kultur aus der Eckernförder Bucht 25 


ſetzten ſich, wie noch heute in vielen unſerer norddeutſchen Seen Seekalk (oder 
auch Wieſenkalh genannt ab. Dann verlandeten die flacher gewordenen Seen 
im Laufe der Zeiten völlig und verſumpften zu Torfmooren. Da heute dieſe 
urſprünglich auf dem feſten Lande entſtandenen Torflager mit ihren liegenden 
Süßwafjerablagerungen unter mächtigen Meeresſchlick⸗Abſätzen und einer Reihe 
Meter Waſſerbedeckung unter dem Meeresſpiegel liegen, können ſie nur durch 
eine fpätere Candſenkung in ihre gegenwärtige Lage gebracht worden fein. 
Geologiſch, moorbotaniſch und zoologiſch durch den Befund von Süßwaſſer⸗ 
ſchnecken und Süßwaſſermuſcheln find diefe ſubmarinen Torflager, Wiejen- 
kalk⸗ und Moormergel⸗Abſätze einwandfrei als Landbildungen, als Süß⸗ 
waſſerbildungen, erwieſen worden, ihre heutige Lage in ſolcher Tiefe unter 
dem 1 ergibt demnach den einwandfrei ſicheren Beweis 
einer nach ihrem Abjak algen ſpäteren Landſenkung im Bereich des 
Kieler Hafens. 

Schon im Jahre 1904 hat C. A. Weber ) ) auf Grund eingehender 
moorbotaniſcher Unterſuchungen an Ort und Stelle die nachträgliche Senkung 
der Kieler Föhrde nachgewieſen und den Betrag der Senkung ihres Bodens 
auf mindeſtens 14 m veranſchlagt. C. A. Weber und J. Mestorf +) haben 
nun im gleichen Jahre die zahlreichen Funde beſchrieben, die bei den Bagger⸗ 
arbeiten im Kieler hafen im Bereich des fusrüſtungsbaſſins vor Ellerbek 
geborgen wurden. Nach Webers Angaben ſtammen ſie ſämtlich aus einer 
Tiefe von 8,5—9 m unter dem Mittelwaſſer der §öhrde. Sie lagen in Wald⸗ 
torf, Schneidentorf und Moostorf unter einer Schicht von Erlen⸗Bruchwaldtorf. 


Dieſe Sundgegenftande von Ellerbek beſtehen zunächſt aus Kernbeilen 
pon Seuerſtein, rundherum aus einem großen Feuerſteinſtück durch Behauen 
gefertigt, aus Seuerftein-Slacbeilen und aus Seuerſtein⸗Schabern und Bohrern, 
alſo tupiſchen Feuerſteinzeugen von altertümlichem Charakter, der an paläo⸗ 
lithiſchen Sormen erinnert. Serner befinden ſich unter den Ellerbeker Funden 
merkwürdige Tongefäße mit ſpitzem Boden in Geſtalt großer Krufen. Sehr 
häufig find dann Hirjchgeweihhaden, ferner aus Knochen hergeſtellte Ahlen, 
Pfriemen, Angelhafen und Dolche. Außerdem enthalten die Ellerbeker Bagger: 
funde Knochen, Schädel: und Geweihreſte von Edelhirſch, Reh, Elch, Bos 
primigenius, Bos taurus, Wilödſchwein, Pferd, Hausſchwein, Rind, Haushund, 
Schwan, Seehund und Dorſch, ein Beweis, daß die frühneolithiſchen Ellerbek— 
Lente “) ſich von Jagd und Fiſcherei ernährten, aber andererſeits bereits 
feſt angeſeſſen waren und Haustiere beſaßen. 

Vergleicht man die Ellerbeker Funde mit denjenigen von Eckernförde, 
jo fällt zunächſt auf, daß in Eckernförde ſowohl die charakteriſtiſchen Seuerſtein⸗ 
waffen wie auch die Tonkruken mit ſpitzem Boden fehlen. Das mag mit dem 
Umſtand zuſammenhängen, daß der damalige Eckernförder Bagger nur eben 
gerade bis auf die frühneolithiſche Kulturſchicht hinabreichte (20 Suß = 7) m 
unter Waſſerſpiegel). Die Hirjdgeweihfunde und die Knochen der Dous: 
tiere haben aber eine ſo außerordentliche Ähnlichteit mit den Ellerbeker 
Sunden, daß es ſich zweifellos um eine völlig gleichalterige Rulturſtufe handelt, 


1) C. fl. Weber und J. Mestorf: Wohnſtätten der älteren neolithiſchen Periode 
in der Kieler Söhrde. (43. Bericht des Schleswig: Deen Muſeums vaterländiſcher 
Altertümer bei der u Kiel. Kiel 1904, S. 9— 50.) 

2) C. A. Weber: Über Litorina⸗ und E e der Kieler Söhrde. 
(Englers Botaniſche Jahrbücher, XXXV, 1904, S. 1—54.) 
nr. 2608 nn Man: Die Indogermanen. I. Teil. (Leipzig 1921, Mannusbibliothek 

r. 7 


26 H. heß von Wichdorff, Über frühneolithiſche Baggerfunde der Ellerbek⸗Kultur [7 


wofür ja auch der Einklang mit den geologiſchen Derhältniffen fpridt, So 
ſtimmt z. B. unſere Eckernförder hirſchgeweihhacke (Abb. 1) mit Sig. 10 der 
Mestorfſchen Abbildungen aus der Kieler Söhrde überein, von der dort fünf 
Exemplare aufgefunden wurden. Weiterhin ijt die Eckernförder Hirſchgeweih⸗ 
hade (Abb, 2) mit Sig. 3 von Ellerbek gleichartig und ſchließlich entſpricht 
unſer Eckernförder Meißel mit polierter Schneide (Abb, 4a und b) in allen 
Einzelheiten der Fig. 8 der Kieler Sunde. Was die Haustiere anlangt, fo iſt 
auch in der frühneolithiſchen Rulturſchicht im Eckernförder Hafen Rind und 
Schwein nachgewieſen. 

Die vorliegend beſprochenen Eckernförder Funde gehören ſomit zweifel⸗ 
los der frühneolithiſchen Ellerbef-Kultur an. 

Auf einen wichtigen Punkt aber muß zum Schluß noch hingewieſen 
werden, auf den Widerſpruch zwiſchen dem geologiſchen Befund bei Ellerbek 
und ebenſo bei Eckernförde und andererſeits der Eingliederung der Ellerbek⸗ 
Kultur in die Litorina-Jeit. Schon bei der Auffindung der Ellerbeker Funde 
in der Kieler Föhrde war die auffällige Ahnlichkeit mit der Sundftätte von 
Ertebölle am Cumfjord in Jütland feſtgeſtellt worden. Dieſer letztere Fundort 
war aber nach dem Urteil der däniſchen Forſcher als in die volle Litorinazeit 
gehörig erkannt worden. Man war alſo ſchon im Jahre 1904 bei der Heraus⸗ 
gabe der Ellerbek⸗Funde in einer ſchwierigen Lage, C. A. Weber hatte auf 
Grund ſeiner eingehenden moorbotaniſchen Studien der Fundſchichten ein⸗ 
wandfrei nachgewieſen, daß die Ellerbek⸗Sunde zweifellos in einer Süßwaſſer⸗ 
Moorablagerung auf dem Feſtlande lagern, daß die Ellerbekleute alſo auf 
dem Seſtlande wohnten. Er hatte ferner feſtgeſtellt, daß nach ihrer Zeit 
das Land im Bereich der Kieler Föhrde eine Senkung von mindeſtens 14 m 
erfahren hat und mächtige echte Citorina⸗Meeresablagerungen über den 
Rulturſchichten der Ellerbekleute ſich ſpäter abgeſetzt haben. Die Ellerbek⸗ 
Kultur iſt demnach unbedingt älter als der Litorina⸗Meereseinbruch in die 
Kieler Föhrde bzw. die dieſem Ereignis vorangegangene Landſenkung. Genau 
zu den gleichen geologiſchen UAnſchauungen ijt der Derfafjer im Frühjahr 1904 
auf Grund ſeiner Bohrprofile vom Kieler Hafen gekommen, unabhängig von 
C. A. Weber und vor Erſcheinen feines Werkes. Es erſcheint wichtig, auf 
Gielen einwandfreien geologiſchen Befund ) an dieſer Stelle beſonders hin⸗ 
zuweiſen. Die vorgeſchichtliche Wiſſenſchaft wird aus dieſer Erkenntnis und 
gerade aus den bisher beſtehenden Widerſprüchen, wie die Erfahrung lehrt, 
zweifellos im Laufe der Zeit zu wichtigen Schlußfolgerungen gelangen. 

1) Seblerhaft würde es fein, die EllerbefKultur nun einfach der Ancyluszeit zu⸗ 
zuweiſen. Dazu liegt kein zwingender Grund vor. Die Kultur entwickelte ſich auf dem 
Seſtland, und zwar an Einzel⸗Süßwaſſerſeen, die bereits zu Einzelmooren verlandet waren. 


Ein Megalithgrab bei Ellershagen 
im Kreiſe Oſtprignitz. 
Don Walter Matthes. 
Mit 3 Abbildungen im Text. 


Der Kreis Oſtprignitz, im Nordweſten der Provinz Brandenburg ge: 
legen, hat ſeit dem Ende der älteren Ganggräberzeit eine umfangreiche 
ſteinzeitliche Beſiedlung aufzuweiſen. Er gehörte in den Bereich der nordi⸗ 
Iden Kulturgruppe und war in der Hauptſache von den Trägern der „jüt⸗ 
ländiſchen Einzelgrabkultur“ bewohnt, wie an der Entwicklung der Axte, 
der Keramik und der Grabformen deutlich zu ſehen iſt. Die Gräber ſind in 
der Hauptſache Einzelgräber, welche Körperbejtattung oder auch ſchon Brand⸗ 
beſtattung aufzuweiſen haben. So iſt es von beſonderem Intereſſe, wenn in 
dieſer Umgebung auch die Refte eines Megalithgrabes anzutreffen find. Es 
ſind die „Brotſteine“ im Tooken von Ellershagen, die in der Literatur erſt 
wenig Beachtung gefunden haben ). 

Der erſte Hinweis ergab ſich bei der Aktendurchſicht im Märkiſchen 
Muſeum bei den Dorarbeiten für die archäologiſche Landesaufnahme des 
Kreiſes Oſtprignitz. Hier lagen zwei Berichte vor: der eine von Landwirt 
C. Sonnenberg, der andere von der hand Sriedels; ſodann machte mich 
während der Landesbereijung noch Lehrer Erhard Müller (Bleſendorf) 
auf die Steine aufmerkſam. Ihre genaue Lage ijt bei den Bewohnern der 
umliegenden Dörfer heute völlig in Dergefjenheit geraten. Doch konnten 
fie nach den vorhandenen Angaben ohne Schwierigkeiten wieder aufgefunden 
1 5. aber laſſen wir die beiden Berichte des Märkiſchen Muſeums 
ſprechen 2). 

1. Bericht von Candwirt C. Sonnenberg (25. Juni 1877): „Ein in 
kurzen Krümmungen ſich windendes Fließ begrenzt eine zum Dominium 
Warensdorf gehörige Wieſenparzelle, welche ſich an einen kleinen, mit mäch⸗ 
tigen Bäumen beſtandenen Eichenwald anreiht. Dier an der Grenze, am Suße 
eines dieſer ſtolzen Baumrieſen, ſtehen ſchräg und teils ganz in die Erde ver— 
ſunken, 5 bemooſte, unbehauene erratiſche Granitblöcke. Dieſelben ſind, ſoweit 
ſie über der Erde meßbar, durchſchnittlich 165 em lang (5 Suß) und alle von 
ziemlich gleichmäßiger Mannesſtärke. Die Seitenwände ſind, ohne Spuren 


Y Del. Sprodhoff, Kulturen der unsere Steinzeit, S. 142. — Serner E. Müller, 
Die Bedeutung der Prignitzer Sagen und ihre Stellung in der deutſchen Geſchichte und 
Muthologie. itteilungen des heimat⸗ und Muſeumsvereins zu heiligengrabe. Bd. 10 
(1927), S. 21. . 

2) Sür die freundliche Genehmigung zur Publikation ſchulde ich Kern Direktor 
Dr. Riekebuſch ergebenen Dank. 


28 Walter Matthes [2 


von Bearbeitung aufzuweiſen, bei rohem Bruch, demnach leidlich gerade und 
flach, das ganze Terrain ijt welliger Natur und iſt dieſes offenbar durch 
Menſchenhand errichtete Erinnerungszeichen auf dem höchſten Teil einer 
dieſer kleinen Hügel angelegt. Erkundigungen hierüber, die auf mehreren 
Stellen einzuziehen meine knapp bemeſſene Zeit erlaubte, liefen alle darauf 
hinaus, daß hier in unbeſtimmter Vorzeit 3 Kinder vom Blitz erſchlagen worden 
ſeien. Dem klnſchein nach aber haben wir es hier mit einem alten, vorge⸗ 
ſchichtlichen Bauwerk zu tun, das entweder in Kückſicht auf die romantiſche 
Gegend als Götter verehrende Stätte oder als Selſengrab (nordiſche Dolmen) 
feinen Zwed zu erfüllen hatte. Gänzlich unbeachtet und unbekannt, verdient 
dieſer Ort, der nur mit einer gewiſſen Scheu ſeiner nächſten Umwohner be⸗ 
treten wird, wohl die Beachtung unſerer Altertumsfreunde. — Der kleine 
Eichenwald gehört dem herrn Regierungsrat und Stiftshauptmann von 
Avelmann, der ſchon aus der Hand ſeines Vaters dieſes wohlgepflegte Gut 
übernommen bat“. 

2. Bericht von E. Friedel: „Zu dem Gut des Ritterſchaftsdirektors 
von Avelmann gehört ein umfloſſener, uralter Eichenhain, auf den ſich aller⸗ 
hand Sagen beziehen; inmitten desſelben ſtehen drei Steine unbehauen und 
ſehr groß aufrecht, die im Munde des Dolfes als ein Opferaltar gelten. 
Früher hat darauf eine große Dechteinplatte gelegen, die jedoch herabgeworfen 
und verbraucht worden iſt. Mitgeteilt von Frau Hauptmann von Brietzke, 
geb. von Avelmann am 8. 11. 1877.“ ö 

Beide Berichte, deren Niederſchrift nunmehr 50 Jahre zurückliegt, 
machen Ausjagen über die Lage im Gelände, über Zahl und Zuſtand der 
Steine und über Sagen, die ſich darauf beziehen. In den hauptzügen ſtimmen 
fie überein; doch weichen fie darin voneinander ab, daß Sonnenberg ſche 
Bericht von 51) und der Friedelſche von 3 Steinen ſpricht. Die Dreizahl 
kehrt auch bei Sonnenberg wieder bei der Erwähnung der drei Kinder 
der Sage. Sonnenberg weiß auch nichts von dem „Deckſtein“, den der 
Friedelſche Bericht erwähnt. Friedel ſpricht allgemein von „allerhand 
Sagen“ und einer Dolfsiiberlieferung, welche die Steine als Opferaltar 
anſpricht, während Sonnenberg eine Sage von 3 Kindern erwähnt, die 
durch den Blitz erſchlagen ſeien und außerdem die eigene Vermutung an⸗ 
ſchließt, daß es fic) hier um eine „Götter verehrende Stätte“ handeln könnte. 

Die Sage von den 3 Rindern iſt in urſprünglicher Form in der Schul⸗ 
chronik des Nachbardorfes Sadenbeck aufgezeichnet. Den hinweis darauf ver⸗ 
danke ich herrn Lehrer Erhard Müller und die freundliche Genehmigung 
zur Veröffentlichung herrn Lehrer Röhn (Sadenbed). = 

Hier heißt es folgendermaßen: „Schon vor 50 Jahren hörte ich von 
alten Leuten in Sadenbeck auch noch folgende Sage: Eines Sonntags hüteten 
mehrere Knaben aus dieſem Orte die Pferde auf der wüſten Feldmark in 
der fog. „§oßkuhl“, nahe an der Grenze von Ellershagen, die hier die Temnitz 
als Bach bildet. In Sadenbed und Rohlsdorf läutete es zur Kirche. „Jetzt 
gehen die Leute bei uns und in Rohlsdorf zur Kirche, ſagte der eine Knabe, 
was wollen wir unterdeſſen tun?“ „Wir wollen kegeln,“ ſagte ein anderer. 
„Wir haben aber keine Kegeln und Kugeln,” ſagte ein dritter Knabe”. 
„O, ſagte der erjte, wir haben ja noch Brot und Kaje bei uns, daraus wollen 
wir uns Kegel und Kugeln ſchnitzen!“ Dies geſchah. Sie wählten ihren Spiel⸗ 
platz jenſeits des Baches im Ellershäger Token. Während ſie nun kegelten, 


1) Darauf fußend ſpricht auch Sprodhoff von 5 Steinen. 8. a. O., S. 142. Be 


3] Ein Megalithgrab bei Ellershagen im Kreiſe Oftprigniß' 29 


zog ein Gewitter herauf und die drei Knaben wurden vom Plitz erſchlagen 
ur Tin Steine verwandelt. Dieſe drei Steine, welche vermutlich zum Undenken 
dahin gelegt wurden, waren in neuerer Zeit noch da zu ſehen.“ 

Es iſt das alte und mit mannigfachen Abwandlungen häufig vor⸗ 
kommende Motiv, daß Kinder, die den Sonntagsfrieden nicht heiligen und 
freventlid) Brot und andere Nahrung mißbrauchen, in Steine verwandelt 
werden. Für unſere Unterſuchung ijt von beſonderer Bedeutung, daß auch 
hier die Dreizahl wiederkehrt. Wann dieſe Sage in der Sadenbeder Schul⸗ 
chronik niedergeſchrieben wurde, iſt nicht vermerkt; nach der Handſchrift zu 
urteilen, geſchah es im 19. Jahrhundert. Und der Aufzeichner bemerkt ſelber, 
daß er „ſchon vor fünfzig Jahren“ die Sage von „alten Leuten“ gehört habe. 
Es liegt hier demnach eine Tradition vor, die beſtimmt in die 918 Hälfte 
des 19. Jahrhunderts zurückreicht und ſomit älter iſt als die beiden oben 


Abb. 1. Die Cage der Steine. 


angeführten Berichte. Daraus ergibt fic), daß die Erzählung von den drei 
Knaben, die ſich bei Sonnenberg findet, alte Dolfsfage iſt. Ferner ijt der 
Flurname „Tooken“ belegt und der Name „Brotſteine“ verſtändlich geworden. 
Ob die Mitteilung von Friedel, daß die Steine als Opferaltar da 
werden, tatſächlich auf eine ältere einheimiſche Tradition zurückgeht oder 
nur auf Mutmaßungen von Perſonen, die zu Sriedels Zeit die Steine 
geſehen haben, muß unentſchieden bleiben. Wahrſcheinlicher iſt mir das letzte. 

Und jetzt gehen wir zu dem heutigen Befund über auf Grund der Be⸗ 
ſichtigung vom 20. 4. 1926 1). 3 Steine find heute noch vorhanden. Sie liegen 
auf einer flachen diluvialen Erhebung, die rings von Wieſen umgeben iſt, 
ſich ſüdweſtlich vom Gute Ellershagen befindet und von dieſem 1500 — 1400 m 
entfernt liegt. Weſtlich davon fließt in unmittelbarer Nähe ein kleines Bächlein, 
die Dömnitz, vorbei. Die Erhebung hat eine Länge von rund 200 m und eine 
Breite von 130—140 m. Nach flusweis der geologiſchen Karte (Blatt Schmolde, 
Nr. 1311) beſteht fie aus lehmigen Sand auf ſandigem Lehm, Ablagerungen 
der letzten Eiszeit. Ebenſo wie vor 50 Jahren iſt ſie auch heute noch bewaldet, 


ee — — 


) Eine Skizze von der Feldmark Ellershaben mit einer Einzeichnung des Sund⸗ 
latzes wird in der „Urgeſchichte des Kreiſes Oſtprignitz“ gebracht, die vom Kreisausſchuß 
. wird. Eine Jonderſkizze ſiehe auf Abb. 1. 


Walther Matthes [4 


30 


Abb. 2. Die Steine von Nordweſten gejeben. 


Die Steine von Norden geſehen. 


Abb. 3. 


5] Ein Megalithgrab bei Ellershagen im Kreiſe Oſtprignitz 31 


doch ſtehen dort nicht mehr die „uralten“ und „mächtigen“ Eichen, ſondern 
es findet ſich ein Baumbeſtand, der ſich aus jungen Eichen und Birken (ſiehe 
Abb. 2 und 3) und wenigen alten Buchen zuſammenſetzt. An einigen Stellen 
geht das Wäldchen ein wenig über den diluvialen Boden hinaus und ſein 
Grundriß bildet ein unregelmäßiges Viereck. 

Auf diefer Erhebung liegen die 3 Steine an der höchſten Stelle. Dieſe 
be findet ſich nicht genau in ihrer Mitte, auch nicht in der Mitte des Wäldchens, 
ſondern iſt dem weſtlichen Rand näher als dem öſtlichen (Entfernung vom 
Weſtrand des Waldes 45 m. Dal. Abb. 1). | 

Die Größe der 3 Steine läßt fic) nicht ermitteln, da nur ein Teil von 
ihnen aus der Erde herausragt. Bei dem erjten Stein beträgt die Länge 
des frei liegenden Teiles 2 m, bei dem zweiten 1,80 m und bei dem dritten, 
1,60 m. Die Steine zeigen ſcharfe Kanten und glatte Flächen. Sie ſtehen 
ſchräg und es hat den Anſchein, als ob fie nach außen umgefallen find (vgl. 
Abb. 2). 

Altertumsfunde find von dieſem Platz nicht bekannt. Nachgrabungen 
ſind auch noch nicht vorgenommen worden. So müſſen wir unſere Schlüſſe 
aus der Beſchaffenheit der Steine, ihrer Lage im Gelände und den vorhandenen 
Berichten ziehen, wenn wir über Urſprung und Zweck der Steinſetzung Ge⸗ 
wißheit haben wollen. 

1. Auffällig find die glatten Slächen und die Kanten, die auch auf der 
Abb. 2 deutlich zu ſehen find. Bei zwei Steinen liegen fie an der Innenſeite 
der Anlage. Dieſe Beſchaffenheit ſpricht dagegen, daß es ſich um Findlinge 
in ihrer natürlichen Form handelt und läßt uns erkennen, daß der Menſch 
irgendwie ſeine hand hier im Spiele gehabt und die Steine für einen be⸗ 
ſtimmten Zweck verändert hat. 

2. Bemerkenswert iſt ferner, daß 5 Steine dicht zuſammen liegen und 
daß ſie gerade auf dem höchſten Punkt der flachen Erhebung zu finden ſind. 
Es iſt ja eine Tatſache, die ſich bei Geländeunterſuchungen immer wieder 
beobachten läßt, daß urgeſchichtliche Denkmäler an auffälligen Stellen des 
Geländes und gerade an den höchſten Punkten kleiner Erhebungen angelegt 
find. So werden unſere Steine auch durch ihre Lage im Gelände als Reſte 
eines alten Denkmals verdächtig. 

3. Von entſcheidender Bedeutung iſt die Bemerkung, die Friedel über 
den Deckſtein macht. Der Satz: „Früher hat darauf eine große Dediteinplatte 
gelegen, die jedoch herabgeworfen und verbraucht iſt,“ iſt eindeutig und 
klar. Und da dieſer Bericht auf die Mitteilung einer Dame zurückgeht, die 
mit dem Beſitzer verwandt war, braucht man an der Richtigkeit dieſer Angabe 
nicht zu zweifeln. 

Die urſprüngliche Anlage beſtand alſo aus 3 Tragſteinen und einem 
Deckſtein und kann mit gutem Grund als ein ſteinzeitliches Megalithgrab 
angeſprochen werden. Zu welchem Tupus dieſes Grab gehörte, läßt ſich 
mit Sicherheit nicht entſcheiden. Die größte Wahrſcheinlichkeit hat die Ans 
nahme für ſich, daß es eine Steinblockkiſte geweſen iſt, wie ſie aus der Ucker⸗ 
mark bekannt ſind. 


Eine neue oftpommerfche pfahlhausurne. i 
R Don Otto Kunkel. = 
mit 3 Abbildungen im Tert. 


Die drei bekannten Pfahlhausurnen aus dem Kreife Lauenburg in 
Oſtpommern, die eine von Obliwitz, die beiden anderen von Woedtke, 
find längſt ausreichend abgebildet und beſprochen 1). Huch das Fußbruchſtück 
von Buchow im ſelben Kreije, das als Beleg für eine ſonſt verſchollene 
vierte Urne ähnlicher Form genügen dürfte, iſt im Schrifttum ſchon erwähnt 2). 
Hier ſei die demnach fünfte oſtpommerſche Beſtattung mit einer Pfahlhaus⸗ 
urne veröffentlicht (Abb. 1—3) “). a : | 

Es handelt fid) wieder um ein Steinkiſtengrab bei Obliwitz. Die 
Scherben der hausurne ſamt einem gut erhaltenen Beige fäß und einer 
Bronzenadel find durch Vermittlung des herrn Regierungsrat Willnow⸗ 
Lauenburg (jetzt Puritz) als Geſchenk des Rittergutsbefikers Herrn Holtz⸗ 
Obliwitz in das Provinzialmuſeum Pommerſcher Altertümer gelangt. Die 
Juſammenſetzung und die in allen Einzelheiten geſicherte Ergänzung der 
Hausurne, ſowie der Türabguß, der die Innenkonſtruktion erkennen läßt, 
werden dem Nömiſch⸗germaniſchen Jentralmuſeum verdankt. 

Das dreihenkelige Beige fäß mit rauhem Unterteil und glattem Hals 
(Abb. 3 links) zählt zu den ſelteneren Formen der oſtpommerſchen Stein⸗ 
kiſtengräberkultur, iſt aber ſchon mehrfach in Geſellſchaft von Mützen⸗ oder 
Geſichtsurnen offenbar jüngeren Typs angetroffen worden. Das gleiche gilt 
für die Bronzenadel mit einfach profiliertem Köpfchen. und leicht geriefeltem 
Hals (Abb. 3 rechts unten). Das Grabinventar gibt alſo im weſentlichen 
nur eine Beſtätigung der bisherigen Unſchauungen über die Jeitſtellung 
unjeter Pfahlhausurnen. Für die neue Obliwitzer Hausurne im beſonderen 


1) F. Behn: hausurnen. Berlin 1924, S. 31—36 mit Taf. 12—14 Les find auch 
die älteren Veröffentlichungen Enge. — Ferner: S. Behn: Artifel „Dach“, „Haus 
und „Hausurne“ in Eberts Reallexikon, II, S. 340 f.; V, S. 160 ff. und S. 221 ff. — 
J. Roſtrzewski: Etat actuel des recherches sur l' architecture préhistorique en Pologne 
et dans les pays limitrophes, in: Institut international d’anthropologie, IIe session 
Prague 14—21 septembre 1924. Paris 1926. — W. Schulz: Über hausurnen, in: Mannus 
XVII, 1925, S. 81—87. — C. Schuchhardt: Vorgeſchichte von Deutſchland. München⸗ 
Berlin 1928, S. 197 f. 

2) G. Koffinna: Mannus, Erg.-Bd. IV, 1925, S. 51. 

3) Alles, was aus den Abbildungen klar erſichtlich ijt, wird im Text nicht mehr be: 
ſonders erwähnt. Denn es bedeutet unnütze Raumvergeudung und Jeitverſchwendung 
für den Bann wie für den Lefer, wenn derartige Mitteilungen mit ermüdenden Maß⸗ 
angaben und langweiligen Beſchreibungen belaſtet werden, die überdies eine Material⸗ 
veröffentlichung nur nad ungenießbarer und unüberſichtlicher machen, als fie gar zu oft 
an ſich ſchon fein muß. Auch im vorgeſchichtlichen Schrifttum könnte vieles „rationaliſiert“ 
werden! 


2] Eine neue oſtpommerſche Pfahlhausurne 33 


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Abb. 1. Die hausurne B von 1 (Kr. Lauenburg). Die Tür iſt verkehrt eingeſchoben, 
da ſonſt zwei der drei Derjchlußlöcher links hinter der Wand verſchwunden waren. 


läßt es die Möglichkeit offen, daß ſie die jüngſte Vertreterin ihrer kleinen 
ehe ijt, 0 8 auch manche Eigenheiten am Gefäße ſelbſt zu ſprechen 
ſcheinen. 

Die hausurne (Abb. 1 und 2) kommt an Größe ihrer Schweſter 
vom gleichen Fundort ziemlich nahe. Sie ſteht wie dieſe auf nur vier Süßen. 
Durch ihr Material, die verhältnismäßig dünne Wandung und die Dachver— 
zierung erweckt fie viel ſtärker als die anderen oſtpommerſchen Hausurnen 
den Eindruck einer feinen handwerksgerechten Töpferarbeit. Dadurch wird 
aber zugleich der weſentlich ſchematiſchere Charakter der Geſamtdarſtellung 
betont. Dom tragenden und ſtützenden Holzgerüſt des Baues ijt weder an 
den Wänden noch am Dache etwas angedeutet. Die ziemlich niedrigen Süße 
laſſen die eigenartigen, wohl mit Recht als Steinplatten erklärten Wulſte 
vermiſſen, die fic) ſelbſt an der kleinen Urne von Woedtke noch finden. Der 
Str ijt wenig ausgeprägt und nur zum rechten Giebel hin ſchärfer geſtaltet. 
Etwas hervorgehoben wird er lediglich durch zwei ſchmale eingeritzte Zickzack— 
bänder. Die Form der Dachhaut erinnert beinahe an ein Tonnengewölbe. 
Der Eingang, wieder an der rechten hälfte der einen Langſeite, iſt als Schiebetür 
in bekannter Weiſe gebildet. Sie ijt nebſt der Lauf- und Stoßnute und einem 
Dertifalpfoften an der Innenwand vollſtändig erhalten (Abb. 5 rechts). 
Drei Löcher bezeugen das ehemalige Dorhandenjein einer Derſchlußvorrich— 
tung. Mit ihrer Hilfe muß man die Tür auch zugeſchoben haben, was anders 

Mannus, Jeitſchtift für Vorgeſch, VI. Erg.-Bbd. 3 


Digitized by A 23) 


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Abb. 5. Rechts Innenanſicht der Tür (nach Abguß); darunter die Bronzenadel. 
Links das dreihenkelige Beigefäß. 


4) Eine neue oſtpommerſche Pfahlhausurne 35 


von außen unmöglich geweſen wäre. Ob man freilich in dieſem Teil der 
Urne, der in unſerem Falle allein als neue baugeſchichtliche Quelle höheren 
Ranges in Frage kommen könnte, eine annähernde Wiedergabe der Wirklich⸗ 
keit erblicken darf, wird wohl immer Anſichtsſache bleiben. Die auffallende 
Dachzeichnung endlich, die wir uns aus begreiflichen Gründen ſo naturaliſtiſch 
wie möglich wünſchen möchten, iſt offenſichtlich dem üblichen Jierſchatze 
jener Zeit entnommen. Gleichwohl halte ich die Auswahl, Verteilung und 
Anordnung der wenigen dabei benutzten Einzelmotive für höchſt bemerkens⸗ 
wert: das Ornament iſt trotz ſeiner rein geometriſchen Erſcheinung in ſeinem 
Gerippe nichts anderes als eine bis zum äußerſten ſtiliſierte ſchematiſche 
Darſtellung eines Stroh⸗ oder Schilfdaches mit feinen noch heute zum Feſt⸗ 
halten der Decke mitunter gebräuchlichen Behelfen. Abgeſehen von ihrem 
Werte für die Denkmälerſtatiſtik und Siedlungskunde iſt die neue Pfahlhaus⸗ 
urne alfo in erſter Linie kunſtgewerblich intereſſant, vielleicht auch allgemein 
lehrreich, z. B. für die Betrachtung der mannigfachen Ornamente an den 
Geſichtsurnen. Als Urkunde vorgeſchichtlicher Baukunſt allerdings ſteht die 
Obliwitzer zweite unter unſeren Pfahlhausurnen gewiß an letzter Stelle. 
Wenn wir fie ihrer ganzen Art nach für die jüngſte in der Reihe halten, 
können wir uns zur Beſtätigung wohl auch auf die Beigaben berufen !). 


1) Die hausurnen des Kreifes Lauenburg gehören ſämtlich dem Provinzial⸗ 
muſeum pommerſcher Altertümer, das aus den Sammlungen der Geſellſchaft für 
pommerſche Geſchichte und Altertumstunde hervorgegangen ijt und Mitte Auguſt im 
eigenen Haufe ( EN — Ede EE eröffnet wird. An dem Gelingen diejer 
gewiß begrüßenswerten Neugründung ijt G. Koffinna inſofern nicht unbeteiligt, als 
aerade er die Bedeutung unſeret vorgeſchichtlichen Abteilung durch die wiſſenſchaftliche 
Verwertung eines 10 Teiles ihres Sund Elan ins rechte Licht gelegt hat. Daher 
darf das Provinzialmuſeum Pommerſcher Altertümer in dieſer Feſtſchrift nicht unvertreten 
bleiben, wenn au infolge der Umzugs- und Einrichtungsarbeiten nur eine kleine Mit⸗ 
teilung beigeſteuert werden kann. 


3* 


Das ſpätrömiſche Holzeimerchen von Wutike 
(Oſtprignitz). 


Don Jörg Lechler. 
mit 1 Abbildung im Text. 


Das Heimatmuſeum in heiligengrabe (Prignitz) bringt dem Altmeiſter 
der deutſchen Vorgeſchichte dieſen kleinen Beitrag als Zeugnis dafür, wie „gute 
Taten fortzeugend Gutes gebären müſſen“, und wie die Wiſſenſchaft, wenn 
es richtig angefaßt wird, nicht nur eine Sache der Gelehrten bleibt, ſondern 
im breiten Volke Widerhall findet, lebendig wird und der Stärkung des Heimat⸗ 
gefühls und der Belebung der Heimatpflege dient. Als Paul Quente 
Schüler von Koſſinna wurde, trug er die Begeiſterung für die deutſche Vorzeit 
in die Bauernbevölkerung der Oſtprignitz. Im Laufe feiner zweijährigen 
Tätigkeit ſchuf er im Kloſter Heiligengrabe unter Mithilfe der geſamten Cand- 
bevölkerung im Handumdrehen ein ſtattliches Muſeum, das manchen wert- 
vollen Fund birgt, gründete den Muſeumsverein, dem bald über 500 Bauern 
angehörten und der ſozuſagen das finanzielle Rückgrat für das Muſeum 
bildete. Durch die Tätigkeit des Muſeums, die auch nach dem heldentod 
von Paul Quente nicht zum Stillſtand kam, iſt der Begriff „Vorgeſchichte“ 
derartig im Kreiſe lebendig geworden, daß der Gedanke immer mehr Platz 
greifen konnte, eine archäologiſche Landesaufnahme von Kreis wegen zu 
unternehmen. Durch die Tatkraft des Landrats Egidi vom Kreiſe Oſt⸗ 
prignitz wurde fie Tatſache und ſteht heute vor dem Abſchluß. Die archäo— 
logiſche Landesaufnahme wieder belebte das Intereſſe für die Vorgeſchichte 
ganz außerordentlich, da Dr. Walter Matthes, den man mit dieſer Auf- 
gabe betraut hatte, Ort für Ort bereiſte und Fragebogen und Mitteilungen 
an alle intereſſierten Kreife, Lehrer ujw. gehen ließ; jo auch nach Wutike, 
wo im Schulunterricht Lehrer häntſch eingehend alle Kinder nach Beobach— 
tungen im Gelände befragte und ihnen als Aufgabe ſtellte, zu hauſe über 
bei Candarbeiten gefundene Gegenſtände nachzufragen. Nur dieſer Methode 
iſt es zu danken, daß der ſchöne Fund eines ſpätrömiſchen Eimers nicht ver— 
loren gegangen iſt, denn beim Beſuch in Wutike ergab ſich, daß die Enkel— 
kinder des Altſitzers Legde angegeben hatten, daß beim Sandabfahren in 
einer Sandgrube Holz und Scherben gefunden wären, daß ſie dieſe nicht 
hätten wegwerfen laſſen, ſondern für das Muſeum aufgehoben hätten. Die 
Beſichtigung ergab, daß es ſich um einen recht ſchönen Fund handelte, da 
tatſächlich von dem Holzeimer der größte Teil des Holzes ſehr gut erhalten 


2] 


Das ſpätrömiſche Holzeimerden von Wutike (Oſtprignitz) 


Abb. 1. Der Fund von Wutike. 


37 


38 Jörg Lechler, Das ſpätrömiſche Holzeimerchen von Wutike (Oſtprignitz) [3 


war. Die Juſammenſetzung und Ronſervierung übernahm das Jentral- 
muſeum Mainz in liebenswürdiger Weiſe. So ijt aus dem Zuſammenwirken 
vieler Urſachen dieſer ſchöne Fund geborgen worden. 

Das Eimerchen hat jetzt, da der Boden fehlt, eine höhe von 11 cm, 
oberer Durchmeſſer 11,2 cm, unterer Durchmeſſer 13 em, Bronzebeſchlag: 
der obere Reifen 0,6 em, die dunklere Stelle darunter, auf der der obere Be⸗ 
ſchlag geſeſſen haben muß, iſt 1,8 em breit. Der mittlere Beſchlag hat die 
gleiche Breite, der untere iſt 2,1 em breit. Das Holz iſt ſehr gut erhalten 
und zeigt eine helle Färbung, an den Stellen, wo der Beſchlag ſaß, dunkler. 
Nach der Unterſuchung von Dr. Egelhuber, Berlin, handelt es ſich um 
Eibenholz. Das dazugehörige Gefäß hat eine höhe von 11,2 em, oberer 
ck 14,8 em, unterer Durchmeſſer 5 cm. Farbe: ſchwarzgrau⸗ 
glänzend. 


b) Nordoſtdeutſchland. 


Swei germaniſche Grabfunde aus Rondjen, 
Kr. Graudenz (Römiſche Uaiſerzeit). 


Don Wolfgang La Baume. 
mit 11 Abbildungen im Text. 


Im Staatlichen Muſeum für Naturkunde und Dorgeſchichte in Danzig 
(ehemals Weſtpr. Prov.⸗Muſeum) werden zwei aus Rondſen ſtammende 
Grabfunde aufbewahrt, von denen bisher nur einzelne Stücke beſchrieben 
und abgebildet worden ſind, während andere nicht minder wichtige keine 
genügende Berückſichtigung in der Literatur gefunden haben 1). Deshalb 
ſollen beide Funde hier vollſtändig und im Juſammenhange, was ebenfalls 
noch nicht geſchehen iſt, behandelt werden. Die Anregung dazu verdanke 
ich meinem Kollegen Dr. Jahn (Breslau). 

Die in Rede ſtehenden Grabfunde ſtammen nicht etwa von dem be— 
kannten großen, germaniſchen Friedhofe bei Rondſen (ſüdlich vom Dorfe 
gelegen), der mehr als 1000 Gräber enthielt (875 Sunditellen find unter⸗ 
ſucht worden) und von der Spätlatenezeit bis zum Ende der älteren Kaifer- 
zeit reicht, ſondern aus einer Kiesgrube nördlich des genannten Ortes 
(Skizze bei Anger Gräberfeld von Rondſen und Jeitſchrift für Ethnologie 
1885, S. 2). Beide Friedhöfe find etwa 1% km voneinander entfernt. Über 
die Sundumftände iſt faſt nichts bekannt. Grab I wurde laut Mujeums- 
katalog im Jahre 1879 beim Kiesgraben gefunden und 1881 durch den um 
die Vorgeſchichte Weſtpreußens hochverdienten Landrat C. von Stump— 
feldt in Kulm (Weſtpr.) dem Danziger Muſeum geſchenkt. Die Beigaben 
aus Grab II kamen 1882 in 1,5 ın Tiefe zum Dorjchein (wahrſcheinlich eben— 
falls bei der Kiesentnahme) und wurden 1884 von dem Stadtrat Bohm in 
Graudenz dem Danziger Muſeum als Geſchenk überwieſen. Es handelt 
ſich höchſtwahrſcheinlich um zwei Stelettgräber; wenn ältere Autoren und 


1) Sitzungs-Bericht Anthrop. Sekt. Danzig vom 30. 3. 1881, S. 14 (v. Stumpfeldt). 
Ebdt. vom 10. 1. 1885 (Conwentz). — Ber. d. Weſtpr. Prov.⸗Muſ. 1884, S. 9. — Seit: 
ſchrift f. Ethnol. 1885, S. 2 mit Karte (Bohm). — Liſſauer, Prähiſt. Denkm. Weſtpr. 
(1887), S. 147/148, Taf. IV, 22 (Br.⸗Kanne). — Schr. Phuſ. Det. Gel, Königsberg 1889, 
SıB.:Ber. SG 12 (Tifchler). — Anger, Das Gräberfeld von Rondſen, Graudenz 1890, 
5.3 u. 4 mit Karte. — Zeitſchr. f. Ethnol. 1897, Verh. S. (178) Ciſſauer. — Conwentz, 
Votgeſchichtliche Wandtafel von Weſtpreußen V, Nr. 41 u. 45 (Kanne und Schöpfkelle). — 
Derſelbe, Mitt. Weſtpr. Geſch. Derein Danzig I, 1902, S. 12, Abb. 1 (Cupraea -Anhänger). 
— Nachr. über deutſche Altertumsforſch. 13, 1902, S. 92 (hub. Schmidt). — Conwentz, 
Das Weſtpr. Prov.⸗Muſeum 1880— 1905, Danzig 1905, Taf. 68, Sig.! (Bronze Kanne). - - 
Blume, Die germaniſchen Stämme J, 1912, S. 94, 139, 140, 141, 152, 157, 158; II, 
5. 160. — Almgren, Nordeuropäiſche Sibelformen (2. Aufl.) 1923, S. 148 u. 219, Nr. 86; 
Taf. II, Sig. 37 (Silberfibel). 


40 Wolfgang La Baume [2 


jelbjt Blume (a. a. O. II, 160) Grab II als Urnengrab anſehen, weil es in 
dem Bericht des Stadtrates Bohm (1885) heißt, die Kanne ſei „mit Sand 
und Aſche“ angefüllt geweſen, ſo muß demgegenüber betont werden, daß 
das Wort „Aſche“, wenn es ein Laie gebraucht, nicht unbedingt Knochen⸗ 
aſche (Ceichenbrand) bedeuten braucht, und daß auch der Geſamthabitus 
der Beigaben offenkundig für ein Skelettgrab ſpricht (vgl. dazu Mannus X, 
S. 45 Almgren). Es iſt ferner ſehr wahrſcheinlich, daß beide Gräber noch 
Mes Beigaben enthalten haben als beim Kiesabgraben zufällig gefunden 
wurden. 


Abb. 2. Rondſen, 
Kr. Graudenz. 
Goldener Anhänger 
Abb. 1. Rondfen, Kr. Graudenz. aus Grab I. 
Zwei filberne Sibeln aus Grab I. Nat. Gr. Nat. Gr. 


In das Weſtpreußiſche Provinzial⸗Muſeum find folgende Gegenſtände 
elangt: 
Grab I. Gefunden 1879. Muſeum Danzig IV, 152 a—e und 153. (Ge⸗ 
ſchenk 1881.) 
2 ſilberne Fibeln, 
1 Anhänger aus Gold, 
1 Bronze⸗Schöpfkelle. 
Grab II. Gefunden 1882 (Muſeum Danzig III, 236—248. Geſchenk 1884.) 
1 Bronze-Weinkanne, 
1 Bronze⸗Schale mit Griff, 
3 Bronze-Sibeln, 
2 große Bronze-Anhänger aus Drahtgeflecht, 
1 Cupraea⸗Hnhänger mit Ring, 
1 Bronze-Beſchlag mit Ring, 
2 geſchlitzte Bronze-Röhrchen. 


Die Beigaben aus Grab J. 


Die beiden Silberfibeln (Abb. 1 und Almgren Sibelformen, Sig. 37) 
find reich verzierte, fait gleiche Sibeln mit zweilappiger Rollenkappe und 
Sehnenhülſe; fie gehören der öſtlichen hauptſerie Almgrens an und find 
nach ihrer Derbreitung (Oder- und Weichſelgebiet mit dem Zentrum in 


3] Zwei germaniſche Grabfunde aus Rondſen, Kr. Graudenz (Römiſche Kaiferzeit) 41 


Weſtpreußen) offenſichtlich oſtgermaniſch. Da Sibeln dieſer beſonderen art 
in anderen Gräbern nur mit den früheſten Formen der anderen Sibelgruppen 


Abb. 5. Rondfen, Kr. Graudenz. Bronze-Schöpfkelle aus Grab I. ½ nat. Gr. 


Abb. 4. Dieſelbe Schöpfkelle von unten geſehen (Grab I). ½ nat. Gr. 


zuſammen vorkommen, iſt danach Grab I in den Anfang des älteren Ab- 
ſchnittes der römiſchen Kaiferzeit, alſo in das 1. Jahrh. nach Chr. zu ſetzen. — 


42 Wolfgang La Baume [4 


Der wundervolle Goldanhänger (Abb. 2), der bisher noch nirgends ab⸗ 
gebildet wurde, beſteht aus einer hohlen Kugel, an die oben eine filigran⸗ 
verzierte Oſe, unten ein ebenfo verziertes Kügelchengehänge angeſetzt find. — 
Die aus Grab I ſtammende vorzüglich erhaltene Bronze-Schöpfkelle (ab- 
gebildet bisher nur Dorgeſchichtliche Wandtafel von Weſtpreußen V, 41) 
zeigen unſere Abbildungen 3 und 4 in zwei elnſichten. 


Abb. 5. Rondſen, Kr. Graudenz. Bronze-Weintanne aus Grab II. ½ nat. Gr. 


Die Beigaben aus Grab II. 


Während die prächtige Bronze kanne wiederholt abgebildet worden 
ift (vgl. Abb. 5), iſt die mindeſtens ebenſo bemerkenswerte Bronzeſchale 
(Abb. 6 und 7) bis jetzt noch niemals im Bilde veröffentlicht worden. Sie 
hat einen langen, mit ſternförmig verbreiterter Baſis angelöteten und mit 
Cängs⸗ und Querrillen verzierten Griff, der am Ende in einen Widderkopf 
ausgeht. Wie aus einer Cötſtelle erſichtlich ijt, die der Griffbaſis genau 
gegenüber am oberen Rande der Schüſſel liegt, hat hier eine Verzierung ge— 
ſeſſen, die verloren gegangen iſt. Drei weitere Cötſtellen an der Unterſeite, 
die übrigens mit eingravierten konzentriſchen Kreiſen verziert ijt, laſſen 
erkennen, daß die Schale drei Füße gehabt hat. Der Boden der Schale zeigt 


5] Zwei germaniſche Grabfunde aus Rondſen, Kr. Groupen (Römiſche Kaiferzeit) 43 


Abb. 6. Rondſen, Kr. Graudenz. 
Bronze⸗Schale aus Grab II. !/, nat. Gr. 


Abb. 9. Rondfen, Kr. Graudenz. 
Zwei Bronze-Anhänger aus Grab II. 
1/, nat. Gr. 


Abb. 10. Rondſen, Kr. e 
Anhänger (Cypraea) aus Grab 11. 
½ nat. Gr. 


Abb. 8. Rondfen, Kr. Grauden3. Drei Bronze-Sibeln Abb. 11. Rondſen, Wr. . 
aus Grab II. ½ nat. Gr. Gürtelſchließe und Riemenſenke 
(Bronze) aus Grab Il. ½ nat. Gr. 


44 Wolfgang La Baume, Zwei germaniſche Grabfunde aus Rondjen. [6 


0 ft. eingraviertes Sternmuſter, das von einem Palmettenkranz um⸗ 
geben iſt. 

Don den drei in Grab II gefundenen Bronze-Sibeln (Abb. 8) find 
zwei ganz gleich; es find frühe Augenfibeln (Almgren Gruppe III, ältere 
Form, ähnlich Ulmgren, Abb. 45) mit geſchlitzten Augen am Bügelkopfende, 
die dritte iſt eine „kräftig profilierte“ Bronzefibel mit verbreitertem Haken 
und Stützplatte (Almgren Gruppe IV, Nebenform Fig. 71 (nicht Neben⸗ 
form Fig. 72, wie Blume II, 160 angibt). 

Die beiden großen körbchenartigen Anhänger aus Bronze (Abb. 9) 
ſind verſchieden geformt, wenn auch in der gleichen Technik ausgeführt. 
Ein dritter Anhänger (Abb. 10) beſteht aus einer 7,5 em langen Cypraca 
pantherina (Mitt. Weſtpr. Geſch. Der. I, I, S. 12 Conwentz) mit Bronze⸗ 
ring, ein Schmuck, der gewiß nicht zum pferdegeſchirr gehört hat, wie Con⸗ 
went angibt. Über die Lage der Anhänger im Grabe iſt nichts bekannt 
geworden, jedoch möchte ich annehmen, daß die beiden Bronzeanhänger 
(Abb. 9) am Gürtel gehangen haben, wie 3. B. andere große Anhänger, die in 
Prauſt, Grab 45 in der Gürtelgegend gefunden wurden (Blätter für deutſche 
Vorgeſchichte, Heft 4, 1926, Taf. IIIA Ca Baume). 

Der Gürtel ſelbſt ijt offenbar mit hilfe der aus Bronze gearbeiteten 
Gürtelſchließe (Hbb. 11) verſchloſſen worden (das Gegenſtück, wohl ein 
Haken, fehlt). Zum Riemenzeug (Gürtel?) gehören endlich die beiden röhren⸗ 
förmigen Bronzehülſen (Abb. 11), die offenbar Riemenſenkel vorſtellen. 

Zuſammenfaſſung. Bei den beiden oben behandelten Gräbern aus 
der Kiesgrube von Rondſen handelt es ſich, wie die Sibel-Beigaben dartun, 
um oſtgermaniſche Skelettgräber aus der frühen Kaiſerzeit, und zwar aus 
dem 1. Jahrh. nach Chr. Geburt. Nach ihren Beigaben kann man ſie gewiß 
als „reich 180 Gräber bezeichnen, wenn auch Almgren (Mannus X, 
1 ff.) nur diejenigen, die mindeſtens zwei römiſche Gefäße enthalten, als 
ſolche anſehen will, was bei Grab J nicht zutrifft. Mir ſcheint aber, daß 
Almgren fic) zu eng auf die Zahl der römiſchen Gefäße feſtgelegt hat; 
wenn die Frage des Importes von römiſchen Bronzegefäßen nach S 
germanien einmal unter Erfaſſung des geſamten bekannten Materiales 
in Angriff genommen werden follte, wird fid) dann wohl ein anderes Bild 
ergeben als das, zu dem Almgren gelangte. Jedenfalls füllen die Sunde 
aus der Riesgrube Rondjen bereits die von Almgren angenommene Lüde 
aus, injofern fie einmal aus der älteren Kaiſerzeit und zweitens aus dem 
von Almgren als in dieſer hinſicht „fundarm“ bezeichneten gotiſch-burgun⸗ 
diſchen Kulturkreis ſtammen (Ulmgren a. a. O. S. 7). 

Iſt Grab I durch feinen Reichtum an Edelmetall (2 Silberfibeln, 1 Gold— 
anhänger; wer weiß, was verloren gegangen ſein kann?) bemerkenswert, 
ſo Grab II durch die beiden römiſchen Gefäße, von denen die eigenartige 
Schale mit widderfopfverziertem Griff bisher wohl ohne Parallele unter 
allen germaniſchen Funden iſt, ferner durch ſeltene Formen von großen 
Anhängern und eine ebenfalls ſeltene Urt des Gürtelverſchluſſes. 


Skelettgräber zwiſchen Weichſel und Memel 
aus der römiſchen Kaiſerzeit. 


dur oſtpreußiſchen Gotenfrage. 
Don Wilhelm Gaerte. 
Mit 1 Karte). 


In feinem Auffak „Castrum Weklitze, Tolkemita, Truso“ (Elbinger 
Jahrbuch, Heft 5/6, 1927, S. 115 ff.) nimmt M. Ebert kurz Stellung zum 
Problem der Goten in Oſtpreußen. Er ſtellt feſt, „daß die immer wieder⸗ 
holten Behauptungen von einem kaiſerzeitlichen Gotenreich im öſtlichen Oſt— 
preußen ....... am archäologiſchen Material keine tragfähige Unterlage 
habe“ (a. a. O. S. 117). Hinſichtlich der ſamländiſch-natangiſchen Kultur 
während der römiſchen Kaiſerzeit will M. Ebert nur eine „friedliche, kul⸗ 
turelle Beeinfluſſung von ſeiten der überlegenen germaniſchen Kultur des 
Weſtens auf die altpreußiſch-aiſtiſche, wobei die Einſprengung ethniſcher 
Splitter gotiſcher Herkunft innerhalb des aiſtiſchen Siedlungsgebietes nicht 
ausgeſchloſſen ſei“, gelten laſſen. 

Ich glaube nicht, daß auch nach dieſen Ausführungen Eberts das 
Gotenproblem in Oſtpreußen gelöſt ijt. Dazu bedarf es eingehenderer, um: 
faſſenderer Studien an dem kaiſerzeitlichen Material, als ſie bisher geliefert 
ſind. Die vorliegende Urbeit will nun einen kleinen Beitrag zu der Goten— 
frage liefern. Sie knüpft an die Behauptung an, „daß der am dichteſten be— 
ſiedelte Teil, der Kreis Siſchhauſen, faſt nur reine Brandbeſtattung bietet“ 
(M. Ebert, a. a. O. S. 115). Ebert verweilt auf Ulmgren (Mannus 8, 
S. 287 ff.), der eine Karte der oſtpreußiſchen Gräberfelder aus der römiſchen 
Raiſerzeit mit Hervorhebung der Stelettgräber entworfen hat. Nun hat aber 
Almgren ſelber, bereits Mannus 10, 1919, S. 9 Gelegenheit genommen, 
bezüglich der erwähnten Karte „einen ſehr bedauerlichen Fehler zu berich— 
tigen“. Er ſchreibt: „In dem fundreichen oſtpreußiſchen Kreis Siſchhauſen 
ſollten nämlich die Stelettgräber der Periode 13 viel ſtärker zum Vorſchein 
kommen (mit 4 oder 5 Zeichen, ſtatt 1)“. 

Da gerade die gemiſchten Gräberfelder für die oſtpreußiſche Goten- 
frage äußerſt wichtig find, fei hier eine Lijte der bisher bekannt gewordenen 
Stelettbeitattungen zwiſchen Weichſel und Memel aus der römiſchen Kaiſer— 
zeit (mit Karte) gegeben. Seit den Veröffentlichungen von E. Blume: Die 
germaniſchen Stämme und E. Hollad: Erläuterungen iſt eine Anzahl neuer 
Sundplätze hinzugekommen. 


1) Gezeichnet von Muſeumspraktikantin M. Toſchke. 


46 W. Gaerte [2 


a a ee | 
on 2 % w 5 0 % ö Km 


Zeichenerklärung 

e - Periode C 

o- . B-C 

o . B 

A = unbest.ob Bod. C 


Sundftellen der Stelettgräber in Oſtpreußen aus der römiſchen Kaiferzeit; 
Periode B = 1.—2., C = 3.— 4. Jahrh. n. Chr. 


TEE TK WE 


As e 
S 


Ze, LK Eier? 


. Wotlik, Kr. Elbin 


. Keimtallen, Kr. Heiligenbeil. Lit. Hollad, S. 66. Schr. d 


d Se SR Dr. ⸗Eulau. Lit. 


Stelettgräber zwiſchen Weichſel und Memel aus der römiſchen Kaijerzeit 47 


Verzeichnis der Fundſtellen. 


Willenberg, Kr. Stuhm. Grabung durch Stadtrat Voigtmann, Marienburg. Uns 
veröffentli tt. Inv. Städt. Muſeum in Marienburg. 
Ciebenthal, Kr. Marienburg. Lit. Blume II S. 154. Inv. Pruſſia⸗Muſeum, Staatl. 
Muſeum f. Waturfd. u. Vorgeſchichte, Danzig. 
Laaſe, Kr. Stuhm. Lit. Blume II S. 154. 
Mienten, Kr. Stubm. Lit. Blume II S. 156. 
Garnfeedorf-Abbau, Kr. Marienwerder. Lit. Blume II S. 141. Inv. Staatl. 
EN 280 
Goldau, Kr. Rojenberg. Lit. Blume II S. 147. 
Klein⸗Lensk, Kr. e Cit. A S. 71. 
Kickelhof, Kr. Elbing. Lit. Blume II S. 151. Inv. Städt. Muſeum Elbing. 
Elbing⸗Nenſtädter Feld. Lit. in II S. 146. Inv. Städt. AN Elbing, 
Staatl. Muſeum 19 Döltertunde-Mufeum Berlin, Mufeum Nürnberg 

it. Elbinger Jahrbuch, gel! 5/6. 1927. S. 123ff. 
Wolfs orf: Höhe, t. Elbing. Lit. Blume 1 5.168. Inv. Städt. len Elbing. 
Pomehrendorf, Kr. Elbing. SE us Prof. Dr. Ehrlich, € 


. Bansdorf, Kr. Elbing. Lit. Blume S. 150. Inv. Staatl. Mufeum Danzig, 


Stadt. Muſeum Elbing. 
droleg, Kr. Pr.⸗Holland. Lit. Blume II S. 152. Hollad, S. 2 


5. Bauditten, Kr. Mohrungen. Beſichti Ké durch Dr. Gaerte im April 1928. Zum 


onen Teil zerſtört. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 

ollwitten, Ar. Mohrungen. Grabung durch Dr. Gaerte 1926/27. Unveröffentlicht. 
Jno. Pruſſia⸗Muſeum. 

Gr. Beſtendorf, Kr. Mohrungen. Lit. Pruſſia, Zeitſchrift der Altertumsgeſellſchaft 
Pruſſia, Heft 26, S. 310 ff. Prvatbeſtt. 


, böfen, Kr. Mobrungen. eſichtigt durch Dr. Gaerte im April 1928. So gut wie ganz 


ot Unveröffentlicht. 
oeniden, Kr. Oſterode. Grabung durch Dr. Gaerte im Juni 1928. Saft vollſtändig 
zerſtört. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 


. Littfinten, Kr. Neidenburg. ‚Srabung durch Prof. Peiſer 1910. Protokoll und Inv. 


im Pruſſia-Muſeum. Unveröffentlich 

Wuſen, Kr. Braunsberg. Lit. Hollack, 5. 188. Inv. Sammlung Blell, Marienburg. 
d. Dh ‚det. ⸗Geſellſchaft. 

Bd. X S. 138. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 


: Sdagberg as bee enbeil. Cit. hollack, S. 186. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 


ylau. Lit. lad, 5. 5. 142. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 

ollad, S. 88. Inv. Pruſſia⸗-Muſeum und Sammlung 
des Oberl. Geſchichtsvereins ühlhauſen. 
Widrinnen, Kr. Raſtenburg. Lit. Hollad, S. 179. Ind. Pruſſia⸗Muſeum. 


NN. Kr. Gerdauen. Lit. ollad, S. 58. Jeitſchr. f. Ethnol. 1908, Bd. 40, 


173. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 
Grebieten, Kr. Siſchhauſen. Sitz.⸗Ber. d. Altertums⸗Geſellſch. Pruſſia XIII S. 176. 


f 1 Kr. Siſchhauſen. Lit. Hollad, S. 22. Sitz.⸗Ber. d. Altert.⸗Geſellſch. Pruſſia 


47. Inv. Pruſſia-⸗Muſeum 


S Berck Kr. Siſchhauſen. peiler, Sitz.⸗Ber. d. Altert.⸗Geſellſch. Pruffia XXIII I, 


212, 6; 214, 14; 216, 24 und 217. Inv. Pruſſia-Muſeum. 


: Wie kau, Kr. Siſchhaufen. Lit. hollack, S. 179. Inv. Pruſſia-Muſeum. 
. Rogehnen, Kr. Siſchhauſen. Grabung durch Dr. Gaerte 1926. Unveröffentlicht. Inv. 


Pruſſia⸗Muſeum. 

Margen, Kr. Siſchhauſen. Lit. Hollad, 5. 97. Inv. Pruflia-Mufeum. 

Rofenau, Kr. Königsberg (Pr.). Lit. hollack, S. 156. Ino. Pruſſia-Muſeum. 
Cobjeiten, Kr. Siſchhauſen. Grabung durch Dr. Gaerte 1920. Unveröffentlicht. 
Inv. PrufliaMufeum. 

Eisliethen, Kr. Siſchhauſen. Sik.-Ber. d. Altert.⸗Geſellſch. Pruſſia Heft 20, S. 46. 
Schr. d. Phuſ.⸗Oek.⸗Geſ. XXXVII S. 122. Inv. Pruſſia-Muſeum. 


. Dollte im, Kr. Siſchhauſen. Lit. hollack, S. 28. Inv. Pruſſia-Muſeum. 


Steinerkrug, Kr. Siſchhauſen. Lit. Hollad, S. 142. Inv. Pruſſia-Muſeum. 
Neidtleim-Sürftenwalde, Kr. Königsberg (Pr.). Lit. Hollad, 5. 102. Sitz.⸗Ber. d. 
huſ.⸗Oek.⸗Geſellſch. IX S. 42 und XVIII S. 41. Inv. Pruſſia-⸗Muſeum. 
illtühnen, Kr. önigsberg (Pr.). Grabung durch Dr. Gaerte im März 1928. 
Unveröffentlicht. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 


60. 


. Kleinhof-Tapiau, Kr. Wehlau. L 
. Rominten, Kr. Goldap. Lit. Hollad, S. 156. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 
. Wistianten, Kr. Siihhaufen. Lit. Hollad, S. 184. Siß.-Ber. d. Altert.⸗Geſellſch. 


W. Gaerte, Stelettgräber zwiſchen Weichſel und Memel aus der röm. Kaiſerzeit [4 


Unveröffen eum. 


t. Hollad, S. 70. 


. Gr. EN Kr. Königsber dx Grabung durd) Dr. Gaerte im April 1928. 


t. Inv. 8 u 


Pruſſia XXII S. 207 ff. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 
Lobitten, Kr. Königsberg (Pr.). Lit. hollack, S. 91. Sitz.⸗Ber. d. Altert.⸗Geſellſch. 
Pruſſia XX S. 46. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 


. Correynen, Kr. Königsberg. Lit. hollack, S. 25. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 
. Caynen, Kr. Cabiau. Lit. Hollad, S. 21. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 

. Morttten, Kr. Cabiau. Lit. Hollad, S. 100. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 

A 5 

mehlaw : 
. Bendiglanten, Kr. Cilſit⸗Ragnit. Lit. Sitz.⸗Ber. d. Altert.⸗Geſellſch. Pruſſia XXIII I, 


Kr. Labiau. Lit. Hollad, S. 92. Inv. Pruſ Zell 
ujeum 


ſchten, Kr. Cabiau. Cit. Hollad, S. 98. Ind. 110 7 


S. 159. Inv. Pruſſia⸗Muſeum 


. Dolompen, Kr. Ae Lit. Hollack, S. 120. Inv. ſſia⸗Muſeum. 
Tumpönen, Kr. Cilſit⸗Ragnit. Lit. Sitz.⸗Ber. d. Altert.⸗Geſellſch. Pruſſia XXII 


S. 150 f. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 
Barsduhnen, Kr. heudekrug. Lit. Hollad, S. 11 f. Jeitſchr. f. Ethnol. 1908, S. 173. 
Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 


. Wiltieten, Kr. Memel. Lit. Hollad, S. 181f. Inv. Pruſſia⸗Muſeum, Inſterburger 


Muſeum. 
Pleſchkutten, Kr. Memel. Lit. Hollad, S. 116. Sitz.⸗Ber. d. Altert.⸗Geſ. Pruſſia 
S. 149 f. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 


. Schernen, Kr. Memel. Lit. Hollad, S. 145. Inv. Pruſſia⸗Muſeum. 


ae e Kr. Memel. Lit. Hollad, S. 106. Inv. Pruſſia⸗Muſeum und Dölker⸗ 
kunde⸗MRuſeum Berlin. 

Andullen, Kr. Memel. Hollad, S. 6. Inv. Inſterburger Muſeum, Berliner Muſ., 
Pruſſia⸗Muſeum. 


Nachtrag. 


Schlakalken, Kr. Souen Lit. Hollad, S. 144; Skelettbeſtattung aus Periode B. 
Inv. Pruſſia⸗Muſeum. Wad) freundlichem Hinweis durch ud. präh. Jankuhn⸗ 
Tilſit. Auf der Karte nicht verzeichnet. 


e) Oſtdeutſchland. 


Ein Grab der Stein⸗Bronzezeit bei Bautzen. 
Don Walther Srenzel. 
Mit 4 Abbildungen im Tert. 


Die jüngere Steinzeit iſt in der Oberlauſitz, abgeſehen von einigen 
megalithiſchen Grabfunden, vornehmlich durch die Schnurkeramik vertreten. 
Obwohl das Vorkommen der Bandkeramik durch die Huffindung einer größeren 
Jahl dieſer Kultur zugehöriger Steinwerkzeuge ſich anzeigt, iſt doch ein band⸗ 
keramiſcher Siedlungsplatz in dem dicht von vorgeſchichtlichen Wohnſtätten 
durchſetzten Bautzener Gefilde noch nicht nachgewieſen worden, eine Tatſache, 
die uns umſomehr in Verwunderung ſetzen muß, als im anſchließenden, nur 
durch einen 20—30 km tiefen Urwaldgürtel von der Oberlauſitz abgetrennten 
Elbtal die Bandkeramik reich vertreten iſt. 

Es war andererſeits ſchon ſeit längerer Zeit beobachtet worden, daß 
ſich in unmittelbarer Nähe ſchnurkeramiſcher Grabſtätten, mehrfach in nur 
wenigen Metern Entfernung, die Gräber der älteſten Bronzezeit Aunjetiger 
Rulturzugehörigkeit vorfanden. Eine unmittelbare Beziehung zwiſchen beiden 
Rulturen war auch für die Oberlauſitz höchſtwahrſcheinlich, nur fehlte es 
bislang an einem Grabe, das die Kulturgüter beider Kreiſe in ſich vereinigt. 

Im Sommer 1927 beobachtete ich vom Staatskraftwagen Bautzen⸗ 
Kamenz aus während der Fahrt auf der Dresdener Straße in der Sandgrube 
Schiffner, die an der Slurgrenze nach Rattwitz auf Stiebitzer Ortsmark liegt, 
zwei dunkel verfärbte Mulden unter der deckenden humusſchicht. Ein Der: 
ſuch, fie zu unterſuchen, mußte unterbleiben, weil durch die ſömmerliche hitze 
der ſandige Cößlehm derart trockenhart geworden war, daß bei der Grabung 
die etwaigen Kulturrejte aus der Mulde hätten herausgebrochen werden 
müſſen. Ein ſpäterer Derfud) des herrn Oberlehrer Wilhelm mißlang 
gleichfalls. An beiden Tagen wurden einige kleine unverzierte Scherben 
aufgeleſen, die dem Habitus nach teils als bronzezeitlich, teils als ſteinzeitlich 
angeſprochen wurden. 

Als Ende kluguſt die Sandgrubenarbeit ſich den Mulden bedrohlich 
näberte und Gefahr beſtand, daß ihr Inhalt durch Unterhöhlung herabbrechen 
werde, mußte der Verſuch einer Notgrabung erneuert werden. Ein Abdeden 
der Oberfläche war völlig unmöglich, wir mußten uns vielmehr darauf be— 
ſchränken, die Mulde in ſenkrechten, mit der Sandgrubenwand gleichlaufenden 
Schnitten zu unterſuchen. 

Der größte Teil der Mulde war früher ſchon zu Bruch gegangen, die 
benachbarte hatte das gleiche Schickſal erlitten. Wir konnten durch Befragen 
der Urbeiter nur feſtſtellen, daß „einige Schüſſeln“ und viele Scherben in 


mannus, Jeitſchtift für Dorgeich., VI. Erg.⸗Bd. 4 


50 W. Frenzel [2 


5] Ein Grab der Stein-Bronzezeit bei Bautzen 51 


dem heruntergefallenen Erdreich gelegen hätten, die fie nicht weiter be: 
achteten 1). Die Mulde war im größten erhaltenen Durchmeſſer 3 m breit. 
Die Durchſchnittstiefe betrug 0,50 —0,50 m, nur an der Nordſeite befand 
ſich eine Kuhle von 0,70 m Tiefe. Der geglättete und von allen Unebenheiten 
befreite Querſchnitt zeigte ſechs braunrot verfärbte Ortſteinbänder überein⸗ 
ander in etwa gleichlaufender Führung. Sie durchzogen das geſamte Gebiet 
der Mulde und wieſen an keiner Stelle Abweichungen auf, die auf eine nach⸗ 
trägliche Störung ſchließen ließ. (Eines der Bänder hat z. B. das ſchnurver⸗ 
zierte Krügel, welches ſchräg in der Erde lag, verfärbt. Dies iſt auf dem 
Cichtbilde deutlich zu erkennen. Die Verfärbung läuft vom rechten Rande 
quer über das Gefäß nach dem linken Bodenteile zu.) Die Kuhle enthielt 
einen Pferdeunterkiefer, deſſen Knodenteile äußerſt mürbe und nur in Reſten 
zu erhalten waren. Die Zähne find geborgen worden. Herr Schlachthof⸗ 
direktor Dr. med. vet. Canghoff-Bautzen hat die Beſtimmung vorgenommen. 
In der Nähe dieſer tieriſchen Reſte wurden einige unbearbeitete Feuerſtein⸗ 
ſplitter und mehrere Scherben angetroffen, die dem Habitus nach zunächſt 
als früh- oder mittelſlawiſch angeſprochen werden konnten. Es fei an dieſer 
Stelle auf die oft am Fundorte beobachtete Ahnlichkeit, ja Gleichheit vunner: 
zierter früh- und mittelſlawiſcher Scherben mit ſolchen der Schnurkeramik 
hingewieſen; ſelbſt dem geübten Auge ijt es oft ſchwer, ſofort eine Entſchei— 
dung zu treffen. 

Die Sorm der Mulde und einige dicht unter der Oberfläche gefundene, 
ſicher bronzezeitliche Scherben verſtärkten in uns die Überzeugung, daß die 
Anlage etwa der jüngeren Steinzeit oder der Aunjetiger Kultur zuzuteilen 
ſei. Nach äußerſt anſtrengender Arbeit hatten wir nunmehr über die ganze 
Im lange Fläche hin in drei Schichten die Mulde durchgearbeitet, jo daß 
lie jetzt um 0,40 m von der Sandgrubenwand zurückſtand und eine Einbruchs⸗ 
gefahr bei plötzlich auftretendem Regen vermieden war. Nur noch die letzten 
Schichtteile waren abzulöſen. Kaum hatte ich meinen eifrigen helfer, herrn 
Raſch, zugerufen: „Nun finden Sie aber endlich den Hunjetitzer Topf!“ — 
da zeigte ſich in 0,30 m Tiefe aufrecht ſtehend der Randteil der auf den Ab- 
bildungen in der Mitte dargeſtellten Aunjetiger Taſſe. Sie ſtand auf dem 
Boden der Mulde auf, enthielt außer einigen winzigen Holztohleteilchen 
keine Kulturreſte und war an einer Seite ſtark zerbrannt, jo daß der Ton 
ſchon beim Ubpinſeln ſchalig abzubrödeln begann. Sie wurde geborgen und 
wieder hergerichtet. Die Henkelbruchflächen find alt. Trotz eifrigen Suchens 
wurde kein Reſt des Hentels gefunden. Nach dieſem bisherigen Befunde 
a wir der knſicht, daß hier eine Siedlungsſtelle der Aunjetiger Kultur 
vorliege. 

Im Anfang September war das Erdreich endlich fo weit erweicht, daß 
die Grabung vollendet werden konnte. Mit herrn Medizinalrat Dr. Herbach, 
Herrn Studienrat Bartko und ſeinen eifrigen Schülern wurde nun die Ober— 
fläche abgedeckt und die Breitenausdehnung der noch erhaltenen Mulde auf 
1.20 in feſtgeſtellt. In der Mitte derſelben vor dem Abjturz zur tieferen 


1) Beim Fehlen eines Denkmalſchutzgeſetzes in Sachſen iſt es überaus ee. 
der Bevölkerung eine Doritellung von der Wichtigkeit der Bodenfunde zu vermitteln. Alle 
opferwillige Mitarbeit, beſonders der Landlehrerſchaft, die freudig und dankbar anerkannt 
ſei, rettet nur einen geringen Bruchteil der täglich bedrohten Altertümer. Solange nicht 
der ſächſiſche Staat durch Erlaß eines Geſetzes den Wert der Altertümer für die Doltss 
gemeinſchaft anerkennt, ſolange ſind unſere Bemühungen um deren Erhaltung von geringer 
Wirkung, ſolange auch werden „gebildete“ Kreiſe über die Arbeit der ſächſiſchen Dote 
geſchichtlet ihren wohlfeilen Spott ausſchütten können. 


4* 


52 W. Frenzel, Ein Grab der Stein⸗Bronzezeit bei Bautzen [4 


Kuhle lag ein Quarzitgeſchiebe von Kopfgröße. Don da aus zog ſich in die 
Kuble hinein ein Streifen ſchwarzen Sandlehms, der mit weißen Teilchen 
untermengt war. Im ganzen hatte er bei einer Längsausdehnung von 0,40 m 
und einer größten Breite von 0,15 m eine Tropfen- oder Beutelform. Hinter 
dem Stein entdeckten wir in 0,40 m Tiefe zwei kleine Gefäße, eben das ſchnur⸗ 
verzierte und das unverzierte Krügel. Leider war deren Ton durch die an- 
haltenden Regengüſſe wieder ſo ſtark erweicht, daß die Randteile beſchädigt 
wurden. Beide Krügel lagen ſchräg, mit der Offnung nach Nordoſten zeigend 
in der Mulde. Über ihnen fand ſich noch der Reſt eines der für die jüngere 
Steinzeit bezeichnenden Tonlöffels. Die beiden Gefäße lagen in 0,30 m Ent⸗ 
fernung von der Aunjetiber Taſſe gleichfalls auf dem Grunde der Mulde. 
Der Abitand nach der Breite zu betrug nur 0,10 m. 


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+ Einzelscherben 3% Stein = — — H Brandschicht . F 
Abb. 4. NS⸗Querſchnitt durch die Mulde Stiebitz I bezogen auf die Schnittebene Aer Wein: 
zeitlichen Gefäße (+ = Abſtand nach vorn, — = Abjtand nach dem hintergrunde). 


Nach dieſem Befunde iſt die Mulde als eine Beſtattungsgrube der älteſten 
Bronzezeit nach Art der Brandgruben der jüngeren Steinzeit anzuſehen ), 
die Brandbeftattung ijt auf dem Lichtbilde in der Mitte hinter dem Steine 
erkennbar, fie beſteht in jener tropfen= oder beutelförmigen Schicht ſchwarzen, 
mit weißlichen (Rnochen-)Bröckeln vermengten Sandes. Der Befund gleicht 
in feiner Beſchaffenheit durchaus den Brandreſten aus Gräbern der Schnur= 
keramik der Oberlauſitz. Für eine Skelettbeſtattung, die wir für die Aun- 
jetitzer Kultur, 3. B. in Burk nördlich Bautzen erweiſen konnten, fanden ſich 
hier nicht die geringſten Anhaltspuntte. Der geſamte Befund iſt als einheitlich 
anzuſehen. 


1) Dal. Mannus 1927, S. 16, Abb. 4. 


Ein bemerkenswertes Grab der Periode 
„Göritz II“ in Wieſenau (Landkreis Guben). 


Don Michael Martin Lienau. 
Mit 4 Abbildungen. 


Wieſenau (ehemals Krebsjauche) liegt im Landfreife Guben hart an 
der Südgrenze des Kreifes Lebus. Die Grenze der beiden Kreiſe verläuft 
im Zuge Oſt-Weſt zwiſchen Wieſenau (Guben) und Sinfenheerd (Lebus). 
Auf der heide der Witwe Cantzke (hinter dem Ottoſchen Mühlengrundſtück) 
in Wieſenau find wiederholt beim Stubbenroden Urnen gefunden und zer— 
ſtört worden, ohne daß die Forſchung davon Kenntnis bekam. Im Frühjahr 
1927, als Kinder beim Spielen wiederum (und zwar diesmal bronzezeitliche) 
Urnen zerſtörten an einer anderen Stelle dieſer Heide, wurde ich endlich 
gerufen und ſah bei herrn Müller Otto eine früheiſenzeitliche Urne vom 
Areal, von dem die wiederholten, jetzt verſchollenen früheren Sunde ſtammten. 
Dort hatte ich das Glück, bei den erſten Spatenſtichen auf mein Grab 1 zu 
ſtoßen, von dem hier hauptſächlich die Rede ſein ſoll. Nach langem Suchen 
gelang es mir, noch ein unberührtes Grab (Nr. 7) aufzudecken, deſſen 4 Gefäße 
(eine Urne mit Leichenbrand und Deckelſchale und drei größere Beigefäße, die 
im rechten Winkel zu der an einen großen Stein gelehnten Urne ſtanden) 
freilich gänzlich zerſcherbt waren; ein weiteres Grab (Nr. 2) war bis auf eine 
tiefſtehende Schale geſtört, um die halbkreisförmig eine Kette von blauen 
Glasperlen dreierlei Größe zum Teil in situ lag; die Perlen wechſelten augen— 
ſcheinlich (wenn auch die gefundene Spirale nicht mehr in Reih und Glied lag) 
mit kleinen Bronze-Spiralröhren ab. Es konnte beobachtet werden, daß die 
blauen Glasperlen ſo folgten: eine große (mit weißer umlaufender Wellen— 
linie) eine kleine blaue, mehrere kleine blaue ringförmige, dann wahrſchein— 
lich (es zeigte ſich eine entſprechende Cücke) eine Bronzeröhre, dann wieder 
in umgekehrter Reihenfolge (zur großen mit weißer Einlage aufſteigend) 
die Glasperlen. Ein kleines Eiſenfragment mit bandförmigem Eiſenring 
iit vielleicht ein Verſchlußſtück. Dicht bei der Schale befand ſich ein ſchwärz— 
licher rechteckiger Opferfleck von 0,20 : 0,25 m, in welchem die gleichen Perlen, 
2 Bronze -Spiralröhrchen und etwas Leichenbrand (anſcheinend vom Menſchen) 
lagen hier ohne Anordnung). (Dal. hierzu die Abb. 143/144 (Göritz II) 
bei „Götze, Kreis Lebus“, wo ähnliche Spiralröhrchen und ringförmige 
Bronzeperlen gezeigt werden. Die blaue Glasperle mit weißem Wellenband 
iit bekanntlich ein tupiſches Inventarſtück der „Göritzer“-Rultur (Götze, 
a. a. O., S. XIV). Die übrigen Scherbenfunde aus den ſehr zerſtörten Gräbern A 
4, 5, 6, 8 (alle mit Reiter von Leichenbrand) zeigen, wie auch Grab 7, die für 


54 M. M. Lienau [2 


„Göritz II“ typiſchen Ornamente und Gefäßformen, jo daß wir es in Wieſenau 
mit den Reiten eines Urnenfeldes „Göritz II“ zu tun haben. 
Nun wollen wir uns mit Grab 1 (Abb. 1, 2, 3 und 4) beſchäftigen: 
Abb. 2 zeigt das völlig freigelegte Grab mit ſeinen 11 Gefäßen. 


3) Ein bemerkenswertes Grab der Periode „Göritz II“ in Wieſenau (Landtreis Guben) 55 


Abb. 1 zeigt / tel der die beiden Gefäßaufſtellungen (die nördliche mit 
8 Gefäßen faſt ſchnurgerade, die ſüdliche mit 3 Gefäßen unregelmäßiger) 
trennenden Steinpackung, an deren Weſtende zwei große und ein kleinerer 
Stein aufrecht (ragend) ſtehen. Der vordere Teil (½¼ tel) der Steinpackung iſt 
abſichtlich vor dem Photographieren entfernt, um die Situation der Gefäße 
in ihrer Beziehung zur Steinpackung anſchaulich zu machen. Die beiden 
Reihen find von Oft nach Weft orientiert, die Gefäße 4/5 ſtehen im Oſten, 
Gefäß 11 im Weiten; die Reihe mit den 8 Gefäßen iſt die nördliche und iſt 
knapp 1 m lang, während die Steinpackung 1,20 m lang iſt. Der Abſtand 
der beiden Gefäßreihen beträgt im Mittel 0,50 m. 

Die Abb. 5 bringt die einzelnen Gefäße (bis auf Gefäß 7), deren Nume⸗ 
rierung derjenigen auf Abb. 2 (bzw. Abb. 1) entſpricht. Alle Gefäße bis 
auf Nr. 7 konnten, ſoweit dies nötig war, wieder hergeſtellt werden — aber 
man bekommt durch Abb. 2 auch von dieſem durch und durch brüchigen Gefäße 
eine flare Dorftellung. Es handelt fic) um eine Schale (mit vielleicht heraus⸗ 
gebrochenem henkel), die der Schale 9 bis auf den fehlenden henkel gleicht. 
Die Schichtenfolge beſteht aus Waldhumus 0,20 m, rotem grobkörnigem 
Kies 0,20 m, ſchwächer gefärbtem, ſandhaltigem Ries 0,22 m und darunter 
einer mächtigen Schicht reinen weißen Sandes. Das Grab war bis auf den 
weißen Sand eingetieft, über den man eine dünne Lage kräftig gefärbten 
Kiejes (augenſcheinlich aus der oberſten Kiesſchicht nach Entfernung größerer 
Steine) gebreitet und darauf die Gefäße geſtellt hatte. Über die Ornamente 
der Gefäße mich zu verbreiten, wird erübrigt durch die Abb. 4. 

Viermal (1, 4, 9, 11) tritt „imitierte Schnur” auf, viermal find die Gefäße 
ohne Ornament (2, 6 bis auf die zwei plaſtiſchen Knöpfe, 7 (Hbb. 2), 8. 
Die Farbe der Gefäße iſt größtenteils hellbraun, ſonſt ſchmutzig grau. 

Weshalb iſt nun unſer Grab 1 bemerkenswert? 

1. Weil es dem bisher ſüdlichſten Urnenfelde der Göritzer Peri⸗ 
oden I/II angehört !). 

Das vordem ſüdlichſte Grab (1 km ſüdlich des Loſſower Burgwalles) 
lag 4 km nördlich Wieſenau auf den Oderbergen. Es gehört gleichfalls zu 
„Göritz II“ (Götze, a. a. O., S. 34 unter Coſſow). Huch auf dem rechten 
(öſtlichen) Oderufer liegen im Kreiſe Weft-Sternberg zwei „Göritz II“-Sund⸗ 
ſtellen ſüdlich Frankfurt — eine neuere (ein reiches Grab mit imitierter Schnur) 
in Reipzig (gegenüber Loffow) und als ſüdlichſte (Wieſenau gegenüber, 
jedoch ein wenig nördlicher) eine ältere in Aurith mit den in „Göritz II“ 
häufig vorkommenden rohen Bronzehohlbommeln mit Ornamentkreuz auf 
der Unterſeite, die im Halbkreis am Fuße einer (verſchollenen) Urne lagen. 
(Schmuckband mit den Bommeln: im Frankfurter Muſeum.) 

2. Wegen der ſelten beobachteten Unordnung in 2 durch Steinpackung 
getrennten Gefäßreihen. 

3. Wegen des gänzlichen Fehlens von Leichenbrand (der Inhalt ſämt— 
licher Gefäße wurde fein durchſiebt). Sämtliche Gefäße enthielten nur den 
anſtehenden grobkörnigen (nicht entſteinten) roten Kies, während die 


1) Das Gubener Stadtmufeum mit feiner ao Billendorfer (der Göritzer gleich» 
zeitigen) Keramik, die, wie die übrigen vorgeſchichtlichen keramiſchen Beſtände, ausſchließ— 
lich aus dem Stadt⸗ und Landkreiſe Guben ſtammt, beſitzt nur zwei birnenförmige Gefäße 
„Goritz II“ mit Girlandenverzierung. Das eine Gefäß (ohne Leichenbrand) ſtammt 
vom Lubſtberg bei der Stadt Guben, von dem auch zwei „Göritz 11“-Schalen mit Gir— 
landenverzierung in der Berliner Prähiſtorlſchen Staatsſammlung ſich befinden; das andere 
Gefäß (mit Leichenbrand) ſtammt „angeblich“ auch aus der Stadt Guben ſelbſt. 


11 10 
Abb. 3. 
Grab 1. Wiejenau. 


Die Numerierung entſpricht den Nummern auf Abb. 2. Die beiden oberen Reihen ½ n. Gr., 
die beiden unteren ½ n. Gr. (Wegen Gefäß 7 |. Fert!) 


5) m. m. Lienau, Ein bemerkenswertes Grab der Periode „Göritz II“ in Wieſenau 57 


Beigaben (nur Fragmente), wie folgt, lagen: hinter der Standfläche von Ge⸗ 
faß 1 (im Inneren des Grabes) in einem ſchwärzlichen Sled (von der 1 % fachen 
Größe eines Fünfmarkſtückes) zwei Bronzefragmente (Hbb. 4, rechts); hinter 
den Gefäßen 9/10 (nach außen) in einem etwa gleichgroßen ſchwärzlichen 
Sled ein durch Hot aufge quollenes Eiſenfragment mit dem Rejte einer dünnen 
Bronzeauflage (vielleicht der bronzeplattierte Kopf einer gekröpften Eiſen⸗ 
nadel) und ein kleiner gebrannter Knochen (Abb.4, links); ſchließlich lag hinter 
Gefäß 3 (nach innen) ein kleiner Tierzahn (nach Dr. hilzheimer Zahnwurzel 
vielleicht von hund oder Fuchs). 

Sämtliche drei ſchwarze Slede lagen im ſelben Niveau in der roten 
dünnen Riesſchicht, von der ſie ſich ſcharf abhoben, unmittelbar über der 
weißen anſtehenden Sandſchicht. Für dieſen Befund gibt es zwei Deutungs- 
möglichkeiten, von denen mir das Renotaphion eine weit größere Wahr⸗ 
ſcheinlichkeit zu haben ſcheint 
als das Skelettgrab zwiſchen 
zwei Beigefäßaufſtellungen: 
ſchon deshalb, weil ſich in 
dem roten Rieſe „jtelettige 
Erde!, die ich während meiner 
Studienzeit bei Grabungen in 
Jütland zu beobachten reich⸗ 
lich Gelegenheit hatte, wohl 
hätte feſtſtellen laſſen, ins⸗ 
beſondere aber deshalb, weil 
wir aus der frühen Eiſenzeit 
im Oſten keine Stelettgräber 
kennen, abgeſehen vom djt- 
lichen Oberſchleſien, dem an⸗ 
grenzenden Gebiet von Klein⸗ 
polen (Umkreis von Krakau) 
und in Böhmen: Mähren Abb. 4. Nat. Gr. 

(Bylaner Kultur), wo ge⸗ 

miſchte Gräberfelder (Brandgräber und Stelettgräber) vorkommen. Man 
vergleiche hierzu „Eberts Reallexikon unter Adamowit (Seger) und 
Jwanowitzer Typus (Roſtrzewski)“. Es darf jedoch nicht unerwähnt 
bleiben, daß nach einer mündlichen Mitteilung aus der Berliner Prä- 
hiſtoriſchen Staatsſammlung (Döltermufeum) in den Katalogen bei Gériger 
Gräbern öfters der Vermerk zu finden ijt: „Kein Leichenbrand“. Da⸗ 
gegen ergibt ſich für die Anſprache unſeres Grabes als Kenotaphion eine 
große Wahrſcheinlichkeit, wenn man zwei durch die Steinpackung getrennte 
Scheinbeſtattungen (für ein verſchollenes Menſchenpaar) annimmt, bei denen 
die großen Gefäße 1 links und 6 rechts die Leichenbrandurnen vertreten 
würden. Jeder der Derjchollenen würde auch feine übliche Beigabe (bei 1 
und 9/10) haben — ſei es, daß deren ſehr fragmentariſche Eigenſchaft beab— 
ſichtigt war oder durch die Einwirkung eines Schein-(Ehren-)Scheiterhaufens 
hervorgerufen iſt. Die Scheinbeſtattung links mit den 3 Beigefäßen hat außer— 
dem noch einen kleinen Opferfled (bei 3) mit einem Jahn als Reft von einem 
Opfer eines Tieres. Dieſe Verteilung der Beigaben auf beide Gefäßreihen 
ſpricht auch gegen nur eine (Skelett-) Beſtattung. 

Bekanntlich hat Profeſſor Götze („Die vor- und frühgeſchichtlichen 
Denkmäler des Kreiſes Lebus“ — Seiten XI-XVI) gezeigt, daß der 


58 M. M. Lienau, Ein bemerkenswertes Grab der Periode „Göritz II“ in Wieſenau [6 


Göritzer ) Typus aufzuteilen iſt in zwei Stilarten (A/B I/ IJ), von denen Stil 
B Göritz II, mit dem wir uns heute beſchäftigen, der jüngere ift..... 
und Geheimrat Roſſinna (Mannus 16, S. 169/170) hat, dieſe Zweiteilung 
anerkennend, dem „Göritzer Stil II“ die Kreiſe Soldin, Landsberg 
a. Warthe, Königsberg i. N. (als Zentralgebiet), ferner die Kreiſe Ce bus, 
Angermünde und in geringerem Maße auch noch den Oberbarnim 3u- 
gewieſen. Die Funde von Göritz II in Reipzig und Aurith (beide hart am 
rechten Oderufer) zeigen, daß der Göritzer Stil II ſeine Ausläufer auch längs 
des rechten Oderufers im Kreiſe Weft-Sternberg ausſendet. Huch die Urnen⸗ 
gräber mit „Göritz II“ in den Ce buſer Loojen liegen rechts der Oder („Götze⸗ 
Feſtſchrift“ 1925, S. 155/164). Über etwaige fusſtrahlungen nach Pommern 
ſchreibt Dr. Kunkel: „Eine genaue Nachprüfung kann ich zur Zeit wegen 
Umzuges unſeres Mujeums nicht vornehmen; ein etwaiges vereinzeltes 
Vorkommen von „Göritz II“ halte ich jedoch nur im Kreiſe Puritz und feiner 
nächſten Nachbarſchaft für möglich“. Einige Beiſpiele von birnenförmigen 
Gefäßen mit imitierter Schnur, die vielleicht auf Beziehungen zu „Göritz II“ 
hinweiſen, bringt Dr. W. Ce ga in feiner Arbeit (Polniſch mit kurzem fran⸗ 
zöſiſchem Reſumé) „Etudes“ sür la Civilisation „Lusacienne“ en Poméranie 
Polonaise“ (Jahrg. XXXII, 1925, der Jahrbücher des Wiſſ. Dereins zu 
Thorn —; man vgl. auch „Roſtrzewski“ Slavia Occidentalis, Jahrg. III/ IV, 
S. 245, Abb. 5). Die angeführten Funde beſchränken ſich auf das öſtliche 
rechte Weichſelufer“ und zwar auf die Kreiſe Kulm und Graudenz. 

völkiſch ſpricht Geheimrat Roſſinna (a. a. O. S. 169/70) die 
Träger der „Göritz II“-Rultur als eine beſondere kleine Germanen⸗ 
gruppe an, wozu in der „Literatur nach 1924“, dem Erſcheinungsjahr von 
Mannus 16, noch kein Pro oder Kontra von anderen Forſchern, die dazu 
berufen wären, meines Wiſſens vorgebracht iſt. Meine eigenen Beobach⸗ 
tungen verdichten ſich zu der Überzeugung, daß zu der Zeit, als der jetzt viel 
beſprochene Lojjower Burgwall verlaſſen wurde, alſo etwa 600 vor Chr., 
die Träger der „Göritz II“-Rultur ſich in einer Südwärtsbewegung über 
Frankfurt hinaus, die ſich auf beiden Oderufern vollzog, befanden). Inner: 
halb der Stadt Frankfurt möchte man auf Grund von alten und neuen Funden 
„Göritz II“ dies Durchwandern gen Süden deutlich nachfühlen. 

Sämtliche Wiejenau-Sunde werden dem Gubener Stadtmujeum Ober: 
wieſen, dieſer ganz perſönlichen Schöpfung des liebenswürdigen, um die 
Erforſchung der Cauſitzer Kultur jo hoch verdienten Profeſſors Jentſch. 


1) Göritz liegt im Kreiſe Weſt⸗Sternberg, und zwar in Dellen Nordweſtecke, die an 
die 3 Kreile Landsberg, Königsberg und Lebos grenzt. 

2) Unter Berückſichtigung des in Anmerkung 1 Geſagten würde, falls ſich durch 
ukünftige Funde die Lücke zwiſchen Wielenau—Aurith und Stadt Guben m aus: 
füllen ſollte, dieſe der Oder folgende Südwärtsbewegung bis ge in den Landkreis Guben 
hineingegangen fein, während es ſich bei dem vereinzelten Vorkommen von „Billendorf“ 
im Kreiſe Lebus (Brieskow, Podelzig, Platkow und nördlichſt, Großneuendorf im (Dier: 
bruch), abgeſehen vielleicht von Podelzig, lediglich um einzelne nach Norden verſprengte 
Gefäße handelt. 


Eine ſpätlaténezeitliche Siedlung aus 
Niederſchleſien. 


Don Ernſt Peterjen. 
mit 7 Abbildungen im Tert. 


Im Gegenſatz zum weſtgermaniſchen Gebiet, das in der Spätlatönezeit 
eine Reihe kleinerer Siedlungen aufweiſt, die erſtmalig von W. Schulz 
zuſammengeſtellt worden find 1), ſowie in der Hausanlage von Dehlow 
(Oſtprignitz) einen geſicherten Hausgrundriß beſitzt, der in einer früheren 
Seftidrift zu Ehren Guſtaf Roſſinnas veröffentlicht wurde ), ijt über die 
Siedlungen der Oſtgermanen aus gleicher Zeit bisher wenig bekannt ge⸗ 
worden ). Insbeſondere fehlte es an einem hausgrundriß, der Anhaltspunkte 
für die Bauweiſe der damaligen Zeit hätte bieten können. Dieſem Mangel 
vermag das Ergebnis einer größeren Siedlungsgrabung, die in Carolath, 
Kreis Sreyftadt von herrn Wilhelm Hoffmann, Breslau, und dem Der: 
faſſer im Auftrage des Schleſiſchen Muſeums für Kunjtgewerbe und Alter: 
tümer ausgeführt wurde, nunmehr in weſentlichen Punkten abzuhelfen. 

Die Jundſtelle ijt der weſtlich des Dorfes Carolath gelegene „Hirſeberg“, 
eine ſandige Erhebung nördlich eines heute „Röltſchſee“ genannten Altlaufes 
der Oder. Schon vor Jahren kamen dort u. a. Spätlatèneſcherben zutage, 
bis neuerdings beim Adern gefundene größere Lehmbewurfitüde die Auf: 
merkſamkeit auf die Stelle lenkten. Die im berbit 1927 erfolgte Unterſuchung 
förderte die Grundriſſe dreier Käufer zutage, die der Reihenfolge ihrer Auf- 
findung nach mit A, B und C bezeichnet werden. Ihre Form und Lage 
zueinander iſt aus dem beigegebenen Plan erſichtlich (Abb. 1), für deſſen 
ſorgfältige Anfertigung herrn Sri Geſchwendt ergebenſt gedankt fei, der 
auch liebenswürdigerweiſe einen Rekonſtruktionsverſuch der Anlage bei— 
geſteuert hat (Abb. 7). 


AE E 


haus A. 


Um eine langgeitredte, unregelmäßig geformte Grube verteilen fid) 
neun Pfoſtenlöcher, die ſich zu einem länglichen Diered verbinden laſſen. 
Die weſtliche Schmal- und ſüdliche Cängsſeite erſcheinen unſicher; hier traten 
Störungen durch den Pflug auf. Die öſtliche Schmalſeite beſaß einen kräftigen, 


1) W. > dul}, Das germaniſche haus. Mannusbibliothek 11, S. 29—41. 
. / Quentestecler, Mannusbibl. 22, S. 67ff. Die freilich etwas unklare Anlage 
ſcheint bis in die römiſche Kaiſerzeit hinabzureichen. 
2) Die letzte Zufammenitellung bei Roſtrzewski, Spätlatenezeit I, S. 244, vgl. 
auch W. Schulz, a. a. O., S. 25ff. 


60 Ernſt Peterſen [2 


bis in 1,10 m Tiefe reichenden Mittelpfoſten, der von Eckpfoſten flankiert 
wurde. Die nördliche Längsfeite zeigte eine leichte Auswölbung; fie wurde 
durch vier einzelne und einen Doppelpfoſten gebildet.“ Drei zu ihr parallel 
laufende Pfoſtenlöcher ſtellen vielleicht die Reſte einer Vorhalle dar. Gleich 


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Abb. 1. 


der Grube hoben fic) die Pfoſtenlöcher deutlich vom gewachſenen Boden ab. 
Ihre Tiefe ſchwankt zwiſchen 0,50 und 1,10 m. Die Grube war auffallend 
Worf durchſetzt mit verziegelten Lehmbewurfſtücken, die vielfach Abdrüde der 
Hauswand, ſowie Singerjpuren aufweiſen (Abb. 3 und 4). An der Südkante 
der Grube, etwa in ihrer Mitte, lagen drei Granitblöcke übereinandergetürmt 
inmitten einer tiefſchwarzen Schicht, die Tierknochen, darunter einen Riefer— 


3] Eine ſpätlatènezeitliche Siedlung aus Niederſchleſien 61 


teil vom Hausſchwein 1) enthielt. Dicht daneben lag eine Anzahl eng auf: 
einander gepreßter Scherben, aus denen zwei Gefäße größtenteils zuſammen⸗ 
geſetzt werden konnten. 

1. Graues, halsloſes Dorratsgefäß mit weiter Mündung und ver⸗ 
dicktem Rand. Die Wandung iſt bis auf einen glatt gelaſſenen 
Streifen unterhalb des Randes gerauht. Teile der Wandung und 
des Randes ergänzt. Höhe: 24,5 em, Mündung: 34 cm (Abb. 2a). 

2. Oberteil eines grauen, kugeligen Topfes mit verdidtem, facettiertem 
Rand und einem x⸗förmigen henkel unter dem Rande; nur teil⸗ 
weiſe nen, Boden fehlt. höhe nod 18 em, Mündung: 18 cm 


Der ettlidee Teil der Grube enthielt eine herdanlage, in deren Um: 
gebung die größte Grubentiefe mit 1,12 m erreicht wurde. Der herd beſtand 
aus einem im Feuer rot geglühten Lehmſockel, der durch Beimiſchung von 
Granitſchotter beſondere Feſtigkeit erhalten hatte; auf der Oberſeite trug 


R 
Abb. 2. Gefäße aus Haus A. (¼). 


er einen nur noch unvollſtändig erhaltenen Kranz von hochkant geſtellten 
Steinen. Am Weſtende der Anlage lagen wieder Scherben in größerer Zahl, 
aus denen jedoch kein Gefäß mehr zuſammenkam. Haus A war 6,75 m lang, 
feine Breite betrug einſchließlich der angenommenen Vorhalle 7,25 m, ohne 
dieſe 6,00 m. 

Oſtlich davon lag eine Abfallgrube, deren Gleichzeitigkeit aus ihr ſtam⸗ 
mende Spätlatèneſcherben erweiſen. 


haus B. 


Der zweite Grundriß ſchloß ſich nordweſtlich an den zuerſt aufgefundenen 
an. Sechs Pfoſtenlöcher umgaben hier in etwa rechteckiger Unordnung eine 
nierenförmige Grube. Mit Kückſicht auf die geringe Größe (4x3 m) muß 
die Vollſtändigkeit der Anlage bezweifelt werden. Jedoch verbot ein an der 
Sundjtelle vorbei führender öffentlicher Weg eine weitere Unterſuchung nach 
Weſten hin, nach Norden und Süden war der Boden ſteril. Die Pfoſtenlöcher 
beſaßen eine Tiefe von 0,55 —0, 70 in. Die faſt vollſtändig ebene Grube reichte 


1) Die Beſtimmung ſämtlicher Tierknochen aus der Carolather Siedlung wird herrn 
Dr. Ca Baume, Danzig, verdankt. 


62 Emit Peterjen [4 


bis zu 0,75 m hinab. Ihren Inhalt bildeten neben Holzkohlereſten und ver⸗ 
einzelten kleinen Tehmbewurfſtücken einige Tierknochen, darunter ein Kiefer- 
teil von hausſchaf oder Hausziege. Weiterhin kamen Spätlatenejcherben 


a b 
Abb. 3. Tehmbewurfſtücke aus haus A. a mit Rundholzabdrücken, b mit Abdruck einer 
Riemenbefeſtigung. (Etwa ¼). 


be 


Abb. 4. Cehmbewurfſtück aus Haus A mit Abdrud eines Pfoftenendes auf der einen und 
Singerſpuren auf der anderen Seite. (Etwa 24/5). 


(Abb. 6, 8—9), ſowie ein auf der Seite liegendes Webegewicht zutage. Außer: 

dem gehört ein kleiner Spinnwirtel zu den Kleinfunden diefes Grundriſſes. 

| 1. Dunfelbraunrotes Webegewicht aus brödligem Ton, das die Form 
einer vierſeitigen Puramide hat; die abgeſtumpfte Spitze trägt eine 
kleine Eintiefung, während das obere Drittel des Stückes eine wage— 
rechte Durchbohrung aufweiſt. Hohe noch 10 cm, Breite 7 em. 


5] Eine ſpätlatènezeitliche Siedlung aus Niederſchleſien 63 


2. Schwarzbraun gefledter Spinnwirtel von kugeliger Geſtalt mit einer 
trichterförmigen Eintiefung an der Oberſeite und runder Durch⸗ 
bohrung. Höhe 2,3 cm, Durchmeſſer 2,5 cm (Abb. 6, 17). 


haus C. 

Nördlich von Haus A kam als dritter ein Grundriß von beſonders 
ſtattlichen Ausmaßen zum Dorjchein. Über eine Fläche von 15,50 m Lange 
und 7,25 m Breite waren 54 Pfoſtenlöcher und 5 Gruben verteilt. Der größte 
Teil der Pfoſtenlöcher, von denen häufig zwei nebeneinander lagen, konnte 
zu einem oſtweſtlich gerichteten, langgeſtreckten Viereck verbunden werden; 
der Reſt verteilt ſich auf zwei den Innenraum durchziehende Pfoſtenreihen. 
Gin der weſtlichen Schmalfeite ermöglicht die Anordnung der Pfoſten die 
Annahme einer Vorhalle. Die nördliche Längsfeite bildet eine annähernd 
gerade Linie, gleichfalls die öſtliche Querſeite, die mit einer Abjchrägung 
an der Südoftede in die leicht ausge wölbte ſüdliche Cangsfeite übergeht. Die 
Tiefe der Pfoſtenlöcher u u _ N 
ſchwankte zwiſchen 0,37 em — — mw SC . 
und 0, 70 cm, im allge & c u 4 
meinen betrug fie etwa 2 7 : 
0,60 m. Der Innenraum 
beherbergte fünf Gruben, 
unter denen die weſtlichſte 
das größte Intereſſe bean⸗ 
ſprucht. Unter den vier 
übrigen iſt die langge⸗ 
ſtreckte, annähernd vier⸗ 
eckige Grube in der Mitte 
des Doules zunächſt be⸗ em N 
merkenswert. Sie reichte Abb. 5. Ofenanlage in haus C. 
bis in eine Tiefe von 0,80 m 
und enthielt neben dem Reit eines verkohlten Balkens (vgl. Abb. 1) eine 
Anzahl im Feuer zerplatzter fauſtgroßer Steine in regelloſer Anordnung. 
Tehmklümpchen, Holzkohlereſte, mehrere Rinderzähne und Tierknochen bildeten 
den weiteren Inhalt der als Abfallgrube anzuſehenden Eintiefung. Eine 
zweite Grube mit dem gleichen Inhalt, der durch einige hart gebrannte 
Scherben vervollſtändigt wurde, lag in der Nordoſtecke des Grundriſſes und 
erreichte ſchon in 0,70 m Tiefe ihr Ende. Eine dritte Abfallgrube war lang⸗ 
geſtreckt und lag an der Südwand des Grundriſſes; aus ihr ſtammen im Seuer 
zerplatzte Steine, Holzkohlereſte, Tierknochen, ſowie Scherben, teilweiſe mit 
verdicktem Rand. Als Herdanlage dürfte die kleine ovale Grube an der Nord⸗ 
ſeite des Grundriſſes anzuſprechen ſein. Sie enthielt einen Kranz fauſtgroßer 
Steine, der etwa in 0,35 m Tiefe lag und zum Teil durch den Pflug geſtört 
worden war. Eine eigenartige Anlage erſchien in der am weiteſten nach 
Weiten gelegenen, quer zur Längsrichtung des Grundriſſes verlaufenden 
Grube. Dieſe beſaß in 0,50 m Tiefe einen Kranz großer Steine, der auf einem 
Pflaſter aus gleichartigen Steinen ruhte und eine ovale Geſtalt aufwies 
(ſiehe Abb. 1 und 5). Das Innere war mit hellgrauer Afche und rot geglühte m 
Lehm angefüllt, über der ganzen Anlage lagerten holzkohlereſte und Lehm 
in einer zuſammenhängenden Schicht. Die Sohle des Pflaſters lag 0,90 ın tief. 

Recht zahlreich ſind die aus dem Grundriß ſtammenden Kleinfunde. 
Das Scherbenmaterial gehört, nach den verſchiedenen Randſtücken zu urteilen, 


“se. 


64 Ernſt Peterjen [6 


von denen nur ein Teil abgebildet werden fonnte (Abb. 6, 1—7 und 10—13), 
zu etwa 20 verſchiedenen Gefäßen. Aus der Umgebung der beiden großen 
Gruben im Innenraum ſtammen ſodann ein Webegewicht und zwei Spinn= 
wirtel. 

1. Gelbbraunes Wegegewicht von der Form einer vierſeitigen, oben 
abgeſtumpften Pyramide. Im oberen Drittel eine wagerechte Durch⸗ 
bohrung. Boden nur teilweiſe erhalten. höhe noch 10,2 em, Breite 
7,5 em. 

2. Schwarzer, doppelkoniſcher Spinnwirtel mit kreisrunder Durch⸗ 
bohrung, an beiden Seiten trichterförmig eingedellt. höhe 2,6 em, 
Durchmeſſer 4,5 em (Hbb. 6, 15). 


N A x a 


Abb. 6. Scherbenprofile und Spinnwirtel. 1—7, 10—13, 15, 16: Haus C, 8, 9, 17: Haus B, 
14: Haus A. (½). 


3. Grauer Spinnwirtel von 3ylindrifcher Geſtalt. Ober- und Unterſeite 
beſitzen einen etwas erhöhten Rand, der Mantel iſt annähernd 
doppelkoniſch. Nur zur hälfte erhalten. Höhe 1,8 cm, Durchmeſſer 
3,4 em (Hbb. 5, 16). 


Auf die Würdigung der Carolather Anlage, die noch nicht in vollem 
Umfange ausgegraben iſt, kann nur mit wenigen Worten eingegangen werden. 
Unter den Kleinfunden zeigt das keramiſche Material zahlreiche Überein⸗ 
ſtimmungen mit den bekannten Typen der Spätlateènezeit, weiſt jedoch Unter— 
ſchiede von den in Gräbern üblichen Gefäßformen auf. Das große Dorrats- 
gefäß aus Haus A (Abb. 2a) iſt auf oſtgermaniſchem Gebiet bisher nicht 
vertreten, erſcheint jedoch in faſt gleicher Größe mehrfach auf dem Gräber: 
felde von Großromſtedt in Thüringen !); auch in dem hauſe von Deblow 
kam ein ähnliches Gefäß zum Dorjchein 2). Der kugelige Topf aus haus A 
(Abb. 2h) ijt am eheſten mit einem Gefäß aus Noßwitz 3) vergleichbar, wenn 
er auch im Gegenſatz zu dieſem nur einen henkel trägt. Von den Scherben— 
funden aus Haus B und ( zeigen die Stücke mit verdicktem oder facettiertem 
Rand (Abb. 6, 3, 4, 8, 10—15) nichts Auffallendes. Das Kandſtück einer 
Schüſſel mit eingezogenem Rand und x-formigem henkel (Abb. 6, 7) beſitzt 


1) Eichhorn, Großromſtedt, Mannusbibl. 41, S. 54, Abb. K 20, E 29. 
2) Quente-Lechler, a. a. O., Taf. VI, 11d. 
) Cackenberg, Die Wandalen in Niederſchleſien. Taf. 5, 12. 


7] Eine ſpätlatènezeitliche Siedlung aus Niederſchleſien 65 


Ähnlichkeit mit einem Napf aus Noßwiß!). Seltenere Formen find Gefäße 
mit ſanft geſchwungenem Randprofil (Abb. 6, 1, 6), deren Körper manchmal 
gerauht ijt (Abb. 6, 5). Dergleichsmaterial enthält wiederum die Siedlung 
von Deblow ); auch ein Dorratsgefäß aus Mertſchütz ?), ebenfalls aus einer 
Siedlung ſtammend, gehört einem verwandten Typ an. Auf oſtgermaniſchem 
Gebiet einzig daſtehend iſt der Teil einer ſchwarzen Schale mit ſteilem hals, 
der vom Körper durch eine Rille getrennt ijt (Abb. 6, 2); das Stück iſt ſehr 
feintonig und erinnert faſt an kaiſerzeitliche Schalen. Gefäße mit Tupfenreihen 
ſcheinen in latenezeitlihen Siedlungen nicht ſelten vorzukommen. Aus Caro- 
lath, haus A, ſtammt ein Scherben, deſſen Rand eine Tupfenreihe trägt 
(Abb. 6, 14). Bei der Erwähnung eines ähnlichen Stückes aus einer Mert⸗ 
ſchützer Siedlung wies von Richthofen) bereits auf den JZuſammenhang 
dieſer Formen mit ähnlich verziertem Scherben material aus einer Siedlung 
in Plaidt a. d. Nette ®) hin. Ahnliche Scherben kamen auch in den neuerdings 
unterſuchten Siedlungen von Coſel und Wiltſchau, beide Kreis Breslau, zutage. 
Webegewichte gehören zu den in allen Siedlungen häufigen Sundjtiiden. 
Die drei verſchiedenen Spinnwirtel bieten ebenfalls wenig Auffallendes; 
ſeltener von ihnen iſt nur der flache Wirtel (Abb. 6, 16), während der doppel⸗ 
koniſche gleichzeitige Gegenſtücke auf wandaliſchem Gebiete in Schlejien ®) 
und Poſen 7) beſitzt. Kugelförmige Wirtel nach Art des aus haus B ſtammenden 
(Abb. 6, 17) find ſeltener, doch ijt ein ähnliches Stück aus Weſtpreußen bekannt). 

Wichtige hinweiſe auf die Bauart der Carolather Häufer bieten einige 
mit deutlichem Ubdrücken verſehene Lehmbewurfſtücke. Das größte der hier 
abgebildeten Stücke (Abb. 3a) muß man fic) wohl als Edteil einer von innen 
auf die Wand geſtrichenen Cehmſchicht vorſtellen. Dagegen zeigt das kleinere 
Stück (Abb. 3b) in trefflicher Weiſe die durch Riemenverſchlingung bewerk⸗ 
ſtelligte Befeſtigung der die Hauswand bildenden Rundhölzer und beſtätigt 
ſo in überraſchendem Maße die römiſchen Darſtellungen von zopfartigen 
Wandverbindungen ). Anzunehmen ijt wohl auch, daß die Rundhölzer 
ſenkrecht geſtanden haben. Das beſtätigt auch ein weiteres Lehmbewurfſtück 
(Abb. 4), auf deſſen Hußenſeite die Spuren der glättenden Hand hervortreten, 
die zu dem auf der Innenſeite erſcheinenden Hbdruck eines flach abgeſchrägten 
Pfoſtens parallel laufen 1°). 

Der Carolather Fund gewinnt feine Bedeutung in erſter Linie durch 
den Grundriß von Haus C, der zahlreiche Rückſchlüſſe auf die oſtgermaniſche 
Hausform der Spätlatenezeit geſtattet. Ohne Zweifel ijt er der Überreſt 
eines hallenartigen großen Diereckhauſes, das in drei Schiffe geteilt zu fein 
ſcheint, wie aus den zwei Stützenreihen im Innern hervorgehen dürfte. Die 
Tür wird im Weiten anzunehmen fein, auch wenn man eine Dorhalle für 
zweifelhaft hält. Dafür würde auch die Ofenanlage im weſtlichen Teil des 

1) Tadenberg, a. a. O., Taf. 5, 4. 

2) Quente-CLechler, a. a. O., Taf. VI, 11a, VIII, 11m. 

2) Altſchleſien I, Taf. IX, 3. 

4) Altſchleſien I, S. 60 und Anm. 1. 


5) Bonner Jahrbücher 122 (1912), Taf. 37, 8—13, 15. Beſonders der letzte Scherben 
gleicht dem aus Carolath. 

) Tadenberg a. a. O., Taf. 4, 1, 2. 

7) Roſtrzewski, Wieltopolsta (2. Aufl.) 1925, Abb. 578. 

2) Kojtrzewsti, Spätlatenezeit 1, Abb. 168 


85 2) J. B. auf der Markusſäule vgl. Stephani, Der älteſte deutſche Wohnbau, 
27 — 


31. 
10) Wertvolle Hinweije auf die Art der Wandkonſtruktion bei den Carolather häuſern 
aab herr Dermeſſungsrat hellmich, dem dafür ergebenſt gedankt fei. 


mannus, 3Zeitfchrift für Vorgeſch., VI. Erg.⸗Bd. 5 


66 Ernſt Peterſen, Eine ſpätlatènezeitliche Siedlung. [8 


Grundriſſes ſprechen, deren Anordnung in der Nähe der Tür heizungs⸗ 
techniſch richtig wäre. Abnlidje Ofenanlagen kennt man aus Buderofe, Kreis 
Guben !), Mertſchütz, Kreis Liegnitz), ſowie neuerdings aus Heyersdorf, 
Kreis Sraujtadt; fie liegen ausnahmslos auf wandaliſchem Gebiet. Die An- 
ordnung der Ofenanlage zwiſchen den beiden Stützenreihen, ſowie die Form 
von Haus C überhaupt find auch von großer Bedeutung bei der Frage nach 
der Eingliederung der Carolather Siedlung in die germaniſche hausform 
insgeſamt. Huch die Zufammenftellung mehrerer Häufer zu einem Gehöft, 
wie ſie ſich in Carolath ergab, gibt wertvolle Singerzeige in derſelben Richtung. 
Alle dieſe Merkmale treffen nämlich auf nordgermaniſche Siedlungen aus 
den erſten nachchriſtlichen Jahrhunderten zu, die in Aeveftad „utmark“ (Nor⸗ 
wegen) und Aby (Gotland) gefunden worden find). Für die nordgermaniſchen 


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Abb. 7. Verſuch einer Refonjtruttion der häuſer von Carolath. 


Gehöfte wird eine Einteilung in Sommer- und Winterhäuſer angenommen; 
auch gegen eine ſolche Annahme würde bei der Carolather Siedlung nur 
wenig ſprechen, wenn man Haus A mit feiner Fülle von Cehmbewurfſtücken, 
die auf eine feſtere Bauart hindeuten, den beiden anderen häuſern, in 
denen auffallend wenig Lehmbewurf gefunden wurde, gegenüberſtellt. 

Übereinjtimmungen der Form ffandinavifder Hausgrundriſſe mit der 
archäologiſch und durch Sprachquellen belegten Hausform der Oſtgermanen 
in der Dölferwanderungszeit veranlaßten W. Schulz ſchon vor Jahren zu 
der Annahme enger Derwandtſchaft zwiſchen beiden Typen *). Dieſe Annahme 
wird durch die Carolather Hausgrundriſſe vollauf beſtätigt und dürfte als 
weiterer Hinweis auf die ſkandinaviſche Herkunft des wandaliſchen Stammes 
zu bewerten ſein. 

1) W. Schulz, a. a. O., S. 23 u. 24. 

2) Tadenberg, a. a. O., S. 16—18. 


3) W. Schulz, a. a. O., S. 15—22, Abb. 6—8. 
4) W. Schulz, a. a. O., S. 28 u. 29, vol. auch 2. Aufl. S. 120. 


Swei neue verzierte LCanzenſpitzen der Kaiſerzeit 
aus Oberſchleſien. 


Don heinrich Kurs. 
mit 4 Abbildungen im Tert. 


Zum erſten Male ijt durch Roſſinna eine zuſammenfaſſende Unter: 
ſuchung der verzierten Lanzenſpitzen des oſtgermaniſchen Gebietes gegeben 
worden 1). In dieſer grundlegenden Arbeit wurde die Jeitſtellung dieſer 
Waffen behandelt und eine latene= und eine kaiſerzeitliche Gruppe feſtgeſtellt. 
Für Schleſien, deſſen wandaliſche Kultur eingehend erforſcht iſt, hat Jahn 
die verzierten Waffen zuſammengeſtellt ?). Aus Oberſchleſien lagen zur Zeit 
dieſer Veröffentlichung nur zwei verzierte Lanzenfpigen der Kaijerzeit vor, 
nämlich aus Klein⸗Grauden, Kreis Coſel und Groſchowitz, Kreis Oppeln ). 
Ein weiteres Stück aus Kalinowig, Kreis Groß⸗Strehlitz ſcheint nach den 
Ergebniſſen Jahns nicht verziert zu ſein, ſondern nur Abdrücke eines an⸗ 
geroſteten Gewebes aufzuweiſen ). Dieſe geringe Zahl verzierter Waffen 
entſprach dem damaligen Stande der Bodenforſchung in Oberſchleſien. Nach⸗ 
dem die Provinzialverwaltung in dankenswerter Weiſe vor 3 Jahren eine 
eigene Provinzialſtelle für oberſchleſiſche Bodendenkmalpflege eingerichtet 
hatte und ſo der Weg für eine geregelte Altertumspflege geebnet war, 
wuchs die Jahl der germaniſchen Bodenfunde bedeutend. Es war möglich, 
mehrere kaiſerzeitliche Gräberfelder zu unterſuchen und Siedlungsplätze aus: 
zugraben. Don den reichen Ergebniſſen der jungen oberſchleſiſchen Forſchung 
ſeien hier drei neugefundene verzierte Canzenſpitzen behandelt. 

Die Gräberfelder, von denen die Tanzen herrühren, liegen, kaum 1 km 
entfernt, auf den Oderufern einander gegenüber. Der eine Grabfund wurde 
auf der linken Oderſeite auf der Gemarkung Rogau, Kreis Oppeln, der andere 
auf dem rechten Ufer bei Chorulla, Kreis Groß-Strehlitz gehoben 5). 

Tiſchlermeiſter Kasperek ackerte auf ſeinem Felde, das ſüdöſtlich vom 
Orte Rogau auf dem ſanft nach Ojten abfallenden Hochufer der Oder liegt, im 
Srühjahr 1926 eine Urne mit Ceichenbrand aus. Neben dem Gefäß lagen mehrere 
Eiſenſachen, die, Topf und Knochen wurden leider vernichtet, durch Der: 


D Koffinna: Über verzierte Eiſenlanzenſpitzen als Kennzeichen der Oſtgermanen. 
Zum f. Ethnol., 1905, S. 309 ff. 
vi, 5 ee Die ſchleſiſchen verzierten Waffen der Eiſenzeit. Schleſ. Dorzeit., N. 8. 


3) Jahn, a. a. O., S. 96, Taf. II, 2 und Jahn: Die e ſchen Sunde aus 
der römiſchen Kaiferzeit. Drab. Zeitfchr. X. Bd., 1918, S. 
4) Ja Di a. a. O., 
5) h. Kurg: Die . des Krappißer Landes. Oppelner heimatblatt, 
Ig. 3, Nr. 10 gibt eine volkstümliche Darſtellung des Rogauer Sundes. 
5* 


68 D Kurt [2 


mittlung von Lehrer Gamroth-Rogau, dem Beuthener Muſeum über: 
wiejen wurden. Wenn auch bei der unſachgemäßen Bergung mancher Klein- 
fund überſehen ſein kann, ſo haben wir doch einen geſchloſſenen Grabfund 
vor uns, von dem folgende Beigaben geborgen wurden (vgl. Abb. 1): 


1. Eiſerner Stangenſchildbuckel mit rötlich— 
brauner Brandroſtſchicht. Der untere Teil ab— 
gebrochen und im Feuer verzogen. Gleichfalls 
iſt die oberſte Spitze der SE nicht völlig er: 
halten. H. 13,5, Dm. 12,5, Rand 1,5, Kragen 
1,5, Stange 6—7 em lang. 

2. Eiſerne Schildfeſſel mit rötlicher Brand— 
roſtſchicht, gewölbtem Mittelſtück, das ſpitz in 
zwei rechteckige Nietplatten ausläuft, von denen 
die eine zur hälfte abgebrochen iſt. Der Mittel— 
teil ijt an den Enden durch zwei bzw. drei Riefen 
verziert. C. 15, Breite der Nietplatten 2 cm. 

5. Bruchſtück einer Schere von der üb— 
lichen Sorm, nur eine hälfte erhalten, die ſtark 
von Roſt acres ijt. Stiel an der beginnenden 
Rundung abgebrochen. Geſamtlänge 17,2, Cänge 
des Scherenblattes 10 em. 

4. Eiſerne Canzenſpitze mit flachem Blatt, 
der Mittelgrat nur an der Tülle hervorſtehend. 
Tülle rund mit Niete. Auf der z. T. gut erhal⸗ 
tenen Oberfläche finden fic) Verzierungen, die 
bereits auf dem 5 gearbeiteten Uber: 
gang von Tülle zu Blatt zu erkennen ſind. Es 
handelt ich um eingepunzte Riefen von durch— 
ſchnittlich 6 mm me uf dem unteren Teil 
des Blattes, in der Nähe des Grates, jind auf 
beiden Seiten Derzierungen a erfennen, die 
aus ineinandergeſtellten Zickzackbändern beſtehen. 
Der obere Teil der Canzenſpitze iſt verbogen und 
B ſtarke Derwitterungsſpuren. C. 11,7 gr., 

m. des Blattes 3,5, Dm. der Tülle 1,5, Länge 
der Tülle 3,5 em. 

5. Eiſerne SECH von gleicher Sorm 
wie Nr. 4, nur beträchtlich größer. Auch bier 
beginnt die Derzierung auf dem Übergang von 
Tülle zu Blatt und ijt auf der einen Seite bis in 
beträchtliche höhe d erfennen. Das Ornament 
beſteht aus parallellaufenden Reihen eng neben— 
einandergeſetzter Punzeinſchläge. Die zweite 
Seite met ein Feld auf, das durch eine Ein— 
faſſungslinie SC den Blattrand abgegrenzt 
und durch parallellaufende Punzreihen ausge: 
füllt ijt. An der Einfaſſungslinie ijt ein Seld 
in Form eines halbmondes mit nach dem Blatt 
ö rand gekehrter Offnung ausgeſpart. Der Halb- 
Abb. 1. Eiſenbeigaben eines kaiſerzeit? mondiſt nicht durch Punzen ausgefüllt. Der obere 
lichen Grabfundes aus Rogau, Kreis Leil der Lanzenſpitze ijt verbogen und zeigt ſtarke 

Oppeln. ½ nat. Gr. Derwitterungsfpuren. £. 16,5 gr., Dm. des Blat⸗ 
tes 4,5, Dm. der Tülle 1,7, L. der Tülle 4,5 em. 


Unſere beſondere Hufmerkſamkeit verdienen die verzierten Lanzen- 
ſpitzen. Das kleine Stück iſt leider zum größten Teil verroſtet, ſo daß nur wenig 
von den Verzierungen erhalten geblieben ijt. Doch zeigen uns die Relte ein 
Muſter, das bisher auf kaiſerzeitlichen Waffen nicht angetroffen wurde: In 
gleicher Richtung zum Mittelgrat laufen Zidzadlinien, die dicht nebeneinander— 
geſtellt find (Abb. 2). Die Zidzadlinie iſt bei den Oſtgermanen nicht ſelten 
als Zierat angewandt worden. Wir finden ſie häufig einfach oder mehrfach 


3] Zwei neue verzierte Canzenſpitzen der Kaiſerzeit aus Oberſchleſien 69 


übereinander auf Gefäßen 11 oder Knochenkämmen 7. Huch auf Eifengeräten 
find Zickzacklinien eingeprägt worden; fo z. B. auf Scheren, Meſſern, Seuer- 
ſtahlen und Schlüſſeln 2). Als Verzierung des Blattes einer Lanzenſpitze iſt, 
abgeſehen von der Lanzenſpitze von Rondſen, die flüchtig ausgeführte, quer 
über das Blatt gehende 5 beſitzt ), dieſes Muſter bisher nicht 
beobachtet worden. Es ijt jedoch eine tupiſch kaiſerzeitliche Verzierung, die 
ſich leicht in Punztechnik auf Metallgeräten anbringen läßt. 


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Abb, 2. 


Die zweite Canzenſpitze von Rogau weiſt auf der einen Seite ein häufig 
auftretendes Muſter auf: Punzeinſchläge, die in parallele Reihen vom Mittel: 
grate nach der Schneide zu geſetzt ſind. Dieſes Ornament, oft recht flüchtig 
ausgeführt, findet ſich auf einem großen Teil der verzierten kaiſerzeitlichen 


1) Dal. Tadenberg: Die Wandalen in Riederſchleſien, 3. B. Taf. 9, Abb. 5. 

2) Dal. Tadenberg: a. a. O., Taf. 6, Abb. 10. f 

3) Dal. z. B. Tadenberg: heilzeichen der ſchleſiſchen Wandalen. Altſchleſien, 
. 81—85, Abb. 10 


Bd. I, , 
) Zeitſchr. f. Ethnol., 1885, Taf. I, Abb. 29. 


70 D Kurß [4 
Lanzen und iſt aus Schlefien und Brandenburg in mehreren Sällen bekannt 2). 
Eine ungewöhnlichere Mer iſt auf der anderen Seite angebracht. Hier ijt 
auf dem Blatte eine Fläche, die durch eine eingepunzte Linie begrenzt wird, 
mit reihenweiſe angeordneten Punzeinſchlägen gefüllt. Nur auf der linken 
Seite iſt ein Teil der Fläche in Form eines halbmondes ausgeſpart. Der 
Umriß der Zeichnung ijt durch eine Linie beſonders betont (Abb. 3). 
Dergleichsitüde zur Rogauer Lanze fehlen in Schleſien nicht, fo zeigen 
eine Lanzenſpitze ein, eine Canzenſpitze zwei Mond bilder vs Die Srage nach 
der Bedeutung dieſer Zeichen haben Tackenberg und Böhlich behandelt )). 


A 
Lenze 8 


N 
RAND 


RN 


peer} ZA 
ee 


Abb. 3. 


Böhlich glaubt die Monddarſtellung mit dem Götterpaar der Altis, die von 
den Oſtgermanen Sdlefiens auf dem Zobten verehrt wurden, in Beziehung 
legen zu können. Er deutet fie als ſiegbringende Symbole dieſer Gottheiten. 
Das wäre wahrſcheinlich, wenn jtets zwei Halbmonde dargeſtellt wären. Da 
wir aber häufig wie auch hier in Rogau nur einen Halbmond finden, ſcheint 
die Frage der ſumboliſchen Bedeutung durch Böhlichs Annahme nicht geklärt. 

Das andere kaiſerzeitliche Gräberfeld, von dem der Neufund einer dritten 
verzierten Canzenſpitze ſtammt, liegt auf dem rechten Oderufer ſüdweſtlich 
vom Dorfe Chorulla. Dieſer Ort ijt einer der reichſten Sundplake Ober⸗ 
ſchleſiens. Zahlreiche Siedlungen und Friedhöfe aus verſchiedenen Stufen der 
Urgeſchichte find hier entdeckt und 3. T. unterſucht worden. Beſonders reiche 


— — 


Sunde rühren von einem wandaliſchen Urnengräberfelde des 2. und 


1) Jahn: Derzierte Waffen, führt 4 Stüde an. 

2) Dol Jahn a. a. O., und Tackenberg und Boehlich: Derzierte Lanzenſpitzen 
der 1 924 f Wandalen und die Bedeutung der Mondbilder. Schleſ. Monatsh., 2. Ig. 
1925. S. 524 


3) GE und Boehlich, a. a. O., S. 525ff. 


5) Zwei neue verzierte Canzenſpitzen der Kaiſerzeit aus Oberſchleſien 71 


3. Jahrhunderts her. Bisher ſind 46 Grabfunde geborgen worden ). Grab 41 
enthielt eine verzierte Canzenſpitze. Wie faſt alle Männergräber, war es 


reich ausgeſtattet (vgl. Abb. 4): 


Abb. A. Eiſenbeigaben des Grabes 41 vom kaiſerlichen Gräberfelde aus Chorulla, Kreis 
Groß⸗Strehlitz. ½ nat. Gr. 


Reite eines großen Gefäßes mit abgeſetztem Boden von gelblicher Farbe, das 


nut z. V erhalten ijt. 
2. Leichenbrand, der die Urne füllte. 
3. Eiſerne Schere der üblichen Sorin, Worf verroſtet, die Spitzen der Blatter find ab: 


gebrochen. Die Blätter biegen vom Griff aus rechtwinklig ab. Geſamtlänge 18,6, Br. d. 


Blattes 2,5, C. d. Blattes 8,5 em. 
4. Eisernes Meſſer mit gerader Schneide und Rücken und doppelt abgeſetzter, langer 


95 Dal. Richthofen: Neue Ergebniſſe der Vorgeſchichtsforſchung in Oberſchleſien. 
Altſchleſien, Bd. I, S. 185—198, Taf. 25. 


72 D Kurtz, Zwei neue verzierte Lanzenjpißen. [6 


Griffangel. Über dem Griffdorn am Ende der Schneide ijt eine dünne Bronzeplatte ge: 
ſchoben. Länge 13,8, Br. 1,9, Cg. d. Griffangel 5,7 cm. 

5. Eiſernes Meſſer mit leicht nach oben gebogener Spitze, geradem Rüden und 
doppelt ib a 3. C. ſtark verroſtet. Cg. 13,5, Br. 2,2, Cg. des SE 4 em. 

6. Eijerne SNE von halbrunder Sorm mit vierkantigem Bügel. Die Spitze des 
Dornes iſt leicht verbreitert. Cg. 2,6, Br. 2,5 em. 

7. Zwei eiſerne ann. oren mit bandförmigem Bügel und umlaufender Rille 
um den Stachel. Cg. des — des 1,7 cm, Bügelſpanne 8 cm. 

8. Eiferne Röhre, aus Blech geſchmiedet mit offener Naht. Das obere Ende leicht 
ausladend, das untere ab A und abgebrochen. Lg. 8,2, oberer Dm. 4,1 m. 

9. Eiſerne Schildfeſſe in zwei Teile 1 ha mit breitem, runden Mittelteil, das 
in zwei Spitzen endet. Die trapezförmigen Nietplatten haben gerade Cängsſeiten und leicht 

ewölbte Breitſeiten. Die zwei Nieten enden in einen halbkugeligen Kopf. In der Wölbung 
es Griffes iſt ein verbrannter Knochen angeſchmolzen. Tg. 20,6, Br. d. Nietplatten 3,7, 
gases 10 Chen Can enſpitze mit dachförmigem Blatt und rhombiſchem Übergang zur 
, MI 
runden Tülle. Lg. 13,9, Ke, Br. 2, Dm. d. Tülle 1, Cg. d. Tülle 4,5 em. N 

11. Eiſerne Lal enge mit runder Tülle, die ſich ſpitzwinklig auf dem unteren 
Drittel des Blattes als hoher Grat fortſetzt. Längs des Grates laufen von der Spitze aus 
zwei ne von Punzeinſchlägen, denen ſich von der Mitte des Blattes ab eine dritte Reihe 
anſchließt. Auf dem Übergang von Tülle zu Blatt find zwei übereinanderſtehende Reihen 
von Punzeinſchlägen angebracht. Lg. 22,5, gr. Br. 4,2, Lg. d. Tülle 5,8, Br. 2 em ). 

Die Bedeutung des Chorullaer Sundes liegt nicht fo ſehr in der Der- 
zierung der Lanzenſpitze, denn gerade das Muſter der Punzeinſchläge, die in 
Reihen parallel zum Mittelgrat angeordnet ſind, tritt wohl am häufigſten 
auf 2). Beſonders wichtig iſt es, daß wir hier eine verzierte Lanzenfpiße in 
einem zeitlich genau feſtzulegenden geſchloſſenen Grabfunde haben. Die 
Schildfeſſel, die Knopfſporen, die halbkreisförmige Schnalle zeigen Formen, 
wie ſie für die Mitte des 3. Jahrhunderts kennzeichnend ſind. 

Ein merkwürdiges, bisher in Schleſien nicht beobachtetes Gerät iſt die 
eiſerne Röhre, die Ze unter den Beigaben fanden. Obwohl fein Nietloch 
zu erkennen ijt, das für irgendeine Befeſtigung ſpräche, ſcheint es ſich um einen 
Canzenſchuh zu handeln. Durch die offene Naht hat offenſichtlich in gleicher Weiſe 
wie die Schlitztülle bei Canzenſpitzen der Schuh federnd am Schaftende gehalten. 

Überbliden wir die Neufunde der verzierten Lanzenſpitzen Ober⸗ 
ſchleſiens, jo ergeben ſich mehrere wichtige Beobachtungen. Junächſt tritt 
eine Monddarſtellung zum erſten Male in Oberſchleſien auf und erweitert 
das bisherige Derbreitungsgebiet derartiger verzierter Canzenſpitzen ſehr ſtark 
nach Oſten ). Ferner gibt der Chorullaer Grabfund uns ein ſicher datiertes 
Stück, das die 8 Zeitſtellung vollauf beſtätigt. Weiterhin iſt 
es auffällig, daß bei den zahlreichen Grabfunden von Chorulla, denen wir 
eine Fülle von Lanzenſpitzen verdanken, bisher ert ein verziertes Stück de: 
funden wurde. Aud) reicher ausgeſtattete Gräber, wie 41 weiſen keine Ger: 
zierten Waffenſtücke auf. Es ſcheinen alſo die Verzierungen nur aus einem 
beſtimmten Grunde, der ſich nicht feſtſtellen läßt, angebracht worden zu ſein. 

Die zwei neuen verzierten Lanzenfpigen der Kaiſerzeit beweiſen uns, 
wie die zahlreichen anderen Neufunde der letzten Jahre, daß Oberſchleſien 
bis in die Dölterwanderungszeit hinein ein dicht von Wandalen beſiedeltes 
Gebiet war. Nicht ſpärlich verſtreut lagen hier die Siedlungen, Oberſchleſien 
gehörte zum Dichtegebiet des wandaliſchen Siedlungsbereiches, deſſen Grenze 
weit gegen Oſten in Mittelgalizien ſich befand. 

1) Die Sunde liegen im Beuthener Muſeum und werden 3. It. inventariftert. 

2) Jahn, a. a. O. führt vier ſchleſiſche und fünf außerſchleſiſche Stücke an. 

3) Die von Jahn a. a. O. und Boehlich a. a. O. ausgeſprochene Vermutung der 
ſüdöſtlichen Herkunft der kaiſerzeitlichen Verzierung wird hierdurch offenſichtlich geſtärkt. 


Germaniſche Krauſengefäße des 4. Jahrhunderts 
n. Chr. aus der Provinz Oberſchleſien 
und ihre weitere Verbreitung. 


Don Bolko Sreiherr v. Richthofen, Ratibor. 
Mit 7 Abbildungen im Tert. 


Die erſte Scheidung weſt⸗ und oſtgermaniſcher Altertümer und ihres 
Derbreitungsgebietes verdanken wir den grundlegenden Arbeiten Roſſinnas. 
Immer klarer ließen fich feither die Funde in Verbindung mit den geſchicht⸗ 
lichen Quellen auch für die weitere Erhellung der germaniſchen Stammes⸗ 
geſchichte auswerten. So gelang es bekanntlich u. a. den wandaliſchen Kultur: 
kreis unter den e gut zu begrenzen ). Die Kultur der Wan: 
dalen Schleſiens iſt in den letzten Jahren beſonders durch Urbeiten von 
Jahn und Tadenberg näher beleuchtet und gegliedert worden. Für Ober: 
ſchleſien bleibt grundlegend Jahns Auffaß: „Die oberſchleſiſchen Sunde aus 
der römiſchen Kaiſerzeit“ im 10. und 13.— 14. Bande der Prähiſtoriſchen 
Zeitſchrift. hier werden alle ſeinerzeit bekannten einſchlägigen Sunde in der 
vorbildlichen Arbeitsweife der Koſſinnaſchen Schule mit genauen Sund- 
nachweiſen erſchöpfend behandelt. Die Jahl der Altſachen aus dem 4. Jahr⸗ 
bundert nach Chr. war damals in Oberſchleſien allerdings noch gering. 
Nach der Gründung einer ſelbſtändigen Provinz nahm hier die Provinzial— 
verwaltung in Ratibor bereits 1925 die Einrichtung einer eigenen ober— 
ſchleſiſchen Denkmalpflege für kulturgeſchichtliche Bodendenkmäler tatkräftig 


) Gegen die Richtigkeit dieſer Tatſache und ſogar gegen die archäologiſche Unter: 
ſcheidung von Oſt⸗ und Weitgermaien d kürzlich ein junger tſchechiſcher Prähiſtoriker, 
J. Neuſtupnu, ii führenden böhmiſchen JZeitſchriften entſchieden Stellung genommen 
(Obszor praehist. VI, 1927, S. 138—139 und Pamatky Arch, 35, 1926, S. 294), u. a., weil 
Mäandergefäße nicht nur bei den Wandalen vorkommen und in Böhmen Stuhl- und 
Anopfipuren vertreten find. Neuſtupnu hält ſich an Einzelheiten, die überdies nicht nur 
ar chaologiſch, ſondern 3. C. auch ee (Beziehungen der Marfomannen zu den Wit: 
germanen) leicht erklärlich find, ohne daß die geſicherten archäologiſchen Hhauptergebniſſe 
der germaniſchen Stammesforſchung der deutſchen und ſkandinaviſchen Wiſſenſchaft da— 
durch irgendwie berührt werden. gi uns auch die kleineren geſchloſſenen Kulturkreiſe 
als ganzes in der Regel Stammesgebiete anzeigen, wird jetzt auch von maßgebenden 
Hiſtorikern durchaus anerkannt. Als eins der vielen Beiſpiele fei hier nur die neueſte Auf: 
lage von Ludwig Schmidts „Geſchichte der germanischen Frühzeit“ (Bonn 1925) erwähnt. 
Die gleiche Bejahung des Wertes der kaiſerzeitlich germaniſchen Altertümer für ſtammes— 
geſchichtliche Siedlungsfragen finden wir übrigens 3. U. auch in der tſchechiſchen Wiſſen— 
ſchaft. Dies zeigt 280 deutlich die treffliche Überſicht Schränils in ſeinem neueſten 
Wert: Die borgeſchichte Böhmens und Mährens, Grundriß der ſlawiſchen Philologie und 
Nulturgeihichte, herausgegeben von R. Trautmann und M. Dasmer, Bd. 4. (Berlin 
1927-28, de Gruyter). 


74 B. v. Richthofen [2 


in Angriff. Hierdurch begann alsbald eine verſtärkte Werbearbeit und Landes— 
forſchung und dadurch bedingte Vermehrung der Funde in allen Teilen der 
aufſtrebenden, jungen Provinz. Unter den außerordentlich vielen neuen 
germaniſchen Altertümern Oberſchleſiens ſtammt eine beträchtliche Anzahl 
von in den letzten Jahren entdeckten Sundjtellen des 4. Jahrhunderts nach 
Chriſtus. Auf ihre allgemeine Bedeutung, ſowie auf eine befondere Art 
an mittelalterliche Tonware erinnernder Scherben dieſer Gruppe iſt bereits 
an anderen Stellen näher hingewieſen worden ). 


Aud) für die erſte Herausarbeitung der ſchleſiſchen wandaliſchen Sie d⸗ 
lungstonware des 4. Jahrh. nach Chr. durch Jahn war ein oberſchleſi— 
ſcher Fundort, Ellguth Kr. Grottkau, maßgebend 2). Als Leitform der jüngeren 
ſeiner beiden Fundgruppen des 4. Jahrhunderts in Schlefien, der Hödrichter 
Stufe, konnte Jahn hierbei eine Sonderart großer, bauchiger Gefäße mit 
kuglig gewölbter Schulter, engem Hals und ausladendem, verdicktem, meiſt 
oben abgeplattetem Rande nachweiſen ). Er bezeichnet fie als Kraujen. Da 
dieſer Form für die Kenntnis der völkerwanderungszeitlich-wandaliſchen 
Kultur eine beſondere Bedeutung zukommt, dürfte vielleicht eine Überſicht 
über die bisherigen einſchlägigen Sunde Oberſchleſiens verlohnen, um fo 
eher, als dabei auch auf die weitere Verbreitung ähnlicher Funde, beſonders 
in Galizien, und deren Bedeutung etwas näher einzugehen ſein wird. Wir 
bringen nunmehr zunächſt eine Lifte der bisherigen Sunde von Krauſenſcherben 
in Oberſchleſien. 

1. Tohnau, Kr. Coſel, Sundftelle 7. 

Lehrer Tittko fand 1927 durch pense Scherbenſuchen auf der klckeroberfläche 
mit Hilfe der Schulkinder germaniſche Siedlung des 3.— 4. Jahrh. nach Chr., 0,9 km nord⸗ 
öſtlich von Cohnau, hart öſtlich der Straße nad) Dzielnitz. Unter den Scherben kennzeich— 
nende Stücke, z. B. auch der feintonigen grauen Art des 4. Jahrhunderts, ferner u. a. 
dickes, graues, unverziertes Krauſenrandſtück, Wandſtärke 17 mm. Muſeum Ratibor, 
Kat.⸗Nr. 1013: 1928. Profil: Abb. 1, i. Auf dem abgeplatteten Rande oben an der 
Außenfeite umlaufende Rille. 

2. Podleſch, Kr. Coſel. 

Lehrer Tittko entdeckte 1928 durch planmäßiges Scherbenſuchen auf der Oder: 
oberfläche germaniſche Siedlung des 4. Jahrhunderts, nordweſtlich vom Dorfe am Weft- 
abhang der höhe 179,5. Unter den Scherben neben kennzeichnenden Stücken der feintonigen, 
glatten, grauen Ware auch dickes, graues, unverziertes Krauſenrandſtück. Wandſtärke 
etwa 8mm. Muſeum Ratibor. Rat.⸗Nr. 1012: 1928. Profil: Abb. 1, k. 


3. Chorulla, Kr. Groß-Strehlitz. Jundſtelle 2a. 


Der Derfaffer fand bei planmäßigem Scherbenſuchen zwiſchen dem vom Steinbruch 
zur Oder verlaufenden org mit Seldbabnaleis und dem benachbarten Wäldchen 
ſüdlich von Chorulla, ſüdweſtlich des Punktes 164,2 ein unverziertes, gelbliches Stück einer 
Krauſe mit ſtark verdicktem, oben abgeplattetem Rand. Profil: Abb. 1, u. Muſeum Beuthen, 
3. It. noch nicht katalogiſiert. Es handelt ſich wohl an der Sundjtelle um eine Siedlung 
des 5.— 4. Jahrhunderts, da auf dem Nachbarfelde ſchon ein hausgrundriß des 3. Jahr- 
hunderts (ſ. AUltſchleſien 1, S. 192 und Caf. 24, Abb. 4, hier als 4. Jahrhundert) aus⸗ 
gegraben wurde. ) 


1) An in: Altichlefien I, S. 192ff, Der Gberſchleſier 1926, S. 118—119 
und Mitteil. d. Anthropol. Gejellih. Wien 1926—1927, S. (81) ff. 

2) Altichlejien I, S. 88 und Mannus, 4. Erg.-Bd., S. 147—156. — Die Anſicht 
Böhms, Jahn habe die neue germaniſche Gruppe nicht überzeugend genug heraus— 
gearbeitet, Pamatky Ard). 35 (1926), S. 293, können wir nicht teilen. Überdies find ſeit 
dem erſten Bericht Jahns, der auf den Ergebniſſen planmäßiger Grabungen von Dreſcher 
und Jahn in Ellguth, Kr. Grottkau beruht, Jahns Ergebniſſe immer wieder durch neue 
nel Sunde, 3. B. von Tarnau, Kr. Oppeln und Ellgutb, Kr. Rojenberg, beitätigt 
worden. 

) fl. a. O., S. 150. 


5] Germaniſche Krauſengefäße des 4. Jahrhunderts n. Chr. uſw. 75 


re 


m n 0 p q 


Abb. 1. a—q Profile gedrehter oberſchleſiſcher „Krauſen“ des 4. Jahrhunderts. 
re und teure ee ogl. Sundlijte.) 1, nat. 


r 8 8, 


r—s und u—v Profile gedrehter oberſchleſiſcher Krauſen. (Sundorte und Katalog: 

nummern vgl. Sundlifte.) w—y Profile pſeudomittelalterlicher germaniſcher Scherben 

des 4. Jahrh., vgl. Abb. 5f, g und m. t ungedrehter verdidter Randſcherben. Ellguth 
2, Kr. Grottfau. r und t—y Un s—s, ½ nat. Größe. 


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76 2 B. v. Richthofen [4 


4. a, 

ebrer ©. Sie ſtellte 1928 un planmäßiges Scherbenſuchen etwa 0,5 km 
nördlich Groß⸗Strehlitz und dicht nördlich der Bahnlinie nach Peiskretſcham germaniſchen 
po des 4. Jahrhunderts feſt. Unter den Scherben Bruchſtücke einer reich ver: 
zierten Kraufe mit „Sternſtempel“, der z. B. auch in Caugwitz, Kr. Brieg (ſiehe Mannus 4. 
Erg.⸗Bd., Taf. 15) vertretenen Abart. Außen ſchwärzlich, innen grau. Wandſtärke 9½ mm. 
Muſeum Groß-Strehlitz, 3. It. noch nicht katalogiſiert; Abb. 6, e. 
5. Stubendorf, Kr. Groß⸗Strehlitz. 

Oberförſter von Monkewitz und Graf Strachwitz entdeckten hügelgräberfeld 
mit noch über 20 Hügeln. Beim Suchsgraben fanden fie in einem Hügel Scherben, der 
3. It. weiter unterſucht wird. Er lieferte bereits in einem Brandfleck neben verſtreuten 
Leichenbrandteilchen eine Unzahl Scherben des 4. Jahrhunderts, darunter ein Ries 
bräunliches Krauſenrandſtück. Wandſtärke 7 mm. Muſeum Beuthen, noch nicht tatalogi- 
ſiert, vc Abb. 1,e. Lage der Fundſtelle etwa 600 m nordöſtlich der Oberförſterei 
Stubendorf im Walde Jagen 15 ſüdöſtlich des Waldweges zwiſchen Jagen 15 und 19. 


6. Ellguth, Kr. Grottkau, Jundſtelle 1 (Natelberg). 
isherige Berichte, auch über Jundſtelle 2, vgl. Jahn, Altſchleſien 1, S. 86—87, 
Mannus, 4. Erg.⸗Bd., S. 149 ff. und Prähiſt. Jeitſchr. 13— 14, S. 134. 

Major a. D. Dreſcher, Ellguth entdeckte hier durch planmäßiges Scherbenſuchen 
1,5 km weſtlich Ellguth auf der babe 224,9 germanijde Siedlung des 4. Jahrhunderts 
und barg gefährdete Sunde. 

Dieſe lieferten u. a. die Reſte einer reich verzierten großen Krauje, Muſeum Breslau, 
Rat.⸗Nr. 181: 1922, Abb. 6a (Profil: Abb. 1, g) und Scherben von einer Unzahl weiterer 
Krauſen. Sie ſtammen z. C. aus den gleichen Siedlungsitellen, wie kennzeichnende, glatte 
1 feintonige germaniſche Ware des 4. Jahrhunderts. Dies zeigt z. B. Abb. 2, i, 

ufeum Breslau, Kat.⸗Nr. 183: 1922. Genannt fei hier auch ein ungedrehter verdickter 
Randſcherben, Ce Breslau. hot Hr, 186: 1922, Wandſtärke 6 mm, der wohl von einem 
krauſenartigen Gefäß herrührt, Abb. 21. Profil Abb. 1, t, ferner Kat.⸗Nr. 184a: 1922, 
weißlich grarer, hart gebrannter, körniger Scherben mit Wellenlinien, Abb. 5, n (ob Krauſen⸗ 
reſt?, Wandſtärke nur 3½ mm, bei Krauſen bisher ſonſt ſtets größer) und Kat.⸗Nr. 184 b: 
1922 ſchwärzlicher Scherben mit zwei einzeiligen Wellenlinien und Surchenbändern (desgl., 
Wandſtärke nur A mm, Abb. 2k). 

An ſicheren Krauſenſcherben erwähnen wir noch: Kat.-Nr. 184: 1922, mit zwei dünn 
eingeritzten einzeiligen Wellenlinien, ſchwärzlich-grau, Wandſtärke 8 mm. — Rat.⸗Nr. 185: 
1922, von ſehr großem Gefäß, ſchwärzlich mit Stempeleindrüden. Mannus, 4. Erg.⸗Bd., 
Taf. 15, Abb. 18. — Rat.⸗Nr. 187: 1922, bräunliches Randſtück mit Kerbung der et 
ſeiten des Randes und Wellenbändern auf der abgeplatteten Oberſeite, Mannus, 4. Erg.: 
Bd., Taf. 15, Abb. 13. — Rat.⸗Nr. 187: 1922, bräunlicher Schurb mit einzeiliger 
Wellenlinie und Reiten eines Bandes umlaufender Surchen, Mannus a. a. O., 
Taf. 15, Abb. 5. — Noch im Beſitze von Major Dreſcher befinden fic) dagegen 3. B. ein 
ſchwärzlich-grauer Krauſenſcherben mit einzeiliger Wellenlinie und umlaufender Furche, 
ferner ſcharfgebrannter dunkelgrauer Scherben mit doppelfurchiger Wellenlinie und um- 
laufender Surche darüber, ſowie zwei Scherben mit Sternſtempeln (Sterne bei dem einen 
nur aus kleinen unverbundenen Eindrücken beſtehend, bei den anderen aus einem Kreis 
mit acht radſpeichenartig angeordneten erhabenen Linien), Mannus a. a. O., Taf. 15, 
Abb. 10 und 16— 17. 


7. Ellguth, Kr. Grottkau, Sundſtelle 2 (Schneiderlehne). 

Major a. D. Dreſcher fand hier ſüdlich der Bahnlinie am Oſtende der Slur Ellguth 
bis zum Steilabfall nach der Neißeniederung durch ausgepflügte Scherben germaniſche Sied— 
lung. 1922 Probegrabung von Major Dreſcher und anſchließende Unterſuchung des 
Breslauer Muſeums durch Dr. Jahn, gemeinſam mit Major Dreſcher. In einheitlicher 
Rulturſchicht fanden ſich auch an dieſer Stelle wiederholt Krauſenſcherben neben anderen 
kennzeichnenden germaniſchen Stücken des 4. Jahrhunderts. Als Beiſpiel geben wir noch 
einen ſchwärzlichen feintonigen Scherben mit eingeglättetem Muſter wieder, Abb. 4 e, 
Muſeum Breslau, Kat.-Nr. 272: 1922. 

An Krauſenreſten ſeien erwähnt: Muſeum Breslau, Kat.-Nr. 197: 1922, ſchwärzlich⸗ 
braun, Wandſtärke 1 em, mit Eindrücken eines doppelzinkigen Stempels und ſeichter um— 
laufender Furche darunter, von der Schulter einer großen Krauſe, Abb. 2a. — Kat.-Nr. 192: 
1922, hellgrauer hart gebrannter Scherben von der Schulter einer kleineren Krauſe mit 
umlaufenden Furchen und ähnlichen Stempeleindrücken von einem dreizinkigen Werkzeug. 
Wandſtärke 7 mm, Abb. 2d. — Kat.-Nr. 271: 1922, dicker, ſchwarzarauer Randſchurb mit 
umlaufender Furche nahe der Kußenſeite auf dem oben abgeplattetem Rande, Wandſtärke 
1,2 cm. Abb. 2, o. Profil: Abb. 1, m. — Kat.-Nr. 198: 1922, grauer Scherben, Rand oben 


5] Germaniſche Krauſengefäße des 4. Jahrhunderts n. Chr. uſw. 77 


Abb. 2. a—h Ellguth 2 (Schneiderlehne), Kr. Grottkau. i—! Ellguth 1 (Nakelberg), 
Kr. Grottkau. a—1 5 nat. Größe. 


78 B. v. Richthofen. 6] 


an der Seite geerbt, auf der Innenſeite des abgeplatteten Randes in der Mitte umlaufende 
rillenartige Verzierung, Wandſtärke 7 mm. Abb. 2 h. Bao Abb. 1f. — Rat.⸗Nr. 271a: 
1922, ſchwärzlich braungraues Randitüd, inge der and oben an beiden Seiten gegen 
die Mitte leiſtenartig 175 Profil: Abb. 1h. — Kat.⸗Nr. 271 b: 1922, bräunlich⸗grauer 
dicker Randſcherben, umgelegter Rand an der Außenfeite mit rillenartiger Vertiefung in 
der Mitte. Abb. 3 h. Profil: Abb. 1 . — Kat.⸗Nr. 190: 1922, hell brdunlid-grauer Scherben 
mit umlaufenden Surden, ne er Rand nach innen abgefantet. Wandſtärke 7 mm. 
Abb. 31. Profil: Abb. 1e. — Kat.-Ir. 230: 1922, kleineres, ſchwärzliches Bruchſtück vom 
Oberteil eines ähnlichen Scherbens, Abb. 4b. 

Abb. 2, n, Kat.-Ar. 191a: 1922, innen ſchwärzlich⸗grauer, außen gelblich⸗grauer 
Scherben von anſcheinend nicht gedrehtem Gefäß, mit rundlichen Tupfen umlaufender 
Furche und Reſt eines Wellenbandes. Ob von Krauje? an. 6,5 mm. Abb. 2, g. 
Kat.⸗Nr. 191b: 1922, innen ſchwärzlicher, außen rötlicher Schurb eines kleineren Gefäßes, 
gedreht, mit umlaufenden Furchen und Reſt einer Wellenlinie. Ob von un Wand: 
ſtärke nur A mm. Abb. 2f. — Kat.⸗Nr. 243: 1922, ungedrehter |hwä 13 5 urb eines 
kleinen Gefäßes mit Stempelverzierung. Ob von krauſenartigem Topf? Wandſtärke nur 
4 mm. Abb. 2e. 

8. Schönwald, Kr. Kreuzburg, Sundſtelle 2. 

Lehrer Fruſch a Itfachen aus einer durch Schachtarbeiten im Dorfe angeſchnit⸗ 
tenen germaniſchen Siedlungsgrube des 4. e Denis: und zwar Cehmbewurfſtücke, 
3. U. mit Balkenabdrücken, ſowie Scherben derber Gefäße, u. a. von zwei Töpfen mit leicht 
abgeſetzten Böden. Einige Scherben Wort verſchlackt. — Sunde im Muſeum Ratibor. — 
Rat.⸗Nr. 31—32: 1928, darunter Rat.⸗Nr. 30: 1928, unverziertes Randſtück einer bräun⸗ 
lichen Kraufe, Wandſtärke 1,1 cm. 

9. Branitz, Kr. Leobjhüß,. 

Lehrer Lehmann und Gärtnereibeſitzer Sch meltz entdeckten als Sunditelle 16, 1,5 km 
nördlich von Branitz, hart öſtlich des Weges nach Bleiſchwitz und unweit der Bleiſchwitzer 
Grenze durch benen Scherbenſuchen germaniſche Siedlung des 4. Jahrhunderts. 
Unter den Scherben neben kennzeichnendem, feintonigem, gedrehtem grauſchwarzem Boden⸗ 
ſtück (Muſeum Ratibor, Rat.⸗Nr. 2648: 1927) auch ſchwärzliches Krauſenrandſtück mit Reit 
eines Bandes von drei umlaufenden Surden dicht unter dem Rande. hot fr, 2646: 1927. 
Wandſtärke 10 mm. Profil: Abb. 1, r. 

10. Gläſen, Kr. Leobſchütz. 

tl. G. Sage ermittelte durch planmäßiges Scherbenſuchen germaniſchen Siedlungs- 
platz des 4. 5 dicht nördlich vom nr Mufeum Breslau, Kat.⸗Nr. 44: 
1925, ſchwärzliches, unverziertes Krauſenrandſtück. Wandſtärke unter dem Rande 8 mm. 
Profil: Abb. 1 n. — Kat.⸗Nr. 44 b: ſchwärzlicher Krauſenſcherben mit Reit einer umlaufenden 
Surde, Wandſtärke 8 mm. 
11. Jernau, Kr. Leobſchütz. 

Dolljtändig veröffentlicht Prähiſtoriſche Jeitſchrift 10, S. 111-112, mit Ergänzung 
Mannus, 4. Erg.⸗Bd., S. 149. 

Reit eines geſchloſſenen undes, vermutlich eines Stelettgrabes, von dem keine 
Knochen beobachtet wurden aus 2:2 m großer, 1,25 m tiefer Grube, etwa 1 km nord⸗ 
weſtlich des Bahnhofs Bauerwitz 1908 beim Bahnbau ergraben. Spärliche Siedlungsfunde 
von derſelben Stelle dürften nicht gleichzeitig fein. Zu den Hltſachen aus dem vermutlichen 
Stelettgrab gehört neben einem Topf der feintonigen gedrehten Ware, Prähiſt. Zeitichr. 10, 
Taf. 14, 2 u.a. auch eine faſt vollſtändige Krauſe. Rand fehlt. Wandung für Kraufen 
ausnahmsweiſe dünn, nur 6 mm ſtark. Farbe grauſchwarz. Ziemlich rohe Drehſcheiben⸗ 
arbeit. Drehrillen auf der klußenſeite und 3. C. auch innen kenntlich. Unterſter Teil auf 
der Oberfläche in ſenkrechter Richtung abgeſtrichen. Huf der Schulter und dem oberen Gefäß— 
bauch fünf Bänder von Wellenlinien verſchiedener Sorm und Größe. Das zweite von unten 
zickzackartig. höhe noch 26cm. Mündung etwa 24 cm. Bodenduschmelfer 12 cm. Wuf. 
Breslau, Kat.-Yir. 288: 1908, Abb. 1 a. a. O. 

12. Czarnowanz, Kr. Oppeln, Sunditelle 18. 

Lehrer Strecke traf durch planmäßiges Scherbenſuchen mit Schulkindern ſüdöſtlich 
Czarnowanz zwiſchen dem Bache Swornitze und dem Wege nach Krzanowitz auf germaniſchen 
Siedlungsplatz des 4. Jahrhunderts. Unter den Scherben kennzeichnendes, verziertes graues 
e Muſeum Oppeln, 3. Zt. noch nicht katalogiſiert, Wandſtärke 8 mm. 

bb. 4, e. 
13. Krappitz, Kr. Oppeln. 
gl. H. Kurtz, „Die Germanenfunde des Krappitzer Landes, Oppelner Heimat— 
blatt 1928, Nr. 10. Auf unſerer Karte Abb.7 ſteht verſehentlich das Zeichen für Brand— 
grab ſtatt Skelettgrab. 


7] Germaniſche Kraufengefäße des 4. Jahrhunderts n. Chr. uſw. 79 


1 m 


Abb. 5. a—g Ellguth, Kr. Roſenberg, O.-S. Haus e. — h Ellguth 2 (Schneiderlehne), 
Kr. Grottfau. i und m Krappnit, Kr. Oppeln. k Tarnau 3, Kr. Oppeln, Grab A 
1 Ellguth 2 (Schneiderlehne), Kr. Grottkau. a—m %, nat. Größe. 


d 


80 B. v. Richthofen [8 


4 

Landwirt Pietzyk jan 1927 bei Anlage einer Weidenpflanzung etwa 3 km nord⸗ 
weſtlich von mit Sche har weſtlich der u Krappitz⸗Oppeln an der Rogauer Grenze 
Steinſetzung mit Scherben und einer angeblich vollſtändigen Krauſe. Die Anlage ent⸗ 
hielt keinen Ceichenbrand und dürfte auch entſprechend ihrer Ausdehnung wohl als 
Beſtattung mit vergangenem Skelett ell der Scher ſein. Sie wurde leider vom Finder 
aus Unkenntnis vernichtet. Nur ein Teil der Scherben blieb erhalten. Dieſe barg Lehrer 
Gamroth. Sie befinden ſich im Muſeum Beuthen und find 3. Zt. noch nicht katalogiſiert. 
Die meiſten Scherben ſtammen von einer bräunlichen, verzierten Kraufe, Wandſtärke 0,8 cm, 
Bodendurchmeſſer etwa 18 em. Dal. Abb. 3, i. Ein dunklerer en rührt von 
einem andersartigen, auch verziertem, aber ungedrehtem Gefäß her, Abb. 3, m. 


14. Tarnau, Kr. Oppeln. Sundftelle 1. 

Beim Wegebau wurde von Arbeitern 1925, etwa 4 km nordnordöſtlich Tarnau 
am kurzen Derbindungsweg, der von der neuen Runſtſtraße nach Raſchau abzweigt, voll⸗ 
ſtändige Kraufe gefunden und aus Unkenntnis zerſchlagen. Weitere Sunde nicht beobachtet. 
Ein Teil der Scherben verloren. Die meiſten rettete Lehrer hollmann. Einige wurden 
auch von Schulkindern an Lehrer Zacher abgegeben. Alle erhaltenen Stücke liegen jetzt 
im Muſeum Beuthen, Kat.⸗Nr. 259: 1925, und den dacht die Ergän ung des anes. 
Nur zwiſchen den erhaltenen Randſcherben und dem nächſt hohen Dot on enen Teil der 
Schulter fehlt ein kleines Stück von SCH aber nur geringer Ausdehnung. Farbe bräun⸗ 
lich. Wandſtärke 1 cm, höhe 68 em. Mündungsweite 36 cm, Abb. 6a. 


15. Tarnau, Kr. Oppeln, Sundftelle 3. 

Dol. Altſchleſien 1, S. 193 ff. 

Großes, germaniſches Gräberfeld des A — 4. Jahrhunderts, hart öſtlich des mitt⸗ 
leren Dorfteils, weſtlich des ne nach Natel. Erſte Sundmeldung an Muſeum Beuthen 
durch Lehrer Hollmann und Obergartner Lich u. Planmäßige amtliche Rettungsgrabung 
durch Sandſchachtungen gefährdeter und 3. T. ſchon zerſtörter Gräber unter Mitarbeit 
von say thas ollmann 1925. Del. auch Prsegiad Ard. III, 1 (1925) S. 57—58. 

inige Krauſenſcherben an einer Stelle ſchon an der Oberfläche gefunden. Sie 
en zu weiteren des großen Grabes 3. Dies enthielt neben anderen kennzeichnenden 
age des 4. die Profile e auch pſeudomittelalterliche germaniſche Scherben, vgl. 
Abb. 5 e—h, und die Profile Abb. 1 W— x. — Sunde im Muſeum Beuthen, Kat.⸗Nr. 106 
— 149: 1925. 

Grab 3: 

Ausgedehnte Grabanlage. Unter dem Ackerboden oberſte Steinſetzung mit über 
350 Steinblöcken. Ungefähr rechteckig. Ausdehnung durchſchnittlich 8:6 m. Grabgrube 
von beſonders mächtigen Blöcken innerhalb dieſer Steinſetzung überlagert. Ausmaße dieſer 
Grube oben 4: 2,80 m. Über der Grabgrube unter der erſten noch zwei weitere Stein- 
ſetzungen. Die zweite 1 m tief, doppelteilig, aus zwei rundlich angeordneten Steingruppen 
beſtehend und etwas größer als die Grabgrube. Darunter eine dritte von nur einigen Stein= 
blöden in der Mitte der Grabgrube in 1,60 m Tiefe. Sohle der Grabgrube anſcheinend in 
2 m Tiefe. Darunter allerdings noch Reſte eines ganz vergangenen Kranzes von Kaltitein 
und einer 3. C. mit vergangenen Steinen ausgeſetzten, anſchließenden ſchachtartigen, Anlage, 
Sohle 3,65 m tief, Durchmeſſer des Steinkranzes 1,55 m, Tiefe unter der Oberfläche 2,50 m. 
Ob dieſe Unlage dem Grabe gleichzeitig oder älter, vielleicht von ſteinzeitlicher Siedlung, 
nicht geſichert. Sunde allerdings nur noch ein germaniſcher . und zwei winzige 
Ceichenbrandteilchen innerhalb des Steinkranzes. Sollte die Anlage mit dem Schacht 
wirklich älter fein als die kaiſerzeitliche Bejtattung, etwa ein ſteinzeitlicher enger Brunnen, 
ſo müßten die in ihr ganz oben gefundenen erwähnten, mit der Beſtattung zuſammen— 
hängenden Gegenſtände nur zufällig beim Anlegen der Grabgrube hineingeraten ſein. 
Allerdings bliebe dabei ſehr auffallend, daß die Grabgrube gerade an der Seite, unter der 
ſich die merkwürdige Anlage befand, etwas tiefer war als auf der anderen Seite und mit 
dieſer Anlage in Verbindung ſtand. 

Größe der Grabgrube von Grab 3 für Körperbeitattung Wass Don einem 
Skelett aber keinerlei Spuren zu bemerken. Dereinzelte Teilchen Leichenbrand zwiſchen 
der Steinſetzung und in der Grabgrube dürften jedoch von zerſtörten Brandgräbern des 
3. Jahrhunderts herrühren, die am Rande der oberſten großen Steinſetzung noch 3. T. 
erhalten waren. Unter der kleinen Steinſetzung in 1,60 m Tiefe fanden ſich nur noch wenige 
Scherben, dabei der kennzeichnende henkel, Kat.-Nr. 118: 1925, Abb. 5b. — Hauptmenge 
der Scherben zwiſchen der erſten Steinſetzung und tiefer bis unter den Steinen der zweiten. 
Beigaben ferner u. a.: Reſt eines Knochenarmbandes von ſpäter Form, Kat.-Nr. 109: 
1925, Abb. 5a, (ähnliches Stück A B. aus ſchon merowingerzeitlichem Grab mit Sibel 
von Nititih im Burgenland, im Naturhiſtoriſchen Muſeum Wien), eiſerne Riemenzunge, 
Rat.⸗Nr. 124: 1925, Abb. 5d, kleiner doppelkegelförmiger Spinnwirtel, Kat.-Nr. 132: 


9] Germaniſche Kraujengefäße des 4. Jahrhunderts n. Chr. vim. 81 


Abb. 4. a und d—g. Tarnau, Kr. Oppeln, Sund— 
ftelle 3, Grab 3. (Abb. d, f, g von ein und der: 
zeiten Kraufe.) b—c Ellguth 2 (Schneiderlehne), 
Kr. Grottfau. e Czarnowanz, Kr. Oppeln. 
a ½ nat. Größe, b—g ½ nat. Größe. 


mannus, Jeitſchrift für Dorgeld., VI. Erg.-Bd, 


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82 | B. v. Richthofen [10 


1925 —, gedrehter eiſerner Bügel, Kat.:Nr. 130: 1925, Abb. 5c, ſowie Is ug Fats pro⸗ 
vinzialrömiſcher Scherben mit Reliefverzierung, Nat.⸗Nr. 127 b: 1925 und Randſcherben 
aus grünlichem Glaſe von provinzialrömiſcher Art mit zwei umlaufenden Rillen, Kat.⸗ 
Nr. 126: 1925. Un pſeudomittelalterlichen Scherben ſeien erwähnt die Stücke Rat.⸗Nr. 116: 
Le Get Abb. 5, e—h, rötlich). Ein Stück dieſer Art ſtammt auch aus der eigentlichen 
rabgrube. 
Zahlreiche Scherben gehören zu einer großen, reich verzierten ſchwärzlichen Krauſe, 
die ſich SE nidt mehr gen läßt, Kat.⸗Nr. 108: 1925, Wandſtärke 9 mm. Dol Abb. 4a. 
Beſonders bemerkenswert auch Scherben ſchön verzierter, hart gebrannter grauer 
Krauſe mit ungewöhnlich ausgebildetem Rand, Wandſtärke 11—12 mm, größte Randdide 
2 em, Kat.⸗Nr. 110: 1925, vgl. Abb. 4, d, f und g. Profil: Abb. lw, Stärke 9 mm, Breite 
des oberen dachförmigen Randes 5,4 cm, größte Dicke des Randes 2 cm. 
Weitere Krauſenſcherben von mindeſtens 5 Krauſen unter Rat.⸗Nr. 132: 1925; 
2 Scherben 132 a: 1925, hellbräunlich, Stärke 9 mm. Abb. 3, k, 2 Scherben graubraun mit 
Zickzacklinien, Wandſtärke 8 mm und 2 Stück hellgrau mit Wellenlinien 9 mm, — 137: 1925 
dunkelgraues, See Randftüd einer Krauſe. 
16. E Pei l Kr. Roſenberg, Sundjtelle 2. 
ei amtlicher Flurbegehung durch Scherbenſuchen 1925 vom alle ausgedehnte 
durch Tiefpflügen gefährdete germaniſche Siedlung des 4. Jahrhunderts feſtgeſtellt. Lage 
auf den zur Present abfallenden Adern hart ſüdöſtlich der Schule. planmäßige amtliche 
N, unter Mitarbeit von Lehrer Klonet, Stau Klonet, Inſpektor Staron 
und Spediteur Arndt ergab bereits vier Hausſtellen mit Pfoſtengrundriſſen und eine 
als Backofen deutbare Steinſetzung. 


aus c: 
Pfoſtengrundrißz nicht eindeutig, größte „ hausgrube etwa 714:4 m. 
Im haus unregelmäßige Steinſetzung (Herd 2). Sunde im Muſeum Ratibor, Rat.⸗Nr. 2817 
— 2856: 1927. Die ER Scherben (el met von ungedrehten Töpfen, einige 
aber auch von l Gefäßen der feintonigen für das 4. Jahrhundert kennzeichnenden 
Art, fo ein Stück mit ſehr ſchwach eingeglättetem Wellenband, Rat.⸗Nr. 2819: 1927, Abb. 3 g, 
hat Hr, 2824 iſt ein 7 mm ſtarker, verzierter, gedrehter, grauer Krauſenſcherben, hart 
gebrannt, Abb. 38. Erwähnt ſeien noch zwei ganze und ein unvollſtändiger Spinnwirtel, 
ein Eiſenmeſſer, hot fr 2820: 1927, eine eiſerne Lanzenſpitze, Kat.⸗Nr. 2823: 1927, 
ſowie ein kleiner Silberring von [pater Art, Rat.⸗Nr. 2817: 1927, vgl. Abb. 3b—f. 


Der Inhalt der zuletzt genannten Hausgrube e von Ellguth, Kreis Roſen⸗ 
berg gehört alſo ebenſo wie 3. B. auch Grab 3 von Tarnau, Fundſtelle 3, die 
Siedlungen von Ellguth, Kr. Grottkau und der Fund von Jernau, Kr. Leob- 
ſchütz zu den geſchloſſenen Funden, mit deren Hilfe fic) die Krauſen ſicher ins 
4. Jahrhundert ſetzen laſſen. Im Gegenſatz zu den provinzialrömiſchen Ge⸗ 
bieten kommt nach Ausweis aller bisherigen Funde das 3. Jahrhundert im 
freien Germanien für Krauſen noch nicht in Frage. 

Aus der obigen Zuſammenſtellung geht hervor, daß unſere Kraufengefäße an Sied⸗ 
lungs Ee jowie in Gräbern auftreten. In Ellguth, Kr. Roſenberg handelt es fid) um 
eine Dorfanlage, die bereits fünf vollſtändige Hausgrundriſſe lieferte, darunter einen mit 
durchaus eindeutigem Pfoſtengrundriß, und zwar von einem kleinen Dorhallenhaus )). 
Eine der hausgruben von Ellguth, Kr. Roſenberg, und zwar die des hauſes a, 
lieferte auch einige rötliche Randſcherben, die in Oſtdeutſchland an 5 Gefäße 
aus dem 14. Jahrhundert erinnern. Noch wichtiger für die ſichere Beſtimmung dieſer nur 
cheinbar mittelalterlichen Töpfen entſprechenden Gruppe wurde von den oben berück- 
ichtigten Sunden Grab 3 aus Tarnau. Es ſcheint ſich nach der Größe der Grabgrube hier 
wohl um eine Rörperbeſtattung zu handeln, bei der vom Skelett keinerlei Spuren erhalten 
waren. Die vereinzelten, in der Tiefe der Grabgrube gefundenen Leichenbrandftüdden 
müßten dann von einem zerſtörten, älteren Brandgrabe herrühren. Da Brandbeſtattungen 
vom Beginn des 5. Jahrhunderts unter den Randſteinen der großen Steinſetzung des 
Grabes 3 gefunden wurden und ſich auch unter den Steinen in der Mitte einzelne Leichen= 
brandteilchen und verſchlackte Scherben aus dem 3. Jahrhundert nachweiſen ließen, iſt 


1) Dal. G. Raſchke: Wandalen anfällig im Roſenberger Kreiſe. Heimatkalender 
des Kreiſes Roſenberg 1926. — Richthofen: klusgrabung eines altgermaniſchen Dorfes 
in Ellguth, Kr. Roſenberg. Gberſchleſiſcher heimatkalender, herausgegeben von der Ober— 
ſchleſiſchen Provinzialverwaltung, Jg. 1928. — A. Klonet: Wie ein Germanendorf aus= 
gegraben wird. Im Druck für: „Der Oberſchleſier“ 1928. (Alle drei Auffage mit Abbild.) 


11) Germaniſche Krauſengefäße des 4. Jahrhunderts n. Chr. uſw. 83 


n 


Abb. 5. a—h Tarnau 3, Kr. Oppeln, Grab 5. i—m Carnau 3, Rr. Oppeln, Grab 4. 
n Ellguth 1, Kr. Grottkau. a—n 5 nat. Größe. 
6* 


84 B. v. Richthofen 112 


dieſe Annahme um fo eher möglich. Durch neuere Sunde wiſſen wir, daß die Beſtattungsart 
bei den Wandalen des 4. Jahrhunderts nach Chr. nicht einheitlich war. Neben den ſchon 
länger bekannten Stelettgräbern treten auch reine Brandgräber und brandgrubenartige 
Beſtattungen auf:). Eine zeitliche Verbindung zwiſchen dieſer Brandgrubengruppe und 
den in die frühe Kaiſerzeit übergehenden Brandgruben des 1. Jahrh. vor Chr.?) ut noch 
nicht erwieſen. Wahrſcheinlich enthält auch der Friedhof von Tarnau z. T. Brandgruben 
des A. — 4. Jahrhunderts. Doch waren die meiſten entſprechenden Beſtattungen bisher dort 
ſo ger, daß es ſich nach dem daher unſicheren Grabungsfund auch um einjtige Urnen⸗ 
gräber no. könnte. Wohl erhalten zeigte ſich dagegen hier u. a. eine Grab A ähnliche 
zweite Unlage mit mehreren Steinſetzungen (Grab 4). Die Grabgrube enthielt hier eine 
eiſerne Canzenſpitze, wenig Scherben und wieder einige Leichenbrandteilchen. Ihr Ren 
boden war größtenteils tiefſchwarze Branderde, jo daß man trotz des wenigen Leiden: 
brandes nicht an ein Körpergrab denken möchte. Merkwürdig bleibt die . geringe 
Ceichenbrandmenge, doch find ähnliche Salle gelegentlich auch e: bei Brandgruben 
beobachtet worden. Don älteren Funden wurde an der gleichen Stelle unter den Stein- 
5 des 4. Jahrhunderts ein Brandſchüttungsgrab des 3. Jahrhunderts gefunden. 

ies war aber völlig unberührt, und ſehr gut erhalten. Der Leichenbrand aus der jüngeren 
Grabgrube könnte alſo nicht etwa aus dieſer älteren Beſtattung herrühren. — Auffallend 


tiefe, große völkerwanderungszeitlich-germaniſche Brandgruben mit wenig Leidenbrand 
fanden ſich z. B. auch in Chorulla, Kr. Groß⸗ reise 3). Eine ähnliche Beſtattungsart 
ſcheint auch ein Hügelgrab von Stubendorf im Kreile Groß⸗Strehlitz mit Krauſenſcherben 


(Prof. Abb. 1a) aufzuweiſen, deſſen Ausgrabung noch nicht abgeſchloſſen iſt. Auf Be: 
EE diefer Brandgrubengräber zu der Pojener hügelgräbergruppe vom Siedleminer 
yp im Kreiſe Jarotſchin und zu flachen Brandgruben des 3. bis 4. Jahrhunderts von 
Ciazenie, Kr. Slupca in Nordweſtkongreßpolen wurde vom Derfaſſer bereits an anderer 
Stelle 5 4). 
aß Brandgrubenbeſtattungen den ſpätkaiſerzeitlichen Wandalen nicht fremd waren, 
eigten neuerdings auch Sunde in den Provinzen Niederſchleſien und Grenzmark Poſen⸗ 
eſtpreußen. Erwähnt ſeien hierfür zwei Gräberfelder von Stroppen, Kr. Guhrau 5) 
und Ulbersdorf, Kr. Sraujtadt ). 


Doch kehren wir zu den Krauſen zurück. Ihrer Größe entſprechend 
handelt es ſich meiſt um ausgeſprochen ſtarkwandige Gefäße. Manche ſind 
faßartig. Der Ton iſt in der Regel körnig, von einer für viele Gefäße der 
völkerwanderungszeitlich-wandaliſchen Tonware kennzeichnenden Eigenart ). 

Die Krauſen waren meiſt ſtark gebrannt, zuweilen ſogar derart, daß 
die Scherben zu der an mittelalterliche Töpfe erinnernden Gruppe gerechnet 
werden dürfen, 3. B. die weißlichgrauen Stücke der einen Kraufe von Tarnau 
(Abb. 4 d—g). Der grauen Farbe begegnen wir 3. B. auch bei Krauſenſcherben 
aus einer Siedlung von Szczonowo, Kr. Jarotſchin (Muſ. Poſen) und einigen 
Scherben von Ellguth, Kr. Grottfau. Noch häufiger findet ſich ein ſchwärz— 


1) Jahn: Funde aus dem A Jahrh. nach Chr., Altſchleſien I, 86—89 und Richt⸗ 
hofen: „Beſtattungsbräuche der germaniſchen Urzeit Oberſchleſiens“ in: „Der Oberſchleſier“ 
1928. Sonderheft: „Aus Oberſchleſiens germaniſcher Urzeit“. Oppeln 1928 (im Druck). 
2) Tadenberg: Die Wandalen in RNiederſchleſien, S. 74—75 und 127. 

3 lltſchleſien I, S. 196. Es handelt ſich wohl um verſchleifte hügelgräber. Über 
das Grab 4 von Tarnau val. ferner ebenfalls Altſchleſien a. a. O. 

4) Mitteil. d. Anthrop. Geſellſch. Wien a. a. O. Die Bemerkung Roſtrzewskis, 
Vorgeſchichtliches Jahrbuch III, S. 192, Blume habe die Gräberfelder vom Siedleminer 
Typ als nachgermaniſch anerkannt, entſpricht nicht der letzten Stellungnahme Blumes. 
Dies geht aus deſſen Arbeit, Die germaniſchen Stämme, I, S. 205 deutlich hervor. Der 
Derjud) Roſtrzewskis, die z. B. Jahrbuch für Kultur- und Geſchichte der Slawen, Breslau, 
II, 2 (1926), S. 93—94 näher widerlegte Anſchauung von der ſlawiſchen Dolkszugehörig— 
keit der germaniſchen Gräber vom Siedleminer Typ durch ein Sichberufen auf Blume zu 
ſtützen, berückſichtigt nicht einmal die Angaben in dem Dorgeſch. Jahrbuch a. a. O. angezeigten 
Werk von Karpinsfa ſelbſt, die hier Blumes Stellungnahme richtig wiedergibt! 

? 5) 3. Jahrh. nach Chr., Grabungsbericht von Dr. Peterjen und Sunde im Muſeum 
Breslau. 

6) 4. Jahrhundert, Grabungsbericht von Rektor Pfützenreiter im Muf. Breslau, 
Sunde im Muſeum Sraujtadt. 

7) Dgl. Jahn in: Mannus, 4. Erg.⸗Bd., 5. 150 und 152. 


ae e 


13] 


bb. 
r. 


5. 
Op 


MED 
Towers teres oe wm Y 2 — 


2 
: 


a Ellguth 1, Kr. Grottfau (Matelberg). b Waſſerring bei Amſtetten (Micderdjterreid)). e Tarnau 
pein, Sundjtelle 1. d pfünz in Bauern. e Groß -⸗Strehlitz (Oberichlejien). a und e ½ bi 
d etwa / und e !/, nat. Größe. 


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1, 
/ 
io 


86 B. v. Richthofen 114 


licher Farbton, der mitunter leicht ins bläuliche ſpielt, ſo u. a. bei zahlreichen 
Scherben aus Ellguth, Kr. Grottkau und einer faſt vollſtändigen Krauſe von 
Waliſzewo, Kr. Jarotſchin ). Neuerdings wurde dieſes Sundjtüd von Koſt⸗ 
rzews ki auch richtig in der ſpätkaiſerzeitlichen Abteilung des Poſener Muſeums 
untergebracht. Daß Altertümer aus der Kaiſerzeit Poſens germaniſch find, 
wird dort allerdings in der erklärenden Beſchriftung ebenſowenig wie bei 
anderen germaniſchen Funden erwähnt, während es für deutſche Muſeen 
ſelbſtverſtändlich ijt, ſicher ſlawiſche Sunde auch als ſlawiſch auszuſtellen. Und 
ſelbſt Koſtrzewski hält doch einen weſentlichen Teil der kaiſerzeitlichen Sunde 
Poſens — wenn auch irrig, nicht alle — für germaniſch. 

Neben den vorhin genannten Farben kommt bei Krauſen öfters auch 
eine bräunliche Tönung der Oberfläche vor, wie 3. B. der große, faſt voll: 
ſtändige Dorratstopf der Siedlung von Sundſtelle 1 bei Tarnau, Kr. Oppeln 
(HAbb. 60) zeigt. 

Unter der wandaliſchen Keramik des 4. Jahrhunderts können wir zunächſt 
mit Jahn rein äußerlich zwei beſonders wichtige Gruppen unterſcheiden. 
Dies ſind eine derbe, ungedrehte Ware und eine feintonige, von meiſt grauer 
oder tiefſchwarzer Farbe. Die Gefäße der zweiten Gruppe ſind auf der Töpfer⸗ 
ſcheibe gearbeitet und größtenteils an provinzialrömiſche Vorbilder anzu⸗ 
ſchließen. Die Kraufen wurden auch „gedreht“, gehören jedoch, wie ſchon 


erwähnt, einer grobtonigen Art von Töpfen an. 

Da im Juſammenhang mit den Krauſen auch in dieſem Bericht mehrfach Scherben 
von Gefäßen erwähnt wurden, deren Technik an mittelalterliche, mitunter ſogar geradezu 
neuzeitliche, blumentopfartige Stücke erinnert, bilden wir auch einige Beiſpiele dieſer be⸗ 
achtenswerten, neuen germaniſchen Gruppe des 4. E idee ab (Abb. 5e—n). Eine ganz 

enaue Dorftellung vermag allerdings hier nur eigene Unſchauung zu geben. Die fraglichen 
Scherben ſind in der Regel — im Gegenſatz zu manchen wellenlinienverzierten Krauſen⸗ 
ſcherben — auch für den Laien nicht mit RE ſlawiſcher Tonware zu verwechſeln, 
ondern nur mit noch jüngeren Scherben, beſonders deutſchmittelalterlichen des 14. Jahr⸗ 
underts. Legt man 3. B. das eine Randſtück aus dem Grabe 3 von Tarnau, Abb.5g, — 
alſo einem ohne jede Stage geſchloſſenem, zeitlich einwandfrei beſtimmten Sund des 4. Jahr⸗ 
hunderts — zwiſchen ähnliche rötliche Scherben des 14. Jahrhunderts von Ottmachau, 
Kr. Grottkau (Mufeum Beuthen), jo dürfte wohl faſt jedem nur auf Grund der Signatur 
möglich ſein, den germaniſchen Scherben von den mittelalterlichen zu unterſcheiden! Daher 
ſei auch an dieſer Stelle nochmals betont, wie wichtig es iſt, daß allenthalben auf ſolche 
germaniſche Scherben geachtet wird. Vielleicht find fie in manchen Denen nur deshalb 
nicht bekannt, weil man fie für geſchichtlich hielt, und, wenn fie gelegen gi? in ein Muſeum 
eingeliefert wurden, nicht gg Bei einem Dergleid mit provinzialrömiſcher Ware 
ähnlicher Art bietet aber unſere Gruppe nichts, was in bezug auf die ſchon durch mehrere 
geſchloſſene Sunde völlig geſicherte Zeitſtellung noch irgendwelches Bedenken verurſachen 
könnte. Die Färbung iſt met rötlich (Abb. 5e h), gelblich (Abb. DL m), oder weißlich 
grau (Abb. Si—k und n). a 

Die meiſten in der obigen Liſte angeführten EE Krauſenſcherben ge⸗ 
hören ſicher der Gruppe mit beſonders dickem, oben abgeplattetem, ausladendem Rande 
an, ſoweit Randteile vorliegen. Dabei bleibt aber zu beachten, a gerade die Randſcherben 
dieſer Art vollkommen unverkennbar für die Kraujengruppe find. Dagegen können nicht 
oben abgeplattete, weniger ſtark umgelegte Randjtüde und andere Scherben des 4. Jahr⸗ 
hunderts unter Umſtänden von Krauſen herrühren, ohne daß ſich dies mit Beſtimmtheit 
ſagen läßt. Solche mindeſtens unſicheren Sälle ſind hier nicht mit berückſichtigt. Bei manchen 
Scherben iſt allerdings Wandſtärke und Derzierung für die Einreihung unter die Krauſen⸗ 
teile auch dann ausreichend, wenn keine Randitiide vorliegen. 

Die häufigſte Verzierung der Krauſen bildet die einzeilige oder . Wellen⸗ 
linie und die umlaufende Furche, die 3. T. an die jog. Gurtbandverzierung der mittelalter— 
lichen oſtdeutſchen Tonware des 15.— 14. Jahrhunderts erinnert. Mitunter treten noch 
andere Muſter auf, 3. B. eingeſtempelte, beſonders ſternartige, wie u. a. in Ellguth, Kr. 
Grottkau, Groß Strehiz, Rogau und Tarnau. Auf die herkunft und die Bedeutung dieſer 
Verzierungen ijt bereits in anderem Zuſammenhang von Jahn und Kichthofen kurz ein— 


1) muſeum Pofen. Dal, Altſchleſien I, S. 196, Anm. 2. 


15] Germaniſche Kraufengefäße des 4. Jahrhunderts n. Chr. uſw. 87 


gegangen worden!). Ihr Urſprung iſt zweifellos provinzialrömiſch. Ahnliche Muſter find 

ekanntlich aus der provinzialrömiſchen Keramik auch in andere Gruppen GEN u. a. 
die merowingerzeitliche germaniſche Keramik. Aud innerhalb der frühgeſchichtlich flawifden 
Conware leitet man ja die Wellenlinie aus der provinzialrömiſchen Keramik her. Irgendein 
Einfluß unſerer wandaliſchen Gruppe des 4. Jahrhunderts auf die Slawen läßt ſich aber 
mindeſtens vorläufig nicht nachweiſen. Bei dem großen zeitlichen Abjtand zu der in 8 en 
bisher älteſten ſlawiſchen Keramik ijt dies auch nicht überraſchend, zumal die ſtärkſten khnlich⸗ 
keiten zu unſerer wandaliſchen Gruppe in Schleſien gerade bei der bereits ſpätſlawiſchen 
Ware auftreten und den formenkundlich früheren flawiſchen Stilen fremd zu fein ſcheinen. 
Möglich wäte auch nur eine mittelbare Einwirkung unſeres Stiles auf die Slawen, und 
zwar durch eine 3. It. noch nicht näher bekannte a jüngere germaniſche Gruppe 
der nicht mit abgewanderten Wandalen, da für das 4. Jahrhundert ein Juſammentreffen 
von Wandalen mit Slawen in Scylefien infolge der erſt ſpäteren ſlawiſchen Einwanderung 
nicht in Frage kommt. 

Zu den einfacheren 5 die auf den Krauſen gelegentlich verwandt 
wurden, gehören auch die Tupfen. Wir ſehen fie 3. B. auf Scherben der einen wee 
aus dem Grab 3 von Tarnau, Kr. Oppeln (Abb. 4b). Gleichartige Tupfen zeigt 3. B. 
auch ein Krauſenſcherben aus einem Siedlungsplatz von Pudo, Bezirk Trentſchin, in der 
Nordſlowakei (Muſeum Turciansty Spenty Ma u) und zwar ein bräunliches Randjtüd mit 
einzeiliger Wellenlinie, ferner ein weißlicher Krauſenſcherben der „pieudomittelalter- 
lichen“ Art mit zwei umlaufenden Surden unter einer Tu eu vom gleichen Sund- 
ort. Derſelben Gruppe Na allem Unſchein Ca noch Scherben von zwei anderen 
ſlowakiſchen Sundorten in demſelben Muſeum an. Es find dies ein ſchwärzliches Randſtück 
und ein rötlicher Schurb mit Spuren von Wellenlinienverzierung aus Alt Sohl (Zwolen), 
Südſlowakei, 11 ein braunes Randſtück von Raksa bei Stubniansty Teplice, Bez. Tur⸗ 
ciansku Sv. Martin, Nordſlowakei. Bei den Scherben von Rafsa ehen die Tupfen aus⸗ 
nahmsweiſe nicht wagerecht, ſondern ſenkrecht übereinander. Die Oſtſlowakei lieferte 
einen Krauſenſcherben mit Tupfenverzierung am Rand und einzeiliger Wellenlinie bor: 
unter, vom Jeruſalemberg bei Käsmark (Kezmarof), Muſeum Deutſchendorf (= Poprad). 
Die zuletzt genannten ſlowakiſchen Scherben ſtammen von Gefäßen mit nur ſchwach ver⸗ 
dicktem, nicht umgelegtem und nicht oben abgeplattetem Rand. In dieſem Zujammen- 
hang verdient auch ein glatter, feintoniger, nun Scherben aus dem Kaſtell Carnuntum 
(Mujeum Carnuntum in Deutſchaltenburg, Niederöſterreich) genannt zu werden. Er zeigt 
eine einzeilige Wellenlinie und darüber dicht unter dem Rande eine Reihe eingeſtempelter 
Dreiecke ganz ähnlich wie ein Ellguther Scherben (Abb. 3a). Wir ſehen hieran beſonders 
deutlich, wie auch zwiſchen der feintonigen Ware von provinzialrömiſchem Schlage und den 
Ntauſen ſtarke Beziehungen beſtehen. Dies betonte auch bereits Jahn auf Grund eines 
Scherbens von Laugwitz, Kr. Brieg. Allerdings dürfte er wohl kaum eine Urform der 
derben Krauſen gegen wie Jahn für denkbar hält. Dieſe ſtammen vermutlich — auch 
Jabn hob das bereits 1 — unmittelbar von gröberen provinzialrömiſchen Jöpfen 
ber ). Es ijt aber möglich, daß die Derzierungsmulter der Krauſen erſt nach dem Vorbild 
der gut e Ware auf die einfacheren Töpfe der krauſenartigen Sorm übergingen, 
allerdings bereits im provinzialrömiſchen Gebiet. Beſondere Erwähnung verdient hier auch 
ſonſt das Muſter aus EE teieden des ſchon erwähnten wellenlinienverzierten 
Rrauſenſcherbens von Ellguth, Kr. Roſenberg. Eingeſtempelte Dreiecke begegnen uns 
dielfach in der völkerwanderungszeitlich germaniſchen Zeit in den verſchiedenſten 
Gegenden, bei den oberſchleſiſchen Krauſenſcherben ferner noch in Ellguth, Kr. Grottkau )). 


1) Mannus, A Erg.:Bd., bzw. Mitteil. d. Anthropol. Geſellſch. Wien a. a. O. — 
Auffallend früh finden ſich übrigens ähnliche Stempel in der germaniſchen Keramik aus 
Dänemark und zwar bei Topfen aus dem 1. Jahrhunderten. Chr. (Beiſpiele im Muſeum 
Ropenhagen), jo von Hjermtslev, Amt Hjörring, Nordjütland, während im allgemeinen 
die „Sternſtempel“ auch im Norden eine ſpäte Erſcheinung find und fie hier ganz befonders 
in der erſten Zeit nach der Völkerwanderung häufig auftreten. 

2) Mannus, 4. Erg.⸗Bd. a. a. O. 

3) 21 3. B. die Urne eines Brandgrabes von Oberhollabrunn in Niederöſterreich. 
Nat.⸗hiſt. Muſeum Wien, ſowie Scherben von einer Siedlung des 3.—4. Jahrhunderts 
n. Chr. aus Wrchoslawitz (Drchoslavice) bei 4 Muſeum Olmütz. Im nordiſch germa— 
niſchen Gebiet treten die eingeſtempelten Dreiecke auch im 5. Jahrhundert n. Chr. auf. 
Zahlreiche Beiſpiele u. a. in den Muſeen von Oslo und Bergen. Beſonders zu beachten 
ijt auch die Technik der dreieckigen Stempel bei zwei Scherben von Ellautb, Rr. Grottkau, 
Abb. 2a und 2d. Dieſe find gruppenweiſe mit einem mehrzinkigem kammartigem Stempel 
eingedrückt. Eine ganz gleichartige Ausbildung dieſer Verzierung kommt e übrigens auch auf 
norwegiſchen germaniſchen Bechern in Blumentopfform der bekannten Art aus dem 4. 


88 B. v. Richthofen [16 


Eine deutliche eigene Weiterentwicklung provinzialrömiſcher Vorbilder können wir 
an der Verzierung der Is mehrfach abgebildeten Krauſe !) von Ell Set Kr. Grottkau 
erkennen 15 Unrömiſch ift daran z. B. das Band von Zidzadlinien, ebenſo wie die Anz 
ordnung der een verſchiedenen Derzierungsgruppen. Bereits Jahn hob auch 
treffend hervor, daß beſonders die un Wellenlinie bei unjerer Gruppe häufig ift, 
allerdings findet ſich doch die mehrzeilige ebenfalls öfter als es zuerſt fchien. 

icher unverzierte germaniſche Krauſen des 4. Jahrhunderts find bisher anſcheinend 
nicht belegt. In verſchiedenen Fällen laſſen allerdings die fraglichen Scherben keine Der: 
sun erkennen, 5 . auf dem einen ie andſtücke des Siedlungsplatzes von 
Chorulla oe telle 2a), Kr. Groß⸗Strehlitz und grauen Randjtiiden aus Lohnau und 
Br r. Cofel, doch könnte dies an der mangelnden Größe der betreffenden 
cherben gale Im allgemeinen haben die Krauſen eine mehr oder minder reiche Der 
iar on der Schulter und der oberen Bauchung mit Wellenlinien und umlaufenden Furchen. 
ur durch ende ſolche Furchen verziert iſt 3. B. e E eine der wenigen bisher völlig 
erhalten gefundenen OD man ite Kraufen, ein ob, aus rötlichem Ton mit umge⸗ 
GEN oben abgeplattetem Rande von Przemeczany, Kr. Miehhöw in Südkongreßpolen 
(Muſeum Krakau). 


Eine Vorform beſitzen die Kraufen in der wandaliſchen Tonware wohl 
nicht?) und man wird fie daher — wie ſchon erwähnt — mit Jahn von den 
provinzialrömiſchen ähnlich geformten Töpfen herleiten können —, zumal 
auch Verzierungen und Technik zum großen Teile in dieſer Richtung weiſen. 
Am 4 dürfte ſchon auf Grund der geographiſchen Lage bei unſerer 
Gruppe hierbei an einen Zuſammenhang mit dem provinzialrömiſchen Donau⸗ 
gebiet zu denken ſein. Wir bilden als Beiſpiel für die provinzialrömiſchen 
Vergleichsſtücke zu den germaniſchen Krauſen zunächſt einen Topf mit einzeiligen 
Wellenbändern auf der Schulter von Waſſerring am Inn ab (Nat.⸗hiſtor. 
Mufeum Wien) ). Er zeigt eine Fortentwicklung der ſchon im Gräberfeld 
von Reichenhall vertretenen älteren Art mit Wellenlinien zur Kraufe mit 
abgeplattetem, umgelegtem Rand. 

Wohl weſentlich jünger als die Funde von Waſſering iſt z. B. ein großes, 
faßartiges, provinzialrömiſches, rötliches Vorratsgefäß mit Wellenlinienverzie⸗ 
rung aus Wen (Muf. Dindobonenſe in Wien). Der kräftig verdickte abgeplattete 
Rand trägt hier, wie ſchon an anderer Stelle erwähnt), auf feiner Oberſeite eine 
eingeritzte Wellenlinie. Das iſt auch ein häufiges Merkmal bei den wandaliſchen 
Kraufen. Wir finden einen Randſcherben mit Wellenlinie darauf 3. B. ferner in 
Ellguth, Kr. Grottkau. Dieſes Stück zeigt außerdem noch, ebenſo wie die Krauſe 
von Tarnau, Sundjtelle 1 eine Rerbung der äußeren Rand ſeiten ?). In 
Tarnau find Kraufen mit Wellenbändern auf dem Rande mehrfach vertreten. 


bis 5. Jahrhundert n. Chr. vor, die d T. auch weitere Stempelmufter aufweiſen. Als 
Beiſpiel nennen wir einen Topf von Valmeſtad in Deftagder aus einem Grabe der Zeit 
um 500 (Muſeum Bergen). 

I) Altſchleſien I, 87 — Mannus, 4. Erg.⸗Bd., Teil XVI, 17 — Franz, Wandaliſche 
Siedlungsſpuren in Niederöſterreich? Jahrb. 2 Landeskunde und heimatſchutz von Nieder- 
österreich und Wien. 1926-1927, I, S. 133. — Unſere Abb. 6a. 

2) Dal. Jahn in Mannus, IV. Erg.⸗Bd. 

3) Der bei Krauſen häufige verdickte Rand kommt — von noch älteren Vergleichs- 
ſtücken, die ſich er keine unmittelbare Beziehung zu unſeren Kraujen aufweiſen, abgeſehen — 
allerdings ſchon in der ungedrehten germaniſchen Keramik des 3. Jahrhunderts vor, wie 
3. B. ein Scherben aus Scharley bei Beuthen (Oberſchl.) im Muſeum Breslau, Rat.-Nr. 1775; 
1914, zeigt. Ahnlich dieſem iſt auch ein Scherben des 4. Jahrhunderts aus Ellguth, Kreis 
Grottkau, Abb. 2 1. Profil Abb. 1A. 

4) Für Erlaubnis zur Wiedergabe und die Bildvorlage habe ich den Herren Direktor 
Bayer und Dr. Mahr beſonders zu danken. Der Topf ſtammt aus Hügel 4 eines Grober: 
eldes mit Ultſachen aus dem 1.—2. Jahrhundert. Dal. Mitteilung d. prähiſt. Kommiſſion 

ien I (1893) S. 162ff mit Abbildungen. 

d Mitteil. d. Anthrop. Geſellſch. Wien a. a. O. 

6) Mannus. 4. Erg.⸗Bd., Taf. XV, 13. 


17] Germaniſche Krauſengefäße des 4. Jahrhunderts n. Chr. uſw. 89 


Einzelne provinzialrömiſche Scherben mit Wellenlinienverzierung aus Nieder: 
öſterreich ehen auch manchen wandaliſchen Krauſenſcherben außerordentlich ähnlich. 
Erwähnt ſeien hier dicke, gelbliche und graue Scherben mit Wellenlinien aus Pöchlarn 
im Muſeum Melk. Weiter möchten wir auch die wellenlinienverzierten Scherben und 
großen Töpfe aus der Gegend von Eichſtätt in Bayern in dieſem Zuſammenhang nicht 
N laffen?). 

s ſcheint, daß auch Scherben, wie die von Pöchlarn 3. C. ins 3. und noch nicht 
4. Jahrhundert gehören und damit die Verbindung zwiſchen den Krauſen des 4. Jahr: 
le und ihren älteren provinzialrömiſchen Vorbildern aus dem 1.— 2. Jahrhundert 
jeritellen. g 


Man wird kaum annehmen können, daß fo einfache und auch fo große 
Gefäße, wie die den Krauſen am ähnlichſten ausſehenden provinzialrömiſchen 
Stücke, etwa öfter bis nach Schleſien eingeführt worden wären. Bei der Ent⸗ 
ſtehung unſerer wandaliſchen Kraufen handelt es ſich vielmehr wohl um Ein⸗ 
flüſſe über das zwiſchen Schleſien und dem provinzialrömiſchen Donaugebiet 
liegende Land. Da hier jedoch im weſentlichen nicht Wandalen, ſondern 
andere Germanen als Derfertiger von Krauſen in Frage kamen, iſt es natür⸗ 
lich beſondes leicht möglich, wenn auch nicht mit Sicherheit zu erwarten, daß 
dortige Kraufen mit unſeren ſchleſiſchen nicht völlig übereinſtimmen. Die 
bisher gefundenen entſprechenden Scherben erlauben allerdings noch keine 
ſolche Seſtſtellung. Die wandaliſchen Kraufen bilden vermutlich eine beſondere 
Gruppe. Hierfür ſpricht auch ihr Vorkommen im wandaliſchen Siedlungsgebiet 
Poſens. Ob die ähnlichen Stücke aus dem freigermaniſchen Anteile Nieder- 
öſterreichs, von Stillfried an der March, auch den Wandalen zuzuſchreiben 
ſind, bleibt dagegen bisher fraglich 2). 

Aud) in Böhmen gibt es germaniſche Scherben des 4. Jahrhunderts, 
die wohl von krauſenartigen Töpfen herrühren, mit Wellenlinien und Stempel: 
muſtern, obgleich ſonſt die böhmiſche germaniſche Tonware der Markomannen 
deutlich und Worf von der wandaliſchen abweicht). Aus Mähren ijt mir 
bisher erſt ein Krauſenſcherben, ein Randſtück mit drei einzeiligen Wellen- 
bändern auf der Schulter von Witzomelitz (Dicomélice), Bez. Wiſchau bekannt 
(Muſeum Brünn). 

Sehr verbreitet waren die wandaliſchen Kraufen auch im Gebiet der 
jetzigen Provinz Niederſchleſien (Regierungsbezirke Liegnitz und Breslau). 
Ohne Anſpruch auf Vollſtändigkeit geben wir hier, hauptſächlich nach Be- 
ſtänden des Breslauer Muſeums, eine Sundlijte von Krauſen und Krauſen⸗ 
reſten aus Niederſchleſien. Die betreffenden Stücke befinden ſich, ſoweit nichts 
beſonders vermerkt iſt, im Muſeum Breslau. Es handelt ſich meiſt um 
Einzelfunde von der Oberfläche. 

f Gandau, Kr. Breslau; Schmardt, Kr. Breslau; Schmiedefeld, Kr. Breslau; Laug⸗ 
witz, Kr. Brieg: Alt Iſchau, Kr. Sreuſtadt; Groß Vorwerk, Kr. Glogau; Ludwigsdorf, Kreis 
Ols, e ee Kr. Ohlau; Graduſchwitz, Kr. Ohlau; Jungwitz, Kr. Ohlau; Zottwiß, 
Rr. Ohlau: Gränowitz, Kr. Liegnig; Leſchwitz, Kr. Liegnitz (Muſeum Liegnitz); Würchwitz, 
Rr. Liegnitz; Birkkretſcham, Kr. Strehlen; Großburg, Kr. Strehlen; Gurtſch, Kreis Strehlen; 


1) Dal. Winkelmann im 20. Band der Abhandl. der naturhiſt. Geſellſch. Nürnberg, 
Seſtſchrift 1913, hier als frühgermaniſch und berichtigt deri. in: Katalog Weſt⸗ und Süd⸗ 
deutſcher Altertumsfammlungen, VI, Eichſtätt, S. 222ff. Mit ne Genehmigung 
von herrn Dr. Winkelmann ift eine nach den Fundverhältniſſen ins frühe 3. Jahrhundert 
zu ſetzende Krauſe aus einem provinzial-römiſchen Haufe von Pfünz auch in unferer Abb. 6d 
wiedergegeben. 

) S. Stanz a. a. O. 
) Dal. Mitteil. d. Wiener Anthrop. Geſellſch. a. a. O. und Pic, Starozitnosti. 


90 B. v. Richthofen [18 


en Kr. Trebnitz (Urnengrab mit Schleifſtein und See mit umgefchlagenen 
ub); Heidersdorf, Jordansmühl, Karſchau und Rudelsdorf, Kr. Nimptſch. 

Unter den niederſchleſiſchen Kraufenfunden ijt als vollſtändig erhalten 
ein Stüd von Churſangwitz beſonders hervorzuheben. Don dem Vorkommen 
von Krauſenſcherben im wandaliſchen Siedlungsgebiet Poſens war bereits 
oben die Rede. (Waliſzewo und Szezonowo, Kr. Jarotſchin.) Hierzu kommt 
rel eine ſtark ergänzte vollſtändige Krauje aus dem Gräberfeld von 
Ulbersdorf, Kr. Frauſtadt, Bann Grenzmark Poſen-Weſtpreußen (Muſeum 
Srauftadt). Das Stück zeigt drei durch Furchenlinien begrenzte Bänder en: 
zeiliger Wellenlinien auf der Schulter und einen ſcharf abgeſetzten leicht 
ausladenden hals. Die Krauſe von Churſangwitz hat dagegen einen viel 
kürzeren, nicht abgeſetzten hals und auch im Gegenſatz zur Ulbersdorfer keinen 
ſich verjüngenden, ſondern kugeligen Bodenteil. Es handelt ſich bei 
Churſangwitz wohl um eine jüngere, ſchon etwas entartete Form. — Dermut= 
lich dürften auch die Scherben mit Wellenlinie und Stempelmuſter aus dem 
Siedlungsplatz von Latfowo, Kr. Hohenſalza (Inowraclaw) von Kraufen 
N IL Das wäre dann bisher deren nordöſtlichſtes Dorfommen. 


e gotildie Tonware Weſtpreußens und des weltlichen Oſtpreußens (die Trager 
der Kultur es öſtlichen Oſtpreußens halten wir im klnſchluß an Ebert im weſentlichen 
nicht für dach toni | ſondern für baltiſch) ), ſcheint keine ähnliche Erſcheinungen aufzu⸗ 


weiſen. ont find ja bei dieſer Gruppe die provinzialrömiſchen Einflüſſe geringer 
und Ur e der glatten, gedrehten Ware nach oe Dorbild felten. 
Don Teen erwähnen wir hier nur nebenbei eine niedrige, große, graue 1 e Urne 
voll deenen 


eichenbrand vom Neuſtädter Seld bei u (Muſeum Elbing) und einen 

Randſcherben vom gleichen Sundort (Muſeum Elbing). Seine Verzierung beſteht aus ein⸗ 

en Rautengittern, getupften ſchmalen Ceijten und einzeiligen, eingeglatteten 
ellenlinien. 


Ganz gleichartige Kraujen wie in Schleſien gab es auch im wandaliſchen 
Siedlungsgebiet Südkongreßpolens und Weſtgaliziens. Nach Beſtänden des 
Muſeums Krakau erwähnen wir folgende Fundorte. 


Weſtgalizien. 
Höhle von Mnifow bei Krakau (von der gleichen Stelle auch glatte, graue Ware mit ei: 
geglätteten KEEN 
Siepraw, Bez. Krakau; 
Skawina, Se Krafau (hier auch 5 Ware, 3. B. gelblicher Boden); 
Dzitöw, Kr arnobrzeg (desgleichen, z. B. grauer Boden). 


Südkongreßpolen. 

Prandocim, Kr. Miechdw; 

Przemeczanu, Kr. Miechow, Grabfund 2. (Die anderen hier erwähnten Stücke ſind 
wohl alle ſicher Siedlungsfunde.) (Don hier und Tropiſzöw an Krauſenreſten nur 
wellenlinienverzierte Scheiben ohne Rand, in allen anderen erwähnten Sällen 
10 1 mit ſtark verdicktem, umgelegtem, oben abgeplattetem Rand 
abei 

Tropiszöw, Kr. Miechöw, (Don der gleichen Stelle auch feintonige graue und gelbliche 
noe 50 U. mit eingeglätteten Muſtern; vgl. Wiadomosci Ard. IX, S. 104—105 
mit Ab 


Zu den oſtgermaniſchen Krauſenſcherben iſt wohl auch noch ein EN graues 
Randſtück aus Boguslawfa, Kr. Rawa im mittleren Rongreßpolen zu rechnen (Muſeum 
für Handel und Landwirtſchaft, Warſchau). 

Die Derbreitung ähnlicher Krauſen reicht aber noch viel weiter nach 
Oſten, als wir bereits feſtgeſtellt haben. Beſonders bedeutſam ſind hier die 
reichen Siedlungsfunde von Grabarfa Niesluchowska, Kr. Ramionka Strumis 


1) Koftt ſtrzewski, Wielkopolska II, S. 209. Dol. auch Mannus VII, S. 162. 
2) M. Ebert, Castrum Weklitze, Tolkemita, Truso, Elbinger Jahrbuch, heft5/6, 1927. 


19] Germanifde Kraufengefäße des 4. Jahrhunderts n. Chr. ufw. 91 


lowa in Oſtgalizien (Dzieduſzucki Muſeum Lemberg). Der Fundplatz ijt 
bisher beſonders durch Hadaczefs Bericht !) und die dortigen germaniſchen 
Töpferöfen des 4. Jahrh. nach Chr. bekannt. Dieſe entſprechen übrigens 
faſt völlig dem keltiſchen Töpferofen des 1. Jahrh. v. Chr. von Bieskau, Kr. 
Ce obſchütz und feinen Vergleichsſtücken aus höchſt am Main ). 

Den Töpferöfen von Grabarka gleicht auch ein weiterer oſtgaliziſcher 
aus Raluſz. Zu den Begleitfunden gehört eine Kraufe mit mehrzeiliger 
Wellenlinie auf der Schulter und umgelegtem Rand ). 


Leider liegen bei Grabarka Niesluchowska Sunde aus verſchiedenen Zeitabichnitten 
vor, die z. T. bei der Grabung nicht näher geſchieden wurden. Neben völkerwanderungs⸗ 
zeitlich-germaniſchen ſind beſonders zahlreich frühgeſchichtlich⸗ſlawiſche vorhanden. Selbſt 
bei den wellen verzierten Scherben macht jedoch die Trennung bei der Eigenart der beiden 
hauptgruppen, 3. B. in der Ausbildung der Ränder, der Art des Tonbrandes uſw. keine 
Schwierigkeiten. Ein unmittelbarer, oe H en ſlawiſcher Ware an die germaniſche 
etſcheint auch hier zur Zeit nicht möglich. Die meiſten ſlawiſchen Scherben find ſicher ſpät, 
etwa 11.—13. Jahrhundert, und auch bei den formenkundlich älteſten Stücken liegt min⸗ 
deſtens vorläufig keinerlei ausreichender Grund vor, über das 9. Jahrhundert hinauf⸗ 
zugehen. Die Sunde von Grabarfa werden 3. It. von einer Schülerin Roz lowskis, 
cand. prähist. A. Neſchel-Cemberg, bearbeitet und daher AL, bald beſſer Ger 
Offentlidt. Für die Beurteilung der Krauſen find fie beſonders deshalb wichtig, weil wir 
nach der Cage des Sundorts und auf Grund von Einzelheiten anderer Scherben die Sied⸗ 
lung nicht als wandaliſch, ſondern als anne e dürfen. Es entſteht nun zunächſt 
die Stage, wie weit etwa bei der galiziſch-ukrainiſchen gotiſchen Tonware der Dölter- 
wanderungszeit in bezug auf die Kraufen wandaliſche Einflüſſe vorliegen könnten oder wie 
weit es ſich nur um eine N des Entwicklung auf Grund provinzial-römiſcher Dor: 
bilder handelt. KE müßten dann für den gotiſchen Kreis im Gebiet am Schwarzen Meer 
geſucht werden ). Zum Entſcheid find leider noch zu wenig gotiſche Sunde aus der Ukraine 
veröffentlicht, die näheren Aufichluß geben könnten. Aud germanijche Siedlun at 
kennt man aber dort fchon in We eee Zahl, z. B. in der Gegend von Kiew 5), 
doch harten fie noch ganz der Bearbeitung. Vergleichsſtücke zu der beſſeren Ware von 
Grabarka bietet anſcheinend auch das berühmte, wohl etwas nn: bei Tſchernigow, 
Bez. Kiew gefundene Urnenfeld ). Die fein gedrehte gotiſche Tonware nach provinzial⸗ 
tömiſchen Vorbildern zeigt in dieſem Gebiet häufig, ebenſo wie die wandaliſche in Schlefien, 
eingeglättete Wellenlinien, Rautengitter uſw. Die Scherben ſehen z. T. den entſprechenden 
wandaliſchen Siedlungsfunden außerordentlich ähnlich, 3. B. Stücke von Kniaſcha hora bei 
Kiew (Ukrainiſches Lemberger Schewtſchenko-⸗Muſeum). Jedoch Ben die AH 
erhaltenen Gefäße der fraglichen gotiſchen Gruppe, 3. B. aus dem oſtgaliziſchen Graberfel 
von Lipica, Kr. Rohatyn (Muſeum Krakau) ?) mit feinen ſtarken Beziehungen zu dem 


1) Teka konservatorska, Lemberg, Bd. II (1900). — III, 1 (1904) n. bef. Bd. 

2) Dal. Richthofen in Altſchleſien I, S. 191 und Einführung in die Ur- und Srüh⸗ 
geſchichtl. Abteilung des Muſeums Ratibor, Ratibor 1927. Ein ähnlicher Ofen unſicherer 
Zeitſtellung (keltiſch, 1. Jahrh. vor Chr. oder wohl eher ebenfalls e 
maniſch) ſtammt auch von Hatvan Boldog, Kom. Delt — Kiskun⸗Halas in Ungarn, Ard. 
Ertesitö 1895, S. 5, Abb. 4. 

3) Wiadomosci Konservatorskie Lemberg I, 2 (1924 1025), S. 65— 69 mit drei 
Abbild. Januſz hält den Fund hier irrig für früßgeſchichtlich⸗ſlawich. 

4) Danilewitſch, Archeologitschna minuwschina Kiiwschtschini (= Arddoloe 
giſche Der ne des Kiewer Landes) (ukrainiſch). Kiew 1925, S. 102ff. und 142. 

) In dieſem Zuſammenhang fei an die von Schuchhardt in der Dobrudicha in 
Cajtellen des 4. Jahrhunderts gefundene, z. T. mit Wellenlinien verzierte Keramik er 
innert, ſiehe derſelbe: Alteuropa, 2. Aufl., 5. 270 und in: Abbandl. d. preuß. Ukademie d. 
Wiſſenſch. 1918, philoſ.-hiſtor. Klaſſe, Nr. 12. 

) Chwojko, Polja pohrebeny w srednim, Pridnieprowi (- Urnenfelder im mitt— 
leren Dnieprgebiet). Petersburg 1004. — Krauſenartige Gefäße mit Wellenlinien kommen 
übrigens auch im kaukaſiſchen Gebiet vor und zwar nach Schuchhardt in der Zeit von 
Troja VI, val. Schuchhardt, Alteuropa S. 250. 

9 Die außerordentlich wertvollen alten Funde ſind leider noch unveröffentlicht. 
Kurze Angaben mit ungenauer Zeit: und Stammesbeſtimmung (2.—4. Jahrhundert 
einheimiſche, weder gotiſche noch ſlawiſche Bevölkerung) bei hadaczek, Kultura do- 
rzec7a Dniestru w epoce cesarstwa rzymskiego ( - Die Kultur des Dnieſtrgebietes in der 
romiſchen Kaiferzeit) Materialy Krafau XII, S. (23)— (55). 


92 B. v. Richthofen [20 


Sriedhof von Marosſzentanna in Siebenbürgen!) dafür, laß die EE hier im 
allgemeinen — trotz ſtarker, durch die verſchiedenen „klaſſiſchen“ Vorbilder bedingter 
Antlänge in Technik und Verzierung — von der ähnlichen wandaliſchen Ware durchaus 
abweichen. Auf alle Sälle haben wir aus den obigen Gründen keinerlei Urſache, etwa 
die feingeſchlemmten, glatten Scherben von Grabarka mit wandaliſchem Einfluß zuſammen 
zubringen. Wie geſagt, iſt dies auch für dortige Krauſen wohl mindeſtens ebenfalls fraglich, 
wenn nicht ſogar unwahrſcheinlich. Der oben abgeplattete Rand einzelner Krauſenſcherben 
von Grabarka, der ganz ſchleſiſchen und anderen vorhin genannter Funde Eu 
iſt ebenfalls ſicher auch der gotiſchen Tonware in Oſtgalizien und den benachbarten Teilen 
der Ukraine auch ſonſt nicht fremd. Dies beweiſen u. a. niedrige, dreihenklige, EE 
Urnen einer bekannten Sorm, z. B. zwei Stücke aus Trembowel ) und aus Celiiw, Kr. 
Kopuczunce und eine ſteilere, mehr krauſenartige Urne mit ſtufenförmig dreimal abge⸗ 
kantetem Hals aus der Gegend von Borſzczow, Kr. Ropuczynce ). 

Das Breslauer Muſeum beſitzt übrigens auch einen Topf der einen Leitform von 
Lipica, und zwar einen feintonigen, gedrehten, grauen Hentelfrug aus dem Gebiet der 
ehemaligen Brovits poſen! Der nähere Fundort ijt leider unbekannt. Die Muſter find 
eingeglättet und beſtehen u. a. aus ſenkrechten Wellenliniengruppen derſelben Art wie 
bei dem Stück aus einem Grabe des 4. Jahrh. in Murga, Kom. Tolna ) und ähnlichen aus 
Lipica in Oſtgalizien. . f 

Man könnte bei der örtlichen und ſachlichen Verbindung unſerer ſchleſi⸗ 
ſchen Krauſen mit Galizien und dem weit öſtlichen Auftreten ähnlicher Gefäße 
übrigens vielleicht auch daran denken, daß es ſich bei den ſchleſiſchen Krauſen 
um einen der öſtlichen Einflüſſe aus dem Bereiche des gotiſchen Gebietes 
nördlich des Schwarzen Meeres handelt, die ſich fo deutlich in Funden aus 
den wandaliſchen Fürſtengräbern von Sacrau, Kr. Gls, zeigen. Freilich iſt 
es nicht begründet — wie hier nebenbei im Gegenſatz zu Antoniewicz 
bemerkt ſei 5) — dieſe Gräber für Beſtattungen rückwandernder Goten an⸗ 
zuſehen! — kluch abgeſehen davon, möchten wir vielmehr den Urſprung 
unſerer wandaliſchen Krauſen vorläufig doch lieber aus dem näher liegenden 
provinzialrömiſchen Donaugebiet herleiten, zumal hier auch ſonſt — wie 
oben hervorgehoben — manche Verbindungen mit dieſer Gegend beſtehen. 

An oſtgaliziſchen Krauſen ſeien ferner noch zwei faßartig große, vollſtändig erhaltene 
Stücke genannt, beide mit Wellenlinienverzierung auf der Schulter. Das eine ſtammt 
von Jwenijhorod (polniſch Zwinogröd), Kr. Bobrka und befindet ſich im Schewtſchenko⸗ 
Muſeum zu Lemberg. Das zweite wurde in Carnogodra, Kr. Nisko, alſo nahe der 
Grenze von Dit: gegen Weſtgalizien ausgegraben und ſteht jetzt im Muſeum Przemuſl ). 
Ebenfalls verdickte, oben blass: Ränder wie die beiden 10 fler, beſitzen aus Oſt⸗ 
galizien auch noch Krauſenſcher r. Gzorttiw (Muſeum 


1) Dal. Brenner in: 6.— 7. Bericht der Römiſch-germaniſchen Kommiſſion, 1910— 12. 

2) Dal. auch Materialy Krakau XII, Caf. 9a (Werbki, Kr. Jampol), ſowie Bd. IV, 
S. 93, Sig. 7 (Trembowel) und hadaczek a. a. O., Bd. XII, S. (28). 

8) (Schticheptydi Muſeum Lemberg, die anderen eben genannten Gefäße: Schew— 
tſchenko Muſeum Lemberg. Auch das erſte dieſer beiden Muſeen ijt ukrainiſch. Urgeſchicht⸗ 
liche Sunde beſitzt es allerdings nur wenige.) 

4) Arch. Ertesitö N. S. Bd. 16, S. 96, Abb. 1. 

5) Antoniewicz in: Z dziedzinie organisacii nauki (vgl. hierzu die Beſprechung 
des Derfaſſers in Oſtlandberichte Danzig, II, 1928,) und „Polska jej dzieje i Kul- 
tura (Sammelwerk in Lieferungen, im Erſcheinen bei (Craft, Evert und Michalski, War⸗ 
ſchau. Bd. I, Heft 1 und 2 enthalten eine Überſicht über die Urgeſchichte des ganzen jetzigen 

olens durch Untoniewicz. Ein umfangreiches Werk des gleichen Derfaſſers über den⸗ 
A Stoff ift in Dorbereitung). Hinfidytlidy der Bedeutung der gotiſchen Rüdwanderung 
auch für die Slawenfrage und in der Überſchätzung des Saane hang von Funden 
mit dieſer Rüdwanderung vermögen wir überhaupt dem verdienten polniſchen Forſcher 
Antoniewic3 nicht beizuſtimmen. Dieſer läßt die Weſtſlawen ſtatt nach der „Dölfer- 
wanderung“ ſchon im Gefolge rückwandernder Goten in ihre ſpäteren Sitze einrücken, 
ja die Beſiedlung Schleſiens im 4. Jahrhundert für überwiegend gotijd ujw., wozu weder die 

eſchichte noch die Sunde berechtigen. Dagegen erkennt Antoniewic3 die Przeworsker 
Sunde richtig als wandaliſch, ſcheint aber auch hier gotiſchen Einfluß zu überſchätzen. 

6) Roczniki przemyski tow, przyj. nauk. III, Przemufl 1915 - 1922, ijt auf dem 
Bild mit Blick in die Sammlungsräume die Form des großen Topfes zu erkennen. 


en von horodacza und Wugmianka, 


21] Germaniſche Krauſengefäße des 4. Jahrhunderts n. Chr. uſw. 93 


Krakau). Einige zugehörige Stücke von dieſen beiden Fundorten find mit ein- und mehr⸗ 
zeigen Wellenbändern verziert. 

Die Frage einer zeitweiſen wandaliſchen Beſiedlung Weſtgaliziens iſt übrigens von 
der galiziſchen Sorſchung bisher Has cpa beachtet worden. hadaczek hielt ſogar 
den bekannten kennzeichnend wandaliſchen Brandgräberfriedhof von Przeworſk für gotiſch. 
In der gleichen Weile iſt auch die Stammesbeftimmung gotiſch in Oſzinskis dankenswerter 
Deröffentlihung wandaliſcher Sunde des 3. Jahrhunderts aus der Gegend von Lancut 
(Landshut) nicht zutreffend !). 

Bei hadaczek verdient aber aus feiner fraglichen Arbeit ein anderes Urteil Hadas 
czeks infolge feiner klaren Sachlichkeit im Ablehnen weſtlicher Urſitze der Slawen bier 
wiederholt zu werden, wenn wir auch nicht in allen Einzelheiten mit hadaczek überein⸗ 
ſtimmen können. Es handelt ſich, wie geſagt, um die e e: Leider hat bekanntlich 
in bezug auf die Meinung über die de der Slawen Kojtrzewsti der polniſchen 
Wiſſenſchaft einen bedauerlichen Rückſchritt gebracht. Erfreulicherweiſe ſcheint dieſer aber 
bei verſchiedenen polniſchen Forſchern jetzt überwunden zu fein, fo bei Untoniewicz. 
hadaczek ſagt an der betreffenden Stelle u. a. wörtlich ). 


„Angefichts dieſer unbeſtreitbaren Tatſachen ijt während der römiſchen 
Kailerzeit auf dieſem Gebiet für die Slawen kein Platz; fie konnten auch aus 
leicht verſtändlichen Gründen nicht damals bereits die Sudetenländer be⸗ 
wohnen. Wenn man mit Gewalt hier Slawen ſchon in einer ſo frühen Jeit 
anſetzen will, müßte man alſo angeſichts der durch die Gräber bewieſenen 
Kriegstüchtigkeit germaniſcher Stämme annehmen, daß fie die unterworfene 
Unterſchicht bildeten, die unter der Aufficht germaniſcher Frauen zur Ston: 
arbeit verwandt worden wären. Aber auch in dieſem Falle müßten ſich im 
Boden Spuren ihrer Wohnſitze und ihrer andersartigen Gräberfelder erhalten 
haben, müßten wir fogar auf den germanifchen Gefäßen manchmal die 
Wellenlinienverzierung finden, die ein fo ſehr bekanntes Derzierungsmittel 
der älteſten Tonware der ſlawiſchen Stämme iſt ). Weil wir ähnliche De: 
weiſe nicht finden, muß man aber vielmehr annehmen, daß die Wohnſitze 
der Slawen damals weiter öſtlich von dem Lauf des Bug begannen und ſich 
im mittleren Europa in gewiſſer Entfernung von der Oſtſee und dem 
Schwarzen Meer vielleicht bis zum Ural ſich erſtreckten“. 


hoffentlich werden ſich Koſtrzewski und feine Unhänger wenigſtens von dem 
von vornherein verfehlten Derſuch freihalten, etwa unſere wellenlinienverzierten, durch 
Ihre Eigenart und geſchloſſenen Gunde als germaniſch geſicherten Krauſen auf Grund der 
oberflächlichen Ahnlichkeit mit ſpätſlawiſcher Conware für ſlawiſch zu erklären ) und für 
ihre irrige Beweisführungen auszunutzen. 
Eine Scheidung von gotiſch und wandaliſch iſt bei den galiziſchen und möglich 
polniſchen Krauſen vorläufig auf archäologiſch formenkundlicher Grundlage nicht mögli 


1) Roczniki przemyski tow. przyj. nauk a. a. O. S. 1—32. 

2) EE Cmentarzysko cialopalne koto Przeworsku, Teka Konservatorska 
Lemberg III, S. 20. 

) In bezug auf die Wellenlinie irrte allerdings bekanntlich hadaczek, da fie bei 
Slawen und Germanen vorhanden und bei beiden provinzialrömiſchen Urſprungs ijt. 
Jedoch hat er durchaus Recht, daß ſich eine etwaige Unterſchicht unter den Germanen 
nachweiſen laſſen müßte, wenigſtens für die Unfangsabſchnitte eines Zeitraums mit joldyen 
Derbältnifien. Alle Derfuhe Roſtrzewskis in dieſem Sinne ein Fortleben der Cauſitzer 
Kultur „unter der Oberfläche“ germaniſcher herrſchaft zu erweiſen, find jedoch fo völlig 
verfehlt und derart oft klar widerlegt, daß hier nicht Mett darauf eingegangen zu werden 
braucht. Im übrigen verweiſen wir mit Bezug auf Roſtrzewski's Arbeitsweiſe in 
der Slawenfrage auf eine Überſicht des Derfaſſers dieſer Zeilen, die demnächſt vom 
Danziger Oſtland inſtitut als Sonderheft herausgegeben wird. 

; ) An die verdickten, abgeplatteten, umgelegten Ränder bei Krauſen erinnert 
überdies auch eine in Oſterreich vertretene Gruppe mittelalterlicher Tonware aus der 
Babenberger Zeit. Auf dem abaeplatteten Rand finden ſich bier häufig mehrere umlaufende 
Rillen. Dal. 3. B. Sunde aus Wien, Plankengaſſe, im Muſeum Dindobonenfe in Wien. Die 
leiche Ware kommt u. a. auch in der Slowakei vor, wie Scherben von einem mittelalterlichen 
iedlungsplatz mit Caufrädchenkeramik aus Zſelitz (Zeliezobce) bei Parkäny-Parka Nana 
zeigen. (Sammlung Gräfin Coudenhove in Zſelitz.) 


94 B. v. Richthofen [22 


Aus geſchichtlichen Rückſichten können wir aber annehmen, daß alle oder die meiſten Stücke 
unſerer Sundlijte für Weſtgalizien und Kongreßpolen im Gegenſatz zu den weiter unten 
0 oſtgaliziſchen Stücken wandaliſch fein dürften. Aud) die von einigen der fraglichen 
Sunditellen, wie Mniköw und Tropiszôw, bekannten et germaniſchen Scherben der 

leichen Zeit ſcheinen nicht dagegen zu ſprechen, obwohl ſie allerdings auch zu einer ſicheren 
Nan Beſtimmung nicht ausreichen. Daß : B. die „Sternſtempel“ der für Schleſien 
belegten Art in Oſt⸗ und Weſtgalizien noch fehlen, könnte auf Jufall beruhen. 

Don Krauſenſcherben in der Slowakei war bereits oben die Rede. Zu den dort 
enannten Stücken kommt noch ein wellenlinienverzierter Scherben mit mebr3eiliger 

ellenlinie von Mateovce in der Zips Vlog Delta). Wenn auch bei der Bearbeitung 
dieſer nicht hinreichend großen Gefäßreſte Vorſicht geboten ijt, ſo ſteht doch dem nichts 
im Wege — auch vom ſedenfall ken Standpunkt aus — die flowakiſchen ne als 
wandaliſch anzuſehen. Jedenfalls fehlen andere ſicher nicht wandaliſche germaniſche Sunde, 
abgeſehen von in dieſem Zuſammenhang nicht ſtörenden provinzialrömiſchen Einfuhrjtüden 
aus Duds, anſcheinend bei den betreffenden Sundpläßen, ser dieſe z. C. Stücke 
lieferten, die wandaliſchen Scherben aus Schleſien durchaus entſprechen, Ee auch Teile von 
Den mit fußförmig abgeſetztem Boden vom Jerufalemberg bei Käsmark (Muſeum 
Deutſchendorf⸗Popräd). 

Verbreitet waren Krauſengefäße des 4. See aud) weiter ae in Ungarn, 
wie z. B. der Scherben, Kat.⸗Nr. 66. 476, 1906 des Nationalmuſeums Budapeſt mit ab⸗ 
en umgelegtem Rande und Wellenlinienverzierung!) von Dunapentele zeigt. 

och im Gebiet der ungariſchen Tiefebene liegt auch ein zur Zelt zu Rumänien gehöriger 
ermaniſcher Fundplatz des A. Jahrhunderts mit Krauſenſcherben vom „Großen Schanz⸗ 
erg“ bei Pecsta Bez. Arad (Ard. Erteſitö 21, 1903, S. 327). Freilich ift bei den ein: 
Ihlägigen E Verhältniſſen in Ungarn eine genauere ſtammliche Beſtimmung 
er betreffenden Reſte bisher nicht möglich. Daß Kraufen des 4. Jahrhunderts bei den 
Germanen nicht nur auf die Wandalen beſchränkt waren und etwaige ſtammliche Unter: 
ſchiede hier erſt weiterer Klärung bedürfen, ergab ſich bereits aus der obigen Betrachtung 
gotilcher Sunde aus Galizien. Unter den Altſachen von Pécska befinden ſich 3. B. neben 
rauſenſcherben auch Fußſchalen, die u. a. in dem oben on erwähnten oſtgaliziſchen 
gotiſchen ziel) von Lipica, Kr. Rohatyn Dergleichsſtücke haben. 

Aud) aus Siebenbürgen können wir Krauſenſcherben mit abgeplattetem umgelegtem 
dickem Rande erwähnen. Sie ftammen aus Buſtritz. Der eine trägt eine mehrzeilige 
Wellenlinie. Niger Ausſühr Muſeum Wien.) . 

Die obigen Ausführungen dürften gezeigt haben, daß den oberſchleſi⸗ 
ſchen germaniſchen Kraufen des 4. Jahrhunderts auch für weitere Fragen 
eine beſondere Beachtung zukommt. Es ſcheint übrigens, wie Jahn feit- 
ſtellte 2), daß dieſe Gefäßform bei den Wandalen eine Weiterentwicklung 
bis ins 5. Jahrhundert erlebte. 

Bei den völkerwanderungszeitlichen Funden Oberſchleſiens iſt vielleicht 
nicht ausgeſchloſſen, daß einige der ſchon jetzt bekannten Fundplätze auch 
bis ins 5. Jahrhundert reichen. Freilich fehlt dafür noch jeder ſichere Beweis. 
Immerhin weichen 3. B. ſolche Scherben, wie die aus den langen Brand= 
grubengräbern von Chorulla *) von der ſonſtigen Ware des 4. Jahrhunderts 
zum Teil jo ſtark ab, daß fie daher vielleicht weder der Sacrauer noch der 
Höckrichter Stufe Jahns angehören und jünger fein könnten. 

Hoffentlich werden neue geſchloſſene Funde hierüber und auch über 
die Dauer und letzte Entwicklung der germaniſchen Krauſen in Oberſchleſien 
noch näheren Kufſchluß geben. 

Die ſtarke Vermehrung von Funden des 4. Jahrhunderts aus Ober⸗ 
ſchleſien ijt auch noch in anderer Hinjicht methodiſch wichtig. Sie bildet eines 
der vielen Beiſpiele dafür, welche Dorficht geboten iſt, wenn man enger 


4) Dal, auch Arch. Erteſitö 41, 1927, Taf. 12, Abb. 1—2, Krauſenſcherben von 
Bo drog Keresztür. Sie wurden mit glatten grauen gedrehten Scherben zuſammengefunden, 
die Compa für latenezeitlich hält. Dielleicht kommt aber auch für fie die ſpäte Kaiſerzeit 


in Frage. 

2) Mannus, 4. Erg.⸗Bd. a. a. O. (Gefäße von Weidenhof, Kr. Breslau.), Abgeb. 
Schleſiſche Monatshefte 1924, S. 279. 

3) Altſchleſien 1, S. 193 und Taf. 16. 


23] Germaniſche Krauſengefäße des 4. Jahrhunderts n. Chr. uſw. 95 


begrenzte Gebiete auf Grund eines anfänglichen Fehlens von entſprechenden 
Funden für einen kurzen Zeitraum als in der betreffenden Spanne ſiedlungs⸗ 
leer erklären will, falls dies nicht geſchichtliche Erwägungen oder archäologiſche 
Gründe in weiterem Rahmen wahrſcheinlich machen. Bei allen Gegenden, 
wo die Denkmalspflege nicht jahrelang das planmäßige Scherbenſuchen in 
derſelben Weiſe betrieben hat, wie dies jetzt 3. B. in den beiden ſchleſiſchen 
Provinzen geſchieht, dürfte bei ſolchen Schlüſſen ſtets doppelte Zurückhaltung 
notwendig ſein. 


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Abb. 7. Germaniſche Beſiedlung Oberſchleſiens im 4. Jahrh. nach Chr. nach den bisherigen 

Sunden. (Das ſcheinbar fundleere Oſtoberſchleſien harrt nur noch näherer Erforſchung.) 

AW Brandgraber. / en ne 4 Einzelfunde (röm. 
ünzen. 


Zum Schluß bringen wir eine Karte der jetzt bekannten Sundorte des 
4. Jahrh. nach Chr. aus Oberſchleſien. Die Fundorte mit Nummern find die 
mit Krauſenſcherben in der Reihenfolge der oben angegebenen Liſte. 


d) Mitteldeutſchland. 


Ein Prachtſtück neolithiſcher Töpferkunſt. 
Don Nils Nitlafjon. 
mit 10 Abbildungen im Tert. 


Das an keramiſchen Erzeugniſſen fo überaus reiche mitteldeutfche Neo— 
lithikum weiſt immer noch neue Überraſchungen auf. Wohl werden kaum 
neue Stilarten auftreten, aber innerhalb der ſchon bekannten kommen ab 
und zu neue Typen und Formen zum Dorjfchein, die unſere Kenntnis be⸗ 
reichern und dazu beitragen, die Probleme zu klären. Bei dieſer Gelegenheit 
möchte ich auf ein Stück hinweiſen, das vor nicht langer Zeit feinem mehr: 
tauſendjährigen Derjted in dem mitteldeutſchen Boden entnommen wurde 
und das zu einer Stilgruppe gehört, die bis jetzt in unſerem Gebiet nur durch 
kleinere oder größere Bruchſtücke vertreten war. Huch dieſes Stück war ur⸗ 
ſprünglich nur teilweiſe erhalten, es konnte jedoch Form und Dekoration mit 
Sicherheit feſtgeſtellt werden. Durch den Bildhauer herrn D Keiling von 
der Landesanſtalt für Vorgeſchichte in Halle wurde es in geſchickter und ver⸗ 
ſtändnisvoller Weiſe ergänzt. Die bb. 1 gibt das Stück wieder. 

Das etwa 25 cm hohe Gefäß hat einen weiten, trichterförmig aus: 
ladenden Hals oder Rand, herabfallende Schulter und koniſchen Unterteil. 
Die ſehr reiche, faſt die ganze Gefäßwand deckende Verzierung ſetzt ſich zu⸗ 
fammen aus einem Mündungsmuſter, beſtehend aus ſtehenden, ſchmalen, 
querſchraffierten Dreiecken, die nach unten durch eine wagerechte Stichlinie, 
bei welcher die Stiche quer gegen eine vorgezogene Linie eingeſtochen ſind, 
begrenzt werden. Die von dem Mündungsornament ſenkrecht herunter— 
hängende Wanddekoration, welche ohne Rückſicht auf die Gliederung der 
Wandung über die Schulter hinweg bis kurz oberhalb des Bodens herunter— 
reicht, wird durch Bänder aus mehrfachen, dicht aneinanderlaufenden Stich: 
linien in breite Felder oder Streifen aufgeteilt. Die Streifen ſind abwechſelnd 
gemuſtert und zwar in der Art, daß in dem einen durch je drei herunter— 
hängende, ganz ſchmale Bänder — ſog. Leiterornamente — das ſenkrechte 
Moment in der Derzierung zum Ausdrud gebracht wird, während in dem 
anderen durch doppelte, querlaufende Winkellinien eine horizontale, im 
Gegenſatz zu jener ſtehende Wirkung angeſtrebt iſt. Die ganze Verzierung iſt 
mit einer feinen Spitze eingeſtochen. Am Halsanſatze find zu jeder Seite je 
zwei kleine, winkelig geknickte henkel angebracht. Der Ton iſt ganz fein und 
hart, die Außenſeite dunkelbraun, faſt ſchwärzlich und geglättet. 

Es iſt ſicher nicht zuviel geſagt, wenn man dieſes Gefäß als ein Pracht— 
ſtück der neolithiſchen Töpferkunſt bezeichnet. Der Künſtler, der es geſchaffen 
hat, baut zwar auf eine alte, ſchon vorhandene Tradition und hält ſich ſtreng 
an den Stil ſeiner Zeit, aber innerhalb dieſer ihm gegebenen Grenzen ſchafft 


d Ein Prachtſtück neolithiſcher Töpferkunſt 97 


er ein Stück, das durch Feinheit und Sauberkeit in der techniſchen Ausführung 
ſowie durch die harmoniſche und ſtreng ausgewogene Verteilung der Dekora⸗ 
tion auf der Fläche dieſes Stück vor anderen derſelben Zeit auszeichnet. 
Die zeitgenöſſige, etwa in derſelben Art ornamentierte Tonware ) ijt meiſtens 
ſowohl in der Auffaffung wie in der Ausführung gröber; das zeigt ſich in 
Formgebung und Ornamentierung, welche nicht den wirkungsvollen Gegen⸗ 
ſatz zwiſchen dem Ornament und der glatten Fläche genügend zum klusdruck 
kommen läßt. In diefer Hinficht hat der Derfertiger des Slötzer Gefäßes ein 


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Abb. 1. 1 


ausgeſprochen künſtleriſches Empfinden gezeigt. Aus Deutſchland ( mir nur 
ein einziges Stück derſelben Stilperiode bekannt, das ein ähnlich hochent⸗ 
wideltes Stilempfinden aufzuweiſen hat — das hochhalſige Trichtergefäß aus 
dem Gingſter Moore auf Rügen . 


Die Scherben, aus denen das vorhin beſchriebene Gefäß ergänzt worden 
iſt, wurden mir bei einem Beſuch in Flötz am 7. Februar d. Js. von dem 


3 J. B. die großen Töpfe oder Satten von der Rosmarienbreite bei Neuhaldens⸗ 
leben. ee auf eine in einem der nächſten Hefte des Mannus erſcheinende Arbeit, 
die dieſe Keramik näher behandeln wird; weiter auf die einſchlägigen Arbeiten von Rupka 
4 215 Stendaler Beiträgen, Bd. IV, S. 365 u. f., Bd. V, S. 61 u. f., S. 131 u. f. und 

: u. f. 
) Abgebildet von Seger in „Die keramiſchen Stilarten der jüngeren Steinzeit 
ln .52, Abb. 205 (Schleſiens Vorzeit in Bild und Schrift, Bd. VIL, 1919) und 
von Koffinna im Mannus, Bd. 13, 1921, S. 34, Abb. 20. 


Mannus, Jeitſchrift für Vorgeſch., VI. Erg.⸗Bd. 7 


98 Nils Niklaſſon [3 


dortigen Lehrer herrn O. Möller nebit einer großen Menge anderer Scherben, 
die zu demſelben Funde gehören, für die Candesanftalt übergeben. Über die 
Sundverhältniffe gab Herr Möller folgenden ſchriftlichen Bericht ab: 

„Im September 1927 fand herr Landwirt Robert Friedrich beim Pflügen einige 
Scherben, die er mir überſandte. Am 22. IX. e id) mit einigen Kindern eine 
E Der feilchgepflü te Ader zeigte unweit des Weges eine ſchwarze Branderde⸗ 
Bar ach Seſtlegung der Sundftelle dk Abb. 2) 71 fanden ſich nur wenige Gefägreſte. 

ach dem Sorträumen des lockeren Erdreiches hob ſich eine faſt kreisrunde, id warze Slade 
von dem ſonſt . Sande ab. Ihr Durchmeſſer betrug 1,10 m in der Richtung O⸗W, 
1,20 m in der Richtung N-S. Durch das Pflügen waren die Scherben durcheinander dé: 
wühlt. Sie wurden ſämtlich geborgen. 20 cm unter der Pflugfurche erſchien wieder der 
helle Sand und es zeigten ſich keine Scherben mehr.“ 


Abb. 2. Ausfdnitt aus dem Meßtiſchblatt Nr. 2239. 
X Fundſtelle. 


Die Sundjtelle liegt, wie aus dem Kartenausſchnitt (Abb. 2) hervorgeht, 
etwas mehr als 1 km öſtlich von Flötz (Kr. Jerichow I), zwiſchen der Land⸗ 
ſtraße Flötz-Güterglück und dem Eiſenbahndamm. 

Nach den Fundangaben von Herrn Möller handelt es ſich anſcheinend 
um einen Siedelungsfund. Die im Durchſchnitt nur etwa 1½ m weite und 
20 cm — unter der Pflugfurche — tiefe Grube iſt wahrſcheinlich als herd⸗ 
grube oder — wegen der Menge der Scherben — als Abfallgrube zu deuten. 
Ein Grab iſt es ſicher nicht geweſen. 

Außer Bruchſtücken zu dem in Abb. 1 wiedergegebenen Prachtgefäße 
fanden ſich unter der Menge der Scherben auch mehrere Fragmente anderer 
verzierter Gefäße, die ſich aber nicht ergänzen ließen, und deren Tupus ſich 
nur vermuten läßt. 

Abb. 3 zeigt den größeren Teil vom Rande nebſt Schulter eines Gefäßes 
mit ausladendem Rande — Trichterrand. Die Verzierung, die auf die Schulter 
beſchränkt iſt, beſteht aus hängenden, gefüllten Dreiecken, hergeſtellt durch 
ziemlich feine Stichreihen oder Stichlinien, und ſenkrechten, quer geſtrichelten 


1) Eine Skizze, die die genauen Einmeſſungen des herrn Möller zeigt, wird im 
Ardiv der Candesanſtalt aufbewahrt. 


4) Ein Prachtſtück neolithiſcher Töpferkunſt 99 


Linien, die wahrſcheinlich über den Schulterumbruch heruntergereicht haben. 
fluf der Schulter befinden ſich zwei breite Oſen, die an der entgegengeſetzten, 
nicht mehr vorhandenen Seite ihre Gegenſtücke gehabt haben müſſen. Die 
Öfen zeigen die bei den Trichtergefäßen übliche paarweiſe Anordnung. Der 
Randdurchmeſſer wird auf etwa 23—25 cm geſchätzt. Das Gefäß hat die 
Sorm eines weitmundigen Trichtergefäßes gehabt. 

Die übrigen verzierten Scherben find alle klein und geben hauptſächlich 
nur Aufichluß über Einzelheiten in der Verzierung, weniger über die Sorm 
der Gefäße. 

Die Scherbe Abb. 4, die anſcheinend vom oberen Teil eines ſteilwandigen 
Gefäßes ohne abgeſetzter Schulter ſtammt, trägt eine Randverzierung — der 
eigentliche Rand fehlt, aber nach ähnlichen bekannten Gefäßen muß das 
abgebrochene Stück ziemlich unbedeutend geweſen ſein —, welche aus ſtehenden, 


Abb. 3. ½. 


ſchmalen Dreiecken, ausgefüllt mit kräftig eingeſtochenen Stichen, beſteht. Die 
der Randverzierung ſich anſchließende Dekoration ſetzt ſich zuſammen aus 
winkelig gegeneinander geſtellten Schrägſtichen, die ein breites Feld aus⸗ 
füllen, das vom nächſten — ob in derſelben Art verzierten läßt ſich aus dem 
vorhandenen Stück nicht ſagen — durch ein breites, ſenkrechtes Band, gebildet 
durch ſchräg gezogene Stichreihen oder Stichfurchen, getrennt wird. Im 
Gegenſatz zu den Begrenzungslinien der Randdreiede, die eingeſtochen find, 
ſind die Begrenzungslinien des ſenkrechten Bandes eingeſchnitten. Nach der 
in wagerechter Richtung kaum bemerkbaren Krümmung muß dieſes Gefäß 
eine beträchtliche Weite gehabt haben. 

Dom Unterteil eines Gefäßes, ebenfalls von ziemlich großen Ausmaßen, 
rührt die Scherbe Abb. 5 her. Die Wandung ſcheint ſchwach bauchig geweſen 
zu fein. Die ſenkrecht angeordnete Verzierung ijt in breiten Feldern auf: 
geteilt, die durch breite Bänder derſelben Art wie die bei der vorhin be: 
ſchriebenen Scherbe getrennt ſind. Die Einzelornamente ſind quer geſtrichelte 
Doppellinien und dichtgeſtellte Stichfurchen. Nach der Art und Orientierung 
der Verzierung ſowie nach der ſchwachen Krümmung des Bruchſtückes 
ſowohl in horizontaler als in ſenkrechter Richtung könnte dieſer Scherbe 


7* 


100 Nils Niflajfon E 


von einer großen Amphore und zwar von dem Teil unterhalb des 
Schulterumbruches ſtammen. 


9—10 


Abb. 4—10. ½. 


Die Abb. 7 zeigt eine Scherbe vom Schulterumbruch eines großen 
Gefäßes, das wahrſcheinlich dieſelbe Form gehabt hat wie das Stück Abb. 1, 
obgleich der Umbruch mehr abgerundet geweſen iſt. Auch hier finden wir die 


6] Ein Prachtſtück neolithiſcher Töpferkunſt 101 


quergeſtrichelten Parallellinien wieder, die ebenfalls eingeſtochen ſind, jetzt 
drei⸗ bis vierfach, und als neues Derzierungselement die kurze Winkel⸗ 
linie, ausgeführt durch nebeneinander angeſetzte kräftige Stiche, die gegen 
eine vorher eingeſtochene Linie angebracht find. Eine ähnliche Verzierung 
trägt auch die kleine Scherbe (Hbb. 8). 

Die bis jetzt behandelten Bruchſtücke rühren alle von größeren Gefäßen 
a Aber auch von kleineren, charakteriſtiſchen Formen waren Bruchſtücke 
vorhanden. 

Das unverzierte Randjtiid (Abb. 10) gehört zu einer tiefen Schüſſel oder 
Schale mit zwei nebeneinander geſtellten Schnuröſen. 

kinſcheinend von kleineren Trichterbechern ſtammen die Scherben (Abb. 6 
und 9), wovon die letztere den abgeſetzten Rand, deſſen Anfak durch feine 
Stiche, die gegen eine wagerechte Stichlinie angeſetzt ſind, darſtellt, während 
jene, die durch ſenkrechte Stiche verziert iſt, vom Unterteil eines anderen 
Stückes desſelben Tupus herrührt. 

Zu dieſen durch ihre . charakteriſtiſchen Scherben kommt noch 
die große Maſſe der unverzierten. Trotz mehrfacher Verſuche iſt es aber nicht 
gelungen, aus ihnen beſtimmte Gefäßformen zu rekonſtruieren. Größtenteils 
handelt es ſich um eine ziemlich dickwandige Tonware. Als Gefäßform ſcheint 
hauptſächlich die große Amphore mit breiten Bandhenkeln unmittelbar unter: 
halb des Schulterumbruches — Bruchſtücke von ſolchen Henkeln find vor⸗ 
handen — in Betracht zu kommen, daneben ſind aber wohl auch kleinere 
Amphoren mit dicken Oſen etwa von derſelben Art wie die auf der Schulter 
des Gefäßes (Abb. 3) vertreten. 


Die triangulären Dolche der älteſten Bronzezeit 
im Freiſtaat Sachſen. 


Don Gotthard Neumann. 
Mit 3 Abbildungen im Tert. 


Don den reichen Metallfunden der älteſten Bronzezeit im Sreiltaat 
Sachſen ſind die triangulären Dolche eine eigene Veröffentlichung wohl wert, 
umal dann, wenn der Nachdruck dabei auf die techniſche Stage nach 
deren Entſtehung gelegt wird. Das ſoll hier geſchehen. 

Zwei Einzelfunde kommen in Betracht, die Dolche von Sollſch witz, 
Hh. Bautzen und von Dresden-Briesnig, dazu die Fragmente einer Klinge 
aus dem Depotfunde von Wauden, Ah. Meißen (Abb. 1). Sie bilden zur Zeit 
den ganzen in dieſer Gattung in Sachſen ). Ein eigener Reiz liegt nach 
meinem Gefühle in der Gegenüberſtellung der beiden Dolche von Sollſch witz 
und Briesnitz. Ich möchte dementſprechend an dieſer Stelle, wo es auf Voll⸗ 
ſtändigkeit weniger ankommt, die Behandlung der Sragmente von Wauden 
zurücktreten laſſen. 

Der Dolch von Sollſchwitz (Abb. 1a u. 2) wurde im Frühjahr 1913 auf 
einem Feldſtück ſüdweſtlich des Rittergutspartes, das heute als Koppel dient, 
gefunden. In der Verwahrung des Rittergutsbeſitzers Ernſt Wuttig blieb 
er 14 Jahre lang unbemerkt. Erſt im vorigen Jahre kam er durch die höchſt 
anerkennenswerte Hufmerkſamkeit des herrn Wuttig als Leihgabe an das 
Städtiſche Muſeum in Bautzen (0. 27. 69) und wurde von Walter Frenzel 
im Jahrbuch der Geſellſchaft für Vorgeſchichte und Geſchichte der Oberlauſitz 
zu Bautzen 1927, S. 71f. kurz veröffentlicht ). Das Stück ijt bis auf weiteres 
als Einzelfund zu betrachten, da es ohne Begleitfunde beim Eggen zutage 
gefördert wurde. Herr Wuttig ſelbſt hat es aus den Zähnen der Egge ge⸗ 
zogen. Die Fundſtelle liegt auf einer Hügellehne, die ſich nach Nordoſten zur 
Hue des Schwarzwaſſers ſenkt, und zwar oberhalb einer ſtarken Straßen- 
böſchung nur 40—50 m von der Parkmauer entfernt. Der Untergrund iſt 
ſchwerer Lehm. Eine genauere Unterſuchung der Grtlichkeit ijt für den Herbſt 
1928 in Husſicht genommen. Der ſchlanke, kräftige Dolch (C.: noch 22,4; 


1) Als Nachkomme unſerer triangulären Dolche iſt ein Klingenfragment aus Grab IV 
von Naundorf, Amtsh. Meißen, im Staatlichen Muſeum für Dorgeichichte zu Dresden, 
anzuſehen, welches noch das hängende Dreieck zeigt, jedoch nur 2,4 em breit iſt und durch 
ein ÜUbſatzbeil vom böhmiſchen Typus nach Montelius II datiert wird. Dal, G. Bierbaum, 
Vorgeſchichtlicher Uberblick, Nordſächſiſches Wanderbuch, Dresden 1925, S. 243: „Klinge 
eines bronzenen Kurzſchwertes“. Zum Dolche von Groß-Dölzig, Amtsh. Leipzig, vgl. 
man R. D Jacob, Zur Prähiſtorie Nordweſtſachſens, Halle 1911, S. 182, Tafel XIX, 
Sig. 123. Die Klinge dieſes Stückes erinnert an die Kupfertlingen der Glockenbecherkultur. 

2) Hür die Aufforderung an diejer Stelle eine ausführlichere Veröffentlichung zu 
unternehmen, bin ich W. Frenzel beſonderen Dank ſchuldig. 


2] Die triangulären Dolche der älteſten Bronzezeit im Sreiftaat Sachſen 103 


gt. Br.: 6,45 cm; Gew.: nod) 600 g) beiteht aus einer triangulären 
Klinge (ſichtb. C.: noch 13,6 cm) mit breiter, ſtarker Mittelrippe und 
einem ſchweren, für ſich gegoſſenen Griff mit Knaufplatte und halbrundem 


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Abb. 1. Die triangulären 2 Sachſens. Etwa ½,. a Sollſchwitz, Ah. Bautzen, b Wauden, 
h. Meißen; c Dresden-Briesnitz. 


Klingenbügel. Klinge und Griff ſind nicht unweſentlich beſchädigt. Ein 
Bũgelarm und die Knaufplatte find ausgebrochen. Die Schneiden find ſchartig. 
Dor allem aber fehlen etwa 5cm vom unteren Klingenende. Sämtliche 
Brüche ſind modern. Der erhaltene Teil der Klinge iſt lebhaft blaugrün 
patiniert, zum Teil durch die Patinierung zerfreſſen, zum Teil aber noch mit 
der ſchönſten Politur erhalten. Der Griff ſcheint einen höheren Prozentſatz 


104 6. Neumann | [3 


Zinn zu enthalten als die Klinge, da er fic) durch feine bleiartig grauolive 
Färbung von ihr merkbar abhebt. Griff und Klinge find durch 7 Nieten oer: 
bunden, die einen breitovalen Griffausſchnitt (Durchm.: 1,3x2,7 cm) in 
flachem Bogen umfaſſen. Je 3 Niete ſtehen rechts und links vom 7., der die 


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Abb. 2. Etwa 1/,. Sundort Sollihwiß, Abb. 5. Etwa /. Sundort Dresden⸗ 
Ab. Bautzen. Zeichnung von H. Dengler. Briesnitz. Zeichnung von D. Dengler. 


Mittellinie hält, gruppenartig einander beſonders nahe. Die Mittelrippe 
der Klinge verjüngt ſich nach unten nur wenig (Br.: 1,5 0,9 em) und 
verläuft nach oben hin erſt im Griffausſchnitt. Die Schneiden ſind ſcharf 
abgeſetzt. Die Griffſtange mit bikonvexem bis elliptiſchem Querſchnitt ſchwillt 
im ganzen geſehen von unten nach oben hin an (Br.: unten: 2,4; Mitte: 
2,7; oben: 2,7 em; St.: 1,5; 2 und 2,9 em), ihre größte Breite erreicht 
ſie jedoch bereits einmal in etwa halber höhe. Sie trägt auf ſanftgeſchweiftem 


4] Die triangulären Dolche der älteſten Bronzezeit im Sreiftaat Sachſen 105 


„Mundſtück“ eine 0,4 em ftarfe, ovale Knaufplatte (Durchm.: 4, 1 4,6 cm). 
Die Griffſtange ijt auch !) für die Hand des Verfaſſers zu kurz. 

An Griff und Klinge find Verzierungen angebracht. An der Klinge 
beſtehen ſie in zwei einfachen gepunzten Punktreihen, welche die Mittelrippe 
gegen das Blatt hin abgrenzen. Die Griffſtange zeigt etwa 2 em unter der 
Knaufplatte ein 2—3 mm breites Bändchen aus drei umlaufend eingeſchla⸗ 
genen Riefen. Der ſenkrechte Rand der Knaufplatte ijt durch eine Jickzack⸗ 
linie in kleine verzahnte Dreiecke aufgeteilt, von denen jedes Vierte ſchraffiert 
iſt, und zwar das ſtehende allemal rechtsläufig, das hängende linksläufig. 
Die Oberſeite der Knaufplatte iſt ornamentfrei. Dagegen find ſämtliche 
Nietköpfe von einfachen Punktkränzen umſäumt. Der untere Rand des 
Griffes mit dem klusſchnitt iſt feingekerbt. Über den gewölbten Rüden der 
beiden Griffarme laufen je vier Reihen kleiner Querſtriche hinunter. Sie 
entſprechen ebenfoviel ſchwachen Gußfazetten. Der Dolch ſcheint viel benutzt 
worden zu ſein, denn einzelne Ornamentteile ſind faſt vollſtändig abgegriffen. 

von beſonderem techniſchen Intereſſe iſt an dieſem Stücke ein kleines 
„Pförtchen“ (vgl. Abb. 2), das etwa in der Mitte der Knaufplatte liegt und 
mit einem beweglichen Bronzeklümpchen nur halb verſchloſſen iſt. Es ge⸗ 
währt einen, wenn auch ſehr beſcheidenen Einblick in das Griffinnere. Wir 
erkennen hier unter dem Tür⸗„Tropfen“ in einen engen Griffkanal ein⸗ 
geklemmt einen zweiten Bronzetropfen. Das Pförtchen, die Tropfen und 
der Kanal laſſen Rückſchlüſſe auf den Werdegang des Dolches zu. Er mag 
etwa folgendermaßen zu denken ſein: 


Nachdem die Klinge gegoſſen war, wurden durch Eindrücken eines 
anderen Dolchgriffes oder aber freihändig modellierend in Ton die Negative 
der beiden Griffhälften geſchaffen. Sie wurden jedoch nicht, wie wohl ſonſt 
üblich, mit Wachs ausgegoſſen, mit einem Tonkern verſehen und dann 3u- 
ſammen geſetzt, ſondern das Wachs blieb fort, die Form wurde geſchloſſen, 
und der Tonkern durch einen Stab (oder dergleichen) von der Stärke des 
Griffkanals erſetzt. Dieſer wurde durch den äußeren Tonmantel geſtoßen 
und ragte frei in den Hohlraum der zuſammengepaßten Negative hinein. 
Er ſtand offenbar in Verbindung mit einer Membran, welche die Offnung 
des heutigen Klingenſchlitzes ausfüllte. Der Einguß erfolgte wohl vom höchſten 
Punkte des Knaufplattenrandes aus, wobei wir uns den Griff natürlich 
liegend zu denken haben. Nach dem Erſtarren des Metalles wurden Stab 
und membran entfernt, und ſo entſtand einmal der Klingenſchlitz und zweitens 
jene kleine Offnung in der Knaufplatte, von der wir ausgingen. Dieſe per: 
ſuchte man zu ſchließen, indem man von oben her Metall eintropfen ließ. 
Der erſte Tropfen erſtarrte ſchnell, der zweite ſchloß die Offnung. Sie wurde 
überarbeitet, und die dadurch geſchwächte Decke brach eines Tages wieder 
ein. In den Griffſchlitz wurde die Klinge eingeſchoben und dort mit den Nieten 
befeſtigt. Dieſe ſcheinen ihrer Patina nach wie die Klinge einen geringeren 
Zinngehalt zu beſitzen als der Griff. Das beim Einſchlagen der Tlietlöcher 
an deren Rändern aufgeworfene Metall wurde mit hammer und Schleifſtein 
abgeglättet. Für die Benutzung eines Steines als Seile ſprechen ganze Gitter 
von feinen Kritzlinien, die unter dem Binokular deutlich zu ſehen ſind. Ganz 
zuletzt wurden die Punktkränze und der übrige Schmuck eingeſchlagen. 


1) Dal. W. Frenzel, a. a. O., S. 71. Don Profeſſor Dr. B. Struck, Dresden, 
werde ich darauf hingewieſen, daß auch die Schwertariffe gewiſſer Eingeborenenſtämme 
Ajritas ſehr eng find, ohne daß man deren hände kleiner als die unſeren nennen könnte. 


106 G. Neumann [5 


Der Briesnitzer Dolch (Abb. 3) ift von J. D Deichmüller in den 
Sitzungsberichten der Naturwiſſenſchaftlichen Geſellſchaft Iſis, Dresden 1901, 
S. 7, zum erſten Male erwähnt, von G. Bierbaum in feiner „Dorgeſchichte 
des Plauenſchen Grundes“, 19271) zum erſten Male abgebildet worden. Er 
wurde im Jahre 1900 beim Lehmſtechen in der Ziegelei von Maximilian 
Nötzold gefunden und ein Jahr ſpäter der vorgeſchichtlichen Staatsſammlung 
in Dresden zum Geſchenk gemacht. kluch er muß als Einzelfund gelten, 
wiewohl aus derſelben Ziegelei ein Randbeil vom ſächſiſchen Typus bekannt 
iſt 2). Es wurde Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts gefunden. 
Die Dampfziegelei von Max Nötzold liegt am Nordoſtabhang eines Berges, 
der ziemlich ſteil unmittelbar zur Elbe abfällt. Der Dolch von Briesnitz über⸗ 
trifft mit 42 em Länge und 11,2 em größter Breite den Sollſchwitzer weſent⸗ 
lich. Dagegen iſt er viel flacher (Gr. St.: 2,3 gegen 4,1 em) und leichter 

Gew.: 323 gegen 600 g) gearbeitet als jener. Wir unterſcheiden auch bei 

ihm die trianguläre Klinge (ſichtb. C.: 30 em) und das Heft mit Bügel 
und Knaufplatte. Die Klinge iſt ziemlich Wort beſchädigt. Es fehlen beide 
Schneiden, und die Spitze iſt 8,5 em lang abgebrochen. Der Bruch ijt modern. 
Der ganze Dolch iſt giftgrün patiniert, die Klinge ſchimmernd weißgrün, die 
Griffſtange dunkler und ſtumpf oder glänzend und dann überarbeitet. Die 
Griffſtange mit ſpitzovalem Querjdnitt ſchwillt von unten nach oben hin 
leicht an (Br.: 2,9 —3, 2; St.: 1—1,6 cm). Sie trägt eine kleine, ovale Knauf: 
platte (Dm.: 3,6 K 2,5 em) mit abgeſchrägtem Rand, deren Oberſeite leiſe 
gewölbt ijt. Der ſchmale (Gr. Br.: 1,5 cm) halbmondförmige Griffbiigel 
ohne Ausfdnitt wird nach oben hin durch eine Randleifte begrenzt und fällt 
nach der Klinge zu ſteil ab. Er iſt auf beiden Seiten des Dolches mit je neun 
Trugnieten geſchmückt, die ſich jedoch ſelten einmal genau gegenüberſtehen. 
Die Klinge iſt vollſtändig flach (St.: 0,25 cm) und ſehr breit (Gr. Br.: 10,6 cm). 
Ihre Langſeiten find ſtark eingezogen. Die Spike ijt abgerundet. 

Reicher Schmuck bedeckt das Dolchblatt. Er beſteht in zwei großen 
hängenden Dreiecken mit eingezogenen Seiten, deren Schenkel von je drei 
parallelen Riefen gebildet werden. Das größere markiert die Grenze zwiſchen 
Klingenblatt und Schneide und ſchließt das kleinere in ſich. Die Baſis dieſes 
eingeſchloſſenen Dreiecks lehnt ſich an den Griffbügel an und kann als ein 
Bändchen aufgefaßt werden, das mit einem Tannenzweigmuſter gefüllt ijt. 
Von ihm hängen ſechs kleine linksläufig ſchraffierte Dreiecke herab. 

Beſonderes techniſches Intereſſe beanſprucht die Griffſtange. Sie iſt 
dem Gießenden durchaus mißglückt. Das zeigt ſich allenthalben. Die Bronze 
iſt nicht überall dicht gefloſſen, ſondern zum Teil lungenartig porös geblieben, 
die Oberfläche zeigt Buckel und Gruben. Und dabei find die größten Un— 
regelmäßigkeiten ſchon beſeitigt. Das untere Ende der Stange ijt Worf be- 
ſchnitten, und an wenigſtens drei Stellen weiter oben hat man verſucht, 
durch flufgießen neuen Metalles Gußfehler auszugleichen (vgl. Abb. 5) Wir 
finden hier dasſelbe „Hufgußverfahren“ angewandt wie bei dem Dolche von 
Sollſchwitz, freilich noch weniger virtuos. Der Briesnitzer Dolch iſt über— 
haupt kein Meiſterſtück. So iſt es ganz deutlich, daß die beiden Hälften der 
Gußform während des Guſſes nicht genau aufeinander ſaßen. Nicht 
rur die beiden Bügelhälften find treppenartig um 2—3 mm gegeneinander 


1) Landesverein Sächſiſcher Heimatjchuß, Dresden, Mitteilungen, Bd. XVI, 1927, 
S. 133, Abb. 6. 

2) Dal. Sitzungsberichte der Naturwiſſenſchaftlichen Geſellſchaft Iſis, Dresden, 1901, 
S. 8 und A. Liſſauer, 2. Tupenkartenbericht, 3. f. E., Bd. 57, 1905, S. 844, Nr. 105. 


6] Die triangulären Dolche der älteſten Bronzezeit im Sreiftaat Sachſen 107 


verſchoben, es treten ſogar Nahtſpalten an Bügel und Knaufplatte hervor. 
Dieſe Tatſache met uns auf den richtigen Weg, wenn es gilt, den Werde⸗ 
gang auch dieſes Dolches zu beſtimmen. Er muß folgendermaßen gedacht 
werden: Man goß in offener Form die eine Griffhälfte und legte die erhitzte 
Klinge in das noch nicht ganz erſtarrte Metall ein. Dann goß man die andere 
Griffhälfte auf. So konnte eine Verſchiebung der beiden Griffhälften leicht 
jtatthaben, fo in mancher Weiſe der Guß mißlingen; fo kam es, daß Griff: 
achſe und Klingenachſe nicht genau in einer Flucht liegen und die Ornamente 
ſchief ſitzen, wie man auf kbb. 3 leicht erkennt. Wir finden alſo bei dieſem 
Dolche das Aufgußverfahren in größtem Stile angewandt. Freilich zeigen 
ſich deſſen Schattenſeiten damit in demſelben Maßſtabe. 

Die beiden Dolche von Sollfdwik und nn verraten bei gleichen 
technifcyen Vorausſetzungen zwei ſehr verſchiedene Grade von Können des 
Arbeiters. Sie ſcheinen aber auch ganz verſchiedener Ubſicht entſprungen zu 
ſein. Der Dolch von Briesnitz bildet das letzte Glied einer durchaus mittel⸗ 
deutſchen Reihe, die ſich frühzeitig von der Canena⸗Gruppe abgeſpalten hat, 
auf jede Derfteifung der Klinge verzichtet und vor allem verſucht, den „Renom⸗ 
mierwert“ des Stückes zu erhöhen. Sie zeigt die Entwicklung einer Waffe zum 
Paradegerat, wie wir fie aus der Ethnologie vom Wurfeifen in Afrika kennen. 
Der Sollſchwitzer Dolch hingegen ijt eine Waffe von höchſtem ſachlichen Wert. 

Sragen wir nach der heimat feines Typus, fo ſcheidet Mitteldeutſch⸗ 
land entſchieden aus. Der Dolch von Briesnitz und die Fragmente von 
Wauden !) ftellen zwar gewiſſermaßen die örtliche Verbindung mit dem 
mitteldeutſchen Gros der triangulären Dolche her. Sie kommen jedoch als 
Antnupfungspuntte nicht in Frage, der Briesnitzer aus den bezeichneten 
Gründen, die Waudener Fragmente, weil ſie, ſoweit man das überhaupt 
beurteilen kann, zu der gleichen Reihe gehören wie der Briesnitzer Dolch. 
Sie ſtellen nämlich das untere Ende einer triangulären Klinge mit hängendem 
Dreieck ohne Verſteifung dar. Freilich ſcheinen fie zu einem recht ſauber ge: 
arbeiteten Stücke gehört zu haben. Die Dreiecksſchenkel zu je vier Riefen ſind 
ſcharf eingeſchlagen. Aud) zwei Blutrinnen entlang den Schneiden fehlen 
nicht. Wir dürfen alſo annehmen, daß der Waudener Dolch tupologiſch und 
techniſch vor dem Briesnitzer zu rangieren hat. Der Dolch von Sollihwiß 
ſteht mit feinem. hochgerundetem Bügel, mit feinem breitovalen Griffaus- 
ſchnitt und der ſtarken Klingenverſteifung dem Canenatypus am nächſten. 
Allein die Art feiner Klingenverſteifung durch eine ausgeſprochene Rippe 
iſt nicht mitteldeutſch. Wir finden ſie dagegen bei vier Dolchen von 
Salfenwalde, Kr. Prenzlau, Prov. Brandenburg 2), bei zwei Dolchen von 
Malchin in Mecklenburg⸗Schwerin ) und dann bei einigen ſkandinaviſchen 


) O. Montelius, Antiquités suédoiscs, Stodholm 1875 —1875, 5. 445. — 
G. Caro, Über den metallfund von Jeſſen, Sitzungsberichte der Naturwiſſ. Geſellſchaft 
As, Dresden, 1884, S. 75 ff. — . Meſſikomer, Der Metallfund in Jeſſen, Antiqua 1885, 
79 f. — J. D. Deichmüller, Sachſens 100 J ties Zeit, in R. Wuttke, Sächſiſche 
Volkskunde, Dresden 1900, S. 34, Abb. 41; 1901, S. 35, Abb. 41. — O. Montelius, Die 
Chronologie der älteſten Bronzezeit in Norddeutſchland und Skandinavien, Braunſchweig 
1000, S. 40 f., Abb. 97 (Dolch), Abb. 95 f., 98 — 102. — G. Bierbaum, RNordſächſiſches 
cca Dresden, 1925, S. 244. (hier zum erjten Mal genauer unter Wauden 
gejubrt. 
2) J. O. v. d. Hagen, Der Depotfund von Falkenwalde i. d. Uckermark. Mannus, 
Bd. 18, 1926, S. 358 ff., bel, S. 360— 302, Sigg. 6—10 u. Tafel XXIX. SEN 
) Montelius, a. a. O., S. 48 f., Sig. 154 und R. Beltz, Die vorgeſchichtlichen 
Altertümer des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin. Schwerin 1910, S. 155, 160, 
Tafel 19, Sig. 8. 


108 G. Neumann, Die iriangulären Dolche der älteſten Bronzezeit uſw. [7 


Stücken 1) wieder. Huch Süddeutſchland hat verwandte Formen 2). Am 
nächſten dürfte unſerem Stücke aber das Fragment eines Dolches von 
Prieſchendorf in Mecklenburg⸗Schwerin ) ſtehen. Dieſer Dolch iſt im 
Gegenſatze zu den übrigen Vergleichsſtücken in zwei Teilen gegollen und 
mit Nieten verſehen wie der Follſchwitzer. Seine Rippe ijt noch etwas 
breiter als die der übrigen. Er und ſeine Parallelen im nordiſchen Kreis 
find als lokale Nach⸗ und Fortbildungen der fog. italieniſchen Import- 
dolce aufzufaſſen ). Aud) der Dolch von Sollſchwitz ijt eine ſolche lokale 
Fortbildung aus dem Randgebiete Mitteldeutfchlands, wobei es wenig ver⸗ 
ſchlägt, ob er in der Oberlauſitz ſelbſt gegoſſen iſt oder nicht. Seine zeitliche 
Stellung wird durch ein Randbeil und einen glatten Halsring mit rundem 
Querſchnitt und verjüngten Enden, die zuſammen mit dem Dolche von 
Prieſchendorf gefunden worden find 5), gekennzeichnet. Der Sollſchwitzer Dolch 
ijt ans Ende der erſten Bronzeperiode nach Montelius zu ſtellen ). Etwa 
in dieſelbe Zeit gehören auch die Dolche von Briesnitz und Wauden, da mit 
den Waudener Fragmenten zwei Randärte vom ſächſiſchen Typus, 19 (len: 
SE ſchwere ovale Subringe und andere gleichzeitige Sundtypen gehoben 
wurden ?). Ä 


1) Dal. z. B. Montelius, a. a. O., S. 109, Sig. 273 (Bronzedolch von Emb, Jütland) 
u. S. 85, ah 229 (Bronzedolch von Sater, Dal). 

) Dal. a. a. O., S. 27, Sig. 64 (Dolch von Gaubidelheim, Kr. Oppenheim) und 
G. Behrens, Bronzezeit Süddeutſchlands, Kataloge des Römiſch⸗Germaniſchen Central: 
u uns 6, Mainz 1916, S. 8, Nr. 36 f., Abb. 2 u. 5 (derſelbe Dolch) oder G. Rb Die 
Kultur der Bronzezeit in Süddeutichland. Augsburg 1926, Tafel VIII, Sig. 3 (Dold) von 
EES Schwarzwaldkreis). 

gl. Montelius, a. a. O., S. 50, Abb. 137. 
So ſchon Montelius, a. a. O., S. 26. | 
Dal. Anmerkung 11. 
ontelius, a. a. O., S. 26 u. S. 127 f. 

Siehe Unmerkung 1. 


eo 


e CR CN > 


Bronzezeitliche Fibelgußformen. 
Don Otto⸗ Friedrich Gandert. 
Mit 7 Abbildungen im Tert. 


Es iſt ein guter Brauch, als Feſtgabe etwas Beſonderes, fei es nun durch 
Schönheit oder durch Seltenheit ausgezeichnet, darzubringen. Ihm glaube ich 
zu folgen, wenn ich hiermit einige Gußformen vorlege, die wohl als Selten⸗ 
beiten anzuſehen find; denn fo groß auch die Anzahl bronzezeitlicher Sibeln 
der norddeutſch⸗ſkandinaviſchen Gruppe iſt, Gußformen dazu wurden meines 
Wiſſens bisher nur ganz ausnahmsweiſe beobachtet 1). Der Grund hierfür 
wird darin 1 ſuchen fein, daß man die meiſten älteren Sibelformen durch 
Schmieden, die komplizierten jüngeren dagegen durch Guß in der verlorenen 
Form erzeugte. Dauerhafte, öfters benutzbare Gußformen find alſo nur von 
ſolchen Sibeln oder Sibelnadeln zu erwarten, die eine einfache, für die Schmiede⸗ 
technik jedoch zu ſchwierige Geſtalt haben. 

Die drei Gußformen, die hier zu beſprechen find, werden in der Gomm: 
lung der Landesanſtalt für Vorgeſchichte zu Halle aufbewahrt. 


Kröbeln, Kr. Liebenwerda. 


Im Jahre 1887 wurde von dem damaligen 
Gaſtwirt C. Seligmann in Kröbeln dem halleſchen 
Ben aber mit Gegenſtänden verſchiedener 

itſtufen, aber dem gemeinſamen FJundvermerk 
„Slur von Kröbeln“ auch eine Gußform aus weiß⸗ 
lichgrauem Sandſtein eingeliefert). Es handelt 
ſich offenſichtlich um einen auf dem Felde aufge⸗ 
leſenen Einzelfund, denn Oberfläche und Kanten 
der Steinform ſind ſtark abgerieben und verwittert. 
Die höchſtmaße find: Lange 5,4 em, Breite 3,8 em 
und Dicke 1,9 em. 

Auf der einen Seite ift in einer Länge von 
3,8 cm das unvollſtändige Negativ einer Sibelnadel 
eingetieft (Abb. 1a). Wie Abörud (Abb. 1b) und 
ergänzte Zeichnung (Abb. 1c) zeigen, ftellt die 
Nadel eine Form dar, die tupologiſch als Dorbe- 
reitung zum Kreuzbalkenkopf anzuſehen ijt. Die 
lappige Ausbildung der Sproſſen ſehen wir bei Abb. 17. 
der Sibel von Güſſefeld, Kr. Salzwedel wieder). 


1) So in dem wu Haag⸗unde; vgl. C. Neergaard: Aarboger for nordisk 
te 1908, S. 307 ff. 
1059 


2) H 4. 
Bd. IX, 1910, Taf. I, Sig. 4 bei Kupka: Jahresſchrift für die Dorgeſchichte 
der AN, Länder. : 


110 O.⸗S. Gandert [2 


Sie geht auf Sormen wie Abb. 238 und nn (Wellersdorf, Kr. Sorau) (bei 
Koffinna, Die deutſche Vorgeſchichte) zurü 

Ein altertümlicher Zug des Kröbelner Stüces beſteht darin, daß der 
Nadelkopf ſeine größte Breite dort hat, wo das Coch angebracht ijt. Gerade 
an alten jütiſchen Sibeln wie Abb. 230 und 231 bei Koffinna, a. a. O. läßt 
ſich dieſes beobachten. 

Wie die ebene Fläche der Sandſteinform verrät, iſt ſie durch Bedecken 
mit einer Platte für den verdeckten herdguß !) benutzt worden. Der Einguß⸗ 
kanal dürfte ſich an der Nadelſpitze befunden haben. Für den Holz⸗ oder Ton⸗ 
ſtift, der das Nadelloch ausſparen ſollte, iſt ein 0,8 em tiefes Coch, vom Innern 
des Negativs aus gemeſſen, eingebohrt. Der Nadelſchaft, der bei dieſem 
Verfahren eine platte Seite erhielt, wurde nachträglich rundgeklopft. An 
zahlreichen Fibelnadeln kann man das Aushämmern, das zugleich eine 
Streckung der Nadel bewirkte, erkennen. 

Schwierigkeiten bereitet die Deutung des Negativs auf der anderen 
Seite der Gußform (Abb. 1d). Sie erſcheint durch die Verwitterung ſtark 
verwaſchen. Der Abdruck (Abb. 16) zeigt den Teil einer runden Platte und 
anſchließend eine winklig gebogene Rinne mit beginnender Verbreiterung. 
Es liegt nahe, hierin die Form einer Plattenfibel mit wahrſcheinlich band⸗ 
förmigem Bügel zu ſehen. Unter dieſer Dorausſetzung foll eine Deutung 
verſucht werden. Da beim Guß Platten und Bügel in eine Ebene zu liegen 
kamen, mußte der Bügel nachträglich durch entſprechende Drehungen auf⸗ 
gerichtet werden. Der Durchmeſſer des Plattenausguſſes beträgt 2,4 em 
(Abb. 1e). Es laſſen ſich daran ein einfaſſender, ſchwach erhöhter Rand und 
ein zentraler winziger Buckel erkennen, beides Merkmale, die auf den Platten⸗ 
fibeln der IV. periode voll ausgebildet ſind. plattenfibeln kommen bereits 
in der III. Periode vor, wie die Variante E der „Spiralplattenfibel mit Kreuz: 
balkennadelkopf“ zeigt 2), allerdings mit einer Nadelform, die typologifd das 
Endglied einer Reihe bedeutet, die mit unſerer Nadelform beginnt. Die Größe 
des Kröbelner Nadelkopfes mit den drei zipfelförmigen Sproſſen würde gut 
zum Durchmeſſer der Platte paſſen. Völlige Klarheit können hier nur künftige 
Funde von entſprechenden „poſitiven“ Sibeln bringen. 

Die Frage, wie die enggelochte Nadel und der Bügel vereinigt 
wurden, könnte in dem Sinne beantwortet werden, daß man die fertig 
gegoſſene Fibel durchſchnitt und, nachdem man den drahtförmigen Teil des 
Bügels durch das Nadelloch geführt hatte, durch Unguß die getrennten Teile 
wieder vereinigte 5). 

Für die Datierung der Gußform von Kröbeln bietet, von der problemati— 
ſchen Plattenfibelform abgeſehen, der Nadelkopf eine ſichere Handhabe. Er 
verweiſt die Gußform in die III. Periode der Bronzezeit, zu deren Beginn 
ja bereits norddeutſche Fibeln in der Cauſitz auftreten (3. B. Wellersdorf, 
Kr. Sorau). 

Fundort unbekannt. 


Die zweite Gußform, ohne Angabe des Sundortes, ſtammt aus alten 
Beſtänden des ſächſiſch-thüringiſchen Geſchichtsvereins in der halleſchen S̃amm— 
lung, die bekanntlich bis in den Beginn des vorigen Jahrhunderts zurück— 


1) Dal Götze: „Bronzeguß“ in Eberts Reallexikon der Dorgeſchichte. 
2) Belk: VI. Fupenkartenbericht. Zeitſchr. f. Ethnol. 1913, S. 671. 
3) Im Ungußverfahren hatte man ſeit der frühen ronzezeit genügend Erfahrung, 
Jo dab dieſe Schwierigkeit leicht zu überwinden war. Dal. Götze: „Bronzetechnik“ in Eberts 
ealleriton. 


1d. le. 
Abb. la—e. ½. Kröbeln, Kr. Liebenwerda. 


Abb. 2a—b. Zi Fundort unbekannt. 


112 O.⸗§. Gandert [4 


reicht. Das Material ijt ein dicker Block weißgrauen Kalkſteins mit einer 
geraden, einer gebogenen und einer abgebrochenen Seitenfläche. Die Maße 
betragen in der Cänge 8,3 em, in der Breite 7,9 em und in der Dicke 5,5 em. 
Unter Salzſäure brauſt der Stein ſtark auf. Man wird deshalb nicht fehl⸗ 
gehen, wenn man als herſtellungsort das ſächſiſch-thüringiſche Muſchelkalk⸗ 
gebiet annimmt, etwa den Mansfelder Seekreis, wo derartiges Geſtein anſteht. 
Die Gußform war für eine Sibelnadel mit Kreuzbalkenkopf beſtimmt, 
wie der Abdruck klar erkennen läßt (Abb. 2a und b). Der obere Kreuzbalken 
iſt, der äußerſten Spirale der dafür beſtimmten Spiralplattenfibel entſprechend, 
gebogen. Für den Zapfen, der das Nadelloch beim Guß ausſparen ſollte, 
iſt ein 0,8 em tiefes Coch ausgebohrt (gemeſſen wie bei der erſten Gußform). 
Der Einguß dürfte von der Nadelſpitze her erfolgt fein. Aus der völlig ebenen 
Oberfläche der Sorm ijt als Heritellungsweije der verdeckte herdguß zu ent⸗ 
nehmen. Schnürrinnen zur Befeſtigung des Deckſteins ſind nicht vorhanden, 
wohl aber ein 1 cm tiefes Loch auf der gebogenen Schmalſeite, in gleicher Höhe 
mit dem gebogenen Kreuzbalken. Bei einem hier eingeſetzten Stifte konnte 
der umſchnürende Riemen beginnen, vielleicht auch zu einem ebenſo eingeſetzten 
Stift des Deckſteins übergreifen. Daß die Form benutzt wurde, beweiſt die 
durch ſtarke Erhitzung entſtandene feine Rißlinie in der Längsachſe und im 
geraden Kreuzbalken. Dieſe markiert ſich auf dem Gipsausguß (Abb. 2 b) 
wie eine feine Gußnaht. Die Spuren eines modernen Gußverſuches würden 
ſich bei der Empfindlichkeit des weißlichen Kalkſteins noch erkennen laſſen. 
Für die Beurteilung der Spiralplattenfibelgruppe iſt unſere Gußform 
noch inſofern von Bedeutung, als ſie uns den Unterſchied der gegoſſenen 
und deshalb mehr formenſtarren und häufig wiederkehrenden Kreuzbalken⸗ 
kopfnadeln von den geſchmiedeten und daher viel variableren Sibeln deutlich 
vor Augen führt. 
` Zeitlich dürfte dieſe Gußform noch in die III. Periode der Bronzezeit 
gehören. 


Kitten, Kr. Bitterfeld. 


Eine beſonders aufſchlußreiche Gußform ) ijt der Freundlichkeit des Herrn 
Gutsbeſitzers Armin Reuter-Kütten zu verdanken, der kürzlich (Juli 1928) 
eine kleine Sammlung von Altertümern, die von feinem verſtorbenen Vater, 
dem herrn Rittergutsbeſitzer O. Reuter und ihm ſelbſt zuſammengebracht 
worden war, dem halleſchen Muſeum ſchenkte. Die Form wurde vor vielen 
Jahren in dem Dorfe Kitten, ſüdöſtlich vom Petersberg bei Halle beim 
Ausheben eines Pflanzloches für einen jetzt noch vorhandenen Birnbaum 
freigelegt. Die Fundſtelle liegt am Weſtrande des Dorfes, nördlich der 
höhe 139, 12), auf dem Rande der Teichaer Straße, 20 m ſüdlich von der 
Abzweigung des Weges zum Rittergut. Der Beſitzer hat bei Nachgrabungen 
ſchwarze Erde und Steine gefunden. Hieraus geht hervor, daß die Gußform 
einer Siedelung entſtammt, die auf der gleichen Anhöhe lag wie das heutige 
Dorf Rütten. 

Das Material, aus dem die Küttener Gußform hergeſtellt wurde, iſt 
eine helle, gelbgraue dichte Kalkſteinplatte. Sie reagiert auf Salzſäure nicht 
ganz fo heftig wie die vorige Gußform. Die höchſtmaße find: Länge 19,6 cm, 
Breite 15,9 em und Dicke 3,8 em. Beide Seiten ſind mit Negativen verſehen, 
im übrigen aber ganz platt und zum verdeckten Herdgup beſtimmt. An den 


1) H. K. 28:51. 
2) Meßtiſchbl. 2552. Halle-Nord. 


a _ ———— 


Abb. Au bh Etwa ½. Rütten, Kr. Bitterfeld. 
mannus, Jeitſchrift für Vorgeſch., VI. Erg.-Bd. | 2 


114 ©.$. Gandert [6 


vier Schmalſeiten, deren eine gerade abgeſchnitten erſcheint, befinden fich 
ſechs durchſchnittlich 1,5 em tiefe Cöcher zum Einſetzen von Stiften für die 
Derfchnürung des Dediteines. 

Die eine Seite ijt überaus reichlich für Gußzwecke ausgenutzt (Abb. 3a). 
Dier Gußkanäle führen zu Doppelringen, deren Mittelteile in vier Fällen 
durch plötzliches Erhitzen abgeſprungen ſind. Dieſe Beſchädigungen rühren, 
wie auch die ſonſtigen mehr oder weniger ſtarken Sprünge und Riffe, an⸗ 
ſcheinend von modernen Bleigußverſuchen her. Die kleinen Ringe mit drei⸗ 
eckigem Querſchnitt, die aus dieſen Gußformen gewonnen werden konnten 
und ſämtlich etwa 2 em Durchmeſſer haben, mußten nachträglich auseinander 
geſchnitten werden. Für den mittelſten war der kleine Nachbarring wohl 
als Oſe gedacht. 

Unſer beſonderes Intereſſe erregt jedoch die Form für eine flache 
Plattenfibel. Betrachten wir zuerſt das Poſitiv (Abb. 3b). Es mißt 11,8 cm 
in der Länge. Die ovalen Platten find mit erhöhtem, nach außen ſchrägem, 
nach innen ſteiler abfallendem Rande und einem Knöpfchen in der Mitte 
verſehen. Der Bügel iſt gleichmäßig breit und ſteigt beiderſeits mit einer 
Verſtärkung nach Art eines Strebepfeilers auf, um dann einen Halbkreis zu 
bilden. Die Rot für die Nadel erhebt ſich als kleiner Zapfen im Winkel 
zwiſchen Bügel und Plattenrand. Auf dem Negativ (Abb. 3a) ijt feine Cage 
beſſer zu erkennen als auf der Abbildung des Gipsabguſſes. Dieſer Zapfen 
ijt maſſiv und hat nicht mehr die Oſenform, die ein tupologiſches Rudiment 
der einſtigen vom Bügel gebildeten Schlinge darſtellt. Zwei Eingußkanäle 
laufen bei dem Negativ nach jeder Platte hin. Für das Entweichen der heißen 
Cuft iſt bei der Platte, die das Loch für die Nadelraſt hat, ein Ubzugskanal 
vorgeſehen. Die Plattenſchalen ſelbſt ſind in leichter Wölbung hergeſtellt, 
jedoch immerhin noch fo flach, daß der Hohlraum bis zum Deditein voll 
gegoſſen wurde. Es war alſo nicht nötig, an der Deckplatte entſprechende 
Dorwölbungen anzubringen, wie fie die eine Lehmform aus dem Haag- 
funde beſitzt !). 

Für den Bügel ſenkt ſich das Negativ auf 2,4 em Tiefe in den Stein 
hinab. Damit jedoch dieſer ganze Hohlraum ſich nicht mit Bronze anfüllen 
und den Bügel unnötig verdicken konnte, mußte ein entſprechend geformtes, 
nach innen verſchmälertes Cehmſtück eingeſetzt werden. Um es frei ſchwebend 
anbringen zu können, hat man in der Mitte der Form zwei Kerben als Lager 
für die Zapfen des Lehmkernes ausgefeilt. Auf dem Husguß (Abb. 5 b) mar⸗ 
kieren ſich dieſe dornartig. 

Zu erwähnen ſind nun noch vier Cöcher, deren Tiefe zwiſchen 0,8 em 
und 2 em ſchwankt. Sie werden im Deditein entſprechende Vertiefungen zum 
Einſetzen von Stiften gehabt haben. Merkwürdigerweiſe iſt das eine Loch 
genau auf dem Rande der einen Fibelplatteneinfaſſung angebracht. Durch 
nachträglichen Ausguß bei der fertigen Sibel konnte dieſer Schönheitsfehler 
beſeitigt werden. Vielleicht aber iſt die Anbringung dieſes Loches als ein 
Mißgriff zu deuten, der dadurch wieder gut gemacht wurde, daß man die 
Bronze auch hier einlaufen ließ und den entſtandenen Zapfen nachträglich 
beſeitigte, genau jo, wie die Gußzapfen der Kanäle abgeſchnitten werden 
mußten. 

In nächſter Nachbarſchaft der Sibel iſt das Negativ der zugehörigen 
Nadel zu ſehen. Dieſe zeigt im Abdrud (Abb. 3b) den Ring mit anſchließender 


1) Dal. Neergaard: a. a. O., Abb. 11. 


7] Bronzezeitliche Sibelgußformen. 115 


gebudelter Scheibe. Der Schaft der in dieſer Form gegoſſenen Nadel wurde 
plump und dick. Er mußte ausgehämmert werden und erhielt ſodann eine 
größere Länge, die ja auch dem entſpricht, was wir von derartigen Platten⸗ 
fibeln kennen. Erſt die jüngeren, ſtärker gewölbten Plattenfibeln treten mit 
der kurzen Nadel auf, die die Mitte der gegenüberliegenden Platte nicht 
mehr erreicht 1). 

Es erhebt ſich jetzt noch die Frage, wie Sibel und Nadel vereinigt wurden. 
Die einfache Art unſerer Gußform ſchließt den Gedanken aus, daß die bereits 


Abb. 3c. Etwa !/,. Rütten, Kr. Bitterfeld. 


fertige Nadel durch Guß in der Technik der Kettenherftellung mit dem Sibel- 
bügel verbunden wurde. Es bleibt nur die Annahme übrig, daß man den 
Ring aufſchnitt, auseinanderbog und den Fibelbügel einführte. Hierauf konnte 
der Ring wieder durch Druck oder durch Unguß geſchloſſen werden. Vielleicht 
hat man auch hierauf verzichtet und ihn in einem kleinen Spalt offen gelaſſen. 
Zwei Sibeln von Sinsleben, Mansfelder Gebirgskreis 2) zeigen ſogar einen 
ziemlich weiten Ausjchnitt im Ring der Nadel. Ein anderer Ausweg noch 
gewaltſamerer Art wäre der geweſen, die eine Platte vom Bügel zu trennen, 
den Ringfopf aufzuſchieben und durch Annguß den Schaden zu heilen. Mög⸗ 
licherweiſe hängen die fo oft an Plattenfibeln zu beobachtenden Slidjtellen 
zwiſchen Bügel und Platte hiermit zuſammen. 

Für die Jeitſtellung der Küttener Gußform dürfte das Ende der vierten 
Bronzeperiode in Anſpruch zu nehmen ſein. Die ſchon ovale Plattenform 
verbietet eine höherdatierung. 


1) 10 Abb. 20 und 21 bei Beltz, a. a. O. 
2) Muſeum Halle, H. K. 6032 und 6053. 


Ch 


116 O.⸗§. Gandert, Bronzezeitliche Sibelgußformen. [8 


Dem widerjpricht auch nicht die andere Seite (Abb. 3c), die zur Der: 
jtellung von Knopfſicheln beſtimmt war. Der Abdrud weiſt längs der dach⸗ 
förmigen Außenkante zwei niedrige Rippen und unterhalb des Knopfes ſehr 
feine, ziemlich parallele Leijten auf. In der Sehne gemeſſen hat das Negativ 
eine Länge von 11,8 cm. g | 

Gußformen als Zeichen bodenſtändigen Handwerks find für die Frage 
der Abgrenzung von Rulturkreiſen ungleich wertvoller als die beweglicheren 
Bronzen ſelbſt. Die Küttener Gußform für germaniſche Plattenfibeln, die 
im äußerſten Weſten des Kreiſes Bitterfeld und ſomit in einem Gebiete 
gefunden wurde, das noch zum germaniſchen Siedelungslande gehört ), iſt 
ein neuer Beweis für den Scharfblick deſſen, dem dieſer Beitrag gilt. 


1) Roſſinna: Urſprung und Verbreitung der Germanen in vor⸗ und frühgeſchicht⸗ 
licher Zeit. Mannusbibl. Nr. 6. 1928. Abb. 52. 


Die Geſichts⸗ und Tiirurne von Rietzmeck 
in Anhalt. 
Don Max König. 
Aus dem Schlokmufeum zu Zerbit. 
mit 6 Abbildungen im Tert. 


Dorausgeſchickt fei, daß es ſich um die Urne handelt, deren Naſe, Ohr 
und Tür ſchon im Mannus, IV. Ergänzungsbd. 1925, Hinze und König, 
Bemerkenswerte Funde, S. 173, abgebildet ſind. 


1. Nachweis. 


Im Mai 1920 fanden herr Lehrer Korn und herr Lehrer Wolff 
bei Rietzmeck im Kreiſe Jerbſt eine Geſichtsurne, die in Scherben ging. Am 


Abb. 1. 


folgenden Tage unterſuchten herr Dr. Hinze und Herr Dr. Seelmann 
die Sunditelle, eine Steinkiſte, aus der die Scherben ſchon herausgenommen 
waren’). Bisher waren von der Geſichtsurne nur Nafe, Ohr und Tür ſicher⸗ 


1) Dgl. Hinze, Die anhaltiſchen hausurnen. Anhaltiſche Geſchichtsblätter 1925. 


118 M. König [2 


geſtellt und im Zerbiter Schloßmuſeum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 
Trotz jahrelangen Sorjchens waren die Urnenreſte nicht mehr zu ermitteln, 
bis beim Ordnen eines Magazins Scherben zum Dorjchein kamen, die von 
einem Türrahmen ſtammten. Es gelang mit hilfe der andern beiliegenden 
Scherben eine Türurne aufzubauen, ſo daß die Form geſichert war. Nur einige 
Teile am Dalle fehlten. Nun paßte in eine Code des oberen Türrandes die 
Naſe der Riegmeder Geſichtsurne genau hinein, Bruch an Bruch. Dasſelbe 
traf auch bei einem Ohr zu, welches aufgeklebt worden war und bei einem 


Abb. 2. 


Rejte des zweiten Ohres. Außerdem entſpricht die Türöffnung den Aus- 
dehnungen der Tür. Nachdem einige unwichtige Lücken und das zweite 
Ohr ergänzt worden find, ergibt ſich die Form der Riekmeder Geſichts- und 
Türurne, wie ſie in den Abb. 1, 2 und 3 wiedergegeben ilt. 


2. Die Entſtehung der Urne. 


Dadurch, daß die Urne in Scherben gegangen war, konnte die Technik 
der Herſtellung erkannt werden. Als Grundform kommt ein Gefäß aus dem 
Doumer Hausurnenfelde in Frage (Abb. 4). Noch ähnlicher ijt die Urne 
Abb. 5 vom Froſer Hausurnenfelde. Gerade fie ijt der Grundtyp für die 
Rietzmecker Geſichts- und Türurne. — Bekanntlich hat die Froſer hausurne C 
jedoch Rechteckform, deren Dach kegelförmig ijt und einen Firſtbalken trägt ). — 
Bei der Zuſammenſetzung der Riekmeder Geſichts- und Türurne ergab fic 
zuerſt die Form, wie ſie Abb. 5 zeigt, alſo eine Froſer. Der Beſchauer ſieht 
auf Abb. 3 einen faſt wagerechten Rif, es ijt die Stelle, wo Urnenrand und 
Ruppel aufeinanderſtoßen. Der Urnenrand ijt mit Singereindriiden verſehen, 
die ihn wohl feſtigen ſollten. So war alſo eine übliche damalige Urne ent— 
ſtanden, nur daß fie eine Türöffnung hatte und vier ſeitliche Öjen. Aud die 
Naſenpartie ijt gleich mit hineingearbeitet worden, die alſo über den Urnen— 
rand wegragte. Erſt nachträglich war die Ruppel aufgeſetzt, eine Form, wie 
ſie auch als loſer Deckel in dieſer Jeit vorkommt. Die Ohren ſind dann auf den 


1) Mannus, Bd. 17. Tafel XXIII und XXIV. König, hausurnenfund bei Froſe i. H. 


3] Die Geſichts⸗ und Türurne von Rietzmeck in Anhalt 119 


Hals und teilweiſe auf die Ruppel aufgeklebt worden. Sie ſind dreimal durch— 
bohrt, haben alſo zuſammen wohl ſechs bronzene dünne Ohrringe getragen, 
von denen einer erhalten iſt (Abb. 1, 2, 3). 


3. Maße. 


Die höhe der Riekmeder Geſichts- und Türurne beträgt 32,8 cm; 
nehmen wir die Kuppel ab, fo iſt die urſprüngliche Urne 29 cm hoch. Der 
größte Bauchdurchmeſſer ijt 29 cm und der Bodendurchmeſſer 12,5 cm. Der 
Rand der urſprünglichen Urne ijt oval, und zwar ijt der Breitendurchmeſſer 
(Abb. 2) etwas größer als der Tiefendurchmeſſer. 

Die Türöffnung hat eine Breite von 6,6 em und eine höhe von 6,7 em, 
Die Ecken ſind etwas abgerundet. Die Tür trägt in der Mitte einen Japfen, 
und parallel zum oberen Rande 
läuft eine Ritze, die wohl von 
einem bronzenen Verſchlußſtab 


Abb. 4. Abb. 5. 


herſtammt, den man durch die oberen zwei Ojen geſteckt hatte, um die noch 
ungebrannte Tür einzupaſſen. Und tatſächlich muß der Stab gedrückt haben; 
denn die Tür ſteht an der oberen, rechten Ecke etwas vor. Die Oſen für 
die Verſchlußſtäbe ſind in den Hals der Urne eingelaſſen. Die lichte Weite 
der Öjenöffnungen beträgt bis zu 7 mm. 


4. Beſprechung. 


Beigefäße find leider nicht vorhanden, ſollen nach Ausſage der Sinder 
auch nicht in der Steinfijte geweſen fein. So geht uns eine direkte Jeitbeſtim— 
mung verloren. Da aber die Rietzmecker Tür- und Geſichtsurne nachweislich 
aus einem Gefäßtypus des Froſer Hausurnenfeldes entitanden iſt, hätten 
wir damit eine Zeitangabe. Es erhebt ſich nun die Frage, wie lange ſich der 
Typus (Abb. 5) gehalten hat. Neben dieſem Gefäß tritt im Froſer Dous: 
urnenfelde eine Urnenform auf, die Kupfa in die Latenezeit ſetzt (Mannus 
Bd. 17, Tafel XXIII, Abb. 2 unten das letzte rechts). Würden wir alſo die 
Urform der Rietzmecker Tür- und Geſichtsurne danach zeitlich beſtimmen, 


120 M. König, Die Geſichts⸗ und Türurne von Riegmed in Anhalt [4 


kämen wir auf eine der Laténezeit nahe Periode. Nun hat das Froſer Feld 
auch einen Typus (a. a. O. oben rechts), der ſowohl in Kleckewitz wie in 
Beierſtedt vorkommt, alſo mit Billendorfer Gefäßen zuſammen, die noch in 
die Periode V gehören. Demnach ſind wir wohl berechtigt anzunehmen, daß 
d oe Tür⸗ und Geſichtsurne noch in die Zeit um 800 vor Chr. zu 
egen ilt. 

In der Geſamtform ähnelt fie der Türurne Kledewi A, nur hat diefe 
einen abgeſchwächteren Halsanſatz (Abb. 6). Denken wir uns hier die Kuppel 
weg, jo erhalten wir eine Gefäßform, die ſowohl in Froſe wie in Hoyen Dor: 
kommt. Demnach ſind die Riegmeder Geſichts- und Türurne und die Klede- 
witzer Türurne (Erdkuppelhütte nach Behn) ziemlich gleichzeitig. Formähnlich 

R ijt die Burgkemnitzer, Unſeburger, 
Großkühnauer Hausurne. Alle die 
bisher genannten ſind nach Behn 
„Erd kuppelhütten“. Alſo wäre die 
Riegmeder eine Erdkuppelhütte mit 
Geſicht. 

Nachdem ich vergeblich verſucht 
hatte, innerhalb der Erdkuppelhütten 
eine typologijche Reihe feſtzuſtellen 
nach Ubſchwächung des Halsanſatzes, 
Entſtehung der Türleijten uſw., bin 
ich nun zu der Überzeugung ge: 
kommen, daß viele Erdkuppelhütten 
ſich je auf einer beſonderen Urnen— 
form aufbauen, die gleichzeitig lebte. 
Die Unſeburger und Großkühnauer 
ſind dann Abarten der beſtehenden 
Türurnen (Erdkuppelhütten). Solche 
barten find auch die Behnſchen Jelt- 
hütten (Rundzelte) von Deſſau, 
Polleben und Tochheim. Behn ſagt 

Abb. 6. mit Recht, daß ſich die birnenartigen 

Eilsdorfer und Klein-Ratzer Geſichts⸗ 

und Türurnen von nordiſchen (germaniſchen) Grundtypen (gewöhnlichen 

Urnen) ableiten laſſen. Dieſe Geſichts- und Türurnen ſind ebenfalls Behnſche 
Zelthütten, wie auch die eine Wulfener, die kein Geſicht hat!). 

Es zeigt ſich alſo die Einwirkung der urſprünglichen Urne auf die Haus— 
urnen- oder auf die Geſichts- und Türurnenform in jo ſtarkem Maße, daß man 
nur ſehr bedingt von Nachbildungen einer Erdkuppelhütte oder Jelthütte 
reden kann. Wie die Tür, alſo der Hauscharakter, zu der Urne getreten iſt, 
und wie das Geſicht, das Symbol des Menſchlichen, an die Urne kam, iſt ſchon 
ſehr reichlich erörtert worden. Von Intereſſe iſt zu wiſſen, ob zuerſt die Tür 
erſchien und dann ſpäter das Geſicht. Mir ſcheint, als wenn dieſe Reihenfolge 
tatſächlich feſtzuſtellen wäre. Dann hätten wir als erſte germaniſche Kompo— 
nente die Tür und als zweite germaniſche Komponente, die durch Beeinfluſſung 
von Süden her entitanden iſt, das Geſicht. Die däniſchen und ſchwediſchen 
Hausurnen widerſprechen dieſer klnſicht nicht. 


f 1) Dal. Hinze, a. a. O. 


Ein Krötengefäß aus einem früheiſenzeitlichen 
Gräberfeld von Halle⸗Trotha. 


Don Friedrich Holter. 
Mit 5 Abbildungen im Text. 


Unter dem keramiſchen Gut eines vom Derfaſſer unterſuchten früh⸗ 
eiſenzeitlichen Gräberfeldes von Halle Nord ) (Trotha) fand fic) in einem 
geſchloſſenen Grabfund ein zierliches kleines Beigefäß, das beſondere Be- 
achtung verdient. 


Abb. 1. ½. 


Es konnte nachgewieſen werden, daß das Beigefäß zu einem Kinder⸗ 
grab gehörte, wie aus der Unterſuchung der Brandreſte hervorging. Das 
Gefäß erweckte infolge ſeiner Kleinheit und Jierlichkeit ſchon ohnehin den 
Eindruck, daß es nur einem Kinde gehört haben könne. Es iſt außerordentlich 
fein geformt. Das Material iſt gut geſchlämmter, ſandvermiſchter Ton von 
graubrauner dunkler Farbe. Die Wandung des Täßchens iſt ſehr zart. Der Form 
nach ijt das Gefäß eine kleine Henkeltaſſe (Abb. 1, 3 u. 5). Der Boden wird 
durch einen verhältnismäßig großen Omphalos gebildet, der einen Durchmeſſer 
von 2 ein und eine Tiefe von 0,5 em hat. Von ihm aus ſteigt die Wandung 
faſt im halbrund auf. Im ſcharfen Profil ſetzt darauf der eingekehlte, glatte, 


ee, Derdffentlidjung für die Jahresſchrift der ſächſiſch-thüringiſchen Länder vor⸗ 
bereitet: Holter, Sr.: „Studien über Rulturerſcheinungen der Späthallſtattzeit im ſächſiſch— 
thüringiſchen Kulturbeden“. 


122 Friedrich Holter 2 


unverzierte Hals auf, an dem an einer Stelle mit allmählich verlaufenden 
Rändern ein verhältnismäßig großer bandförmiger, bis zum Umbruch reichen⸗ 
der Henkel ſitzt. Durch feine weite Offnung kann ein Kinderfinger bequem 
hindurchgreifen. Das Gefäß ijt nur 2, 5em hoch, die Weite der Mündung 
und des Umbruches beträgt je 4,7 cm. Entſprechend der ſorgſamen Form⸗ 
behandlung durch feine hand ijt die Verzierung in einzigartiger Feinheit 
und Fülle durchgeführt. Gemäß ihrer durchdachten Struktur ſcheint ſie mehr 
als eine aus dem horror vacui entſtandene, angenehm gelöſte Sladen- 
füllung zu ſein. 


Wenn man das Täßchen auf die Offnung legt, erſcheint der Omphalos 
als Mittelpunkt eines ſechsſtrahligen Sternes, der durch ſechs kleine, vom Hals⸗ 
anſatz herablaufende dreieckige Wolfzahnfelder gebildet wird (Abb. 2). Dieſe 
letzteren find parallel zu beiden Kathedenflächen ſchraffiert, fo daß 6 Rauten⸗ 
felder entſtehen. Die Cinienritzungen find ſehr prägnant und fein. Die 
Spitzen jedes dieſer kleinen Dreiecke werden 
durch je ein kleines kreisrundes tiefes Kegel- 
grübchen gebildet, das mit einem flächigen, 
ſpitzen Gegenſtand eingedreht worden ſein 
muß. Dagegen ſind bis auf eine die Spitzen 
des ſo entſtehenden glatten ſonſt unverzierten 
Sternes im Mittelfeld, der durch die eben be⸗ 
ſchriebenen Rautenfelder eingeſchloſſen wird, 
je mit einem kleinen Dreieck aus drei eben⸗ 
falls kreisrunden tiefen Kegelgrübchen aus⸗ 
gefüllt. So entſtand ein Ziermuſter von 
reicher Mannigfaltigkeit. Bemerkt ſei noch, 
daß der Omphalos primär ein Element des 
Gefäßtypus und ert ſekundär ein ſolches der 
Verzierung iſt (Abb. 2 und 4). 

Nur eine Sternſpitze, die unter dem Henkel, hat eine einzigartige Zier 
erhalten. Dieſe ſtellt eine — wenn man ſo ſagen darf — in den Omphalos 
hüpfende „Kröte“ oder ein froſchähnliches Tier dar (Abb. 2 u. 5). 

Die drei Kreisgrübchen unter dem henkel haben mit der Zeichnung des 
Tieres nichts zu tun, ſondern find verzierte Markierungen des Henfelanjages. 
Das wird auf den Abbildungen genügend ſcharf zu erkennen ſein. Die eigent⸗ 
liche Kröte ohne beſondere Ropfmarkierung ſetzt ſich aus alleinſtehenden 
Rigungen zuſammen. Der Leib wird zunächſt aus drei parallelen Linien 
gebildet. An feinem abgekehrten, dem Henkel zugewendeten Teile ſitzen die 
hinteren Extremitäten, die wie der Körper auch durch je drei parallele 
Linien angedeutet werden. Sie weiſen die bei Kriechtieren charakteriſtiſche 
Rüd- und Vorwärtsknickung in bezug auf die Rörperachſe auf. Vorn am 
Körperteil ſitzen die Dorderertremitäten, die bezeichnenderweiſe mit nur je 
zwei parallelen Ritzlinien dargeſtellt werden. Hier muß eine ſehr natur⸗ 
nahe Beobachtung zugrunde gelegen haben, denn auch in Wirklichkeit ſind 
die hinteren, die Sprungbeine bei Kröten und Fröſchen bedeutend kräftiger, 
maſſiger und größer entwickelt gegenüber den ſchwachen greifenden Vorder⸗ 
extremitäten. 


Dieſe naturwahre, die Wirklichkeit ausdrückende Projektion der Kröten⸗ 


bzw. Froſchgeſtalt ſchließt meines Erachtens jede Erörterung, ob das Orna— 
ment wohl auch anders herum geſehen werden könnte, aus. Neben der 


3] Ein Krötengefäß aus einem früheiſenzeitlichen Gräberfeld von Halle⸗Trotha 123 


dann unſinnigen Extremitätenſtellung wäre auch der Widerſinn der geſamten 
Proportionierung nicht zu erklären. 

Dürfen wir nun in der ſchematiſierten Darſtellung eine uns inhaltlich 
vielleicht noch nicht bekannte Symbolik mit tieferem Sinn ſuchen? Nach 
meinem Dafürhalten müſſen wir uns zunächſt einmal Mühe geben, die ſinn⸗ 
gemäß einfachſten, naivſten Bedingungen für das Juſtandekommen folder 
Darſtellungen zu finden. Wir haben feſtgeſtellt, daß das Täßchen einem 
Kinde gehört. Es liegt nahe, daß man dem Rinde bei der Herjtellung des 
Gefäßes vorgefabelt haben kann, der Omphalos ſei ein kleiner Teich und die 
Kröte hüpfe da hinein. So könntem an ſich auf die einfachſte natürliche 
Weiſe dieſe er entſtanden denken. 

Dagegen nun, daß dieſer 
Vorgang allein maßgebend ge⸗ 
weſen ſei, ſpricht die übrige 
Behandlung des Gefäßes, ob⸗ 
wohl ihm Zierelemente eigen 
ſind, die damals ſämtlich im 
„Hallſtättiſchen“ Kreiſe ge: 
brãuchlich waren. Dor allem 
aber iſt zu berückſichtigen, 
daß Kröte und Froſch Tiere 
ſind, die im Volksglauben eine 
Rolle ſpielten und noch ſpielen. 
In der Hauptſache handelt es 
ſich dabei immer um Bezie⸗ 
hungen zur Frau dem weiblich 
Sexuellen und zum Rinde. Abb. 5. !/.. 

Sei es, daß die Kröte als 

Symbolifierung des Uterus, als Kindbringer oder als Sympathietier des 
Kindes auftritt. Was ſich darüber noch an lebendigem Gut aus eigener 
Erfahrung oder der Literatur zuſammentragen ließ, ſoll uns weiter unten 
beſchäftigen. Sehen wir uns zunächſt einmal nach weiteren urgeſchichtlichen 
Froſch⸗ bzw. Krötendarſtellungen um. 

Kern!) ſchreibt: „Unter den vielen Gefäßſcherben einer Ceitmeritzer 
brandkeramiſchen Wohngrube mit rein Spiral⸗Mäander⸗Reramik fand ich als 
Seltenheit auch einen figürlich verzierten Fund. Er trägt die primitive Dar: 
ſtellung eines froſch⸗ oder krötenähnlichen Tieres. Die Darſtellung mit ge- 
ſtrecktem, in einer Cage befindlichen Ober⸗ und Unterſchenkel der Hinterbeine 
gibt der Geſtalt etwas Emporſtrebendes und die Stellung des Bildes am 
Gefäßrande, den Kopf dem Rande zugekehrt, verſtärkt den Eindruck, das 
Tier verſuche, an dem Gefäße hinaufzuklettern, es ſtrebe der Schüſſelmün⸗ 
dung zu. 

Don einer weiteren Darſtellung, der wie der unſrigen, die Andeutung 
des Kopfes, fehlt, berichtet Pic *): 

„Ein ganz vereinzeltes Dorfommnis bei unſerer Keramif ijt das Tier: 
Ornament, und zwar an einem kleinen birnenförmigen Gefäßchen mit kleinem 
Nabel aus podbaba. Auf dem Gefäßbauch ſtellen einfach regelmäßige 


1) Kern: Ein Tierbild auf einem Gefäßſcherben der Spiralmäander-Reramik 
Böhmens. Mannusband IX, 1917, S. 55 ff., Abb. 1. 


3) pic, II.: 2 Starozitnosty ceme «eske. Prag 1899, Bd. 1, Bl. 51, S. 94. 


124 Stiedrid) Holter [4 


Linien ein Tier ohne Kopf dar, etwa wie ein ſpringendes Fröſchlein, das von 
Weinzierl Eidechſe benannt, nach Anmerfung von h. Hakcove3 ein 
ſitzendes Männlein darſtellt“. 

Endlich macht uns Roſſinna)) noch mit einem eiſenzeitlichen Kröten— 
gefäß bekannt, das im Graudenzer Muſeum aufbewahrt wird und aus 
Stuſſendorf, Kreis Flatow, im ſüdweſtlichen Weſtpreußen, der heutigen 
Grenzmark Poſen-Weſtpreußen ſtammt. Auch hier fehlt der Kopf, aber die 
Zehen ſind angedeutet. 

AH, wie wir ſehen, die Anzahl von Froſch- oder Krötenbilder auf ur— 
geſchichtlichen Gefäßen nicht bedeutend, ſo kann doch die grundſätzliche 

Gleichartigkeit der Darjtellungs- 
weiſe bei chronologiſcher und ört— 
licher Entfernung bedeutungsvoll 
ſein. Erſtaunlich wirkt jedenfalls 
bei Berückſichtigung der Verbrei— 
tung des noch lebenden Symbol: 
gebrauchs dieſes Tieres die beinahe 
völlige Kongruenz dieſes Bereiches 
mit dem Kreiſe, aus dem urge— 
ſchichtliche Darſtellungen bekannt 
geworden ſind. Es ſind ſchon bei 
anderen Gelegenheiten Daten über 
die geradezu ungeheure Zähigkeit 
der Überlieferung von Dolkswiſſen, 
das aus elementarem Leben und 
Erleben gewonnen wurde, be— 
kannt geworden. Es fei an Ge- 
ſchichten erinnert, die um ein— 
drucksvolle Grabſtätten ſpinnen, 
in denen ſelbſt Einzelheiten über 
Jahrtauſende mit ihrem Kultur- 
wechſel bewahrt wurden. Genau 
— — dagſelbe begegnet uns häufig im 

Abb. 4. 1/,. alten Brauchgut. 

Im folgenden werden wir 
im heutigen Glauben und Aberglauben, der Kröten oder Fröſche in 
muſtifizierender oder überkraftbegabter Geſtalt zum Gegenſtand hat, als 
grundlegenden Zug die Beziehungen zum weiblichen Geſchlecht als ſolchem, 
zu Mutter und Rind feſtſtellen können. Faſt im ganzen Süddeutſchland iſt 
noch heute die Kröte Symbol des erkrankten Uterus (Andree)?): „noch heute 
im Süden Deutſchlands von durchaus lebendiger Dorjtellung, daß die Gebär— 
mutter ein lebendiges ſelbſtändiges Weſen ſei, welches im Rörper umher— 
wandeln könne . .. (I. c., S. 130). In Süddeutſchland, den Alpenländern und 
bis ins Elſaß ijt es nun die Kröte, welche die Gebärmutter repräſentiert 
und geradezu als ſolche gedacht wird, als ein beißendes, kratzendes, ſchlagen— 
des Weſen, welches auf- und niederſteigt und auch gefüttert werden muß, 
und die bujterijden und ſonſtigen Krankheiten der Frauen herbeiführt. 


e d Roſſinna, G.: Noch eine Krötenurne. Mannus Bd. XI und XII, 1919—20, 
>: Liat. U: OD: 

*) Andree: Dotive und Weihegaben Braunfchweig 1914, S. 128ff. Die Opferkröte 
und Stachelkugel, Le, S. 129. 


5] Ein Krötengefäß aus einem früheiſenzeitlichen Graberfeld von Halle-Trotfa 125 


Als Weihegabe wird dann eine wächſerne, filberne oder eiſerne Kröte ge: 
geben. | 

Kröten fleifd +) (I. c., S. 261) wird offizinell als Geburtsweben er: 
zeugendes Mittel angewendet. Ein „verkrottetes“ Kind wird für ein dämonen⸗ 
haftes Weſen elbiſcher Abjtammung gehalten. Gegen die elbiſchen Einflüffe 
glaubt man als Prophulaktikum ein Krötenzeichen mit Erfolg anwenden zu 
können. Weiter wird die Kröte als Symbol der Gebärmutter aufgeführt 
und heißt auch ſelber „Muter“. Ferner wird bei muterſiechen Frauen 
der Krötenfegen in Anwendung gebracht. Beim Rind mahl oder Wochen⸗ 
bettſchmaus wird ein Kröten modellgebäck gereicht. Schließlich wird a. a. O. 
aufgeführt, daß die Be⸗ 
wohner der Bukowina die 
Kröten fürchten. Hbend 
iſt es nicht ratſam, in 
Gegenwart von Kindern 
von Kröten Erwähnung 
zu tun, denn dieſes könnte 
irgendeinem der Kinder 
ſchaden. Wenn man über 
Kröten geſprochen hat, 
jo kann das Schlechte 
wieder gut gemacht wer⸗ 
den, indem man die 
Worte „Rnoblauch unter 
der Junge des Rindes“ 
ſpricht. Jener, der über 
eine Kröte tritt oder 
eine Kröte tötet, wird 
ſeine eigene Mutter 
töten. Deshalb darf nur 
jener eine Kröte töten, 
deſſen Mutter bereits ge⸗ 
W 

gen Vergiftung 

a Kröten als Ent⸗ 
ziehungsmittel, die an den Srauentagen gefangen, geſpießt oder ge- 
dörrt ſind. 

Nach einer anderen Lesart ) ſchneidet man einer Kröte mit einem 
Srauentaler den Kopf ab, ſchneidet ihr lebendig den Bauch auf und fiedet 
fie im Srauendreibiger mit Ol. 

Als Aphrodiſakum ?) und Mittel zu einem Kinde zu verhelfen, tritt 
ferner noch Kröten zauber auf. Derjenige gewinnt unfehlbar die Liebe jedes 
Mädchens, der zur rechten Zeit und Stunde eine Kröte bzw. einen Froſch 
fängt, tötet, ihre pfote bei ſich trägt und dem Mädchen, ohne daß dieſes 
davon weiß, einmal damit über das Geſicht ſtreicht ). 

1) hovorka-Kronfeld: Vergl. Volksmedizin. Stuttgart 1908. Bd. I und II — 


Bd. I, S. : 
) Jeitſchrift für öſterreichiſche Volkskunde, S. 437. Urquell, N.⸗§., Bd. I, Heft 6 
und 7, S. 168 ff. 
2) M. Hofler: Die volksmediziniſche Organotherapie und ihr Verhältnis zum Kultopfer. 
) Wilke: Mannus Bd. VI, 1914, S. 19, Abb. 13, S. 30 und 218. — Derſelbe: 
Mannus Bd. VII, 1915, S. 3. 


126 S. Holter, Ein Krötengefäß aus einem früheiſenzeitlichen Gräberfeld uſw. [6 


Nach einer anderen Verſion muß zu dieſem Zweck vor Sonnenaufgang 
am Freitag zur Stunde der Venus eine Kröte an den Hinterbeinen in 
den Rauchfang gehängt und danach pulveriſiert werden (I. c., Hovorka⸗ 
Kronfeld, S. 168). In Dölzig in der Mark weiß man, daß derjenige, der 
eine Kröte ausgräbt, bals ins Kindelbier kommt 2). 

Schließlich wird ein Krötenpfötchen beim Zahnen der Kinder ge— 
braucht. Hier fei eingefügt, daß im Leichenbrand der zu unſerem Kröter.⸗ 
gefäß gehörigen Urne durchbohrte Hunde: bzw. Wolfszähne gefunden 
wurden. Das ijt in dieſem Juſammenhang immerhin bemerkenswert. Als 
elbiſches Weſen erzeugt die Kröte den Krötenalb (Krottolf) oder Abortusmole. 
Sie hat böſe, menſchenfeindliche Züge und wird andererſeits von Menſchen 
auch als ein guter Hausgeijt betrachtet. Im deutſchen Märchen ſpielt neben 
1 die Kröte auch noch die Rolle eines Sympatbietieres des 

indes. 

Aus dem Dorausgegangenen wird deutlich erſichtlich, daß trotz ober⸗ 
flächlicher Derjchiedenheit der Überlieferungsträger und Benutzer des Kröten⸗ 
fymbols ſowohl eine kulturelle Beziehung zu den uralten ſüdöſtlichen Kultur: 
kreiſen, und andererſeits die enge sumboliſche, gemeinſame Beziehung zum 
auftritt als Geſchlecht, Frau und Mutter, zum Gebärakt und dem Kinde 
auftritt. 

In dieſem kleinen Veröffentlichungsaufſatz find alle anderen kröten⸗ 
ähnlichen Darſtellungen figürlicher Art (Plaſtiken wie z. B. der HAgäiſchen BZ; 
eine aus einem frühminoiſch-kretiſchen Grabe — 3 Jahrtauſende —, eine 
andere aus einem Kuppelgrabe von Rakovatos?) — 15. Jahrhundert — beide 
aus Gold) und Zeichnungen (wie auf nordiſchen harpunen des Meſolithikums, 
3. B. Mannus Bod. II, Tafel IV, 1) die nichts mit Gefäßen zu haben, un⸗ 
berücksichtigt geblieben. Eine umfaſſende Unterſuchung würde an dieſer 
Stelle zu weit führen. So möge die Aufdeckung einiger wahrſcheinlicher, 
merkwürdiger Zuſammenhänge genügen. 

Da in unſerem Funde die Beziehungen ſo einwandfrei und klar zutage 
treten, glaube ich, find die obigen Ausführungen und Hinweije nicht ab- 
wegig. Eigenartig ijt auf jeden Fall, daß im Süden und Südoſten, wo aus 
urgeſchichtlicher Zeit ſumboliſche Krötendarſtellungen bekannt geworden fine, 
die Krötenſymbolik noch heute im hohen Maße mit der erörterten Be- 
deutung lebendig ijt. Vielleicht bringen uns einmal weitere, genau beob- 
achtete Funde von fo ſeltenem Vorkommen noch nähere Einblicke und Auf- 


ſchlüſſe. 


1) 9. Prahn: Glaube und Brauch in der Mark Brandenburg. Jeitſchr. des Ver⸗ 
eins für Volkskunde. Berlin, Bd. I; 1891, S. 191. 
2) Nach freundlichen Mitteilungen von Prof. Ca ro, halle. 


Sur Frage nach der Enddatierung der 
Billendorfer Kultur in Sachſen. 


Von Georg Bierbaum. 


Mit 14 Abbildungen im Tert. 


Gegenüber der Unſchauung A. Götzes ), daß ſich der Endtermin des 
Billendorfer Tupus „vorläufig nicht genau erkennen“ laſſe; „auf alle Fälle 
war er ſchon verſchwunden, als die Germanen das Gebiet beſiedelten“, 
treffen wir auf zwei andere Meinungen, ſobald die Frage nach der unteren 
Begrenzung der Billendorfer Kultur erörtert wird. Auf der einen Seite ſteht 
W. Srenzel ). Aus ſprachlichen Gründen, aus Gründen der Döllerwande- 
rungsmechanik, der Urlandſchaftsforſchung, der kultiſchen Überlieferung, aus 
dem Dorhandenjein von Billendorfer Wehranlagen uſw. will er die Billen- 
dorfer Kultur in der Oberlauſitz infolge des Mangels an latenezeitlidyen 
Sunden wenigſtens auch auf die letzten vorchriſtlichen Jahrhunderte aus— 
gedehnt ſehen. Huf der anderen Seite ſteht h. Seger’). Nach ihm endet 
„das Zeitalter der Urnenfriedhöfe .... in Schleſien .... um 500 vor Chr. 
hier und da mag die Beſiedlung etwas länger gedauert haben, einzelne Sunde 
vom Tupus des 5. Jahrh., deuten darauf hin. Ganz haltlos iſt die oft 
erhobene Behauptung, die Urnenfriedhöfe ragten noch in die nachchriſtlichen 
Jahrhunderte hinein“. Trotz der in Schleſien wie anderwärts beobachteten 
längeren Nachblüte der Hallſtattmode „muß ... betont werden, daß wir mit 
diejen Jugeſtändniſſen höchſtens an die untere Grenze von Srühlatene ge: 
langen, aber keineswegs die Kluft überbrücken können, die zwiſchen der 
Geſichtsurnenkultur und der jpätlatenezeitlichen der Brandgrubengräber liegt“. 

Ich möchte heute einen Fund vorlegen, der m. E. doch einen Unhalts— 
punkt zur Klärung der Frage, wenigſtens in Sachſen, darbietet: 

Am 4. Oktober 1926 meldete der Umtsſtraßenmeiſter Kluttig dem 
Muſeum für Mineralogie, Geologie und Dorgeſchichte telephoniſch einen 
Urnenfund in Dresden-Stetzſch. Da ich an dieſem Tage nach Röllmichen 
abgereiſt war, fuhr der damalige handwerksmeiſter und jetzige Präparator 
M. Trenkler ſofort hinaus. herr Kluttig übergab ihm eine Urne mit 
Leichenbrand und Erde (Abb. 1), ſowie die Trümmer einer Deckelſchüſſel 


(Abb. 2), die ſich in der Erde der Urne und an der Seite des Gefäßes be— 
funden hatten. 

) Ebert, Realleriton, Bd. 2, 1925, S. 23. 

2) Mannus, Bd. 19, 1927, S. 51 ff. 

) Ebert, Reallexikon, Bd. 11, 1927, S. 279f., § 34 und 36. 

) Bierbaum, G., Nachrichtenbl. f. d. Dor3., 3. Ig., 1927, 8.4, S. 60. 


128 Georg Bierbaum [2 


über die E machte E Kluttig folgende Angaben: Beim Neuſetzen 
eines es he Leitungsmaſtes an ordfante d genüber, d SE nördlich des Haujes 
„Am Urnenfeld“ Nr. 7 — die frühere 50 ulſtraße heißt ſeit 1. VI. 1926 „Am Urnenfeld” — 
war auf 2 m nach Ojten hin die Kanalijation nachgejehen worden. Die Arbeiter waren 
dabei in 0,6 m Tiefe unter der Bordkante auf die oberſten Scherben des Grabes geſtoßen; 
Le hatten das Grab freigelegt und Urne und 
cherben der Dedelihüffel Fedde en 
Als Herr Kluttig dazukam, beſchlagnahmte er 
den Sund und übergab ihn an herrn Crenfler. 
Ticter bat bei jeinem Eintreffen nur nod) die 
Tiefenlage der oberſten Scherben unter der 
Oberfläche der Bordkante nachmeſſen können, 
da ſonſt alles bereits wieder zugeſchüttet war. 
Nach Ausjage der Arbeiter ſeien einige etwa 
fauſtgroße Steine in der Umgebung des Grabes 
efunden worden; von einer Steinſetzung jedoch 
önne keine Rede ſein. Das Gefäß habe auch 
nicht auf einem Stein geſtanden, wovon ſich 
die Arbeiter durch tieferes Graben überzeugt 
Den ſondern in Iſchwärzlich verfärbtem 
and. Irgendwel e Beigefäße wurden nicht 
beobachtet 


Beim klusſchlemmen des Gefäßes 
im Muſeum fand ſich darin nur ſehr 
wenig Leichenbrand, in dieſem die 
Abb. 1. Stetzſch. durch die Patina ſehr in Mitleidenſchaft 
gezogene bronzene Sibel (Abb. 3a u. b). 


Die Urne iſt ee hae und wohl erhalten; nur am Rande waren geringfügige 
Ergänzungen notwendig. Die einzige Derzierun befteht in einer Wulſtleiſte, von der 
ein Stück von 12,5 em Cänge fehlt. Unter alb der Wulſtleiſte iſt das Gefäß dee? Der Ton ijt 
bier in er oberflächlichen agen it 9 worden, wie aus ſeichten Rie- 
fungen hervorgeht. Oberhalb der Wulſtleiſte ijt das Stück im Halsteil lorgfaitig geglättet. 
Im Innern wird die Oberfläche vom ziemlich glatten saat nad) dem Boden 3u etwas 

rauher. Särbung: grou: bis rot: 

lichbraun mit den Tönen, 
die im Halsabſchnitt vorherrſchen. 
Bruch: rötlich, körnig; Brand: 


ut. 
l Höhe: 24,4; Höhe (Wulſt⸗ 
leiſte): 18, 5. 19,0; Höhe (größter 
Dur meſſer): 13,0; Durchmeſſer 
(Mündung): 18,2; Durchmeſſer 
(Wulſtleiſte): 25, 6; ‚größterDurd- 
meſſer: 27,1; Durchmeſſer (Bo⸗ 
den): 15,4; Durchmeſſer (Wand): 
0,6—0, 9 em. 
en a gate beat fe ee 
üſſel hat etwas größere (Gr: 
nn a gi änzungen imRandteile erfahren. 
er Rand ijt leicht eingezogen 
und etwas verdickt. Die Oberfläche iſt wie der Hals der Urne außen und innen geglättet. 
Färbung: vorwiegend braunſchwarz. Bruch: rötlich, körnig; Brand: gut. 

höhe: 8,6—9, 1; Durchmeſſer (Mündung): 19,2; Durchmeſſer Boden 10,1; Durch⸗ 
meſſer (Wand): 0 ‚6/0,7 cm. 

Die offenbar gegoſſene Sibel iſt nicht beſonders gut erhalten. Die Patina iſt 
ſchmutzig graugrün mit millimetergroßen, pockenartigen, hellgrünen SEN und 
Vertiefungen namentlich im Fußabſchnitt. Sie ijt unverziert. Der Sub ſcheint aber 2 bezw. 
4,5 mm vor dem Ende zwei leichte Einſchnürungen beſeſſen zu haben. Wie die Aufficht 
(Abb. 3b) zeigt, verlaufen vom Bügel 3 volle Windungen nach links, von da ab zieht die 
Sehne unter der Seder und Nadel von links-außen nach rechts-außen und von da ab 
gehen 3 volle Windungen linkshin zum Bügel und Übergang in die Nadel. In der Gegend 
der Nadelraſt iſt der bis auf die höchſte Erhebung des Bügels ziemlich gleichmäßig dicke 


3] Zur Frage nach der Enddatierung der Billendorfer Kultur in Sachſen 129 


(4,08 mm) Draht ane gehämmert (2,05 mm). Dadurch ſcheint die Nadelraſt gewonnen 
worden zu fein (Abb. 5a). ` RR 

Lange: 4,9 cm. Die Breite ſchwankt zwiſchen 1,1 Kar infolge der Verzerrung), 
0,95 none Erhebung des Bügels) und 1,5 cm (hödjite 5 des Sußes bis zum 
unteren Ende der Nadelraſt). Durchmeſſer der Spirale: 0,6 cm. Gewicht: 4,5 g. 

Das Muſeum für Vorgeſchichte in Dresden beſitzt aus der Preusker⸗ 
ſchen Sammlung eine weitere Fibel von Nünchritz, Ab. Großenhain, die 
ohne Frage die engſten Beziehungen zu der Stetzſcher Sibel hat (Abb. 4a 
und b). Über die Fundumſtände dieſer Sibel ſchreibt C. B. Preusker ): 

„Bronzene Kleiderſpange von Draht, in Nünchritz ungefähr 1808 von 
dem dortigen Einwohner Gottlieb Heinrich auf ſeinem Waldſtück auf dem 
Wolfsberge, in einer Urne mit Knochen gef., die mit Steinlagen umgeben 
und bedeckt war“. 


Das offenbar ebenfalls gegoſſene Stück ijt wohl erhalten — ſogar die Sederun 
iſt noch intakt — und von einer gleichmäßigen, tiefgrünen Patina überzogen, die nur et 


b b 
Abb. 3. Stetzſch. Abb. 4. Nünchritz. 


den Außenleiten der Spiralen, dem Bügel und der Nadel den Goldton der Bronze durch— 
ſchimmern läßt. Wie die Kufſicht (Abb. 4b) erkennen läßt, gehen vom Bügel zwei volle 
Windungen nach links, von da ab verläuft die Sehne vor der Seder von links-außen nach 
rechts-außen, SH folgen zwei volle Spiralwindungen nach innen zum Bügel und Über: 
aang in die Nadel. Die Wadelrajt ſcheint voll mitgegoſſen und dann ausgehöhlt (ausgefeilt?) 
worden zu ſein. 

Die Sibel iſt unverziert bis auf das Sußende, das in einem langgezogenen tropfen— 
artigen Gebilde von 0,9 em Länge und 4,66 mm dicke beſteht. Kurz vor dem Übergang 
des Drahtes in dieſes Gebilde ſchwillt dieſer etwas an. Darauf folgt ein erhabener Ring 
als Grenze gegen die KUnſchwellung. 0,4 cm von dieſem Ring entfernt liegen im bereits 
wieder ſich verjüngenden Teile zwei ſeichte, nicht im ganzen Umfang gleichmäßig deutliche 
Ringfurchen. Vor dieſen befinden ſich etwa in der Mitte zwiſchen ihnen und der . 
tung für das Endknöpfchen nach links von der Mittellinie noch zwei nur 1 mm lange, 
parallel zu den Ringfurchen verlaufende Striche — vielleicht Anfänge weiterer, jedo 
unvollendet gebliebener Ringfurchen. Nach zwei weiteren, wenigſtens in der Auffid 
etfennbaren Furchen chließt das Endknöpfchen das ganze ab. 

Länge: 5,05; Breite: 1,5 (Ropfteil), 1,7 (höchſte Erhebung des Bügels) und 1,45 
(höchſte Erhebung des Sußes bis zum unteren Ende der Madelraft); Durchmeſſer (Spirale): 


1) Im zweiten Viertel des Verzeichniſſes feiner vaterländiſchen Ultertümer-Samm— 
lung als Mie. ‘Dee Bd. XIII der „Erinnerungen aus meinem Leben“, Landesbibliothek 
Dresden: Die, Dresden 265, S. 47 b unter Nr. 298. 


Mannus, Jeltſchrift für Vorgeſch., VI. Era.-Bd. 9 


130 Georg Bierbaum [4 


1,05 cm; Dutdmeffer des Drahtes: 1,56 mm nn, 3,96 mm (Bügel, quer), 
1,82 mm (Sußrundung), 1,66 mm (Nadelmitte); Gewidt: 7 


Die Sibel von Nünchritz ijt im 5. eee ee 1) nach J. D. Deich⸗ 
millers Angabe unter den Frühlatènefibeln Dariante E aufgeführt worden, 
nachdem Preus ker ) fie erwähnt und abgebildet hatte. Nach meinem Dafür⸗ 
halten beſteht dieſe Einordnung in die Variante E zu Unrecht. Möglich wäre 
ein Vergleich höchſtens mit der ſogenannten Marzabottofibel, wenn man 
von der beſonderen Nadelraſt abſieht, die ſowohl das Nünchritzer wie das 
Stetzſcher Stück auszeichnet. Eine ſolche Nadelraſt finden wir bei den meiſten 
der ſogenannten Tierkopffibeln der Stufe Laténe A (zwiſchen 550 und 420 
vor Chr.) nach P. Reinecke ), wenn man die Abbildungen im 5. Typen- 
kartenbericht von R. Beltz“) betrachtet, bisweilen auch bei Certoſafibeln 5). 
Dagegen tritt fie bei Fibeln vom Typus Latene B (420—300 vor Chr.), den 
fog. Srühlatöneformen im Sinne der Tiſchlerſchen Terminologie, nicht mehr 
auf. Wir werden daher unſere beiden Stücke von Nünchritz und Dresden⸗ 
Stetzſch mindeſtens in den Übergang von Laténe A nach B, d. h. um 400 vor 
Chr., anſetzen dürfen. 


Parallelen zu unſeren beiden Sibeln find mir“) nur von zwei Fund⸗ 
ſtellen bekannt. Nach A. Götze kommen auf der Steinsburg bei Römhild 
Sibeln dieſer Art mehrfach vor’). Dom fog. „Bauernfelde“ bei Leitzkau, 
Aires Jerichow I in der Provinz Sachſen ſtammt ein Exemplar s). Es 
ijt ſehr zu bedauern, daß die Fundumſtände dieſer Sibel nicht genau bekannt 
find, weil das Gräberfeld von Ceitzkau nach Catene B und C gehört). Es 
wäre ſonſt vielleicht möglich geweſen, den Nachweis zu führen, daß unſere 
Sibelform ſogar bis Latene C, d. h. bis nach 300 vor Chr., hinabreicht. Während 
die Steinsburg bei Römhild im keltiſchen Bereich liegt, der vielleicht auch als 
Urſprungsort für diefe Sibelform in Betracht kommt, gehören LCeitzkau, 
Nünchritz und Stetzſch in das weſtgermaniſche Gebiet. 


Eine Durchſicht der Re ra mik unſerer Billendorfer Gräber auf Parallelen 
zu unſerer Stetzſcher Urne ergibt die überraſchende Tatſache, daß ſich ſolche 
doch ziemlich ſelten zeigen. In der Form des eiförmigen zweihenkligen 
Topfes ſcheint mir unſer Gefäßtypus etwas häufiger aufzutreten (Abb. 5 
und 6 von Dresden-Kaditz). „Als Ausgangspunkt für die zweihenkligen Töpfe 


Blicke in die vaterländiſche Vorzeit, Bd. 5, 1844, S. 83 und Tafel VI, Sig. 61. 
Der Bayerifche Dorgeſchichtsfreund, V, 1925, S. 50. 

4) 1911, S. 675f.; val. auch Ebert, Reallexikon, Bd. 3, 1925, Taf. 106 a. 

5) Scheide mandel, heinr.: Über Hügelgräberfunde bei Parsberg, Oberpfalz, 
II. Teil, Nürnberg 1902, Taf. 4, Abb. 6: aus Grab I bei Steinmühle. Dieſes Grab tit dadurch 
beſonders intereſſant, daß es daneben noch 4 Dogelkopffibeln und 1 Marzabottofibel mit 
großer on. enthielt. 

) Einer freundlichen Juſchrift von W. Schulz gelegentlich der Korrektur per: 
danke ich noch folgende N ſolcher sn Robra, Candkreis Weimar, aus 
Skelettgrab (Sächſ. Jahresſchr. XV, 1927, S. 62 f.; Muſeum 15 Urgeſchichte Weimar) 
und Möbisburg, Stadt- und Landkreis Erfurt Götze⸗ höfer⸗-Zſchieſche, Thüringen, 
Würzburg nn a 251; Muſeum Halle, Sammlung z3ſchieſche). 

‘) Go „Führer auf die Steinsburg bei Römhild. Hildburghaufen 1922, S. 25, 
31 (Tafel, abb. 2 


hirt, Rach. ü. D. A., 6. Ig., 1895, 5.5, S. 79, Sig. 21a: mit einer Tonperle 
an der Nadel; Beltz, R., 5. Cupenkartenbericht, 1911, 8. 745, Nr. 515; vgl. auch Rieke⸗ 
buſch, Hl., 8 Prabift Zeitſchr., VIII, > S. 111, Abb. 5, Sia. 21a. 

Bauer, Fr., Nachr. ü. D. A 7. Ig., 1896, h.6, S. 85 ff. und Rupka, P., Sächſ. 
Jahresſchr, IX, 1910, S: 11; 


0 1911, 8. 738 unter Nr. 380. 


5] Zur Stage nach der Enddatierung der Billendorfer Kultur in Sachſen 131 


ijt .. . . die weſtgermaniſche Kultur zu bezeichnen, in der dieſe Form ſchon 
vor 600 vorkommt“ 2). 

Es gibt aber auch Parallelen zu unſerer tonnenförmigen Urne von 
Dresden-Stetzſch. So gleich von Stetzſch ſelbſt (Abb. 7). Das Stück ijt deshalb 
beſonders intereſſant, weil es mit der Deckelſchüſſel (Abb. 8) und dem Fragment 
eines Tontellers (Abb. 9) aus einem Grabe ſtammt, eine Angabe, die für 
Stetzſch leider zu den Ausnahmefällen gehört. Dieſes Grab iſt am 29. VIII. 
1890 von dem bekannten Derfajjer der Arbeit „Zur Geſchichte der Beſiedlung 
der Dresdner Gegend“ (Dresden 1912) O. Trautmann ſelbſt auf dem Beyer⸗ 
Iden Felde ausgegraben worden. Die Graburne (Abb. 7) enthielt Leichen— 
brand; ihr Boden befand ſich 1,20 m unter der Oberfläche. Das Grab ? 
beſaß eine Steinpadung aus zum Teil ſehr großen Steinen. Die 3 Stücke fin 
noch im Jahre 1890 dem ſtaatlichen Muſeum für Dorgeſchichte geſchenkt 


Abb. 5. Abb. 6. 
Dresden-Kadik. Etwa !/,. 


worden (Alter Katalog S. 266, Nr. 219—221). Dabei findet fic) die An- 
merkung: „Nr. 219—221 aus einem Grabe, in dem noch mehrere kleinere, 
auch eine größere Urne ſich befanden, die nicht ins Muſeum gelangten“. 
Dieſe anderen Gefäße müſſen leider als verſchollen gelten, wie ich dieſer 
Tage durch eine Husſprache mit herrn Trautmann feſtgeſtellt habe. Die 
Deckelſchlüſſel beſitzt an Stelle eines Henkels zwei ſchräg vom Rande (bei 
nach unten gerichteter Mündung) nach rechts-oben verlaufende, mondſichel— 
förmige Wülſte und einen eingezogenen Rand (Roſtſpuren an ihr beweiſen, 
daß ſie mit Eiſen in Berührung geſtanden hat). Wegen der Wülſte werden 


1) Tadenberg, K., Altſchleſien, I, 1926, S. 155, Taf. XII, Abb. 7 (Gr. Bedern, 
Kr. Ciegnitz), Taf. X II, Abb. 10 (Lindau, Kr. Freuſtadt); val. dazu Schwantes, G., 
able. € 23 „1000, SCH XV, I (Stufe Weſſenſtedt), Taf. XVI, 2 (Stufe Jaſtorf b); 
ch Jahresſchr Fi vom, S. 117f., Taf. XIV, Sig. 4a (Golpa bei Bitterfeld; 
val. dazu en andert, $., Die Dübener Heide, Nr. 3, 1927, 8. 58, Abb. 3, Sig. 2); 
Rodrian, h., Mannus, Gate 1926, S. 315, Vd, S. 317, VIIIa 1, S. 323, XId und XIk 
(Kreis Schweinitz, tee Sachſen); betr. einer germaniſch— illuriſchen Miichbevölterung val. 
vor allem S. 330—33 
2) Grab D 125 Urautmannſchen e in Deichmüllers Grabungsprotofoll; 
ogl. dazu die Angaben in dieſem auf 8. 


a 


132 Georg Bierbaum [6 


Abb. 7. Abb. 9. 
Abb. 7 u. 8. Etwa ½ n. Gr. Abb. 9. lem des beigegebenen Maßſtabes = 2,3 cm inn. Gr. 


Abb. 10. Zeithain, Ah. Großenhain. Abb. 11. Klein-Saubernitz, Ab. Bautzen. 
twa jn n. Gr. Etwa ½2 n. Gt. 


7] Zur Frage nach der Enddatierung der Billendorfer Kultur in Sachſen 133 


wir fie unbedenklich nach Laténe ſetzen dürfen. Im Gegenſatz dazu gehört der 
Tonteller zum eijernen Inventar Billendorfer Gräber. 

Als weitere Parallelen zur Stetzſcher Urne bringe ich ein Gefäß von 
Zeithain, Ab. Großenhain (Abb. 10; alter Katalog, S. 222, Nr. 127), bei 
dem ſchon die Abbildung ſehr deutlich den Unterſchied zwiſchen dem bis zum 
Wulſt hin geglätteten hals und dem übrigen rauhen Teil des 1 erkennen 
läßt. Ganz ähnliche Stücke beſitzt unſer Muſeum von Klein-Sauberniß, 
Ab. Bautzen (Abb. 11) und Gohlis bei Dresden, Ab. Dresden. Auch die Stücke 
von Klix, Ab. Bautzen 1) kommen für einen Vergleich in Frage. Außerhalb 
Sachſens wären zu nennen: Walsleben, Altmarf 2), Südende, Kreis Teltow )), 
Merzdorf, Kreis Breslau“), Waldheim, Kreis Steinau 5) und Noßwitz, Kreis 
Glogau ®). Gerade das Noßwitzer Stück entſpricht wohl am allerbeſten unſerer 
Stetzſcher Urne. 

Sehen wir uns die genannten Fundorte auf der Karte an, dann liegen 
ſie entweder in weſtgermaniſchem Gebiet oder in ehemals illuriſchem Gebiet, 


Abb. 12. Stetzſch. 


in dem ſpäter Weſtgermanen anzutreffen ſind, oder endlich in oſtgermaniſchem 
Gebiet. Dort werden fie jedoch von den einheimiſchen Forſchern als weſt— 
germaniſche Typen bezeichnet. 

Tadenberg?) hat in bezug auf Schleſien von einer frühgermaniſch 
(im Sinne von oſtgermaniſch) ⸗illyriſchen Miſchgruppe geſprochen; wir werden 
für Sachſen von einer weſtgermaniſch-illyriſchen Miſchgruppe ſprechen dürfen. 
Daß daran für Sachſen illuriſcherſeits die Billendorfer Gruppe beſonders ſtark 
beteiligt iſt, beweiſt der Trautmannſche Grabfund von Dresden -tetzſch 
mit dem Billendorfer Teller. Dafür ſpricht aber auch das Auftreten von 
Gefäßen, die unſerer Stetzſcher Urne naheſtehen, in den Billendorfer Gräber— 
feldern, 3. B. von Mira und Kleinſaubernitz. Denn das Gefäß von Klein: 
E ſtammt nach den Angaben von dem bekannten großen Graberfelte 


1 herbad, K. LÉI SE Salt 1926, S. 79, Taf. IX, SE 5 und 8. 
) hupfa, Pe a Sächſ. Jahresſchr., 1911, S. 48 mit Taf. V 14. 
Kietebu ch, H., Präh. Zeiticht.. "wt 1916, S. 118, Abb. e ae Landes» 

unde der Pron Brandenburg, Bo. III, 1912, S. 417, Abb. 250, ſowie Tadenberg, K., 
a. a 155 

) Mertins, O., Wegweiſer durch die Urgeſchichte Schlefiens, 2. Aufl., 1906, S. 94, 
Abb. 242 (Stelett tab!). 

Tadenberg, K., a. a. O., S. 155 und Taf. XIII, 9. 


Tadenberg, K., a. a. O., S. EE Abb. 39 aus Grab 68. 
Tackenberg, K., a. a. O., S. 1 
herbach, K., a. a. O., S. 79, Caf IX, 5. 


134 Georg Bierbaum [8 


in der Sandgrube vom Lorenzberg. Und das Grab von Klix erweiſt 
ſich nach herbachs Angaben !) mit feinen 11 Beigefäßen als abſolut 
billendorfiſch. 

Wenn die von uns gegebene Datierung der beiden Fibeln zutrifft, 
dann wäre damit der Beweis erbracht, daß im Elbgebiete Sachſens die weſt⸗ 
germaniſch⸗illuriſche Miſchkultur noch um 400 vor Chr. unter Berüdjichtigung 
des Leitzkauer Stückes wohl ſogar noch nach 400 vor Chr., beſtanden hat. 
Dann würde aber auch angenommen werden dürfen, daß damals noch Illurier 
bei uns gewohnt haben. 

Wir können dieſe Annahme noch von einer anderen Seite her ſtützen. 
Das Gräberfeld von Stetzſch hat die einzige bisher aus Sachſen bekannt 

ewordene Certoſafibel geliefert?). Das Stück (Abb. 12) it aus Eifen und 
Bat eine untere Sehne. Der Bügel ijt oben rund, unten flach. Der Fuß iſt 
ein aufrecht ſtehender Knopf. Das Billendorfer Grab, das die Fibel enthielt, 
wurde von J. D. Deichmüller am 29. 
Augujt 1890, alſo am gleichen Tage wie 
das Grab D Trautmanns und nur 4,4 m 
weſtlich von dieſem, auf dem öſtlich des 
Maurer Jeißigſchen Grundſtückes gelegenen 
elde von Beyer (Parzelle Nr. 126e) als 
Nr. VIII ausgegraben. Die Anſicht des 
Grabes von NO gibt die Abb. 15 (die vor 
der Haupturne gelegenen Steine find weg⸗ 
genommen). 

Nach Deihmüllers Angaben im Grabungs⸗ 
protofoll 21 befan da der Boden der Haupturne 
1,30 m unter der Erdoberfläche. Außer ihr und 
ihrer ungehenkelten Deckſchüſſel (einem gewölbten 
Napf) enthielt das Grab 14 kleine Beigefäße, das 
Sragment eines weiteren Beigefäßes und die Sibel, 
welche SW neben der Haupturne zwiſchen den 
dort 1 Beigefäßen loſe im Sande lag, 
Bene me erum a alas un Die 

raburne iſt ein großer Copf, der an der Grenze 

BEE von hals und Schulter Hatt ber Henkel zwei fine 

knopfartige Anjage pat Die braune Außen= und 

die ſchwarze Innenſeite ſind wie poliert, jo glatt geſtrichen ſind die Slächen. Etwa 1,50 m 

ſüdlich von der haupturne fanden ſich — auf der Abb. 13 nicht mehr dargeſtellt — 0,60 m 

unter der Erdoberfläche drei weitere Gefäße, die 3. C. mit Steinen umgeben waren. In 

einer 100 Schale ſtand eine mit Erde angefüllte Terrine, mit ſchräglaufenden 

Rippen und Punktreihen verziert. Bedeckt war dieſe mit einer im Innern mit einem 
vierſtrahligen Stern verzierten einhenkligen Schale. 


Mit den Certoſafibeln hat fic) erſt unlängſt G. von Merhart ) in 
feiner Arbeit „Archäologiſches zur Frage der Illurer in Tirol“ auseinander⸗ 
geſetzt. Er ſtellt feſt, daß „jeder Fund in den Alpen oder nördlich derſelben, 
ſofern er in geſchloſſenem Inventar Certoſafibeln enthält, im Sinne der 
Stufenteilung Reineckes latönezeitlih und früheſtens der Stufe A, zum 
Teil auch wohl noch der Stufe B parallel zu ſetzen iſt, wobei es zunächſt gleich⸗ 
gültig bleibt, ob Grabform oder Inventar hallſtättiſch ſind.“ 


1) fl. a. O., S. 84: Grab XVII mit Skizze auf S. 87, Taf. XI. 

2) Beltz, R., 6. Cupenkartenbericht, Berlin 1914, S. 886, Nr. 47 auf Grund des 
une von 3. D. Deidymüller. 

2) 1 


1219. 
4) Wien. Prähiſt. Zeitſchrift XIV, 1927, S. 106ff. 


9 Zur Frage nach der Enddatierung der Billendorfer Kultur in Sachſen 135 


Auf unfere Billendorfer Gräber von Dresden⸗Stetzſch übertragen heißt 
das aber, daß wir mit ihrer unteren Grenze wenigſtens bis zum Übergang 
von Laténe A nach B, möglicherweiſe ſogar nach Latene B zu gehen haben. 

Für die letzte Anficht ſprechen m. E. folgende Überlegungen: Beltz!) 
betont den „öſtlichen Charakter“ der Certoſafibeln für ihr Auftreten in Deutſch⸗ 
land. Und H. Mahr ) ſagt im Unſchluß an B. Nieſe ): „Eine zweite Ver⸗ 
ſchiebung nach dem Oſten habe durch bauriſch⸗ſudetenländiſches Gebiet um die 
Wende der Stufen A und B, alſo etwa um 400 ſtattgefunden. Würde 
alſo die Kenntnis der Certofafibeln ert um dieſe Zeit nach Schleſien und 
von da aus weiter nach Poſen gelangt ſein, dann wäre es durchaus wahr⸗ 
ſcheinlich, daß unſer Stetzſcher Stück — ſelbſt wenn es eine lokale Nachbildung 
darſtellen ſollte, für die es ja auch eines Dorbildes bedurft hätte — erſt im 
4. Jahrhundert, alſo in einer ziemlich ſpäten Phaſe der Billendorfer Kultur, 
von Oſten her nach Sachſen gekommen ijt. Denn vom Oſten kam ja die Billen- 
dorfer Kultur ins Land. 

Gegenüber der noch immer ungeklärten Frage nach dem Verbleib des 
großen illuriſchen Volkes ſtellt ſich Tackenberg “) für Schleſien auf den 
Standpunkt, daß „der Reſt im Lande blieb und als hörige Bevölkerung mit 
den Einwanderern allmählich zu einer Einheit verſchmolz“. Wenn dieſer Der- 
ſchmelzungsprozeß in Schleſien nach Tadenbergs Angaben fo verlaufen 
iſt, daß die Frühgermanen „unter dem Einfluß der alten Bevölkerung ihre 
Beſtattungsſitten“ aufgaben und „zur illyrifden Flachgräberform“ Ober: 
gingen, daß ſie auch „das Mitgeben von mehreren Beigefäßen“ entlehnten, 
„wie die Sitte, Seelenlöcher anzubringen“, daß „ſelbſt auf keramiſchem Gebiet 
. . . lngleichungen“ ſtattfanden, wobei „die illyriſche Kultur meiſt die gebende 
war“, dann hat man bei der beiden Kulturen eignenden Gemeinſamkeit der 
„meiſten Schmuckſtücke, Toilettengegenſtände, Waffen und Werkzeuge“ eigent: 
lich nicht den Eindruck, daß die Illurier die „hörige Bevölkerung“ geweſen 
ſinds). Im Gegenteil! Weiter: je ſchwerer wir die einzelnen Komponenten 
der neuen Mifdfultur durch die Bodenfunde zu erfaſſen vermögen, deſto 
mehr werden wir damit zu rechnen haben, daß fie von längerer Dauer ge: 
melen (H. Don einem Ende derſelben werden wir erſt dann ſprechen dürfen, 
wenn innerhalb der bisherigen Grenzen der Miſchkultur eine neue Kultur 
archäologiſch gut greifbar geworden iſt. 

Mutatis mutandis dürften ſich aber die ſchleſiſchen Derhältniffe auf 
Sachſen übertragen laſſen, auch ohne daß wir eine abſolute Chronologie 
der Billendorfer Keramik beſitzen, für welche unſere Stetzſcher Gräber von 
erheblicher Bedeutung find. Die ſächſiſchen Verhältniſſe während der 
Latenezeit würden dann folgendermaßen erklärt werden können: 

Abgefehen von einigen wenigen rechtselbiſchen Latenefunden (Gohlis 
bei Rieſa, Nünchritz, Okrilla, Röderau und Zeithain) bildet die Elbe die 
Grenze zwiſchen weſtgermaniſchem Dolkstum und weſtgerma— 
niſch-illyriſcher Miſchbe völkerung. Das linkselbiſche Gebiet, nach 
Ausweis der Sundfarte an und für ſich ſchon arm an illyrijcher, d. h. Billen— 

d 6. Typenfartenberidt, Berlin 1914, S. 696. 

2) Mitt. prähiſt. Kom., Bd. 2, Nr. 5, 1915, S. 358. 

) Zur Geſchichte der keltiſchen Wanderungen in: Ifdkl., Bd. 42, 1898, S. 129ff. 

) Tadenberg, K., a. a. G., S. 154f. 

) Dal. dazu die Ausführungen W. Schmids, Mitt. präh. Rom., Bd. 2, Nr. 3, 


1915, S. 280 betr. Dermijdyung einer numeriſch bel ca keltiſchen herrenbevölkerung 
m den erbgeſeſſenen illyriſchen Einwohnern; ferner L. Sran3, Germania, XI, 1927, 


136 Georg Bierbaum [10 


dorfer Bevölkerung wird durch immer neuen Juſtrom im Derlaufe 
der Latönezeit unter vollkommener Hufſaugung aller etwa noch 
zurückgebliebenen illyriſchen Dolksreſte immer mehr weſtger— 
maniſch. 


Ganz anders im oſtelbiſchen Gebiet, im Bereich der ſächſiſchen 
Oberlauſitz, wo von Anfang an illuriſches Volkstum in reicher Fülle durch 
die von Oſten ins Land kommenden Billendorfer ſich ausbreitete. Gewiß 
iſt es auch hier, wie die Funde von Klix und Kleinſaubernitz beweiſen, zu 
einer Dermifchung mit weſtgermaniſchen Zuwanderern gekommen. 
Jedoch dominierte hier das Illyriertum ſo ſtark, daß uns die 
weſtgermaniſche Beſiedlung während der Latönezeit in illyri— 
ſchem, d. h. in Billendorfer, Gewande entgegentritt. Der ge⸗ 
ſicherte Fund einer einzigen Laténe C oder D-Sibel in einem oſtſächſiſchen 
Billendorfer Grab würde zum Beweis dieſer 
Darlegungen ausreichen. 


In dieſer Verbindung möchte ich hier 
noch auf einen Fund hinweiſen, der auf dem 
Gelände des Gartenbaubetriebes Max Jiegen⸗ 
balg in der Slur Dresden=Leuben zutage fam. 

Ende Sebruar 1926 wurde etwa 85 m nord weſtlich 
und 20 m e des ſüdweſtlichſten Betriebs gebäudes 
beim Pflügen in etwa 40 cm Tiefe das Fragment des 
Unterteiles (und ein einzelner Wandſcherben) von einem 
geben E freigelegt und vom Obergärtner Karl 

eichter geborgen. Der Boden des Fragmentes iſt leicht 
abgeſetzt und durchgebogen, die Oberfläche außen ſchoko⸗ 
ladebraun mit ſchwarzen Tönen, geglättet; innen grau⸗ 
braun, eben. Das Bruchſtück enthielt einen harten Klumpen 
von Brandknöcheln und Aſche, ferner die eiſerne Sibel 
(Abb. 14) ſowie zwei Reſte eines Armringes aus Bronze 
von unſummetriſchem, bifonverem Querſchnitt. Das 
Abb. 14. Dresden⸗Ceuben. Material befindet ſich als Geſchenk der Herren Ziegenbalg 
1. im Staatlichen Muſeum für Dorgeſchichte in Dresden. 


Die Sibel (H eine zweiteilige Armbruftfibel 
mit breiter, dünner Spitze, Spiralachſe, die in Knöpfen endigt, und band⸗ 
förmigem, bogenförmigem Bügel von ovalem Querſchnitt. Der Fuß mit 
der Raft ijt zum größten Teil verloren. Eine ſchadhafte Stelle auf der höhe 
des Bügels könnte darauf hindeuten, daß der zurückgebogene Suk den Bügel 
berührt hätte (Mittel-Laténe =Schema!). Eine Spiralhälfte iſt ſtark 
beſchädigt. 

Derſchiedene Grabungen G. Neumanns auf dem Gelände, die Ende 
März 1928 zu einem vorläufigen Abſchluß gelangt ſind, haben ergeben, daß 
es ſich um ein rein billendorfiſches Gräberfeld handelt. Und innerhalb 
der ſüdlichen Randzone dieſes Gräberfeldes — alſo nicht am Rand! — 
liegt inmitten anderer Billendorfer Gräber unſer Fibelgrab als Nr. 36 des 
Planes. Es iſt außerordentlich zu bedauern, daß Gefäß und Fibel ſo ſchlecht 
erhalten ſind, daß eine abſolut einwandfreie Datierung ausgeſchloſſen iſt. 
Wir würden ſonſt vielleicht in der Lage! geweſen ſein, zu beweiſen, daß 
die Billendorfer Kultur bis etwa 200 vor Chr. heruntergereicht hat. 

Jedenfalls müſſen wir danach die Billendorfer Kultur Sachſens in 
geringerem Maße für den Weſten, in erheblichem Umfange für den Oſten — 
die Elbe als Grenze gerechnet — ebenſo als eine retardierende hallſtatt— 


11] Zur Srage nach der Enddatierung der Billendorfer Kultur in Sachſen 137 


oder Späthallſtattkultur anſehen, wie das von W. Schmid e H Mahr ), 
von G. Berſu und p. Goeßler s) und von G. von Merhart ?) für das 
Bacherngebiet in Steiermark, für Oberöſterreich, die ſchwäbiſche Alb und 
Tirol geſchehen iſt. 

Und ſoviel Schleſien angeht, ſollte ſich nicht auch hier im Sinne dieſer 
und der Tackenbergſchen Ausführungen die Möglichkeit ergeben, die Kluft 
zu überbrücken, „die zwiſchen der Geſichtsurnenkultur und der jpätlatöne- 
zeitlichen der Brandgrubengräber liegt?“ 


1) Mitt. E Kom., Bd. 2, Nr. 3, S. 301. 

3) Mitt. ee Kom., Bd. 2, Nt.3, S. 309. — nach 3. S3ombathy, MAGD., 
XVIII, 1888, 5. (93), der als eriter , ‚auf die ganz charakteriſtiſche Erſcheinung, daß die 
ſüdalpinen Funde der Latenezeit mit einer ganz augenſcheinlichen Deripätung 0 5 es 
aufmerkſam gemacht“ hat —; ferner a. a. O., S. 358f. 

Sundb. Schwaben, N. F., II, 1924, S. 102. 
) Wien. Präh. Jeitſchr., XIV, 1927, S. 106— 108, bef. S. 107. 


Die „Schwurſchwerter“ der Wartburg — 
Taleae ferreae. 


Don Alfred Götze, Berlin. 
Mit 2 Abbildungen im Tert. 


— 


Ein Laténefund eines auf dem europäiſchen Kontinent äußerſt ſeltenen 
Typus dürfte das Intereſſe der Vorgeſchichtsforſcher und insbeſondere unſeres 
Jubilars finden. Er iſt in der vorgeſchichtlichen Literatur noch nicht eingeführt, 
obgleich er ſchon vor etwa 80 Jahren gehoben wurde und in der hiſtoriſchen 
Literatur eine Rolle ſpielt — freilich in ſeiner wahren Bedeutung unerkannt. 
Eine beſondere Note bekommt er dadurch, daß er an einem jedem Deutſchen 
wohlbekannten und jährlich von Caujenden beſuchten Ort zutage kam und 
E aan wird und daß er mit einer ebenſo bekannten Sage Ger: 

üpft iſt 
: Es ſind die fog. Schwurſchwerter oder muthiſchen Schwerter der Wart⸗ 
urg. 

Erinnern wir uns kurz der Sage 1): Ludwig der Springer kam auf der 
Jagd in die Gegend von Eiſenach und rief in Betrachtung des ſteilen Seljen- 
berges: „Wart' Berg, du ſollſt mir eine Burg werden!“ Der Berg gehörte 
aber nicht ihm, ſondern den herren von Frankenſtein. Da ließ er des Nachts 
von ſeinem Grund und Boden in Körben Erde hinauftragen und auf dieſer 
eine Burg bauen. Darauf wurde er von den Herren von Frankenſtein ver⸗ 
klagt und ihm der Eid zugeſchoben, ſein Eigentum zu beſchwören. „Da erkor 
der Graf ſeine zwölf Ritter zu Eideshelfern, trat mit ihnen auf den Berg, 
ſteckten ihre Schwerter in die zuvor hinaufgetragene Erde und ſchwuren, 
daß ihr Herr, Graf Ludwig, auf dem Seinen ſtände und ſchon von Alters dieſer 
Boden zum Lande und zur herrſchaft von Thüringen gehört habe. Damit 
behielt er den Berg“. Soweit die Sage. Die Wartburg wurde von Ludwig 
dem Springer in den Jahren 1067 bis 1070 erbaut. 

Auf Anregung der Großherzogin Maria Paulowna beſchloß ihr Sohn, 
der damalige Erbgroßherzog und ſpätere Großherzog Carl Alerander von 
Sachſen in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts den Wiederaufbau der 
Worf verfallenen Burg, von der nur noch wenige Gebäude jtanden. Als Dor: 
arbeit wurden 1845 und 1846 durch den Wiedererbauer der Wartburg, 
Dr. H. v. Ritgen und den Burghauptmann B. v. Arnswald Ausgrabungen 
zur Gewinnung von Bauteilen und Aufdeckung der Fundamente vorgenommen 
und der Schutt — ungefähr 7000 ebm — von der Burgfläche entfernt. Dabei 


1) Ludwig n Der Sagenſchatz und die Sagenkreiſe des Thüringerlandes. 
1. Teil. 1855. S. 25 f. 


2) Die „Schwurſchwerter“ der Wartburg — Taleae ferreae 139 


fand man, wie die Berichte jagen, 13 eiſerne Schwertklingen, die als die in 
der Sage genannten Schwurſchwerter angeſehen wurden. v. Ritgen äußert 
ſich hierüber folgendermaßen: „Merkwürdigerweiſe hat man vor mehreren 
Jahren in einem in den Felſen gehauenen Coche auf der Burg 13 halb⸗ 
zerſtörte Schwerter älteſter Form gefunden, welche mit einem Drahte vm: 
wunden waren. Sollten fie nicht zum Andenken jenes Schwures dort verſenkt 
worden fein?” 1), In dem großen Wartburqwerk ) berichtet der Großherzog 
Carl Alexander etwas ausführlicher: „Der merkwürdigſte Fund von allen 
ift aber der von 13 Ritterſchwertern geweſen, welche, mit Draht zuſammen⸗ 
gebunden, in der Mitte des rte in der Nähe des größten Turmes in 
einem Coch im Felſen gefunden wurden. Herr v. Ritgen war auf den glück⸗ 
lichen Gedanken gekommen, den Hof des Schloſſes ausgraben zu laſſen. 
hierbei fand man eine Menge Brandſchutt und plötzlich jene Schwerter... 
Als ich nach gethanem Funde auf die Wartburg kam, hob ich mit meinem 
Sohne die 13 Schwerter empor und legte ſie ſamt dem Draht in die unter 
Glas verwahrte Platte eines Tiſches in der Kemenate der hl. Eliſabeth nieder, 
wo fie noch find” 2). In Abjdnitt 10 des Wartburgwerkes ſchreibt Baum⸗ 
gärtel anſcheinend auf Grund der Monatsrapporte v. UA rns walds: „In 
dem mittleren Hofraum zwiſchen Brauhaus und Palas, ungefähr vor der 
Mitte des letzteren, wurde unter dem Schutt eine in den Felſen eingehauene 
quadratiſche Vertiefung von etwa 4 m Seitenlänge entdeckt, innerhalb 
deren ſich jene 13 Schwertklingen fanden“). Schließlich Paul Weber im 
Abjdnitt 12: „Don den wenigen, jetzt auf der Wartburg aufbewahrten Aus- 
grabungsfunden aus der Jeit der Wiederherſtellung ſind die intereſſanteſten 
die 15 mittelalterlichen Schwertflingen..... Alle 13 waren bei der Auffin- 
dung durch Draht zu einem Bündel zuſammengeſchnürt. Dieſe Umſchnürung 
und der Umſtand, daß die Klingen augenſcheinlich nie „gefaßt“, d. h. mit 
Griffen verſehen geweſen find, legen die Vermutung nahe, fie könnten in 
alter Zeit durch irgendeinen Zufall aus der Rüſtkammer der Burg verloren 
gegangen fein. Der Form und Cechnik nach ſcheinen fie dem 13. Jahrhundert 
anzugehören“ 5). Seit der Auffindung lebten die Klingen in der waffen: 
kundlichen Literatur ®) als die Schwurſchwerter Ludwigs des Springers, bis 
Karl Rötſchau“) dem ein Ende machte in einer Beſprechung des Werkes 
von Diener-Schönberg (Die Waffen der Wartburg, 1912), indem er den 
Derfafjer lobte, daß er den muſteriöſen Fund der fog. Schwurſchwerter ous: 
ſchloß, „da ſie nur der Phantaſie der Romantiker des 19. Jahrhunderts ihre 
Deutung und wahrſcheinlich auch ihre Entſtehung verdanken“. 


d Dr. H. v. Ritgen: Der Sührer auf die Wartburg. Leipzig. 3. Aufl. 1876. 
(1. Aufl. 1859.) 

2) Die Wartburg, ein Denkmal deutlicher Geſchichte und Kunft. Dem deutſchen Volke 
gewidmet von Großherzog Carl Alerander von Sachſen, dargeſtellt in Monographien von 
Carl Alerander, Großherzog von Sachſen-Weimar-Eiſenach, Richard Doß.- Carl 
Wenck, paul Weber, Ernſt Martin, Wilhelm Oncken, Max Baumgärtel, 
Otto v. Ritgen, Auguft Trinius. Berlin 1907. 

) Ebenda S. 10, mit Abbildung eines der Schwerter. 

4) Ebenda, S. 298. 

5) Ebenda, S. 596. 

3) Erwähnt fei: Graf Wilczek, Erinnerungen eines Waffenſammlers. Wien 1908 
(2. Aufl.), weil er S. 5 eine Dariante über die Sage und die Auffindung bringt: 12 Schwerter 
aus der Wende des 11. Jahrhunderts ſeien ftrablenförmig liegend aufgefunden worden 
und ein reicher verziertes Schwert in der Mitte ſenkrecht in der Erde ſtecken. — Ein Beiſpiel 
für die noch in der Gegenwart lebendig geſtaltende Kraft der Sage. 

7) Zeitſchrift für hiſtoriſche Waffenkunde. VI, 1912-1914, S. 71. 


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13 


12 


11 


10 


Abb. 1. 


4) Die „Schwurſchwerter“ der Wartburg — Taleae ferreae 141 


Was hat es nun mit diefen merkwürdigen Klingen für eine Bewandnis? 
Gehörten fie Ludwig dem Springer und jeinen Eideshelfern, ſind es über⸗ 
haupt „mittelalterliche“ Schwerter des „11. Jahrhunderts“ oder Erzeugniſſe 
des „19. Jahrhunderts“ — oder etwas ganz anderes? 

Im Sommer 1909 hatte ich durch die Güte des Oberburgha tmanns 
Freiherrn v. Cranach Gelegenheit, die „Schwurſchwerter zu ſehen. Sie 
lagen nebſt Stücken des Drahtes in der Remenate noch ba dem CTiſchkaſten, 
in den der Großherzog Carl Alexander fie hineingelegt hatte. 

Die folgende Beſchreibung ſtützt ſich auf die damalige Beſichtigung und 
die Photographieen, für die ich herrn v. Cranach dankbar bin und nach 
denen die hier wiedergegebenen Abbildungen 1 (Nr. 1—13) hergeſtellt iſt; die 
Maße und Gewichte verdanke ich herrn Burgwart h. Ne be. Don den dreizehn 
Klingen find elf Stück (Nr. 1—11) ſtark verroſtet und befinden ſich in einem 
Zuſtand, in dem die Subſtanz in abbröckelnde platten ſich aufzulöſen beginnt; 
ſolche abgeſplitterte Stücke A in ziemlicher Menge im Raſten bei den 
Schwertern. Obgleich der Oxudationsprozeß ziemlich weit fortgeſchritten 
iſt, enthält doch der Kern metalliſches Eiſen in nennenswerter Menge. Yaffe 
Tröpfchen en ſich nur in verſchwindender Anzahl, fo daß man annehmen 
kann, daß der Aufbewahrungsort verhältnismäßig günſtig iſt und die ſtarke 
Verroſtung nicht erſt nach der Auffindung, ſondern vorher vor ſich gegangen 
iſt. Ganz anders verhalten ſich die beiden Klingen Nr. 12 und 13. Ihre 
Oberfläche ijt nicht rauh, es fehlt vollſtändig die Neigung zum Abiplittern 
und die Verroſtung dringt nicht in die Tiefe. Die Ecken und Kanten find 
ER überhaupt machen die beiden Stücke einen weſentlich friſcheren 

indruck. 

Die Sorm der „Schwurſchwerter“ iſt die einer langgeſtreckten dünnen 
Lamelle, die einer Schwertklinge mit Griffangel ähnelt. Der Eindruck kommt 
dadurch zuſtande, daß in 10—20 em Abſtand vom oberen Ende beide Ränder 
nach einer Seite hin umgelappt ſind, wie es bei den bronzenen Lappenärten 
aber auch an manchen Eiſengeräten der Latönezeit (Arte, pflugſchare, Piden 
u. dgl.) der Soll ijt, um eine Schäftung zu befeſtigen; Holzſpuren find indeſſen 
an den „Schwurſchwertern“ nicht zu bemerken, die Umlappung iſt für einen 
ſolchen Zweck auch viel zu gering und manchmal überhaupt nur leicht ange⸗ 
deutet. Durch dieſe Abſchnürung des oberen Teils wird der Eindruck einer 
Griffangel hervorgerufen und das Schwertartige wird weiter dadurch betont, 
daß von der breiteſten Stelle aus, die wenig unter der Umlappung liegt, 
die Klingen ſich nach oben und unten verjüngen; ſie endigen unten, ſoweit 
erkennbar, ſtumpf. Die Seitenränder bilden keine Schneide. 


= 
a 


Länge | ar. Breite | Gewicht Nr. Länae gr. Breite Gewicht 


] 97 cm 5,7 cm 750 g 7 88 cm 4,4 cm 700 g 
2 88 „ 5,5 750 „ 8 95 „ 5,3, 750 
3 80 „ St 650 „ 9 „ I 750 „ 
4 790 „ Ap ` 500, 10 84 , 4,8 625 
5 N 500 „ 11 68 „ | 50 400 „ 
6 95 „ | 6,0 „ 750 „ 12 91 | an 425 „ 
13 75 | 57, 325 


Sür die Materialuntetſüchung, die herr Prof. Dr. hanemann an der Lechniſchen 
e Charlottenburg dankenswerter Weiſe ausführte, ſtanden nur einige abgebrödelte 
ſtſtücke von den Schwurfchwertern und ein Stückchen Draht von der 506 Umwick⸗ 
lung zur Verfügung. Der Draht beſteht aus Schweißeiſen und iſt gezogen. Die Analyje 


142 Alfred Götze [5 


des Roſtes ergab: Eiſen 62,40°/,, Silizium 1,04%, Mangan 2,46%/,, Phosphor 0,070*/,, 
Schwefel 0,068%/,. — Da Silizium und Mangan in derartigen Stählen nicht über etwa 
0,1 bis 0,3% vorkommen, muß man annehmen, daß aus dem Roſt viel Eiſen ausgelaugt 
iſt. Das Ergebnis iſt daher für die archäologiſche Beurteilung nicht verwendbar. 


Daß dieſe Gegenſtände Nr. 1—11 (12—13 ſcheiden vorläufig aus der 
Erörterung aus) die Schwerter Ludwigs des Springers und ſeiner Ritter, 
daß es überhaupt mittelalterliche Schwerter ſind, hat Rötſchau mit Recht 
abgelehnt, denn etwas ähnliches gibt es im Mittelalter nicht. Daß ſie aber, 
wie er meint, neuzeitlich ſeien, halte ich wegen Art und Grad der Oxudation 
für ausgeſchloſſen. Vielmehr entſprechen ſie vollkommen einem der vorge⸗ 
ſchichtlichen Archäologie wohlbekannten Typus, nämlich den keltiſchen 
ſchwertförmigen Geldbarren aus Südengland (vgl. Abb. 2). Die Über⸗ 
einſtimmung iſt derart, daß ein Zweifel an der Identität nicht möglich iſt. 

Dieſe engliſchen Barren (currency-bars), mit denen Reginald A. 
Smith!) ſich eingehend beſchäftigt hat, kommen im mittleren Teil Süd⸗ 
englands in einem Gebiet, das etwa durch die Punkte Portsmouths, Nort⸗ 
hampton, Malvern und Torquay umgrenzt, wird, in großer Menge vor, 
häufig als zuſammen⸗ 
gepackte Schatzfunde von 
manchmal hunderten 
von Exemplaren. Der 
größte Fund ijt der von 
Meon Hill (Gloucefter- 
ſhire), wo im Jahre 1824 
in der Mitte der Be⸗ 
feſtigung 394 Stück auf 
einem haufen gefundne 
wurden. Bei Malvern 
(Worceſterſhire) lagen 
150 Stück zu einer feſten 
Maſſe zuſammengeroſtet 3 Fuß tief mit Steinen bedeckt (1856). Im nächſten 
Jahre fand man einige Meter davon ein weiteres Depot mit ebenfalls 150 
Stück. Bei Bourton-on-the- Water (Glouceſterſhire) auf einem „the Camp‘, 
genannten Platz lagen 147 Stück dicht zuſammengepackt 114 Fuß tief, dabei 
ſollen Reſte einer Kijte (box) geweſen ſein. Bei ham Hill (Hamdon, Somerſet) 
wurde im Mai 1845 eine große Anzahl ausgepflügt. Zwiſchen der Befeſtigung 
von Holne Chaſe bei Ajhburton (Devon) und dem Dartfluß ſtieß man 1870 
beim Kaninchengraben auf 1 Dutzend Stück, zuſammengepackt auf einem Stein 
und mit einem andern bedeckt. In der Befeſtigung von Hod hill (Dorſet) 
17 Stück. Bei Maidenhead (Berfs) an der Themſebrücke um 1894 ein 
Bündel von 7—8 Stück. Bei St. Lawrence (Dentnor) 2 Stück 6 Fuß tief 
in einem Selsjpalt (1880). Als weitere undſtellen ſolcher Eiſenbarren werden 
genannt Spettisbury (Dorſet, bekannt als Crawford Caſtle), Wincheſter 
(Hants), Glaſtonbury (Somerſet), Hunsbury (Danes Camp, Northants), 
Littleton bei Evesham, der Cyneham barrow bei Chipping Norton (OGxford⸗ 
ſhire) und wahrſcheinlich ein zweiter Fund aus der Themſe (im Muſeum 
in Aylesford). 

1) Proceedings of the society of antiquaries of London 2. Ser., Vol. XX, S. 179 
bis 194; Vol. XXII, S. 58, 337—343; British Museum. A Guide to the Antiquities of 
the Early Iron Age (1905), S. 148 f. — Dal. auch Déchelette: Manuel II, 3. Teil, Seite 
1557 ff.; Regling: Art. „Geld“ in u Realenzuklopädie und in Eberts 


Reallexikon der Dorgeſchichte; Bremer: Art. „Eiſenbarrenfunde“ in Eberts Reallexikon 
der Vorgeſchichte. 


6] Die „Schwurſchwerter“ der Wartburg — Taleae ferreae 143 


Für die Zeitbeſtimmung wichtig find die beiden Barren von Glaſton⸗ 
bury, weil fie von der rein ſpätlaténezeitlichen Zumpfſiedlung herrühren; 
ferner der Sund von Spettisbury!), wo fie als Beigaben in einem Friedhof 
der ſpäten Laténezeit innerhalb der vorgeſchichtlichen Befeſtigung vorkommen. 
Aus älteren Perioden oder der römiſchen Kaiſerzeit ijt kein einziger Fund 
bekannt, fie müſſen alſo der ſpäten Laténezeit zugewieſen werden. 

In dieſen engliſchen Barren hat man die von Caeſar (Bell. Gall. V, 12) 
erwähnten Taleae ferreae erkannt. Er ſagt von den Einwohnern Bri⸗ 
tanniens: „Utuntur (aut aere) aut nummo aureo aut taleis ferreis ad certum 
pondus examinatis pro nummo“. Auf Grund von Wägungen zahlreicher 
ſchwertförmiger Barren und durch Heranziehung anderer alter Gewichte hat 
R. A. Smith ein Einheitsgewicht von 309 g aufgeſtellt und danach die 
Barren in vier Gewichtsklaſſen im Verhältnis von ½: 1: 2: 4 eingeteilt. 
Daß das Gewicht der einzelnen Barren ſchwankt, kann ER weiteres als 
Solge verſchiedener Orydation angejehen werden. Smith hat aber aud 
noch eine andere Erklärung gefunden. Indem er bei einer gewiſſen Anzahl 
eine genaue Übereinſtimmung des Geſamtgewichts mit ſeinem Einheits⸗ 
gewicht, zugleich aber Schwankungen der Individualgewichte feſtſtellt, möchte 
er daraus ſchließen, daß das Rohmaterial für eine gewiſſe runde Anzahl 
Barren genau abgewogen wurde, aber dann die Abtrennung der Subjtan3 
für den einzelnen Barren durch den Schmied nach roher Schätzung erfolgte. 
Don einer Erörterung des Gewichtes der „Schwurſchwerter“ im Dergleid 
mit den engliſchen Barren ſehe ich nicht nur mit Rückſicht auf den verfüg⸗ 
baren Raum ab, ſondern auch, weil ihr Erhaltungszuſtand die Gewichtszahlen 
weſentlich beeinflußt haben muß. Jedenfalls laſſen ſie ſich nicht ungezwungen in 
das engliſche Gewichtsſyſtem einreihen. Es empfiehlt ſich auch, erſt die Bekannt⸗ 
gabe des anderen thüringiſchen Sundes durch Schulz (ſiehe unten) abzuwarten; 
vielleicht bilden fie mit dieſem ein anderes, kontinentales Gewichtsſuſtem. 
Ihrer Größe nach ſtellen ſie ſich an die Seite der längſten britanniſchen Barren. 

Während die „Schwurſchwerter“ zweifellos keltiſche Geldbarren der 
ſpäten Laténezeit find, bleibt noch zu klären, wie ihr Vorkommen auf der 
Wartburg zu beurteilen iſt. Ich komme da zurück auf die beiden Stücke Nr. 12 
und 13. Wie ſchon geſagt, weicht ihr Erhaltungszuſtand ſo erheblich von 
dem der übrigen ab und macht einen ſolch friſchen Eindruck, daß ein alter 
Muſeumspraktiker ihnen nicht das hohe Alter der anderen zuſchreiben kann, 
ſondern ſie für recht jung halten muß. Dasſelbe gilt von dem Draht, mit dem 
der Fund angeblich umwickelt war. Huch er ijt nur oberflächlich oxudiert 
und kann ſchon aus dieſem Grund unmöglich keltiſchen Urſprungs ſein, ganz 
abgeſehen von der Frage, ob die Catènekelten gezogenen Eiſendraht beſeſſen 
haben. Uber ſelbſt Draht aus dem 11. Jahrhundert, der 800 Jahre in der 
Erde gelegen hat, würde anders ausſehen. Irgend etwas iſt alſo nicht richtig 
mit dem Fund, und der Wunſch, dem Großherzog die Schwurſchwerter in 
der erforderlichen Anzahl 13 zu präjentieren, wird wohl der Vater der Klingen 
Nr. 12 und 13 geweſen fein, wozu dann der Draht als Zugabe kam. Wenn 
aber einmal eine Korrektur des Sundes vorgenommen wurde, muß man 
ernſtlich und ohne Doreingenommenheit prüfen, wie weit ſie gegangen iſt. 
Beſonders intereſſiert die Frage, ob die echten alten Barren tatſächlich auf 
der Wartburg in der Erde gefunden worden oder etwa engliſcher Herkunft 
ſind. Bedenklich iſt der Umſtand, daß das Fundgebiet der britiſchen Barren 


1) British Museum, A Guide to the Antiquities of the Early Iron Age, S. 124 f.; 
Ebert, Reallexikon der Vorgeſchichte, Art. „Crawford Castle“ (Bremer). 


144 Alfred Götze, Die „Schwurſchwerter“ der Wartburg — Taleae ferreae [7 


eng umſchrieben ijt auf einen Teil Südenglands; es wird beſonders hervor⸗ 
gehoben, daß fie in den dem Kontinent zunächſt liegenden öſtlichen und füd- 
öſtlichen Grafſchaften fehlen. Huch in Frankreich ſcheinen ſie nicht vorzu⸗ 
kommen, ſonſt wären fie Déchelette, der ſich ausführlich mit den engliſchen 
beſchäftigt 1), gewiß nicht entgangen. 

kindererſeits iſt aber zu erwägen: Wenn bei den Hufräumungsarbeiten 
auf der Wartburg überhaupt nichts derartiges gefunden worden wäre und 
man hätte, um dem Großherzog eine Freude zu machen, einen Schwurſchwerter⸗ 
fund frei konſtruieren müſſen, dann hätte man ſich doch mittelalterliche 
Schwerter verſchafft oder wenigſtens ſolche imitiert und nicht Lamellen ge⸗ 
nommen, die nur eine entfernte Ahnlichkeit mit Schwertern haben. Ich 
möchte es alſo für wahrſcheinlich halten, daß ein Sund von elf Eiſenbarren 
auf der Wartburg gehoben wurde, und dies gab die Anregung, ihn zu den 
13 Schwurſchwertern zu vervollſtändigen. 

Er ſteht übrigens nicht fo ifoliert da, wie es den Unſchein hat. Prof. 
Dr. W. Schulz- Halle macht mich auf einen noch unbekannten Fund von 
5 Eiſenbarren der Wartburgform von heiligenſtadt im nordweſtlichen Thü⸗ 
ringen aufmerkſam. Da er im Begriff iſt, ihn zu veröffentlichen, will ich 
ihm nicht vorgreifen und beſchränke mich auf dieſe Notiz. Ferner erinnert 
er an die Sunde von der Altenburg bei Niedenſtein, Bez. Heffen-Kaffel 2) 
und von Gettenau, Oberheſſen ). Bei den Niedenſteiner ſechs Exemplaren 
iſt zwar die Klinge bedeutend ſchmäler ausgezogen als bei denen von der 
Wartburg, im übrigen aber ſtimmen ſie ſoweit überein, daß man ſie ihnen 
unbedenklich an die Seite ſtellen kann; mit der Altenburg freilich kann man 
fie nicht ohne weiteres zuſammenbringen, wie Hofmeiſter es tut, denn der 
Fundort liegt 3 km von ihr entfernt; Beifunde fehlen. Die 10 Exemplare 
von Gettenau, die einem großen Fund mit vielen anderen Dingen angehören 
(nach Anthes Mitte des 2. Jahrh. nach Chr.) möchte ich nicht, wie Anthes 
meint, für Pflugſchare, ſondern auch für Barren halten. Sie weichen aber 
ſo ſtark von der Wartburgform ab, daß ſie einen anderen Barrentypus reprä⸗ 
ſentieren. Da ich hier keine Abhandlung über Barren geben, ſondern nur den 
Wartburgfund bekannt machen und beſprechen will, können ſie aus der 
Betrachtung ausſcheiden. Dasſelbe gilt von den bekannten ſchweren Schweizer 
Eiſenbarren (3. B. Heierli, Urgeſchichte der Schweiz, S. 331, Sig. 320), die 
man als Halbfabrikate für Schwerter zu deuten pflegt. 

Nimmt man den Wartburgfund als authentiſch an, dann tritt ſofort 
ein neues Moment in den Vordergrund, nämlich die Frage, ob auf der Wart- 
burg eine keltiſche Gipfelburg beſtanden hat. Sie würde dann der nördlichſte 
Vorpoſten der befeſtigten keltiſchen Grenzzone fein ). Allerdings beſteht kaum 
Hoffnung, etwaige Rejte von ihr zu finden, denn der Rand der Burg ift ſpäter 
mit Gebäuden vollſtändig beſetzt geweſen und die Erde der Burgfläche iſt 
bei den Reſtaurierungsarbeiten bis auf den Felſen abgetragen worden. In— 
ſofern würde ſich der Barrenfund gut eingliedern, als auch die engliſchen 
Depots öfter in einem Burgwall vergraben worden ſind. 


1) Manuel II, 3. Teil, S. 1558 ft 

2 2 RU Römiſche Pflugſcharen? at I, 1917, S.42—43, Abb. 2). 

) E. Anthes: Jahresbericht der Denkmalpflege im Großherzogtum Dellen, 1910 
bis 1913 (1914), S. 50, Taf. 4; Derſelbe: VII. Bericht der Römiſch⸗germaniſchen Rom⸗ 
miſſion 1912 (1915), S. 157—158, Abb. 78. | 

4) A. Götze: Die vorgeſchichtlichen Burgen der Rhön und die Steinsburg. Mannus II, 
Erg.⸗Bd. (1911), S. 11ff., S. 86ff. Derſelbe: Die Steinsburg bei Römhild. Prähiſt. 
Zeitichr. XIII (1921), S. 25 ff. 


Eine Silberfibel der ſpätrömiſchen Zeit von Leuna, 


Kr. Merſeburg. 


Ihre Einordnung und Bedeutung. 
Don Walther Schulz. 
Mit 12 Abbildungen im Text. 


Dem hochverehrten Altmeiſter gedachte ich Tabellen zur Caténezeit 
Mitteldeutſchlands, das Ergebnis jahrelanger Urbeit, zu überreichen. Leider 


=o 


-- e — — — 


Abb. 1. 1. 


aber können dieſe fertiggeſtellten Tabellen jetzt noch nicht gedruckt werden. 
So bringe ich nur eine kleine Gabe dar. 

Unſere Silberfibel, Abb. 1, wurde bei Erdarbeiten von einem Arbeiter 
gefunden und bildete den Anlaß zu der Grabung im Frühjahr 1926, der wir 
verſchiedene, 3. T. ſehr reich ausgeſtattete Gräber dieſes ſchon bekannten 


Mannus, Jeitſchriſt für Vorgeſch., VI. Era.-Bd. 10 


146 Walther Schulz [2 


Begräbnisplaßes einer Adelsfamilie verdanken ). Die Nachunterſuchung an 
Stelle des zerſtörten Grabes ergab noch eine Gruppe von drei Tongefäßen, 
darunter eine Terra sigillata-Schale, Reſte eines Glasgefäßes, Sporen und 
Pfeilſpitzen aus Silber, Bronzeſchnalle, kleine Bronzereſte und einen Kamm. 
Es handelte ſich alſo um ein Mannesgrab. 

Die Silberfibel gehört zu Almgrens Gruppe VI, 2, zu den Fibeln, 
die aus der Fibel mit umgeſchlagenen Fuß hervorgegangen find 2); die Ver⸗ 
doppelung der Spirale kennzeichnet fie als Zweirollenfibel. Die obere Spirale 
iſt, wie bei dieſen Sibeln üblich, an Stelle der Sehne der Urmbruſtfibel ge⸗ 
treten. Die Achjen der Spirale beſtehen aus Bronze (oder Kupfer), auf fie 
iſt urſprünglich jederſeits ein Endknopf aufgeſteckt geweſen, der jedoch an 
der einen Seite bei beiden Spiralen abgebrochen iſt. Die übereinander ſtehenden 
Endknöpfe find an ihrer ausgekehlten Baſis mit einem S-förmig geſchlungenen 
geperlten Draht verbunden. Der Sibelfopf trägt gleichfalls auf einem aus dem 
Adjenbalter hervorſtehenden Dorn einen aufgeſteckten und durch Derhamme- 
rung des Dornendes befeſtigten Knopf, der in einer Rille der Baſis einen 
horizontal gerillten und quergekerbten Draht führt. Der Bügel trägt in der 
Mitte eine wohl aus dem Bügel herausgeſchmiedete ovale 
Erweiterung, die urſprünglich mit einer Auflage beſetzt war. 
Der ovale Umriß dieſer Auflage iſt noch auf der Platte zu 
erkennen. Aus Vergleich mit ähnlichen Sibeln können wir 
ſchließen, daß die Huflage aus gewölbtem, wahrſcheinlich 
blauem Glasfluß beſtand, der noch mit geperltem Draht ein⸗ 
gefaßt war. Durch dieſe Ausfchmüdung ſtellt fic) unſere Sibel 
zu Fibeln aus dem weſtlichen Oſtſeegebiete und aus Mittel⸗ 
deutſchland, die am Fußende und mitunter auch daneben auf 
dem Bügel eine Scheibe mit Glasflußauflage tragen 3); an 
Stelle des Glasfluſſes tritt bei mitteldeutſchen Goldfibeln Edelſtein (Haßleben, 
Dwb. Weimar). Bei unſerer Leunaer Fibel iſt weiter der Bügel oberhalb 
wie unterhalb des Ovals mit geperltem Draht oder auch, am Kopfende, mit 
gedrehtem Draht beſetzt. Dieſer letztgenannte Draht liegt auf einer kleinen 
rundlichen Kopfplatte auf, deren oberer Rand zur Aufnahme des Drahtes 
ausgekehlt iſt. Dieſe Kopfplatte bildet zugleich die Unterlage für den zwei⸗ 
fach durchbohrten und, wie wir oben bemerkten, mit einem Dorn verſehenen 
Achjenhalter, der in der Mitte eine Einbuchtung zum Feſthalten des über⸗ 
ſpringenden Verbindungsdrahtes der oberen beiden Spiralen trägt (Abb. 2). 
Außerdem iſt der Bügel oberhalb wie unterhalb des Ovals noch mit je zwei 
Perldrahtgruppen geſchmückt. Jede Gruppe beſteht aus zwei nebeneinander 
gelegten Perldrähten, über deren Zwiſchenraum ein dritter Perlöraht gelegt 
ijt. Dieſer fehlt indes bei der Gruppe unmittelbar oberhalb des Ovals, 
vielleicht ijt er hier verloren gegangen. Mit einer leichten Stufe, die Quer- 
fehle und Querrille trägt, ſetzt der Fuß an. Der flachdachförmige Fuß ver— 
breitert ſich beiderſeits einſchwingend nach unten und ſchließt winkelig ab. 


1) Die letzten Grabungen erwähnt: Nachrichtenblatt für deutſche Vorzeit II, 1926, 
S. 26. Grabung 1916: 11 5 durch das Provinzialmuſeum Halle. S. 52, 53. Mannus— 
bibliothek Nr. 22 („25 Jahre Siedelungsarchäologie“), S. 96 und S. 102. Grab des Britiſchen 
Muſeums: Götze-höfer-Zſchieſche: Die vor- und frühgeſchichtlichen Ultertümer Thü⸗ 
ringens, S. 13f., S. 394. 

2) M. Almgren: Nordeuropäiſche Sibelformen. 2. Aufl. Mannusbibliothek Nr. 32. 

3) Z. B. G. Roſſinna: Nachrichten über deutſche Altertumsfunde, 1903, S. 59. 
E. Blume: Germaniſche Stämme zur römiſchen Raiſerzeit. Mannusbibliothek Nr. 8, 
S. 59. O. Almgren: a. a. O., Abb. 179, 180. 


3] Eine Silberfibel der ſpätrömiſchen Zeit von Leuna, Kr. Merſeburg 147 


Der Nadelhalter ift an der Unterſeite angeſetzt und reicht nach unten über 
die größte Breite des Fußes hinaus. 

Beſonders die kleine Kopfplatte, die etwa nierenförmige Grundform 
hat, macht unſere Fibel zu einem wichtigen Verbindungsglied unter be⸗ 
ſtimmten Sibeln der Gruppe Almgren VI, 2. 


Im Elbgebiete kennen wir einfachere Silberarmbruſtfibeln, deren Sub dem 
unſerer Fibel im weſentlichen gleicht, und die am oberen und unteren Teil 
des Bügelbogens je zwei Pan entſprechend den EE 
gruppen der Leunaer Sibel, tragen (jo Abb. 3). Daß diefe eine einfachere 
Dorform unſerer üppiger geſchmückten Sibeln von Leuna ijt, ſteht außer 
Zweifel. Der Erſatz der Urmbruſtkonſtruktion durch eine obere Rolle ijt der 
Anlaß, zur Derdedung des über dem Kopf hervortretenden Halters eine 
kleine Platte au en die 3ugleid) Träger für einen umgelegten oberen 
Schmuckdraht wird. Ohne eine derartige Derdedung erhält man eine weniger 
befriedigende Kopfgeitaltung, wie le die däniſche Silberfibel Abb. 4 zeigt, 
die aus der Erkenntnis der Unſchönheit der Ropfgeſtal⸗ 
tung zum Ausgang der nordiſchen Fibel mit rechteckiger 
Kopfplatte wird, wie Salin und Aberg nachgewieſen 
haben 1). Ich nehme alſo nicht 
mit Aberg an, daß bei dieſer 
Sibel eine etwa halbrunde Ropf⸗ 
platte als überflüflig verſchwunden 
ijt, ſondern daß fie keine Kopf- 
platte gekannt hat. In dieſer Hin⸗ 
ſicht iſt ſie alſo typologiſch noch 
vor unſere Ceunaer Sibel zu ſtellen, 
wohin fie auch die Form des | 
Nadelhalters weiſt; während ande⸗ Abb. 3. Elbgebiet. ). Abb. 4. Dänemark. !/,. 
rerſeits ihre Spiralen (ſchon?) von⸗ (Nach Almgren. Nad) Salin. 
einander abgerückt ſind, ſo daß 
eben durch die rechteckige Rahmenbildung die rechteckige Kopfplatte vor⸗ 
bereitet wird. 


Hier muß nun noch eine verwandte Goldfibelgruppe eingeſchaltet werden, 
die typologiſch auf derſelben Stufe ſteht. Es ijt zunächſt die Goldfibel von 
Sadrau, Schleſien Abb. 5 von derſelben Grundform wie unſere Leunaer 
Sibel; in Nadelhaltergeſtaltung aber iſt fie typologifd) älter und ſteht 3. B. 
der däniſchen Fibel Abb. 4 näher. Huch bei ihr ſchmücken je zwei goldene 
Perldrahtgruppen den oberen und unteren Teil des Bügels, zwiſchen ihnen 
liegen fein geflochtene Drähte. Jede der Perldrahtgruppen beſteht aus zwei 
nebeneinandergelegten Drähten mit einem darüber gelegten dritten geperlten 
Draht, der nur in der oberen Gruppe des unteren Bügelteils fehlt ). Bei 
einigen verwandten thüringiſchen Goldfibeln, die ſich allerdings beſonders in 
der mit Ovalplatte abſchließenden Jußgeſtaltung unterſcheiden, ijt bei gleicher 
Ausihymüdung des Bügels — wozu noch wie bei unſerer Leunafibel ein 
Mitteloval kommt — gleichfalls gerade die oberſte Perldrahtgruppe — ebenſo 


1) B. Salin: Altgermanifche Thierornamentik, S. 46 ff. N. Aberg: Franken und 
Weſtgoten in der Dölterwanderungszeit, S. 26ff. N. Aberg: Den nordiska folkvand⸗ 
ringstidens kronologi. S. 10ff. 

2) Die eu bei Salin 102a ift in dieſer Beziehung ungenau; vgl. dagegen 
die Abbildung Grempler: Der erſte Fund von Sadrau, Taf. V, 11a, 11b. — Ich gebe 
daher den Kopfteil noch einmal Abb.6 wieder. 


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Um 


10* 


148 Walther Schulz [4 


wie die unterſte am Jußanſatz — durch einen aufgelegten dritten Perldraht 

erporgehoben, fo daß auch hier die Rollenhalterkonſtruktion verdeckt wird 
(Goldfibeln von Haßleben, Dwb. Weimar, Muf. Weimar und angeblich Henſch⸗ 
leben, Kr. Weißenſee, Staatl. Muſ. Berlin). 

Eine Fortentwicklung aus der Richtung dieſer Goldfibeln und unſerer 
Silberfibel von Leuna gibt die Goldfibel von Sanderumgaard auf Fünen 
Abb. 7; auch bei ihr ijt die ſchon ſtark vergrößerte Kopfplatte, die mit Gold⸗ 
körnchen in Granulationstechnik beſetzt und mit umgelegtem goldenen Perl⸗ 
draht verſehen iſt, immer noch nierenförmig geſtaltet. Als nächſte Form nenne 
ich bei Berückſichtigung der Kopfplatte die Sackrauer Dreirollenfibel aus 
Silber mit Goldblechbelag Abb. 8 und dazu die Abbildungen bei Grempler: 
Der I. Sund von Sackrau, Taf. V, 9a, b; der II. Fund von Sackrau, Taf. III, 
1, 2; der III. Sund von Sackrau, Taf. VII, 3). Für manche Einzelheiten 
ſteht typologifd) zwiſchen dieſen Sackrauer Fibeln und den von Leuna und 


bb. 5. Sackrau, Abb. 6. Kopf zus Abb. 7. Abb. 8. 
Schleſien. ¼. Sibel Abb. 5. Fünen. ½. Sadrau. ½. 


Abb. 5, 7, 8 nach Salin. 


Sanderumgaard die hier auf Abb. 12 wiedergegebene Zweirollenfibel von 
Sackrau, bei der der Derbindungsdraht zwiſchen den beiden übereinander: 
liegenden Rollenenden ſchon durch eine Leiſte erſetzt ijt; jedoch vermute ich 
bei der Geſtaltung der Kopfplatte hier eine andere Beziehung und laſſe ſie 
daher zunächſt beiſeite. 

Dann erſt ſchließen ſich die beiden ſüdruſſiſchen Fibeln Abb. 9 und 10 
mit der etwa rund geſtalteten Kopfplatte an, die allerdings wieder vor der 
Ausbildung der dritten Rolle ſich abgezweigt haben müſſen. 

Alle die hier genannten Fibeln zeichnen ſich durch reichen Schmuck aus. 
Junächſt vollſtändig trennen möchte ich von ihnen in bezug auf den Urſprung 
der Kopfplatte die ſchlichten Sibeln mit halbrunder (unten gerade abſchließen⸗ 
der Kopfplatte), deren älteſtes Stück aus der Krim ich hier Abb. 11 wiedergebe. 


1) Aud) die golöbelegte Dreirollenfibel von Sadrau, Grempler: Der II. Fund von 
Sadrau, Taf. III, 3 ijt hier in hinblick auf die Kopfgeſtaltung zu nennen, doch gehört fie 
ihrer „Geſamtform nach zu Almgrens Gruppe IV, den „kräftig profilierten Sibeln“, 
die immer ſchon das Beſtreben zur Ausbildung einer Kopfplatte hatten, und von denen 
in älterer Zeit bereits beſonders ausgeſchmückte Formen aus germaniſchen Werkſtätten 
„ Neben dieſe Sackrauer Sibel tritt eine goldbelegte Dreirollenfibel derſelben 

ruppe von Litten, Ah. Bautzen: Abbildung Feſtſchrift zur 25-Jahrfeier der Geſellſchaft 
für Vorgeſchichte .. zu Bautzen, 1926, Taf. XVIII, 2 u. 3. 


5] Eine Silberfibel der ſpätrömiſchen Zeit von Leuna, Kr. Merſeburg 149 


Salin mag wohl recht haben, wenn er dieſe Kopfplatte von einer provinzial⸗ 
römiſchen Form) ableitet 2); mindeſtens kann ich es nicht widerlegen. 
Dieſe Fibeln ſetzen bei kurzer Spirale mit überragender Kopfplatte ein, Aus- 
ſchmückung mit Knöpfen und Drähten am Bügel iſt erſt ſpätere Zutat. Die 
Entwicklung läuft alſo hier ganz anders als bei unſerer reichgeſchmückten 
Gruppe. Die halbrunde Kopfplatte der Goldfibel von Sackrau Abb. 12 könnte 


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Abb. 9. Kiew. . Abb. 10. Tichernigow, Rußl. !/,. 
Nad Salin. 


auf eine Beziehung zwiſchen beiden Sibelgruppen hinweiſen, eine Zwifchen» 
ſtellung nimmt auch die Sibel von Kaliſch, Polen (Abb. Salin 21) ein. Es 
liegen aber nun auch Zweitollenfibeln mit winkligem Jußabſchluß und kleiner 
halbrunder Kopfplatte vor, die tupologiſch etwa neben unſerer Ceunaer Sibel 
ſtehen: fo eine Silberfibel aus dem Ungariſchen Nationalmuſeum in Budapeſt, 
abgebildet z. B. bei J. hampel „Alterthümer des frühen Mittelalters in 


Abb. 11. Krim. ½. Abb. 12. Sackrau, Schlefien. !/,. 
Abb. 11 und 12 nad Salin. 


Ungarn“ III, 1905, Taf. 10, Abb. 2, eine aus Fünen, abgebildet bei N. Aberg 
„Den nordiska folkvandringstidens kronologi“, Sig. 23. Nad ihnen könnte 
auch die halbrunde Kopfplatte im germaniſchen Gebiete aus kleinen Anfängen 
zu der Form wie Abb. 12 gewachſen ſein. Während die reichgeſchmückte 
Sibel mit gerundeter Kopfplatte nach kurzer Entfaltung abſtirbt, hat die 
halbrunde Kopfplatte noch Jahrhunderte überdauernde Sortentwidlungen. 


) Wie Almgren Abb. 247, die aber doch wiederum auf die germaniſche Sibel 
Almgren 120— 124 zurückgeht. 
) fltgermaniſche Thierornamentif, S. 10. 


150 Walther Schulz, Eine Silberfibel der ſpätrömiſchen Zeit von Leuna, Kr. Merſeburg [6 


So hat uns die Leunafibel dazu verholfen, eine Sibelgruppe, die aller: 
dings ſchon von Salin als ,Sadrau-Typus” herausgehoben wurde, als Sibel 
mit Kopfplatte auch ihrer Entſtehung nach von den gotiſchen Sibeln zu trennen, 
und ihre Entſtehung nicht in den vielleicht mit fremder Überlieferung arbei⸗ 
tenden Werkſtätten des germaniſchen Eroberungsgebietes am Schwarzen 
Meere, ſondern, wie es nach den bisherigen Funden ſcheint, in dem germani- 
ſchen Ausgangsgebiete Mittel⸗ und Oſtdeutſchlands zu ſuchen. Wobei natür⸗ 
lich hier die Anregungen, die von der Berührung der Goten mit dem ſüdlichen 
Kunjtgewerbe ausgingen, nicht überſehen werden ſollen; wie ja auch die 
Urſprungsform unſerer Fibeln, die mit umgeſchlagenem Sue, von dort 
ſtammt. 

Die höhe germaniſcher Schmucktechnik ſchon vor den gotiſchen Einflüſſen 
vom Schwarzen Meere her hat unjer Altmeifter einmal kurz gekennzeichnet: 
„Schon im erſten Jahrhundert nach Chr. kannten die Germanen Mitteleuropas 
Beſatz von Bronze- und Silberſchmuckſachen mit geperltem Silberdraht; ſeit 
dem zweiten Jahrhundert kamen Silberſchnüre und Silberflechten auf, alſo 
Filigran. Und für dies fo mühſam herzuſtellende Siligran wurde ſeit etwa 
150 nach Chr. vielfach eine Vereinfachung der Verzierung angewandt, bei der 
dünnes Silberbled) aufgelegt wurde, in das von rückwärts einfache Muſter 
reliefartig eingeſtanzt waren“ ). So braucht es uns nicht zu wundern, daß 
die ſchönſten germaniſchen Fibeln der ſpätrömiſchen Zeit ihre 
Entſtehung und prunkvolle Ausgejtaltung in den Werkſtätten 
Altgermaniens gefunden haben. 


1) Koffinna, Mannus⸗Ergänzungsband IV, 1925, S. 30f. 


Ein Merowingergrab in der Burgauer Kiesgrube 
bei Jena. 


Don Guſt af Eichhorn. 
mit 7 Abbildungen im Tert. 


An der Nordweſtecke des Dorfes Burgau, dreiviertel Stunden ſüdlich 
von Jena, befindet ſich eine große Kiesgrube, die mehrere Jahre lang vor 
dem Kriege ausgeſchachtet wurde, jetzt aber wieder zugeſchüttet wird. In 
ihr find ab und zu menſchliche Skelette von den Arbeitern freigelegt worden. 
1912 bei meinem erſtmaligen Beſuch dortſelbſt konnte ich feſtſtellen, daß es 
ſich um ſlaviſche Beſtattungen handele. Die Toten waren in geſtreckter 
Lage beerdigt, Schläfenringe, eiſerne Meſſerklingen, auch eine längere Tüllen- 
Pfeilſpitze wurden mir als bei den Skeletten gefunden vorgelegt. 

Die erſte Ausgrabung fand daraufhin vom 20. bis 24. Oktober 1913 
ſtatt. Drei Gräber wurden freigelegt, 1,45 m unter Bodenniveau. Das erſte, 
1,50 m lang, 0,75 m breit, unter einer Kalkſteinplatte, war ein Männergrab, 
wie der kräftige Knochenbau des Skeletts erwies. Dabei fanden ſich Ae 
eines Pferdeſkeletts, ſonſt keine Beigaben. Das zweite Skelett war ſehr 
zermürbt, nur die Röhrenknochen beſſer erhalten. Um vollſtändigſten war 
das dritte, das einer Frau unter 30 Jahren. Die Weisheitszähne waren 
noch nicht durchgebrochen. Das Skelett lag lang ausgeſtreckt, der Kopf im 
Weiten auf dem rechten Baden, die Beine im Oſten, Körperlänge 1,68 m. 
Es war im Rechteck von kopfgroßen Bruchſteinen umſtellt, auf dem Bruſtkorb 
ein ſchwerer Stein, von einer Halskette zylindriſche Glas- und einige abge⸗ 
plattete perlen, quer über den Bauch eine ſchmalklingige eiſerne geſtielte 
Sichel, den Griff nach der rechten Hand zu, die konkave Seite nach oben, am 
Griff Holzipuren, daneben ein kräftiges geſtieltes Eiſenmeſſer, vier bronzene 
Schläfenringe am Schädel. Zwiſchen den unteren Extremitäten breiteten 
ſich ſchwarze Reſte vermoderten Holzes aus, die Refte eines Holzbretts, auf 
dem die Tote gelagert war. 

Weitere Ausgrabungen fanden im Jahre 1916 Matt, Dieſes Mal 
wurde bei einem ſlaviſchen Skelett (am 25. Februar) feſtgeſtellt, daß der Tote 
in einem Hol3farg beſtattet worden war. Nach Abtragung des 1 m ſtarken 
Aderbotens und einer 50 cm ſtarken Kiesſchicht darunter ſtieß man auf eine 
ſchwarze Schicht moderigen Holzes über dem Schädel, oberhalb desſelben und 
zur Seite der Arme, auch unterhalb des Skeletts, wie die weitere Grabung ergab. 
Nach dieſen Spuren war der Holzſarg in der Mitte 93 em breit, am Boden 
50 cm. Als einzige Beigabe lag am linken Handgelenk eine geſtielte eiſerne 
Meſſerklinge quer zur Rörperaxe. Die intereſſanteſte war die Ausgrabung 


152 G. Eichhorn 2 


am 5. und 6. IV. 1916. Im Weſtabhang der klusſchachtung wurden über⸗ 
einander zwei Beſtattungsſchichten angetroffen: in der oberen, 25 cm 
unter der Oberfläche zwei ſlaviſche Beſtattungen, wie üblich der Kopf 
im Weſten, die Füße im Often, die Toten in geſtreckter Haltung, 1 m von- 
einander entfernt. Beide lagen mit dem Geſicht auf der linken Wange. Die 
Körperlänge des erſten 1,75 m. Auch über dieſem Skelett und links daneben 
zeigten ſich ſchwarze Holzrefte. Bruchſtücke eines gut gebrannten Topfes, ein 
kleiner Bronzering, verſchiedene Bronze- und Holzſtücke, eine eiſerne Meſſer⸗ 
klinge auf der linken Seite in Beckenhöhe mit der Spitze nach unten lagen dabei. 
Das in gleicher höhe und Richtung liegende zweite Skelett war das einer 
Frau. Zwei bronzene Schläfenringe auf der rechten Ropfſeite und eine 
ganze Reihe gleicher blauer Glasperlen einer Halskette hatte ſie im Leben 
getragen. 

Ganz überraſchend war die Freilegung des Skeletts in der unterſten 
Schicht. 90 em tiefer als die zwei flavifchen Toten, im ganzen alſo 1,15 m 
unter Bodenfläche, kam ein Merowinger Srauengrab zutage. 

Das Grab war 1,80 m in den Boden eingetieft, die Seitenwände unt: 
gleich gerichtet, die eine ſenkrecht, die andere ſchräg, obere lichte Weite 1,60 m, 
Grabſohle 106 cm breit. Das Skelett war im ganzen gut erhalten. Der 
Kopf lag im Weiten, ſeitlich auf dem linken Baden, die Füße im Often, der 
Körper geſtreckt, die Arme ſeitlich anliegend; am rechten Jochbogen zwei 
bronzene kleinere Nadeln, am Hals eine Scheibenfibel, von einer Halskette 
zwei Bernſtein⸗ und drei Millefiori⸗Glasflußperlen, am linken Oberſchenkel 
ein langes geſtieltes Eiſenmeſſer mit Holzreſten am Stiel, auf der Klinge im 
Eiſenroſt abgedruckte Stoffmuſter, auf dem Becken Glasperlen, auf der rechten 
Seite am Becken zwei Merowinger Bügelfibeln mit Stoffreſten auf der Unter⸗ 
ſeite, zwiſchen den unteren Extremitäten Holzreſte mit Bronzebeſchlägen, in 
Knöchelhöhe eine kleine ſilberne Rie menzunge und eine kleine ſilberne Schnalle, 
zu Füßen eine ſcheibengedrehte, dunkelgraue Schale mit ſchwarzglänzenden, 
ſenkrechten und gekreuzten Strichen auf mattem Grunde. Außerdem wurden 
dem Grab entnommen: eine weißkalkige durchlochte Kugel, das Bruchſtück 
eines Schmuckrings aus Eiſendraht mit einem ſchmalen Silberband umwickelt, 
ein Ohrring aus Bronzedraht, ein ſchwerer kleiner Bronzering, eine Eiſen⸗ 
ſchere, ein Feuerſtahl nebſt Slintjtüd, eine geſtielte Eiſenmeſſerklinge, ein 
Webeſchwert aus Eiſen, mehrere Bronzebandklammern oval zuſammen⸗ 
gefaltet, Beſchlagſtücke (Schloß und Griff) eines Holzkäſtchens und bronze⸗ 
beſchlagene Holzfutteralſtücke. 

Die Anordnung dieſer Beigaben und die Beſchaffenheit einzelner Stücke 
erweiſt, daß die Tote in vollſtändiger Kleidung beigeſetzt worden iſt. Die 
Sibeln und Schmuckſtücke lagen an der Stelle, wo jie die Tote im Leben ge: 
tragen hatte. Die Scheibenfibel ſchloß am Hals den Bruſtſchlitz, ſtatt eines 
Gürtelverſchluſſes durch Schnalle hat ſie den Gürtel mit zwei Bügelfibeln 
zuſammengeſteckt +), von einer Subbefleidung ſtammen die kleine ſilberne 
Schnalle und Riemenzunge. Sie war ausgerüſtet mit ihrem weiblichen Hand- 
werkszeug: Schere, Meſſer, Seuerjtahl wohl in einer Taſche, das größere 
Meſſer in einer beſonderen Scheide aus gewebtem Stoff. Ju ihrer Beſchäfti— 
gung gehörte die Weberei, daher das beigelegte Webeſchwert; der tönerne 
Spinnwirtel üblicher Form fehlt, die weißkalkige Kugel könnte ihn erſetzt 
haben. Liebende Fürſorge hatte ein Gefäß mit Speije beigejeßt. 


1) Dal. A. Götze, Die altthüringen Sunde von Weimar. S. 11. 


3] Ein Merowingergrab in der Burgauer Kiesgrube bei Jena 153 


Eiſenmeſſer. Holzfutte ralſtücke. Räſtchenſchloß. 


Bronzebandtlammern. 


Eiſenting. 


Ringöſe. 


Meſſer. 


Schere. 


Käſtchengriff. 


Ohrring. 


Bronzeting. Schnalle. Kugel. Kalten. Armband: Webeſchwert. Seuerſtahl. 
Bügelfibeln. Scheibenfibel. Perlen. bruchſtück. Slintſtuck. 
Stecknadeln. Riemenzunge. 


Abb. 1. Beigaben des Merowinger Frauengrab in der Burgauer Kiesgrube bei Jena. Y/; ;. 


154 G. Eichhorn [4 


Ohne weiteres fällt die reiche Ausjtattung der Toten auf. Sie gleicht 
denen in den Fürſtengräbern zu Weimar. Für das Merowinger Grab ermög⸗ 
lichen die Fibeln und das Gefäß eine genauere Zeitangabe, in welcher die 
Tote beigeſetzt wurde, nämlich I. Hälfte des 6. gäb gleicher nach Chr. Da 
ſich ein Teil der ſlaviſchen Beſtattungen in ungefähr gleicher Tiefe wie das 
Merowinger Grab befand, drängt ſich die Frage auf, ob die ſlaviſchen Männer 
fand Frauen zu der Merowinger Herrin in einem beſtimmten Derhältnis 
tanden. 

Als einen ganz beſonders glücklichen Umſtand habe ich angeſehen, daß 
es mir möglich war, Spuren von Gewebeſtoffen im Roſt abgedruckt, an 
den Fibeln ſogar die durchtränkten Gewebereſte ſelbſt erhalten zu können. 


Körperliche Heite, 
Das Skelett erweiſt, daß die Tote eine große Frau war, mittleren Alters, von 
grazilem Knochenbau, dolichocephaler Schädelform, mit ſchmalem Geſicht. 


Abb. 2. Schädel der Frau. 


Der Schädel iſt vollſtändig, dünnwandig, leicht. Über der rechten Schläfenbein⸗ 
ſchuppe, ſchräg über das Jochbein verlaufende, 9 cm lange, 5 em breite, durch Bronze 
auflage or verfärbte Stelle mit braunen ſchwarzen Sleden. 

Stirnnabt in ganzer Länge erhalten. Schädelmaße: de Länge = gerade Länge = 
19,1; größte Breite 13,8; ganze Höhe 13,6; Horizontalumfang 53 cm, Sagittalumfang 
38,5 cm; vertikaler Querumfang 30,2 cm. Der Schädel ijt demnach 1 1 8 ine 
72,03), orthocephal (Inder 71,2), das Geſicht ijt ſchmal. Geſichtsbreite 12,3 (Jochbogen⸗ 
breite), Geſichtshöhe 11,10 em. — Stirn ſchmal (Stirnbreite 9,8 cm), hoch, ſteil A 
kugelig gewölbt, Stirnhöcker mäßig entwickelt, Glabella flach, Arcus superciliares kaum 
angedeutet. — Augenhöblen breit oval, Queraxen ein wenig nach zuge abfallend, Augen= 
höhleneingang gr. Breite 4,0; gr. höhe 3,2 cm. Hupſiconchie (Inder 87,5). — Najen- 
öffnung herzförmig, gr. Breite 2,4; Höhe 4,0; Naſenhöhe 5,0, mesorhin (48, 0), Naſenbeine 
ungleich, rechtes bedeutend breiter als das linke. Naſenrücken leicht eingebogen. — Gebiß 
vollſtändig, 5 Schneidezähne (I., II. r. und II. I. oben) poſtmortal ausgefallen. Die Zahn 
kronen im ganzen klein. Der Oberkiefer überbeißend. Die Schneidezähne und die 1. und 
2. Molaren Wort horizontal abgekaut, die 3. Molaren ſchräg. An allen Molaren innen 
Jahnſteinanſatz. Jahnbogen breitoval. — Harter Gaumen hochgewölbt mit deutlicher 
Mittelſutur auf einem auffällig hervortretenden breiten Mittelwulſt. Gaumenwandbreite 
4,0; Gaumenlange 5,2; der Gaumen demnach leptostaphylin (76,9). — Unterkiefer 


5] Ein Merowingergrab in der Burgauer Kiesgrube bei Jena 155 


ierlich. Diſtanz der Kiefernwintel 120°, Ajt ſchräggeſtellt, Kinn ſpitz, Protuberanz desſelben 
bert hervortretend. deng Ve ae gedrängt, der 2. r. um feine Axe ſchräg gedreht, 
reichlicher Zahnjtein innen am II. r. Schneidezahn und r. Se n. 

Die femora auffällig ſchlank, 45,5 cm lang. — Die Schlüſſelbeine ſtark gekrümmt. 


Die Beigaben. 


1. 2. Zwei gleichartige gerade Nadeln aus Bronze, im Querſchnitt kreisrund. 
Die erite 4,6 cm lang, die obere hälfte derjelben und die Spite mit grüner kruſtiger Patina 


umgeben, die KHußenfläche der Patina zeigt eine ſchräge Muſterung. Bei der zweiten fehlt 


Abb. 3. Die Bügelfibeln mit Geweberejten. Die Scheibenfibel zerlegt. 


die Spitze, nur am Kopfende mit kruſtiger Patina in Würfelform. Cg. noch 4,1 cm, eine 
dritte gerade Nadel aus Bronze, Spitzenhälfte kupferig⸗rot, obere hälfte, grün⸗kruſtig 
patiniert, die oberſten 8 mm breit gehämmert, oberes Ende fehlt. 

3. Scheibenfibel aus Silber, kreisrund mit aufgelöteten ſilbernen, bandförmigen, 
Stegen in zwei a ien Kreijen, am Außenrand glatt abſchneidend. Speichenartige 
Stege im äußeren ind, im inneren Kreis nicht zentriert. Steqhdbe 3 mm. Die einzelnen 
Süden N ` t mit Umm Worten roten Glasſtückchen, die mit karierten Gold» 

lättchen unter gi ind. Die Quadrate mit Leiſtchen umzogen, ihre Innenfläche mit vier 
Reihen von je vier Grübchen reſp. Knötchen. Dm. der Scheibe 2,1 cm. 

4. 5. Zwei Bügelfibeln aus Bronze gegoſſen, gleicher Sorm mit halbkreisförmiger 
Kopfplatte, ſchwach gewölbtem, bandförmigem Bügel. Am Außenrand der Kopfplatte 
fünf Doppelſcheibenknöpfe aufſitzend, in der baſalen Scheibe ein flacher, kreisrunder Al— 
mandin. Die Kopfplatte mit zwei konzentriſchen Halbfreisleijten parallel dem Rand, die 
Släche ſchraffiert durch ſich rechtwinklig ſchneidende Surchen. Der Bügel in drei Cängs— 
ſtreifen geteilt, der Mittelſtreifen glatt, von einer Surche jederſeits begleitet, die ſeitlichen 
Streifen mit einem Jickzackmuſter in Kerbichnitt. Die Ziermuſter beider Sibeln ſtimmen 


156 6. Eichhorn [6 


i überein. Beide Sibeln ſind demnach in einer Form gegoſſen. Von einem 
ice achſchneiden der anne ijt nichts zu ſehen. Länge der Sibel 8 cm; der 

ügel 4,9 cm lang, oben 1,3 cm breit, am Fußende 1,5 cm. Breite der Kopfplatte 2,9 cm 
ohne Knöpfe, Länge der Knöpfe 9 mm, Höhe der Kopfplatte 2,0. 

Auf der Riidjeite ijt die Kopfplatte mit einem dicken Klumpen angeroſteten Ge- 
webes bedeckt, ſo daß die ie Spi und die Nadel nur zu einem kleinen Teil ſichtbar find. 
Die Nadel ijt aus Eiſen, ihre Spitze liegt in der rinnenförmigen Nadelraſt. Die Nadelraſt 
bandförmig, 9 mm breit, 8 mm hoch. 

6.—10. Perlen: 2 Stück aus Bernſtein, abgeplattet, ringförmig, nicht ganz kreis⸗ 
rund. Die eine 1,7 em im Dm., 1 cm hoch, das Loch 6 mm im Dm. die weite 1,6 cm 
Dm., Lod Br 7mm Dm. — 3 Stück Millefioriperlen aus Glasfluß: die eine 
Dm. 1,2, h. 7 mm, Lochdm. A mm, ſchokoladebraun mit gelben, ſich kreuzenden Streifen, 
die zweite 1,1 Dm., 6mm hoch, Lochdm. 2 mm, aus grünlicyegrauem, durchſcheinendem 
Glas mit hellgelben Zidzadjtreifen e Klee Breite, die gelben Zeichnungen noch mit 
ſchokoladebraunen dünnen Streifen überzogen, die dritte 1,0 Dm., 5 mm ER Cochdm. 
2 mm, grau, undurchſichtig mit ſchokoladebraunen, verhältnismäßig breiten Streifen. 


Abb. 4. Kleine Silberſchnalle. Im Roſt abgedrückte Gewebe-Reſte. Perlen. 


11. Kugel, weißkalkig, zum Teil mit Eiſenroſt bedeckt, in der Mittelaxe durchlocht, 
Are 3 cm lang, oberer Lochdm. 7 mm, unterer 5 mm. 

12. Schmuckring-Bruchſtück, 2,6 cm langes Eiſendrahtſtück mit einem 2 mm breiten 
Silberbändchen in 12 Spiraltouren umwickelt. 

15. Riemenzunge aus Silber, zweiteilig: längere obere Platte 2,9 cm lang, am 
Ende 9 mm breit, in der vorderen hälfte dachförmig gebogen, der Firſt u rüdwärts in 
zwei Schenkel jich ſpaltend, nahe dem gerade abgeſchnittenen Ende in der Mitte ein Niet- 
köpfchen; Unterplatte kürzer, platt, 1,8 em lang, am Ende 9 mm breit, in Lé ea 
9 auslaufend. Dem Niet der Oberplatte entſprechend kleines kreisrundes Loch nahe 

em Ende. 

14. Schnalle aus Silber, klein, mit ovalem Rahmen. Der Rahmen verjüngt ſich 
nach der Baſis zu. Schnallenrahmenbreite 12 mm, höhe 9 mm, im Lichten an der Baſis 
10 mm breit, Dorn vierkantig, Kanten abgerundet, ohne Spitze, Ende wie a chwach 
gekrümmt ſich über den Rahmen legend, Dornlänge 12 mm, Breite 2 mm. Die Schnalle 
lagert auf einem braunen Roſtklumpen als Abſchluß einer 12 mm breiten, bandförmigen 
platten Fläche. Auf dieſer — den Abdruck des Riemens bedeutenden Stelle — 2 filberne, 
kreisrunde, gleichgroße Nietplättchen, 6 mm Dm., die Oberfläche des einen glatt, im 
Zentrum des andern der Nietſtift ſichtbar. 

Die Unterſeite und die Unterſeite des roſtigen Klumpens zeigen das leiſtenförmige, 
feinkörnige Stoffmuſter, jo daß das Schnällchen wie auf erhärteten Stoffatten aufliegt. 


Ein Merowingergrab in der Burgauer Kiesgrube bei Jena 157 


Abb. 5. Das große geſtielte Eiſenmeſſer mit Gewebelpuren im Roit. 


Digitized by 


158 G. Eichhorn [8 


15. Ohr⸗Ring, offen, aus einem ie zuſammengebogenen, fic) zuſpitzenden 
Bronzedraht, Drahtquerſchnitt kreisförmig, Drahtſtärke 3 mm; 4 om vom ſpitzen Ende 
eine 3 mm lange (von einem Unhänger) blank geſcheuerte, verdünnte Stelle. 

16. Eiſen⸗Meſſer mit langem Stiel; ganze Länge 33,5 cm, Klingenlänge 21,5 cm, 
Klingenbreite 3,8 am Ende, Rüdenitärte 1 cm. Größte Griffbreite 1,5 cm. Rüden an 
der pike Je nach unten biegend; die Schneide gerade, am Griff rechtwinklig abſchneidend. 

uf der Klinge angeroſtete Gewebeſtoffmuſter El ener Zeichnung in mehr⸗ 
facher Ubereinander⸗Schicht. (Rautenmuſter, einfach ſich rechtwinklig kreuzende feine Fäden). 

17. Eiſen⸗Meſſer, geſtielt, die Spitze fehlt. Der Stiel ſtumpfwinklig am Rücken 
und an der Schneidenſeite gegen die Klinge abgeſetzt. Klinge noch 8 om lang, Stiel 3,8, 
Klingenbreite 2,1, Rüdenjtärfe 3 mm; am Stiel Holzreſte. 

18. Eiſen⸗Schere lang, ſchmal. Lg. 21,7 om, Griff 11,4 cm lang, in der dufſicht 
geradlinig, in Seitenanſicht ſich von der Umbiegungsſtelle von 1,5 cm Breite zu 4mm 
am Klingenblatt SE Bogenſpannweite 2,5 cm. Blätter 10,3 cm lang, ſchmal, 
bogenförmig am oberen Ende zum Griff abgehend, Breite hier 1,4 cm. Rüden in flachem 
Bogen zur Tumafen Spitze E a: Schneiden gerade. 

19. Seuerftabl breitban E mit umgebogenen, fic) verjüngenden, an den 
Enden eingerollten Armen. Tg. 7,3; Br. 1,8; 4 mm ſtark. 

Das dazu gehörige Slintjtüd 3,7 cm lang, mit Retuſchen an der einen Kante 
und bulbus. 

20. Webeſchwert aus Eiſen; ganze Lange 49 cm. Spitze 2 cm lang mit bogen” 
förmig ſich E Seiten. Klinge flach, im Querſchnitt E NEE am Griff⸗ 
ende 3,4 cm breit, auf 2,8 cm fic) verjüngend vor der Spitze. iffangel allmähli ke 
verjüngend aus der Klinge hervorgehend. Grifflänge 15 cm, Griffangel im Querſchni 
rechte A am Ende 6 mm breit, 3 mm did. 

nſicher bezüglich ihrer Zugehörigkeit: 

21. 22. Zwei bandförmige unverzierte Bronzeblechſtreifen, die Enden zu einem 
Oval übereinandergelegt, im Lichten A m zu 1,8, Breite des Bandes 11 mm, und bei 
dem einen durch 2 Bronzenieten vereinigt; das andere auseinandergeſprengt, die 5 Nieten 
in einer Rn: und bis auf einen deln, 

23. Kleines Bronzeband, 12 mm breit, mit den Enden übereinandergelegt, auf 
der Außenfeite mit Punktkreiſen viermal zwei nebeneinander mit einem alleinstehenden 
abwechſelnd, im Lichten 12 mm. 

24. Klammern aus Bronzebandſtreifen zweierlei Art: entweder zwei gleiche recht⸗ 
eckige Stücke, an den Enden durch je einen Bronzenietſtift übereinander in einiger Entfer⸗ 
nung gehalten, dreimal vorhanden: die Bandftreifen 8 und 7 mm breit bei 4,5; 3,5; 2,9 cm 
Länge, im Lichten 1,2 die Rietſtiftlänge, bei dem längſten Stück fteden die Nietitifte in 
Holzreſten; oder der Bandſtreifen ijt an der einen Seite umgebogen und nur an einem Ende 
mit zwei Nietjtiften, 12 mm voneinander feſtgehalten, dreimal vorhanden: Bronzeband⸗ 
ſchenkel 4,2 cm lang, 1,5 cm breit; 1,6 cm lang, 1 em breit; 1,5 cm lang, 6 mm breit. 
An dem einen ebenfalls Ee 

25. Zwei holzſtücken gleicher Art, aus einem 8 mm Worten Brettchen hergeſtellt, 
in Sorm eines Bogens, der SEO mit einem 9,5 cm langen, 7 mm breiten Bone: 
blechſtreifen benagelt (5 bronzene Nägelchen) und an der Kußenfläche mit einem mond⸗ 
ſichelförmigen Bronzeblech (5 Nägel), die Nägel auf der Holzinnenjeite umgeſchlagen. Das 
Holzbrettchen flach gewölbt. Am Innenrand halb kreisrunder Ausſchnitt. Dm. 2 cm. 

26. Dicker Bronzeting, in der Ringebene abgeplattet; 70 g ſchwer, äußerer Dm. 
4,5 cm, 1,5 cm breit, 1,2 cm dick. 

27. Eiſenring, offen, aus einem vierkantigen Stab in einer Spiraltour zuſammen⸗ 
gebogen. Dm. 3,4, Ringſtärke 5 mm. 

28. Eiſen-Oſe, am Stiel Holzreite angeroſtet. gr. Cg. 3,3 em; Ringdm. 1,8 cm. 

Don einem holzkäſtchen: 

29. eine bronzene Schloßbeſchlagplatte mit rechteckigem Schlüſſelloch und darin 
eingeroſtetem Eiſenſtück und Holz, die Beſchlagplatte rechteckig, 7,3 cm lang, 2,5 cm breit, 
mit je vier bronzenen Stiften an den Längsleiten; 

30. und ein eiſerner, zweimal rechtwinklig gebogener, ſchmalbandförmiger Griff, 
7,5 cm lang, 3 em Schenkellänge, an einem Ende der eiſerne, ins Holz getriebene Stift 
angeroitet. 

: 31. Eijerner haken, vierkantig, 4 mm ſtark, das eine Ende rechtwinklig abgebogen, 
das andere zu einer kreisförmigen Oſe zuſammengelegt. In der Ofe ftedt ſenktecht ein 
drahtförmiger Stift. 

Das Gefäß, auf der Drehſcheibe hergeſtellt, dünnwandig, aus dunkelgrauem Ton, 
doppelkoniſch, mit ſcharfer Bauchkante in 2 Drittel höhe; der Unterteil vorgewölbt, der 
Oberteil durch eine 0 onlalleite in eine ſchmälere, ſchräg abfallende Schulter und ſich 


9 Ein Merowingergrab in der Burgauer Kiesgrube bei Jena 159 


verjüngenden Hals gegliedert. Die Leijte flankieren zwei glänzend⸗ſchwarze Horizontal- 
furchen. Auf dem Halsteil ſenkrechte Striche in ungleichen Abſtänden, durchſchnittlich 1 cm 
weit. Auf der Schulter Zinſelzaunmuſter, am Gefäßbauch nach dem Gefäßboden zu leicht 
gebogene Striche in unregelmäßigen Abſtänden, im Durchſchnitt 1 cm. 

Die Striche heben ſich durch ihren Glanz vom mattgrauen Untergrund ab. Es ſind 
mit holzſtäbchen ſchwach eingetiefte Surchen. Das holzſtäbchen war mit einer ſchwarz— 
glänzenden Sarbmajje vorher beladen. Die Striche ſind ae gezogen. 

Mündungsdm.: 15,5. Umbruch in 10 cm Höhe, hier größte Breite 21,6; größte 
Höhe 14,5; Bodendm. 8 em. Wandſtärke am Halsteil 5 mm, im Bauchteil 7 mm. 


Abb. 6. Burgau Abb. 7. Hermſtedt. 


Ein gleichartiges Gefäß und ein dabeiliegender tönerner Spinnwirtel 
iſt unſerem Muſeum aus hermſtedt unweit Apolda zugeführt worden. Es 
ſtammt aus einem Grab, welches in einem Steinbruch in der Nähe des Dorfes 
zufällig freigelegt worden iſt. 

Das Gefäß iſt ſcharf gegliedert wie das Burgauer durch eine Schulterbauchkante, 
ſie liegt aber etwas Oberhalb bes größten Dm. der Geck ladet unterhalb diefer 
Kante noch ein wenig aus. 

Die Jeichnung iſt dieſelbe au den einzelnen Gefäßteilen, nur ſtehen die Striche 
enger, und find die Bauchlinien ſenkrecht bis an den Boden geführt. 
ae Mündungsdm.: = 15 cm, gr. Dm. 18,4 in 8 om Höhe; gr. Höhe 13,4 cm, Boden- 

m. 9 cm. 

Der Spinnwirtel aus Ton, graugelb, abgeplattet kugelförmig, im Querfdnitt 

ſternförmig durch 9 Singertuppeneindrüde am Umbauch. Dm. 3,1; h. 2,3; Cochdm. 8 mm. 


e) Weſtdeutſchland. 


Ein neuer Fund der Sirgenſteiner Stufe 
in Weſtfalen und die Frage der Herkunft dieſer 
Kultur. 


Don Julius Undree. 


Mit 4 Abbildungen im (ert, 


Am Südausgange des Dorfes Dolfringhaujen (Kr. Arnsberg) liegt in 
16 m Höhe über der Hönne am rechten Ufer des Slufjes eine kleine Höhle, 
die ſich mit einem Eingang von 5,20 m Breite (a—b in Abb. 1) und 2,65 m 
Höhe nach SW öffnet. Die im Grundriß etwa viereckige Höhle erſtreckt ſich 
nur 5m (im Durchſchnitt) nach NO in den Felſen hinein, das Dach ſenkt 
ſich raſch abwärts zum Ende der Höhle (Querſchnitt c—d, Abb. 1). — Das 
Derdienjt, hier zuerſt Sunde gemacht zu haben, gebührt herrn Muſeums⸗ 
verwalter K. Brandt- Herne, der mich auf die Höhle aufmerkſam machte. 
Die Ausgrabung der Höhle fand Oſtern 1928 jtatt. Die geſamten Sunde be⸗ 
finden ſich im Geologiſchen Inſtitut der Univerſität Münſter i. W. 

Die Ausfüllung der Höhle war nicht mächtig. Der Boden war mit 
gelbbraunem, Kalkſteingerölle führendem höhlenlehm in 20—40 em Dicke 
bedeckt (Abb. 1, Querſchnitt c—d), der ſtellenweiſe, beſonders aber an der 
SO-Seite und im hinteren Teil der Höhle ſtark verſintert war. Eine Schichtung 
oder verſchiedene Schichten konnten in der ganzen Ablagerung nicht beobachtet 
werden; es handelt ſich alſo um eine einheitliche Ablagerung. 

In der höhlenausfüllung fanden ſich eine Reihe von Tierreſten und 
Artefafte. An Tierreſten wurden feſtgeſtellt: 

Rhinoceros antiquitatis (2 Ober- und 2 Unterkieferzähne), 

Bos primigenius (2 Unterkieferzähne, 1 Aſtragalus), 

Rangifer tarandus (mehrere Geweihbruchſtücke), 

Cervus elaphus (Sußknöchelchen, 3 Unterkieferzähne), 

Canis vulpes (Zähne), 

Meles taxus (Unterkieferbruchſtück), 

Lepus timidus (Beckenſtück), 

Arvicola amphibius (mehrere Unterkiefer, 1 Oberkiefer), 

Vogelknochen. 

Die Sauna ijt mit wollhaarigem Nashorn und Kentier durchaus eis— 
zeitlich; aus dem hönnetale ijt fie in fajt gleicher Zuſammenſetzung aus der 
Balver und der Feldhof-höhle bekannt. 


2] Ein neuer Sund der Sirgenſteiner Stufe in Weſtfalen uſw. 161 


An klrtefakten waren zwar nicht viele, aber recht charakteriſtiſche vor⸗ 
handen, die eine eindeutige Beſtimmung des Fundinventars als Untere 
Sirgenjteiner Stufe (1) ) zulaſſen. 

Das beſte Stück ijt eine roh bearbeitete handſpitze (Abb. 2, 1 und 
la), etwa triangular, aus einem grauen Kiefeljchiefergeröll hergeſtellt; die 
natürliche Gerölloberfläche iſt auf beiden Seiten noch teilweiſe vorhanden. 
Auf der Oberſeite find beide Kanten retuſchiert, auf der Unterſeite nur die 
linke. Abb. A 1 und 4, zeigen zwei kleine Keildyen, ebenfalls grob 


Queyrschn (ét 
c~d = Naiketein 


Höhleniehm, 2.T. versintert 


Grundvise 


+ 
` be 


VolKringhauser 


Höhle im Hönnetal. 
Abb. 1. 


zugehauen, das eine (Abb. 3, 1) dreieckig und auf beiden Seiten bearbeitet, 
das andere (Abb. 3, 4) lang⸗oval mit flacher, nur mit einigen Abjdlagen 
verſehener Unterſeite. Die übrigen Werkzeuge ſtellen in der Haupt: 
ſache einfache Schaber (13 Stück) von recht unterſchiedlicher Größe (min. 
etwa 1 gem) und Dicke dar, teils flach, ganz primitiv und faſt ohne Retuſche 
(Abb. 2, 2), teils ebenfalls flach, mit mehreren Schaberkanten, aber 
etwas feiner retuſchiert (Abb. 2, 3 und Abb. 3, 5). Aud) ein Schaber 
mit Hoblferbe ijt vorhanden (Abb. 2, 4). Andere Schaber — wie 
Abb. 3, 6 — find dick, plump und nur mit einer Schaberfante verſehen. 
Weiterhin kommen kleine Schaberkratzer vor: Abb. 3, 3, ungefähr 
dreieckig und hoch, Abb. 3, 2, in Form einer kleinen, flachen Klinge. 
Serner wurden einige Kernjtüde (aus RKieſelſchiefer und Seuerjtein) und ein 


1) Die Ziffern geben die Nummern des Literaturverzeichniſſes auf S. 167 an. 
mannus , Jeitſchrift für Dorgeſch., VI. Era.-Bd. 11 


162 Julius Andree 


3 


See S'Andre, 
Abb. 2. Steinwerkzeuge aus der Dolftinghaujer Höhle. Nat. Gr. 


Abb. 3. Steinwerkzeuge aus der Doltringhaufer Höhle. Nat. Gr. 
EP 


164 Julius Andree (5 


breiter Abſchlagſpan (aus Seuerjtein) gefunden, die wohl ebenfalls als 
Schaber benutzt worden ſind ). Im ganzen beträgt die Jahl der gefun⸗ 
denen Artefakte vierundzwanzig. 

Sehr intereſſant ijt der Sund von vier Knochenwerkzeugen, worauf 
ich jedoch an anderer Stelle im Zuſammenhang mit einem ähnlichen Funde 
aus den Knochenſanden der Emſcher bei Gelſenkirchen i. W. näher eingehen 
werde ). Es handelt N um eine Art Glockenſchaber (aus einem Becken⸗ 
bruchſtück vom Nashorn hergeſtellt), einen Fellgältter, einen Pfriemen 
und um einen „Rie menſtrecker“, wie ſolche aus der Lindentaler Hyänen= 
höhle bekannt geworden ſind K 

Da die Anzahl der aufgefundenen Artefakte nur gering und die ganze 
Höhle recht klein iſt, ſo iſt ohne weiteres anzunehmen, daß es ſich bei der 
Dolfringhaujer Höhle nur um einen vorübergehenden Aufenthaltsort des 
Menſchen handeln kann. 

Die Bedeutung der Artefakte beſteht darin, daß hier einmal eine neue 
paläolithiſche Sundjtelle aus Weſtfalen und zweitens eine ſolche der 
Unteren Sirgenſteiner Stufe vorliegt, die wir im Hönnetale bereits aus 
der Balver und der Selöhof-Höhle kennen. Hier wie dort finden ſich die 
charakteriſtiſchen primitiven Hand ſpitzen, ferner die kleinen Keilchen, 
beide begleitet von einfachſten Schabwerkzeugen verſchiedenſter Art und 
Größe (1, S. 45 und 77). Bemerkenswert iſt auch, daß zum erſten Male — 
abgeſehen von den ganz wenigen Streufunden der Burſchen⸗Höhle bei Binolen 
(1, S. 82) — in einer der in mittlerer höhe über der hönne gelegenen 
Höhlen ſich ein umfangreicheres paläolithiſches Material fand; aber wie in 
der Feldhof⸗ Höhle fehlt jede Spur einer Kultur, die älter wäre als letzt⸗ 
eiszeitlich (1, S. 94). 

Das Sundinventar der Volkringhauſer Höhle, die nunmehr als neues 
Vorkommen zu den ſchon bekannten der Unteren Sirgenſteiner Stufe (Sirgen⸗ 
ſtein, Irpfel⸗höhle, Kartſtein, Buchenloch, ?Achenheim, Balver und Seldhof- 
Höhle ®)) hinzutritt, ſcheint mir erneut zu zeigen, daß die Sirgenfteiner Stufe 
in zwei Abteilungen gegliedert werden muß (1, S. 60). Und dieſe Zweiteilung, 
in der ſich entſchieden ein Moment der Entwicklung zu erkennen gibt 
(1, S. 59/60), bringt uns wieder auf die Frage nach der herkunft, nach 
der „Übſtammung“ der ganzen Kultur. Ich habe bereits in meiner 
Arbeit über die hönnetal-höhlen verſucht, eine Art Cöſung dieſer Frage zu 
finden (1, S. 61/65). Ich möchte dazu weiteres ausführen. 

Das Auftreten des „Primitiv-Mouſtérien“ im Sirgenſtein gab ſchon 
verſchiedenen Autoren Unlaß, darauf hinzuweiſen, welche Lüde kulturell 
zwiſchen dem Sirgenjteiner „Primitiv-Mouſtérien“ und der zeitlich direkt 
voraufgehenden, hochſpezialiſierten Kultur von Weimar klafft. Wiegers 
(6, S. 177) jagt darüber: „In der unteren herdzone [des Sirgenſteins! liegt 
natürlich fein abſolutes, ſondern nur ein relatives „Primitivmouſtérien“ vor; 
es ijt ein Rückſchlag gegenüber dem viel höher entwickelten Mouſtérien der 
Weimarer Stufe, über deſſen Urſache Sicheres nicht zu ſagen iſt“. Soergel 
(4, S. 246/47) äußert ſich über die ganze Frage folgendermaßen: „Mit dem 

1) Don den abgebildeten Artefakten find Abb. 3, 2, 3 und 5 aus Seuerftein, alle 
übrigen aus ſchwarzem oder grauem Rieſelſchiefer. N 

2) Altiteınzeitlihe Sunde aus Weſtfalen. VI. Über Knochenwerkzeuge aus dem 
Mouſtérien. Mannus, Zeitſchr. f. Dorgeſchichte. 

2) Hierher gehören ohne Zweifel auch die petershöhle bei Velden (Hörmann, 
Abh. Naturhiſt. Gel. Nürnberg Bd. XXI, 1923) und die Altendorfer höhle (Mayr, 
Nachr. Deutſch. Anthrop. Gel, II. Jahrg., h. 4, 1927). 


6] Ein neuer Sund der Sirgenfteiner Stufe in Weſtfalen uſw. 165 


Moufterien feßt eine neue Epoche ein. Ein voller genetiſcher Anſchluß an 
das Acheuléen iſt meines Erachtens nicht einwandfrei nachzuweiſen, hier 
liegt ein Schnitt innerhalb des Altpaläolithitum, der ſowohl im weſtlichen als 
bejonders im mitteleuropäiſchen Fund material deutlich iſt. Wie man die 
Kulturen im einzelnen benennt, iſt dabei gleichgültig, wichtig iſt die zeitliche 
Lage des Schnittes. Ein Vergleich der Markkleeberger und Wettiner Kultur 
mit der viel jüngeren von Taubach zeigt ihn am klarſten. Und ein weiterer 
Schnitt liegt im Zeitbereich des Mouſtérien ſelbſt. Es ijt nicht möglich, die 
ſehr primitive Moujtier-Kultur vom Sirgenjtein genetiſch der etwas älteren 
ſehr hochentwickelten von Ehringsdorf anzuſchließen. Für mich ſind dieſe 
wiederholten Unterbrechungen auf dem Wege einer „Höherentwidlung” nicht 
Beweiſe für ſogenannte, gar nicht verſtändlich zu machende Kückſchläge, ich 
ſehe in ihnen Jeugniſſe für das wiederholte Auftauden neuer Kulturen und 
neuer Kulturträger, für ein wiederholtes Einſtrömen neuer Rollen zur Zeit 
des Altpaldolithifums, einmal an der Wende Alcheuléen —Mouſtérien, dann 
im Moufterien ſelbſt“. 

Außer dieſen auffälligen Unterſchieden im Kulturinventar des geſamten 
Mouſtérien ijt es hinlänglich bekannt, daß auch die weſteuropäiſchen Stufen 
des Altpaläolithitums — Chelléen und Adeuléen I und II — nichts mit 
den mitteleuropäiſchen — Halberſtädter, Hundisburger und Markkleeberger 
Stufe — gemein haben. Auf Grund dieſer Tatſache trennt ja Obermaier (3) 
das weſteuropäiſche Altpaläolithikum (mit Fauſtkeilen) von einem fauſtkeil⸗ 
freien, zentral⸗ und oſteuropäiſchen „Prämouſtérien“ und unterſcheidet ein 
„Moujterien von Acheuléenmorphologie“ von einem Kleinmouſtérien (mit 
Handſpitzen und Bogenſchabern), das in ſeinem Inventar keinen Einfluß 
des Acheuleen zeigt. 

Einer ſolchen grundſätzlichen Trennung iſt wohl ſicherlich zuzuſtimmen. 
Mir ſcheint jedoch, daß nicht alle uns bekannten alt= und mittelpaläolithiſchen 
Jundſtellen ohne weiteres in dieſes Schema eingereiht werden können. Wir 
finden gerade in Deutſchland Kulturen, die eine Sonderſtellung einnehmen 
(vgl. 1, S. 62). Weimar⸗Taubach⸗Ehringsdorf ijt in dieſer Beziehung zu 
bekannt, als daß ich näher darauf einzugehen brauchte. Markkleeberg hat 
Sauſtkeile und eine ausgezeichnete Klingeninduſtrie. Auch von Hundisburg 
kennen wir einen ſchönen Fauſtkeil. Die beiden letztgenannten Fundkomplexe 
ſind alſo kein „fauſtkeilloſes Prämouſtérien“. 

Man geht demnach wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß Weimar, 
Markkleeberg und hundisburg Sonderkulturen im Rahmen des 
„Prämouſtérien“ und „Kleinmoufterien” darſtellen. Damit aber find 
wir genötigt, für die Sirgenſteiner Stufe, ſpeziell für die Untere Sirgen- 
ſteiner Stufe einen Unſchluß an andere, ältere Funde zu ſuchen, 
um das Erſcheinen einer gegenüber Weimar ſo primitiven 
Kultur wie der Unteren Sirgenſteiner zwanglos erklären zu 
können. 


Wir kennen nun eine Reihe von Fundſtellen in Mitteleuropa, bei 
denen es ſich in der Tat um ein ſozuſagen „normales“ „Prä— 
und Kleinmouſtérien“ handelt, Sunde aus allen Abſchnitten des 
Eiszeitalters von der Mitte des vorletzten Interglazials an — 
von Rajtenberg (5) ſehe ich vorläufig ab —. Hier liegt vielleicht eine 
direkte Entwicklungsreihe von halberſtadt-Bilzingsleben (6, 
S. 164) über Wangen-Wettin-Rabuß bis zur Sirgenjteiner Stufe 


166 Julius Andree [7 


vor. Bei einer Einordnung der in Betracht kommenden Fundſtellen in die 
Abfolge der Eiszeiten und Interglaziale ergibt ſich folgende Tabelle: 


Moustevien Hlein- Ob Op Sirgenst St Ob Sirgenst. St. 


von Acheuléen- t Pchet-Einschlagt Sir warde, Réuber- 
3 Gees a Backen "Bouman =H. 
dey 
H. Eiszeit — 11 
Jh, ` Unt. Sivgenst.St. 
(Wurm) Moustevien ee 


Weimay ~ Rabutz 


Taubach Schilling b. Poser. 
Ehringsdorf WildKirchli. Krapina. 


Letze Acheuléen T | Markkleeberg Wettin 
(Ri 55) Köchstedt 


Acheuléen T Hundisburg Wangen 


Mitel Chelléen Halberstadt 


Pilzingsleben 


8] Ein neuer Sund der Sirgenfteiner Stufe in Weſtfalen uſw. 167 


In der Tabelle heben fic) deutlich die „Sonderkulturen“ heraus 
und ebenſo der Weg der evtl. direkten Entwicklung. Aber zugleich mit 
einer ſolchen Annahme tauchen auch wieder neue Probleme auf. Wie ent⸗ 
ſtanden dieſe Sonderkulturen? In Markkleeberg zeigen ſich Klingen 
vom Typ Levallois. Commont und Breuil betonen den acheuléenartigen 
Charakter der Werkzeuge von Ehringsdorf. Im hohle Fels bei Happurg 
macht ſich nach Birkner der Einfluß des Acheulsen geltend, im Schulerloch 
treten wiederum Levallois⸗Tupen auf. Iſt nun die Entſtehung der 
Sonderkulturen von Hundisburg, Markkleeberg und Weimar 
auf Einflüſſe des weſtlichen Chellèen-Hcheuléen i 
oder entwickeln ſich dieſe Kulturen völlig ſelbſtändig? Für 
Weimar⸗Taubach⸗Ehringsdorf könnte man eine Eigenentwicklung annehmen. 
Denn hier fanden ſich die bekannten menſchlichen Überreſte, die — in den 
Kreis des Neandertalers gehörend — in dieſem eine beſondere Stellung 
einnehmen, d. h. mit anderen Worten: das Vorhandenſein einer „Unterraſſe“ 
des Neandertalers in Ehringsdorf iſt immerhin ein Hinweis auf die Wahr⸗ 
ſcheinlichkeit, daß dieſe Unterraſſe eine eigene, ſelbſtändige, von den übrigen 
gleichaltrigen verſchiedenen und unbeeinflußte Kultur beſaß. Für Hundis⸗ 
burg und Markkleeberg finden wir noch keine Töſung der Frage. 

Und weiter: Gibt es überhaupt eine „Obere Sirgenſteiner Stufe 
mit lcheul⸗-Einſchlag“ oder liegt hier ebenfalls eine ſelbſtändige 
Entwicklung vor, die unbeeinflußt durch andere Kulturen entſtand? Auch 
dieſe Frage muß vorläufig noch offen bleiben. 

Bedenkt man die Länge der zur Verfügung ſtehenden Zeiträume und 
die doch immerhin nicht ganz unbeſchränkte „Freizügigkeit“ der diluvialen 
Menſchenhorden, ſo liegt die Möglichkeit der Entwicklung ſelbſtändiger Kulturen 
wohl vor. Aber erſt neue Forſchungen, neue Grabungen, neue Sunde können 
weitere Hufklärung ſchaffen. 


Cite raturverzeichnis. 


1. Julius Andree, Das Paläolithitum der Höhlen des Hönnetales in Weſtfalen. 
Mannus- Bibliothek, Nr. 42. Leipzig 1928. 

2. Auerbach, Geſchichte der Stadt Weida. Bd. 1, Heft 2: Srühzeit und Mittel⸗ 
alter. Deröff. d. ortsgeſch. Der. in Weida, III. 1927. 

3. Obermaier, „Mouſtérien“. In Ebert, Reallexikon der Dorgeſchichte. Bd. 8. 

4. Soergel, Die Gliederung und abſolute Zeitrechnung des Eiszeitalters. Sort 
ſchritte der Geol. u. Pal., af 13. 1925. : : 
55 5 Ein altdiluviales Artefaft (2) aus Thüringen. Prähiſt. Jeitſchr., 

6. Wiegers, Diluviale Dorgeſchichte des Menſchen. Bd. 1. Stuttgart 1928. 


Ein Knochen mit Tierzeihnung aus dem 
Rheinland. 


Don Carl Rademacher. 
Mit 10 Abbildungen im Text. 


Im Winter 1927 überbrachte der Land wirtſchaftsbefliſſene herr Mar: 
Joſef Frings aus Köln dem Städtiſchen Muſeum für Vor- und Frühgeſchichte 
zu Köln ein 10 em großes Knochenſtück (Abb. 1), das er bei einer Grabung 
nach karolingiſchen Scherben in der Nähe des Eſelsbaches, Gemarke Loden⸗ 
Gieſenheide, auf dem Gute des herrn hubert Poßberg in hilden bei 
Düſſeldorf gefunden ) hatte. Zugleich mit dieſem Knochen war ein kleiner 


Abb. 1. photographiſche Aufnahme des Knochens von Hilden. 


Feuerſteinabſpliß, 2,8 em groß, mit bearbeiteter Spitze zum Vorſchein gekommen 
(Abb. 2), etwas ſpäter ein weiterer Abſpliß aus demſelben gelben Silex 
mit Randſchärfung an einer Seite. 

Eine erſtmalige Beſichtigung der Fundſtelle (Abb. 3) durch den Bericht⸗ 
erſtatter fand bald darauf ſtatt und wurde in Gegenwart des Entdeckers 
die Lage des Knochens und des Feuerſteins feſtgeſtellt. Nach der geologiſchen 
Beurteilung des Geländes am 23. Mai 1928 durch Herrn Dr. Wehrli 
gab das Geologiſche Inſtitut der Univerſität Köln folgende Begutachtung ab: 


1) Die Ausfagen des herrn Frings dieſen Sund betreffend wurden ehrenwörtlich 
abgegeben und ſind im Fundarchiv des Muſeums niedergelegt. 


2) Ein Knochen mit Tierzeichnung aus dem Rheinland 169 


Geologiſche Begutachtung der Knochenfundſtelle nördlich Hilden. 
Don Dr. 5. Wehrli, Köln. 


Die Jundſtelle befindet fic) 500 m nördlich Didhaus am linken Ufer 
des Eſelsbaches in etwa 48 m höhe (17 m über dem Rheinwafferfpiegel). 
Sie liegt auf der unteren Mittelterraſſe in verſumpftem Gelände. Eine 
Schürfung an der Sunditelle, die 
etwa 60 ein tief reichte, förderte 
nur feine geſchichtete Quarz⸗ 
ſande zutage und vereinzelte 
Jeuerſteinſtücke. In etwa 50 cm 
Tie fe traf man auf ſtarke Grund⸗ 
waſſerführung. Die Ablage: 
rungen der Sande und die Bil⸗ 
Ge f 135 1 
erfolgte nach den Unterſuchungen a 
von Fliegel und h. G. Stein⸗ Abb. 2. Wiedergabe des ſpitzenartigen kbſpliſſes 
mann nach dem größten or-. grapferlen Knochens bei Bilden "e 
ſtoß des ſkandinaviſchen Eiſes 
(nach der zweiten Dergletfcherung). Nach Bildung der fraglichen Schicht 
fand keine erhebliche Eroſion mehr ſtatt. 

Die Derſumpfung des Geländes ſcheint nach Anficht des Derfaffers, 
ſoweit nach der kurzen Beſichtigung geurteilt werden darf, vom Eſelsbach 
herzurühren; kann alſo jüngeren Datums ſein. 


— ———EE — — 


Der Knochen findet ſich alſo in diluvialen Ablagerungen, die kurz nach 
der zweiten Dergletfcherung gebildet wurden. In Frage käme noch, daß wir 
es hier mit einer Ablagerung des Eſelbaches zu tun haben, doch ſcheint nach 
Unſicht des Verfaſſers die reine Quarzſandbildung dagegen zu ſprechen. Es 
bleibt nur noch die Möglichkeit beſtehen, daß der Knochen in ſpäterer Jeit 
an dieſe Stelle gekommen iſt. 


* * 


Unterſuchung und Beurteilung des Sundftiides fand im Städt. Muſeum 
für Dor- und Frühgeſchichte ſtatt unter ſtetiger Mitarbeit des herrn 


170 C. Rademacher [3 


Reg.-Baurat Erich Rademacher, der auch eine Nachbildung des Knochens 
mit den Zeichnungen, letztere allerdings in etwas verſtärkten Umrißlinien 
zur beſſeren Einſichtnahme anfertigte (Abb. 4). 
Was den Knochen an ſich angeht, fo läßt ſich leicht erkennen, daß es 
ſich um ein Rippenbruch— 
ſtück handelt, und zwar einer 
Hirſchrippe ), eine Anſicht, 
der ſich auch Prof. Dr. 
SES Janſon, Direktor des Stad- 
Prahist. Mus. Köln 10cm, tiſchen Muſeums für Natur⸗ 
Sar EEE kunde zu Köln anſchloß. 
An mehreren Stellen ſind 
Schnitt- oder Zägeſtellen 
deutlich Se, an oo 
; RR — einen Seite zwei in⸗ 
; Fi N ER "= ſchnitte, * kleinerer und 
- d „ ein größerer. Durch den 
El A H We J / größeren konnte der Knochen 
Fi * an dieſer Stelle ehemals 
von der ganzen Rippe 
abgebrochen werden. Ein 
ähnlicher Einſchnitt befindet 
ſich auch an dem gegen— 
überliegenden Ende. Er iſt 
nicht ſo tief, weshalb hier 
der Abbruch gewaltſamer 
erfolgen mußte e Abb.5). 
Abb. 4.-Photographiſche Wiedergabe der Nachbil Das Rippenſtück macht 
rn a Sor bilden, "SST kaum den Eindruck eines 
rezenten Knochens; Foſſili— 
tät liegt jedoch auch nicht vor. 
Nur eine der beiden Rippenjeiten trägt leicht eingeritzte Zeichnungen, 
Gravuren; die andere Seite iſt leer. 
Zunächſt bei den beiden erwähnten Schnittflächen ſteht ein geweih— 


iy—ꝛ— . D 


Staestelle, 


es a er - 
ar ge det wi e 
IF zeg, 
e E — 
fe. 


Sdgestelle. 
Abb. 5. Die Schnittflächen an dem Knochen von Hilden. 


tragendes Tier. Art des Kopfes und der ganzen Geſtalt ſowie des Geweihes 
deuten auf einen Did: oder Elch. Das Geweih ijt ſtark zurückgelegt (wohl 


1) Zum Vergleich dienten hirſchrippen und anderes oſteologiſches Material im 
Muſeum für Naturkunde. 


4] Ein Knochen mit Tierzeichnung aus dem Rheinland 171 


des zur Verfügung ſtehenden Raumes wegen). Durch das bloße Auge iſt 
dieſer Hirjd) mit allen Einzelheiten gut erkenntlich. 

Vor dieſem Tiere ſteht ein anderes, ohne Geweih, die ganze Geſtalt 
dem erſten ähnlich, fo daß man an eine Hirſchkuh gemahnt wird. Dieſe Anficht 
findet ihre Stütze in einer Hirſchkuhzeichnung aus dem franzöſiſchen Pala- 
olithikum !) (vgl. Abb. 6). 

Auch dieſes zweite Tier iſt dem bloßen Auge leicht ſichtbar. 

Dor dieſen Hirſchgravuren befindet ſich eine dritte Tierzeichnung, deren 
Charakter mit bloßem kluge ſchwer erkennbar iſt. 
Deutlich ſieht man jedoch die beiden Vorderbeine, 
die untere Bauchlinie ſowie weitere undeutliche 
Linien. Bei Benutzung eines Dergrößerungs- 
glajes werden die Umrißlinien des Kopfes, ein 
Rüjjel ſowie zwei nach auswärts gebogene Linien, 
welche die Zähne darſtellen, erkenntlich, fo daß 
wohl in dieſer Gravur eine Mammutzeichnung 
vorliegt, die allerdings nur den Vorderteil des 
Tieres umfaßt. Zu dieſem Ergebnis gelangten app. 6. Hirſchkuhzeichnung 
auch die (unabhängig voneinander) vorgenom- aus pielle, Caf. 41. 
menen Beobachtungen der Herren Reg.-Baurat 
E. Rademacher und Studienrat Dr. Lindermann-Jülich. Dol. Abb. 3. 

Durch dieſe Zeichnungen erhält der Fund für die rheiniſche Frühkunſt 
eine gewiſſe Bedeutung, eine Bedeutung, die um ſo größer zu bewerten iſt, 
als das Rheinland und überhaupt Deutſchland bisheran ziemlich arm an 
eiszeitlichen und nacheiszeitlichen Gravuren überhaupt find. Aus dem Rhein: 
land ſelbſt liegen bis jetzt vier Stationen eiszeitlicher Kunjt vor, auf die hier 


Abb. 7. Derzierter Dogelfnoden von Steeden an der Lahn. 


kurz hingewieſen fei. Es find dies die Funde von Oberkaſſel, Martinsberg 
bei Undernach, Wildſcheuer bei Steeden a. d. Lahn und Mainz. Letztere 
Station lieferte Bruchſtücke zweier weiblicher Aurignacien-Statuetten ). In 
der Wildſcheuer bei Steeden entdeckte R. R. Schmidt einen Dogelfnoden 
(Abb. 7) mit viereckigem Wolfzahnornament; dieſer Fund wird ebenfalls 
dem jüngeren Aurignacien ?) zugeſchrieben. In der Magdalénien-Sreiland— 


1) Piette, L'art pendant l’äge du renne, Bildtafel XLI, eine Tierzeihnung auf 
einem Knochenſtück, die er als „biche“ (hHirſchkuh) bezeichnet. Sie hat mit der Kölner 
Gtavur große SEN d. h. was die Charakteriſtik des Tieres als ſolches angeht. 

2) Ernſt Neeb, Eine paläolithiſche Sreilandjtation bei Mainz. Prähiſtor. Zeit: 
ſchrift 1924, S. 1—8 und Mainzer Zeitichrift 1922 —24, S. 108-112. 

) Dal. Obermeyer, Der Menſch aller Zeiten, S. 278; R. R. Schmidt, Deutſches 
Paläolithikum, S. 78—85; Her. heck, Die Stratigraphie der Wildſcheuer, neue klusgrabungs— 
ergebniſſe. Die Eiszeit, 1924, 5. 105 - 100. 


172 €. Rademacher [5 


jtation auf dem Martinsberg bei Andernad) fand fic ein aus einem Stück 
Hirſchgeweih gearbeiteter Dogelfopf !), wohl Griff eines Gerätes. Eine Spike 
aus Knochen, auch vom Martinsberg, mit eingraviertem Ziermuſter in Stab⸗ 
manier, gehört nicht zur eigentlichen Kunft. Ebenfalls nicht ein Glätter mit 
ähnlichen Strichverzierungen ) aus der Magdalenienitation des Kartiteins. 
Die Sundjtelle des letzten Kunſtgegenſtandes find die Skulpturen von Ober: 
kaſſel. Im Grabe, unbedingt zu den Skeletten gehörig, befanden ſich zwei 
Gegenſtände, von denen der eine von Derworn als Pferd ?) bezeichnet, 
nach den neueſten Unterſuchungen von Breuil“) und Kühn als Bruchſtück 
eines Tierkörpers erkannt, dazu ein Glätter aus Knochen, der in einen Tier- 
körper endigt. Huch dieſer Fund gehört in die Stufe von Madeleine. Hiermit 
find die eiszeitlichen Kunſtwerke des Rheinlandes erſchöpft. Für Deutſchland 
treten noch hinzu die Zeichnung eines Renntieres >) (?) auf einem hirſch⸗ 
geweihſtück von der Schuſſenquelle (echtes Magdalenien), die Gravierung 
eines Pferdekopfes auf einer ae Gravierung eines Mammuts) 
an der Klauſenhöhle bei Neu⸗Eſſing in Bayern. Aus den Höhlen bei Nörd⸗ 
lingen find 1914 Rigungen von drei Tierzeichnungen auf Kalkſteinplatte 
bekannt geworden, die Birkner“) behandelt hat und endlich ein Knochenſtab 
mit Bruchſtück oder Zeichnung eines Menſchen mit Tierſchwanz s) von Kauferts- 
berg bei Nördlingen. Un eiszeitlichen Gravuren find demgemäß in Deutſch⸗ 
land bis jetzt bekannt Gravuren von vier Menſchen, davon drei Frauen, 
Zeichnung eines Pferdes und eines Mammuts. Bruchſtück eines großen 
ee (nicht gewiß was für eines), Wolfszahnornament und einfache Zier⸗ 
triche 

Rechnet man dazu noch die bekannten Gravuren vom Schweizersbild 
bei Schaffhaufen und aus dem Keſſerlerloch bei Tayrıgen, fo ijt das ganze 
Rheingebiet von der Quelle bis zur Mündung erſchöpft. Aus der erſten 
Nacheiszeit, dem Meſolithikum liegen bis jetzt keinerlei Funde vor. 

Was das Alter der Kölner Gravur anbetrifft, jo find zur Gewinnung 
eines Urteils zwei Gründe maßgebend, zuerſt ein rein äußerlicher, dann 
ein innerlicher, aus dem Runſtwerk ſelbſt abzuleitender, d. h. alſo ein kunſt⸗ 
hiſtoriſcher. 

Was den äußerlichen Grund betrifft, ſo wurde ſchon geſagt, daß der 
Knochen nicht direkt als foſſil angeſprochen werden kann, er iſt in das 
Nacheiszeitalter zu verſetzen, wohl in den Beginn der Mitteljteinzeit. Dieſes 
könnte zu der geologiſchen Lage, über die das Nötige bereits geſagt wurde 
ſtimmen. In der Nacheiszeit hatte der Hirjd) eine außerordentliche Be- 
deutung und bildete das Hauptjagdwild des damaligen Menſchen, der nicht 
mehr in Höhlen hauſte. Schon aus dem Magdalenien find Sreilandſtationen 


1) Dal. R. R. SEN Deutſches Paläolithikum, S. 88—90; Obermeyer, Der 
Menſch, gen ele e 2 | 
2) D Ne 5 Der Menſch aller Zeiten, S. 276; a) C. Rademacher, 
Die Ausgra 1195 des Kartiteins. Prähiſtor. Zeitichrift 1911, Cafe 10. 
ie ) Derworn, Bonnet und Steinmann, Der diluviale Menſchenfund von Ober: 
aſſel. 


) Breuil und Kühn, Über dieſen Fund in Ipek, 1927, S. 195. Jahrbuch der 
prähiſtoriſchen und ethnologiſchen Kunit. 

5) Dal. Obermeyer, Der A aller Zeiten, S. 289, Sig. 182; R. R. Schmidt, 
Diluviale Urgeſchichte, Tafel 23, a 

Jpef 1926, 8. 29-32. Eine Mammutdarftellung aus Süddeutſchland. 

*) Dal. Birkner, Beitrag zur Anthropologie und Urgeſchichte 1 XIX, 
S. 16; von demſelben, paläolithiſche Kunjt aus dem Ries — Bayern. Ipek 1928 

8) Aud) von Birkner eröftenilicht, ogl. Anm. 3. 


6] Ein Knochen mit Tierzeichnung aus dem Rheinland 173 


am Rhein (Martinsberg, Oberkaſſel) bekannt. In der ſpäteren Zeit bildeten 
fie die Regel. Das Hildener Stück gehört einer Station an, die nicht 
weit davon beftanden hat, da Rollſpuren weder an dem Knochen noch an 
den Steinen ſichtbar ſind. | 

Dieſe äußeren Umſtände ſprechen dafür, die Gravur von Hilden nicht 
dem Eiszeitalter zuzuſchreiben. | 

Ein Vergleich der Hildener Gravur mit dem hiſtoriſchen Entwicklungs⸗ 
gang der Paläolithkunſt wird eben⸗ | 
falls Hinweife ‘auf das Alter desjelben 
bringen. 

Junächſt liegt auf der Hand, 
daß ein Kunſtwerk vorliegt, das, ganz \ 
allgemein, mit der eiszeitlichen Kunſt 
in gewiſſer Beziehung ſteht. Die 
Gravuren ſind außerordentlich fein 
eingeritzt, aber mit ſicherer hand. Es 
find keine ausgeführten Kunftwerte, 
ſondern nur leicht hingeworfene Um: ML 


rißzeichnungen, Skizzen. 
Ein Vergleich mit dem Wollen 


und Rönnen der europäiſchen Eiszeit⸗ = 
kunſt ), auch wenn es ſich um bloße 

Skizzen handelt, ergibt jedoch die b 
Tatjache, daß die damaligen Künftler Abb. 8. Steppenefel auf der Kaltiteinplatte 
das darzuftellende Tier nicht einfach vom Schweizerbild nach Dr. Nueſch. 
als ſolches auffaßten, ſich nicht mit 

den Umriſſen, wodurch das Tier als ſolches kenntlich wurde, begnügten, 
ſondern dasſelbe in einer dem Weſen des betreffenden Tieres beſonders 
eigentümlichen Situation wiedergaben, das Renn im Lauf, beim Ajen, den 
hirſch im Lauf, ebenſo das Pferd und andere Tiere. 


Auf einem franzöſiſchen Knochenſtück?), das wie das Kölner nur 
ſkizzenhaft ausgeführte Gravuren enthält, ſieht man zur Linken ein trotz 
aller Skizzenhaftigkeit ſehr charakteriſtiſch ausgeführtes Renn im Lauf, dem 
ein kleiner dargeſtelltes Renn folgt. Daran ſchließt ſich eine Gruppe anderer 
Tiere, ſehr ſkizzenhaft hingeworfen, noch von Linien einer zweiten Cierzeich— 
nung überſchnitten. Die Beine der Tiere ſind meiſt auch nur durch einfache 
Striche angedeutet, was beſonders bei der dritten Gruppe deutlich in die 
Erſcheinung tritt, wie auf dem Kölner Stück. Beine und Tiere überhaupt 
erſcheinen jedoch ſehr viel lebenswahrer und der Situation, die dem Künſtler 
vorſchwebte, abgepaßt, als die Gravuren des Hildener Stückes, auf dem 
jedes Bein nur durch einen einzigen Strich angedeutet iſt. 

Auf einer franzöſiſchen Gravur 3) findet ſich eine Tierzeichnung, die 
von Piette als „biche,,, hirſchkuh, bezeichnet ijt (Abb. 6). Aud) hier flüchtige 
Skizze, aber der Unterſchied des Runſtwollens tritt ſofort ins Auge. 


1) Dal. Girod et Massénat, Les stations de l'age du renne dans les Vallées de 
la Vezere et de la Correge und Piette, L'art pentant l'uge du renne. 

2) Tafel XXIV, Abb. 1, aus Girod et Massénat, Les stations de lage du renne 
dans les Vallées de la Vezere et de la Correge. 

) Tafel XLI, Piette, L'art pendant lage du renne. 


174 C. Rademacher [7 


Wie ſchon gejagt, ſind einige deutſche Gravuren in einfachen Umriß⸗ 
linien vorhanden, auch aus dem Rheingebiet der Schweiz. Das bekannte 
weidende Renntier vom Reßlerloch ſtellt ein ausgeführtes Kunitwerf im 
obigen Sinne dar. Aus dem Schweizerbild ſteht die Kalkſteinplatte (Abb. 8) 
mit den zwei Steppeneſeln und dem Renn der Rölner Gravur wohl bedeutend 
näher. Die Hauptfigur der Platte, ein groß gezeichneter Steppeneſel )), 
unter dieſem ein kleineres, aber flott gezeichnetes Tier derſelben Art. Aber 
bei dieſen Tieren, deren Beine ebenfalls nur durch Striche, aber nicht durch 
einen Strich wie bei den Hildener Knochen, angedeutet ſind, erkennt man 


Abb. 9. Stein von Kamilsto, Oſtpreußen. Nach h. Rühn, Ipeck 1927. 


gehört. ein gewiſſes Vorſchweben, das Ahnen der Situation, die zu den Tieren 
gehört 
Die Gravur von Hilden atmet einen anderen Geiſt. Eine Zeit tritt 
daraus entgegen, in der die Eiszeitkunſt längſt ihren höhepunkt überſchritten 
hatte. Es iſt der Get, wie er auf ſpäteren Tiergravuren im Norden bekannt 
ijt. Erwähnt fei hier die Zeichnung eines Rüſſeltiers auf dem Stein von 
Kumilsfo, Oſtpreußen (Abb. 10). Dieſe Gravur wird für neolithiſch ?) an⸗ 
geſehen, die Beine hier ebenfalls durch einen Strich angedeutet. 

Alles ſpricht dafür, die Kölner Gravur wohl dem Entwicklungsgang 
der eiszeitlichen Kunjt zuzuſchreiben, ſie aber in eine ſpätere Zeit zu 
verſetzen. 


1) Dr. nueſch, Das Schweizerbild. 
Seck 2) Dol, Kühn, Der Mammutſtein von Kumilsko, Kreis Johannisburg, Oſtpreußen. 
pek 1926. 


8] Ein Knochen mit Tierzeichnung aus dem Rheinland 175 


Noch in ſpäteren Zeiten hat fic) die Vorliebe, auf Geräten und anderem 
Tierzeichnungen anzubringen, auch im Rheinland erhalten. Das Kölner 
Muſeum für Dore und Frühgeſchichte beſitzt einen 9,2 em langen, 6,7 cm 
breiten eiförmigen Stein mit höhlung, der ſchon als Gießlöffel angeſprochen 
iſt, obſchon ſeine eigentliche Beſtimmung unklar ſein dürfte. Er ſtammt von 
Freilingen bei Blankenheim i. d. Eifel. Auf der Rückſeite hat dieſer Stein 
ebenfalls eine Zeichnung (Abb. 10), wieder ein Tier, in Strichmanier. 


Abb. 10. Stein von Freilingen bei Blankenheim i. d. Eiſel. (Muſeum für Dore und Srüh⸗ 
geſchichte Roln.) 


Der mit dem hildnerknochen gleichzeitig gefundene Seuerjtein bildet einen 
ſpitzenartigen ÜUbſchlag von 2,1 em Lange, 2,2 em Breite an der unregel- 
mäßigen Bafis. Auf der einen Seite finden ſich an der Spitze eine Art Slächen⸗ 
retouche, die andere Seite iſt durch kleine Schläge wenig bearbeitet. Die 
Nückſeite des Steines iſt nicht bearbeitet. Wahrſcheinlich liegt ein Gerät vor, 
das als Pfeilſpitze Verwendung finden ſollte oder gefunden hat (Abb. 8). 

Der ſpäter gefundene Feuerſtein, das Bruchſtück eines kleinen 
Knochens einer Randjdarfung, dürfte ebenfalls dem Meſolithikum !) gn: 
gehören. 

1) Das frühe Meſolithikum ijt neuerdings gerade im Rheinland durch zwei neue 
Sunde vertreten, wovon der eine, ein lorbeer a Gratbeil, ebenfalls aus dem 


Bezirk Düſſeldorf ſtammt. Der andere Sund ijt ein typ. meſolithiſches Sauſtkeil aus der 
Umgebung von Köln. 


Germaniſche und galliihe Kulturen am 
Niederrhein. 
Unter beſonderer Berückſichtigung neuer Mittel⸗Catène⸗ Funde. 
Don Erich Rademacher. ö 
Mit 15 Abbildungen im Text. 


Der liebenswürdigen Aufforderung, an der Roſſinna-Seſtſchrift mich 
zu beteiligen, gedachte ich durch eine tupologiſche Unterſuchung über die 
keltiſchen Pufferringe der Srühlatenezeit zu entſprechen. Ich beabſichtigte 
damit anzuknüpfen an die bekannte Schrift Geheimrat Roſſinnas über: 
Die goldenen Eidringe und die jüngere Bronzezeit in Oſtdeutſchland. (Man⸗ 
nus VIII, 1917, Heft 2/3). 

Der Gedanke, den ſcheinbar ſo tupiſch keltiſchen Puffer⸗ oder Endſtollen⸗ 
Hals⸗ und Bronzering als Entlehnung aus dem Germanenkreiſe darzuſtellen, 
wird manchem zunächſt ſonderbar erſcheinen. Da aber dieſelben Gedanken⸗ 
gänge auch für das jetzt gewählte Thenia eine Rolle ſpielen, möchte ich ganz 
kurz über das verhältnis germaniſcher und galliſcher Kulturen folgendes 
ſagen. Als eine ganz beſondere Eigentümlichkeit der keltiſchen Kultur ſpringt 
ihre Aufnahmefähigfeit für fremdes Gut ſowohl ſachlicher als geiſtiger Art 
hervor. Immer und immer wieder findet ſich dieſe Erſcheinung in der Abfolge 
keltiſcher Dorgeſchichte — und Geſchichte. Don außen dringt eine Sache 
irgendwelcher Art — ein Ding, eine Sitte — in das Keltengebiet ein, um 
dort begierig aufgenommen und meiſt mit Eigenem weiterverarbeitet zu 
werden. Das iſt hier für die Vorgeſchichte fo deutlich weit ſtärker als bei 
anderen Kulturen zu belegen, daß eine ganz beſondere Veranlagung vor- 
beſtehen muß. Einige Beiſpiele ſeien genannt. Der Lateneſtil ſtammt aus 
Griechenland, wurde wenigſtens durch Einwirkung klaſſiſcher Runſt geweckt; 
das keltiſche Münzweſen iſt barbariſche Nachahmung des griechiſch-mazedoni⸗ 
ſchen; die Sitte der Wagengräber ſtammt aus Etrurien, desgleichen der keltiſche 
Streitwagen (essedum) ſelbſt, ebenſo die Sitte, den Toten Bratſpießbündel 
mitzugeben. Don Norden, aus dem Germanengebiet ſtammt der Wendel— 
ring, was genugſam bewieſen iſt. 

Dieſe Dieljeitigfeit, die Sucht nach neuen Dingen, (H für den Reltenkreis 
tupiſch — ſagt ſchon Caeſar. 

So ſollte hier nachgewieſen werden, daß auch die Pufferringe germani— 
ſchem Gut, eben den Eidringen entlehnt find. Dorſtufen in der Hallitattzeit 
gibt es nicht; die früheſte Cateneſtufe (mit Masken- und Tierkopffibeln) führt 
ſie noch nicht. In der frühen germaniſchen Eiſenzeit ſind die Abkömmlinge 
der Eidringe Bronzeringe mit Heinen und großen Schalen (Thüringen, Jahres: 


2] Germaniſche und galliihe Kulturen am Niederrhein 177 


ſchrift der ſächſiſch-thüringiſchen Länder, 10, 1911, 8. 118 und Rothen 
Prähiſt. Zeitſchrift 9, 1917, S. 64). 

Don dieſen Sormen müffen die Pufferringe herſtammen, da ſie bis 
ſpät noch ſtets die beſonderen Eigenſchaften dieſer zeigen, jo 3. B. die gegen⸗ 
einandergekehrten Schalen. Dazu zeigt rein tupologiſch die Derwilderung 
der Form von Anfang an (Waldalgesheim !), daß es ſich um eine Weiter⸗ 
entwicklung einer auf keltiſchem Gebiet nicht vorkommenden Form handelt. 
Sogar das Zuſammenwachſen der Schalen oder Puffer, wie es häufig iſt, 
iſt bei einem nordiſchen Stück aus Hannover, deſſen Zeichnung ich der Liebens⸗ 
würdigkeit von herrn Dr. Gummel verdanke, vorweggenommen. (Siehe 
H. U. 9. D., S. 5.) 

Diefe ſchon zu langen Bemerkungen habe ich mir nur geſtattet, weil 
ich fpäter in gleichem Sinne auf noch ungeklärte Beziehungen in der Keramik 
zu ſprechen komme. 

In letzter Stunde vor Inangriffnahme obiger Arbeit, deren Vorbereitung 
und Stoffſammlung ſchon Jahre alt iſt, geſchahen an zwei Stellen unſerer 
Kölner Gegend — links: und rechtsrheiniſch bedeutſame Sunde der Mittel⸗ 
latenezeit — die erſten typiſchen und beobachteten. Da dieſe Grabfunde 
Neues bringen — weniger überhaupt, als für uns; und da ſie den Anſchluß 
an mitteldeutſche Funde, die auch von Roſſinna bearbeitet find, fo wurde 
eine erſte, noch vorläufige Bekanntgabe als Ergänzung meiner Germanen⸗ 
gräberchronologie im Mannus 1922 für wichtiger als anderes gehalten. 
Während die Ipätlatènegräber unſerer Germanen ſchon einigermaßen in 
obiger Arbeit behandelt ſind, ſollen hier die früheren, bislang noch wenig 
deutlichen Latèneſtufen beſprochen werden. 

Die Tafel bringt außer dieſen neuen Funden noch Lichtbilder der ſchon 
1922 in Zeichnungen von mir veröffentlichten, ferner ein Bild nach einem 
Hbguß, den wir der Freundlichkeit Prof. Cehners vom Bonner Provinzial⸗ 
muſeum verdanken (Abb. 8). Es handelt ſich um ein Brandflachgrab von 
Siegburg-Mülldorf, das auf dem anderen Ende des weitgeſtreckten Grab⸗ 
feldes gefunden iſt, deſſen einem Ende die in der Urbeit 1922 erwähnten 
kaiſerzeitlichen Gräber entſtammen. 

Die neuen Sunde ſtammen von Altenrath bei Donrath, von der Wahner 
Heide (Abb. 1, Nr. 2, 3, 4, 11). Sie find als Zufallsfunde in einer Sand— 
arube zutage gekommen. Die Anlage der Gräber zeigt Abb. 1. Es find 
keſſelförmige Gruben, rund 60 cm tief, in dem die Urne ſteht. Knochen und 
Sibeln liegen in der Urne. Einmal (Abb. 4) lag ein flacher Stein über dem 
Gefäß (Steinkreiſe von rund Um Durchmeſſer über der Urne find beobachtet?). 
Die Töpfe ſtanden ziemlich hoch, daß verſchiedentlich der Rand völlig ab— 
gepflügt ijt, eine bei germaniſchen Urnenfeldern ſehr oft beobachtete Lage. 
Das Gelände iſt eine flache Sandterraſſe, die der Sülz parallel läuft. Ein 
ſehr geeignetes Wohn- und Grabgelände, das auch eine ausgedehnte Sied— 
lung der Untergrombacher Kultur lieferte mit mehrfachen Herdpflaſtern. 
Durch Ubſpülung des ſehr loſen Sandes liegen die Wohnkulturen 20—30 ein 
unter der jetzigen Oberfläche und ſind durch Aderbau verſchleppt. 

Das zweite Seld liegt in Köln ſelbſt, im neuen Grüngürtel bei Efferen. 
Hier iſt bis jetzt nur ein Grab gefunden, das die beiden prachtvollen, gedrehten 
Gefäße mit einer Mittellatenefibel ergab (Abb. 12, 13). 

Zur Fundbeſchreibung iſt folgendes zu ſagen: Abb. 2 iſt das erſte der 
Altenrather Gefäße. Grautonig, Handarbeit, ohne Rand 30 em hoch, mit 
ziemlich ſcharfem Umbruch, eingeritzter Kreuzjchraffur auf der Schulter, weitem 


Mannus, Jeltſchtift für Dorgeſch., VI. Erg.⸗Bd. 12 


178 Erich Rademacher [3 


Ser es rm 


8 15 12 
Abb. 1. Grab Altenrath, bez. d. vierediges Papierblatt. Abb. 10. 9. Mülheim bei Köln; 2, 3, 4, 11 Alten 
rath; 5, 6 Sliegenberg bei Troisdorf; 7 Roisdorf; 8 Siegburg-Mülldorf; 12, 13 Köln. 


4] Germaniſche und galliihe Kulturen am Niederrhein 179 


abgeſetzten koniſchen Hals. Rand völlig abgepflügt. Dieſe Gefäße erinnern 
an keltiſche Lateneformen, fo an die Lateneflajchen, aber die ganze Art, die 
Schlankheit und Weite, ſowie Kürze des halſes weit mehr an germaniſche Ge⸗ 
fäße. Die niederſächſiſchen Felder, bis zur Mark hin haben ſolche Formen und 
es ſcheint faſt, als ob dieſe Geſtaltung aus dem Germanenkreiſe nach Süden 
gekommen iſt. Vergleichbar iſt in den keltiſchen Formen nur der mittelrheiniſche 
Strich. Mit den tupiſch keltiſchen Flaſchen linſenförmigen Körpers hat er wenig 
gemein. Er iſt offenbar älter. Zu gleichem Typ gehört Abb. 9 und 10 von 
Mülheim bei Köln. Ein zweiter Typ iſt Abb. 5. Das Gefäß iſt mit neu 
hinzugekommenen Scherben jetzt zuſammengeſetzt. Es iſt ſchlank, hoch, 40 cm, 
doppelkoniſch mit ſcharfem Umbruch und ausgeſchwungener Halslippe. Der: 
ſelbe Typus liegt vor in Abb. 5 und 6 vom Fliegenberg (ſiehe Mannus 1922), 
Abb. 7 vom Vorgebirge bei Roisdorf (Nachbeſtattung in einem endſteinzeit⸗ 
lichen Hügel. 

kihnlich dieſem wird wohl auch Abb. 4 geweſen fein. Der Rand fehlt. 
Sehr eigentümlich ijt die Verzierung, von der nachher zu handeln fein wird. 

Abb. 8 ijt ein ſchwarztoniges, geſchmauchtes, 28 em hohes, faſt ſchon 
ſchlauchförmiges Gefäß von Siegburg-Mülldorf. 

Abb. 9 ijt ebenſo wie 10 ſchon im Mannus 1922 gezeichnet. Es find 
typiſch germaniſche Lateneformen der Frühzeit aus der Mülheimer Gegend 
bei Köln. 

Dazu treten nun neu: Abb. 11 von Altenrath. Eine flache Schale, aber 
mit ſtarkem koniſchen Halje mit den tupiſchen Drehſcheibenwulſten und Riefen, 
Umbruch ſcharf, Drehſcheibenarbeit, brauntonig; 30 cm Durchmeſſer. Ferner 
von Köln die beiden Abb. 12 und 13. 12 eine ähnliche Schale wie 11 und 13 
ein Napf mit Worf eingezogenem Dalle, beide mit ſcharfem Umbruch. Seinjte 
Drehſcheibenarbeit, feinſtgeſchlämmter Ton bräunlich-ſchwärzlicher Farbe, 
13 mit braunroter, ganz dunkler Oberſchicht, 12 wohl ehedem ſchwarz geweſen. 
13 hatte ſchwach nach oben ei igezogeuen Boden, fo daß ſich ein ganz ſchwacher 
Standring bildete, der aber von dem Unterteil des Gefäßes oben nicht ab— 
geſetzt war. Nur der Boden lag höher als der Ring. Die letzten drei Gefäße 
gehören zu einer Art, wie fie bisher nur in Thüringen bis Leipzig und in 
wenigen Stücken bis in die Elbegegend gefunden find. Dal. Koffinna, 
Vorgeſchichte, eine hervorragend nationale Wiſſenſchaft, ferner Reallexikon, 
und Nordiſcher Kreis, dort auch Literatur. 

Derartige Gefäße ſind bislang im Reltengebiet nicht gefunden. Ihre 
Form erklärt ſich aus der Übernahme der Drehſcheibentechnik auf Gefäße 
der Formen 2 mit dem ſcharfen Umbruch. Wie alle dieſe Drehmuſter ſind 
die Riefen techniſch bedingt und beſagen über die Zujammengehörigfeit 
wenig. Sie treten in der Latenezeit in der Marnekultur ſchon auf und 
halten ſich bis weit in die Kaijerzeit. 

Ganz allgemein iſt man bislang der Meinung geweſen, daß derartige 
Gefäße keltiſchen Urſprungs ſeien, wenigſtens aber aus dem Keltenkreiſe 
entlehnt ſeien. Unſere Gräber zeigen zweifellos die Nähe der keltiſchen Kultur 
— denn die Drehſcheibe iſt ohne Zweifel ſüdlicher herkunft. Das iſt genugſam 
durch das lange Feſthalten des Germanenkreiſes an der Handarbeit — bis 
in die Kaiſerzeit — bewieſen. In der Zeit der hier beſprochenen Drehſcheiben— 
gefäße muß aber der ſüdlichſte Teil der Germanen, der mit den Kelten in 
Berührung kam, die Drehſcheibe, wenigſtens zeitweiſe übernommen haben. 
Anders kann ich die Zujammtenhänge nicht erklären, ſolange nicht eine deut— 

12* 


180 Crich Rademacher [5 


liche keltiſche Srüh- bis Mittellatenefultur gefunden iſt, die dieſe Gefäße 
führt. Es bleibt bis jetzt nichts übrig, als ſie eben für germaniſch zu halten. 

Während man alſo in dem abgeſetzten koniſchem Halſe eine germaniſche 
Form erblicken möchte — hier fehlt es noch ſehr an Einzelarbeiten — gibt 
uns die Drehſcheibe die keltiſche Technik. Sie bedingt die Riefen⸗ und Wulſt⸗ 
ausbildung aus ſich heraus. | 

Als dritter ſehr intereſſanter Punkt bleibt die herkunft des ſcharfen 
Umbruchs bei den Gefäßen unſerer zweiten Reihe. Er erinnert unwillkürlich 
an die germaniſchen doppelkoniſchen Urnen der ſpäten Bronzezeit, die ge⸗ 
legentlich bis in den Jaſtorfer⸗ und Weſſenſtedt⸗Stufen hineinreichen. Huch 
in dem niederrheiniſchen keltiſchen Hügelgebiet, das den Germanen am. 
nächſten liegt, iſt er in der ſpäteren Hallſtattzeit vorhanden, ganz offenbar als 
Eindringling von Oſten. Es fehlt ihm ganz die ausſchwingende Lippe. Der 
Umbruch ijt dann auch im anſchließenden germaniſchen Sormenvorrat zu 
finden. Ebenſo iſt er in der Sriiblaténezeit der Trier⸗hermeskeiler Gegend 
(Muſeum Trier) vertreten, dann ſehr ſtark ausgeprägt in der Marnekultur 
(vases carenées, vgl. Reallexikon Frankreich und Marnekultur mit Tafel). 
klnſchließend führt ihn zur Mittellatenezeit unſere ſüdgermaniſche Brand⸗ 
flachgräbergruppe, nunmehr von Köln bis Thüringen. In der Spätlatenezeit 
kommt er bei Schalen, die ſich von der Form 11 und 12 ableiten auch vor; 
zudem gibt es kleine Näpfe derſelben Art (Muſeum Köln). 

In prachtvollen, faſt papierdünnen kleineren Stücken, höchſtens 15—18, 
meiſt nur 10 em hoch, findet es ſich in der fog. belgiſchen Ware, die nach allge⸗ 
meinem Urteil eine auf der germaniſchen, alten Formgebung beruhende, 
aber mit römiſcher Technik arbeitende, einheimiſche Töpferei darſtellt. Dieſe 
Ware iſt am Rhein im erſten Jahrhundert nach Chr. häufig. Hus ihr haben 
ſpäte — 3. Jahrhundert — Töpfe von Worms den ſcharfen Umbruch, die 
ihrerſeits auf die Entwicklung der fränkiſchen Keramik ſtarken Anteil haben. 
Gleichzeitig taucht er in Mitteldeutſchland (Thüringen a. a. O.) wieder auf. 
Die fränkiſche Ware führt ihn ſtark. 

Im ganzen fehlt es noch ſehr an genauen Belegen, man könnte eben⸗ 
fogut an germaniſches wie auch keltiſches Kulturgut denken. In letzterem 
Falle wäre die Form mit der ausgeſchwungenen Lippe eine keltiſche Erfin⸗ 
dung der frühen Lateenezeit —, die aber merkwürdigerweiſe nur in der den 
Germanen nahen Nordweſtzone auftritt. Denkbarer ijt deshalb der andere Fall, 
daß den uralten germaniſchen doppelkoniſchen Gefäßen, die höher und 
bewegter formende ſpätere Zeit den ausſchwingenden Rand hinzufügte. 

Das Gefäß 8 möchte man wegen ſeiner Sormlofigfeit und dem Anflang 
an die ſpäten ſchlauchförmigen Gefäße für das ſpäteſte der dargeſtellten halten 
(vielleicht ſchon bis 100 vor Chr.). We 

Nach dieſer Beſprechung der Gefäße, die allein im Zufammenhang 
mit Form und Technik unverkennbare Entwicklungsreihen mit gut deutlicher 
Zeitbeitimmung durch Formverwandtſchaft in mancher Ridytung zeigt, kommen 
Einzelheiten und Beigaben an die Reihe. 

Die Verzierung auf Urne 4 liegt dem Geſchmack der Zeit entſprechend 
auf der Schulter. Solche Schraffenbänder ſind überall gebräuchlich, genau 
gleiches ijt mir leider nicht bekannt. Mitteilungen oder Deröffentlichungen 
wären von Bedeutung. Einfache, ſchrägſchraffierte Bänder ſind in den Ger— 
manengrabfeldern von Karow (Mark) (Muſeum Köln) und anderwärts nicht 
ſelten. Wichtig könnte das Band werden als Vorläufer der in breiten Zonen 
liegenden Stempelbänder auf den Schlauchgefäßen der belgiſchen Ware. Da 


6) Germaniſche und galliſche Kulturen am Niederrhein 181 


dieſe belgiſchen Gefäße ohne jeden Zweifel von dem Typus, Abb. 6, 5, 7, 8 
abſtammt, wäre ein Vorläufer des Zierbandes ganz einfach zu erklären. Das 
Band iſt nämlich dadurch wichtig, daß es ſich in künſtleriſcher Huffaſſung 
von den meiſten früheren Zierbändern unterſcheidet: Es zeigt keine Verzie⸗ 
rung, ſondern ijt ſelbſt Verzierung; es zeigt keine regelmäßigen Linien irgend 
eines Muſters, wie Schräg⸗ oder e horizontale Linien u. dgl,, 
ſondern es iſt lediglich ein aufgerauhtes, anders wirkendes Band auf der 
Gefäßwand. Damit iſt es genau dasſelbe wie die belgiſchen Bänder mit ihrer 
Stempel, und Rolltednif. 

kin Beigaben find zunächſt die Fibeln wichtig. Abb. 5, alfo der hohe 
Typ mit Umbruch führt eine eiſerne Sibel mit vier Windungen, runden 
Bügel und Nadelhalter, deſſen Aufbiegung nicht erhalten iſt. Don einem 
Anja des Fußes am Bügel nach mittellateneſchema ijt nichts vorhanden. 
Sie wird alſo dem Frühlatenetyp angehört haben. 

Abb. 11 hatte eine eiſerne Mittellatenefibel mit vier Windungen runden 
Querſchnitts. Bügel und Fuß viereckig. Der zurückgebogene Sub ijt mit 
zwei Lappen um den Bügel herum gehämmert. Nadelhalter fehlt. Nach 
Ergänzung etwa 10 em lang. 

Das Kölner Grab (Abb. 12 und 13) lieferte eine bronzene Mittel⸗ 
latenefibel mit 6 Windungen und aufgeſetzten Bronzekugeln. Erhalten iſt 
nur die eine Kugel auf dem Bügel, in der man die Offnung zum Einſtecken 
des zurückgebogenen Fußes der Fibel bemerkt. Die Kugel ijt von unten auf: 
geſchnitten und über den Bügel (und Suß) feſtgehämmert. Über den Typ 
ſiehe Reallexikon, nordiſcher Kreis, dort auch Abbildung. 

Daß dieſe Sibeln nicht abſolut zeitbeſtimmend find, iſt klar. Sie können 
der frühen und der mittleren Latenezeit, ſowie beide der letzteren angehören. 
Wichtiger find Scherben einer kleineren Schale von braunem Ton in feinſter 
Drehſcheibenarbeit mit halbkugelig eingewölbten Omphalos und ſenkrechtem, 
kurzen Hals über ſchwächerem Abjak. Der Rand leicht nach außen gebogen. 
Sie gehört zu Abb. 7 (Dorgebirge bei Roisdorf). Solche Scherben ſind keltiſch; 
zwei genau gleiche mit weißer Bemalung hat das Neuwieder Muſeum aus 
keltiſchem Catene 1 Wohnplätzen. Die Bemalung mit weißer Farbe iſt 3eit- 
beſtimmend. Damit wäre für Gefäße des Tups 5, 6, 7 das fünfte Jahrh. 
vor Chr. ſicher belegt. Die Srühlatenefibel bei 3 ſchließt ſich gut an. Die 
Mittellatenefibeln bei Abb. 11, 12, 13 desgleichen. Sie geben für dieſe Gefäße 
keine neue Zeitanſetzung. Sie reichen bis ins zweite Jahrhundert. Abb. 8 
ſchließt ſich der Form nach an und leitet zu den Gefäßen des 1. Jahrhunderts 
vor Chr. über. Abb. 11, 12 ſind die Vorläufer der bekannten Schüſſeln mit 
Randrillen, wie fie das germaniſche Spätlatene unſerer Gegend fo oft ge: 
liefert hat. Siehe meine Arbeit über die Germanengräber, Mannus 1922. 
Iwiſchenformen mit ſchon abgeſchwächtem verkleinerten Rande find in Scherben 
von Roisdorf und Sühlingen bei Köln im Kölner Muſeum vorhanden. 

Dorhanden iſt weiter noch von Altenrath aus einem zerſtörten Grab 
ein Scherben mit abgerundetem koniſchen Dalle nach Typus 1. Derloren ijt 
mindeftens ein Grab mit einem ſchwarzen Drehſcheibengefäß wie Abb. 13 
mit Wulſten und Riefen. Auch weitere Sunde find nicht unwahrſcheinlich. 
Nach all' den Jufallsfunden ſind wiſſenſchaftliche Unterſuchungen nötig, die 
zur Zeit eingeleitet werden. Über die Anlage der Gräber iſt kaum neues zu 
erwarten, aber weitere Funde werden hoffentlich neue Aufſchlüſſe bringen. 
Desgleichen geht die Überwachung der Erdarbeiten im Grüngürtel bei Köln 
weiter. Huch hier ſind weitere Sunde wahrſcheinlich. Immerhin ſchien eine 


182 Erich Rademacher 7 


vorläufige Bekanntgabe dieſer Neufunde von beſonderer Bedeutung, da ſie 
für unſere Kenntnis der Ausbreitung der bisher bekannten germaniſchen 
Kulturen der hier betrachteten Zeit wichtig ſind. 

Weſentlich iſt vor allem, daß ſich immer deutlicher eine Zone zwiſchen 
Germanen und Kelten herausrückt, die teils keltiſch iſt — Mehrener Typus 
und feine FJortſetzung nach dem Saalegebiet; teils germaniſch ijt, eben unſere 
hier betrachteten Gräber. Die keltiſchen find Hügelgräber mit Skelettbeſtat⸗ 
tungen. Sie verraten durch ihre Wendelringe und wohl auch in der Keramik 
germaniſchen Einfluß. Die zweite Gruppe find unſere germaniſchen Brand- 
flachgräber, deren Drehſcheibentechnik ſüdliche, d. h. hier alſo keltiſche Beein⸗ 
fluſſung zeigt. 

Die Grabanlage ſelbſt iſt ebenfalls von Intereſſe. Es iſt weſentlich, 
daß die Gräber der mitteldeutſchen wie rheiniſchen Germanen der Laténe- 
zeit Brandgräber mit Bergung der Brandknochen in einem oder mehreren 
Gefäßen haben. Die Brandſchüttungsgräber, wie fie in der frühen Kaiferzeit 
— etwa von 80 nach Chr. an — auftreten (vgl. meine Arbeit Mannus 1922) 
find am Rhein eine völlig neue Sache. Dieſe Brandſchüttungsgräber müſſen 
alſo auf Einfluß von außen zurückgehen, d. h. alſo vom Oſten her. Nach 
meinen Ausführungen in der oft angezogenen Schrift ſehe ich darin den 
Einfluß der an den Rhein gezogenen Elbſweben. Wieder iſt von Wichtigkeit, 
daß die Brandſchüttungsgräber durchaus nicht alleinherrſchend werden, ſondern 
daß am Rhein beide Beſtattungsarten nebeneinander beſtehen. Es ſcheint 
ſogar, als ob im zweiten und dritten Jahrhundert die Gefäßbeſtattungen der 
hier älteren Art ſich langſam wieder durchſetzen. Hier fehlen aber noch weitere 
Beſtätigungen des bisherigen Funde. Die nach Beſprechungen mit Prof. 
Schumacher-Mainz geäußerte Meinung, daß die Brandſchüttungsgräber 
offenbar öſtlicher Herkunft nach wieder erfolgter Seßhaftmachung aufgegeben 
ſeien, bleibt vorerſt noch als Arbeitshupotheſe beſtehen. Feſtzuſtellen ijt 
jedenfalls auch jetzt noch, daß in der Früh⸗Mittel⸗Spätlatènezeit bis jetzt 
nicht ein einziges Brandſchüttungsgrab vorliegt. Aud) die frührömiſchen, 
auguſteiſchen und ſpäteren Gräber mit zwar römiſchen Beigaben, die ſich 
aber durch die Waffen als nicht römiſch ausweiſen, find niemals Brand- 
ſchüttungsgräber. Die früheſten ſind ſolche mit domitianiſchen Sigillaten. 

Damit wäre der Schluß unſerer heutigen Betrachtungen erreicht. Hoffen 
wir, daß der Erweiterung unſerer Kenntnis von den ſüdlichen Germanen 
mehr und noch deutlichere Funde folgen. Immerhin iſt es chronologiſch und 
typologifd) ein Gewinn, daß wir heute imſtande find, auch für die Latenegeit 
eine Entwicklungsreihe der Keramik geben zu können, die beſſer und deut— 
licher iſt als die Andeutungen, die wir bislang hatten. 

Wir haben jetzt die rheiniſche, im beſonderen die niederrheiniſche Ent- 
wicklung von der Steinzeit an allmählich ſo aneinanderhängen können, daß 
Cücken erheblicher Art nicht mehr beſtehen. Un Siedlungslücken (H nicht mehr 
zu denken. Es wäre auch bei dem Charakter des Rheinlands als fruchtbares 
Durchzugsland und Eröffnungsgebiet aller möglichen Kulturen von Norden, 
Oſten, Süden und Weſten nicht ſehr wahrſcheinlich geweſen. 

Immerhin iſt noch vieles an aufklärenden Funden für weſentliche Einzel— 
heiten zu erhoffen, die die Bezüge nach Nord und Süd aufhellen. Mit dieſer 


Hoffnung ſei hier beſchloſſen. 


* * 


8) Germaniſche und galliſche Kulturen am Niederrhein 183 


Nachſchrift. Nach Drucklegung iſt noch ein weiterer, ſehr wichtiger Sund 
von Altenrath hinzugekommen. Es ijt ein Grab ohne Gefäß, aus einer flachen 
Grube von 50 cm Tiefe. Knochen und Beigaben lagen feſt zuſammen in 
einem flachkugeligen Haufen, jo daß Beiſetzung in Stoff- oder Lederbeutel 
anzunehmen ijt. Jwiſchen den Knochen lag eine große eiſerne Mittelaténe- 
fibel mit vier Windungen. Der zurückgebogene Fuß umfaßt mit zwei Lappen 
den Bügel von oben. Der Nadelhalter iſt abgebrochen und war nicht in dem 
Grab. Unmittelbar über der Fibel, von der ſtarke Oxudreſte in einem Streifen 
auf die Unterſeite angeroſtet find, lag eine große (10cın Durchmeſſer) bronzene 
Zierſcheibe mit kleinem (1,6 em groß, 6 mm hoch) Mittelbuckel. Sie hat den 
Leichenbrand mitgemacht, wie auch die Sibel, von der je ein Stück fehlt. Es 
iſt wahrſcheinlich, daß die Scheibe auf der Fibel befeſtigt war. Die Art der 
Befeſtigung iſt bei der Beſchädigung der Fibel und der Platte leider nicht 
mehr mit Sicherheit feſtzuſtellen. Dieſes Vorkommen ſteht bei uns bislang 
ganz allein. Solche großen Scheiben aber, beſonders auf Sibeln, ſind ganz 
gewöhnlich bei Funden aus dem Kreije von Jaſtorf im Hannoverijden. Wir 
haben hier einen neuen und ſchönen Beweis ſowohl für die zeitliche Anfebung, 
als für die herkunft unſerer Germanengräber (Literatur val. Shwantes 
u. a. über die Stufen Weſſenſtedt, Jaſtorf u. ſ. f.). Weiter möchte ich kurz 
angeben, daß vom Fliegenberg, ebenfalls bei Atenrath auf der Wahner 
Heide, zahlreiche Scherben aus einer Latönefiedlung ins Kölner Muſeum 
kamen. Es handelt ſich um Gefäße, die den mitteldeutſchen der Braun- 
ſchweiger Gegend, fowie den Harpitedtern ähneln. Genaueres wird nod 
folgen. Die neue Latenefiedlung hat, wie Eiſenſchlacken und ſtark verbrannte 
Steine zeigen, Eiſenſchmelzen betrieben. Dieſe bis jetzt noch nicht auf be- 
ſtimmte Jeit feſtzulegende Induſtrie erklärt das erſtaunliche Sejthalten der 
Germanen an der öden heide, die ihren Raſeneiſenſtein, Ton, Quarzit als 
Zuſchlag, ſowie Holzkohle reichlich lieferte. 


Germanenfunde der Latenezeit am nördlichen 
| Niederrhein. 
Don Rudolf Stampfuß. 
Mit 7 Abbildungen im Tert. 


Im Laufe des vorigen Jahres erhielt die Geſellſchaft für Niederrheiniſche 
Vorgeſchichtsforſchung Kenntnis von vorgeſchichtlichen Funden auf einer 
SE dem fog. , Sommerberge” in Wittenhorſt, Gem. Haldern, Kreis 

ees, 

In der in dem Berge befindlichen Sandgrube war ein zonenkeramiſcher 
Grabfund (ein geſchweifter Becher, Seuerjteinfrager und Meſſer, Dornpfeil⸗ 
ſpitze und Jeuerſteinabſchläge) zum Vorſchein gekommen, der weitere Beob⸗ 
achtung des Geländes veranlaßte. 

Die diesjährige eingehende Unterſuchung der Fundſtätte brachte bis 
jetzt 32 Brandgrubengräber der Latenezeit, die für die Kenntnis dieſer Zeit- 
ſtufe am Niederrhein von großer Bedeutung ſind, da bislang keinerlei ge⸗ 
ſicherte latenezeitliche Sunde bekannt geworden find. Deshalb hielt ich eine 
kurze Mitteilung über dieſe wichtigen Sunde, die weite Ausblide auf die 
benachbarten Gebiete eröffnen, für geboten. Für eine Geſamtbehandlung 
des Sundplages ijt einesteils der Raum zu knapp bemeſſen, andernteils das 
bisherige Material noch zu dürftig. 

Ich greife deshalb lediglich drei charakteriſtiſche Grabfunde heraus, um 
an Hand dieſer einige Fragen der niederrheiniſchen Latenezeit zu erörtern. 
Wegen der Kürze der Zeit und des Fehlens jeglicher Spezialliteratur iſt mir 
eine abſchließende Behandlung vorerſt noch nicht möglich. 

Für wertvolle Hinweife bin ich herrn Karl h. Marſchalleck, 
Tübingen zu Dank verpflichtet. 

Die Fundſtelle liegt in einer ſpitzwinkligen Wegegabel auf einer Slug- 
ſandkuppe, die im Norden nach der Niederung zu, wohin ſie ſteil abfällt, 
von einer Sandgrube angeſchnitten wird. 

Bei den Gräbern handelt es ſich ausſchließlich um Brandgruben— 
gräber, d. h. die geſamten Kückſtände des Scheiterhaufens, wie Holzkohle, 
Leidjenbrand, Gefäß- und Metallreſte find in wirrem Durcheinander in der 
Grube beigeſetzt. Mitunter iſt der größte Teil des Leichenbrandes in einem 
Gefäß oder auf dem Boden der Grube in einem geſchloſſenen Knochenlager 
geſondert geſammelt, darüber aber befinden ſich ſtets noch verſtreute Knochen- 
reſte, im Feuer zerſprungene Gefäßſcherben und Metallbeigaben, dazu grobe 
Holzkohlenſtücke und Brandaſche des Scheiterhaufens. n 

Wir haben es hier neben reinen Brandgrubengräbern auch mit Uber 
gangstypen zu reinen Knochenlagern oder umgekehrt zu tun. 


21 Germanenfunde der Latenezeit am nördlichen Niederrhein 185 


Die Form der Gruben ijt größtenteils rund, mitunter kommen auch 
OW orientierte ovale Gräber vor. Die Tiefe der Gruben ſchwankt von 15 
bis 60 em. | 

Grab 15 (Abb. 1). Runde Brandgrube, 10 cm unter der Oberfläche 
beginnend, von 60 em Durchmeſſer und 53 cm Tiefe. Auf dem Boden der 
Brandgrube befand ſich das Hauptknochenlager e, durchſetzt mit Scherben 
eines Rauhtopfes mit gewelltem Rande. Über dieſer Knochenſchicht inmitten 
zahlreicher Scherben des Rauhgefäßes lag das weitmundige, rötlichbraune 
Gefäß d mit eingezogenem Rande und abgeſetztem Sub. Dieſes enthielt nur 
wenig zarte Knochen. Über dieſer Schale fand ſich ein größerer Bodenteil 
des ſchon erwähnten Rauhtopfes c und 
zahlreiche Scherben des gleichen Ge⸗ 


fäßes b. 

Es handelt ſich bei dieſem Grabe 
um zwei Beſtattungen aus verſchiede⸗ 
nen Jeitperioden. Die ältere Beſtat⸗ 
tung, zu der das untere Knochenlager 
und der Rauhtopf mit Wellenrand ge⸗ S 
hören, ijt bei Vornahme der Nachbe⸗ 29 4 ss. om 
ſtattung zerſtört worden. Die Scherben a 
des zerſtörten Gefäßes und zum Teil 
auch die Knochen der Beſtattung wurden 
wirr durch die Grube zerſtreut und 
darin das mit Leidjenbrand gefüllte FF 
Gefäß d beigeſetzt. Abb. 1. Schematifcher Durchſchnitt durch 

Der Rauhtopf mit gewelltem Grab 15. a = De aus Slugſand. 


(dicht 
Rande von hellbrauner Farbe (Abb. 4), 55 Brendgrube ee bal 


der ſich aus den zahlreichen Scherben g —Weitmundige Schale (Rachbeſtattung). 
faſt ganz wieder herſtellen ließ, gehört e = haupttnodjenlager der älteren 
dem Harpftedter Stil (ſ. u.) an. Das Beſtattung. 
weitmundige Gefäß der Nachbeſtattung 

(Abb. 5) müſſen wir zu unſeren Spätlatönegräbern ſtellen. 

Die von dieſem Grabe gemachte photographiſche Aufnahme iſt leider 
nicht ſcharf genug, ſo daß ich auf eine Wiedergabe verzichten mußte und hier 
lediglich eine ſchematiſche Umzeichnung des Grabdurchſchnittes geben kann. 

Grab 16, deſſen Beſtattung in dem abbröckelndem Rande der Sandgrube 
zum Dorſchein kam, liegt 25 em unter der Oberfläche, hat 65 em Durchmeſſer 
und etwa 70 cm Tiefe. In 50 cm Tiefe, genau in der Mitte der Brandgrube, 
befand ſich das weitmündige Gefäß (Abb. 6), das nach Weſten geneigt war. 
Dicht daneben nach Oſten zu fand ſich ein bis zur Unkenntlichkeit zerſtörtes 
Eiſenfragment, das möglicherweiſe ein Gürtelhaken geweſen ſein kann. Nach 
Norden, dicht neben dem Gefäß fand ſich die Eiſenfibel (Abb. 7, 2). In der 
Situla und im Afchenmantel der Brandgrube fanden ſich zahlreiche, gut ver⸗ 
(abb. 7 Knochen. 3wifden den Knochen des Gefäßes lag der eiſerne Nagel 

7, 5) 

Grab 30 (Abb. 2) zeigte 35 em unter der Bodenoberfläche eine von 
Often nach Weiten orientierte ovale Brandgrube von 90 zu 65 em Durch⸗ 
se und 28cm Tiefe. Die Brandgrube war ſtark mit kleinen Knochen⸗ 
üdchen durchſetzt. In ihrem oberen Teile fanden ſich eine Reihe ſtark ge⸗ 
rannter Gefäßſcherben vor. Auf dem Boden der Grube ſtand inmitten eines 
dichten Knochenlagers d ein Drillingsgefäß. 


186 R. Stampfuß [3 


Die einzelnen Gefäße des durch durchbohrte Tonſtege verbundenen 
Drillingsgefäßes (Abb. 3) find bauchig mit ſcharfem Schulterknick und haben 
einen ſchräg ausbiegenden Rand. Die Farbe des gut geglätteten Gefäßes 
iſt braun mit hellgelben und rötlichen Flecken. Auf dem Rande des einen 
Gefäßes fand ſich die eiſerne Paukenfibele (Abb. 7, 1). 

Die unten durch eine Wandung geſchloſſene Pauke trägt noch eine kleine 
klufſatzpauke. Die an die Pauke anſetzende Rolle hat 10 Windungen und eine 
obere Sehne. Der gerundete Nadelhalter iſt offen. Durch die eine hälfte der 
Rolle ijt eine kleine, im Querſchnitt rechteckige eiſerne Ode geſteckt. 

Das Drillingsgefäß des 
Grabes 30 (Abb. 3) zeigt bei 
Betrachtung der einzelnen 
Gefäße noch rein junghallſtät⸗ 
tiſche Formen; die bauchigen 
Gefäße mit Schrägrand ſind 
für die zweite Hallſtattſtufe 
(Hallſtatt D) bezeichnend. Das 
Gefäß iſt ein Unikum, das 
ſicherlich unter Einfluß der 
ſpäten Cauſitzer Kultur (Gö⸗ 
ritzer und Billendorfer Stil) 
entſtanden iſt. Jedenfalls ſind 
mir aus anderen Jeit⸗ und 
Kullurftufen keinerlei ähnliche 
Gefäße befannt. 

Zu näherer Datierung 
dieſes Grabfundes können 
wir die im gleichen Grabe ge⸗ 
fundene eiſerne Paukenfibel!) 
(Abb. 7, 1) heranziehen. Bei 
dieſem Stück ſitzt auf der 
Pauke noch eine flufſatzpauke. 
Eiſerne Paukenfibeln ſind aus 
dem Hallſtattgebiet nicht be⸗ 


. kannt, ſodaß wir es hier 

Abb. 2. Schematiſche Skizze des Grabes 30 in der Auf- ae d 
ſicht und richt ve Dedicicht aus hell 18 mit einer germaniſchen Nach⸗ 
Flugſand. b= Brandgrube. c= Dereinzelte Scherben bildung zu tun haben. Das 
d = Hauptknochenlager mit Drillingsgefäß. e = Eiſerne Auftreten einer oberen Sehne, 
Pautenfibel. die den Hallſtattfibeln unbe⸗ 
kannt ijt, deutet vielleicht 
ſchon auf Srühlateneeinfluß. Jedenfalls bezeugt die durchgeſteckte Eiſen⸗ 
achſe ihrerſeits wieder den hallſtättiſchen Charakter der Fibel. Wir können 
ſie mit Vorbehalt ſehr wahrſcheinlich bei uns noch in den Beginn des 
5. Jahrh. hinein datieren. Wenn wir dagegen Mittellatèneeinflüſſe an⸗ 
nehmen, ſo müſſen wir mit der Datierung bis ins dritte vorchriſtliche Jahr⸗ 

hundert hinaufgehen. 

Der hohe gerauhte Topf mit kantig nach innen eingebogenem, durch 
Singernageleindrüde verziertem Rande (Abb. 4) aus der zerſtörten älteren 
Beſtattung des Grabes 15 gehört tupologiſch zu den jüngſten Typen des 


1) Tifdler, RKorreſpondenzblatt für Anthropologie, 1885, S. 159. Beltz, Zeit⸗ 
ſchrift für Ethnologie 45, 1915, S. 695f. 


4] Germanenfunde der Latenezeit am nördlichen Niederrhein 187 


harpſtedter Gefäßſtils ). Am Niederrhein find dieſe Gefäße bisher jtets nur 
in hügelgräbern angetroffen worden und ſchienen mit dem Ende der Hall: 
ſtattzeit, dem Abbruch der Grabhügel, ihr Ende gefunden zu haben. Das 
Kuftreten dieſer Gefäße in Brandgrubengräbern zeigt ihr Hineinreichen bis 
in die Catènezeit, doch ijt die 
untere Grenze wegen der 
bislang noch ſpärlichen Sunde 
nicht mit Sicherheit anzu— 
geben. Tupologiſch zeigt 
nach der nach innen abge— 
ſchrägte Gefäßrand jüngere 
Merkmale als die bisher be- 
kannten Hallſtatttgpen. Es 
würde ſich dieſe Beobach— 
tung mit weſtfäliſchen Fun— 
den des gleichen Stils decken, 
die von Krebs?) bis in Abb. 3 
die Catènezeit hinaufdatiert , 
wurden. 

Das weitmundige Gefäß mit eingezogenem Rande und abgeſetztem 
Fuß (Abb. 5) aus der oberen Beſtattung des Grabes 15 können wir nach den 
anderen datierbaren Gräbern des 
Sundplages in die Spätlatenezeit 
ſetzen. Es iſt alſo möglich, daß die 
untere ia nod bis in 
die Mittellatenezeit hineinreicht. 
Jedenfalls muß bei Unlage der 
oberen Beſtattung die darunter: 
liegende Beſtattung ſchon längere 
Zeit in Vergeſſenheit geraten fein, 
da fie ſonſt der Jerſtörung nicht 
anheimgefallen wäre. 

Für die Spätlatenezeit wich⸗ 
tig ijt der Grabfund 16, weil er 
neben einem Gefäß eine datier- 
bare Eiſenfibel geliefert hat. Das 
rötlich-braune, gut geglättete weit— 
mundige Gefäß (Abb. 6) lädt in 
einer kleinen Randlippe aus. Der 
abgeſetzte Sub ijt ſchwach nach 
innen eingedellt, der Rand kantig. N 
Wir müſſen dieſe Form mit den Abb. 4. Rauhtopf mit gewelltem Rande aus 
ſpätlatènezeitlichen Situlen, die Grab 15. ½ nat. Gr. 
uns in einem weiteren Grabe in 
einem ſtark verzogenem Stück gegeben ijt, in Derbindung bringen. Bei unſerem 
Gefäß find die Formen gerundeter, doch laſſen die noch ſchwach abgeſetzte 
Schulter und der verdickte Rand trotz der weiten Ründung die tupologiſche 
Zugehörigkeit erkennen. 


Drillingsgefäß aus Grab 50. ½ nat. Gr. 


y Stampfuß, Das Dordringen der Germanen ujw. Mannus 17, 1925. 
2) Krebs, Die vorrömiſche Metallzeit im öſtlichen Weſtfalen. Mannus:Bibliothet 
Nr. 38. 1925. 


183 R. Stampfuß [5 


Die bis auf den fehlenden Nadelhalter und den übergreifenden Sup 
erhaltene Eiſenfibel (Abb. 7, 2) gehört dem Mittellatenetypus an ). Die 
Sibel gehört zu Variante B Roſtrzewskis ) und leitet bereits zu Variante C 
über. K. Hh. Marſchalleck?) bezeichnet dieſe Sibel als „entwickelte Mittel- 
latenefibel”, die er in die Zeit von 200 bis 50 vor Chr. datiert. Tupiſch 
ijt die Knidung des Bügels über der Spirale, die bereits den Beginn einer 
Stützfalte zeigt. 

Den Übergriff des Fußes über den Bügel zeigen die in Grab 26 erhal— 
tenen Reite einer gleichen Sibel (Abb. 7, 4 b), die nur Hatt vier ſechs Windungen 
der Rolle aufweiſt. Das Ende des Fußes umfaßt den Bügel beiderſeitig band— 
förmig. 

Der weiterhin in dieſem Grabfund zum Dorſchein gekommene Eiſen— 
nagel (Hbb. 7, 3) iſt für chronologiſche Fragen bedeutungslos. 


Abb. 5. Wade Gefäß aus Abb. 6. Weitmündiges Gefäß aus Grab 16. 


Grab 15. Nachbeſtattung !/, nat. Gr. 1/, nat. Gr. 


Rulturgeſchichtlich find dieſe drei kurz beſprochenen Sunde für unſer 
nördliches Niederrheingebiet von größter Bedeutung, da ſie uns erſtmalig 
geſicherte Jeugniſſe der germaniſchen Beſiedlung der Latönezeit liefern. Durch 
das Auftreten von frühlatènezeitlichen Brandgrubengräbern, alſo Slachgräbern, 
wird der deutliche Abbruch der niederrheiniſchen Grabhügel zu Ende der 
Hallſtattzeit dokumentiert. Somit finden die Unterſuchungen Rade machers 4) 
ihre volle Beſtätigung auch in unſerer näheren Heimat und der alte Streit 
über das Hineinreichen der Grabhügel des Niederrheins bis in die römiſche 
Kaijerzeit kann als endgültig beigelegt angeſehen werden. 

Nicht einmal ein Hineinreichen der Hügel bis in die Frühlatenezeit 
erſcheint möglich, da die grundfäßliche Änderung der Grabſitte fic ſchon zu 
Ende der Hallſtattzeit in Grabhügeln bemerkbar macht. In einem Grab— 
hügel des Diersfordter Hügelgräberfeldes iſt ein Brandgrubengrab beobachtet 
worden, das als der erſte Vorläufer dieſer neuen Grabſitte erſcheint. 

Für die Srühlatenezeit find auf dem Felde charakteriſtiſch Rauhtöpfe 
mit gewelltem Rande, wovon bisher ein vollſtändig erhaltenes Gefäß und 
mehrere Scherben eines weiteren Stückes vorliegen, ſodann Kauhtöpfe mit 


1) Beltz, Zeitſchrift für Ethnologie 43, 1911, S. 682ff. 

2) Roſtrzewski, Die oſtgermaniſche Kultur der Spätlatenezeit. S. 17/18, Abb. 2. 

3) R. h. Marſchalleck, Das Laténegräberfeld bei Cammer, Prähiſtoriſche Jeit— 
ſchrift XVIII, D 3/4. 

4) C. Rademacher, Chronologie der Niederrheiniſchen Hallitattzeit. Mannus IV, 
1912. 


6] Germanenfunde der Latenezeit am nördlichen Niederrhein 189 


glattem Rande, von denen die Sundftelle mehrere gut erhaltene Gefäße 
geliefert hat. Bei dieſen Gräberfunden ließ ſich verſchiedentlich eine Störung 
durch jüngere Brandgruben nachweiſen, die zum Teil die älteren Gruben 
überſchnitten. In der Mittellatenezeit ſcheint auf dem Felde nicht beſtattet 
worden zu fein, da geſicherte Gräber mit Mittellatenefunden nicht vorliegen 
und die Spätlateneleute das Vorhandenſein der älteren Beſtattungen nicht 
mehr gekannt haben müſſen, da fie dieſe 3. T. geſtört haben. Bei einer durch⸗ 
gehenden Belegung des Feldes würde die Erinnerung an die älteren Beſtat⸗ 
tungen bei den anſäſſigen Bewohnern erhalten geblieben ſein und eine kon⸗ 
tinuierliche Belegung des Feldes im Gefolge gehabt haben. 


Abb. 7. lau. Ib. Paukenfibel aus Grab 30 in Seiten⸗ und Auffidjt. 2. Mittellatenefibel 
aus Grab 16. 2a. Detailzeichnung der Rolle in Aufliht. 3. Nagel aus Grab 16. 4a u. 4b. 
Sibelrolle und Bügelreft aus Grab 26. Alles Eifen, Nat. Gr. 


Die ſpätlatenezeitlichen Gräber ergaben an Keramik eine Situla und 
mehrere weitmundige Gefäße, 3. T. mit ſtark eingezogenem Rande. An 
weiteren Beigaben aus Gräbern, die keine datierbare Keramik geliefert 
haben, möchte ich noch einen weſtgermaniſchen Jungengürtelhaken und ein 
blaues Glasarmband erwähnen. 

Es ſcheint ſich um weſtgermaniſche Sunde zu handeln, wenn auch die 
Sitte der Brandgrubengräber in etwa dagegen ſprechen würde. Doch deuten 
die in vielen Gräbern geſondert geſammelten Leichenbrandreſte auf welt: 
germaniſche Knochenlager hin. Zur endgültigen Entſcheidung dieſer wich— 
tigen Fragen müſſen wir weiteres Material abwarten. Mir kam es lediglich 
darauf an, dieſe, wenn auch erſt ſpärlichen, fo doch bedeutſamen Sunde der 
weiteren Bearbeitung zugänglich zu machen. 

Zuletzt möchte ich nicht verfehlen, meinen Hambornern Mitarbeitern 
und beſonders Herrn Lehrer Ludwig, der die Jeichnungen für dieſe Arbeit 
fertigte, meinen wärmſten Dank auszuſprechen. 


Die hannoverſch⸗engliſchen Henkelgußurnen 
der Völkerwanderungszeit. 


Don Fritz Roeder. 
Mit 15 Abbildungen im Text. 


Auf den ſächſiſchen Grabfeldern zwiſchen Weſer⸗ und Elbemündung 
wie denen Englands werden Tongefäße, die mit henkeln oder primi- 
tiveren Tragvorrichtungen verſehen ſind, verhältnismäßig ſelten ge⸗ 
funden. Aus dieſer Tatſache dürfen wir nicht den Schluß ziehen, daß ſolche 
Ware überhaupt nur ausnahmsweiſe hergeſtellt wurde: da ſie vorwiegend 
dem Hausgebrauch diente und in der Form meiſt ſchlicht und einfach blieb, 
während für die eigentlichen ÜAſchenurnen allmählich ein reicher und kunſt⸗ 
voller Sonderſtil entwickelt wurde, mußte ſie für ſakrale Zwecke ungeeignet 
erſcheinen. 

Gemäß der Geſtalt der handhaben ſind drei Gefäßgruppen zu unter⸗ 
ſcheiden. Der älteſte Typ zeigt ſchmale, kantige Vorſprünge, die mit Daumen 
und Zeigefinger aus dem weichen Ton herausgezogen wurden: dieſe Naſen 
haben meiſt ein Coch (von etwa Stricknadeldicke), durch das ein Faden gezogen 
werden konnte, um das Tragen zu erleichtern; ohne Durchbohrung ermög⸗ 
lichten fie feſteren Griff. Als Beiſpiel vom Kontinent führe ich eine Urne aus 
Weſter⸗Wanna an (mit durchlochter Naſe), Hamburg, Muſeum für Völker⸗ 
kunde 1905: 400 (nach neuer Numerierung W.-W. 171) 1); analoge engliſche 
Gefäße reproduziert G. B. Brown, The Arts in Early England Bd. IV, 
Condon 1915, Taf. CXXXVIII Fig. 5 und A gegenüber S. 505. 

Einem jüngeren 5 gehören Gefäße mit wohl aus⸗ 
gebildeten Henfeln an, die entweder geſchweift oder geknickt find. Die 
erſtere Abart bedarf keiner Beſprechung, mit der letzteren müſſen wir uns 
eingehender befaſſen. 

Für ſie iſt charakteriſtiſch, daß ſie immer nur einen henkel beſitzt, und 
daß deſſen ſchräg aufſteigender Aft von der Derzapfungsitelle in der Ge- 
wandung des Gefäßes bis zum Knick durchbohrt iſt; eine maſſive, horizontale 
Strebe verbindet den Mündungsteil mit dem Urnenrande. Die hierher ſicher 
zu rechnenden Stücke find alſo — mit einer Ausnahme, die mir bekannt ge— 
worden?) — ſämtlich henkelguß- oder Tüllenurnen. Die genügende 


1) Publikation und genaue Einordnung in die Weſter-Wanna-Reramik behalte ich 
mir für meine Arbeit über die Tutulusfibel vor; die Urne enthielt u. a. Fragmente diejer 
Sibelgattung, und zwar vom Ortbrook-Tup. 

2) Ein nicht durchlochter, geknickter henkel aus grauem Ton, mit an beiden Enden 
erhaltenen Derzapfungen, befindet ſich in der Sammlung des Gutsbeſitzers D Krönde 
in Wolfsbruch bei Dornbuſch, Kr. Kehdingen. Einzelheiten über herkunft uſw. dieſer 
ſächſiſchen Altſachen ſiehe unten. — Eine Erklärung für die auffällige Seltenheit ſolcher 
henkel werde ich ſpäter zu geben verſuchen. 


2] Die hannoverſch-engliſchen henkelgußurnen der Dölferwanderungszeit 191 


weite der Tülle an dieſen dem niederſächſiſch-angelſächſiſchen Kulturkreiſe 
entſtammenden Gefäßen, von denen zunächſt nur die Kede iſt, geſtattete, 
daß der Henkel nicht nur als Griff, ſondern auch als Ausgußrohr benutzt 
werden konnte. Eine Mündung von der 
modernen Tonwaren oder auch den römiſchen 
Kleeblattfrügen eigentümlichen Art kannten 
weder die Sachſen noch überhaupt die Ger— 
manen. 

Wie bei allen Henkelgefäßen iſt die 
Tülle nur ein zuſätzliches Element, das an 
gängigen Sormentypen angebracht wurde!; 
nach ſolchen ijt daher das kontinental- und 
inſular-ſächſiſche Belegmaterial?), ſo— 
weit es ſein Erhaltungszuſtand erlaubt, zu 
e lde (Kr. Lehe); Cuxh 

tenwalde (Kr. Lehe); Cuxhaven, Lehe); 
Reinede-Samml. A 3:86; Abb. 1; bisher nicht Se eine RR 
veröffentlicht. Topf aus grauem Ton, von A 3:86 (1/4). 
mittlerer Entwicklungsſtufe der Serie Weſter— Nlicht] vleröffentlicht!. 
Wanna A 6; Maße: Geſamthöhe zwiſchen 11 
und 13 (je nach der Randitelle), Höhe der Schulter 5,2, oberſte Weite (ohne 
Henkel) 9, Weite des Bauches 13,5, des Bodens 6, der Tüllenöffnung 1,5 em; 


1) Eine Parallele bieten die Glasſtücke, die man in die Wände oder Boden der 
Senſterurnen einſetzte. 

2) Bei jeiner TE ung wurde ich gütigſt unterſtützt von den Leitern und Be 
amten des Provinzial-MRuſeums in hannover, der EE Abteilungen der 
Mufeen für Dölkerkunde in Berlin und hamburg, der Dr. Reinede-Sammlung 
der höheren Staatsſchule in Cuxhaven und des Department of British and Medi- 
»val Antiquities des Britiſchen Mujeums in London; cand. phil. hans Lange in 
Berlin gab mir Auskunft über die dortigen Urnenfragmente, und Hans Müller-Brauel 
in Zeven Bea mir gern die Veröffentlichung der von ihm ſelbſt gehobenen, in feiner 
Sammlung BE Elsdorfer Urne. Ich ſpreche allen herren meinen verbindlichſten 
Dank aus. — Die Literatur über die henkelgußurnen verzeichnet A. Diettfe, Urſprung 
und Ausbreitung der Angeln und Sachſen. Beiträge zur Siedlungsarchäologie der Ing— 
päonen (Die Urnenfriedhöfe in Niederſachſen, herausgeg. von C. Schuchhardt, Bd, III 
heft 1), Hildesheim und Leipzig 1921, S. 49 Anm. 24— 28. Nachzutragen find Stellen— 
angaben aus den Schriften engliſcher Archäologen, die gegebenenorts die inſular-ſächſiſche 
CC von Great Addington (Morthamptonihire) beſprechen und fie außer 

afer auch zu den kontinental-ſächſiſchen Sunden in Beziehung ſetzen: R. S. Baker in 
den Proceedings of the Society of Antiquaries of London, Sec. Series, Bd. IX, London 
1881—83, S. 322f. (Sundbericht mit Abbildung); R. A. Smith in The Victoria History 
of Northamptonshire Bd. I, London 1902, S. 242f. und A Guide to the Anglo-Saxon 
and Foreign Teutonic Antiquities (des Brit. Mujeums), Condon 1923, S. 21 (mit Abb., 
Taf. II Sig. 2, gegeniiber 5. 20); E. Th. Leeds, The Archaeology of the Anglo-Saxon 
Settlements, Orford 1913, S. 97; und Brown, a. a. O. Bd. IV S. 508, 587 und 781 
(mit Abbildungen der engliſchen und Perlberger Urne, Taf. CXXXIX Sig. 6 u. 7, gegen» 
über S. 507). — Plettke bat ſich a. a. O. S. 49 mit einer Aufzählung der Belege, die 
u ſeiner Kenntnis gekommen waren, begnügt; dazu war er berechtigt, denn für die eigent— 
ihe Typologie der ſüdelbiſchen Keramif konnten ihm die ſächſiſchen henkelguß— 
urnen neue Geſichtspunkte nicht bieten: ihnen eignet ja, wie ich oben ſchon bemerkt habe, 
keine tupologiſche Sonderſtellung. Gerade dieſer Abſchnitt gehört nach meiner Anſicht zu 
den beiten und wertvollſten Teilen ſeines Buches: für die Cöſung der ſchwierigen Aufgabe, 
aus der Jülle des wenig differenzierten Materials die haupttupen herauszuſchälen und 
deren geſetzmäßige Abwandlungen innerhalb einer Spanne von drei Jahrhunderten 
zu beſchreiben, hatte ihm fein Lehrer Guſtaf Koſſinna das wiſſenſchaftliche Rüſtzeug 
mitgegeben. Dlettte hätte gewiß auch unjere Altſache als ſiedlungsarchäologiſches Leit— 
foſſil gewertet, wenn ihm nicht die Exiſtenz des engliſchen Belegſtückes entgangen wäre. 


192 Stig Roeder [3 


zu den Ornamenten (ſoweit fie die Abb. nicht zeigt): unter dem Henkel Roſette 
von eingedrückten Punkten, auf der Bodenfläche ein Kreuz; über den Inhalt 
der Urne nichts bekannt. | | 
Perlberg, Gemeinde Wiepenkathen (Kr. Stade); Hannover, Prov.- 
Muf. 1853: 7689; Abb. 2. Topf aus grau-braunem Ton, von demſelben Typ 
wie der vorhergehende, nur etwas jünger, da er reicher ornamentiert ijt und 
nicht mehr einen runden, ſondern ſchon ziemlich markierten Schulterumbruch 
beſitzt (Weſter⸗Wanna A 6/A 7); Maße: Geſamthöhe 13, Höhe der Schulter 7, 
oberſte Weite (ohne Henkel) 10, Weite des Bauches 13,5, des Bodens 6,5—7, 
der Tüllenöffnung 0,8 em; über den Inhalt der Urne nichts bekannt. 
Weſter⸗Wanna (Kr. Hadeln); Hamburg, Muſ. f. Völkerkunde 1902: 
9 (nach neuer Numerierung W.⸗W. 43); Abb. 5. Ranne aus grau⸗ 
braunem Ton, dem Typ Wefter-Wanna A7 ſich noch ſtärker nähernd als 
die Perlberger Urne, alſo die tupologiſch ſpäteſte der ganzen Gruppe: der 
verhältnismäßig engmündigere Hals iſt gegenüber dem Bauch mit ſeinem 


Abb. 2. en (Kr. Stade); En Abb. 3. Weſter⸗Wanna (Kr. Hadeln); 


Prov.⸗Muſ. 1855: 7689 OI, hamburg, Muſ. f. Völkerkunde 1902:9 


oder W.⸗W. 43 (etwa ¼). 


bereits faſt eckigen Umbruch nur noch ſchwach abgeſetzt; Maße: Geſamthöhe 
16,5, Höhe der Schulter 7, oberſte Weite (ohne Henkel) 9,7, Weite des Bauches 
15, des Bodens 7,5, der Tüllenöffnung 0,4 cm. Der henkel ſteigt, um die 
Kannenform zu wahren, ziemlich ſenkrecht an; ſeine zur Urne genau wage⸗ 
recht ſtehende Brücke trifft jene etwas unterhalb des oberen Randes. — Die 
Ornamentierung iſt reich, wenn auch im ganzen noch altertümlich: man beachte 
3. B. auf dem Umbruch die ovalen Daumeneindrücke mit ſchmalen, ungleich⸗ 
mäßig langen Wulſten in der Mitte und umrahmt von Punktornamenten; 
die Brücke hat an Verzierungen ein liegendes Kreuz zwiſchen je einer 
Querrille, und die Tüllenöffnung ijt von einem Rillenſechseck umgeben 
(ſiehe die Abbildung der Urne in Ciegeſtellung bei Plettke, a. a. O. Taf. XLI 
Fig. 5b). — Das Gefäß iſt mit Sicherheit als Fraue nurne anzuſehen, denn 
es enthielt neben kalzinierten Knochen und Zähnen 43,1: ein eiſernes Meſſer 
mit Griff, in drei Teilen, und 43,2: Perlſchlacken. 

Altenwalde (Kr. Lehe); Berlin, Muſeum für Völkerkunde Il 443; 
Abb. 4; bisher nicht veröffentlicht. Scherbe mit Tüllenhenkel aus ſchwarz⸗ 
grauem, grobem Ton mit rauher Außen- und Innenſeite; Maße: größte 
Höhe des Fragments 4,9, größte Breite 5,1, Weite der Tüllenöffnung 0,5 cm. 
— Für eine Kekonſtruktion der Geſamtform reicht das Stück nicht aus; doch 


4) Die hannoverſch⸗engliſchen Hentelgußurnen der Völkerwanderungszeit 193 


bietet es nach der Meinung Canges genügend Anhaltspunfte, um es mit 
einer gewiſſen Sicherheit zu der von Plettke, a. a. O. Taf. XXXVII Sig. 2 
abgebildeten Urne aus Quelkhorn, Kr. Achim (Hannover, Prov.⸗Muſ. 7866) 
zu ſtellen: der Hals iſt gegenüber dem Bauchteil nicht abgeſetzt, und nach hoch⸗ 
liegendem, ſtumpfem Umbruch fällt der untere Teil des Gefäßes in energiſcher 
Neigung ſchräg abwärts; es würde aljo in die Serie Weſter⸗Wanna A 8 ein: 
zureihen fein. Ich ſtimme dem Vorſchlage Canges durchaus bei und ger: 
weiſe auf die von mir veröffentlichte Urne aus Heeslingen, Kr. Zeven 
(Zeven, Samml. Müller⸗Brauel 301) ), die der unſrigen ebenſo nahe 
geſtanden haben muß wie jene Quelkhorner. Da ihnen allen der ſtark flaſchen⸗ 
artige Hals der ſpäteren Exemplare dieſes Typs fehlt, ſtellen fie, auch in 
Anbetradyt ihrer primitiven Verzierungen, innerhalb desſelben ein verhältnis⸗ 
mäßig frühes Entwicklungsſtadium dar: die Heeslinger Urne hat uns eine 
gegoſſene Schalenfibel bewahrt, die in die Zeit kurz nach 400 zu ſetzen iſt. 
— Beifunde ſind nicht vorhanden. 

Elsdorf (Kr. Zeven) ); Zeven, Samml. Müller-Brauel 1483; Abb. 5 
Zeichnung Müller-Brauels); bisher nicht veröffentlicht. Fragment eines 


A 


23 


Abb. 4. Altenmalde (Kr. Lehe); Berlin, Abb. 5. Elsdo 
( Ju. N. v. 


Kr. Zeven); Zeven, Samml. 
Muf. f. Völkerkunde 1 1 443 et tt. v. 


Müller-Brauel 1483 (%). 


Copfes aus grau-braunem, mit Kies gemengtem Ton; erhalten find 
die untere Hälfte und von der oberen Teile, von denen der am weiteſten 
hinaufreichende den Tüllenanſatz bewahrt hat; Maße: größte Höhe 13, Höhe 
der Schulter 6—7, Weite des Bauches 18, des Bodens 11, der Tüllenöffnung 
an der Bruchſtelle 5,5 em. — Das Gefäß, das Müller-Brauel bis zur höhe 
von 15 em einwandfrei reſtauriert hat (ſiehe feine Zeichnung), muß eng— 
mündig geweſen fein und gehört ſicher zu einem lokalen, bis jetzt nicht be- 
kannten Typ. Ganz nahe verwandt iſt eine zweihenklige Urne aus Gran- 


. 1) Die ſächſiſche Schalenfibel der Völkerwanderungszeit als E enftand und 
ene e e Leitfoſſil (Göttinger Beiträge zur deutſchen Rulturgeſchichte, 
Göttingen 1927), Caf. V Sig. 5; dazu S. 35 f. und 41. 

. 2) Über REISER en Friedhof, 10 Minuten von dem Wall der Burg Elsdorf, 
ift nach den Angaben Müller-Brauels, in deffen Sammlung das Inventar ſich befindet, 
Ge es zu bemerken: Die Urnen, etwa 70, ſaßen in Richtung Oſt⸗Weſt, aber nicht in 
treng reihenweiſer Ordnung wie a der ebenfalls von ihm kürzlich entdeckten Begräbnis» 
Hätte Sittenſen (nordöſtlich von Elsdorf); fie find zum Teil ganz ſchlicht, zum Teil per: 
ziert, und zwar mit ne Rillen und Strichen, aber auch mit beginnenden und aus— 
ebildeten Buckeln. Die Beigaben, im ganzen ſpärlich, beſtehen aus perlen, eiſerner 
‚anzenjpiße, Spinnwirteln aus Con; in einer ſchönen Urne mit Hakenkreuz, 1478, fand 
e? der “erat eines lauchgrünen, rillenverzierten römiſchen Glaſes, das nad) Unters 
uchung des Wallraf⸗Kichartz⸗MRuſeums in Köln um 450 zu datieren iſt, aber eher der 
zweiten als der erſten hälfte des Jahrhunderts zugewieſen werden muß. 


Mannus, Zeitſchrift für Dorgeſch., VI. erg.⸗Bd. 13 


194 Sritz Roeder [5 


ftedt bei Selfingen (Kr. Bremervörde) ), Samml. Müller-Brauel 1978; 
da jie ohne Beigaben war, kann fie zur Datierung der Elsdorfer Henkelguß⸗ 
urne, die ſelbſt nur kalzinierte Knochen und einen undefinierbaren Eiſenreſt 
enthielt, nicht beitragen. Ob andere Granſtedter Exemplare hier noch ein⸗ 
zuordnen ſind, darüber wird weitere Unterſuchung Sicherheit bringen. 

Vom Galgenberg bei Sahlenburg (Amt Rigebiittel); hamburg, Muſ. 
für Völkerkunde 1887: 108; Abb. 6; bisher nicht veröffentlicht. Topf aus 
rötlich⸗grauem Ton, weitmündig, mit rundlichem, über der Mitte liegendem 
Umbruch und etwas ausladendem, ſcharf abgeſetztem Hals; für den Tup, 
der wegen ſeiner praktiſchen Verwendbarkeit gewiß tatſächlich ſehr häufig 
war, gibt es trotzdem oder beſſer — gerade deshalb — meines Wiſſens keine 
Parallelen: ſie verbot es, ihn für Beiſetzungen zu verwenden; Maße: Geſamt⸗ 
höhe 12,6, höhe der Schulter 7, oberſte Weite (ohne Henkel ) 14,5, Weite des 


7 
de i 
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Albb. 6. Dom Galgenberg bei Sahlenburg (Amt Abb. 7. Wolfsbruch bei Dornbuſch 
Ritzebüttel); hamburg, Tut, f. Völkerkunde (Kr. Kehdingen); Berlin, Muf. f. Völker⸗ 
1887: 108 (¼) N. v. kunde L 21 (%). N. v. 


Bauches 16, des Bodens 6,7, der Tüllenöffnung etwa 2 cm; zu den Orna⸗ 
menten (ſoweit auf der Abb. nicht ſichtbar): auf der Brücke 5 ſchwache Quer⸗ 
rillen; über den Inhalt der Urne nichts bekannt. 

Wolfsbruch bei Dornbuſch (Kr. Rehdingen); Berlin, Muſeum für 
Völkerkunde L 21; Abb. 7 (Zeichnung Canges); bisher nicht veröffentlicht. 
Durchlochter henkel aus grauem, fein geſchlemmtem und hart gebranntem 
Ton mit deutlich ſichtbaren Einzapfſtellen; Weite der Tüllenöffnung oben 0,7, 
unten 0,5 em; nicht wie die übrigen Belege von einer Grabſtätte ſtammend, 
ſondern Stück eines Siedlungsfundes ). 

Sundort unbekannt (aber ſicher ein Friedhof aus dem Amte Ritze⸗ 
büttel); Cuxhaven, Reinede-Sammlung A 3:92; Abb. 8 und 9; bisher nicht 
veröffentlicht. Fragmentariſche Kanne aus dunkel-ſchwarzem, feinem Ton, 
0 Der Friedhof iſt von Müller-Brauel erſchloſſen; das Wee wichtige Sund- 


materia , f reiſes Bremervörde. 
2) Über die Fundumſtände vim. machte mir Herr Gutsbeſitzer h. Krönde in Wolfs⸗ 


Sne 1 wee 


Kohlenjtüden beſtand, die großen Netzbeſchwerer und die Wahrnehmungen der Arbeiter 
geben die Gewißheit, daß wir es in dieſem Salle mit Siedlungsfunden zu tun haben. 


6] Die hannoverſch⸗engliſchen henkelgußurnen der Döllerwanderungszeit 195 


von mittlerer Entwidlungsjtufe der Serie Weſter⸗ Wanna A 6; aſſoziiert mit 
zwei zuſammen 6,5 cm langen, verkohlten, aber gut erhaltenen, runden 
Holzſtücken, die wohl den Stöpſel bildeten; Make: Geſamthöhe 22, Höhe der 
Schulter 9, oberſte Weite (ohne Husguß) etwa 15, Weite des Bauches 20, 
des Bodens 10,5, der Tüllenöffnung 3 cm. — Dieſe Brandurne, ein Zeugnis 
für die hochentwickelte Keramik der Sachſen, fällt aus der Reihe der bisher 
beſprochenen Gefäße heraus: ſie hatte gegenüber der Tülle noch einen Henkel, 
der, wie die erhaltene klnſatzſtelle zeigt, nicht durchbohrt war; ob er geſchweifte 
oder geknickte Form hatte, läßt ſich nicht mehr entſcheiden. Daß das Gefäß aber 
eine Variante und Weiterbildung der gewöhnlichen henkelgußurne darſtellt, be: 
weiſen der immer noch eckige Knick des ſonſt gefälliger und nicht ſo ſteif wie 
früber geſtalteten E und die Beobachtung, daß fic) diejes mit der 
Öffnung gegenüber dem Urnenkörper genau dem Griff von Daumen und 


Abb. 8 und 9. Sundort unbekannt; Cuxhaven, Reinecke⸗Samml. A3:92 (%%). N. v. 


Zeigefinger anpaßt: es hat alſo ſeinen Charakter als Handhabe, wenn auch 
in rudimentärer Form, bewahrt. 

Great Addington (Northamptonſhire); London, Brit. Muſeum 
85: 8—10: 1; Abb. 10. Kanne aus gelblidyegrauem Ton mit folgenden Maßen: 
Geſamthöhe 19,2, Höhe der Schulter etwa 8, oberſte Weite (ohne Henkel) 9,5, 
Weite des Bauches 18, des Bodens 7 em; die Tülle mit ihrem rundlichen 
Kopfaufjaß, der als Mundſtück zu erklären ijt, hat genügende Weite, um 
als Husgußrohr dienen zu können. — Die Urne, deren Inhalt lediglich aus 
kalzinierten Knochen beſtand, wurde an der Straße von Ringſtead nach Great 
Addington deeg Eier von Thrapſton) gefunden, und zwar 6 Sup “4 in 
einem Hügel, der das Tal des Fluſſes Nene überragt. — Sie ähnelt in ihrer 
Ge ſamtform der Weſter⸗Wannaer Kanne, beſitzt aber an in die Augen fallenden, 
unterſchiedlichen Zügen bauchigen Unterteil und lang ausgezogenen Hals; 
dieſer letztere Zug nötigt uns, ſie dem auch ſonſt in England nachgewieſenen 
Cyp Weſter⸗Wanna A 6a zuzurechnen. Nach Plettke, a. a. O. S. 44f. 
ſtellt 6a eine Weiterentwicklung von Form 6 dar und ijt — auf dem bon: 
tinent — um 400 anzuſetzen. — Huch die Ornamente berechtigen, das Gefäß 
für ſächſiſch zu halten: fo das wulſtartige Slechtband, das den Halsanſatz 


15* 


196 Fritz Roeder 7 


markiert und ſich in doppelter Fortſetzung um den Fuß des Henkels legt, 
wie die Winkelbänder auf dem Bauche, auf dem vorſtehenden Rande und 
der Brücke 1); den in Reihen angeordneten Tiefſtich auf dem henkel habe ich 
allerdings bei ſächſiſchen Urnen noch nicht beobachtet, doch kann ich ihn belegen 
durch ein Gürtelbejchlagjtüd von dem jüngſt entdeckten Friedhof Blieders- 
dorf (Kr. Stade) 2). — Ich habe mich um den Nachweis des ſächſiſchen 
Charakters unſeres Gefäßes beſonders bemüht, da es in der Tat auf den erſten 
Blick einen fremdartigen, d. h. nicht-ſächſiſchen, Eindruck macht — eine Cat- 
ſache, die mich veranlaßte, mir die Frage vorzulegen, ob es nicht mit 
ſkandinaviſchen henkelgußurnen in Verbindung zu bringen fei ). 

Aus der vorgelegten Fundſtatiſtik 
ergeben ſich eine Reihe geſicherter 
Schlußfolgerungen und wohl be— 
gründeter Vermutungen. 

Das henkelgußgefäß wurde von 
den Sachſen nur als Frauenurne 
verwandt“): das ijt ſelbſtverſtändlich 
bei einem haushaltungsgerät; zudem 
beſtehen die Beigaben in dem einen 
Falle, in dem ſolche urſprünglich vor— 
handen waren und auch gerettet ſind, 
in Küchen meſſer und Perlen. 

Es mag ſehr wohl häufiger 
geweſen ſein, als die Sundziffer glauben 
laſſen könnte: die Urnen ſind mit ein 
paar Ausnahmen Prunkſtücke, gewiß 
von der Beſitzerin hoch gewertet; ein 
ſchlichtes Gebrauchsgefäß zur Auf- 

Abb. 10. Great Addington nahme ihrer Gebeine zu beſtimmen, 
(Northamptonſhire); Condon, Brit. Mmuſ. wird man vermieden haben. 

85: 8—10: 10%). Die Sachſen ſtellten es ſeit dem 

letzten Viertel des A Jahrhun- 

derts her, und zwar von vornherein in vollentwickelter Geſtalt, d. h. mit 
einer auch wirklich als Husgußrohr verwendbaren Tülle: die Belege, nach dem 


1) Letztere auf unſerer Abb. leider nicht ſichtbar, doch vgl. die von Baker a. a. O. 
S. 322 gegebene. 

2) Aus Bronze; Stade, Muſ. d. Geſchichts- und Heimatvereins 1821f. — Die Gro 
bung, in vorbildlicher Weiſe von W. Wegewitz-Ahlerſtedt durchgeführt, hat ein gutes 
Ergebnis gezeitigt. 

) Sentralbelgien, Nordoſtfrankreich und Holland haben bisher keine Belege 
geliefert; dieſe ſind von den nordgalliſchen Friedhöfen der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts, 
deren Keramik wenigſtens nur ſchwachen ſächſiſchen Kultureinfluß verrät, vielleicht Ober: 
haupt nicht mehr zu erwarten; für Holland dagegen iſt bei ſeinem Reichtum an ſächſiſchen 
Gefäßen mit künftigem Nachweis durchaus zu rechnen. 

4) Es ijt ſicher, daß alle Belegſtücke, natürlich mit Ausnahme des Dornbuſcher, 
als Aſchenurnen oder Sragmente von ihnen anzuſehen ſind. Da jie von bekannten Urnen⸗ 
feldern kommen, bliebe nur die Alternative, ſie für Beigefäße zu halten, die man in die 
mit Leichenbrand gefüllten Urnen tat oder neben ihnen aufſtellte; doch differieren ſie von 
letzteren — und unſeren Gefäßen — dadurch, daß ſie klein und ohne Verzierungen ſind 
(vgl. Mm. Mushard, Palaeo-Gentilismus bremensis, Handſchrift der Offentlichen Bibliothek 
in Oldenburg Cim. I. 108, S. 104f. und h. Runde im Jahrb. d. Prov.-Muſeums zu 
hannover, Hannover 1907, S. 28). Wo Skelettbeſtattung in Frage kommen könnte, Es 
bejonders in England, ijt die Entſcheidung, ob Aſchenurnen oder Beigefäße vorliegen, 


nicht ſo einfach. 


8] Die hannoverſch⸗engliſchen henkelgußurnen der Völkerwanderungszeit 197 


Typ glücklicherweiſe met datierbar, beginnen, als die Serie Wefter-Wanna 
As ihre mittlere Entwicklungsſtufe erreicht hatte, und ſetzen ſich dann gleich 
in ſolcher Zahl fort, daß der Einwand, es liege Zufall der Überlieferung vor, 
nicht ſtichhaltig iſt. 

Die engliſche Urne, die letzte in der Reihe, ift in die 2. Hälfte des 
5. Jahrhunderts zu ſetzen: vor dieſer Jeit iſt nach unſeren ſonſtigen Jeug⸗ 
niſſen Beſtattung einer Frau im Nenetal undenkbar. Mit ſeinem bauchigen 
Unterteil und ſeiner engen Mündung hat ſich das Gefäß von dem früheſten 
auf dem Kontinent nachgewieſenen, dem aus Altenwalde, noch nicht ſehr 
weit entfernt: alſo blieben auch die elegant geſtalteten Exemplare unſerer 
Gattung, die eben für praktiſche Swede verfertigt wurde, in ihrer Grundform 
konſtant, wenn man will, archaiſch, und mieden die barocken Umrißlinien 
und Derzierungen der ſpäteren tupiſchen Brandurnen. 

Und nun zuletzt das für mich wichtigſte Reſultat: Im Verein mit anderen 
ſiedlungsarchäologiſchen Leitfoſſilien beweiſt die ſächſiſche henkelgußurne von 
Great Addington, daß das ſpätere Mittelanglien urſprünalich von ſüd⸗ 
albingiſchen Sachſen erobert wurde, die den Waſh als Einfallstor und 
die in ihn mündenden großen Flüſſe als flufmarſchwege benutzten. Das ijt 
eine Tatſache, von der die ſchriftlichen Quellen nichts berichten. 


Weitere Schlüſſe erlaubt das hannoverſch⸗engliſche Material, wenigſtens 
iſoliert unterſucht, nicht. Es gibt keine Antwort auf die Frage, die ſich dem 
Betrachter des Gefäßtyps ſofort aufdrängt: wie kamen die Sachſen auf die 
eigentlich widerſinnige Idee, den Griff zugleich als Ausgußtülle zu geſtalten? 
Zudem war die ganze Einrichtung doch recht unpraktiſch: falls das Gefäß 
zu hoch gefüllt war, lief die Flüſſigkeit nicht nur durch die Tülle, fondern 
auch über ſeinen Rand. Und weiter: iſt der Gedanke ihr geiſtiges Eigentum? 
da auch andere Germanen Tüllenurnen kannten, läge dann Konvergenz 
der Erſcheinungen vor; uff. Aber den Derſuch, dieſes Knäuel von Fragen 
vollkommen zu entwirren, kann ich jetzt nicht unternehmen: dafür ſteht mir 
der Raum nicht zur Verfügung, fehlen mir wohl auch noch die genügenden 
Unterlagen. Wenn ich hier doch wenigſtens andeute, in welcher Richtung 
Idi meine künftigen Unterſuchungen bewegen ſollen, auch Ergebniſſe vor» 
trage, die ich für geſichert halte, leitet mich dabei vornehmlich der Wunſch, 
zu erneuter „ Diskuſſion anzuregen ). 

Über die Jweckbeſtimmung des Röhrenhenkels hat ſich zuletzt 


1) Beim Nachweis des weit verſtreuten außerſächſiſchen Materials, das ein 
einzelner auch nicht annähernd erfaſſen kann, ſind mir in entgegenkommender Weiſe bisher 
behilflich geweſen für Weſtgalizien (im Daiedufzudi: Muf. in Lemberg) Wladimir 
Untoniewicz-Warſchau, für Schleſien das Schleſiſche Mufeum für Runſtgewerbe 
und Altertümer in Breslau, für Pofen das Raiſer-Stiedrich-muſeum in Pojen, 
fur Oſtpreußen das pruſſia-muſeum in Königsberg, für Weſtpreußen das 
Mufeum für Naturkunde und Vorgeſchichte in Danzig, für Pommern die Dron: 
Samml. Domm. Altert. in Stettin und das Stralfunder heimatmuſeum für 
Neuvorpommern und Rügen, für Schweden das Statens hiſtoriska Ruſeum in 
Stockholm und für Norwegen die Univerſitetets Oldſakſamling in Oslo und das 
Stavanger Muf. — Sehlanzeigen erhielt ich (in beweiskräftiger Anzahl) für Mittels 
deutſchland von dem Stadtmufeum in Guben, der Landesanſtalt für Doraeid. 
in halle a. d. S., dem Heimat-Mufeum in Cöthen (Anbalt), dem Märkiſchen Muf. 
in Berlin, dem Altmärtifhen Mufeum in Stendal und dem in Salzwedel; und 
ſchließlich teilte mir R. Beltz mit, daß ihm keine Tüllenurnen aus Mecklenburg bekannt 
geworden ſind. 

Moderne henkelgußgefäße, 3. B. ungariſche, auf die mich Walther Schulz 
„ hat, laſſe ich außer acht, da ich über ihre Geſchichte noch nichts habe ermitteln 
onnen. 


198 | Fritz Roeder [9 


W. petzſch geäußert, in einem Auflaß über Neuerwerbungen des Stral- 
ſunder Muſeums von der Inſel Rügen, Prähiſt. Jeitſchr. Bd. XVII (1926) 
S. 233 ff. Er ehe Weck dort eine weſtgermaniſche Mäanderurne, auf 
hiddenſöe gefunden, deren henkel in ganze r Länge durchbohrt ijt. Nach 
Form und Ornament gehört das Gefäß in die frühe Kaiſerzeit ). Der 
henkel wurde, folgert Petzſch — mit Recht — namentlich aus dem geringen 
Durchmeſſer der Tüllenöffnung, nicht als Husgußrohr benutzt. „Es könnte 
ſich [dagegen] um ein Gefäß zur Aufbewahrung von Flüſſigkeiten handeln, 
bei denen Luftzutritt bei gleichzeitigem Zudeden des Gefäßes wünſchenswert 
war, alſo etwa bei Getränken, die einem Gärungsprozeß unterworfen wurden 
(3. B. Met)“; a. a. O. S. 235. Bei 
den ſkandinaviſchen und ſächſiſchen 
Gefäßen der Dölferwanderungszeit, 
den Nachkommen dieſes kaiſerzeit— 
lichen Typs, deren Verwendung als 
Gußurnen auch Petzſch für wahr: 
ſcheinlich hält, ſei der urſprüngliche 
Zweck der Durchbohrung zugunſten 
eines anderen in den hintergrund 
getreten, oder wenigſtens mit einem 
anderen kombiniert worden. 


Abb. 11: ½¼. Abb. 12: Ha 
Abb. 11 und 12. Noßwitz (Kr. se e Schleſ. Muf. f. Kunſtgewerbe u. Altert. 
14: 


27. K. v. 


Ich will mich mit gewiſſen Einwänden, die man gleich erheben könnte, 
ſo dem, daß die Gefäße wegen ihrer kleinen Dimenſionen für ſolche Zwecke 
nicht ſehr brauchbar geweſen ſeien, nicht weiter aufhalten: das oſtgermaniſche 
Material, das Petzſch nicht kannte, bringt eine ganz andere Cöſung, an deren 
Richtigkeit kein Zweifel beſtehen kann. 

Die ſächſiſchen geknickten Henkel ſind, wie ich oben betont habe, mit 
einer Ausnahme ſtets auch durchlocht. Dieſe Tatſache, für die irgendein 
Grund vorliegen müßte, gab mir Unlaß, folgende Erwägungen anzuſtellen: 
Man konnte den Tiillenhenfel nur in der Weiſe formen, daß man die weiche 
Tonmaſſe um einen runden oder kantigen [Holziſtab fnetete; er gab dann 


1) Es tann als . nicht beweiſen, daß unſer Gefähtyp den Weſtgermanen 
in der Kaiſerzeit geläufig war ie Sachſen, die einzigen Weſtgermanen, ei denen 
in der folgenden Periode die henkelgußurne in Brauch war, hatten ſie „wie wir eſehen 
haben, nicht aus heimiſchen Dorformen zu voller Entwicklung gebracht: ſie müſſen die 

ugrunde liegende Idee, fertig, von einem anderen Zweige der Germanen erborgt 
Gaben, gewiß den Nordgermanen. Darüber weiter unten. 


10] Die hannoverſch⸗engliſchen henkelgußurnen der Dölkerwanderungszeit 199 


dem Henkel zugleich auch einen ſtarken Halt, erleichterte feine Einzapfung 
in die Gefäßwand und hielt ihn während des weiteren Herſtellungsprozeſſes 
feſt in feiner Cage, um ſchließlich beim Brennen zu verkohlen; ohne feine Der- 
wendung mußte es überhaupt ſehr ſchwer ſein, einen geknickten Henkel an 
einem Gefäß anzubringen. Dann war dieſer letztere Zwed vielleicht der pri⸗ 
märe, war die henkelgußurne, wie fo häufig, eine Erfindung, bei der man 
eine beiläufig gemachte Erfahrung zweckmäßig ausnutzte. 

Martin Jahn, mit dem ich dieſen Erklärungsverſuch beſprach, konnte 
mir aus ſeiner imponierenden Kenntnis des oſtdeutſchen Materials die Be⸗ 
weisſtücke beibringen. Das wandaliſche Südoſtgermanien der Kailer: 
zeit iſt das Urſprungsgebiet der Vorform (bzw. der Dorformen) der 
Henfelqukurne. In dieſem Kulturkreis verfertigte man Gefäße mit geknicktem 
Henkel, deſſen Durchbohrung nicht die Wandung erreichte: 

Noßwitz (Kr. Glogau); Breslau, Schleſ. Muſeum für Kunftgewerbe 
und Altert. 214: 27; Abb. 11 und 12; bisher nicht veröffentlicht. Krug, 
1916 in einem Urnengrabe gefunden, aus hell⸗ 
grauem Ton, mit ſpätem Rädchenmuſter; Maße: 
Höhe 10,5, oberſte Weite 6 em, der wagerechte Alt 
des Henkels iſt 3,5, der aufſteigende 4,5 cm lang. — 
Der Kniehenkel hat im aufſteigenden Aft ein winziges 
Lod) von 0,2 —0, 3 em Durchmeſſer, das etwa 4 cm 
in den Henkel hineingeht, aber vor der Gefäß⸗ 
wandung endigt. — Zeitſtellung: Ende des 2. Jahr⸗ 
hunderts. 

Ludwigsdorf (Kr. Oels); Breslau, Schleſ. 
Muſeum für Kunftgewerbe und Altert. 504: 02; 
Abb. 15. Henkelbruchſtück, gefunden in einer Sied- 
F Ne , 8 4. e ee aus a ai 

ranntem, jchwarzgrauem Ton, mit eingefurdten 
und eingeglätteten Stridmuftern; Maße: Größte (Kr Bets); Breslau, Schle 
Höhe 9, Weite der kantigen Tüllenöffnung 0,6 em. uf. f. Kunftgewerbe u. 
— die Durchlochung, nicht in der Mitte befindlich Alten 304: 02 (½). 
und ſchräg nach außen gehend, endet faſt an der 
Kante der Bruchfläche und kann bei dem unverletzten Henkel nicht viel weiter 
gegangen ſein (vgl. Mannus, Ergänzungsband IV, Leipzig 1925, S. 151 und 
Tafel XVII Fig. 8). 

Aus dieſer erſten Vorform entwickelte ſich folgerichtig die zweite, 
als man einen Stab von der ganzen Länge des aufſteigenden henkelarmes 
wählte: nun erfüllte jener, mit der Derzapfung in die Gefäßwand eingeſetzt, 
feine Funktion als Strebepfeiler ert vollkommen. Aud) ſolche Gefäße find 
in Südoſtgermanien bezeugt, z. B. aus dem der Zeit von 150 —250 n. Chr. 
angehörenden Gräberfelde von Przeworsk, einer Kreisſtadt in Weſtgalizien 
(zwiſchen Krakau und Lemberg) ). 

Die ſüdlichen Oſtgermanen übermittelten die Idee in dieſem Ent⸗ 
wicklungsſtadium ihren Stammes verwandten im nördlichen Teilgebiet ). 

1) Die genauen Nachweiſe über dieſe Gefäße und andere, auf die ich unten nur 

kurz Bezu nehme, werde ich in meiner geplanten fpäteren Abhandlung bringen. 
d Über die Abgrenzung der beiden oſtgermaniſchen Kulturfreife in der Spätlatene: 
und römiſchen Kaiferzeit vgl. die treffliche Schrift von W. La Baume, Dorgeſchichte von 
Jahns, Se Danzig 1920, S. 77 ff., wo er die Ergebniſſe der Sorſchungen Roſſinnas, 
Jahns, Blumes und Roſtrzewſkis überſichtlich zuſammenfaßt und kritiſch wertet 
(dazu die Sundfarte, Abb. 60, S. 54). 


200 Fritz Roeder [11 


Als Beiſpiel möge dienen die weſtpreußiſche Urne aus 
od witz (Kr. Kulm); Muſeum Danzig; Abb. 14; bisher nicht ver⸗ 
öffentlicht ). Kaijerzeitliches Gefäß mit Tupfenverzierung; Höhe 12, oberſte 
Weite (ohne Henkel) 9 em. — Der röhrenartige Gang im henkel hat zwar 
oben einen Durchmeſſer von 0,7 em, verengt ſich 
dann aber jo weſentlich, daß er Flüſſigkeit kaum 
durchließ. 

Eine Hhenkelkanne aus hinterpommern, 
das noch in den nordoſtgermaniſchen Rulturkreis 
einzubeziehen ijt, bezeichnet, ſoweit meine Kennt- 
nis des Materials reicht, die weſtliche Grenze 
des Geltungsbereiches unſeres Untertyps: Neu— 


Co bitz (Kr. Dramburg); Stettin, Drop. Zomm). 
Pomm. Altert. 3362 a (vgl. Monatsblätter d. Ge). 
f. Domm. Geſch. u. Hltertumsk. 1894 S. 39ff. 


5 . mit Abb. auf S. 40 Fig. a; die Durchbohrung 
Maca Bang ). M. d. des Henkels wird nicht erwähnt). 
Ob ſchon die Oſtgermanen auch den nächſten 
Schritt taten und in bewußter Zweckmäßigkeit die enge Röhre zur Gußöffnung 
ausweiteten, vermag ich nicht mit Sicherheit zu entſcheiden: die Photographien, 
nach denen ich urteilen muß, zeigen ja nur den Durchmeſſer der Röhre beim 
Austritt, wo er ſich gegenüber dem Innern häufig verbreitert. Für wabhr- 
ſcheinlich halte ich es nicht, ſondern glaube, daß erſt die Nordgermanen 
der Dölferwanderungszeit die Endform Zeie Auf jeden Fall per: 
dankten dieſe die Idee überhaupt 
den verwandten germani— 
ſchen Stämmen, die im Dote 
letzten und letzten Jahrhundert 
vor Chr. aus Südſkandinavien 
nach Nordoſtdeutſchland über- 
geſiedelt waren, und mit denen 
ſie in kultureller Verbindung 
blieben. 

Die henkelgußurne ijt in 
Dänemark auf dem ganzen Ge— 
biet von Jütland bis Born— 
holm, in Schweden auf Got— 
land und in Schonen zum Dor: 
Idem gekommen; und in Nor— 
555 1 wegen ie lich ihr geären 

. 15. Cveitene, Brunlanes, Veſtfolo; Oslo, reiches Sundgebiet vom Osloer 
Univerſitetets Oldſakſam. C. 15075 (etwa ½). See eng Sjord. 
Die Univerſitetets Oldſakſamling 
in Oslo beſitzt allein 10 Exemplare, die in der Hauptjache, wie die übrigen 
ſkandinaviſchen Belege, dem 4. Jahrhundert zuzuweiſen find. Björn 
hongen, der Konjervator des Muſeums, hat jie auf meine Bitte genauer 
unterſucht und feſtgeſtellt, daß zwei von ihnen noch die von mir poſtulierte 
zweite Dorform repräſentieren, jo C. 13073 aus Tveitene, Brunlanes, 
Deitfold (Abb. 15). 


1) R. Tackenberg-Breslau lenkte zuerſt meine Aufmerfjfamfeit auf dies Belegſtück. 


12] Hannoverſch⸗engliſche henkelgußurnen der Döllerwanderungszeit 201 


Don Norwegen brachte dann im letzten Viertel des 4. Jahrhunderts 
eine neue, nach Süden ſich wendende Kulturwelle die vollendete Tüllen⸗ 
urne zu den Sachſen zwiſchen Weſer⸗ und Elbemündung ). 

bier hatte, ſtreng genommen, die Idee das Ende ihrer Wanderung 
erreicht, nachdem fie, im wandaliſchen Kulturkreis geboren, erſt nördliche, 
dann weſtliche und ſchließlich ſüdliche Richtung genommen hatte. Die Über⸗ 
tragung von Sachſen nach England iſt prinzipiell anderer Art: geſchah 
durch eine Völkerwelle, die nicht lediglich eine beſtimmte Idee, fondern 
die Geſamtkultur in das Kolonialgebiet trug. 


Die henkelgußurne hat ſich als ein wichtiges Leitfoſſil erwieſen — 
nicht fo ſehr für Délfer-, ſondern gerade für Ideen wanderung innerhalb 
der germaniſchen Welt: der glückliche Umſtand, daß die dem Gefäßtyp zugrunde 
liegende Idee einer zweckbedingten und daher für uns durchſichtigen Ab⸗ 
wandlung unterlag, hat uns inſtand geſetzt, ihr auf ihrem Wege zu folgen. 
Das iſt, wie mir ſcheint, z. B. bei der Fenſterurne nicht möglich, da ſie, 
ſoweit erkennbar, nicht mit einem einheitlichen, fic) in gerader Linie ent⸗ 
wickelnden Gedanken verknüpft war )). 

Vermehrung des Materials und genaue chronologiſche Fixierung der 
einzelnen Belegſtücke, namentlich der oſtgermaniſchen, werden uns gewiß 
noch einen bedeutenden Zuwachs an Erkenntnis bringen, aber das Haupt⸗ 
reſultat des letzten Teiles dieſer Unterſuchung, glaube ich, nicht umſtoßen. 


. ) Über den Austaufch von Kulturgütern, der ſich in der Dölferwanderungszeit 
peices Norwegen und Sachſen vollzog — mochte er nun auf Handel oder z. C. auf Nieder: 
lung von Sachſen in Norwegen beruhen — val. D Schetelig im Mannus Bd. III, 
Würzburg 1911, S. 65 und R. Schumacher, Siedelungss und Rulturgeſchichte der Rhein: 
lande Bd. III Geil I, Mainz 1925, S. 41. 

2) We die Monographie von h. v. Buttel-Reepen, Über Senſterurnen; befonders 
Teil II, Oldenburg. Jahrbuch Bd. XXXI (1927) S. 248 ff. 


f) Schweiz. 


Die ſchnurkeramiſchen Totenhäuſer von 
Sarmenstorf. 
Dow hans] Reinerth. 
Mit 17 Abbildungen im Tert. 


Auf einer langgeſtreckten, kurzweg Berg genannten höhenzunge, die 
ji mit etwa 120 m Heil aus ihrer Umgebung heraushebt, liegt öſtlich der 
Gemeinde Sarmenstorf im ſchweizeriſchen Kanton Aargau ein ausgedehntes 
Grabhügelfeld in rund 650 m Meereshöhe, deſſen Erforſchung ſich die hiſto⸗ 
riſche Vereinigung des Seetales zur Aufgabe gemacht hat. Nach einer erſten 
Grabung im Jahre 1925 beauftragte mich die hiſtoriſche Vereinigung 
mit der Leitung der Husgrabungen, die ich gemeinſam mit R. Boſch im 
Juni 1926 und beſonders im Juli 1927 in mehrwöchentlicher Arbeit durch⸗ 
führen konnte. 

Das Gräberfeld, in dem prächtigen Hochwald des Zigiholzes gelegen, 
umfaßt 21 äußerlich kenntliche Grabhügel (Abb. 1), von denen bisher ſechs 
vollſtändig und einer teilweiſe freigelegt wurden. Es handelt ſich faſt aus⸗ 
ſchließlich um Grabſtätten der ſchnurkeramiſchen Kultur der jüngeren Steinzeit 
und vereinzelte Anlagen und Nachbeſtattungen aus der hügelgräber⸗Bronze⸗ 
zeit. Damit erlangt das Gräberfeld als die ſüdlichſte bisher bekannte Beſtat⸗ 
tungsſtätte des ſchnurkeramiſchen Kulturkreiſes beſondere Bedeutung. Weit 
mehr noch verdient aber der Aufbau der Grabhügel Beachtung, der für die 
Beurteilung der ſchnurkeramiſch-nordiſchen Beſtattungsgebräuche der Jung⸗ 
ſteinzeit ganz neue Perſpektiven eröffnet. 

Aus der Fülle der Ausgrabungsbefunde, die in dem Anzeiger für 
Schweizeriſche Altertumsfunde 1929, Heft 1 und 2 zu ausführlicher Dar: 
ſtellung gelangen, greife ich hier die Totenhäuſer heraus. 

Die erſte dieſer Bauten trafen wir 1926 in dem Grabhügel 3 an. 
Es war ein kleiner, nur 42 em hoher Hügel mit einem Durchmeſſer von 
4,2—5,6 m. Unter einer Aufjhüttung von 20 em hellgelbem Lehm lagen 
die Reſte der hufeiſenförmigen Grabkammer, des Totenhauſes. Ihre Wände 
in 35—40 em Dicke waren aus unbehauenen Bruchſteinen und Diluvialgeröll 
mit größter Sorgfalt errichtet. Die höhe betrug zum Teil noch 35 cm. Während 
die Oſtwand gut erhalten vorlag und hier nur drei Bauſteine aus der ur— 
ſprünglichen Cage abgerutſcht waren, fanden ſich bei der Weſtwand nur die 
unterſten Steine in urſprünglicher Lagerung. Auf der Südjeite ſtand die 
Grabkammer offen. Auf der Nordſeite iſt die Mauer durch eine abſichtlich 
ausgeſparte (innen 30, außen 40 cm weite) Öffnung unterbrochen. Der 


2) Die ſchnurkeramiſchen Totenhäuſer von Sarmenstorf 203 


Boden der Grabkammer war mit dünnen, 2—4 em ſtarken Steinplatten ſorg⸗ 
fältig ausgelegt. Auf dem Plattenboden, ſüdlich bis 1,50 m darüber hinaus⸗ 
greifend, lag eine 10—16 cm ſtarke elſchenſchicht, die mit Kohlenftüdchen, 
oben auch ſtark mit Lehm durchſetzt war. Sie enthielt hart an der Oſtwand 
(Abb. 2 bei a) die faſt vollſtändig vergangenen Reite des verbrannten Toten 
und der mitverbrannten Beigaben, von denen ſich lediglich ein kleiner, außen 
grellrot überzogener Tonſcherben heben ließ. 

Der Innenraum des Totenhaufes hatte eine Länge von 1,60 m und 
eine größte Breite von 1,50 m. Für die Ergänzung der urſprünglichen Anlage 


Sarmenstorf. 
Orabhögsifeld im Zigiholz. 


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Abb. 1. Plan des Grabhügelfeldes von Sarmenstorf. 


geben zwei, in der Mitte der offenen Südſeite über dem Bodenbelag auf: 
geſetzte, dicke Steinplatten einen wichtigen Anhalt, die wahrſcheinlich als 
Unterlage eines ſenkrechten Firſtpfoſtens auszulegen find. Auch drei weitere 
Steinplatten, die in der Verlängerung der beiden Wandlinien (eine auf der 
Oſt⸗, zwei auf der Weſtſeite) in einem Ubſtand von 50 bzw. 30 und 80 em 
vor dieſen liegen, ſind vielleicht als Stützen ſenkrechter oder ſchräg geſtellter 
Pfoſten anzuſprechen und würden dann bei einem Dorgreifen der Seitenwände 
bzw. des Daches eine kleine Vorhalle ergeben. 

Die Ergänzung dieſes ſumboliſchen Totenhaufes, das in ſeinem Auf: 
bau vielleicht den Haujern der Lebenden entſpricht, in feinen Ausmaßen aber 
zweifellos ſehr ſtark verkleinert vorliegt, kann ſich nur in einer Richtung be— 
wegen. Eine Überwölbung der Grabkammer in Steinbau iſt ausgeſchloſſen, 
dazu reichen die vorhandenen Steine bei weitem nicht aus. Außerdem wären 


204 Hans Reinerth [3 


zu einer foldjen Anlage größere Steinplatten notwendig geweſen, die nur 
in geringer Jahl vorliegen. Daß auf der Steinmauer eine, wenn auch nied⸗ 
rige, ſenkrechte Pfoſtenwand aufgeſetzt war, halte ich ebenfalls nicht für mög⸗ 
lich, da in dieſem Falle, wie die weiter unten beſchriebenen Totenhäufer zeigen, 
die Pfoſten in den gewachſenen Boden oder doch jedenfalls in die Steinmauer 
eingeſetzt worden wären, und dafür ſind keinerlei Anzeichen vorhanden. So 
bleibt lediglich die Ergänzung in der Form eines Dachhauſes (Abb. 3), bei 


Abb. 2. Hufeiſenförmiges Totenhaus im Grabhügel 3. 


dem, etwa wie in dem frühbronzezeitlichen Totenhauſe von Ceubingen ), 
auf der niedrigen Steinmauer ein aus Bohlen oder Balken gebildetes Sirjt- 
dach aufruht, deſſen Firſtbalken von zwei ſenkrechten, ſtarken Pfoſten getragen 
wird, die auf den Steinplatten in der Mitte der offenen Südſeite und in der 
ausgeſparten Cücke der Nordwand ſaßen. Dabei iſt nicht ausgeſchloſſen, daß 
dieſes Dach unter Einbeziehung der den Seitenwänden vorgelagerten Stein 
ſtützen über den mit Platten belegten, eigentlichen Innenraum vorgriff und 
einen kleinen Vorraum von etwa 1m Breite überdeckte. 


1) D. Höfer: Der Leubinger ne Jahresſchr. f. d. Vorgeſch. d. ſächſ.⸗thür. 
Länder V. 1906. S. 1—59 und Taf. I IV 


4) Die ſchnurkeramiſchen Totenhaufer von Sarmenstorf 205 


Dem Totenhaus in Grabhügel 3 in Sorm und Aufbau ganz ähnlich, 
doch ſehr viel kleiner iſt die Grabkammer in Hügel 5 (Abb. 4). Auch hier 


— — 


Abb. 3. Rekonſtruktion des Totenhauſes in Hügel A 


umgibt eine, etwa 40 em hohe 


und durchſchnittlich ebenſo breite 
Steinmauer in Hufeiſenform eine 
Fläche von 0,90 m Länge und 
0,75 m größter Breite, die dies⸗ 
mal aber nicht mit Steinplatten 
belegt iſt. Das Innere der Kam- 
mer iſt wieder mit einer Brand⸗ 
ſchicht von 15 em Stärke angefüllt, 
die urſprünglich wohl auch die 
Reſte des verbrannten Toten und 
der Beigaben enthielt, die aber 
mit Ausnahme der Reibplatte 
einer Getreidemühle nicht mehr 
zu erkennen waren. Indeſſen er⸗ 
laubt es die Gleichartigkeit des 
Hügelaufbaus und der Beſtat⸗ 
tungsart mit den Befunden in 
den gut datierten Nachbargrab⸗ 
hügeln auch dieſes ſymboliſche 
Totenhaus des Hügels 5 der 
ſchnurkeramiſchen Kultur der 
jüngeren Steinzeit zuzurechnen. 
Die Nachbeſtattung eines Kindes 
(Körperbeftattung in Hockerform), 
die dicht weſtlich an die Grab⸗ 
kammer anſchließt und mit drei 
Bronzearmringen und einer 
Rippennadel vom Übergang der 


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Abb. A. Grabkammer in Hügel 5. 


206 Hans Reinerth [5 


Stufe C au D der ſüddeutſchen Bronzezeit ausgejtattet ijt, beſagt nebenbei, 
daß ar Anlage des Totenhauſes zumindeſt vor dieſem Zeitpunkt erfolgt 
ſein muß. ö 

Auffällig iſt bei der Grabkammer des Hügels 5 dab Fehlen der Stein⸗ 
unterlagen bzw. des in der Steinmauer ausgeſparten Platzes für die Firſt⸗ 
träger. Huch Pfoſtenſpuren waren an den fraglichen Stellen nicht zu erkennen. 
Das Dach ſcheint hier lediglich durch Derzapfung der Firſtenden der Sparren⸗ 
balken gebildet worden zu ſein. Bei der geringen Breite des Raumes (höch⸗ 
ſtens 75 em) iſt das auch ohne weiteres möglich. 

Der gleichen Hufeiſenform der Grabeinbauten, diesmal nicht durch eine 
Steinmauer, ſondern durch Pfoſtenausfüllungen bezeichnet, begegnen wir 
in Grabhügel 1. Dieſer Hügel gehört mit einem Durchmeſſer von 11 m 
und einer Höhe von 90 em zu den größeren Hügeln des Gräberfeldes. Unter 
einer hügelaufſchüttung aus hellgelbem Lehm von 0, 7—1,8 m Mächtigkeit 


Abb. 5. hufeiſenförmige Totenhäufer im Hügel 1. 


danden ſich drei ſelbſtändige Steinſetzungen. Die größte dieſer Steinſetzungen 
nahm mit einem Durchmeſſer von 2,5 m die Mitte des Hügels ein, die anderen 
feiden lagen in der Nähe des Südrandes. Bei allen Steinſetzungen waren 
bie Steine der Mitte bis zu 30 cm über den randlichen Partien erhöht. Sie 
zeigten das tupiſche Bild einer eingeſtürzten, nach unten, wie auch ſeitlich 
verſchobenen Steinlage. Unter zweien der Steinſetzungen fanden ſich, ab⸗ 
gejehen von der den ganzen Hügel bis faſt zum Rande durchziehenden, bis 
zu 25 cm ſtarken Brandſchicht, ſorgfältig aufgehäuft die Reſte der verbrannten 
Toten und der mitverbrannten Beigaben in der Form zahlreicher, oft winzig 
kleiner, außen rot überzogener Tonſcherben. Dieſe eigentlichen Beſtattungs⸗ 
anlagen waren in beiden Fällen von einer Reihe von Pfoſtenausfüllungen 
in Hufeiſenform umgeben, die ſich in dunkler Färbung klar aus dem hellen 
Lehmboden hervorhoben und Durchmeſſer von 25—30 cm aufwiefen. Die 
Beſtattungsanlage der Hiigelmitte (Abb. 5, 2) weiſt ſieben, die der Südſeite 
(Abb. 5, 1) fünf Pfoſtenausfüllungen auf. Wir haben alſo hier den gleichen 
Vorgang wie bei Grabhügel 3 und 5 nur mit dem Unterſchied, dak hier ſtalt 
einer Steinmauer eine ſtarke Pfoſtenwand das Totenhaus umgibt. 

Der Innenraum des Totenhaujes der Hiigelmitte hat eine Länge von 


61 Die ſchnurkeramiſchen Totenhäufer von Sarmenstorf 207 


1,50 m und eine größte Breite von 1,30 m; bei dem Totenhauſe der Südſeite 
betragen dieſe Maße 1,20 und 1,40 m. Die Größenverhältniſſe ſind alſo 
ähnliche wie bei der Grabkammer in Hügel A 

Sehr ſchwierig geſtaltet ſich die Frage des urſprünglichen Aufbaus, da 
ſich von der Wandfüllung (etwa ſenkrecht nebeneinander geſtellten Brettern 
oder Bohlen) nichts erhalten hat. Es iſt möglich, daß die ſtarken Pfoſten 
oben, ſicher in geringer Höhe, durch kurze Pfoſten verbunden waren, auf 
denen das bis zum Boden herabreichende, aus Balken gebildete, zeltartige 
Dach auflag (Abb. 6). Dieſe Ausdeutung würde das Fehlen des vorderen 
Sirſtträgers erklären und fie iſt die wahrſcheinlichere. Man könnte aber auch 
annehmen, daß die Pfoſten zu einer niedrigen ſenkrechten Wand gehörten, 
deren Füllung ſich nicht erhalten hat. In dieſem Salle würde das Dach der 


Abb. 6. Refonjtruttion eines Totenhaujes (Hügelmitte) aus Hügel 1. 


Wand aufſitzen, das Fehlen des vorderen Firſtträgers wäre dann aber ſchwer 
e Da ſich die Spuren von Wandbrettern unter gleichen Bedingungen 
in dem darüber liegenden Grabhügel 2 erhalten haben. ſo ſpricht ihr voll⸗ 
ſtändiges Fehlen in Grabhügel 1 auch eher für die erſterwähnte Rekonſtruk⸗ 
tion. Dieſe allein ergibt einen Bau, der bei Verwendung von Dachbalken 
imſtande iſt, die Steindede und die Hügelaufſchüttung zu tragen, mit der die 
Totenhäuſer überdeckt waren. 

Die offenen Seiten der beiden Grabhäuſer zeigen faſt genau in ent⸗ 
gegengeſetzter Richtung: die des Totenhauſes der Hügelmitte weiſt nach Nord⸗ 
weſten, während ſich das Totenhaus der Südſeite nach Südoſten öffnet. Auch 
bei den Grabkammern der Hügel 3 und 5 beſteht in dieſer Hinficht keine Über: 
einſtimmung. 

Neben manchen Unterſchieden in der Bauweiſe und auch in der Größe 
haben die bisher aufgezählten vier kleinen Totenhäuſer des Sarmenstorfer 
ſchnurkeramiſchen Gräberfeldes doch ſehr viel Gemeinſames: alle zeigen Huf: 
eiſenform und alle umſchließen in ihrem Innern den Leichenbrand und die 
Reſte der verbrannten Beigaben. Es handelt ſich durchweg um häuſer, die 


208 hans Reinerth 7 


den Lebenden nicht genügend Raum zu wohnlichem Aufenthalt geboten 
hätten, die alſo nur ſumboliſche Anwendung gefunden haben. Trotzdem 
halte ich einen Rückſchluß auf die Hausform der Lebenden, alſo in dieſem Falle 
auf die Häufer der Träger der ſchnurkeramiſchen Kultur, für berechtigt. 
Freilich mit der Einſchränkung, daß die in den Gräbern angewendeten Haus- 
formen bei den Lebenden vielleicht längſt ſchon durch andere, fortgeſchrittenere 
Bauten erſetzt worden waren und uns hier eine weit ältere hausform durch 
die Tradition feſtgehalten wurde. 


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Abb. 7. Klein⸗Meinsdorf, Haus 2. (Nach Knorr.) 


In dieſer Anſicht beſtärken mich die wenigen verfügbaren, jungſtein⸗ 
zeitlichen Parallelen. Das Totenhaus im Grabhügel 3 hat — freilich in 
größere Maße überſetzt — fein genaues Gleichſtück in den Haujern von Klein⸗ 
Meinsdorf bei Plön in Holjtein, die Knorr 1907 aufgedeckt hat ). Hier 
wie dort umgibt eine Grundmauer hufeiſenförmig den Innenraum, deſſen 
Boden teilweiſe oder ganz (Haus 2) mit Steinplatten belegt erſcheint (Abb. 7 
und 8); hier wie dort müſſen wir, wie Schulz für Meinsdorf ſehr richtig 
betont 2) uns das Dach unmittelbar auf der Grundmauer aufruhend denken. 


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1) Sr. Knorr: at neolithiſcher Zeit bei Klein⸗Meinsdorf, a Plön, Mitt. 
d. Anthropol. Der. in Scleswig-Holjtem. XVIII, 1907, S. 3—13 und Taf. LL — 
Sür die Überlaſſung der Drudjtode zu Abb. 7, 8 und 10 habe ich dem Kieler Mufeum 
vaterländ. Altertümer (Herrn Kujtos C. Rothmann) beitens Fi danken. 

2) W. Schulz: Das germaniſche Haus. Würzburg 1913, S. 83. 


8] Die ſchnurkeramiſchen Totenhäufer von Sarmenstorf 209 


Die flachen Steinblöcke und Steinſetzungen im Innenraum der Klein-Meins- 
dorfer Häujer werden wir, ähnlich wie die Steinplatten unſeres Totenhauſes 
in Grabhügel 3 3. T. als Unterlagen der Firſtpfoſten anſprechen müſſen. 
Die Herdſtellen liegen vor der offenen Schmalſeite und ſcheinen anzudeuten, 
daß auch hier, wie einmal in Sarmenstorf, das Dach auf der Giebelſeite 
weiter vorgriff. Freilich find die Meinsdorfer Häuſer gut doppelt bis dreimal 


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Abb. 8. Klein-Meinsdorf, haus 3. (Mad Knorr.) 


jo groß als die Sarmenstorfer Grabfammern. Der Innenraum der bier 
abgebildeten Häufer 2 und 3 mißt 3,7 : 2,5 bzw. 1,5 m und 5,1:4,0 m. Es 
handelt ſich eben in dieſem Salle um die im praktiſchen Gebrauche der Lebenden 
ſtehenden Bauten einer Siedlung und das rein Symbolijcye der Sarmens— 
torfer Totenhäuſer tritt bei dieſer Gegenüberſtellung beſonders klar in Er— 
ſcheinung. 

Die Klein⸗Meinsdorfer Bauten gehören der Megalithkultur, und zwar 
der Zeit der dünnackigen Seuerjteinbeile bzw. der Dolmen an. Trotzdem dürfen 
wir die Hufeijenform der Meinsdorfer Wohnhäuſer nicht als tupiſch für den 
nordiſchen Kulturkreis der jüngeren Steinzeit annehmen, auch wenn eine 

Mannus, Jeitſchtift für Vorgeſch., VI. Erg.-Bd. 14 


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210 Dans Reinerth [9 


Siedlung bei Norskog !) in Upland, dem Beginn der Ganggräberzeit on: 
gehörend, fait genau die gleichen Hausgrundriſſe, allerdings in Pfoſtenbau, 
geliefert hat. Denn im nordiſchen Kulturkreis wird ſehr bald das Rechteck— 
haus mit und ohne Innenteilung, wie es ſich ſchon aus der Form der Stein 
kammern und Steinkiſten der Grabſtätten erſchließen läßt, herrſchend und 
hält ſich in allen ſpäteren vorgeſchichtlichen Perioden (Trebus, Alt-Sriejad, 
Buch, Römerſchanze bei Potsdam uſw.). Schuchhardt weiſt daher mit 
Recht das hufeiſenförmige Rundhaus dem weſtiſchen Kulturkreis der jüngeren 
Steinzeit zu?) und führt ſein Erſcheinen im Norden auf alte, auch in der 
Töpferei und in den frühen Beilformen kenntliche Beziehungen zum Weſten 
zurück. Rundbauten ſehr ähnlicher Form finden wir in großer Jahl beſonders 


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Abb. 9. Haldorf. (Nach Bremer.) 


in Spanien und Frankreich s). Wir haben alſo in dem hufeiſenförmigen 
Wohnbau für den nordiſchen Kreis eine alte, ſehr bald durch das Rechteckhaus 
verdrängte Bauform zu ſehen. Daß das Rechtedhaus in feiner Entſtehung 
indeſſen an die Hufeiſenform anknüpft, ijt dadurch nicht ausgeſchloſſen. 

Für dieſe Annahme ſcheint mir der von W. Bremer 1922 %) in haldorf, 
Kreis Melſungen, aufgedeckte hausgrundriß zu ſprechen, der auf dieſem kleinen 
Umweg auch mit den Totenhäuſern von Sarmenstorf in Verbindung ſteht. 
Bremer fand, ebenfalls in einem Grabhügel, auf der Hohe des Umſelberges 
bei Haldorf die Rejte eines nach feiner Auslegung in Blocktechnik errichteten 
Hauſes, deſſen Wandungen in mehrfach verſchobenem Verlauf einen Innen- 
raum (von 1,60 m bzw. 1,70 m Länge und 1,65 m Breite) und eine kleine 
Vorhalle umſchloſſen (Abb. 9). Das Haus gehört nach den darin enthaltenen 

1) Cindquiſt: Sornvännen XI, 1916, S. 164 ff. 

2) C. Schuchhardt: Alteuropa, 2. Aufl. 1926, S. 150 und derſelbe: Vorgeſchichte 
von Deutſchland, München 1928, S. 53—56. 

3) Dédbelette: Manuel I, S. 348. 

4) W. Bremer: Ein haus und Grab der jüngeren Steinzeit bei Haldorf, Kr. Mel⸗ 
ſungen. Germania VI, 1923, S. 110 ff. 


10] Die ſchnurkeramiſchen Totenhäuſer von Sarmenstorf Zit 


Kleinfunden der ſchnurkeramiſchen Kultur an; Bremer möchte die in dem 
Hauſe enthaltene Brandbeſtattung indeſſen nicht mit diefer, ſeiner Meinung 
nach etwas älteren Wohnſtätte in Beziehung ſetzen. Die Kleinheit des Haujes, 
das in ſeiner Größe faſt genau dem Sarmenstorfer Totenhauſe aus Hügel 3 
entſpricht, ſcheint mir aber auch hier auf ein zum Zwecke der Beſtattung, 
vielleicht auf einem früheren Siedlungsplatze, errichtetes Totenhaus hinzu— 
deuten. Die Übereinſtimmung des Haldorfer Grundriſſes mit jenem von 
Sarmenstorf und andererſeits von Klein-Meinsdorf (beſonders Haus 4) iſt 


Abb. 10. Klein-Meinsdorf, Haus 4. (Nach Knorr.) 


augenfällig (Abb. 10). Wenn Bremer dagegen für Haldorf hochgehende, 
ſenkrechte Wände in Blocktechnik annimmt und das Haus als Megaron be- 
zeichnet, fo ijt dadurch ſchon wahrſcheinlich gemacht, daß die Form des Rechted- 
hauſes hier an die ältere hufeiſenform anknüpft und das Wandhaus mit 
Jirſtdach einfach eine fortentwidelte Stufe des Dachhauſes ijt. 

Für das vollentwickelte Rechteckhaus bietet das Gräberfeld von 
Sarmenstorf wieder ein gutes, und zwar das für die Kultur der Schnur— 
keramik bisher einzige, bekannte Beiſpiel dieſer Art. Auch hier handelt es 
ſich um ein Totenhaus, das in einem der größten Hügel des Gräberfeldes 
(Durchmeſſer 14,5 m, Höhe 1,6 m), in dem Hügel 2, errichtet worden iſt. 
Dieſer Hügel überlagert den etwas kleineren Hügel 1, der die beiden 
Pfoſtenbauten in Hufeijenform enthielt; fein Inhalt ijt demnach, wenn auch 


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212 d Dons Reinetth ` ` S S [11 


kein allzugroßer, zeitlicher Abſtand angenommen werden muß, jünger als 
die Totenhäufer des Grabhügels 1. 

Der Ausgrabungsbefund in dem Grabhügel 2 war der folgende !): 
Unter einer geringen Aufihüttung von hellem, gelbem Lehm, von höchſtens 
0,7 m lag hier ein gewaltiger Stein mantel von 9 m größter Länge und 6 m 
größter Breite (Abb. 11). Seine randlichen Teile befanden ſich, wie die jorg- 
fältige Auswahl und Ineinanderpaſſung der einzelnen Steine zeigt, zweifellos 


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Abb. 11. Sarmenstorf, Grabhügel 2. Steinmantel und Steinfran3. 


in der urſprünglichen, nur kaum veränderten Lagerung. Die mittlere Partie 
iſt dagegen vielfach nach unten und ſeitlich verſchoben und erweckte ſo bei 
der erſten Freilegung den Eindruck, als ob mehrere, zeitlich vielleicht nicht 
zuſammengehörige Steinſetzungen vorhanden geweſen wären. Die Mitte des 
Steinmantels iſt, wie die gut erhaltenen Teile der Oſthälfte des Hügels gezeigt 
haben, eingeſtürzt und liegt zum Teil tiefer als die Randpartien. Die Größe 
der verwendeten Steine ſchwankt ſehr, die größten Stücke haben eine Länge 
von 60 em. Die Form des Steinmantels erinnert an ein an den Ecken ab— 
gerundetes unregelmäßiges Rechteck. 


— A Dal. auch Anzeiger für Schweizer Altertumskunde. 1929, Heft 1. 


12] Die ſchnurkeramiſchen Totenhäuſer von Sarmenstorf 213 


Sarmenstory | | Grabhügel der Jüngeren Steinzeit 
Zigiholz. | mit eingebautem Pfostenhuus. 


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Abb. 12. Sarmenstorf, Grabhügel 28 Totenhaus. 


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214 Hans Reinerth [13 


Ein Steinkranz, zuſammengeſetzt aus kleinen und großen Steinen, 
die oft in Haufen angeordnet erſcheinen, umzieht rings den Hügel. 

Unter dem Steinmantel folgte in der Mitte des Hügels eine ſtarke 
Brandſchicht (Afche, Kohlenſtücke, in den oberen Teilen mit Lehm unter⸗ 
miſcht) von 0,8 —1,2 m Mächtigkeit, die eine ſtreng rechteckige Fläche von 
4,9: 3,3: 5,0: 3,3 m deckte. Außerhalb dieſer Fläche war die Brandſchicht 
nur in einer Stärke von 5—20 cm vertreten und lag keineswegs dicht unter 
dem Steinmantel, ſondern durch eine Cehmaufſchüttung bis zu 1,0 m Mächtig⸗ 
keit von dieſem getrennt. Das durch die mächtige Brandſchicht bezeichnete Rechteck 
war von 19 aus dem hellen Lehmboden klar hervortretenden Pfoſtenaus⸗ 
füllungen umgeben (Abb. 12), die 19 zum Teil doppelt geſtellten, 20—30 cm 
ſtarken, ſenkrechten Pfoſten entſprechen. Dieſe Pfoſten bildeten das tragende 
Wandgerippe eines Grabhauſes und ihre Zwiſchenräume, die 0,15—1,50 m 
betragen, waren, wie ein nur 4—8 cm breites, immer wieder unterbrochenes 
Gräbchen zeigt, durch ſenkrecht nebeneinander geſtellte Bretter gefüllt, die 
unten nur wenig in den gewachſenen Boden eingetieft, oben an der Pfette 
befeſtigt waren. Die Pfoſten griffen bis zu 20 em in den gewachſenen Boden 
ein und waren leicht zugeſpitzt. Auf der nach Oſten gekehrten Schmalſeite 
fehlte das Gräbchen der Bretterwand; möglicherweiſe iſt dieſe Seite des 
Grabhauſes offen geweſen oder die Spuren der Spaltbretter haben ſich hier 
nicht erhalten. Vier weitere Pfoſtenfüllungen, die in einigem Abjtand vor 
dieſer Oſtſeite liegen, deuten auf eine Vorhalle, die ſcheinbar nicht um⸗ 
a ſondern nur mit einem auf dem Boden aufruhenden Firſtdach Ober: 

eckt war. 

Das Innere des Grabhauſes iſt durch eine aus Steinplatten errichtete 
JIwiſchenwand von 30—40 em Breite und einem davor geſtellten Pfoſten 
in zwei Räume geteilt. Ein urſprünglich hochgeſtellter Türſtein von 80 em 
Länge grenzt dieſe Zwiſchenwand gegen die Verbindungstüre ab, die 
eine Breite von 90 cm aufweiſt. Der vordere, kleine Raum, mißt 2,2: 3,3 m; 
der rückwärtige 2,8:3,3 m. Die Südwand des größeren Raumes ijt in ihrem 
unteren Teil aus Steinen errichtet. Zwiſchen den beiden, feuerſicheren Stein⸗ 
wänden liegt, wie wohl auch in den häuſern der Lebenden, eine ſorgfältig 
aus Steinplatten errichtete Herdſtelle. 

Im vorderen, kleineren Raum fand ſich unter verbrannten Knochen⸗ 
reiten ein Feuerſteinmeſſer; im großen Raum, ebenfalls in der ein- 
gefüllten Brandſchicht, konnten die Reſte eines außen ziegelrot überzogenen 
Schnurbechers, eines weitmundigen Gebrauchsgefäßes und eines mit 
Singereindrüden verzierten Scherbens gehoben werden, die die zeitliche Zu: 
teilung in die ſchnurkeramiſche Kultur vom Ende der Jungjteinzeit 
ermöglichen. 

Spuren des Daches haben fid) — wenn man eine den Pfoftenausfiil- 
lungen gleichende dünne dunkle Lage unter Teilen des randlichen Stein= 
mantels nicht in dieſem Sinne deuten will — nicht erhalten. Da aber der 
eingeſunkene Steinmantel der Brandſchicht, die das Innere des Hauſes füllt, 
unmittelbar aufliegt, ſo ſcheint das Dach ohne Zwiſchenlage mit Steinen 
bedeckt worden zu fein. Außerhalb der Hausfläche ijt der Steinmantel Ober: 
wiegend ungeſtört. Die randliche Profillinie des Steinmantels in dem Nord— 
ſüdſchnitt (A—B in Abb. 12) muß demnach, falls das Dach wie bei der ſtarken 
Belaſtung durch Steine und Hügelauffhüttung anzunehmen ijt, aus Bohlen 
oder Brettern beſtand, auch der Böſchung des Daches ungefähr entſprechen. 
Wir erhalten auf dieſem Wege eine Firſthöhe von etwa 2 m über dem 


14] Die ſchnurkeramiſchen Totenhäuſer von Sarmenstorf 215 


gewachſenen Boden. Die Höhe der Seitenwände würde bei dieſer Annahme 
Um nicht überſtiegen haben; während die Giebelſeiten bis zu 2m Höhe 
anſteigen. 

Nach dieſen Befunden erfolgte der Aufbau des Hügels in folgender 
Art: Auf einem gewaltigen Scheiterhaufen, der nach der Verteilung der 
Brandſchicht eine Fläche von etwa 9: 11 m deckte und ſich nach der Unter⸗ 
ſuchung von E. Neuweiler vorwiegend aus Buchen- und Exlenholz zu⸗ 
ſammenſetzte, wurde der Tote mit allen Beigaben verbrannt. Darauf er⸗ 
richtete man auf der Brandſtätte die Wände eines rechteckigen Haujes, indem 
man 20—30 em ſtarke, ſenkrechte Pfoſten in den gewachſenen Boden leicht ein⸗ 
rammte, durch Pfetten miteinander verband und ihre Zwiſchenräume mit 
ſenkrecht nebeneinander geſtellten Spaltbrettern füllte (Abb. 15). Im Innern 
zog man eine Zwifchenwand unten aus Steinen, oben vielleicht aus Stangen 


Abb. 15. Rekonſtruktion des rechteckigen Totenhauſes in Hügel 2. 


und Rinde und errichtete in dem ſich dadurch ergebenden größeren, rück⸗ 
wärtigen Raum eine Herdftelle aus Steinplatten. Die vorher ſchon ſorg⸗ 
fältig geſammelten Knochenreſte der Toten mit den noch erkennbaren Teilen 
der Beigaben legte man in den großen, ebenſo in den kleinen Raum an je 
einem Platze nieder und füllte dann das ganze Haus mit einer heute noch 
über meterhohen Aſchen- und Rohlenſchicht. Nach außen ſchrägte man die 
Wände des Grabhauſes durch eine erſte Anfüllung von Lehm ab, und zwar 
jo, daß die Böſchung dieſer Aufihüttung dem Gefälle des Daches entſprach. 
Dann legte man das Dach aus Brettern oder Bohlen und ließ dieſe über die 
Wandpfetten hinweg bis zum Boden herabgreifen. Eine beſondere Be- 
feſtigung war in dieſem Falle überflüſſig. Nachdem auch die Giebelſeite 
verſchloſſen und auch hier eine erſte Cehmlage angeſchüttet war, legte man 
den Steinmantel über das Totenhaus und wölbte durch weitere Lehmauf— 
füllung den Grabhügel. Auf der Südſeite grenzte man dieſen durch eine 
Bone auf kurzer Strecke beſonders ab und legte den Steinkranz an ſeinen 
and | 


Totenhaufer ähnlicher Art fehlen uns für die ſchnurkeramiſche Kultur 
bisher vollſtändig und auch in den wenigen, bisher bekannt gewordenen 
Siedlungen dieſer Kultur ijt nur einmal ein auch unvollſtändiger Hausgrundriß 


216 | | Hans Reinerty | [15 


aufgedeckt worden, bei Schelitz in Thüringen 4), der als mutmaßlich Ovalhaus 
mit keinerder Sarmenstorfer Bauten in Beziehung gejeßt werden kann. Jür 
Süddeutſchland und die Schweiz fehlen Siedlungen der Schnurkeramik ſcheinbar 
ganz, ich habe aber an anderer Stelle ?) zu erweiſen verſucht, daß die Aich- 
bühler Keramik, die wir in zahlreichen Siedlungen von Oberſchwaben über 
den Bodenſee in die Schweiz vorgreifend, im ganzen ſchweizeriſchen Mittel⸗ 
land bis an den Neuenburger See finden, als Siedlungskeramik der Schnur⸗ 
keramiker aufzufaſſen iſt und damit ergibt ſich auch für das Sarmenstorfer 
een die Möglichkeit eines Vergleichs mit den Wohnſtätten der 
Lebenden. | 

Unter den älteren Aichbühler Siedlungen der Schweiz hat freilich nur 


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Abb. 14. Schötz 1 im Wauwilermoos. 


das Pfahldorf von Schötz I im Wauwilermoos einen Hausgrundriß ge: 
liefert, deſſen Freilegung im Jahre 1904 wir J. Meyer und Heierli, deſſen 
muſtergültige wiſſenſchaftliche Veröffentlichung indeſſen P. E. Scherer ver⸗ 
danken ). Es handelt ſich um ein typifches Rechteckhaus von 8,0 bzw. 7,9: 4,5 
bzw. 3,9 m, das in zwei Räume, einen kleinen vorderen (etwa 5: 4 m) und 
einen größeren rückwärtigen Raum (etwa 5: 4,5 m) gegliedert iſt ) (Abb. 14). 
In beiden Räumen war der Balkenboden mit einem Lehmeſtrich überdeckt, 
der kleine Raum enthielt eine Herdftelle. Reſte der Umwandung haben ſich 
nicht erhalten oder ſind wenigſtens nicht beobachtet worden. 


1) €. Amende und E. Srauendorf: Eine ſchnurkeramiſche Wohngrubei n der 
7020 3027 f bei Roſitz. Jahresſchr. f. d. Vorgeſchichte d. ſächſ.⸗thür. Länder. XIV, 

=) d Reinerth: Chronologie der jüngeren Steinzeit in Süddeutſchland. Augsburg 
1923. — Derſelbe: Die jüngere Steinzeit der Schweiz. Augsburg 1926. - 

) J. Heterli und P. E. Scherer: Die neolithiſchen Pfahlbauten im Gebiete des 
ehemaligen Wauwilerſees. Mitt. d. Naturforſch.⸗Geſellſch. Luzern. IX. 1924. 

Op Reinerth: Die jüngere Steinzeit der Schweiz. S. 77 ff., Abb. 12—14. 


16] Die ſchnurkeramiſchen Totenhäufer von Sarmenstorf 217 


Troß der größeren Makverhaltniffe iſt die Gleichartigkeit in Form und 
Aufbau bei dem Sarmenstorfer und dem Wauwiler Rechteckhaus unver: 
kennbar. | | 

Aud) das von Sulzberger ausgegrabene Moordorf im Weiher bei 
Thaungen !), das jüngere Aichbühler Keramik (nordiſch⸗weſtiſche Miſch⸗ 
keramik) führt, hat zwei hausgrundriſſe ergeben. Beide häuſer ſind recht⸗ 
eckig und von ſenkrechten Wänden umſtanden (Abb. 15). In einem der 
Häuſer konnte Sulzberger eine Zweiteilung in einen kleineren und einen 
größeren Raum feſtſtellen. Der kleinere Raum enthielt die Herdſtelle, die 
mit Steinen und Lehm etwas erhöht über dem Sußboden angelegt war. Die 
Ausmaße der einen hütte betragen 6: 3,5 m, die der anderen 5,5: 3,2 m. 
Die beiden häuſer unterſcheiden fic) wie in ihrer Form und Gliederung, fo 
auch im Ausmaß nur ſehr wenig von dem Sarmenstorfer Totenhaus. 


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Abb. 15. Weiher bei Thayngen. (Nach Sulzberger.) 


Rechteckbauten gleicher Art hat auch das Moordorf Schötz 2 im Wau⸗ 
wilermoos ergeben, das J. Meyer, beſonders 1910, teilweiſe aufdeckte ). 
Über eine Gliederung des Innenraumes ſind hier aber keine Beobachtungen 
vorhanden. Eine der Hütten mißt etwa 5: 6,5 m, nähert ſich in der Größe 
alſo auch dem Sarmenstorfer Hauſe. 

Die reichſten Parallelen bieten indeſſen die Steinzeitdörfer des 
oberſchwäbiſchen Sederjeemoores, von denen Riedſchachen und 
Aihbühl vom Urgeſchichtlichen Forſchungsinſtitut Tübingen in den Jahren 
1919 — 19253 vollſtändig aufgedeckt wurden?). Hier erſcheint das zweiräumige 
Rechteckhaus als Wohntyp; alle Wohnbauten find ausnahmslos in dieſer 
Form errichtet. Alle Häufer ſind ſenkrecht umwandet, von einem Giebeldach 


1) R. Sulzberger: Das Moorbautendorf „Weiher“ bei Thaungen. Mitt. d. 
Antiquar. Zürich. XXIX. 1924. S. 163 ff. 

d HeierlisScherer: Die neolithiſchen Pfahlbauten im Gebiete des ehemaligen 
Wauwilerſees. S. 154 ff. 

2) H. Reinerth: Das Federſeemoor als Siedlungsland der Dorzeitmenſchen. 
Schufienried 1922. | 


218 Hans Reinerth [17 


überdeckt und zerfallen in einen kleinen vorderen Raum, der den Backofen, 
und einen größeren rückwärtigen Raum, der die offene Herdjtelle dicht neben 
der Derbindungstüre der beiden Stuben und außerdem oft eine Schlafbank 
enthält (Abb. 16). Die ältere Siedlungsſchicht (mit älterer Aichbühler Keramik) 
führt große Rechteckbauten von durchſchnittlich 8 m Länge und 5 m Breite 
(Abb. 17), die jüngere Siedlungsſchicht (mit jüngerer Aichbühler Keramik) 
etwas kleinere Rechteckhäuſer von durchſchnittlich 6,5: 4 m. Huch dieſe haben 
zwei Räume: Rüchenraum und Schlafraum. Die Wände waren bei allen 
Häuſern aus ſenkrecht nebeneinander geſtellten Spaltbrettern oder Bohlen 
gebildet; die Wand pfoſten und Firſtträger, ebenſo die eingeſtürzten Teile des 
ſchilfbedeckten Giebeldaches ſind mehrfach erhalten geblieben. 

Alle bisher erſchloſſenen Hausgrundriſſe der Aichbühler Kultur zeigen 
damit auf deutſchem wie auf ſchweizeriſchem Gebiet eine fo auffallende Über- 


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Abb. 16. Rechteckhaus (h. Mach EE) im Sederjeemoor. 


einſtimmung mit dem Totenhauſe aus dem Hügel 2 in Sarmenstorf, daß die 
Zuteilung zu ein und derſelben Kultur dadurch an Wahrſcheinlichkeit be- 
deutend gewinnt. Rechtedform, Pfoſtenbau, Zweiräumigkeit, ſenkrechte 
Wände und Firſtdach kehren in allen Fällen gleichmäßig wieder. Für den 
Oberbau finden wir in Sarmenstorf, wie bei den häuſern von klichbühl und 
Riedſchachen, die Wand aus ſenkrecht nebeneinander geſtellten Brettern ge: 
bildet und ſelbſt die Herdftelle treffen wir in den oberſchwäbiſchen Moor: 
und Pfahldörfern an der gleichen Stelle hart an der Zwiſchenwand im großen 
Raum, genau wie in Sarmenstorf angebracht. 

Wenn wir die Größe des Sarmenstorfer Totenhauſes in Betracht ziehen, 
fo müſſen wir es zeitlich der jüngeren klichbühler Kultur (der nordiſch-weſtiſchen 
Miſchkultur der Schweiz) zuteilen. Denn der älteren Aicybühler Kultur fehlen 
Haujer in fo kleinem Ausmaß vollſtändig. Dieſe zeitliche Einſetzung würde 
ſich auch mit der Zeitſtellung der ſchweizeriſchen Schnurkeramik ſehr gut decken). 
Da wir aber bei Totenhäuſern gerade in der Größe die häufigſte Abweichung 


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1) 9. Reinerth: Chronologie der jüngeren Steinzeit. S. 8 ff. und S. 67 ff. — 
Derſelbe: Die jüngere Steinzeit der Schweiz. S. 145 ff. und Zeittafel im Anhang. 


18] Die ſchnurkeramiſchen Totenhaujer von Sarmenstorf 219 


von den häuſern der Lebenden nachweiſen können, jo läßt ſich dieſes Merk— 
mal wiſſenſchaftlich nicht auswerten. 

Nehmen wir für das Sarmenstorfer Totenhaus die vordere Giebelſeite 
als offen an, ſo erhalten wir ſtatt des vorderen kleinen Raumes eine breite 
Vorhalle, die bloß auf drei Seiten von Wänden umgeben ijt. Wir haben 
damit eine typiſche Megaronform. Sicher ijt dieſe Auslegung jedoch nicht 
und das Fehlen der Wandͤbretter auf der einen Giebelſeite kann auch durch 
die ſchlechtere Erhaltung bedingt ſein. War dieſe Seite aber tatſächlich offen, 
ſo finden ſich genaue Parallelen auch in den aufgezählten Siedlungen der 


Abb. 17. Modell des Rechteckhauſes von Riedſchachen-pfahldorf (Haus 2). 


Aichbühler Kultur nur ganz vereinzelt. So einmal im Hauje 1 des Pfahl: 
dorfes Riedſchachen, das ſtatt des kleinen vorderen Raumes ebenfalls 
eine Vorhalle aufweiſt und dann wieder in dem von mir 1927 teilweiſe auf— 
gedeckten Moordorf Taubried bei Buchau. Bei den Lebenden ſcheint dieſe 
Form des einräumigen Rechteckhauſes mit Vorhalle alſo nur noch vereinzelt 
in Gebrauch geſtanden zu haben und die zeitliche Reihe, die das hufeiſen— 
förmige haus an dem Beginn der Entwicklung, das einräumige Rechteckhaus 
mit Vorhalle auf die zweite Stufe und das zweiräumige Kechteckhaus in voll 
entwickelter Sorm auf die höchſte Entwicklungsſtufe des Wohnhauſes im nordi— 
ſchen Kulturkreis der jüngeren Steinzeit Wellt, ſcheint damit eine Beſtätigung 
zu erhalten. Aud) die Annahme, daß die Totenhäuſer überwiegend Bau 
formen zeigen, die bei den Lebenden längſt nicht mehr oder doch nur ver— 
einzelt im Gebrauch ſtehen, würde dadurch bekräftigt werden. 

Auf Grund der Sarmenstorfer Befunde wird man, geſtützt auf die 
eindeutige Überlagerung der Grabhügel 1 und 2 und im Dergleich mit der 
als Parallele allein in Frage kommenden Entwicklung in Norddeutſchland 


220 Hans Reinerth, Die ſchnurkeramiſchen Totenhäuſer von Sarmenstorf [19 


und Skandinavien, auch für die ſchnurkeramiſche Kultur der jüngeren Stein 
zeit drei zeitlich zu trennende Formen der Wohnbauten unterſcheiden dürfen: 
ein älteres, einräumiges Dachhaus mit hufeiſenförmigem Grundriß, auf das 
zunächſt ein einräumiges Redtedhaus mit ſenkrechten Wänden, Firſtdach, 
Ante und Vorhalle und ſchließlich ein gleichartiges, aber zweiräumiges Rechteck⸗ 
haus folgt, bei dem die Vorhalle ſchon als umwandeter Raum mit einbezogen 
ijt. Ob dabei die Erfindung der ſenkrechten Wand und damit des Rechteck⸗ 
hauſes mit Firſtdach der ſchnurkeramiſchen Kultur zuzuſchreiben ijt, läßt ſich 
aus Mangel an Funden, vorerſt nicht entſcheiden. Dieſer für den Wohnbau 
aller ſpäteren Zeiten richtunggebende Fortſchritt kann ſich ebenſogut im nordi⸗ 
ſchen Megalithkreis vollzogen haben und von der ſchnurkeramiſchen Kultur 
nur übernommen worden ſein. Da aber das Rechteckhaus mit Firſtdach letzten 
Endes nichts anderes iſt als ein erhöht auf Wände geſtelltes Dachhaus und 
dieſe Wände als niedrige Grundmauer auch in dem hufeiſenförmigen Dad): 
hauſe ſchon vorhanden ſind, ſo iſt der entſcheidende Schritt, wie der Grundriß 
von Haldorf zeigt, kein allzu großer. 

Nicht minder wichtig erſcheint mir aber die durch die Sarmenstorfer 
Aufichlüffe gegebene Erkenntnis, daß die ſchnurkeramiſche Kultur auch auf 
dem Gebiete des Wohnbaus fic, wie das Roſſinna von jeher betont hat, 
als ein unlöslicher und ſelbſt in ihren äußerſten Vorpoſten noch unverfälſchter 
Teil des nordiſchen Kulturkreiſes der jüngeren Steinzeit erweiſt. 


zg) Banat. 


Sur Chronologie des Schatzes von Nagy St. Miklös. 


Don Walter Schmid. 
mit 8 Abbildungen im Lext. 


Der Goldſchatz wurde im Jahre 1799 in Nagy St. Mitlös im Temeſer 
Banat in Südungarn beim Ausheben einer Grube im Hofe eines Bauern 
ge funden und ſchließlich von Kaifer Sranz I. für das kaiſerliche Münzen⸗ 
und Antitentabinett in Wien gekauft. Über die näheren Fundumſtände iſt 
nichts bekannt geworden; doch darf man den Schatz eher als Depotfund 
denn einen Grabfund betrachten. Er enthält keine Sibeln oder Gegenſtände, 
die als Schmuck des Körpers gedient haben könnten. Den Inhalt bilden 
23 Goldgefäße: 7 Krüge, 10 Schalen, 1 Daſe, 2 Pokale, 2 Becher und ein 
Trinkhorn (1). 

Die Zuweijung des Sundes in die Zeit Attilas hat Hampel im Jahre 
1885 veranlaßt, die Entſtehung des Schatzes noch zur Zeit des bosporaniſchen 
Reiches anzunehmen. hernach ſei er in die hände der Goten gelangt, nach 
der Zertrümmerung des Gotenreiches im Jahre 375 fiel er den Dunnen als 
Beute zu; nach dem Tode Attilas fei er in den Beſitz der Gepiden gekommen, 
die ihn dann im 5. Jahrhundert einem gepidiſchen Fürſten ins Grab mit- 
gegeben hätten. Das Chriſtusmonogramm auf den Schalen hat im Jahre 
1894 hampel bewogen, mit der Datierung ins 6. Jahrhundert hinauf: 
zurücken. Géza von Nagy (2) ſetzte den Schatz in das 7. oder 8. Jahrhundert 
und dieſen zeitlichen Anjag in das 8. Jahrhundert hat ſchließlich im Jahre 1905 
auch hampel übernommen (3). Dadurch geriet der Schatz in den Bereich 
der Hwaren oder Bulgaren. 

Ich will nicht Stellung nehmen zu den Arbeiten ungariſcher Runſt— 
hiſtoriker und Philologen, vor allem Supkas, die in den Inſchriften alt= 
türkiſche Kerbſchrift ſehen und eine ſehr enge Derwandtſchaft dieſer Schrift— 
zeichen mit den alttürkiſchen Rerbſchriftzeichen der Jeniſei-Gegend erkennen 
wollen. Dieſer Annahme ijt durch die Arbeiten Dilh. Thomſens und hans 
Heinrich Schäders der Boden entzogen worden mit der Feſtſtellung, daß 
eine methodiſche Entzifferung der eingekratzten Jeichen derzeit überhaupt 
nicht möglich iſt (4). 

Joſ. Strzugowski (5) ſucht die heimat des Schatzfundes in Mittel: 
aſien und datiert ihn in das 8./9. Jahrhundert. Strzugowski macht ſich 
das unſichere epigraphiſche Fundament Supkas über die alttürkiſchen Schrift— 
zeichen zu eigen und weiſt den Fund als alttürkiſche Arbeit dem altaiſchen 
Kulturkreiſe zu. E. h. Zimmermann (6) nimmt an, daß die Künftler des 
Schatzes barbariſierte Griechen aus dem Umkreiſe des Kaukaſus ſeien, viel: 
leicht aus der Cherſones, und daß der Schatz in der Zeit von 870—890 ver- 
fertigt wurde. 


222 Walter Schmid [2 


Der letzte Bearbeiter des Schatzes, D Mötefindt (7) zieht für die 
Datierung vor allem zwei Pokale Abb. 1 des Fundes heran, verſucht ſie in 
die Entwicklungsreihe der Meßkelche des Abendlandes zu ſtellen und dem 
12. Jahrhundert zuzuweiſen, und ſowohl das Alter der Inſchriften auf den 
Gefäßen als auch die Zeit der Dergrabung des Schatzes im 12. Jahrhundert 
feſtzulegen. Eigentlich hat Mötefindt in ſeiner Urbeit eine Monographie 
der Entwicklung des frühmittelalterlichen und romaniſchen Kelches gegeben, 
doch hat feine Unterſuchung die einfacheren Vorbilder aus dem Often, die noch. 
keinen Knauf haben, gar nicht zum Dergleiche herangezogen, ebenſowenig 
jene Form, bei der ſich die Knaufbildung ſchüchtern ankündigt (8). eln dieſe 
Formen ſchließt erſt der Kelch von Drop in Albanien an, deſſen zeitliche und 
typologijde Stellung Mötefindt verkannt hat. 

Die Annahme eines weſtlichen Elements in einem Schatze, deſſen Ge- 
ſamtcharakter orientaliſch iſt, hätte Mötefindt vor allem ſtutzig machen 
ſollen. Tatſächlich darf man 
die Pokale von Nagy St. Mi⸗ 
klös nicht mit dem Kelche des 
hl. Bernhard von Citeaux ver⸗ 
gleichen, wie die Gegenüber⸗ 
ſtellung der beiden Gefäße bei 
Mötefindt, S. 388 ſelbſt lehrt. 
Die beiden Pokale von Nagy 
St. Mikloͤs haben einen ganz 
anderen Charakter, ſowohl in 
der Bildung des Fußes, des 
Wulſtes als auch in der Form 
der Schale, für den augen⸗ 
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E — — — fehlt keine derartige antike u 
Abb. 1. pokal. Wien, Hofmufeum. Nach Riegl⸗ gibt es nicht, weder in den 
5 n, alone Kunftinblfteie IL, Silberbechern, noch in Ton⸗ 

Fig. 20. oder Glaskelchen. Sie muß 
daher außerhalb des klaſſiſchen 
Kulturgebietes am Beginn des frühen Mittelalters gebildet worden ſein. 
Man darf die beiden Pokale innerhalb des Schatzes von Magy St. Miklös 
zeitlich am eheſten mit den beiden glatten Bechern 11, 12 (10) zuſammen⸗ 
Wellen, deren einzige Verzierung Perlenreihen am unteren Rande und auf 
beiden Seiten des Mündungsrandes bilden. Dieſe Perlenreihe haben die 
Becher mit dem Kruge Nr. 1 gemeinſam, der wegen ſeiner einfachen Aus- 
ſtattung zeitlich an den Anfang der Reihe der Krüge geſtellt werden muß (11). 
Die Pokale werden daher in ihrer Form ſich nicht den romaniſchen, ſondern 
helleniſtiſch-ſaſſanidiſchen Formen anſchließen und werden mit den Bechern 
Nr. 11 und 12, dem bouge Nr. 1 und dem ebenfalls ohne Parallele daſtehen⸗ 
den Rhuton (Nr. 17) (12) wegen ihrer einfachen glatten Form den älteſten 
Grundjtod des Schatzes bilden. 

Der Verſuch einer chronologiſchen Fixierung des Goldſchatzes von Nagy 
St. Miklös muß daher von anderen Geſichtspunkten ausgehen. Bereits den 
älteren Bearbeitern des Fundes, vor allem Hampel, ijt die ſtiliſtiſche Der- 
ſchiedenartigkeit des Schatzes aufgefallen, die bei einem Depotfunde, in dem 
man Älteres und Jüngeres vermiſcht findet, nur natürlich ijt. Ein Charak— 
teriſtikum des Schatzes bildet weiters das Fehlen der Zellenverglaſung, die 


3] Zur Chronologie des Schatzes von Nagy St. Miflds 223 


den älteren benachbarten Funden von Petroſſa, Apahida und Szylägy-Somlyö 
eigentümlich ijt; einzig das Trinkhorn Nr. 17 ijt mit ſpärlicher Zellenverglajung 
verziert. Die farbige Belebung der Gefäße ſuchte man durch den Gegenſatz 
glatter und gerauhter Sladen zu erzielen, bei einigen Gefäßen auch durch 
rotbraunen Kitt, bei der Vaſe Nr. 19 und der Schale Nr. 21 durch farbigen 
Emailſchmuck. 

Die Krüge bilden die ältere Gruppe unter den Gefäßen des Schatzes (13). 
Alle haben die gleiche Form ſpätantiker Krüge. Dieſe Form haben auch die 
ſaſſanidiſchen Kunſthandwerker über⸗ e 
nommen, doch find die weichlichen 
Konturen der Krüge von Nagy 
St. Miflés, wie Zimmermann 
S. 97 bemerkt, ein deutliches Jeichen 
ſpäter Entſtehung. Mit Ausnahme 
der beiden Krüge 3 und 4 iſt allen 
gemeinſam das Ornament der Stern⸗ 
roſette am Wulſte. Die Sternroſette 
iſt kein klaſſiſches Motiv; Strzu⸗ 
gowski dürfte Recht behalten, der 
jie aus dem helleniſtiſch-perſiſchen 
Rulturkreiſe herleitet (14). In der 
Sorm des einfachen Dierblattes er: 
ſcheint fie zuerſt an gotiſchen Arbeiten 
(15). Die Krüge von Nagy St. Mitlös 
tragen ſie in bald einfacher, bald 
reicher Form, ihre Auflöjung und 
Weiterentwicklung zeigt der Krug 
Nr. 7 (16). Die achtzackige Stern⸗ 
roſette, der Blütenſtern auf dem 
Triumphbogen des Tempietto lango⸗ 
bardo der Herzogin Peltrudis in 
Cividale (S. Maria in Dalle) zeigt 
bereits die Form des 8. Jahrhunderts 
(17). Einen gemeinſchaftlichen Be⸗ 
ſtandteil der Ornamentik der Krüge 
bildet ferner die Blattpalmette fo- pp. 2. Goldktug mit Zangenornament. 
wohl in einfacher als auch in reicherer (Wien, hofmuſeum, Schatz von 
klusführung, deren Blätter auf ein⸗ Nagu⸗Szent⸗Miklos.) 
zelnen Krügen fächerartig ausge⸗ 
breitet und mit Randfiederung verſehen ſind. Doch bietet die Blattpalmette 
keine handhabe zu einer feineren Datierung, wohl aber eine Verzierung des 
Kruges Nr. 2, das fog. Jangenornament (18). Es ijt die „gotiſche Form“ des 
lesbiſchen Blattkuma, das eine lineare Umbildung erfahren hat (Abb. 2 und 3). 
Es erſcheint zum Ener auf dem Grabmal des Theoderich (ft 526) in 
Ravenna, um das Jahr 763 noch auf einem Türfturz der Bafilifa von Pfedders⸗ 
heim bei Worms, die der bekannte Urchitekt und Erbauer des Kloſters Corſch, 
Biſchof Chrodegang von Metz errichtet hat (19). 

Zum Ornamentenſchatz der Krüge gehört ſchließlich die Palmetten— 
ranke, die auch an dem, abweichend von der übrigen Ornamentik mit einem 
Kettenmäander verzierten Kruge Nr. 3 erſcheint und dieſen Krug ſowie den 
Krug Nr. 4 mit den übrigen Krügen verbindet. Dieſes weitverbreitete 


294 Walter Schmid ) H 


Ornament iſt beſonders im pontiſchen Kulturkreife heimiſch. Bei den Krügen 
Nr. 2, 3, 6 und der Schale Nr. 8 von Nagy St. Miklös erſcheint die Palmetten⸗ 
ranke ſowohl am Rande der Krüge, und zwar als Ranke von mehr natura⸗ 
liſtiſchen Formen, als auch als Einfaſſung der Medaillons, hier jedoch ſchon 
in einer mehr abſtrakten Geſtalt, die in ihrer weiteren Stiliſierung unge⸗ 
zwungen zu der Stabranke der Schalen Nr. 10, 15 und 14 führt. Die Um⸗ 
wandlung der Stabranke zur Arabeste zeigt die Ornamentik der Stierköpfe 
auf den Schalen Nr. 13, 14, 15, 16, auf der Schale Nr. 19 und beſonders am 
inneren Boden der Schale Nr. 21 (20). Daß jedoch die Umwandlung der 
Palmettenranke in die Stabranke zeitlich keinen großen Raum in Anſpruch 
nimmt, zeigt die Schale Nr. 8, an deren 
Griff die Palmettenranke, an deren 
Rand die Stabranke vorkommt. Die 
Umbildung der ſpätantiken Ornament⸗ 
ranke während der juftinianifden 
Epoche und zugleich ihre Wandlung 
zur Arabesfe hat Alois Riegl (21) 
an der Ornamentik der Hagia Sofia 
feſtgeſtellt (21). | 

Gibt ſchon das gotifche Jangen⸗ 
ornament einen feſten terminus ante 
quem, ſo bietet die Darſtellung des 
Kruges Nr. 2 ein weiteres chronologi⸗ 
ſches Hilfsmittel. In einem Kreis⸗ 
medaillon erſcheint ein Reiter, deſſen 
klusſehen von dem der orientaliſchen 
Reiter auf Krügen Worf verſchieden 
iſt (22); er iſt mit Schuppenpanzer, 
Arm- und Beinſchienen bekleidet (Ab- 
bildung 2). Die gleiche Rüſtung wird 
wiederholt auf den Wandgemälden 
der Grabkammern von Kertidy in der 
Krim abgebildet (23). Nach der Tracht 
kann es daher nur ein Herrſcher aus 
1985 pontiſchen an Ge trägt 
Abb. z. Goldkrug mit Zangenornament. jedoch einen Spangenhelm, der von 

(Wien, Hofmuſeun Schatz von der ſpitzen Form der helme von Kertſch 

Nagy ⸗Szent⸗Mitklos.) verſchieden ijt. Die Zwiſchenräume 

zwiſchen den Spangen ſind mit Platten 

verkleidet, die Spangen hält eine Deckplatte zuſammen und der Stirnreif trägt 
eine Verzierung oder eine Reihe von Edelſteinen. 

Die Spangenhelme dieſer Form, deren Vorbilder im Orient liegen, 
bilden eine engumſchriebene Gruppe. Ihre Make find faſt auf den Milli: 
meter gleich, ſie ſcheinen aus demſelben Jabrikationszentrum zu ſtammen, 
gemeinſamen gotiſchen Urſprungs zu fein und erſcheinen in Gräbern vom Aus- 
gang des 5. Jahrhunderts bis um 600 (24). Die Chronologie der Spangen⸗ 
helme ſtimmt demnach mit jener des gotiſchen Jangenornamentes überein. 

Das Kreismedaillon 2a des Keiterkruges ſtellt einen Kampf dar, in dem 
ein Greif einen hirſch erbeutet (Abb. 3). Die Jagd des Löwen auf den hirſch 
ijt ein bekanntes antikes Motiv; in Sfythien wurde der Löwe geflügelt, in 
der ſaſſanidiſchen Kunjt zu einem Greifen umgeformt. Wichtiger iſt die 


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5] Zur Chronologie des Schatzes von Nagy St. Miflds 225 


Darſtellung des Medaillons 2c, die mit dem Medaillonbild des Kruges 7 zu⸗ 
ſammenhängt. In dieſer Darſtellung hat Üppelgren-Kivalo (25) ein 
indiſches Garudabild erblicken wollen: Garuda entführt eine Naga, nach der 
indiſchen Variante der Ganymedſage, in der Ganymed mit Prometheus oer: 
ſchmilzt. Schäder (26) hat dieſe Annahme beſtritten, der Vogel mit ſeinem 
ſtark ſtiliſierten Gefieder fei lediglich ein Adler, obwohl der Vogel Ohren, 
ein Attribut des Greifes trägt, und der Jüngling, den er mit den Klauen 
umarmt, als Naga wenigſtens den Schlangenkopfputz tragen müßte, während 
er in der Cinken eine Fackel, in der Rechten eine Schale emporhalte. Eine Der: 
wendung indiſcher Züge hätte zwar ſeit der Erobe- 
rung des baktriſch⸗indiſchen Reiches im 3. nach⸗ 
chriſtlichen Jahrhundert durch die Saſſaniden nichts 
Ungewöhnliches an D) Doch ſpricht das ſtarke 
Übergewicht des helleniſtiſchen Weſens in dieſem 
Medaillonbilde, einer Umſtiliſierung der antiken 
Gan ymeddarſtellung des Leochares von Samos 
dafür, daß dieſe Darſtellung nie in Inneraſien 
geſchaffen wurde, ſondern nur im Bereiche der 
buzantiniſchen Kulturſphäre am Bosporus. 

Die übrigen Medaillonbilder der Krüge 
führen ebenfalls in den Bereich der vorderaſiati⸗ 
ſchen Welt. Auf einem geflügelten Dierfüßler 
reitet ein orientaliſch gekleideter fürſtlicher Jäger 
mit einer Blattkrone, der einen Pfeil auf ein 
Raubtier abſchießt; oder der Reiter bekämpft 
den Kentauren, auf dem er ſitzt (Umbildung des 
Motivs Herakles und Neſſos?) oder der Reiter 
ſchwenkt ein ſchleierartiges Tuch mit beiden händen 
über feinem Haupte (27) (Abb. 4). Alle dieſe Dar: 
ſtellungen find Variationen des in der ſaſſanidiſchen 
Bildnerei bevorzugten Motivs der Cöwenjagd des 
Rönigs. Es ſind ſaſſanidiſche Urbeiten, die jedoch 
unter helleniſtiſchem Einfluſſe entſtanden ſind, 
wie a un 92105 4) E halſe des 
Kruges Nr.7 bezeugt, ein Bild voll friſchen Lebens, SEN 
das ſich an die beiten Arbeiten alexandriniſcher Tech (Schmalseite). 
Gefäße oder Terrafigillatabecher der auguſteiſchen (Wien, hofmuſeum: Schatz 
Zeit anlehnt. von Nagu⸗Szent⸗Miklos.) 

Die Medaillons der Krüge find innerlich 
verwandt mit den Bildern auf den Schalen Nr. 19 und 21 (Hbb. 5 und 6), 
die ſaſſanidiſche Sabelwejen mit Teilen des Greifen, Cowen und Stieres Dor: 
ſtellen; ihre Gleichzeitigkeit bezeugt das beiden gemeinſame Ornament der 
Stabranke. In der Ornamentik, die zuweilen auch eine merkwürdige Rom— 
bination von Palmettenformen und Stabranken zeigt, ſtehen die Schalen den 
Gefäßen mit den Stierköpfen nahe, die ſonſt in ihrer Form für ſich allein 
ſtehen (Abb. 7). Dieſe Prunkgefäße, die kaum praktiſche Verwendung hatten, 
gemahnen an aſſuriſche Vorbilder, an die Stiere mit menſchlichem Haupt. 
An der Schale Nr. 10 hat man in der unterbrochenen Ranke die Aufldjung 
des Stabrankenornamentes erblicken wollen. Doch läßt ſich der Unterſchied 
in der techniſchen Ausführung am leichteſten damit erklären, daß die beſſer 
gearbeitete Schale mit guter Stabranfe vom Meijter der Werkſtätte ſtammt, 


Mannus, Jeitſchrift für Dorgeich., VI. Era. Bd. 15 


226 Walter Schmid [6 


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Abb. 5. Goldnapf mit fünf Kreifen aus Stabranfen. (Wien, Hofmufeum, 
Nagu⸗Szent⸗Miklos.⸗Schatz.) 


Abb. 6. Schale in Gold. (Wien, Kunſthiſtoriſches hofmuſeum.) 


und dem Geſellen als Vorbild diente. Dasſelbe kann man auch von den 
Schalen Nr. 9 und 10 mit den Inſchriften ſagen. Die Schale des Meiſters 
trägt am Rande eine Ranke mit durchgehendem Fluß, bei der Nachbildung 
des Geſellen zerfällt die Ranke in lauter Unterabteilungen. 


7] Zur Chronologie des Schatzes von Nagy St. Miklös 227 


Große Meinungsverſchiedenheiten knüpfen ſich an die Inſchriften auf 
den Gefäßen. Nach D. Thomſen und H. H. Schäder (28) gehören die 
Inſchriften drei Gruppen an. Eine methodiſche Entzifferung der auf den Ge⸗ 
fäßen eingekratzten Schrift⸗ 
zeichen hält D. Thomſen 
vorläufig überhaupt nicht für 
möglich, ebenſowenig eine 
zufri edenſtellende CTöſung 
der in Schrift und Sprache 
griechiſchen Inſchriften auf 
den beiden einander gleichen 
flachen Schalen 9 und 10, 
die in der Ausführung 
buzantiniſch⸗chriſtlichen Ein⸗ 
fluß zeigen, deren mangel⸗ 
hafte Erhaltung jedoch keine 
zuſammenhängende Leſung 
zuläßt. Nach der Form 
dür KEE 
dürfte fie nach Roſſis An⸗ x . 
nahme der Zeit vom 4. bis — 
zum 6. Jahrhundert ange⸗ Abb. 7. Stierkopfſchale. 
hören. Nur die Inſchri 
auf der fog. Builaſchale erlaubt eine ſuſte matiſche Entzifferung (Abb. 8). 

Die Unterſeite der Builaſchale enthält ein Medaillon mit der üblichen 
ſche matiſchen Darſtellung eines Kampfes zwiſchen zwei Sabeltieren (Abb. 6). 
Das Ornament der Schale iſt jedoch bereits 
abſtrakt geworden, der eee voll⸗ 
ſtändig geſchwunden. Eine Arabesfe mit 
dem Kreuzmotiv füllt den von der Inſchrift 
umſchloſſenen Kreis und auch der Körper 
der Tiere iſt mit ornamentalen Motiven 
bedeckt (29). Sowohl nach Ornament⸗ als 
Schriftcharakter iſt die Builaſchale das jüngſte 
Stück des Schatzes. * 

Die in deutlichen griechiſchen Bud): 
ſtaben des 8. Jahrhunderts verfaßte Inſchrift 
lautet: Buila zoapan tesi dygetygi Butaul 
zoapan tagıogi itzigi tesi. Hampel (30) 
bat es troß eingehender und in vielem _ 
zutreffender Würdigung der einzelnen Be⸗ Abb. 8. Boden der Buila » Butaul- 
ſtandteile der Inſchrift vermieden, eine Schale. (Wien, hofmuſeum. 
Uberfegung des Textes zu geben. Erſt Ragu⸗Szent⸗Miklos⸗Schatz.) 

D. Thomſen (31) hat die ſeiner Meinung 

nach in alttürkiſcher Sprache verfaßte Inſchrift überſetzt: Der Joapan Buila 
hat die Schale vollendet, die vom Joapan Butaul zum Aufhängen paſſend 
gemachte Schale. Dieſe Überſetzung befriedigt ſchon durch die innere Un⸗ 
wahrſcheinlichkeit des Inhaltes nicht, da ſie vorausſetzen würde, daß die 
Schale beim Tode Butauls noch unvollendet war und erſt Buila die Schnalle 
und die Inſchrift anfertigen ließ. Demgegenüber hat E. D Zimmermann (32) 
nachgewieſen, daß die Kreiszone mit der Inſchrift im Innenfelde nicht ge» 

15* 


228 SÉ | Walter Schmid [8 


ſondert gearbeitet, ſondern aus dem Kern der Schale herausgetrieben, dem⸗ 
nach keine ſpätere Zutat ijt, wie fie nach der Lesart Thomſens ſein müßte. 

Der Wert der Inſchrift liegt jedoch in den Namen, die in ihr vorkommen. 
Buila und Butaul werden zoapan genannt, Würdenträger, Häuptlinge; dieſe 
Amtsbezeichnung lebt heute noch im Namen zupan, Geſpan fort. Thomſen 
ſieht in Buila den alttürkiſchen Namen Boila (33) und möchte in der Schale 
Beziehungen zu türkiſchen Bulgaren erkennen, die ſeit dem Jahre 827 vom 
Unterlauf der Donau her ihre herrſchaft über Teile des öſtlichen Ungarn 
ausdehnten und im Jahre 868 die chriſtliche Religion annahmen. Er ſieht 
im Einfall der Ungarn 890—900 den Grund und Zeitpunkt für die Der- 
grabung des Schatzes. Die türkiſche Form des Amtstitels iſt jedoch zoupan 
(Lovndvos Konſt. Porphyrog.), während die Builainſchrift die Form zoapan 
zeigt. Der Würdentitel zupan kommt aber nicht allein in türkiſcher, ſondern 
auch in awariſcher Sprache vor. In der Gründungsurkunde des Stiftes 
Kremsmiinjter vom Jahre 777 wird unter den geſchenkten ſlawiſchen hörigen 
auch der jopan Phuſſo genannt. Dieſe awariſche Form jopan iſt in den Vokalen 
gleichlautend mit dem zoapan der Builaſchale. Buila und Butaul haben 
daher nicht unter türkbulgariſcher, ſondern unter awariſcher herrſchaft im 
8. Jahrhundert gelebt. Sie waren wahrſcheinlich Zupane an der Theiß, denn 
der Name tesi (Tja 6 norauos) kommt zweimal vor und die Bezeichnungen 
dygetygi, tagrogi, itzigi werden ſowohl nähere Bezeichnungen der Land- 
ſchaften längs des Flußlaufes der Theiß als auch das Verwandtſchaftsverhält⸗ 
nis der Beiden enthalten. Die Builaſchale wurde alſo während der Awaren⸗ 
berrſchaft des 8. Jahrhunderts angefertigt und befand ſich im Beſitze awari- 
ſcher Zupane. Der Goldfund von Nagy St. Miklos ijt daher ein awariſcher 
Schatz. 

Die Awaren haben im Jahre 568 Pannonien und Norikum von den 
Cangobarden übernommen. Ihre Hauptſitze lagen in der Tiefebene zwiſchen 
der Donau und Theiß; für ihre Raubzüge hielten fie mehrere Heerſtraßen 
beſetzt, gegen Deutſchland den heerweg längs der Donau, nach Italien die 
alte römiſch⸗-pannoniſche Straße, auf der fie im Jahre 610 gegen die Congo: 
barden zogen, und die öſtliche Straße über Singidunum-Belgrad und Adria- 
nopel, um nach Byzanz zu gelangen. Zur Behauptung dieſer Straßen bauten 
fie große Ringe, in Norikum an der Mündung des Rampfluſſes und bei 
Königitätten öſtlich von Tulln; ein campus Avarorum lag in Krain (34). 
Im Sommer 626 unternahmen die Awaren im Bunde mit den Perjern einen 
großangelegten Feldzug gegen Byzanz; die Belagerung Ronſtantinopels 
dauerte mehrere Monate, blieb aber ohne Erfolg. Keinerlei archäologiſche 
Bedenken erheben ſich gegen die Annahme, daß bei dieſem gemeinſamen 
Waffengange die Saſſaniden den Awaren Geſchenke gemacht haben, von 
denen ein Teil (Krüge und Schalen) in den Schatzfund von Nagy St. Miflös 
gelangt ſein kann. Aud) Kaijer Ronſtantin Pogonatos, der im Jahre 677 
mit dem Kagan der Awaren Frieden ſchloß, ſandte ihm Geſchenke. Don 
Chriſtianiſierungsverſuchen hören wir nur, daß Rupert von Salzburg ſeit 696 
ſeine Miſſionstätigkeit im Awaren= und Slawenlande beginnen wollte, ebenſo 
um 712 Emmeram von Regensburg, daß jedoch keiner von beiden ſeine 
Abjicht durchführen konnte. Don buzantiniſchen Bekehrungsverſuchen ver— 
lautet nichts. Nachdem Tajjilo von Bauern die Awaren im Jahre 788 zu 
Hilfe gerufen hatte, ſchickte wohl Tudun, ein awariſcher Statthalter 795 
Geſandte zu Karl dem Großen, um ſeine Unterwerfung anzubieten und ließ 
li) ſogar zu Aachen feierlich taufen (35). Aber das Schickſal feines Volkes 


9 Zur Chronologie des Schatzes von Nagy St. Millös 229 


konnte dieſe politiſche Taufe nicht aufhalten. Im Jahre 796 wurden die 
Awaren, in deren Gefolge ſich auch Gepiden befanden, aufs Haupt geſchlagen 
und zogen ſich hinter die Theiß zurück (56). Bei dieſer Gelegenheit wurde 
der Schatz von Nagy St. Mitlös (bisher der einzige bekannte awariſche Schatz) 
nach Dazien gerettet und höchſtwahrſcheinlich zur Zeit des Bulgarenkans 
Krum (802 —815), der bei einem Überfalle die Awaren vernichtete und die 
Überlebenden als Gefangene wegführte, vergraben (37). 


Ich faſſe zuſammen. Der Ornamentenſchatz des Goldfundes von Nagy 
St. Mitlös vereinigt helleniſtiſche, germaniſche, ſaſſanidiſche und auch chriſt⸗ 
liche Elemente, die nur im Grenzgebiet zwiſchen weſtlicher und öſtlicher Kultur 
zuſammengefloſſen ſein können. Der Fabrikationsort kann wegen der griechi⸗ 
ſchen Inſchriften und wegen des Überwiegens orientaliſcher Vorbilder nur 
im Gebiete des Bosporus liegen. Nach dem Ubzuge der Oſtgoten im Jahre 488 
nach Italien gewann die ſeit dem Beginne des 3. Jahrhunderts blühende, 
von helleniſtiſchen Elementen ſtark beeinflußte ſaſſanidiſche Kunjt auch in 
den Fabriken am Pontus das Übergewicht. Bis Sackrau in Schleſien und bis 
Wolfsheim bei Mainz kann man die Erzeugniſſe des ſaſſanidiſchen Runſt⸗ 
handwerks im Handel verfolgen (58). Im Jahre 652 vernichteten die Araber 
das neuperſiſche Reich und knickten die Blüte der ſaſſanidiſchen Kunſt. In 
dieſer Periode ‚und zwar in ihrem ſpäteren Hbſchnitte iſt der Schatz von Nagy 
St. Miklös entſtanden. Die Form der Krüge iſt zwar ſpätantik, doch verraten 
gegenüber den ſtraffen Formen der rein ſaſſanidiſchen Krüge die weichen 
Konturen der Krüge von Nagy St. Mitlös eine ſpätere Entſtehung; der 
älteſte wird der Reiterfrug mit dem gotiſchen Jangenornament fein. 


Die ornamentale Dekoration des Schatzes beſtreiten Ranken, Palmetten, 
häufig in der Verbindung von Palmettenranken. Das Ornament durchläuft 
die einzelnen Stadien der Entwicklung in faſt lückenloſer Folge von mehr 
naturaliſtiſchen Formen bis zum rein geometriſchen Gebilde. Auch die Um— 
bildung der Stabranke zur abſtrakten Arabeste der neuorientaliſchen Kunſt 
macht die Entſtehung des Schatzes in nachjuſtinianiſcher Zeit wahrſcheinlich. 
Seinem Inhalte nach bildet der Goldfund von Nagy St. Mitlös einen Prunt: 
ſchatz; die Vaſen und Schalen, beſonders die ſtierköpfigen, waren nicht für 
den praktiſchen Gebrauch beſtimmt, ſondern auf rein dekorative Wirkung 
berechnet. Der Schatz enthält ältere und jüngere Beſtandteile. Die chrono— 
logiſchen Merkmale ſichern, wie gezeigt worden iſt, feine Entſtehung im Der: 
laufe des 6. bis 8. Jahrhunderts. 


Literatur. 


1. W. Arneth, Gold⸗ und Silbermonumente des k. k. Münz- und Antikenkabinetts. 
Wien 1850. — Jof. Hampel, Der Goldfund von Nagu-Szent-Miklos fog. „Schatz 
des Attila”. Budapeſt 1885. — Ein forafältiges Literaturverzeichnis bietet hugo 
oa Der Schaßfund von Nagy-S3ent:Miflos, Ungar. Jahrbücher V. 1925, 


2. J. Hampel, Keresztény emlékek a régibb közepkorböl Arch. Ert. XIV, 1894, 
S. 34. — Géza von Nagy, Die hunnenherrſchaft, in Alex. Sziläguis Geſchichte der 
ung. Nation, I, 1895, S. CCC X XXII (ung.). 

3. Joſ. Hampel, Altertümer des frühen Mittelalters in Ungarn, I. Bd. S. 26, 59f., 
155 ff., 627—662, 815f. Beſchreibung des Sundes II, S. 401—423, III, Caf. 288 —519. 

4. Jules heinrich Schäder, bilhelm Thomfens Geſammelte Abhandlungen, Ungar. 

ahrb. 1925, S. 77—98. Dieſe ausführliche zuſammenfaſſende Darſtellung des Lebens: 
werks Thomſens enthält auf S. 97 einen Auszug von Thomfen, Une inscription 
de la trouvaille d'or de Nagv-Szent-Miklöos, Mitt. der dan. Gef. d. Wiſſenſch. 1917, 
S. 525—555. Dal. dazu noch D D Schäder in den Ungar. Jahrb. 1925, S. 452. 


230 Walter Schmid [10 


an AN 


! SE Goldfun S. 913, Sig. 2—5, 
‚Zimmermann, a. H O., II, ©. 32 u. 33, 
K. Schumacher, Seühmittefalterliche Stein{tulpturen aus den Rheinlanden. Altert. 


age 


S Jahrb. 1925, 


. 3of. Le AltaisIrtan und die Völkerwanderung. S. 
. Al. Rieg fi 


54 ff. 
BI el Die ſpätrömiſche Kunſtinduſtrie nach den Sunden 
in Oſterreich⸗Ungarn, II, S. 79 


80 Mötefindt, Der Schagfund von Nagy-St. Miklös, Ung. Jahrb. V, S. 388f. 


ie älteren Vorbilder des Kelches bei Smirnov, Oftlides Silber (Vostotnoje serebro), 
T. 96. 194—209, C. 97. 198—200, U. 99. 203—211, U. 100. 212. Dieſe sat die Belch 
noch keinen Knauf. Den Beginn der Knaufbildun veranſchaulichen ſehr gut die Kelche 
bei Smirnov, T. 100. 213. 214 — der Rand iſt mit ähnlicher Ranke verziert wie Krug 3 
von Nagy St. Miklös; die gleiche Palmettenranke ijt als Randornament auch bei den 
Kelchen C. 96. 195. 196 verwendet, ebenſo bei dem Relch von Beloredenstaja bei 
Ay KA (Kuban), Smirnov U. 130. 325, Dellen Knauf in der Mitte des Griffes liegt. 

Keld) von ra beſchlie t die Gruppe, an die unmittelbar die Relche 

Bon We E AltaisIran C. 1 u.2, Mötefindt, a. a. O., S. 380, Abb. 6, 7) 
anſchließen ne den Kelchen des Meifters Cundpald“ (Mötefindt, a. a. O., 
S. 380, Abb Ke es hl. Chrodegang (Mötefindt, Abb. 5) u des herzogs Ge 
in Kremsmünfter (um 780; Abb. Riegl- Zimmermann, a. a. O., U. 2—25, MO 
findt, S. 380, Abb. 2) hinüberleiten. — Zu den alteften Kelhlormen ge ort nod) 
der Relch von Uroprain in ans Dol. Drexel: Der Silberſchatz von Troprain. 
Germania IX, 1925, S. 122 ff., Abb. 1. 


. Die N der Gefäbe oh na we 855 SE Bampels; abgeb. Goldfund, 


S. 28 des M Wier Zimmermann, a. a. O., 
S. 90, Sig. 84. Die beiden Becher Ge 5 5 St Miklôös haben eine entfernte Ahnlich⸗ 
feit mit den Bechern von RE dier hae Anz. 1899, S. 130, Abb. 14 und von Perm, 
Smirnov, Öftlihes Silber, C. 67f., 114, 115. Einen Dorläufer der 2 dürfte der 
bunte Glasbecher in der Beſchreibung römiſcher Altertümer des Konjuls C. H. Nieſſen, 
5 S Nr. 10 darftellen. 

angeht 8 S. 8, Sig. 1, Alt. M. f. III, C. 289. Riegl⸗ Zimmermann, 


: Hampel, Goldfund, S. 55, Fig. 24, Alt. M. fl., C. 310. Riegl⸗ Zimmermann, 


91, Sig. 87. 


S game, Goldfund, 8. 825, Sig. 1—13, Alt. M. A., C. 288-302. Riegl⸗ 


immermann, a. a. O., II, 8. 87—91, Sig. 81—83 du @ U. 31-39. 


; SE Altai- Iran, S. 246. 


oetze, Gotiſche Schnallen S. 24, Sig. 24 u. C. XV, Fig. 1. Reihen ſchräggeſtellter 

Blätter kommen haufig auf germanifchen 55 ae ao vor. 

ampel, Goldfund, S. 20—24, III, C. SE Riegl⸗ 
immermann, a. a. O., II, 8 9 89, Sig. 82 u. 85. C. 38, 


. Albredt haupt, Die ältefte Kunft, insbefondere die Baukunſt der naeh I. flufl., 


T. 29. Weſentlich anders iſt die 819. , S. 21ff des 9. e 10. Jahrh., Dalton, Byzantine 
art and archaeology, S. 18, Sig. 9, S. 21ff, pee ; 
m. „ III, d. 290294; Riegl- 


heidniſcher Dor eit V, S. 269, T. 48. — Ein ähnlicher Krug, doch mit der Darſtellung 
eines altertümlichen Greifes, wurde in e ee Gouv. Charkow gefunden, Smir⸗ 
nov, Gſtliches Silber, C. 49. Sig. 83. — E. p Zimmermann, II, S. 105 berichtet, 
daß das Zangenornament ſich zweimal auch an Kirchen des Kaufafus, aljo im gotiſchen 
Bereich findet, einmal an einer angeblich 830 entſtandenen Kirche. 


. Dal. die Abb. bei Hampel, Goldfund S. 9 bis 18 und S. 28 bis 41, Alt. M. A. III, 


T. 290—318; Riegl⸗ Zimmermann, a. a. O., S. 87—100 und T. 32-47. — nit 
dem Erſcheinen der Stabranke wandelt ſich das Sternmuſter der Krüge von Nagy 
St. Mitlös zur Roſette. 


. Al. Riegl, Stilfragen, S. 280 ff. 
. Abb. bei hampel, Goldfund, S. 10, fllt. M. A., III. C. 290. Riegl-Zimmermann, 


a. a. O., 


Kondakov⸗ dl Reinach, Les antiquités de Russie meridionale 5.35, Sig. 33, 


S. 416, Sig. 373. Ebert, Die e en helme von Balden eimer⸗ 
tupus, Zei Ke I, S. 69, Abb. 3; m. in Spangenhelm aus Agupten, 
eitſchr. I, S. 163 ff.: M. N Südrußland im Altertum, S. 335, 18 115 
iſt, Die Spangenhelme von Did, Jahrbuch der Zentralkomm., HS I, S. 262. 
a ie Der Reihengrabfund von e 7ff. 
einem Exzer Dur bei Mötefindt, a. a. O., $.3 
1535 U. ur e des Schande Sin Nagy St. Miklös, Ungar. 


11] 


Zur Chronologie des Schatzes von Magy St. Millös 231 


26. Vielleicht ijt das Schleiertuch eine Umbildung des Nimbus, der bei der Darſtellung 


27. 


35. 


54. 


35. 
36. 


37. 
38. 


einer Cöwenjagd hinter dem mit der Blätterkrone geſchmückten haupt des jallan. 
Königs erſcheint, Kondakov⸗Tolſtoj⸗Reinach, a. a. O., S. 414, Sig. 372. Doch 
erſcheinen auf dem e der im Jahre 1875 entdeckten Katakombe von Rertſch 
u un ebenfalls mit Schleiern ober dem Haupte; Kondafon, a. a. O., 
35, Fig. 33. 
Ung. Jahrb. V, 1925, S. 448. Von der Inſchrift liegen bisher drei Lefungen vor, 
a) von Hampel: dré Bdaros dvarivowv dples ndvtwy dpaorav: Wenn Du 
510 Waſſer Dich reinigſt, wirft Du befreit von allen Sünden. Dieſe Formel würde 
das Gefäß als Taufſchale bezeichnen, ebenſo die Cefung b) von Bruno Keil: ye(vords) 
nera Döaros dv(Sownovs) AneAvole)» dvelg ré (dor nv(edua) div: Chriſtus 
hat mit Waſſer den Menſchen erlöſt, emporſendend daraus den neuen heiligen Geiſt. 
e) Sotiriu (Strzugowski, Altai= Iran, S. 245) betrachtet das Gefäß als Eucha⸗ 
riſterion; derartige Dedikationsſchalen werden noch heute in den griechiſchen Kirchen 
an den Wänden aufgehängt. Sotiriu lieſt: deaddaros dvdnaroov adıdv els the 
ee yo(dore). MaAısov: Deaudatos (Mame des DELL): Bringe ihn 
ur Rube ander Ort der Lebenden, Chriſte. Maliton (Name des SE der Schale). 
an iſt verſucht, in Deaudatos den oſtgotiſchen Namen Theodahatus zu erkennen. 


Riegl⸗ Zimmermann, a. a. O., II, S. 99, Sig. 91, 92, UT. 47. 
d ME Goldfund, S. 47ff. 


x Anm. 5. Schäder ſelbſt deutet a. a. O. S. 97 das Hupothetiſche der Schlüſſe 


Thomſens an. 


Riegl⸗ Zimmermann, a. a. O., II, S. 94. 
. Hampel, a. a. O., S. 50 ſieht in Buila einen gotiſchen (ähnlich Baduila) oder gepidi⸗ 


Iden Namen; C. Diculescu, Die Gepiden I, S. 240 f. betrachtet Buila als Deminutiv⸗ 
form zu ad. Buo, wie Baduila zu Badwa. Butaul ſei gep. Butaulf vom got. Bua, 
wie aglſ. Botwulf und got. Athaulf. Peister weift in feinen Grundzügen der flawis 
ſchen Altertumskunde, deren Rorrekturbogen er mir gütig zur Verfügung ftellte, auf 
die donaubulgariſchen Denkſteine von kboba⸗pliska hin, auf denen neben dem gemein⸗ 
türkiſchen Würdentitel zoupan, jopan auch bojla, boilas, bolias als Prinzentitel vor⸗ 
kommt. Dol. 5. und K. Skorpil, KAltbulgariſche Inſchriften, Arch. epigr. Mitt. aus 
Oſterreich⸗Ungarn, XIX, S. 238 ff. Dazu noch Konft. Porphur., de cerim. II, 47.— 
6. Magy fieht in Buila und Butaul ebenfalls awariſche Sürfen, da der Name Boila 
in der Grabinſchrift des Kiil-Taghin-Khagan ( 731) vorkommt. Dol. Hampel, 
Alt. M. A. I, S. 157. Als im altbulgariſchen Beſitz befindlich betrachtet den Schatz auch 
Protié, La tradition d'art sassanide chez les anciens Bulgares, Bull, de l'institut 
arch. Bulgare IV, 1926/27, S. 218ff. 
Toa cov nora in der Inſchrift des Kan Omortag zwiſchen 819—829; E. Kalinka, 
Antite Denkmäler in Bulgarien, Schriften der Balkankommiſſion, antiquar. Abt. IV, 
Sp. 78. Im 1. nn vor Chr. Pathifos (Strabo VII, 5, 2 p. 313). 
Slov. Ober-Aware. Sehr oft werden die Awaren mit den Dunnen verwedfelt; fie 
werden deshalb nach einer volksetumologiſchen Umbildung Hunde, Hundstöpfige, 
xvvoxepadai, Hop, pesjani, pasjeglavei genannt. hundsheim bei Mautern an der 
Donau, Unzmarkt (Hundsmartt) in Steiermark, heunburg (Obrovo) in Kärnten, 
Hundsdorf (Pesjaves) in Krain bedeuten Awarenſiedelungen, ebenſo die hundskirchen 
in Steiermark und Kärnten. Doch dürften dieſe erſt als Zwangsſiedlungen durch Karl 
den Lie entſtanden fein. Dal. dazu L. Hauptmann, Entſtehung und Entwicklung 
Krains IV. Das awariſch-fränkiſche Krain, hiſtoriſcher Atlas der Oſtalpenländer, 
8. SH Über die Reite des Awarenwalles am Burgſtallberg bei Tulln val. E. Do: 
5 , ge Tab. Peut. uſw. Jahrb. f. Landeskunde von Nied. Bit. N. F. XXI. 
1928. >. 36. 
M. G. SS. I. 181. Annales Laurissenses zum Jahre 795. 
Die awariſche Beute wurde auf 15 Ochſenwagen fortgeführt. Dal. W. Erben, Die 
Waffen der Wiener Schatzkammer, Zeitſchr. f. but, Waffenkunde, VIII, S. 361 ff. 
C. Diculescu, Die Gepiden, S. 235ff. 
de Grempler, Der Sund von Sadrau. I. Taf. IV. 8190 K. Schumacher, Siedlungs- und 
ulturgeſchichte der Rheinlande, III, S. 51: Der Goldfund von Wolfsheim mit einem 
Bruſtſchmuck mit dem Namen (rtachſchatar, des Begründers der Saſſaniden-Dunaſtie 
Ardaſchir I (241). — A. Alföldi, Der Untergang der Römerherrſchaft in Pannonien, 
IT, S. 21 et passim und N. Settich, Das Kunjtgewerbe der Awarenzeit in Ungarn, 
S. 42, bemühen ſich vergeblich eine ſelbſtändige awariſche Nomadenkunſt zu konſtruieren. 


— — — — — 


h) Siebenbürgen. 


Ein Knodyenidol vom prieſterhügel bei Brenndorf, 
Siebenbürgen. | 


Don Hermann Scroller. 
Mit 3 Abbildungen im Tert. 


Bei den Ausgrabungen, die ich im Frühjahr dieſes Jahres auf dem 
Prieſterhügel bei Brenndorf machte, fam ein Knochenidol zum Dorſchein. 
Es war leider ein Oberflächenfund und wurde wahrſcheinlich bei Probe: 
grabungen im herbſt letzten Jahres zutage gefördert und damals als wertlos 
weggeworfen. 

Die Bedeutung des Stückes beſteht darin, daß es das erſte auf jieben- 
bürgiſchem Boden gefundene Knoche nidol ijt. 

Auf dem Prieſterhügel liegen zwei verſchiedene Kulturen vor ). Eine 
bemalt⸗keramiſche Schicht wird von einer nicht bemaltkeramiſchen überlagert, 
die nach dem Ort ihres reichſten Vorkommens „Schneckenbergkultur“ ) ge— 
nannt wird. Beide Kulturen kennen die Idolplaſtik. 

Es erhebt ſich nun die Frage, welcher von beiden Kulturen das Knoden- 
idol en ijt. 

Die Frage gewinnt dadurch an Bedeutung, daß bereits früher ähnliche 
Idole in Bulgarien gefunden wurden und daß jetzt bei neueren Grabungen 
auch nördlich der Donau in Muntenien einige Stücke herauskamen. 

Bevor ich dieſe Fragen anſchneide, will ich eine kleine Schilderung der 
beiden auf dem prieſterhügel vorliegenden Kulturen geben. 

Die bemaltkeramiſche Schicht iſt durch die Arbeiten von Jul. Teutſch 
gut bekannt. Sie zeichnet ſich durch eine reiche Idolplaſtik aus. Die Stein- 
bohrung iſt in dieſer Eröſd-Prieſterhügelgruppe nicht bekannt; infolgedeſſen 
haben auch die Stiellöcher der Hirſchhornhacken rechteckige Former“), wie fie 
durch Ausjchneiden mit Feuerſteinmeſſern entſtehen. Die Pfeilſpitzen der 
bemalten Keramik haben die Form gleichſchenkliger bis gleichſeitiger Dreiecke 
mit gerader Bajis*) und beſtehen aus Feuerſtein oder ſeltener aus Obſidian. 
Die Steinbeilchen find fog. einſeitige Slachbeile mit rechteckigem Querſchnitt. 
Hervorzuheben ſind ferner die Tonſtempel oder Pintaderas. 

Die Pfeilſpitzen der Schnecken bergkultur find kleiner als die der bemalten 
Keramit und weijen an ihrer Bajis ſtets eine ſtarke Einbuchtung auf, jo daß 


17) Jul. Jul. Teutſch: ee Sunde aus dem Burzenlande. Mitt. d. Anthropol. - 
Gef lg Wien. 1900, 97. 
Publiziert ift Fie insbefondere vom Geſprengberg und Steinbruchhügel. Siebe 

Jul. Teutſch a. a. O., S. 191—194 und Jul. Teutſch: Die ſpätneolithiſchen Anfiede- 
lungen mit bemalter Keramit am oberen Laufe des Altfluſſes. Mitt. d. Prähiſt. Komm. 
Bd. I. Wien 1905, S. 3 

3) Prähiſt. Gare 55. 200, Sig. 

*) Die ſpätneolithiſchen Ae dungen S. 367, Sig. A. 


2] Ein Knochenidol vom Prieſterhügel bei Brenndorf, Siebenbürgen 233 


richtige Widerhaken entſtehen ). Die Steinbohrung ijt bekannt?) und die 
Hirfchhornhaten zeigen runde Durchbohrung. Neben den einſeitigen Slad- 
beilen treten ſummetriſche Beilchen mit rechteckigem Querſchnitt auf ). Zu 
erwähnen find noch die tupiſchen halbmondförmigen Steinmeſſer )). 

Das Idol hat eine Länge von 6,9 cm. Es iſt aus einem Knochen ge: 
bildet, deſſen unteres Gelenkende noch deutlich erkennbar iſt, obwohl es etwas 
angeſchliffen wurde, um eine Standfläche zu ſchaffen. Der obere Gelenkkopf 
iſt durch zwei in der Mitte zuſammenſtoßende Flächen ſo abgeſchliffen worden, 
daß dieſe als Wangen: und Ohrpartien eines Kopfes aufzufaſſen find, während 
die Naſe durch den ſcharfen Grat gebildet wird, der an derlSpitze deutlich 
vorſpringt. Huch die Rückſeite) des Kopfes ijt 
abgeſchliffen worden und verleiht ihm dadurch 
ein faſt prismatiſches Ausjehen (vgl. Abb. 1c). 

Die Stirn grenzt fic) von der Geſichtsſeite 
durch ſcharfe Kanten ab, während jie ins Hinter- 
haupt mit einer Rundung übergeht (Abb. 1c). 
Im übrigen hat man dem Stück die natürliche 
Sorm gelaſſen. Der Knochenkörper zeigt in der 
vorderanſicht rechts von der Mitte eine ſtarke 
Kante, während links von der Mitte eine be⸗ 
deutend ſchwächere zu erkennen iſt (Abb. 1a). 
E handelt es ſich um einen Mittel: 
handfnocden des Bären. 

Hervorzuheben iſt, daß der Verfertiger ſicht⸗ 
lich die Tontechnik auf den Knochen hat über⸗ 
tragen wollen, und daß unſer Idol den ſog. 
Dogeltopfidolen nachgeformt wurde. Wie aus 
dem Tonköpfchen durch einen Fingerdruck die 
Naſe hervorgepreßt wird und dadurch zugleich 
Wangen und Ohrenumriß entſtehen, fo ijt auch 
bei unſerem Stück nur auf die Husbildung der | | bi 
Naſe und den Umriß der Ohren Wert gelegt. Abb. 1a, b. e. Größ 3 
Augen und Mund find genau wie bei den Dogel- (die Zeichnung N “id 
fopfidolen unjeres Gebiets nicht vorhanden. Auch der Freundlichkeit des Herrn 
die Standfläche erinnert an eine Gattung von J. v. Sebeſtyé n- KRöpecz.) 
Jolen, die ausgeſprochenen Stand ſockel beſitzens). 

Wir müſſen verſuchen, durch Berückſichtigung der Fundumſtände bei 
den übrigen „prismatiſchen“ Knochenidolen ®) Anhaltspuntte für die Datierung 
unſeres Stückes zu gewinnen. 

Prismatiſche Knochenidole find aus Bulgarien bekannt. R. Popow 
bildet zwei Stücke von dem Hügel Dénew bei Salmanovo ab ). Ein anderes 
Stück gibt Cilingirov wieder ®). 


5 Dräbiftorifdhe 2 191, Sig. 54, S. GH Sig. 80—82 und: Die jpatneolithi- 
Idien 2 50 393, 9. 144, 145, 151, 155 


rähiſtoriſche 19 85 5. 104, Sig. 76, 77, "96-102. 

3 a0 toriſche Funde, S. 104, ig. 78. 

ta itoriiche unde, S. 192, Sig. 67—69. 

Sig. 1 eerie Sunde, S. 197, gig. 130; die ſpätneolithiſchen Anfiedlungen, S. 370, 
ig. e 


gl. Stefan: „Fizurines prismatiques“, 

7) R. Popow: Le tumulus de Denew pres du village Salmonovo. In: Bulletin 
de la société Archéologique Bulgare IV, 1914, S. 210, Abb. 207. 

5) Starinar: 1906, Sig. 12. 


234 H. Scroller [3 


Während fic) die eriten befannt gewordenen Stüde auf Bulgarien be- 
ſchränkten, wurden dieſe Figuren neuerlich auch nördlich der Donau gefunden. 
Bei den Grabungen in Cascioarele in Muntenien fand Stefan gleich fünf 
ſolcher Idole +), denen ſich als ſechſtes noch weiter nördlich unſer Idol vom 
Prieſterhügel anſchließt. 

Während von den erwähnten bulgariſchen Fundſtellen ſtratigraphiſche 
Beobachtungen nicht vorliegen, hat Stefan zwei Schichten trennen können. 


Leider iſt in ſeiner Publikation nicht bei allen Stücken erſichtlich, welcher 
Schicht ſie entſtammen, jedoch hat er feſtgeſtellt, daß drei ſeiner prismatiſchen 
Knochenidole in der unteren Schicht ſich fanden, während zwei in der oberen 
herauskamen. In der oberen Schicht wurden ferner drei brettförmige Knochen⸗ 
idole gefunden ), wie uns ähnliche durch die Arbeiten von Popow u.a. 
aus den bulgariſchen Tumuli wohlbekannt ſind. 


Neuerdings find brettförmige Knochenidole außer bei Cäscioarele auch 
ſonſt auf rumäniſchem Boden gefunden worden, und zwar in Sultana 3) 
und Gumelnita ). Hierdurch, ſowie durch daſelbſt aufgefundene Modelle 
von Rechteckhäuſern und teilweiſe durch die Keramik ſchließt ſich dieſe Mun⸗ 
teniſche Gruppe an die bemaltkeramiſche bulgariſche an und verbindet ſie 
zugleich mit der Dobrudſcha (Cernavoda). In vielem jedoch zeigt dieſe neu⸗ 
erſchloſſene „ Kultur Rumäniens eine e die 
uns beiſpielsweiſe ein Großteil der Keramik verrät. 


Infolgedeſſen können wir die dort vorgefundenen Schichten („untere 
und „obere“) nicht einfach den bemaltkeramiſchen von Eröſd⸗-prieſterhügel 
oder Cucuteni irgendwie gleichſetzen. Die obere Schicht enthält beiſpielsweiſe 
neben ſtein⸗kupferzeitlichen Sachen auch jünger bronzezeitliche, nur konnten 
dieſe Perioden ſtratigraphiſch nicht getrennt werden und ſind nun in der 
„oberen“ Schicht zuſammengefaßt. 

Ebenſo ſcheint die ältere Schicht Elemente zu bergen, die vielleicht älter 
ſind als Cucuteni A. Es entſprechen die Gefäße von Cäscioarele 5) Gefäßen 
von Troja 1 5). 

Daneben finden ſich aber viele Objekte, die dem Kreis der bemalten 
Keramik entlehnt find. Zu erwähnen find da zunächſt die Feuerſteinpfeil⸗ 
ſpitzen mit gerader Baſis, die die Form von gleichſchenkligen Dreiecken haben. 
Sie kommen in beiden Schichten vor 7). In die ältere Schicht werden die ein- 
ſeitigen §lachbeile mit rechteckigem Querſchnitt gehören ). Die Tonidole 
zeigen 3. C. dieſelben Formen wie unſere ſiebenbürgiſchen und dürften ihnen 
demnach auch zeitlich entſprechen. Zu erwähnen iſt ein Stück, das in Ton 
gebildet, die Form unſerer prismatiſchen Rnochenidole nachahmt 9) und mit 
zwei ähnlichen Tonidolen von Kodja-Dermen 191 verglichen werden kann. 


1) ) Gb. Stefan: Les fouilles de Cäscioarele. In: Dacia: II. Bd., 1925 (Bukareſt): 
Recherches et Decoüvertes arch. en Roumanie. S. 190, Sig. 44, Nr. 4—8. 
2) Gh. Stefan: opus cit. S. 190, Sig. 44, Abb. 1-3. 
3) J. Andriesefcu: Les fouilles de Sultana. Dacia LS 105, Taf. 36, 37. 
) Dladimir Dumitrescu: Fouilles des Gumelnita. In: Dacia II. 5. 88, Sig. 66, 


—5. 
d Gh. Stefan: op. cit. S. 161, Sig. 22, Nr. 2 und 4. 
W. Se Troja und Jlion I. Die Reramik der verſchiedenen Schichten. 
Don hub. Schmidt, S. 248, Sig. 109, S. 250, Sig. 114. 
\ Gh. Stefan; op. eit. S. 148, ig. 5, Rr. 1—18. 


Gh. Stefan: op. cit. S. 148, Fig. 5, Nr. 5 
Gh. Stefan: op. cit. S. 179, Sig. 40, Nr. 4 
10) R. popow: Der Hügel Rodſa⸗ -Dermen bei Schumen. S. 159, , Sig. 144 A und B. 


4] Ein Knochenidol vom Priefterhügel bei Brenndorf, Siebenbürgen 235 


Schließlich gehören noch die hirſchhornhämmer mit rechteckig geſchnittenem 
Stielloch ) in die ältere Schicht. 

Für den Beginn der jüngeren Schicht ijt ſehr wichtig, daß die brett⸗ 
förmigen Knochenidole ſämtlich in ihr gefunden wurden. Dieſe Idole ent: 
ſprechen typologiſch denen von Cucuteni B, wie ja auch die Hhauptmaſſe der 
bulgariſchen bemalten Keramik in dieſe periode fällt. Don den prismatiſchen 
RKnochenidolen wurden drei in der unteren und zwei in der oberen Schicht 
gefunden. Sie ſind demnach älter als die „ Knochenidole. Auch 
tupologiſch müſſen fie vor dieſelben geſetzt werden, da fie den vollplaſtiſchen 
oder nur halb ſchematiſierten Stücken der älteren Stufen nachgebildet ſind. 
Nach Form und Material gehören ſie in eine Übergangszeit, 
die der Übergangsſtufe A—B in Cucuteni entſpricht 2). 

Die bemalte Keramik des Prieſterhügels gehört nach dem Schema von 
Cucuteni der A- und der A—B-Stufe an. Die reine B-Stufe hat ſich nicht 
entwickeln können, ſondern wird durch die Schneckenbergkultur erſetzt ). Unſer 
Idol entſtammt alſo der bemaltkeramiſchen Schicht, und zwar deren 
oberer Grenze, an der ſie ſich mit der Schneckenbergkultur berührt. 

Ein ſtratigraphiſcher Vergleich mit Muntenien und Bulgarien ergibt 
folgendes: Die untere Schicht von Cascioarele entſpricht der bemaltkeramiſchen 
Schicht der Prieſterhügel-Eröſdgruppe oder Cucuteni A und A—B. Die Hn⸗ 
fänge können unter Umſtänden noch weiter zurückreichen. Die obere Schicht 
von Cäscioarele entſpricht in ihren älteſten Lagen unſerer Schneckenberg⸗ 
kultur. Da während dieſer Zeit keine Verbindung mit den ſüdlichen Gebieten 
beſtand, beſitzt fie keine brettförmigen Knochenidole, wie Muntenien und 
Bulgarien. 


D Gh. Stefan: op. cit. S. 194, Sig. 48, Nr. 1, 2, 6. 
) hub. Schmidt: Die Ausgrabungen von Cucuteni und Sarata-Monteoru im 
Lichte der ägäiſchen Dorgeſchichte. Jahrb. d. dtſch. Archäol. Inſtituts 1924, S. 350. 
Schroller: hausbau in der jungſteinzeitlichen bemalten Keramit. Tagungs- 
berichte d. diſch. Anthropol. Geſellſch. (Tagung Köln). Leipzig 1928, Tafel S. 94. 


— — — — 


1) Griechenland. 


Cauſitziſche Elemente in Griechenland. 


Don D Gordon Childe. 
Mit 4 Abbildungen im Text. 


Je mehr man die lauſitziſche Kultur ſtudiert, deſto mehr gewinnt man 
den Eindruck ihrer gewaltigen Ausbreitungsfraft. Als geſchloſſenes Ganzes 
iſt die fragliche Kultur bekanntlich bis in die Mittelſlovakei vorgedrungen ). 
Viel weiter nach Süden machen ſich kräftige Einflüſſe aus demſelben Kreiſe 
bemerkbar, und zwar derart, daß man fie nur durch Dölkerverſchiebung er: 
klären darf. | 

Zuerſt erſcheinen in manchen der ſpätbronzezeitlichen Urnenfelder Nord— 
ungarns?) offene Schüſſeln mit gerillten Rändern, wie Seger, Schleſiens 


Abb. 1. Grabgefäße aus Mohi pußta, Muſeum Kofice (Kajchau). (Eigene Photographie.) 


Vorzeit, XIII, Taf. II, 11, Henkeltaſſen mit glattem Hals und ſchräg gerillter 
Schulter, erſichtlich aus Typen wie Seger, a. a. O., Taf. II, 7, „rauhe Töpfe“, 
und auch Amphoren (Abb. 1). Die zwei erſtgenannten Formen kommen dann 
wieder in der vierten oberſten Anſiedelung auf dem Schutthügel von Töſzeg 
vor, wo fie offenbar ein fremdes Element darſtellen ?). Noch in den großen 


1) Reallexikon, II, S. 88. 

2) Meiſt ungenügend publiziert; in den Muſeen von Raſchau, Debrecen ufw. zu 
ſehen. 

3) Ergebnis der unter Dr. C. Marton und Dr. Tompa in 1927 unternommenen 
Ausgrabungen; ſiehe Childe, Revue des Musées, 3me année, Nr. 13 (1928). 


2] Cauſitziſche Elemente in Griechenland 237 


Urnenfeldern des Banats !), wohl in den ſpäteren Gräbern, findet man 
ähnliche Typen, mit deren Auftreten man das Erſetzen des ſchönen „pannoni⸗ 
ſchen“ eingeritzten Ornamentes durch Rillenverzierung in Zuſammenhang 
bringen möchte. Und techniſch entſpricht die ſämtliche oben genannte Keramit 
durchaus der ſpäteren, dunkelgefärbten lauſitziſchen Ware Mährens und 
Oſtböhmens. 7 

Als Begleiterſcheinung dieſes in der Keramik fic) wiederſpiegelnden 
Dordringens der lauſitziſchen Kultur läßt fic) die plötzliche Umwandlung der 
ungarländiſchen Bronzetypen, bzw. Bewaffnung, ungezwungen deuten. 


a eg, 


1 1 9 
Abb. 2. Scherben aus Dardaroftja. Photographie von W. A. Heurtley. 


Statt der Streitärte und der Rapierſchwerter?) der mittleren Bronzezeit 
treten jetzt maſſenhaft Hohlkelte und hiebſchwerter auf. Nur durch Bevölke⸗ 
rungswechſel kann man das Erſetzen der praktiſchen Schaftlochäxte durch die 
Tüllenbeile erklären, ein Typus, deſſen Erfindung wohl dem lauſitziſchen 
Kulturtreije zuzuſchreiben ijt?). Die Gleichzeitigkeit dieſer Neuerungen in 
der Bewaffnung mit der oben geſchilderten Umwandlung der Keramik iſt 
dadurch bewieſen, daß in der oberſten Schicht zu Töſzeg mit den gerillten 


be 


Abb. 3. Bruchſtücke von Taſſen und Schüſſeln aus Dardaroftia. 


Gefäßen ein beinerner Knopf gefunden wurde, der mit genau demſelben 
Muſter verziert iſt, das für die ſpätbronzezeitlichen Schwerter Ungarns geradezu 
charakteriſtiſch ijt “). 

Das jo bewieſene Vordringen lauſitziſcher Völker nach Süden läßt fic) 
jetzt, dank der Ausgrabung der engliſchen Schule unter herrn heurtley im 
Dardartal, bis nach Macedonien verfolgen. Dort hat heurtley zu Dardar: 
oftja®) einen geſchichteten Hügel ausgegraben, der die Reſte mehreren Peri— 
oden, darunter auch der mukeniſchen, enthielt. Die ſpätmykeniſche Anfiedlung, 


1) In Muſeen von Arad und Dräac zu ſehen. 

2) Dattina (Milleker, A Vattinai östelep, Taf. I), Jenta (Ard. Ert., 
XVIII, 8. alle 

3) Childe, Antiquity, II (1928), S. 38. 

) Z. B. Hampel, XXII, 5; CI, 3; cf. Marton, Arch. Ert., XXIX (1909), S. 411. 

5) Antiquaries’ Journal, VII (1927), S. 44 ff. 


238 Gordon Childe [3 


deren Ruinen eine Stärke von 5,50 m ausmachen, endet in einer Brong: 
kataſtrophe. In der darüber gelegenen Brandſchicht und unmittelbar darüber, 
noch mit fortdauernden Scherben ſpätmykeniſcher Dajen, kam eine Keramik 
zum Vorſchein, die der myfenifchen ſowie der alteinheimiſchen Überlieferung 
als gänzlich fremd und ſogar barbariſch gegenüberſteht; ſie ſtellt augenſchein⸗ 
lich die Erzeugniſſe jener Eroberer dar, die die mykeniſche Siedelung ver⸗ 
brannt hatten. 

Die fremde Reramik iſt hauptſächlich durch eine Rillenverzierung gekenn⸗ 
zeichnet, die genau der oben erwähnten aus Ungarn entſpricht. Ebenſo 
gleicht der ſchwarze oder graue Ton mit wohlpolierter Oberfläche dem der 
ſüd öſtlichen lauſitziſchen Kultur vollſtändig. Dazu kann man unter den Scherben 
Bruchſtücke von Schüſſeln mit gerilltem Rand und von Taſſen mit glattem 
Hals und ſchräggerillter Schulter, genau ſo wie in Töſzeg, erkennen. Als 
dritter Haupttypus iſt ein kraterartiges Gefäß mit zwei tordierten henkeln 
zu nennen, das Wort an die Pfeilerurnen !) von den der lauſitziſchen nahe 
verwandten Höftinger und Knowizer Kulturen erinnert. 


Abb. 4. Reſtaurierter Krater aus Dardaroftja. Photographie von W. A. heurtleu. 


Das Dardartal bietet den einzigen Weg, durch welchen bölkerſcharen 
in die Ägäis vordringen können. Es liegt alſo auf der Hand, die Träger der 
barbariſchen Vardaroftſakeramik mit einem der nordiſchen Dölfer zu identi⸗ 
fizieren, deren Einbruch, durch Wechſel in Tracht (Sibeln) und in der Bewaff⸗ 
nung (Hiebſchwerter) ſchon in der Übergangszeit angedeutet, wohl den Unter⸗ 
gang der mukeniſchen Welt herbeiführt. Und tatſächlich find lauſitziſche Spuren 
in Griechenland ſelbſt wahrnehmbar. Heurtley hat ſchon gezeigt, wie 
ſtark die barbariſche Tradition der Dardaroftfagattung auf die älteſte geo⸗ 
metriſche Keramik Nordgriechenlands gewirkt hatte; und jene, wie wir geſehen 
haben, ſtammt vielleicht aus Oſtmitteleuropa. In dem Peloponnes ſelbſt, 
in dem im Jahre 1915 gefundenen Schatz von Tiryns?), find Ele mente nach⸗ 
zuweiſen, die aus demſelben Kreiſe ſtammen. Ich denke nicht ſo ſehr an die 
zwei Griffzungenſchwerter (von denen das eine, ein ſehr langes, dem Typus I 


1) Reallexikon, V, Taf. 129; Schränil, Dorgefhichte Böhmens und Mäh— 
rens, Taf. XXIX, 7. 

2) "Aoyatodoyinxdy AeArlov, ce (1916) rapaeınna, S. 13 f. Abbildungen uns 
genügend; die folgende Schilderung beruht auf eigenen Beobachtungen in Athen; eine 
vollſtändige Veröffentlichung durch Karo ſoll in Athenifche Mitteilungen erſcheinen. 


4] Cauſitziſche Elemente in Griechenland 239 


nach Roſſinna entſpricht), als an die aus gedoppeltem Golddraht verfertigten 
Zylinder, die ihre Gegenſtücke in böhmiſchen und ungarländiſchen Funden 
aus der jpäten Bronzezeit haben ), und vor allem an die mit wohl nordiſchem 
Bernſtein verſehenen Räder. Die Bernſteinperlen tragenden Speichen (kreuz⸗ 
förmig) ſind mit einem aus zehnmal gewundenem Doppeldraht gebildeten 
Zylinder umgeben, deſſen einzelne Windungen durch ſenkrecht und ſchräg 
geſtellte Drahtſtücke zuſammengeflochten find, nach genau derſelben Tedynif, 
die für die bekannten „geflochtenen klchterzierſcheiben“ aus Oſtböhmen?) 
verwendet wurde. Ich zweifle nicht, daß dieſe Gegenſtände ſowie die Schwerter 
aus dem Norden, und zwar aus Oſtmitteleuropa gekommen find oder jeden⸗ 
falls nach nordiſchen Muſtern gearbeitet waren. Sie werden alſo ein Element 
des nördlichen Stromes andeuten, der die mukeniſche Kultur niederlegt, um 
die helleniſche zu ſchaffen. 

Die Frage, mit welchem Namen man die eben beſchriebenen Eir- 
dringler bezeichnen darf, laß ich beiſeite. Es genügt zu zeigen, daß Einflüſſe 
aus dem lauſitziſchen Kulturkreiſe bis nach Griechenland ſich erſtrecken. Doch 
darf ich noch bemerken, daß kein Zwang beſteht, mit Penta?) die Cauſitzer 
mit den Griechen zu identifizieren, weil der Anteil der Illyrier an der, doriſchen 
Wanderung“ allgemein anerkannt ijt‘). 


: Abgebildet ee el Sine sf = a ſchichte, Taf. XXVIII, 29 
ebildet zuletzt bei ranil, Vorgeſchichte, Taf. XX 29. 
Mach w., 1897, S. 47. 


) Dal. 3. B. S. Caſſon, Macedonia, Thrace and IIliria, S. 309 ff. 


k) Irland. 


Ein Wikingerſchwert mit deutſchem Namen 
aus Irland. 
Don Adolf Mahr. 
mit 5 Abbildungen im Tert. 


Am 31. Mai 1928 erwarb die Altertiimerfammlung des Iriſchen National- 
muſeums ein eiſernes Wikingerſchwert, das durch ſeinen ganz ausgezeichneten 
Erhaltungszuſtand, durch einen an der Parierſtange angebrachten Namen 
und durch feine Huffindungsverhältniſſe bemerkenswert ijt. 

Das Schwert (Abb. 1) hat eine geſamte Länge von 92,8 cm, wovon 
79,5 auf die Klinge entfallen. Wenn man eine unweſentliche Beſchädigung 
15 der Spitze in Betracht zieht, hat die Länge urſprünglich genau 93 em 

etragen. 

Die, romantiſch ſog., Blutrinne ſetzt gleich unterhalb der Parierſtange 
mit 2,6 em Breite ein und verläuft bis 8 em oberhalb der Spitze. Ein großer 
Teil der urſprünglichen Schneideränder iſt auf beiden Seiten noch erhalten. 
Die Parierſtange (Abb. 2) iſt 11 em breit, langgeſtreckt elliptiſch und in der 
Mitte am breiteſten (1,7 em). Ihre Höhe daſelbſt beträgt 1,3 em. Sie ijt mit 
Silber plattiert. An den Kanten und gegen die Enden zu iſt dieſe Silber— 
auflage mit feinen, eingeſchlagenen parallelen Querſtrichlein verziert. Auf 
der Vorder- und Rückſeite befindet ſich eine gleichartige (aber nicht iden— 
tiſche) eingeſchlagene Verzierung, die auf die Pflanzenranke zurückgeht und 
mit einer Kupferlegierung (Meſſing?) gefüllt geweſen fein mag. Es ijt aber 
wahrſcheinlicher, daß dieſe Niellierung durch eingepreßte oder eingehämmerte 
Drähte hergeſtellt wurde, denn die ein wenig kleeblattartigen Blüten oder 
Blätter der Ranke ſind nur konturiert und ihr Inneres wird von der 
Oberfläche der Silberauflage ſelbſt eingenommen. 

Auf der Oberſeite der Parierſtange befindet ſich (Abb. 3), eingeſchlagen 
und zweifellos mit einer Kupferlegierung als Füllmaſſe eingelegt, zwiſchen 
zwei kleinen Kreuzen der Name + HILTIP REHT + in lateiniſchen 
Buchſtaben. Die mittleren Buchſtaben ſind höher als die in den Ecken. In 
den Ecken der Unterſeite der Parierſtange, die von der Silberauflage ebenſo 
vollſtändig bedeckt ijt wie die Oberſeite, ijt links und rechts ein gleichartiges 
Zeichen (Abb. 4) eingeſchlagen. 

Ob die kleine Erweiterung des Schlitzes der Parierſtange, durch den 
der Griff hindurchgeſteckt ijt, und die auf unſerer Abb. 3 deutlich zu ſehen 
iſt, zu einer Befeſtigung der Parierſtange (etwa durch Derkeilung oder einen 
Stift; auch Tötung wäre nicht undenkbar) diente, läßt ſich nicht erkennen. Es 


2] Ein Wikingerſchwert mit deutſchem Namen aus Irland 241 


iſt aber nicht ſehr wahrſcheinlich, und ich kenne eigentlich keine derartigen 
Befeſtigungsvorrichtungen an ſolchen Schwertern. Da der Schlitz im höhen⸗ 
ſchnitt rechteckig, nicht trapezförmig iſt, wird er unten durch den Griff ganz 
ausgefüllt und das ijt eben an der oberen Offnung nicht mehr der Fall, da 
ſich der Griff verſchmälert. 

Der Griff iſt oberhalb der Parierſtange 8,6 em lang, verſchmälert ſich 
allmählich von 3 zu 1,8 em Breite und iſt ganz flach (unten 0,4, oben 0,2 cm 


Abb. 1. Schwert von Ballinderru II. Abb. 2. Griffteil des Schwertes von 
. Th. H. Maſon phot. Ballinderry II. ji 
Uh. D Maſon phot. 


did). Der Griffbelag iſt nicht mehr vorhanden. Vermutlich beſtand er aus 
mit Leder überzogenem Holze. 

Wie der Knauf, der jetzt ein bißchen ſchlottert, befeſtigt war, läßt ſich 
ziemlich ſicher vermuten: der Griff läuft im Inneren des Knaufes offenbar 
in eine kleine Verbreiterung aus, gegen die ſich zwei Stifte mit breiten Nagel⸗ 
köpfen ſtützen, die auf der Unterſeite des Knaufes eingeſchlagen ſind. Die 
Griffangel reicht nicht durch den Knauf hindurch; dieſer iſt oben an der Spitze 
ganz homogen. 

Der Knauf fühlt ſich ſo ſchwer an, daß er unbedingt aus Metall beſtehen 
muß. Denn die Silberauflage allein könnte einen beinernen Knauf nicht fo 
gewichtig machen. Der untere Teil des Knaufes wiederholt in kleineren 


mannus, Zeitichrift für Vorgeſch., VI. Erg.-Bd. 16 


242 A. Mahr [3 


Ausmaßen die Sorm der Parierſtange und zeigt auch die gleiche Verzierung 
der Silberauflage: vorne und rückwärts eine Pflanzenranke mit einem die 
Mittellinie des ganzen Schwertes betonenden Querſtrich, ſowie oberhalb und 
unterhalb davon die eingeſchlagene Strichelung, die an den gekrümmten 
Seitenflächen die ganze Umbiegung bedeckt. Die Silberauflage erjtredt ſich 
auch auf die fünffach gegliederte Knaufbekrönung, deren mittleres Blatt 
auf der einen Seite, ziemlich an der Baſis, ein monogramm- oder kronen⸗ 
artiges Jeichen (ähnlich unſerer Abb. 4 und offenbar von dem pflanzlichen 


Abb. 3. Parierſtange des en von Ballinderry II. 21. 
Th. . Mafon phot. 


Muſter abgeleitet) trägt. Auf der Riidfeite ijt dieſe Stelle Wort verroftet, 
fo daß fic) nichts erkennen läßt. Strichelung bedeckt auch den größten Teil 
der Silberauflage auf der Knaufbefrénung. In den vier Furchen, die ihre 
Blätter trennen, befand ſich, einer Verſchnürung ähnelnd, Silberdraht, von 
dem heute nur noch Refte vorhanden 
ſind. Der Knauf iſt unten 5,7: 2 em 
breit, in halber höhe 6: 1,9 em breit 
und mißt 3,6 em Höhe. 

Das ganze Schwert zeigt die übliche 
ſchwarze Patinierung von eiſernen Sund- 
ſtücken aus Mooren und vielfach noch 
die glatte Oberfläche, die wir als „Glüh⸗ 
ſpan“ oder „Seuerpatina” bezeichnen. 
fluf der Klinge ſieht man einige kleine 
Abb. 4. Don der Unterſeite der Parier- ſilbrig glänzende Partikelchen. Ob hier 

ſtange. Doppelte nat. Gr. kitzung oder Niello vorlag, oder ob fie 

einfach angeroſtet ſind, iſt noch nicht 
mit Sicherheit entſchieden. Dieſe Verzierung oder Merkung der Schwertklingen 
durch die von A. C. Lorange (Den yngre jernalders svaerd, Bergen 1889) 
log. „falſche Damaszierung“ erſcheint bisweilen auch auf recht frühen Stücken, 
wird aber dann erſt im 10. Jahrhundert häufiger. 

Die Scheide (Holz, Leder, oder beides) fehlt. Anſonſt ijt das Stück 
zweifellos eines der beſterhaltenen Wikingerſchwerter und das beſte bisher 
in Irland gefundene. 

Das Schwert wurde Anfang Mai 1928 im großen Torfmoor Ballin- 
derry Bog gefunden und zwar anläßlich Reinigung von Entwäſſerungs— 
gräben durch das Arterial Drainage Office der Commissioners of Publie 
Works, Dublin. Die durch Schlamm und Pflanzenwuchs vielfach verlegten 
Gräben wurden gereinigt, dabei auch je nach Bedarf etwas erweitert und 
vertieft. Ein ſolcher Graben bildet die Grenze zwiſchen townland Ballinderry, 


4) Ein Wikingerſchwert mit deutſchem Namen aus Irland 243 


parish (Kirchſpiel) Kilcumreragh und townland Rilnahinch, parish Kilma= 
naghan, beide in der Barony Clonlonan, County Weſt Meath im Inneren 
Irlands gelegen. Die nächſte größere Stadt, Moate, iſt etwa 3 km entfernt 
(ſ. die Karte Abb. 5). 


In der Langenmitte dieſes Grabens ſtieß ein Arbeiter in etwa 1,5 m 
Tiefe, vom oberen Grabenrand gerechnet, auf die Spitze des Schwertes. Durch 
vorſichtiges Weitergraben legte er das ganze Schwert bloß, welches ſchief im 
Grunde ſtak, mit dem Knaufe auf dem grauen Ton (marl) aufliegend, der 
den Untergrund des Torflagers bildet. 


Der Jund, über den wir glücklicherweiſe ſehr bald durch Mr. D S. 
Upton M. R. I. A. in Coolatore, Moate, und Prof. R. H. S. Macaliſter 
Nachricht erhielten, ſchien nach der erſten Beſchreibung der Auffindungs- 
verhältniſſe auf einen Beſtattungsplatz hinzudeuten, zumal von einem 
Hügelchen die Rede war, das der Kanal durchſchneidet und ſolche im alten 
Irland gerne für Beerdigungsplätze benützt wurden. kluch hieß es, daß 
Knochen mit dem Schwerte gefunden worden ſeien. 


Die Überraſchung war daher groß, als ein Beſuch der Grtlichkeit die 
wahre Natur des Fundes erkennen ließ. Das Hügelchen von ovalem Grund— 
riß, etwa 10 m Länge, 7 m Breite und 1,5 m höhe über Grund, welches 
nach allen Seiten ſanft verläuft, erwies ſich nämlich als ein Crannog. Der 
Einſchnitt des Grabens ließ größere und kleinere Steine erkennen, die un— 
möglich auf natürliche Weiſe hierhergekommen ſein können und ſolche lagen 
auch auf der Oberfläche des friſchen Aushubes verſtreut umher, wie ſie die 
Werkleute aus dem Wege geräumt hatten. In der Grabenwand ſtaken noch 
Pfähle und geſpaltene Holzplanfen in wirrem Durcheinander und ſolche 
nahmen auch vor dem Beginn der Austäumungsarbeit die jetzt mit Waſſer 
gefüllte Grabenſohle ein. Der Arbeiter beſchrieb recht deutlich, wie Knüppel 
und Planken in Wechſellagerung und ſich mehrfach kreuzend eine Art Platt- 
form zu bilden ſchienen, auf der Steine lagen. Pfähle und andere Holz: 
trümmer mit Derzapfungsterben lagen reichlich umher, jo daß die Deutung 
der Sundjtelle als Wohnſtätte in ſumpfigem Gelände außer Zweifel ſteht. 
Als ſolche kann nur ein Crannog in Frage kommen: die größeren Steine, 
die Pfähle, Knüppel und Planken bildeten eine Subſtruktion, kleinere Steine 
und Lehm, wohl auch Planken, den Fußboden. 

Die ganze Anlage erſtreckt ſich beiderſeits unter dem Hügelchen weiter 
und iſt durch ſpäteres Torfwachstum überdeckt worden. Ohne ausgedehntere 
Abgrabung laſſen ſich die Einzelheiten der Anlage, ihre Begrenzung (Palli- 
fade?) uſw. nicht beurteilen. Derlandete Crannogs pflegen ſich als hellgrüne 
Flecken von runder oder mehr ovaler Form vom umliegenden bräunlicheren 
Grunde abzuheben, weil die organiſchen Nährſtoffe der Rulturſchichten den 
Pflanzenwuchs begünſtigen. Doch ſind ſie gewöhnlich ebenſo flach wie die 
Umgebung und ein fo deutlich ausgeprägtes Hügelchen ſpricht dafür, daß hier 
ein ganz ſtattliches Gebäude oder eine Gruppe ſolcher beſtanden haben muß. 

Die mit dem Schwerte zuſammen aufgefundenen Knochen und andere 
neu aufgefundene erwieſen ſich, nach der häufigkeit geordnet, als ſolche 
von Rindern und Kälbern, Schweinen und Schafen, manche davon von recht 
jungen Individuen. Sie und die Hölzer: Eiche (quercus robur), Eiche (fraxinus 
excelsior) und eine Weidenart (salıx sp.) find meiſt mit bläulichem Divianit 
(Eiſenphosphat) überzogen, deſſen Phosphor von der Zerſetzung von Knochen 
ſtammt und deſſen Eiſen ein normaler Ronſtituent dieſer Sumpfböden iſt. 

10* 


244 A. Mabe 15 


Im Aushub fand ich noch ein kleines Bruchſtück eines Beinkammes, 
wie ſolche in den frühmittelalterlichen Crannogs häufig vorkommen. 


Der Sundplag ijt nur 1,5 km nordweſtlich von Ballinderry Coch ent- 
fernt, einem kleinen See, deſſen Waſſerſtand in den 40er Jahren des vorigen 
Jahrhunderts durch Entwäſſerungsarbeiten im ganzen Ballinderry Bog, der 
zwei Sundjtellen I, II umſchließt, beträchtlich erniedrigt wurde. Dabei ſtellte 
ſich nämlich das Dorhandenjein eines großen Crannog !) heraus, der von einer 
Palliſade aus Eichenholzpfählen eingefriedet war. Ungeheure Maſſen von 
Hirſchgeweih und Knochen von Hhirſch, Rind, Schaf uſw. bedeckten den ganzen 
Platz und wurden damals als Dung verkauft. Neben zwei Einbäumen und 
dem Bruchſtücke einer harfe aus Holz fanden ſich Waffen und viele Klein⸗ 
funde der typijden Crannog⸗-hinterlaſſenſchaft. Nur wenig von all dem 
gelangte ſchließlich ans Muſeum, darunter viele eigentümliche vierkantige 
Nadeln aus Bein mit an den Kanten angebrachten Strichelchen (ſolche und 
ähnliche Verzierungen bedeckten aber auch teilweiſe die Breitſeiten), die 
zuerſt ſogar für Ogham⸗Schriftdenkmäler gehalten worden find. Unter den 
Funden im Nationalmujeum befindet fic) auch ein ziemlich kleines eiſernes 
Schwert, deſſen Glockenbügel doch zweifellos Lateneform zeigt, mag auch 
die Klinge von der üblichen Laténe-Schwerttlinge etwas abweichen ?). Leider 
ijt feine Vergeſellſchaftung mit den anderen Funden aus dieſem Crannog 
(Ballinderry I) nicht ganz fo ſicher, wie es Urmſtrong anzunehmen ſcheint. 
Das Schwert wird wohl aus den gleichen Erdbewegungen ſtammen, ſteht 
aber unter den übrigen Funden vereinzelt da. Es ijt ſchade, daß die prächtig 
verzierten Schwertſcheiden und die Schwerter aus dem Crannog von Lisna- 
croghera in Co. Antrim, der ganz wild abgegraben wurde, wie Armitrong 
richtig bemerkt, infolgedeſſen auch nicht ganz zweifelsfrei für die laténe- 
zeitlichen Anfänge der Packwerkbauten in Irland herangezogen werden 
können, was gerade in Hinblick auf unſer Wikingerſchwert für die Frage 
der Kulturfontinuität an einem einzelnen Siedelungsplatze von einigem 
Intereſſe wäre. = 

Obwohl man bei einer Betrachtung der ganzen Srage, auf die ich hier 
nicht näher eingehen kann, zum Schluß kommen wird, daß die Anfänge der 
Crannogs doch ſchon in die Latenezeit anzuſetzen fein dürften, find wir nicht 
berechtigt, unſeren Crannog I mit Sicherheit weiter als bis ins 5. Jahrh. 
n. Chr. zurückzudatieren. Und ſoweit der Muſealbeſtand und die publizierte 
Literatur noch ein Urteil zulaſſen, hat er auch keine Wikingerfunde ergeben, 
ſondern nur die gleichzeitige Hhinterlaſſenſchaft der einheimiſchen Bevölkerung. 
Der neue Crannog (Ballinderry II) wird einſtweilen nur durch das Schwert 
datiert. 


Wie kommt aber nun dieſe germaniſche Waffe feſtländiſcher Herkunft 
überhaupt in die Wohnſtätte eines Gälen? Denn daß hier ein Wikingerhaus 
vorliegt, kann als ausgeſchloſſen gelten. 

Es iſt weniger die Auffindung im fernen Irland, die überraſcht. Wikinger— 
funde ſind in Irland nicht gerade ſelten und iriſche Sundjtüde in Norwegen 
ſind womöglich noch häufiger, wie ein Blick auf die norwegiſche Citeratur, 
beſonders die Jahrbücher des Muſeums in Bergen, beweiſt. Dieſe lebhaften 
Wechſelbeziehungen kriegeriſcher und friedlicher Art und ihre Wirkungen 


1) W. G. Wood-Martin, The Lake Dwellings of Ireland. Dublin 1886, S. 205f. 
2) E. C. R. Armstrong, The La Tene Period in Ireland. The Journal of the 
Royal Society of Antiquaries of Ireland 53 (1923), 19; Taf. 1:2. 


6] Ein Wikingerſchwert mit deutſchem Namen aus Irland 245 


auf die Kunft und das Kunjfgewerbe des europäiſchen Nordens, ſowohl 
bei Germanen, wie bei Kelten, ſind wohlbekannt. 

Immerhin beſaßen wir bisher noch keinen Wikingerfund ſo tief aus dem 
Inneren Irlands und das Stück iſt ſchon um des Fundortes willen erfreulich. 
Was aber am meiſten überraſcht, iſt die Auffindung der Waffe mit dem 
offenkundig ſüdgermaniſchen Namen in einem keltiſchen Packwerkbau, wohin 
ſie, wie ſich zeigen wird, nur durch nordgermaniſche Vermittlung gelangt 
ſein kann. Es iſt meines Wiſſens das erſte Mal, daß ein ſolches Stück in einer 
keltiſchen Fundſchichte gehoben worden iſt. Und es iſt nicht ſehr wahr⸗ 
ſcheinlich, daß es bei dem Beſitzwechſel ganz mit friedlichen Dingen zu— 
gegangen iſt. 

Bevor wir indes dieſe Frage zu beantworten verſuchen, muß Alters- 
ſtellung und Herkunft des Schwertes genauer beſtimmt werden, wobei es 
ſich auch als nötig erweiſen wird, einen Blick auf die Geſchichte Irlands zur 
Wikingerzeit zu werfen. 

Die Typologie der Wikingerſchwerter iſt durch die Arbeit vor allem 
norwegiſcher und däniſcher Fachgenoſſen gut klargeſtellt worden und wir 
beſitzen eine vorzügliche Zuſammenfaſſung aus neuerer Zeit in dem Buche, 
das Jan Peterſen dieſen Waffen (nebſt Lanzenſpitzen und Streitärten) 
ſowie ihrer Verbreitung und Entwicklung in Norwegen gewidmet hat!). 
Peterfen unterſcheidet unter ihnen 26 Typen, die er mit Buchſtaben (A-Z, ), 
möglichſt genau der zeitlichen Aufeinanderfolge der einzelnen Typen ent— 
ſprechend, bezeichnet. Unſer Stück gehört ſeinem Tupus K an, den er ins 
9. Jahrhundert ſetzt und über den er S. 105 ff. ausführlicher handelt. Ich 
kann mich daher auf dieſen hinweis beſchränken. Der Typus kommt im Norden 
nur in Norwegen vor (Peterſen zählt 13 Sunde auf) und fehlt in den anderen 
ſkandinaviſchen Ländern. Dagegen findet er ſich häufiger ſüdlich von Dänemark 
und weiſt mit ſeinem Urſprung unzweifelhaft auf das fränkiſche Gebiet am 
Rhein, wo er im 8. Jahrhundert entſteht. In der erſten Hälfte des 9. Jahr⸗ 
hunderts kommt er durch die Wikingerzüge nach Norwegen, wo er um die 
Jahrhundertmitte ſchon feſte Wurzeln faßt. 

Wir kennen jetzt innerhalb dieſes Tupes bereits eine ganze Unzahl 
von Schwertern, die in der Verzierung durch Pflanzenranken und im Dor- 
handenſein eines Namens an ſtets der nämlichen Stelle, der Oberſeite der 
Parierſtange, eine ſolche Ubereinftimmung aufweiſen, daß man fie zu einer 
Gruppe zuſammenfaſſen kann. Peterſens S. 110 ausgeſprochene Anſicht, 
daß ſie auf ein enger zu umſchreibendes Erzeugungsgebiet zurückgehen, 
gewinnt durch den neuen Fund von Ballinderry II umſo mehr an Sicherheit, 
als das gleich zu beſprechende Hartolfr-Schwert von Rilmainham mit unſerem 
neuen Schwertfund bis in Einzelheiten übereinſtimmt. 

Dieſe Schwerter ſind, von entfernter hierher gehörigen Stücken ab— 
geſehen, die folgenden: 

Ein Stück aus Frankreich (Peterſen l. c. S. 108), Name: HLITER; 

Gravraaf, Melhus, in Sondre Trondhjem (Peterſen l. c., S. 106, 
Sig. 89), Name: HLITER; 

eines der Schwerter?) aus dem Gräberfelde Kilmainham-Islandbridge, 


1) Jan Petersen, De norske Vikingesverd. En typologisk-kronologisk Studie 
over Vikingetidens Vaaben. Videnskapsselskapets Skrifter, II. Hist.-Tilon., Klasse, 
1919, Nr. 1. Kriſtiania 1919. 

2) George Coffey und E. ( R. Armstrong, Scandinavian objects found at 
Island-bridge and Kilmainham. Proceedings of the Royal Irish Academy, 28, Beet. C, 


246 fl. Mahr [7 


heute Vororten des weftliden Dublins, das in den 60er Jahren des oer: 
gangenen Jahrhunderts zerſtört wurde. Klinge dreimal gebrochen. Jetzt im 
Nationalmuſeum Dublin. Name: HARTOLFR; 

dazu das neue Stück aus Ballinderry II; Name: HILTIPREHT. 

Eine recht nützliche Zuſammenſtellung der Verbreitung einiger der 
Typen wikingerzeitlicher Schwerter in England und Schottland verdanken 
wir dem Direktor des London Museum, Wheeler, der eine kleine Mono- 
graphie!) über das wikingerzeitliche London und Britannien zur Wikinger⸗ 
zeit geſchrieben hat. Wheeler hält die Tupeneinteilung Peterſens 
für etwas zu weitgehend, wenigſtens ſoweit der britiſche Stoff in Srage 
kommt, und begnügt ſich mit 7 Typen. Das Schwert von Ballinderry II 
entſpricht feinem Typus IV, der auch von den äußeren hebriden belegt iſt 
und den er als „substantially Frankish”, mit der Blütezeit von 850—950, 
bezeichnet. Wie ſich die verſchiedenen Schwerter ſeiner Typen II (9. Jahrh.), 
V (jpätes 9. Jahrh.) und VI (frühes 10. Jahrh.) auf das großbritanniſche 
Wikingergebiet verteilen, zeigt deutlich ſeine Derbreitungsfarte auf S. 14. 
Kilmainham⸗Islandbridge erſcheint hier (die Karte enthält auch den Oſtrand 
Irlands) als wichtiger Fundort für feinen Typus II. Die Geſamtzahl der 
Schwerter aus dieſem Gräberfelde iſt ziemlich groß; Coffey und Urmſtrong 
bilden nur die prächtig verzierten Stücke ab, die ſich in folgender Weiſe auf 
peterſens Tupen verteilen: Typ D = Coffey-Armjtrong Taf. IV: 
3 und das Stück S. 112, Sig. 2; Typ E = IV: 4; Typ H = IV: 1,2; endlich 
Typ K = IV: 5 (das oben erwähnte Gegenjtüd zum Ballinderryſchwert). 
Aber auch die nicht abgebildeten Stücke ſchließen ſich mehr oder minder enger 
dieſen Tupen an, die Wheeler S. 32 „distinctively Norwegian“ nennt. 
Denn 350 Stücke dieſes Wheelerſchen Typs II ſtammen aus Norwegen, 
viele auch aus Schweden, keines aus Dänemark. Ihre Sunditellen auf den 
britiſchen Inſeln liegen an der Route der norwegiſchen Invaſionen und ſie 
fehlen in England, das damals von den Dänen, nicht den Norwegern, heim⸗ 
geſucht wurde. 

Die auf den erſten Blick vielleicht überraſchende Tatſache, daß die Namen 
auf dieſen Schwertern in lateiniſchen Buchſtaben, nicht in Runen, geſchrieben 
ſind, erklärt fic) alſo aus der fränkiſchen Herkunft dieſer Stücke. Die Runen: 
ſchrift war wohl bei den Wikingern noch im 9. Jahrhundert in Gebrauch — 
wir kennen 4 Runenſchriften aus Irland (R. A. 5. Macalister, The Archae- 
olory of Ireland, Condon 1928, S. 339) —, die Angeljadyjen hatten fie aber 
ſchon im 8. Jahrhundert ziemlich aufgegeben?) und die Franken ſchrieben 
natürlich erſt recht in lateiniſcher Schrift. Die Namen auf den Parierſtangen 
unſerer Schwerter ſind nämlich nicht die Namen der nordiſchen Krieger, 


No. 5 (1910), S. 113, Taf. IV: 5. — Die Funde von Islandbridge, Kilmainham, Royal 
Hoſpital und Kingsbridge gehören, wie die genannten Derfaljer dargetan haben, einem 
e uſammenhängenden Friedhofbereich von etwa / km Cängserſtreckung an. 
Nach dem 1815 der Schwerter ſcheint dieſer Gräberbezirk, der offenbar aus loſen Gruppen 
beſtand, zeitlich nicht weit über das Jahr 900 herunterzureichen. Man bezeichnet die Metro- 
pole am beiten als KRilmainham-Islandbridge. 

1) R. E. Mortimer Wheeler, London and the Vikings (London Museum Cata— 
logues I). London 1927. — Daſelbſt viel an älterer Literatur. 

2) Die von John Gage, Sepulchral Stones found at Hartlepool in 1855 (Archae- 
ologia 26, 1856, p. 479—482) beſprochenen und Taf. 52 abgebildeten Runeninſchriften, 
deren Namen er HILDDIGYTH und Hildithryth lieſt (wie fie ein heutiger Germaniſt 
leſen würde, weiß ich nicht; der zweite Name iſt gewiß weiblich) kommen für Namens— 
zuſammenhänge natürlich nicht in Stage. Gage met darauf hin, daß St. Hilda (f 680) 
in Hartlepool ein Kloſter ſtiftete. 


8] Ein Wikingerſchwert mit deutſchem Namen aus Irland 247 


die fie ſchließlich trugen, ſondern die der Waffenſchmiede oder ihrer Schule) 
und wir haben Grund anzunehmen, daß die Namen berühmter Schmiede 
auch auf Schwertern angebracht wurden, die weniger berühmten Wert: 
en entſtammen. Wir kennen einen gewiſſen + VLFBERH-+ (Ulfberht), 
eſſen Namen auf den Klingen zahlreicher Schwerter eingeſtempelt oder 
„damaszeniert“ iſt, die ſich vom Frankenreich und über Skandinavien?) bis 
ins oſtbaltiſche Gebiet?) verteilen. Dieſer Ulfberht hat zwiſchen 900 und 950 
irgendwo im Frankenreich gearbeitet. Die Schwerter des 9. Jahrhunderts 
tragen den Namen meiſt auf der Oberſeite der Parierſtange; gelegentlich 
erſcheint er aber auch auf der Vorderſeite derſelben, jo auf einem Schwert 
mit goldplattiertem Griff aus Grabhügeln mit Leichenbrand bei Buxtehude 
in Hannover der Name BENEDICT...I®). 

Auf meine Bitte hin hatte herr Profeſſor R. Much in Wien die große 
Freundlichkeit, mir brieflich folgende Kufſchlüſſe über die Namensform 
Hilti preht zu geben. Er ſchreibt: „Sie haben alſo gewiß recht, wenn Sie 
den Namen zu dem bei Schönfeld, Wörterbuchs) belegten Hildibertus 
ſtellen. Es iſt eine Frage für ſich und für unſeren Fall belanglos, wie man 
ſich das Verhältnis von preht, breht, ahd. brecht in Namen zu perht, 
berht jetzt bert (vgl. Albrecht: Albert) vorſtellt. Ein altgerm. berhta- 
„licht, hell, glänzend« ijt aus allen jüngeren Sprachen des Germaniſchen ge: 
ſichert, hat außerdem auch außergermaniſche Entſprechungen wie cumr. berth 
hübſch' aus ber(k)to. Die Form mit re ſtatt er betrachtet man wohl allge- 
mein als jüngere Entwicklung, wie ja auch aus aaj. beorht engl. bright 
geworden ijt. Da es aber auch ein mhd. Drehen 'aufleuchten, glänzen’ gibt, 
wo dieſe Stellung re alt ijt, wie weitere Verwandtſchaft zeigt, ließe ſich un— 
mittelbar zu einem alten Synonym brehta- neben berhia-, gelangen. Hier 
iſt das, wie geſagt, gleichgültig. Sehr bemerkenswert dagegen iſt die Tatſache, 
daß die Schreibung Hilti yrent den Namen einem beſtimmten Gebiet zuzu— 
weiſen geſtattet, und Ge mit voller Beſtimmtheit. Der Name iſt in diejer 
Geſtalt oberdeutſch, d. i. alemanniſch oder bairiſch (dabei Ofterreid) ein— 
geſchloſſen). Ich möchte bei Kollegen anfragen, ob etwas über Eiſeninduſtrie 
und Waffenausfuhr aus Schwaben oder Baiern im früheren Mittelalter bekannt 
iſt. Mir fällt hier Noricus ensis (aus Horaz?) ein und die Bemerkung des 
Annoliedes 389 dazu: Noricus ensis, daz diudit ein swert beierisch! 

Aus den vorſtehenden Erwägungen tupologiſcher und philologiſcher 
Natur wird es von vorneherein höchſt wahrſcheinlich, daß das Schwert einem 


1) Nur ausnahmsweiſe erſcheinen beide Namen auf einem Stück, ſo auf einem 
Seramaſax der zweiten hälfte des 9. Jahrhunderts aus Sittinabourne, der ſich im Britiſchen 
Muſeum befindet (K. A. Smith, British Museum: a Guide to the Anglo-Saxon and 
Foreign Teutonic antiquities, 1923, p. 95, Fig. 116). Der Eigentümer iſt Gebercht (viel: 
leicht Sigebereht), der Derfertiger nennt ſich BIORHTELM. 

e 2) Dal. Corange, l. c. S. 16, 64; Peterſen, l. c. S. 128, 152, 140, 141, 145, 149, 
51, 156. 

) Dal. die beiden wichtigen Beiträge Mar Eberts „Zu den Beziehungen der 
Ohfäeproninzen mit Skandinavien in der erſten hälfte des 11. Tabrbunderts“ und „Ein 
Schwert mit tauſchierter Klinge von Lümmada auf Dejel“ in: Baltiſche Studien zur Archä⸗ 
ologie und Geſchichte, hg. von der Geſellſchaft für Geſchichte und Altertumskunde der 
Oſtſeeprovinzen Rußlands (Arbeiten des Baltiſchen vorbereitenden Romitees für den 
XVI. archäologiſchen Rongreß in pleskau 1914). Berlin 1914, S. 117 139 und 147— 157. 

4) Altertüimer unſerer heidniſchen Dorzeit, IV, Taf. 60: 1. peterſen l. c. S. 109 
rechnet das Stück zu feinem Tup K, alſo zur gleichen Klaſſe wie unſere zwei iriſchen Stücke 
mit A Doch ijt es dann eine etwas abweichende Auspräaung des Tups. 

5) m. Schönfeld, Wörterbuch der altgermaniſchen Perjonen- und Dolfernamen. 
heidelberg 1911. 


248 A. Mahr 19 


Wikingerzug entſtammt und nicht etwa fränkiſche Ausfuhr nach Irland dar⸗ 
ng Es ijt eine merkwürdige Erſcheinung, daß die Kelten, deren Bewaffnung 
en gefürchteten hieb⸗ und Wurfwaffen der Nordmänner zweifellos unter: 
legen war und deren Chroniſten die ſchreckliche Wirkung dieſer Waffen ein⸗ 
dringlich beſchreiben, ſich nicht gleichartige Schwerter aus denſelben kontinen⸗ 
talen Werkſtätten zu beſchaffen wußten, aus denen die Wikinger ſie durch 
Raub und Handel bezogen. Regerer Verkehr mit dem Feſtlande beſtand ja 
ſchon durch die zahlreichen Wechſelbeziehungen, die die Geiſtlichkeit unter⸗ 
hielt, und die iriſchen Kleriker müſſen alſo viel gottgefälligere Leute geweſen 
fein, als manche ihrer teutoniſchen Amtsbrüder, die mit dem Schwerte be⸗ 
kanntlich recht gut umzugehen wußten. Die Seltenheit ſolcher Waffen in 
angelſächſiſchen Funden ſcheint auch zu beweiſen, daß die Wikinger den Schiffs⸗ 
verkehr ſcharf kontrollierten, beſſer geſagt: es lag ein guter Teil des Handels 
von vornherein in der Hand der Wikinger ſelbſt. Die Eigenart der damaligen 
Derhältnijje wird von Ebert (Zu den Beziehungen der Oſtſeeprovinzen Le, 
S. 123) mit treffenden Worten beleuchtet: „... die Wikinger ſind Krieger 
und Kaufleute, Seeräuber und Eroberer... Die dieſen Worten heute 
zugrundeliegenden Vorſtellungen treffen auf die Wikingerzeit nicht ganz zu. 
Der ſoziale Gegenſatz zwiſchen Kriegerſtand und Raufmannſtand im Mittel: 
alter exiſtiert in jener Zeit im germaniſchen Norden nicht. Neben Aderbau, 
Schmiedehandwerk und Jagd find Krieg und Handel, natürlich der Groß— 
handel, das einzige des freien Mannes Würdige. Eine ausgebreitete handels⸗ 
tätigkeit führte auf und über das Meer. Das war bei dem damaligen Juſtande 
der Schiffahrt ein gefährliches Unternehmen. Die Sprache unterſcheidet 
deshalb nicht zwiſchen Kaufmann und Seefahrer. Sie nennt beide farmadr 
(= Seefahrer)... Wo Handel, Krieg und Schiffahrt in einer Perſon ver⸗ 
einigt find, nicht ſelten in der Perſon eines Mächtigen, denn auch die Fürſten 
waren Kaufleute, da werden bei derſelben Gelegenheit oft handel und Krieg 
in einer uns befremdlich erſcheinenden Art gleichzeitig betrieben...” 

Da die iriſche Schmiedekunſt gerade damals auf einem Höhepunkt 
ſtand und der ſkandinaviſchen zweifellos nicht nur künſtleriſch, ſondern auch 
techniſch mindeſtens ebenbürtig war, bleibt es immerhin merkwürdig, daß 
die Iren ſolche Schwerter nicht wenigſtens nachahmten und auch ſpäter — 
ſoweit die Denkmäler einen Schluß zulaſſen — ihre Bewaffnung nicht gleich 
wirkungsvoll geſtalteten. Der Begriff „wirkungsvoll“ iſt hier natürlich von 
dieſen eindruckvollen ſkandinaviſchen Waffen abgeleitet. Denn ſchließlich 
ſind die Iren doch zuletzt dieſer Eindringlinge herr geworden. Es war alſo 
wohl mehr die ungewohnte Kainpfesweife, die den Nordmännern durch zwei 
Jahrhunderte ihre Erfolge ſicherte: die Seeherrſchaft und die Fähigkeit, überall 
ihre tüchtigen und flinken Schiffe zu zimmern, das blitzſchnelle Huftauchen, 
Leichtbeweglichkeit auch zu Lande, überlegene Taktik und die rückſichtsloſe 
Energie im entſcheidenden Augenblid, Eigenſchaften, die die iriſchen Anna- 
liſten immer wieder betonen und die den Eindruck lähmenden Entſetzens 
erklären, den die Wikinger überall, nicht nur in Irland, verbreiteten. Es 
wiederholte fic) hier offenbar ein ähnlicher Vorgang, wie er ſich bei den 
erſten Juſammenſtößen der Römer mit den Kelten und dann mit den Cimbern 
und Teutonen abgeſpielt hat. Neben dieſen kriegeriſchen Ereigniſſen gehen 
aber die friedlicheren Beziehungen einher, ganze Miſchbevölkerungen ent— 
ſtanden und allmählich verſiegte auch das Nachſtrömen unverbrauchter Ele— 
mente aus der Heimat. 

Der tiefe Eindruck, den der Wf gerſchrecken auf die Zeitger.offen 


10] Ein Wikingerſchwert mit deutſchem Namen aus Irland 249 


machte, wird unmittelbar gegenwärtig aus einem kleinen keltiſchen Vier⸗ 
zeiler am Rande einerfhandſchrift, die ſich jetzt unter den Schätzen der Kloſter⸗ 
bibliothek St. Gallen befindet. Es iſt die lateiniſche Grammatik Priscians, 
die ein Flüchtling von Irland herüberbrachte und der Ders lautet !): ‚Bitterfalt 
ſtürmt der Wind heute nacht, er peitſcht des Ozeans weißes Wellenhaar; 
nicht fürchte ich, daß die wütenden Norweger heute nacht auf der iriſchen 
See einherjagen.’ 

Daß ſolche Ceute auf den Beſitz guter Waffen geradezu erpicht waren, 
verſteht ſich von ſelbſt. Schon Karl der Große hat ſtrenge Edikte gegen den 
Verkauf von Waffen an die Normannen, Slaven und Awaren erlaſſen und 
in der Folgezeit hören wir des öfteren, „daß die Normannen, die in das 
Frankenreich eingebrochen waren, mit den geraubten Schätzen in den fränki⸗ 
ſchen Städten einen förmlichen Markt abhielten, um in den Beſitz fränkiſcher 
Waffen zu kommen“ (Ebert, l. c. S. 137). Ziehen wir nun die oberdeutſche 
Form des Namens Hilti preht in Betracht, fo erinnern wir uns unwillkür⸗ 
lich an das, was Lorange ſchon 1889 gejagt hat: „Par le Rhin et le 
Danube cette région (nämlich der Often des Sranfenreiches) a regu ses 
traditions de la Styrie, et son marché principal a peut étre été Duerstede 
pres de l’embouchure du Rhin, ville op les Vikings s’etablirent de bonne 
heute par concession des empereurs ... (S. 64) und „Un groupe (nämlich 
von Schweſtern) orientale (ou austrasien) aurait été chercher son acier en 
Styrie ou plus tard a Siegen, et ce metal travaillé à Passau ou Solingen 
aurait gagné la mer par le Danube et le Rhin . . . (S. 80). 

So iſt alſo ganz gewiß unſer Schwert durch die Hand eines heidniſchen 
Wikings wieder in den Beſitz eines Chriſten, diesmal eines keltiſchen Chriſten, 
gekommen. 

Sehen wir nun zu, ob die hiſtoriſchen Nachrichten uns erlauben, an 
ein beſtimmtes Ereignis anzuknüpfen). 

Das erſte Auftreten der Wikinger auf iriſchem Boden fällt um das 
Jahr 795. Schon 793 war das berühmte northumbriſche Kloſter Lindisfarne 
von ihnen verwüſtet worden. Wenig ſpäter tauchen ſie, längs der ſchottiſchen 
Weſtküſte herabkommend (wo fie Skue plünderten), in der iriſchen See auf 
und brennen die Kirche einer Inſel nieder, die offenbar das heutige Lambay 
(Camb⸗ey = Schafsinjel), etwas nördlich der Dublin Bau, ijt (ſ. die Karte 
Abb. 5). Don da ab find fie durch zwei Jahrhunderte der Schrecken aller 
Länder des nordweſtlichen Europas und darüber hinaus. Im Jahre 807 
beſetzen fie die Inſel Iniſhmurrau vor der Rüſte von Sligo und machen von 
da aus Streifzüge tief nach Roscommon hinein. Huch im Süden erſcheinen 
ſie, ſo 811 in Münſter. 

Waren das alles erſt noch vereinzelte Überfälle geweſen, ſo beginnt 
um 832 mit der Feſtſetzung des berühmten Wikings Thörgeſtr (von den 

1) Thesaurus Palacohibernicus, ed. Stokes und Strachan, II, 290. 


) Eine gute Überſicht der Geſchichte Irlands zur Wikingerzeit bietet neuerdings 
das Büchlein von A. Walſh, Scandinavian Relations with Ireland during the Viking 
period. Dublin 1922 (daſelbſt die ältere Literatur). Wichtige Vorarbeiten haben A. Bugge 
(Contributions to the history of the Norsemen in Ireland, Chriſtiania 1909 und Bidray 
bidet sidste Afsnit af Nordboernes historie i Irland [Aarbeger for Nordisk Oldkyndirched 
og Historie 1904, p. 248—315]), ſowie W. G. Collingwood (Seandinavian Britain, 
London 1908, Society for the Promotion of Christian Knowledge 1908) qeletitet. Sürs 
8 1 ſind Carl J. S. N und h. Zimmers Arbeiten wichtig. Die Urchä⸗ 
ologie zuſammenfaſſend bei R. A. S. Macaliſter, The Archaeology of Ireland, London 
1928, 331—343. 


250 fl. Mahr 111 


Iren Turgeis genannt) in Armagh die planmäßige Niederlaſſung. Um 834 
finden wir fie überall feſt an den Küften eingeniſtet, beſonders an den Fluß⸗ 
mündungen, von wo fie ſtromaufwärts die Niederlaſſungen brandſchatzen 
konnten. 


N 


8 N V 
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Inishmurray nE ch ` 
S SD N 


„ARMAGH 


A 
~~ 8 imerick 
Askeaton 


2 Sainte VGlerior, 


Abb. 5. 


Thörgeſtr warf ſich zum König der Wikinger auf. Auf Lod) n’Each 
(Cough Neagh) und Coch Ree unterhielt er Flotillen, um die reichen Kloſter— 
niederlaſſungen der Umgebung heimzuſuchen. Dieſe haben im alten Irland 
etwa die Rolle der ſpäteren Städte geſpielt. Damals traten nun die Dor: 
läufer dieſer Städte ſelbſt als feſte Wikingerniederlaſſungen ins Leben: 
856 Dublin, 840 Linn Duachaill (zwiſchen Drogheda und Dundalk), Limerick, 
bald auch Waterford und Wexford. Vorher waren dieſe Orte wohl nur 


12] Ein Wikingerſchwert mit deutſchem Namen aus Irland 251 


„raths‘‘ (ring-forts, vgl. Argentoratum), der einheimiſchen Bevölkerung ge: 
weſen. 844 oder 845 bemächtigte ſich Mael-Shechlainn (Maelſechnaill), 
als I. dieſes Namens ſpäter drd-rt (Hoch⸗König) von Irland, Thörgeſtrs 
durch eine Kriegsliſt und ließ ihn ertränken. 

Die Iren erzielten mehrere Erfolge über die Norweger, die ſeit 849 
auch mit den däniſchen Neuankömmlingen zu kämpfen hatten; dieſe plün⸗ 
derten 851 die norwegiſchen Plätze Dublin und Dundalk und ſiegten in der 
dreitägigen Seeſchlacht in Carlingford Coch. 

Ragnarr Lodbrdéfs Geſchlecht regierte aber doch ſeit 852 oder 853 in 
Dublin und die Flottenſtreifzüge erſtreckten ſich über den ganzen Weſten 
Großbritanniens. Dieſer norwegiſchen Zeit Dublins gehört zweifellos das 
Gräberfeld von Rilmainham⸗Islandbridge an, beiläufig bemerkt der einzige 
Friedhof, den wir kennen. Die Wikingerzeit iſt ſonſt nur durch Einzelfunde 
vertreten. Das hängt nun zum Teil gewiß mit der noch ungenügenden 
archäologiſchen Erſchließung des Landes zuſammen. Dielleicht hat aber 
1 (J. c. S. 338) recht, wenn er meint, daß die Eindringlinge ſtets 
ſehr bald die iriſchen Gewohnheiten und Gebräuche (dann wenigſtens in 
allen friedlichen Beſchäftigungen!) annahmen, die Sundarmut alſo nur 
ſcheinbar ijt. Denn fo chaotiſch die Zuftände nach den zeitgenöſſiſchen Berichten 
ſich darſtellen, ſo war doch gerade das 9. Jahrhundert eine der Blütezeiten 
iriſcher Kunft und Kultur’). 

Schon zu Thörgeſtrs Zeit hat ein äußerſt fruchtbringender Hustauſch 
von Kulturgütern eingeſetzt und es entſtand durch Heiraten?) eine ganze 
Miſchbevölkerung, die ſich bald auf die eine, bald auf die andere Seite ſchlug. 
Damals begleitete der iriſche Prinz Lorcan, König von Meath, die nor: 


wegiſchen Seekönige Oldfr und Ivarr, die als Ragnarr Lodbröts Söhne 
gelten, auf ihrem Räuberzuge zu den Königsgräbern von Newgrange, Dowth 
und Knowth. Dieſe Grabſchändung in der ſeit der Bronzezeit geheiligten 
altiriſchen Rönigsnekropole am Boynefluß hat bei den Iren einen unaus— 
löſchlichen Eindruck hinterlaſſen. Noch heute gilt dem Volke jedes deutliche 
Anzeichen gewalttätiger Graberöffnung oder von Jerſtörung überhaupt, ſoweit 
ſie nicht anglonormanniſch iſt, als ein Beweis für das Wüten der Dänen. 
Wir haben aber geſehen, daß die Hauptrolle dabei eher den Norwegern zufiel ). 

Don 785—913 herrſchten ruhige Verhältniſſe, da die Norweger mit den 
Dänen und beide unter ſich beſchäftigt waren. Die Wikingerzüge hatten 
vielfach in heimiſchen Streitigkeiten ihren Grund und ſolche pflanzten ſich 
natürlich in die eroberten Länder fort. Das große Hochkreuz der Kloſter— 


1) Über die unverwüſtliche Lebenstraft der Galen gerade in dieſer Zeit val. 
W. Bremer, Die Stellung Irlands in der europäiſchen Vor- und Srühgeſchichte (Seſt— 
ſchrift des Röm.⸗Germ. Central: Muſeums zu Mainz, 1927, S. 171ff.). 

*) Beſonders auch ſeitens der herrſchenden Klaſſen, um die Unſprüche des Schwertes 
durch Samilienbeziehungen zu legitimieren. Oft genug waren iriſche Clanhäuptlinge oder 
Stammeskönige mit ihren germaniſchen Gegnern verſchwägert oder gar blutsverwandt. 
Genau das gleiche „Einheiraten“ in die legitime Erbfolge durch tatkräftige Eroberer hat 
ſich abgeſpielt, als die Catenetelten ſich in die matriarchaliſche Geſellſchaftsordnung des 
vorariſchen Irlands eindrängten. Derlei wiederholt ſich immer bei Uſurpatoren. 

3) Die Iren unterſchieden ſcharf zwiſchen den Dänen, die fie meiſt „ſchwarze Fremde“ 
(Dubh-ghaill) nannten und den Norwegern, die fie als „blonde Fremde“ (Fionn-ghaill) 
oder als Lochlannaigh (Leute von Cochlann-Norwegen) und anderweitig bezeichneten. Der 
June Samilienname J.oyle (aud) Mac Dionell) geht auf den Namen für die Donen, Mar 

ughlin wohl auf den für die Norweger zurück. Andere Namen, die noch aus dieſer Zeit 
überleben, find Mac Aulijfe (Olaft), Muc Iver (Ivarr), Mac Manus (Magnus). O Higgins 
(Witing) ufw. 


252 A. Mahr, Ein Wikingerſchwert mit deutſchem Namen aus Irland [13 


ſiedlung Clonmacnoiſe (errichtet 914) bewahrt die Erinnerung an diefe 
Zeit, in der die Wikinger (902— 916/19) ſogar aus Dublin weichen mußten 
(Endtermin der Nekropole Rilmainham-Islandbridge?). Das Jahr 919 
bringt den Höhepunkt der Wikingerherrſchaft. In jeder RKüſtenſtadt ſitzt ein 
nordiſcher Kleinkönig, in den Seen waren ganze Flotten ſtationiert, von 
920—950 ijt das Rönigreich Dublin mit dem ſkandinaviſchen Königreich 
Northumbria eng verknüpft. 

Wir übergehen das wirre Hin und Her, das nach dieſer Zeit den Nieder⸗ 
gang der Wikingerherrſchaft bezeichnet. Der Sieg des Hochkönigs Mael⸗ 
Shechlainn's II. bei Tara, dem Sitz der Hochkönige (980) und der Sieg Brian’s 
(der ihn ſtürzte und beerbte) in der berühmten Schlacht von Clontarf (1014), 
nach deren Ende er ſelbſt erſchlagen wurde, brachen endgültig die Macht der 
Nordmänner. Don da ab wurden fie langſam aſſimiliert und hielten ſich 
als eigene Bevölkerung unter kleinen Scheinkönigen nur in einigen Küſten⸗ 
ſtädten bis zur engliſchen Invaſion 1169. Sie haben unverwiſchbare Spuren 
im Lande hinterlaſſen. 

Um nun unſer Schwert von Ballinderry II in dieſen Zufammenhang 
einzureihen, bieten ſich zwei Möglichkeiten. Das Stück kann den Shannon 
aufwärts, von Limerid gekommen fein. Schließt dieſer Fluß doch von feiner 
Trichtermündung bis hoch in den Norden das ganze Innere in geradezu idealer 
Weiſe durch eine ganze Perlenkette von Seen auf, die er durchſtrömt und die 
mit unzähligen Inſeln ebenſo viele Schlupfwinkel boten. Hochberühmte 
reiche Klöſter und Abteien wie Ardad) (Ardagh), Clonfert, Clonmacnoiſe 
luden da zu Beſuchen ein. Wir haben ſogar von Asfeaton, am unteren Shannon, 
ein Wikingerſchwert (Nationalmuſeum Dublin). Doch ijt es ein etwas jüngerer 
Typus als Ballinderry II, vom Ende des 9. Jahrhunderts. Cimerick (nordiſch 
Hlymrek) wurde wohl zu Thörgeſtrs Zeit gegründet, war aber erſt im 
10. Jahrhundert wichtig und Hauptort eines däniſchen oder däniſch-nor⸗ 
wegiſchen Reiches. 

Da erſcheint es mir näherliegend, unſer Schwert aus der Mitte des 
9. Jahrhunderts mit einem hiſtoriſchen Ereignis in Zuſammenhang zu bringen, 
das gut bezeugt ijt. Thörgeſtr nuterhielt, wie wir geſehen haben, etwa 
zwiſchen 839 —845 eine Slotte auf Lod) Ree. Während dieſer Zeit hat ſich 
ein Raubzug nach dem unfern gelegenen Clonmacnoiſe abgeſpielt, von dem 
uns berichtet wird, daß Thoͤrgeſtrs Weib Audr (iriſch Ota) die Kathedrale 
in einen heidniſchen Tempel umzuwandeln trachtete und vom Hochaltare 
aus ihre „oracular responses (a frecartha)" gab!). Dieſer Zuſtand dauerte 
3 Jahre und endete 844 oder 845 durch den Untergang Thorgeftrs. 

Nun iſt die Entfernung zwiſchen unſerem Crannog von Ballinderry II 
(den man angeſichts feiner relativen Kleinheit, der offenkundigen architekto⸗ 
niſchen Sorgfalt und der Nähe des großen Crannoges J ungezwungen als 
eine ſtrategiſche Sicherung des letzteren auffallen kann) nur 22 km in der 
Luftlinie. 

Es war alſo wohl einer von den Mannen Thörgeſtrs oder Audrs ſelbſt, 
der dieſes Schwert mit ſich gebracht hat. 

Wie es dann in den Beſitz der Kelten kam, ob durch Handel oder als 
Beuteſtück, das auszumalen, iſt nicht mehr Sache der Urchäologie, ſondern 
der Phantaſie. 

1) Walſh, I. c. S. 2 nach Cogadh Guedheal re Gullaibh (The War of the Gaedhil 
with the Gaill) ed. J. H. Todd. London 1807. 


2. Zuſammenfaſſungen. 
a) Aus der Urgeſchichte des Menſchen. 


Die Kultur des Heanderthalers. 


Von Eduard Beninger. 


Es iſt nicht leicht, ſich aus der heutigen Literatur ein einheitliches Bild 
über die Neanderthalerkultur 17 verſchaffen. Die Meinungen der Fachleute 
gehen fo weit auseinander, daß dem klußenſtehenden oft Zweifel ob der 
gejunden Baſis der N aufſtoßen. Jedem Bemühen, eine 
„objektive“ Darſtellung zu geben, die alle Anſchauungen zu Wort kommen 
läßt, ſetzen ſich unüberbrückbare Schwierigkeiten entgegen. Daraus erklärt 
ſich auch, warum in den gangbaren Handbüchern immer wieder dieſelben 
typologifchen Exkurſe vorgebracht werden. Nun ijt es aber gerade mit der 
ausſchließlichen tuypologiſchen Chronologiebeſtimmung bei der Breitklingen⸗ 
kultur ſehr ſchlecht beſtellt. Und es liegt eigentlich in der Natur der Sache, 
daß die typologijdhen Normen, die zur Handhabung geboten werden, doch 
erſt aus der ſtratigraphiſchen Sachlage geſchöpft werden müſſen. Die Formen⸗ 
lehre ijt das ſtereotype Ablejen der Adjettiva; fie iſt nichts anderes als der 
Verſuch, die grundſätzlichen Probleme ausſchmückend zu umſchreiben; fie 
iſt die Wiſſenſchaft, die gegebenen Tatſachen noch irgendwie anders verſtänd⸗ 
lich zu machen und zu charakteriſieren. Es ſcheint, als ob heute noch dieſe 
Seite der Diluvialforſchung die Prähiſtoriker am meiſten intereſſiert. Im 
folgenden ſoll verſucht werden, den Stand der Forſchung in den wichtigſten 
Punkten zu präziſieren. 

Die im Jahre 1856 in der Seldhofener Grotte im Neandertale bei Düſſel⸗ 
dorf aufgefundenen menſchlichen Stelettrejte boten die entſcheidende Der: 
anlaſſung zur Erkenntnis einer diluvialen Menſchenraſſe. Nach der in den 
Naturwiſſenſchaften geübten Schaffung von Nomenklaturen erhielt ſie den 
Namen nach dem Fundort, alſo homo neanderthalensis. (Das th erklärt 
ſich aus der damaligen Orthographie. Es iſt daher richtig zu ſagen: Die 
Neanderthaler Schädelkalotte ſtammt aus dem Neandertal.) Die nachträgliche 
Bezeichnung homo primigenius wurde merkwürdigerweiſe gerade von den 
Deutſchen aufgebracht (ſie iſt heute natürlich ſachlich nicht mehr zu halten) 
und wurde durch die Autorität von Schwalbe in der deutſchen Literatur 
gebräuchlich, während in der ausländiſchen Literatur die normale Benennung 
homo neanderthalensis weitaus überwiegt. 

In Mitteleuropa ijt die Breitklingenkultur die bisher älteſte, fie ijt 
gleichzeitig mit der älteſten Fauſtkeilkultur in Weſteuropa anzuſetzen. Bezüg: 
lich der relativen Chronologie können wir nur Kufſchlüſſe aus der geologiſchen 
Lagerung erwarten. Als ſicherſten Ausgangspuntt nehmen wir nicht die 
unvermiſchte Anfangsfultur, ſondern die Miſchkultur Mouſtérien. 

Eine von allen Forſchern übereinſtimmende geologiſche Sixierung der 
eiszeitlichen Neanderthalerkultur (der Miſchkultur Mouſtérien) ijt bis jetzt 


254 Eduard Beninger [2 


ert in Südeuropa geglückt, dagegen noch keineswegs in Mitteleuropa, wo 
die betreffenden Profile die verſchiedenſten Interpretationen erdulden müſſen. 
Beginnen wir daher mit Spanien, und zwar mit dem wichtigen Aufriß von 
Caſtillo. Dort finden ſich zwei durch eine Warmzone voneinander getrennte 
Renhorizonte. Alle Forſcher ſind ſich darüber einig, daß hier das Profil die 
Abfolge Rikeijenzeit— Rikwürminterglazial— Würmeinszeit repräſentiert. Da 
hier die Mouſtérienſtraten in der unteren Kaltzone liegen und in die Warm: 
zone hineinreichen, ijt in Südeuropa die Neanderthalerkultur einwandfrei in 
Riß und Rißwürm fixiert. 

Anders wird die Situation in Mitteleuropa beurteilt, wo der Sirgen- 
Hein zur Diskuſſion ſteht. Auch hier finden fic) zwei Nagetierſchichten, die 
voneinander durch einen Horizont mit Waldfauna getrennt find. Sieht man 
in Caſtillo die Hochitände zweier Vereiſungen vertreten, fo erkennen die deut— 
ſchen Geologen und Obermaier die Beweiskraft der gleichen Situation im 
Sirgenſtein nicht an. Ihre Gründe dafür ſind die, daß ſie der Gleichſetzung 
einer Nagetierſchicht mit einer Eiszeit, obwohl fie immer nur mit Mouſtérien 
und Magdalenien verankert auftritt, nicht zuſtimmen; oder daß ſie, durch 
das Auftreten des elephas antiquus in Südeuropa während Rißwürm beſtärkt, 
eine ausgeſprochen interglaziale Sauna auch für dieſelbe Zeit in Mitteleuropa . 
verlangen und demnach auch die Vertretung des Penckſchen Rißwürm⸗ 
interglazials durch die Cößverlehmungszone der KHurignacſchwankung be: 
ſtreiten. Dadurch, daß die deutſchen Geologen die untere Nagetierſchicht 
von Sirgenſtein nicht als Riß anerkennen, kann Obermaier nicht überzeugt 
werden, daß die Warmſchicht von Caſtillo mit Moujtsrien gleichzeitig ſei 
mit der flurignacſchwankung von Sirgenſtein und demgemäß das Mouſtérien 
auch in Mitteleuropa in Riß fixiert wäre. 

Es kommt alſo nur noch in Betracht, ob es in Mitteleuropa eine ein 
wandfrei als Riß datierte geologiſche Schicht gibt, die eine Kultur enthält, 
die als Mouſtérien angeſprochen werden könnte. Dafür darf Markkleeberg 
herangezogen werden, das von allen Geologen nie eine andere Klaſſifizierung 
als Riß erhielt. Leider läßt ſich aber gerade hier keine Einheitlichkeit bezüglich 
der tupologiſchen Klaſſifizierung erzielen. Die Induſtrie mit klaſſiſchen Hand- 
ſpitzen und ſchönen Säufteln wurde von den franzöſiſchen Tupologen, früher 
auch von Obermaier als Mouſtérien angeſprochen. Da Obermaier das 
Mouſtérien in Mitteleuropa nicht in Rif fixiert, bezeichnet er jetzt Markklee⸗ 
berg als Prämouſtérien. Aud) Soergel hält es für älter als Taubach; Wiegers 
nennt es Acheuléen, damit er nicht gezwungen iſt, das eiszeitliche Mouſtérien 
dem mit warmer Sauna nachfolgen zu laſſen. Man kann alſo die Gleich— 
ſetzung von Markkleeberg mit der unteren Nagetierſchicht von Sirgenſtein 
nur umgehen, wenn man Sirgenjtein jünger als Riß macht. Anerfennt man 
die Beweiskraft der unteren Nagetierſchicht von Sirgenſtein für Riß, dann iſt 
dieſe mit Markkleeberg gleichzeitig und ſomit auch die Induſtrie von Mark— 
kleeberg ein Mouſtérien, wie dies Bayer annimmt. 

Demnach muß alſo folgendes Reſumé abgegeben werden. Obermaier 
nimmt eine Fixierung des Mouſtérien in Rif nur in Südeuropa an, hält es 
alſo hier für älter als in Mitteleuropa: nach ihm rückt der Neanderthaler 
von Südeuropa in der Kichtung gegen die Expanſion der Eismaſſen vor, 
Io daß er Mitteleuropa im Rikwürm erreicht. Das ijt für ihn deshalb möglich, 
weil er 1. die untere Nagetierſchicht von Sirgenſtein nicht mit Rik identifiziert 
und 2. weil er Markkleeberg typologijd) als Prämouſtérien klaſſifiziert. Dieſe 
zwei Stützpunkte ſind auch für die deutſchen Geologen zur ähnlichen 


> 


3] Die Kultur des Neanderthalers 255 


Beurteilung der Situation maßgebend. Bei ihnen tritt aber noch folgendes 
Argument hinzu. Sie parallelifieren jeden Löß mit einem Hodjtand der 
Dereifung, Cöß I alſo mit Riß. Da das Mouſtérien erſt nach Cöß I folgt, 
fixieren fie Acheuléen II ins Riß, worauf nach ihrem Schema das warme 
Mouſtérien und endlich die eiszeitliche Miſchkultur käme. Daher legen Soergel 
und Wiegers Taubach und Krapina ins Rißwürm. Dagegen klaſſifiziert 
Bauer das einwandfrei rißzeitliche Markkleeberg mit Mouſtérien und fixiert 
die untere mouſtérienführende Nagetierſchicht von Sirgenſtein mit Riß. Da 
das Ilmien für ihn ins Mindelriß fällt, in Caſtillo das Mouſtérien aber noch 
ins Rißwürm hineinreicht, leitet er die Ausbreitung der Neanderthalraſſe 
von Mitteleuropa nach Südeuropa, wo ſie ſich teilweiſe noch bis in die Warm⸗ 
phaſe hält, als in Mitteleuropa bereits der Hurignacmenſch herrſcht. 

Wir können die Neanderthalerkultur bis in die große Zwifcheneiszeit 
(MR.) zurückverfolgen. Freilich ſtoßen wir auch hier auf Meinungsverſchieden⸗ 
heiten der Forſcher. Soergel trennt Taubach und Chelléenhorizont, da er 
Taubach ins Rißwürm ſetzt; für ihn gibt es ſogar eine dritte Warmzeit, reprajen- 
tiert durch Mauer. Deshalb führt er auch die hupothetiſche Günseiszeit 
Pends noch weiter, um die drei Zwifcheneiszeiten Mauer, Chelléen und Taubach 
placieren zu können. Anders Wiegers, der bei drei Eiszeiten natürlich 
keinen Platz für eine eigene Mauer⸗Zwiſcheneiszeit hat. Bei ihm wird Mauer 
daher präglazial. Für die Einſchaltung von Mauer, Chelléen und Taubadı 
in eine Zwijcheneiszeit ſpricht nach Bauer die engliſche Cragſerie, die nach 
demſelben Gewährsmann die ſcheinbaren fauniſtiſchen Widerſprüche von 
Mauer und Chelléenhorizonten durch das Auftreten der Etruscusfauna und 
Antiquusfauna beſeitigt. Mauer repräſentiert eben das frühe, Chelléen das 
ſpäte Stadium der großen Zwiſcheneiszeit. Die Fixierung von Taubach ins 
Rißwürm erfolgt von ſeiten jener Sorjcher, die das Mouſtérien mit warmer 
Sauna konſe quent dem mit kalter Fauna nachfolgen laſſen, obwohl gerade im 
Profil von Taubach die furignacſchwankung dem Fundniveau überlagert 
ijt. Aud) Obermaier ſteht auf dem Standpunkt, daß das warme Mouſteérien 
Spaniens älter ſei als das kalte in Weſteuropa, während Bayer die tupo— 
logiſch gleichſtehenden Kulturen im Süden für jünger hält, Caſtillo alſo die 
Sortſetzung von Taubach darſtellen muß. 

Die obere Abgrenzung der Neanderthalerkultur erfolgt in jener Zeit, 
in der ſich ein Hiatus innerhalb der europäiſchen Diluvialkulturen fühlbar 
macht. Es ijt dies die Zeit der Entſtehung von Log II, aus der nur unſichere 
und atupiſche Klingen bekannt ſind. Soergel und Werth verlegen allerdings 
das Moufterien in Cöß II, da fie ja Acheuleen II im Riß fixieren. Eine zeit— 
lang ſchien es, als ob das Aurignacien bis in jene zweite Lößphaſe hinabreiche. 
Deranlafjung dazu gab der Sirgenſtein. Nun hat es aber hier mit der Ab- 
trennung der Mouſtérienſchichten von den Kurignacſtraten eine eigene 
Bewandtnis. Im Profil von R. R. Schmidt trennt die untere Nagetierſchicht 
die herdzone VII mit Mouſtérien von der herdzone VI mit „Srühaurignacien“, 
die aljo der Niageterſchicht knapp aufgelagert ijt und bis zur Herd3zone II mit 
Solutreen in eine zuſammenhängende Lehmſchicht (e) fällt. Nun zeigt ſich 
aber, daß die Baſis diefer 6-Schicht noch Lemminge enthält, alſo fauniſtiſch 
ſehr an die Rißfauna ſich angliedert. Das ſpricht ſchon gegen die Klaſſifizierung 
der Herdſchicht VI als Aurignacien. Schaut man ſich hierauf die Artefakte 
an, fo wird man im archäologiſchen Material keine zwingenden Anhalts- 
punkte für die Klingenkultur finden (val. Bayer, Der Menſch im Eiszeit: 
alter I, S. 68, 1927). Sirgenſtein VI dürfte alſo noch dem Moujterien 


256 Eduard Beninger [4 


zugehörig fein. Stimmt dies, jo gehört der große Trennungsſtrich nicht wie 
bei R. R. Schmidt zwiſchen die herdzonen VII und VI, ſondern zwiſchen VI 
und V, da erſt Herdzone V (feine Lemminge, Auftreten des 1 das 
Aurignacien enthält. Die Deutung der herdzone VI als Frühaurignacien 
durch R. R. Schmidt hat Bayer früher veranlaßt anzunehmen, daß ein 
Uraurignacien auf die weſteuropäiſche Fauſtkeilkultur gedrückt habe und fo 
eine mitteleuropäiſche Breitklingenkultur entſtanden ſei. Heute ſprechen 
aber alle Erwägungen dafür, daß der Cromagnonmenſch ert in der flurignac⸗ 
ſchwankung aus dem Oſten nach Mitteleuropa eingewandert iſt (Willendorf 
reicht mit den Stufen 1—4 in die Göttweiger Derlehmungszone). Es erreicht 
alſo das Mouſtérien nur in Südeuropa den letzten Eisvorſtoß, während in 
Mitteleuropa die obere Nagetierſchicht bereits den Hurignacmenſchen aufzeigt. 

Bezüglich der ſchwierigen Frage der Genetik der Neanderthalerkultur 
wollen wir uns nur kurz äußern. Neuerdings liegt eine intereſſante Beant⸗ 
wortung von Obermaier vor. Er nimmt zwei verſchiedene Urſprünge für 
das Mouſtérien an: das Kleinmouſtérien und das 5 8 mit Adjeuléen- 
morphologie. Seine Husführungen über das Kleinmouſtérien decken ſich mit 
unſeren Unſichten über das Ilmien, während fein Mouſtérien mit Acheulsen= 
morphologie doch nur die ſpätere Vermiſchung der Fauſtkeilkultur und Breit⸗ 
klingenkultur ſein könnte, der Vorläufer der ſpäteren Miſchkultur Mouſtérien. 
Aud) zwiſchen der Neanderthalerkultur und der jungpaläolithiſchen Klingen⸗ 
kultur werden verwandtſchaftliche Beziehungen vermutet, beſonoers von 
O. Menghin. Unſerer Anſicht nach nimmt der Neanderthaler eine iſolierte 
Stellung innerhalb der Diluvialkulturen ein, nicht nur vom Standpunkt euro⸗ 
päiſcher Verhältniſſe aus geſehen. 

Was die Typologie der verſchiedenen Entwicklungsſtufen der Neander⸗ 
thalerkultur betrifft, ijt es angezeigt, an fixen Nomenklaturen feſtzuhalten. 
Das eiszeitliche Mouſtérien ijt bekanntlich eine Miſchkultur, deren Kompo- 
nenten die Sauftfeilfultur und die Breitklingenkultur liefern. Die unver: 
miſchte Breitklingenkultur mit warmer Sauna wird am beiten mit Ilmien 
bezeichnet, denn der Name „Prämouſtérien“ wirkt deshalb ſtörend, weil 
damit gerade die unvermiſchte Breitklingenkultur ſinnwidrig gekennzeichnet 
wäre. Der Tupenſchatz des Ilmien iſt nur negativ beſtimmbar. Damit gewinnt 
die Bezeichnung „fauſtkeilfrei“ tiefere Bedeutung, da das einzig Poſitive 
die ausſchließliche Wahl breiter Klingenabſchläge darſtellt. Während alſo 
die Haupttypen der Saujtfeilfultur aus einem Kernjtüd gearbeitet find, ſchlägt 
der Neanderthaler vom Knollen erſt breite Klingen ab, um dieſe dann erſt 
zu bearbeiten. In Ehringsdorf finden ſich nun Klingen, die eine ſo weit 
vorgeſchrittene Bearbeitung zeigen, wie ſie ſpäter im Mouſtérien nicht mehr 
anzutreffen iſt. Dagegen ijt im Ilmien keine einzige Breitklinge als Prototyp 
des klaſſiſchen Racloirs anzuſprechen. Dieſer entwickelt ſich ert im Gefüge 
des Spätacheuléen. Es ijt überhaupt verfehlt, im Ilmien alle Typen der 
Miſchkultur Mouſtérien vorgebildet ſehen zu wollen. Denn die älteſte Neander— 
thalerkultur zeichnet ſich gegenüber den Hochkulturen der Fauſtkeilträger 
und der Cromagnonmenſchen gerade durch ihre Typenarmut aus. Es ijt 
heute nicht mehr daran zu zweifeln, daß der Neanderthaler die „primitivite 
Menſchenraſſe“ des Diluviums darſtellt. Wenn ihm und feiner Kultur ein 
Erfolg beſchieden war, fo iſt dies feiner konſtitutionellen Unpaſſungsfähigkeit 
an das eiszeitliche Klima des Mouſtiervorſtoßes (Rif) zuzuſchreiben. 

Dermijdungen der Fauſtkeil- und Breitklingenkultur zeigen ſich ziem- 
lich zeitlich, ſchon gegen Ende des großen Interglazials (wie ich dies an der 


5] Die Kultur des Meanderthalers 257 


Induſtrie von Krapina ausführlich gezeigt habe). Geſchloſſene Vorſtöße 
gelingen der Saujtfeilfultur aber erſt in der Zeit ihrer Acheuleenausprägung. 
Der Einfluß der Fauſtkeilkultur auf die Breitklingenkultur kann ſich äußern: 
in der Übernahme der Oberflächenretuſche; in der Ausbiltung der Breit- 
klinge mit Schaberfante zum Racloir durch UAnpaſſung an den lanzeloiden 
Säujtel des Acheuléen; in der Annäherung der Handſpitze an den geſpaltenen 
Fauſtkeil; und in dem ſchon verhältnismäßig zeitlichen Aufnehmen des Fäuſtels 
ſelbſt (Markkleeberg !), der zwar niemals die Form der Adheuléengenetif 
gewinnt, ſondern nur den gröberen Dorjtufen nachſtrebt. Die erſten Einflüſſe 
der Breitklingenkultur in die klaſſiſche Fauſtkeilkultur zeigen ſich am beſten in 
den Levalloistendenzen. Bei dieſen Überſchneidungen ſiegt aber jedenfalls 
immer die Breitklingenkultur, ſicherlich vor allem wegen des Fortbeſtehens der 
Neanderthalraſſe, die die höher ſtehende Fauſtkeilkultur verarbeiten konnte. 
Über die genetiſche Zuteilung eines Artefattes jagt die Retuſche nichts Ent: 
ſcheidendes aus, fie kann nur den Niederſchlag fremder Einflüſſe nachweiſen. 
Die beiderfeitige Bearbeitung, die totale Übermuſchelung der Oberfläche 
ſtammt gewiß aus der Fauſtkeilkultur, wird aber vom Neanderthaler raſch 
aufgegriffen. 

Eine reinliche Abgrenzung ijt bei der Bezeichnung Primitivmouſtérien 
geboten. Dieſes iſt nämlich ein chronologiſch fortgeſchrittenes Stadium der 
Miſchkultur Moufterien, jedoch mit techniſchem Rückſchritt (3. B. im Sirgen- 
ſtein). Das „Prämouſtérien“ liegt ihm alſo weit voraus. 

Das klaſſiſche Acheuléen ijt in Mitteleuropa nicht mehr vertreten. Es 
iſt ein Derdien|t von R. R. Schmidt, daß er Karſtſtein und Hundisburg (die 
Hauptſtützpunkte der Anſichten eines mitteleuropäiſchen Acheuléen) als 
Pſeudoacheuléen kennzeichnete. Sie Wellen Miſchprodukte dar und find als 
ſolche zu werten. Den ſtärkſten Einfluß der Saujtfeilfultur auf die mitteleuro— 
päiſche Breitklingenkultur met die KAlauſenniſche auf. Obermaier nimmt 
für die „überraſchende Schönheit dieſes Spätacheuléens“ öſtliche Einflüſſe an, 
da fie in Frankreich „keine unmittelbaren Parallenen beſitzt“. Unſerer Anficht 
nach iſt dies auch nicht zu erwarten. Weſteuropa liefert in dieſer Zeit bei 
Überſchneidungen der beiden Kulturen eine Fauſtkeilkultur unter Beeinfluſſung 
der Breitklingenkultur, während die Klauſenniſche den Einfluß der Fauſt— 
feilfultur auf die Breitklingenkultur zeigt. Röſten, das Obermaier ebenfalls 
für dieſe Beurteilung heranzieht, konnte ſchon deshalb nie eine Rolle ſpielen, 
da das Fehlen eines Profiles und auch jeglicher aufklärender Sauna Sragen 
tupologiſcher Natur nicht zuließ. Nachdem aber jetzt Wiegers Abbildungen 
mehrerer Artefakte veröffentlichte, kommt Röſten für die Neanderthaler— 
kultur überhaupt nicht mehr in Betracht. 

Die Dermijchungen der beiden Kulturen zeitigen alſo je nach der Grund— 
lage, nach der Genetik der beeinflußten Induſtrie verſchiedene Rejultate: 
auf der einen Seite die Phaſen von Krapina bis Klauſenniſche, auf der anderen 
die Einbrüche des Neanderthalers in La Micoque und Levallois. Dies hängt 
mit den logiſchen Geſetzen der Kulturkampfausgleichung zuſammen. Wichtig 
aber iſt jedenfalls, daß der phuſiſche Träger ſtets der Neanderthaler wurde, 
wenn ihm auch geiſtig das ſelbſtändige kulturelle höherſtreben abgeſprochen 
werden muß. 


Mannus, Jeitſchtift für Dorgeſch., VI. Erg.-Bd. 17 


b) Vorgeſchichtliche Völker und Wanderungen. 


Sur Keltenfrage. 


Don Pedro Bofh-Gimpera und Georg Kraft. 
mit 4 Abbildungen im Tert. 


Det. vorliegende Auffag ijt hervorgegangen aus dem Vergleich der Ergebniſſe 
langjähriger Arbeiten der beiden derfaſſer, nterſuchungen, die unabhängig von⸗ 
einander und unter ganz ee Bedingungen und Geſichtspunkten ausgeführt, 
ich gleichwohl in ihrem Rejultat jo auffällig und mühelos decken, daß darin 

ob der faſt übergroßen Schwierigkeiten, die in der Methode, noch mehr in dem 
. Stand der Sorichung auf dieſem Gebiete liegen, eine Gewähr für 
ie Sicherheit der hier vorgetragenen Unſchauung und für 115 oer WE eg 
die eines neuen Geſichtspunktes zu leven it. Soweit es kichnet paniſche Derhältnijje 
(mit Ausnahme der Chronologie von Terraſſa) handelt, zeichnet P. Boſch⸗Gimpera, 
für den Reit G. Kraft; die Beweisführung im einzelnen, beſonders die archäolo⸗ 
giſchen Grundlagen find in folgenden, bereits erſchienenen Arbeiten vorgelegt: 

D Boſch⸗Gimpera: 

L’estat actual de la sistematitzaciö del coneixement de la primera Edat 
Cé 86 f i Catalunya (Anuari del Institut d’estudis Catalans VI, 1915—20, 

. 586 ff.). 

Els Celtes i les cultures de la primera edat del ferro a Catalunya (Butlleti 
de la Associaciö Catalana d’Antropologia, Etnologia i Prehistöria III, 1925, 
S. 207 ff.). Die Grundlinien diejer Arbeit find auch enthalten in: 

Die Vorgeſchichte der Iberer. Mitt. Anthrop. Gel, Wien 1925, S. 91—95. 

Artifel „Pyrenäenhalbinſel — Eiſenzeit“ in Ebert, Reallexikon. 

G. Kraft: 

Die Stellung der Schweiz innerhalb der bronzezeitlichen Kulturgruppen Mittel⸗ 

europas. Anzeiger f. Schweiz. Altertumskunde 1927/28. 

Beiträge zur Kenntnis der Urnenfelderkultur in Süddeutſchland (Halljtatt A). 

J. Die herkunft der rheiniſchen Urnenfelder. Bonn. Jahrb. 131, 1927. 

Die Kultur der Bronzezeit in Süddeutſchland. Augsburg 1926. 

hierin ſind auch verſchiedene frühere Hufſätze über dieſen Gegenſtand zitiert. — 

Über die Chronologie des Urnenfelds von Terraſſa, die franzöſiſchen Urnenfelder uſw. 

wird demnächſt berichtet werden. Bezüglich der ſpäthallſtättiſchen Kulturen (Huf— 

eiſenſchwerter) wird im folgenden die Anſicht von P. Boſch wiedergegeben. 


Ein Verſuch, die herkunft der Kelten aufzuklären und ihre älteſten 
Wohnſitze feſtzuſtellen, d. h. die philologiſch⸗-hiſtoriſchen Überlieferungen 
und Kückſchlüſſe mit den Bodenfunden zur Deckung zu bringen und auf Grund 
der Archäologie über die Grenze der geſchichtlichen Überlieferung hinaus 
in die Vorzeit einzudringen, muß von dem Lande ausgehen, in dem die Kelten 
zuerſt in das Licht der Geſchichte treten, nämlich von Spanien’). hier 
1) Über Kelten und keltiſche nachhallſtättiſche Kultur in Spanien ſiehe: Boſch, 
Los Celtas y la arqueologia celtica en la peninsula iberica (Boletin de la Sociedad 
espafiola de excursiones, Madrid 1921) und deſſen Auszug in Boſch, Die Kelten und die 
keltiſche Kultur in Spanien (Mannusbibliothek Bd. 22), ferner den Artikel „Purenäiſche 
Halbinjel d“ in Eberts Reallexikon der Vorgeſchichte. Die ethnologiſche Frage der RN 
Iden Kelten in Spanien wird ausführlicher in einem im Druck befindlichen Werk über 
die Ethnologie Spaniens vom ſelben Verfaſſer behandelt. 


2] Zur Keltenfrage 259 


erſcheinen die Kelten zu Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. als Träger einer 
Kultur, die ſich an diejenige der Späthallſtattzeit des Rheintals unmittel⸗ 
bar anſchließt, und in Spanien eben diejenigen Gebiete — und nur dieſe — 
bedeckt, welche die älteſte hiſtoriſche Überlieferung (Periplus) Stämmen 
zuweiſt (Berybraces, Cempsi, Saefes), welche wohl den Kelten Herodots 
entſprechen; vom Stammland abgeſchnürt hält dieſe Kultur ihren hall⸗ 
ſtättiſchen Charakter zähe bis tief in die Latönezeit hinein feſt („poſthall⸗ 
ſtättiſche“ Kultur mit Hufeiſenſchwertern, Gürtelbeſchlägen uſw.). Da die 
älteſten Funde in Spanien mit denen im Urſprungsgebiet übereinſtimmen 
und in Spanien unvermittelt und geſchloſſen auftreten, ijt eine Volks⸗ 


of >. 


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d Die Saffftatttuttur. 


Abb. 1. Katalonien in der erſten Eiſenzeit. x Grab, @ Siedlung, o Höhle, A Einzelfund. 


wanderung, nicht nur eine Kulturübertragung anzunehmen; die Späthallſtatt⸗ 
kultur am Oberrhein und in feiner Nachbarſchaft muß daher von einer 
keltiſchen Bevölkerung getragen worden ſein. 

Dieſe hier genannte keltiſche Invaſion in Spanien war zwar die 
ſtärkſte und für die ſpaniſche Geſchichte wichtigſte, nicht aber die erſte, wie 
im folgenden auszuführen iſt. Während der Weg der ſpäthallſtättiſchen 
Stämme über die Weſtpyrenäen in den Norden, Weſten und in die Mitte 
der Halbinjel führte, dringen nämlich einige Jahrhunderte vorher andere 
Sremdlinge über die Oſtpyrenäen nach Katalonien ein, beſetzen die frucht⸗ 
baren Ebenen nahe der Külte des Mittelmeeres und vermiſchen ſich ſchließlich 
mit der einheimiſchen Bevölkerung, den Nachkommen des Volkes der neolithiſchen 
Grottenkeramik. Archäologiſch handelt es ſich um Urnenfelder mit ſtreng 
en, einheitlichem Grabritus (Urne mit Schale oder Stein zu— 
gedeckt, faſt keine Beigaben, auch nicht an Gefäßen), deren Keramik ſich 
in eine ältere und eine jüngere Gruppe, beſonders gut vertreten in Terraffa 
bzw. Angles, gliedern läßt. Die Belegung des Urnenfriedhofs von CTerraſſa 


17* 


260 P. Boſch⸗Gimpera und G. Kraft [3 


geftattet in Übereinſtimmung mit der Formenanaluſe eine nochmalige Teilung 
der älteren Stufe in 2 Unterperioden, die im Stilcharakter genau der ſüd⸗ 
deutſchen frühen bzw. älteren Hallſtattzeit (A, B bzw. Bronzezeit E, F) ent⸗ 
ſprechen, alſo wohl etwa gleichzeitig wie dieſe, ins 12., 11. und 10. Jahr⸗ 
hundert v. Chr., anzuſetzen ſind. 

Zu beachten iſt es, daß die von dieſen Fremdlingen mitgebrachte kata⸗ 
laniſche Urnenfelderkultur ſich kulturell und geographiſch wohl begrenzen läßt 
(Abb. 1). In den bergigen Gebieten des Landes bleibt eine archaifierende Kultur 
beſtehen, welche ſich als ÜUbkömmling der ſteinzeitlichen Grottenkultur er: 
weiſt und in der Grotte von Dilaplana (Prov. Lérida), dem Wohnplatz Marles 
(nördliche Prov. Barcelona, im Gebiet von Berga) !) und dem Grab Turd 
de les Mentides bei Dich, nördliche Prov. Barcelona) vertreten iſt. In 
dieſer innerkatalaniſchen Kultur treten nur vereinzelte Gefäße der Urnen⸗ 
felderkultur auf, jo daß fie als ein wenig bedeutender Einfluß von der Külte 
her anzuſehen ſind. 

Dagegen von den öſtlichen Pyrenäen an (Alberesfette) und gleich bei 
ihren Pajjen (Coll Perthus: Nekropole von Agullana und Coll Banyuls: 
Nekropole von Dilars) über die Küſte (Nekropole Punta del Pi und Grotte 
im Mont Bufadors bei Port de la Selva in der Prov. Gerona und Einzel⸗ 
fund bei Argentona in der Prov. Barcelona) ſowie in den Ebenen der Prov. 
Barcelona (Terraſſa, Sabadell) oder in leicht von den Ebenen der Prov. 
Gerona zugänglichen Gebieten (Cova de Llora, Nekropolen Anglés und 
Gibrella bei Capſech) breitet ſich die Urnenfelderkultur ſehr rein aus 
(Abb. 1, 2, 3). 

Die genaue ſüdliche Grenze dieſer Kultur iſt vorläufig noch nicht be⸗ 
kannt; doch muß ſie einen mächtigen Einfluß auch ſüdlich von Barcelona 
ausgeübt haben, und es läßt ſich fragen, ob nicht in Jukunft vielleicht 
noch andere Gruppen der Urnenfelderkultur im innern Ebrotalgebiet ent⸗ 
deckt werden. Auf jeden Fall gibt es dort einheimiſche (iberifche) Kultur 
gruppen, die ſtark von der Urnenfelderkultur beeinflußt werden (Sena in 
der ſüdlichen Prov. Huesca; die Unſiedlungen und Gräber Escodines und 
S. Criftofol bei Mazaleön in der Prov. Teruel; verſchiedene Grotten in den 
Bergen von Tivija, Prov. Tarragona )). 

Da mit dieſen Urnenfeldern auch Haustiere neu in Katalonien ein— 
wandern )), ferner die fruchtbaren Ebenen nahe der Rüſte bevorzugt werden, 
kann es ſich nicht nur um eine kriegeriſche Beſetzung, ſondern um eine wirt- 
liche Einwanderung handeln. 

In Südweſtfrankreich ſitzen Verwandte dieſer katalaniſchen Urnen— 
felder in großer Anzahl (Sammlungen Narbonne, Toulouſe). Die ganze 
Gruppe beiderſeits der Pyrenäen dürfte dem Königreich Narbo des Periplus 
entſprechen; Narbo (Narbonne) iſt „ferocis maximum regni caput“. In 
der zweiten Eiſenzeit wird dieſes Gebiet durch Ausdehnung iberiſcher Stämme 
und Kultur bis zur Rhone teilweiſe iberiſiert — der Periplus berichtet die 
Zerſtörung von Narbo durch die Iberer —, was den völligen Derluft der 
hiſtoriſchen Erinnerung an dieſe Fremdlinge erklären kann. 


1) Ebert, Reallerifon, „Purenäenhalbinſel“, Taf. 140 b 
2) Dieſe Kulturgruppen wurden bis jetzt ſehr ſpät datiert (5. Jahrhundert, |. Boſch, 
urenäenhalbinſel in Ebert, Reallexikon). Nunmehr läßt es ſich fragen, ob dieſe zeit⸗ 
iche Unſetzung nicht geändert werden muß und die betreffenden Rulturgruppen nicht 
noch der richtigen ‚ballitattzeit zugeteilt werden ſollen. 
3) Rosell i Vila, Origen de la Era bovina marinera. Butll. d. Assoc. Catal. 
d’Antrop., Etnol. i Prehist. II, 1924, S. 69 ff. 


4] Zur Keltenfrage 261 


d e 


Abb. 2 Gefäße aus dem Urnenfeld von Punta del Pi. Prov. Gerona. Hohe a) 24 cm, 
b) 9,5 cm, c) 9 cm, d) 18 cm, e) 27 cm. 


262 P. Boſch⸗Gimpera und G. Kraft [5 


Abb. 3. Gefäße aus der Grotte Cova del Llorä. Prov. Gerona (a und d, b) und Cau 
del Duc. Prov. Gerona (c). Höhe a, d) 10 cm, b) 31 cm. 


Das Gebiet der gejchilderten katalaniſchen Urnenfelder ijt vollkommen 
frei von Funden der anfangs genannten keltiſchen Späthallſtattkultur Spaniens, 
wie vollends keine Anhaltspunkte für ein noch ſpäteres Eindringen galliſcher 
Volksſtämme bzw. der Latenefultur vorliegen. Trotzdem — und dies iſt 
der ſprachliche Ausgangspunkt der folgenden Ausführungen — finden ſich 


6] Zur Keltenfrage 263 


im Wohngebiet der katalaniſchen Urnenfelder und ihrer Einflußſphäre eine 
Reihe tupiſch keltiſcher Ortsnamen, wie 3. B. Befalu, Derdu, Salardu (mit 
-dunum gebildet) oder Dulpellac, Gauſſac (mit -acum) ), die alfo nur auf 
jene Invaſion zu Beginn der Hallitattzeit zurückgehen können. Die Sitte 
der Einwanderer, große, geſchloſſene Friedhöfe anzulegen, läßt auf ebenſo 
organiſierte Wohn⸗ und Wehranlagen rückſchließen, welche Träger ſolch 
ſtolzer, ſonſt allerdings erſt aus ſpäterer Zeit überlieferter Namen ſein konnten. 
Die Bevölkerung der katalaniſchen Urnenfelder waren alſo in 
ſprachlicher hinſicht Kelten. 
* E 
* 

Woher kommen nun dieſe Urnenfelder und wie erklärt ſich ihr keltiſches 
Volkstum, während doch die ſüddeutſchen Urnenfelder dieſer Jeit einer Ein⸗ 
wanderung aus Ofterreid)-Ungarn und Oſtdeutſchland („Lauſitziſche Kultur“ 
im weiteren Sinne) entſprechen, alſo illyriſcher Nationalität waren, die ober⸗ 
italiſchen Urnenfelder (Terramaren u. a.) den Italikern zugeſchrieben werden? 
Mit dieſer Frageſtellung find wir über den Bereich der geſchichtlichen Über- 
lieferung hinausgelangt und müſſen nunmehr mit archäologiſchen Mitteln 
weiterzufinden trachten. 

Bei aller Geſchloſſenheit des Ritus zeigt eine Sormenanalyje der 
katalaniſchen Urnenfelder mehrere Komponenten auf, von denen hier die 
hauptſächlichſten genannt ſeien: 

1. Eine Jylinderhalsurne von Punta del Pi (Rumpf) von der Art des 
tupiſchen tiroler und ſüddeutſchen breiten Typus; gut ausgeführte Riefen 
wie auf der Laufiker Keramik, beſonders auf der Innenſeite von Tellern; 
treffliche, ſtraffe Profilierung; Braun- bis Schwarzfärbung. 

Abb. 2a, 2 b, 3 b. 

2. Die Schulter der erwähnten Urne von Punta del Pi trägt außer 
Riefen noch ein Jickzackmuſter, in Rißtechnit ausgeführt; zahlreiche andere 
Gefäße weiſen ähnliche geradlinige Muſter derſelben Technik auf, beſonders 
ſchön ein Teller von Llora. Von Gefäßformen gehören hierher ein weit 
mündiger, niedriger Eimer, ferner einfache Gefäße mit ſtrenger Dreigliederung 
des Körpers in Hals, Schulter und Bauch, z. T. mit ſchräg gerieftem Umbruch. 

Abb. 2a, 2c, 3a, b, c, d; dreigegliederte Gefäße 3. B. in Ebert, Reallexikon, 
„Purenäenhalbinſel“, Taf. 141. 

3. Terraſſa, der reichſte und beſtunterſuchte Jundplatz, ähnelt in der 
Geſamtheit feiner Formen wie ſeines Ritus, 3. B. in der Urne mit doppel- 
koniſchem Körper, hohem, koniſchem oder zulindriſchem Hals und Schräg— 
rand oberitaliſchen Friedhöfen der erſten Eiſenzeit — Bologna, Bismantova 
(Golajecca ſcheint Angles zu entſprechen). Das zahlreiche Auftreten des 
Mäanders in reiner Form und feine Ausführung in mittelbreiten Rillen met 
in dieſelbe Richtung. 

Terraſſa iſt zum Teil abgebildet in Anuari VI 1915—1920 und in Ebert, Reals 
lexikon, Pyrenäenhalbinfel, Taf. 140c, 141; vgl. Abb. 2c (Stufenmuſter). 

Die erſtgenannten Bejtandteile (Zulinderhalsurne, Riefen uſw.) oe: 
hören offenbar den aus dem öſtlichen Mitteleuropa ins Rheingebiet ein— 
ſtrömenden „lauſitziſchen“ Urnenfeldern an. Aber deren Merkmale ſind 
in Katalonien nie rein vorhanden, vielmehr immer gemiſcht mit den oben 
an zweiter Stelle genannten Stileigentümlichkeiten; woher kommen nun dieſe? 


1) W. Meyer-Lübte, Das Katalanifdye (Heidelberg 1925) S. 160 ff. 


264 p. Boſch⸗Gimpera und G. Kraft [7 


Verfolgen wir die Urnenfelder auf ihrem Wege von Oſtdeutſchland und 
Oſterreich nach Weiten, fo bleibt ihr Charakter bis ins mittlere Süddeutſch⸗ 
land (Main, Neckar, obere Donau) im ganzen ziemlich rein erhalten; im 
Rheintal dagegen und in den Pfahlbauten (Jürichſee) miſchen ſich in den 
Funden andere Elemente bei, die ſich beſonders in reicher geradliniger Strich⸗ 
verzierung äußern. Ihre höchſte und reinſte Ausbildung erfahren dieſe 
Derzierungsweiſen in der Irdenware der Pfahlbauten des Alpenvorlandes, 
wo fie nicht nur auf kleinen Gefäßen, ſondern auch auf Zylinderhalsurnen 
auftreten, die in ihrer öſtlichen heimat nur Riefen und Rillen aufweiſen. Dieſen 
letztgenannten ſchweizeriſchen Urnen entſpricht die von Punta del Pi in 
Katalonien; andere der unter 2 genannten Strichmuſter finden in ſavoyiſchen 
Pfahlbauten und benachbarten Sunditellen Entſprechendes. Der Eimer 
und das dreigegliederte Gefäß find Eigentümlichkeiten rheiniſcher Urnen- 
felder. Trotz aller Lücken des Materials iſt auf Grund der angedeuteten 
Merkmale die Aufitellung einer bodenſtändigen, ſavoyviſch-ſchweizeriſch— 
rheiniſchen („weſtalpinen“, „Rhone-“) Kulturgruppe der ſpäten Bronze⸗ 
zeit möglich, die durch die von Oſten einſtrömenden „lauſitziſchen“ Urnen= 
felder 3. T. überlagert wird und nur als Komponente in deren Kultur 
weiterlebt, in den Pfahlbauten dagegen ſich gegen die Eindringlinge behauptet, 
ja die Oberhand gewinnt. — In dieſem Juſammenhang find auch Anflange 
der katalaniſchen Urnenfelder an zentralfranzöſiſche Friedhöfe wie Pougues 
zu erwähnen. Inwieweit Frankreich in der Bronzezeit dem Rhonekultur⸗ 
gebiet zuzuteilen iſt, muß noch unterſucht werden; das Schwergewicht der 
Entwicklung liegt aber zweifellos an der Rhone. 

An 3. Stelle iſt oben u. a. der Mäander als Charakteriſtikum der kata⸗ 
laniſchen Urnenfelder erwähnt; er tritt in den gleichzeitigen Funden Frank- 
reichs (wohl mit Ausnahme des Nordens) regelmäßig auf und dürfte mit 
oberitaliſchen wie ſchweizeriſch-ſüdweſtdeutſchen Vorkommniſſen in Be- 
ziehung ſtehen. Da die archäologiſch⸗ethnographiſchen Verhältniſſe des ſüdlichen 
Dorlandes der Weſtalpen noch ſehr umſtritten find — z. B. hält Hubert die 
Träger der Golaſeccakultur für Protokelten —, ich andererſeits hoffe, hierüber 
bald genauere Studien vorlegen zu können, gehe ich hier nicht näher darauf 
ein und betone nur, daß es ſich bei den unter 3 genannten Elementen um 
nahe Derwandte der zweiten (weſtalpinen) Gruppe handelt. 


Beſtimmend für die katalaniſchen Urnenfelder ſind alſo die Formen, 
Verzierungen und Techniken der ſavoyiſch-ſchweizeriſchen, „weſtalpinen“ 
Pfahlbauten. Da nun das Dolkstum der katalaniſchen Urnenfelder keltiſch 
war, muß auch die Bevölkerung der ſpätbronzezeitlichen „weit- 
alpinen“ pfahlbauten als keltiſch angeſprochen werden. Die großen, 
gewerbereichen Pfahlbauniederlaſſungen, deren eine mehrere Jehntauſende 
von Fundgegenſtänden liefert, und die zu derſelben Bevölkerung gehörigen, 
befeſtigten höhenſiedlungen können wohl ähnliche Namen auf -dunum, 
-acum getragen haben, wie ſie in Katalonien bis heute erhalten find. Der 
Weg dieſer Bevölkerung von den Weſtalpen zu den Purenäen iſt durch 
entſprechende Funde in der Provence, wie in der Champagne bis in die 
Gegend von Paris gekennzeichnet. Eine andere Frage iſt freilich, ob ſich 
mit dieſer Bevölkerung das geſamte damalige keltiſche Volkstum erſchöpfte 
(ſ. u.). 


* * 


8) Zur Keltenfrage 265 


Woher ſtammt jene Pfahlbaubevölterung? Wie ijt ihr Verhältnis zu 
den benachbarten bronzezeitlichen Bevölkerungsgruppen? Wie verläuft die 
Weiterentwicklung in der Halljtattzeit? Kennen wir die hiſtoriſchen Vorgänge 
im einzelnen? 

Im oberen Rhonetal und in ſeinen Nachbargebieten blüht in der frühen, 
älteren und mittleren Bronzezeit eine außergewöhnlich reiche und dichte 
Kultur, deren Elemente teils der bodenſtändigen weſteuropäiſchen Bevölkerung 
angehören, teils durch die Délferwanderungen am Übergang von der jüngeren 
Steinzeit zur Bronzezeit aus der aunjetitziſchen Kultur Ungarns (nicht ſo ſehr 
Böhmens) und den purenäiſchen Gruppen (Glockenbecher, Megalithgräber) 
herzugebracht ſind. Unmittelbar nordiſche Einflüſſe bzw. Einwanderungen 
gehen am Ende des Neolithikums bis in die Weſtſchweiz (und wohl auch 
nach Oſtfrankreich), zuerſt die Röſſener Kultur (Reinerths „älteres Aid) 
bühl“ der Schweiz), dann die Schnurkeramik, ſind aber bislang im Wallis, 
dem Entſtehungszentrum dieſer Kulturgruppe, noch nicht nachgewieſen. 
Parallelen treten teils am Oberrhein, noch mehr in Oberitalien auf, wohin 
beſonders in der älteren Bronzezeit gewiſſe, nur in dieſen beiden Gebieten 
bekannte Geräte die Verbindung herſtellen. 

Die Brücke von der älteren zur ſpäten Bronzezeit (Pfahlbauten) iſt 
durch Derwahrfunde und einzelne Formenreihen, noch mehr durch die Gleich— 
heit des Stilempfindens („geradlinige Strichverzierung“) gegeben. Irgend⸗ 
welche Neuein wanderung von Dölkern im Rhonegebiet vor dem Eintreffen 
der „lauſitziſchen“ Urnenfelder ſind jedenfalls bisher nicht feſtzuſtellen. Man 
kann daher beide große kulturelle Erſcheinungen — die frühe, ältere und 
mittlere Bronzezeit des Rhonetals und die ſpätbronzezeitlichen weſtalpinen 
Pfahlbauten — als zeitliche Stufen einer und derſelben Kultur anſehen, 
für die der Name „Rhonekultur“ zutrifft. Die Rhone kultur der frühen 
Bronzezeit (Walliſer Kultur) iſt demnach als keltiſch anzuſprechen; 
in ihr hat ſich zu Beginn des zweiten vorchriſtlichen Jahrtauſends die Grund⸗ 
lage des keltiſchen Volkstums gebildet. 

Dieſe „Urkelten“, eine ſcharf umriſſene, in jeder Hinficht hervorragende 
Rulturgruppe, ſtellen alſo volklich eine Miſchung indogermaniſcher (aunje— 
titziſcher, vielleicht auch Röſſener und ſchnurkeramiſcher) und weſteuropäiſcher 
(voriberiſcher) Elemente dar. Die erſtgenannte Kultur ijt auch in der Bronze— 
zeit Oberitaliens, Ungarns und Griechenlands ſtark vertreten; da ferner die 
ältere Bronzezeit Oberitaliens und des Wallis identiſche, eigentümliche 
Züge aufweiſt, ſtimmen die archäologiſchen Ergebniſſe mit der Sprachforſchung, 
die eine ſehr nahe Derwandtichaft gerade der Kelten und Italiker fordert, 
überein. Um den Beginn der Eiſenzeit hört die Sprachverwandtſchaft auf; 
denn das Wort für dieſes Metall iſt beiderſeits grundverſchieden, und zwar 
im keltiſchen ein illyrifches Lehnwort (Pokorny). Huch dies harmoniert 
vorzüglich mit der Vorgeſchichte, da die „lauſitziſchen“, d. h. „illuriſchen“ 
Urnenfelder des öſtlichen Mitteleuropa, die wir oben auf ihrem Zuge am 
Ende der Bronze- und zu Beginn der Eiſenzeit nach Weſten bis in die 
Pfahlbauten verfolgt haben, in Italien völlig fehlen. 

Daß in der Aunjetiger Kultur die Wurzeln für Kelten wie Italiker 
liegen, hat Guſtaf Roſſinna ſeit langem erkannt und immer wieder betont. 


Während fid) im Rhonetal und in feiner weiteren Umgebung keltiſche 
Kultur und keltiſches Volkstum formten, wohnten in der Nachbarſchaft 
andere Stämme, von denen die am meiſten bekannten ihre Toten — wie 


266 D. Boſch⸗Gimpera und G. Kraft [9 


zeitweiſe auch die „Kelten” des Jura — in Grabhügeln beitatteten. Dieje 
Sitte ijt außerordentlich weit verbreitet, die Abarten des Ritus und der Bei- 
gaben jedoch jo verſchiedenartig, daß eine völkiſche Geſchloſſenheit der Erbauer 
unwahrſcheinlich iſt, beſonders beim Vergleich mit der Rhonekultur, die in den 
einzelnen Formen wie im Geſamtſtil von ihrem Auftreten an bis an die 
Schwelle des Mittelalters (ſ. u.) ſo geſchloſſen und eigenartig bleibt, daß 
ein einheitliches, kraftvolles Volkstum als Träger zu fordern ijt. Ähnliches 
wie für die Grabhügelleute gilt wohl auch für einen Teil der bronzezeit⸗ 
lichen Bewohner Oberitaliens; hier wie dort handelt es ſich um Urbewohner, 
die am Übergang von der jüngeren Steinzeit zur Bronzezeit „indogermani⸗ 
ſiert“ wurden, — die Zuteilung zu einem beſonderen Volk iſt aber heute und 
vielleicht überhaupt unmöglich, da die Völkerbewegungen der ſpäten Bronze⸗ 
zeit mit dieſen Gruppen ein Ende machten, ehe der Griffel eines Hiſtorikers 
ihre Namen der Nachwelt überlieferte. Was insbeſondere den Satz anbelangt, 
daß die Grabhügelleute, etwa der Schwäbiſchen Alb, Kelten bzw. Urkelten 
geweſen ſeien, ſo iſt zunächſt daran feſtzuhalten, daß die katalaniſchen Urnen⸗ 
felder, auf denen unſere Unterſuchung baſiert, in Grabritus, Siedlungsland 
und Geräten keinen Anklang an die genannten hügelgräber erkennen laſſen, 
auch bisher keinen Kerbſchnitt geliefert haben; bezüglich des letzteren möchte 
ich aber darauf hinweiſen, daß er in den franzöſiſchen Funden in einer ſpäten 
Abwandlung neben dem Mäander und — degeneriert und ſpärlich — in der 
iberiſchen Miſchkultur Kataloniens auftritt. Vielleicht möchte man in einem 
Teil der Grabhügelleute den einen der beiden ſprachlichen Zweige der Kelten 
ſuchen; für einen Beweis dieſer Theſe oder auch nur für eine fruchtbare 
Diskuſſion ſehe ich aber heute noch keine Unterlage gegeben ). 

Werfen wir nunmehr noch einen kurzen Blick auf die Fortbildung 
der ſpätbronzezeitlichen weſtalpinen Pfahlbaukultur. Befruchtet durch die 
aus den „lauſitziſchen“ Urnenfeldern aufgenommenen Elemente entwickelt 
fie ſich trotz der Ausfendung der katalaniſch-ſüdfranzöſiſchen Urnenfelder zu 
höchſter Blüte, beherrſcht die ganze kulturelle Fortentwicklung in den genannten 
Gebieten und beeinflußt darüber hinaus — zum mindeſten durch Export 
von Waren — auch die nord- und oſtdeutſchen Kulturen, vielleicht auch Ober⸗ 
italien. — Die Kulturgruppen der rheiniſchen Hallſtattzeit find einesteils 
Abfömmlinge der Urnenfelder (Gehring-Rehrig; Mehren), anderenteils 
Verſchmelzungsprodukte von Urnenfelder- und Grabhügelbevölkerung (Günd⸗ 
lingers, Alb-Salem- und Roberſtädter-Gruppe). Zwar lebt in letzteren die 
aus den „lauſitziſchen“ Urnenfeldern herſtammende öſtliche Formgebung und 
Verzierung ebenſo ſehr fort wie Elemente der Grabhügelkultur, beides aber 
tritt zurück hinter Einwirkungen der Pfahlbaukultur, die den Unterſchied 
von den gleichzeitigen Erſcheinungen des Ojtalpengebietes (Kalenderberg) 
bedingen. Infolgedeſſen darf man auch im Volkstum dieſer Halljtattgruppen 
Weſt⸗ und Südweſtdeutſchlands ein mehr oder minder ſtarkes Vorwiegen 
des „keltiſchen“ Elementes annehmen. — Im Rhonegebiet ſelbſt iſt inzwiſchen 
die Stilentwicklung raſch und radikal vorgeſchritten und hat durchaus eigen= 
artige Formen (3. T. nach fremden Vorbildern) erzeugt (durchbrochene Bot: 
platten, Tonnenarmbänder; Keramik unverziert!). Hier werden infolge der 
Wohlhabenheit ſehr bald Metallwaren, zunächſt wohl aus etruskiſchen, dann 
aus griechiſchen Werkſtätten eingeführt, hier bildet ſich infolgedeſſen der 


1) Es iſt vor allem zu unterſuchen, wie ſich die beiden großen Untergruppen der 
frühen und älteren Latenezeit (Marne; Rhein-Rhone) zu dieſer Srage verhalten. 


10] Zur Keltenfrage 267 


Späthallſtatt⸗ bzw. Frühlatèneſtil aus, zu deſſen Trägern infolge einer 
kulturellen oder volklichen Nordwärtsbewegung nun auch die Fürſten des 
Rheintals gehören. Dielleicht geſtatten ſpätere Unterſuchungen, alle oe: 
nannten hallſtattzeitlichen Gruppen (ſogar einſchließlich der weſtlombardiſchen 
Friedhöfe) als „weſtalpin“, d. h. als „keltiſch“ zuſammenzufaſſen und der 
illyriſchen, oſtalpinen Hallſtattkultur entgegenzuſtellen ). 

Daß die ſpäthallſtättiſchen Kulturen mit Hufeiſenkurzſchwertern Kelten 
ſind, war der Husgangspunkt unſerer Unterſuchungen geweſen. In der 
folgenden erſten hälfte der Catènezeit verlieren ſich in den Stürme i der 
Keltenwanderungen die archäologiſchen Zuſammenhänge der einzelnen 
Gruppen, wenigſtens nach dem heutigen Stand der Forſchung. Was aber 
bleibt und ſich trotz der politiſchen Unruhen, ja ſogar trotz des griechiſchen 
Imports und des hierdurch erzeugten La-Téne-Stils, trotz der römiſchen 
Okkupation und aller Romaniſierung hält und nach dem Abflingen des klaſſi⸗ 
[chen Einfluſſes als bodenſtändiges „keltiſches“ Element wieder fein Haupt 
erhebt, um ſich mindeſtens bis ins frühe Mittelalter nachweiſen zu laſſen, 
iſt nach W. Unverzagt) jene geradlinige Strichverzierung, die wir von 
der frühbronzezeitlichen Rhonekultur an in ungebrochener Stärke verfolgt 
haben. Dieſe Kontinuität eines ſtiliſtiſchen Grundcharakters über drei Jahr⸗ 
tauſende hinweg iſt ſicherlich eines der bemerkenswerteſten Kulturphänome 
in der Geſchichte Europas überhaupt. Da ſie nur möglich iſt, wenn ſich in 
dieſem Stilmerkmal die tiefiten Grundkräfte einer geſchloſſenen Kultur aus⸗ 
ſprechen, können wir hierin die Eigenart dieſer Kultur — zunächſt hinſicht⸗ 
lich des archäologiſchen Stils — erfaſſen, deren Stärke in einer unübertroffenen 
Klarheit der Ornamentik bei konſervativer Formgebung liegt, ein Erbe des 
weſteuropäiſchen, neolithiſchen Elements. Jugleich möchte ſich hier ein 
Vergleich mit den Ergebniſſen der fel ich ſebe, tt bezüglich des Stils der 
Sprache ermöglichen laſſen, wo, ſoviel ich ſehe, dieſelben Charaktere ſchon 
längſt erkannt ſind; auch bei der Verzierung der Walliſer Dolche der Früh⸗ 
bronzezeit, der Pfahlbaugeräte der ſpäten Bronzezeit, der Tonnenarmbänder 
der ſpäten Hallſtattzeit läßt ſich von „esprit“ reden. 


Über die geſchichtlichen Vorgänge im einzelnen iſt nach dem 
Charakter der archäologiſchen Quellen kaum jemals etwas Genaueres aus— 
zuſagen; liegen doch ſogar vergleichbare Erſcheinungen, die ſich in voll— 
hiſtoriſcher Zeit abſpielen wie die Entſtehung des fränkiſchen Dolfstums, 
im Dunkeln. Mehr läßt ſich nur über die Begleiterſcheinungen der anfangs 
beſprochenen beiden Relteneinfälle nach Spanien und der Entſtehungsvorgänge 
der Rhonefultur ausſagen. Die letzteren fallen in jene großen Dölkerwande— 
rungen, die am Ende der jüngeren Steinzeit von Norden, Südweſten und Süd— 
oſten über Mitteleuropa hereinbrachen und mit ſeiner „Indogermaniſierung“ 
endigten. Die folgende reine Bronzezeit iſt eine Periode ruhiger Entwicklung, 
bis gegen Ende des 2. vorchriſtlichen Jahrtauſends die ganze Alte Welt wieder 
von großen Umwälzungen erſchüttert wird (Seevölker gegen Ägypten, Jer— 
ſtörung des hettiterreichs, „Doriſche“ Wanderung uſw.), zu denen die Weit: 
wanderung der „lauſitziſchen“ Urnenfelder und als letztes Glied die gleich— 
gerichtete Wanderung einiger weſtalpiner Pfahlbaugruppen nach Frankreich 


1) Dielleicht laſſen ſich auch die Urnenfelder fo zuſammenfaſſen: oſtalpin (oſtdeutſch) 
= illuriſch, ſüdalpin = italiſch (Terramaren), weftalpin = keltiſch (hier aber anſcheinend 
meiſt mit Skelettgräbern vermengt). 

2) Prähiſtor. Zeitſchr. NVI, 1925, S. 125-105. Studien zur Terra sigillata mit 
Rädchenverzierung. 


268 p. Boſch⸗Gimpera und G. Kraft [11 


und Katalonien gehören. Nach der kurzen Ruheperiode der mittleren Hallſtatt⸗ 
zeit zeugen die heuneburgen Süddeutſchlands und die Beſiedelung unwirt⸗ 
licher Gebirgsgegenden (Taunus, Hunsrück, Eifel) wiederum von unruhigen 
Zeiten und von Einengung des Lebensraumes. Abgeſehen von einer etwaigen 
Nordwärtsbewegung der Rhonekulturen kommt diesmal der Hauptitoß 
zweifellos von Nordoſten, von den Germanen, die unaufhaltſam an den 
Rhein vordringen. Germaniſche Schmuckformen — werden 


Ungarische 
Ain e Druppe 
vruppeN | 


/ Terramaren N 


_ ViHänovaı 


N 


— 


Sa Troja W/M 
| nett ei 


Abb. 4. Europa am Ende des 2. Jahrtauſends vor Chr. 


nicht nur wie in der Spätbronzezeit ins keltiſche Gebiet importiert, ſondern 
werden dort heimiſch, vielleicht erſtmals getragen von einzelnen germaniſchen 
Streifſcharen, zu denen die „Germani“ im Südoſten des ſpaniſchen Tafellandes 
gehören könnten !). Germaniſche Blutsbeimiſchung in dieſer Zeit würde auch das 
nordiſche Ausjehen der Kelten zur Zeit ihrer Zufammenjtöße mit den indo= 
germaniſchen Mittelmeervölkern wie ihre plötzliche Aktivität im 6., 5. und 
4. Jahrhundert verſtehen laſſen. Der Parallelismus der beiden erſtgenannten 
großen Wanderungen zu Ende des 5. und wieder des 2. Jahrtauſends mit 


1) 1) Über den germaniſchen Charakter der „Germani“ ſiehe E. ee Bola, Di 
Urgeſchichte in Tacitus Germania (Leipzig und Berlin 1920), S. 389 ff. 8 9 
Dorgeſchichte der Iberer, Mitteilungen d. Wien. Unthrop. Geſellſch. 1925, 


12] Zur Keltenfrage 269 


anderweitigen ähnlichen Erſcheinungen, z. B. in Griechenland und in Italien, 

ijt fo vollkommen wie die Zugehörigkeit der ſpäthallſtättiſchen Keltenwande⸗ 

rung nach Spanien zu den Kelten- und Germanenſtürmen der hiſtoriſchen Zeit. 
** 1 * 

Zur Ergänzung der bisherigen, rein archäologiſchen Unterſuchung der 
Rhonekulturen muß gleichſam als Stichprobe noch die Frage nach der Geeignet⸗ 
heit dieſes Gebietes als Siedlungsland des vorgeſchichtlichen Menſchen 
und ferner die nach ſeiner Bedeutung in hiſtoriſcher Zeit geſtellt werden. 
Auf beides iſt eine poſitive Antwort zu geben. Zu Beginn der geſchichtlichen 
Zeit läßt ſich hier der Stamm der Burgunder nieder, aus dem während des 
ganzen Mittelalters das Rönigreich Burgund hervorblüht. Die immer oder 
zeitweiſe hierzu gehörenden Landſchaften find etwa dieſelben, die als heimat 
der vorgeſchichtlichen Rhonekulturen anzuſprechen ſind, nämlich die Täler 
der oberſten Rhone, der Saone und des Doubs, der Jura und die angrenzende 
Weſtſchweiz. Schon in der jüngeren Steinzeit ſaß hier eine Untergruppe 
der weſteuropäiſchen Bevölkerung, die den Grundſtock der neolithiſchen Pfahl⸗ 
baubevölkerung abgegeben hat. Dieſe Länder find für den vor- und früh⸗ 
geſchichtlichen Menſchen darum ſo ausgezeichnet als Siedlungsgebiet geeignet, 
weil ſich hier infolge des Kalfgehalts des Bodens (Jura) bzw. der Trockenheit 
des Klimas (Wallis) niemals Urwald befand, aljo immer Siedlungsland 
und Verkehrswege vorhanden waren. Die Grenzen der Kulturgruppen, 
die hier ihr Jentrum hatten, wechſelten verſtändlicherweiſe im Laufe der 
Zeiten recht bedeutend; beiſpielsweiſe gehört das Oberrheintal manchmal 
dazu oder die Champagne. Die vorgeſchichtlichen Klimaſchwankungen 
ſtimmen mit den oben genannten drei hauptwanderungszeiten wohl überein. 
Das Ende der jüngeren Steinzeit iſt zugleich ein höhepunkt der trockenwarmen 
subborealen Periode, wodurch ſich vor allem der ſtarke Verkehr über die Weſt— 
alpen in dieſer Zeit erklärt; mit dem Ende des 2. Jahrtauſends ſetzt das feud)- 
tere Klima allmählich ein; kurz vor der Latenezeit beginnt jene große Klima- 
verſchlechterung, welche die nordiſchen Moorforſcher als „Simbulwinter“ 
anſprechen, in der man die Urſache für die Huswanderung der Germanen 
aus ihren nordiſchen Wohnſitzen ſucht. 

s S * 

Die weſtalpine Bronzezeit wurde früher manchmal den Ligurern 
zugeſchrieben. Zchriftſtellernachrichten bezeugen die Ausbreitung dieſes 
Volkes um 600 v. Chr. bis zur Rhonemündung, Ortsnamen bis weit in das 
Vorland der Weſtalpen. Andererjeits iſt es aber bisher unmöglich, den 
Cigurern eine ſpezifiſche Kultur zuzuſchreiben und das ſtimmt durchaus mit 
den Schilderungen der Alten von dem wilden Charakter dieſes Bergvolkes 
überein. Wenn die Bronzezeit der Weſtalpen liguriſch, die Hallſtatt- und 
Catènezeit keltiſch wäre, fo müßte ſich dies an den Funden zeigen laſſen, 
was nicht der Fall iſt, ganz abgeſehen von dem Jeugnis der katalaniſchen 
Urnenfelder für den keltiſchen Charakter der weſtalpinen Bronzezeit. Dagegen 
iſt es wohl möglich, daß die Ligurer in der jüngeren Steinzeit eine weitere 
Verbreitung gehabt haben, vielleicht ſich auch am Ende der hallſtattzeit zeit— 
weiſe wieder bis zur Rhone ausdehnten, wie dies die Iberer zur ſelben Zeit 
und ebenfalls auf Kojten der ſüdfranzöſiſchen Kelten taten. Sur ſprachlich— 
geſchichtlichen Seite der Ligurerfrage vgl. die neueſte Darſtellung bei 
Stähelin, Die Schweiz in römiſcher Zeit, wonach auch den Namen von 


270 G. Boſch⸗Gimpera und G. Kraft, Zur Keltenfrage [13 


Orten mit liguriſcher Endung wie denen der Walliſer Stämme keine allzu- 
große Bedeutung zugemeſſen werden darf. 


* 

Mit der Einführung dieſes neuen Geſichtspunktes in die Dorgefdidte, 
der Rhonefulturen und — unabhängig davon — ihres keltiſchen Volkstums, 
iſt naturgemäß mehr ein Unfang gemacht, als daß alle Fragen gelöſt wären. 
Ich verdeutliche dieſen Sachverhalt für die Jernerſtehenden, indem ich eine 
kleine, beliebig herausgegriffene Blütenleſe von Problemen anſchließe: 


Bedeutung der Derbreitungsgrenze der ie ifiſch mittel⸗ und nordeuropäifchen 
il es (nicht in Spanien, Süditalien u Ke in ethnographiſcher hinſicht und 
ihre Erklärung ral ignien? bbe ada — Indogermanen?) 

SEN eit, Volkstum, Schidjal der Bretagnekulturen ae Bootarte, 
Kragenfläſchchen neben weſtlichem Grundſtock)? der Seine⸗Oiſe⸗Marne⸗Kultur 
V HES ? wobei die letzte herkunft diefer Arte auch noch zu klären iſt (ſ. elami⸗ 

e e). 

Die weſteuropäiſchen Stilelemente in der Schnurkeramik; die archäologiſchen 
Beziehungen zwiſchen weſteuropäiſchen und nordiſchem Kulturgebiet in der jüngeren 
Steinzeit G. B. Steinkiſten), die in der Bronzezeit zugunſten der Agdis geringer werden. 

Beſiedlung Gun: und Mittelfrankreichs in der älteren und mittleren Bronze⸗ 
zeit (Abkömmlinge der Megalith⸗ und Rhonekulturen?). 

Sormentunde, Jeitfolge und Ausdehnung der Rhonekulturen in Frankreich 
(und Italien), 3. B. Bun! des Mäanders in der Spätbronzezeit, feine ee e 
um Mäander Italiens und zu der nordiſchen Importware; Derſchiebungen in der 

erbreitung der Hallſtattſchwerter uſw. 
sn der weſtlombardiſchen eh Cat Kulturen zu den franzöſiſchen. 
Herleitung der ſpäthallſtättiſchen Kultur mit hufeiſenſchwertern im ee 
ebenſo der gleichzeiti en Champagnekultur (Jogaſſien) und deren Schidjal (England?). 
herkunft der Laténefultur, ihre Beziehungen in Waffen, Werkzeugen uſw. 
zu den griechiſchen und en Kolonien und zu den Iberern. 

Die Beziehungen der Marnekultur (Srühlatene) zu den ſüdfranzöſiſchen 
Urnenfeldern, zu den Rhonekulturen; der Hallftattdarafter ihrer Keramik in Form, 
Sarbe und Derzierung gegenüber dem Caténeftil der gleichzeitigen Ware öſtlich 
und ſüdöſtlich davon. — 

Aud) wenn dieſe Fragen einmal in ihrem archäologiſchen Teil geklärt find, was 
durchaus im Bereich der Möglichkeit liegt, dürfte es angeſichts der vielfachen 
Miſchungen und fließenden Grenzen nicht angehen, von jeder einzelnen Kultur⸗ 
gruppe, geſchweige denn von einem einzelnen Fund (Siedlung, Grab) jeweils anzu⸗ 
geben, ob fie „keltiſch“ oder „illuriſch“ ſind; vollends kann in Grenzgebieten nichts 
über Sprache und Raffe ausgeſagt werden (vgl. die Bulgaren von heute!). Es 
empfiehlt ſich, in der Dorgeſchichte ſchlechthin geographiſche und nicht ſprachlich⸗ 
geſchichtliche Bezeichnungen für die Kulturgruppen anzuwenden. 


Was aber feſtſteht und als Baſis für weitere Forſchungen dienen kann, 
find die Ergebniſſe der Einzelunterſuchungen beider Verfaſſer: 

Die Einwanderung der katalaniſchen Urnenfelder im 12. oder 
11. Jahrhundert v. Chr. aus dem Gebiet der hallſtattkultur und ihr 
keltiſches Volkstum. 

Das Dorhandenſein großer, geſchloſſener, ſtiliſtiſch zuſammen— 
hängender Kulturen in der Bronzezeit im oberſten Rhonetal und in 
ſeiner Nachbarſchaft. 

Die Beziehungen der katalaniſchen Urnenfelder zu den ſpätbronze⸗ 
zeitlichen Rhonekulturen (Pfahlbauten), woraus deren keltiſches Dolfs- 
tum gefolgert wird. 


Die Methode aber, mit der dieſe Ergebniſſe gewonnen ſind, iſt die 
„ſiedlungsarchäologiſche“, die Guſtaf Koffinna als erſter ſuſtematiſch 
und mit bahnbrechendem Erfolg auf ein ähnliches Problem, das der Her- 
kunft der Germanen, angewandt hat. 


Dölkerwanderungen vor der Dölkerwanderungs- 
zeit in Schleſien. 
Don Martin Jahn. 
Mit 3 Karten im Tert. 


Seit langem hat die Vorgeſchichtsforſchung erwieſen, daß vor der ge: 
ſchichtlich bezeugten Völkerwanderung zahlreiche Wanderungen von Völkern 
ſtattgefunden haben, daß die Völkerwanderung, welche die Hiſtoriker mit 
dem Einfall der hunnen in Europa im letzten Viertel des 4. Jahrhunderts 
n. Chr. beginnen laſſen, nur ein Glied einer langen Kette von Dölterbewegungen 
bildet und daß fie trotz ihrer weitgreifenden Ausdehnung an Bedeutung und 
Ausmaß hinter manchen früheren vorgeſchichtlichen Dölkerwanderungen 
zurückſteht. 

Die Bewohner Schleſiens nahmen auch an der hiſtoriſchen Dölker⸗ 
wanderung teil. Die ſilingiſchen Wandalen verließen zu Anfang des 5. Jahr⸗ 
hunderts zum größten Teil ihr Heimatland, dem fie eine hochentwickelte 
Kultur gebracht hatten. Nur zu bald gingen ſie auf ihrer Wanderung in 
Spanien, von dem germaniſchen Brüderſtamm der Weſtgoten vernichtet, 
unter. So heldenhaft auch die Waffentaten der Germanen auf ihrer Wande⸗ 
rung geweſen fein mögen, fo bar allen Kriegslärms war ihr Aufbruch aus 
Schlejien. Kein dräuender Seind trieb fie aus ihren alten Sitzen. Freiwillig 
zogen fie, gedrängt von ihrer altererbten Wanderluſt, um beſſere Lande zu 
gewinnen. Soweit die zurückbleibenden Reſte der Silingen die herrenlos 
gewordenen Ader nicht mehr beſtellen konnten, fiel das kultivierte Cand wieder 
der freien Natur anheim und verwilderte. Erſt lange nach dem Abzuge der 
einſtigen Beſitzer, im Laufe des 6. Jahrhunderts, fanden ſich neue Siedler 
aus dem Oſten ein, jlawijche Stämme, in deren Volkstum die germaniſchen 
Reſte allmählich aufgingen. 

War auch dieſer Bevölkerungswechſel von weittragender Bedeutung 
und ſind ſeine Folgen noch bis in unſere Tage ſpürbar, ſo verlief er, wie ge— 
ſagt, ohne Kampf, undramatiſch und, abgeſehen von der Auswanderung der 
Wandalen, in einem ſo langſamen Tempo, daß die Feder des Chroniſten 
keinen Anlaß fand, über ihn zu berichten. 

Viel kämpfereicher, lebensvoller und fpannender find die Dölker— 
bewegungen, die ſich früher auf ſchleſiſchem Boden abgeſpielt haben. Daß 
von ihnen der Geſchichtsſchreiber nicht berichtet, liegt nicht an dem Fehlen 
packender Handlungen in dieſem Dölterdrama, ſondern daran, daß Idi das 
Drama fern von dem Geſichtskreis der Geſchichte abgeſpielt hat und daß ſeine 
Geſchehniſſe erſt von der modernen Dorgeſchichtswiſſenſchaft in mühſamer 
Moſaikarbeit, durch Zujammenitellung und Derwertung der Bodenfunde, 
wieder ans Licht gezogen worden ſind. 


272 Martin Jahn D 


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umen 
Neustadt 


Abb. 1. Verbreitung der baſterniſchen (ei und der keltiſchen (O) Funde in Schlefien. 
Nach Angaben von n Wecker un v. Richthofen 5 von 
Geſchwendt. 


Ich will hier nicht von den erſten Menſchen ſprechen, die zur Eiszeit 
ſchleſiſche Erde betraten, nicht von den Jägerſcharen der mittleren Steinzeit, 
die ſchleſiſche Gefilde durchzogen, auch nicht von den zwei Aderbau treibenden 
Völkern, die zur jüngeren Steinzeit vom Donaugebiet und von Norden in 
unſer Cand kamen und ſich hier miſchten, oder von dem Einfall der wander⸗ 
luſtigen „Glockenbecherleute“ am Schluſſe der Steinzeit, ſondern ich will 
gleich zu der Epoche übergehen, die von allen Zeiten menſchlichen Daſeins 
die meiſten Umwälzungen in den Beſiedlungsverhältniſſen Schleſiens out: 
weiſen kann, in der die verſchiedenartigſten Stämme ſich den Beſitz des ſchleſi— 
ſchen Bodens ſtreitig machten, in der ein Kommen und Gehen von Völkern 
wie nie ſonſt in unſerem Landesteil nachweisbar iſt. Dieſe ausgeſprochene 
Dölferwanderungszeit Schleſiens beginnt mehr als 1000 Jahre vor der hiſto— 
riſchen Völkerwanderung und umfaßt etwa die letzten 6 Jahrhunderte v. Chr. 
Geburt. Ich will verſuchen, in kurzen Zügen zu ſchildern, zu welchen Ergeb— 
niſſen die neueſten Unterſuchungen der ſchleſiſchen Vorgeſchichtsforſchung 
auf dieſem Gebiet geführt haben, und werde die etwas verwickelten Siedlungs- 
verhältniſſe durch Karten erläutern. 

Etwa zwei Jahrtauſende lang hatte ein zahlreiches, regſames Volk 
faſt unangefochten die Gefilde Schlejiens und der Nachbarländer bewohnt. 
In der jüngeren Steinzeit hatte es ſich durch VDerſchmelzung zweier grund— 
verſchiedener Stämme gebildet, während der Bronzezeit hatte es den alten 


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Abb. 2. Verbreitung der Stythenfunde in Oſtdeutſchland. Gezeichnet von §. Geſchwendt. 


Brauch der Rörperbeſtattung allmäblich aufgegeben und die Totenverbrennung 
eingeführt. Unzählbar ſind ſeine Friedhöfe, die Urnenfelder, die noch heute 
in der ſchleſiſchen Erde ruhen. Lange Zeit hat fic) die Forſchung um die 
Seititellung der Nationalität der Urnenfelderbevölkerung bemüht. In dem 
Streit der Meinungen hat ſich die Auffaffung Roſſinnas faſt völlig durch— 
geſetzt, daß es ſich um Angehörige der illyriſchen Dölfergruppe handele. 
Diejes fo ſeßhafte Volk bebaute ſeine Ader, verſah fein Dieh und mehrte in 
langer, faſt ununterbrochener Friedenszeit jein Gut und Blut. Nur Stammes» 
fehden ſtörten mitunter die friedliche Entwicklung feiner Eigenart. Erſt in 
der Eiſenzeit zog fic) ſchweres Rriegsgewölk über den Fluren der oſtdeutſchen 
Illyrier zuſammen. Don Nordoſten, von der Weichſelmündung her ſetzte 
der Sturm ein. Das oſtgermaniſche, lebensfriſche und tatenluſtige Geſchlecht, 
von dem die Steinkiſtengräber und Geſichtsurnen zeugen, und das am eheſten 
mit den Baſternen der antiken Quellen gleichgeſetzt werden kann, drängte 
nach Süden vor und gewann den Illuriern in zähem Kampfe einen Gau 
nach dem anderen ab. Das überalterte, im langen Frieden verweichlichte 
Volk mußte dem kraftſtrotzenden jugendlichen Feind, dem die eigenen Fluren 
für feine Dolfsmenge zu eng wurden, weichen oder ſich ſeiner Oberhoheit 
beugen. Im 6. Jahrhundert v. Chr. pochten die andringenden Germanen 
auch an Schleſiens Grenzen +). Nicht kampflos gaben die Einheimiſchen das 
Land preis. Ihre eingeäſcherten Burgen wie die Schwedenſchanze und der 
Kapellenberg von Oswitz bei Breslau geben Runde von dem damaligen 


1) R. Tackenberg, Die frühgermaniſche Kultur in Schleſien. Altſchleſien, I. S.121 ff. 
Mannus, Jeitſchrift für Dorgeich., VI. Erg.-Bd. 18 


274 Martin Jahn [4 


ſchweren Ringen um Schleſiens Boden ). Huch hier überwand der Angreifer 
den Verteidiger. Trotzdem kam der Siegeslauf der Baſternen innerhalb 
Schleſiens zum Stehen, offenbar weil fie genügend Land für ihre Volksgenoſſen 
erobert hatten. Unſere Karte (Abb. 1) zeigt die Ausbreitung der älteſten ger⸗ 
maniſchen Sunde innerhalb unſerer Provinz. Allein der Nordoftteil Schlefiens 
wurde von ihnen beſetzt. In Mittelfchlefien bildet die Oder die ungefähre 
Grenze ihres Machtbereiches; nur wenige Funde liegen noch ſüdlich des 
Stromes. Die fruchtbare mittelſchleſiſche Cößebene iſt faſt leer von früh⸗ 
germaniſchen Funden. Deſto dichter ſind die rechts der Oder liegenden Sand⸗ 
und Waldgebiete von ihnen beſetzt. Auch der Nord zipfel Oberſchleſiens ijt 
noch in ihr Siedlungsgebiet einbezogen worden. Die ſchleſiſche Oberlauſitz 
hingegen, die ſüdlichen Teile Nieder⸗ und Mittelſchleſiens und faſt das ge⸗ 
ſamte Oberſchleſien verblieben dem Rettel der Illyrier, die hier noch etwa 
anderthalb Jahrhunderte hindurch ihr Volkstum ſelbſtändig bewahrten, wenn 
ſich auch bald ſtarke Beziehungen und friedlicher Rulturaustauſch zwiſchen 
beiden Machthabern Schleſiens anbahnten. 

Jedoch ſollte die neue Friedenszeit nicht lange währen. Etwa 50 Jahre 
nach dem Eindringen der Baſternen, gegen 500 v. Chr., brauſte eine neue 
Kriegswelle über den ſtark geſchwächten Reſtſtaat der Illyrier dahin. Diesmal 
kam fie aus dem Südoſten. Völlig anders geartet in Kultur, Sitte und Kampfes- 
weiſe war der neue Feind, auch ſein Kriegsziel ein anderes. Skythiſche 
Reiterſcharen überfluteten wie ein heuſchreckenſchwarm die Gaue der 
Illyrier. Urplötzlich erſchienen fie; ſchwer waren fie zu treffen wegen ihrer 
Schnelligkeit und ihrer hauptſächlich auf Fernwirkung berechneten, den Ein⸗ 
heimiſchen fremdartigen Waffen. Unheimlich müſſen die neuen Eindring⸗ 
linge auf die illyriſchen Bauern gewirkt haben, ganz ähnlich wie die Mongolen 
des Mittelalters, denen auch erſt nach ſchwerer Derwiijtung des Landes auf 
ſchleſiſcher Wahlſtatt nachhaltiger Widerſtand geleiſtet werden konnte. Von 
ihrer Heimat in Südrußland hatten ſich die Stythen bis nach Oſtgalizien aus- 
gedehnt und waren dann immer am Nordrand der Karpathen und Sudeten 
entlang ziehend nach Schleſien und der Cauſitz eingefallen (Abb. 2). Be⸗ 
zeichnend iſt es, daß die ſkythiſchen Sunde aus ſchleſiſchem Boden fait ſämt⸗ 
lich aus Waffen beſtehen ?). Die Stythen begnügten ſich nicht damit, die Ein⸗ 
heimiſchen auf freiem Felde zu ſchlagen, wo fie dank ihrer Kampfesart leicht 
die Oberhand gewannen, fie belagerten auch die illyriſchen Feſtungen und 
zerſtörten ſie, wie Grabungen auf den Burgwällen vom Breiten Berg bei 
Striegau und von Niemitzſch bei Guben erwieſen haben, wo ſich zahlreiche 
ſkuthiſche Bronzepfeilſpitzen in den Schuttrejten der Burgen gefunden haben. 
Die Sudeten durchquerten ſie nicht. Iſt doch das Durchſtreifen von gebirgigem 
Gelände für berittene Truppen, deren Rampfwert nur in der Ebene voll 
zur Geltung kommt, beſchwerlich und gefährlich. Nur durch die Cücke zwiſchen 
den Karpathen und Sudeten, durch die mähriſche Pforte ſtießen fie vor und 
beſtürmten die illyrifde Geltung auf dem Rotoutſch bei Stramberg im Ruh— 
ländchen 3). Ebenſo wie das Gebirge mieden die Sfythen die weiten Fluren 


i e D SEH Schleſiſche Feſtungen aus der Bronzezeit. Schleſiſche Monatshefte I, 
; , D. 

2) M. Jahn, Die Stythen in Schlefien. Schlefiens Vorzeit, HS IX, S. 11. 

3) Die verdienſtvolle Arbeit von G. Stumpf, Die Vor- und Frühgeſchichte des Kuh⸗ 
ländchens in der Seitichrift des eren Kuhländler heimatfeſtes in Neu-CTitſchein 1927 vers 
mittelte mir die Kenntnis davon, daß in dem Burgwall auf dem Rotoutſch, welcher der 
jüngſten Caufiker Kultur angehört, ebenſo wie auf dem Breiten Berge eine ganze Anzahl 
ſtothiſcher Pfeilſpitzen gefunden worden ijt. K. a. O. S. 15—18 u. Taf. III, 13 u. VIII, 31. 


5] Dölterwanderungen vor der Völkerwanderungszeit in Schleſien 275 


2 YY 


rn 


Abb. A Zeit: und Datta der vorchriſtlichen jene Sdlefiens. 
Gezeichnet von §. Geſchwend 


baſterniſchen Machtbereiches, auf den ſie ſchon in Galizien trafen und den 
fie klüglich auf ihrem Vorſtoß nach Deutſchland umgingen. Gegen die neu: 
geſchaffene und unerſchütterte Großmacht dieſer kampferprobten Germanen 
konnten die unſteten Steppenvölker nichts ausrichten. So ſuchten und fanden 
ſie denn zwiſchen dem Gebirgsrande und dem Baſternengebiete die Stelle 
geringſten Widerſtandes bei den eben erſt in ihrer kriegeriſchen Kraft ge⸗ 
brochenen Illyriern Schleſiens und der Cauſitz. Halt machten die Sfythen 
erſt in der Mark dort, wo ſie auf ein zweites machtvolles Staatengebilde 
ſtießen, auf die Weſtgermanen. So erklärt ſich die lange und ſchmale 
Sorm des Vorſtoßgebietes der Skythen, das fühlerartig bis zur Mitte Deutſch⸗ 
lands vorſchnellte. Während die Baſternen bei ihren früheren Kämpfen 
mit den Illyriern neues Siedlungsland erſtrebten, gingen die Stythen offenbar 
mehr auf Raub und Beute aus. Troß ihrer ſiegreichen Züge, die nach den 
Funden ins 5. Jahrhundert v. Chr. zu ſetzen find, laſſen fic) keine ſkuthiſchen 
Siedlungen und Gräberfelder in Oſtdeutſchland nachweiſen. So plötzlich 
wie ſie kamen, ſo ſchnell verließen ſie offenbar auch wieder das Land. Seß⸗ 
haft wurden ſie nach unſerer bisherigen Kenntnis nicht. Wenn ſie auch die 
Illyrierreſte militäriſch vernichtend ſchlugen, fo entriſſen fie ihnen nicht 
dauernd Land und Freiheit. Vielmehr beſitzen wir Anzeichen dafür, daß auch 
nach den Skuthenſtürmen noch ſelbſtändige Illurier weſtlich des Baſternen⸗ 
reiches geſeſſen haben. 

Den Untergang fanden dieſe letzten Reſte des einſt jo machtvollen 
Illyriervolkes um 400 v. Chr. durch einen dritten Feind, der aus einer dritten 
Gegend einwanderte: die Kelten. Sie hatten zu Beginn des 4. Jahrhunderts 
Böhmen und Mähren beſetzt und waren ſofort von dieſem neu eroberten 
Gebiet über die Sudeten nach Mitteljchlefien und Oberſchleſien vorgeſtoßen, 
wo fie ſich hauptſächlich der fruchtbaren Cößlandſchaften bemächtigten. Aud 
das gewaltige Feſtungsſyſtem im Zobtengebiete konnte ihnen nicht ſtand— 
halten. Die Illyrier gingen im Kampf mit den Kelten zugrunde oder wurden 

18* 


276 Martin Jahn [6 


den neuen Machthabern untertänig. Don ihrem Dolfstum erkennt man 
in den älteſten ſchleſiſchen Keltengräbern noch Spuren, die aber nur zu bald 
verſchwinden 1). Unſere Karte (Abb. 1) zeigt die Ausdehnung des Relten⸗ 
gebietes, das ſich bis zur Oder erſtreckte und hier an das Baſternenreich grenzte. 
Es iſt bemerkenswert, daß Schleſien Jahrhunderte lang politiſch in zwei Teile 
getrennt war und daß die Oder die Grenze bildete, nicht wie heute der Sudeten⸗ 
kamm. Überhaupt ſpielen in der Vorzeit Gebirge nicht in dem gleichen Maße 
wie in der Neuzeit eine Rolle als natürliche Grenze. Sowohl für den Illurier⸗ 
ſtaat wie für das Keltenreich waren die Sudeten keine Scheidelinie, ſondern 
das eigentliche Rückgrat des Staatsweſens. Beiderſeits des Gebirges wohnten 
Angebörige desſelben Stammes, Genoſſen desſelben Blutes. So unnatür⸗ 
lich dieſe Längsteilung der geographiſchen Einheit Schleſiens auf den erſten 
Blick erſcheinen mag, ſo wiederholt ſie ſich doch im frühen Mittelalter unter 
ganz anderen Derhältnijjen. Auch damals gehörte Schleſien links der Oder 
zur böhmiſchen Krone und an dem ſchleſiſchen Strom wurden Grenzfeſtungen 
gen Oſten gegen die Polen errichtet. Die keltiſchen Sundpläße gliedern ſich 
klar in zwei Gruppen, eine mittelſchleſiſche, die von den aus Böhmen ge: 
kommenen keltiſchen Bojern bewohnt war, und eine oberſchleſiſche, die ſich 
dem mähriſchen Keltenjtaate der Volker angliedert. Die Schickſale der beiden 
keltiſchen Teilſtämme Schleſiens ſind nicht ganz die gleichen. Doch ehe wir 
ſie verfolgen, wenden wir uns noch einmal den Baſternen zu. 

Noch etwa 100 Jahre, nachdem die Kelten die Erbſchaft des illyrifchen 
Reſtſtaates angetreten hatten, find die Baſternen rechts der Oder nach⸗ 
weisbar, dann hören ihre Siedlungen und Gräberfelder auf. Ungefähr 
250 Jahre lang hatten fie Nordoſtſchleſien bewohnt, dann packte fie ihr alter 
Wandertrieb von neuem und gegen 300 n. Chr. verließen ſie ihre Sitze, um 
ſüdoſtwärts neuen Landen zuzuſtreben (Abb. 3). Was der äußere Anlaß war, 
der diefe Oſtgermanen zu neuer Wanderung trieb, ijt mit Sicherheit nicht zu 
erweiſen. Politiſcher oder militäriſcher Druck der keltiſchen Nachbarn, an den 
man zuerſt denken könnte, ſpielte kaum eine Rolle; denn die Kelten hatten 
damals ihre Blütezeit ſchon überſchritten und beſaßen nicht mehr die Kraft oder 
das Husdehnungsbedürfnis, die von den Baſternen freigegebenen Gebiete 
zu beſetzen. Dieſe verwilderten und verödeten daher. Eher könnten mehr⸗ 
fache Mißernten den Germanen ihr Land verleidet haben. Noch wahrſchein⸗ 
licher ſcheint es mir jedoch, daß die Baſternen von dem Gebiete der Skythen 
angelockt wurden, von deren Reichtum ſie genug gehört und während der 
Skythenvorſtöße geſehen hatten. Das Skuthenreich, das eben noch feine 
Kriegerſcharen bis ins Herz Deutſchlands entſandt hatte, ſank immer mehr 
zuſammen. Was lag da näher, als daß das noch aufwärts ſtrebende Nachbar⸗ 
volk der Baſternen ſich an ſeine Stelle ſetzte und ſo als erſte Germanenwelle 
bis an die Pforten der antiken Welt und der klaſſiſchen Kultur brandete. 

Mit dem Abzug der Baſternen hört das Zweimächteſuſtem, das Jet 
dem 6. Jahrhundert vor Chr. in Schleſien geherrſcht hatte, auf. Die Relten 
ſind vom 3. Jahrhundert ab die alleinigen Bewohner des Landes; freilich 
dehnten ſie, wie ſchon erwähnt, ihre Sitze nicht auf das Gebiet rechts der 
Oder aus, das herrenlos blieb. Etwa zwei Jahrhunderte dauerte dieſe 
keltiſche Alleinherrſchaft in Schlefien. Dann kam eine neue Umwälzung im 
ſchleſiſchen Siedlungsbild. Ein viertes Volk heiſchte Anteil am ſchleſiſchen 


) In einer Zuſammenſtellung der keltiſchen Funde Schleſiens gedenke ich demnächſt 
die obigen kurzen Andeutungen näher darzulegen. 


71 Doltermanderungen vor der Dölterwanderungszeit in Schleſien 277 


Boden. Wieder war es ein Germanenſtamm, die Wandalen, die um 
100 v. Chr. von Norden her kamen, hauptſächlich die Oder aufwärts ziehend 
eindrangen und Nieder- und Mitteljchlejien beſetzten. Sie begnügten fic 
aber nicht wie einſt die Baſternen mit dem öſtlichen Teil Schleſiens, den ſie 
ſo gut wie menſchenleer vorfanden, ſondern überwältigten auch die mittel⸗ 
ſchleſiſchen Kelten weſtlich der Oder. Starke keltiſche Stilelemente in den 
älteſten mittelſchleſiſchen Wandalengräbern ſcheinen dafür zu zeugen, daß 
viele Kelten, beſonders Handwerker, die ſich nicht mehr rechtzeitig flüchten 
konnten, den Wandalen als Sklaven dienen mußten. Die geſamte jetzige 
Provinz Niederſchleſien, ſoweit fie überhaupt bewohnt war, gehörte alſo 
ſeit dem letzten Jahrhundert zum Siedlungsgebiet der Wandalen, die ein 
halbes Jahrtauſend hier ſeßhaft geblieben ſind 1). Ahnlich wie die Baſternen 
machten die Wandalen vorerſt etwa an der jetzigen oberſchleſiſchen Grenze 
Halt. Dem oberſchleſiſchen Keltenvolf war daher die Selbſtändigkeit ein 
Jahrhundert länger beſchieden. Die keltiſchen Funde des letzten Jahrhunderts 
v. Chr. ſind in Oberſchleſien ſogar bei weitem zahlreicher als die früheren. 
Man kann wohl daraus ſchließen, daß beträchtliche Teile der mittelſchleſiſchen 
Kelten vor den Wandalen nach Oberſchleſien ausgewichen find und ſich dort 
niedergelaſſen haben. Gr etwa mit dem Beginne unferer Zeitrechnung 
verſchwindet das Keltentum auch aus Oberſchleſien und die Wandalen be— 
ſetzen allmählich dieſen letzten Teil der ſchleſiſchen Erde, die nun Jahrhunderte 
lang völlig unbeſchränkt von Germanen bewohnt war. 

Damit ijt das große Völkerringen um Schleſien beendet; nur noch 
Verſchiebungen innerhalb der Germanenſtämme ſelbſt fanden in den nächſten 
Jahrhunderten ſtatt. Die Wandalen machten Schleſien zu einem religiöſen, 
kulturellen und Derfehrsmittelpuntt von überragender Bedeutung, der nach 
allen himmelsrichtungen weithin nur noch von Germanenländern umgeben 
war. Dieſer große Enderfolg der vorhiſtoriſchen Dölterwanderungen ſollte 
dann leider durch die hiſtoriſche Völkerwanderung fo gut wie völlig wieder 
zunichte gemacht und Schleſien wieder der Verödung und einem kulturell 
niedriger ſtehenden Volkstum preisgegeben werden. 


1) M. Jahn, Die Gliederung der wandaliſchen Kultur in Schleſien. Schleſiens 
Vorzeit, N. e Bd. VIII, S. 20 ff. 


Grundſätzliches zur Erſchließung urgeſchichtlicher 
Wanderungen. 
Don Helmut Preidel. 


Daß die. Urgeſchichte von Haus aus eine hiſtoriſche Wiſſenſchaft ift, 
wird heute von niemandem mehr ernſtlich beſtritten. Nur darüber ijt man 
ſich vielfach noch nicht klar geworden, in welchem Ausmaße fie Erkenntniſſe 
vermitteln kann. Um dieſe Frage zu klären, müſſen die ihr zur Verfügung 
ſtehenden Quellen, in der Hauptſache alſo die Bodenfunde, auf ihre Wertig⸗ 
keit unterſucht werden. 

Eine kürzlich erſchienene Arbeit!) nennt als Quellen Einzelfunde, 
Siedlungsfunde, Grabfunde und Derwahrfunde. Wie aber bereits Sudete II 
(1926), S. 30 ausgeführt iſt, müſſen Bodenfunde, d. h. alle jene Spuren, 
die von urzeitlichen Menſchen herrühren, kritiſch in zwei Gruppen eingeteilt 
werden, in bewegliche Funde oder Altſachen und in unbewegliche Sunde 
oder Bodendenkmäler. Jede dieſer Gattungen ohne die notwendige Ergän⸗ 
zung durch die andere bilden für ſich Einzelfunde, beide gemeinſam, d. h. Alt⸗ 
ſachen und ein Bodendenkmal, jene Fundarten, die man als Grab⸗, Siedlungs⸗ 
oder Sammelfunde zu bezeichnen pflegt. 

In einer kurz vor feinem Tode abgefaßten Urbeit?) hat hoernes in 
programmatiſcher Art für die Deutung eines Bodenfundes drei Hauptfragen 
aufgeſtellt, die Jacob-Frieſen in feinem Buche (S. 102) in Sätze de: 
kleidet hat: b e 

1. Was iſt der Gegenſtand und wozu ijt er geſchaffen? 

2. Wie alt iſt der Gegenjtand? 

3. Wo iſt der Gegenjtand beheimatet und warum wurde er gerade 
an jener Stelle gefunden? 

Dieſe Aufitellung ijt nicht ganz klar. Der letzte Satz muß unbedingt 
lauten: Wo ſind annähernd gleiche Gegenſtände gefunden worden und warum 
wurde dieſer gerade an jener Stelle gefunden? Aud) dann ijt die Frage— 
ſtellung noch nicht fehlerfrei, es ſei denn, man erblickt in den „Gegenſtänden“ 
Bodenfunde ſchlechthin. 

In Wirklichkeit kann man natürlich dieſe Grundfragen nicht ſo ſtreng 
auseinander halten, da Hltſachen und Bodendenkmäler eine beſondere Stellung 
einnehmen. Während nämlich Bodendenkmäler am Orte von Menſchen 
angelegt worden ſein müſſen, beſteht dieſe Gewähr für Altſachen nicht. Sie 
können in der Nähe, aber auch in weiter Ferne gefertigt ſein und nur durch 


1) Jacob-Srieſen, Grundfragen der Urgeſchichtsforſchung. hannover 1927, S.92 ff. 
2) Die Kultur der Gegenwart, ihre Entwicklung und ihre Ziele, III. Teil, 5. Abtlg. 
Ceipzig und Berlin 1925, S. 540. 


2] Grundſätzliches zur Erſchließung urgeſchichtlicher Wanderungen 279 


einen Zufall, der nicht immer mit urgeſchichtlichen Menſchen in Beziehung 
zu ſtehen braucht, in die Erde gekommen ſein. Ein gewiſſer Quellenwert 
kommt ihnen nach der Wahrſcheinlichkeit erſt zu, ſobald in der Nachbarſchaft 
gleichalte und zum gleichen Typus gehörige Stücke gefunden worden ſind, 
jedoch abſoluter Quellenwert, ſobald ſie mit einem Bodendenkmale verbunden 
vorkommen. Wenn die Fundumſtände einwandfrei find, bieten fie die Gewähr, 
daß die Erzeuger, ihnen naheſtehende Menſchen oder auch Jeitgenoſſen 
ſchlechthin die Altjachen niedergelegt oder hinterlaſſen haben. 

Wie ſchon angedeutet, ſpielt die Urheberfrage die „Genealogie“ des 
Sunöjtüdes nach hoernes in der Urgeſchichtsforſchung die größte Rolle. 
Jeder urgeſchichtliche Bodenfund gehört in den Kreis der Lebensäußerungen 
urgeſchichtlicher Menſchen. Die Tatſache, daß jeder Bodenfund individuellen 
Charakter zeigt, kann nur auf die individuell ausgebildeten bezw. verſchiedenen 
Anlagen der Urheber zurückgeführt werden, letzten Endes alſo auf ſomatiſche 
Grundlagen oder auf ſolche, die Lebensgemeinſchaften oder Beziehungen 
hervorgerufen und gepflegt haben. Was die Runſtgeſchichte längſt als Aus- 
drucksform des ſchaffenden Menſchen erkannt hat, das muß in gewiſſem Aus- 
maße auch die Urgeſchichte ſich zu eigen machen. Jeder Bodenfund muß 
ihr eine Ausdrudsform des Urhebers fein. Wie die Runſtgeſchichte aus der 
Ähnlichkeit der Ausdrudsformen auf die Verwandtſchaft der Künſtler in 
ſomatiſcher oder vitaler Hinjicht ſchließt, jo kann dies auch die Urgeſchichte 
auf ihre Unterlagen dem Rauſalitätsgeſetze entſprechend anwenden. 

Das gemeinhin allgemein verſtändliche, annähernd gleiche Ausdruds- 
mittel einer Lebensgemeinſchaft iſt die Sprache. Gemeinſame Mutterſprache, 
im einzelnen wieder fein abgeſtuft nach klusſprache, Sprechton, Wortinhalt, 
Wortſtellung, Satzbau u. a., ijt das vornehmſte Merkmal einer Doltsgemeins 
ſchaft, deren ungleiche Blutzuſammenſetzung und ungleiche Anlagenausbildung 
die Unterſchiede hervorgerufen hat, die ſelbſt die „Erziehung“ nicht voll- 
ſtändig ausgleichen konnte. Daneben treten natürlich noch andere Ausdruds- 
formen in Erſcheinung, darunter ſolche, die die Differenzierung deutlicher 
noch als die Sprache zum Ausdrud bringen. Das Bild, das fo eine Lebens- 
gemeinſchaft in ihren Außerungen widerſpiegelt, wird alſo trotz der vielen 
gemeinſamen Züge nicht jo einheitlich fein, entſprechend den ſomatiſchen 
Grundlagen. Neben Ausdrucksformen, die für dieſe oder jene engere Gemein: 
ſchaft kennzeichnend ſind, wird es ſolche geben, die der geſamten Gruppe 
eigen ſind, ſchließlich noch ſolche, die über den Rahmen hinausgehen. 

Da die Urgeſchichte es ebenfalls nur mit Ausdrudsformen von Menſchen 
zu tun hat, kann auf ihre Methoden auch die an einem Beiſpiele der Gegen— 
wart verdeutlichten Anwendungen des Kaufalitätsgejeßes übertragen werden. 
Das wichtigſte Kriterium zur tatſächlichen Erſchließung einer Volksge mein— 
ſchaft fehlt ihr zwar, doch kann ſie es nicht nur erſetzen, ſondern auch noch 
feinere Unterſchiede wahrnehmen. 

Bodenfunde, die in der äußeren Erſcheinungsform einander ähneln 
oder einander nahezu gleichen, faßt die Forſchung in dem Begriffe Tupus 
zuſammen, vorausgeſetzt, daß annähernde Gleichzeitigkeit im Sinne von 
Montelius, d. h. annähernd gleichalte Herſtellung nachweisbar ijt. Wenn 
man nun der räumlichen Verbreitung gleichzeitiger Typen nachgeht, wird 
man finden, daß einzelne von ihnen nur in einigen engen Gebieten vor— 
kommen, andere darüber hinaus in zwei oder mehreren ſo gekennzeichneten 
Gegenden und ſchließlich ſolche, die überall auftreten, innerhalb oder außer— 
halb des zugrunde liegenden Raumes. Für dieſen angenommenen Formen— 


280 Helmut Preidel [3 


kreis find dieſe Typen dann atupiſch, auch ſolche, deren hauptverbreitungs⸗ 
gebiet außerhalb des Formenkreiſes zu ſuchen ijt. Die Derbreitungsgebiete 
der einzelnen Typen und Tupengruppen werden ſich gewöhnlich nicht ſcharf 
e laſſen, da ſie in den Randzonen vielfach ineinander übergreifen 
werden. 

Wendet man nun auf dieſe Derhältniſſe das Kauſalitätsgeſetz an, fo 
muß man jeden einzelnen Vertreter eines Typus mit einem gewiſſen, nicht 
näher beſtimmbaren Anlagenfompler in Verbindung bringen, den geſamten 
Typus mit eng verwandten Anlagenfompleren der Urheber oder letzten 
Eigentümer. Um die Frage Eigentümer oder Urheber entſcheiden zu können, 
falls nicht die Fundgattung den Zweifel erübrigt, bedient man ſich wie die 
meiſten Naturwiſſenſchaften des Unalogieſchluſſes: Wo die meiſten Vertreter 
eines Tupus nachweisbar ſind, dort werden ſie gefertigt ſein. Jene Stücke 
alſo, die für eine Gegend nicht kennzeichnend ſind, werden als Niederſchläge 
eines Güteraustauſches zu betrachten ſein, auch in den Gebieten, die als 
Grenzzonen zu bezeichnen ſind. Die Verteilung der nicht atypiſchen Typen 
zeigt alſo die Verteilung der entſprechenden Unlagenkomplexe der Urheber 
oder Eigentümer in Abjtufungen, die nur auf engere oder loſere Lebens- 
gemeinſchaften bezogen werden können, zweifelsohne auch auf Urtgemein⸗ 
ſchaften. Die Forſchung nennt dieſe Gruppen Kulturfreije, Kulturprovinzen 
oder Kulturgebiete. 

Dieſes Verfahren, das in einer gewiſſen Jeitſtufe die Kultur- bezw. 
Bevölkerungsverhältniſſe einer Gegend erkennen läßt, iſt natürlich jederzeit 
anwendbar, wie als erſter Koſſinna vor mehr als 30 Jahren erkannt hat. 
Was hier in großen Zügen abzuleiten verſucht wurde, hat ihm die Erfahrung 
gelehrt: ſcharf umgrenzte Rulturgebiete decken ſich zu allen Zeiten mit be- 
ſtimmten Völkern oder Volksſtämmen. 

Schon im vorigen Jahrhundert hat Montelius nachgewieſen, daß die 
Erſcheinungsbilder eines Typus nicht nur untereinander individuelle Züge 
tragen, ſondern auch ſo weitgehende Veränderungen zeigen, daß man bereits 
von einem neuen Typus ſprechen muß. Mehrere ſolcher Typen einer be- 
ſtimmten Form hat er in der Weiſe zuſammengeſtellt, daß die Exiſtenz des 
einen Tupus aus den anderen erklärlich war. Zo erhielt er eine tupologiſche 
Reihe, die ihm zeigte, in welcher Stufenfolge die einzelnen Typen dieſer 
Formenreihe ſich entwickelt haben. Indem er dieſe Reihen untereinander 
verglich, konnte er feſtſtellen, daß im ſelben Zeitraume einige raſcher, andere 
wieder ſich langſamer entwickelt hatten. Die erſteren nannte Montelius 
empfindlich, die letzteren minder empfindlich. Dieſe qualitativen Unterſchiede 
ſind namentlich auf Material und Beſtimmung zurückzuführen. Im allgemeinen 
kann man mit Montelius ſagen, daß ſolche Formenreihen bezw. Typen 
am empfindlichſten ſind, denen die höchſte Husdrucksform, der größte Runſt— 
wert, eigen iſt. Dabei iſt die Beobachtung zu machen, daß die Entwicklung 
auch vom Alter abhängt. Je weiter nämlich Bodenfunde zeitlich zurück— 
reichen, deſto langſamer werden ſie ſich entwickeln. Dieſe Tatſache erklärt 
einerſeits das Kriterium der Empfindlichkeit, je urſprünglicher ein Tupus iſt, 
deſto weniger Kunſtwert iſt ihm beizumeſſen, andererſeits aber nur die Un— 
wendung des Kauſalitätsgeſetzes, da auch alte Tupen, deren individuelle 
Ausdrucksformen höher anzuſchlagen ſind, gegenüber jüngeren und minder 
einzuſchätzenden Tupen das gleiche Verhältnis zeigen. 

Wenn ein Typus auf einen gewiſſen Unlagenkomplex zurückzuführen 
iſt, dann wird die Veränderung innerhalb der Formenreihe auf eine 


4] Grundſätzliches zur Erſchließung urgeſchichtlicher Wanderungen 281 


Veränderung der Anlagen der Urheber Tuben. Die Urſache dafür wäre 
alſo zu unterſuchen. Nach den bisherigen Erfahrungen können hier nur in 
Betracht kommen: 

1. Ausbildung bereits in Wirkſamkeit getretener Anlagen, 

2. Erweckung vorhandener, aber bisher nicht in Wirkſamkeit getretener 

Anlagen durch Intuition oder durch Einflüſſe von außen, 

3. Vermengung vererbter Anlagen infolge vorausgegangener Blut- 

miſchung nach den Dererbungsgejeßen. 

Dieſe Hufſtellungen lehren deutlich, daß die raſſiſche Zuſammenſetzung 
einer Urhebergruppe einen nicht geringen Einfluß auf die Ausprägung ihrer 
Lebensäußerungen hat. Wenn als Rajje eine größere Gruppe von Menſchen 
bezeichnet werden kann, die durch gleiche Anlagen gekennzeichnet find, werden 
bei ſtrenger Inzucht immer nur wieder die gleichen Anlagen in Erſcheinung 
treten, es ſei denn, daß die intenſive Inanſpruchnahme einige Unlagen auf 
Roſten anderer beſonders pflegt. Huch die Erweckung ſchlummernder Un⸗ 
lagen durch Erfindung oder durch Hinweiſe von außen, aljo Lernen bei Art- 
genoſſen oder bei anderen, Erlernen infolge geänderter Lebensbedingungen 
u. a. m., dürften eine Rolle ſpielen. Immerhin aber werden ſich die Anlagen 
hier nicht in dem Maße umbilden können, wie in einer Lebensgemeinſchaft, 
die fremdes Blut in ſich aufgenommen hat. Dort werden in der Geſchlechter⸗ 
folge alle Anlagen der Komponenten in den mannigfachſten Juſammen— 
ſetzungen hervortreten. Dieſer ſtändige Wechſel der Anlagen wird zwar 
durch das Gemeinſchaftsleben in ſeiner Auswirfung abgeſchwächt, wird aber 
dennoch die Ausdrudsformen entſprechend umbilden. Die Entwicklung wird 
um ſo raſcher vor ſich gehen, je mehr raſſiſche Komponenten an der Ausbildung 
der Urheber beteiligt waren. 

Wenn man die Kulturfreislehre mit der Tatſache der Formenentwicklung 
in Verbindung bringt, gelangt man zu der ſiedlungsarchäologiſchen Methode, 
die Kofjinna vor mehr als einem Menſchenalter gefunden hat. Die ein- 
fachſte Anwendung dieſer AUrbeitsweiſe verlangt, die Verbreitung der ein— 
zelnen Tupen einer empfindlichen Formenreihe geographiſch feſtzuſtellen. 
Entweder findet man, daß Typen der Reihe räumlich annähernd gleiche 
Verbreitung zeigen, oder daß einzelne Typen in verſchiedenen Gegenden 
auftreten, einerjeits im Zuſammenhange mit dem urſprünglichen Derbreitungs- 
gebiete, andererſeits ohne die Sicherſtellung eines ſolchen. Im erſten Falle 
ſpricht man von der Behauptung eines Kulturgebietes, im zweiten von einer 
Ausbreitung und im letzten von einer Abwanderung. 

Die Kulturausbreitung kann in der Weiſe vor ſich gehen, daß in dem 
neugewonnenen Gebiet neben den neuen noch gleichalte Typen fremder 
Entwicklungsreihen auftreten. Das iſt beiſpielsweiſe auch in den ſchon ge— 
nannten Grenzzonen der Fall, wo das zahlenmäßige Verhältnis ungefähr 
das gleiche fein wird. Die Intenſität der Durchdringung eines fremden Rultur— 
gebietes ſpiegelt die Entwicklung wider. Bald werden nämlich die einen 
Typen die anderen verdrängen unter gleichzeitiger Deränderung der Grund— 
formen, ſo daß man ſie der urſprünglichen Formenreihe als Nebenſerie bei— 
ordnen müſſen wird. Schließlich wird ſich das dahin auswirken, daß entweder 
eine Derfchmelzung mit den entſprechend abgewandelten heimiſchen Cypen 
eintritt oder daß dieſe überhaupt zu beſtehen aufhören. 

Die Kulturausbreitung kann ſich aber auch noch anders auswirken. 
Mit dem Auftreten von Typen einer Formenreihe in einem fremden Kultur: 
gebiete kann das Derſchwinden der gleichalten Typen der urſprünglich hier 


282 Helmut Preidel [5 


beheimateten Formenreihe verbunden fein. In dieſem Falle wird die Ent⸗ 
wicklung zunächſt ähnlich wie im Mutterlande erfolgen. Später aber wird 
es auch hier zur flusbildung einer Nebenſerie kommen. 

Eine Teilwanderung oder Abwanderung eines Kulturgebietes wird ſich 
in ähnlicher Weiſe auswirken, ſoweit es ſich um das Eindringen und um die 
Entwicklung der führenden Formenreihe handelt. Wenn das Neuland nicht 
unmittelbar dem Mutterlande benachbart ijt, ſpricht man von einer Teil- 
wanderung. Um eine Abwanderung endlich handelt es ſich, ſobald im ur⸗ 
ſprünglichen Derbreitungsgebiet der kennzeichnenden Formenreihe keine Sort- 
entwicklungen mehr nachweisbar ſind, dieſe vielmehr in einer anderen Gegend 
auftreten. Die Abwanderung tritt um ſo klarer zutage, falls in der alten 
Heimat eine fremde Kultur ſich ausbreitet. 

Wie find nun dieſe Verhältniſſe im Sinne des Kauſalitätsgeſetzes zu 
verſtehen? Das Beſtehen einer Formenreihe innerhalb beſtimmter Grenzen 
kann nur dahin gedeutet werden, daß der Anlagenfompler der Urheber ſich 
den Vererbungsgeſetzen gemäß entfaltet hat. Jedes hinzukommen urſprüng⸗ 
lich fremder Anlagen müßten die Ausdrudsformen anzeigen. Von einer 
ungeſtörten Entwicklung könnte dann keine Rede ſein. 

Die Erwerbung neuen Kulturlandes durch Eindringen von Teilen einer 
Sormenreihe in ein fremdes Kulturgebiet kann ſolange auf Handelsnieder⸗ 
ſchläge zurückgeführt werden, ſolange man keine Unterlagen dafür hat, daß 
die Vertreter der Typen nicht in der Gegend hergeſtellt worden ſind. Neben 
den Formen der angenommenen Formenreihe müßten die urſprünglich hier 
allein heimiſchen parallel erſcheinen. Die Annahme der einen oder der 
anderen Reihe durch die Bevölkerung ſetzt ſchon voraus, daß eine gewiſſe 
Beeinfluſſung ihrer Anlagenfomplere vorausgegangen fein muß, eine Un⸗ 
näherung der Lebensgemeinſchaften der Urheber. Die erfahrungsgemäß bald 
in Erſcheinung tretende Ausbildung von Nebenſerien, von denen die eine 
die kräftigere ſein wird, zeigt, daß ihr eine intenſivere Veränderung des 
Anlagenfompleres vorausgegangen ijt, die nur auf ſomatiſcher Grundlage 
fußen kann, auf Vermiſchung mit der älteren Bevölkerung. Die Überlegen⸗ 
heit eines Hnlagenkomplexes in qualitativer oder quantitativer hinſicht ſpiegelt 
ſich dann in dem Abjterben einer Formenreihe wieder. Das allmähliche 
Durchdringen und das langſame Auffaugen einer Lebensgemeinſchaft durch 
eine andere innerhalb eines beſtimmten Gebietes nennt man Roloniſierung. 

Erfolgt die Erwerbung neuen Rulturlandes in der Weiſe, daß die 
urſprünglich hier heimiſche Formenreihe gleichzeitig verdrängt wird, alſo 
ein Eindringen gewiſſer Unlagenkomplexe in eine urſprünglich fremde Lebens- 
gemeinſchaft mit einer Unzahl fremder Unlagen, ohne daß dieſe Urheber— 
gruppe in Hinkunft die urſprünglichen Ausdrudsformen weiterbildet, jo muß 
dem notwendig auf eine gewaltſame Verdrängung oder Unterdrückung der 
früher hier wohnenden Bevölkerung vorausgegangen fein. In der Regel 
entſtehen in ſolchen Gebieten ſpäter ebenfalls von der urſprünglichen Formen- 
reihe abzweigende Tupen. Mitunter kann dies ſoweit führen, daß die ſpäteren 
Ausdrudsformen überhaupt nicht mehr die Eigenart der Eroberer wider— 
ſpiegeln werden. Hus der Intenſität der zugrunde liegenden Veränderung 
der Anlagen der Urheber iſt dann zu erſehen, auf welche Urſachen das zurück— 
zuführen iſt, auf bloße Umbildung infolge geänderter Lebensbedingungen 
oder auf die Aufnahme fremden Blutes. In dieſem Falle iſt in erſter Linie 
an die unterworfene oder nicht zur Gänze verdrängte Urbevölkerung zu 
denken. 


6] Grundſätzliches zur Erſchließung urgeſchichtlicher Wanderungen 283 


Die Deutungen der Teilwanderungen und Abwanderungen von Kul- 
turen im Sinne des RKauſalitätsgeſetzes ergeben fic) nach dem Vorſtehenden 
von ſelbſt. hervorzuheben wäre nur noch, daß Wanderungen in fundleere 
Gebiete nicht notwendigerweiſe die Beibehaltung der urſprünglichen Formen⸗ 
reihe zur Folge haben müſſen. Im Gegenteil wird ſich auch hier bisweilen 
eine Nebenſerie herausbilden, die einerſeits auf eine durch die u 
der natürlichen Lebensbedingungen hervorgerufene Umbildung der Anlagen 
zurückgehen kann, andererſeits aber auch auf die Aufnahme fremden Blutes. 
Dieſes letztere wird man namentlich dann annehmen müſſen, ſobald die 
ſpäteren Erſcheinungsformen Merkmale ſtilfremder Elemente äußern werden. 
Das fundleere Gebiet wird dann nicht unbeſiedelt geweſen ſein. 

Zum Schluſſe fet noch die Frage aufgeworfen: Welche Umſtände müſſen 
gegeben ſein, um von der Ausbreitung, Teilwanderung und Abwanderung 
einer urgeſchichtlichen Lebensgemeinſchaft ſprechen zu können? Cheoretiſch 
genügt die Verbreitung einer empfindlichen Formenreihe vollſtändig. Die 
Anwendung fällt aber nicht immer leicht, da das vorläufig verfügbare Material 
in vielen Fällen nur aus wenigen Stücken beſteht. Grundbedingung iſt, daß 
die typologijche Ableitung richtig ijt. Aud) falls dann nur ein Vertreter einer 
Sormenreihe in einem fremden Kulturgebiete erſcheint, kann man beiſpiels⸗ 
weiſe von einer Teilwanderung der entſprechenden Cebensgemeinſchaft ſprechen, 
wenn die Umſtände das rechtfertigen. Dor allem gehört hierzu das Dor- 
handenſein von Weiterbildungen, die eine Nebenſerie einleiten, oder die die 
Umbildung der heimiſchen Formenreihe hervorrufen, vorausgeſetzt, daß dieſe 
und die eingedrungene nicht nahe verwandt ſind. Dann iſt der Annahme, 
daß nur wenige Auswanderer die betreffenden elltſachen mitgebracht haben 
der Boden entzogen, weil einmal eine intenſivere Anderung der Ausdruds- 
formen bezw. der entſprechenden Anlagentomplere in urgeſchichtlicher Zeit 
nur auf Blutmiſchung zurückgeführt werden muß, die ſich natürlich in einem 
ſolchen Ausmaße nur äußern kann, wenn die geſamte Lebensgemeinſchaft 
in Mitleidenſchaft gezogen wurde, um fo mehr, als es ſich um die Aufnahme 
völlig fremder Unlagen handelt. 

Was hier in großen Zügen anzudeuten verſucht worden iſt, muß natür⸗ 
lich noch in jeder Beziehung ausgebaut werden, ſtellen dieſe Zeilen ja nur 
den Entwurf einer großen Arbeit dar, die zu ganz ähnlichen Zielen führen 
wird, wie fie Roſſinna bereits vor mehr als 30 Jahren auf anderem Wege 
gewonnen hat. 


II. Vorgeſchichte und Nachbarwiſſenſchaften. 
1. Anthropologie. 


Anthropologiſche Aufgaben aus der Dor- und 
Frühgeſchichte Süddeutſchlands. 


Aus dem Kaiſer Wilhelm⸗Inſtitut E Anthropologie, menſchliche Erblehre und Eugenik. 
Berlin-Dahlem. 


Don Eugen Silder, 


Dem Teil Anthropologie, der fich mit den Rollen der Dergangenbeit 
oder weiter zurück mit den Fragen der Entſtehung des Menſchen, der Aus- 
breitung der erſten menſchlichen Gruppen und ähnlichen Fragen beſchäftigt, 
fließt fein geſamtes Arbeitsmaterial, die Sundjtiide, einzig und allein von 
der vorgeſchichtlichen Sorjdung zu. So darf die Anthropologie nicht fehlen, 
wenn ein Feſtband einen Führer auf vorgeſchichtlichem Gebiet feiern will, 
einen Mann, der ein arbeits- und erfolgreiches Leben der Forſchung und 
dem Kampf für feine Jorſchungsergebniſſe gewidmet hat. Und gerade heute, 
wo der Anthropologie in der Reichshauptſtadt durch die weitblidende Tatkraft 
der Raiſer⸗Wilhelm⸗Geſellſchaft eine neue, glänzende Arbeitsitätte geworden 
iſt, will dieſe in der Zahl der Glückwünſchenden nicht fehlen. Aber leider war 
es dem Derfaſſer in dem noch in Organiſation begriffenen Inſtitut nicht mög⸗ 
lich, ein Fertiges, eine Cöſung vorzulegen, er muß ſich damit begnügen, 
ſkizzenhaft auf Fragen hinzuweiſen, an deren Cöſung er arbeitet und die er 
einmal zu bringen hofft. Zur Cöſung aber iſt die Hilfe der prähiſtoriſchen 
Forſcher nötig und fo ijt wohl dieſe Darſtellung hier geſtattet, zumal ſich das 
Ganze auf die Raſſenmerkmale unſerer Heimat bezieht, die ja dem Jubilar 
ſtets beſonders am herzen lag. 

Die folgende Überlegung hat zum Ausgangspunft und Inhalt zunächſt 
nur gewiſſe früh- und vorgeſchichtliche Raſſenfragen Süddeutſchlands, aber 
ähnliche und entſprechende Fragen tauchen überall auf. 

s den geſamten vor- und frühgeſchichtlichen Raſſentypen Deutſch— 
lands ijt eigentlich nur eine Form ſchon vor Jahrzehnten fo klar beſchrieben 
und benannt worden, daß ihre Anerkennung bis heute weiter beſteht, A. Eckers 
„Reihengräber-Typus“. Es iſt erſtaunlich, wie ſcharf Ecker diefen Typus 
anthropologiſch herausgearbeitet hat, wenn wir gleichzeitig ſehen, wie phan⸗ 
taſtiſch und (rg die Renntniſſe der damaligen Zeit über „Hügelgräber“ 
(Hallſtattzeit), über Kelten uſw. waren. Die Reihengräber Süddeutſchlands, 
alſo die Friedhöfe der Alemannen, Franken, Bajuvaren uſw. reichen ſchon 
aus geſchichtlich ert halberhellter Zeit hinein ins volle Cicht geſchichtlicher 
Tage. Um 260 dürften die Alemannen die letzten Römerreſte rechtsrheiniſch 
vernichtet haben, bis ins 7. und 8. Jahrhundert gehen die Reihengräber, in 
dieſen ſpäten Beſtattungen die erſten chriſtlichen Symbole bergend. 

An dieſe Reihengräber knüpft ſich nun die wichtigſte Frage, die die 
raſſenkundliche Erforſchung der heutigen ſüddeutſchen Bevölkerung uns ſtellt. 


2] Anthropologiſche Aufgaben aus der Dore und Frühgeſchichte Süddeutſchlands 285 


Schon Ecker ſelbſt ſetzt den langgebauten Schädeln aus den Reihengräbern 
als ſchroffen Gegenſatz die runden Formen der heutigen Schädel derſelben 
Candſchaft gegenüber. Ich lege dabei Wert darauf, zu betonen, daß es ſich 
nicht um die Indexziffer handelt, ſondern um die geſamte Form in vielen 
anatomiſchen Einzelheiten, die Ecker gut geſehen und deutlich beſchrieben 
hat. Wenn ich im Folgenden von dolichocephal und brachucephal ſpreche, 
tue ich es nur der Einfachheit halber, dieſes einzelne Merkmal aus mindeſtens 
ebenſo wichtigen anderen herausgreifend. 

Woher kommen die heutigen Brachucephalen, etwa im oberrheiniſchen 
Alemannengebiet, wenn ich mich auf dieſes beſchränken ſoll. Nach der klle⸗ 
mannen- und ſpäteren Franken⸗Einwanderung fand nachweisbar keine neue 
irgendwie maſſenhafte Einwanderung ſtatt. Alſo ſchlug wohl die alte vor⸗ 
germaniſche Bevölkerung im Typus wieder durch? Aber dann müßte vor 
der Ankunft der Eroberer eine ſehr ſtarke Bevölkerung dageſeſſen haben, von 
den Einrückenden mindeſtens in den Weiberſtämmen geſchont und dann ſozu⸗ 
ſagen reſtlos aufgeheiratet worden ſein, ſonſt erklärte ſich der Wechſel nicht. 
Wiſſen wir doch, daß in den Reihengräbern oft 70—100% Dolicho⸗ und 
Meſocephale liegen, denen in der heutigen Bevölkerung bis über 60% Brachy- 
cepbale gegenüberſtehen. Die Gräberfunde aber aus den drei oder vier Jahr: 
hunderten jener Alemannengeit find unter ſich ganz einheitlich. Sollte die 
alte Bevölkerung daneben eine andere Art Beſtattung gehabt haben, von 
der wir noch gar nichts ahnen, die nicht in einem einzigen Fund “i uns 
gekommen ijt? Nein! Sie muß unter der Neuangekommenen gelebt haben 
und begraben fein. Die ſchönen Ausgrabungen in Holzgerlingen !) zeigen 
auch pojitiv durch die Beigaben, daß Herren und Knechte im ſelben Friedhof 
lagen. Leider find die Schädel nicht fo erhalten, daß man die Frage ent: 
ſcheiden kann, ob fie, wenigſtens durchſchnittlich dieſelbe oder verſchiedene 
Schädelform hatten. 

Aud) die Erſcheinungen der Vererbung erklären die Sachlage nicht, 
hauſchild verſuchte dieſe Art Deutung. Die Ungleichheit im Derjdwinden 
der Reihengräber-Schädelform und im Erhaltenbleiben der hellen Haar: 
und Augenfarben, der nordiſchen Naſenform uſw. wird durch keine An— 
nahme von Dominanz in der Dererbung oder Lururieren eines Merkmals 
in der Kreuzung befriedigend erklärt. 

Man verſucht eine andere Deutung. Die alte Bevölkerung ſoll durch 
die Eroberer in die unwirtlicheren Gegenden zurückgedrängt und ſpäter wieder, 
ſagen wir vorgefidert fein. Man betrachte z. B. die Wagnerſchen Karten ?) 
über die Verteilung der alemanniſchen Funde in Baden und vergleiche fie 
mit den Fundkarten aller früheren Perioden. Der Schwarzwald war bis weit 
in die Täler herunter immer ſiedelungsfrei. Eine ſcharfe Grenzlinie zeigt 
die Niederlaſſung der Alemannen. Etwa dieſelbe Grenze haben aber alle 
vorigen Siedler ebenfalls innegehalten. Nicht nachträgliches Vordringen der 
in den Schwarzwald zurückgeſchobenen Rejte talabwärts, ſondern umgekehrt 
aufwärts gerichtete Beſiedelung des Schwarzwaldes durch Rodung von den 
Alemannen-Wohnpläßen aus im Dienſte von Klöſtern und Herren hat den 
Schwarzwald beſiedelt, erheblich ſpäter als die erſten Gegenden. Und die 
heutigen Siedler ſind ebenſo brachycephal wie die, die auf damaligem Reihen: 
gräberboden ſitzen. 


) ) Walther 1935 Der Reihengräberfriedhof von Holzgerlingen. Sundber. aus 
Schwaben, N. S. III. 
2) E. EE Sundftätten und Sunde ... . in Baden. Bd. I. Tübingen 1908. 


286 E. Siſcher, Anthropologiſche Aufgaben a. d. Dote u. Srühgeſchichte Süddeutſchlands [3 


Endlich ein dritter Erklärungsverſuch, auf Ummon zurückgehend, will 
zur Deutung der auffälligen Befunde flusleſevorgänge verantwortlich machen. 
Die Langjchädeligen, als geiſtig eigenartig Deranlagte, ſollen Generation um 
Generation nach den Städten ausgewandert ſein. Aber wir haben im Land 
heute noch die Blonden, die Großen, die Langgefichtigen. Kann ſich etwa 
die Schädelform allein ausleſen? 

Das Problem iſt heute noch völlig dunkel. Zur Cöſung wäre zunächſt 
die Frage in Angriff zu nehmen, wann und wie ſchnell ſich der Umſchwung 
vollzogen hat. Hier fehlt jedes Material. Die chriſtlich gewordenen Alemannen 
und Franken begruben ihre Toten in denſelben Kirchhöfen, in denen ſeitdem 
bis heute, alſo jetzt 1000 Jahre lang, die Menſchen ihre Ruhe finden. Da 
haben die Neuankömmlinge die Alten unter dem Boden zerſtört und die hand 
des Forſchers darf an geweihte Stätte nicht taſten. Aber es fei hier beſonders 
betont, wie ungeheuer wichtig es wäre, wenn von aufgelaſſenen früheren 
chriſtlichen Friedhöfen oder von ehemaligen Beinhäuſern Schädelmaterial zu 
tage käme. Und es ſei hier die dringende Bitte um Bergung ſolchen Materials 
an alle Stellen gerichtet, die in Betracht kommen. Iſt es nicht wunderbar, 
daß wir heute in Schädelſammlungen außerordentlich viel mehr neolithiſche 
oder frühgermaniſche Schädel haben als früh- und ſpätmittelalterliche. Man 
kennt eigentlich nur die wenigen mittelalterlichen Schädel, die Ranke 
und Dilenius beſchrieben haben, vielleicht noch einige Beinhausſchädel. 

Wenn ich Ion beim Bitten um Lieferung von Material bin, möchte 
ich das gerne von den Vorgeſchichtsforſchern auch noch auf die Archäologen 
ausdehnen. Wenn der Anthropologe die Vertreter dieſer beiden Nachbar⸗ 
wiſſenſchaften ſicher auch oft enttäuſcht, weil er einzelnen Schädeln keine 
jene intereſſierende Diagnoſe anſehen kann, ſo iſt doch jeder einzelne Schädel 
ausnahmslos des Aufhebens unbedingt wert, ihre wachſende Zahl und künf⸗ 
tiges Vergleichs material werden uns doch noch einmal in den Stand ſetzen, 
dem ſpröden Material Antwort abzuringen. 

Doch zurück zu unſeren oberdeutſchen Raſſefragen. 

Steht das „Wann“ der eigenartigen Erſcheinung feſt, kommt erſt die 
ſchwierige Frage des „Wodurch“. Da kommen alle die ſchwierigen Probleme 
der Konjtanz der Schädelform, der Vererbung, der Kreuzung, des Lururierens 
und der Umweltwirkung in Betracht. Alle dieſe würden durch Material der 
obigen Art der Cöſung nähergeführt werden können, fo daß hier Forſchungen 
auf räumlich und zeitlich beſchränktem Gebiet doch hinführen würden zur 
Geſamtwiſſenſchaft vom Menſchen. 

Wie erwähnt, ſollten hier keine Ergebniſſe berichtet werden, aber 
vielleicht hilft die dargeſtellte Überlegung doch dazu, Grundlagen zu ſchaffen 
für die Löſung der Fragen und vielleicht werden Glückwünſche für einen 
Forſcher nicht für allzu unbeſcheiden gehalten, auch wenn ſie ausklingen in 
eine Bitte um hilfe an eben die Wiſſenſchaft, der er ſein Leben lang 
gedient hat. 


natürliche Stammeskunde als Hilfswiſſenſchaft der 
Vorgeſchichtsforſchung. 


Don hermann Albert Prieße. 


Jede Wiſſenſchaft hat den Beruf, dem Leben und der Gegenwart zu 
dienen. Eine Wiſſenſchaft um ihrer ſelbſt willen iſt Spielerei Vereinzelter. 
Die Wahrheit, die die Wiſſenſchaft fördern will, wird nur dann Wahrheit, 
wenn ſie einer Gemeinſchaft fruchtbar wird. 

Für keine Wiſſenſchaft gilt dies mehr als für die Geſchichtswiſſenſchaft 
und niemand hat dies klarer erkannt als Roſſinna, der ſeinem Buch 
ur gab: „Die Dorgefdidte, eine hervorragend nationale Wiſſen⸗ 
ſchaft!“ 

„Je tiefer Erkenntnis werden ſoll, um fo größer muß auch Liebe ja 
Leidenſchaft fein“, jagt Goethe. Woher jollten wir aber Liebe und Leiden- 
ſchaft für die Erforſchung der Vergangenheit nehmen, wenn nicht aus der 
Gemeinſchaft, in der wir leben? So ijt denn auch unter dem Wahlſpruch 
Roſſinnas, der wohl bei allen feinen Schülern und Anhängern bewußte 
Aufnahme gefunden hat, die Vorgeſchichtsforſchung in Deutſchland in einer 
Weiſe aufgeblüht, wie es ſelten einer Wiſſenſchaft beſchieden geweſen iſt; 
und wenige andere Wiſſenſchaften mögen ſein, die unter dieſem Zeichen 
eine größere Zukunft haben. 

Der gegenwärtige Stand der Vorgeſchichtsforſchung ijt zu vergleichen 
mit einem gewaltigen Brückenbau über den Strom der Zeit, wo am jen- 
ſeitigen Ufer, in der Vorzeit, das Fundament der Brückenpfeiler mit Sorg- 
falt und heiliger Gewiſſenhaftigkeit gelegt wird, wo nichts vergeſſen wird, 
was dem Bau Feſtigkeit verbürgt, und wo auch die unſcheinbarſte Arbeit 
nicht geſcheut wird, um der Grundlagen ſicher zu ſein. Damit nun aber beide 
Brückenhälften ſich zum vollendeten Ganzen entgegenwölben können, bedarf 
es auch auf dem diesſeitigen Ufer eines Pfeilerwiderlagers, das dem jen— 
ſeitigen in allen Teilen entſpricht und ihm an Feſtigkeit nicht nachſteht. 

Manches iſt auch hier ſchon bedacht worden, aber ein Unerläßliches 
fehlt noch. Geſchichte wie Vorgeſchichte handeln vom Menſchen und von 
Menſchenarten. Drüben am anderen Ufer bemüht man ſich, die Menſchen— 
arten, deren Nachlaß man im Boden findet, immer genauer zu erfaſſen, 
immer mehr zu gliedern und zu unterteilen. Schon genügt die Unterſcheidung 
von Nord-, Dit: und Weſtgermanen längſt nicht mehr, überall entwickeln 
ſich ſtammeskundlich zu unterſcheidende Gruppen, ja man geht kühn dazu 
über, hiſtoriſch beglaubigte Stämme der Dölterwanderungszeit aus den 
Bodenfunden zu erſchließen. Wie anders das Bild auf dem diesſeitigen 
Ufer! 


288 Hermann Albert Prieße [2 


Hier fehlt es bisher noch fo gut wie ganz an der Erforſchung der natür⸗ 
lichen Gebilde, welche jenen Stammesgruppen entſprechen. Die Wiſſenſchaft, 
die hierzu berufen wäre, nämlich die Unthropologie, ſcheint im Gegenteil 
ihren Beruf darin zu ſehen, das Vorhandenſein ſolcher Entſprechungen zu 
leugnen. Sie kennt nur hupothetiſche „Raſſen“ oder vielmehr Raſſenbeſtand⸗ 
teile, die keine örtliche Begrenzung und keine genauere Beſchreibung ge— 
ſtatten. Die ſogenannte Nordiſche Raſſe, in welche die deutſchen Stämme 
der Vorzeit nach den meiſten Raſſeforſchern ausmünden, ijt nach deren Ans 
ſicht ein ſo unbeſtimmtes Gemiſch von „Erbmaſſen“ auch anderer, ganz 
fremder Rollen, daß man auf dieſer Grundlage ſicher niemals eine Brücke 
in die durch Spaten und Schrift erhellte Vergangenheit wird ſchlagen können. 

Nicht viel beſſer ſteht es mit der volkskundlichen Sorjchung, die in ganz 
merkwürdiger Blindheit für das Naturgegebene, ihre Arbeitsgebiete nach 
zufälligen politiſchen Grenzen abſteckt und in dieſer Zwangsjacke natürlich 
das aller Volkskunde zutiefſt liegende verfehlen muß. Eine einwandfreie 
Volkskunde z. B. Rheinlands oder Weſtfalens iſt nicht möglich, wenn man 
nicht fühlt, wie ſehr verſchieden die in dieſen Gebieten lebenden Stammes⸗ 
gruppen ſind und wie wenig ihre Grenzen mit denen des politiſchen Gebietes 
übereinſtimmen. Was ſoll man in dieſer hinſicht gar 3. B. von einer Braun⸗ 
ſchweigiſchen Landeskunde erwarten, die ein zwiſchen Karlshafen an der Weſer 
und Neuhaldensleben an der Ohre verzetteltes Gebiet umfaſſen will! 

Dor 8 Jahren wies ich zum erſten Mal darauf hin ), daß es nicht nur 
dem Fachgelehrten, ſondern auch jedem einigermaßen Begabten möglich 
ſei, wirkliche, daß heißt in naturwiſſenſchaftlichem Sinne objektiv nachweis⸗ 
bare Stammesgrenzen im größten Teil Deutſchlands und wahrſcheinlich 
auch in den anderen europäiſchen Ländern feſtzuſtellen. Ich belegte dies 
in mehreren Auffagen, von denen drei im Mannus erſchienen find, an der 
Hand von praktiſchen Beiſpielen ?). Aber wo ſich eine falſche Theorie erſt 
einmal feſtgeſetzt hat, bedarf es längerer Zeit, ehe die Binde von den Augen 
fällt. Dabei nehme ich keineswegs in Anfprud), der erſte geweſen zu fein, 
dem dieſe Tatſache bekannt wurde. Schon Goethe hat in ſeinen Tag⸗ und 
Jahresheften die „höchſt merkbare Verſchiedenheit der menſchlichen Geſtalt“ 
auf feiner Reiſe von Weimar nach Pyrmont beobachtet. hermann Allmers 
gibt in ſeinem Marſchenbuch ebenfalls deutliche Hinweije auf die körperliche 
Derjchiedenheit der in den Elb- und Weſermarſchen angeſiedelten Stämme, 
Richard Linde desgleichen für dasſelbe Gebiet und für die Lüneburger 
Heide. Solche Beobachtungen können ſelbſtverſtändlich nur durch Vergleichung 
bei ausgedehnten und oft wiederholten Reifen wiſſenſchaftlich fruchtbar 
werden. Eine theoretiſche Raſſenkunde kann man allenfalls in ſeinem Studier⸗ 
zimmer ſchreiben, nicht aber eine Stammeskunde, dazu iſt heute noch eigene 
genaue Beobachtung an Ort und Stelle erforderlich. Was würde man von 
einem Zoologen ſagen, der im Gegenſatz etwa zum Altmeiſter Brehm, 
Tierarten beſchreiben wollte, die er nicht einmal in Abbildungen, geſchweige 


a 1) Natur und Dolfstum von h. A. Prietze. Verlag Gebr. Hartmann, Hannover: 
inden. 

) Stammesgrenzen in Niederſachſen. Zeitſchrift Niederſachſen, Verlag C. Schüne⸗ 
mann in Bremen. Jahrg. 1922, Heft 19. — Die naturwiſſenſchaftliche Grundlage völkiſcher 
Weltanſchauung. Zeitſchrift Deutſchlands Erneuerung. Derlag von J. S. Lehmann, 
München 1922, Heft 12. — Haarfarbe als Raſſenmerkmal. Deutſche Zeitung vom 13. März 
1924. — Dr. hans Günther, Raſſenkunde des deutſchen Dolfes, Beſprechung. Mannus, 
Bd. 16, Heft 1/2. — Was man von den Bückeburgern lernen kann. Mannus, Bd. 17, Heft 4. 
— Die wiſſenſchaftliche Bewertung von Schädelfunden. Mannus, Bd. 18, Heft A. 


3] Natürliche Stammestunde als Hilfswiſſenſchaft der Vorgeſchichtsforſchung 289 


denn in der Natur geſehen hätte? In neuerer Zeit ſcheint die Notwendigkeit 
ſolcher örtlichen Feſtſtellungen allgemeiner eingeſehen zu werden. Das zeigt 
ſich darin, daß einerſeits neue „Raſſen“ zwiſchen die bisher anerkannten ein⸗ 
geſchoben werden, anderſeits darin, daß mehr und mehr die Möglichkeit 
zugegeben wird, daß ſich hier und da auf dem Lande noch Splitter alter reiner 
Stämme erhalten haben fönnten. Demgegenüber kann nur immer wieder 
aufs neue betont werden, daß das altbeſiedelte Deutſchland und zum Teil 
auch das Kolonialland rechts der Elbe ein klares Moſaik von reinen Stammes⸗ 
gebieten iſt, in dem ſelbſt die größeren Städte nur dann eine Ausnahme 
bilden, wenn fie auf der Grenze von verſchiedenen Stammesgebieten liegen 
oder wie Berlin ihren Zuzug aus dem ganzen Reich erhalten. Demnach muß 
es alſo ſehr wohl möglich ſein, diejenige wiſſenſchaftliche Beſtimmtheit in 
die Raſſen⸗ und Stammeskunde zu bringen, die von der Vorgeſchichtsforſchung 
erſtrebt und zum Teil ſchon erreicht worden iſt. 

Es bleibt vielleicht noch die Frage offen, ob die heute beobachteten 
Volksſtämme durch Abitammung mit jenen der Vorzeit verwandt, d. h. 
identiſch ſind. Mit anderen Worten, ob nicht urſprünglich einheitliche und in 
geſchloſſenem Verbande wandernde und ſiedelnde Stämme fic) durch fremden 
Zuzug oder auch durch einen inneren Umwandlungsprozeß ſo verändert 
haben könnten, daß eine Vergleichung der Rörperlichkeit und Geiſtigkeit 
zwiſchen damals und heute nicht mehr ſtatthaft wäre. Für die Identität 
ſpricht, abgeſehen von der biologiſchen Geſetzmäßigkeit, auf die ich hier nicht 
eingehen kann, vor allem die Tatſache, daß in den heutigen Stammesgebieten 
ein faſt gleicher Menſchentyp auf der ganzen Fläche angetroffen wird. Keine 
kbſchwächungen nach der Grenze zu, ſondern erſt dort ein ſcharfer Sprung 
zum Nachbarſtamm hinüber! Was fic als räumlich gleich erweiſt, muß auch 
zeitlich gleich ſein! Denn wäre mit der Zeit eine Veränderung vor ſich ge- 
gangen, ſo hätte ſie auf der ganzen Fläche in gleichem Sinne ſtattfinden 
müſſen, was aber weder durch Dermiſchung mit den wieder in ſich verſchiedenen 
angrenzenden Stämmen noch durch Klima oder Bodenbeſchaffenheit erklärt 
werden könnte. Letzteres deshalb nicht, weil in den meiſten Fällen ſich das 
Stammesgebiet auf Flachland und hügel- oder Gebirgsland verteilt, ohne 
daß ſich dies im Typ der Bewohner ausprägt. 

Die unbedingte Beharrlichkeit des Stammestypus glaube ich außerdem 
in meinem, die Schwaben behandelnden Aufjag im Mannus 4) überzeugend 
dargetan zu haben. Die dort beigegebenen Abbildungen zeigen für fünf 
Jahrhunderte die Unveränderlichkeit eines Typs von unverkennbarer Eigen: 
art, wobei ich erwähne, daß das Bild Syrlins keineswegs das einzige vom 
Chorgeſtühl des Ulmer Münſters ijt, das den Schwabentup für die damalige 
Zeit bezeugt. In Ulm haben ſich von je verſchiedene Stämme berührt, aber 
doch, wie wir heute feſtſtellen, keinen neuen Miſchtup gebildet! Die natür— 
liche Entſtehung eines neuen Stammestyp ijt nach biologiſchen Geſetzen 
an jo zahlloſe genaue Dorausfeßungen gebunden, daß fie nur in ganz außer: 
gewöhnlichen Fällen als möglich angenommen werden darf. Man denke 
dabei an die Sorgfalt, mit der der Tierzüchter arbeiten muß, wenn er eine 
neue Rolle züchten will; wie ſollten in der freien Natur gleiche Vorbedingungen 
ſtattfinden? 

Weitere Beweiſe ergeben ſich aus der genaueren Erforſchung der 
Stammesgrenzen von ſelbſt. Die Sicherheit, mit der ſich an Hand des jetzigen 
Befundes die alten Nachrichten über germaniſche Stämme entwirren lajjen, 

1) Die wiſſenſchaftliche Bewertung von Schädelfunden. Mannus, Bd. 18, Heft 4. 

mannus, zeitſchrift für Vorgeſch., VI. Erg.⸗Bd. 19 


290 Hermann Albert Priege [4 


wird dies beſtätigen. So habe ich in einem anderen im Mannus erſchienenen 
klufſatz 1) die vielumſtrittene Frage, wo das Land der Cherusker gelegen 
habe, an hand der heutigen Stammesgrenzen im Leinetal dahin entſcheiden 
können, daß das Kernland dieſes Stammes zwiſchen Hannover, Hameln, 
Göttingen und Münden geſucht werden muß. Ich füge, mehr um Anregung 
als um Endgültiges zu geben, hier einiges weitere hinzu. 

Ein häufig genannter germaniſcher Volksſtamm find die Bructerer. 
Tacitus erwähnt ſie gelegentlich des Feldzuges des Germanicus vom Jahre 
15 n. Chr. zwiſchen oberer Lippe und Ems. Später ſollen ſie nach dem⸗ 
ſelben Schriftſteller von den benachbarten Stämmen vernichtend geſchlagen 
worden fein. Ungrivarier und Chamaven ſollen in ihr Land eingedrungen 
ſein. Die Nachricht des Tacitus ſcheint aber ſehr übertrieben zu ſein, denn 
der Angelſachſe Beda erwähnt die Bructerer im 7. Jahrhundert noch im 
alten Gebiet. Dann erſt verſchwindet der Stammesname, die Bructerer 
werden ein Teil des Sachſenvolkes. Der heutige Befund zeigt nun einen 
ſehr gleichmäßigen, reinen Stammestup innerhalb einer ſehr weitgeſteckten 
Grenze, die etwa durch folgende Punkte angegeben wird. Oftlid) bei Cipp⸗ 
ſpringe beginnend über Paderborn ins Sauerland mit ſüdlichſtem Punkt 
etwa bei Plettenberg. Von dort nach Hattingen an der Ruhr, weiter über 
Eſſen, Dorſten, Coesfeld, Lengerich nach Osnabrück. Dieſe Stadt ijt ſchon 
teilweiſe Emsländiſch. Die Nordgrenze dann über Melle nach Bünde, die 
Oſtgrenze weſtlich Bielefeld vorbei nach Cippſpringe zurück. (Die Weſt⸗ 
grenze Eſſen⸗Cengerich bedarf noch einer genaueren Feſtlegung.) 

Der Stamm füllt alſo das ganze weſtfäliſche Becken aus und reicht tief 
ins Sauerland hinein. Bemerkenswert iſt fein Übergreifen über den Osning 
nach Norden bei Melle und Bünde, während Bielefeld ſchon ausgeſprochen 
engerſchen Typus aufweiſt. Als körperliche Merkmale dieſes Stammes mögen 
genannt ſein: Beſonders weiße Hautfarbe, meiſt aſchblondes Haupthaar 
und rötlicher Bart, mehr breite als hohe Stirn, flachliegende langgeſchnittene 
Augen, ſichelförmige Kinnbadenlinie. Der Typ ijt jo ausgeprägt, daß eine 
Verwechslung mit Angehörigen der benachbarten Stämme kaum möglich 
und es faſt unbegreiflich iſt, daß er von der anthropologiſchen Wiſſenſchaft 
noch nicht gewürdigt worden iſt, zumal er ſich millionenfach wiederholt. 

Da dieſer Stamm das ehemalige Gebiet der Bructerer ausfüllt, muß 
er ſolange als identiſch mit ihnen angeſehen werden, als nicht eine Der- 
drängung durch andere Stämme nachgewieſen iſt. Don der Seite der Engern 
her iſt dies jedenfalls nicht geſchehen, denn deren weſtliche Grenze iſt noch 
wie zu des Tacitus Zeiten der Osning. Daß aber die an der mittleren Ems 
zu ſuchenden Chamaven, die als die anderen Beſieger der Bructerer genannt 
werden, ſich des geſamten Landes der Bructerer bemächtigt hätten, iſt ſchon 
deshalb höchſt unwahrſcheinlich, weil die Bructerer noch im 7. Jahrhundert 
genannt werden. Mehr im Bereich der Möglichkeit liegt es, daß die Bructerer 
nach Süden und Weſten vordringend, den Stamm der Marſen in ſich out: 
genommen haben. Eine leichte Beimengung eines anderen Typus in der 
Gegend von Dortmund und hagen möchte darauf hindeuten. Im allgemeinen 
ſpricht auch die große Zähigkeit und Seßhaftigkeit des Bructerers (Weſtfalen) 
gegen die Annahme, daß eine Verdrängung oder freiwillige Abwanderung 
ſtattgefunden hat. Dem ſteht nicht entgegen, daß ſie freigewordenes Land 
an ihren Grenzen in Beſitz genommen haben, wie es beſonders beim Sturz 
des Römerreiches an ihrer Weſtgrenze der Fall geweſen ſein wird. Man 
1) Was man von den Bückeburgern lernen kann. Mannus, Band 17, heft 4. 


5] Natürliche Stammestunde als Hilfswiſſenſchaft der Vorgeſchichtsforſchung 291 


glaube auch nicht, daß die at hate von heute weſentliche Verſchiebungen 
der Stammesgrenze verurſacht hat. Raum kann von einer Vermengung 
an der Grenze die Rede ſein. Da die den Bructerern benachbarten Rhein: 
lander bei Duisburg grundverſchieden von dem oben beſchriebenen Typus 
des Bructerers ſind, ſo kann dieſe Tatſache leicht beſtätigt werden. Ich hatte 
einmal Gelegenheit bei einem Maiumzug, faſt die ganze Arbeiterjdhaft von 
Duisburg⸗Ruhrort an mir vorbeiziehen zu laſſen und konnte zu meiner eigenen 
Verwunderung nicht ein einziges weſtfäliſches Geſicht ausfindig machen. 

Beda erzählt, daß im 7. Jahrhundert die Bructerer von den Alt ſachſen 
(antiqui saxones) unterworfen worden ſeien. Dieſe Nachricht führt zur 
genaueren Feſtſtellung des Rernſtammes der ſchon zu des Tacitus Zeiten fo 
angeſehenen und mächtigen Chauken. Die Chauken auf der Landkarte richtig 
unterzubringen, hat den Geſchichtsforſchern von je große Schwierigkeiten 
gemacht. Meiſtens findet man ſie in den äußeren Winkel zwiſchen Weſer⸗ 
und Elbmündung hineingeſchoben. Es iſt aber offenbar ausgeſchloſſen, daß 
in den uneingedeichten Marſchen der Küfte oder im Moor und heide des 
dortigen Binnenlandes ein ſo menſchenreicher Stamm, wie die Chauken doch 
geweſen ſein müſſen, anſäſſig geweſen iſt. Ebenſowenig können wir ſie in 
der Lüneburger Heide vermuten, wo der diluviale Sand auch früher nur 
eine ſpärliche Beſiedlung zugelaſſen haben kann. Es bleibt dann alſo nur 
noch das Land zu beiden Ufern der Weſer, das durch fruchtbaren Boden aus⸗ 
gezeichnet, wohl als Sitz des führenden Stammes angeſprochen werden kann. 
Dies Gebiet, welches die Grafſchaften Hoya und Diepholz und das Bistum 
Verden umfaßt, iſt nun urkundlich das Land der Altſachſen. Die Hauptthing⸗ 
ſtätte muß im Mittelpunkt des Landes bei Hoya vermutet werden. In dem 
Ortsnamen Mallen bei Hoya kann jener Markloh (Malloh⸗Mallen) wieder⸗ 
gefunden werden, wo ſich zur Zeit Karls des Großen die Abgejandten aller 
ſächſiſchen Stämme zu verſammeln pflegten. Wenn dieſe Vermutungen 
nun auch zur Gewißheit würden, fo ſchwebten fie doch in der Luft und hätten 
wenig praktiſchen Erkenntniswert, wenn wir nicht durch dieſe Feſtſtellungen 
ein lebendiges Bild von dem bekämen, was die Altſachſen und Chauken einſt 
geweſen ſind. Das erhalten wir ſofort, wenn wir die heutige Bevölkerung 
ſtudieren und dabei feſtſtellen, daß auch jetzt noch ein völlig einheitlicher 
Stamm dort anſäſſig iſt. Es ſind ſehr groß gewachſene Leute mit ſtarkem 
Knochenbau und markanten Geſichtszügen. Die Derſtändigkeit und charakter- 
volle Ruhe ihres Weſens entſpricht dem, was Tacitus von den Chauken zu 
rühmen weiß. 

Die ſüdliche Grenze des Stammgebietes iſt auf einer Linie von 
Sachſenhagen nach Petershagen zu finden. Wiedenſahl, der Geburtsort 
Wilhelm Buſchs gehört noch ins Altſächſiſche, während das eine halbe Weg— 
ſtunde ſüdlich gelegene Niederwöhren den zierlicheren Bückeburger Typ 
mit den gelbbraunen Haaren aufweiſt. Die nördliche Grenze iſt dicht vor 
Bremen, die öſtliche Grenze folgt etwa dem Tal der unteren Leine und Aller, 
das ſie bei Rethem überſchreitet. Die weſtliche Grenze bedarf noch der Feſt— 
legung, ich vermute fie an der hunte. In dieſem Zuſammenhang darf viel— 
leicht noch die Vermutung ausgeſprochen werden, daß der Name Chauken 
oder Hugen, wie fie in der angelſächſiſchen Dichtung heißen, mit der Bezeichnung 
der Thingſtätte als hug zuſammenhängt. Es liegen ja die Orte Hoya, Hverhoi 
und der „tumulus walenihug,, des Markloh in dieſem Gebiet. Eine gleich— 
artige Namensentſtehung läßt ſich für die Bructerer aus bruoga = Wrove = 
Gericht, für die Tongern aus thing, für die Angeln und Engern aus angel = 

19* 


292 Hermann Albert Priege, Natürliche Stammeskunde als Hilfswiſſenſchaft [6 


Zingel = Derjammlungsring und vielleicht für die Cherusfer aus haruch = 
heiliger Bezirk, annehmen. 

Zur Klärung der Thüringer⸗Frage möge folgender Beitrag dienen: 
Ein langgeſtrecktes einheitliches Stammesgebiet beginnt ſüdlich Gbisfelde, 
die Städte Rönigslutter, Weferlingen, Schöningen, Oſchersleben einſchließend, 
und nördlich des Harzes auf der Linie Vienenburg⸗Oſterwieck, zieht ſich 
über Halberjtadt, Aſchersleben, Eisleben um den Harz herum bis Sanger⸗ 
hauſen, dann weiter nach Süden, die Gegend von Eckartsberga mit ſpäterer 
Siedlung überſpringend, bis Jena und Weimar. Südlich Jena bei Lobeda 
ijt eine alte Volksgrenze gegen wendiſches Gebiet, die ſpäter überwunden 
wurde mit dem Erfolg, daß der Stamm ſich heute bis an den Thüringer Wald 
bei Saalfeld und Ilmenau ausdehnt. Die Ansiedlung auf ſehr fruchtbarem 
Boden, wie auch die energiſche und kluge Art dieſes hochgewachſenen 
Menſchenſchlages, ferner der Umſtand, daß der alte Herzogsſitz Weimar in 
ſeinem Gebiet liegt, dürfte wohl zu der Unnahme berechtigen, daß dies 
der führende Stamm des alten Thüringer Reiches geweſen ſei, zumal der 
nördlichſte Teil dieſes Gebietes im Mittelalter „Nord-Thüringgau” genannt 
wird. Die anderen in die heutige Provinz Sachſen von Norden her en: 
gewanderten Stämme kommen ſchon deshalb weniger in Betracht, weil 
ihr Gebiet viel geringeren Umfang hat. Die Stoßrichtung nach Süden 
läßt ſich gerade im Gebiet jenes erſtgenannten Stammes deutlich erkennen. 
Sehr bemerkenswert iſt es, daß die Grenze dieſes Stammes von Norden nach 
Süden quer durch den heutigen Freiſtaat Thüringen hindurch geht. Es iſt 
alſo durchaus falſch, die heutigen Thüringer als einen einheitlichen Stamm zu 
beſchreiben und zu beurteilen, wie es meiſtens geſchieht. Der Bewohner 
von Weimar iſt ein ganz anderer Menſch als der des nur 15 km entfernten 
Erfurt. Auch die Gegend von Mühlhauſen iſt wieder ganz anders beſiedelt 
als die von Weimar und Erfurt, eine Tatſache, die Goethe ſchon beobachtete 
und die ihn zu ſeiner oben erwähnten Eintragung in ſein Keiſetagebuch 
veranlaßte. 

Dieſe kurzen Hinweiſe dürften hinlänglich dartun, wie außerordentlich 
ertragreich die Erforſchung der heutigen Stammesgrenzen für die Dor: 
geſchichtsforſchung werden kann. Die Richtungslinien, die durch die Arbeit 
des Spatens erſchloſſen werden, gehen nun nicht mehr ins Leere, ſondern 
laſſen ſich nach Erforſchung des gegenwärtigen Beſtandes an feſte Tatſachen 
anknüpfen, die auch nach rückwärts eine Probe für die Richtigkeit der por: 
geſchichtlichen Daten abgeben. Daneben muß ſich das Intereſſe für die Dor: 
geſchichte ganz ungeahnt beleben, wenn das ſchematiſche Gerippe, das ſich 
aus den Bodenfunden aufbauen läßt, mit Fleiſch und Haut einer lebendigen 
Unſchauung der zugehörigen Dolksſtämme umkleidet wird. Was fangen wir 
mit Namen wie Bructerer, Chauken, Cherusker uſw. an, wenn wir nicht 
wiſſen, welcher Art dieſe Menſchen waren? Ronſtruieren läßt ſich nichts 
Lebendiges, zur wahren Einſicht können wir alſo nur kommen, wenn wir 
im Lebendigen von heute das Vergangene wiedererkennen. 


2. Dolkskunde. 


Die vorgeſchichtlichen Graburnen im Volksglauben. 


Don Paul Sartori. 


Wie gewiſſen Werkzeugen der Steinzeit bei den verſchiedenſten Völkern 
ein Urſprung aus der höhe zugeſchrieben wird — ſie ſind als „Donnerkeile“ 
im Gewitter herniedergefahren — ſo iſt der Glaube ziemlich verbreitet, daß 
die vorgeſchichtlichen Tongefäße, die man aus dem Boden holt, aus der Tiefe 
der Erde emporgewachſen ſeien. 

Im weſtfäliſchen Münſterlande ſagt man, in jeder Urne, die man aus⸗ 
grabe, finde ſich eine Spalte, die von dem Erdbeben bei der Kreuzigung 
Chriſti herrühre 1). Die Wahrnehmung, daß ſolche Urnen, wenn fie ans Tages- 
licht kommen, zunächſt weich und bröckelig ſind wie der Boden, der [ie um: 
gibt, und daß ſie oft von Pflanzenwurzeln ganz zerfreſſen erſcheinen, hat die 
Meinung nahegelegt, daß ſie ſelbſt Erzeugniſſe der Natur ſeien. Man glaubt 
das z. B. in Schleſien, Sachſen und Polen, und eine Bautzener Chronik ſpricht 
die Unſicht aus, daß ſich ihre Erzeugung dadurch verrate, daß der Boden 
anſchwelle und Hügel bilde, als fei die Erde ſchwanger geworden?). In Oſt⸗ 
preußen meint man, dieſe gebäre fie namentlich im Mais). So empfiehlt 
auch der Probſt Trogillus Urnkiel zu Apenrade in feinem Buche „Cimbriſche 
heuden⸗Begräbniſſe“ (Hamburg 1702, III, cap. 8) als bequemſte Zeit zum 
Ausgraben den Frühling, und ſchon im Jahre 1589 erzählt Peter Albinus 
von den Cauſitzern bei Lübbenau, fie ſeien der Meinung, daß ſolche Töpfe 
nur im Sommer gegraben werden könnten, weil fie außerhalb diefer Zeit 
bis zu zwanzig Schuh tief in der Erde lägen, im Sommer und um Pfingſten 
herum aber nicht tiefer als eine Elle“). Zum QTöppelberg in der Nähe von 
Trebnitz pflegten im Anfang des 18. Jahrhunderts die Umwohner am Johannis— 
tage zu wandern, um danach zu ſuchen ). 

Unzählige Graburnen find jahraus jahrein nicht nur dem Ackerbau 
und ſonſtigen Erdarbeiten, ſondern auch dem Unverſtand und der Jerſtörungs— 
luſt der Kinder zum Opfer gefallen. Manchmal zeigten fie wohl ihre Sunde 
dem Sörlter oder ſonſt einem Vertrauensmann, aber wenn fie dann ous: 
gelacht wurden, hielten ſie es für ihre Pflicht, das unnütze Zeug kurz und 
klein zu ſchlagen. Seitdem ſie in der Schule über den Wert auch dieſer Boden— 
ſchätze unterrichtet werden, geben ſie doch wohl beſſer acht und bemühen 


1) Münſteriſche Geſchichten, Sagen SE SCHER Münſter 1825, S. 177. 
2) Haupt, Sagenbuch der Cauſitz 1, 

>) ettau und Temme, Die 9 Oſtpreußens uſw. S. 285. 

) Niederſachſen 32 (1927), S. 197. 

) Drechsler, Sitte, Brauch und Dolksglaube in Schleſien 2, S. 240. 


294 Paul Sartori [2 


ſich, ihrem Cehrer rechtzeitig von etwaigen Entdeckungen Mitteilung zu 
machen. Erwachſene, denen eine ſolche Hufklärung noch nicht zuteil geworden 
iſt, hoffen auch heute noch wie in früheren Zeiten in den alten Töpfen auf 
einen Schatz, und nur von dieſem Geſichtspunkte aus meſſen ſie ihnen Wert 
bei. Als in den erſten Jahren des 18. Jahrhunderts der Dr. J. h. Nünning, 
ehemaliger Kanonikus zu Dreden im weſtfäliſchen Münſterlande, in der 
dortigen Gegend nach Urnen grub, da wußten zwar ſeine gebildeten Freunde 
das Unternehmen zu würdigen, fo daß es ihm eine beträchtliche Anzahl von 
Glückwunſchgedichten eintrug, aber die Bauern hielten ihn einfach für einen 
Schatzgräber. Betrüger wußten ſich die Sucht nach Reichtum zunutze zu machen, 
indem fie den Leuten einredeten, die Erhebungen im Heideboden ſeien ein 
Zeichen, daß dort Geld vergraben ſei, das durch gewiſſe Teufelsbeſchwörungen 
gehoben werden könne ). Aud) heute noch, wenn Erdarbeiter an Lippe und 
Emſcher zufällig auf eine Urne ſtoßen, iſt ihr erſter Gedanke Geld oder Gold. 
Wenn ſie nichts finden, fällt das Gefäß ihrer Enttäuſchung zum Opfer. Abn- 
liches berichtet Paul Rau von den deutſchen Bauern an der Wolga, die in 
den Kurganen ihrer Gegend nach Schätzen ſuchen und dabei auf Altertümer 
ſtoßen ?). Irdenes Geſchirr zerſchlagen fie, Metallgerät zerbrechen fie, und 
zwar auf der Stelle. Als Grund dafür geben fie an, fie wollten erfahren, aus 
welchem Material das Ding gemacht ſei. Rau iſt aber wohl mit Recht der 
Meinung, daß in Wirklichkeit, wenn auch nicht immer bewußt, vielmehr der 
Wunſch maßgebend ſei zu prüfen, ob der Gegenſtand nicht etwa geheime, 
zauberiſche 1 beſitze. Iſt er kaput, ſo iſt alles in Ordnung. Hier 
würde alſo bei der hebung der Beſtattungsreſte nach tauſendjähriger Ruhe 
bei den Cebenden dasſelbe Gefühl walten, das ſie an ſo vielen Orten der Erde 
beſtimmt, die Beſitztümer des Toten bei oder unmittelbar nach ſeiner Beſtat⸗ 
tung zu zerſtören. 

Wenn hochgeſpannte Hoffnungen enttäuſcht werden, ſo hat aber auch 
wohl der Teufel ſeine Hand im Spiele. Der Berg Rinau, auf dem einſt die 
alten herren Samlands ſaßen, barg der Sage nach in ſeiner Tiefe die Aſche 
der verbrannten Leichen der Gebieter mit ihren koſtbarſten Schätzen. Im 
Jahre 1524 gruben mehrere geweſene Mönche nach und ſahen große Töpfe 
und auf jedem einen ſchwarzen hund, aus deren Maule tödlicher Dampf 
kam und fie verſcheuchte. Es gelang ihnen, den Zauber zu bannen und fieben 
dieſer Töpfe nach Königsberg zu bringen. Als man ſie hier öffnete, hatte der 
Teufel das Geld darin verwandelt, ſo daß man nichts als kleine Kohlen, 
Menſchenknochen und Ajche fands) Auch von den Scherben alter irdener 
Gefäße, die man auf dem Bulkeſcher Hattert fand, und ihrem Inhalt glaubte 
bab Volk, es ſeien vergrabene Schätze, die der Teufel in Ajche verwandelt 

abe ). 

Zu der Unnahme, daß die Urnen menſchliche Überreſte enthielten, 
führte ja der Augenfdein. Im heidegelände des weſtfäliſchen Münſterlandes 
konnte es wohl vorkommen, daß der Bauer, wenn er Sand für ſeinen Schaf— 
ſtall holte, den Wagen voll kleiner Knöchelchen hatte, die aus vernichteten 
Urnen herrührten. Solche Fundſtätten werden vom Dolfsmunde gewöhnlich 


1) Nünning, Weſtfäliſch-münſterländiſche heidengräber. Aus dem CLateinijden 
überſetzt von E. hüſing. Coesfeld 1855, S. 64. 

2) heſſiſche Blätter für Volkskunde 25 (1924), S. 41. 

3) Tettau und Temme, a. a. O., S. 180. 

4) Müller, Siebenbürgiſche Sagen 2, S. 87. 


3] Die vorgeſchichtlichen Graburnen im Volksglauben 295 


als „Rirchhöfe“, „Heidenkirchhöfe“, „Hunnenkirchhöfe“ bezeichnet. Nicht 
gerade häufig wird es wohl vorkommen, daß ſolche Örtlichkeiten mit a 
De Scheu behandelt werden. So wurde bei Kalau in der Nähe 

er Kolfwiger Mühle mitten im freien Felde ein Platz vom Beſitzer heilig 
gehalten und niemals beadert. Das Gebot ging vom Dater auf den Sohn 
über, aber niemand wußte warum. Im 18. Jahrhundert grub man nach und 
fand Urnen und menſchliche Gerippe „von ungeheurer Größe“ !). Nach dem 
Volksglauben im ſchleſiſch⸗polniſchen Grenzgebiete find vorgeſchichtliche 
Urnen⸗Gefäße, in denen die Ajche verbrannter hexen verſcharrt wurde ). 
In Weſtfalen in der Steinfurter Gegend geht die Rede, die „Heiden“ (ge meim 
ſind wohl die Zigeuner) hätten ihre über ſechzig Jahre zählenden Alten getötet, 
zerhackt und ſamt einem Cämpchen in große Töpfe getan, die man noch häufig 
aus der Erde grabe ). Man nimmt auch öfters an, daß in den Graburnen 
noch die Seelen Verſtorbener weilten“). Wenn das Landvolt beim Corfſtich 
auf dem Erdinger Mooſe Slajchen und Töpfe findet, fo halt es diefe für Gefäße, 
in die man unreine Geiſter hineinbenediziert und dann verſenkt habe. Man 
hütet ſich fie zu zerſchlagen und damit den darin liegenden Unhold zu befreien 5). 
Dagegen ijt man in Cornwall der Meinung, wenn eine in einem hünengrabe 
gefundene Urne in ein haus gebracht werde, fo werde die Perſon, deren Ajche 
ſie enthalte, es heimſuchen. Sie muß daher zerbrochen und die Stücke verſteckt 
werden). In Lintern (Kr. Berſenbrück) fand ein Bauer auf dem Goldberge 
eine Urne, nahm fie mit nach Haufe und ſtellte fie in der Anrichte auf. Des 
Nachts glaubte ſeine Frau einen heidenlärm zu hören, und um ſie zu beruhigen, 
mußte der Mann mitten in der Nacht die Urne forttragen und zertrümmern. 
Dann war Rube im hauſe ). 

Das Volk kann ſich ſchlecht mit dem Gedanken befreunden, daß die in 
den Urnen gefundenen Gebeine von Menſchen gewöhnlichen Schlages her⸗ 
rühren ſollten. In einer ja auch ſonſt häufig feſtgeſtellten Neigung rätſelhafte 
Gegenſtände aus dem Gefühl einer unheimlichen Scheu heraus in übertriebenen 
Maßen zu ſehen, glaubt man die Graburnen auf Riejen zurückführen zu müſſen. 
Nach Sulter Sage beerdigen die Rieſen ihre im Rampfe gegen die Zwerge 
Gefallenen, nachdem fie ihre Ajche in Töpfe getan und Waffen und Schätze 
darauf gelegt habens). Im Jahre 1594 zerſchlug man die Steine von zwei 
Hünengräbern auf dem Gute Jüſſow nicht weit von Greifswald und fand 
dabei angeblich viele ungeheuer große menſchliche Körper. Sie maßen 11 
bis 16 Schuhe und lagen alle in einer Reihe, und zwar ſo, daß zwiſchen jedem 
ein Krug ſtand, der mit Erde gefüllt war?). Huch in Rieſenbetten bei Oldesloe 
(Holſtein) fand man ungeheure Knochen und ſchwarze Töpfe mit Ajche und 
Gebein. Herzog Adolf II. (f 1164) ſollte dieſe heidniſche Beſtattung verboten 
haben 10). Knochenfunde in den ſchon erwähnten Kurganen der Wolga erregen 
ebenfalls entweder wegen ihrer erſchrecklichen Größe oder wegen ihrer ſelt— 


1 peut, a. a. O. 1, S. 25. 
2) Globus 95, S. 342. 

us Weſtfäliſche Sagen 1, S. 106. 

Mitteilungen der ſchleſiſchen Geſellſchaft für Volkskunde 13/14, S. 115, Anm. 6. 
Rochholz, Schweizerfagen aus dem Aargau 2, S. 394. 

Courtney, Cornish feasts and folklore. S. 169. 

Straderjan, Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg? 1, S. 275f. 
Globus 73, S. 149. 

’ zehn, Dolfsjagen aus Pommern und Rügen, S. 164f. 

10) Am Urds-Brunnen 6 (1888/89), S. 44. 


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296 Daul Sartori [4 


ſamen Kleinheit Staunen. In Wirklichkeit handelt es ſich jedesmal um Refte 
von Menſchen mittleren oder niedrigen Wuchſes )). 

Häufiger bringt man die Urnen mit den Zwergen in Beziehung. Man 
ſchreibt dieſen ihre Anfertigung zu). el Sylt heißen fie Önnererstpottjüg, 
auf Amrum Traaldaaster?). Daß in den „Aſchpötten“ die Überreſte der 
Unnerérjfen ruhen, glaubt man in Pommern“), bei den Wenden des Spree⸗ 
waldes 5) und in Weſtfalen. Sie heißen hier daher Hheidenpötte, Heidendink, 
Auffenpötte, Alkenpötte ), im Saterlande Olterspött?). Ein Urnenfeld bei 
der Domäne Buchholz (Kr. Ober⸗Barnim) liegt auf den jog. Zwergbergens) 
und in Lindenberg (Beeskow) heißen alte Grabhügel die „Luttkenberge“ ). 
In Oſtpreußen glauben manche, die Graburnen ſeien die Gefäße, deren ſich 
die Unterirdiſchen (Barſtucken) bedienten und die ſie entweder ihren Freunden 
zur Benutzung in jener Welt mit ins Grab geſetzt hätten oder die dort zurück⸗ 
geblieben ſeien, als ſie ihre bisherige Behauſung in dem Hügel verlaſſen 
hätten 10). Nach der Meinung der Wenden im Spreewalde haben die Lutchen, 
als die Glocken kamen, „Vergang genommen“, ſind in ihr Geſchirr hinein⸗ 
gekrochen und darin geſtorben 1). An den kleinen Knochen kann man ſehen, 
wie klein fie waren, und an den kleinen Henfeln, wie kleine Singer fie hatten. 
„Wo man fo viele Schüſſeln oder Näpfe ineinander: oder zuſammengeſtellt 
findet, da hatten ſie ihre Küche, da findet man noch die Koble, fo ſetzt man 
ja noch bei dem klufwaſchen die Schüſſeln zuſammen.“ „In den „Dingern“ mit 
einer Querwand hatten fie auf einer Seite Knödeln, auf der anderen Schlipper⸗ 
milch. In den großen Töpfen haben ſie geſchlafen, und in denen ſolche Löcher 
find, haben fie Zeck geſpielt, find immer durch die Löcher durchgelaufen“ ). 

Vielleicht hat die Afche in den Urnen auch zu dem Glauben an die Schmiede— 
kunſt der Zwerge beigetragen. Weil die Urnen als ihr Hausrat gelten, halten 
es in der Cauſitz die Landleute vielfach für gottlos, fie auszugraben 3). Erſt 
recht hütet man ſich einen ſolchen Topf mutwillig zu zerſtören. Als einſt 
jemand einen mit kleinen Knochen gefüllten zerſchlagen hatte, den man 


1 heſſiche Blatter für Volkskunde 23, S. 42. — In der Gegend, wo einſt im ſüd⸗ 
gest Bornu der jetzt verſchwundene Stamm der Sö wohnte, fand man 1906 zwei Ton⸗ 
gefäße, die nach klusſage der Eingeborenen einem Begräbnisplatze aus der „Rieſenzeit“ 
angehören ſollten. Auch hier ergaben Meſſungen an den Knochen, die man in einem 
der Töpfe fand, keine ungewöhnlich großen Maße. Man hatte zu den Rieſentöpfen rieſige 
Menſchen au Globus 91, S. 51. 

2) Wolf, Deutſche Märchen und Sagen, S. 181 (Niederlande). hanſen, Sagen 
und e der Sylter Srieſen, S. VIII. XV. Globus 83, S. 257 f. (Mark und Laufiß). 
— Beſonders bekannt ijt eine Zwergenjage geworden, die ſich an den bronzezeitlichen 
Grabhügel von Peccatel unweit Schwerin, Mecklenburg, knüpfte. Ziehe Birger Merman: 
Folktraditioner, arkeologiskt bestvrkta in Etnologiska Studier tillägnade N. €. Hammar⸗ 
jtedt. 1921, 85 220 ff.; doch vgl. dazu R. Beltz in Eberts Reallexikon für Vorgeſchichte, 
Bd. 10, 1927, S. 64 (Peccatel). 

) ale Sagen aus Schleswig-holſtein, S. 283. 

Jahn, a. a. O., S. 76. 

ß Schulenburg, Wendiſche Volksſagen. S. 276, 280, 286. 

6) Kuhn, Weſtfäliſche Sagen 1, S. 113, 194; 2, S. 1, „Schönhoff im Jahrbuch 
des Vereins für niederdeutſche Sprachforſchung 33 (1907), 5 

7) Zeitſchrift des Dereins für Volkskunde (Berlin) 3, S. 8865 Ruhn und Schwartz, 
Norddeutſche Sagen, S. 424. 

) Mannus 5, S. 114. 

9) Schulenburg, Wendiſches Dolkstum, = 169, Anm. 3. 

10) Tettau und Temme, a. a. O., S. 285 

11) nun Wendiſche Doltsjagen, 5. 280f. 

12) Ebenda, S. 28 

13) haupt, Sage b der Cauſitz 1, S. 25. 


5] Die vorgeſchichtlichen Graburnen im Volksglauben 297 


in einem Berge bei hemmingſtede (Holitein) gefunden hatte, kam er darüber 
ganz von Sinnen. Die Leute ſagten: „Were de Pott ganz gebleven, ſo were 
Rat, nu averſt nich“ !). Übrigens halten die Einwohner von Guernfey die 
Dolmen für häuſer der Seen, weil man fo viel Töpfergeſchirr darin findet ). 

Sehr verbreitet, namentlich im nordweſtlichen Deutſchland, iſt die 
Sage vom „beidentönig”, der in einem goldenen Sarge oder in mehreren 
(gewöhnlich drei) begraben fein ſolls). Man fand an den Stätten ſolcher 
Sagen, wenn überhaupt etwas, gewöhnlich nur eine Urne mit Aſche. Aber 
ohne Gold kann die Phantaſie des Volkes ſchlecht auskommen“). Huch im 
„Rönigsgrabe“ bei der Gielsdorfer Mühle (Kr. Ober⸗Barnim) ſoll ein alter 
König in einem goldenen Sarge oder in einer goldenen Urne begraben fein). 
Am meiſten nähert ſich den Schilderungen der Sage vom heidenkönig noch 
der Befund in dem berühmten „Rönigsgrabe“ von Seddin in der Weſtpriegnitz. 
Darin follte ein König in einem dreifachen Sarge liegen. Zutage kam zunächſt 
ein Steingewölbe, dann eine rieſige Tonurne und in dieſer die eigentliche 
Beſtattungsurne aus Goldbronze mit den Brandreſten des Toten). 

Wie ſo vielen Dingen, die mit dem Tode und dem Toten in Berührung 
gekommen ſind, wird auch den Graburnen eine kräftigende und befruchtende 
Wirkung zugeſchrieben. Von einem Ader bei Boberg (Gem. Billwärder), 
auf dem immer eine Unmenge kleiner Scherben von zerſtörten Grabgefäßen 
herumlagen, behauptete der Beſitzer, daß, ſoweit dieſe Scherben angetroffen 
würden, der Boden merklich fruchtbarer fei als da, wo fie fehlten “). 

Wenn in dergleichen Urnen Mild) aufgeſtellt wird, fo gibt ſie mehr 
Sahne und Butter; wenn man die hühner daraus ſaufen läßt, ſo nehmen ſie 
ſehr zu und werden nie krank; wenn man das Korn vor dem Ausfäen hinein- 
ſchüttet, fo gibt es reichlichere Ernte s). Wie Urnkiel berichtet, haben Ärzte 
die Grabkrüge und ihren Inhalt zu Medikamenten verwandt. „Es hat“ 
— fo fagt er — „Herr Hank Adolff Sabian, fürſtlicher Kirchjpiel-Dogt zu Bord: 
ſtet bey hamburg, mir Anno 1695 zu Schleßwig erzählt, daß ein Artzney 
Doctor aus Holland dem Friederich HeyOmann zu Barchſtet verſprochen, für 
jeden Grab-Krug einen Ducaten zu geben, fo er zur Artzney gebrauchen 
wolte. Es ijt befandt, daß die Artzney Doctoren aus den Mumien oder 
Eguptiſchen balſamirte Todten-Cörpern bewehrte Artzneyen zubereiten 
ſollen“ ?). In beiden Fällen wird wohl das hohe Alter der Heilmittel (ob— 


1 EE a. a. O., S. 283. 
2) Sebillot, Le Folk-Lore de France, 4, S. 27. 

3) Münſteriſche Geſchichten uſw., S. 176f. Bügener, Münſterländiſche Grenz: 
landſagen, S. 71, 73. Zeitichrift des Dereins für rheiniſche und weſtfäliſche Volkskunde 22, 
S. 79. Jeitſchrift für Volkskunde (Berlin) 27, S. 159. 

4) Don einer Tonurne, die am Ende des 16. Jahrhunderts in Cornwall in einer 
Steinſetzung gefunden worden war, erzählte man ſchon drei Jahre ſpäter, daß ſie vergoldet 
und mit Buchſtaben beſchrieben geweſen jet. W. Copeland Borlaſe, Naenia Cornubiae, 


S. 151. 

d Mannus 5 (1913), S. 115. 

) Globus 79, S. 275; A. Riekebuſch: Die Vorgeſchichte der Mark Brandenburg, 
in Landestunde der Provinz Brandenburg, Bd. III, S. 380ff., beſonders S. 384, Anm. 1. 
Weitere Literatur in Eberts Reallexikon der Dorgeſchichte, Bd. 11 „Seddin“. 

7) 22. Bericht der kal. Schleswig-holſtein-Cauenburgiſchen Geſellſchaft für die 
Sammlung und Erhaltung vaterländiſcher Altertümer. Kiel 1862, S. 13. 

*) Tettau und Temme, a. a. O., S. 285. Müllenhoff, a. a. O., S. 283. Drechs⸗ 
ler, Sitte uſw. in Schleſien 2, S. 240. Arntiel, Cimbriſche heyden-Begräbniſſe (Dom: 
burg 1702), III, cap. 9, § 4—6. 

2 Arntiel, a. a. G., III, 9, 3. Über „Mumie als heilmittel“: A. Wiedemann 
in der Zeitſchrift des Vereins für rheiniſche und weſtfäliſche Volkskunde 3 (1900), S. 1ff. 


298 Paul Sartori, Die vorgeſchichtlichen Graburnen im Doltsglauben [6 


gleich wenigſtens bei den Mumien viel Betrug mit unterlief) ihre Bedeutung 
und ihr Anſehen geſteigert haben. 

Don dem, was außer der Aſche und den Knochenteilen noch als Bei⸗ 
gaben in Gräbern und Urnen gefunden wird, haben die kleinen Töpfchen 
Hlufmerkſamkeit erregt, die man früher Tränenkrüge zu nennen pflegte, 
weil man glaubte, daß die Hinterbliebenen zu Ehren des Toten ihre Tränen 
in fie geſammelt und den Übgeſchiedenen mitgegeben hätten. So wird auch 
von den wendiſchen Lutchen erzählt, wenn fie ihre Toten verbrannt und in 
der Erde beigeſetzt hätten, ſo hätten die nächſten aus der Freundſchaft ſich 
ſolche Näpfchen unter die Augen gehalten, die Tränen darin aufgefangen 
und fie um die großen Töpfe herumgeſetzt!). Sonſt haben wohl nur noch die 
kurzen dicken „Pfeifen“ Eindruck gemacht, die man früher auch oft in Gräbern, 
auch neben Urnen?) und beim Pflügen auf dem Ader fand und den Zwergen 
zuſchriebs). Sie werden daher im Emslande Oulkenpfeifen genannt“). In 
Irland ſollen fie von den Cluricaunen herrühren 5). In Nordengland heißen 
fie fairy pipes). In Limburg Seeénpijpjes, und das Volk glaubt, daß Riefen, 
Seen, Elfen und Erdmännchen daraus geraucht hätten). Dielleicht dürfen 
wir mit dieſen Pfeifen Sagen in Verbindung bringen wie die von einem 
Hofe in Wambel (Dortmund). Hier foll einſt von durchziehenden Zigeunern 
ein Weib lebendig begraben worden fein. Die Alte mußte ſich in hockender 
Stellung in ein tiefes Coch ſetzen, man gab ihr eine brennende Pfeife in den 
Mund und ſtieß ſie mit den Worten: 

„Krup unner, du ollet Wunner, 

Du büſt de Welt ken nütte män“ 
in das Coch, das dann zugeworfen wurde?). Wie oben angeführt, ſah man 
anderswo in Weſtfalen (in der Steinfurter Gegend) in den Graburnen Be⸗ 
hälter für die Reſte der getöteten, über ſechzig Jahre alten Heiden, die darin 
ſamt einem „Tämpchen“ beigeſetzt worden jeien 9). Dielleicht war auch dies 
Lampden in Wirklichkeit eine jener „Pfeifen“. 


Jahrb Der. f. niederdeutſche Sprachforſch. 33 (1907), S. 52. Unklar iſt die 
Bemerkung eines dort angeführten Gewährsmannes: „Werden die Pfeifen neben einer 
Urne u Jo ſagt man: da liege ein Aulfe (ein Gemeiner) begraben“. 

Wolf, Deutſche Märchen und Sagen, S. 181 (65). 
4) Jahrb. f. A Spracforfchung 35, S. 50. 
5) Grimm, Jriſche Elfenmärchen, 8. 
5 Zeich und Schwartz, Norddeutſche Sagen, S. 521. 
7) Zeitſchrift für rheiniſche und weſtfäliſche Volkskunde 4, S. 128. 
8) Ebenda 6, 8. 65. 
2) Kuhn, Weſtfäliſche Sagen 1, S. 106. 


d Jahrt. b. Det Wendiſche Volksſagen, S. 280. 


Gleitſteine Norddeutſchlands und ihre Beziehungen 


zu religiöſen Anſchauungen der Vorzeit. 


Don Martin Schultze. 
Mit 3 Abbildungen im Text ). 


In der Überſicht, die Wetekamp über die erratiſchen Blöcke der Mark 
Brandenburg gegeben hat, ſagt er von dem nördlichſten aller brandenburgi⸗ 
Idien Wanderblöcke, der auf dem Gute des Landesdireftors von Winterfeldt 
zu Menkin, Kreis Prenzlau, liegt, daß das Vorhandenſein einer Gletſcher⸗ 
ſchliffläche ihm den volkstümlichen Namen Schlitterſtein verſchafft habe ). 
Was hier als Gletſcherſchliffläche angeſehen wird, iſt eine an der Südfeite 
des Steines vorhandene flach muldenartige Rinne, die von der Oberkante 
des Steines bis nach unten verläuft. Der klugenſchein lehrt, daß dieſe Ein⸗ 
ſenkung wenigſtens in ihrer jetzigen Ausbildung nicht durch Gletſcherſchliff 
hervorgerufen fein kann. Allerdings muß fie in das Geſtein langſam ein: 
geſchliffen ſein. Das zeigen deutlich die Schleifſpuren, die die Rinne aufweiſt. 
Dieſes „ muß ſich aber bis in die jüngſte Jeit fortgeſetzt haben. 
Denn während der geſamte Stein an der Oberfläche gleichmäßig verwittert 
it, fehlt bei der muldenförmigen Rinne jede Derwitterungsſpur und fie zeigt 
ein glänzendes Ausjehen, als fei fie eben friſch poliert worden. Nun ijt der 
Name Schlitterſtein auch nicht als volkstümliche Deutung einer geologiſch 
ganz anders aufzufaſſenden Entſtehung der Rinne dem Block gegeben worden, 
ſondern der Stein wird tatſächlich noch heute von der Jugend der umliegenden 
drei Orte, Menkin, Bergholz, Grimme als Schlitterſtein benutzt und verdankt 
einzig dieſem Brauch feinen Namen. Das Herabſchlittern erfolgt ſitzend, aber 
ſo, daß man dabei einen rundlichen Feldſtein als Unterlage nimmt und auf 
dieſem nach unten abrutſcht. So erklärt ſich aus dieſem Brauch Entſtehung 
wie poliertes Ausjehen der Rinne. 

Derartige Steine, an die ſich ein gleicher Brauch knüpft, ſind durch 
Rütimeyer bekannt geworden und werden als Gleitſteine bezeichnet ). 
Sie kommen vielfach in der Schweiz, ebenſo Frankreich vor, und der Au: 
ſammenhang dieſes noch heute fortlebenden Brauches mit ur— 
alten religiöſen Riten der Vorzeit ſcheint erwieſen. Aus dieſem 
Grunde dürfte auch dem Vorkommen dieſes Brauches in Norddeutſchland 
Beachtung zu ſchenken ſein. 


1) Abb. 1. Aufnahme des herrn Lehrers Schönfeld in Klötzin. 
Abb. 2 und A Aufnahmen des Derfajiers. 

) Wetekamp, in Beiträgen zur Naturdenkmalpflege. Bd. VI, 1916, S. 51; dazu 
R. Hundt in Naturwiſſenſchaftl. Wochenschr. 1920; ferner auch Zeitſchr. des heimatbundes 
mecklenburg 1920, S. 6. (Wiedergabe des Wetekampſchen Berichtes.) 

3) L. Rütimeyer, Ur⸗Ethnographie der Schweiz. Baſel 1924, S. 368 ff. 


300 martin Schultze [2 


Ich gebe nun eine Überſicht der von mir bislang für die Provinzen 
Weſtpreußen, Pommern, Brandenburg ſowie für Mecklenburg ermittelten 
Gleitſteine, deren Zahl ſich mit der Zeit noch vermehren dürfte, ſobald einmal 
dieſem Gegenſtand größere Aufmerfjamfeit gewidmet werden wird. 


A. Provinz Weſtpreußen. 

Teufelſtein zwiſchen Groddek und Belno, Kreis Schwetz, beſchrieben 
Zeitſchrift des hiſtoriſchen Vereins Marienwerder, Heft 31, 1893, S. 1f. von 
A. Treichel. Nach demſelben läßt die Gleichmäßigkeit der Oberflächen auf 
künſtliche Bearbeitung ſchließen. Der Stein mißt 28 Schritte im Umfang 
und 8 Fuß in der lichten höhe. Infolge ſtufenartiger Ubſätze auf der Weſtſeite 
wird die Beſteigung des Scheitels ermöglicht. Der Scheitel hat 8 Sub im 
Quadrat und zeigt Einhöhlungen, welche an die der Rügener Opferſteine 
erinnern. Auffallend iſt der lichte Streifen an der Weſtſeite, wo der ſonſt 
bemooſte Granit in hellem Rot ſchimmert. Generationen von hirtenkindern 
haben dieſen Streifen poliert, indem ſie erſt den Stein erklommen und dann 
voller Freude herabrutſchten. 

Die Beſchreibung ijt nach Treichel gegeben. Nach D Rloſe: Unſere 
erratiſchen Blöcke, Berlin 1913, S. 31 heißt er bei der polniſchen Bevölkerung 
auch Biſchofſtein 1). Ob dieſer Stein noch erhalten ijt, konnte von mir nicht 
ermittelt werden. 


B. Provinz Pommern. 


Glitſchſtein zu Klötzin, Kreis Schivelbein ), Abb. 1. Den folgenden 
Bericht verdanke ich herrn Lehrer Schönfeld in Klötzin, der auch auf meine 


Abb. 1. Glitſchſtein zu Klötzin, Kr. Schivelbein. Der helle Streifen in Mitte der Gleitbahn 
ijt durch das herabgleiten entitanden. 


1) Zu der an den Stein ſich knüpfenden Sage val. Kloſe, a. a. O. S. 31. 
2) Peckenſtedt, Zeitſchr. f. Doltst., Bd. II. Leipzig 1890. S. 236. Haas: Blätter 
für Domm. Doltst. III, S. 145. haas in XI. Jahresber. d. geogr. Ge). Greifswald, 
S. 58. Nicht zugänglich war mir die Beſchreibung in Domm. Heimat, V, Nr. 6. 


3] Gleitſteine Norddeutſchlands u. ihre Beziehungen zu relig. Anfchauungen d. Vorzeit 301 


Bitte in freundlichſter Weiſe die vorliegende Aufnahme des Steines angefertigt 
hat. Danach liegt der Stein nördlich von Klötzin auf dem Felde des jetzigen 
Bauernhofbeſitzers Albert Klander an einem Privatfeldweg in einem Grunde 
im Ader und ijt als Naturdenkmal unter Schutz geſtellt. Quer über den Stein 
läuft ein Verwitterungsriß. Die Oberfläche bildet eine faſt dreieckige Platt⸗ 
form mit einer Baſis von etwa 1 m Länge und etwa 80 em Seitenlängen. 
Die ſenkrechte höhe beträgt etwa 1,50 m, der Umfang an der Erdoberfläche 
16,60 m und die Länge der Gleitbahn 4,50 m. Herr Schönfeld brachte 
ferner von alten Leuten in Erfahrung, daß bei Feldarbeiten in der Nähe 
des Steins Frauen und Mädchen mit Vorliebe den Stein herabrutſchten, 
wobei es üblich war, einen Holzpantoffel oder ein Strohbündel beim herab⸗ 
gleiten ſich unterzulegen. Der Beſitzer der Feldmark teilte weiter mit, daß 
in früherer Jeit die Gleitfläche durch häufigen Gebrauch ſo ſpiegelblank war, 
daß fie wie poliert erſchien. Neben dem herabgleiten kommt heute, aber nicht 
fo häufig, auch noch das Hinunterſpringen im Spiel vor. Damit erübrigt ſich 
die Huffaſſung, der Stein habe ſeinen Namen davon, daß man bei dem Der: 
ſuch, ihn zu erklimmen, wieder herunterglitt ). 


C. Mecklenburg-Schwerin. 


In Serrahn bei Krakow lag früher nicht weit vom Hofe ein Stein, 
„Glietſteen“ genannt. Er wurde beim Schloßbau in das Schloß vermauert. 
Nach Mitteilung alter Leute ſind die Jungens früher auf dieſen Stein „rup— 
ſtägen und daalrutſcht“. An dieſen Stein knüpfte ſich die Sage vom Seld- 
herrn, der ſchwört. Serrahn hatte früher noch mehrere Sagenſteine, „den 
Kreetſteen und Bradjteen”, auf dem der Teufel feine Großmutter gebraten 
haben ſoll. Dieſe Ausfunft verdanke ich herrn Prof. Dr. h. e. R. Woſſidlo 
in Waren. 


D. Provinz Brandenburg. 


1. Schlitterſtein von Menkin, Kreis Prenzlau, (Abb. 2). Der Stein liegt 
halbwegs zwiſchen Menkin und Grimme hart an der Grenze der Feldmark 
Bergholz. Die höhe beträgt 1,60 m, der Umfang 16 m. Der Sage nach 
verdankt er dem Wurfe eines Riejen, der die Kirche in Bergholz zerſtören 
wollte, ſeine jetzige Lage 2). 

2. Schlitterſtein von Roſſow, Kr. Prenzlau. Derſelbe lag etwa 7 km 
von dem Menkiner entfernt an der Grenze der Seldmarken Roffow und 
Wetzenow ). Leider iſt er vor mehreren Jahren geſprengt. Die Stelle, wo 
er lag, heißt jedoch heute noch „der Schlitterſtein“. Auch von ihm pflegte die 
Jugend, allerdings nicht ſitzend, ſondern in hodender Stellung, herabzugleiten. 
Auf dem Stein ſollen Eindrücke geweſen fein wie von einem Pferdefuß und 
hühnerfuß. Der Sage nach hat auf ihm der Teufel mit feiner Großmutter 
getanzt. Huch ſollen in alter Zeit auf ihm die hexen herabgeſchlittert fein. 
Der Stein wurde mit abergläubiſcher Scheu betrachtet und als bei dem erſt— 
maligen Sprengungsverſuch die Sprengung mißlang, erſchien dies als keine 


1) C. Rortlepel: Schivelbeiner Geſchichte und Geſchichten. Schivelbein, S. 185f. 
Auch die hier wiedergegebene Sage ijt in dieſer Sajjung wohl zum Teil dichteriſche Aus- 
ſchmückung. 

2) Beide Steine find beſchrieben durch Schultze: Don Steinen und Opferſteinen 
im heimat⸗Kalender Prenzlau, 1926, S. 111ff. M. Schultze: Zwei Gleitſteine in der 
Uckermark in Brandenburg. Zeitſchr. f. heimatk. 1926, S. 84f. 


502 Martin Schultze [4 


gute Dorbedeutung, jo daß man mehrere Jahre von einem weiteren Derjud 
abitand ). 


Abb. 2. Schlitterjtein von Menkin, Kr. Prenzlau. Das fe bie a hat auf der linken 
Seite des Steins eine muldenförmige Dertiefung ausgeſchliffen. Die Gleitfläche ijt glänzend 
gegenüber der ſonſt den Stein bedeckenden dunklen e Der ln 
Grasſtreifen hinter dem Stein bezeichnet die Grenze zwiſchen Menkin und Bergholz. 


bb. 3. Schlitterſtein von Jernickow, Kr. Ruppin. Die dunklen Flecke auf dem Stein find 
Sußtapfen eben heruntergeſchlitterter Kinder. 

1) Die Lage des Steins ijt Heimattal. Prenzlau, 1926, nicht richtig angegeben. Er 

lag an der Grenze der beiden Beſitzungen von Bettac und Grenſing nördlich vom Dorf 

Wetzenow, rechts des Weges Wetzenow-Zerrenthin. 


5] Gleitſteine Norddeutſchlands u. ihre Beziehungen zu relig. Anſchauungen d. Vorzeit 303 


3. Der Schlitterſtein in Jernickow, Kreis Ruppin, (Abb. 3). Hier befindet 
ſich an der Dorfſtraße vor dem Kirchhof ein Findling, deſſen höhe 0,80 m, 
obere Lange Süd-Nord 1 m, untere Länge Süd⸗Nord 2 m und Länge der 
Gleitbahn 1,35 m beträgt. Auf der Oberfläche, und zwar der ſüdlichen Seite, 
befinden ſich drei ſchalenförmige Vertiefungen von 5 cm Breite und 1½ cm 
Tiefe. Zwei weitere können auf natürliche Auswitterung zurückgehen. Don 
ihm pflegt die Jugend meiſt ſtehend herabzuſchlittern. Der Sage nach hat 
ihn ein Rieſe gegen die Kirche in Jernickow geworfen und die fünf Der: 
tiefungen find Eindrücke der Rieſenhand 2). 

Durch die bisher ermittelten Gleitſteine iſt die Derbreitung dieſes Brauchs 
über ein Gebiet, das von der Weichjel bis zur Elbe reicht, erwieſen. Vermut⸗ 
lich werden dieſelben ſich aber auch weſtlich der Elbe nachweiſen laſſen. 
Wucke nennt in Frauenbreitungen auf dem Marktplatz zwiſchen Sorjthaus 
und Schule einen Baſaltblock, „den Glitt⸗ oder Kroatenſtein“ ). Über dieſen 
Stein teilt herr Pfarrer Scheller in Breitungen mir mit, daß der Stein noch 
heute auf dem Marktplatz von Breitungen (ehemals Srauenbreitungen) liegt. 
Woher der Name „Glittitein” komme, fei nicht bekannt. Da der Stein ſehr 
glatt fei und die Kinder zum Auf- und Hbrutſchen einlade, fo liege eine Be- 
ziehung des Namens zu Gleiten nahe. Noch heute fpielten die Kinder ſehr 
gern an dieſem Baſaltblock. Der Stein ijt erwähnt in den Bau- und Kunit- 
denkmälern Thüringens und wird hier als Malzeichen des im frühen Mittel⸗ 
alters gehegten Gerichtes aufgefaßt. Es ſcheint ſich auf Grund der Mitteilung 
um einen wirklichen Gleitſtein zu handeln. 


Möglicherweiſe ſind noch weitere Steine den Gleitſteinen zuzurechnen, 
bei denen in der Literatur nur ein herüber⸗ oder Herauf- und Herunter- 
ſpringen angegeben iſt. Wie das Beiſpiel von Klötzin zeigt, könnte die Sitte 
des Gleitens ſich in ein Springen gewandelt haben. So teilt Treichel über 
den Karten- oder Hochzeitsſtein auf der Feldmark Fröde im Kreiſe Stargard 
mit ), daß die Harferinnen, wenn bei ihrer Tätigkeit die Reihen auf den 
Stein hinführen, im Wettſtreit auf den Stein ſpringen des Glaubens, daß 
die, der der Sprung zuerſt gelingt, noch in dem gleichen Jahre heirate. Hier 
ſcheint noch eine Spur von Erinnerung an die ſexual-kultiſche Bedeutung, 
die ſich einſt mit dieſen Bräuchen verknüpfte, vorhanden. Don dem heren: 
ſtein beim Tannenkamp zu Wolgaſt wird erzählt, daß die Kinder früher über 
denſelben hinüberzuſpringen pflegten in dem Glauben, daß ſie dann beim 
Dogelwerfen und Würfelſpiel gewinnen würden ). 


Daß dieſen an Steine fic) knüpfenden Bräuchen eine ſexual⸗kultiſche 
Bedeutung zukam, ijt, wie bereits erwähnt, durch ihre heute noch in Frank— 
reich fortlebende gleiche Bedeutung ſo gut wie ſichergeſtellt. Dabei iſt es 
nicht erforderlich, daß der Brauch im Herabgleiten beſtand. Der Sinn des 
Vorgangs konnte dabei nur der ſein, in möglichſt innige Berührung mit dem 
Stein zu kommen. Dies wurde auch durch Reiben beſtimmter Körperteile, 
wie des Nabels, an dem Stein erreicht, wie hierüber mannigfach Berichte 


1887 e e haafe: Sagen aus der Grafſchaft Ruppin und Umgegend. Neu:Ruppin 

88 

en 2) Wude: Sagen der mittleren Werra. 2. Aufl. von Dr. H. Ullrich-Eiſenach 1891. 
r. 


5) Zeitichr. d. but, Dereins Marienwerder. 31. Heft. EE 1893, S. 2f.; 
val. dazu Blätter für deutſche Dorqejdidte. Leipzig, heft 3, S. 15. 
) f. haas: Ppommerſche Sagen, A Aufl. Leipzig: Boblic 1921, Nr. 150 


304 Martin Schultze [6 


aus Frankreich vorliegen ). Da ſcheint es nun nicht unwichtig, daß auch in 
Norddeutſchland bis vor kurzem noch an einen Stein ein bewußt ausgeübter 
Fruchtbarkeitsritus ſich knüpfte. Es handelt ſich um den jetzt geſprengten 
Block von Dirchow im Kreiſe Dramburg, vom Volke „der breite Stein” genannt, 
der, wie ſich bei ſeiner Sprengung ergab), die Deckplatte eines neolithi⸗ 
ſchen Grabes bildete. Wie nun Haas in feinen Sagen berichtet, fanden ſich 
junge Eheleute, falls ihre Ehe kinderlos geblieben war, zur Neumondszeit 
bei demſelben ein ). Ich richtete an Herrn Hauptlehrer Küfel in Virchow 
die Bitte, wenn irgend noch möglich, genaueres hierüber in Erfahrung zu 
‚bringen. Derſelbe teilte folgendes mit: Der Stein wurde bei Neumondszeit — 
und zwar in der zweiten hälfte zum zunehmenden Mond — von kinderloſen 
Ehepaaren aufgeſucht. Sie erſtiegen den Stein, ſetzten ſich auf denſelben und 
gingen dann ſiebenmal um ihn herum. Während dieſer Handlung durfte 
kein Wort geſprochen werden, auch mußten die Betreffenden unausgeſetzt 
an ihren Wunſch denken, ſonſt war ein Erfolg fraglich. Wiederholung war 
nicht möglich. 

Im Juſammenhang mit dieſem Brauch ſteht wohl auch die an den 
einſt bei Putgarten auf Wittow befindlichen Teufelſtein ſich knüpfende Sitte. 
Hier pflegten alle Brautpaare, wenn fie aus der Kirche kamen, vom Wagen 
herunterzuſteigen und mit den Hochzeitsgäſten dreimal um den Stein zu 
gehen ). Ebenſo ſoll auch vor dem bekannten Buskamen zu Göhren ein 
Hochzeitstanz aufgeführt worden fein 5). 

In allen dieſen Gebräuchen werden wir Fruchtbarkeitsriten zu ſehen 
haben. Der dreimalige Umgang um den Teufeljtein bei Putgarten ſcheint 
dem ſiebenmaligen Umgang um den Dirchower Stein zu entſprechen und 
wenn Samter berichtet, daß in verſchiedenen Gegenden Englands das Brout: 
paar über einen Stein ſpringen muß ), fo erinnert dieſe Sitte an das glück- 
verheißende Springen der Knaben über den Herenjtein bei Wolgaſt. Nun 
teilt Zamter ferner als eine indiſche und eſthniſche Sitte mit, daß Braut oder 
Bräutigam auf einem Stein ſtehen müſſen 7). Eine ähnliche Sitte ſcheint auch 
in Pommern noch nachweisbar. Im Kreiſe Stolp und auf Rügen iſt ein 
Pfänderſpiel verbreitet, das „auf dem breiten Steine ſtehen“ genannt wird. 
Der Betreffende ſpricht: Hier ſteh' ich ganz allein auf einem breiten Stein, 
und wer mich lieb hat, holt mich ein. Dabei kann eine Dame nur von einem 
herrn und umgekehrt ein Herr nur von einer Dame eingeholt werden s). Im 
Kreiſe Kolberg-Körlin findet lich ferner für heiraten die Redensart „auf 
dem breiten Steine ſtehen“. Die Bewohner von Zwilipp in dieſem Kreiſe 
führen die Redensart darauf zurück, daß die Brautleute vor dem Altar auf 
einem breiten Steine ſtehen, der das Grabgewölbe der Zwilipper Paſtoren 


1) heinrich Schoen: Alte Sitten in der Bretagne. Globus 1910. S. 326; val. 
dazu auch Rütimeyer, a. a. O., 2 574. 

2) Dal. dazu 6. Sabresber, 2 Bomm, Geſellſch. Stettin 1855, S. 11. Balt. Stud. 
IX, S. 219; N. S. XV, S. 204; XVI, E 195f. Monatsbl. d. Domm. Geſellſch. 1904, S. 111. 
haas: Blätter für pomm. Dolist. II, S. 159, III, S. 143. Haas in XI. Jahresber. d. 
geogr. Geſellſch. Greifswald 8. 58. 

3) haas: pomm. Sagen 1921, Nr. 65; Kloſe, a. a. O., S. 29. 

4) Haas: Blätter fur Pomm. DÉI) RL Ss: 123 ff. 

5) Haas in XI. Jahresber. d. Geogr. Geſellſch. Greifswald. S. 4 

6) E. Samter: Geburt, Do und Tod. Leipzig-Berlin 1911. d 143. 

* E. Samter, a. a. O. 8. 13 

5) haas: Blätter für Pein "Mama I, Nr. 1. 


7] Gleitſteine Norddeutſchlands u. ihre Beziehungen zu relig. Anfchauungen d. Vorzeit 305 


deckt). Die Redensart und das Pfänderſpiel wird jedoch kaum darauf zurück⸗ 
gehen. Eher wird man annehmen dürfen, daß das durch einen breiten Stein 
geſchloſſene Grabgewölbe der Zwilipper Paſtoren vor den Altar gelegt wurde, 
damit die Brautleute auf einen breiten Stein zu ſtehen kamen, der noch dazu 
über einem Grabe ſich befand, und daß man hier alſo uralten Anſchauungen 
Rechnung trug. Aud der Stein zu Virchow wird „breiter Stein“ genannt 
und war die Deckplatte eines Grabes, auch ſonſt fommt die Bezeichnung 
„breiter Stein“ für Findlinge in Pommern des öfteren vor 2). 

Damit ſcheint erwieſen, daß an beſtimmte Findlinge Fruchtbarkeitsriten 
ſich knüpften. Solche Riten hatten nur dann aber einen Sinn, wenn man 
in dem betreffenden Stein den Sitz eines Fruchtbarkeitsdämons Job, Ob 
dieſer mit manchen Sindlingen verbundene Glaube vom Totentultus feinen 
flusgangspunkt nahm, wie der mit dem breiten Stein bei Dirchow verbundene 
Ritus nahelegt, oder ob außer dem Totenkult noch andere Motive vorhanden 
waren, gerade unter Steinen Fruchtbarkeitsdämonen ſich wohnhaft zu denken, 
bleibe dahingeſtellt. Bei einer Aderbau und Viehzucht treibenden Bevölkerung 
mußten derartige Riten einen . Teil des Kultus ausmachen, da 
von der Sruchtbarkeit von Pflanze, Tier, Menſch der geſamte Wohlſtand ab⸗ 
hängig war. 

Schon Rütime yer hat darauf hingewieſen, daß die Gleitſteine in enger 
Beziehung zu den Kindfteinen ſtehen müſſen. Da iſt es nun wieder beachtens⸗ 
wert, daß die Parallelen zu dieſen Steinen der Schweiz in Pommern in den 
ſog. Adebar und Schwanſteinen ſich finden. In der Literatur ſind ſie im allge⸗ 
meinen oft erwähnt, eine genaue Zuſammenſtellung und vor allem Überſicht 
über ihre geographiſche Verbreitung fehlt leider bislang noch. Als Schwanen⸗ 
ſteine werden genannt ein Stein am Strande des Badedorfes Cohme ), ein 
Stein an der Mole des Saßnitzer Hafens und bereits geſprengte Steine am 
Crampas⸗Saßnitzer Strande ), ferner noch der bereits erwähnte Buskamen 
zu Göhren *); als Adeborſteine ein großer Selsblod vor Breege auf Wittow )), 
ein Stein bei Wiek auf Wittow in der Oſtſee hart am Strande ), der Findlings⸗ 
block bei Griſtow im Kamminer Bodden ®) und der Mäuſchenſtein bei Cangen⸗ 
damm, Kreis Franzburg, am ſüdlichen Ufer des Saaler Boddens °), 

Dieje Steine find zweifellos unter die Kindfteine zu rechnen, zumal 
der Storch bzw. Schwan die Kinder nicht nur aus dem Meere holt und 
fie nur auf dieſen Steinen trocknet, wie manchmal mitgeteilt wird 10), 
ſondern die Kinder ſind unter dieſen Steinen geradezu verborgen 1). Dieſe 
Steine nehmen bisher in Norddeutſchland eine iſolierte Stellung ein und 
ſcheinen ſich auf die Inſel Rügen und das angrenzende Küſtengebiet zu be⸗ 
ſchränken. Der nächſte Kindſtein, der mir bekannt iſt, liegt im weſtlichen 
Deutſchland in Unterwiddersheim, Kreis Büdingen, in Oberheſſen 121. Dieſe 


d ) Baas: Blätter für Domm. Dolfsf. I, S. 166. 
eefe: 1 Geſchiebe in pommern. XI. Jahresber. d. geogr. Geſellſch. 

Greifswald. S. 1 

3) haas VW XI. n d. geogr. Geſellſch. Greifswald. S. 42f. 

) Haas, a. a. O. 
d onatsbl. d. Geſellſch. 1890. S. 49f. 
*) haas: Rügenſche Sagen. 3. Aufl. S. 156 und XI. Jahresber. S. 41. 

. Jahn: Doltsfagen aus Pommern und Rügen. 2. Aufl. Berlin 1889. Nr. 497. 
D Kuhn und Schwartz: Nord. Sagen, 1 und Gebräuche. Leipzig 1848, S. 13. 
) haas: Domm. an 1921. Nr. 148. 

Ce 


12 loſe, a. a. 1 
Jahn: a. haas: Rügenſche Sagen. 3. Aufl. 55f. 
12) Runkel: en: vorgeſchichtl. Altertümer. Marburg SC S. 228. 


Mannus, 3Zeitfchrift für Vorgeſch., VI. Erg.⸗Bd. 20 


306 Martin Schultze, Gleitſteine Norddeutſchlands u. ihre Beziehungen ui, [8 


ifolierte Stellung iſt aber ſicher nur darauf zurückzuführen, daß an einzelnen 
Orten durch günſtige Umſtände uralte Anſchauungen ſich bis in die heutige 
Jeit hinüberretteten. | | 

Die Erzählungen von den unter Steinen verborgenen Kindern dürften 
ſich nun erſt aus der älteren Anfchauung heraus, daß unter oder in dem Stein 
der Sitz des Frucht und Leben bringenden Dämons ſei, allmählich gebildet 
haben, wie denn die auch bei Homer ſich findende Meinung, daß der Menſch 
vom Stein oder Baume abſtammen könne, bereits ſtatt des Dämons ſeinen 
Wohnſitz nennt 4). | 

Eines ijt wohl aber ficher, daß der Menſch der Vorzeit nicht nur in den 
Geſtirnen machtvolle Götter ſah, ſondern auch im Schoße der Erde, dem 
Reiche der Unterirdiſchen, dem auch alle angehörten, die vor ihm auf der 
Erde gewandelt, wirkende Mächte wußte, die auf Geburt und Tod, Wachs⸗ 
tum und Dergehen beſtimmenden Einfluß ausübten und deren verborgene 
Kraft man durch Kult und Ritus auf ſich oder andere Weſen überleiten konnte, 
mit denen alſo in innigere Derbindung zu treten eher möglich war als mit 
den. überirdiſchen Göttern. 

Don den Slaven ijt der Steinkultus ausdrücklich bezeugt ). Bei den 
öſtlich der Elbe liegenden Provinzen erhebt ſich alſo die Frage, haben wir 
in den nog heute fortlebenden Gebräuchen eine die ſlawiſche Periode über⸗ 
dauernde Überlieferung zu ſehen oder haben ſich ſlaviſche Anſchauungen in 
ihnen weiter erhalten. Daß hier nicht allein ſlaviſche Anfchauungen vorliegen, 
lehrt der Gleitſtein von Frauenbreitungen und der Kindſtein in Oberheſſen. 
Im Juſammenhang mit dem noch heute in Frankreich und der Schweiz in 
gleicher Weiſe fortlebendem Brauch und Glauben werden wir wohl nicht 
fehlgehen, in ihm die Reſte uralter einſt bei ſämtlichen Indogermanen 
herrſchender Ideen zu ſehen. | | 
: Oduſſee XIX, 163; Ilias XXII, 126; Hejiod: Theogonie 35. 


y die Geſchichtsſchreiber der deutſchen Vorzeit. Bd. 50. Helmolds Chronik der 
Slaven, S. 196. (I, 84). | 


3. Ortsnamenkunde. 


Der Name des Grokvenedigers. 


Ethnologiſche Skizze. 
Don Karl Selix Wolff. 


Überall von den Gipfeln der Dolomiten und von den grünen Bergen 
des Hochpuſtertales erblickt man im Norden eine ſtolze, ebenmäßig gebaute, 
alles überragende Firnpuramide. Das ijt der Großvenediger, ein 3660 m 
hoher, von einer ganzen Schar vergletſcherter Trabanten umgebener Haupt⸗ 
gipfel der Alpen. Ihn verklärte früher die ganze Weihe völliger Einſamkeit 
und Unberührtheit. Die ladiniſchen Hirten, die von ihren hochweiden aus 
mit einer gewiſſen Scheu die lange Rette eisblauer Gipfel im Norden den 
Horizont begrenzen ſahen, nannten diefe Sernerflucht die „gläſernen Berge“ 
und hielten ſie für unüberſchreitbar. Unter den „gläſernen Bergen“ ragte 
der Großvenediger durch beſondere höhe und Unnahbarkeit hervor. Die 
älteſte Urkunde, auf der von ihm die Rede iſt, bezeichnet ihn und ſeine Neben⸗ 
gipfel als „montes veneti“. 

Es ijt oft verſucht worden, dieſen Namen zu deuten. Zuletzt hat darüber 
Eduard Büchlmann in den „Mitteilungen des Deutſchen und Ofterreichi- 
Iden Alpenvereins” gehandelt (Nr. 18 vom 30. September 1927). Er meint, 
der Volksſtamm der Deneter fei „durchaus hupothetiſch und fo wenig real 
als die Sicht Venedigs vom Gipfel des Berges oder Bennennung desſelben 
rate en Kaufleute nach ihrer Daterjtadt”. Büchlmann fährt 

ann fort: 

„Einen intereffanten Hinweis auf die richtige Deutung des Namens 
erhielt ich in St. Johann i. P. In der Nähe des Marktes liegt ein Bauern: 
gut, deſſen Beſitzer nach dem hof der „Denediger” benannt wird. Das 
alte Grundbuch weiſt nun den Namen „Sein-Oedinggut“ auf Ohne 
irgendwie behaupten zu wollen, daß das Bauerngut Fein-Oeding mit 
dem Berge Denediger zuſammenhängt, iſt doch ein wichtiger Hinweis 
auf die Deutung des Bergnamens gegeben. Unzweifelhaft iſt das Wort 
Oeding eine Form des Wortes Oede, das in den Bergen in unzähligen 
Haus⸗, Regions: und Namensbezeichnungen immer wiederkehrt. Schwie— 
riger iſt „Sein“ zu erklären, mutmaßlich aber derſelbe Stamm, der uns 
in Firn, Ferner entgegentritt. . . ... Und welche Bezeichnung paßt beſſer 
für die ungeheure Eiswüſte des Denedigermaſſivs? So erſcheint im Namen 
Denediger keine wälſche Stammſilbe, ſondern uraltes deutſches Sprachgut“. 

Dier kommt mir zunächſt die Gleichung Sein = Sim aus lautlichen 
Gründen bedenklich vor. Serner gilt es aber nicht nur den Namen des Berges, 
ſondern auch den gleichlautenden Namen des Bauernhofes Venedig bei 
St. Johann im Pongau zu erklären. Daß dieſe beiden unmittelbar nichts 


20* 


308 K. e, wolff 2 


miteinander zu tun haben können, iſt von Büchlmann richtig erkannt und 
ausgeſprochen worden. Aber gerade das Wiedererſcheinen desſelben Namens 
in einer ganz anders gearteten Umgebung muß als auffällig bezeichnet 
werden. Der Pongauer Bauernhof liegt doch nicht in einer Eisöde; warum 
führt er alſo denſelben Namen wie der vergletſcherte Berg, von dem er in 
der Luftlinie etwa 70 km weit entfernt iſt? 

Es wäre verdienſtlich geweſen, wenn uns Büchlmann die Lage und 
die Beſonderheiten des Denedigerhofes genau beſchrieben hätte. Denn die 
Huli die wir uns vorlegen müſſen, iſt dieſe: worin liegt jener gleichartige 

rtlichkeitscharakter, der für dieſelbe Bezeichnung in beiden Fällen be⸗ 
ſtimmend wurde? Iſt etwa der Denedigerhof der höchſte und letzte feiner 
Gemeinde? Oder war er es ehedem? — 

Es find jetzt gerade 20 Jahre, daß ich dem Namen ,,Denedig” in den 
Oſtalpen nachſpüre und immer wieder mußte ich erkennen, daß dieſer rätſel⸗ 
hafte Name an entlegenen Ortlichkeiten haftet. Da iff zunächſt der Hof 
Denedig im Dillnößtal, der am Ende des Tales liegt und als einer der 
älteſten gilt; hinter dem Hofe Venedig beginnt der große, unbewohnte Wald, 
der zu den Selsklippen der Geiſeln hinaufzieht. Ein anderer Denedig-Hof 
(von den Ladinern Agnéfia genannt) liegt im Abteitale auf einer Land- 
ſpitze, die von der Gader im Bogen umfloſſen wird. Die höchſte Almweide 
im Dal di Genova heißt Venezia, — genau wie die Lagunenjtadt. Ein 
Bun di Ven zia bildet die böchſte Stufe der Dal della Mare, einer Talbucht, 

ie hier am Fuße des Ortlerſtockes endigt. Eine Alpe Denégia liegt am 
Ende des Travignolotales, dort, wo die Wildnis der paladolomiten beginnt. 

Wo man aber den hebel anſetzen müſſe, um dieſen ſeltſamen, immer 
wiederkehrenden Namen zu deuten, das wurde mir erſt klar, als ich bei 
Friedrich Stolz über die Deneter las: 

„Den Namen (dieſes Volkes) hat ©. meuer pda philol. Wochen⸗ 
ſchrift Nr. 9 und 10 vom Jahre 1892) nach dem albaneſiſchen vent, mit 
Artifel vendi „Ort, Land, Heimat“ als „die Eingeborenen“ gedeutet“ d 

| In Denezia-Denedig haben wir es alſo mit einem zuſammen⸗ 
geſetzten Worte zu tun, deſſen erſtes Kompoſitionsglied, Land" bedeutet. 
Das zweite ſuche ich in lateiniſch ins- tig-are „anſtacheln“, griechisch 0- ir lia 
„Stich, Punkt“, altindiſch tig-mä-h „ſpitzig“, altperſiſch tig-ra- „Fust 
aveſtiſch (ant ch? gotiſch s-tik-s, althochdeutſch s-tih „Stich, "Dun : 
Daß die Begriffe, Spitze“, „Ecke“ und „Ende“ ineinander übergehen, jr 
befannt. Nun paßt die Deutung: „Spitze des Landes“ ebenſogut für den 
Großvenediger wie für Denedig an der Gader; der andere Begriff aber 
„Ende des (bewohnten) Landes” paßt für die Ulmweideneien Venezia 
und Denegia und für die Lagunenſtadt, die eben auch am äußerſten Ende 
des Landes liegt, wo zwar kein Berg oder Wald oder Gletſcher, dafür aber 
das unüberſehbare Meer beginnt. 

Da die albaneſiſche Sprache altilluriſche Elemente enthält, ſo werden 
wir auch nicht daran zweifeln können, daß der mit Hilfe des Albanefijden 
gedeutete Name „Denezia-Denedig“ jenem großen indogermaniſchen Volke 
zugeſchrieben werden müſſe, deſſen ſüdliche Stämme als NAA, Hillyrici, 
Illyrii aus der Geſchichte des Ultertums bekannt ſind. Die Jugehörigkeit 
der adriatiſchen Deneter zu den Illuriern wird übrigens auch von N 
(I, 196) ausdrücklich betont. 


1) ) Stiedridh Stolz: „Die Urbevölkerung Tirols“, 2. Auflage, S. 102. (Wagner, 
Innsbruck, 1892.) 


3 Der Name des Grokvenedigers 309 


Und da der Name „Deneter“ (Eingeborene) nach G. Meyers Deutung 
der allgemeinere iſt, ſo wird er auch der ältere fein. Wie nahe dieſes große 
Volk uns ſteht und wie innig es mit unſerer Vorgeſchichte verknüpft (H. das 
hat Guſtaf Roſſinna ſchon vor 17 Jahren mit klarem Forſcherblick erſchaut. 
Es war mir damals ein ſeeliſches Erlebnis, als ich im „Mannus“ (Bd. III 
und IV) Koffinnas lichtvolle Darlegungen über die Illyrier las, wie er 
fie von den Aunetigern herleitete, die in den Sudetenländern wohnten, wie 
er ihre Ausbreitung beſchrieb, wie er den Mordillyriern den Laufiger Kultur⸗ 
kreis zuwies, wie er zeigte, daß der Name jener „Deneter” heute noch in 
der germaniſchen Bezeichnung der Slawen fortlebt (Weneder, Wenden). 

So erſcheint mir denn der Großvenediger mit einer eigenen Gloriole 
umgeben: an die drei Jahrtauſende müſſen vorbeigezogen ſein, ſeitdem die 
erſten in die Alpen eindringenden Veneto⸗Illyrier zu dieſer eisumpanzerten 
„Spitze des Landes” ehrfürchtig emporgeſchaut und für ſie einen Namen 
geſchöpft haben aus derſelben Sprache, die damals weithin durch das Donau⸗ 
land und durch die norddeutſche Tiefebene bis an den fernen Sinus Venedicus 
geſprochen wurde. Derflungen find all die vielen illuriſchen Namen, die 
an den oſtdeutſchen Gegenden gehaftet haben müſſen, nur in der Südmark 
deutſchen Landes, wo der ewige Firn der Alpen glänzt, hat einer der ſtolzeſten 
1 für alle kommenden Geſchlechter die alte „venetiſche“ Erinnerung 

ewahrt. f 
Nicht umſonſt ſchrieb einſt Cudwig Steub: 
„Schön und wunderlich klingen die Namen in den rätiſchen Alpen!” 


4, Religionsgeſchichte. 


Sturmgott und Sternengott. 


Don Friedrich Solger. 


Cangſam aber ſtetig wächſt in unſerem Volke der Sinn dafür, daß der 
Glaube ſeiner Däter auch neben der Religionsgeſchichte Paläſtinas noch des 
Rennens und Nachdenkens wert fei. Eifrige Jorſchung ſchafft den Schutt 
hinweg, der auf den Überlieferungen liegt, und leimt die Bruchſtücke nach 
Möglichkeit zuſammen. Der ernſte Sorjcher, der fo vorgeht, ſieht mit Unmut 
auf die Menge derjenigen, die das unvollkommen erforſchte Bild der alten 
Muthenwelt mehr oder weniger willkürlich ergänzen und dann Meinungen 
vertreten, die dem genaueren Kenner Entſetzen einjagen. Man kann nur 
zuſtimmen, wenn der germaniſtiſche Fachmann verlangt, daß man von ger⸗ 
maniſchen Dingen etwas Tatjächliches wiſſen ſolle, wenn man über fie ſchreibt. 
Die Ehrfurcht vor unſern Ahnen ſoll uns hindern, ihnen Dinge anzudichten, 
die wir gern an ihnen ſehen möchten, für die aber jeder Beleg fehlt Aber 
auf der anderen Seite werden wir den Glauben unjerer Altvordern niemals 
aus Urkunden ergründen können, wenn er nicht in uns ſelbſt Widerhall findet. 
Sicher iſt nicht alles in gleichem Grade germaniſch, was in germaniſchen 
Überlieferungen Platz gefunden hat. Wir können eine Kritik des Uberlieferten 
durch unſer eigenes lebendiges Fühlen nicht entbehren. 

Wenn nun die Dinge fo liegen, daß die hiſtoriſche Forſchung grund⸗ 
ſätzlich unzureichend iſt, um wirklichen Glauben zu erforſchen, und das lebendige 
mytbifche Empfinden nicht ſicher genug ijt, um den Prüfſtein der Überliefe⸗ 
rung entbehren zu können für das, was ihm als germaniſch gilt, dann wird 
der fruchtbarſte Weg wohl der ſein, daß der Blinde und der Lahme, der 
urkundlich forſchende und der gläubig erlebende Deutſche ſich zuſammentun, 
ſtatt daß der Blinde die Welt des Auges, der Lahme die Bedeutung des 
wirklichen Erwanderns der Dinge leugnet. 

Gerade auf dieſem Gebiete können nicht alle Kräfte der Erkenntnis 
in einer Perſönlichkeit vereinigt ſein. So wollen wir einander keinen Vorwurf 
daraus machen, daß wir von verſchiedenen Seiten in das uns unbekannt 
gewordene Land des alten Glaubens vordringen, ſondern wir wollen uns 
gegenſeitig ſagen, was wir dabei gefunden haben. Der eine wird Erkundungs⸗ 
ſtreifen unternehmen, die den Sieg noch nicht erringen, aber den Weg bereiten 
für den andern, der das große Heer nachführt, um den wirklichen Beſitz des 
umkämpften Landes zu ſichern. Der Bericht des Kundſchafters wird auch 
nicht entwertet, wenn ſich im Endkampf zeigt, daß er die Sachlage nicht 
überall richtig eingeſchätzt hat. Nur freilich müſſen dieſe Punkte dann berichtigt 
werden. Von ſolch einem Erkundungszuge möchte ich berichten. Die Hugen, 
mit denen ich ſehe, ſind dabei die des Naturforſchers, insbeſondere des 
Geologen, dem es beſchieden war, das innerlich erlebte Germanentum einmal 


2] Sturmgott und Sternengott 311. 


ganz von außen zu betrachten, ihm in zehnjährigem Aufenthalt in Oſtaſien 
Eindrücke aus einem ganz andern Volke gegenüberſtellen zu können. Ein⸗ 
drücke, die die bei uns immer wieder überſehene Unterſcheidung zwiſchen 
Glauben und Kirchenlehre erleichterten, da es in China wohl echten Glauben, 
aber kein eigentliches Kirchentum gibt. 

Man kann nur von Dingen reden, für die man einen Sinn beſitzt. Wir 
werden muthiſches Denken nur verſtehen, wenn wir ſelbſt muthiſch denken. 
Ich verſtehe darunter den Trieb, Eindrücke der Außenwelt als den 
Ausdrud einer aus den Dingen der Außenwelt zu uns ſprechenden 
Innenwelt aufzufaſſen. Wem beim Rauſchen der Bäume im Sturm nichts 
im Unterbewußtſein klingt von einem Sprechen lebender Weſen, das da 
unverſtanden zu uns dringt, dem wird aller Mythus ſtumm bleiben. 

Gerade der Naturforſcher ſcheint hierzu verurteilt zu ſein. Iſt nicht 
ſein ganzes Forſchen ein Kampf dagegen, daß muthiſches Vorurteil ihn hindern 
könnte, die Wirklichkeit als ein unperſönliches Räderwerk von Urſache und 
Wirkung anzuſehen und zu erkennen? Er betrachtet ſelbſt den Menſchen ſo, 
als ob er kein Innenleben hätte. Der Entſchluß zu der tapferſten Tat iſt ihm 
nichts anderes, als die Weiterleitung eines Reizes von Nerv zu Nerv, wobei 
er nicht zugeben kann, daß dieſe Weiterleitung nach anderen mele uae 
keiten vor ſich gehe, als denen, die durch den Juſtand der eingreifenden 
Atome gefordert werden. So ſcheint ſelbſt das eigene Innenleben ſchließlich 
aus der Betrachtung ausgeſchloſſen. Der Naturforſcher ſieht als ſolcher grund⸗ 
ſätzlich alle Welt von außen an. Aber indem er auch die eigene Perſönlichkeit 
jo betrachtet, fühlt er in jedem Augenblick, daß er eben nur als Perſönlichkeit 
Erkenntnis erwerben kann, daß ſein Forſchen für ihn immer Angelegenheit 
des Innenlebens bleiben muß, weil es ſonſt aufhören würde, bewußt zu ſein. 
Das eigene Ich bleibt ihm Muthus, d. h. eine zwar grund ſätzlich auch von außen 
geſehene Welt, von der er doch ſicher weiß, daß ſie uns ihr Wichtigſtes erſt ſagt, 
wenn fie als Innenleben aufgefaßt w 1d. So ijt ihm der Muthus vom eigenen 
Ich unentbehrlich. Aber er empfindet gegenüber dem muthiſchen Selbſtbildnis 
die Pflicht, in ihm keine Züge zu dulden, deren folgerichtige Auswirkungen 
anders ausſehen müßten, als der Ablauf der Erſcheinungen, die er in kühler 
Betrachtung von außen als „Wirklichkeit“ vor ſich hat. Sollte es ihm da ſo 
widerſinnig ſein, das Doppelbild der inneren und äußeren Schau auch durch 
die ganze Welt hindurch zu wahren? Er wird es nicht in feiner Sorfdung 
berückſichtigen, aber er kann es aus ſeinem menſchlichen Weltbilde nicht aus⸗ 
ſchalten. Das unermüdliche Ticken der Uhr hat für mich immer etwas von 
der rührenden Treue des hHerzſchlags gehabt, der Tag und Nacht unſer Lebens- 
uhrwerk im Gange hält ohne Dank, und in der Emſigkeit beider fühle ich eine 
Derwandtjchaft mit dem triebmäßigen Willen zum Schaffen, der aus dem 
Bauern ſpricht, wenn er mit immer gleicher Regelmäßigkeit alljährlich unſer 
Seld beſtellt. Das hindert mich nicht, das zwangläufige Ineinandergreifen 
der Räder im Uhrwerk zu erfaſſen, aber genau fo zwangläufig geht der herz— 
ſchlag vor ſich, und genau ſo zwangläufig drängt es den geſunden Bauer, 
ſeine Arbeit zu tun. Derſelbe Glaube an die Einheit der Welt, der den Forſcher 
treibt, alles „mechaniſch“ zu erklären, d. h. als Wirkung unbeirrbarer Geſetz— 
mäßigkeiten, derſelbe Glaube ſchafft auch wieder die Derwandtſchaft zwiſchen 
Außenwelt und Innenwelt, die, von der inneren Erfahrung her geſehen, 
ſich im Wythus ausſpricht. Wenn dieſe Einheit der Welt muthiſch durch 
eine göttliche Perſönlichkeit ausgedrückt wird, dann hat der Naturforſcher 
den „Glauben“ an ſie doch nur inſofern verloren, als das Bild, das von ihr 


312 Sriedrich Solger [3 


in ihm lebt, ihm ein für allemal unzulänglich chen u eine von Menſchen 
gemalten Kuliſſe, die der undarſtellbaren Wahrheit nie gerecht wird, die 
ihm aber ihren tiefen Wert behält, ſolange ſie der Widerſchein dieſer Wahr⸗ 
heit iſt, geſehen mit einem inneren Huge, das unbewußt malt, was er von 
außen Zug um Jug bewußt zu erforſchen verſucht. 

Jo fühlt fic) vielleicht der Naturforſcher gerade beſonders verwandt 
dem Naturglauben feiner Vorfahren. Eben weil er die Unzulänglichkeit aller 
kirchlichen Bilder fühlt, werden die unzulänglichen Bilder früheren Glaubens 
jenen wieder mindeſtens ebenbürtig, und er ſteht andächtig vor der ungeheuren 
Kraft, mit der unſere Altvordern den Kampf um das Kätſel des ſich frei 
fühlenden und doch geſchichtlich gebundenen Lebens aufgenommen haben. 
Sit dies Leben in dieſer Welt nur ein ungeheures Räderwerk, in dem aller 
Wille der Perſönlichkeit nur Schein iſt, oder iſt dieſer Wille eben das einzig 
Wirkliche, ſelbſt da, wo er ſich zum Glauben an das Geſetz, das ihn bindet, 
bekennt? Das find zwei entgegengeſetzte Ausgangspuntte des Muthus, und 
ihnen entſprechen zwei entgegengeſetzte Typen des Muthus, der Sternen⸗ 
gott und der Sturmgott. 

Beides ſehe ich auch im alten Germanentum miteinander kämpfen, 
mögen die Erforſcher der Überlieferung entſcheiden, ob dieſe imſtande iſt, 
das zu widerlegen! | 

Donar ijt der reine Sturmgott, d. h. der Gott des Gewitterſturmes 
mit Blitz und Donner, den Nerthusdienſt kann ich nur nachfühlen, wenn 
ihm das Urgefühl von einer Geſtirnsgottheit zugrunde liegt. 

Solche Behauptungen laſſen ſich nicht eigentlich beweiſen, man kann 
nur verſuchen, klar zu ſagen, was man meint. Die Frage iſt dann, ob andere 
deutſche Seelen ebenſo fühlen, die jog. exakte Forſchung kann dazu nur ſagen, 
ob in dem doch immer noch ſehr weit bleibenden Maſchenwerk der bekannten 
Tatſachen dieſe Auffafjung widerſpruchslos Platz findet. | 

Das Weſen des Sturmgottes liegt dabei nicht in ſeiner Derantwort- 
lichkeit für den Gewitterſturm allein. Der Sturmgott war, als er entitand, 
die Gottheit ſchlechthin, alſo hat feine Macht keine beſtimmte Grenze, er 
wirkt in allem. Aber der Sturm iſt gleichſam ſeine Offenbarung, aus ihm 
ſpricht er am eindringlichſten zum Menſchen. Aus ihm gewinnen wir unſer 
Bild von ihm, und deſſen Hauptzug iſt beim Sturmgott die Unberechen⸗ 
barkeit der einzelnen Handlung. Frei ſchaltet Donar mit ſeiner Kraft 
nach ſeinem Willen. Gebunden iſt er nur durch ſeine eigene Weſensart, 
deren Grundzug die Treue im Kampf iſt. So war er dem Germanen 
als Perſönlichkeit ganz verſtändlich. Er kämpft gegen die Rieſen mit der 
Waffe, die ſchon dem Menſchen der Steinzeit zur Verfügung ſtand, mit 
dem Steinhammer. Er tut es mit Kräften, die dem Germanen von 
altersher vertraut waren, mit Rörperſtärke und Ungriffsmut. Ihm fehlt 
der nachdenkliche Sinn des andern Sturmgottes, Wodan, der jüngeren, 
verwickelteren Geſtalt, die, eben weil ſie mehr Geſchichte in ſich barg, 
ſpäter als die erfahrungsreichere zu ihm in die Beziehung des Vaters ge: 
bracht wurde. Es muß aber offenbar eine Zeit gegeben haben, in der nur 
Donar im Dolke lebte und der Glaube an feinen Riefenfampf als das Bild 
für den eigentlichen und einheitlichen ſittlichen Sinn alles Weiterlebens. 
Fromm fein heißt nicht, die Allmacht dieſes Gottes preiſen. Ein Kampf, 
der ihm Lebensinhalt iſt, muß gegen ebenbürtige Feinde geführt gedacht 
ſein, alſo kann Donar nicht allmächtig gedacht ſein. Fromm ſein heißt 
vielmehr, in dieſem Rampfe als „frumber Landsknecht“ Donar gegen 


4] Sturmgott und Sternengott 313 


die Hielen beiſtehen, Gott bedingungslos gegen den Teufel verteidigen, 
und nicht etwa überlegen, zu welchem von beiden ſich zu halten das 
Einträglichere wäre. Das ganze Menſchenleben wird eine Wehrpflicht 
im Dienſte des treuen Walters des Rechts. hierin ſehe ich das Urbild des 
geſamten germaniſchen Glaubens, alles indogermaniſchen Glaubens über⸗ 
haupt, wenn man darunter den Glauben jenes Volkskernes verſteht, der 
in den indogermaniſchen Völkern deren Derwandtſchaft begründet und den 
ich mit der urſprünglichen nordiſchen Raſſe gleichſetze. Indra in der indiſchen 
Sage, Herakles in der griechiſchen ſcheinen mir auf dieſe alte Auffaſſung 
zurückzugehen, beide durch ſpätere Entwicklung in den Hintergrund gedrängt 
wie auch Donar durch Wotan. Am reinſten kommt dieſer Glaube zum Aus- 
druck und zur philoſophiſchen Weiterbildung in der perſiſchen Lehre von 
Ormuzd und Ahriman. Dort Fi die Beziehung zu dem anſchaulichen Bilde 
des Gewitters, aber der Geiſt des Sturmgottes weht durch die Lehre. Als 
Kampfplak gegen den Abriman hat Ormuzd die Welt geſchaffen, als Mit⸗ 
kämpfer gegen ihn den Menſchen. Wenn auch der Glaube an den endlichen 
Sieg des Guten alles durchzieht, ſo kann er doch hinausgezogen werden, 
wenn der Menſch durch böſe Taten dem Böſen Raum gibt. Nichts von Regel⸗ 
mäßigfeit in dieſem Kampfe! Immer muß man kämpfen, jeden Abbrud 
dem Teufel tun, unbekümmert darum, was die nächſte Stunde bringt. Danach 
fragt man nicht. Es iſt Sache der Klugheit und Dorficht, mit der Zukunft nach 
Möglichkeit zu rechnen, aber man muß ſie ſelbſt erforſchen, die Lehre ſagt 
nichts darüber. Wer kann ahnen, ob Ormuzd-Donar ſelbſt weiß, was der 
nächſte Kampf bringen wird? Auch wenn er ihn überraſcht. wird er ihn 
zu beſtehen wiſſen. 

Dem ſteht der Glaube an Sternengötter vollkommen andersartig gegen⸗ 
über. Mit dem Sturmgott gemeinſam iſt ihnen wohl die Beziehung zum 
Wetter. Aber während der Sturm den Kampf des Wetters zeigt, verſinn— 
bildlichen die Sterne die über dem Kampfe ſtehende Ruhe ewig gleicher 
Wiederkehr. Alles, was am Himmel die klufmerkſamkeit auf ſich lenkt und 
in Beziehung zum Menſchenleben gebracht werden kann, wiederholt ſich in 
beſtimmtem Rhythmus. Darum iſt es für den Wiſſenden vorauszuſehen. 
Warum aber dieſe Wiederkehr ſtattfindet, muß dem Menſchen unverſtänd⸗ 
lich bleiben, weil es ſeinem eigenen Weſen widerſpricht. So entſteht eine 
Gottesgeſtalt, der man nicht nachfühlen kann, auf deren handlungen man 
ſich aber ihrem äußeren Geſchehen nach mehr oder weniger ſicher verlaſſen 
kann, wenn man ihre ſuſtematiſch erforſchten Geſetzmäßigkeiten gelernt hat. 
Neben der Gottheit bildet ſich dadurch der Kreis der Wiſſenden heraus, der 
Prieſter, die, da ſie das Tun der Gottheit vorausſagen, in den Ruf kommen, 
daß ſie deren Willen beeinfluſſen können. Wie man dieſer Gottheit innerlich 
fernſteht, äußerlich aber feſtlegen kann, was ſie tun wird, ſo gewinnt dann 
mit einer gewiſſen Notwendigkeit auch im Dienſte dieſer Gottheit das äußere 
Tun an Bedeutung gegenüber dem Geiſte der inneren Juſammengehörigkeit, 
der Gott und Menſch im Donarglauben verband. Man ſucht in eine Art 
Dertragsverhältnis zur Gottheit zu kommen. Wenn deſſen einzelne Punkte 
ſtreng beachtet werden, dann tritt auch die gewünſchte Gegenwirkung vom 
Gotte aus ein. Der Ritus rückt an entſcheidende Stelle. | 

Dieſer aus der Erſcheinungsweiſe der Geſtirne folgende Gegenſatz zum 
Sturmgott ſcheint mir nun feinen klaren Ausdrud zu finden im Nerthusdienſt, 
wie ihn uns Cacitus ſchildert. Alljährlich zu einer beſtimmten Zeit kommt 
die Gottheit im verhüllten Wagen durch das Land gezogen; nur Prieſter 


314 Friedrich Solger [5 


und Todgeweihte wiſſen um das Geheimnis; denn die Diener, die den Wagen 
im heiligen Haine wieder reinigen, werden im heiligen See ertränkt. Nerthus 
oder Njördr erſcheint bals als Mann, bald als Frau, ein weiteres Zeichen 
für feine Sarblofigfeit als Perſon. Was er ijt, weiß man nicht, nur was er 
tun wird, nämlich durch fein Kommen die Erde fruchtbar machen. Das aber 
wiederholt fic) alljährlich. Kam Donar mit Sturmesbrauſen, fo kommt Nerthus 
als Friedensbringer, aber unheimlich ſteht dahinter das Menſchenopfer, das 
dieſe Gottheit im Gegenſatze zu Donar fordert. 

Ich halte beide Geſtalten in der naiven Seele für unvereinbar. Dasſelbe 
Volk, das aus ſeinem Weſen heraus zu einer Gottesgeſtalt wie Donar kommt, 
kann unmöglich aus der gleichen Seele heraus zu Nerthus gelangt ſein. Das 
haben wohl auch die Germanen empfunden, als fie längſt die Verquickung 
der beiden Widerſprüche gewohnt geworden waren. In der Sage vom Rampf 
der Ajen und der Wanen ſcheint ſich dieſe Erinnerung noch widerzuſpiegeln. 
Donar, der Aja-Thor, wird in den Kreis der Aſen gerechnet, Njördr in den 
der Wanen. Der Rampf zwiſchen beiden Kreiſen endigt mit einem Friedens⸗ 
ſchluß, der durch Geiſeln bekräftigt wird. Man kann den religionsgeſchicht⸗ 
lichen Vorgang, den ich vermute, muthiſch kaum treffender ausdrücken. Das 
ſchwer entwirrbare Gerank der ſpäten germaniſchen Götterſagen iſt eine Der- 
flechtung von Sturm- und Sternengottheiten, und die widerſprechenden 
Blüten, die oft dicht nebeneinander ſitzen, werden uns erſt verſtändlich, wenn 
wir den Ranken bis zu ihrer Wurzel folgen. Dieſe Wurzeln können nicht 
im gleichen Volk gelegen haben. Die eine muß von fremd her eingeführt 
fein. Es kann kaum ein Zweifel beſtehen, daß dies die Wanen find. Natur- 
wiſſenſchaftlich möchte ich das folgendermaßen begründen: Der Wanendienſt 
ſetzt einen deutlichen Einfluß der Geſtirne auf das Menſchenleben voraus, 
d. h. eine ſtarke Abhängigkeit des Wetters vom Kalender. In unſerem Klima 
beſchränkt ſich dieſe Abhängigkeit auf den jährlichen Wechſel von Sommer 
und Winter, aber in jeder einzelnen Jahreszeit kommt in einem Jahre dies, 
im andern jenes Wetter vor. Anders im aſiatiſchen Monſunklima. Da dreht 
ſich das ganze Leben der Menſchen um den Eintritt der Regenzeit, und wenn 
auch der Regen im einen Jahre reichlicher fällt als im andern, ſo iſt doch die 
Zeit ſeines Eintretens eng begrenzt. Hier liegt die gegebene Quelle für die 
Entſtehung eines Geſtirndienſtes, bezw. für einen Dienſt wie den der 
Nerthus, während im Klima Deutſchlands das ungleiche Wetter, das immer 
verſchieden ausſah und doch alljährlich im Durchſchnitt die Menſchen nährte, 
die gegebene Grundlage war, um eine Gottesgeſtalt entſtehen zu laſſen, 
deren einzelne handlungen unberechenbar waren, deren Grundcharakter aber 
die Treue gegen die Menſchen blieb. 

Die Grundfrage der Prieſterweisheit, die ſich an den Sternendienſt 
knüpfte, wäre danach die geweſen: Woran erkennt man das Rommen der 
ſehnſüchtig erwarteten Regenzeit? Dieſe Zeit war es, in der die Gottheit 
zu den Menſchen kam. Dann ſproßte alles auf, aber nur für kurze Zeit, um 
bald wieder in Dürre zu verſinken. Die Gottheit ließ die Menſchen wieder 
allein. Es lag nahe, die Regenzeit mit einer Ehe zwiſchen Gottheit und 
irdiſcher Lebenskraft zu vergleichen, durch die die Erde fruchtbar wurde. 
So ſteht der Sage vom Riejenfampfe Donars die immer wieder anders ein— 
gekleidete Erzählung von der Gewinnung der Braut gegenüber als tupiſch 
für den Geſtirnsglauben. Die Umſtände, unter denen dieſe Braut gewonnen 
wird, ſind dem Wiſſen der Sternkundigen entnommen, das immer reicher 
wurde, immer weniger von den Laien verſtanden wurde. Zo gingen dieſe 


6] Sturmgott und Sternengott 315 


Sagen von Mund zu Mund ohne tieferes Verſtändnis des muthiſchen Sinnes 
und wurden bei uns zum Märchen oder auch zur heldenſage, mit einem 
tüchtigen Einſchlag von Sturmgötterblut in der Sage von Siegfried, der die 
Braut erringt, aber dann ermordet wird. Aus dem Südoſten muß aus klimati⸗ 
ſchen Gründen der Sternenglaube gekommen fein, und ich möchte den Dor- 
geſchichtsforſchern die Vermutung unterbreiten, daß die Cauſitzer Kultur 
ihn uns brachte, die ihre Toten verbrannte, aber ihnen das Dogelfymbol 
mit ins Grab gab als Sinnbild des Mondes, der dadurch, daß er in der 
Sonnenglut verbrannt wird, neues Leben gewinnt wie der Vogel Phönix. 

Kirchengeſchichtlich find Ajen und Wanen verdrängt worden durch 
muthiſche Vorſtellungen, die die chriſtliche Kirche nach ihrer eigenen Über: 
lieferung aus der Geſtalt eines jüdiſchen Stammesgottes abgeleitet hat, 
alſo aus ganz anderer Quelle. Aber für den wirklichen Glauben des lebenden 
Deutſchen iſt es doch vielleicht auch heute noch das eigentlich Kennzeichnende, 
ob er ſeinen Gott mehr als Sternengott oder Sturmgott denkt, ob er ſich 
vorſorglich in ein Verhältnis zu ihm ſetzt, das ihm ein günſtiges Verhalten 
der Gottheit gewährleiſtet, oder ob er ihm dient im Bewußtſein der Mit- 
verantwortung dafür, daß das Reich des Guten komme. 


Chors Bergung. 


Don Wolfgang Schultz. 


1. Die grundlegende Faſſung (a) gab Snorri nach einer eddiſchen 
Dichtung, die fic) durch die Stalden (b) bis in die Mitte des 10. Jahrhunderts 
zurückverfolgen läßt. | 

a) Staldstaparmäl 18 (Die jüngere Edda, übertragen von Medel und 
Niedner, Jena 1925 = Thule II 20, S. 151f.): Lotfi hat fic) verpflichtet, 
dem Geirrod den pdr ohne Hammer und Kraftgürtel zu bringen. pörr kehrt 
aber vorher bei der Rieſin Gridr ein, und die leiht ihm Kraftgürtel und Eiſen⸗ 
handſchuhe aus ihrem eigenen Beſitze und ihren Stab, den Gridarvolr (‚Stab 
der Grid’). Don ihr gelangt porr zum Sluffe Wimur. Er umgürtet ſich und 
ſtemmt den Stab der Grid ſtromabwärts ein, während ſich Coki an dem Gürtel 

eſthält. Da ſchwillt der Strom, und als pörr in der Mitte iſt, bricht ſich das 

aſſer an feinen Schultern. Er ſieht ſtromaufwärts in einer Schlucht Geirrods 
Tochter Gjolp auf beiden Slugufern ſtehen und das Anſchwellen des Stromes 
verurſachen. Er nimmt aus dem Slußbette einen großen Stein auf, wirft 
ihn nach ihr und ſpricht dazu: An der Quelle ſtaut man, was quillt! Er trifft, 
und (der Strom läßt nach) 1). Er bekommt eine Bergeſche zu faſſen und 
ſteigt jo aus dem Waſſer. Daher die Redensart: Die Bergeſche iſt bors Bergung. 

Snorri ſchreibt feine Edda um 1220. Die bei ihm eingelegten (hier 
im Auszuge weggelaſſenen) Dijur zeigen, daß ihm eine ältere eddiſche Dichtung 
vorlag. Ihr Inhalt war ſchon dem Sfalden Ulf Uggaſon bekannt, denn in 
feiner 987 vorgetragenen Hüsdräpa verwendete er die Kenning ,Wimur- 
furts Widgymnir' (Vidgymnir Vimrar vads) für pörr. Auf etwa dieſelbe 
Zeit führt auch die folgende ſkaldiſche Faſſung. 

b) Eilifr Godrünarſon (Ende des 10. Jahrh.) in Staldsfaparmal 18 
(= Jüngere Edda, a. a. O., S. 153—160): Loki veranlaßt zwar die Fahrt 
(v. 73), aber nicht er ſondern pjalfi begleitet den por (v. 74). Es ijt von 
Strömen der Rieſin die Rede, die fie durchſchreiten, aber es iſt damit wohl 
nur der eine Fluß (Wimur) gemeint; er iſt eiskalt (v. 77), ſturmgepeitſcht 
und führt Selsblöde mit ſich (v. 78). Der Wurf nach der „Quelle“ der Riejin 
iſt nicht herausgearbeitet. Huch der rettende Baum fehlt. Der Dichter ſpielt 
auf den Blutſtrom aus porns Nacken an (v. 79) und vergleicht alſo die Slut, 
die der Rieſe Bergelmir überſtehen mußte (Dafpriidnismal 35), mit dem 
Anwadjen des Wimur, das pörr überſtehen muß. Pjalfi hing in der Luft an 
pors Schildriemen (skaunar a seil, v. 81). Es befremdet, daß pörr mit einem 
Schilde ausgerüſtet ijt, den er ſonſt nirgends, auch gegen Hrungnir nicht, 
führt. Wir werden darauf zurückkommen. 

1) Wörtlich: Er verfehlte fein Ziel nicht. Im ſelben Augenblicke ſah er ſich am Lande, 


bekam eine Bergeſche zu faſſen und ſtieg ſo aus dem Waſſer. — Das iſt in ſich uneben, faſt 
widerſpruchsvoll. Der in Klammern gegebene Gedanke fehlt erſichtlich. 


2] Thors Bergung 317 


Wie alt ijt nun der Stoff? Wir nähern uns der Antwort durch Betrach⸗ 
tung zweier älterer Entlehnungen, einer eſthniſchen (2) und einer keltiſchen (3), 
die eine ältere Sagenform erſchließen laſſen und bis etwa zum Beginne des 
8. Jahrhunderts zurückführen. 

2. Kalewipoeg (verdeutſcht von C. Reinthal, Dorpat 1857) XV, 
386—446: Kalewipoeg hat ſich zum Schlafe hingelegt. Da fühlt er erwachend 
Näſſe und entdeckt alsbald die Quelle. Una de magicis virginibus, filia magi 
ventorum, conquiescebat in montibus gignebatque ex se undam calidam. 
Altero pede in hoc jugo, altero virgo stabat in illo. Da ergreift Ralewipoeg 
von ungefähr einen Stein und ſchleudert ihn in den Mittelpunkt der Quelle. 
In ipsum os crinitum fertur obseransque sic ostia tamquam obturamentum 
clausit canales. Vergeblich ruft die Getroffene nach Hülfe, fie ſtirbt und ihr 
Leib zerfällt. Sola pars media corporis amnem gignentis . . . exstat etiam 
hodie. . . E nigra saxi rima aquarum venae prodeunt. Nach vollbrachter 
Tat ſchläft Kalewipoeg wieder ein. ) f 

Der Muthos iſt zur Ortsſage geworden und an eine Geſteinsbildung 
geheftet, das Durchwaten des Stromes, der Zweck der Reife, fehlen. So gibt 
ſich das Eſthniſche als entlehnt zu erkennen. Dennoch iſt es wertvoll, denn 
es ſetzt eine Form der Sage voraus, die älter iſt als die bei Snorri und Eilif. 
In der eddilchen Dichtung geht Gjolp an pörs Steinwurfe noch nicht zu⸗ 
grunde, erſt ſpäter im Geißenhauſe. Nach dem Eſthniſchen aber wird man 
auf eine einfachere Faſſung ſchließen, nach der pörr es bloß mit der einen 
Rie ſin zu tun hat, der er mit dem Steinwurfe das Rückgrat bricht. Sie wird 
zu Stein wie Hrimgerdr, nur daß den Hati, ihren Vater, Helgi ſchon vorher 
tötete (HHjorv. 30; vgl. 24). yee 

. &then, Sinnen, Lappen haben auch die Geſchichte von pörs hammer: 
verluſte entlehnt (vgl. K. Krohn, Sfandinavisf Muthologi, Helfingfors 1922; 
fein Schluß auf chriſtliche Vorlage ijt unmöglich). Es iſt kaum anzunehmen, 
daß dieſe Entlehnungen erſt über Island erfolgten; fie gehören einer Schichte 
an, die vor der Beſiedlung Islands liegt. = 

3. Schluß der Saffung A von Mesca Ulad (‚Truntenbeit der Ulter‘), 
die R. Thurneuſen, Die irische helden- und Rönigsſage, Halle 1921, S. 473 
ihrer Sprache nach den älteren Sagentexten freieren Stiles zuweiſt, die man 
wohl noch für das Ende des 8. Jahrhunderts anſetzen darf (ebenda S. 449): 
Die Ulter haben ſich unter Cüchulains Führung trunken nach Temair Lodra 
verirrt, wo Crumpann Niab⸗Nair!) von Gronn fie in feinem Eichenhauſe 
aufnimmt, das nach der jüngeren Faſſung ein Eiſenhaus iſt und in Glut 
geſetzt wird. Aber fie ſprengen das Haus und erſchlagen die Erainn, von 
denen nur ein Drittel entkommt, darunter Crumpann. Auf feiner Flucht 
begegnet dem Crumpann ſeine Ziehmutter, das Spruchweib Richis, und ver: 
heißt ihm Rache. Sie holen den Cüchulainn an einer Furt ein. Dort hebt 
Ridhis ihr Gewand hoch, fo daß Cüchulainn vor Scham die Stirne in den 
Erdboden verbirgt, und Crumpann greift ihn an. Vergeblich warnt Livg, 
der Wagenlenker des Cüchulainn, feinen herrn; fo lang Ridis fo daſteht, 
will er ſich nicht erheben. Da ſchleudert ihr Lrg einen Stein ins Glied, daß 
fie mit zerſchmettertem Rüden tot zuſammenſinkt. Jetzt ert ſteht Cudulainn 
auf und ſchlägt dem Crumpann den Kopf ab. 


9 „Enkel der Schande“, d. h. eines Inzeſtes. Die zeitliche Seſtlegung des „hiſtori— 
ſchen“ Crumpann durch die iriſchen Sunchroniſten auf 8 vor Chr. werden wir ſchwerlich 
ernſt nehmen dürfen, wenn auch ſchon Strabon und Spätere die betreffenden Sitten für 
Britannien bezeugen. 


318 Wolfgang Schultz [3 


Entlehnt haben erſichtlich die Iren. Cüchulainn iſt zu Wagen, während 
börr watet. Aber auf der Fahrt zu Utgarda⸗Coki läßt pörr feinen Wagen 
bei dem Bauern (Gylfaginning 45). Der Wagenlenker Lag entſpricht dem 
Lofi, der auch bei Hors dort ber! von Hymir ſich am Wagen betätigt (hymis- 
kvida 58). Übrigens gehört der Kampfwagen mit dem Grauen und Rappen 
und dem Cenker Leg zu Cüchulains üblicher Ausrüſtung (Thurneyfen 
S. 91). Das Iriſche kam der Entlehnung auch dadurch entgegen, daß Cüchulainn 
den Gx Bulga, die wunderbare Waffe, führt. Im übrigen iſt viel verkümmert. 
Die Furt erfüllt keinen Zweck mehr, der Strom ſchwillt nicht an, von Richis 
geht nichts aus als eine moraliſche Wirkung. So iſt es auch zwecklos geworden, 
daß der Wurf fie ins Glied treffen muß. Aber das Jerſchmettern des Rückens 
iſt geblieben und erfolgt wie auf der aus Kalewipoeg erſchloſſenen, voreddiſchen 
Stufe. Da Helgi den Hati vor Hrimgerd tötet (f. o.), d zu beachten, daß in 
Mesca Ulad dem Auftritte an der Furt der Kampf im Eichenhauſe vorangeht. 
Cüchulainn reißt, um fic) und den Seinen Luft zu machen, das Dach im 
Heldenlachsſprung“ mit ſich, dann ſprengt er die Türe mit einem Fußtritte 
und mit einem zweiten den Türrahmen, endlich ſtülpen die Ulter das Haus 
um. Das erinnert an die Aufnahme bei Geirrod im Geißenhauſe und daran, 
wie die Töchter Geirrods den pdr auf dem Stuhle zum Dache emporheben, 
bis er ſich mit dem Stabe der Grid gegen die Dachſparren ſtemmt und den 
beiden Rieſinnen den Rücken bricht. Zwei Abenteuer mit den Töchtern (Stein⸗ 
wurf, nach der einen, Brechen des Rückgrats — jetzt bei beiden), die im Grunde 
übrigens doch bloß einer find, bereiten gut auf den Kampfe mit dem Hielen 
vor; liegt aber dieſer Rampf voran, dann genügt um ſo leichterdaseine 
Abenteuer mit der einen Rieſentochter. Iſt das Eiſenhaus der ſpäteren Saffung 
urſprünglich ein Eichenhaus, ſo ſtünde ein Brand der Halle wieder Nordiſchem 
nahe; übrigens ſcheint es, daß bei Geirrod alles von Eiſen ijt. Daß Erumpann 
entrinnt und erſt bei der Furt mit Richis erledigt wird, war für den Iren, 
der das Weib nicht als angemeſſenen Gegner ſeines helden empfand, das 
Gegebene. Was bei Snorri am Anfange des Geirrod-Abenteuers ſteht, gehört, 
von der frühen keltiſchen Lehnform aus geſehen, ans Ende — die Heimkehr 
pörs, der auch noch die übriggebliebene, verfolgende Gjolp vernichtet. 

Der Stoff klingt im Iriſchen auch ſonſt an. In der Tain bö Cualnge (Thurn in 
5. 214—216) veranlaßt Cüdulainn eine Flucht ſeiner Feinde, und die Königin Medb 
deckt dieſe Sludt. Da muß fie „ laſſen, der töten gl. Gh aufwühlt. 
Cüchulainn hatte fie dabei erſchlagen können, will aber keine Frau töten (vgl. Thurneyfen 
S. 350). Eine andere Stelle der Tain (ebenda S. 144— 148) handelt in vielfachen Ab⸗ 
wandlungen davon, daß Medb, vor Cüchulainn fliehend oder den ausgebrochenen Stier 
verfolgend, einen oder mehrere Bäche überſchreiten will, die alle gegen ihr Heer anjdwellen; 
ſchließlich muß ſie durch den Berg hindurch, in den man zu dieſem Zwecke eine Schlucht 
eingräbt (val. die A Mühlgräben!). 

Der Kampf des Cüchulainn an der Furt iſt ein hauptgegenſtand der Tain; Cüchu⸗ 
lainn beſteht an der Furt viele Gegner, einmal auch die Morrigän, die ihn in mehrfacher 
Verwandlung (Aal, Wölfin, Kuh) anfällt. Er beſchädigt fie jedesmal, aber dagegen, daß 
jie ihm je einen Trunk von ihrer Kuh gewährt, wird jie ſpäter wieder heil (vgl. Thur⸗ 
neuſen, S. 509 ff.). Man könnte daran denken, wie Achelöios (vgl. 4a) fein abgebrochenes 
Horn von „ gegen das horn der Ziege Amaltheia eintauſcht. ses 

„Ein beſonderer Zug ijt Cüchulainns Schamhaftigkeit und das SC der 89098 
Das find Umänderungen, die in der Richtung einer ſtark abweichenden Sage von Cadu- 
lainn (Thurneyfen S. 158f.) liegen !). Die aufgehobenen Kleider erſcheinen auch in 


1) Bereits Hh. Zimmer, der kulturgeſchichtliche hintergrund in den Erzählungen 
der alten iriſchen heldenſage, Berliner Sitzungsberichte der phil.-hiſt. Klaſſe IX (1911) 
174—227 hat S. 207 f. auf ſie hingewieſen, €. Kornemann, Die Stellung der Frau in 
der vorgriechiſchen Mittelmeerkultur (Orient und Antike Nr. 4), Heidelberg 1927, S. 26ff. 
den Gegenſtand in einem weiteren Zuſammenhange behandelt. 


4] Thors Bergung 319 


der Entſcheidungsſchlacht des Kyros gegen die Meder (Trogus Juſtinus I 6, 13ff.; vgl. 5a) 
und in ber ned 18 B beeinf it en Sage von Bellerophontẽs Ne De 
virtute mulierum 9, S. 248 B), der ſelbſt eine Art Slut herbeibringt, die die Weiber mit 
ihm zugleich E Cadulainn wird, als er vor den Weibern den Blick nieder 
ſchlägt, ergriffen und in bereitgeſtellten Waſſerfäſſern abgekühlt. Es iſt anzunehmen, daß 
dieſer Auftritt in feinem Grundbeſtande recht alt ijt und auf Mesca Ulad eingewirkt hat!). 

Ein Blick auf dieſe Derhältniffe der in wirren Linien durcheinander: 
wogenden iriſchen Sagen war nötig, weil Mesca Ulad, wenn entlehnt, das 
uns beſchäftigende Abenteuer pörs in der erſchloſſenen älteren Form bereits 
für das 8. Jahrhundert anzuſetzen geſtattet, was den ſchon aus dem Eſthniſchen 
gezogenen Schluß beſtätigt. Es fällt auf, daß im Eſthniſchen und Iriſchen der 
Baum fehlt. Daß er auch bei Eilif fehlt, wird man nicht betonen dürfen, 
weil der Skaldenſtil Schilderungen erſchwert; auch der Steinwurf kommt bei 
Eilif zu kurz. In den Lehnformen aber iſt mit Derkümmerung auch in dieſem 
Zuge zu rechnen. Daß der Baum alt iſt, wird ſich aus den entſprechenden, viel 
älteren griechiſchen (4 a—c) und iraniſchen (5 a, b) Saffungen ergeben. 

4. Die griechiſchen Faſſungen knüpfen an den Rampf des Herafles mit 
Achelöios an, den wir ſonſt erſt aus den Trachinierinnen (v. 9ff., 510ff.) des 
Sophokles (um 400 v. Chr.) kennen, die auf das Epos Olxaliag Gwatc 
zurückgehen. Sie ſind dieſer der Zeit nach ſpäteren, inhaltlich wohl altertüm⸗ 
licheren Faſſung gegenüber erweitert durch das feindliche Eingreifen der 
Hera (a, b) und das hinzutreten des rettenden Baumes (a, e). Aus dem 
Kampfe mit dem ,Waffermann’ um die Braut (Deianeira) wird ein Sprung 
in den Strom und eine Flucht aus ihm (a), eine Seefahrt (b) oder eine Rettung 
aus den ,Symplegaden' (e: Stylla und Charybdis). Das Bild des Durch⸗ 
querens des Stromes (Meeres) liegt in allen drei Saffungen zugrunde, der 
Gedanke an anſchließende Prüfungen oder Irrfahrten tritt hinzu (b, c). 

a) Ilias XXI 1—384: Adhilleus verfolgt die Tröer bis zur Furt des 
Skamandros und füllt deſſen Strombett mit Leichen. Trotz des Einſpruches 
des Stromes fährt er damit fort und ſpringt vom ſteilen Ufer in ihn hinab. 
Da ſchwillt Skamandros an, wirft gleich einem Stiere brüllend die Leichen 
aus, ergießt ſich in den Schild des ÜUchilleus, und der Held verliert den Boden 
unter den Füßen. Achilleus ſucht, ſich an einer mächtigen Ulme zu halten, 
aber entwurzelt ſtürzt ſie nieder, das Ufer zerklüftend. Jedoch ihr dichtes 
Wipfelgeäſte hemmt den Strom und der längshingefallene Stamm wird 
dem Adhilleus zur Brücke. Er ſchwingt ſich an Land und verlegt ſich aufs 
Laufen. Der Strom verfolgt ihn. Da betet er zu den Göttern um hilfe. Poſei⸗ 
daön und Athene faſſen ihn tröftend an der Hand, freilich nur, um ſogleich 
zum Olympos zu entſchwinden, während Skamandros ihn weiter verfolgt 
und ſogar den benachbarten Simoeis zu hilfe ruft, allerdings ohne daß dieſer 
antwortet oder erkennbar eingriffe. Da wird endlich Hera beſorgt und ruft 
den Hephaiſtos herbei. Er ſetzt die Slur in Flammen, höra entfeſſelt die 
Winde, der Skamandros beginnt zu kochen, bleibt ſtehen und bittet um Gnade. 


1) Die Abnlidteiten des Zuſammenhanges, in dem Cüchulainns Beſchämung durch 
die Weiber jetzt ſteht, mit Mesca Ulad wird man nicht überſchätzen dürfen. Einfluß von 
Mesca Ulad A auf die vorliegende Saſſung in der Tain ijt ebenfalls wahrſcheinlich. Immer: 
hin ſei verzeichnet, daß Cuchulainn vor der Beſchämung die Söhne der Nechta Scene an 
einer Furt erſchlagen, ja einem davon mit einer Lanze das Rückgrat zerſchmettert bat. 
Dor der nachſtürmenden Mechta entflieht er; von einem Kampfe mit thr tft nicht die Rede. 
Dann erbeutet er einen wilden hirſch und ein Dutzend Schwäne. Sein n (Gin: 
treffen in Emainn jagt das Spruchweib Leoborchan an (val. meine Beſprechung von 
Thurneuſens Buche in Jeitſchrift für felt. Philol. 1922, XIV, 301). 


320 Wolfgang Schultz 15 


Sie wird ihm gewährt. Wie Achilleus dem Aufruhre der Elemente entrinnt, 
beſchäftigt den Dichter nicht. ; 

Die Ilias denkt ſich D. Mülder, Die Ilias und ihre Quellen, Berlin 
1910, S. 350, nicht vor dem letzten Viertel des 7. Jahrhunderts v. Chr. ge: 
dichtet; E. Bethe, Die Sage vom troiſchen Kriege (Homer III), Leipzig 
1927, S. III will ſogar, daß die Ilias nicht vor 600 als einheitliches Runſtwerk 
komponiert ijt. Als Vorlagen kommen nicht Lieder, ſondern ältere epiſche 
Dichtungen in Stage, die der Dichter durch, Quellenhinweiſe kenntlich zu machen 
pflegt (Milder, S. 39ff.). Den Kampf mit dem Strome hat Mülder 
S. 230 ff. behandelt. Der „Quellenhinweis“ liegt in v. 190—199: Adhilleus 
rühmt ſich, um eben ſo viel ſtärker zu ſein wie ſein Gegner, wie Jeus ſtärker 
iſt als Achelöios — der Gegner des Hörafles. Nur hier wird Achilleus ohne 
Namensnennung als ‚der Zeusentſproſſene“ eingeführt (v. 17), ja er bezeichnet 
ſich als ‚Sohn des Zeus’ (v. 184ff.). Auf Achilleus paßt es nicht, aber auf 
Hérakles. Soweit D. Mülder, der auch die Arbeitsweife des Dichters behandelt 
hat. Auf dieſer Grundlage ergibt ſich die Frage nach der Rolle der Héra in 
der Vorlage. In der Ilias iſt fie dem Achilleus hilfreich, in der höraklés⸗ 
dichtung muß fie dem Heraflés (Hchilleus) feindlich geweſen fein. Den Beweis 
erbringt b. | 

Es ijt jedoch damit zu rechnen, daß Achilleus ſelbſt ſchon näher zu Acheldios gehören 
mochte. adelcios verwandelt Ai vor le ahnlich wle Thetis 995 SC ‘Det Rame 
Adelsios klingt an den des Adyilleus an. fluch der 81 wird in dieſe Gruppe gehören. 


Der Achelöios ijt Urſtrom, alles andere Gewäſſer geht von ihm aus. In der Ilias iſt der 
Skamandros für ihn eingeſetzt, um den Auftritt troiſch zu machen. 


b) klus Ilias XIV 249—269, XV 13—33 und dem größeren Zuſammen⸗ 
hange !) von XIV 153—XV 77 ergibt fic): Als Herakles Ilios zerſtört hat 
und heimſchifft, verfucht Hera, den Zeus von der Fürſorge um feinen ihr ver⸗ 
hatten Sohn abzulenken und Spielraum zu gewinnen, um ihm zu ſchaden. 
Sie bringt den Gott des Schlafes auf ihre Seite, läßt ſich von Aphrodité Liebes- 
zauber verleihen und naht dem Zeus auf dem Olumpos, von wo er die Ge⸗ 
ſchicke der Welt lenkt und über die heimkehr des Herakles wacht. Don ihrem 
Reize verlockt vollzieht er mit ihr das Beilager und ſchläft ein. Das benützt 
nun Hera, den Boreas wider höraklés zu entſenden, der ihn in höchſte Seenot 
bringt, die ihn nach der Inſel Kös verſchlägt. Aber da erwacht Zeus, kommt 
dem Herafles zu Hilfe und führt ihn nach ſchweren Kämpfen und Leiden 
wieder nach Argos zurück. Die Hera beſtraft er hart. Den Gott des Schlafes 
ſchützt vor ihm die Nacht. | on | 

Die urſprüngliche Dichtung war natürlich reicher an Zügen als das, 
was der Ilias über fie noch zu entnehmen (H (vgl. Mülder S. 125—144). 
Namentlich über die Seenot des Heraflés erfahren wir aus den ‚Quellen: 
hinweiſen“ zu wenig. Es iſt durchaus möglich, daß der rettende Baum in 
ungefähr derſelben Art vorkam, wie in a und c. Hera als Erregerin des 
Sturmes beſtätigt unſeren Schluß (a) auf Hera als Verurſacherin des Ans 
ſchwellens des Skamandros. Die Winde entſendet ſie auch in a, freilich zu 
anderem Zwecke. Daß Hera einen Fluß erzeugt, kommt auch ſonſt vor (Ps. 
Eratojthenés, Cataſterismi 44). Hermes legt ihr den Heraflés an die Bruſt; 
als fie das merkt, ſchleudert fie das Kind weg und die Milch bildet die Milch— 
ſtraße. Dazu wird man ſtellen müſſen, daß Heraflcs fie an der rechten Bruſt 

1) G. Neckel, Die Überlieferungen vom Gotte Balder, Dortmund 1920, S. 200 ff. 
hat verſucht, die Jıös dran als thrakiſch anzuſetzen. Ich gedenke, demnächſt an anderem 
Orte zu zeigen, daß das nicht möglich ijt. Die bisherigen Ergebniſſe der Homerkritik führen 
eher auf boiotiſch-argiviſche Herkunft. 


6) Thors Bergung 321 


mit feinem Pfeile verwundet (Ilias V 392ff). Schon die alte Dichtung kannte 
alfo den Schuß des Héraflés auf Hera, und zwar gerade an die Stelle ihres 
Leibes, von der offenbar das Anwadjen des Stromes ausging. 

Da heraklés nach Kos verf on wird, wo héraflés-Kult und der Brauch des 
Bräutigams in Weiberfleidern (M. p. Milffon, Griechiſche Seite, S. 451ff.) bezeugt und 
ältere kariſche „ mit Mutterrecht anzuſetzen iſt (E. Kornemann, a. a. O., 
S. 25), wird mit entſprechenden Einſchlägen zu rechnen ſein. 

c) Oduſſeia XII 403—449: Auf der Fahrt von Thrinakia wird Oduſſeus, 
weil feine Gefährten von den Rühen des Helios gegeſſen haben, ſchiffbrüchig, 
und der Süd treibt ihn auf einem aus Riel und Maſt ſeines Schiffes mit hilfe 
eines Taues hergerichteten Notfahrzeuge zu Skulla und Charybdis zurück. 
Eben ſchlürft die Charybdis das Waſſer ein, da ergreift er, um nicht in ſie 
hinabgezogen zu werden, den Ajt eines Feigenbaumes, der über das 
Waſſer ragt, und wartet, an dem Baume hangend, bis die Charubdis ſein 
Fahrzeug wieder von ſich gibt. Er läßt ſich auf das Fahrzeug fallen und ent⸗ 
rinnt auch der Skylla, die ihn nicht bemerkt. Nach 9 Nächten landet er auf 
Ogugia bei Kalypsö. 

Die Oduſſeia werden wir etwa ein Jahrhundert ſpäter als die Ilias 
anſetzen müſſen. Sie enthält den Zug bloß mehr abgeblaßt. Jetzt V es jo, 
als ginge den Oduſſeus der Sturm des Zeus, den Helios erbeten hat, nur 
mittelbar an. Aber in einem fehr ähnlichen Salle von Seenot, der gleich folgt, 
ift Oduſſeus ſelbſt das Ziel. Auf der Fahrt von Kalypjö weg erſpäht ihn 
Dofeidaön, erregt den Sturm und zerſchmettert fein Schiff. Huch diesmal 
reitet Odyffeus auf einem der Hölzer (V 371) und rettet ſich (mit dem Schleier 
der Leufothea) ſchwimmend: der Nord bläſt ihn zu den Phaiaken. Man ben. 
wie Pojeidadn und Zeus (Helios) für Hera, Oduſſeus für Héeraflés ſtehen. 
Wie heraklés nach vielen Leiden und Mühen nach Argos, kehrt Oduſſeus nach 
langen Irrfahrten nach Ithaka heim. Bei Oduſſeus werden ſie uns erzählt, 
bei horaklos fehlen fie. rigs haben wir feine 12 Arbeiten, zu denen er immer 
von Neuem auszieht und die zum Geil ſelbſt ſchon weite, reicher gegliederte 
Fahrten find (vgl. z. B. die Nekuja). 

Der Geſamteindruck von den griechiſchen Faſſungen ijt, daß der uns 
beſchäftigende Zug in ihnen mit dem Einſetzen der Runſtdichtung bereits 
verklingt, daß er gleichſam bloß am Rande des zur Aufzeichnung Gelangten 
auftaucht. 

5. Bei den iraniſchen Faſſungen müſſen wir, da das heimiſche Schrift— 
tum zum größten Teile verloren iſt, mit feiner Spiegelung in abgeleiteten 
Quellen arbeiten. 

a) Herodotos (425 v. Chr.) I 107, 108: Aſtyagés träumt, daß feine 
Tochter Mandans ſo viel harnt, daß die ganze Stadt davon erfüllt und ganz 
Alien überſchwemmt wird. Wie die Mager den Traum auslegten, wird nicht 
genauer gejagt, aber ihre Auslegung beſtimmt ihn, die Mandane dem nicht 
ebenbürtigen Perjer zur Frau zu geben. Danach träumt er, daß aus dem 
Scope der Mandané ein Weinſtock wächſt, der ganz Dien überſchattet. 
Die Mager deuten das auf ihren Sohn, der an Stelle des Ajtyages König 
werden wird. 

Der einheitliche Vorgang, den wir verfolgen, erſcheint in der per— 
ſiſchen Reichsgründerſage (Kyros-Sage) bei Hérodotos in zwei, einander 
ergänzende Traumbilder zerlegt. Danach liegt es nahe, daß die 1. Traum— 
deutung bloß das Unheil (Slut), die zweite, ſchon beſtimmter, den neuen 
Herrſcher als Befreier von dem alten, böſen, und als die Rettung aus dem 


mannus, Jeitſchtift für Dorgefdh., VI. Erg.-Bd. 21 


522 Wolfgang Schultz [7 


Unheile vorausſagte ). Auch ſonſt tilgt die Slut das Geſchlecht der Sünde 
hinweg, wirkt reinigend. Der Glaube an die reinigende Kraft des Harnes 
im Avefta und die „ Slüſſe (‚Jordane‘) der Mandäer werden von 
den Mandavölkern und der nach ihnen benannten Mandans nicht zu trennen 
ſein. 3 

b) Janzähs Geſchichte in Taufend und einer Nacht (überſetzt von 
M. Henning, Reclam, Leipzig) IX 104-107: Jan&ah gelangt von den 
Affen weg nad) Derlujt fait aller Gefährten durch das Ameifental zu einem 
Strome, in den er fpringt, um kn ebe Verfolgern zu entrinnen. Aber die 
Strömung iſt ſo reißend, daß ſie ihn ebenſo zu zerreißen droht, wie ſie es mit 
ſeinem letzten, ihm gefolgten Begleiter tatſächlich tut. Er aber rettet ſich, 
indem er den Zweig eines Baumes erfaßt, der am anderen Ufer ſteht, und 
ſich ſo aus der ſcharfen Strömung zieht. Bald darauf erreicht er den Sabbath⸗ 
Strom, der vor der Stadt der Juden vorbeifließt. Dieſer Strom fließt ſo ſchnell, 


daß er die Augen blendet, aber jeden Sabbath verfiegt er. Das wartet Jansah 
ab, worauf er das Flußbett durchſchreitet und die Stadt zu weiteren Aben- 
teuern betritt. 

Die Erzählungen in 1001 Nacht ſtammen zum großen Teile aus per⸗ 
ſiſcher Überlieferung und gehen gelegentlich bis auf Pahlaviwerke zurück. 
Die Geſchichte von Jansah ſteht den durch jüdiſche Kreife vermittelten Aben- 
teuern des Bulügjä (vgl. J. Hhorovitz in ZD MG. 1901, LV 519 — 525) und den 
Reifen Sindbad des Seefahrers nahe, in denen ſich auch ſonſt zahlreiche An- 
Hänge an die Oduſſeia finden (vgl. meine Nachweiſe in OCZ. 1911, Sp. 353f. 
und 1918, Sp. 231f.). Daß fie aus ihr entlehnt wären, ijt nach Cage der Dinge 
ausgeſchloſſen. 

Offenbar iſt der Sabbathſtrom bei Jänsäh eine Doppelung des erſten 
Stromes mit dem Baume. Schon das Ruriakosgebet (5. Jahrh. n. Chr.) 
kennt den aus dem Urgrunde quellenden, nur jeden Sabbath überſchreit⸗ 
baren ie vor Auwoddlacca:-Wültenbabylon, wo der König der 
Schlangen hauſt (R. Reitzenſtein, Das iraniſche Erlöſungsmuſterium, 
Bonn 1921, S. 77 ff.). Dieſem entſpricht im rechten Ginza V A (Cidzbarski 
S. 189 f.) der Karafiun, deſſen Mund ſich vor dem Manne vollendeter Ge⸗ 
rechtigkeit zur Dichte eines Ameifenfpältchens ſchließt. Öffnet der Drache 
in Auwodalaoca fein Maul, fo fängt er durch 7 Tage den Jordan auf. Man 
denke an die einſchlürfende Chimaira, bei der des Grundes ſchwärzlicher 
Sand ſichtbar wird (Oduſſeia XII 242f.). 

6. Ergebniſſe werden über den hier erarbeiteten Tatbeſtand ?) hinaus 
mit der Zeit wohl zu gewinnen fein; einige Richtlinien, die ſich mir bereits 
zeigten, verſuche ich anzudeuten. 

Daß bei Saxo pörkels Fahrt zu Utgarda-Lofi und Geirrod zum Teil 
an die Odyffeia antlingt (P. herrmann, Saxo II: Kommentar, Leipzig 1922, 
S. 585 u. 590), kann den Weg einer Entlehnung der die Waſſernot verur⸗ 
ſachenden Rieſin oder Göttin und des rettenden Baumes nach dem Norden 


..) Daß die Flut vom „Backofen“ (= vulva) des Weibes ausgeht, erzählt das 
arabiſche Sragment des Hippolytos zum Targum Geneſis VII 6 (überſetzt von Bonwetſch⸗ 
Uchelis, Bd. 1 der griechiſch⸗chriſtlichen Schriftjteller). Man vergleiche auch das Brote⸗ 
backen an 

*) Bisher hat man bloß die eſthniſche Faſſung gelegentlich herangezogen (z. B. 
E. Stucken, Atealmytten IV, Leipzig 1901, S. 265f.). SR Schröder, Chor im Dimurs 
fluß, Braunes Beitr. 1927, LI, 35—40 berückſichtigt auch fie nicht, und das von ihm ver⸗ 
glichene Aguptiſche gehört nicht herzu, da es Hd um das Cöſchen eines Brandes und eine 
ganz andere Lage Handelt 


8] Thors Bergung 323 


nicht weiſen. In der Oduſſeia fehlt ja Héra als Derurfacherin, und in der 
Ilias wird der Zuſammenhang erſt durch die Quellenkritik klar. Der lite⸗ 
rariſche oder gelehrte Weg ſcheidet damit aus. Eine Beeinfluſſung ſolcher 
Art könnte auch nicht fo leicht bis ins 8. Jahrh. hinaufreichen. 

So bleiben die nichtliterariſchen Wege. Man könnte 3. B. an das Vor⸗ 
kommen des Polyphemos-Abenteuers in den Fornaldar⸗Sogur denken. 
„Uralte gemeinſame Überlieferung“, wie P. herrmann S. 590f. (dort 
auch die Nachweiſe) meint, liegt da nicht vor, ſondern Zuſtrom aus dem Oſten, 
wie ſchon die 1857 von J. Grimm zuſammengetragenen Belege erkennen 
laſſen. Es handelt ſich früheſtens um Erwerbungen der ſpäten Wikingerzeit; 
die Sornaldar-Sogur liegen nach Snorri. 

Ein älterer Weg wäre der, auf dem ſich R. Reitzenſtein, Weltunter⸗ 
gangsvorſtellungen, Upſala 1924 (SA. aus Rurkohiſtorisk Arsſkrift) die 
Zerſtückung des Ymir aus Manichäiſchem entlehnt denkt, oder auf dem nach 
A. Olrik der gefeſſelte Rieſe (Loti) aus dem Kaufafos bezogen wurde. Das 
Stichwort ‚Mandäer’ iſt bei 5a (Mandans) und 5 b (Sabbathſtrom Jordan) 
gefallen. Wie immer die Dinge liegen mögen: auf den religiöſen Einſchlag, 
vielleicht die religiöſe Grundlage, unſeres Stoffes müſſen wir achten. 

Der religiöſe Einſchlag ijt bei bor in dieſem Salle ſehr deutlich. M. Olfen 
hat in Germanica (E. Sie vers zum 75. Geburtstage), Halle 1925, S. 247 bis 
257 über Kormt ok Qrmt im Zuſammenhange mit dem Geißenhauſe (Gäſte⸗ 
haufe) bei Geirrod gehandelt, freilich ohne auf die religiöſe Seite einzugehen. 
Aber diefe ‚beiden Wannenbäder“ (Kerlaugar tver), die pörr durchwaten 
ſoll und die ſich im Juſammenhange mit der erglühenden Aſenbrücke erhitzen 
(Grimnismal 29), find nichts weſentlich Anderes als die Giftſtröme, die den 
Schlangenſaal entlang fließen (Kormt ok Qrmt gemäß M. Olſens An⸗ 
ſchauung) und von den Meineidigen durchwatet werden (Dolufpä 39, Gulfa⸗ 
ginning 52). Sie haben gewiß reinigende oder ſtrafende, kurz religidje Bedeu⸗ 
tung. Die Frage ijt, wie weit das zu pdr gehört. 

porr watet auch durch die Elivägar und trägt dabei den Aurvandil 
im Eiſenkorbe (iärnmeiss) auf dem Rüden (Skaldſkaparmäl 17). Bei Eilif 
verdanken wir hors Schild ſichtlich dieſem Korbe; man gebrauchte iärnmeiss 
auch als Schiffsnamen (vgl. „Ulls Schiff“). Der Baum fehlt zwar dabei und 
die nordiſchen Saffungen rücken dadurch von den homeriſchen ab, daß dort 
der Held keinen Begleiter hat; aber Aurvandill iſt der ‚Wanderer‘ — wie 
Oduſſeus- Herakles — und eine ſehr alte Geſtalt, wie auch pörr ſelbſt. 

Dieſe Bemerkungen reichen nicht aus, die eben erſt aufgeworfene und 
umgrenzte Frage zu löſen. Aber fie können vielleicht Anlaß werden, ihr noch 
weitere neue Seiten abzugewinnen und dadurch an die Ldfung heranzu— 
kommen. Auf jeden Fall dürften fie geeignet fein, vor verfrühten Schlüſſen 
zu warnen. 


21* 


Oddi Helgajon 
und die Beſtimmung der Sonnwenden im alten Island. 


Don Otto Sigfrid Reuter. 
Mit 1 Zeichnung im Tert. 


Unter den wertvollen Pergamenthandſchriften, welche einſt Brunjolf 
Sveinsfon, Biſchof von Sfalholt auf Island, der Entdecker auch der älteren 
Edda, um die Mitte des 17. Jahrhunderts dem däniſchen Könige Friedrich III. 
ſchenkte und von Island nach Ropenhagen gelangen ließ, befand ſich vermut⸗ 
lich auch der jetzt als „Cod. 1812, 4to der Alten Kgl. Sammlung“ bezeichnete 
Sammelband mehrerer Handſchriften aus dem 12. bis 14. Jahrhundert. 
Der älteſte Teil dieſes Bandes, Blatt 24—33, aus dem Ende des 12. Jahr- 
hunderts ſtammend, iſt 1883 unter dem Titel , Aldjta delen af Cod. 1812 4to 
Gml. kgl. Samling”, Kopenhagen, von Ludvig Larsſon buchſtabengetreu 
abgedruckt worden. Eine Wiedergabe dieſes älteſten Teils, welche ſich in 
der aus dem 15. Jahrhundert ſtammenden Handſchrift 625 4to der Arna- 
magnäaniſchen Sammlung unter dem Titel Blanda findet, haben in den 
Jahren 1914 bis 1916 N. Bedman und Kr. Kälund als Rim J im 2. Teil der 
Sammlung Alfraedi Islenzk herausgegeben, wobei fie die Abweichungen 
gegen den von ihnen als L bezeichneten älteren Text des Cod. 1812 vermerkten. 
Durch dieſe Neuausgaben iſt die alte Rymbegla, welche Steph. Björnsſon 
1780 zu Kopenhagen als Sammelband jener alten Jeitrechnungsſchriften 
in einer für feine Zeit verdienſtvollen Weiſe nebſt lateiniſcher Überſetzung 
und einigen anderen wichtigen Beigaben veröffentlicht hatte, insbeſondere 
in textkritiſcher Hinſicht überholt. 

Der älteſte Teil des Cod. 1812 gilt als eine der älteſten der jetzt bekannten 
isländiſchen Handſchriften überhaupt und wird nach dem Urteile von Larsfon 
nur von einer einzigen, nach Beckman von keiner anderen an Alter übertroffen. 
Nach des letzteren Unterſuchungen haben wir in ihm eine um 1187 gefertigte 
Abſchrift, welche letzten Endes auf eine um 1150 anzuſetzende Urſchrift zurück⸗ 
geht; vgl. Beckman S. XCVIII, LXXX; Kälund S. CCXVI, CCX. Der 
Verfaſſer dieſer mittelalterlich-kirchlichen Jeitrechnungskunde nennt als feine 
Quellen die ſchriftliche kirchliche Literatur, außerdem aber den Prieſter Bjarni 
Bergthorsſon, gelt 1173, und Stiörnu-Oddi, d. i. Stern-Oddi, welche 
letzteren die isländiſche Dolfsrechnung vertreten ſollen. Auf Bjarni mögen 
die Abjdnitte zurückgehen, welche gegenüber der julianiſchen Rechnung die 
isländiſche Halbjahrsredynung u. a. zum Gegenſtande haben. Oddis Anteil 
dagegen iſt genau abgegrenzt. Die alte Inhaltsangabe dieſer Abhandlung 
nämlich führt als 20. Abjchnitt Oddis Berechnung auf, Odda tala (Cars ſon 
5.8; Bedinan S. 6), welche inhaltlich und nach ihrer Ausdrudsweife aus 


2] Oddi Helgafon und die Beſtimmung der Sonnwenden im alten Island 325 


dem Rahmen der mittelalterlichen Schrift völlig herausfällt und ihrerſeits 
wieder als inhaltlich älteſter Teil dieſer Abhandlung bezeichnet werden muß, 
wenn er auch von deren Derfaſſer ſelbſt aufgenommen worden iſt. Don dieſen 
Be obachtungen und Berechnungen gehören dem Stern⸗Oddi ſicher an: das 
Anfteigen der Mittagshöhen der Sonne von der Winter- bis zur Sommer⸗ 
ſonnwende, die Lage der Jahrpunkte und die Richtungen (Hzimute) der 
Dämmerungsauf⸗ und ⸗untergänge ebenfalls von der Winter: bis zur Sommer: 
ſonnwende. Reine dieſer Beobachtungen findet in der übrigen Darſtellung 
grundſätzliche Anwendung. Sie ſtehen vielmehr, ohne daß der kirchliche Der- 
faſſer davon Vermerk nimmt, in vollem Gegenſatze zum geſamten Inhalte 
der kirchlichen Berechnungen, und man darf annehmen, daß der unbekannte 
Derfaffer dieſe Überlieferung vom Stern⸗Oddi lediglich als eine Merk⸗ 
würdigkeit in ſeine der Belehrung dienende Schrift aufgenommen hat. 
Hiernach iſt Oddi als Quelle nur für den Teil anzuſehen, der ſeinen Namen 
trägt, während Bjarnis Anteil ſich in der Verbindung der neuen kirchlich⸗ 
julianiſchen mit der isländiſchen Jeitrechnung äußert. 

Das Odda⸗Cal ijt nicht von Oddi ſelbſt verfaßt; der Derfaffer berichtet: 
„So berechnete Oddi, ließ aufgehen die Tagdämmerung; [vo talde Stiornu 
Mdde; enn taldi Oddi joa; let hann ba dag upp koma“. Es iſt nicht bekannt, 
ob dieſe Überlieferung mündlicher oder ſchriftlicher Art war. Oddi muß 
tot geweſen fein, als fie in die mittelalterliche Schrift Aufnahme fand. Mög: 
licherweiſe war fie ſchon durch manche Köpfe und Hände gegangen und der 
Verfaſſer der Abhandlung von 1150 hatte eine ſchriftliche Vorlage. Dafür 
ſpricht, daß die Dämmerungsberechnungen und die Jahrpunkte ganz auf die 
heiligentage des kirchlichen Kalenders bezogen find, innerhalb deſſen fie in⸗ 
haltlich einen Fremdkörper darſtellen. Nach dem Urteile des isländiſchen 
RKirchengeſchichtſchreibers Sinn. Jonsſon, in feiner Skiagraphia hor. isl. 
von 1780, iſt eine alte mündliche Überlieferung von kirchlicher Seite in die 
vorliegende Form gebracht, alſo überarbeitet worden; Oddi ſelbſt habe um 
1000 gelebt. 

Don Oddis Lebensumſtänden erfahren wir einiges aus dem Stiörnu— 
Odda⸗-draumr, Stern-Oddis Traum, einer kleinen hübſchen Saga, vielleicht 
des 13. oder 14. Jahrhunderts, halb Märchen, halb Saga. Oddi, helgis Sohn, 
lebte im hauſe des Thord auf Fellsmuli als deſſen Arbeitsmann. Fels— 
muli liegt nördlich vom Raudhtal, nicht allzuweit von der Nordküſte Islands 
entfernt, auf etwa 65° 45’ nördlicher Breite. Die Sterne beobachtete er auf 
der Sladinfel im Beberfjord, wohin er von Thord zum Fiſchen geſchickt 
wurde, auf etwa 66° 15’ nördlicher Breite, nicht weit vom Polarkreis, der 
damals etwas ſüdlicher, auf 66° 26’ Hatt 66° 30’ wie heute, lag. Ooͤdis Stern- 
beobachtungen find nicht erhalten. Der Verfaſſer der Traumſaga ſetzt ihn in 
heidniſche Zeit und nimmt ihn nicht für die Kirche in Unſpruch. Weder im 
Beſiedelungsbuch noch ſonſt im altisländiſchen Schrifttum finden Thord 
und Oddi Helgajfon Erwähnung. 

In einer Abhandlung über Oddi und die Odda-tala ſetzt Björn M. 
Olſen (Afmaelisr. til Kalunds, S. 2, 3) Oddis Blüte um 1125 an und zwar 
mit der Begründung, daß der Sohn Sigurd des von 1171 bis 1180 beamteten 
isländiſchen Geſetzesſprechers Styrfarr Oddaſon auf Sellsmuli um 
1187 gewohnt habe, desgleichen um 1220 ein Mann namens Ivar, deſſen 
Sohn vermutlich den Namen Oddi getragen babe, wenn auch die Sturlungen— 
ſaga ihn nur unter dem Namen Ooͤd kenne. Aber der Name Oddi iſt im 
Altislandifden fo geläufig, daß dieſer einzige Grund, des Stern-Ooddi Zeit 


326 Otto Sigfrid Reuter 


[3 
jo ſpät anzuſetzen, alles andere als überzeugend ijt. Oddi war überdies ein 
geringer Werkmann im Haufe des Thord. Geſetzesſprecher pflegten nicht die 
Söhne armer einfacher Leute zu fein, zu denen Oddi Helgajon gehörte. Die 
Begründung reicht nicht aus, Oddis Lebenszeit zu beſtimmen. 

Aus den aſtronomiſchen Angaben auf das Beobachtungszeitalter zu 
ſchließen, ijt mißlich, weil wir nicht wiſſen, ob Oddi ſelbſt es war, der feine 
Beobachtungen in Beziehung zum julianiſchen Kalender ſetzte. Galt dieſe 
Beziehung überhaupt für Odͤdis eigene Beobachtungen oder wurden diefe 
fortgeführt, wofür mehrere Angaben ſprechen, und erſt zur Ubfaſſungszeit der 
vorliegenden Überlieferung ins Julianiſche übertragen? Will man annehmen, 
daß der 15. Dezember wirklich der Winterſonnwende Odͤdis entſprach, von 
welcher ſeine Beobachtungen ausgingen und welche für ihn leichter zu be⸗ 
obachten war als die Sommerſonnwende, ſo müßte man, nach Schrams 
Jodiakaltafeln berechnend, auf die 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts ſchließen, 
nicht aber, wie Bj. M. Olſen will, auf die 2. hälfte des 12. Jahrhunderts. 

Die Überlieferungen vom Stern⸗Oddi find in Deutſchland noch nicht 
zum Gegenſtande einer Unterſuchung gemacht worden. Pauls Grundriß 
erwähnt feiner, aber nur mit einer kurzen (irrigen) Inhaltsangabe. Sonſt 
findet Oddi kaum Erwähnung; vgl. Weinhold, Altn. Leben S. 371. Müllen⸗ 
hoff, D. Alt. 4, 648. In der Rymbegla von 1780 hat St. Björnsſon die 
Überlieferung wohlwollend, aber allzu flüchtig gewürdigt. Seitdem hat nur 
der isländiſche Aſtronom Eirikur Briem 1914 in Verbindung mit Bj. M. 
Olſen eine ſachliche, wenn auch nicht völlig durchgreifende prüfung vor⸗ 
genommen, auf welche fic) als letzter Beurteiler N. Be ckman in der erwähnten 
neueſten Ausgabe von 1916 ſtützt. In feiner wahren Bedeutung iſt das in der 
Odda⸗Cala vorliegende Problem bisher nicht erkannt, noch weniger gewürdigt 
worden. In einer Arbeit über die Altnordiſche Volksaſtronomie werde ich 
auch dem mit Unrecht in der Geſchichte der Aſtronomie nicht erwähnten 
isländiſchen Doltsmanne gerecht zu werden verſuchen. Im Folgenden be⸗ 
ſchränke ich mich auf die Unterſuchung der arithmelifchen Reihe, in welcher 
Oddi das Anſteigen der Sonnenmittagshöhen von der Winter⸗ zur Sommer: 
ſonnwende auszudrücken verſtand. 

Sie findet ſich in Spalte 1 der S. 64 des Cod. 1812 (Cars ſon S. 30f.). 
Ich gebe den Text nach AM. 625, 4to Bl. 70 (Beckman S. 50), der, inhaltlich 
übereinſtimmend, obgleich erheblich ſpäter geſchrieben, doch in beſſerer Der: 
faſſung erhalten iſt als ſelbſt in 1812. 


Solar ganghr vex ath syn halfu 
hvela solarınnar aa hinne fyrstu 
viko efter solhvorfin. Adra viko vex 
heilo hvela, pridiu viku halfu audhru, 
fiordu tveim hvelum, fimtu halfu 
pridia, settu III, siondu halfu fiorda, 
attu viku fiorum heilum, niundu 
halfu fimta, tiundu V, elleftu halfu 
setta, tolftu VI, prettandu halfu 
VIIa, fiortandu enn halfu VIIa. 
pa vex mesto aa beim tveim vikum 
solar gangur, pviat pat er mid— 
munda sol hvarfanna, ok verdr 
vikna mot peira IIII nottum efter 


Der Sonne Gang wächſt zur 
Sicht um ein halbes Rad der Sonne 
in der erſten Woche nach den Sonn⸗ 
wenden. In der zweiten Woche 
wächſt er um ein ganzes Rad, in der 
dritten Woche um 1%, in der vierten 
um 2 Räder, in der fünften um 21%, 
in der ſechſten um 3, in der ſiebenten 
um 314, in der achten Woche um 
4 ganze, in der neunten um 4½, in 
der zehnten um 5, in der elften um 
514, in der zwölften um 6, in der 
dreizehnten um 6 , in der vierzehnten 
ebenfalls um 6 . Da wächſt am 


4] 


Gregorius messo. Fimtando viko vex 
solar ganghr VI hvelum heilum, 
XVIo halfu setta, XVIIdo fimm 
heilum, XVIIIdo halfu fimta, XIX do 
fiorum, tuttugtu halfu fiorda, einne 
ok XX. primr, XXII. halfu pridia, 
XXIII. tveim, XXIIII. halfu audru, 
XXV. em hvela, XXVI. halfu 
hvela. pa er komit til solhvarfa um 
sumarit, ok pverr ath sliko moti ganga 
solarinnar, sem nu er talt um vaux- 
tenn. Er um haustid crucis messa aa 


Oddi Helgafon und die Beſtimmung der Sonnwenden im alten Island 


327 


meiſten in den zwei Wochen der 
Sonne Gang, weil es da iſt mittzeits 
der Sonnwenden, und es wird jener 
Wochen Begegnung um 4 Nächte 
nach Gregoriustag. In der fünf⸗ 
zehnten Woche wächſt der Sonne 
Gang um 6 ganze Räder, in der 16. 
um 514, in der 17. um 5 ganze, in der 
18. um 4½, in der 19. um 4, in der 
20. um 3 ½ in der 21. um 3, in der 22. 
um 2 ½, in der 23. um 2, in der 24. 
um 1½, in der 25. um 1 Rad, in 


mid munda stad sol hvarfanna. der 26. um 14 Rad. Da ijt er gekom⸗ 
men zur Sonnwende im Sommer, 
und es nimmt ab in ſolchem Maße 
der Sonne Gang, ſo wie er nun nach 
ſeinem Wachſen gerechnet iſt. Im 
Herbſt iſt Kreuztag in Mittzeitſtätt der 
Sonnwenden. 

Deutlich beſteht dieſer mittlere Abſchnitt des Odda⸗Tal 

1. aus einer reinen Beobachtungsreihe ohne Beziehung auf eine Zeit⸗ 
rechnung; das julianiſche Datum der beiden Wenden iſt nicht angegeben; 

2. aus einer Zutat des Bearbeiters, daß nämlich die ‚Mittzeit der 
Wenden‘ auf dem 4. Tage nach Gregorius und dem Kreuztag läge d. i. auf 
dem 16. März und dem 14. September alten Stiles. 

Dieſe Mittzeiten der Wenden find nicht „Tagnachtgleichen“ genannt; 
ſie ſind lediglich die Jeitpunkte, in denen die Bewegung der Meridianhöhen 
die höchſte Schnelligkeit erreicht. Die Gleichen als ſolche waren für Oddi und 
feine Vorgänger von keiner Bedeutung, von um fo größerer dagegen für die 
Kirche, da von der richtigen Unſetzung der Frühlingsgleiche die richtige Dn: 
ſetzung auch des Oſtertermins abhing. Aus der kalendariſchen Zutat des 
Bearbeiters erkennen wir aber, daß der Husgangspunkt der Beobachtungs⸗ 
reihe, die Winterſonnwende, nach Oddi helgaſon auf dem 15. Dezember 
a. St. angenommen wurde, die kalendariſche Mitte zwiſchen dem 16. März 
ne. 14. September, die Sommerſonnwende entſprechend auf dem 
15. Juni. 

Berechnet man mit hilfe der Schramſchen Jodiakaltafeln die Lage 
der Jahrpunkte in jenen Jahrhunderten, ſo ergibt ſich, daß, im Gefolge der 
4jährigen Schaltung des julianiſchen Kalenders, die Wendeſtunde der Sonne 
im Winter bereits ſeit 964 auf den 15. Dezember zu fallen begann, daß ſie 
im Laufe des 11. Jahrhunderts völlig auf den 15. überging, um ſchon 1104 
den 14. Dezember erſtmalig zu erreichen. Dürfen wir annehmen, daß die 
kalendariſche Zutat des Bearbeiters die Beobachtungsreihe Odͤdis julianiſch 
richtig ausdrückt, fo beſtätigen Ooͤdis meſſende Beobachtungen dieſe zunächſt 
verblüffend genaue Beſtimmung des Wendetages. 

Dieſe Genauigkeit iſt erzielt, ohne die klaſſiſche Gradeinteilung, durch 
unmittelbare Beobachtung der Mittagshöhen, und zwar durch die Anwendung 
eines am himmel ſelbſt gegebenen Naturmaßes, des ſcheinbaren Durch— 
meſſers der Sonne ſelbſt. 

Zur Nachprüfung des Odͤdiſchen Verfahrens und feiner Ergebniſſe ijt 
davon auszugehen, daß die von ihm beobachtete höchſte Mittagshöhe am 


328 Otto Sigfrid Reuter [5 


15. Juni auch wirklich die höchſte Abweichung der Sonne vom Gleicher und 
eine feſte, in Jahrtauſenden nur wenig veränderliche Naturtatſache bedeutet. 
Dieſe höchſte Erhebung der Sonnenbahn über dem Südpunkte hat Oddi 
gemeſſen und ihren größten Abftand von der niedrigſten Sonnenlage am 
Mittage der Winterwende auf das 91fache des ſcheinbaren mittleren 
Durchmeſſers der Sonne beſtimmt. 

Oddi beobachtete hartſüdlich des Polarkreiſes. Der Unterrand der Sonne, 
durch Strahlenbrechung gehoben, ſchien gerade den Horizont zu berühren, 
der für Ooͤdis Beobachtungen auf der Flachinſel nach Süden die günſtigſten 
Bedingungen bot (val. die Karte bei Kälund, hiſt. top. Beſkr. Isl. 2, 132). 
Wie 500 Jahre vor Oddi die Nordleute des Prokop nach immer dem gleichen 
Südpunkt ausfpähten, um das erſte Auftauchen der Sonne zu erkennen; 
wie 1300 Jahre vor Oddi die Nordleute des Pytheas die Stelle der Mitter⸗ 
nachtsſonne, den aſtronomiſchen Nordpunkt kannten, und zwar zu einer 
Zeit, als nach des Puthe as Bericht die Sonne ihn noch nicht berührte, fo 
kannte auch oer geſtirnkundigſte Mann“ Islands die Südnordlinie, den Grund⸗ 
ſtock aller meſſenden Beobachtung am Himmel, den Meridian. Wenn auch 
über Odͤdis Handwerkszeug nichts überliefert ijt, fo bezeugen doch feine 
Ergebniſſe, die er von Woche zu Woche zuſammenſtellt, daß er das Maß des 
Sonnenhalbmeffers, das halbe Rad, auf irgendeine ſinnreiche, wenn auch 
einfache Weiſe feſtgelegt hat. Der bekannten mittelalterlichen Apparate 
bedurfte er dazu nicht. Ein vom Auge in feſte Entfernung gebrachter Kerb- 
ſtock genügte. 

Zum Derſtändnis der Jahlenreihe Odͤdis iſt zu beachten, daß fie aus 
Dermehrungsgrößen, aus Steigerungen um das Wochenergebnis beſteht. 
Die Reihe ½ +1+1%-+ 2 uff. ergibt am Schluſſe der 15. Woche 91, 
am Schluſſe der 26. Woche, in der Sommerſonnwende, 182 Halbrad, d. i. 
Halbmeſſer der Sonne. 


In der nachfolgenden Dergleichstafel finden lid in Spalte 1 die Beobachtungswochen 
ſamt ihrem julianiſchen Ausdrud angegeben; in Spalte 2 in Gradeinteilung der Stand der 
Abweichung der Sonne vom Gleicher, der in der 13. Woche in nördlicher Richtung über⸗ 
ſchritten wird; Spalte 3 vermerkt den wöchentlichen Unterſchied der kbweichungsziffern 
in Spalte 2; dieſe Unterſchiede, Steigerungsgrößen, finden ſich in Spalte 4 umgerechnet 
in ſcheinbare mittlere halbmeſſer zu 16’; Spalte 2 bis 4 dienen alſo dazu, die aſtronomiſche 
Wirklichkeit um das Jahr 1000 auf die Odͤdiſche Husdrucksweiſe umzurechnen und mit 
den halbmeſſern feiner arithmetiſchen Reihe in Spalte 5, mit den Halbrädern vergleichbar 
au machen. Spalte 6 zeigt die Sehler der Ooͤdiſchen Jahlenreihe ausgedrückt in Dezimalen 
es modernen halbmejjermaßes. 


Der größte Fehler, in der 14. Woche, beträgt 2,69 Halbmeſſer der Sonne, 
d. L 12/, Grad, wie ſich die Sehlerreihe überhaupt in der Zeit der größten 
Beſchleunigung der Bahnſteigungen verſtärkt; im übrigen find dieſe Fehler 
bei einer Geſamtzahl von 176 Halbmeſſern, Sp. 8, geringfügig. 

Der Grund für dieſe Unterſchiede liegt aber wahrſcheinlich nicht in Fehlern 
der Beobachtung, ſondern in einer Überlegung Oddis vom Gange der Sonne. 
Er glaubte eine regelmäßige Bewegung zu erkennen und daher feine Beobach— 
tungen, deren Genauigkeit ihm nicht genügte, durch die Theorie berichtigen 
zu müſſen. Weil er die Regelmäßigkeit der Bewegung erkannte, hat Oddi 
ihre Geſetzmäßigkeit in einer arithmetiſchen Reihe auszudrücken geſucht, 
welche um ſo auffälliger erſcheint, als ſie ebenſo wie die Beobachtung ſelbſt 
in der geſamten mittelalterlichen Überlieferung, ſoweit dieſe uns bekannt 
ijt, ohne Vorbild und Gegenitüd ijt. 


6) Oddi Helgajon und die Beſtimmung der Sonnwenden im alten Island 329 


In welchem Grade die Jahlenreihe Oddis nicht durch Überlegung 
gewonnen, ſondern wirklich auf einer ſehr ſorgfältigen Beobachtung beruht, 
ſpringt deutlicher ins Auge, wenn wir die aſtronomiſche Reihe (Sp. 4, Tabelle 
S. 330) mit der Oddis (Sp. 5) in maßgerechter Zeichnung vergleichen (Abb. 1). 


Abb. 1. Schaulinien der wirklichen Steigung der Sonnen: 
mittagshöhen und ihrer MReſſung durch Oddi Helgajon. 


SI 


— fh Steigung 
Oos Meffung 


Um die beiden Ausdrudsarten, die 182 Halbmeffer Oddis und die Summe der 
aſtronomiſchen ſcheinbaren Hhalbmeffer miteinander vergleichen zu können, da fie in Wirt: 
lichkeit dieſelbe t nämlich die höchſterhebung der Sonnenbahn darſtellen ſollen, bringen 
wir ſie auf gleichen Nenner (Spalte 7 u. 9, Tab. S. 550). Der höchſtpunkt der Kurve entſpricht 
mit 182 mm in der Zeichnung der Summe der ſüdlichen und nördlichen Abweichung der 
Sonne d. ſ. 2 mal 25° 34’, in deren Mitte die „Mittzeit der Sonnwenden“ liegt. Tragen 
wir nunmehr auf der Wagrechten den Zeitraum, der für die 3 gleichen Ausdrüde ebenfalls 
oo iſt, auf, und zwar fo, daß wir für 1 Tag Umm, alſo für die 20 Wochen 26mal 7 mm 

elegen, jo ergeben fic), wenn man die Steigungen der Sonnenbahnen nach Mooi und nach 

der aſtronomiſchen Wirklichkeit um 1000 (Spalte 7 und 9) einträgt, die beiden Schau— 
linien, welche auch dem Auge deutlich erkennen laſſen, in welchem Grade Odois Jahlen— 
reihe der aſtronomiſchen Wirklichkeit nahekam. 


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8] Oddi Helgafon und die Beſtimmung der Sonnwenden im alten Island 331 


Daß die Zahlenreihe Oddis unerfindbar ift und lediglid auf Grund 
genauer Beobachtungen entſtanden fein kann, erhellt noch mehr, wenn man 
bedenkt, daß in den ſechs Monaten von der Winter⸗ bis zur Sommerſonn⸗ 
wende die Sonne ihre 23,5 Abweichung derart zurücklegt, daß auf den 
1. Monat nur 3,5%, auf den 2. Monat weitere 8, auf den 3. Monat jedoch 
12 Grad entfallen, daß der 4. Monat die gleiche Schnelligkeit wie der 3. ein⸗ 
hält, während im 5. die Sonne wieder nur 8 und im 6. Monat nur 3,5 Grade 
der Abweichung zurücklegt. Rechnet man dieſe Gradzahlen in Millimeter 
um (= 13,5 + 31 + 46,5 + 46,5 + 31 + 13,5) und fällt die Senkrechten 
dieſer Schnittpunkte, ſo zeigt ſich, daß ſie die wagrechte Jeiterſtreckung mit 
genügender Genauigkeit in die 6 Monate teilen. 

Nach allem laſſen die Schaulinien auch dem Auge deutlich werden, 
daß Oddi in ſeiner allzu regelmäßig und darum als erfunden wirkenden arithme⸗ 
tiſchen Reihe die unerfindbare Unregelmäßigkeit der wirklichen Anſteigung 
der Sonnenbahnen geborgen, daß er alſo unter ſeinen Beobachtungen das 
Naturgeſetz geſucht hat. Selbſt ſeine Fehler bezeugen den wiſſenſchaftlichen 
Charakter ſeiner meſſenden Aſtronomie. 

Oddi iſt ganz unklaſſiſch. Er kennt weder Grade, noch Gleicher, noch 
Abweichung. Er beobachtet nicht mit dem Gnomon. Seine Jahrform iſt 
nicht die julianiſche. Auch feine Beobachtungswoche bezeugt nicht den juli⸗ 
aniſchen Kalender; fie iſt bereits ein Beſtandteil der nichtjulianiſchen islän⸗ 
diſchen Halbjahrsrechnung (miſſeristal). Fragen wir, in welchem Derhält- 
niſſe feine Methoden und feine Ergebniſſe zu denen des mittelalter⸗ 
lichen Abendlandes ſtehen, ſo iſt zunächſt ſeine Meßeinheit, der ſcheinbare 
Halbdurchmeſſer der Sonne zu prüfen. 


Der ſcheinbare mittlere Durchmeſſer der Sonne beträgt 32’. Im Grad⸗ 
netz wären mithin Oddis 45,5 Durchmeſſer, als größte beobachtete Abweichung 
betrachtet, = 45,5% x 32: 60 = 24° 16°. Oddi hätte alſo die Höchſtabwei⸗ 
chung von 23° 34’ um 0, 7 Grad zu hoch angenommen. Da dieſe Abweichung 
aber, wie wir ſahen, eine gegebene Naturtatſache war, ſo liegt der Sehler nicht 
in der Beobachtung der höchſten Erhebung ſelbſt, er muß vielmehr in der 
Meßeinheit, im „Rad“ geſucht werden. Dieſes hat nach Oddi in Gradein- 
teilung 23°34’ : 45,5 = 1414’ : 45,5 = 31,077 d. h. etwas über 31 Bogen- 
minuten. Odͤdi hat aber nicht nach ganzen, ſondern nach halben Rädern ge- 
mellen. Der mittlere ſcheinbare halbmeſſer der Sonne beträgt nach moderner 
Meſſung 16’, Oddi dagegen hat ihn auf eine Meßgröße beſtimmt, die im 
Gradmaß 15,5 Bogenminuten entſpricht. Die Genauigkeit dieſes Maßes, 
welches Oddi durch Beobachtung gewonnen hatte, tritt deutlich ins Licht, 
wenn man bedenkt, daß das geſamte Mittelalter mit Macrobius (Somn. 
Scip. 1, 20, 30) den Sonnendurchmeſſer auf Laus ihrer himmelsbahn, d. i. 
360% 1% = 1 40“ und ſomit mehr als dreimal zu groß gerechnet hatte. Wenn 
Beckman gelegentlich bemerkt, daß die Juverläſſigkeit dieſes Maßes doch von 
Honorius Auguſtodunenſis, im 12. Jahrhundert, beſtritten werde, fo 
ſcheint hier ein Irrtum vorzuliegen. Aud) der vielgeleſene Honorius beweiſt 
an jener Stelle ausdrücklich durch Gründe, daß dieſes dreimal zu große Maß 
das richtige fei; de phil. mundi 4,38. Bedman S. 120. Dal. Beda, de temp. 
rat. 25 die Gloſſen, Kölner Ausgabe von 1588, Tom. 2,97. Das griechiſche 
Altertum freilich hatte den richtigen Wert nahezu gekannt; Kriſtarch be— 
ſtimmte den ſcheinbaren Durchmeſſer der Sonne auf 30’. Aber davon wußte 
das Mittelalter nichts. 


332 O. S. Reuter, Oddi Helgafon und die Beſtimmung der Sonnenwenden uſw. [9 


Die Ermittlung der wahren Jahrpunkte muß mit der Genauigkeit 
der Beobachtungen Oddis zuſammenhängen. Don feinen europäiſchen Zeit 
genoſſen hatte Ooͤdi auch hierin keine Belehrung zu erwarten. Dieſe hielten 
mit unnachgiebiger Jähigkeit an den von Julius Cäſar bzw. dem nikäniſchen 
Konzil angeſetzten Jahrpunkten feſt und blieben auch in ihren erlauchteſten 
Vertretern dabei, daß das Evangelium dieſe Tage (2 und 24, bzw. 

2 und 2%) fordere und daß die Prüfung durch den Gnomon die Richtig⸗ 
tell ihres Unſatzes beweiſe: Beda, de temp. rat. 28, Honorius, imago 
mundi 2,84; Helperici, lib. de comp. 2. 31. Um 1200 tauchen die erſten 
Zweifel an der Rictigteit der kirchlichen Jahrpunkte im Abendlande auf; 
Ginzel, Handbuch 3, 252. Die gregorianiſche Reform kommt 1582, nach 
Island um 1700. 

Oddi helgaſon ijt nicht aus dem kirchlichen Mittelalter hervorgegangen; 
er ſteht auch nicht in ihm, ſondern neben ihm, ſelbſtändig, wenn auch a den 
Schultern einer vorkirchlichen meſſenden Aſtronomie des alten Nordens, 
deren weitere Zeugniſſe ich demnächſt vorlegen werde. 


Ergebnis: 

1. Oddi helgaſon ijt ohne klaſſiſche Schulung und unberührt von 
mittelalterlichen Einflüſſen. 

. Seine Methode der unmittelbaren Beobachtung ſteht mit der abend⸗ 
ländiſchen Wiſſenſchaft (Gnomonik) im Widerſpruch. 

. Seine Jahrform iſt nicht die julianiſche. 

. Seine Sonnenhöhen find nicht mit dem mittelalterlichen, ſondern 
mit eigenem Werkzeug gewonnen 

Die ſcheinbare Größe des Sonnhalbmeſſers Odͤdis entſpricht den 
modernen Meſſungen. 

Das geſamte mittelalterliche Abendland rechnet mit einem dreimal 
zu großen Sonnhalbmeſſer. 

Die arithmetiſche Reihe Oddis baut ſich auf ſorgfältiger Beobachtung 
der Beſchleunigung und Verlangſamung der Sonnenbewegung auf. 

Die Beſtimmung der beiden Wendepunkte ſteht im vollen Gegenſatz 
zu den aſtronomiſchen Anfichten des Abendlandes einſchließlich 
Beda, Helpericus und Honorius, jedoch im Einklang mit der ajtro- 
nomiſchen Wirklichkeit um 1000. 

9. Oddis Meſſung, das Bruchſtück einer vorkirchlichen Ajtronomie, iſt 
in ihren Methoden wie in ihren Ergebniſſen der geſamten frühmittel⸗ 
alterlichen Aſtronomie des Abendlandes überlegen, mit deren Dor- 
dringen fie in Vergeſſenheit gerät. 

Über die Bezeugung der nordiſchen Sonnwendbeobadtung bei Prokop 

und Pytheas, ſowie in der Ridtlegung der vorgeſchichtlichen Gräber vgl. 
meinen Dortrag „Aſtr. u. Muth.“; Mannus Bd. 18, 40ff. 


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Altgeweihte Stätten. 
kirchäologiſche Beiträge zur deutſchen Rechtsgeſchichte 
und Glaubensgeſchichte. 

Don Erich Jung. 

Mit 14 Abbildungen im Text. 


kin einer Reihe frühmittelalterlicher Kirchen in Deutſchland hat ſich 
an der Schmalſeite, und zwar regelmäßig an der weſtlichen, alſo an der Haupt⸗ 
ſtirnſeite, die Vorhalle oder das Atrium erhalten. An anderen war es früher 


Abb. 1. Der Sreiſtuhl zu Kaichen ). 


nachweislich vorhanden, beſteht aber nicht mehr. Erhalten hat es ſich 
in Eſſen als ein offenes, jetzt nur noch aus zwei Flügeln im Norden und Süden 
beſtehendes Atrium, ähnlich dem größeren und vollkommen erhaltenen 
vor St. Ambrofius in Mailand und St. Stephanus in Bologna. In anderen 
Sallen ijt dieſe Vorhalle entweder ſpäter überdeckt worden oder auch von 
Anfang an überdeckt geweſen wie am Münſter in Hachen, an St. Pantaleon 


1) Dgl. Sriedr. Thudichum, Geſchichte des freien Gerichts Raiden in der 
Wetterau. 


334 erich Jung 2 


in Köln (jetzt ſtark erneuert); halb vollendet an St. Emmeran in Regensburg 
und in Werden a. d. Ruhr. Dieſe Vorhallen dienten nicht kultiſchen Zwecken, 
ſondern Handlungen der Verwaltung und der Rechtspflege; von der 943 
vollendeten, an die Weſtſeite der Salvatorkirche in Werden angebauten kleineren 
Peterskirche wird ausdrücklich berichtet, daß ſie für die Sendgerichte beſtimmt 
ſei (Dehio). „Im 11. Jahrhundert entſtand vor der Weſtfront ein vermutlich 
zweigeſchoſſiges 1 „dieſe Halle diente den klöſterlichen Gerichts⸗ 
und Derwaltungshandlungen” (Dehio). Dieſe jog. Paradieſe, von denen ſich 
beſonders aus ſpätromaniſcher Zeit fo wundervolle erhalten haben, wie 3. B. 
in Maria⸗Caach, in Maulbronn, in Herrenalb, in Fritzlar, dienten dem Aufent- 
halt der Laien; vor allem wird im Paradies „auch das Gemeindegericht 
abgehalten“ (Müller-Motbes). 

Wo es an einer ſolchen Vorhalle fehlte, war der freie Platz vor dem 
Kircheneingang häufig der Ort der Gerichtshegung. Das iſt vielfach ſchrift⸗ 
lich bezeugt 1); aber auch durch die Denkmäler ſelbſt, alſo archäologiſch. Am 
Seitenpfeiler der Kirche in Dorlisheim im Elſaß iſt ein Beil und eine abgehackte 
Hand zu ſehen, flach erhaben aus dem Stein Sehr bau offenbar als ein 
Zeichen, daß hier Urteile geſprochen wurden. Sehr häufig findet ſich an 
Kirchenportalen oder ſonſt am Kirchenäußeren die Darſtellung eines Löwen, 
der ein Lamm oder einen Widder zwiſchen den Dorderpranfen hält; ſichtlich 
nicht um dieſes Lamm anzugreifen, ſondern im Gegenteil um es zu beſchützen. 
Der Löwe bedeutet in der kirchlichen Bildnerei ganz vorwiegend die Macht 
der Kirche und allgemein eine dem Chriſten freundliche Macht. 

In den Mitteilungen des Aachener Geſchichtsvereins, Bd. XII, 1890, 
S. 319, ſchreibt Stephan Beißel S. I.: „Diele alte Kirchentüren waren 
mit Bildern von Löwen verziert; dieſe Löwenbilder wird man aber mit den 
im Mittelalter an den Kirchentüren oder in den Dorballen abgehaltenen 
gerichtlichen Verhandlungen in Beziehung zu ſetzen haben.“ 

Wo der Cöwe zubeißt oder kämpft, iſt der Gegner regelmäßig ſehr 
deutlich als Chriſtenfeind gekennzeichnet; wie auf dem ſchönen Säulenfuß 
in München 2), wo der Löwe den heidenprieſter mit den goldenen Arm- 
bändern ) und dem offenbar zur prieſterlichen Tracht gehörenden Gürtel“ 
mit den vorn lang herabfallenden Enden im Rachen hält. 

Schöne Beiſpiele jener die Unſchuld beſchützenden Löwen finden [ich 
u. a. auf einer [chief abfallenden Jenſterbank der ſpätromaniſchen Weſtſeite 
des Wormſer Doms und in Rönigslutter (vgl. die Abbildung) 5). 

„Die Anſicht des heidentums“ ſchreibt Jakob Grimm, a. a. O., „ver⸗ 
langte zur Gerichtshaltung heilige Orter, an welchen Opfer gebracht und 
Gottesurteile vorgenommen werden konnten. Jene Opfer tilgte der Chriſten⸗ 
glaube, er ließ aber die alten Gerichtsſtätten ungeſtört.“ §. Joſtes und 
W. Effmann, Dorchriſtliche Altertümer im Gau Süderberge, S. 9: „Und fo 


1) Dal. Kurt Burchard, Die Hegung der deutſchen Gerichte im Mittelalter, Tübingen 
1907. $ 6. Die Frage nach der Dingſtätte. gl. a. Jakob Grimm, Deutſche Rechts- 
altertiimer, andere hälfte, 1826, S. 796. 

2) Dal. meine Abhandlung: Götter, Heilige und Unholde im Mannus 1928, Abb. 18. 

3) Dal. den Tempelſchatz von Eberswalde und die betenden oder 1 
Arme auf dem Steinbild an der Spitalkirche in Tübingen. Dal. ebenda Abb. 33. 

4) Der geknotete Gürtel hat deshalb heute noch Zauberkraft; vgl. R. Wiebel, 
farrer in Bajel, Lebende Quellen, in Heimatarbeit und Heimes ung 1927; „ſo können 
ie mit nichts antun“ (1924). 

5) Die Königslutterer Cowen ſind erneuert, aber fie find genaue Nachbildungen 
der Urſtücke, die, wenn auch in verſtümmelter Sorm, noch an Grt und Stelle erhalten find. 


3] Altgeweihte Stätten 335 


blieb denn Ramſede der religiöfe Mittelpunkt des Gaues in chriſtlicher Zeit, 
wie es auch als Gerichtsſtätte in früherer Weiſe längere Zeit noch weiter 
beſtand .. .., weil es bereits in vorchriſtlicher Zeit ein Sammelpunkt des 
Volkes, eine heidniſche Kultſtätte bildete, die nach dem Namen zu ſchließen 
dem Wotan heilig war.“ 

Der Juſammenhang von Glaubenspflege und Götterverehrung einer: 
ſeits und Rechtspflege andererſeits iſt für alle höheren Glaubensformen ein 
ſehr naheliegender und weſensgegebener; wegen des inneren Juſammen⸗ 
hangs von Recht und Sittlichkeit. Daher werden überall in den geſchicht⸗ 
lichen Anfängen die Prieſterſchaften beſonders mit Rechtspflegeakten betraut; 
bis zu der äußerſten Folgerung, daß die Gottheit ſelbſt das einzelne Urteil 
n ſoll, im Gottesurteil. Karl Jeumer (Monumenta Germaniae 

istorica, Legum Sectio V., 
Formulae) hat eine Menge von 
Sormeln zuſammengetragen, wo 
dieſe amtliche Rolle des chriſt⸗ 
lichen Prieſters beim Gottes⸗ 
urteil genau umſchrieben iſt; 
bis zu beſtimmten feierlichen 
Worten und Segnungen, die er 
ſprechen muß. Der ns 
foll, whe einer Handſchrift des 
9. Jahrhunderts, den Ort in 
der Vorhalle der Kirche bezeich⸗ 
nen (in atrio eclaesiae), wo die 
Seuerſtätte eingerichtet werden 
ſoll, auf der der ſiedende Keffel 
geheizt oder das Eiſen glühend 
gemacht werden ſoll, und die 
Gottheit wird angerufen: Justus 
es, domine, et rectum judicium 
tuum; erleuchte unfere Sinne 
und Herzen, damit wir die 
Wahrheit erkennen. Wenn 
einer (ebenda S. 703) des Diebſtahls, des Ehebruchs oder irgend einer anderen 
Sache angeklagt ijt und feinem Herrn oder dem Miſſus feines Herrn nicht 
geſtehen will, ſo ſoll der 1 angetan mit den heiligen Gewanden, außer 
der Caſula, in atrio eclesiae, feierliche Worte zu dem Angefduldigten ſprechen 
und dann den Platz für das Feuer und den Keſſel bezeichnen. Auch bei dem 
Gottesurteil durch Kampf — judicium pugnae oder duellum, judicium campi 
— wirkte die Kirche mit. Daß ſpäter Staat und Kirche, beſonders ſeit dem 
ar un mi Friedrich II. von hohenſtaufen, die Gottesurteile bekämpften, 


Abb. 2. Königslutter, aus ſtaufiſcher Feit. 


darf uns nicht verhüllen, daß vorher und zwar in zweifellos chriſtlicher und 
verhältnismäßig ſpäter Jeit das Gottesurteil durch Kampf eine durchaus 
gerichts⸗verfaſſungsmäßige Einrichtung war. Das heute noch Kämpfrajen 
genannte Gelände in Marburg a. d. Cahn heißt in älteren Urkunden planities 
judieii dommt landgravii. Otto der Große bot ſich 963 dem Pabſt Johann 
dem XII. gegenüber zum Gottesurteil des Zweitampfs, um ſich von dem 
Verdacht des Treubruchs zu reinigen. Derſelbe Kaijer läßt ſogar die Frage, 
ob Enkel neben Söhnen des Erblaſſers zur Erbſchaft berufen werden ſollen, 
die trotz eines dafür ſich ausſprechenden Maifeldbeſchluſſes von 596 noch 


336 Erich Jung [4 


immer bejtritten war, durch gerichtlichen Jweikampf (inter gladiatores) 
entſcheiden; und Widukind von Corwey, der das berichtet, lobt dieſes Der- 
fahren als das der beſſeren Einſicht; nämlich anſtatt der ebenfalls erwogenen 
Entſcheidung der Frage durch Geſetz, alſo nach menſchlicher Willkür. „Die 
fränkiſche Kirche“, ſchreibt von Schwe rin in feiner Neuausgabe der Brunner⸗ 
ſchen Rechtsgeſchichte, „hat nach der Bekehrung der Salfranken das Seuerordal 
des Reſſelfangs chriſtianiſiert und mit kirchlichem Ritual ausgeſtattet.“ 
Und ein Aachener Kapitular von 809, alſo unter Karl dem Großen, verordnet 
ausdrücklich, daß alle an das Gottesurteil glauben ſollten ohne zu zweifeln, 
abs que dubitatione; daß fic) ſchon damals Zweifel, erhoben, beweiſt ja frei⸗ 
lich gerade dieſes Kapitular. Im Jahre 1215 verbot die Kirche die Gottes⸗ 
urteile und im gleichen Jahrhundert ſchreibt dann Gottfried von Straßburg 
über das Gottesurteil des heißen Eiſens, das Frau Iſolde trotz ihrer Schuld 
unverletzt beſteht. 


In Gottes Namen, ſie griff es an 

Und trug es, daß ſie's nicht verbrann. 

Da war wohl offen erkläret, 

Und all der Welt bewähret, 

Daß der viel tugendhafte Chriſt, 

Windͤſchaffen wie ein kirmel ijt 

. . . . Zum Trug wie zur Wahrhaftigkeit; 
Obwohl ja in dieſem Fall das Gottesurteil tatſächlich nicht getrogen hat; 
Frau Iſolde hat raſch vorher mit dem als Bettler verkleideten Triſtan, der 
ſie von der Schiffsbrücke an Land trägt, ein Straucheln verabredet und kann 
nun durch dieſen Fall ja wahrheitsgemäß ſchwören, daß fie außer im Arm 
ihres Gatten nur im Arm dieſes Pilgersmannes gelegen habe. Sie hat alſo 
nicht, was in den oben erwähnten Formulae mehrfach der Prieſter befürchtet 
und zu bannen ſucht, ein Chrysma, eine Jauberſalbe angewendet, und trotz⸗ 
dem das Gottesurteil beſtanden. 


Aud) zu der Mitwirkung der Kirche beim Gottesurteil durch Kampf 
glaube ich einige Nachweiſungen im Denkmälerbeſtande, alſo archäologiſche 
Erläuterungen, geben zu können. Daß die Stifterbilder im Naumburger 
Chor, die höchſte Leiſtung der deutſchen Bildhauerei und vielleicht darf man 
ſagen der Bildhauerei des Mittelalters überhaupt, den Zweikampf darſtellen, 
in dem Graf Dietmar fiel (Dietmarus comes oceisus) hat meines Wiſſens 
zuerſt heinrich Bergner ausgeſprochen. Die Erklärung wird heute 4) 
zwar „als halb geſcheitert angeſehen, aber doch nur als halb“. Die Dar⸗ 
ſtellung an der Kirchentür in Großlinden, links vom Beſchauer aus, unten 
am Beginn der Bogenrundung, kann ich auch bei erneuter Prüfung 2) nur 
als die Darſtellung eines Zweikampfes vor Zeugen anſehen. Die Köpfe 
in den Niſchen ſind meines Erachtens eine ſo kennzeichnende und ſo feſtſtehende 
Darſtellungsform für eine Zuſchauermenge, daß keine andere Deutung mög— 
lich iſt. Ich wies damals ſchon auf eine burgundiſche Schnalle mit dem Einzug 
Chriſti in Jeruſalem hin und finde nun noch folgenden hinweis von Paul 
Clemens) auf eine Zeichnung im Codex D 117 der königlichen Bibliothek 
zu Madrid, Handſchrift der leges Langobardorum, auf der „ein gerichtlicher 


1) Dal. den neueſten Beurteiler Ceo Bruhns, Bildner und Maler des Mittel- 
alters. 1928. . 
2) Dal. mein Germaniſche Götter und helden. 1. Aufl. S. 110. 
1. Bd. 


3) Zeitſchrift d. Aachener Geld, Der. 11. 


5] Altgeweibte Stätten 337 


Zweikampf dargeſtellt ijt... der Umſtand ijt nur durch eine Reihe 
ſyummetriſch gezeichneter Köpfe angedeutet.“ 

Nicht mit gleicher Beſtimmtheit, aber doch mit großer Wahrſchein— 
lichkeit möchte ich die Deutung als Zweikampf auch für das neben ſtehend 
abgebildete Züricher Flachbild feſthalten, bei der der eine der beiden Kämpfer 
(als Guido bezeichnet) den Beſtimmungen der Menſur zuwider zum Lang— 
ſchwert (spatha) gegriffen hat, während nur das Rurzſchwert, der sax oder 
der scramasax, kommentmäßige Waffe war. Es iſt ſicher ein ganz be— 
ſtimmter geſchichtlicher Vorgang dargeſtellt ). 

Gerade im Münſter zu Zürich finden ſich, nicht weit von dieſer Dar— 
ſtellung, auch im Innern der Kirche Bilder, die mit Dämonenbannung zu 


Abb. 5. Dom Großmünſter in Zürich. 


tun haben; alſo Darſtellungen, wie fie ſonſt überwiegend an der Außenjeite 
der Kirche und beſonders als Abwehrzauber im Bogenfelde der Türe ſich 
finden; „draußen ſind die Hunde und die Gottloſen“. 

Ich bringe eine dieſer letzteren Jüricher Darſtellung ſehr ähnliche von der 
Moſel (vgl. Abb. 4). Ich wage die Behauptung, daß dieſe Darſtellung eine ins 
Dämoniſche herabgezogene Weiterbildung der uralten Dorjtellung ijt, daß Tiere 
und beſonders Vögel, in deren Geſtalt ja die menſchliche Seele dargeſtellt wird 
und das Geiſtige überhaupt (vgl. den heiligen Geiſt), und deren Flugkünſte 
ſowohl als deren Ortsſinn mit Recht als etwas wunderbares erſcheinen, dem 
Menſchen Gedanken einflößen; weiſe und gute, aber in ſpäterer Doritellung 
auch böſe Gedanken. In der ſpäten und vielfach entarteten ſkandinaviſchen 
Überlieferung vorchriſtlich germaniſcher Glaubensvorſtellungen hat das 


1) Guido von Ivrea, der 965 im Kampfe mit Herzog Burkhart von Alemannien 

ei Dal. Art. Cindner, Die Bajeler Galluspforte 1899; der übrigens eine ſumboliſche 

eutung vorzieht; die hier meines Erachtens ebenſo gewaltſam ijt wie die bekannte Um» 

deutung des hohen Liedes. — Zu dem Steinbild am Großmünſter vgl. noch Mitteilungen 
der antiquar. Geſellſchaft in Zürich, Bd. I, 1841. 


Mannus, Zeitſchtift für Vorgeſch., VI. Erg.-Bd. 22 


338 Erich Jung [6 


bekanntlich die dichteriſch ſchöne, aber deshalb wahrſcheinlich auch ſchon bewußt 
muthologiſch geſtaltete Sorm angenommen, daß die Raben hugin und Munin 
(Hauch gleich Spiritus, uralte Verſinnbildlichung des Seeliſchen, und meinen) 
dem Göttervater Kunde von allen Dingen der Welt bringen. In der nordi⸗ 
ſchen hängemünze, die bei Prenzlau gefunden iſt und dort aufbewahrt wird 
(Abb. 5), iſt aller Wahrſcheinlichkeit nach dieſer Vorgang dargeſtellt; der Gott 
trägt den Schnurrbart, den man mit Recht als ein Kennzeichen oder Leit⸗ 
fundſtück für nordiſche herkunft anſehen kann, wie den geflochtenen Cangzopf 
bei der Frauenhaartracht. 

Die Verbindung der Rechtspflege mit der Kultjtätte war alſo, ſolange 
das Gottesurteil beſtand, ſchon unmittelbar vorgeſchrieben durch die amtliche 
Mitwirkung des Prieſters bei dem Gerichtsverfahren; fie hat aber nod) weſent⸗ 
lich tiefere Gründe. Für alle höheren Glaubensvorſtellungen — oder auch 
Dorjtellungen von Begriffen oder Weſen, die einen höheren Wert und eine 
dauerhaftere Wirkung haben als das Einzelweſen und das eigene Leben —, 


Abb. 4. Don der Burgruine Mürlenbach, Eifel; jetzt im Trierer Provinzialmuſeum; Zeit? 


ijt eine engere Verbindung folder Dorftellungen mit der Pflege und Über⸗ 
lieferung der Rechtsordnung ja wie oben ſchon geſagt, gegeben durch den 
Zuſammenhang von Recht und Fittlichkeit ); für alle höheren religiöſen 
Vorſtellungen, d. h. für ſolche, bei denen das „Gefühl der Abhängigkeit“, nach 
der wohl etwas zu engen Begriffsbeſtimmung von Schleiermacher, die 
Beſtimmtheit zeigt, in der Leopold v. Schröder das Kennzeichen der höheren 
Ehrfurchtsformen ſieht, nämlich die Dorftellung, daß dieſes höhere und mäch⸗ 
tigere Weſen irgendwie von einem verlangt, daß man ſittlich gut handle; bei 
welcher Dorjtellung man alſo nicht wie bei den niederen Formen wahllos auch 
feindliche und böſe Mächte verehrt und ihnen huldigt, um ſie günſtig zu 
ſtimmen; wie nach dem grauſamen Hohnwort Burkes im Prozeß gegen 


) Die auf einer beſtimmten Kulturftufe notwendige Derweltlidung des Rechts⸗ 
lebens oder Zerſchneidung feiner äußeren Juſammenhänge mit der religiös⸗ſittlichen Über- 
lieferung wird auf einer „mittleren“ Entwicklungsſtufe dahin übertrieben und überſpannt, 
daß man die Zuſammenhänge der Rechtsfindung mit dem oberſten ſittlichen Werturteil und 
mit dem ſittlichen Werten im einzelnen Soll überhaupt leugnet; daß man das Rechtsfinden 
zu einer reinen Deduktive, zu einer bloßen Wortauslegung machen will; zu „einem Rechnen 
mit Begriffen“, nach dem irreführenden, geradezu verhängisvollen Wort von Ceibnitz. 


7 Altgeweihte Stätten 339 
Warren Hajtings die Hindus dem britiſchen Eroberer einen Tempel errichteten, 
der zwiſchen den Tempeln der Cues und der Det ſtand. 

In der römiſchen Rechtsgeſchichte wird uns berichtet, daß die Pflege 
und Überlieferung des Rechts die beſondere Aufgabe der Prieſterſchaften, 
der Pontifices war. Der Vorgang der Derweltlidung, daß dieſe beſondere 
Stellung der Prieſter gebrochen wurde, wird uns in der jedenfalls zugeſpitzten 
und legendenhaft ausgeſchmückten Form erzählt, daß der Geheimſchreiber 
eines Pontifex das Geheimbuch der Klageformeln geſtohlen und veröffentlicht 
habe. Huch bei den Germanen ijt mindeſtens die häufige örtliche Derbunden- 
heit der Kultſtätten und der Gerichtsſtätten ſicher bezeugt. Wir brauchen 
deshalb nicht einmal auf die Einrichtung des Gottesurteils als den deutlichſten 
Beweis jener Verbindung von Rechtspflege und Glauben uns zu berufen, 
weil es immerhin nicht ganz ſicher iſt, obwohl meiner 
Meinung nach wahrſcheinlich, daß das Gottesurteil 
in vorchriſtliche Zeit zurückgeht. 

Daß die germaniſchen Glaubensvorſtellungen 
zu den Glaubensformen höherer Art gehören, tritt, 
beſonders in den älteren Jeugniſſen, ſehr deutlich 
hervor 21. Wenn Caeſar (bellum gallicum, Buch 6, 
Kap. 21) ſagt, die Germanen kennten keinen beſon⸗ 


deren Prieſterſtand, ſondern verehrten nur die Mächte, 
deren Wirkung ſie beobachteten und an ſich erführen, 
wie Sonne, Mond und das Feuer, ſo braucht das 
keineswegs als eine Derperfönlichung dieſer Kräfte 
aufgefaßt zu werden, ſondern kann einfach ein Er⸗ 
kennen und Derehren der Macht dieſer Naturkräfte 
bedeuten. Der Rechtsgeſchichtler Ernſt Mayer glaubt 
in den Hauptformen der Gottesurteile, bei denen 
das Feuer, das Waſſer und in den labil aufgeſtellten 
Rafenjtüden, die bei der leiſeſten Erſchütterung den 
darunter Durchgehenden erdrücken, die Erde ent⸗ 
ſcheiden ſollen, die Unrufung der drei Elemente 


Abb. 5. Hängebrafteat 
von Prenzlau; nad 
hauberg, vom Münz⸗ 
kabinett in Kopenhagen 
nordiſch, ob engliſch, 
CN oder nord» 
eutſch“. Nach E. Bahr⸗ 
I Der Hackſilber⸗ 
und von Aleranderhof 
erinnernd „an die eigen 
ers Sorm der Wis 
tingerfopfe auf den 
e däniſchen 
ünzen“. 


Feuer, Waſſer, Erde zu erkennen . 

Das ehrwürdigſte Denkmal der deutſchen Glaubensgeſchichte, der Sonnen⸗ 
wagen von Thrundholm in Ropenhagen, zeigt eine vergoldete Scheibe, 
gezogen von einem Pferd; alſo er verrät eine Dorftellung, die der Wahrheit 
etwas näher kommt als die völlige Dermenſchelung der Sonne im Helios, im 
griechiſchen Sonnengott. Daß das Seuer ein Sonnenzauber iſt, die Sonnen- 
wärme herabbringt, iſt ja tatſächlich auch nur einfach richtig; denn nach 
unſerer heutigen wiſſenſchaftlichen Vorſtellung iſt ja der Brennſtoff Kohle 
und Holz tatſächlich nichts anderes als aufgeſpeicherte Sonnenwärme. 


u R—ͤ— 


1) Der gut katholiſche a Nepomuk Sepp führt in der Einleitung zu feinem 
altbaueriſchen Sagenſchatz einen flusſpruch ſeines Kollegen in der Baum oe G. S. Srörer, 
Deutſches Doltstecht im Mittelalter, Bd. 1, an: „Es gibt keine Form des heidentums, die 
der chriſtlichen Wahrheit jo nahe tame, als der Glaube unſerer Väter, der a ten Germanen; 
ein edler, ſittlicher Get weht durch denſelben ‚ weshalb der hl. Salvian aus Marſeille 
poraustiindigte, daß die herrſchaft über die Welt an die germaniſche Nation gelangen 
werde.“ Und in der Vorrede zu ſeinem Buch, „Die Religion der alten Deutſchen“, das 
allerdings als Stoffſammlung und auch in feinen Folgerungen ſtets mit der nötigen Kritik 
betrachtet werden muß, drückt Sepp lich in der gleichen Richtung noch ſtärker aus. 

d Das Rad des Scharfrichters ftellt die Scheibe des Sonnengottes dar, dem der 
Verbrecher geopfert wird (hans Sehr). 


22* 


340 Erich Jung [8 


Tacitus ſchildert die Glaubensvorjftellungen der Germanen im 9. Kapitel. 
Er ſchreibt, den Germanen ſcheine es unverträglich mit der Größe der himm⸗ 
liſchen, die Götter in Tempelwände einzuſchließen oder der Menſchengeſtalt 
irgend ähnlich zu bilden. „Wälder und Haine weihen ſie ihnen und mit den 
Namen der Götter bezeichnen ſie jenes Geheimnis, das ſie nur in Ehrfurcht 
ſchauen (secretum illud, quod sola reverentia vident). Das klingt an die 
höchſtſtehenden Faſſungen an; an das Fauſtiſche, „wer darf ihn nennen und 
wer bekennen“; oder an die Worte, mit denen der edle Römer Quintus 
Aurelius Symmadus im Jahre 383 feinen alten Glauben vor dem neuen 
Kaifer Dalentinian dem Zweiten gegen die Chriſten verteidigt: „Zu denſelben 
Sternen blicken wir empor, ein himmel überſpannt uns, eine Erde trägt uns 
, . . . es führt mehr als ein Weg zu dem großen Geheimnis“. 


Andreas Heusler, Die altgermaniſche Religion (Kultur der Gegen⸗ 
wart), S. 270 ſchreibt: „Ob das volkstümliche Chriſtentum der bekehrten 
Maſſen edler, feiner, geiſtiger war als die verlaſſene Cehre, darf man nicht 
nur für das Merowingerreich bezweifeln. Im Heidentum hatte es keinen 
Teufel gegeben, und der war im neuen Volksglauben die Hauptperſon“. 

Eine geſchichtliche Tatſache, die die beſondere Bedeutung des germani⸗ 
ſchen Glaubens- und Sittlichkeitsempfindens !) für die Entwicklung des Chriſten⸗ 
tums ſchlagend beweiſt, wird nie genügend hervorgehoben. Man ſagt wohl, 
nach dem Untergang der Antike hat das Chriſtentum die europäiſche Geſittung 
wieder neu aufgebaut. Da müßte man unbedingt den Juſatz machen, das 
Chriſtentum in germaniſcher Seele. Denn rund 450 Jahre, bevor der letzte 
große, vielleicht der wichtigſte deutſche Stamm zum Chriſtentum gebracht 
wurde, iſt dieſes in der Mittelmeerwelt herrſchend geworden; in dieſer, in 
der römiſchen Welt, hat das Chriſtentum aber nicht einmal die Kraft gehabt, 
die vorhandene Kultur zu retten. Das Mittelmeerbecken, dieſer Hhauptſchau⸗ 
platz der antiken Kultur, wurde ſogar durch den Iſlam dem Chriſtentum zum 
größeren Teil wieder entzogen; und der Wiederaufbau der europäiſchen 
Geſittung oder die zweite Rulturepoche Europas, die chriſtlich⸗germaniſche, 
entwickelte ſich auf dem Nordſeeabhang Europas, unter germaniſchen oder 
germaniſch geführten Völkern. 


Der Rat Gregors des Großen an den Abt Melitus vom Jahre 601, man 
ſolle die geweihten Stätten des alten Glaubens nicht zerſtören, ſondern nur 
umweihend verchriſtlichen und ſelbſt die alten Volksfeſte und Opferfeiern 
im weſentlichen beſtehen laſſen, mußte die örtliche Verbundenheit von Kult- 
ſtätte und Gerichtsſtätte befördern, weil eben ſolche Verbindung an dieſen 
Stätten vorchriſtlicher Weihung vielfach ſchon beſtand. Daß der Rat Gregors 
des Großen vielfach befolgt wurde, findet in den Denkmälern einen ſehr deut⸗ 
lichen Ausdrud. Sehr häufig find an chriſtlichen Kirchen Unholde, Dämonen 
abgebildet, in Malerei und Steinbild; das iſt nur ſo zu erklären, daß man die 
durch die frühere Rultſtätte an dem Ort noch heimiſchen Heidengötter 
beſonders zu bannen für nötig hielt; denn ohne Not hätte man ſie, die 
man noch ſo ſehr fürchtete, nicht an die Wand gemalt. 

Selbſt das vorchriſtliche Feſtmahl, das Gregor erhalten will und das ſich 
in den Rirchweihfeſten fortſetzt, findet an einigen Stellen einen denkmalhaften 
Ausdrud; am umfänglichſten an der Kapelle zu Belſen bei Tübingen (Abb. 6). 
Die Tierhäupter haben wohl vorchriſtlich eine kultiſche Derwendung, aber 
1) Dal. Eng. Mogk, Die heidniſch-germaniſche Sittenlehre im Spiegel der eddiſchen 
Dichtung. 1921. 


9] Altgeweihte Stätten 341 


nicht im Chriſtentum. Nicht allzuweit von der Belſener Kapelle, an der Wurm⸗ 
linger Kapelle unweit Tübingen, wurde noch bis zur Reformationszeit (bis 
1530) auf Grund einer Stiftung der Grafen von Calv ein Feſtmahl gefeiert, 
bei dem die Tierhäupter und die abgezogene Stierhaut, auf der man ſitzen 
mußte, eine beſondere Rolle ſpielen. Das Sitzen auf der Stierhaut wird in 
den ſpäteren Bußbüchern ausdrücklich als heidenbrauch verboten ), aud) 
gelegentlich des Derbots der Spurcalia in Februario, die wohl ſicher ein 
germaniſches und nicht ein antikes Seſt bezeichnen ). An den Belſener Bild⸗ 
nereien fällt auf, daß das Männlein unten künſtleriſch ſehr viel ſchlechter 
und roher gearbeitet iſt als die Tierköpfe. Es iſt ſicher nicht römiſcher Herkunft, 
wie Gotthold Gundermann es . eee 
anſprechen wollte, als ein Bildnis ER 
der dort häufiger vorfommenden 
Göttin Herecura. Daß die Rodfalten 
zwiſchen den Beinen in diefer Weiſe 
weggewittert waren, ijt ſchon natur: 
wiſſenſchaftlich unmöglich. Das Bild 
follte den früher an dieſer Stelle 
heimiſchen Heidengott darſtellen und 
im Bilde bannen, wie die drei Ge⸗ 
ſtalten am Turm in Hirfau; nur daß 
dieſe noch würdiger dargeſtellt ſind; 
oder wie das Männlein in Illingen, 
Oberamt Maulbronn, in Rietheim, 
Oberamt Tuttlingen, in Lonfee, 
Oberamt Ulm; wo dem bärtigen Kopf 
ein dreigeſpaltenes Band aus dem 
Munde) hängt, eine ſehr häufige 
Darſtellung, die ich nicht erklären 
kann, für die wir aber hier aus⸗ 
nahmsweiſe einen ſchriftlichen Beleg 
haben, daß ſie etwas heidniſches 
kennzeichnen ſoll; nämlich im Cod. 
Lat. 661 99 ijt der Stamm⸗ de. Bin Arie 
baum odans mit Unterſchri „% a LE 
gegeben und dabei Wodan lie Oben SC 11008 SSES 
in diefer Weiſe dargeſtellt. j 

Daß das Männlein an der Belfener Stirnfeite fo viel roher und un- 
beholfener gebildet ijt als die künſtleriſch verhältnismäßig ganz gut beob- 
achteten Tierköpfe, ijt aber vielleicht in folgender Weiſe zu erklären, was 
ich aber zunächſt nur als Dermutung ausſprechen will; daß man nämlich, 
wenn man den vorchriſtlichen Unhold im Bilde bannen wollte, die noch vor⸗ 
handenen Steinbilder aus vorchriſtlicher Zeit zum Muſter nahm, die zu ihrer 
Zeit wirklich den heidniſchen Gott darſtellen ſollten. Und dieſe alten Stein: 
bilder waren eben jo unbeholfen aus dem aufgerichteten Pfahl, dem Truncus, 

1) Dal. Jac. Grimm, Über Thieropfer, Deutſche Mutbologie, 1855, S. 27 ff. 

2) Dal, C. P. Cafpari, Prof. der Theologie in Chriſtiania, Die homilia de sacri- 
legiis: „Die Sacrificia Spurcalia find Schweineopfer . . . ., das Seſt wird kein römiſches 
ſondern ein germaniſches ſein, das Wort Spurcalia tritt zuerſt Ende des 7. oder zu Anfang 
des 8. Jahrhunderts auf. — Sebruarius, Hornind, Spurtel hat 28 Tage; heberegiſter 
des Kloſters Sreckenhorſt. 

) Dal. Paul Keppler, Württembergiſche Kunitaltertümer, 5. 363. 


342 Erich Jung [10 


dem Menhir herausgeſchnitten, der urſprünglich das Bild des Heiligtums 
vorſtellte. Solche Bilder waren ſicher auch in ſpäterer Zeit noch da und dort 
erhalten oder wenigſtens in der Erinnerung. Das doppelföpfige Steinbild 
von Holzgerlingen in der Stuttgarter Sammlung iſt doch wohl ſicher, ſchon 
wegen der Zweiköpfigkeit, als Götterbild anzuſprechen !); ebenſo wohl zwei 
andere, die im Schönbuch gefunden ſind, die Paret gelegentlich beſchreibt, 
von denen ich aber feine Abbildung kenne. Die oben erwähnten kleinen und 
ganz rohen Bilder an den Kirchen in Rietheim und Brackenheim würde ich 
für ſolche bewußte Nachahmungen irgendwie noch bekannter heidniſcher Gëtter: 
bilder halten. Huf dem ſüdlichen Querſchiffsgiebel der oben ſchon erwähnten 
Kirche zu Rönigslutter ſitzt ein ſolches 
Männlein (Abb. 7), das auch noch ein 
Urſtück ſein könnte, alſo wirklich noch 
als ein Götterbild gemeint aus vor- 
chriſtlicher Zeit 2), das alſo dort nur 
angebracht wäre, um es durch die 
Nähe der Rirche zu bannen und 
unſchädlich zu machen. Auffällig iſt 
beſonders ſeine Legende, die in ſich 
äußerſt unwahrſcheinlich ijt und des- 
halb den Eindruck macht, als ob ſie 
gerade nur erfunden wäre, um die 
en Herkunft des Bildes zu 
verhüllen. Das Bildchen heißt nämlich 
der Holzwächter und es wird erzählt, 
es fei dort aufgeſtellt, um die Hol3- 
diebe zu beobachten und abzuſchrecken, 
die im benachbarten Stiftswald gerne 
ſtahlen. 

In Schwaben ijt die Dorjtellung 
Wuotes⸗ Heer, auch mit ſchwäbiſchem 
Umlaut von w zu m, Muotis=heer, 
noch lebendig in der Einbildungskraft 
des Volks. In der offenbar ſehr ſtark 
heidniſch umwehten Johanniskirche 

Abb. 7. Konigslutter. in Gmünd?) erſcheint der wilde Jäger 

gar an drei Stellen. „Daß der wilde 

Jäger irgendwie mit dem Totengotte Wodan zuſammenhängt“, beweiſt ja 
der norddeutſche „Wode“ und der „Odinsjäger“ in Jütland ). Daß der 
wilde Jäger auch in dieſen Gegenden noch die weitere Rolle des Seelenführers 
ſpielt, dafür glaube ich einen archäologiſchen Beleg gebracht zu haben (vgl. 
Abb. 66/67 in „Germaniſche Götter und helden“); in den zwei Säulenköpfen 


1) Siehe Abbildung im Mannus, 1927, S. 147. 

2) In Nienburg a. d. Weſer ſind an der Kirche, verhältnismäßig hoch, einige gan 
merkwürdige Bildhauereien eingemauert, die auch hier in Frage kommen könnten; ſo 12 
W. Siebert, Die Martinskirche zu Nienburg, 1924; außen an der Kirche auch ein älterer 
Kreuzſtein; als Weihekreuz, aber urſprünglich wahrſcheinlich Bezeichnung einer Dingitelle 


am Ort. 
3) Dal. Richard hünnerkopf, Der wilde Jäger in Oe ll Oberdeutſche 
Zeitichrift für Volkskunde, Bd. 1, 1927, S. 38 ff.; val. dazu jetzt die vortreffliche neue 
Sonderabhandlung von Walter Klein, Die St. Johanniskirche in Gmünd, 1928. 
4) Richard hünnerkopf, a. a. O. 


11] Altgeweihte Stätten 343 


vom Michelsberg bei Kleebronn im Zabergäu, wo die wilde Jagd der ruhe: 
lofen Seelen unter dem Seelenführer und Lanzenkämpfer Wodan gegen: 
übergeſtellt ijt den Seelen, die dem Seelenführer und Lanzenfämpfer Michael 
gefolgt find und nun, wie Tauben friedlich, in der ewigen Seligkeit leben. 
Dons Naumann, Chriſtentum und deutſcher Volksglaube, Jeitſchrift für 
Deutſchkunde, 1928, Heft 5, ſchreibt dazu: „Nur der längſt nicht mehr ver— 
ſtandene Name Wode und ſchwäbiſch Wuotes Heer“ deuteten hier noch ältere 
germaniſche Dorjtellungen an. „Der längſt nicht mehr “itl gr la Name 
Done": freilich: aber wie verſteht denn ſelbſt heutiges Volk ſeine amtliche 
Rirchenlehre oder wie ſehr mißverſteht es ſie ). Hans Naumann jelbit 
weiſtldarauf hin, daß vielfach das katholiſche Volk die Heiligen ſehr gegen die 


Abb. 8. Schalloch der Kirche in Niederkirchen bei Deidesheim. 


amtliche Lehre der Kirche unmittelbar als Helfer anruft ſtatt nur als Siir- 
ſprecher bei Gott. Alſo, daß die Dorſtellungen ſich im Laufe von anderthalb 
Jahrtauſenden ſehr gewandelt und verändert haben, beweiſt doch nichts 
dagegen, daß aller Wahrſcheinlichkeit nach ein Juſammenhang beſteht, wenn 
ſich der Name und andere Beſonderheiten des Sturmgottes und Seelen— 
führers erhalten haben; ſelbſtverſtändlich nun chriſtlich beeinflußt dahin, daß 
dieſer jetzt ein böſer Geiſt iſt, mit dem die Seelen der nicht zum heil ge— 
kommenen Übgeſchiedenen nun nächtlich durch die Lüfte fahren müſſen. Ein 
ſehr bekannter Archäologe, aljo ein einwandfreier wiſſenſchaftlicher Beobachter, 
erzählte mir kürzlich folgenden Zug aus ſeiner Heimat Mecklenburg, den ſein 
Vater noch noch ſelbſt erlebt hat und ihm ſelbſt erzählte: während einer Lebens— 


1) Paul Drews hat das Schlagwort „Religiöſe Polkskunde“ geſchaffen; val. Karl 
Reuſchel, Deutſche Volkskunde, S. 21; in dem eriten Heft der damals gerade von Gießener 
Dozenten, Albr. Dietrich, Karl helm, auch dem Derfafjer dieſes mitbegründeten 
beſſiſchen Blätter für Volkskunde. 


344 Erich Jung [12 


gefahr bei einer Waſſerüberfahrt habe fein Nebenmann ein Stoßgebet ge- 
ſprochen, in dem der Name Wode vorkam. Entrüjtet ſtellte ihn nachher der 
ſtreng proteſtantiſche Gewährsmann zur Rede, worauf der andere erwiderte, 
nun wenn's nichts nützt, ſo ſchadet's doch nichts. Der Berichterſtatter war 
ausgeſprochen entrüſtet über dieſen heidniſchen Aberglauben; um fo einwand- 
freier iſt ſein Jeugnis ). 

Wenn die Sachſenkaiſer vor der Schlacht zur heiligen Lanze beten, alſo 
auf der höchſten Bildungsſtufe ihrer Zeit ſtehende Männer und überzeugte 
Chriſten, ſo kann man das doch wohl nicht mit hans Naumann aus einer 
primitiven Dolfsreligion allgemeinſter Verbreitung erklären; und chriſtlich ijt 
dieſe Verehrung doch auch ſicher 
nicht; wie ſchon die Verſuche der 
Verchriſtlichung beweiſen, die ein— 
ander widerſprechen; als Lanze des 
heiligen Mauritius, als Lanze des 
Hauptmann Longinus am Kreuz 
und als Träger eines Nagels vom 
Kreuz Chriſti. 

Der Glockenklang iſt beſonders 
geeignet, die Dämonen zu Det: 
ſcheuchen; überhaupt Lärm, wie 
peitſchenknallen gegen hexen in 
der Walpurgisnacht (noch heute in 
Cingelbach, ſ. Hejjenld., Mai 1928), 
wie man mit Geſchrei vince luna 
und Zuſammenſchlagen von Töpfen 
den himmelslichtern helfen will und 
die Untiere verjagen, die ſie bei 
Finſterniſſen zu verſchlingen drohen. 
In Bußbüchern muß dieſes Larmen 
noch ausdrücklich verboten werden. 
Deshalb werden in den Schall: 
Abb. 9. en der STEE in löchern der Kirdytürme vielfach 

Gmünd (Schwaben). Dämonen abgebildet. Auf eine 
Nachricht in Albert v. hofmanns 
geſchichtlichem Reiſebegleiter ſuchte ich einen kleinen Ort in der Nähe 


) Er war alſo völlig frei von germaniſtiſcher Ciebhaberei für ſolche Dinge. hg fann 
einem freilich einmal eine Beobachtung in der Erinnerung verſchönen und zuſpitzen. Ich er⸗ 
innere mich beſtimmt, daß mir vor langer Zeit einmal ein Germaniſt — es muß ein Gießener 
Behaghelſchüler geweſen ſein, der über heſſiſche Mundarten arbeitete — folgendes Erlebnis 
aus dem Odenwald erzählt hat. Er ſei in geringer Entfernung hinter zwei Einheimiſchen auf 
der Candſtraße gegangen als es blitzte. Da hätten die beiden Bauern den hut abgezogen, 
und einer habe nach der Richtung des Blitzens geſagt, da ijt er hinaus. Auf die erftaunte 
Frage des Germanijten: wer denn? habe der Bauer geantwortet: der Wode. Ich habe 
mich vielfach um dieſe Sache bemüht. So u. a. bei einem der beſten Kenner des Oden⸗ 
walds, Archivrat Morneweg in Erbach; aber ich habe keinerlei Beſtätigung gefunden. 
Ich darf alſo dieſen Zug, als nicht zuverläſſig genug bewieſen, nicht verwenden. — Der neu— 


gefundene Mithrasſtein von Dieburg zeigt bekanntlich den Mithras ganz abweichend von 
allen anderen üblichen Darſte llungen als Reiter. Prof. Behrens, der die maßgebende 
Sonderſchrift über den, Die d Mithrasitein geichrieben hat, zögert nicht, dieſe Beſonder— 
heit des Dieburger Mithrasſteins auf den Einfluß einheimiſcher Vorstellungen zurück en. 
Die Sagen vom wilden Ët r, anknüpfend an den Rodeniteiner, find ja im Odenwald. 
alteinheimiſch. — Edward Schröder hat übrigens einmal geſagt, die Ableitung des 


Namens Odenwald von Wodan ſei trotz der abweichenden Namensform nicht ausgeſchloſſen. 


13] Altgeweihte Stätten 345 


von Deidesheim auf, wo eine ſolche Geſtalt in den Schalllöchern ſteht. Sie 
iſt einwandfrei durch die Teufelsohren als Dämon gekennzeichnet (Abb. 8). 


Und ſchon auf dem hinweg von 
Deidesheim nach Niederkirchen fand 
ich folgende ganz nette volkskund⸗ 
liche Beſtätigung. Ich fragte den 
Schrankenſchaffner nach dem Weg 
nach Niederkirchen; er fragte mich 
nach Pfälzer Art ſofort, was ich 
denn da wolle; er ſei dort geboren. 
Ich antwortete, ich wolle mir die 
alte Kirche anſehen, beſonders den 
Turm. Er ſagte, ja da iſt oben 
ſo ein Männle ausgehauen; das 
haben wir immer das heiden— 
männle genannt und haben als 
Buben mit Steinen darnach ge- 
worfen. Alfo die Überlieferung 
von dem Dämon iſt noch heute 
lebendig. Und das Bewerfen mit 
Steinen iſt ein altes Kampfmittel 
gegen die Dämonen. Früher am 
Eingang des Doms in Trier, jetzt 
im dortigen Muſeum, ſteht ein 
ſchöner Marmortrumm, an dem 
man trotz ſchwerſter Derſtümmelung 
noch die Umriſſe eines Srauenleibes 
erkennt. Es war ein Bild der Hb⸗ 
göttin Venus, das die den Dom 
beſuchenden Pilger jahrhunderte- 
lang mit Steinen bewarfen. 

In den Schallöchern der Jo— 
hanniskirche in Gmünd ſteht ein 
Mann, der ein Rind frißt, alſo 
ſicher ein Unhold, ohne daß man 
ihn näher deuten könnte; möglicher 
weiſe, in dieſer Staufenzeit und bei 
ihren ſtarken Berührungen mit 
Italien, in ſtaufiſchem Stamm— 
lande, iſt er ſchon antikiſch beein— 
flußt, von Saturn (Abb. 9). 

In Burgerroth in Franken 
ſteht einſam auf Bergeshöhe, fern 
von jeder Siedlung, auf einer Stelle 
reicher vorgeſchichtlicher Sunde, 
ſicher einer vorchriſtlichen hut: 
ſtätte, die Kapelle der heiligen 
Kunigunde. In den Schalllöchern 
die nebenſtehende Geſtalt (Abb. 10). 
Das Bild ſoll wohl die heilige 
Kunigunde vorſtellen, aber dieſe, 


Abb. 10. Schallloch in Burgerroth. 


346 Erich Jung [14 


die ja verhältnismäßig ſpät auftritt, hat ſicher an dieſer Stelle eine ſtarke 
vorchriſtliche Vergangenheit. Sie hält in der hand einen Ring, in der 
andern das heilige dreiflammige Zeihen. Der Ring ſpielt in einigen 
Faſſungen der Legende eine gewiſſe Rolle; daß die Kaijerin ihren Trauring 
verliert und dadurch in den 
Verdacht des Ehebruches kommt. 
Die Lilie oder Flamme ijt offen⸗ 
bar ein ganz beſonders geweihtes 
Jeichen; es krönt die Szepter 
der Könige und umkränzt den 
Kronenrand. Hier aber hält die 
heilige Kunigunde die Lilie oder 
dreiflammige Kerze ganz kurz 
gefaßt, alſo offenbar nicht wie 
ein Szepter. Dieſe dreiflammige 
Kerze begegnet ſehr vielfach noch 
in chriſtlicher Jeit; ſo verbunden 
Abb. 11. mit dem Kreuz am Kirchentor 
zu Weinsberg; beſonders auf 
fällig und groß als einziger Schmuck eines Bogenfeldes in Bebenhaujen; 
aber fie hat unzweifelhaft eine vorchriſtliche Weihebedeutung ). 
In einem Bogenfeld in Eichel bei Wertheim führt das Lamm mit der 
Kreuzesfahne gegen ein Untier (Abb. 11); auf dem Bogenfelde aus Murrhardt 
(Abb. 12) führt das Lamm mit dem Kreuzeszeichen, von rückwärts her unter⸗ 


nen 


2 Ba? A 
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a e > Ni SA d m d 
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Abb. 12. Staufiſches Bogenfeld aus Murrhardt, Württ. 


ſtützt durch einen Prieſter mit dem Weihwedel, gegen das heidniſche Sonnen- 
zeichen, deſſen Prieſter, langbärtig, noch in der Ecke angedeutet iſt. Auf einem 
Bogenfelde der Kirche in Oberröblingen im Mansfelder Seekreis (Hbb. 15) 
führt das Lamm, auch hier wie in Eichel durch die auffälligen Widderhörner 
als wehrhaft gekennzeichnet, von rückwärts unterſtützt durch die ſegnende 
Hand eines Prieſters, den Heerbann Chriſti gegen das Sonnenzeichen des Dreh⸗ 
wirbels oder Hakenkreuzes, die die drehende oder rollende Bewegung ſehr 
anſchaulich verdeutlichen. Das Zeichen iſt hier offenbar abſichtlich etwas 
verhehlt, d. h. abweichend von der gewöhnlichen Form geſtaltet, weil man 

1) Profelfor Hermann Wirth kündigt im Anlaaeplan des 2. Bandes feines großen 


Werkes, der Hufgang der Menſchheit, Diederichs 1928, zwei beſondere kbſchnitte über 
das Cilienſinnbild an. 


15] Altgeweihte Stätten 347 


ſich doch auch noch vor ihm fürchtete und es nicht in der richtigen Form an 
die Wand malen mochte, um es nicht dadurch herbeizurufen; ſo wie man den 
Teufel lieber nicht mit ſeinem richtigen Namen nennt, ſondern Gottſeibeiuns. 
Auf dem Bogenfelde in Haubersbronn (Abb. 14) führt das Lamm gegen 
die dreiflammige Kerze, deren Weihung alſo hier noch als feindlich emp⸗ 
funden wird, während andernorts 
die im Volke lebendige heiligkeit 
des Zeichens auch chriſtlich benutzt 
wird. Unter den Bildern des 
Bogen⸗Frieſes in Schwärzloch bei 
Tübingen, die ſicher etwas be⸗ 
deuten, wahrſcheinlich die Ban⸗ 
nung des an dieſer Stelle altein⸗ 
heimiſchen Schwertgottes, ſpielt 
die Dreiflamme eine große Rolle. 
Die Lilie oder dreiflammige 
Kerze in der Hand der heiligen 
Kunigunde in Burgerroth, die an 
dieſer Stelle irgendeine vorchriſt⸗ 
liche Gaugöttin verdrängt hat, ge: 
nießt, wie ſchon geſagt, noch vor⸗ abb. 13. EE aus Oberröblingen, ſaliſch 
chriſtliche Weihung. Man hat den oder frühſtaufiſch. 
Dreiflamm auf die drei ſichtbaren 
Mondphaſen gedeutet; v. Amira, aber an der betreffenden Stelle ohne 
Belege, deutet ſie auf dem Szepter als Zeichen des Königsfriedens. Nur 
foviel ijt gewiß, daß der Dreiflamm Träger einer hohen Weihebedeutung 
iſt, und die Weihung ſcheint irgendwie in beſonderer Weiſe mit dem 
Rechts⸗ und Staatsleben zuſammen zu hängen. 


Abb. 14. Bogenfeld aus haubersbronn (Württ.) 


Der Ruf Thejodute, Tojodute, Jodute, ijt in niederdeutſchen Rechts⸗ 
quellen vielfach bezeugt als das Gerüfte bei gewaltſamem Frevel, das die 
handhafte Tat feſtſtellen ſoll und Zeugen herbeirufen, daß der Rufer nun 
in rechter Notwehr ſich der Gewalt erwehrt. So heißt es im Richtſteig Cand— 
rechts des 14. Jahrhunderts (Ausgabe von ho meyer), Jo rufe Toyodute 
über deinen und des Landes verfeſteten Mann, dann müſſen dir das Gericht 
und die Dingpflichtigen folgen und Hilfe leiſten“. Das Wort bezeichnet aber 
auch eine Säule oder ein Standbild, das den Gerichtsplatz oder Alarmplatz 
bezeichnet, und zwar wird dieſes die urſprüngliche Bedeutung ſein; denn man 


348 Erich Jung [16 


wird wohl eher den Alarmruf nach dem Alarmplag als umgekehrt benennen. 
Dieſe Thejodutſäule hat ſicher eine vorchriſtliche Dergangenheit. Heinrich 
p. Herford) berichtet, daß die Sachſen im Jahre 1114 am Welfesholze 
nach ihrem Sieg über die verhaßten Franken das Bild eines bewaffneten 
und behelmten Mannes aufgeſtellt hätten, den die unwiſſenden Landleute 
den heiligen Thejodute genannt hätten. Eine andere Überlieferung 
erzählt, dieſer Jodute ſei ein Weidenſtock geweſen, der in der Schlacht den 
Waffenruf, Waffenjo 2) = mordjo (vgl. feurio), erhoben habe und fo den 
Sachſen den Sieg gebracht habe. Kaijer Rudolf von Habsburg habe ſpäter 
wegen der damit getriebenen Abgötterei den Strunk wegnehmen und in eine 
dazu erbaute Kapelle ſetzen, alſo verchriſtlichen laſſen. Der Stein ſteht aber 
heute noch als der fog. Hoyerjtein, ſüdweſtlich Bergſtätt in der Nähe des 
Welfesholzes, und hat heute noch ſeine Zauberbedeutung beim Landvolf. 
Dieſe iſt ſicher am letzten Ende vorchriſtlich; dieſer Tyodut wird genau in 
der gleichen Weiſe als Siegeszeichen errichtet wie nach dem Bericht des Widu⸗ 
kund von Corvey die Vorfahren der Sieger von 1114 nach ihrem Siege über 
die Thüringer vom Jahre 531 eine Irmenſul errichtet haben. Die vorchriſt⸗ 
liche Bedeutung des Jodute wird weiter noch dadurch erhärtet, daß nach 
Jakob Grimm )) nod im ſpäteren Mittelalter in Paderborn der Götze 
„Jodute“ auf eine Stange geſteckt und dann von den Dornehmiten des Landes 
mit Prügeln herabgeworfen wird). Die ſprachgeſchichtliche Erklärung des 
Wortes könnte nun äußerjt aufſchlußreich fein; aber leider gehen wie meiſt 
die Anfichten der Sprachforſcher weit auseinander 5). 

ber wenn Claudius von Schwerin in ſeiner Neuausgabe der 
Brunnerſchen Rechtsgeſchichte, S. 628, über die ſprachgeſchichtlichen Er⸗ 
klärungsverſuche des Rufs kritiſch bemerkt, was habe „man nicht alles in 
jenen ſchlichten Ruf hineingeheimniſt“, fo ijt eben die Dorausſetzung, daß 
jener Ruf ſo ſchlicht ſei, nämlich einfach Thiod Ut, alſo etwa Burſchen heraus, 
bedeute, keineswegs ſicher und vor allem iſt Schwerin offenbar die wichtige 
Tatſache unbekannt, daß das Wort nicht nur den Hlarmruf bedeutet, ſondern 
und jedenfalls zuerſt das Zeichen, die Säule, die auf dem Alarmplaß ſteht. 
Jener ſprachgeſchichtlichen Deutung ſteht eine andere gegenüber, die das Wort 
mit dem Götternamen Ou, dem Gott des Gerichts, zuſammenbringen will ®). 


1) Dal. mein Irmenſul und Rolandfäule, im Mannus 1925. 

2) Mit ausgezogenem Schwerte und dreimaligen „Wopene jo“ wurden die Dort⸗ 
munder Grafſchaftsbauern zur Gerichtsverſammlung auf dem Wulferichskamp geladen; 
Aug. Meininghaus, der alte Sreiſtuhl zu Dortmund, S. 17; ebenda S. 15, daß in älteſter 
Zeit die Semgerihte unmittelbar neben der Reinoldikirche ſtattfanden; der hl. Reinoldus 
trägt das Schwert, wie die Rolande, ohne einen Anhalt in feiner Legende; ebenſo der 
hl. Patroclus in Soeft; vgl. meinen Mannus-Hufſatz 1927. 

3) Dal. Ernft Mayer, Jodute (Rolandbild), Jeitſchrift der Savignuſtiftung für 
Rechtsgeſchichte, germaniſtiſche Abteilung, XLIV. Band, 1924. 

4) Julius von Gierke (Deichredt, Bd. I, S. 40) berichtet eine Art Beſchwörungs⸗ 
formel beim Deichbauen gegen die Waſſerfluten, früher anſcheinend ſogar mit Bauopfern 
(eingegrabenes Kind); O Tejodute de wei en de wo. 

) Müßte man nicht, angeſichts der Derichiedenheit und Unſicherheit der ſchrift⸗ 
lichen Überlieferung, vor allem unterſuchen, wie das Wort mundartlich ausgeſprochen 
wird. Es lebt nämlich noch in der Sprache, wenn auch nicht mehr in der beſonderen recht⸗ 
lichen Bedeutung des Alarmrufs. So gibt es in Braunſchweig eine Jodutenſtraße und nach 
heinrich Meier, Straßennamen der Stadt Braunſchweig, Wolffenbüttel 1904, wird 
in der zweiten hälfte des 16. Jahrhunderts dort ein Jodutenſtein erwähnt. Ferner gibt 
es einen Jodutenſtein bei Suderburg im Umte Bodenteich und bei Wilſede im Gericht 
Umelinghauſen, auch bei Diſſelhöfede. 

6) Dal. Ahrens, Über Namen und Zeit des Campus martius. Jahresberichte des 
Luzeums Hannover 1871,72; Derſelbe, Tigislege. Ebenda, 1870,71. 


17] Altgeweihte Stätten 349 


Die ſüddeutſche Sorm des Hlarmrufs, Jetergeſchrei, würde dazu paſſen; 
Du nach der Cautverſchiebung gleich Jiu. Aber man kann ja ſich wohl nicht 
in der Sache entſcheiden, wenn man nicht im engſten Sinne Fachmann, alſo 
Sprachgeſchichtler von Sonderfach iſt. Man iſt auch leider nicht in der Lage, 
die ſich häufig widerſprechenden Meinungen der Sprachforſcher nachzuprüfen; 
während unſere archäologiſchen Beweismittel im Gegenſatz dazu jedenfalls, 
wie man einmal hervorheben darf, den Vorzug haben, daß fie einfach vor⸗ 
gelegt werden und von jedermann nachgeprüft werden können !); ob 3. B. der 
auf dem helmbeſchlag von Upland neben Odin herfliegende Rabe mit dem 
Ring im Schnabel fo viel kElhnlichkeit hat mit dem ringtragenden Raben auf 
dem Bilde des heiligen Oswald mit dem Waller im grauen Mantel, daß 
man einen bildgeſchichtlichen Juſammenhang als vorhanden anſehen darf; 
ob die Lanze bei Sup und der wie witternd vorgeſtreckte Pferdekopf auf dem 
Reiterjtein von Hornhaufen und auf den erzenen heiltumszeichen der ſpäten 
Dölferwanderungszeit wirklich fo tupiſch find, daß fie zuſammenhängen 
müſſen, etwa durch ſakrale Vorgeſchriebenheit, oder ob fie nur zufällig jo 
ſtark übereinſtimmen. Recht auffällig iſt doch jedenfalls, was die eben be⸗ 
rührte Erklärung des Wortes Tijodut betrifft, daß in gewiſſen niederdeutſchen 
Gegenden, vorwiegend oſtfäliſchen, alſo gerade auch in dem Hauptverbreitungs- 
gebiet der Rolande, der Gerichtsplatz der Tie heißt ). Richard Rothe hat 
einmal mündlich geäußert, die Ableitung von Tiu ſei möglich, obwohl ſie 
nach dem Cautverſchiebungsgeſetz nicht ſtimme; denn Eigennamen veränderten 
ſich gelegentlich auch in einer anderen als der geſetzmäßigen Weiſe. 

Brunner ſchreibt im 1. Band der zweiten Auflage der Rechtsgeſchichte, 
noch von ihm ſelber beſorgt, S. 201: „Als der Gott, unter deſſen Schuß die 
vornehmſten Gerichtsverſammlungen ſtanden, iſt vermutlich der Tiwaz, Tius, 
Ziu anzuſehen, der in dieſer Rolle bei einzelnen Stämmen den Beinamen 
Thingſus geführt zu haben ſcheint“ .... „Es ijt der Gott, nach welchem wir 
den Dienstag (Tag des Tiwaz) benennen, der nur niederländiſch als Dingstag 
(Tag des Things) erſcheint ?)“. 


) Dal. zu dem Folgenden die Abbildungen in meinem Mannus-Auffak 1928. 
2) Dol, die Belege bei Ahrens,a.a.O., und bei mir Irmenſul und Rolandſäule, S. 21. 
. ) hans Naumann ſchreibt a. a. O. von einer volkstümlichen Doritellung, die 
nicht chriſtlich zu erklären iſt: „Reine Göttin, höchſtens ein primitives Geſpenſt“. Ja, 
läßt ſich denn dazwiſchen eine feſte Grenze ER, Es liegt doch einfach fo, daß die ſieg⸗ 
reide Glaubensform die Geſtalten der überwundenen Götterlehre zunächſt, nämlich ſolange 
man noch Wirkungen von dieſen befürchtet, alſo noch an ihr Daſein glaubt, als böſe Geiſter, 
Unholde, Dämonen bezeichnet; und ſpäter, wenn dieſe völlig verblakt find, als Geſpenſter, 
alſo als hirngeſpinſte. — Die herkunft der abenteuerlichen Kümmernislegende aus vor: 
chriſtlichen Beſtandteilen iſt freilich bisher nicht erweisbar. Aber die kirchenamtliche Er- 
klärung (Schnürer), daß man nach dem klufkommen des ſchmerzgequälten, unbekleideten 
Cruzifixus „in Deutſchland alsbald die bekleideten, ruhig ſtehenden Chriſtusbilder nicht 
mehr verſtanden habe“ (hans Naumann) iſt ſicher nicht zutreffend. In heilen (vgl. die 
beiden ſehr ſchönen Stücke in Marburg und Kaſſei), in Münſter, in Braunſchweig, hingen 
die bekleideten Chriſtusbilder immer an der Kirchenwand, ohne daß jemand je gezweifelt 
hätte, daß fie Chriſtus darſtellen und ohne daß ſich eine Kümmernislegende daran geknüpft 
hätte. Der bekleidete Gekreuzigte des Zmerward in Braunſchweig hieß allerdings früher 
die heilige Era. Dieſer Name, der jetzt kirchenamtlich bejeitigt iſt, iſt höchſt auffällig. Man 
müßte nach der Legende dieſer heiligen Era ſuchen, die natürlich völlig apokruph iſt. — 
Die Weihebedeutung des Hufeifens iſt ganz ſicher vorchriſtlich. Ihre germaniſch-mutho⸗ 
logiſche herkunft iſt durch Sagen und in Denkmälern (vgl. die Karlsiteine bei harburg a. d. 
Elbe, Gudensberg in Dellen) verhältnismäßig ſicher nachweisbar; trotzdem wird, und zwar 
religionsgeſchichtlich ganz naturgemäß, das hufeiſen auch in chriſtliche Legenden (Petrus) 
und in Ariitlicen Aberglauben verwoben. 


5. Klaſſiſche Archäologie. 


Ein kretiſches Ornament. 


Don G. Rodenwaldt. 
Mit 5 Abbildungen im Tert. 


Mit dem Erſcheinen des Namens der Achder auf hethitiſchen Ton⸗ 
tafeln, der die Ergebniſſe der archäologiſchen Forſchung beſtätigt, beginnt die 
myfenijde Kultur in das Licht der Geſchichte zu treten. Noch aber ſchweigen 
die Urkunden über Kreta und ſpotten die kretiſchen Archive ihrer Entziffe- 
rung. Solange dies der Fall iſt, gehört ſeine Kultur der Prähiſtorie an, und 
wir können ihr nur nahen mit den Methoden, die klaſſiſche Archäologie und 
Prähiſtorie miteinander gemeinſam haben. Reicher, üppiger und farbiger 
laſſen die Funde der letzten Jahrzehnte dieſe Kultur vor uns aufbluhen als 
die mancher Epochen, die im hellen Licht der Geſchichte liegen. Zu der faſt 
unüberſehbaren und von Jahr zu Jahr wachſenden Fülle ihrer Ornamentik 
will dieſer Beitrag ein beſcheidenes Glied hinzufügen. 

Die Sammlung des archäologiſchen Seminars der Univerfität Berlin 
beſitzt einige kleine Fragmente kretiſcher Fresken als Proben ihrer Technik 
und Farben. Eins von ihnen ijt, wie eine erneute Reinigung erkennen ließ, 
bei aller Jerſtörung fo glücklich fragmentiert, daß fic) eine Variation eines 
in anderen Beiſpielen ſchon bekannten Ornamentes daraus gewinnen läßt ). 
Das in Abb. 1 nach einer Photographie wiedergegebene Stück mißt in ſeiner 
größten Cänge 9,5, in der Breite 7,2 em. Die Dicke des Stückes vermindert 
ſich von unten nach oben von 2,3 auf 1,8 em; vermutlich ſtieß der obere Rand 
des Ornamentes an einen in das Mauerwerk eingefügten Holzbalken an, 
gegen den hin die Kalfunterlage ) dicker herangeſtrichen war. 

Den größten Teil der Fläche nimmt das ſatte Rot ein, das nach alter 
Tradition den Grund vieler mukeniſcher Ornamente bildet. Links ijt der 
obere Teil eines ſchwarz umriſſenen und ſchwarz gefiederten Blattes erhalten; 
neben ihm ijt an der linken unteren Ecke noch der Reit eines zweiten erkennbar. 
Rechts befindet ſich ein Teil einer Rojette mit blauem Hußenrand, ſchwarzen 
Bögen s) und einer Umrahmung durch eine weiße Punktreihe. Der rote 
Punktkreis im Innern läßt auf eine rote Mitte ſchließen. Am oberen Rande 
erſcheint rechts der Reſt eines hellroten Kelches, der von einem weißen Bande 
ausgeht, umrahmt von dicken ſchwarzen Umrißlinien. Techniſch ijt zu be= 

1) Es wurde dem Seminar ſeinerzeit mit anderen Fragmenten und Scherben von 
G. Coeſchcke geſchenkt, der ſie — unbekannt wann — auf dem an el von Knoſſos 

! Die Abbildung erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Direktors der Gomm: 
ung, F. Noack. 
: 9 Tiruns: Ergebniſſe der Ausgrabungen des Inſtituts. II, 205. 


3) Zur Form der Roſette vgl. Tiruns II, 57. Die kleinen Zwickel E dem 
dicken ſchwarzen Außenkontur der Rojette und den Bögen find ſchwarz ausgefüllt. 


2] Ein kretiſches Ornament 351 


merken, daß nur die Roſetten aus dem roten Grunde ausgeſpart waren; die 
blauen Blätter, das Weiß des Bandes und das hellrot des Relches find auf 
das Rot aufgeſetzt. Daher iſt die Spitze des inneren blauen Blattes abge⸗ 
ſprungen und nur in ihrem Umriß erkennbar. Das Rot iſt an einigen Stellen 
abgeſcheuert; beſonders gelitten hat, wie ſtets, die ſchwarze Farbe. 


Abb. 1. Sragment in Berlin. 


Wie dieſe Reſte zu interpretieren ſind, lehrt die ſchematiſche Rekon⸗ 
ſtruktion Abb. 2. Es handelt béi um eine Abwandlung jenes Ornament⸗ 
bandes, das ich aus einigen in Tiryns gefundenen Fragmenten herſtellen 
konnte (Abb. 5) ). Es beſteht aus ineinandergeſteckten, blattartigen Gliedern, 
in deren Innerem ſogenannte Dapyrusblüten der fünfblätterigen Form ſitzen, 
während auf dem Rand noch Teilblüten entſpringen 2). Ein urſprünglich rein 
lineares Ornament hat ſich hier mit einem naturaliſtiſchen, wenn auch 
ſchon ſtark ſtiliſierten Element verbunden. Es iſt ein Zeugnis jener Phaſe 
der kretiſchen Kunft, in der „die zuerſt lebendige formale Idee ſich ein Vor⸗ 


1) Tiryns II, Taf. VI, 6—8; Rekonſtruktion mit eingefügten Sraqmenten 8. 41, 
Abb. 11. Eine farbige Herjtellung, zu der ergänzend die ſchönen SE einer weiteren 
Variation aus Tiryns (a. a. O., Taf. VI, I) E wurden, enthält Taf. III von 
Rodenwaldt, Die Kunſt der Antike (Propuläen-KRunſtgeſchichte). 

2) Sür alle Einzelheiten der Sormen vgl. Tiruns II, 44 ff. 


352 G. Rodenwaldt [3 


bild der Natur ſucht, um ſich mit ihm zu vermählen“ )). Die weiße Blattum⸗ 
rahmung auf rotem Grunde kommt aus der Tradition des abſtrakten Orna⸗ 
mentes, das ſich in Variationen bis in die frühminoiſche Periode zurück⸗ 
verfolgen läßt 2). Die Blüten haben bereits eine Entwicklung in der figürlichen 
Wandmalerei durchlaufen “). 

Die Refonjtruftion iſt durch die Tirynther Fragmente in allem weſent⸗ 
lichen geſichert. Fraglich könnte allenfalls fein, ob man nach Analogie ein⸗ 
facherer Bildungen in der Keramik die weiße Umrahmung, ſtatt ſie ſpitz zum 
Kelch hineinzuführen, durch einen runden Bogen verbinden und dement⸗ 
ſprechend das Mittelblatt etwas verkürzen ſollte. Bei der Refonjtruftion 
mußten ferner Stücke benutzt werden, die von verſchiedenen Stellen des nicht 
ganz regelmäßig ausgeführten Bandes ſtammen. Im Original wird die 
Schwingung der Kurven glücklicher und eleganter geweſen ſein. 

In der kretiſch⸗mykeniſchen Ornamentik herrſcht eine Freude an der 
Variation. Das neue knoſſiſche Fragment bietet aber außer der zu erwar⸗ 
tenden Abwedjelung in Einzelheiten noch einen Unterſchied, der das Orna⸗ 
ment auf einer etwas früheren Entwicklungsſtufe zeigt. In Tiryns tritt der 
rote Grund ſehr viel ſtärker zurück. Das hängt damit zuſammen, daß Blüte 
und Roſetten enger ornamental miteinander verbunden ſind. Die äußeren 
Blütenblätter ſowie die ſeitlich auf dem weißen Bande entſpringenden Blätter 
folgen in ihrer Schwingung fo nahe und genau der Rundung der Roſette )), 
daß gewiſſermaßen ein roter Kreis um die Roſette entſteht, der von den 
weißen Pünktchen umrahmt wird, die den äußeren Rand der Blätter beſetzen. 
Auf dem neuen Fragment dagegen hat nicht nur die Rofette eine vollſtändigere 
Form, fondern die weiße Punktreihe ijt als begleitende Umrahmung zu ihr 
gehörig; das Blütenblatt hat eine eigene und ſteilere Kurve, die ſich von der 
Roſette entfernt und dem roten Grunde Raum gibt. Dieſe Stellung des 
Blattes iſt aber diejenige, die den Blütenformen der figürlichen Wandgemälde 
entſpricht, während die der Tirynther Blätter zugunſten der Eingliederung 
in das Ornamentfyjtem umgebogen ijt. Nächſtverwandt dem neuen Orna- 
ment — von der verſchiedenen Jahl der Blätter abgeſehen — iſt das große 
Reliefgefäß mit Papurusdickicht in Knoſſos 5), wo das Verhältnis zwiſchen 
Blüten und Roſetten ganz das gleiche ijt. In Knoſſos ſpüren wir noch die 
Zuſammengeſetztheit aus zwei Elementen, und die Blüte hat noch ihr eigenes 


1) L. Curtius, Die antike Kunſt. II, 36. 

2) Evans: Palace of Minos, I, 113, Sig. 80a, 6. 

5) Dal. 3. B. Evans, a. a. O., II, 477, Sig. 285. Eine andere und einfachere Form 
des Ornaments enthält breite Blüten ohne Blütenblätter. Ein Beiſpiel aus einem figür- 
lichen Fresko gibt Evans, a. a. O., 477, Sig. 285 B. Im Ornamentband erſcheint es 
bisher nut, aber ſehr häufig auf textilen Bortenmuſtern (Sufe, Journ. R. Inst. Brit. 
Arch. X, 1902, 117, Sig. 40; vereinfacht in Tiryns, Tiryns II, Taf. VIII und auf einem 
un veröffentlichten Fragment aus Mukenai) und in der . B. Evans a. a. O. 
476, Sig. 284 und Surtwängler-Loeſchcke, Mukeniſche Dajen, Tafel XVI, 105. Eine 
dritte Blattform läßt die Spiralen ſich nicht zuſammenſchließen, ſondern frei enden, 3. B. 
Evans, a. a. O. II, 485, Fig. 291, e ee Congefe e, 
Tafel II, B. S. fl. XXV (1921—25), Pl. 49. Daraus iſt in der geometriſierenden Er- 
ſtarrung der ſpätmukeniſchen Reramik die Form entſtanden, die in Beiſpielen bei Surt— 
wängler-Loeſchcke, Myukeniſche Dafen, Tafel XXXIV, 343 und XXXIII 332 vertreten 
it (vgl. Rodenwaldt, Arch. Anz. 1920, 14). Eingehender hoffe ich dieſe Formen in einer 
ee ee Bearbeitung der kretiſch-mykeniſchen Textilornamentik behandeln zu 
önnen. 

4) Der Verlauf des Blattes iſt bei den Ornamenten Tiryns II, Taf. III 9 und 
Tafel VII völlig geſichert; danach und nach den vorhandenen Anjagen ließ ſich die Rekon— 
ſtruktion der Fragmente Taf. VI 6—8 vornehmen. 

5) Evans a. a. O., II, 401, Sig. 231; Boffert, Altfreta?, 179. 


4] Ein kretiſches Ornament 355 


Leben; in Tiryns ijt ein einheitlicheres ornamentales Suſtem entſtanden. 
Ob man in dieſem Unterſchied mehr als eine Derjchiedenheit der Entwick— 
lungsſtufe des Ornaments ſehen darf, ijt angeſichts der unmittelbaren Sort- 
ſetzung der kretiſchen Wandornamentik durch die des Feſtlandes fraglich. Dor 
allem darf man weitergehende Schlüſſe nicht ziehen, ehe das knoſſiſche Bei— 


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ſpiel, das ſeinerzeit Syfe !) ſkizziert, aber nicht richtig verſtanden hat, erneut 
aufgenommen und veröffentlicht iſt. 
1) f. a. O. 125, Sig. 62. Ein zweites befindet ſich im Magazin des Muſeums zu 
Halfte ein (vgl. Tiruns II, 44 A. 1 „from area of N. E. Hall., ); es ſtammt von der linken 
älfte einer Blüte. Die Rojette ijt wie auf dem Berliner Fragment von einer hier un 
mittelbar auf dem Rande ſitzenden weißen Punftreibe umgeben. Aber auch der untere 
Rand des äußeren Blattes hat eine weiße Punktreihe wie die Tirunther Fragmente. Solche 
Details zeigen den ganzen engen Zuſammenhang und die feſte handwerkstradition zwiſchen 
kretiſcher und feſtländiſcher Malerei. Dom Rand ijt auf dem zweiten Sragment in Herafleton 
nichts erhalten. 


Mannus, Jeitſchrift für Dorgeſch., VI. Erg. ⸗ Bd. 23 


Abb. 2. Retonitruttion des Berliner Sraqments. 


[5 


G. Rodenwaldt 


sufi SND szueulvuzooubq suse uongnıluopy "e qqp 


6] Ein kretiſches Ornament 355 


Die Roſette hat dort (Abb. 4) die gleiche Form gehabt wie auf dem 
neuen Fragment. Auf dem weißen Rand hat Syfe ein Blattornament ange- 
deutet, das ſich häufig, namentlich in der Toreutik, als Randſchmuck findet ). 
In Tiryns iſt keine Spur davon vorhanden; wohl aber erſcheint auf dem Ber— 
liner Stück links neben dem held der Anfang eines feſten ſchwarzen Striches, 
der vielleicht zu einem derartigen Ornament zu ergänzen ijt. Für die Ridtig- 


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Abb. 4. Ornament aus Knojjos. 


keit der Rekonſtruktion von Syfe ſpricht auch das Vorkommen des gleichen 
Motivs auf dem allerdings ſehr vereinfachten Blattmuſter eines Goldjtreifens 
aus Mukenai (Abb. 5) 2). 

Die Blütenkelche waren auf dem von Fufe behandelten Stück gelb 
ebenſo wie auf dem Tirunther Muſter. Auf dem Berliner Fragment find fie 
in dem helleren Rot gemalt, das in der kretiſch-mukeniſchen Malerei und 


= 1) 3. B. Evans a. a. O., II, 639, Sig. 404. 
) Nach Al. J. B. Wace, A Cretan Statuette in the Fitzwillian Museum, DL XII, 
80a (vgl. S. 33). 


23* 


356 G. Rodenwaldt, Ein kretiſches Ornament [7 


Textilkunſt eine befondere Rolle fpielt und in der Verwendung ganz feſt von 
dem dunklen Rot unterſchieden wird 1). Auch mit dieſer Einzelheit werden 
wir in den Zuſammenhang ſchon bekannter Ornamentik geführt; denn hell⸗ 
rote Blütenkelche finden wir an den Blumen der großen Doppelſpirale, die 
ſich in Tiryns aus zahlreichen Fragmenten rekonſtruieren ließ ?). 

Es iſt kein Zufall, daß dieſes, Richtung und Bewegung ſo lebhaft be⸗ 
tonende Ornament ſowohl in der Keramik wie in der Wandmalerei beliebt 
war. Mit Recht iſt die Torſion, die rotierende Bewegung, als das charakteri⸗ 
ſtiſche Kennzeichen der Dekoration kretiſch-mykeniſcher Keramik bezeichnet 
worden. Gehört doch Bewegtheit und Beweglichkeit zum Weſen des kretiſchen 
Stils überhaupt. In der erhaltenen Keramik ſtehen uns dieſe Eigenſchaften 


beſonders ſinnfällig vor Augen. Aber einen ebenſo bezeichnenden Ausdrud 
fanden fie in der Dekoration des Raumes ). Im Gegenſatz zu Ägypten wird 
nicht jede Wand für ſich komponiert, ſondern in ungebrochenem Lauf ziehen 
ſich die Figurenfrieſe und die fie begleitenden Ornamente, ohne die Ecken 
zu beachten, rings um den Raum herum. 


1) Z. B. iſt der Grund von Ornamenten ſtets dunkelrot und niemals helltot. Als 
Grund von ten Stofſe de ee mit einer einzigen Ausnahme (Theben) ſtets hellrot 
die dunkelroten Stoffe des Cirynther Srauenfriefes haben kein Muſter). Die Bänder der 
eldereinteilung auf den Subboden find ſtets dunkelrot, während als Grund der Felder 
neben Blau und Gelb das helle Rot erſcheint. Dieſe für den Eindruck ſehr weſentliche 
Differenzierung iſt auf der auch ſonſt wenig glücklichen farbigen Abbildung des Sugbodens 


im hof des Megarons von Mukenai bei h. Boſſert, Sarbige Dekorationen, Taf. XVIII, 
nicht beachtet. 


2) Giryns II, Taf. VII. 

) Dol. Tiryns II, 218 ff.] Rodenwaldt, Fries des Megarons von Myfenai 
64, A. 59. Während §. Matz, Die frühkretiſchen Siegel 90 ff., die Verſchiedenheit der 
Raumdekoration in Agupten und Dorderafien gut analyfiert, hat er ſich das Komplement 
zur Corſion der kretiſchen Keramik, das ſich für die Raumdekoration nachweiſen läßt, 
entgehen laſſen. Der grundſätzliche Zweifel, den er 175, A. A unter Berufung auf das 
Caburinthfresko ausſpricht, ijt unberechtigt. Dieſes könnte einen beſonderen Übſchnitt 
wie die Niſchen in der Nordfaſſade des Zentralhofes in Phaiſtos (Evans a. a. O., 
I, 575, Sig. 271) geſchmückt haben. Aber auch Ausnabmen würden an dem überwiegenden 
Gebrauch, der durch erhaltene Ecken, durch die nachweisbare a Derbindung von 
Sigurenfrieſen mit Streifenornamenten, endlich durch das völlige Sehlen von Ecklöſungen 
bewieſen wird, keinen Zweifel erlauben. 


6. Kunſtgeſchichte. 


Ornamentik und darſtellende Hunt, 


Don Nils Aberg. 
Mit 8 Abbildungen im Tert. 


— — 


Ich habe mir folgende Frage geſtellt: weshalb iſt dieſe Blume ſtiliſiert? 
Weil ſie Ornament A und Ornamentik oft ſtiliſiert. Was ijt nun die 
Urjache der ornamentalen Stilifierung? Weshalb nimmt nicht die Ornamentik 
ihre Blumen direkt von den Wieſen her, weshalb muß das Natürliche ert 
unnatürlich gemacht werden, bevor es für die Zwecke der Ornamentik per: 
wendbar wird? | 

Es gibt eine Stiliſierung, deren Aufgabe es iff, durch ihre Übertreibung 
den natürlichen Eindruck zu verftärten. Wenn ein Künjtler verſucht, das 
Bild eines Raubtiers im Sprung wiederzugeben, fo bildet er nicht das Tier 
ab, wie es in einem beſtimmten Augenblid ausſah, ſondern er gibt ein in 
gewiſſen hinſichten ſtiliſiertes Bild von demſelben. Ihm ijt nicht das Tier, 
ſondern das Tier im Sprung das Weſentliche, und daher vergrößert er den 
Sprung ſelbſt, dehnt ihn gleichſam aus und übertreibt Momente, die damit 
zuſammenhängen, reduziert dagegen, ſchematiſiert oder unterdrückt Einzel: 

eiten von untergeordneter Bedeutung. Er nimmt mit anderen Worten eine 

tiliſierung vor, die den natürlichen Eindruck verſtärkt und ſomit ein wahreres 
Bild von der Natur gibt, als wie es ein gewöhnliches Menſchenauge auf— 
zufaſſen vermag. 

Als einen direkten Gegenſatz hierzu ſtellt ſich die ornamentale Stili— 
ſierung dar, die nicht die Aufgabe hat, den natürlichen Eindruck zu verſtärken, 
ſondern ſich vielmehr von der Natur entfernt, ſich in der Richtung nach dem 
Unnatürlichen hin entwickelt. Wir wollen nun die Geſetze der ornamentalen 
Stiliſierung unterſuchen. 

Die denkbar einfachſte Ornamentik beſteht in einer rhuthmiſchen Wieder— 
holung einer geometriſchen Figur oder von Gruppen ſolcher, wie Punkte, 
Kreiſe, Dreiecke, Striche uſw. In erſter Cinie muß alſo die Urſache des äſtheti— 
ſchen Genuſſes bei einer rhuthmiſchen Wiederholung klargeſtellt werden. 
Weshalb ſingen Arbeiter eine eintönige Melodie, wenn ſie eine ſchwere 
Arbeit ausführen, und weshalb fingen Soldaten ein taktfeſtes Lied, wenn 
fie in geſchloſſenem Trupp marſchieren? Weil fie eine gemeinſame Arbeit 
ausführen, welche erleichtert wird, wenn die Individuen ſich zu einer Einheit, 
gleichſam zu einem Organismus zuſammenſchließen, beherrſcht von einem 
einzigen Willen. Die Urbeiter haben gemeinſchaftlich einen Stein zu heben, 
die Soldaten gemeinſchaftlich ihren Trupp vorwärtszubringen. Der Rhythmus 
bindet ſie zuſammen, macht ſie gleichzeitig handeln und ſuggeriert ihnen den 
Glauben, daß die Arbeit leicht fei; denn was rhythmifd vor ſich geht, geht 
mit Leichtigkeit vor ſich. | 


358 Nils Aberg [2 


Der äſthetiſche Genuß bei dem Rhythmus, wie er in Tanz und Muſik, 
in Ornamentik, in der gereimten und rhythmifd behandelten Sprache erſcheint, 
hat feine Urſache in einer Empfindung davon, daß etwas mit großer Leichtig- 
keit vor ſich geht. Das Leben ſelbſt lehrt uns, daß die rhuthmiſche Handlung 
die leichteſte ijt. Die körperlichen Lebensfunktionen gehen in großer Aus- 
dehnung rhuthmiſch vor ſich: der herzſchlag und Pulsſchlag, das Atmen, 
die Bewegungen der Glieder bei einer gewohnten Arbeit. Aber auch der 
Gedanke will gern rhythmifd arbeiten. Er will von Urſache zu Wirkung 
laufen, ohne jähe Umſchläge, ohne unvorhergeſehene Momente, er will 
hinlaufen wie von Perle zu Perle an einer Perlenſchnur. Die eingeübten 
Gedankenbahnen, wo das Kommende mit monotoner Gleichförmigkeit kommt, 
wo gleichartige Momente ſich ſtändig wiederholen, ſie ſind für den Gedanken 
die leichteſten. Die Erfahrung zeigt ſomit, daß das Leben am leichteſten 
arbeitet, wenn es rhuthmiſch arbeitet. Daher gewährt der Rhythmus der 
Ornamentik Genuß, weil er gleichſam das Leben wiederſpiegelt, wenn es 
mit ſpielender Leichtigkeit arbeitet. Iſt alſo Ornamentik als Leben, als eine 
Wiederſpiegelung menſchlichen Lebens aufzufaſſen? Iſt Ornamentik dasſelbe 
wie eine Fläche beleben 

Gleichwie der Wüſtenwanderer ſich freut, im Sande eine Spur zu ſehen, 
die ihm andeutet, daß die Unfruchtbarkeit der Wüſte ſich wandeln wird, wenn 
er ſich gaſtlicheren Gegenden nähert, jo mutet es auch das Auge an, eine leere 
Fläche durch ein Ornament belebt zu ſehen. Die leere Fläche macht dem 
Auge den Eindruck der Unfruchtbarkeit, das Ornament iſt gleichſam die 
Spur eines lebenden Willens, der über die Leere dahingeſchritten iſt; es 
bricht die Ode der Fläche und regt an, indem es den Gedanken an menſch⸗ 
liche Ordnung und geſetzmäßige Organiſation wachruft. Hus dieſem Geſichts⸗ 
punkt läßt ſich alſo ſagen, daß die Ornamentik das menſchliche Leben 
wiederſpiegelt. 

Das Leben iſt eine Organiſation, beherrſcht von einem einzigen Willen. 
Das gilt ſowohl von dem eigenen Körper mit feiner Mannigfaltigkeit von 
Kräften, wie von dem Betätigungsfelde des Willens nach außen bin. Der 
Wille ordnet und beherrſcht, die Organiſation ſoll gehorchen und arbeiten 
ohne Widerſtand, ſoll arbeiten mit ſpielender Leichtigkeit. Ornamentik iſt 
eine Organiſation, iſt wie ein lebender Organismus, beherrſcht von dem 
ornamentalen Willen. Die Ornamentmotive ſind wie Zellen im Organismus, 
ihre Organiſation beſteht in rhuthmiſcher Wiederholung, in ſymmetriſchen 
Gruppierungen, in Feldereinteilung, Rahmen und Leiſtenwerk. Mit ſolchen 
Mitteln und anderen, die ſpäter zu ſchildern ſein werden, beherrſcht der orna⸗ 
mentale Wille ſein Material und macht es ſich untertänig. 

Wie alles Lebende beſitzt auch die Ornamentik gleichſam einen dunklen 
Trieb, zu wachſen und ſich auszubreiten, üppiger und reicher zu werden. 
Die Grenze ihrer Expanſion iſt durch die Fähigkeit bedingt, das Material 
zu beherrſchen. Das Weſentliche der Ornamentik ſind nämlich nicht die Details, 
aus denen ſie zuſammengeſetzt iſt, ſondern die Kraft, die die Details beherrſcht 
und ſie in eine geſetzmäßige Organiſation hineinzwingt. Das Huge muß 
mit Leichtigkeit dieſe Geſetzmäßigkeit erkennen, muß ſehen können, daß dort 
Einheit in der Mannigfaltigkeit iſt, daß Ordnung und Gehorſam herrſcht. 
Wird einer Ornamentik mehr Material zugeführt, als ihre Organiſation zu 
beherrſchen vermag, fo entſteht eine Überladung, die zur Auflöfung und zum 
Zerfall der Organiſation führen kann. Beiſpiele hierfür bietet die bunt 
der nordiſchen Völkerwanderungszeit. 


3] Ornamentik und darſtellende Kunit 359 


Die ornamentale Organiſation kann auf mannigfach verſchiedene Weiſe 
vor ſich gehen. Die Motive können bis ins kleinſte geordnet werden, es kann 
ihnen aber auch größere Freiheit gelaſſen werden, ſie können ungebunden 
durch Rhythmus und Symmetrie bleiben, fo daß fie ſchließlich anſcheinend 
ein vollſtändiges Wirrnis bilden. Dann bekundet ſich gleichwohl die Organi⸗ 
ſation in der Art und Weiſe, wie dieſe Ornamentik, dieſe chaotiſchen Flecke 
in Felder eingeſchloſſen, von Rahmen und Leiſtenwerk gebunden oder durch 
das Spiel der Farben oder durch Schatten und Cichter zuſammengehalten 
werden. 

Jit Ornamentik als Leben aufzufaſſen, jo braucht fie nicht auf die 
geometriſchen Motive angewieſen zu ſein, ſondern kann auch ihre Motive direkt 
dem Leben entnehmen, der Welt der lebenden Organismen, alſo Pflanzen, 
Tieren, Menſchen; man könnte hinzufügen Erzeugniſſe menſchlicher Arbeit, 
wie Dajen, Hausgeräte, Flechtbänder, die auch etwas von dem Leben in ſich 
ſchließen, das ſie ſchuf. Wenn die Ornamentik ſo das rein Geometriſche 
verläßt und die lebenden Organismen in ihren Bereich zieht, erhebt ſie ſich 
gleichzeitig m einen höheren Plan und erhält eine erhöhte Fähigkeit, die 
wechſelnden Erſcheinungen des Lebens wiederzugeben. Wir werden dieje 
Entwicklungsſteigerung in der lebensfrohen Runſt der klaſſiſchen Völker ver⸗ 


olgen. 

Die klaſſiſche Ornamentik liebt die Pflanzenmotive. Bisweilen werden 
dieſe faſt unmittelbar aus der Natur übernommen: Blätter und Zweige, 
Blüten und reife Früchte ohne oder mit geringer Stiliſierung. Freie Natur 
bezeichnen ſie gleichwohl nicht, die Organiſation tritt in ihrer Juſammen⸗ 
ſtellung zu Sträußen, Kränzen und Girlanden hervor, die oft mit flatternden 
Bändern umwunden oder geknüpft ſind. Die Organiſation kann ſich auch 
auf andere Weiſe geltend machen, beiſpielsweiſe, indem die Motive ſich parallel 
zu einem zuſammenhängenden Teppich ordnen oder fächerförmig von einem 
beſtimmten Punkt ausſtrahlen oder rhythmifd) wiederholt und ſummetriſch 
kombiniert werden. 

Wird dagegen ein Pflanzenmotiv in die Ornamentik eingeführt, ohne 
irgendwie gruppiert zu werden, alſo in voller Freiheit, jo tritt faſt mit Natur: 
notwendigkeit eine Stiliſierung desſelben ein. Die Stiliſierung tritt vielleicht 
nicht immer ſtark hervor. Dielleicht ſieht man leicht, welcher Art die Blume 
angehört. Aber man ſieht auch, daß die Blume nicht direkt von der Wieſe 
hergenommen iſt, ſondern daß ſie gelernt hat, zu gehorchen. Stiliſieren iſt, 
zum Gehorſam unter den ornamentalen Willen zwingen. Die Stiliſierung 
ſpielt dieſelbe Rolle wie das Ordnen bei Sträußen, Kränzen und Girlanden; 
eine Organiſation hat ſich dort betätigt, eine Wille hat dem Ganzen ſeinen 
Stempel aufgedrückt, dort iſt nicht mehr freie Natur, es iſt Natur, die zum 
Gehorſam gezwungen worden iſt. 

Der ornamentale Gehorſam iſt äſthetiſch anſprechend, weil er gleichſam 
einen Idealzuſtand abſpiegelt, nach welchem der menſchliche Wille hinſtrebt: 
ſeine eigene Organiſation ſo zu beherrſchen, daß ſie gehorcht und arbeitet 
ohne Widerſtand, ohne unnötigen Kraftverbrauch, daß fie mit ſpielender 
Leichtigkeit arbeitet. Es gewährt einen Genuß, dieſen Gehorſam unter eine 
Organiſation in Ornamentik verwirklicht zu ſehen. 

Wenn Ornamentik iſt, zum Gehorſam zwingen, und wenn Stiliſierung 
ein flusdruck für dieſen Gehorſam ijt, fo erhebt ſich die Frage, weshalb die 
Stiliſierung nicht ſtets bis zu ihrer äußerſten Grenze getrieben wird. Stehen 
nicht unter ſolchen Umſtänden die ſtiliſierten Tierfiguren der germaniſchen 


360 | Nils Äberg [4 


Völkerwanderungskunſt ornamental höher als beiſpielsweiſe ein klaſſiſcher 
Vogel, der an einer Traube pickt, oder die vierfüßigen Tiere, die ſich frei 
zwiſchen Blättern und Ranken bewegen? Es ſoll hier unterſucht werden, 
wie weit die Stiliſierung getrieben werden darf, ohne daß die ornamentale 
Organiſation dadurch Schaden leidet. 

In der klaſſiſchen Ornamentik kann die Stiliſierung bisweilen zu reiner 
Geometriſierung getrieben werden. Eine Borte, die einen Eindruck von 
Feſtigkeit erwecken ſoll, wird oft mit Cotusblumen verziert, fo ſtark ſtiliſiert, 
daß fie faſt in geometriſche Figuren übergegangen find. Hier wird nicht 
ein weiches und ſpielendes Rankenmotiv verwendet, weil eben die Borte 
hart fein ſoll wie eine eiſerne Kette. Soll ein Pflanzenmotiv zur Anwendung 
kommen, ſo muß es alſo erſt hart gemacht werden. Einen karten Eindruck 
aber macht die Geometriſierung, es liegt etwas von brutaler Kraft in einer 
derartigen Bezwingung eines lebenden Motivs. 

Aber auch abgeſehen von ſpeziellen Zwecken dieſer Art, iſt die ornamentale 
Stiliſierung keineswegs frei und willkürlich, ſondern an beſtimmte Geſetze 
gebunden. Man ſpricht, ſtreng genommen, nur von Stiliſierung lebender 
Motive. Die Stiliſierung macht dieſe gehorſam, indem ſie ſie eines Teiles 
ihrer natürlichen Freiheit beraubt, ſie in die Richtung zum Unnatürlichen hin 
zwingt. Dabei tritt jedoch eine allmähliche Minderung ihrer urſprünglichen 
Vitalität ein, die bei vollſtändiger Geometriſierung ganz verſchwindet. Die 
Aufgabe der lebenden Motive war es jedoch, der Ornamentik Leben zuzu⸗ 
führen, und werden ſie ihres Lebens durch zu ſtarke Stiliſierung beraubt, 
jo iſt ihre Aufgabe verfehlt, und die Ornamentik ſinkt wieder hinab zum 
geometriſchen Stil hin. hieraus ergibt ſich ſomit die Begrenzung der Stili⸗ 
ſierung. Stiliſieren iſt zum Gehorſam zwingen, aber lebende Organismen 
können nur bis zu einem gewiſſen Grade bezwungen werden. Geht die 
Stiliſierung weiter, ſo nimmt die Vitalität ab, und nimmt die letztere zu, 
ſo muß die erſtere abnehmen. Durch eine ſolche Wechſelwirkung kann die 
Ornamentik in einer geſchickten hand ein außerordentlich empfindliches 
Inſtrument bei der Wiedergabe der LCebenserſcheinungen in ihren verſchiedenen 
Abſtufungen werden. 

Die Vorliebe der klaſſiſchen Ornamentik für Pflanzen motive hat ihren 
Grund darin, daß dieſe eine ſtarke Stiliſierung vertragen, alſo ſehr gehorſam 
gemacht werden können, ohne ihre natürliche Vitalität einzubüßen. Anders 
die Tiermotive, die unter den Feſſeln der Stiliſierung bald ihre Lebenskraft 
verlieren. Die Tiere müſſen daher gewöhnlich das meiſte ihrer natürlichen 
Freiheit behalten. In klaſſiſcher Ornamentik werden gewöhnlich Tiere wieder⸗ 
gegeben, die entweder ſich frei und ungebunden in einem gehorſamen Laub— 
werk bewegen oder ſo weit gezähmt worden ſind, daß ſie gelernt haben, 
Bänder und Girlanden emporzuhalten. Das Tiermotiv bleibt ſomit nicht 
der ein reines Ornament, es wird nur Gegenjtand ornamentaler ‚Kom: 
poſition. 

Die primitiven Völker beſaßen nicht dasſelbe Vermögen wie die Haffi- 
Idien, in ihrer Ornamentik die lebenden Motive zu verwerten. Ein Natur⸗ 
volk konnte zwar ſolche unmittelbar aus der Natur hernehmen, gewöhnlich 
aber wurden fie raſch geometriſiert, fo daß beiſpielsweiſe Tier- und Menſchen⸗ 
bilder ſchließlich zu Jickzackbändern oder anderen mehr oder minder unver— 
ſtändlichen Figuren wurden. Es zeigt dies, daß das Gefühl für die Bedeutung 
der lebenden Motive gering war, wenn auch dieſe zunächſt verhältnismäßig 
naturaliſtiſch wiedergegeben wurden. 


5] Ornamentik und darſtellende Kunft 361 


Don Intereſſe in der hier berührten hinſicht (H auch die nordiſche VDölker⸗ 
wanderungskunſt, die von klaſſiſcher Kultur her ſowohl Pflanzen⸗ als Tier⸗ 
motive übernahm. Die Tiermotive wurden begieriger aufgenommen und 
beſſer verwertet, weil das Tier dem Menſchen näher ſtand als die Pflanze 
und daher leichter dazu verwendet werden konnte, menſchliche Derhältniſſe 
wiederzuſpiegeln. Die Pflanzen dagegen wurden kaum als lebend anerkannt, 
konnten mithin nicht auf dieſelbe Weiſe dazu gebracht werden, Leben wieder⸗ 
zuſpiegeln. Die lebenden Pflanzenmotive der klaſſiſchen Kunſt wurden daher 
nicht aufgenommen; nur die zu Spiralen geometriſierte Akanthusranke gelang 
es einigermaßen zu verwerten. Aber nicht einmal die einfache Spiralranke 
ließ man immer als ſolche fortleben; ſie zerfiel oft in ein Gewirr von zu⸗ 
ſammenhangsloſen oder rein geometriſch gruppierten Spiralen, die alle 
Spuren von dem Leben des urſprünglichen Motivs verloren hatten. So ſank 
die klaſſiſche Pflanzenornamentik bei den Barbaren herab zu einer geo- 
metriſchen Dekoration, die ſchließlich zu Flecken wurde, bedeckt mit Spiralen 
und eingeſchloſſen in mittelſt Rahmen und Leiſtenwerk gebundene Felder. 

kihnlich geſtaltete ſich die Entwicklung der Tierornamentik, die von 
den verhältnismäßig naturaliſtiſchen provinzial⸗römiſchen Vorbildern zu 
immer mehr ſtiliſierten Formen ging, welche ſchließlich in ein ſinnloſes 
Geknäuel von Körpern und Gliedern zerfielen oder ein wirres Spiel von 
Schlingen bildeten. Es entſtanden hier gleichſam Chaosflecke, die ſich über 
alle erreichbaren Sladen auszubreiten drohten, und die nur mit Schwierig: 
keit in gebührenden Grenzen gehalten werden konnten. Zwiſchen dieſem 
Chaos und den zuſammenhaltenden Kräften der Rompoſition kam es zu 
einer ſtarken Spannung, die dem Ganzen einen Eindruck von Leben und 
Aktivität verlieh. Die Ornamentik verlor jede Spur von dem Leben der 
tieriſchen Motive, erhielt aber Leben von anderer Seite her und ward jo 
zu einem wirkſamen Ausdrudsmittel für die jtarfe und leidenſchaftliche Ge- 
fühlswelt der Dölkerwanderungszeit. 

Nachdem die nordiſche Tierornamentik die höhe von Verwirrung und 
Aufldjung erreicht hatte, trat mit der Dendelzeit eine Renaiſſance ein, die 
zur Folge hatte, daß die zerfallenden Teile ſich wieder zu ganzen Tierfiguren 
zuſammenſchloſſen, andauernd gleich ſtark oder noch ſtärker ſtiliſiert, aber doch 
mehr organiſch zuſammengehalten. Die Stiliſierung nahm dann noch weiter 
zu, und die Wirkung der Ornamentik lag ſchließlich zu großem Teil in dem 
kühnen und eleganten Linienſpiel. Das Leben der urſprünglichen Tiermotive 
wurde ſo auf ein Minimum reduziert, ſcheint aber doch nie ganz verlöſcht 
worden zu ſein. Es ſieht aus, als habe man eine gewiſſe Befriedigung davon 
erfahren, daß dieſes geometriſche Linienjpiel bei näherer Prüfung ſich als 
aus einer Menge ſehr gefügiger Tiere beſtehend erwies. 

Der Unterſchied zwiſchen germaniſcher und klaſſiſcher Ornamentik tritt 
mit ſchlagender Schärfe bei einem Vergleich zwiſchen einer nordiſchen Tier— 
figur in jüngerem Dendelftil und einer klaſſiſchen Afanthusrante hervor. Der 
Germane ſtiliſierte ebenſo Worf und ebenſo elegant wie der klaſſiſche Rünſtler, 
aber ihm mangelte das Gefühl des letzteren für die Fähigkeit der lebenden 
Motive, Stiliſierung zu vertragen. Das Pflanzenmotiv erkannte er nicht als 
lebend an, bediente ſich alſo nicht desſelben, aber er ſtiliſierte das Tier ebenſo 
ſtark wie der klaſſiſche Künſtler die Pflanze ſtiliſierte. 

Bezeichnend für nordiſche Umſtiliſierung fremder Motive iſt auch die 
Ornamentik aus der erſten hälfte des 11. Jahrhunderts. Sie gab Menſchen, 
Pflanzen und Tiere wieder, alle in gleichartiger Weiſe ſtiliſiert mit Zipfeln 


362 Nils Aberg [6 


und Schnörkeln, die fid in haar und Bart, in Schwanz und Federſchopf, in 
Tiergliedern und Pflanzenteilen einniſteten. Es war, als wollte man aus 
lauter bekannten Elementen das Bild von etwas Fremdem zuſammenſtellen, 
oder als wollte man einen fremden Text in eine bekannte Sprache über⸗ 
ſetzen. So reagierte der nordiſche Rünſtler gegenüber der Natur. Er fühlte 
ſich einſam und fremd in einer großen und chaotiſchen Natur, die ihn gleich 
einer geheimnisvollen und feindlichen Macht umgab. Die Stilifierung iſt 
ſein Proteſt. Er will nicht einſam einer feindlichen Natur gegenüberſtehen, 
er will nicht dulden, daß die Natur ſich ihm ſo aufdrängt, wie ſie iſt, er will 
vielmehr, daß ſie ſich nach ihm richtet, 
will Ordnung und Gehorſam um ſich 
haben. Daher ſtiliſiert er. 

Die bunt der Antike ſtand weniger 
fremd der Natur gegenüber. Aud) fie 
forderte Ordnung und Gehorſam, aber 
nicht um den Preis einer gewaltſamen 
Bezwingung der Natur. Die Pflanze 
wurde ſtiliſiert, weil ſie eine ſolche 
Behandlung vertrug, die Tiere durften 
ihre Freiheit behalten. Eine glückliche 
Verbindung von Gehorſam und un⸗ 
gebundener Freiheit erreichte die 
klaſſiſche Ornamentik in der Zuſam⸗ 
menſtellung von Pflanzen⸗ und Tier- 
motiven: Tiere, die ſpielen oder jagen, 
Vögel, die an Trauben picken, flatternde 
Schmetterlinge, eitel Freiheit und 
Cebensluſt unter gefügigen Blättern 
und Ranken. 

Abb. 1. Die Freiheit der klaſſiſchen Orna⸗ 
mentik ſpiegelt auch eine andere Er⸗ 
ſcheinung wieder, die bisher nicht berührt worden iſt. Mit ſteigender Kultur 
wird der Einzelne mehr und mehr der Organiſation der Geſellſchaft unter⸗ 
geordnet, und damit macht ſich ein immer ſtärkeres Bedürfnis nach Freiheit 
geltend, indem das Individuum verlangt, daß ſeine Unterwerfung aus freiem 
Willen geſchehen ſoll, nicht aber unter Zwang. Dieſer ſchwer zu löſende 
Konflikt tritt auch in der Kunſt hervor, die ja nur menſchliche Lebenserſchei⸗ 
nungen abſpiegelt. Am deutlichſten erſcheint er vielleicht in der Entwicklung 
der darſtellenden Kunft, doch macht er fic) auch in der Ornamentik geltend, 
beiſpielsweiſe in der Zuſammenſtellung freier und gehorſamer Motive, Gegen⸗ 
ſätze, die einander ergänzen, indem ſie ſowohl das Bedürfnis nach Organi⸗ 
ſation wie das Derlangen nach Freiheit befriedigen. Aud) in Kompofition 
und Motivgruppierung kann dieſes Verlangen nach größerer Freiheit zum 
Ausdrud kommen. Eine ſtreng durchgeführte Symmetrie kann zuweilen als 
ſtarr, unfrei und drückend empfunden werden. Die Symmetrie d von fun- 
damentaler Bedeutung für klaſſiſche Ornamentik, notwendig für ihre Organi⸗ 
ſation und muß daher beſtehen, kann aber gleichwohl an untergeordneten 
Punkten aufgehoben werden, jo daß die Kompofition einen freieren und mehr 
abwechſelnden Charakter erhält. Ein Beiſpiel bietet das griechiſche Ranken⸗ 
motiv Abb. 1. 
Die ornamentale Organiſation iſt die Außerung eines Prinzips, das 


7] Ornamentik und darſtellende Kunit 363 


ſich in aller Kunft geltend macht. Es beherrſcht mithin auch die darſtellende 
Kunft, nicht von Beginn an, erobert ſie aber im Laufe der Entwicklung. In 
ihrem Anfange iſt die darſtellende Kunft nicht Kunft, nur beſchreibende 
Bilder, die durch ihren Inhalt ſprechen 1). Man weiß, daß kulturell weniger 
hoch entwickelte Völker Meiſter in ornamentaler Kunft und gleichzeitig unge: 
ſchickt und e e gegenüber der darſtellenden Runſt fein können. 
Eine ſolche Bilddarſtellung wie die in Abb. 2 wiedergegebene von dem Kult⸗ 
wagen des Oſeberger Schiffes ijt kein Kunſtwerk, vielleicht aber von derſelben 
Hand verfertigt, die mit überlegenem Geſchick die verwickeltſte ornamentale 
Kunjt beherrſchte. hier begegnet uns nur Unordnung und Planloſigkeit, 
und die zuſammenhaltende Kraft fehlt. Ahnliches gilt von der in Abb. 3 
dargeſtellten Seljenzeichnung auf dem Ramſundsberge in Södermanland, den 


Albb. 3. 


Bildern, die die Sage von Sigurd dem Safnirstöter ſchildern. Daß dieſe Bilder 
nicht Runſtwerke geworden find, liegt nicht an ihrem Inhalt, ſondern an der 
Kompofition. Es fehlt der ornamentale Wille, der das Material durchdringt 
und organiſiert und es gefügig macht. 

Die Unfähigkeit, durch die Kompoſition das Bildmaterial zu beherrſchen, 
fühlte man bereits damals als einen künſtleriſchen Mangel, dem man auf 
verſchiedene Weiſe abzuhelfen ſuchte. Junächſt ſtand nur ein Husweg offen: 
in größerer oder geringerer Ausdehnung den Bildinhalt in Ornamentik um⸗ 
zuwandeln. Ein Beiſpiel haben wir i1 der Chriſtusdarſtellung des Jellinge⸗ 
ſteins (Abb. 4), wo die Chriſtusfigur Bild geblieben, das Kreuz aber in 
ein Spiel von Schlingen umgewandelt worden iſt. Ein anderes Beiſpiel iſt 
das öländiſche Kruzifix Abb. 5, die Chriſtusfigur nur mit geometriſchen 
Spiralen an den Acdhjelhöhlen und die Hüftengegend aufgelöſt in ornamentale 
Schlingen. Die Entwicklung ging hier auf einem Wege, der nicht zum Ziel 
führen konnte. 


1 Wir ſehen dabei von dem primitiven Naturalismus ab, beiſpielsweiſe der paläo⸗ 
lithiſchen Kunſt, die eine eigene Erſcheinung bildet und ihre eigene Erklärung hat. 


364 Nils Aberg [8 


Ein anderer Ausweg war der, das Bildmaterial mit reiner Ornamentik 
zuſammenzuſtellen, beiſpielsweiſe es in Medaillons einzufügen und von 
blattreichen Ranken umſchlingen zu laſſen (Abb. 6). Damit wurden gewiſſe 
bedeutſame Refultate erreicht, aber zu dem endgültigen Ziele gelangte man 
gleichwohl auf dieſem Wege nicht. Das Problem näherte ſich ſeiner Cöſung 
erſt, als man einzuſehen gelernt hatte, daß die einzelnen Motive Bilder 
bleiben müſſen, die Rompoſition aber dem ornamentalen Willen unter: 
geordnet werden muß. Wie dies zuging, ſoll hier an einigen herausgegriffenen 
Beiſpielen veranſchaulicht werden. 

Als erſtes Beiſpiel mögen die Giebelſkulpturen des griechiſchen Tempels 
auf Agina dienen. Wie aus Abb. 7 hervorgeht, ſind die einzelnen Skulptur⸗ 
werke natürlich ausgeführt, aber zu | 
einer ſtreng fymmetrijden Rompo⸗ 


ſition vereinigt, in welcher rechts und links ſich völlig entſprechen und die Figuren 
in gleichen Winkeln nach beiden Seiten hin ſich neigen. Die ſtrenge Symmetrie 
der Kompojition iſt unabhängig von dem Bildinhalt, und fie iſt nicht natür⸗ 
lich. Hier herrſcht der ornamentale Wille, der das Bildwerk fic) gefügig 
gemacht hat durch eine rein geometriſche Gruppierung der Details zu einer 
geſchloſſenen Einheit. Die Rompoſition macht hier denſelben Eindruck wie 
eine ſtiliſierte Afanthusranfe, die aus einer Daſe emporwächſt und fic) ſym⸗ 
metriſch nach beiden Seiten hin ausbreitet. | 

In der darſtellenden Kunft der Renaiffance tritt uns dieſelbe Erſcheinung 
entgegen: die einzelnen Motive find Bilder, die Kompofition iſt ornamental. 
Ein Rünſtler der Hochrenaiſſance intereſſiert fic) vielleicht wenig für den 
Inhalt ſeiner Bilder, als feine Aufgabe fühlt er es vielmehr, aus einem an 
ſich intereſſeloſen Motiv ein Kunjtwerf zu ſchaffen. Die künſtleriſche Arbeit 
wird dabei in großer Ausdehnung in die Rompoſition verlegt, und die 
Aufgabe wird in der Weiſe gelöſt, wie es von Wölfflin in feinem berühmten 


9] Ornamentik und darftellende Kunft 365 


Werk über die Kunjt der Renaiſſance geſchildert worden ijt. Das Bild wird 
ornamental aufgebaut und organifiert, teilweiſe vollkommen unabhängig von 
dem Bildinhalt und nach rein geometriſchen Prinzipien. Einer lebenden 
Gruppe wird vielleicht die Form einer geometriſchen Pyramide gegeben. 
Figuren rechts werden durch Figuren links 
kompenſiert. Zwei Röpfe werden durch einen 
dritten gebunden, der die dritte Spitze in einem 
gleichſeitigen Dreieck bildet. Das Material 
wird in eine kleine Fläche geſammelt, eine 
Szene ſpielt ſich in engem Rahmen ab, denn 
ſammeln und konzentrieren iſt beherrſchen. 
Der lebende Bildinhalt wird ſo nach geome⸗ 
triſchen Grundſätzen geordnet, Linien und 
Sarben, Schatten und Lichter ſpielen gegen⸗ 
einander, Gegenſätze bringen einander ins 
Gleichgewicht. Die Beugung eines Arms und 
die Falte eines Kleides bilden eine geometriſch 
ſchöne Linie. Linien in einer Richtung erhalten 
eine Verſtärkung oder eine Gegenwirkung 
durch andere Linien in derſelben oder einer 
anderen Richtung. Durch derartige und 
mannigfache andere Kunftgriffe werden die 
Details zu einer geometriſch bedingten Ein⸗ 
heit verbunden, nahe verwandt mit der der 
Ornamentik, aber im Gegenſatz zu dieſer eine 
Organiſation gegen den Hintergrund eines 
wirklichen Bildinbalts darſtellend, der nicht 
vergewaltigt werden darf. Der Bildinhalt 
darf nicht mit denſelben brutalen Mitteln 
wie ein Ornamentsmotiv bezwungen werden, 
die Eroberung der darſtellenden Kunjt durch die ornamentale Organiſation 
muß daher verſchleiert und zu einer unſichtbaren Okkupation gemacht werden. 


Abb. 7. 


Die Unterwerfung der darſtellenden Kunjt kann ſomit ebenſo ſtark 
geſtaltet werden wie die der Ornamentik, ſie tritt aber in anderer Weiſe 
zutage. Die Organiſation der Ornamentik war mit Gewalt zwingend, die 
der darſtellenden Kunit ijt eine freiwillige. Das Bildwerk des äginetiſchen 
Tempels ſteht auf der Grenze, ſeine Rompoſition iſt reine Ornamentik, 
dagegen aber verſpürt man in den Schöpfungen der Renaiſſance meiſter nichts 


366 Nils Aberg [10 


gewaltſam Bezwingendes. Die Rompoſition mag teilweife nach geometriſchen 
Prinzipien aufgebaut ſein, die geometriſche Gebundenheit erſcheint gleich⸗ 
wohl nicht als Zwang, nicht als Unnatur, ſondern als freie Natur, die ſich 
freiwillig ordnet. Die Organiſation erhält ſo mehr den Charakter freiwilligen 
Zuſammenſchluſſes als gewaltſamer Bezwingung. Der menſchliche Wille 
lernt im Laufe der Entwicklung ſeine eigene Organiſation in immer freieren 
Formen ſpiegeln, ſchließlich unmittelbar in der freien und unberührten Natur. 

Die Eroberung der darſtellenden bunt durch die ornamentale Organi⸗ 
ſation führt ſo zu ähnlichen Erſcheinungen wie innerhalb der reinen Orna⸗ 
mentik. Die Motivgruppierung der Ornamentik von der ſtrengſten Gebunden⸗ 
heit durch Rhythmus und Symmetrie hin zu den freieren Formen mit immer 
lodereren Details, bis zu dem ganz Wirren, den chaotiſchen Flecken, die nur 


durch Seldeinteilung und Leiſtenwerk gebunden find, dieſe Erſcheinungen 
kehren auch in der darſtellenden Runſt wieder. Das Bildwerk des Aphaia- 
tempels repräſentiert die ſtreng durchgeführte Symmetrie, die geometriſche 
Gebundenheit. Über eine geometriſche Gruppierung braucht ſich nicht immer 
ſo elementar wie in rechts und links zu bekunden, ſie kann dadurch verhüllt 
werden, daß fie kompliziertere geometriſche Sormen annimmt, kann auch 
geometriſch verſchwinden, aber als ſolche für das Auge beſtehen bleiben, ſie 
kann auch für das Auge verſchwinden, jo daß die Details den Eindruck von 
Unordnung und Planloſigkeit erwecken, einer Planloſigkeit aber, die nur 
ſcheinbar iſt und darauf beruht, daß die Organiſation zu anderen Hilfsmitteln 
gegriffen hat. Die Möglichkeiten ſind hierbei unbegrenzt und können dazu 
gebracht werden, ſich ſchmiegſam verſchiedenen Zweden anzupaſſen. 

Die ornamentale Organiſation in der darſtellenden Kunft hat nicht 
nur die Aufgabe, die Details zu einer dem Auge leicht überſchaubaren ge⸗ 
ſchloſſenen Einheit zu verknüpfen, ſie kann auch dazu benutzt werden, den 
Bildinhalt direkt zu verſtärken, indem ſie bei dem Betrachter gewiſſe ſubjektive 
Empfindungen hervorruft, wie ſolche der Schwere, der Leichtigkeit, Ruhe, 
Bewegung, Lebhaftigkeit, Heftigkeit ujw. Wenn demnach die Ornamentik 


11) Ornamentik und darſtellende Kunft 367 


nur zu dem Zwecke ſtiliſiert, Gehorſam zu erzwingen, jo „ſtiliſiert“ dagegen 
die darſtellende Kunjt zu dem Zwecke, den Bildinhalt zu verſtärken. Sie kann 
Wolken und Baumzweige, Seljen und Steine, Wind und Waſſer dazu bringen, 
die Handlung zu verſtärken, die der Held der Szene ausführt. Bezeichnende 
Beiſpiele find in Wölfflins Arbeit über die Kunſt der Renaiſſance geſchildert. 

kihnliches gilt von der Motivgruppierung. Eine ſummetriſche Grup⸗ 
pierung zwingt durch ihren geometriſchen Bau die Hufmerkſamkeit nach der 
Mitte hin, und eine ſummetriſche oder rhuthmiſche Gruppierung, die an einem 
beſtimmten Punkt einen Bruch erfährt, zwingt die Hlufmerkſamkeit auf dieſen 
hin, wodurch die hier befindlichen Bildelemente eine erhöhte Betonung er⸗ 
halten. Eine ruhige und beherrſchte handlung wird durch eine ſtreng ab- 
gewogene Rompoſition verſtärkt, eine lebhaftere und beweglichere durch eine 
freiere Gruppierung der Einzelheiten, ein ungebundeneres Spiel von Linien 
und Sarben. Die gewaltſame Spannung einer Rampfſzene erhält eine erhöhte 
Gewaltſamkeit, wenn zugleich die ornamentale Organiſation bis an die 
Grenze des Chaos herangeführt wird, wo ſie gleichſam dazu gebracht wird, 
zu erbeben wie ein Schiff im Sturm unter dem Anprall der aufrühreriſchen 
Kräfte, die es darniederhalten und zum Gehorſam zwingen muß. 

Als Beiſpiel für die letztgenannte Erſcheinung fei Michelangelos Men: 
taurenkampf (Abb. 8) angeführt, in welchem der Kampf des Herakles und 
der Griechen gegen Eurytos und feine Kentauren um die geraubten Frauen 
dargeſtellt wird. Auf den erſten Blick hin erſcheint das Bildwerk wie Wirrnis 
und Chaos, ein Hohn auf alle Symmetrie und Geſetzmäßigkeit. Es macht 
den Eindruck eines chaotiſchen Durcheinanders kämpfender Geſtalten in un: 
geſtümen, verzerrten Bewegungen, ſich durcheinander ſchlingend wie ein 
Knäuel von Schlangen. „Bei näherer Betrachtung ordnet ſich jedoch das 
Ganze überſichtlich, ja ſummetriſch um Eurytos’ GE emporgerichteten und 
ſchönen Oberkörper. Es zeigt ſich, daß je elf S’guren ihn beiderſeits umgeben. 
Ja, alle Geſtalten haben ſozuſagen ihr Gegenſtück in verwandter Stellung“ ). 
Ein ſtark zuſammenhaltendes Element bildet auch die plaſtiſche Reliefbehand- 
lung mit ihrem Spiel von Schatten und Lichtern. Der wirre und chaotiſche 
Charakter der Kompofition iſt alſo nicht fo groß, daß fie nicht andauernd 
der zuſammenhaltenden Kraft des ornamentalen W.llens gehorcht. Aber 
die Grenze iſt erreicht, und die Spannung iſt auf ihren höhepunkt geſtiegen. 


1) Brandes, Michelangelo, Kopenhagen 1921. 


Die Entſtehung der germaniſchen 
Flechtbandornamentik. 


Don herbert Rühn. 
Mit 20 Abbildungen im Text. 


Über die Frage der Entſtehung der Flechtbandornamentik in der Kunſt 
der Völkerwanderungszeit iſt eine Einigkeit bisher nicht erzielt worden. Wird 
dies Ornament jetzt auch allgemein als tupiſch für die germaniſchen Kulturen 
angeſehen, ſo gilt es doch gleichzeitig als übernommen aus dem Ornament⸗ 
ſchatz der Antife. Die Beantwortung der Frage ijt deshalb ſchwierig, weil 
die Spätantike ein klar ausgebildetes Slechtband kennt, das beſonders häufig 
auf Moſaiken vorkommt, und zwar nicht nur als Randmuſter, ſondern auch 
als flächenfüllendes Element. 

In derſelben Funktion erſcheint ein Flechtband bei den germaniſchen 
Völkern der Völkerwanderungszeit, und es ijt durchaus verſtändlich, daß die 
Frage nach der herkunft des germaniſchen Ornaments auf außerordentliche 
Schwierigkeiten ſtößt. 

Dies Problem iſt methodiſch nur jo zu löſen, daß die Kontinuität der 
Entwicklung nach dem Fundmaterial unterſucht werden muß, wobei ſich 
herausſtellen wird, ob das Flechtband als fertiges Motiv in dem germaniſchen 
Inventar erſcheint oder ob ſeine innere, einheitliche, ungebrochene Entwick— 
lung aus anderen, vorgegebenen Formen erkennbar ijt. Sollte ſich das plöß- 
liche Huftauchen des Motivs ergeben, wäre der antike Urſprung erwieſen, 
ſollte ſich die langſame, in ſich notwendig bedingte, innere Umwandlung 
erkennen laſſen, wäre der autochthone Urſprung ſichergeſtellt. 

Nach langer Sichtung und immer neuer Prüfung des Materials auf 
dieſe Frage hin hat ſich nun für mich ganz deutlich und unzweideutig der 
zweite Weg ergeben: Das Flechtband iſt in der Dölterwanderungszeit neu 
geboren worden, geboren aus vorher anderen Formen, es iſt nicht fertig 
übernommen aus der Antike, ſondern hat als Ornament der Dölkerwande— 
rungszeit ſeinen eigenen Urſprung, feine eigene Entſtehung in dieſer Zeit ſelbſt. 

Ubernommen ijt aus der Untike die Ranke, der Mäander, der Kerb- 
ſchnitt, die Palmette. 

Die Palmette, ein Motiv, das auch die Antike wieder übernommen 
hatte — es ſtammt aus Dorderafien und in feiner älteſten Form als Cotos— 
blume aus Agupten — wird zuerſt entlehnt. Sie kommt vielfach vor auf den 
gotiſchen Silberblechfibeln, an der Unſatzſtelle des Bügels an der Kopfplatte 
und am Fuß. Solche Stücke mit gut ausgebildeter Palmette finden ſich in 


2 Die Entſtehung der germaniſchen Slechtbandornamentik. 369 


Arcy-St. Reſtitue (Dep. Aisne) 1) (Abb. 1), in Brescia?) (Abb. 2), Nagu⸗ 
varad (Com. Bihar) ) (Abb. 3), Marchélepot (Dep. Somme) *) (Abb. 4) in 
Spanien ®) (Abb. 5) und an einigen anderen Stellen. 

Die ſehr weite Verbreitung dieſer Fibeln von Ungarn über Frankreich 
bis Spanien entſpricht der ſchnellen Wanderung der Goten von 401—418. 
Damit find auch dieſe Sibeltypen zeitlich beſtimmt. Don der Mitte des fünften 
Jahrhunderts ab find die Sibeln gegoſſen und jetzt verliert ſich langſam die 
Palmette. Auf einem Stück aus Straßburg) (Abb. 6) (noch nicht gegollen) 
iſt die Palmette ſchon nicht mehr zu erkennen. Nur je ein Halbkreis und Niet⸗ 
punkte ſind übrig geblieben. 

Nach 480 iſt die Palmette ganz verſchwunden: ein fremdes Element, 
das aufgenommen wurde, das keine innere Weiter⸗ 
entwicklung erlebte und deshalb ſtarb. Es konnte 
nicht aſſimiliert werden, es konnte auch nicht um⸗ 
gebildet werden, und ſo erlag es der Entwicklung. 

Anders iſt es mit der Ranke, dem Mäander⸗ 


Abb. 1. ArcysSt. Reſtitue. Abb. 2. Brescia. Abb. 3. Nagyvarad (Com. Bihar, 
Dep. Aisne. 14 nat. Gr. 1, nat. Gr. Ungarn). 14 nat. Gr. 


und dem Kerbjdnitt. Alle drei Motive wurden ſchon von den Weſtgoten 
aufgenommen. Sie erſcheinen ſämtlich auf den gegoſſenen gotiſchen Silber⸗ 
blechfibeln. Die zuerſt aufgenommene Ornamentik iſt der Rerbſchnitt. Er 
tritt ſchon bei den ungegoſſenen Silberbledfibeln der erſten Jahrzehnte des 
fünften Jahrhunderts auf (Hbb. 3, 4). Auf die glatte Fibel werden gepreßte 


1) Montelius: Den nordiska järnälderns kronologi. Svenska fornminnesför. 
tidskrift. Bd. IX — X. Stodholm 1896 1897, Abb. 228. — Aberg: Die Sranten und 
Weſtgoten in der V 1922. Abb. 69. 

2) A. Götze: Gotiſche Schnallen. Berlin o. J., Abb.1. — Aberg: Die Goten 
und Langobarden in Italien. 1923, Abb. 25. 

. Hampel: Altertümer des frühen Mittelalters in Ungarn. Braunſchweig 
1905, II, S. 693. — Aberg: Die ranken und Weſtgoten in der Dölterwanderungsseit. 
1922, Hbb. 71. 

) Boulanger: Le eimetière franco-mérovingien et carolingien de Marchélepot 
(Somme). Paris 1909, Taf. II. — Aberg: Die Sranten und Weſtgoten. 1922, Abb. 73. 

) Aberg: Franken und Weſtgoten. 1922, Abb. 306, 307, 314. 

*) Salin: Die altgermaniſche Tierornamentik. Stockholm 1904, Abb. 26a, — 
Aberg: Sranken und Weſtgoten. 1922, Abb. 08. 


Mannus, Jeitſchtift für Vorgeſch., VI. Erg.-Bd. 24 


370 herbert Kühn [3 


Silberbleche aufgelegt. Eine ſolche Sibel, bei der der Rerbſchnitt die ganze 
Kopfplatte und den Fuß bedeckt, ſtammt aus Kärlich (Koblenz) 1) (Abb. 7). 


> 


NN 
NUN 


Abb. 4. Marchélepot (Dep. Abb. 5. Spanien, ohne Sund- Abb. 6. Straßburg (Elſaß). 
Somme). ½ nat. Gr. e Madrid. 1, nat. Gr. 
Lu Nat. OF. 


Abb. 7. Kärlidy (Koblenz). Abb. 8. Gäng, Ungarn. Abb. 9. Tarragona (Spanien). 
1. nat. Gr. 14 nat. Gr. % nat. Gr. 


Der Zeit nach 450 gehören die Silberblechfibeln mit Rankenornamentik 
an. Die Rankenornamentik taucht ebenſo wie die Rerbſchnittornamentik 


yy) Salin: Die altgermaniſche Tierornamentik. 1904, Abb. 29. — Aberg: Sranten 
und Weſtgoten. 1922, Hbb. 74. 


4) Die Entſtehung der germaniſchen Slechtbandornamentik. 371 


unvermittelt auf — es gibt keine Dorformen, keine Entwicklungsſtufen — ein 
deutlicher Beweis alſo, daß hier ein fertiges Motiv entlehnt worden iſt. 

Bei der Sibel aus GAva!) (Ungarn) (Abb. 8), die zu den älteſten Sibeln 
mit Rankenornamentik gehört, iſt ſofort Kopfplatte und Fußplatte ganz über: 
zogen mit Ranken, die durchaus antiken Typus tragen. Die Fibel iſt gegoſſen 
und gehört der Zeit zwiſchen 450 und 460 an. 

Noch etwas ſpäter tauchen Mäanderformen auf. Sie gehören wie die 
Rankenmotive erſt der Zeit nach 450 an. Sie erſcheinen zuerſt bei den ge⸗ 
goſſenen gotiſchen Silberblechfibeln. Zu den älteſten Typen dieſer Art gehört 
eine Fibel des Berliner Muſeums, die aus Tarragona in Spanien ſtammt 3) 
(Abb. 9). Sie trägt an der Anſatzſtelle des Bügels noch ein Schraffenmotiv 
im Halbkreis, das an die Stelle der urſprünglichen Palmette getreten iſt. 

So find alle vier Motive: Palmette, Rerbſchnitt, Ranke, Mäander 
fertig übernommen worden. Sie ſtammen ſämtlich aus der antiken Welt. 
Die Palmette wurde eliminiert, Rerbſchnitt, Ranke und 
Mäander lebten aber durch 100 Jahre hindurch fort. Ihre 
Herrſchaft liegt in der Zeit von 450—550. In dieſer Zeit 
werden neue Ornamentmotive nicht aufgenommen. Es iſt 
die Zeit, in der die germaniſchen Stämme die Herrſchaft 
in Europa haben, die Zeit, in der Theoderich den Ge⸗ 
danken der Verbindung des germaniſchen Elementes mit 
dem antiken dachte, die Zeit der Verſchmelzung, Annähe⸗ 
rung, Verbindung. 

Erjt nach 550 erwacht das Bedürfnis nach Der: 
ſelbſtändigung, Loslöfung. 553 find die Goten am Deſuv 
geſchlagen, 558 wird das Frankenreich wieder vereinigt 
unter Chlotachar I.: überall Gründe für ein neues Aufleben 
des ban dieser Ja 

In dieſer Jeit nun erlöſchen die alten Formen: ; 
Kerbſchnitt, Ranke, Mäander. Ein Neues entſteht, das n 
aus dem Alten herauswächſt, aber ein anderes Geſicht ½ nat. (e 
gewinnt: die Flechtbandornamentik. Sie ijt nicht plötzlich 
da wie Rerbſchnitt oder Ranke, ſie erwächſt ganz langſam. Man kann die Stufen 
der Entwicklung verfolgen, man kann ſehen, wie dieſes Motiv Leben gewinnt, 
wie es wird, wie es anfängt zu atmen, bis es ſchließlich die herrſchaft gewinnt 
und zum Ausdrud des germaniſchen Weſens überhaupt wird. 

Die Entwicklung geht vor ſich an den Fibeln mit ovalem Sup. Dieſe 
Typen fehlen ganz im gotiſchen Gebiete ſowohl bei den Weſtgoten wie bei 
den Oſtgoten; in Skandinavien, im fränkiſchen Gebiet ſind ſie ſelten, ſie müſſen 
alſo, wie auch Aberg feſtſtellte ), mitteldeutſchen Urſprungs ſein. Die älteſten 
Stücke dieſer Art gehören in die Zeit um 500. Eine Fibel aus dem Grab 84 
in Weimar (Abb. 10) erlaubt die genaue Datierung: ſie iſt zuſammen mit 
einer Münze des Kaifers Zeno, der von 474 bis 491 lebte, gefunden worden )). 
Dieſe Fibel hat ſtark gotiſche Elemente, die in den Almandineinlagen und 
in den einander gegenübergeſtellten Dogeltöpfen der Kopfplatte erkennbar 


2 Abera: gra Jeitidrift, 1912, S. 187. 


erg: Stanfen und Weſtgoten. 1922, Abb. 314. 

) Aberg: Die Stanten und Weſtgoten. 1922, S. 121. 

) A. Goge: Die altthüringiſchen Sunde von Weimar. Berlin 1912, 5.3. — 
€. Brenner: Der Stand der Sorſchung über die Kultur der Merowingerzeit. VII. Bericht 
der römiſch⸗germaniſchen Kommiſſion 1912. Frankfurt 1915. S. 329, Abb. 16, 1. — 
Aberg: Sranken und Weſtgoten. 1922, S. 123, Abb. 174. 


24* 


372 herbert Kühn [5 


find. Die Herkunft des Typus (H aljo ebenſo wie die der anderen Typen 
die gotiſche Silberblechfibel, ihre Ausbildung gewannen die Sibeln mit ovalem 
Sub aber in Mitteldeutfchland, beſonders in Süddeutſchland und am Ober⸗ 
und Mittelrhein. 

Die älteren Stücke dieſer Art tragen noch Kerbjdnitt-, Ranken⸗ oder 
Mäanderverzierung. 

Um 550 aber wandelt ſich das. Die Rerbſchnittverzierung ift einfacher 
geworden, manchmal ſind es nur nebeneinandergeſtellte Schraffen, manchmal 
Jickzackreihen, die von oben nach unten verlaufen. 

Solche Jickzackreihen der Zeit kurz vor 550 kommen etwa vor auf einer 
Sibel aus Heilborn 1). Die Jickzacklinien find aber in eine ganz eigentüm⸗ 


Abb. 11. Ravenna. Abb.12. Belfort(Sranfreich). Abb. 13. Lucy (Ribemont, 
2/, nat. Gr. 2/, nat. Gr. Dép. Aisne). Nat. Gr. 


liche Bewegung gekommen: Sie ftehen auf der Mitte der Fußplatte gegen: 
ſtändlich gegenüber, ähnlich wie bei Abb. 12, und ſchaffen fo einen un⸗ 
ruhigen, zerriſſenen Eindruck, einen Eindruck, der doch gehalten wird durch 
die feſte axiale Bindung, die ja die Ornamentik der Völkerwanderungszeit 
nie aufgegeben hat. | 

Auf einer anderen Sibel aus Wurmlingen ?), die ebenſo in Worms 
wiederkehrt, find dieſe Zidzadlinien noch ſonderbarer geworden: fie 
gehen untereinander Derbindungen ein; die Linienführung hat ihre klare 
Richtung verloren, fie verſchränkt ſich in ſich ſelbſt. Mit dieſer Form iſt der 
Anjagpuntt gegeben und jetzt geht die Entwicklung ſchnell vorwärts. Auf 
einer Sibel aus Ravenna’), dem langobardiſchen Typus angehörig (Abb. 11) 
iſt die Ornamentik der Fußplatte noch mehr zerriſſen, der Bügel trägt noch 
den Mäander, die Kopfplatte aber bringt ſchon klufſplitterungen der alten 


*) Bericht des hiſtoriſchen Dereins Heilbronn, h. 7, 1904, Taf. III, 12. — Aberg: 
Franken und Weſtgoten. 1922, Abb. 190. 

) Aberg: Franken und Weſtgoten. 1922, Abb. 197. 

3) Aberg: Franken und Weſtgoten. 1922, Abb. 216. 


6] Die Entſtehung der germaniſchen Slechtbandornamentik. 373 


Kerbichnitt- und Jickzackornamentik: runde Linien ſchieben ſich durch die 
geraden, ein ungeklärtes Ganze der Formen iſt entſtanden. 

Ganz ähnlich in der formalen Geſtaltung ijt eine Sibel aus Belfort !) 
(Abb. 12), bei der auch die Fußplatte noch das Zidzadmotiv zeigt, der Bügel 
den Mäander, die Kopfplatte aber neue Formen, die noch nicht Slechtband 
ſind, aber deutlich dahin tendieren. Dieſe Stücke find typifche Stücke des 
Übergangs, des Suchens, des Verſuchens, bis die neue Form gefunden iſt. 

Einen Schritt weiter geht dann eine Fibel aus Lucy (Ribemont, Dep. 
Aisne) 2) (Abb. 13), demjelben- Typus angehörig. Die Fußplatte hat noch 
reine Mäanderformen, ebenſo der Bügel, die Kopfplatte aber zeigt Schraffen⸗ 


Abb. 14. Schretzheim (Bayern). Abb. 15. Worms⸗ Bollwerk. Abb. 16. Nordendorf, 
nat. Gr. Si nat. Gr. Bez. Schwaben. ½ nat. Gr. 


ornamente, von denen einige wie verflochten find: der Anfang einer Slecht: 
bandornamentik, hier noch kaum erkennbar. 

Deutlicher ijt das Ornament auf einer Sibel aus Schretzheim (Bayern) 9) 
(Abb. 14). Wieder haben Sub und Bügel noch klare Mäanderformen. 
Die Kopfplatte aber hat Schraffenformen, die horizontal und vertikal ger: 
laufen und jo den Eindruck des Flechtens geben. Plötzlich aber — als wenn 
der Künftler die Wirkung während der Arbeit bemerkt hätte — ſitzt in der 
Mitte der Kopfplatte ganz unvermittelt zu dem anderen Ornament, ein 
kleines, gedrehtes Slechtmotiv, das erſte, das als Slechtband im eigentlichen 
Sinne erkennbar iſt. Dieſe Sibel gehört zu den Typen mit gleichmäßig breitem 
Sub, einer fränkiſchen Form, die das ausgebildete Slechtband nicht mehr kennt. 
Der Typ erliſcht gegen 550. Dieſes Stück gehört alſo zu den letzten feiner Art. 


1) C. Barri¢re-Slavy: Les arts industriels des peuples barbares de la Gaule. 
Touloufe-Paris 1901, Taf. B 2, 3. 
Boulanger: Le mobilier funéraire gallo-romain et franc en Picardie et en 
Artois. Saint-Quentin, Taf. 38, 7. 
) Jahresbericht des hiſtoriſchen Dereins Dillingen. Dillingen 1897, Taf. UI, 3. 


374 herbert Kühn [7 


Es ijt außerordentlich eigentümlich, daß kurz nach 550 nicht nur der 
Rerbſchnitt übergeht in die neue, ganz allmählich fic) bildende Flechtband⸗ 
ornamentik, ſondern auch die Ranke. Alle drei Formen löſen ſich faſt 
gleichzeitig auf, verſchieben ſich erſt, verlieren die Klarheit der antiken Form, 
das Zweidimenſionale der Zeichnung und beginnen raumhaft zu werden: 
die Cinienführungen ſchieben ſich untereinander, fo daß gleichſam mehrere 
Ebenen entſtehen. In dieſem Bedürfnis nach Mehrſchichtigkeit, in der 
Auflöfung des Flächenhaften liegt die Haupttriebkraft zur Bildung des 
neuen Ornaments. 3 

Es gibt eine Sibel aus Worms (Abb. 15), bei der man erkennen kann, 
daß auch die Rankenornamentik zum Slechtband tendiert. Noch find auf diefer 
Sibel regelrechte Rankenformen, etwa am unteren Ende der Fußplatte, zu 


Ditt? 
— mun ty 


Abb. 17. Monceau⸗le⸗Neuf Abb. 18. Wolfskehlen, Abb. 19. SAAN esi 
(Dep. Aisne). nat. Gr. Kr. Grop-Gerang. ?/, nat. Gr. Kr. Alzey. ?/, nat. Gr. 


fehen, am oberen Ende der Sußplatte entſteht ſchon eine Derfdlingung — 
noch nicht ausgeführt, aber in den Anfängen erlebt. 

Sehr ähnlich in der Motivveränderung iſt Abb. 16. Auf der Fußplatte 
erſcheint neben dem Rerbſchnitt auch die Ranke, auf der Kopfplatte hat 
das Rankenmotiv Unſätze zur mehrflächigen Verſchiebung, zur Bildung des 
Fechtbandes. 

So führen mit großer zeitlicher Schnelligkeit beide Formen zu demſelben 
neuen Motiv: dem Slechtband. Zu dieſem Motiv führt nun auch das dritte 
Element: der Mäander. ` 

Eine Sibel aus Monceausle-Neuf (Dep. Aisne) !) (Abb. 17) macht 
das deutlich. Sie zeigt gleichzeitig die Übergangsformen und das erſte 
entwickelte Sledtbandmotiv. Die Kopfplatte hat noch die alten Schraffen⸗ 
formen, der Mittelteil das ungeklärte Ornament des Übergangs, die Sub: 
platte die ſchräggeſtellten Schraffen, die ebenſo wie die Zidzadlinien die 


11.8. Dou: Etudes sur d’anciens lieux de sépultures dans l’Aisne. Saint: 
Quentin 1886 — 1905, III, Taf. VII, 3. 


8] Die Entſtehung der germaniſchen Slechtbandornamentik 375 


Idee des Flechtbandes gaben, der Bügel aber hat ſchon ein ausgebildetes 
Flechtmotiv, das deutlich aus dem Mäander herſtammt. Die meiſten Bügel 
haben ein Mäanderornament wie Abb. 11. In der Zeit um 550, als die 
letzten Formen ſich auflöſen, gewinnt auch dies Mäanderornament die 
Formen des Flechtbandes. Auf Abb. 18, einem Stück aus dem Muſeum 
Darmſtadt, ijt der Übergang genau erkennbar. Hier iſt die alte Mäander⸗ 
form langgezogen, abgerundet, vereinfacht: die Verbindungen für das 
Flechtbandmotiv find gegeben. Dieſelbe Fibel zeigt auf der Sußplatte 
ſchon das entwickelte Bandornament, auf der Kopfplatte ein Stadium, das 
noch vor der klaren Entwicklung liegt. 

Auf Abb. 19 iſt das fertig entwickelte Slechtband erkennbar, aus dem 
Mäander entſtanden. 

Nun ging die Entwicklung ihren Gang. Das Flechtbandornament hatte ſich 
herauskriſtalliſiert, es eroberte ſchnell die 
Zeit, mit ſeinem Entſtehen verſchwanden 
endgültig Rerbſchnitt, Ranke, Mäander. 
Alle drei Motive find gleichzeitig und neben⸗ 
einander die Väter des germaniſchen 
Slechtbandes. Das Flechtband ſelbſt aber 
iſt etwas gänzlich Neues, Anderes, Weſens⸗ 
verſchiedenes. Es hat nichts zu tun mit 
dem antiken Flechtband, zu dem keine 
hiſtoriſche Brücke führt. Das germaniſche 
Slechtband der Dölkerwanderungszeit iſt 
durchaus ſelbſtändig neu entſtanden, ge⸗ 
ſchaffen durch die germaniſchen Völker ſelbſt. 

Nach dem Fund material dürfte ſomit 
eine alte, bis jetzt ungeklärte Frage ent⸗ 
ſchieden ſein. Es hat ſich gezeigt, daß 
Dehios 1) Anficht irrtümlich war, wenn 
er ſagte: „Hinſichtlich der Motive wird indes 
auch hier aus dem Vorrat der Antike ge⸗ 
ſchöpft. Die Spiralwelle und das Slechtband 
werden aufgegriffen, zuerſt noch unver⸗ Abb. 20. Quedlinburg, 
ändert nachgeahmt und endlich in ganz baby- Servatiuskirche, Kapital. 
loniſche Verwirrung gebracht“. Wenn dieſe 
KUnſchauung be die Spirale richtig ift, dann doch nicht für das Slechtband. 

Geworden iſt es in Süddeutſchland und am Oberrhein und mit den 
Cangobarden ſchon nach Italien gewandert. Und damit iſt auch die Jeit der 
Entſtehung feſt gegeben. Um 568, als die Langobarden nach Italien gingen, 
war es in der einfachen orm ſchon gebildet, bis 550 können wir das Kerb- 
ſchnitt⸗, Ranken⸗ und Mäanderornament verfolgen. Die Entwicklung zum 
Slechtband geſchah alſo zwiſchen 550 und 565. 

Das Flechtband, das dem Gefühl nach der Verſchlingung und Durch— 
dringung der Welt, nach Suchen und Fragen metaphyſiſch am ſtärkſten ent- 
gegenkam, das dem nordiſchen Lebensgefühl viel ſtärker entſprach als der 
klar gezeichnete Mäander in ſeiner formalen Schärfe, lebte lange hinaus über 
die Zeit der Völkerwanderung. Es entſtand aus ihm ſehr bald der Cierſtil, 
unverändert aber lebte es immer fort bis weit in die romaniſche (Abb. 20), 
bis in die Anfänge der gotiſchen Jeit hinein. 

1) Dehio: Deutſche Runſt, I, S. 19. 


Neue Begriffe zur Erfaſſung der deutſchen Kunit. 


Von Maria Grunewald. 


In der Geſchichte der deutſchen Kunjt wird gewöhnlich viel von Ein⸗ 
flüſſen geredet, die von außen her auf ſie gewirkt haben. Die Betonung 
ſolcher Anregungen wird übertrieben. Anregungen muß jeder Künſtler von 
überall her nehmen, um in ſeinem Eigenen zu wachſen; es fragt ſich aber, 
wie er ſie verwertet. Ob er durch Berührung mit Fremdem nur um ſo ſelb⸗ 
ſtändiger und eigener wird oder ob er zum ſklaviſchen Nachahmer ſinkt. Weiter 
fragt es ſich, ob die Anregung ein Etwas brachte, das ſchon in dem Kinftler 
ſelber angelegt war und durch die Berührung von außen nur geweckt wird, 
vielleicht aber auch von ſelbſt erwacht wäre — oder ob das Fremde ein ganz 
Andersartiges ijt, das den Empfänger in Gegenſatz treibt und ihn dadurch 
im Eigenen beſtärkt. 

Wir wollen an einem Beiſpiel die Beziehung zwiſchen Italien und 
Deutſchland verfolgen. In der italiſchen Malerei ſpielt die Dreieckanordnung 
eine große Rolle. Das erſte auffallende Beiſpiel dieſer Art iſt die Anbetung 
der Könige von Lionardo um 1481 (Slorenz: Uffizien). Es iſt deshalb auf⸗ 
fallend, weil für eine Anbetung der Rönige eine ſolche Ordnung zunächſt 
nicht als die gegebene erſcheint. Altere Darſtellungen des Vorgangs in Italien 
ſind denn auch faſt ausſchließlich anders gehalten. Die hl. Familie befindet 
lich auf einer Seite; der Zug der Könige und ihres Gefolges bewegt ſich in 
der Richtung der Bildebene auf ſie zu, z. B. in dem Gemälde von Mafaccio 
im Berliner Kaiſer⸗Sriedrich⸗-Mmuſeum. Cionardo ſetzt Maria, die Hauptfigur, 
ausdrucksvoll in die Mitte, läßt die Könige zu beiden Seiten vor ihr fo knieen, 
daß die genannte Dreiecksbildung entſteht, rahmt das Bild rechts und links 
durch je eine ſenkrechte Stehfigur und ordnet alle übrigen Perſonen als Fül⸗ 
lung teils dazwiſchen, in der Hauptſache dahinter. In ſolcher Geſtaltung 
liegt mehr bewußte Abficht als in den früheren Darſtellungen, die naiv den 
Zug der Rönige an uns vorüberziehen laſſen. 

Das Beiſpiel Cionardos hat ſehr gewirkt, auch nach Deutſchland. Hans 
von Rulmbach GRerlin-Raiſer-Friedrich-Mmuſeum) iſt wohl von ihm ab— 
hängig, läßt allerdings an das Dreieck einen freien Rhythmus heranfluten. 
fluch hans Baldung (Berlin) erinnert an Cionardo, wenn bei ihm auch die 
mittlere Spitze der Gruppe ein ſtehender Rönig bildet. 

Wurden nun auch dieſe und andere Rünſtler von Italien her angeregt, 
fo hätten fie doch dieſelbe Anregung auch in Deutſchland finden können, 
nämlich in der Anbetung der Könige von Stephan Lochner (Kölner Dom). 
Huch dort ſchon, etwa 40 Jahre vor dem Werk Lionardos, wurde Maria in 
die Mitte geſetzt und zwei Rönige knieen ſo vor ihr, daß die Anordnung ein 
Dreieck bildet. Die Darſtellung wird rechts und links gerahmt durch je eine 


2) Neue Begriffe zur Erfaſſung der deutſchen Kunſt 377 


Stebfigur; die übrigen Perſonen find Füllung. Nur daß Bewegung, Raum⸗ 
tiefe und Helldunfel gegen Lionardo zurückſtehen; das liegt an dem zeitlichen 
Abſtand. Auf die Vorſtufen zu Cochners Anbetung kann hier nicht eingegangen 
werden. 


Man ſagt im allgemeinen und mit Recht, daß die deutſche Bildordnung 
mehr zu frei flutenden Rhythmen neige, die italiſche zu feſten geometriſchen 
Sormen. Dazu gehört das Dreieck. Aber man geht zu weit, wenn man überall 
in Deutſchland, wo ſich ſtrenge Ordnungen finden, italiſchen Einfluß betont. 
Wenn auch hans von Kulmbach von Cionardos Anbetung oder anderen 
ähnlichen italiſchen Darſtellungen beeinflußt war, fo hätte er dieſelbe Anregung 
auch in Deutſchland, bei Stephan Lochner, finden und er hätte fie, darf man 
annehmen, auch ſelbſt erfinden können. Wir müſſen, wie es ja auch ſprachlich 
und ſicher raſſiſch zutrifft, eine Weſensverwandtſchaft annehmen, die 
Italien, Deutſchland und auch Griechenland verbindet, um nur 
die europäiſchen Länder zu nennen, mit deren Runſterzeugung man ſich 
bisher am meiſten beſchäftigt hat. 

Die Plaſtik im griechiſchen Tempelgiebel führt naturgemäß zu einer 
ſymmetriſchen und gleichzeitig zu einer Dreiedanordnung; aber auch in der 
griechiſchen Ornamentik, wo fie auch verwendet war, zeigt ſich die Symmetrie 
beſtimmend. Sie wiederholt ſich in der italiſchen Renaiſſance, beſonders der 
Hochrenaiſſance. 


In Deutſchland geht der Geſchmack mehr auf das frei Bewegte und 
doch find ſummetriſche Fügungen den Künſtlern nicht fremd, ſondern werden 
von ihnen als letzthin Eigenes ſicher gehandhabt. Die einzelnen verhalten 
ſich dabei verſchieden. Nehmen wir eines der Hauptbeiſpiele für italiſche 
Beziehungen, Albrecht Dürer, jo werden wir finden, daß in Werken wie in 
dem Selbſtbildnis von 1506/07 (München) oder in dem Holzſchnitt der Dreis 
faltigkeit von 1511 durch die betonte Symmetrie eine gewiſſe Rünſtlichkeit 
in die Bilderſcheinung kommt; wir werden dabei nicht recht warm. Man 
merkt, daß der Zeichner ſich bemüht, einem ihm im Grund fremden Muſter 
ſich anzupaſſen. Ganz anders Holbein! Sein äußerſt ſummetriſches Bildnis 
der Anna von Cleve oder fein Morette find vollkommen lebendig und natür⸗ 
lich und nichts deutet in ihnen auf fremden Zwang. Der Künſtler hat nur 
ſich ſelber ausgeſprochen, ſich in eigener Jormenſprache ſicher bewegt. 

vollends in dem großen Werk Rembrandts läßt ſich nicht ein hauch 
von Zwang verſpüren. Er verwendet das Dreieck z. B. in der „Liebe Jeſu“ 
(Hundertguldenblatt B. 74); ſenkrecht Jeſus, dazu eine Stehende links, Knie- 
ende rechts. In der Erſcheinung des Auferjtandenen von 1650 (B. 89); 
ſenkrecht der Huferſtandene, dazu zwei Knieende. In beiden Fällen wird 
das Dreieck mit anderen Rhythmen zuſammengeordnet. In der Darſtellung 
im Tempel von 1654 (B. 50) ſind die Ecken des Dreiecks auffallender ver— 
ſchoben als in den vorgenannten Radierungen, dadurch, daß der Prieſter, 
der die rechte Ecke bildet, hoch ſitzt, Simeon die linke, tief kniet. Eine anders 
gedachte Ordnung kommt durch die Geſtalt des Maria links heran, ſo daß 
nicht einfach das Dreieck herrſcht, ſondern ein anderer Bildgedanke in es 
eindringt und ſich mit ihm verſchränkt. Mit Cionardos Abendmahl iſt zu ver— 
gleichen Rembrandts „Emmaus“ von 1648 (Gemälde im Louvre) und von 
1654 (Radierung B. 87). Das zweite bringt in der Geſtalt Jeſu mit 
den ausgebreiteten händen das Dreieck bedeutend ſtrenger als Lionardo, 
ganz gleichſchenklig ſümmetriſch, die umgebenden Figuren aber in freierer 


378 Maria Grunewald [3 


Bewegung. Das ijt bezeichnend; die Differenzierung wird weiter getrieben 
als in Italien. 

In all’ dieſen Fällen wird ein Dreieck mannigfach abgewandelt und 
gleichzeitig in andersartige Formgefüge hineingeſetzt. Das geſchieht mit ſo 
unmittelbarer Sicherheit, daß eine Betonung italiſchen Einfluſſes falſch wäre. 
Kommt auch von dort Anregung, fo bewegt fie doch nur das ſchon im eigenen 
Weſen Vorhandene und außerdem hätte der Künſtler dieſelbe Anregung in 
Deutſchland, 3. B. bei Stephan Lochner, finden können. Auch bleiben die 
italiſchen Bildgedanken weit hinter Rembrandt zurück. 


Die deutſche Sormfraft iſt gegenüber Italien und auch gegenüber 
Griechenland die umfaſſendere; ſie begreift in ſich den freien Rhuthmus und 
das ſtarre Geſetz und beſonders reizvoll geſtaltet ſich die Verbindung beider. 
Man nehme z. B. die aus reinem Cicht in frei flutenden Wellen geformte 
Geſtalt des Kunſthändlers de Jonghe von Rembrandt (B. 272) und beachte 
ſenkrecht und wagrecht in Hut, Geſicht, Stuhl, die beſtimmt und feſt wie 
ein haltendes Gerüſt in die Lichtwogen geſetzt wurden. 

Der italiſche Barock wäre in ſeinen Gemälden eher unordentlich zu 
nennen (die Bauten erfordern beſondere Beurteilung); in der Hochrenaiffance 
dagegen ſucht und findet man Ausgleich zwiſchen Bewegung und ſtarrer 
Form. Ja, es war einer der Hauptgedanken der Hochrenaiſſance, bewegte 
Formen mit ſtrengem Gerüſt von Senkrecht und Wagrecht zu durchdringen. 
Oft wird dieſes Senkrecht und Wagrecht durch Bauteile (Pilaſter, Geſimſe, 
Treppenſtufen) gegeben. Aber wieviel reizvoller, bedeutender, mannig⸗ 
faltiger ſtehen dagegen die Cöſungen derſelben Aufgabe bei deutſchen Künſt⸗ 
lern, z. B. bei Rembrandt! Die Einfälle find reicher; der Bezug des Geo- 
metriſchen zum Wogenden wird in faſt unendlich ſcheinender Schöpferkraft 
abgewandelt. 


Es ſei noch an einen eindrucksvollen Vergleich erinnert. Wir ſtellen 
Grünewalds Auferjtehung vom Iſenheimer Altar (1510) neben Raffaels 
Verklärung von 1520. In beiden Fällen handelt es ſich um denſelben Bild⸗ 
gedanken: unten Wirrwarr, Entſetzen, oben göttliche Ruhe! Unten durd- 
einanderfahrende Linien, oben ſummetriſche Klarheit. Bei Grünewald ijt 
die Symmetrie ſtrenger und erhabener, das Gebrochene und wirr Stoßende 
der unteren Formen dämoniſcher. Wir haben Raffael gegenüber den Ein: 
druck einer weit überlegenen Sormbegabung. Dasſelbe was wir bei dem 
Vergleich von Rembrandts „Emmaus“ mit Lionardos Abendmahl bemerkten. 
Nur iſt die letztausgeführte Gegenüberſtellung vielleicht deshalb überzeugender, 
weil wir es mit faſt gleichzeitigen Werken zu tun haben, von denen noch dazu 
das deutſche früher entſtand. Selbſtverſtändlich läßt ſich die Reihe ſolcher 
Nebeneinander fortſetzen. 

Aus ſolcher Betrachtung ergibt es ſich zwingend, daß wir es einerſeits 
mit Weſensverwandtſchaft, andererſeits mit einer bedeutenden Uber: 
legenheit der deutſchen Formbegabung zu tun haben. Raſſiſch geſehen 
ganz natürlich: im Mutterland entwickelt ſich die eingeborene Begabung 
bedeutender als im abgewanderten Stamm. Die Urverwandtſchaft zwiſchen 
Griechenland, Italien und Deutſchland iſt in der Formenſprache bisher nicht 
genügend aufgedeckt worden. Aus ihr laſſen ſich viele ſtiliſtiſche Erſcheinungen 
am beſten erklären. 

Als ein zweiter Gegenſatz zwiſchen Italien und Deutſchland gilt plaſtiſche 
und Lichtgeſtaltung. Die Italiener widmen fic) beſonders der Herausarbeitung 


4) Neue Begriffe zur Erfaſſung der deutſchen Runſt 379 


des Körperlichen. Wo nun in Deutſchland dieſes ſtark hervortritt, denkt man 
gleich an italiſchen Einfluß, 3. B. bei Dürer. Seine Dreifaltigkeit von 1511 
zeigt neben ſummetriſcher Unordnung auch betontes heraustreten der Körper 
im Gegenſatz zu den Blättern der n von 1498, wo alles Dinghafte 
im flutenden Gewoge von Weiß und Schwarz aufgeſogen wird. Im Geth- 
ſemane von 1515 (Eiſenätzung) wird der Stil der Offenbarung wieder auf: 
genommen und weitergeführt bis nah an die Art Rembrandts. Es wurde 
ſchon bemerkt, daß die Dreifaltigkeit von 1511 bereits infolge der etwas 
gezwungenen Symmetrie eine kalte und wenig unmittelbare Wirkung hat. 
Das verſtärkt ſich durch die Art der Rörperbehandlung, die an Italien erinnert. 
Und doch! Mußte Dürer nach Molen gehen, um ſich dieſe Anregung zu holen? 
Sehen wir uns in Deutſchland um! Da finden wir in der erſten hälfte des 
15. Jahrhunderts bei Konrad Witz eine Plaſtik, die nicht nur der italiſchen 
gleichkommt, ſondern ſie übertrifft. 


Konrad Witz arbeitet etwas ſpäter als Mafaccio, der im Anfang des 
15. Jahrhunderts in Italien auffallend mit gedrungener Körperlichkeit hervor: 
tritt. Alfo Einfluß Italiens bei Witz? Aber ein ſolches Urteil würde der inneren 
Wahrheit entbehren. die Wucht der Rörper bei Witz iſt unerhört, und 
Maſaccio und jeder Italiener erſcheint dagegen arm. Wie Gebirge türmen 
lich die Maſſen feiner Figuren. Blodartig hält er jede Geſtalt zuſammen und 
doch mit Betonung des menſchlichen Aufbaues und der Bewegung. Die 
Fülle der plaſtiſchen Gedanken geht über Maſaccio und die anderen Italiener 
hinaus. (Näheres darüber in meinem Aufjag über Konrad Witz im „Deutſchen 
Volkstum“. Hamburg. Januar 1926.) 


Kam Anregung aus Italien, jo war es nur Auslöjung einer vorhandenen 
Anlage, die dem Anreger überlegen war. Die Gedanken des Witz werden durch 
Michael Pacher (geſt. 1498) weitergeführt. 

Hat nun Dürer ſich plaſtiſche Anregungen aus Italien tatſächlich geholt, 
ſo hätte er ſie doch viel beſſer im eigenen Lande oder auch in ſich ſelber finden 
können. Es handelt ſich auch auf dieſem Gebiet um Urverwandtſchaft und 
gleichzeitige Überlegenheit Deutſchlands. Zeigt noch die Dreifaltigkeit von 
1511 italiſche Anklänge, jo geſtaltet Dürer ſpäter und zum Teil auch ſchon 
früher uneingeſchränkt deutſch und nicht den Italienern, ſondern Ronrad Witz 
und Michael Pacher ähnlich. So 3. B. in den Marienſtichen von 1519 und 
1520 (B. 36 u. 38). Wie ein Gebirge türmt ſich die mächtige Geſtalt der Maria 
von 1519 empor, Block auf Block gewälzt! Jede Sorm ijt groß und inter: 
eſſant in ihrer Eigenart und im Gegeneinander der Bewegung. So etwas 
gibt es in Italien nicht, die Linien erſcheinen dort geſchwächt. Dazu kommt 
das bedeutende, echt germaniſche Lichtverjtehen. Unmöglich, etwas Der: 
artiges an Gewalt der Plajtif und an Gewalt des Lichtes in Italien zu denken! 
Hier ſchließt der moderne Kubismus an, der aber die Größe von Witz, Pacher, 
Dürer nicht erreicht. 

Und die Melancholie von 1514 mit ihrem mächtigen, bedeutungsſchweren 
Sormgefüge! Das iſt ſo groß, daß einem davor bang werden kann. Es iſt 
der Furor teutonicus, der dieſe Blöcke bewegt. Raffaels Linie erſcheint da— 
gegen wie aus Watte; aber auch die ſtärker angeſpannten Formen anderer 
Italiener reichen an die hohe Glut der Sprache Dürers nicht heran. 

Aud) die Körperempfindung Rembrandts erweiſt, wenn auch in anderer 
Art, als eine eigene, nordiſche, nur ihm gehörige. (Näheres darüber in 
meinem demnächſt erſcheinenden Werk „Rembrandts Radierungen”.) 


380 Maria Grunewald (5 


Das Licht erſcheint nördlich der Alpen bedeutender und mannigfaltiger 
im Ausdrud als ſüdlich dieſes Gebirges. Der ganze italiſche Barock reicht in 
dieſer Beziehung nicht an Rembrandt, die Hochrenaiſſancemeiſter nicht an 
Dürer und Grünewaldt. 

Zuſammenfaſſend läßt ſich Ähnliches jagen wie über freibeweglichen 
Rhythmus und ſtrenge Form. Im Norden überwiegt das Licht, im Süden 
der Körper. Aber auch der letzte fehlt im Norden nicht als eigenes Gut; ja, 
er tritt ſogar mächtiger heraus als im Süden. Genau ſo, wie die ſtrenge Form 
oder die Symmetrie mit mehr innerer Bedeutung geſetzt wird als dort. Die 
ſüdliche Körperbildung und Körpergruppierung zeigt ſich in der Linie matt, 
wenn man ſie mit den Werken von Witz, Pacher, Dürer vergleicht. Deren 
Überlegenheit bezeugt das Eingeborene ihrer Begabung. Der Körper in 
ſeiner ſtoßenden Gewalt, im intereſſanten Richtungwechſel des Gegenein⸗ 
ander wird viel ſtärker empfunden. 

Man trifft nicht das Richtige, wenn man die künſtleriſchen Eigenſchaften 
Italiens und Deutſchlands neben- oder gegeneinander ſtellt als die zweier 
einzelner Völker. Das Italiſche erweiſt ſich vielmehr als ein Teil, 


8 


der, aus dem Ganzen, dem Nordiſchen, herausgebrochen, ſich 


zu einem, naturgemäß beſchränkteren Eigenleben ausgewachſen 
hat. Wo wir in Deutſchland und in Italien ähnliche Jüge finden, handelt 
es ſich um Verwandtſchaft. Nur daß die deutſche Kunſt fic) als die umfaſſendere 
bezeugt, die das Italiſche in ſich mit einbegreift, ebenſo das Griechiſche. 

In der Hochrenaiſſance kommen in Italien einige mittelmeeriſche 
Elemente dazu, im Barock mehr und vielleicht ſogar auch vorderaſiatiſche. 
Leider läßt ſich dieſes bei dem geringen hier zur Verfügung ſtehenden Raum 
nicht näher ausführen. Einiges darüber in meinem Werke über Rembrandt. 
Aud) die Betrachtung der Baukunſt mußte leider beiſeit bleiben. 


Nur ſoviel kann geſagt werden, daß ſowohl in Italien als auch in 
Griechenland Körper und geometriſche Form vorwiegen und nach Eintritt 
der Lichtbeobachtung und des freien Rhythmus allmählich eine Aufldjung 
der Kunſt und des nordiſch Seeliſchen fic) vollzieht. Während die letzten im 
Norden früh einſetzen, ſicher gehandhabt werden und feſte Regel und ge- 
drungenen Rörper in mannigfachem Spiel in ſich aufnehmen. Der Norden 
bleibt länger geſund und hat ein Formvermögen, das viel mehr in ſich auf— 
nehmen und nicht ſo leicht entwurzelt werden kann. 

Die größere Spannweite des Erlebens zeigt ſich, wie zu 
erwarten, in Deutſchland auch auf ſeeliſchem Gebiet. Wo gäbe 
es in Italien eine Tiefe der Leidenſchaft wie in Grünewalds Kreuzigung, 
verklärte durchdringende Seligkeit wie in ſeiner Maria der heiligen Nacht! 
Wo die Wut kämpferiſchen Zuſchlagens wie in Dürers Engelkampf der Offen: 
barung! Den rauſchenden Sturm der Himmelfahrt wie in Hans Baldungs 
Holzſchnitt! Die Beiſpiele laſſen ſich leicht vermehren und die ſtürmiſche Leiden: 
ſchaft germaniſchen Gefühls iſt bekannt. Aber wo gäbe es in Italien eine 
Stille wie in Rembrandts ſpätem Gemälde vom verlorenen Sohn! Eine 
Stille, die dem Schauenden den Atem benimmt — eine Stille, in der nur die 
zarte Berührung, verlorenes Lieben des Vaters und des Sohnes gefühlt wird! 
Oder die Derlorenheit des himmliſchen Geſichtes, das dem Einſamen naht, 
wie in der Schau Daniels (Berlin, Kaiſer-Sriedrich-Mmuſeum). So jtill, fo 
innerlich, fo hingenommen kann kein Italiener empfinden. Aud das, was 
ganz zart erſcheinen ſoll, iſt dort immer noch zu laut, das Unſichtbare wird 


6) Neue Begriffe zur Erfaſſung der deutſchen Runſt 381 


durch grobe klußerlichkeit verdeckt. Es fehlt im Welſchland die ausfahrende 
Leidenſchaft, die fic) ihre gewaltſame Gebärde ſucht und es fehlt das letzte 
Sichzurückziehen in die unergründliche Nacht der Gottheit. Für das letzte 
wäre durchaus nicht Rembrandt unter Deutſchen der einzige Zeuge. Riemen⸗ 
ſchneider 3. B. hat ſchon viel ſeeliſch Abnlices und manches Werk unbekannter 
Meiſter gehört noch hierher. 

Man hat der deutſchen Leidenſchaft gegenüber das italiſche Maßhalten 
betont. Es handelt ſich aber gar nicht um Maßhalten, ſondern um ein Nicht- 
können und um Derflachung. Die äußerſten Enden menſchlichen Erlebens 
werden nicht empfunden; es bleibt eine flache Mitte. Es iſt auch betont 
worden, daß die dargeſtellten Perſonen in Italien wie auf einer Bühne vor 
Zuſchauern agieren; während die deutſchen Menſchen ſich betragen, als wären 
ſie mit ihrem Erleben allein. Darin liegt Wahres. In der italiſchen Hoch⸗ 
renaiſſance namentlich empfindet man etwas aufdringlich eine gewollte ge⸗ 
ſellſchaftliche haltung, die ſich im Barock noch ſteigert. Aber darin hat man 
den Einfluß der mittelmeeriſchen Raſſe zu ſehen, der ſpäter auch nach Deutſch⸗ 
land übergreift. 

Doch auch in der nordiſch gearteten deutſchen bunt gibt es eine ge: 
ſellſchaftliche haltung, und zwar eine beſſere. Wer Rembrandts Saskia in 
Kaſſel oder gar die Berliner von 1643 daraufhin anſieht und ſie etwa mit der 
Dorothea des Sebaſtiano del Piombo (Berlin) vergleicht, der weiß, wo die 
wahre Dornehmbeit ſich befindet. Oder wer das Lächeln der Monaliſa 
Lionardos mit dem Cächeln Saskias (1643) oder das der Maria in der heil. 
Nacht des Correggio mit dem der Maria Grünewalds vergleicht, der wird 
erkennen, wo Dornehmbeit und Adel fic) offenbaren. 


Einmal darauf merkſam geworden, findet man in der italiſchen 
Hochrenaiſſance und mehr noch im Barock (ſpäter auch in Deutſchland) faſt 
überall den fatalen geſuchten Zug des Geſellſchaftlichen, der dem eigentlich 
Nordiſchen fremd ijt und findet in Deutſchland bei Riemenſchneider oder 
Holbein oder bei den frühen Diamen und Niederländern wie Roger van der 
Weyden oder hugo van der Goes oder bei Rembrandt Geſtalten, deren 
vornehme Haltung echt nordiſch aus innerem Adel der Seele kommt. Sehr 
wichtig iſt in dieſer Beziehung auch die Plaſtik des dreizehnten Jahrhunderts. 

Allerdings beherrſcht im Norden eine ſolche Haltung nicht die ganze 
Kunft. Es werden viele Geſchichten dargeſtellt, in denen die Handelnden 
nicht der fog. guten Geſellſchaft angehören. Aud in der ſpäteren Antike hat 
man ſchon die unteren Volksſchichten in die Kunjt hineingezogen und in der 
ſpäteren italiſchen Malerei verſetzt Caravaggio die heiligen Geſchichten in 
die niedere Sphäre. Aber wieviel früher ſchon beginnt das in Deutſchland, 
3. B. bei Multſcher 1437, bei hugo van der Goes in den ſiebziger Jahren des 
15. Jahrhunderts! Und während die Griechen und die Italiener den niederen 
Menſchen als etwas Fremdes, Groteskes und Derlachenswertes anſehen, 
nimmt ihn der Deutſche ernſt, ſucht und findet auch ſeine dee Im Portinari— 
Altar des Goes werden die vornehmen weiblichen heiligen des linken Flügels 
und die vornehmen anbetenden Engel des Mittelbildes bewußt gegen die 
plebejiſchen Maria Joſef Hirten geſetzt und dennoch beide mit edlem Ernſt 
des Erlebens durchdrungen. Dabei erinnern wir uns an den Bericht des 
Tacitus, daß der Germane ſeine Untergebenen anſtändig behandle, und wir 
wiſſen, daß auch heut der Nordländer ſelbſt dem Tier gegenüber eine Menſch— 
lichkeit wahrt, die dem Süden fremder iſt. Es handelt ſich um das germaniſche 


382 Maria Grunewald (7 


Allgefühl, das die Welt durchaus als Ganzes verſteht und fie in allen ihren 

Erſcheinungen mit Ehrfurcht anſchaut. Huch der große Goethe fordert Ehr⸗ 

Weser ſelbſt vor dem, was unter uns iſt. Damit bezeugt er ſein germaniſches 
eſen. 


ür die künſtleriſche Darſtellung kommt hinzu, daß mit unbedingter 
Wahrung der geſellſchaftlichen de letztes menſchliches Erleben unmög⸗ 
lich ausgedrückt werden kann, da dieſe Sphäre naturgemäß Zurückhaltung 
fordert. Weil nun aber der Deutſche das weite Reich der Seele ſich nicht ver⸗ 
kümmern laſſen will, deshalb kann er in der Nunſt das Geſellſchaftliche nicht 
unbedingt gelten laſſen, ſondern er räumt ihm einen Teil in ſeiner Dar⸗ 
ſtellungswelt ein. Wie es ja auch im Leben nur als Teil neben anderen Er⸗ 
ſcheinungen des Geiſtes ſich auswirkt. 


Dieſer Teil nun bildet für die ausgewanderten nordiſchen Stämme wieder 
das Ganze: in Griechenland mit vollkommener friſcher Schönheit, auch bei 
den frühen Italienern in feiner nordiſcher Art, ſpäter aber ins geſucht Weſtiſche 
abgewandelt. Schon ſehr auffallend z. B. in Lionardos Monaliſa oder in 
feiner Anna ſelbdritt (Paris), während z. B. die Verkündigung des Simone 
Martini (Sloren3-Uffizien) aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts die abſolut 
vornehme nordiſche Art hat. 

Über die Weite ſeeliſchen Erlebens in Deutſchland Näheres in meinem 
Werk „Germaniſche Formenſprache in der bildenden Kunjt". Straßburg 1918. 


In der vorliegenden Arbeit, die ja leider Skizze bleiben muß, wurden 
Beiſpiele hauptſächlich aus Deutſchland und Italien, und zwar für die Zeit 
etwa von 1200 — 1700 genannt. Es ijt aber die Meinung, daß fic) der grund⸗ 
legende Gedanke für die geſamte europäiſche Kunſt durchführen läßt. Das 
Weſen des nordiſchen Menſchen prägt ſich in der europäiſchen Runſt aus und 
re jie. In Deutſchland am vollkommenſten und reidjten, in den 
andern Ländern als Teilbeſtand, zu dem namentlich in weiterer Folge der 
Entwicklung mittelmeeriſche, vielleicht auch vorderaſiatiſche Elemente treten 
(im ſpäten Barock auch in Deutſchland). 

Abgeſehen alſo von dem fremden Beſtandteil findet ſich eine allgemeine 
Weſensverwandtſchaft mit höchſter Blüte und weiteſter Husgeſtaltung in 
Deutſchland. Man möchte dieſen Sachverhalt darauf zurückführen, daß bei 
uns die nordiſche Rolle am ſtärkſten geiſtig ſich betätigte. Der Zuſammen⸗ 
hang mit den körperlichen Merkmalen läßt ſich bei den Schaffenden freilich 
nur in ſeltenen Fällen feſtſtellen. Aber welch' andere Möglichkeit gäbe es, 
als das Weſen der deutſchen Kunſt auf die ap Raſſe zu be . Die 
geſchichtliche Betrachtung fordert das und die Ergänzungen in den anderen 
Ländern ſprechen auch für die Richtigkeit des Gedankens. Huch zeigt die Kunit 
trotz der verſchiedenen, in ihr tätigen Perjönlichkeiten im großen ganzen ſich 
ſo einheitlich, daß man wohl nicht anders kann als ſie mit einer beſtimmten 
ausgeprägten Rolle in Verbindung bringen. Auf Grund der geſchichtlichen 
Tatſachen kann dieſe nur die nordiſche ſein. Gewiß, die Bevölkerung war 
gemiſcht, aber ein charakteriſtiſches Weſen beherrſcht die geiſtige Welt; ſie 
iſt nordiſch beſtimmt. 

Sehr wichtig wäre noch eine Huseinanderſetzung mit der geſchichtlichen 
Kunjt der ſkandinaviſchen Länder, die einer ſpäteren Arbeit vorbehalten 
bleiben muß. 

Wir kehren zu unſerem Anfang zurück, dem ſo häufig behaupteten 
und zum Teil nachgewieſenen Einfluß Italiens auf Deutſchland. Jeder geiſtige 


8] Neue Begriffe zur Erfaſſung der deutſchen Kunſt 383 


Menſch weiß, wie anregend eine fremde Welt auf die eigene Schöpferkraft 
wirkt. Sei es, daß das von außen Kommende verwandt, fei es, daß es ent- 
gegengeſetzt war. 

So haben oft Deutſche in Italien ſich Anregungen geholt und, inſofern 
dieſe Weſensverwandtſchaft betrafen, gefunden, was fie auch daheim oder 
in ſich ſelbſt hätten haben können. Bisweilen freilich ſind ſie im eigenen 
Weſen geſtört und abgelenkt worden. Und gegenwärtig tut es uns mehr 
not, den Wert der eigenen Geiſteswelt zu erkennen als den Blick aufs Ausland 
zu richten, weil durch die bisherige Betrachtungsweiſe mit ihrer ſchiefen Ein⸗ 
ſtellung unſer Eigenbewußtſein ſchwer erſchüttert worden iſt. Die Überlegen⸗ 
heit der deutſchen Kunſt wurde noch immer nicht genügend erkannt. Erſt 
durch Aufdedung ihrer Verwandtſchaft mit der übrigen europäiſchen und 
gleichzeitig ihrer weiter 1 formlichen und ſeeliſchen Spannung 
werden wir ſie richtig zu verſtehen und zu würdigen vermögen. 


7. Geſchichtsſchreibung. 


Teutonen und Kimbern. 


Ein gemeinſames Arbeitsfeld der deutſchen und klaſſiſchen 
Altertumskunde. 


Don Hans Philipp. 
mit 15 Abbildungen im Tert. 


Die Frage, ob die Teutonen den Kelten oder Germanen zuzuweiſen 
find, hat auch Roſſinna beſchäftigt 1), doch ijt fie noch immer nicht zur all⸗ 
gemein anerkannten Cöſung gelangt. Gewiß hat die Verbundenheit der 
Teutonen mit den Kimbern in den Berichten der Altertums ſchwerwiegende 


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Abb. 1. Kartenausſchnitt Germaniens nach Ptolemäus (90—168 n. Chr. Geburt). Die 

Teutonen begegnen zweimal, als Teutones und Teutonoari, da Ptolemäus als Unterlage 

für feine Karte Quellen verſchiedenſter Zeit und Herkunft benutzt und ſomit bei Namens⸗ 
variationen Dubletten nicht merkt. 


Bedeutung, aber nicht entſcheidende Kraft, anders aber ſteht es mit der 
Beweiskraft der Tatſache, daß ſich nicht nur der Kimbernname auf der bereits 
von den Alten als Urheimat der beiden Germanenſtämme bezeichneten 
jütiſchen Halbinjel bis ins Mittelalter erhalten hat, ſondern auch der der 
Teutonen, jo daß die beiden Stämme und auch die mitwandernden 


1) Weſtdeutſch. 3. 9, 215 (Teutonen = Kelten); Paul Braune-Sievers, Beiträge 
zur Geſch. dtſch. Sprache (= PB Beitr.), Nr. 20, 290 ff. 


2] Teutonen und Kimbern 385 


Ambronen auf Amrum in ein- und derſelben Gegend nachweisbar find ). 
Will man alſo nicht alle Überlieferung anzweifeln oder Kelten auch ra der 
jütifchen halbinſel und den Frieſeninſeln ſuchen, fo wird man die Kimbern, 
und damit auch die Teutonen, den Germanen zurechnen müſſen. 

Oft reichen die Schriftberichte der Alten nicht aus, um eine Frage zu 
klären, oft gewinnen antike Berichte et durch die Zuſammenarbeit von 
Vertretern der verſchiedenſten Disziplinen ihre Deutung und ganz beſonders 
erſprießlich iſt die Zufammenarbeit des klaſſiſchen Philologen mit den Der: 
tretern der „Deutſchen Vorgeſchichte“, der Koſſinna in einem langen Forſcher⸗ 
neh wiſſenſchaftliche Anerkennung und Einſchätzung erarbeitet und er: 
ämpft hat. 


Und gerade die Berichte vom Zuge der Kimbern und Teutonen find 
ein Muſterbeiſpiel dafür, wie im Sinne der Ausführungen, die etwa Rie ke⸗ 
buſch im Vorwort ſeiner Buchreihe, die er im vorbildlichen Bunde mit einem 
der bekannteſten klaſſiſchen Philologen, mit Eduard Norden, herausbringt, 
in trefflicher und eindringlicher Weiſe zum klusdruck gebracht hat 2), in Zukunft 
beide Wiſſenſchaften hand in hand gehen müſſen, wenn ſie das Dunkel, das 
über unſerer Frühgeſchichte ausgebreitet liegt, erhellen wollen. 

Wir erfahren aus Plutarch und Diodor einiges über Rüſtung und 
Kampfesweiſe der beiden Stämme. Die deutſche Altertumswiſſenſchaft er: 
möglicht nicht nur eine Illuſtration dieſer Berichte, ſondern kann darüber 
hinaus auch noch einen Beitrag zur oben angedeuteten Teutonenfrage geben. 

Hören wir die Berichte. Plutarch: Marius 25 (über die Schlacht bei 
Dercellae): „Die Reiter der Kimbern ſprengten aus dem Lager glänzend 
gerüſtet: ihre helme glichen furchtbaren Tieren mit gähnendem Rachen und 
ſeltſamen Köpfen; dieſe erhöhten fie noch durch fliigelartige Helmbüſche, jo 
daß ſie noch größer erſchienen. Geſchmückt waren ſie außerdem mit eiſernen 
Panzern und weiß glänzenden Schildern. Als Wurfgeſchoß führte jeder einen 
Speer mit doppelter Spitze. Beim Zuſammenſtoß verwendeten ſie große 
wuchtige Schwerter“. 

Dazu bietet Diodor 5, 30 eine Parallele: „Als Waffen führen die 
Kelten Schilder in Mannshöhe und eigenartig bunt bemalt... Den Kopf 
decken ſie durch eherne helme mit ragendem Aufſatz, wodurch ihre Geſtalt 
größeres Ausjehen gewinnt. Die einen führen nämlich angeſchmiedete Hörner, 
andere die Köpfe von Dögeln oder vierfüßigen Tieren“. 

Ich bin zwar nicht der Anficht, aus der Bewaffnung Schlüſſe auf das 
Volkstum ziehen zu dürfen, aber in erſter Linie die Hörner: und Tierfopf- 


1) In Nordjütland, bei Ptolemäus der „kimbriſche Cherſonnes“ (Abb. 1), ijt der Bezirk 
himberſuſſoel oder himmerland nachgewieſen, daneben ein Jutheſuſſael. Die Latſachen, 
daß die Nordfee den ſicher keltiſchen Namen Mori-marusa führt, daß der Name Kelten bis 
zur zz... gebraucht wird, daß früh Gold von den Britiſchen Inſeln nach Jutland 
kam, daß ſich hinter dem Tu zeg bei Strabo (185) und Pojeidonios (Strabo 295) viels 
leicht der keltiſche Mame der Teutonen verbirgt, der am Main in der keltiſchen Sorm , Coutoni“ 
erſcheint, daß es keltiſch benannte Sührer bei den Germanen (Boiorir, der Kimbernführer) 
gab, können alle nur beweiſen, daß die Kelten kulturell einen Einfluß ausübten über ihre 
Gebietsgrenzen hinaus, da ſie früher das Eiſen kannten als die Germanen, aber das 
Germanentum der Kimbern, Teutonen und Ambronen können fie nicht in Frage ſtellen. 
— G. Wilke ſucht (Deutſche Geſchichtsblätter 1006, VII, S. 221ff.) die Kimbern= und 
Teutonenſitze auf Grund von Bodenfunden an der mittleren Elbe. 

2) Al. Riekebuſch, Ed. Norden: Deutſche Urzeit Bd. I: Die Ausgrabung des 
„ Dorfes Buch bei Berlin. 1923. Dal. das Vorwort von Rie febuſch-Rorden, 
das das „Zuſammenarbeiten“ aller Wiſſenſchaften dringend fordert! Weitere Bände von 
Solger, Philipp uſw. ſind dort angezeigt. 


Mannus, Zeitfchrift für Vorgeſch., VI. Erg.-Bd. 25 


386 Hans Philipp [3 


helme und auch wohl die wuchtigen Schwerter +) find nicht für die Ger: 
manen typifd, wohl aber für die Kelten. Wenn auch die Blütezeit 
dieſer Tier- und Hörnerhelme erſt in die chriſtliche Zeit fällt, ſo ſpielen doch 
eben die Germanen, wie alle Funde und Berichte zeigen, in vorchriſtlicher 
Zeit als helmbeſitzer keine Rolle. Anders ſteht es mit den Kelten, die bereits 


Abb. 2. Die auf Jütland gefundenen Goldhörner bezeugen auch keltiſchen Einfluß in ger⸗ 
maniſchem Gebiet, ohne die jütländiſche Bevölkerung zu Kelten zu machen. 


in der Catènezeit als Erfinder des „Jockeimützentups“ ) in Frage kommen 
und die auch die Mode der hörnerhelme aufgreifen. Dielleicht geht auch der 


1) Jahn, Bewaffnung der Germanen (Mannus-Bibl. 10), 100ff. nennt zu affe 
Schwert, das in der Bronzezeit gewiß die Waffe der Nordleute war, auch eine 
der Germanen in der Latenezeit, doch bezeugt auch dies in der Sorm oft die ke ti e GC 
lehnung. Als eine „Hauptwaffe“ ſcheinen mir die Sunde das Langſchwert für die Germanen 
der Latenezeit nicht zu beweiſen. Die Keltengraber derſelben Zeit, z. B. bei Manching 
(vgl. Reallexikon für Dorgeſchichte VII, 147) zeigen faſt gleichartig als Beigabe der etwa 
1.60 —2, 00 m langen Männergräber: Schwert, Rundſchild von Kopf bis Suk reichend, 
Lan nze .... die Srauengräber enthalten insbeſondere ſchöne Kettengiirtelgehange (vgl. 
oben S. 300, Abb. 6). 200 Jahre ſpäter verſchwindet das Schwert als Wa ffe der Germanen 
fait ganz, wie die Sunde im Einklang mit Tacitus Germania 6 beweijen 

2) Reallexikon der Dorgeſchichte V, 295. Das Seblen der helme (og L aud) Tacitus 
Germania 6) ijt aus Jabn, Bewaffnung der Germanen, 208ff. zu archer 


4] Teutonen und Kimbern 387 


ſchreckenerregende Tierkopf⸗ oder Hhelmbuſchaufſatz auf den römiſchen Gladia⸗ 
torenhelmen !) auf die in heimiſcher Rüſtung kämpfenden keltiſchen Kriegs- 
gefangenen zurück. Jedenfalls kennen die Germanen den Befunden und Be- 
richten nach Helm, Bruſtpanzer und Schwert in der Latenezeit nicht oder nur 
in Ausnahmen. Somit dürften die germaniſchen Kimbern, die dort auf 
ihrer Wanderung durch das keltiſche Süddeutſchland, die Schweiz, Gallien, 
das keltiberiſche Spanien ziehen und denen ſich keltiſche Volksſplitter und ein⸗ 
zelne Abenteurer keltiſchen Stammes anſchloſſen, dieſe Bewaffnung ihrer 
Beute entnommen haben. Nicht germaniſche, ſondern keltiſche Grab⸗ und 
Bodenfunde ) können dieſen Plutarchbericht illuſtrieren, und der oben ab- 
gedruckte Bericht Diodors erwähnt dieſelben helme als Keltenhelme. 

Plutarch fährt am angegebenen Orte fort. 

„. .. Auf Seiten der Römer ſtritt auch die Hitze und die Sonne, die 
den Kimbern ins Geſicht ſchien. Denn dieſe waren wohl imſtande, Kälte zu 
ertragen, da fie, wie ſchon oben gejagt, in ſchattigen und kühlen Ländern auf: 
gewachſen waren, aber der Hike gegenüber verſagten fie vollkommen; fie 
vergoſſen unter Keuchen ſtarken Schweiß und hielten die Schilde vors Geſicht.“ 

„Der größte und tapferſte Teil der Feinde wurde an Ort und 
Stelle niedergehauen. Denn damit die Schlachtreihe nicht auseinandergeriſſen 
werde, hatten die Vorkämpfer ſich mit langen Ketten aneinandergebunden, 
die an den Gürteln befeſtigt waren. Die Sliehenden trieben die Römer bis 
zum Derhau des Lagers zurück und wurden Zeugen erſchütternder Auftritte. 
Denn die Frauen ſtanden ſchwarzgekleidet auf den Wagen (vgl. Abb. 15) 
und töteten die Flüchtlinge, die einen ihre Gatten, die anderen ihre Brüder, 
andere wieder ihre Väter; fie erwürgten ihre unmündigen Kinder mit den 
Händen und ſchleuderten fie unter die Räder der Wagen und unter die Hufe 
der Zugtiere und töteten ſich dann ſelbſt.“ 

Militäriſch ift dieſes Zuſammenbinden der erſten Schlachtreihe geradezu 
Wahnſinn und außerdem unmöglich. Alle Erklärer begnügen ſich daher mit der 
Feſtſtellung dieſer Unmöglichkeit, im Kampfe Tote und Verwundete an Ketten 
geſchmiedet mitzuſchleppen. Wieder ijt es die deutſche Altertumsfunde, die den 
griechiſchen Quellenbericht aufhellt. In dem ſchon oben angezogenen Bericht 
Diodors über keltiſche Kampfesweiſe heißt es: „Etliche tragen eiſerne 
Brünnen, andere haben keinen anderen Panzer als ihre haut und fechten 
nackt. Statt der römiſchen Kurzſchwerter haben fie recht lange Schwerter, 
die an eiſernen oder ehernen Ketten an der rechten Seite herunterhängen“. 
Aud) Polybius, der 2. 28 über die Gäſaten ), die im keltiſchen Verbande 
kämpfen, einen Bericht gibt, iſt heranzuziehen: „Die Gäſaten (eine Elite⸗ 
truppe bei den keltiſchen Inſubrern und Boiern) warfen dagegen. ... ihre 
Kleidung ab und ſtanden nackt mit ihren Waffen im erſten Glied ihrer Schlacht= 
formation. ... Unzählig war die Menge der keltiſchen Trompeter und Horn- 
bläſer. Und da gleichzeitig das geſamte Heer den Kriegsgeſang anſtimmte, 
fo war der entſtehende Lärm groß... Schreckenerregend war der Hnblick und 
Waffentanz der nackten, hochragenden Jünglingsgeſtalten in vorderſter Linie. 
Unter denen, die in der erſten Reihe ſtanden, war keiner, der ſich nicht mit 

1) Reallerifon der Vorgeſchichte VII, 147. ; 

2) Es zeigen auch die Goldhörner von Tondern-Gallebus, allo auch auf der 
jütiſchen halbinſel, Menichen mit hörnerhelmen und — keltiſche Götter. Jedenfalls bezeugt 
auch dieſes 3 (500 nach Chr.) keltiſche Beziehungen nach Germanien (Abb. 2). 


Einen keltiſchen hörnerhelm zeigt auch das Relief von Antibes (Esperandieu l, 24. 
2) Die Gajaten find, nachdem jie Koſſinna, PB-Beiträge 20, 295ff. als Kelten» 
ſtamm aus den Schweizer Alpen durch Inſchriften nachgewieſen hat, nicht als Germanen. 


25* 


388 Hans Philipp (5 


Hals⸗ und Armringen aus Gold geſchmückt hätte..." Eine Illuſtration zu 
dieſen Kelten, die nackt nur mit dem eiſernen Schwertgurt gegürtet und 
dem Langſchwert i in der Hand fochten, bieten manche Abbildungen in Schuh⸗ 


Abb. 3. E ee eines in die Knie geſunkenen Keltenfriegers (nackt) mit Torques 
(Balsting) und hörnerhelm ſowie mit dem den Kelten, nicht Germanen, eigentümlichen 
Schwertgürtel. (Schumacher, Gallier-Kat. S. 22.) 


Abb. 4. Eine von den kleinen attaliſchen Siguren zeigt einen toten Gallierkrieger auf ſeinem 
Schild. Der Krieger iſt bartlos und nackt, in der Rechten hält er noch das zerbrochene Schwert. 
Bei dem Gallier beachte die Rette um den Leib, die wohl den Kat. 8. 35 darſtellt. (Palazzo 
Ducale in Denedig = Schumacher, Gallier⸗Kat 
Dal. Philipp, Tacitus, Germania. (Sammlung , ‚Alte Reifen und Beier Bd. 18. 
Brockhaus, Leipzig. ) 


machers Reltenkatalog. Unſere Bilder (Abb. 3 u. 4) zeigen daraus einen 
nackten Kelten mit Hörnerhelm und einen gefallenen Kelten, beide als 
Kelten durch den Torques, den Halsring des Berichtes, kenntlich. Auf diefen 
Schwertgurt um den nackten Körper führe ich die Legende von den zuſammen— 


6] Teutonen und Kimbern 389 


geketteten erſten Gliedern der Kimbern zurück. So wie der Keltenfrieger auf 
Abb. 4 lagen die erſten Glieder auf dem Schlachtfeld, keine Schwertſcheide !) 
ſahen die Römer an dieſen ſeltſamen Gürteln herabhängen, ſo daß ihnen 
der Zweck der Stride unverſtändlich fein mußte, fo entſtand die Erklärung 
und Legende, zumal nur das erſte Glied ſo in die Schlacht zog. In der von 
Polubius geſchilderten Gallierſchlacht bei Telamon (222 v. Chr.) ſind nur 
die erſten Reihen jo bewaffnet, die Maſſen der Kelten kämpften anders, 
in Kriegsmantel und Beinkleid, die fie, wie Polybius?) hervorhebt, recht 
behinderten. Wie hier in der Reltenſchlacht, fo zeichnete fic) auch in der 
Kimbernſchlacht das erſte Glied in der Auswahl der Kämpfer, Bewaffr ung und 
Kampfesweife aus, hier fochten die beiten Kämpfer im Schmuck ihrer Beute mit 
den beſſeren keltiſchen Waffen, insbeſondere mit den Schwertern. Sie trugen 
den Schwertgurt, bei den Maſſen der folgenden Kampfglieder fanden die 
Römer den Gürtel nicht, ihre Waffe waren ja die germaniſchen Speere. 


Abb. 5. Reſſel von Gundestrup (Mufeum Kopenhagen). 


Ich könnte damit ſchließen, böte nicht der Schluß des Plutarchberichtes 
noch den Anreiz zu einer Abrundung des Bildes von der gemeinſamen Arbeit 
des Philologen und Dorgeſchichtlers, obwohl hier, abgeſehen von meinen 
Ausführungen über den „ehernen Stier“ der Kimbern und die „Rriegs⸗ 
hunde“, die noch zuletzt das Lager verteidigten, die bekannten Ergebniſſe 
nur in Einzelheiten zu ergänzen ſind. 

Strabo, der in der Zeit des Kaiſers Augujtus ſchreibt, erzählt von den 
Kimbern (VII, 2, 294): „Auf dem Heereszug wurden die Kimbern begleitet 
von ihren Frauen, unter denen fid) weisſagende Prieſterinnen befanden: 
grauhaarig, mit weißen Gewändern und Mänteln aus feinem Baſtgewebe, die 
ſie mit einer Fibel auf der Schulter zuſammenhielten, mit einem Bronzegürtel 
(Abb. 6), barfüßig. Dieſe zogen den Kriegsgefangenen im Lager entgegen, 
mit einem Schwert ausgerüſtet, bekränzten ſie und führten ſie dann zu einem 


1) Natürlich hatten die Schwerter auch Scheiden (vgl. Jahn, Bewaffnung der Ger: 
manen a. a. O.), aber auch ſie mag man im Kampf als behindernd entfernt haben. Die 
. Segen keine Schwertſcheide am Schwertgurt. 

. 28. 


390 hans Philipp [7 


Bronzekeſſel, der etwa 20 Eimer (= 524 Liter) faßte. Dor dem Keffel war 
ein Tritt, den eine der Prieſterinnen beitieg. Sodann langte fie die Gefangenen 
einzeln nad) oben und ſchnitt ihnen, über den Kejjel gebeugt, die Keble durch. 
Aus dem Blute, das in den Reſſel floß, verkündigten fie dann die Zukunft. 
Andere ſchnitten den Gefangenen den Leib auf und weisſagten aus den 
Eingeweiden ihren Leuten den Sieg. In der Schlacht ſchlugen ſie auf die Felle, 
die über das Flechtwerk ihrer Wagen geſpannt waren und machten ſo ge⸗ 
waltigen Cärm“. 

Nicht Blutgier und Roheit führte zu ſolchen Opfern, die wiederholt 
bezeugt werden, ſondern die Pflicht gegen die Gottheit verlangte ſie in 
Kriegsnot. Tacitus berichtet (Annalen 13, 57): „Der Ausgang des Krieges 
zwiſchen hermunduren und Chatten war für die Chatten vernichtend, denn 
die Sieger hatten das geſamte Heer der Feinde dem Mars und Merkur geweiht. 
So wurden denn dem Gelübde entſprechend die Pferde, die Männer und die 
geſamte ſonſtige Beute als Opfer dargebracht. Wie es bei ſolchem Opfer 
zuging, läßt eine Notiz aus den Dialogen Gregors des Großen ahnen (3, 28): 


Abb. 6. Holſteiniſche Gürtelketten, Eifen mit Bronzeblech, der ſpäten Latenezeit mit 
teilweiſe religiöſen Symbolen; Gürtelketten von Priejterinnen ? 
Aus S. Knorr: Friedhöfe der älteren Eiſenzeit in Schleswig⸗holſtein. Kiel 1910. Taf. VI, 
Abb. 139, 140, auf 14 verkleinert. 


„Sie (die Germanen) weihten ihrem Gott den Kopf einer geopferten Ziege, 
indem fie die Opferſtätte im Reigen umſchritten und dabei ein Lied fangen”. 

Es mögen dieje Berichte, die ſich noch vermehren laſſen, genügen, ein 
klares Bild übermittelt uns doch erſt die Derwertung der Funde des Vorge⸗ 
ſchichtlers. Die Bodenfunde ermöglichen eine einwandfreie Wiedergabe der 
germaniſchen Frauentracht, wie fie 3. B. die Trachtenfiguren des Hallenjer 
Provin3-Mufeums zeigen, Sibeln aus Bronze oder Eiſen und auch Gürtel⸗ 
bleche aus Bronze und bronzene Gürtelketten (Abb. 6), die der Strabobericht 
bei der Beſchreibung der Tracht der Prieſterinnen nennt, kennen wir aus den 
Funden dieſer Zeit, ja ſelbſt ein Opferkeſſel ſcheint im Original (Abb. 5), 
und in der Abbildung (Abb. 7 und 8) auf uns gekommen zu ſein, 
desgleichen Darſtellungen der geſamten OGpferhandlung (Abb. 7 und 8). 
Auf den Keſſel, den Strabo in dem oben genannten Bericht erwähnt, kommt 
er noch einmal an anderer Stelle (VII, 2, 295) zurück: „Die Kimbern ſandten 
dem Raiſer Auguſtus den Weihkeſſel, der bei ihnen als der heiligſte galt, als 
Geſchenk. . .“, und gerade in Jütland, dem „kimbriſchen Vorgebirge“, wie 
es im Altertum hieß, fand ſich 1891 beim Torfitechen der mit zahlreichen 
Bildern bedeckte große, jetzt im Kopenhagener Muſeum befindliche „Silber— 
keſſel von Gundeſtrup“ (Abb. 5), der nach Cöſchke um 300 vor Chr., nach 
Drexel in das 1. Jahrhundert vor Chr., nach Sophus Müller in das 
2. Jahrhundert nach Chriſti, nach Koſſinna in das 2. —5. Jahrhundert nach 


8] Teutonen und Kimbern 391 


Chriſti gehört, alſo zeitlich unbeſtimmt, aber alt iſt ). Das iſt erſichtlich 
ſolch ein Kultfefjel, wie ihn Strabo meint, dafür ſprechen das edle Metall 


ke 7 po 3 
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haces Fe SE, * NW 74 1 
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Dlatte 2 
Abb. 8. Grabplatten von Riwik. 


(Gewicht 8885 g) und die Bilder, unter ihnen auch Götterbilder. Uns be— 
ſchäftigt eine Abbildung (Abb. 7), die eine behoſte Menſchengeſtalt zeigt, 
die eine andere über einen Kejjel hält. Krieger zu Sub und zu Pferde 


nm Er enthält keltiſche () und griechiſche Motive: den keltiſchen Gott mit hirſch— 
geweih, Krieger mit keltiſchen Eberhelmen und Signaltrompeten. 


392 Hans Philipp [9 


mit Drachenfahnen, wie fie uns Ammianus Marcellinus in der Beſchreibung 
der Schlacht bei Straßburg als germaniſche Feldzeichen bezeugt, nahen ſich 
der Opferhandlung. Aus der Zeit um 1700 —1400 vor Chr. ſtammen die 
Grabplatten des Hügels von Rivik bei Cimbrishamm (!) im ſchwediſchen 
Schonen (Abb. 8), die auch eine „kimbriſche“ Kulthandlung darſtellen. Nicht 
alles iſt zu deuten, aber völlig klar ſpielen wieder gefeſſelte Gefangene eine 
Rolle, desgleichen auf der Platte 2 ein Keffel. Im übrigen denkt man an 
den oben erwähnten Kultreigen und an die Erklärung der Entſtehung des 
viertaftigen altdeutſchen halbverſes bei Wilhelm Scherer), der natürlich 
die genannten Bilddenkmäler nicht kannte: „Der viertaktige Halbvers älteſter 
deutſcher Gedichte mit den Strophengebilden, in denen er auftritt, findet ſich 
in den altindiſchen humnen wieder und zaubert der wiſſenſchaftlich geſchulten 
Phantaſie ein Bild aus der ariſchen 
Urzeit vor. Wir erblicken einen Kreis 
von Menſchen um die Opferſtätte 
verſammelt; ſie bewegen ſich 4 
Schritte vorwärts, 4 Schritte rück⸗ 
warts oder 4 Schritte rechts, 4 Schritte 
linfs. Die Bewegung begleitet ge= 
meſſener Geſang. Und jede ſolche 
Bewegung von einem Ausgangs- 
punkt weg bis zu dieſem Punkt 
zurück entſpricht einem Derfe von 
3 Takten oder doppelt jo vielen 
Silben in dem gleichzeitig geſungenen 
Liede.” Unſere Platten laſſen eine 
Muſikkapelle und zwei Halbchöre 
Abb. 9. Reſſelwagen (Kultwagen) von von Dermummten erkennen. 

enn Ein weiteres Beiſpiel für das 
tatſächliche Dorhandenfein der in den 
Berichten Strabos genannten Kultkeſſel bietet der bei Schwerin ausgegrabene 

Keffelwagen von Peckatel (Abb. 9) aus der Zeit um 1200 vor Chr.). 

In dem Bericht, den Plutarch Marius 23 über den Kimbernfrieg bietet, 
ſpielt ferner der „eherne Stier“ eine Rolle, bei dem die Rimbern ſchwuren 
und den die Römer als Siegeszeichen in das haus des Catulus bringen. An 
ein Feldzeichen, wie z. B. die Eberjymbole bei den Kelten bezeugt find ), 
iſt nicht zu denken, da es ſich nicht um eins von vielen Symbolen handelt, 
ſondern um ein beſonderes Symbol, bei dem man ſchwur. An ſich find uns 
„Tierbilder“ durch Tac. hist. 4, 22 auch einmal bei den Batavern bezeugt, 
die ihre ,,effigies,, die Abbildungen von wilden Tieren aus den Wäldern 
und Hainen holen, als fie gegen Rom ziehen; aber ſonſt ijt Tierkult bei den 
Germanen nicht bezeugt *), wohl aber bei den Kelten. Ein Blick in das Werk 


1) W. Scherer, Geſchichte der deutſchen Literatur, 1883, S. 7. 

2) Der Rultcharakter der Reſſelbagen wird von Schuchhardt (Goldfunde von 
Eberswalde 1914) beſtritten; vgl. auch die Reſſelwagen bei Mötefindt in der Feſtſchrift 
für Ed. hahn 1917, 209 ff. 

3) E. Esperandieu, Recueil général des bas-reliefs ... de la Gaule Romaine, Paris. 
Tom. I: Eberfeldzeichen auf dem Relief von Narbonne (695) und Orange S. 204). 

4) helm, Altgermaniſche Keligionsgeſchichte 1, 288 erinnert an die „Pferde“, die 
bei den Germanen urſprünglich wohl nicht nur „Mitwiſſer“ der Gottheit, ſondern ſelbſt 
Götter geweſen ſein mögen. Das iſt unbewieſen. Sehr merkwürdig iſt aber eine angeblich 
aus dem 16. Jahrh. ſtammende Steinplatte, die einen Mann mit Stierhörnern (7) und 


10] Teutonen und Kimbern] 393 


von Espérandieu +) zeigt die Häufigkeit ſolcher Tierkulte. Wir finden die 
Pferdegöttin Epona, meiſt auf einem Pferde reitend (Abb. 10), aber auch 
im Kreiſe von 5 Pferden ?) oder mit Pferd und Süllen ). Ex voto = Gaben 
zeigen als Symbol der Göttin dann auch nur das Pferd mit dem Füllen). 
Sie war gewiß urſprünglich eben ein Pferd. Ahnlich ſteht es mit dem „ge— 
hörnten“ Gott Cernunnos, der met als Mann mit hirſchgeweih (Abb. 11), 
aber auch mit Stierhörnern (Abb. 12) erſcheint 5). Es finden fic) ferner 
„dreigehörnte“ Stierbilder bei den Galliern, die offenbar kultiſche ) Be— 
deutung hatten, wo alſo der Stier den Gott darſtellte. Unter dem Chor von 
Notre Dame in Paris fanden ſich vier Reliefs, die durch Inſchriften genau 


Abb. 10. Epona. Abb. 11. Cernunnos zwiſchen Apollo und Merkur. 
(Sund- und Aufbewahrungsort Reims.) 


angeben, daß jie Götter darſtellen und welche. Außer Dulcan, Juppiter und 
Eſus, die alle drei Menſchengeſtalt zeigen, findet ſich im Schilf ſtehend und 
von drei Kranichen umgeben ein Stier, der „Tauros Trigaranus,,, der „Stier 
mit den drei Kranichen“ (Abb. 12— 15). Offenſichtlich handelt es ſich hier 
um einen durch den Stier dargeſtellten Gott, der, wie das Schilf ahnen läßt, 
irgendwie zu dem Waſſer in Beziehung ſteht. Ein weiteres Bild (Abb. 14) 
zeigt einen ſtiergehörnten Gott, einem „Dater Rhein“ ähnlich ). Wie das 


kultiſche Zeichen zeigt und am hohenſtein, Weſergebirge, gefunden ijt (Jaunert, Weſtfäl. 
Sagen, S. 56, Jena 1927). 

1) Dal. S. 392, Anm. 3. 

2) Espérandieu I, 5445. 

3) Esperandieu VI, 4698; III, 2127. 

4) Esperandieu III, 2040, 2121. 

5) Esperandieu V, 3655 zeigt den Gott mit hirſchgeweih, darunter als Symbole 
des Gottes: Hirjd) und Stier! Der Gott ijt „gehörnt“, wobei es eben offen ſteht ob mit 
den Stierhörnern oder dem hirſchgeweih. 

6) Esperandieu VII, 5380 (im Sequanerland) und 5589 (zu Zürich: vgl. den „Stier 
von Uri“). Eine Ciſte der Stiere mit den 3 hörnern gibt Salomon Reinach, Catalog. 
des bronzes des Mus. de Saint-Germain, p. 278; val. Renel, Les religions de la Gaule 
avant le christanisme, p. 242. 

?) Espérandieu VIII, 6258 (val. Cehner, Berichte der Provinzialkommiſſion für 
Dentmalspflege 1913, 67). Zum Tauros Trigaranus vgl. auch Studniczka, Jahrb. für 
klrchäol. 1905, S. 17. Ein gehörnter „Juppiter“ (2) in Metz: V, 4294. 


it~ 


394 hans Philipp [11 


Pferd dürfte daher auch der Stier ein Gottesijymbol der Kelten geweſen fein 
(Abb. 12—13). Coeſchke hat in Trier einen ſolchen Stiergott, unter dem 
ein gefeſſelter Mann liegt ), gefunden. Leider fehlt bisher eine Derdffentli- 
chung, auf die ich mich berufen könnte. Endlich ijt für ſolche keltiſchen Stier— 
götter auch auf den berühmten „Bärengott“ in Bern, deſſen Wahrzeichen 
von heute die Bären find, zu verweilen. Eine bei Bollendorf in einer Fels— 
ſchlucht gefundene Inſchrift berichtet von dem Jagderlebnis eines Relten mit 
Namen Biber, der die Bärengöttin Artio in ſeiner Angjt anruft: „Artioni 
Biber“. Alſo auch hier liegt ein „Tierkult“ vor. So will ich auch in dem 
ehernen Stier der Kimbern eine Errungenſchaft ihrer Berührungen mit den 


bb. 15. Abb. 14. Bronzekopf eines gehörn⸗ 


Abb. 12. l 
Der Gott Ejus zerhakt einen Baum (Weide), hinter ten Gottes. Fundort bei Lezour. 
dem der Taurus Trigaranus, der Stier mit den drei Aufbewahrungsort Muſeum 
Kranichen Wei Sundort: Notre Dame (paris). Saint Germain. 


Aufbewahrungsort Mujeum Cluny. 


Kelten ſehen und nicht ein Gottesſumbol, das fie aus Jütland mitgebracht 
hatten. Für die Germanen ſind ſolche Tiergötter, die bei den Kelten jo 
häufig ſind und gewiß auch die Tierfiguren auf ihren Feldzeichen erklären, 
ah gefunden und mit Ausnahme der oben erklärten Tacitusnotiz nicht 
ezeugt. 


Endlich ſind es noch die „germaniſchen“ Hunde, über die ein Wort 
zu verlieren iſt. Bei den Germanen werden Kriegshunde mit Ausnahme der 
Schilderung des letzten Kampfes um die Wagenburg (Abb. 15) der Kimbern, 
die die Hunde verteidigen, nicht erwähnt, wohl aber bei den Kelten der 
britiſchen Inſeln und in Gallien. Auf der Opferſzene (Abb. 7) fehlt der 
„germaniſche“ Hund ebenfalls nicht, ſollte auch der Kriegshund eine von 
den Kelten übernommene Errungenſchaft fein? Die antiken Jeugniſſe be— 
tonen, daß die Kelten nicht nur treffliche Jagdhunde zu ziehen verſtanden, 
ſondern heben ausdrücklich deren Derwendung als Kriegshunde hervor: 
(Strabo 200): „Die Relten Britanniens verwenden die Inſelhunde und 


) Coeſchke beitreitet zwar dieſe Sellelung, doch erſcheint fie kaum abzuleugnen. 


Es ſei hier noch einmal auf die S. 392, Anmerk. 4, erwähnte Platte von Hohenftein 
mit gehörntem Manne hingewieſen. 


12] Teutonen und Kimbern 395 


auch die Feſtlandshunde auch im Kriege“ !). Beſtätigt wird mir dies auch 
von dem Keltijten der Berliner Univerſität Doforny, der auf die alt⸗iriſchen 
Sagen verweiſt, wo der Kriegshund eine große Rolle ſpielt und an eiſernen 
Retten in die Schlacht geführt wird, um im entſcheidenden Moment losge⸗ 
laſſen zu werden 2). Dazu kommt, daß die keltiſchen Namen nach brieflicher 
Mitteilung Pokornys oft mit Cu (= Schlachthund) gebildet find, in dem 
als zweiter Teil dann ein Ortsname oder Göttername tritt ). 

Somit ergibt ſich, daß, will man nicht gegen alle Überlieferung die 
nordiſche heimat der Kimbern, Teutonen und Ambronen in Frage ſtellen, 
die drei Stämme aus germaniſchem Gebiet ſtammen. Da aber die Kelten 


Abb. 15. Die Wagenburg als Lagerverteidigung begegnet aud) nod) auf der Trajansjäule 
in der Dölterwanderungszeit. 


früher das Eiſen kennen lernten als die Germanen und in der Latenezeit 
dadurch zeitweiſe überlegen waren, jo entzogen ſich die Kimbern und Teutonen 
auf ihrer Wanderung nicht den Vorzügen keltiſcher Ausrüjtung. Der Stoß 
der Kimbern traf die Boier in Böhmen, hier müſſen ſich aberteuerluſtige 
Männer ihnen angeſchloſſen haben, fo erklärt ſich der Kimbernführer Boiorix 
mit feinem keltiſchen Namen. Aud) ſonſt ging der Jug durch das keltiſche 
Süddeutſchland, wo die keltiſchen Helvetier noch bis zum Main wohnten. 


1) Die keltiſchen Reliefs zeigen auffallend häufig Hundedarſtellungen, met Jagd⸗ 
De Es treten zwei Uypen hervor, eine Art Wolfshund (3. B. Espérandeu VIII, 
26; 6133, 6530; VI 5064; V 3744, 3923) und eine Art Bullterrier (V 3957). Antite 
Seusnilfe bieten Plinius n. h. 8, 143; 148 (keltiſche Jagdhunde! Oppian, Cyn, I. 573; Grat. 
. 155; Martial A 47, 16; in Britannien auch nod) Dio Cass. 39, 51). 
4 Dol. Joyce, Social History of Ancient Ireland. 

3) 3.B. Cu- hulainn „Hund des Schmiedegottes Culann“, Cu Ulad = „Hund 
von Ulſter“. Auch kt e Namen mit „Cuno“ im 1. Glied enthalten das Wort hund 
(ogl. older, Altkeltiicher Sprachſchatz) und deuten darauf hin, daß der Hund eine große 
Rolle ſpielte. Bei den Germanen ſtoße ich nur auf den Namen „Hunding” und den Hund 
als Begleittier der Nehalennia, die vielleicht eine keltiſche Göttin war. 


396 Hans Philipp, Teutonen und Kimbern. [13 


Hier kennen fie noch die Quelle Cäſars VI, 25, 1 und Tacitus German. 281), 
hier zeugen die Steinſäule bei Miltenberg, die nahen Dotivinfchriften und 
die Heidelberger Inſchrift von der Anwefenheit der Kimbern und Teutonen, 
deren Namen hier keltiſiert Inter Toutonos lautet. Im helvetierland ſchloſſen 
ſich auch ganze keltiſche VDölkerſplitter den Germanen, jo die Tiguriner, in 
Südweſtdeutſchland erfolgte auch die Vereinigung mit den Teutonen, die, 
wie erwähnt, ſich auch nicht frei von keltiſchem Zulauf hielten. In der Aus- 
rüſtung wird gerade die Rernmannſchaft durch die Beuteſtücke den Kelten 
ſich recht genähert haben. Es liegt etwas wahres in der Überlieferung, daß 
nicht nur Sturmflut und Candnot aus ihrer Nordſeeküſtenheimat trieb, ſondern 
auch der Glanz ſüdlicherer Kulturen. Erſt lockte der Glanz der keltiſchen 
Catènekultur, ſpäter Italien. Auf ihrer langen Wanderung find die Germanen 
verwelſcht, ihre nordiſche heimat hatte ye zu einem Leben gezwungen, gegen 
das das der Völker des Südens und das der Kelten, überwältigenden Ein⸗ 
druck machte. Nur im Endkampf ſtarben ſie als Germanen. 


1) Philipp in Nordens Germaniſcher Urgeſchichte, 474 ff. Ich halte nach wie vor 
daran feſt, ei, Artemidor den Namen Germanen in die Literatur einführte, nicht eit 
donios, nicht Caeſar, und nehme Artemidor als die erſte Quelle Caeſars in Anjprud (Zeit 
Artemidors: Sieglin-philipp bei Norden 476, 1 und 467, 1), als die zweite dann 
Poſeidonios, der für die Anfangsbücher der Kommentare I—IV noch nicht vorlag! 


Mitarbeiter. 


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Dr. Julius Andree, Privatdozent an der Univerſität Münſter, Dem. `... 
Dr. Eduard Beninger, Naturhiſt. Mufeum, Wines 
Dr. Georg Bier baum, Leiter des Archivs urgeſchichtlicher Sunde aus Sachſen, Dresden 
Dr. Pedro Boſch⸗Gimpera, Univerſitätsprofeſſor, Barcelona . ........ 
D Gordon Childe, Univerſitätsprofeſſor, Edinburgh `... n 
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menſchliche Erblehre und Eugenik 
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SDNEIOEMUDL fllln ah RS a SES ME ee a eo BS 
. Martin Jahn, Autos am Sdlefifden Muſeum f. Kunjtgewerbe und Alter: 
mer ee ⅛ wi Rw we E 
Erich Jung, Univerſitätsprofeſſor, MarbungEEE 
Mar König, Schloßmuſeum, ZJerbduZteꝛetetet z e.. 
Dr. Georg Kraft, Privatdozent an der Univerſität Sreibu es. 
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E ðͤ ⁵ĩ (/ er an Kress ar 
Jorg Tehhler, Beli & w 2 Aue En a 2 
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Erich Rademacher, Regierungs- und Baurat, JüliRhgh . 
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altertunter, Ratibor. = wa. = a 8 wen ]˙ ß·»ꝛ ne 


S FF SSSsss FF 


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Reiches Beil.... ³ðA re ee SS 350 
Dr. Stig Roeder, Univerſitätsprofeſſor, Göttingen 190 
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Braune, Kurt, Lehrer, Leipzig⸗Wahren. 
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Caemmerer, Erich, Studienrat Dr., Sondershauſen. 
Childe, D. Gordon, Univ.⸗Profeſſor, Edinburgh. 
Clak, heinrich, Juſtizrat, Berlin. 
Dasler, Alexander, Lehrer, Lorzendorf, Poſt Broſewitz i. Schleſ. 
Diewitz, Georg, Dr. med., Leipzig. 
Dormeyer, Carl, Dr. phil., Chorin. 
Dutſchmann, E resden A. 
Ebersbach, Schulrat, Preuß.⸗Sriedland, Grenzmark. 
Ebert, Mar, Univ.-Prof. Dr., Berlin-Wilmersdorf. 
Eichhorn, Guſtaf, Sanitatsrat Dr. med., Muſ.⸗Konſervator, Jena. 
S. Majeſtät König Serdinand von Bulgarien, Koburg. 
iddide, Sanitätsrat Dr. med., Sreienwalde a. d. Oder. 
iſcher, Eugen, Univ.⸗Prof. Dr., Berlin-Dahlem. 
leming, Joſeph, höchſt a. M. 
lorſchütz, Prof. Dr., Gotha. 
VVV Urgeſchichtliches, Tübingen; durch Prof. Dr. Rob. R. Schmidt. 
orſter, 5. v., Geheimer Hofrat Dr., Nürnberg. 
ritzweiler, Stau Geheimrat, Berlin-Steglitz. 
tomm, Geb. Juſtizrat, Rammergerichtsrat i. R., Berlin. 
ubfe, Sranz, Prof. Dr., Muſ.⸗Direktor, Braunſchweig. 
uß, Herbert, Dr., Aſſiſtent an der Univ.-Sternwarte, Berlin:Babelsberg. 
aisberg⸗Schöckingen, Friedrich, Sreiberr v., Schöckingen, O.-A. Leonberg (Wrttbg.). 
Genzmer, Selir, Univ.-Prof. Dr., Marburg a. d. Lahn. 
Heſchwendt, Stig, Lehrer, Breslau. 
Geſellſchaft, Kolrer, Anthropologiſche, Köln a. Rh.; durch Dr. E. h. C. Rademacher. 
Seſellſchaft für Anthropologie und Urgeſchichte der Preußiſchen Oberlauſitz, Görlitz. 
Geſellſchaft für heimatforſchung im Retzekreiſe; durch Prof. Karl Schulz. 
Glombowſki, Sritz, cand. prachist., Danzig. 
Götting, Dr., Korvettenkapitän a. D., Jena. 
Graf, Otto, Betriebsleiter, Schöningen (Braunſchweig). 
Grauert, A., Lehrer, Tauqwik bei Bad Röſen i. Th. 
Gummel, Hans, Dr. phil., Kuſtos am Provinzialmuſeum zu hannover, Hannover. 
auffe, G., Dr. med., Berlin-Wilmersdorf. 
eimatmuſeum der Stadt Sriedeberg i. d. Neumark; durch Gumnaſialdirektor Dr. Müller. 
eimatmuſeum, Naturkundliches, Leipzig. 
eimatmuſeum der Stadt Staßfurt. 


400 Spender 


a und Muſeumsverein Aeligengräße, Dot non (Oſtprignitz). 
errmann, Carl, ll api i. R., Leiter der Abteilung Vorgeſchichte des Städt. 
Muſeums in Naumburg a. d. S. 
ep v. Wichdorff, Hans, Prof. Dr., Landesgeologe, Berlin. 
eßler, Karl, Rektor, Kaſſel. 
eynen, Rolf, stud. aechaeol., Düſſeldorf. 
ogrebe, Ba goal Cage ira Osnabrück. 
oh mann, Karl, Dr., Direktor, Eichwalde, Kr. Teltow. 
N Martin, Dr. phil., Muſeums kuſtos, Breslau. 
Kade, C., Apotheker, Römhild i. Th. 
Karuß, Karl, Kaufmann, Helmſtedt (Braunſchweig). 
Kiejow, Erich, Oberſchreibersmaat, hamburg. 
Klodow, Georg, Dr., Tierarzt, Berlin⸗Cichterfelde. 
Kod, Dr. med., Oberarzt, Bochum i. W., Krankenhaus Bergmannsheil. 
Koffinna, Richard, Geheimer Juſtizrat, Nordhauſen a. h. 
Krebs, Albert, le Wanne⸗Eickel i. Weſtf. 
Krehan, Sinanzrat i. R., Apolda i. Th. 
Kreisheimatmuſeum Demmin, Domm. 
Krügel, Max, Lehrer, Berlin. 
Kühn, herbert, Prof. Dr., Privatdozent a. d. Univerſität Köln, Röln⸗ Rodenkirchen. 
Ca Baume, Dr., Muſeumsdirektor, Da Gas 
Campe, W., Lehrer, harriehauſen bei Gandersheim. 
Langer, Sranz, Oberpoſtſekretär a. D., Waidmannsluſt bei Berlin. 
Cangerhans, Wilhelm, Geheimer Juſtizrat, Berlin. 
Cechler, Georg, Dr. phil., Berlin. 
Cehmann, Ernſt, Studienaſſeſſor, Erfurt. 
Ceinveber, Geh.⸗Reg.⸗Rat, Oberbürgermeiſter a. D., Goslar. 
Cienau, M. M., Altertumsforſcher, Frankfurt a. d. Oder. 
Cupprian, Oberpoſtdirektor, Eſſen (Ruhr). 
HAT G., Lehrer, Charlottenburg. 
Mahr, Adolf, Keeper of Irish Antiquities National Museum of Ireland, Dublin. 
Matz, hermann, Amtsgeridtsrat a. D., Röpenick-Spindlersfeld. 
Meiner, Arthur, Hofrat Dr., Leipzig. 
Mertens, Prof. Dr., Magdeburg. 
Moſchkau, Rudolf, Lehrer, Leipzig-Stüns. 
Muchau, hermann, Prof. Dr., Brandenburg a. D. 
Mujeum, Guſtav-⸗Cübke⸗, Städtiſches, hamm i. Weſtf.; durch Muſeumsdirektor 


Bänfer. 
Muſeum, Schleswig-holſtein., Daterland. Altertümer zu Kiel; durch Ruſtos Roth— 
mann 


nn. 
Muſeums- und Geſchichtsverein, Uckermärkiſcher, Prenzlau. 
Navarro, J. M. de, Brüſſel. 
Nerman, Birger, Univ.⸗Prof. Dr., Stockholm. 
Nordiſcher Ring, Berlin-Tempelhof; durch Geheimen Reg.-Rat hanno Ronopath. 
Nüſe, Karl, Volkswirt, Göttingen. 
Pane Konrad, Prof. Dr., Berlin-Schöneberg. 
aulſen, Jens, Dr., Arzt, Kiel:Ellerbed. 
Peterſen, Ernſt, Dr. phil., Breslau. 
etzſch, W., Dr., Privatdozent, Greifswald. 
feiffer, h., Prof. Dr., Präſident des Reichsgeſundheitsamts, hamburg. 
hilipp, hans, Studienrat Dr., Berlin-Sriedenau. 
iesker, Hans, hofbeſitzer, stud. archacol-prachist., Hermannsburg. 
Platz, Wilhelm, Dr., Weinheim a. d. Beraſtraße. 
Provinzialdenkmalpflege, Oberſchleſiſche, für Bodenaltertümer, Ratibor; durch 
Dr. Frhr. v. Richthofen. 
Radig, Werner, Dr. phil., Leipzig. 
Reichhelm, Zahnarzt, Treuenbrietzen. 
Reismann-Grone, Theodor, Dr., Eſſen a. d. Ruhr. 
Reuter, Otto Sigfrid, Telegraphendirektor, Bremen-huchting. 
Richter, Martin, Oberpoſtſekretär, Neuſtadt a. d. Orla. 
Richter, Otto, Baurat, Berlin-Wilmersdorf. 
Roeder, Fritz, Univ.-Prof. Dr., Gottingen. 
Schemmel, hertha, Berlin-Tempelhof. 
Schick, Pfarrer, Queckborn (Oberheſſen). 


Spender 401 


Schirmer, 5 a. D., Weimar. 

Schlender, J. B., Frl., Dresden. 

5 EE Dans, Dr. med., Bremen. 

5 „Wolfgang, Dr., Görlitz. 

Schul e, Hugo, anitätsrat Dr., Driedorf (Dillkreis). 

Schumacher, aul, Studienrat, Gardelegen (Altmark). 

Seger, Hans, Univ.-Prof. Dr., Muſeums direktor, Breslau. 

Snethlage, Emit, Reg. *Infpettor a. D., Berlin. 

Solger, riedrich, Univ. ⸗ ek Dr., Berlin 

Sprodho f, Ernſt, Dr., Eſſiſtent des Urgelihlichen Landesdienftes, Hannover. 
Stahel, heinr. Maximilian, 5 Berthelsdorf. 

Staritz, 5 Dr., Berlin-Cichtenrade. 

Strantz, Kurt v., Wirtlicher Rat, Berlin⸗Sriedenau. 

Tackenberg, Kurt, Dr. Ba Breslau. 

Tode, Alfred, Dr. phil., 

Univerjitätsbibliothet, hessische, Gießen. 

Verein für Geſchichte und Altertum, Bernburg. 

Verein heimatmuſeum für Stadt und Kreis al 

Wagner, Friedrich, Prof. Dr., Konfervator der Pra ER? Staatsſammlung, München. 

Wagner, Fritz, Buchdruckereibeſitzer, Neuftadt a. 

Wirth, mann. Prof. Dr., Marburg a. d. Ges 

Witte, hard, Dr., Berlin⸗Cichterfelde. 

Dott Oskar, Dr., Walsrode, Bez. Hannover. 

Woſſidlo, au Prof. Dr. h. c., Waren i. Medlbg. 


Mannus, zeitſchtift füt Votgeſch., VI. Era.-Bd. 26 


Schlußwort. 


Nach vollbrachter Arbeit ſei aller derer gedacht, die mitgewirkt haben: 


Herr Obergeneralarzt Dr. Wilke leitete die vorbereitenden Herausgeber- 
arbeiten. Trotz der Kürze der Zeit fand ſich der große Mitarbeiterkreis 
zuſammen; mancher hat ſich Beſchränkung auferlegt, um Platz für weitere 
Beiträge zu ſchaffen. Andere wieder unterſtützten das Werk durch Spenden, 
die von herrn Snethlage verwaltet wurden. Die Mujeen Breslau, 
Danzig, halle, heiligengrabe, Kiel und die Herren Dr. Aberg 
und Dr. Frenzel gaben Druditöde; das Muſeum Halle ſtellte ſein Büro 
in den Dienſt der Herausgabe. Eilige Auskünfte erteilte bereitwillig der 
Bruder des Jubilars, Herr Geheimer Juſtizrat Koſſinna-Rordhauſen. 
Der Derlag übernahm gern die Herausgabe des Werkes als Ehrenpflicht. 

Allen fei hier auch im Namen von herrn Profeſſor hahne der 
Dank ausgeſprochen. 


halle, im September 1928. 
Walther Schulz. 


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Geſellſchaſt für deutfche Vorgeſchichte 


Mannus 


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2 . 


Zeitſchriſt für Vorgeschichte 


begründet und herausgegeben von Prof. Dr. Guſt af Koſſinna 


MI. Ergänzungsband 
Bericht über oͤie zehnte Tagung für Vorgeſchichte 
Magdeburg, 2. bis 7. September 1928 
Unter Mitwirkung von 
Carl Engel 


Herausgegeben von 


Guſtaf Koffinna 
Mit 97 Abbildungen im Text und 1 Tafel 
. ̃ . ——.. . — 


Leipzig verlag von Curt Kabitzſch 
1929 


Alle Rechte, insbeſondere das der Überſetzung, un 
Printed in Germany 


Druck von Grimme & Trömel in Leipzig 


Inhalts verzeichnis 


Seite 
Koffinna, Guſtaf und Engel, N dial hdd . der en Mit 
19 Textabbildungen. ? 

Begrüßungsabend am 1. September Re NEE 1 
Sonntag, den 2. September. nal Aaa “und Begrüßungsanfpradien a Ze 3 
Montag, den A September. Nr Sr 8 7 
Dienstag, den A. September. . 2. 2. 2. 2. 1. Er wee II 
Ausflüge. E ‚ a ee oe Se . . . 719 
Verzeichnis der 310 Teilnehmer : > iol 
Jordan, Stimmungen und Einfälle von der 10. Tagung für vorgeſchichte. . 35 
Vorträge: 

Kofjinna, Guſtaf, Germaniſcher Götterdienſt in der Vorgeſchichte 39 


van Werveke, Leopold, üÜberſicht über die Punkte, in denen meine Auf: 
faffung über die Gliederung des Diluviums Mittel. und Rorddeutſchlands 
von derjenigen der amtlichen geologiſchen Karten abweicht. Mit einer vor— 


geſchichtlichen Zeittafel im Tert . et ae ee | 
Engel, Carl, Sur Gliederung der mitteldeutfchen Altſteinzeit. mit einer Karte 

und einer Seittafel im Tert. . 45 
Lehmann, D (Halle a. S.), Die neue Artefaktfundftelle im Cap des Balen 

winkels bei Unterrißdorf (Mansfelder Seekreis). 53 


Andree, Julius, Sur Charakterijtik der Sirgenſteiner Stufe in Weftfaten und 
über die Stellung diefer Stufe im Rahmen des ne mit 12 Abs 


bildungen im Cert `, . 59 
Engel, Carl, Überſicht der jungſteinzeitlichen Kulturen im mittelelbgebiet. 

mit 4 Karten und 1 Zeittafel im Text.. 71 
Radig, Werner, Nordifcher und donaulandiſcher Hausbau im jungjteingeittichen 

Mitteleuropa (Auszug). Mit 1 Abbildung im Text.. 91 
Engel, Carl, Herkunft und Ausbreitung der früheiſenzeitlichen Hausurnen 

Nord» und Mitteleuropas. Mit 5 Abbildungen im Text. 96 
Lehmann, Ernſt (Erfurt), Knowijer Kultur in Thüringen und vorgejchicht- 

licher Kannibalismus. Mit 10 Abbildungen im Text .. 107 


Felsberg, Otto, die römiſche Kaiferzeit und völkerwanderungszeit im Elb⸗ 
havelland. Mit 3 Fundverzeichniſſen, 3 Karten und 18 Abbildungen im Cert 123 
Kübn, Herbert, Das Jahr 550 nach Chriſtus als kulturgeſchichtlicher Wende 


punkt in der Dölkerwanderungszeit. Mit 9 Abbildungen im Cert. 170 
Geſchwendt, Fritz, Werbetätigkeit im Dienſte der dorgefchichtsmifienichaft 
(kurzer Auszug) .. f 179 


Becker, Bernhard, Der Landlehrer im Dienſte der vorgeſchichtsforſchung J. 183 
Reinerth, hans, Siebenbürgen als nordiſches Kulturland der ee Steinzeit. 
Mit 8 Abbildungen im Text.. 189 
Engel, Carl, Die Reugeſtaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung. 
Beiträge zur prähiſtoriſchen Mlufeumstehnik. Mit 9 Abbildungen im Text 200 


1308280 


J. Außerer Verlauf der Tagung 


Geſchildert von Guftaf Koffinna und Carl Engel 
mit 19 Textabbildungen 


Der Begrüßungsabend am Sonnabend, den 1. September 


Der große Feſtſaal des Kloſter⸗Berge⸗Gartens faßte kaum die mehreren 
Hundert auswärtigen und einheimiſchen Teilnehmer, die ſich abends 8 Uhr zur 
Begrüßungsfeier verſammelt hatten. Im Namen des Muſeumsausſchuſſes des 
Magdeburger Muſeums für Natur- und Heimatkunde begrüßte Oberſtudien⸗ 
rat Dr. Krüger (Magdeburg) die erſchienenen Gäſte und wünſchte ihnen 
einen genußreichen und ihre Erwartungen voll befriedigenden Verlauf der 
Tagung. Beſonderen Dank ſprach er dem Oberpräſidenten Prof. Dr. Waentig 
aus, der durch ſein perſönliches Erſcheinen das Intereſſe und Wohlwollen be⸗ 
zeuge, das die Spitzenbehörde der Provinz Sachſen der Deranitaltung entgegen: 
bringe. In Abweſenheit des 1. Vorſitzers, Geheimrats Koſſinna, dankte 
Prof. Dr. Paape (Berlin) im Namen der Geſellſchaft für die herzliche Auf: 
nahme in der Stadt Magdeburg, die ſich ſchon heute, am Anreiſetage, zeige, 
und für die muſtergültige Organiſation, die ſchon beim Eintreffen der aus⸗ 
wärtigen Mitglieder auf dem Bahnhof dankbar empfunden ſei. In knappen 
Zügen ſchilderte er ſodann die Erfolge, die der Geſellſchaft bei ihrem Beſtreben, 
Teilnahme und Liebe für die deutſche Vorzeit in weiteſten Kreiſen des Volkes 
zu wecken, in faſt zwanzigjähriger Tätigkeit beſchieden geweſen ſeien und die 
lich beſonders am heutigen Abend in dem Erſcheinen zahlreicher Dorgeſchichts⸗ 
freunde aus nah und fern zeige. 

Swifden den Anſprachen belebten Geſangsdarbietungen des Chors der 
Magdeburger Volksmuſikſchule unter der Leitung von Helmuth Weiß die 
Pauſen. Die mit warmer Einfühlung und lebhafter Begeiſterung vorgetra— 
genen alten Volkslieder und Madrigale trugen zur Steigerung der feſtlichen 
Stimmung, die bald alle Teilnehmer erfaßte, weſentlich bei. 

Allgemeines Auffehen erregte das Erſcheinen des 1. Dorſitzers, Geheim⸗ 
rats Koſſinna, dem Oberftudienrat Dr. Krüger für fein perſönliches Er: 
ſcheinen beſonders dankte, indem er auf die große Pflichttreue verwies, die 
es ihm trotz feines Alters und der anſtrengenden Dorbereitungstage vor der 
Tagung nicht geſtattete, eine der vorgeſehenen Deranjtaltungen zu verſäumen. 

Im Anſchluß an einige geſchäftliche Mitteilungen gedachte Dr. Carl 
Engel (Magdeburg) der Männer, deren jahrelange aufopfernde Forſcher— 
tätigkeit die deutſche und die heimatliche Vorgeſchichtsforſchung zu ihrer heu— 
tigen Blüte geführt habe, und auf deren Arbeit die neue Generation in Dank— 

Mannus, Seitſchrift für Vorgeſch., VII. Erg.⸗Bd. 1 


2 Begrüßungsabend 2 


barkeit weiterbaue. Die deutſche Vorgeſchichtsforſchung fei noch jo jung, daß 
jie noch heute einige dieſer Bahnbrecher unter den ihrigen — auch unter den 
Anwejenden — ſehe, allen voran den allverehrten Dorfiger der Geſellſchaft 
und Vater der deutſchen Dorgeſchichtsforſchung, Guſtaf Koſſinna. Aber der 
heutige Begrüßungsabend dürfe nicht vorübergehen, ohne der Männer zu 
gedenken, die durch ihre unabläſſige Heimatforſchung die Dorgeſchichte des 
Mittelelbgebietes geklärt und damit auch den Boden für die jetzige Magde⸗ 
burger Tagung bereitet hätten. Don jeher habe das mittlere Elbgebiet durch 
hervorragende Forſcher an dem Ausbau der deutſchen Dorgeſchichtsforſchung 
bedeutenden Anteil genommen. So ſei vor allem des Rektors Dr. Friedrich 
Danneil zu gedenken, der ſchon vor faſt 100 Jahren in Salzwedel als erſter 
das Dreiperiodenſyſtem, die Einteilung der vorgeſchichtlichen Zeiträume in 
Steine, Bronze⸗ und Eiſenzeit, aufgeſtellt habe. Der noch heute in Stendal 
trotz ſeines Alters rüſtig wirkende Prof. Dr. Paul Kupka habe ſein Erbe 
übernommen und die vorgeſchichtlichen Derhältniſſe der Altmark in vorbild- 
licher Weiſe geklärt. Auch im Süden hätten bedeutende Forſcher gewirkt. 
Auf den bahnbrechenden Jenaer Prof. Dr. Klopfleiſch ſei der im Welt⸗ 
kriege verſtorbene Prof. Dr. Paul Höfer (Wernigerode) gefolgt, deſſen um⸗ 
ſichtige Arbeiten die mitteldeutſche Vorgeſchichtsforſchung um ein bedeutendes 
Stück vorwärts gebracht hätten. So möge der heutige Begrüßungsabend 
neben der Freude am Errungenen auch dem Gedächtnis der Bahnbrecher ge- 
widmet ſein. 

In dem anſchließenden Feſtvortrag „Aus Magdeburgs großen 
Tagen“ gab Amtsgerichtsrat W. Mengert (Magdeburg) einen lebendigen 
Überblick über die Geſchichte der Stadt Magdeburg in Einzelbildern. 
Dank ſeiner anſchaulichen Schilderungsgabe vermittelte er den Zuhörern 
einen nachhaltigen Eindruck von den großen Tagen der an wechſelvollen 
Schickſalen ſo reichen Entwicklung der Stadt. Vor ihnen erſtanden wieder 
die Seiten, da das Römerheer unter Druſus die Elbe erreichte; da die (Grenz, 
Rämpfe zwiſchen Deutſchen und Slawen an der Elbe aufflammten und hin 
und her wogten, bis die Burg Karls des Großen als Grenzfeſte und Brücken⸗ 
kopf erbaut wurde, die unter den ſächſiſchen Kaijern kraftvoll einſetzende 
Neuhkoloniſation das oſtelbiſche Land wieder unter deutſches Szepter brachte. Dor 
ihnen erſtanden die glanzvollen Tage, welche die Stadt der Erzbiſchöfe erlebte, 
in der das Wunderwerk des Magdeburger Domes langſam emporwuchs; in 
der an Haiſers Statt der Erzbiſchof die Fehde gegen Heinrich den Cöwen 
führte und die Stadt Neuhaldensleben eroberte und zerſtörte; in der innere 
Fehde zwiſchen Bürgerſchaft und Erzbiſchof den Frieden ſtörte und Burck— 
hardt im Keller des Rathaujes ermordet ward. Aus der Stadt der Erzbiſchöfe 
erwuchs mit dem Erſtarken des Bürgertums langſam die Hanſeſtadt. Als 
Cuther in der alten Stadtkirche predigte und unaufhaltſam die Reformation 
ihren Einzug hielt, erlebte Magdeburg als „Unſeres Herrgotts Kanzlei“ von 
neuem ſtürmiſche Seiten. Trotz der Schlappe in der durch Wilhelm Raabes 
klaſſiſcher Schilderung in „Unſeres Herrgotts Kanzlei“ weltbekannt gewor- 
denen Schlacht von Hillersleben behauptete fic) die Stadt tapfer gegen die 
Belagerung durch Moritz von Sachſen (1550 51) und ſchloß einen ehrenvollen 
Vergleich. Um fo ſchlimmeres Unheil brachte der Dreißigjährige Krieg über 
Magdeburg, währenddeſſen 1651 Tillys Scharen nach hartem Kampf in die 
ſich tapfer verteidigende Stadt eindrangen, und dieſe nach ungeheurem Brande 
völlig in Schutt und Oldie ſank. Don dieſem furchtbaren Schickſalsſchlage 
deſſen Schreckenskunde über die ganze ziviliſierte Welt flog, hat Magdeburg 


3] Derlauf der Tagung 3 


ſich Jahrhunderte hindurch nur langſam erholen können, und erjt in der 
jüngſten Dergangenheit hat fie die letzten Spuren davon abgeftreift. Im 
Stadtbild treten ſie noch heute hervor. In einem letzten Bilde zeichnete der 
Vortragende die Stadt des Klaſſizismus, in deren nördlicher Vorſtadt Prinz 
Louis Ferdinand manch fröhliche und ſtille Stunde verlebte. 

So verſtand es der Redner, durch ſeine warmherzigen Ausführungen die 
zur Jubiläumstagung auserſehene alte Stadt auch den auswärtigen Gäſten 
ſchnell vertraut und lieb zu machen. 


Sonntag, den 2. September 


In dem feſtlich geſchmückten und faſt bis auf den letzten Platz gefüllten 
Bürgerſaal des Magdeburger Rathauſes leitete 9 Uhr vormittags der 
1. Vorſitzer, Geheimrat Koſſinna, mit ſeinem Feſtvortrage „Germaniſcher 
Götterkult in der Dorgeſchichte“ den öffentlichen Teil der Tagung ein und 
fuhr dann fort: 

Hiermit eröffne ich die 10. Tagung für Dorgeſchichte im 20. Jahre 
unſerer Geſellſchaft; wir begehen alſo eine Art Jubiläumstagung. Möge ſie 
ſich ebenbürtig anſchließen unſeren letzten großen Tagungen in Köthen und 
Braunſchweig. Die hocherfreuliche ſtarke Beteiligung aus Magdeburg wie 
von außerhalb gibt uns dafür eine Bürgſchaft. Unſer Programm iſt mit 
Wiſſenſchaft voll geſättigt. Möge denn auch bei unſeren Ausflügen der urger: 
maniſche Himmelsgott auf unſer Tun gnädig herabſehen und es ſegnend be— 
leuchten. 


Es erfolgten nunmehr die Begrüßungen: 

Als Vertreter des Oberpräſidenten der Provinz Sachſen und des Re: 
gierungspräſidenten für den Bezirk Magdeburg begrüßte Oberregierungsrat 
Freiherr von hammerſtein die Derfammlung und ſprach die Freude beider 
Behörden darüber aus, daß eine wiſſenſchaftlich fo angeſehene Geſellſchaft die 
Provinzial- und Bezirkshauptitadt zu ihrem Tagungsorte gewählt habe. Als 
Vertreter der Stadt Magdeburg begrüßte Oberbürgermeiſter Beims pers 
ſönlich die Anweſenden. Mit Recht wies er darauf hin, daß gerade die 
deutſche Vorgeſchichtswiſſenſchaft der verſtändnisvollen Förderung ſeitens der 
Kommunen oft mehr zu danken gehabt habe als der Unterſtützung durch 
den Staat. Gerade von den einzelnen Städten, die oft bedeutende Opfer nicht 
geſcheut hätten, fei eine Förderung der deutſchen Vorzeitforſchung aus: 
gegangen, der dieſe eingedenk bleiben möchte. Auch die Stadt Magdeburg 
habe alles, was in ihrer Macht ſtand, getan, um die jetzige Tagung würdig 
vorzubereiten; vor allem bedeutende Mittel bereitgeſtellt, um eine völlige 
Neugeſtaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung durchzuführen. 
Anſchließend gab Muſeumsdirektor Prof. Dr. Mertens einen kurzen Uber: 
blick über die Entwicklung der vorgeſchichtlichen Abteilung des Magdeburger 
Muſeums für Natur- und Heimatkunde. 

Geheimrat Kofjinna antwortete auf die Begrüßungsanſprachen folgen: 
dermaßen: 

Ich danke in erſter Linie dem Dertreter des herrn Oberpräſidenten, 
Herrn Oberregierungsrat Dr. Freiherrn von hammerſtein, für die ſchönen 
und uns ſo ehrenden Worte der Begrüßung. Bei faſt jeder Tagung werden 
uns ja von den betreffenden deutichen Staatsregierungen Worte der Anerken— 

1* 


4 Derlauf der Tagung [4 


nung und Aufmunterung zuteil. Leider aber vermiſſen wir einigermaßen die 
jener Wertſchätzung unſerer Beſtrebungen entſprechenden Taten der Staats: 
regierung ſelbſt, beſonders gerade der preußiſchen. Die deutſche Vorgeſchichte 
iſt leider immer noch ein Aſchenbrödel unter den Wiſſenſchaften, die ſich mit 
dem Werden und dem Weſen unſeres Volles beſchäftigen. 

Ich will mich hierbei jedoch nicht auf allgemeine Fragen einlaffen, 
ſondern auf die Landſchaft beſchränken, in der wir tagen, die Provinz Sachſen. 

Bier iſt nicht durch die Staatsregierung, ſondern ſeitens der Provinz 
dank einer unvergleichlichen Hochherzigkeit, die ein Ausflug klarer Einſicht 
in die Bedeutung unſerer Dorgeſchichte und daraus entſtandenen Pflicht: 
bewußtſeins iſt, in halle ein Muſeum und eine Candesanſtalt für Vorgeſchichte 
entſtanden, die ihresgleichen ſucht. Sieht man indes die Beſtände des Mu⸗ 
ſeums genau an, ſo hat in ihnen doch der Reg.⸗Bezirk Merſeburg ein ge⸗ 
gewaltiges Übergewicht. Kein Provinzialmuſeum hat nun einmal fo lange 
Arme, daß es ſtets an allen bedrohten Orten eingreifen könnte. Solcher 
Stellen treten ſtets zu viele auf, und ſie liegen vom Sitz des Muſeums oft zu 
weit entfernt, wenn überhaupt Kunde von den neuen Funden bis an das 
Muſeum dringt. Darum beſitzt auch Halle aus dem Reg.⸗Bez. Magdeburg, 
inſonderheit aus der Altmark und dem oſtelbiſchen Teile derſelben, verhältnis⸗ 
mäßig Weniges aus eigener Arbeit. 

Und dann iſt Ihnen wohl bekannt, und Sie werden es aus den kommen: 
den Vorträgen noch näher ausgeführt hören, daß während der ganzen vor⸗ 
und frühgeſchichtlichen Zeit quer durch die Provinz Sachſen eine weit-öltliche 
Grenzlinie zieht, die den Reg.⸗Bez. Magdeburg ſcharf abtrennt von dem ſüd⸗ 
licheren Teile der Provinz. Die Provinz Sachſen iſt eben kein Kreis mit nur 
einem Mittelpunkte, ſondern iſt eher einer Ellipſe zu vergleichen, die zwei 
Mittelpunkte hat: ſagen wir halle und Magdeburg. Halle hat zwar vor 
Magdeburg voraus, daß es in der Univerſität ſeit 2½ Jahrhunderten einen 
hochbedeutſamen geiſtigen Mittelpunkt hat; hiergegen kommt das Magde⸗ 
burger Staatsarchiv nicht auf, das man übrigens vor nahezu 50 Jahren, als 
ich gerade in halle an der Univerſität als Beamter wirkte, verſuchte, von 
Magdeburg dorthin zu verlegen. Herr v. Mülverſtedt hat es damals für 
Magdeburg gerettet. In der Induſtrie dagegen halten ſich beide Städte wohl 
die Waage und im Handel iſt Magdeburg ſicher überlegen. Die Provinz Sachſen, 
die Rheinprovinz und Sdlefien find die drei großen Induſtrieprovinzen 
Preußens, die volkreichſten und auch ſonſt reichſten. Nun, die Rheinprovinz 
hat zwei große Provinzialmuſeen, in Bonn und in Trier. Die neugeſchaffene 
Provinz Oberſchleſien hat fic) ſofort auch zwei Provinzialmuſeen zugelegt, zu 
Beuthen und zu Ratibor. Die alte Provinz Schleſien hat alſo jetzt drei 
Provinzialmuſeen. Warum ſoll ſich die langgeſtreckte dritte Induſtrieprovinz, 
Sachſen, nur mit einem Provinzialmuſeum begnügen? 

Die hälfte der Mittel, die für das Halliſche Provinzialmuſeum aus— 
geworfen ſind, würde genügen, um auch das Magdeburger Muſeum zu einer 
großen, den dringendſten Bedürfniſſen entſprechenden Anſtalt auszubauen. 

Kaum eine andere Landſchaft in Deutſchland ſpendet ja fortgeſetzt einen 
derartigen Reichtum an Altertümern aus ihrem Boden, wie die Provinz 
Sachſen, in ihrer Südhälfte wie in ihrer Nordhälfte. Darum ſind auch im 
Reg.⸗Bez. Magdeburg überall Kreismuſeen entſtanden: von Wernigerode 
über Halberjtadt, Quedlinburg, Aſchersleben bis nach Neuhaldensleben, 
Stendal, Salzwedel und jenſeit der Elbe Burg und Genthin. Und gleichſam 
dicht vor den Toren Magdeburgs iſt in wenigen Jahren ein hochwertiges 


51 Verlauf der Tagung 5 


Muſeum wie ein Pilz aus der Erde geſchoſſen, zu Schönebeck. Dieſe Muſeen 
waren und ſind ein dringendes Bedürfnis, damit nicht gar zu viel von den 
unerſetzlichen Schätzen unſerer Vorzeit unwiderbringlich verloren gehe. Aber 
fie bleiben doch alle gegenüber den heutigen Anforderungen an wiſſenſchaft⸗ 
liche Verwaltung und leichte Sugänglichkeit mehr oder weniger zweiten 
Ranges. Es muß eben auch für den Reg.⸗Bez. Magdeburg ein Muſeum ge» 
ſchaffen werden, deſſen wiſſenſchaftliche Leitung auf der höhe ſteht und das 
zugleich über größere Mittel verfügt, ſowohl zum eigenen beſſeren Ausbau, 
als auch für größere Unternehmungen, an die ſich die übrigen Muſeen nicht 
heranwagen können. Als Beiſpiel nenne ich die Ausgrabung der Hildagsburg 
bei Wolmirſtedt. 

Wie eine ſolche fo notwendige Vergrößerung und Erweiterung des 
Magdeburger Muſeums zu erreichen iſt, wird Sache der Behörden ſein: 
mögen dazu Staatsregierung, Provinz und Stadt ſich die hand reichen und 
mit vereinten Kräften eine des Reg.⸗Bez. Magdeburg würdige Anſtalt für 
Vorgeſchichte ſchaffen. An wiſſenſchaftlichen Kräften zur Beratung und Aus: 
führung dieſer Sache fehlt es ja hier in Magdeburg ganz und gar nicht. 

Und damit habe ich [chon begonnen, von der Stadtverwaltung zu 
ſprechen, für deren freundliche Begrüßung wir herzlichen Dank ſagen. Da 
muß ich bekennen, daß wir, obwohl verwöhnt durch frühere Tagungen, doch 
kaum jemals in ſo opferwilliger Art aufgenommen worden ſind, wie diesmal 
in Magdeburg. Die Stadt hat die großen Anforderungen des Ortsausſchuſſes 
Ke ele Tagung ſtets in entgegenkommendſter und hochherzigſter Weile 

ewilligt. 

Ich hebe hervor die koſtbare Feſtſchrift, die ihresgleichen ſucht, dann den 
Feſtabend, den Theaterabend, die Bewilligung des Rathausfaales für die 
heutigen Sitzungen und viele, viele andere Dinge, die ich jetzt nicht alle out, 
zählen will. Der Feſtabend wird wohl Gelegenheit bieten, nochmals hierauf 
einzugehen. 

Aber jetzt iſt es mir ſchon tiefſtes Bedürfnis, dem herrn Oberbürger⸗ 
meiſter und der Stadtverwaltung den innigſten Dank unſerer Geſellſchaft ous, 
zuſprechen für alles, was ſeitens der Stadt für unſere Wiſſenſchaft und für 
die Tagung insbeſondere geleiſtet worden iſt. 

Ich darf hier wohl noch Mitteilung machen von den eingegangenen 
ſchriftlichen Begrüßungen und Glückwünſchen für unſere Tagung. Solche 
liefen ein von Staatsminilter a. D. Dr. Müller in Deſſau und vom Landes» 
hauptmann der Provinz Sachſen in Merſeburg. Don Dorftandsmitgliedern 
unſerer Geſellſchaft haben Glückwünſche geſandt: Bergrat Prof. Dr. Heß 
v. Wichdorff, der leider durch ſeine amtliche geologiſche Tätigkeit im Ge— 
lände Maſurens abgehalten wird, hier zu erſcheinen; desgleichen von 
Dr. Wolfg. Schultz (Görlitz), der feine ſkKandinaviſche Studienreiſe länger aus— 
dehnen mußte und daher ſeinen Vortrag hier nicht halten kann; ebenſowenig 
wie Geh. Rat Jaekel aus Greifswald, der durch Krankheit verhindert iſt 
und ſich übrigens ſehr ſchonen muß, weil er ſchon Mitte des Monats einem 
Rufe an die Univerſität Kanton in China folgen muß. 

Weitere Glückwünſche ſandten Obergeneralarzt a. D. Dr. Wilke in 
Rochlitz, Prof. Dr. Walther Schulz in halle a. S., Geheimrat Kurt 
v. Strantz in Berlin, Mufeumsdirektor Bayer in Wien, unſer langjähriger 
Mitarbeiter auf dem Gebiete der Diluvialarchäologie, dann unſer Schrift— 
führer Kempfer in Berlin, Geh. Rat Koſſinna, mein Bruder, aus Bad 
Gaſtein, Buchdruckereibeſitzer Wagner aus Neuſtadt a. Orla, Dr. Holter, 


6 Derlauf der Tagung [6 


der neuernannte Vertrauensmann für die Bodenaltertümer der Provinz Grenz 
mark Poſen⸗Weſtpreußen in Schneidemühl, endlich Lehrer Willi Wegewitz, 
Leiter des Muſeums zu Stade. 


Darauf begannen die Vorträge: 


1. Geheimer Bergrat Dr. C. van Werveke (Magdeburg): Grundzüge 
einer Diluvialchronologie Nord⸗ und Mitteldeutſchlands, deſſen Manuſhript 
infolge der Behinderung des Vortragenden durch ſein hohes Alter von 
Dr. Carl Engel (Magdeburg) verleſen wurde (Manuskript vom Autor ſtark 
gekürzt abgedruckt). 


2. Dr. Carl Engel (Magdeburg): Die altſteinzeitlichen Funde Mittel⸗ 
deutſchlands (Manuſkript weſentlich gekürzt, da eine Beſchreibung und Ab— 
bildung der Funde bereits in der Feſtſchrift zur 10. Tagung für Vorgeſchichte, 
Magdeburg 1928, erſchienen iſt). 

3. Mitteilung von Dr. hans Lehmann (halle) über neue altſteinzeit⸗ 
liche Funde in Mitteldeutſchland. 

In der anſchließenden Diskujlion erörterten Geheimrat van Werveke 
und Dr. hans Lehmann die Frage nach der Sahl der Vereiſungen Nord— 
deutſchlands und der Bildungsweiſe des Cöſſes. 

Nach dem gemeinſamen Mittageſſen im „Blauen Elefanten“ führte von 
15—16 Uhr Dr. Carl Engel durch die von ihm neugeltaltete vorge: 
ſchichtliche Sammlung des Magdeburger Muſe ums für Natur- und 
Heimatkunde und erörterte dabei die für die Neuaufſtellung maßgeblich ge— 
weſenen Grundſätze und die Grenzen ihrer Durchführungs möglichkeit. Lebhaft 
diskutierende Gruppen bildeten ſich namentlich um die neuausgeſtellten alt: 
und mittelſteinzeitlichen ſowie die zur Erörterung geſtellten zweifelhaften 
Funde. Dal. die Abhandlung von Carl Engel, Die Neugeſtaltung der Magde— 
burger Vorgeſchichtlichen Sammlung (S. 200 ff.). 

Don A bis 5 Uhr führte der Kunithiltoriker Ernſt v. Niebelſchütz 
die Teilnehmer durch die ſteinerne Wunderwelt des Magdeburger Domes und 
bot in feinen Ausführungen einen knappen, aber erſchöpfenden Überblick über 
die Baugeſchichte dieſes ſchönſten Bauwerkes Norddeutſchlands und ſeiner 
einzigartigen, in weiteren Kreiſen noch viel zu wenig bekannten Plaſtik. 

Der {pate Nachmittag war weiteren Vorträgen gewidmet, die von 5 bis 7 
Uhr im Bürgerſaal des Rathaufes ſtattfanden. Geheimrat Koſſinna er: 
öffnete die Sitzung mit der Mitteilung, daß der angekündigte Vortrag von 
Lehrer O. Müller (Flötz) über die Mittelſteinzeit im Mittelelbgebiet wegen 
ſchwerer Krankheitsfälle in der Familie des Redners ausfallen müſſe. Dar: 
auf ſprachen: 

1. Dr. Carl Engel (Magdeburg) über die jungſteinzeitlichen Kulturen 
im Mittelelbgebiet (Manuſkript weſentlich gekürzt); 

2. Studienaſſeſſor Ernſt Lehmann (Erfurt) über die Knoviſer Kultur 
in Thüringen und den vorgeſchichtlichen Kannibalismus. 

Der Abend vereinte die Teilnehmer zum Genuß des feierlichen Dom— 
Ronzerts in den Hallen des Magdeburger Domes, in denen der Magdeburger 
Domchor unter der Leitung ſeines Dirigenten, des Muſikdirektors Bernhard 
Henking, ein eigens für die Tagung zuſammengeſtelltes Programm alter und 
neuer Chorlieder und Volksweiſen vortrug. 


7] Derlauf der Tagung 7 


Montag, den 3. September 


Don 8—9 Uhr machte Dr. Carl Engel auf einer Autorundfahrt die 
auswärtigen Teilnehmer mit den Sehenswürdigkeiten der Stadt 
Magdeburg bekannt, in dem er ihnen zunächſt die geſchichtlich und kunſt— 
geſchichtlich beachtenswerten Plätze vorführte und in knappen Worten in ihrer 
Bedeutung erläuterte. Bejonders eingehend machte er am Lukasturm auf 


* NEG, 


Abb. 1. Stadthalle in Magdeburg 


die denkwürdige Stätte aufmerkſam, an der ſich am Morgen des ſchickſal— 
ſchweren 10. Mai 1631 der Derzweiflungskampf der Magdeburger gegen 
die eindringenden Truppen Tillys abgeſpielt hatte. Neben den hiſtoriſchen 
Stätten kam auch die Gegenwart nicht zu kurz, indem den Teilnehmern auch 
die jüngſten Bauten Magdeburgs, einer der bedeutendſten Stätten des „mo— 
dernen Bauwillens“ vorgeführt und erläutert wurden. 

Für den 3. und 4. September war von der Stadt Maadeburg als 
Tagungsraum die in herrlicher Umgebung im neuen Ausitellungsgelände ge: 


8 verlauf der Tagung [8 


legene Stadthalle zur Derfügung geftellt worden, in deren Blüthnerſaal die 
weiteren Sitzungen ſtattfanden (Abb. 1). 

Die für 9 Uhr daſelbſt vorgejehene Vorſtands⸗ und Ausſchußſitzung 
wurde auf Dienstag verſchoben und mit der Geſchäftsſitzung der Geſellſchaft 
verſchmolzen. 

Um 9½ Uhr eröffnete Geheimrat Koſſinna die allgemeine Sitzung, 
in der folgende Vorträge gehalten wurden: 

1. Privatdozent Dr. Julius Andree (Münſter): Zur Charakterijtik des 
weſtfäliſchen Mouſtériens. 

2. Dr. Georg Raſchke (Breslau): Die Mittelſteinzeit in Südoſt⸗ 
deutſchland. Der Vortrag, deſſen Manuſkript ausgeblieben ijt, behandelte 
unter Vorführung eines reichhaltigen Fundmaterials wichtige, mit großer 
Wahrſcheinlichkeit in die mittlere Steinzeit zu ſetzende Gerätformen: Sels- 
geſteinbeile bzw.⸗hacken und ⸗keulen mit roher Durchbohrung in Klopftechnik 
und gewiſſe Knochen⸗ bzw. Geweihhacken. 

3. Dr. Werner Radig (Dresden): Nordiſcher und donauländiſcher Dous, 
bau im jungſteinzeitlichen Mitteleuropa (Manuſkript gekürzt). 

4. Privatdozent Dr. hans Reinerth (Tübingen): Siebenbürgen als 
Grenzland nordiſch-indogermaniſcher Kultur (Manuſkript gekürzt). 

Im Anſchluß an die Dormittagsſitzung fand eine Beſteigung des eine 
prachtvolle Fernſicht über die Elbauen und auf die Elbfaſſade der Stadt 
Magdeburg bietenden Kusſtellungsturmes ſtatt, von deſſen Plattform aus 
Dr. Carl Engel die auswärtigen Teilnehmer mit den Einzelheiten des Stadt⸗ 
bildes und der Landesnatur der Umgebung Magdeburg vertraut machte. 

Nach dem gemeinſamen Mittageſſen im „Blauen Elefanten“ führte 
Dr. Carl Engel wie am Vortage durch die vorgeſchichtliche Abteilung 
des Muſeums für Natur- und Heimatkunde. 

Don 4—5 Uhr erläuterte Muſeumsdirektor Dr. Walter Greiſchel 
den auswärtigen Gäſten die wichtigſten Kunſtſchätze des Kaiſer⸗Friedrich⸗ 
Muſeums, das neben wertvollen Gemälden einen ausgezeichneten Überblick 
über die geſchichtliche Entwicklung der deutſchen Wohnungskultur (Innen⸗ 
dekoration) bietet. 

Die von 5—7 Uhr in der Stadthalle abgehaltene Nachmittagsſitzung 
eröffnete Geheimrat Koſſinna mit der Mitteilung, daß die angekündigten 
Vorträge Dr. O. Gandert (Halle a. S.): Die Bronzezeit im Elbgebiet und 
Dr. Wolfgang Schulz (Görlitz): Die Swillingsgötter in der Bronzezeit 
wegen Behinderung der Redner ausfallen mußten. Darauf wurden folgende 
Vorträge gehalten: 

1. Muſeumsaſſiſtent Magiſter Dr. Nils Riklaſſon (Halle a. S.): 
Siedlungsgrabungen in der Provinz Sachſen. Der Vortrag, deſſen Manufkript 
ausgeblieben iſt, behandelte die Ergebniſſe umfaſſender Unterſuchungen an 
mehreren früheiſenzeitlichen Siedlungen des mittleren Elbgebietes. 

2. Dr. Carl Engel (Magdeburg): Herkunft und Ausbreitung der Haus: 
urnen. 

3. Lehrer Bernhard Becker (Beendorf bei Helmjtedt): Der Lehrer im 
Dienſte der Dorgeſchichtsforſchung. 

Um 20 Uhr vereinte der von der Stadt Magdeburg gegebene Feſtabend 
ſämtliche Teilnehmer zu gemütlichem Beiſammenſein in dem dicht gefüllten 
Feſtſaale des „Coburger Hofbräu“. Namens der Stadt begrüßte Stadtſchulrat 


9] Derlauf der Tagung 9 


Prof. Dr. Nordmann die Gäſte und wünſchte ihnen einen frohen Derlauf 
des Feſtes, das Oberſtudienrat Dr. A. Krüger (Magdeburg) leitete. Wäh⸗ 
rend des Eſſens erfreuten Darbietungen des Magdeburger Frauenchors 
(Suſammengeſtellt aus Damen des Magdeburger Domchors und des Rebling⸗ 
ſchen Geſangvereins) unter der Leitung des Muſikdirektors Bernhard Den, 
king die Teilnehmer. 

Sodann ergriff Geheimrat Koſſinna das Wort zu folgender Anſprache: 

Hochverehrter herr Profeſſor Nordmann, geehrte Feſtverſammlung! 
Es war im Mai vorigen Jahres, als ich vom Magiſtrat der Stadt 
Magdeburg eine überaus freundlich gehaltene Einladung erhielt, unſere (e: 
ſellſchaft möge in jenem Jahre ihre Tagung zu Magdeburg abhalten, wo an⸗ 
läßlich der Theaterausſtellung ungemein viel geboten würde und wohin darum 
ſchon viele Tagungen von Geſellſchaften und Verbänden verlegt worden ſeien. 
Für 1927 mußte ich leider abſagen, da wir ja erſt 1928 wieder eine Tagung 
hätten. Und nun wurde vom Magiſtrat ſofort eine ebenſoviel verſprechende 
Einladung für 1928 an mich gerichtet. Ich behandelte dieſe zunächſt dilato⸗ 
riſch, da ich keinen Prähiſtoriker in Magdeburg kannte und daher wegen der 
örtlichen Geſchäftsleitung Bedenken hatte. 

Da fügte es der Sufall, daß ich im Juni 1927 eine andere Einladung 
nach Magdeburg erhielt, weil dort ein neuer Prähiſtoriker⸗ und Muſeums⸗ 
verband gegründet werden ſollte. Die Sache ging aus von einem herrn Carl 
Engel, von dem ich nichts weiter wußte, als daß er ſeit zwei Jahren Mit⸗ 
glied unſerer Geſellſchaft war. Das war ja nicht viel, aber doch ein zu 
Hoffnungen berechtigender Anfang. Immerhin fielen mir die Worte Me⸗ 
phiſtos über den friſch gebackenen Baccalaureus ein: „Doch diesmal iſt er 
von den Neuſten, Er wird ſich fürchterlich erdreuſten.“ Mir wurde geradezu 
bang für unſere Geſellſchaft, die, wie es ſchien, auf des herrn Engel An: 
ſtiften eine neue Konkurrenz bekommen ſollte. Ich beeilte mich daher, dieſer 
Engelſchen Tagung beizuwohnen. Da zeigte es ſich, daß meine Befürchtung 
unnütz geweſen war. Die Tagung dauerte zwar von morgens bis abends, 
aber gegründet wurde überhaupt nichts, am wenigſtens eine Konkurrenz. 

Nun lernte ich aber im Knſchluß an dieſe Derbandstagung herrn Engel 
in dreitägigem ununterbrochenem Verkehr gründlich kennen; ſeine Wohnung, 
in die er mich aufgenommen hatte, ſeine Gattin, ſein ganzes Daſein; ſeine 
ſchon viele Jahre andauernde, ſelbloſe, übermenſchliche Tages: und Nacht⸗ 
arbeit zum Beſten unſerer Wiſſenſchaft und beſonders der Vorgeſchichtsabtei⸗— 
lung des Magdeburger Muſeums. Ich lernte das erſtaunliche Fachwiſſen 
Engels kennen und zugleich ſeine kräftige Betätigung im Gelände. Ich ſah 
weiter ſeine große Gewandtheit und ſeine nicht klein zu kriegende Tatkraft in 
geſchäftlichen Dingen, jo ſchon bei der Leitung der Derbandstagung von 1927. 
Da ſtand es plötzlich bei mir innerlich feſt: wenn Engel Ortsgeſchäftsführer 
wird, kannſt du die Einladung der Stadt Magdeburg getroſt annehmen. Wie 
eine Hochzeit eine andere macht, ſo machte hier eine Tagung die andere. 

Magdeburg hatte zwar den Ruf, eine Stadt zu ſein, in der geiſtige oder 
gar wiſſenſchaftliche Belange nicht ganz entſprechend der ſonſtigen Bedeutung 
der Stadt zu ihrem Recht kämen. Dies Vorurteil hatte das Jahr der Theater: 
ausſtellung gründlich widerlegt. Aber dann kam mir ein Sprichwort in den 
Sinn, das ich irgendwo einmal gehört hatte: der liebe Gott hat gute Menſchen 
geſchaffen und böfe, außerdem noch - - Magdeburger (Stürmiſche anhaltende 
Heiterkeit!). Vielleicht ijt aber das Sprichwort urſprünglich gar nicht auf die 
Magdeburger gemünzt geweſen. Eines machte mich aber doch ſtutzig. Als ich 


10 Derlauf der Tagung [10 


im vorigen Jahre zu der Engelſchen Derbandstagung hier auf dem Bahnhof 
angekommen war und es ſehr eilig hatte, um den Anfang der Derhandlungen 
nicht zu verſäumen, wollte ich ein Auto nehmen. Aber das gelang mir nicht. 
Denn der Autoführer ſagte mir: Ach, das iſt ja gar nicht weit; da können 
Sie ganz gut zu Fuß gehen. Ich ging dann auch los, brauchte aber, vielleicht 
mit Umwegen, an die 20 Minuten und kam natürlich zu ſpät. So etwas war 
mir bisher in keiner anderen Stadt mit einem Hutoführer paſſiert. Es war 
eben ein Magdeburger. 

Nun, Scherz beiſeite. Ich glaube, daß wir mit den Magdeburgern, wie 
ſie ſich uns gegenüber gezeigt haben, nicht bloß zufrieden ſein können, ſondern 
ihnen von Herzen dankbar ſein müſſen. Wie ich ſchon geſtern vormittag her⸗ 
vorhob: noch nie hat eine Stadt für eine unſerer Tagungen ſoviel geleiſtet 
wie diesmal die Stadt Magdeburg. Bedenken Sie, was allein die Feſtſchrift 
gekoſtet hat. Unter dem Siegel der Verſchwiegenheit kann ich Ihnen verraten, 
daß der Betrag die Summe von 6000 Mark weit überſchreitet. Bedenken Sie 
weiter, daß um unſerer Tagung willen Herr Dr. Engel für ein Jahr — 
leider bisher nur für ein Jahr — am Muſeum angeſtellt worden iſt, um dieſes 
zum erſten Male in eine dem neueren Stande der Wiſſenſchaft entſprechende 
Ordnung und „Aufmachung“ zu bringen. Dos dt allerdings ein Opfer, das 
die Stadt ebenſo für ſich ſelbſt wie für die Wiſſenſchaft gebracht hat. 

Aber fo war es ja ſtets. Wo wir auch unſere Tagung veranſtalten, da 
wollen wir nicht nur ſelbſt Neues lernen, ſondern wir wollen vor allem die 
dortige wiſſenſchaftliche Arbeit fördern. Das haben wir hier in Magdeburg 
reichlich getan und die Stadt Magdeburg hat dies ebenfalls getan. Wir hoffen 
aber ſehr, daß die Stadt Magdeburg, was das Muſeum anlangt, nun nicht 
auf ihren Corbeeren ausruhen möge. Das würde aber der Fall ſein, wenn 
das Muſeum vom 1. Oktober wieder ohne einen wiſſenſchaftlichen Leiter ſich 
ſelbſt überlaſſen bliebe. In der Provinz Sachſen wird durch die Induſtrie eine 
ſtändige Wühlarbeit im Erdboden veranlaßt, und damit werden unendlich viel 
Altertumsdenkmäler bloßgelegt und vernichtet, wenn nicht ein Vertrauens⸗ 
mann für Bodenaltertümer ſtändig mit Heimdallaugen darüber wacht, daß 
gerettet wird, was irgend gerettet werden kann. 

Wir leben alſo, hochverehrter Herr Stadtrat, der ſicheren hoffnung, daß 
die Stadt Magdeburg vom 1. Oktober ab eine ſelbſtändige Leitung der Dor, 
geſchichtlichen Abteilung des Hheimatmuſeums einrichten wird. 

Und nun zum Schluß nochmals vielen herzlichen Dank der Stadt Magde— 
burg, ihrem Oberhaupt und ſeinem hier anweſenden verehrten Herrn Der: 
treter für alles Schöne, Gute und Große, daß fie für unſere Tagung und für 
unſere Wiſſenſchaft geleiſtet haben, und nicht zuletzt auch für das herrliche Feſt, 
das wir heute abend erleben dürfen. Die Stadt Magdeburg mit ihrem Ma— 
giſtrat an der Spitze, ſie leben hoch! hoch! hoch! 

Im weiteren Derlauf des Feſtes, das durch Dorträge des Komikers 
Albert Groß (Magdeburger Stadttheater) belebt wurde, bot Mittelſchul— 
lehrer a. D. und Muſeumsleiter A. herrmann (Naumburg) den Gäſten einen 
humorvollen, manchem nicht unbekannten Dortrag über „Freuden und Leiden 
eines alten Prähiſtorikers“, der mit vielen originellen Erlebniſſen aus ſeiner 
langjährigen perſönlichen Tätigkeit gewürzt war. Die Wogen fröhlicher Ge— 
felligkeit waren nach der reichlichen Bewirtung ſchon hoch geſtiegen, als 
Amtsgerichtsrat W. Mengert (Magdeburg) das Wort zu folgender Anſprache 
ergriff: 

Die Stadt Magdeburg hat ihre Freude über die Tagung für Vorgeſchichte 


11] Derlauf der Tagung 11 


in ihren Mauern Ausdruck gegeben und Teilnehmer und Freunde der Dor: 
geſchichtswiſſenſchaft zu fröhlichem Suſammenſein geladen. Der wirtſchaftliche 
Mittelpunkt der Provinz Sachſen, an deren Schlagader, dem Elbſtrom, ge: 
legen ſtrebt ſeit Jahren dahin, auch ein geiſtiges Zentrum für die Provinz 
zu werden. Ragende Bauten find aufgeführt, um Ausftellungen von Leis 
ſtungen auf allen Gebieten der Kunſt und Wiſſenſchaft eine würdige Stätte zu 
bereiten, und Wiſſenſchaftler aller Gebiete haben ſich ſchon oft zu gemein- 
ſamer Arbeit hier zuſammengefunden. Da iſt es wohl verſtändlich, daß ſie 
ſich auch der Tagung der jungen, kraftvoll aufſtrebenden Vorgeſchichtswiſſen⸗ 
ſchaft in ihrem Weichbilde freut. Bei dieſer Stimmung drängt es uns, des 
Mannes zu gedenken, dem wir es letzten Endes zu verdanken haben, daß die 
Fülle der e eine ſolche Tagung bietet, gerade unſerer Stadt Au: 
gekommen iſt, des Mannes, der jedem, der ſich einmal mit Vorgeſchichte be 
ſchäftigt hat, als der Bahnbrecher unſerer deutſchen Dorzeitforichung bekannt 
iſt: ich meine damit unſeren hochverehrten herrn Geheimrat Koſſinna. Wer 
ſeit langen Jahren als intereſſierter Laie den gewaltigen Aufitieg dieſer in 
noch zurückdenkbarer Zeit kaum gekannten Wiſſenſchaft verfolgt hat, der 
weiß, was Herr Geheimrat Koſſinna für dieſe Wiſſenſchaft ſelbſt bedeutet. 
Doch dieſe Derdienite zu würdigen mag Berufeneren und Sachkundigeren 
vorbehalten bleiben. Für uns Magdeburger gilt es aber, ſeine Derdienite 
um das Sultandekommen der Tagung in unjerer Stadt mit wärmſtem Dank 
anzuerkennen. Mit glücklichem Blick hat er erkannt, daß es ſich hier um 
wertvolles Neuland handelt. Wohl vermögen andere Städte größere und reich— 
haltigere Sammlungen darzubieten. Doch hat auch hier ein ernſtes und zu— 
kunftsfreudiges Streben eingeſetzt, und die Neugeſtaltung unſeres Muſeums 
wird es erweiſen, wie lohnend es iſt, dieſe Keime zu pflegen. Gerade für 
Dellen Förderung find wir herrn Geheimrat Koſſinna beſonders dankbar. 
In ſeiner tiefgründigen, begeiſternden Eröffnungsrede am Sonntagvormittag 
hat er auch weiteren und bisher vielleicht abſeitsſtehenden Kreiſen die Augen 
für die Bedeutung, für die unendlich reichen Sukunftsmöglichkeiten dieſer 
Wiſſenſchaft geöffnet, und wir hoffen und vertrauen, daß ſeine Worte nicht 
ohne Nachhall verklingen werden, ſondern daß fie die Bereititellung von 
Mitteln und die Mitarbeit weiter intereſſierter Kreiſe bewirken werden. Es 
bietet gerade dieſe Candſchaft, in der die großen Kulturkreiſe der Vorgeſchichte 
zuſammenſtoßen und in ihrem Suſammentreffen neue Kulturen geſchaffen 
haben, ein ungemein ergiebiges und förderndes Forſchungsgebiet. Und darum 
dem Altmeiſter der Dorgeſchichtswiſſenſchaft, der ja auch durch den Entſchluß 
für die Tagung in Magdeburg ihr neue Förderung gegeben hat, im Namen 
der Wiſſenſchaft und im Namen des Magdeburger Landes unſeren allerherz— 
lichſten Dank und ein begeiſtertes „Hoch“! 

Nach Schluß des offiziellen Teils hatte das fröhliche Beiſammenſein alle 
Teilnehmer ſchon ſo eng verbunden, daß nur wenige gegen Mitternacht an 
Aufbrud) dachten. Und von manchen wird berichtet, daß fie in dieſer Nacht 
kein Bett geſehen hätten. 


Dienstag, den 4. September 


Don 8- 9 Uhr vormittags führte Oberſtudienrat Dr. A. Krüger 
(Magdeburg) die Teilnehmer durch die Pflanzenſammlungen der ſtädtiſchen 
Gruſon⸗Gewächshäuſer, deren reiche Beſtände nicht nur eine ausgezeich— 
nete Anſchauung der wichtigſten tropiſchen und ſubtropiſchen Pflanzenformen, 


12 Derlauf der Tagung [12 


ſondern auch einen lehrreichen Einblick in die verſchiedenartigen Degetationss 
bilder und Pfanzenformationen der Erde bieten. 

In der um 9 Uhr im Weinzimmer der Stadthalle ſtattfindenden Ge⸗ 
ſchäftsſitzung der Geſellſchaft berichtete der 1. Dorjiker, Geheimrat Koſſinna, 
über die wichtigſten Ereigniſſe und die Entwicklung der Geſellſchaft in den 
beiden letzten Jahren. 

Die Hauptiade unſeres Erlebens ſeit Pfingſten 1926 find den Mit⸗ 
gliedern aus dem Mannus und den beſonderen ihm aufgehefteten Setteln 
mit Nachrichten „An die Mitglieder“ bekannt. Das letzte Mitgliederverzeichnis 
von 1927 bringt ſtatt der 650 Namen vom Jahre 1925 nur noch 591 Namen. 
Dieſer Rückgang, der lediglich den ſchlechten wirtſchaftlichen Derhältnijjen 
vieler Mitglieder zuzuſchreiben iſt, hat ſich im Laufe des Jahres 1928 zwar 
noch fortgeſetzt, von 591 auf 565 Mitglieder, aber doch nicht ſo ſtark wie zu 
Anfang 1927, trotzdem der Jahresbeitrag von 13 auf 16 Mk. erhöht werden 
mußte. Doch auch dieſer erhöhte Beitrag reicht nicht aus, um die Hoſten für 
den Mannus und ſeine Beilage, das „Nachrichtenblatt“, zu decken. 

Das Nachrichtenblatt begründete ich 1925 und machte es im erſten 
Jahrgang, der noch wenig brachte, den Mitgliedern zum Geſchenk, denn von 
den fünf heften hat der Verlag nur drei bezahlt. Nachdem ich von 1926 an 
Dr. Jahn mit der Herausgabe beauftragt hatte, ſchwoll das Blatt ſo an, 
daß der Verlag ſtreikte. Unſere Geſellſchaft zahlte zuerſt eine Beihilfe von 
400 Mk., dann verzichtete fie auf einen Teil ihres Unrechts an der von der 
Notgemeinſchaft der Deutſchen Wiſſenſchaft dankenswerter Weiſe geleiſteten 
Beihilfe von 1200 Mk., und endlich wurde der Anteil unſerer Geſellſchaft 
an dem Jahresbeitrage der Mitglieder von 2 auf 1½ Mk. zurüchkgeſetzt. 
Nicht genug damit wurde noch der Mannusumfang von 25 Bogen auf 
20 Bogen eingeſchränkt und in dieſem Jahre immerhin noch auf 22 Bogen. 
Alles das geſchah, um das weit über meine Abſicht und Gutheißen angeſchwol⸗ 
lene Nachrichtenblatt am Leben zu erhalten. Und dennoch war alles das un⸗ 
zulänglich. So mußte der Jahresbeitrag für 1928 auf 16 Mk. erhöht werden. 

Nun traf uns aber der ſchwerſte Schlag, der unſere Rechnung für 1928 
völlig umwarf: das Ausbleiben der Unterſtützung der Notgemeinſchaft. De, 
gründet wurde dieſe damit, daß das Nachrichtenblatt keine wiſſenſchaftliche 
Seitſchrift fei und die Koften des Mannus allein aus den Jahresbeiträgen 
der Mitglieder gedeckt werden könnten. 

Der Stein des Anſtoßes für uns iſt alſo das Nachrichtenblatt. Ich 
muß geſtehen, daß ich weder mit der haltung noch mit dem Inhalt des Nach⸗ 
richtenblattes unter der Jahnſchen Leitung mich habe befreunden können. 
Ich dachte mir 1926 eine Erweiterung auf ſechs Bogen (Hefte), eine kurze 
Eingangsabhandlung von folder Beſchaffenheit, wie fie ſich für eine Auf: 
nahme in den Mannus nicht recht eignen würde, und als hauptſache Mit— 
teilung wichtiger, für weitere Kreiſe bedeutſamer Funde. Statt deſſen er: 
ſchienen oft mehrere, zum Teil umfangreichere Aufläße in einer und derſelben 
Nummer und oft eine endloſe Fundſtatiſtik, die zum Teil in eine Scherben: 
ſtatiſtik ausartete, wie ſie allein für Eingangsverzeichniſſe von Muſeen üblich 
it. Wer ſoll denn das leſen? Unſere Mitglieder etwa, die vier Fünftel Laien 
oder Halblaien ſind? Das lieſt nicht einmal der Fachmann oder nur derjenige 
Fachmann, der eine Fundſtatiſtik über irgend welche Gegenſtände oder Land— 
ſchaften abfaſſen will. Und nun beanſprucht Dr. Jahn, daß ihm unſere Ge— 
ſellſchaft allein zehn Bogen für 1929 ſichern ſoll. Ich frage da, wo bleibt 
der Mannus, der doch ſchon ſatzungsgemäß unſere Hauptſache iſt und bleiben 


13) Derlauf der Tagung 13 


muß? Er muß unter allen Umſtänden wieder auf den alten Umfang von 
24 Bogen gebracht werden. 

Das ijt aber nur möglich, wenn unſere Geſellſchaft mit den Opfern für 
unſer Nachrichtenblatt Schluß macht und die Aufrechterhaltung des Blattes 
allein dem Verlage überläßt. Selbſtverſtändlich würde auch unter dieſen 
Umſtänden das Nachrichtenblatt Eigentum unſerer Geſellſchaft bleiben. Alles 
weitere werde ich kraft meiner Amtsbefugnis mit dem Verlage verabreden. 

In der anſchließenden Kusſprache, an der ſich unſer Mitglied Melzer 
im Auftrage des Verlages Habitzſch und von den Ausichußmitgliedern be, 
ſonders Privatdozent Dr. Kühn (Köln) beteiligte, wurde den von dem 1. Dor, 
ſitzer ausgeſprochenen Gedanken durchweg beigepflichtet. Melzer betonte, 
daß der Verlag beſonderes Gewicht darauf lege, daß das Nachrichtenblatt den 
alten Titel beibehalte, alſo nach wie vor als Beiblatt des Mannus bezeichnet 
und der Name des Begründers genannt würde. Dr. Kühn riet dazu, worin 
er allſeitige Suftimmung fand, dem Herausgeber des Nachrichtenblattes nach 
wie vor die Halten der Korreſpondenz für das Blatt voll zu erleben, Die 
endgültige Regelung der Angelegenheit mit dem Verlage wurde dem 1. Dor, 
ſitzer anheimgegeben. 


Der Schatzmeiſter Snethlage (Berlin) erftattete den Kaſſenbericht. 


—— ͤ—eñ—I1 


Reichs mark 
1926 1927 
Einnahmen: | | 
Beſtand vom Doriaht . . . 2 22. . 2116,52 2765,20 | 
mitgliederbe itrůäghged 7211,60 6951,95 | 
Derihiedenes `, © 2. 2 ww rn nn 439,90 9768,02 345,40 10062, 55 
Ausgaben: | | 
Für den Mannuuans 6240,70 5893,00 
Sonſtiges (Poſtgebühren, Schreibbedarf, | 
Tagung uſwoõ . . 2 2 2 2 ne. 753,12 |; 7002,82 664,65 | 6557,65 


Beftand am Ende des Jahres | | 2765,20 | | 3504,90 


Auf Antrag der Kaſſenprüfer wurde dem Schatzmeiſter Entlaſtung erteilt. 

Um 9½ Uhr eröffnete Geheimrat Koſſinna im Blüthnerſaal die 
wiſſenſchaftliche Sitzung und gab dabei bekannt, daß der angekündigte Dor, 
trag von Muſeumskoſtos Prof. Dr. Walter Schulz (Halle a. S.) über Dors 
geſchichtliche Kultſtätten Mitteldeutſchlands in Dichtung und Wahrheit wegen 
Behinderung des Vortragenden ausfallen, derjenige von Dr. Chrijtoph 
Albrecht (Römiſch⸗Germaniſches Zentralmuſeum in Mainz) über Früh⸗— 
geſchichtliche Befeſtigungen im Mittelelbgebiet gelegentlich der Beſichtigung 
der Hildagesburg ſtattfinden würde. 

Sodann wurden folgende Dorträge gehalten: 

1. Dr. Ernſt peterſen (Breslau): Die Chronologie der oſtgermaniſchen 
Geſichtsurnenkultur. (Der Dortrag, der unter Heranziehung eines umfaſſen— 
den Materials eine zeitliche Gliederung der oſtdeutſchen Geſichtsurnenkultur 
darbot und deren oſtgermaniſche Stammeszugehörigkeit betonte, erſcheint in 
erweiterter Form in den „Vorgeſchichtlichen Forſchungen“, Berlin 1929.) 

2. Heinrich Kurtz (Muſeum Beuthen, Oberſchleſien): Das Gräberfeld 
von Chorulla, Kreis Gr.⸗Strehlitz. (Der Vortrag, deſſen Manuſkript aus: 


14 Derlauf der Tagung [14 


geblieben dt, ſchilderte unter heranziehung verwandter Funde das für die oſt⸗ 

germaniſche Beſiedlung Südoſtdeutſchlands wichtige nachchriſtliche Gräberfeld.) 
5. Privatdozent Dr. herbert Kühn (Köln): Das Jahr 550 nach Chriſti 

an als kulturgeſchichtlicher Wendepunkt in der Dölkerwanderungszeit. 

4. Fritz Geſchwendt (Breslau): Werbetätigkeit im Dienſte der Dor, 
geſchichtsforſchung. 

Nach dem gemeinſamen Mittageſſen im Blauen Elefanten führte wie an 
den Dortagen Dr. Carl Engel durch die vorgeſchichtliche Abteilung 
des Muſeums für Natur- und Heimatkunde. Don 16--17 Uhr machte Ober⸗ 
ſtudienrat Prof. Kratzenſtein die Teilnehmer mit dem prachtvollen romani⸗ 
ſchen Kreuzgang und der romaniſchen, gotiſch eingewölbten Baſilika des 
Kloſters Unſer lieben Frauen bekannt und gab einen kurzen Überblick 
über die denkwürdige Geſchichte des von Norbert gegründeten Prämonſtra⸗ 
tenſerkloſters und der aus ihm hervorgewachſenen alten Kloſterſchule. 


Phot. F. Nleinſchmidt, Magdeburg 
Abb. 2. Der Autopark an der Hildagesburg bei Wolmirſtedt 


E 17—20 Uhr fanden im Blüthnerſaal der Stadthalle folgende Dor, 
träge ſtatt: 

1. Geheimrat Prof. Dr. Felsberg (Brandenburg): Römiſche Kaiſer⸗ 
und Dölkerwanderungszeit im Havellande. 

2. Prof. Dr. herman Wirth (Marburg): Sur Urgeſchichte der nordi⸗ 
ſchen Runenſchrift: Die Runen „Ur“ und „Jahr“, ein bſchnitt aus der ſtein⸗ 
zeitlichen Kultſymbolik der atlantiſch-nordiſchen Rolle Der Inhalt des Dor, 
trags, deſſen Manuſkript ausgeblieben iſt, ijt enthalten in des gleichnamigen 
Verfaſſers Werk: „Der Aufgang der Menſchheit“, Jena 1928. 

Der Abend vereinte die Mitglieder der Geſellſchaft in der von der Stadt 
Magdeburg dargebotenen Feſtvorſtellung im Stadttheater, bei der Goethes 
„Urgötz“ in neuer Einſtudierung zur Aufführung gelangte. 


Im kinſchluß an den offiziellen Teil der Tagung fanden drei Ausflüge 
ſtatt, die die Teilnehmer in ſyſtematiſch angelegtem Plane mit den reichen 
vorgeſchichtlichen Denkmälern der näheren und weiteren Umgebung Magde— 
burgs bekannt machten !). 

1) Eine kurze Sufammenfafjung der bei der Anlage der Ausflüge maßgeblichen 


e findet ſich im Nachrichtenblatt f. d. deutſche Vorzeit, Jg. IV, 1928, h. 8, 
S. 125— 128: Engel, C., Su den Ausflügen auf der 10. Tagung für vorgeſchichte; 


15] Derlauf der Tagung 15 


our Beförderung der Teilnehmer hatte die Stadt Magdeburg je nach Be⸗ 
darf drei bis vier große Autoomnibuffe und zwei Dierlißer zur Verfügung 
geſtellt (Abb. 2), die geſtatteten, die zwiſchen den einzelnen Beſichtigungs⸗ 
orten liegenden, oft recht beträchtlichen Entfernungen in kürzeſter Seit und 
auf bequemſte Weile zu überwinden. Die auf den Fahrten berührten Kreis⸗ 
ſtädte ſorgten in gaſtlichem Entgegenkommen für eine ausgiebige Verpflegung 
der Teilnehmer, die namentlich in den Abendſtunden eine ebenſo einmütige 
wie fröhliche Geſelligkeit vereinte. 

Zu dem glücklichen Gelingen der Ausflüge trug nicht unerheblich das 
herrliche Spätſommerwetter bei, das während des geſamten Derlaufes der 
Magdeburger Tagung an dem wolkenloſen Himmel auch nicht den Schatten 
eines Wölkchens aufkommen ließ. 


Mittwoch, den 5. September 


Die Teilnehmer am Ausflug nach e eee 
verſammelten ſich 8 Uhr vormittags im Saale des Kaiſerhofs (gegenüber der 


Letilinger . 


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— Lisenbahn 


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Burgwall 


Park Kiesg rade 


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Borde 


Gez. F. Jaenſch, Magdeburg 
Abb. A Hartenſkizze zum 1. Ausflug am 5. September: Wolmirſtedt⸗Neuhaldensleben 


Ulrichskirche), dem Standquartier des 1. Dorjikers und Tagungsleiters, (e, 
heimrats Koſſinna. Um die Erläuterungen an den einzelnen Haltepunkten 
auf ein Mindeſtmaß einſchränken zu können, gab Dr. Carl Engel an hand 
von Lichtbildern und Karten (Abb. 3) zunächſt eine kurze Überſicht über die 


eine ausführliche Beſchreibung und Abbildung der beſichtigten Denkmäler und Fund⸗ 
plätze in dem den Cagungsteilnehmern als „Sondernummer zur 10. Tagung für Dor: 
geſchichte in Magdeburg 1928“ überreichten Montagsblatt der Magdeburgiſchen Seitung, 
70. Ig., Nr. 36 vom 5. 9. 1928, S. 288—294: Engel, C., Vorgeſchichtliche Erläute— 
rungen zu den Ausflügen auf der 10. Tagung für Vorgeſchichte. Ebenda S. 282-285: 
van Werveke, L., Kurze geologifhe Erläuterungen zu den Ausflugen der Dor: 
geſchichtsforſcher in den Tagen des 5. 7. September 1928. 


16 Derlauf der Tagung [16 


allgemeinen geologiſchen und vorgeſchichtlichen Derhältniffe des während des 

Ausflugs durchquerten Gebietes und über die geographiſche Verteilung und 

Ac gegenfeitigen Beziehungen der in ihm auftretenden vorgeſchichtlichen 
ulturen. 

Sodann beſtiegen die 150 Teilnehmer die bereitſtehenden vier großen und 
zwei kleinen Kraftwagen, die um 9 Uhr durch die nördlichen Stadtteile 
als erſtem Ziele dem weſtlich der Neuſtadt gelegenen Kleinen Silberberge 
zurollten, einem bereits 1831 durch Wiggert unterſuchten Grabhügel der 
Walternienburg⸗Bernburger Kultur (Abb. 4), deſſen Beigabegefäße ſich im 
Magdeburger Muſeum für Watur- und Heimatkunde befinden. Don der Spitze 
des Hügels erläuterte Dr. Carl Engel den Aufbau dieſer für die Magde⸗ 
burger Börde (als ſogenannte „Hochs“) charakteriſtiſchen Grabhügel, die auch 
im ſüdlich angrenzenden Anhalt häufig auftreten 1). Auf dem Kleinen Silber⸗ 


Phot. F. Kleinſchmidt, Magdeburg 
Abb. 4. Die Teilnehmer auf dem Kleinen Silberberg (nordöſtlich Magdeburg) 


berg war erſt wenige Tage vor Beginn der Tagung unter der Leitung des 
Vortragenden eine Nachgrabung vorgenommen worden, weil man hoffte, 
noch Reſte der ehemaligen Grabanlage freilegen zu können?). Doch wurde 
in zweitägiger Unterſuchung außer einigen modernen Scherben und verroſteten 
Eiſennägeln nichts Beachtenswertes mehr zutage gefördert. 

Bei der Weiterfahrt erwarteten auf der Spitze des benachbarten Großen 
Silberberges bereits die befreundeten Wolmirſtedter Herren die Teilnehmer 
und ſetzten ſich mit ihrem Privatauto an die Spitze der Kolonne, die nach 
kurzer Fahrt die öſtlich Elbeu gelegene hildagesburg erreichte, die bei 


I) Dergleiche Mannus, Erg.-Bd. IV, Leipzig 1925, S. 14—23. 

2) Der lakoniſche Bericht Wiggerts bei den aus dem Hügel ſtammenden Gefäßen 
der J. Walternienburger Stufe und der früheſten Bronzezeit lautet: „Swiſchen zwei 
Steinreihen in der Erde gefunden“. 


17) Derlauf der Tagung 17 


ihrer durch den Bau des Mittellandkanals veranlaßten Serftérung im Auf: 
trage der Landesanftalt für Vorgeſchichte zu Halle a. S. durch Dr. Albrecht 
unterſucht worden war. 

An den Überreſten der durch Umlegung der Bahnſtrecke großen Teils zer⸗ 
ſtörten hildagesburg ſprach Dr. Chriftoph Albrecht zunächſt einführend 
über die „Dor- und frühgeſchichtlichen Burgwälle des Mittelelb— 
gebietes“ und erläuterte ihre verſchiedenartigen Anlage⸗ und Bautnpen ſowie 
ihre zeitliche Stellung !). Eingehender ſchilderte er ſodann die Unterſuchung 
der vorliegenden Anlage und ihre Bedeutung in flawiſcher und ottoniſcher 
Zeit?). An einem für die Beſichtigung erneuerten Profil wies er klar die 
beiden Schichten (der ſlawiſchen und ottoniſchen Burg) nach, wobei deutlich 
die beiden verſchiedenen Bauperioden in Geſtalt der allein erhalten ge— 
bliebenen Abſtürze der verbrannten Mauern und der davorliegenden Gräben 
(ſlawiſcher und ottoniſcher Graben) zu erkennen waren. 

In ſchneller Fahrt führten die Kraftwagen die Geſellſchaft zu dem be- 
nachbarten Wolmirſtedt, in dem der Lehrer und Muſeumsleiter hans Dunker 
mit den Schätzen des neu entſtehenden Wolmirſtedter heimatmuſeums 
(beſonders den Funden aus der Hildagesburg) bekannt machte. Dank der Galt: 
lichkeit des Magiſtrates und der Kreisverwaltung Wolmirſtedt erwartete ein 
warmes Frühſtück die Teilnehmer, während deſſen Landrat Böttger als 
Doriteher des Kreiſes Wolmirſtedt perſönlich die Fäſte begrüßte und ihnen 
nach den Anſtrengungen der Fahrt Erholung bei fröhlichem Mahle und 
Stärkung für die noch kommenden Anſtrengungen wünſchte. In ſeiner 
Erwiderung dankte Geheimrat Koſſinna für die gaſtliche Aufnahme und 
wünſchte dem neu gegründeten Wolmirſtedter Muſeum weiteres Aufblühen 
und Gedeihen. 

Bei einem Halt auf der Weiterfahrt, die zur Linken deutlich den Börde: 
rand, die Nordgrenze des bandkeramiſchen Kulturgebietes (vgl. S. 79, Abb. 4) 
hervortreten ließ, ſchilderte angeſichts der Türme von Hillersleben Amts: 
gerichtsrat W. Mengert (Magdeburg) die bis in die Slawenzeit zurückgehen: 
den Schickſale des alten Nonnenkloſters und gab auf Grund ſeiner eigenen 
Forſchungen ein anſchauliches Bild von der Situation und dem Derlauf der 
auf den Wieſen zwiſchen Hillersleben und Meſeberg 1550 geſchlagenen Schlacht, 
in der ſich die Magdeburger bei einem Ausfall gegen die Belagerer blutige 
Köpfe holten. 

In ſchneller Weiterfahrt über Wedringen und Althaldensleben wurde die 
Parkkiesgrube von Hundisburg erreicht (Abb. 5), neben Weimar, Seitz 
und Markkleeberg die bedeutendſte Fundſtätte diluvialer Kulturreſte in 
Mitteldeutſchland. Vor der hohen Schotterwand der Kiesgrube erläuterten 
Geheimrat van Werveke die geologiſchen Verhältniſſe und deren verſchieden⸗ 
ortige Ausdeutung, Dr. Carl Engel die vorgeſchichtliche Bedeutung der 
Funde. Trotz eifrigen Suchens gelang es jedoch keinem der Beſucher, eines 
der ſo koſtbaren Geräte aufzuſpüren. 

Auf der Weiterfahrt erläuterte Dr. Carl Engel auf den höhen hinter 
Hundisburg (Abb. 6), die einen prachtvollen Rückblick auf das weithin die 
Landſchaft beherrſchende Schloß (Abb. 7) geſtatteten, den Grenzcharakter 


1) Dal. Albrecht, Chr., Vor- und frühgeſchichtliche Burgwälle im mittleren Elb— 
gebiet. Montagsblatt der Magdeburgiſchen Seitung, 71 Ig., 1929, Nr. 11, S. 81— 84. 
2) Dol. Albrecht, Chr., Die Hildagesburg bei Wolmirſtedt. Montagsblatt der 
Magdeburgiſchen Seitung, 70. Ig., 1928, Nr. 1, S. Uff. 
Mannus, Seitſchrift für Vorgeſch., VII. Erg. Bd. 2 


18 Derlauf der Tagung [18 


des Bevertalgebietes, in dem der auf der Südſeite des Bevertales noch an- 
ſtehende Cößboden reiche bandkeramiſche Siedlungsitätten („blaues Land“) 


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Phot. F. Kleinſchmidt, Magdeburg 


Abb. 5. In der Parkkiesgrube von Hundisburg. Geheimrat von Werveke (><) erläutert 
die Schichtenfolge 


aufweiſt, während der ſandige Diluvialboden des Nordhanges bereits in den 
Händen der alten Megalithbevölkerung („rotes Land“) war (vgl. die Karten 
Abb. 2 und 4, S. 75 und 79). 

Halbwegs zwiſchen Hundisburg und Dönſtedt verließ man die Wagen, 


Phot. Dr. W. Radig, Dresden 


Abb. 6. Der „Große Generalſtab“ auf den Höhen zwiſchen Hundisburg 
und Dönjtedt. Links Hoſſinna; Mitte Engel; rechts Reinerth 


um zum Marſch durch das Hünengräberfeld von Neuhaldensleben anzutreten, 
wobei man zunächſt das auf der Kuppe des Galgenberges gelegene große 
bronzezeitliche Kegelgräberfeld beſichtigte, deſſen Anlage und Aufbau 


19] Derlauf der Tagung 19 


Dr. Carl Engel an Hand der den Teilnehmern mitgegebenen Querſchnitte 
erläuterte und der IV.--V. Periode der Bronzezeit zuwies, in der der Lau: 
ſitziſche Einfluß im Neuhaldensleber Gebiet bereits zu verklingen beginnt. 


Phot. 5. Schneider, Magdeburg 
Abb. 7. Blick auf Schloß Hundisburg und das Bevertal 


Unvergeßlich wird allen Teilnehmern der nun folgende Marſch durch 
das hünengräberfeld von Neuhaldensleben bleiben, auch wenn er bei 
der herrſchenden Hundstagshike manchen Schweißtropfen koſtete und den 
Kaffeedurſt nicht unerheblich verſtärkte. 


Phot. F. Kleinſchmidt, Magdeburg 
Abb. 8. „Königsgrab“ bei Forſthaus Eiche. Blick auf die Kammer 


Die gewaltigen, in voller Urſprünglichkeit im Walde liegenden, oft dicht 
gehäuften Megalithgräber (Abb. 8 — 10), an denen der Weg vorüberführte, 
gewährten einen tiefen Eindruck von der Großartigkeit der nordweſtdeutſchen 
Megalithkultur; namentlich das wohl erhaltene „Königsgrab“ (Abb. 8) und 

9% 


20 Derlauf der Tagung [20 


die aus dem Inneren einer Grabkammer hervorgewachſene „Steineiche“ 
(Abb. 10) erweckten beſondere Bewunderung. Um ſo lebhafteres Bedauern 
erregten die Mitteilungen von Dr. Engel über die noch immer herrſchende 
Denkmälerverwüſtung in dieſem einzigartigen Gebiete, die allein im Laufe 
der letzten acht Jahre ſechs Megalithgräber teils völlig zerſtört, teils ſtark 
beſchädigt hat. Im Zuſammenhang damit wies Dr. Engel darauf hin, daß 
die zahlenmäßige Abnahme unſerer Megalithgräber in den letzten 100 Jahren 
geradezu erſchreckenden Umfang angenommen habe. In der Altmark ſeien 
von den durch Danneil 1843 nachgewieſenen 142 Megalithgräbern heute 
nur noch elf in gutem Suſtande, 32 in Trümmern erhalten geblieben; von den 
im Jerichowſchen Südkreis durch Pfarrer Abel aus Möckern Ende des 18. Jahr: 
hunderts namhaft gemachten 50 Hünenbetten ſtänden heute noch drei in kläg— 


Phot. H. Schneider, Magdeburg 
Abb. 9. Hünenbett am „Gräberweg“ im Dönſtedter Forſt 


lichen Überreſten!). Das auf dem Papier jtehende Denkmalsſchutzgeſetz nütze 
nichts, ſolange nicht auch die Möglichkeit beſtehe, es mit energiſchen Maß— 
nahmen durchzuführen. Heute diene es mit Vorliebe nur zur Beläſtigung und 
Ausſchaltung von Männern, die ſich um die Erhaltung und ſachgemäße Pflege 
von Dorzeitdenkmälern wirklich bemühten, während die wirklichen Sünder 
ſtraffrei ausgingen. Die Erhaltung der einzelnen Megalithgräber heiſche ge— 
bieteriſch eigene, mit ihrer Beobachtung betraute Heimatpfleger, da es für eine 
weit abgelegene Pflegeſtelle völlig unmöglich ſei, die in ihrer Verbreitung oft 
weit ausgedehnten Gräberfelder beſtändig zu überwachen. Der geradezu 
traurige Zuſtand der altmärkiſchen Megalithgräber aber zeige die Notwendig— 
Reit, daß die einzelnen Gemeinden nicht nur mit ihrem Schutz, ſondern auch 


1) Dal. dazu: Engel, C., Wert und Schutz unſerer Dorzeit-Denkmäler. Montags» 
blatt der Magdeburgiſchen Zeitung, 70. Ig., 1928, Nr. 42 vom 19. November, S. 382 
bis 585. — herms, Die Megalithgräber des Kreijes Jerichow I in Feſtſchrift zur 
10. Tagung für Dorgeſchichte, Magdeburg 1928, S. 242—263. 


21] Derlauf der Tagung 21 


mit ihrer Pflege beauftragt würden, damit ſie nicht — wie das jetzt üblich 
lei — als Leſeſteinhaufen, Müllgruben und Hehrichthaufen benutzt würden. 

Seine Ausführungen fanden den einſtimmigen Beifall aller Teilnehmer. 

Nach dem anſtrengenden Marſche durch den backofenheißen Kiefernwald, 
durch den Dr. Carl Engel die Teilnehmer in oft pfadloſem Sickzack von 
Grab zu Grab führte, war man froh, an der ſüdweſtlich Neuhaldensleben 
gelegenen „Siegelei“ die Kraftwagen wiederzufinden, die die Teilnehmer in 
kurzer Fahrt in das reizvoll zwiſchen dunklen Waldhöhen gelegene Neuhal⸗ 
densleben führten, wo der von der Stadt und dem Allerverein gaſtlich gedeckte 
Kaffeetiſch ſchon bereit ſtand und dankbaren Zuſpruch fand. 


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Phot. P. Ulrich, Wimmelburg 


Abb. 10. „Steineiche“ an der Siegelei Althaldensleben. Der gewaltige Eichenſtamm iſt 
aus der Grabkammer hervorgewachſen und hat mit feinem Holzkörper die Dechplatten 
überwallt und umſchloſſen 


In einzelnen Gruppen führte ſodann der Dorſitzende des Allervereins 
und Leiter des Neuhaldensleber heimatmuſeums, Studienrat Dr. hans 
Wieprecht, die Teilnehmer durch die wertvolle vorgeſchichtliche Sammlung, 
deren Schätze namentlich von den Fachleuten mit Begeiſterung in Augenjchein 
genommen wurden. 

Gegen 19 Uhr verſammelten ſich die Teilnehmer in dem großen Saale 
des Hotels Fürſt Bismarck, in dem ſie durch eine wohlgelungene, von dem 
Heimatdichter Gutsbeſitzer Wilhelm Rauch (Gutenswegen) ſelbſt geleitete 
Aufführung feines Volksſtückes „Up Freiers Fäuten“, das von Bördebauern 
ſelbſt ausgezeichnet dargeſtellt wurde, mit Mundart, Tracht und Dolks» 
tum der Magdeburger Börde auf unterhaltſamſte Art bekannt gemacht wur» 
den. Das ſchlichte, naturwahre und doch tief empfundene und aus eingehend» 


22 Derlauf der Tagung [22 


ſter Kenntnis der Bördebauern heraus geſchaffene Stück fand eine dankbare 
Suhörerihaft und der Dichter⸗Intendant begeilterten Beifall. Studienrat 
Dr. Pahncke gab einige volkskundliche Erläuterungen zu dem Stück. 

Nur kurze Seit verblieb noch zu fröhlichem Zuſammenſein mit den Neu⸗ 
haldensleber Gaſtgebern, die Stadtbaurat Flock (Meuhaldensleben) benutzte, 
die Gäſte zu begrüßen, während Geheimrat Koſſinna den Dank der Geſell⸗ 
ſchaft für die ſo überaus liebenswürdige Aufnahme ausſprach, und Super⸗ 
intendent Jordan auf den wiſſenſchaftlichen „Nachwuchs“ der Dorgeſchichts⸗ 
forſchung ſprach und ſeine Worte in einem hoch auf Dr. Engel aus⸗ 
klingen ließ. 

Gegen 8 Uhr mußte, wenn auch ungern, von der gaſtlichen „Stadt an 
der Heide” Abſchied genommen werden, und die keuchenden Autos führten 
die Teilnehmer durch die ſchwarze und doch ſo herrliche Sommernacht in die 
Mauern der Stadt Magdeburg zurück. 


Donnerstag, den 6. September 


Wieder verſammelten ſich um 8 Uhr 122 Teilnehmer im Saale des 
„Kaiſerhofs“, in dem Dr. Carl Engel wie am Dortage einen kurzen zu⸗ 
ſammenhängenden Überblick über Candſchaft und Dorgeſchichte der auf dem 
Ausflug nach Marienborn und Helmitedt durchfahrenen Gebiete (Abb. 11) gab. 


1 Graber & Gceuy ee, defis 
— an. 


Gez. F. Jaenſch, Magdeburg 


Abb. 11. Kartenjkizze zum 2. Ausflug am 6. September: 
Marienborn —helmſtedt 


Um 9 Uhr führten die Kraftwagen die Geſellſchaft zunächſt zu der ſüdlich Dies: 
dorf gelegenen Kiesgrube, in der Geheimrat van Werveke den diluvial⸗ 
geologiſchen Aufbau der Magdeburger Börde erläuterte. Auch bei den an⸗ 
ſchließenden Beſichtigungen der diluvialen Aufichlüffe an den ſüdweſtlich 
der Stadt Magdeburg gelegenen hängelsbergen (Abb. 12) und in der Kies⸗ 
grube nordöſtlich des Bahnhofes Langenweddingen fand Geheimrat van 
Werveke Gelegenheit, den Teilnehmern feine auf Grund jahrelanger ſorg— 
fältiger Forſchungen erarbeiteten völlig neuartigen Auffaffungen über die 
Bildung der diluvialen Ablagerungen Mitteldeutſchlands und die Sahl der 
Dereijungen in Norddeutichland auseinanderzuſetzen 1). Beſonders ſchön konnte 


1) Dal. dazu außer dem Beitrag S. A1ff.: van Werveke, Kurze geologiſche Er: 
läuterungen zu den Ausflügen der Vorgeſchichtsforſcher im Montagsblatt der Magde— 


23] Derlauf der Tagung 23 


das Auftreten von Sandlöß und fauſtgroßen Geröllen im echten Cöß vor- 
geführt werden; Erſcheinungen, die an der herrſchenden Lehre von der äoli— 
ſchen Entſtehung des Colles ſtarke Zweifel aufkommen laſſen. 

In den vom Wind aufgewirbelten Wolken gelben Cößſtaubes überqueren 
die Wagen in ſchneller Fahrt die Hochfläche der Magdeburger Börde und er— 
reichen über Wanzleben, Remkersleben Seehauſen, wo eine Reifenpanne zu 
längerem Verweilen zwingt. Geheimrat van Werveke benutzt den unfrei— 
willigen Aufenthalt zu einer Führung durch die nordweſtlich des Bahnhofes 
Seehauſen angelegten Tongruben, in denen er den Teilnehmern die hier 
prachtvoll aufgeſchloſſenen diluvialen Stauchungen und Aufprejjungen von 
Septarienton erläutert; während andere in der benachbarten Bahnhofswirt— 
ſchaft materiellen Genüſſen huldigen. 


Phot. K. Reichbelm, Treuenbrietzen 


Abb. 12. Die Teilnehmer in der Sandgrube an den Hängelsbergen (ſüdweſtl. Magdeburg) 


In ſchneller Fahrt wird über Eilsleben, Ummendorf, Wefensleben die 
altheilige Stätte Marienborn erreicht, wo Pfarrer Kittlaus die Teilnehmer 
durch den prachtvollen Park zur Marienkapelle führt und ſie dann mit dem 
Innern der Kirche und dem eigenartigen, leider ſtark verfallenen Kreuzgang 
bekannt macht. 

Schon in heidniſcher Zeit ſcheint Marienborn eine altgermaniſche Kult— 
ſtätte geweſen zu ſein. Noch heute wehen die Schauer altheidniſchen Götter— 
dienſtes durch den ſtillen, an vorgeſchichtlichen Denkmälern ſo reichen Buchen— 
wald, zu dem ein kurzer Fußmarſch die Teilnehmer hinaufführt. Grabhügel um 
Grabhügel begleitet den ſchmalen Fußpfad (Abb. 15), auf dem Dr. Carl Engel 


burgiſchen Zeitung, 70. Ae, Nr. 30 vom 3. 9. 1928, S. 282 285, sowie van Wer- 
veke, Ausbildung, Entſtehung und Gliederung des Diluviums in der Magdeburger 
Gegend in der Feſtſchrift zur 10. Tagung für Dorgeſchichte. Magdeburg 1928, S. 7— 147. 


Derlauf der Tagung [24 


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25] Derlauf der Tagung 25 


die Geſellſchaft zu dem erſt kürzlich von ihm ausgegrabenen frühbronze⸗ 
zeitlichen hügelgrab führt, deſſen Steinkiſte eigens für den Beſuch der 
Tagungsteilnehmer geöffnet geblieben war. Nach einer Erläuterung über 
den Gang der Unterſuchung und einigen Ausführungen über das geſamte, 
über 40 Hügel umfaſſende Gräberfeld führte Dr. Engel die Teilnehmer 
zu den Reiten der beiden Megalithgräber am Bierweg und zu dem be: 
rühmten „Opferſtein“ (Abb. 14), deſſen zwei „Opferbecken“ und „Blutrinne“ 
Déi jedoch durch natürliche „Derwitterungs“erſcheinungen des Braunkohlen⸗ 
quarzites zwanglos erklären laſſen. Indes ſei es durchaus nicht von der 
Hand zu weiſen, daß auch in vorgeſchichtlicher Seit ein fo eigenartiges Natur: 
denkmal als Kultſtätte benutzt worden ſei. Denn daß in dieſer Gegend alt⸗ 
heidniſche Kultbräuche noch lange nach Einführung des Chriſtentums ge: 


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Phot. P. Ulrich, Wimmelburg 
Abb. 14. Der „Opferſtein“ im Walde bei Marienborn 


wurzelt hätten, werde ſchon durch die Gründung des Kloſters ſelbſt bewieſen, 
ebenſo aber auch durch die noch an altheidniſchen Spuk erinnernden unheim⸗ 
lichen Namen der Forſtorte. 

Nach kurzem Rückmarſch zum Dorfe wurde in ſchneller Fahrt durch das 
liebliche Allertal und über die waldgekrönten Höhen des Lappwaldes, vorbei 
an der Magdeburger Warte, die freundliche Univerſitätsſtadt Hhelmſtedt 
erreicht, in der ſchon die Helmitedter Herren die verſpäteten Gäſte ſchmerzlich 
erwarteten. Nach der langen Fahrt wurde dem dargebotenen Kaffee und 
Kuchen begeiſtert zugeſprochen; dann ging die Fahrt weiter zu den unmittel⸗ 
bar nördlich der Stadt gelegenen Tübbenſteinen, zwei aus Braunkohlen⸗ 
quarzit errichteten gewaltigen Megalithgräbern (Abb. 15), die von beherr⸗ 
ſchender höhe weithinaus ins Land ſchauen. Nachdem Dr. Carl Engel ihre 
Cage und ihren Bau erläutert und eine kurze Überſicht über die landſchaft⸗— 
lichen und vorgeſchichtlichen Derhaltniffe der Umgegend gegeben hatte, führten 


26 Derlauf der Tagung [26 


die Kraftwagen die Beſucher ſchnell zurück in die an Erinnerungen und nod) 
heute an prachtvollen holzgeſchnitzten Patrizierhäuſern reiche alte Univer— 
ſitätsſtadt, in der unter der Führung von Studienrat Sievers zunächſt das 
im Juleum, einem der edelſten Renaiſſancebauten, untergebrachte heimat— 
muſeum beſichtigt wurde. Hier begrüßte Stadtbaurat Wedemeyer die 
Gäſte und wies darauf hin, daß das alte Univerſitätsgebäude jetzt durch die 
Einrichtung des heimatmuſeums und die Aufitellung der Bibliothek wieder 
einer würdigen Beſtimmung zugeführt ſei. 

In überaus entgegenkommender Weiſe führten eine Sahl helmſtedter 
Bürger, allen voran Stadtbaurat Wedemeyer, die Gäſte durch die kunſt— 
geſchichtlichen Schätze der Stadt, unter denen namentlich die herrliche 
Kloſterkirche Marienberg und das Ludgeri-Kloſter mit ſeiner einzigartigen, 


f Phot. N. Reichhelm, Treuenbrietzen 
Abb. 15. Die „Lübbenjteine“ bei Helmjtedt (nördliches Grab) 


noch aus karolingiſch-ottoniſcher Seit ſtammenden Kapelle zahlreiche Bewun— 
derer fanden, deren Schauensfreude ſelbſt die hereinbrechende Dunkelheit 
nicht hemmen konnte. 

Ein fröhlicher, auch an materiellen Genüſſen reicher, von der Stadt 
Helmitedt gegebener Feſtabend vereinte ſchließlich Gaſtgeber und Gäſte zu 
anregendem Beiſammenſein, bei dem während des Feſteſſens an Stelle des 
beurlaubten Bürgermeiſters Stadtſyndikus Wendt im Namen der Stadt Helm- 
ſtedt die Teilnehmer begrüßte und Geheimrat Koſſinna für die großzügige 
Gaſtlichkeit der Stadt Helmſtedt dankte. 

Studienrat Simm (helmſtedt) brachte ſodann ein Hoch auf den allver— 
ehrten Meiſter, Geheimrat Koſſinna, aus, dem dieſer in bewegten Worten 
dankte; während Landeskonſervator O. Krone (Braunſchweig) in herzlichen 
Worten der aufopfernden Tätigkeit Dr. Engels gedachte. 

In fröhlicher Geſelligzeit verſtrichen die Stunden, und die Aufforderung 


27] Derlauf der Tagung 27 


Dr. Engels, an die Heimfahrt zu denken, da auch morgen noch ein an: 
ſtrengender Tag bevorſtünde, ſtieß auf alljeitigen Widerſpruch. Erſt nach 
wiederholten Mahnungen war es möglich, die in angeregteſter Unterhaltung 
Seit und Stunde vergeſſende Geſellſchaft zum Beſteigen der Wagen zu be⸗ 
wegen, die die Teilnehmer in ſchneller Fahrt über die in Dunkel gehüllte 
Börde wieder der Stadt Magdeburg zutrugen. 


Freitag, den 7. September 


Wie an den beiden Dortagen, fo gab auch diesmal um 8 Uhr Dr. Carl 
Engel im Saale des Kaijerhofes den 80 Teilnehmern einen kurzen Überblick 


! 


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fahrtroute x fundplatze 
een Fisenbahn Binnendanen 
+ Gaiber 


Gez. F. Jaenſch, Magdeburg 
Abb. 16. Hartenſkizze zum A Ausflug am 7. September: Möckern - Burg 


über die Landſchaft und die vorgeſchichtliche Entwicklung des Jerichower 
Landes, in das der dritte und letzte Ausflug führte (Abb. 16). Nach Überquerung 
des Elbſtromes ſchlängelte ſich die Kraftwagenkolonne durch die flache, von 
weiten Kiefernforiten belebte Sanddünenlandſchaft des oſtelbiſchen Flachlandes 
und erreichte als erſtes Fahrtziel die große am Südausgange von Gommern 
gelegene Wanderdüne, eines der impoſanteſten Beiſpiele der mittelelbi- 
Iden Binnendünen, die ſich mit ihrer flach anſteigenden Lupfeite hinter 
ek Schweſtern auf der Kuriſchen Nehrung kaum zu verſtecken braucht. 
inige von Fahrtteilnehmern aufgeleſene Feuerſteinwerkzeuge boten ſchon 


28 Derlauf der Tagung [28 


hier ein Beijpiel für die reiche Bejiedlung der am Ufer des Elbtales gelegenen 
Binnendünenketten. 

Auf der Weiterfahrt über Leißkau und Dannigkow bereiteten mehrfach 
auftretende Maſchinendefekte des einen Autoomnibus unerwünſchte Derzöge— 
rung, jo daß ſchon das nächſte Fahrtziel, das zwiſchen Prödel und Dorn— 
burg gelegene Hügelgrab, mit bedeutender Derjpätung erreicht wurde. 
Das vom Magdeburger Muſeum für Natur- und Heimatkunde unter Leitung 
von Dr. Engel im Frühſommer 1928 ausgegrabene ſpätbronzezeitliche, vom 
Dünenſande eingedeckte Hügelgrab iſt durch die ebenſo liebe- wie mühevolle 
Tätigkeit des Primaners Jordan (Gommern) ausbetoniert und wird durch 
das Schloßmuſeum Serbſt, in dem ſich auch die Grabgefäße befinden, als 
Kulturdenkmal dauernd geſchützt (Abb. 17). Im Anſchluß an die allgemeinen 
Ausführungen Dr. Engels ſchilderte Jordan (Gommern) ſeine Beobach— 
tungen und Maßnahmen zur Erhaltung des Grabes. 


Phot. H. Schneider, Magdeburg 


Abb. 17. Die as We am jungbronzezeitlichen e bei Prödel. 
Kojjinna, 2 Jordan, A Engel 


Nach kurzer Fahrt wurde hart nördlich des Dorfes Gehrden der ſüd— 
lichſte Steinkreis des Mittelelbgebietes erreicht, der ſich durch die außer— 
gewöhnlich lange und ſchmale Steinſetzung nicht unweſentlich von den übrigen 
Megalithgräbern des Jerichower Landes unterſcheidet. Dr. Tarl Engel 
und Geheimrat Dr. A. Herms (Burg) gaben den Teilnehmern die notwen— 
digen Erläuterungen des Grabes, das durch das Fehlen der (nachträglich zer— 
ſtörten?) Steinkammer auffällt. 

Auf der Rückfahrt über Prödel und Leitzkau wurde auf der Höhe 
zwiſchen Ladeburg und Möckern das im Frühjahr 1928 durch Geheimrat 
Dr. Herms (Burg) freigelegte Hiinenbett bei Liittnik (Abb. 18) erreicht, 
deſſen Ausgrabung wichtige Ergebniſſe gezeitigt hatt). Auch hier gaben Ge- 


1) Dal. hierzu Herms, A., Die Megalithgräber des Kreijes Jerichow I in Feſt— 
ſchrift zur 10. Tagung für Porgeſchichte. Magdeburg 1928, S. 2435-262. 


29] Derlauf der Tagung 29 


heimrat Dr. herms und Dr. Engel den Teilnehmern die notwendigen Er— 
läuterungen. 

Gegen ! Uhr wurde auf der Weiterfahrt in dem durch eine noch gut er: 
haltene alte wendiſche Dorfanlage ausgezeichneten Städtchen Möckern das 
Mittagbrot eingenommen. Wegen der durch die Maſchinendefekte ein— 
getretenen Derzögerungen wurde beſchloſſen, von der urſprünglich in Aus: 
ſicht genommenen Beſichtigung des „Hohen Steines“ bei Körbelitz, des dritten 
im Jerichowſchen Südkreis wohl erhaltenen Megalithgrabes!) Abſtand zu 
nehmen und geradeswegs nach Burg weiterzufahren, das gegen 3 und 3½ 
Uhr in zwei Kolonnen erreicht wurde. 

Geheimrat Dr. A. Herms führte die Teilnehmer zunächſt durch die 
reihen Beſtände der Altertumsſammlung des Burger heimatmuſeums 
und hielt dann in dem Feſtſaal der benachbarten Loge ſeinen Vortrag über 


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Phot. D Schneider, Magdeburg 
Abb. 18. Hünenbett bei Cüttnitz (Kr. Jerichow) J. Blick in die Grabkammer 


„Das Elbkaſtell Karls des Großen vom Jahre 806“, in dem er nach— 
zuweiſen ſuchte, daß die Stadt Burg auf ein von Karl dem Großen im 
Wendenlande errichtetes Kaftell zurückgeht. Der in Ausſicht genommene Dor: 
trag von Dr. hermann (Burg) über „diluviale Säugetierreſte nach Funden 
im Lande Jerichow“ mußte der vorgeſchrittenen Seit halber ausfallen. 

Mit gutem Appetit ſprachen die nach dem heißen Tage durſtig geword— 
denen Teilnehmer der von der Stadt Burg und dem Kreiſe Jerichow I geſtif— 
teten leckeren Kaffeetafel zu, währenddes der Landrat des Kreiſes Jerichow I 
Gebhardt die Gäſte begrüßte und Geheimrat Koſſinna für die ſo liebens— 
würdig dargebotene Gaſtfreundſchaft dankte. 

Schon bei bedenklich ſinkender Sonne wurde die Weiterfahrt angetreten, 
die am Rande des landſchaftlich reizvollen alten Elbtales entlang über 


1) Dal hierzu herms, A., Die Megalithgräber des Kreifes Jerichow I in Seit: 
ſchrift zur 10. Tagung für Dorgeſchichte. Magdeburg 1928, S. "23 262. 


30 Derlauf der Tagung [30 


Niegripp nach Hohenwarthe führte. Hier war der Abend ſchon fo ſtark herein— 
gebrochen, daß eine Teilung der Geſellſchaft vorgenommen wurde, um das in 
Kusſicht genommene Programm durchführen zu können. 

Während Geheimrat van Werveke von Hohenwarthe aus mit dem einen 
Teil der Geſellſchaft am Elbufer entlang nach Coſtau wanderte und ihnen 
das wichtige Diluvialprofil des Weinberges erläuterte, führten hans 
Lies und Dr. Carl Engel den anderen Teil am Rande des weiten Elbtales 
entlang von Lojtau nach Gerwiſch und zeigten ihnen die mannigfachen Spuren 
vorgeſchichtlicher Siedlungplätze auf den hängen der Binnendünen 
(Abb. 10), die von der mittleren Steinzeit faſt lückenlos bis in die Slawenzeit 
und das frühe Mittelalter reichen!). 

völlige Finſternis war hereingebrochen, als man in Gerwiſch die Kraft: 
wagen wieder erreichte, die die Teilnehmer in ſchneller Fahrt nach Magde— 


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Phot. H. Sies, Magdeburg 


Abb. 19. Die Binnendünenketten (links) am Oſtrande des Elbtales (rechts) zwiſchen 
Lojtau und Gerwiſch 


burg zurücktrugen. Bei dem im „Würzburger“ anſchließenden gemütlichen 
Suſammenſein dankte Geheimrat Koſſinna Dr. Engel für ſeine mühevolle 
und aufopfernde Tätigkeit, während Apotheker Dr. J. Fromme (Egeln) die 
bewundernswerte Energie des allverehrten Meiſters, Geheimrats Koſſinna, 
würdigte, der es ſich trotz ſeines hohen Alters nicht habe nehmen laſſen, 
allen, oft recht anſtrengenden Deranitaltungen der Tagung vom Beginn bis 
zum Schluf ſe ohne jede Unterbrechung beizuwohnen. 

1) Dal. hierzu Lies, H., Unterſuchungen zur Beſiedlungsgeſchichte der mittel» 
deutſchen Binnendünen. Montagsblatt der Magdeburgiſchen Seitung, 70. Ig., 1928, 
Nr. 38 vom 17. September 1928, S. 305—307. 


Verzeichnis der 310 Teilnehmer 


Albinus, Hildegard, Magdeburg. 

Albrecht, Chriſtoph, Dr., Mainz, Römiſch⸗ 
germaniſches Sentral⸗Muſeum. 

Alsleben, Eduard, Nienburg a. 8. 

Andree, Julius, Privatdozent Dr., Mün⸗ 
ſter i. W. 

Hs mus, Dr., Arzt, Teterow in Medlen- 
burg. 

Asmus, Gifela, stud. phil, Teterow in 
Mecklenburg. 

von Auerswald, Annemarie, Muſeums— 
leiterin, Heiligengrabe. 

Augufto-Sdule Magdeburg mit 6 Schüle⸗ 
rinnen. 

Bage, F., Mittelfdullehrer, Magdeburg. 

Balz, R., Geh. Bergrat, Magdeburg. 

Bänfer, Muſeums⸗Direktor, hamm. 

Barz, K., Lehrer, Magdeburg. 

Becker, A., Mittelſchullehrer, Staßfurt. 

Behr, Fabrikant, Köthen. 

Behrens, Kurt, Kaufmann, Magdeburg. 

Behrens, Frau, Magdeburg. 

Beims, Oberbürgermeiſter, Magdeburg. 

Benecke, Rektor, Harburg. 

Berendt, K., Lehrer, Staßfurt. 

Berger, Willy, Kaufmann, Magdeburg. 

Bethge, Kreisſchulrat, Köthen i. A. 

Bippart, Cnzealoberlehrerin, Magdeburg. 

Blume, Studienrat Dr., Magdeburg. 

Böhm, A., Kretzgau. 

Bolms, Hermann, Kaufmann, Neuhaldens— 
leben. 

Bomeier, Erich, Magdeburg. 

Bolte, Studienrat Dr., Magdeburg. 

Böttge, stud., Magdeburg. 

Bock, Franz, Kantor, Emden (Kr. Neu: 
haldensleben). 

Bradhering, Oberſtudienrat, Magdeburg. 

Bradhering, Mia, stud. phil., Magdes 
burg. ‘ 

Brandt, Rektor, Croppenſtedt. 

Braufe, Bruno, Gera. 

Brennecke, Joh., Wanzleben. 

Brünig, Dr., Magdeburg. 

Brüning, H., Privatdozent Dr., Hanno— 
ver, Techniſche Hochſchule. 

Butſchkow, stud. arch. pruchist., Halle 
a. S. 

Buttenberg, Sanitätsrat r., Magdeburg. 


Büttner, Magiſtrats⸗Baurat, Magdeburg. 

Dähring, Studienrat Dr., Magdeburg. 

Diederichs, Eugen, Dr. h. C., Derlags 
buchhändler, Jena. 

Dietze, Oberlehrer, Magdeburg. 

Eberlein, Frieda, Magdeburg. 

Ebert, Univerſitätsprofeſſor Dr., Berlin. 

Ebert, Frau Profeſſor, Berlin. 

Ehrlich, p., Magdeburg. 

Eichhorn, G., Pfarrer, 
Gelder 

Eiſelt, ., Magdeburg. 

Elſäſſer, O., Studiendirektor, Schönebech. 

von Eltz, Dr., Arzt, Dahlenwarsleben. 

Engel, Carl, Dr., Magdeburg. 

Engel, Irmgard, Magdeburg. 

Engelhardt, Häte, Magdeburg. 

Engelhardt, Hausmeiſter, Magdeburg. 

Enger, h., Salzelmen. 

Feder, Magdeburg. 

Felgentreff, Mittelſchullehrer, Magde— 
burg. 
Felsberg, Dr., 

Brandenburg a. P. 
Fiddicke, Sanitätsrat Dr., Freienwalde 
a. O. 
Fiſcher, Reg.⸗Baumeiſter, Magdeburg. 
Fiſcher, Quedlinburg. 
§Fiſcher, Profeffor Dr., Eiſenberg i. Thür. 
Floeder, Elijabeth, Calbe a. S. 
Floſcher, Eliſabeth, Calbe a. 8. 
von Flottwell, O., magdeburg. 
Fock, Gerhard, stud. phil., Helmſtedt. 
Fölſch, Lehrer, Tangermünde. 


Oſternienburg 


Geheimer Studienrat 


Förſter, Oberſtudiendirektor Dr. ing., 
Magdeburg. 

Frank, Artur, Magdeburg. 

Fritzſche, Ernſt, Düben (Mulde). 

Fromme, J., Dr., Apothekenbefiger, 


Egeln. 

Fuhrmann, Willi, Magdeburg. 

Fuhſe, Profeſſor Dr., Muſeumsdirektor, 
Braunſchweig. 

Harke, Studienrat, Schönebeck. 

benz, F., Magdeburg. 

Gerlach, Profeſſor Dr., Magdeburg. 

Germar, Dr., Direktor des Wirtſchafts. 
amtes, Magdeburg. 

Gefdwendt, Fr., stud. phil., Breslau. 


32 


Glanz, Fr., Muſeumsdirektor, Minden. 

Glombowski, B., cand. arch. praehist., 
Berlin. 

Grahmann, Studienrat Dr., Torgau. 

Greiſchel, Dr., Muſeumsdirektor, Magde⸗ 


burg. 

Grenzdörffer, Lehrer, Cindſtedt (Kr. 
Gardelegen). 

Grimm, Pp., cand. arch. pruehist., Halle 
a. S., Candesanſtalt für Dorgefdidte. 

Gropp, Margar., Magdeburg. 

Große, Studienrat, Köthen. 

ae Gertrud, Lehrerin, Magde- 
urg. 

Gumpert, Carl, Architekt, Ansbach. 

Gundlach, poſtrat, Magdeburg. 

Gundlach, stud. phil., Magdeburg. 

Günther, Profeffor, Rathenow. 

von hammerſtein, Dr., Freiherr, Ober, 
regierungsrat am Oberpräſidium Magde⸗ 
burg. 

Hampel, E., Magdeburg-⸗Südoſt. 

Hanſen, Albert, Dr., Tierarzt, Ummen⸗ 
dorf. ö 

Hartung, Dr., Heiligenſtadt. 

Haubein, Helmitedt. 

Hedt, Studienrat Dr., Magdeburg. 

Heckert, Hedwig, Burg b. Magdeb. 

Heinecke, Magdeburg. 

Heinze, Helene, Magdeburg. 

Dee, Otto, Magdeburg. 

Hempel, Präparator, Magdeburg. 

Hemprich, Muſeunsleiter, Halberſtadt. 

Henking, Bernhard, Mufikdirektor, 
Magdeburg. 

Henneberg, Archivar und Stadtverord- 
neter, Magdeburg. 

Hennig, Direktor, Köthen. 

Henze, Dr. Halle a. S. 

Hermann, Muſeumsſekretär, Magdeburg. 

Herms, Geheimer Medizinalrat Dr., Burg 
b. Magdeb. 

Herrmann, Burg b. 
Magdeb. 

Herrmann, Carl, Lehrer, Naumburg. 

Hinze, Dr., Mufeumsdirektor, Serbjt. 

Hofmann, W., Magdeburg. 

Hofrichter, Helm., Meißen. 

Hohmann, Karl, Dr., Eichwalde b. Berlin. 

Holzkamp, Lehrer, Dettum. 

Homberg, Alfred, Magdeburg. 

Hopfe, Eliſabeth, Lehrerin, Magdeburg. 

Horet, Dipl.-Ing., Studienrat, Magdeburg. 

Hoßbach, F., Studienrat, Magdeburg. 

Hübner, Dr., Magdeburg. 

Hübſchmann, S., Dr., Halle a. S. 

Iro, Ad., Magdeburg. 

Ismer, Stadtrat, Studienrat, Magdeburg. 

Jaehn, S., Studienrätin, Magdeburg. 

Jaenſch, F., Bildhauer, Magdeburg. 

Jaenſch, Fr., Reſtaurator, Magdeburg. 

Jordan, Superintendent, Sommern. 

Jordan, Abiturient, Gommern. 

Judenberg, Studienrätin, Magdeburg. 


Studienrat Dr., 


Verzeichnis der Teilnehmer 


[2 


Kalle, Studienrat, Köthen. 

Kanjer, Oberapotheker, Magdeburg. 

Keil, Studienrat Dr., Magdeburg. 

Kellner, Lehrer, Oſchersleben. 

Kempfer, Ernſt, Verlagsbuchhändler, 
Berlin. 

Kerften, Rektor, Burg. 

Kefeberg, Alfred, Lehrer, Olvenſtedt. 

Klauß, Mittelſchullehrer, Köthen. 

Kleinfhmidt, F., Photogr., Magdeburg. 

Klewiß, Stadtrat Dr., Magdeburg. 

Kluth, Halberſtadt. 

Kluth, Gertrud, Burg b. Magdeb. 

Knauer, h., Lehrerin, Burg b. Magdeb. 

Kohlfärber, Rektor, Oſterwieck, Harz. 

Kölke, Schönebechk. 

König, Max, Serbſt. 

Koppel, P. R., DDr., Tübingen. 

Kortlegel, Rektor, Schivelbein. 

Koſſinna, Univ.-Profefjor Dr., Geh. Re 
gierungsrat, Berlin. 

Krauske, Marie, Magdeburg. 

Kraufe, Adelheid, Magdeburg. 

Krone, Konfervator, Braunſchweig. 

Krüger, Oberſtudienrat Dr., Magdeburg. 

Krüger, Frau Oberſtudienrat, Magde- 
burg. 

Krüger, Martin, Magdeburg. 

Krull, Dr., Schönebeck. 

Kuchenbuch, Gewerberat, Stendal. 

Kühne, Lotte, Lehrerin, Magdeburg. 

Kurz, cand. arch. praehist., Breslau. 

Küſter, Friedr., Akadem. Zeichenlehrer, 
Magdeburg. 

Landsberg, Profeſſor Dr., Bürgermeiſter, 
Magdeburg. 

Langer, Franz, Berlin-Waidmannsluſt. 

Cauterbach, Rektor, Aſchersleben. 

Lavalle, Dr., Magdeburg. 

Lehmann, Herbert, Berlin. 

Lehmann, h., Dipl.-Ing. Dr., Völpke. 

Lehmann, R., Dipl.-Ing. Dr., Halle a. S. 

Cehmann, Studienrat, Erfurt. 

Ceichert, Mittelſchullehrer, Köthen. 

Cichtenberger, Rektor, Magdeburg. 

Cöde, Lehrer, Magdeburg. 

Cüders, Dr., Tierarzt, Fallersleben. 

Mannsfeldt, Mittelſchulrektor, Neuhal⸗ 
densleben. 

Manthey, 
leben. 

Mäntz, Lehrer, Deersheim. 

Manzek, E., Rektor, Schönebeck a. E. 

Matthies, Magdeburg. 

Melzer, A., Leipzig. 

Mendel, Joſeph, Redakteur, Berlin. 

Mengert, W., Amtsgerichtsrat, Magde⸗ 
burg. 

Wengert, Frau Amtsgeridtsrat, Magde: 
burg. 

Mennung, Profeſſor, Schönebeck a. E. 

Mertens, Profeſſor Dr., Muſeumsdirehk⸗ 
tor, Magdeburg. 

Mertzky, Franz, Magdeburg. 


Hans, Lehrer, Neuhaldens- 


3] 


Mener, A., Oberlehrer, Magdeburg. 

Mirtſchin, A., Riefa. 

Möhren, Magdeburg. 

Möllenberg, Dr., Staatsardivdirektor, 
Magdeburg. 

Mod, Paul, Dr., Magdeburg. 

momitius, Pfarrer, Göthewitz. 

von Morgenſtern, C., Lehrerin, Magde⸗ 
burg. 

moſchkau, R., Cehrer, Leipzig. 

Much au, D. 


a. D. 

Mühlhaufen, Dr. med., Braunſchweig. 

Müller, O., Lehrer, Flötz (Kr. Jerichow I). 

Müller, Joh., Dr., Heiligenftadt. 

Müller, Frau Pajtor, Magdeburg. 

Müller, Studienrat, Calbe a. Milde. 

Mundt, Joachim, Regierungsrat, Magde⸗ 
burg. 

nadermann, Magiſtratsbaurat, Magde. 


burg. 

Neubauer, E., Dr., Stadtarchivar, 
Magdeburg. 

Niklaffon, N., Dr., Magiſter, Mufeums- 
aſſiſtent, Halle a. S. 

Mite, Wilhelm, Mufeumskujtos, Burg: 
b. Magdeb. 


Noethe, Leonore, Magdeburg. 

Nordmann, Profeſſor Dr., Stadtſchulrat, 
Magdeburg. 

Noll, Magdeburg. 

Oehlmann, Oskar, Magdeburg. 

Pabel, Erich, Magdeburg. 

Paape, Profeſſor Dr., Berlin- Schöneberg. 

Pauls, Dr., Rechtsanwalt und Notar, 
Magdeburg. 

Perlitz, Willi, Magdeburg. 

Peterfen, Ernſt, Dr., Breslau. 

Diesker, Hermannsburg. 

Pohlmann, Regierungspräſident, Magde: 
burg. 

eee Karl, Cehrer, Beckendorf. 
rietze, Bergrat, Magdeburg. 

püſchel, Köthen. 

Radig, Dr., Dresden. 

Raſchke, Georg, cand. 
Breslau. 

Raſchkow, J., Studienrätin, Magdeburg. 

Rasmus, Oberftaatsanwalt, Magdeburg. 

Rauch, Wilhelm, Gutsbeſitzer, Gutens— 
wegen. 

Rauter, Studienrat, Magdeburg. 

Reichhelm, H., Sahnarzt, Treuenbrietzen. 

Reinerth, Hans, Privatdozent Dr., Tü⸗ 
bingen. 

Reiſchel, Profeſſor Dr., Hannover. 

Reißmann, Rolf, Schriftſteller, Berlin. 

Richter, M., Poftrat, Neuſtadt (Orla). 

Richter, Carl Heinz, Magdeburg. 

Rohrer, Dizepräfident, Magdeburg. 

Roth, Rektor, Aſchersleben. 

Rupredt, Rektor, Brebna. 

Runter, Dr., Magdeburg. 

Sacha, Magdeburg. 


arch. praehist., 


Mannus, Seitſchrift für Vorgeſch. VII. Erg, 


Verzeichnis der Teilnehmer 


33 


Sader, Emil, Schöningen. 

Sauer, Dr. phil., Magdeburg. 

Sauſt, Magdeburg. 

Scharlinſky, Magdeburg. 

Schemmel, Hertha, 5 

EE K., Mufeumsleiter, Quedlin⸗ 
urg. 

Schmidt, Architekt, Magdeburg. 

Schmidt, Sörbig. 


Schneider, H., Magdeburg. 


profeſſor Dr., Brandenburg 


Shollmener, A., Lehrerin, Magdeburg. 

Schomburg, Dr. med., Bremen. 

Schönemann, Otto, Kreiskonfervator, 
Bernburg. 


Schöttler, Generalſuperintendent, Magde⸗ 


burg. 
Schrobsdorff, 
Berlin. 
Schröder, Georg, Magdeburg. 
Schumacher, P., Studienrat, Gardelegen. 
Schwerdtfeger, R., Lehrer, Dahlen⸗— 
warsleben. 


Erdmann Friedrich, 


Scott Preſton, J., Lehrerin, Magdeburg. 
‚ Seeger, Köthen. 
Seelmann, Sanitätsrat Dr., Deſſau. 


Wagener, 


Semlow, Ad., Wolmirſtedt. 

Snethlage, Ernſt, Regierungsinſpektor, 
Berlin. 

Sonder, Apotheker, Bad Oldesloe. 

Spanuth, Oberſtudiendirektor, Erfurt. 

Spiesberg, E., Münſter i. W. 

Sporleder, O., Magdeburg. 

Sprockhoff, Ernſt, Dr., Hannover. 

on Paul, Reg..Landmeffer, Halle 


Siten, Oberſtabsarzt, 
witz. 

Stone, Studienrat Dr., Quedlinburg. 

Strube, Gartenoberinſpektor, Höthen. 

Thinius, Bad Elmen. 

Thümmel, Otto, Dr., Salzelmen. 

Thun, Magdeburg. 

Thierſch, Erich, Lehrer, Breitenbach. 

Tormann, Studienrat Dr., Magdeburg. 

Tourneau, Dr. mal., Magdeburg. 

Tourneau, G., stud. phil.,, Magdeburg. 

Ueberſchär, Bruno, Lehrer, Magdeburg. 

Ulrich, paul, Wimmelburg b. Eisleben. 

Ventzke, Richard, Berlin-Neukölln. 

Verein Heimatmufeum Köthen. 

Verein für deutſche Kultur und Kunit, 
Magdeburg, mit 3 Teilnehmern. 

Vetter, Frau Couiſe, Dr., Magdeburg. 

Dincenti, von, Stadtbibliotheksdirektor, 
Magdeburg. 

Vogeler, Otto, Muſeumsvorſtand, Gen: 
thin. 

Voges, Ernit, Salder (Braunſchweig). 

Waentig, Profeſſor Dr., Oberpräſident 
der Provinz Sachſen, Magdeburg. 

Dr. med, Großenbehringen. 

Wagner, Ernſt, Nienburg a. 8. 

Wanckel, Wolfgang, Direktor, Schöne— 
bech. 


Grok: Wujters 


3 


34 


Wedekind, H., Rektor, Borne. 

Wegener, Dr., Studienrat, Magdeburg. 

Weife, Theodor, Kaufmann, Magdeburg. 

Wernecke, Kommerzienrat, Magdeburg. 

Werneke, Dr., Rektor, Hadmersleben. 

van Werveke, Geh. Bergrat Dr., Magde. 
burg. 

Wezel, Louis, Magdeburg. 

Wiegand, Studienrat Dr., Magdeburg. 

Wieprecht, Studienrat Dr., Neuhaldens- 
leben. 

Wilberg, Direktor der Volkshochſchule, 
Magdeburg. 

Wilcke, Max, Dr., Kreisſchulrat, Seitz. 

Willmann, Clara, Magdeburg. 


Verzeichnis der 


| 


Teilnehmer [4 

Windt, Cyzeallehrer, Köthen. 

Wirth, Hermann, Profeffor Dr., Mar⸗ 
burg a. L. 

Wirth, Maſchinenbauſchüler, Magdeburg. 

Woltersdorff, Willy, Dr., Mufeums- 
kujtos, Magdeburg. 

Wütſchke, Studiendirektor Dr., Deſſau. 

Sander, Dr. ing., Elbſtrombaudirektor, 


Magdeburg. 

Simmermann, Mittelſchullehrer, 
haldensleben. 

Suckſchwerdt, Geh. Kommerzienrat, Dr. 
h. c., Dorfigender der Induſtrie⸗ und 
Handelskammer Magdeburg. 


Neu- 


Stimmungen und Einfälle von der 10. Tagung 
für deutſche Vorgeſchichte in Magdeburg vom 
1.-7. September 1928 


Don Superintendent Jordan, bommern 


Im Megalithgräberfeld bei Meuhaldensleben liegt ein Steingrab, das zwar nicht 
durch ſeine Größe und den Reichtum ſeiner Formen und Beigaben, aber durch eine Natur⸗ 
merkwürdigkeit auffällt (S. 21, Abb. 10). Unmittelbar aus der Steinkiſte heraus iſt eine 
Eiche gewachſen. Sie hat Not gehabt, d aus den Blöcken in der Tiefe ans Tageslicht 
hindurchzudrängen. Als es ihr gelungen, hat der wiegende und rüttelnde Sturm ſie an 
den harten Kanten des Deckſteins wundgerieben. Aber ſie hat das ausgehalten und über 
den Stein geſiegt. Das friſche Leben war ſtärker als die Vergangenheit. Und doch hat 
dieſe ihm im Erdgrunde den Halt gegeben. Der Baum hat im Höherwachſen nicht bloß 
die Krone, ſondern auch den Stamm geweitet. Dieſer aber hat ſich die ſteten Wunden 
der Rinde nicht verdrießen laſſen, ſondern mit immer neuen Überwallungen ſchließlich 
aft den ganzen Stein überzogen und umgibt ihn nun wie ein in Holz verhärteter Daller, 
all. Schließlich aber waren die Tage der Eiche, die zum großen Baume geworden war, 
gezählt. Sie verdorrte. Ein Zweig nach dem andern brach ab. Nur der mächtige Stamm 
und die Hauptäſte blieben ſtehen. Aber tot. 

Eines Tages kamen die Vorgeſchichtler. Als Natur- und Denkmalsfreunde ſuchten 
Be zu erhalten, was zu erhalten war. Sie füllten die hohlen Reſte mit Steinen und 

ement und ſorgten für dauernde Reinigung und Bewahrung. 

So ſteht es heute um jene Merkwürdigkeit. Stumm bewundern Ausflügler den 
durch Altertum, Naturkraft und Tod geheiligten Platz. 

Soll das die Geſchichte des deutſchen Volkes fein? Aus den urzeitlichen Dölker- 
geſchieben zuſammengetragen, erhob es ſich zu einer gewaltigen Machtfülle in vorgeſchicht⸗ 
licher Seit. Megalithkultur bis weit in den Oſten, Weſten und Süden. Dann erſchuf es 
lebendiges Wirken in der Kultur der Geſchichte. Das alte Kraftgut an Körper und 
Nerven trieb den grünen Baum der vaterländiſchen Entwicklung hervor bis zur neuen 
Einigung. Eine ſtarke Eiche! Aber es kam der Suſammenbruch vor der vollen Erfüllung 
aller Sehnſüchte! Derdorrt iſt mancher hoffnungsgrüne Sweig. Soll Germanien nur nod 
ein plombiertes Muſeumsſtück fein und bleiben, wie jener Eichbaum über dem Grabe? 

O nein! 

Es kommen die Künder des Alten, die Säer der Saaten, die pfleger der Pflanzen, 
die Wärter des Werdens. Gelehrtheit und Liebe, Dichter und Denker, Freunde und 
Forſcher, Runenenträtſler und Bahnenbauer, Abner des Alten und Nenner des Neuen. 
Rüſtig reckt ſich das Leben zum Licht. Ebenſo wie das ſuchende Licht die Linien der 
Sukunft zögernd enthüllt, ſtrebt auch der Strahl der vergleichenden Forſchung tiefer 
hinab in die alten Tage. Steinchen um Steinchen fügt ſich zuſammen zu dem immer deut— 
licherem Bilde der älteſten Dergangenheit. Nachdem die erjten ahnenden Verſuche phan. 
taſiebegabter Forſcher ſich zu genauer wiſſenſchaftlicher Methode umgewandelt haben, 
und damit der Dorgeſchichte allmählich die anerkannte Geltung unter den andern 
akademiſchen Disziplinen erſtritten worden iſt, lebt ein ſiegesgewiſſer Drang nach Au, 
ſammenfaſſung unter den Sunftgenoſſen. Die alten Führer, an der Spitze der unermüd— 
liche Koſſinna im 71. Lebensjahre, haben einen begeiſterten Schülerkreis von jungen 
Forſchern um ſich geſammelt. In der Kleinarbeit ergraute Muſeunsleiter find, met 
noch aus anderen Berufen, in die neue Wiſſenſchaft hinübergegangen. Aber die meiſten 

SCH 


36 Jordan | [2 


von ihnen find längſt über einen liebenswürdigen und poetiſchen Dilettantismus hinaus» 
ewachſen. So haben ſie durch ihre größeren und kleineren Sammlungen dazu geholfen, 
daß in den großen Zentralen ein waderes Geſchlecht von jungen Akademikern Uber, 
blicke und zu weitgehenden Folgerungen einladende Geſamtſchauen erarbeiten konnte. 

So iſt denn ein neuer grüner Baum wiſſenſchaftlichen Lebens aus den Gräbern der 
Ahnen emporgewachſen. Die Muſeumsſtücke, Steine und Scherben, ſorgfältig unterſucht 
und zuſammengefügt, fangen an zu reden. Die plomben fallen ab, weil ſich das Neue 
kraftvoll regt. Und ſicher erſtarkt auch durch dieſen Zweig moderner Betrachtung das 
Volkstum und fein Selbſtbewußtſein. Wundert es uns, wenn nun auch wieder, aber beſſer 
gerüſtet als in jenen Seiten bloß liebhaberiſcher Betätigung, eine Menge von Freunden 
aus allen nachdenkenden Ständen Anteil an der Dorgeſchichte nimmt? 

Das machte gerade die wundervolle Stimmung der Magdeburger Tagung aus, daß 
vertreter aller der genannten Arten einmütig beiſammen waren: Die altbewährten 
Führer, die e Siege jungen Forſcher an Muſeen und Univerſitäten, die NMuſeums⸗ 
leiter und Sammler, und zuletzt die der Zahl nach überwiegenden Freunde, Männer und 
Frauen aus allen Ständen. 

Dazu die ausgezeichnet vorbereiteten und wundervoll durchgeführten Autoausflüge 
in die 3. T. in herrlichen Gegenden gelegenen Grabungsfelder! Endlich das ſchöne Wetter 
und die liebenswürdige Gaftlichkeit der Städte Magdeburg, Wolmirſtedt, Neuhaldens⸗ 
leben, Helmjtedt und Burg! 

über Einzelheiten und Namen kann das Stimmungsbild, das ich malen ſoll, nichts 
berichten. Dazu ſind die andern Berichterſtatter berufen. 

Nur einige Bemerkungen ſeien mir geſtattet. 

Funächſt, daß trotz der vielen, nun wirklich nicht mehr zu beſtreitenden, feſt⸗ 
geſtellten und wiſſenſchaftlich einwandfreien Ergebniſſe auch heute noch Spielraum genug 
vorhanden iſt für die ſchweifende Phantafie. Dichter haben oft auch für ſolche Fragen, 
die der wiſſenſchaftlichen Bearbeitung unterliegen müſſen, eine divinatoriſche Aufgabe. 
überfchreitungen und Ausfchweifungen werden ſchon korrigiert werden, wenn fie durch 
das Sieb der gelehrten Forſchung laufen. Aber es gehört ſowohl für die Auffindung neuer 
Grabungsitellen als beſonders für die Entdeckung von verdächtigen Splittern und Steinen 
de den beſonderen Vorzügen, wenn man Spürſinn hat. Es wäre nicht gut, wenn unter 

em Fortſchritt der wiſſenſchaftlichen Qualitäten, die zu genauer Mitarbeit unbedingt 

nötig find, die fo oft verdienſtlich geweſene Vorarbeit durch begabte Laien ganz aus» 
geſchaltet würde. Auch kleine Muſeen, ſogar Kirchen- und Schulſammlungen, haben ihren 
Wert. Ganz hervorragende Stücke und ſolche, die neue Wege weiſen können, gehören 
allerdings unbedingt in die großen Sammlungen der Forſchungsinſtitute. Mindeſtens 
ſollten aber an den lokalen Stellen gute Abgüſſe bleiben. Außerdem iſt der Zweck der 
letzteren in höherem Maße als der der großen Muſeen doch neben dem wiſſenſchaftlichen 
mehr der der Heimatkunde und -pflege. 7 

Mit dem eben erwähnten Punkte ift der nächſte verwandt. In ſchönſter Weiſe trat 
es bei der Tagung hervor, daß die Dorgeſchichte mit anderen Forſchungsgebieten zu— 
ſammenhängt. In der Ethnologie reicht ſich die Gegenwart derjenigen Völker, die noch 
heute in der Steinzeit leben, mit der Vergangenheit die hand. Welche wertvollen Mo— 
mente für die Vorgeſchichte bietet die Beobachtung mancher Südſeevölker und der pueblo— 
indianer! Man denke nur an den Wirthſchen Vortrag! Ob alle Hörer freilich überzeugt 
wurden, oder überhaupt bis zum Schluß folgen konnten, erſchien mir zweifelhaft. 

Da ut ferner die Religionsgeſchichte und die Religionspſychologie. Es ſcheint 
mir, als müßte ſich noch viel mehr die universitas literarum betätigen. Biologie und all- 
gemeine Entwicklungsgeſchichte wären noch ergiebiger auf die VDorgeſchichte hin— 
zuweiſen. Wie fließend find die Grenzen zwiſchen Geſchichte und Dorgeſchichte geworden. 
Su gleicher Seit lebten ja, häufig miteinander ringend, geſchichtliche und vorgeſchichtliche 
Völker. Wie gering iſt 3. B. die Fühlung zwiſchen Orientaliſten und Altteſtamentlern 
einerſeits und Vorgeſchichtlern andererſeits! Für jene alten Seiten, um die es ſich handelt, 
iſt doch die Sprache der Steine verhältnismäßig viel beredter, als die der Sprachver— 
gleichung. Letztere ringt, genau wie die Vorgeſchichte, oder in noch höherem Maße, um 
die Abſtoßung alles Phantaſtiſchen und Dilettantiſchen. 

Sehr ſchön kam auf der Tagung der enge Suſammenhang der Vorgeſchichte mit 
der Geographie und Geologie zur Erſcheinung. Faſt auf allen Ausflügen erfolgten 
geologiſche Beſichtigungen unter der kundigſten Führung des herrn Geh. Rat van Wer— 
veke. Die Mutung auf vorgeſchichtliche Funde wird bedeutend erleichtert durch die 
Henntnis der Schichtenbildungen unſrer Erdrinde. Und bis in die geſchichtliche Seit 
hinein (Hidalqesburg!) ijt die Schulung des Auges für die verſchlungenen und fein— 
adrigen Verwerfungen und Überlagerungen von großem Wert. 

Von weiteren wiſſenſchaftlichen Gebieten käme noch die Mineralogie mit ihren 


3] Stimmungen und Einfälle von der 10. Tagung für deutſche Vorgeſchichte uſw. 37 


letztlich . Grundlagen in Betracht. Ferner die Pflanzengeographie bis 
hin zu den wo opiſchen . die für die Erforſchung und 
Datierung der Funde bedeutſam ſind. 

Endlich ſollte ang die Kultur geldidhte, Pfſychologie und ſogar Tech nil der Cand. 
wirtſchaft und der einſchlägigen han e nicht außer acht gelaſſen werden. Mancherlei 
vielleicht übereilte Schlüſſe über Motivwandlungen bei kunſtgewerblichen und hand⸗ 
werklichen Schöpfungen der Töpferei, Weberei, Spinnerei, Siegelei, Metallgießerei und 
streiberei bedürfen dringend ſolcher Nachprüfung ſeitens der Kenner dieſer Gewerbe. 
Dieſelben Fehler, die bei literariſcher Quellenkritik und Quellenſcheidung vorgekommen 
find, können auch bei der Auswertung von Geräte., Schmuck- und Waffenfunden vermieden 
werden, wenn die pfychologiſchen Geſetze des Formgeſtaltens und der plaſtiſchen Triebe 
herangezogen würden. 

Man ſieht: Fragen, Bedenken und Aufgaben die Menge! 

Im ganzen aber herrſchte unter den über 300 Teilnehmern der Magdeburger 
Tagung die Stimmung, daß die Sache der Vorgeſchichte kräftig voranſchreitet, überaus 
intereſſant und beliebt ijt, und daß das Bewußtſein mancher gewonnenen Schlacht die 
Hoffnung auf neue Kämpfe und Siege diejer hervorragend vaterländiſchen und die ganze 

elt umſpannenden Wiſſenſchaft berechtigt. 

Die Beſichtigungen und die auf den Funden beruhenden, zu ihrer vorbereitung vor⸗ 
gelegten Karten ergaben durch ihre faſt durchgängig vorhandene Übereinſtimmung geo⸗ 
graphifdpgeologifcher Grenzen mit denen der vorgeſchichtlichen Kulturen ein beruhigendes 
Gefühl dafür, daß man wenigſtens für die Magdeburger Umgebung durchaus nicht mehr 
im Dunkeln tappt. 

Beſonders Jet herrn Dr. Engel. Magdeburg, jetzt in Königsberg, herzlich gedankt 
für die vorzügliche Vorbereitung und Durchführung aller Unternehmungen und für feine 
fol wiſſenſchaftlicher Verantwortung entſprungene Dorſicht im Aufftellen von Schluß— 
olgerungen. 


Wiſſenſchaftliche Vorträge 
Germaniſcher Götterdienſt in der Vorgeſchichte 


(Kurzer Auszug) 
Feſtvortrag von Guſtaf Kojfinna!) 


Die Quellen des germaniſchen Gottesdienſtes in der Vorgeſchichte find zu 
einem freilich geringen Teil die Ergebniſſe der Sprachwiſſenſchaft, zum anderen, 
und zwar allergrößten Teil die Denkmäler, welche die Bodenforſchung ans. 
Licht gebracht hat 

Die Germanen haben ſich gegen den Beginn der Bronzezeit um 2000 v. Chr. 
aus dem am längſten im Norden verbliebenen Teil des noch ſteinzeitlichen 
indogermaniſchen Urvolks entwickelt. Wie eine große Sahl anderer be⸗ 
deutendſter Kulturerrungenſchaften des indogermaniſchen Urvolks, z. B. Ge⸗ 
treidebau, Viehzucht, Hausbau, wurde auch der urindogermaniſche Gottes⸗ 
dienſt ein Erbbeſitz der Germanen. Dor allem die Verehrung des indogerma⸗ 
niſchen himmels⸗, Tages- und Sonnengottes, des altindiſchen Djaus, grie⸗ 
chiſchen Djeus-Seus, lateiniſchen Dies-piter-Jupiter, germaniſchen 
Tiwaz⸗Tiu und der vom Himmelsgott befruchteten Erdgöttin, der 

„Mutter Erde“. Der Nordindogermane und beſonders der Germane bevor: 
zugt, wie die Denkmäler beweiſen, die Verehrung des männlich gedachten 
Himmelsgottes. Dargeſtellt wird er nach Ausweis der Sprachforſchung wie 
nach däniſchen Moorfunden in urſprünglichſter Weiſe durch einen Holzpfahl 
oder Balken und einen Steinhaufen, meiſt durch beides zugleich. Dies klingt 
noch zu frühgeſchichtlicher Seit nach in dem gotiſchen Worte alhs (pr. alchs) 

„Heiligtum“, das auf eine Urbedeutung „Holzgötze“ zurückgeht und aufs 
engſte verwandt iſt mit dem Namen der ſilingiſchen Dioskuren, der „Alchen“, 
ferner in den Namen der beiden hasdingiſchen Heerführer Raos und Raptos, 
welche „Stange“ und „Balken“ bedeuten. Endlich iſt das gotiſche Wort ans 
„Balken“ dasſelbe wie das altnordiſche äs „Gott“. 

Allmählich wurden dieſe Holzpflöcke der menſchlichen Geſtalt genähert, 
was aber ſicher erſt während der Bronzezeit geſchah. Zweimal find in Däne⸗ 
mark, einmal bei Neuruppin tief im Moore auf Steinhaufen roh aus Eiche 
geſchnitzte Figuren gefunden worden, deren Arme teils ganz unausgeführt 
geblieben, teils nur angedeutet ſind, und deren fußloſe Beine in ſpitze Stöcke 
auslaufen. 

Als mit dem Aufkommen von Getreidebau und Viehzucht zu Beginn 
der jüngeren Steinzeit die Erkenntnis der Abhängigkeit des Menſchen von 
den Himmelsmächten mächtig Platz griff, entwickelte fic) in ganz Europa 

1) Erſchienen auch in der Seitſchrift: Forſchungen und Fortſchritte. Berlin. 4. Jahrg. 
1928, S. 307f. 


— — — —— ee — — — 


2] Germaniſcher Götterdienſt in der Vorgeſchichte 39 


und alſo auch bei den nordiſchen Indogermanen ein weitgehender Fruchtbar⸗ 
keitskult. Man ſuchte unter anderem den Himmelsgott durch Einzeichnung 
von Sinnbildern, die ihn betrafen, auf Felſen, die bei fruchtbaren Ackern 
lagen, zu dieſen hinzulocken. Solche Sinnbilder waren Fuß- oder Schuh⸗ 
ſohlen. Sie bedeuteten, daß der Sonnengott den Boden betreten habe, und 
ſeine lebensfördernde Kraft ſollte nun durch das Bild dauernd feſtgehalten 
werden. Ein anderes Sinnbild waren kleine ſchälchenförmige Vertiefungen, 
welche die weibliche Befruchtung bedeuten: ein Seiden der Mutter Erde. Aus 
ſchwediſchen Megalithgräbern kamen ſogar ſchon runde Tonſcheiben zutage, 
die auf der Dorderfeite in reicher eingeritzter Derzierung das ſtrahlende 
Sonnenbild tragen und, wie ihre Cängsdurchbohrung zeigt, auf Stangen 
getragen ſein müſſen, offenbar bei Prozeſſionen zu Ehren des Sonnengottes. 
Ganz vereinzelt erſcheint auch ſchon das Bild von Sonne, Axt und Schiff an 
Steinplatten von Megalithgräbern eingezeichnet, und zwar in Irland, in der 
Bretagne, in Skandinavien und Mitteldeutſchland. 

Ihre eigentliche Entwicklung und Blüte erreichte dieſe Art Bildmagie 
aber erſt mit Beginn der Bronzezeit, und ſie wurde bis zum Schluß der Bronze⸗ 
zeit gegen 700 v. Chr. immer reicher ausgeſtaltet, um dann plötzlich ab⸗ 
zubrechen. Nirgends in Europa treffen wir fie fo ſtark verbreitet wie in 
Skandinavien. 

Man glaubte damals in Europa, daß die Himmelskörper, infonderheit 
die Sonne, in einem Boote weile, das tags über den Himmelsozean führe 
und nachts auf dem Unterweltsgewäſſer zurückkehre. So dachten beſonders 
die Küſtenvölker, während die Binnenvölker glaubten, die Sonne werde von 
einem Rolle oder von zweien gezogen. Beide Doritellungen miſchten fic, 
und ſo ſind beide auch bei den Germanen vertreten. Die =e der Sonne 
mit ihrem Bootwagen und ihre Ankunft im Lande wurde durch Kultaufzüge 
feſtlich begangen und bildlich vorgeführt, wobei größte Luft und Ausgelajjen- 
heit herrſchte, wie heute beim Karneval, dem unmittelbaren Nachkommen 
jener Sonnenfeſte. Dadurch, daß man Einzelheiten aus dieſen Feſtzügen, wie 
die dabei umhergetragenen Sinnbilder oder kleinere Kultſzenen auf den Felſen 
zur Darſtellung brachte, ſuchte man die raſch vorübergehende Wirkung der 
Prozeſſionen auf den Sonnengott zu einer fortdauernden zu machen. 

Die häufigſte Erſcheinung in dieſen Einzelbildern wie in ganzen Hut 
ſzenen bilden die Boote, die durch ihr Untergeſtell als Bootſchlitten gekenn» 
zeichnet werden. Nächſt ihnen ſteht im Vordergrunde die Sonne, die oft den 
Mittelpunkt der Szene bildet, ſei es in Geſtalt einer Scheibe oder eines 
Kreiſes oder einer Gruppe konzentriſcher Kreiſe, fet es in Geſtalt eines vier» 
ſpeichigen Rades. Oft iſt jie von Anbetern umgeben, die mit erhobenen 
Armen vor ihr ſtehen; zuweilen wird ſie von einem Pferde an einer Leine 
gezogen. Eine verkleinerte Nachbildung einer ſolchen Kultizene ist der be» 
rühmte bronzene Prozeſſionswagen der Sonne aus Trundholm auf Seeland. 
Demgemäß findet ſich das Pferd als heiliges Tier oft auch allein auf den 
Felſenbildern. Andere Glieder der Sonnenprozeſſion ſind Lurenbläſer, Tänzer, 
akrobatiſche Cuftſpringer und hultiſche Sweikampfer, die den Kampf des 
jungen Sommers gegen den überlebten Winter verſinnbildlichen. Als Sym— 
bole des Sonnengottes, der ja zugleich Blitzgott iſt, findet ſich häufig ſeine 
Waffe, der Blitz, vorgeführt in Geſtalt von Schwertern, rieſigen Lanzen und 
Axten, letztere oft in Doppelung entweder gegeneinander oder in entgegen— 
geſetzter Richtung nach außen gekehrt. 

Im Suſammenhang mit dem Fruchtbarkeitskult ſtehen auch Bilder der 


40 Guſtaf Koſſinna, Germaniſcher Götterdienſt in der Dorgeſchichte [3 


Schlange, jenes durch Häutung ſich jährlich erneuernden Tieres; weiter Dor, 
ſtellungen kultiſchen Pflügens, des Lebensbaumes und der heiligen Hand- 
lung des Feuerbohrens, das mit dem Seugungsakt zu vergleichen iſt. 

Unter den größeren Kultizenen nenne ich die rituellen Jahreszeitfeſte, 
wie die Maihochzeit. Die Felsbilder zeigen Hochzeit und Tod des Fruchtbar⸗ 
keitsgottes und die Klage ſeiner Frau, der Mutter Erde, an ſeiner Leiche. 
Zuweilen ſieht man ganze Prozeſſionen, Reihen von Männern, manchmal 
durch ein Seil verbunden, die entweder die Sonne anbeten oder eine Rieſen⸗ 
geſtalt an einem Bande führen, wie noch heute beim Karneval und beim 
Perchtenlaufen ſolche Rieſen, meiſt maskiert, auftreten. 

Dieſe Riejen, oft mit erhobenen Armen und ſegnend geſpreitzten Fingern 
an den rieſenhaft großen Händen dargeſtellt, können nur Götter ſein. Wir er⸗ 
kennen darunter einen Hammergott, der im ſpäteren Donar⸗Thor fortlebt, 
oft mit hörnerhelm bewehrt; weiter einen Speergott, den Vorgänger des 
ſpäteren Wodan, endlich einen Axtgott, der dem altnordiſchen Freyr entſprechen 
könnte. Dieſelben Götter finden ſich auch auf der Innenſeite einer Platte 
eines Steinkammergrabes früher Bronzezeit zu Anderlingen, Provinz Don: 
nover, eingegraben, einem ſchwächeren Seitenſtück zu dem berühmten Stein⸗ 
Rammergrabe von Kivik in Schonen. 

Don der Fruchtbarkeitsgöttin, der Mutter Erde, finden wir nur wenig 
Abbildungen auf den Felszeichnungen; dagegen beſitzen wir vom Schluß der 
Bronzezeit eine Reihe kleiner nackter weiblicher Bronzeſtatuetten, die ſich 
durch ihre Gebärde, das Anlegen der hände an die Brüſte, als Nachahmungen 
der babyloniſchen Iſtarbilder erweiſen und alſo eine Göttin vom Weſen der 
germaniſchen Nerthus wiedergeben. 

Daß der Gedanke an die Fruchtbarkeit von Flur, Dieh und Menſch eine 
ſo vollkommen beherrſchende Stellung in der Denkwelt unſerer Vorzeit und 
in ihrem Verhältnis zur Gottheit einnahm, wird begreiflich, wenn man ſich 
die damaligen Klima- und Wirtſchaftsverhältniſſe in den Ländern des Oſtſee⸗ 
gebietes vergegenwärtigt. Eine einzige Mißernte bedeutete ſchon Hungersnot, 
mehrere Jahre oder gar eine Reihe von Jahren mit Mißernten zwangen aber 
unausweichlich den größten, zum mindeſten den größeren Teil der von der 
Hungersnot betroffenen Stämme zur Auswanderung nach günſtigeren Cändern. 
Daher die andauernden Südwanderungen der Nordindogermanen nach Nord-, 
Mittel⸗ und Süddeutſchland und Südoſteuropa während der geſamten jüngeren 
Steinzeit, und ebenſo die der Germanen beſonders ſeit Schluß der Bronzezeit, 
und dann mit geringen Unterbrechungen bis ans Ende der Wikingerzeit und 
noch weit ſpäter über ganz Europa hin, in der Neuzeit auch nach Nordamerika, 
wenn auch hiermit nicht gejagt fein ſoll, daß Übervölkerung und Nahrungsnot 
die einzige Urſache dieſer Wanderungen geweſen iſt. Sie hätten in dieſem 
Ausmaße nicht ſtattfinden können, wären nicht hohes Kraftgefühl, Kampfes⸗ 
und Abenteuerluſt, kaltblütige, zähe Entſchloſſenheit, jene bei den Nord⸗ 
germanen beſonders ſtark entwickelten Charaktereigenſchaften, als treibende 
Kräfte hinzugetreten. 


überſicht über die Punkte, in denen meine Auf: 

faſſung über die Gliederung des Diluviums Mittel⸗ 

und Norddeutſchlands von derjenigen der amt⸗ 
lichen geologiſchen Karten abweicht) 


Nebſt vorgeſchichtlicher Zeittafel 
Don Geh. Bergrat Dr. C. van Werveke, Magdeburg 


Allgemein iſt jetzt wohl anerkannt, daß die Einordnung altſteinzeitlicher 
Werkzeuge und anderer auf den Menſchen hinweiſender Funde nur auf gen: 
logiſcher Grundlage, nur auf Grund der Gliederung des Diluviums erfolgen 
kann. Darum ſchien es wichtig, den Vorgeſchichtsforſchern, beſonders aber den 
Liebhabern der Vorgeſchichte, gelegentlich der 10. Tagung Anhaltspunkte in 
die Hand zu geben, welche es ihnen ermöglichen ſollen, Einblicke in den Auf: 
bau, die Entſtehung und die Gliederung der eiszeitlichen und zwiſcheneiszeitlichen 
Bildungen, beſonders in die der weiteren Umgebung von Magdeburg, zu ge— 
winnen. Dieſen Sweck verfolgt mein Beitrag: „Ausbildung, Entſtehung und 
Gliederung des Diluviums der Magdeburger Gegend als Grundlage zur Ein— 
ordnung vorgeſchichtlicher Funde“, welcher die S. 6— 147 der Feſtſchrift und 
6 Tafeln umfaßt. Dieſer Umfang macht es aber den Teilnehmern unmöglich, 
während der Tagung Einblick in meine Anleitung zu nehmen, was zudem 
dadurch erſchwert iſt, daß ich nicht die üblichen Wege gewandert bin, ſondern 
neue gefunden habe. Damit die Teilnehmer, beſonders die Teilnehmer an den 
Ausflügen, ſich nicht vor fremde Kuffaſſungen geſtellt ſehen werden, halte 
ich es für zweckmäßig, einen kurzen Überblick über diejenigen Punkte zu 
geben, in denen ich von der verbreitetſten, insbeſondere der auf den Karten 
der Preußiſchen Geologiſchen Candesanſtalt dargeſtellten Auffaſſung abweiche. 

Statt der üblichen drei Eiszeiten habe ich ſechs Eiszeiten angenommen. 
Don der älteren Gliederung ſind die Elſter-, Saale: und Weichſel-Eiszeit 
beibehalten, doch ijt die Saale-Eiszeit in zwei Eiszeiten aufgelöſt, in Saale» 
Eiszeit I und II. Der Ausflug nach Diesdorf und den hängelsbergen wird 
Gelegenheit geben, die Ablagerungen dieſer beiden Eiszeiten übereinander 
kennenzulernen. Neu zugefügt find nach unten die Elbe- und die Ham: 
burger Eiszeit, von denen aber nur die erſtere Ablagerungen hinterlaſſen 
hat, welche über der Höhenlage der Flußläufe nachweisbar ſind, während die 
Bildungen der älteſten oder Hamburger Eiszeit, die ſich auf die Ergebniſſe 
von Bohrungen in Hamburg ſtützt, nur unterhalb der genannten Höhenlage 
in einer großen Senke bekannt jind, die ſich von der Magdeburger Randlinie 


D Da die Akuftik des Sitzungsſaales ſchlecht ijt, und ich nicht über eine durch⸗ 
dringende Stimme verfüge, ſo war herr Dr. Carl Engel ſo freundlich, in meinem 
Namen zu ſprechen. Ich danke ihm dafür auch an dieſer Stelle beſtens. 


42 £. van Werveke [2 


bis zur Nordfee erſtreckt. Die Geſchiebemergel der Elbe⸗ und der Elſter⸗Eiszeit 
werden auf dem Ausfluge nach dem Weinberge bei Hohenwarthe vorgeführt 
werden können. Den Ausdruk 3wiſcheneiszeit habe ich fallen gelaſſen 
und durch Warmzeit erſetzt, wodurch die Benennung der diluvialen Gliede⸗ 
rung eine weſentliche Vereinfachung erfahren hat. Ich unterſcheide: 


ichſel⸗W it V3 . 
Weichsel Eise jüngeres Diluvium 


Saale⸗Eiszeit II 
Saale⸗Warmzeit II 
Saale-Eiszeit I 
Saale-Warmgzeit II 


Eliter- Eiszeit 

Elſter⸗Warmzeit 

Elbe⸗Eiszeit älteres Diluvium 
Elbe⸗Warmzeit 

Hamburger Eiszeit 


mittleres Diluvium 


Ablagerungen, welche einer hamburger Warmzeit zugewieſen werden 
Könnten, find bisher nicht erkannt worden. 

Don der gebräuchlichen Benennung nach Flußnamen in al phabetiſcher 
Reihenfolge von den älteren zu den jüngeren Vereiſungen iſt für die älteſte 
Eiszeit abgeſehen, weil ihre Ablagerungen, wie ſchon geſagt, nicht zutage 
gehen und nur durch Tiefbohrungen bei Hamburg bekannt find. Sollte jedoch 
unbedingt an dieſer Art der Bezeichnung feſtgehalten werden, ſo könnte von 
einer Alſter⸗Eiszeit geſprochen werden. 

Die im unteren Ohretale und an der Aller zuerſt als voreiszeitlich, dann 
als pliozän gedeuteten, an ſchwarzem Kieſelſchiefer reichen Kieſe habe ich als 
Kbſatz eines Harzfluſſes zwiſchen die Ablagerungen der Elbe- und der Elſter⸗ 
Eiszeit eingereiht. 

Außer der Dermehrung der Eiszeiten hat auf Grund meiner Unter: 
ſuchungen eine weſentliche Derſchiebung in der Altersdeutung der vor— 
handenen Ablagerungen ſtattgefunden. Swiſchen der Saale und der 
Sülldorfer Sülze iſt ein weites Gebiet, das bisher zur Saale-Eiszeit gerechnet 
wurde, als der Elſter⸗Eiszeit zugehörig erkannt worden, größere Gebiete auf 
der rechten Elbeſeite ſind aus der Saale- in die Elſter⸗Eiszeit und aus der 
Weichſel⸗ in die Saale-Eiszeit I, einzelne Dorkommen, wie der Hagelsberg bei 
Belzig, in die Saale-Eiszeit II verſchoben worden. 

Die Bildung von Sandern, die von der Endmoräne ausgehen 
ſollen, erkenne ich nicht an, ſondern erkläre fie für Auswaſchungsreſte von 
Vorſchüttungsſanden, die der Ablagerung der Grundmordne beim Dor: 
rücken des Gletſchers vorausgingen. Gleichfalls als ſolche Reſte, die 
ſtellenweiſe von Reiten einer Grundmoräne überdeckt ſind, ſehe ich die bisher 
als Endmoränen aufgefaßten Höhen an. Auf der linken Elbeſeite gehören 
lie meiſtens zur Saale-Eiszeit II und überragen die Hochflächen des Geſchiebe⸗ 
mergels der Saale:Eiszeit I, ebenſo in der Letzlinger Heide. In der Gegend 
von Staßfurt ſpielen Ablagerungen dieſer letzteren Eiszeit dieſelbe Rolle gegen: 
über dem Geſchiebemergel der Elſter-Eiszeit, desgleichen im weſtlichen Fläming. 

Rückzugsbildungen habe ich nirgends ſicher erkannt. Auf den Ge⸗ 
ſchiebemergel folgen entweder Abjake einheimiſcher Flußläufe oder die klein: 
und feinkörnigen Niederſchläge (Sande, Mergelſande, Tone und Bändertone) 


3] Meine Auffaffung über die Gliederung des Diluviums ufw. 43 


eines neuen Vorſtoßes. Daraus ergibt ſich gegenüber der bisherigen An: 
ſchauung die weſentlich verſchiedene Auffaſſung, daß eine beſtimmte Eiszeit 
nicht mit ſandigen und kieſigen Ablagerungen abſchließt, ſondern mit der 
Grundmoräne. 

Don den ſog. Urſtromtälern nehme ich für das Elbetal an, daß es in 
der Weichſel⸗Warmzeit ausgewaſchen worden iſt, nicht in der Weichſel⸗Eiszeit 
vor der Weichſel⸗Endmoräne. Die Ablagerungen der Saale⸗Eiszeiten find 
während einer Seit der Candſenkung erfolgt, die Auswaſchung in der Weichſel⸗ 
Warmzeit in einer Seit der Hebung. 

Für den Cöß, dem am verbreitetſten Glied des Diluviums in der Börde, 
ſtehe ich auf einſamer, ſtark bedrohter Warte. Ich ſehe den Cöß als urſprüng⸗ 
lichen Abſatz aus Waſſer an, aus der Gletſchertrübe, gebe aber eine ſpätere 
teilweiſe Derwehung zu. Weſentlich in dieſer Frage iſt der Nachweis, daß die 
Wirbeltiere, welche gewöhnlich dem Cöß zugeſchrieben werden, nicht in der 
Seit feines Abſatzes an den Fundſtellen gelebt haben, ſondern por, 
her, und ihre Reſte vom Cöß eingedeckt worden ſind. Dasſelbe gilt 
für die Funde von menſchlichen Reſten und von Werkzeugen. Tiere und 
menſchen haben auf alten Oberflächen gelebt, beginnende Löß- 
bildung hat ſie aus ihren Siedelungen verdrängt. Ich bin mir der 
Schwierigkeiten, welche die Waſſerlehre bietet, wohl bewußt, aber auch der 
Tatſache, daß die Windlehre nicht alle Erſcheinungen zu erklären vermag. 

Den Schwemmlöß der geologiſchen Karten von Magdeburg und feiner 
Umgebung erkenne ich nicht als alluviale Bildung an, ſondern als jung: 
diluvialen Sandlöß, der unmittelbar auf den Talſand folgt, alſo nicht 
jünger, ſondern älter ijt als dieſer und ohne ſcharfe Grenze nach oben in den 
echten Cöß übergeht. Alluvialen lößähnlichen Schlick, den man ſchließlich 
als Schwemmlöß bezeichnen könnte, der aber nicht nur aus Cöß, ſondern auch 
aus Geſchiebemergel entſtanden ſein kann, beſchrieb ich erſt in neuerer Seit 
als Abſatz verſchiedener Bachläufe 1). Im Gegenſatz zum Sandlöß und zum 
echten Cöß führt er „Cößſchnechen“ und „Cößkindel“. 

Die flache Stufe, auf der Magdeburg und ſeine Dororte erbaut ſind, 
und welche einerſeits über Barleben bis ins untere Ohretal, andererſeits nach 
Bad Salzelmen und Schönbeck fortſetzt, ſehe ich, gleichfalls im Gegenſatz zu 
den vorhandenen geologiſchen Karten, nicht als Kufſchuttungsſtufe aus 
jungdiluvialen Sanden an, ſondern als Abtragungsſtufe, welche in der 
Weichſel⸗Warmzeit geſchaffen wurde und aus Ablagerungen der Elbe- und der 
Eliter-deit aufgebaut ijt. Das war ſchon den früheren Beobachtungen von 
Prof. Dr. Schreiber zu entnehmen und ijt in neuerer Seit durch viele Auf: 
ſchlüſſe bei den Kanaliſationsgrabungen beſtätigt worden. 

Abweichend von der bisherigen Auffaliung ijt auch die große Bedeutung, 
welche den tektoniſchen oder gebirgsbildenden Vorgängen zugewieſen 
iſt. Die hohe Cage, welche auf der weſtlichen Elbes und Ohreſeite dem Ge— 
ſchiebemergel der Saale-Eiszeit I, in der Gegend von Biere dem der Elſter— 
Eiszeit zukommt, iſt keine urſprüngliche, ſondern iſt durch Heraushebung be: 
dingt. Die Geſchiebemergel ſind nämlich, wie aus der Höhenlage der oberen 
Grenze der Vorſtoßſande geſchloſſen werden muß, in geringerer Höhe und ſehr 
flacher Lagerung vorgeſchoben worden. Neben Heraushebungen, welche ſich 


— — 


1) „Tößkindel“ und alluvialer „Schwemmlöß“ im Stadtgebiet von Magdeburg. 
Diluvialer „Schwemmlöß“ von hohenwarsleben und Magdeburg. mit 2 Abbildungen. 
A dae (Wöchentliche wiſſenſchaftliche Beilage zur Magdeburg. Seitung) 1928, 

r. 34 u. 35. 


44 T. van Werveke, Meine Auffaſſung über die Gliederung des Diluviums ufw. [4 


auf größere Strecken bemerkbar machen, geben ſich die tektoniſchen Vorgänge 
auch in Sattel⸗ und Muldenbildungen kund, ferner in Verwerfungen und 
Überſchiebungen. Für den Sattel von Biere konnte eine Darſtellung durch 
Streichlinien gegeben werden!), eine Art der Klarlegung der tektoniſchen Der, 
hältniſſe, die für das mittel⸗ und norddeutſche Diluvium neu iſt. 

Bei der Einreihung der vorgeſchichtlichen Funde in die Gliederung 
des Diluviums bin ich lediglich von geologiſchen Geſichtspunkten ausgegangen. 
Die Vermehrung der Eiszeiten und die Anderungen, welche ich in der Stellung 
der diluvialen Ablagerungen vorgenommen habe, find natürlich von Einfluß 
auf die Altersdeutung der vorgeſchichtlichen Funde; diejenigen von Hundis⸗ 
burg z. B. wurden aus der Saale-Warmzeit in die Elſter⸗Warmzeit verſchoben. 
Für eine ganze Reihe von Fundſtätten iſt die Altersdeutung noch unſicher. Die 
Schwierigkeiten, welche die Einreihung der „Cößfunde“ verurſacht, ſind in 
einem beſonderen Abſchnitte beſprochen. 

Die von mir gegebene Zeittafel iſt folgende: 


Nacheiszeit: Munzingen; Tierreſte der Steinkirche bei Scharz⸗ 
Weichſel⸗Ciszeit: Metternich; Achenheim 3. T.; Döklinshofen?; 
Weichſel⸗Warmzeit: Achenheim 3. T.; Klein⸗Quenſtedt bei Halberſtadt; 


Gröbzig; Eisleben; Weſteregeln 3. T.; Storkau 
bei Weißenfels; Unter⸗Wiſternitz (Mähren). 
Saale⸗Eiszeit II. Wi 
Saale⸗Warmzeit II: Rabutz. 
Saale⸗Warmzeit II oder I: Mauer bei Heidelberg?; Ehringsdorf, Taubach 


und Weimar; Oſterode?; Kalktuff von Schwane⸗ 
beck ? 


Saale-Eiszeit I. 

Saale⸗Warmzeit I: Mittlere Terraſſe der Somme; Emſchertal; Sablon 
bei Metz; Achenheim 3. T.; Bennungen; Köchſtedt; 
Wettin; Weſteregeln z. T.; Werdershauſen; Mark⸗ 
Rleeberg; Kieſelgur von Klieken? 


Eliter-3eit: Blankenheim a. h. 
Elſter⸗Eiszeit. 
Elſter-Warmzeit: Obere Terraſſe der Somme; Mauer?; Wangen?; 


Kalktuff von Bilzingsleben; Oſterode?; Hundis⸗ 
burg; Kiejelgur an der Luhe; Kalkmergel von 
BE Weſterweihe bei Uelzen. 
Elbe-dcit: Raſtenberg? 
Hamburger Seit: Keine Funde bekannt. 


Die Begründung dieſer Seittafel habe ich kurz auf den S. 133—146 
meines Beitrages gegeben. 


) L. van Werveke: Neues über die „erſte“ Eiszeit in der Börde. Geſchiebe— 
mergel der „erſten“ (Eljter-) Eiszeit in weiter Verbreitung und diluviale Aufwölbungen 
ſüdlich und ſüdweſtlich von Magdeburg. — Montagsblatt 1928, Nr. 7 und Nr. 8. Mit 
einem Kartenausſchnitt. — Dieſer auch in meinem Beitrag zur Feſtſchrift auf S. 97. 


ee : 


Zur Gliederung der mitteldeutſchen Altſteinzeit 


Don Carl Engel, Königsberg i. Pr. 
Mit 1 Karte und 1 Seittafel im Tert 


Die vorliegende Arbeit knüpft an meine „Überjicht der altſteinzeitlichen Funde Mittel: 
deutſchlands“ !) an, in der ich mich bemüht habe, eine Sufammenjtellung der bisher aus 
den Slußgebieten der Saale und mittleren Elbe bekannt gewordenen paläolithiſchen 
Artefakte zu geben. Da in der genannten Arbeit eine Beſchreibung und Abbildung der 
wichtigeren Stücke Ya ein ausführliches CTiteraturverzeichnis enthalten find, ijt auf 
deren Wiedergabe hier völlig verzichtet worden. Es wird lediglich beabſichtigt, auf 
Grund einiger allgemeiner Betrachtungen den heutigen Stand der mitteldeutſchen Alt⸗ 
ſteinzeitforſchung zu beleuchten. 


Die Erforſchung des mitteldeutſchen Paläolithikums hat eine ſtarke und 
eine ſchwache Seite. Beide find durch die gleiche Urſache bedingt: die Fund⸗ 
umſtände. 

Die |tarke Seite ijt die klar zu beſtimmende ſtratigraphiſche Lagerung 
der meiſten Fundſtücke, die durch das faſt ausſchließliche Auftreten der Artes 
fakte in Flußſchottern zwiſchen verſchiedenalterigen glazialen Ablagerungen 
gegeben iſt. Sie würde eine unzweideutige zeitliche Feſtlegung der Fundſtücke 
geſtatten, wenn — und das iſt die Schwäche der ftarken Seite — die Diluvial: 
geologie eine ſolche zu geben heute bereits in der Lage wäre. 

Die ſchwache Seite iſt der überaus geringe Typenbeſtand und der dadurch 
bedingte Mangel an charakteriſtiſchen Werkzeugformen auf den meiſten Fund— 
plätzen. Ein großer Teil der Funde ſcheidet dadurch für die typologiſche De 
urteilung völlig aus, weil er eben nur hinreicht, die Anweſenheit des Menſchen 
an einzelnen Orten und in beſonderen Schichten zu erweiſen, nicht aber einen 
fördernden Vergleich mit dem gut umſchriebenen Kulturgut anderer Land: 
ſchaften geſtattet. 

Urſache beider Erſcheinungen find die mehrfachen Dereiſungen Nord- und 
Mitteldeutſchlands und der Mangel des behandelten Gebietes an Höhlen. 
Dieſe Umſtände bedingen zugleich den grundſätzlichen Unterſchied der mittel— 
deutſchen gegenüber den ſüddeutſchen und franzöſiſchen Altſteinzeitfunden. 

Während dort große und günſtig gelegene Höhlen und Halbhöhlen (abris 
sous roche) den Menſchen zu längerem Derweilen lockten; während in ihnen 
die Lagerſtätten und Werkpläße des eiszeitlichen Menſchen faſt ungeſtört auf 
uns gekommen ſind, kroch über Mitteldeutſchland — namentlich ſeinen nörd— 
lichen Teil — mehrfach der Eiskuchen des nordiſchen Gletſchers und zerrieb 


— — ⏑ä——ũ— 


1) Feſtſchrift zur 10. Tagung für Dorgefhidte. Magdeburg 1928. S. 149—194. 
Bei dieſer Gelegenheit mag berichtigt werden, daß die Mitteilung der S. 185 angeführten 
Unterſuchung der Döbritzer Höhle (Rr. 35) durch Andrée auf einem Irrtum beruht, 
und daß eine ſolche nicht ſtattgefunden hat; ferner, daß die Fundorte 54. Klein:Kamsdorf, 
35. Döbritzer Höhle (S. 184) ſowie das S. 185 genannte Ruſeum pößneck nicht zum 
Kreiſe Siegenrück, ſondern zu Thüringen gehören. 


46 Carl Engel [2 


oder verlagerte die Spuren der in ihm vorhandenen paläolithiſchen Freiland⸗ 
ſtationen. Auch in den interglazialen Ablagerungen ſind die Funde meiſt nur 
umgelagert und nach längerem oder kürzerem Waſſertransport auf uns ge⸗ 
kommen. Eine — wenn auch örtlich nur geringe — Umlagerung dürfte auch 
den meilten fog. „Cöfßfunden“ zukommen. Höhlenfunde kennen wir unter den 
bisher über 30 paläolithiſchen Fundplätzen Mitteldeutſchlands nur fünf. Die 
Unterſuchungen Andrées!) haben ergeben, daß die meilten der bisher er⸗ 
ſchloſſenen höhlen des Südharzgebietes und Nordthüringens als Wohnſtätten 
des diluvialen Menſchen ungeeignet geweſen ſind, ſo daß wir bei der Mehrzahl 
von ihnen auch bei eingehender Unterſuchung nur auf eine geringe Dermeh- 
rung unjerer Kenntnijje rechnen dürfen. 

Als R. R. Schmidt vor 15 Jahren ſein klaſſiſches und heute noch grund⸗ 
legendes Werk über „Die diluviale Vorzeit Deutſchlands“?) veröffentlichte, 
waren die bis 1914 in Mitteldeutſchland gemachten paläolithiſchen Funde noch 
ſo ſpärlich und unſicher, daß er auf Grund ſeiner damals berechtigten Kritik 
und Skepſis gegenüber dem zweifelhaften Fundmaterial zu dem Schluſſe kam, 
daß „allein das Ilmtal auf ein längeres Verweilen paläolithiſcher Horden 
verweiſt“, im übrigen jedoch nur „hin und wieder eine Jägerhorde einen 
Jagdvorſtoß gegen Norden unternahm“). 

ach der Zuſammenſtellung von R. R. Schmidt waren 1912 erſt neun 
mitteldeuſche Paläolithfunde bekannt, deren Artefaktnatur zudem 3. T. noch 
angezweifelt wurde. Heute iſt ihre Zahl (nach Ausicheidung zweifelhafter 
Fundplätze) bereits auf 25 geſtiegen, und dieſe Siffer wächſt faſt jährlich. 
Berückſichtigt man die oben erörterte Ungunſt der Derhältniſſe für die Er⸗ 
haltung der Artefakte und das verhältnismäßig ſeltene Vorkommen inter⸗ 
glazialer Ablagerungen in Mitteldeutſchland überhaupt, ſo muß dieſe Sahl 
als erſtaunlich hoch bezeichnet werden. Ja, man wird auf Grund der häufig⸗ 
keit des Fundmaterials ſagen dürfen, daß der diluviale Menſch in den 
warmen Swiſcheneiszeiten ein regelmäßiger, wenn auch unſteter Be⸗ 
1 Mittel- und wahrſcheinlich auch Norddeutſchlands geweſen 
ein mu 

Verſucht man zunächſt eine grobe Einteilung des Fundmaterials durch⸗ 
zuführen, fo zeigt ſich, daß faſt die Hälfte der mitteldeutſchen Paläolithfunde 
der letzten Dereilungsperiode (bzw. der ihr voraufgehenden Z3wiſcheneiszeit) 
angehören; ein Umſtand, der nicht überraſcht, wenn man bedenkt, daß der 
Gletſcher der letzten Eiszeit Mitteldeutſchland nicht mehr erreicht hat. 

Ein Blick auf die Fundkarte (Abb. 1) zeigt, daß ſich die Fundplätze in 
der Südhälfte des Gebietes häufen, während der Norden (die Altmark) von 
Funden völlig frei bleibt. Grund für dieſe Verteilung iſt wieder die geologiſche 
Beſchaffenheit der einzelnen Candſchaften. Sunächſt die Tatſache, daß in der 
Altmark interglaziale Bildungen ſehr ſelten auftreten, zum mindeſten bisher 
kaum aufgeſchloſſen ſind; ſo daß altpaläolithiſche Funde dort kaum gemacht 
werden konnten. Das Fehlen interglazialer Aufſchlüſſe hängt wieder mit dem 
Mangel des Gebietes an größeren Talſyſtemen zuſammen, in denen günſtige 
Möglichkeit zur Bildung zwiſcheneiszeitlicher Schichten gegeben war, wie ſie 
3. B. das Flußnetz der Saale und ihrer Nebenflüſſe mit feinen Terraſſen⸗ 
bildungen faſt überall aufweiſt. Schließlich iſt auch das Fehlen der Cößdecke 
in den öſtlichen und nördlichen Gebieten von nicht geringer Bedeutung, da ihr 


1) Nachrichtenblatt f. d. dt. Vorzeit. Jahrg. 4, 1928, S. 49—50. 
2) Stuttgart 1912. 
) A. a. O., S. 104/105. 


3] Zur Gliederung der mitteldeutſchen Altſteinzeit 47 


Gez. F. Jaenſch 


ei Abb. 1. Die altſteinzeitlichen Fundplätze Mitteldeutſchlands 


„N Nichtvorhandenſein eine ſichere diluviale Altersbeſtimmung aller aus dem letzten 
Interglazial ſtammenden Funde (wie 3. B. in der Magdeburger Börde und dem 
nördlichen und öſtlichen Harzvorland) nicht ermöglicht. In der Altmark treten 


48 . Carl Engel [4 


die aus der letzten Swijcheneiszeit ſtammenden Artefakte ſomit als Ober⸗ 
flächenfunde in Erſcheinung und dürften unter Umſtänden ihrem diluvialen 
Alter nach zunächſt kaum mit Sicherheit zu erkennen ſein. 

Grundlegend für die Beurteilung des Fundmaterials iſt demnach der 
Charakter der Fundumſtände. Nach ihm laſſen ſich die Paläolithfunde Mittel⸗ 
deutſchlands gliedern in: 


Höglenfunde, bisher bekannt geworden 
Funde in Tonfdidten, bisher bekannt geworden 
„Lößfunde“ !), bisher bekannt geworden 
Funde in Flußſchottern, bisher bekannt geworden 
Funde in Kalktuffbänken, bisher bekannt geworden 


* N 
DO OD an 


Geologiſch auswertbar find unter ihnen nur die Gruppen 2—5, während 
die aus Mitteldeutſchland bisher bekanntgewordenen Höhlenfunde für eine 
entſcheidende geologiſche Beurteilung nicht in Frage kommen und Oberflächen: 
funde (wie z. B. vom Taubenberg bei Sangerhauſen und vom Roten Berg 
bei Klein⸗Kamsdorf) von ſelbſt ausſcheiden. 

Nun wird eine Einreihung der Funde in beſtimmte geologiſche Stufen 
für die Gliederung des mitteldeutſchen Paläolithikums jedoch nur dann von 
Erfolg fein können, wenn fie hand in Hand geht mit typologiſchen Unter⸗ 
ſchieden der den einzelnen Stufen zugeordneten Werkzeugformen. Ein ihrem 
Fundmaterial nach gut umſchriebenes, typologiſch klares Bild mit einer 
wünſchenswerten Variationsbreite des Werkzeugmaterials ergeben von den 
bisher bekanntgewordenen 25 (ihrer Artefaktnatur nach ſicheren) Fundplätzen 
jedoch nur drei: Breitenbach bei Seitz, Weimar und Markkleeberg. Eine 
kurze Betrachtung ihres Werkzeugmaterials wird daher nicht zu umgehen fein. 

In dem Fundmaterial von Breitenbach bei Seitz überraſcht das 
häufige Vorkommen von Hodkragern und Sticheln und ihr ſtarkes Hervor⸗ 
treten gegenüber den Klingen. Danach wird man das Fundmaterial un⸗ 
bedenklich zum Jungpaläolithikum rechnen können, wofür auch ſeine geo— 
logiſche Lagerung (Beginn der letzten Dereiſung) ſpricht. Geologiſch und tnpo= 
logiſch ähnliche Fundplätze find neuerdings bei Unterrißdorf (Mansfelder See— 
kreis) und Webra a. d. Unſtrut (Kr. Querfurt) durch die Gebr. Lehmann 
erſchloſſen worden. 

Hochkratzer treten auch verhältnismäßig häufig unter dem Werkzeug: 
material von Weimar auf, das zudem durch das Vorkommen zahlreicher, 
meiſt ſorgfältig gearbeiteter Handſpitzen gut charakteriſiert wird. Es nimmt 
demnach eine Mittelſtellung zwiſchen Alt- und Jungpaläolithikum ein, die 
durch den Schädelfund von 1925 auch anthropologiſch geſtützt wird, da ja das 
neu aufgefundene Schädeldach nach Weidenreich?) als eine Swiſchenform 
zwiſchen Neandertaler und jungpaläolithiſchen Homo-sapiens-Cypen zu deuten 
ift; ein nebenbei höchſt beachtliches Ergebnis, weil es die Ausjicht eröffnet, 
daß die Aurignac-Raſſe ſich — trotz aller bisherigen gegenteiligen Meinungen 
— doch aus der ſcheinbar eine extreme Seitenbildung darſtellenden Neandertal— 
raſſe ableiten läßt. Auf alle Fälle bildet das Werkzeugmaterial von Weimar 
eine ſcharf umſchriebene Gruppe, die ſich ſchwer mit dem franzöſiſchen Fund— 


— 


1) Über die fogen. „Lößfunde“ vgl. die Ausführungen von van Werveke in der 
Feſtſ EN au 10. Tagung für Dorgeſchichte. Magdeburg 1928. S. 38 —5! und 120-130. 
Der Schädelfund von Weimar-Ehringsdorf, bearbeitet von F. Wiegers, 

F. W und E. Schuſter. Jena 1928. 


5] Sur Gliederung der mitteldeutſchen Altſteinzeit 49 


material vergleichen läßt !), jedenfalls kaum eine völlige Parallele unter 
dieſem findet. 

Das Fundmaterial von Markkleeberg wird ſchon durch das Dor, 
kommen zahlreicher Fauſtkeile (bzw. Halbkeile) und recht grob gearbeiteter 
Handſpitzen und Klingen als Altpaläolithikum ſicher gekennzeichnet. Ob das 
Werkzeugmaterial aber dem Acheuléen oder dem älteren Mounſtérien 3u- 
zurechnen iſt, ob die Fundſchichten gar verſchiedenalteriges Material führen, iſt 
trotz der ſorgfältigen Unterſuchungen Jakob-Frieſens?) heute noch nicht 
mit Sicherheit zu entſcheiden. 

Sicher weiſt auch das Werkzeugmaterial mancher anderer Fundplätze 
(3. B. Hundisburg, Cindentaler hyänenhöhle) durchaus charakteriſtiſche Sonder⸗ 
züge auf; wie weit dieſe jedoch auf typiſche oder lokale und zufällige Sonder— 
erſcheinungen zurückzuführen ſind, iſt bei der Dürftigkeit des Fundmaterials 
heute nicht zu entſcheiden. Auf keinen Fall aber geht es an, ſie auf Grund 
weniger Fundſtücke mit den klar umſchriebenen franzöſiſchen Stufen tnpo- 
logiſch zu paralleliſieren und fie als Grundlage für deutſche Stufenbenennungen 
zu verwenden. 

Mit Recht hat daher Schulter?) betont, daß der Zeitpunkt eines typo⸗ 
logiſchen Vergleiches der mitteldeutſchen Fundſtücke mit dem grundlegenden 
franzöſiſchen Material heute noch nicht gekommen ſei. So ſehr ich ihm darin 
beiſtimme und feine Gründe würdige, fo wird ſich doch der Derſuch dazu, wenn 
wir weiterkommen wollen, nicht umgehen laſſen; auch wenn die damit er: 
zielten Ergebniſſe immer wieder von neuem berichtigt werden müſſen. Tot» 
wendig ijt nur, bei dieſem Vergleich die unumgängliche Vorſicht und Skepſis 
in der Beurteilung des Materials walten zu laſſen und nicht — auch nicht 
verſtecht — zu verſuchen, den mitteldeutſchen Verhältniſſen das franzöſiſche 
Schema aufzuzwängen. 

Grundſätzlich ſind daher Derjuche, ein eigenes Syſtem für die deutſche 
Altſteinzeit zu ſchaffen, durchaus zu bejahen. Freilich wird feine Aufitellung 
durch die heute noch immer hervortretende Suſammenhangloſigkeit der größeren 
Fundbezirke ebenſo erſchwert wie durch den Umſtand, daß in den einzelnen 
Fundprovinzen nur ſelten alle Entwicklungsſtufen in guter Ausprägung vor— 
handen ſind. 

Mit großer Sorgfalt hat namentlich Wiegers ſich ſeit Jahren bemüht, 
eine eigene Stufenfolge für das deutſche Paläolithikum zu ſchaffen!). Wenn 
ſich dieſe bisher nicht allgemein hat durchſetzen können?), fo liegt das daran, 
daß ſie auf rein geologiſcher Grundlage aufgebaut iſt und daß feine deutſchen 
Stufenbenennungen nur Synonyme für die franzöſiſchen Kulturſtufen dar: 
ſtellen, nicht jedoch auf einem Dergleid) des geſamten deutſchen Fundmaterials 
auf ſelbſtändiger Grundlage gewonnen wurden. 

Ideal betrachtet, würde es die glücklichſte Cofung aller 5weifel bedeuten, 
wenn dort, wo die Typologie verſagt, die Geologie hilfreich einſpringen und 

1) Dal. die Ausführungen Schuſters im „Schädelfund von Weimar-Ehringsdorf“ 
(S. 48 Anm. 2)). 

2) H. H. Jakob: Das Alter der altpaläolithiſchen Station Markkleeberg bei Leipzig. 
Prähiſtoriſche Seitſchrift V. 1913, S. 351—359. 

K. 3 und C. Gabert: Die altſteinzeitliche Fundſtelle Markkleeberg bei 
Leipzig. Veröffentl. des Muſ. f. Dölkerkunde zu Leipzig. Heft 5. 1914. 

3) Dgl. S. 48, Anm. 2). 

S 155 155 F. Wiegers: Diluviale Dorgeſchichte des Menſchen I. Stuttgart 1928. 

») Dal. dazu: Birkner, §.: Die Urbewohner Deutſchlands in: Deutſchland. Die 
natürlichen Grundlagen feiner Kultur. Leipzig 1928. S. 258 259. 

Mannus, Zeitichrift für Dorgeich.. VII. Erg. Bd. 4 


50 Carl Engel [6 


durch zeitliche Beſtimmung die kulturelle Sugehörigkeit unſicherer Fund⸗ 
ſtücke durchführen könnte. So lange jedoch namhafte Diluvialgeologen ſich 
nicht darüber einig find, ob Norddeutſchland 2, 3, 6 oder gar 11 Dereijungen 
durchgemacht hat, wird man der Geologie kaum die Entſcheidung über die 
kulturelle Zugehörigkeit einzelner Fundſtücke überlaſſen können. 

Sudem darf nicht überſehen werden, daß eine Aufitellung von Kultur- 
ſtufen nur dann von Wert ſein kann, wenn dieſe durch das zugehörige 
Kulturgut einigermaßen klar umſchrieben ſind, das heißt wenn ſie nicht 
bloß Schemen darſtellen, ſondern auch einen Inhalt haben. Auf Grund rein 
geologiſcher Unterſuchungen völlig atypiſches Gerätmaterial zur Aufitellung 
von Kulturſtufen zu verwerten, bedeutet — ganz abgeſehen von der Un⸗ 
ſicherheit der geologiſchen Ausdeutung — die Schaffung einer praktiſch nicht 
verwertbaren Nomenklatur, die weiteres Arbeiten nur belaſtet und erſchwert. 
Sie iſt identiſch mit dem lange geübten Brauch, jeden diluvialen Skelettfund 
mit dem Namen ſeines Fundortes als wiſſenſchaftliche Benennung einer eigenen 
Menſchenraſſe in die Anthropologie einzuführen, und ſomit geeignet, die 
wiſſenſchaftliche Terminologie unnötig zu belaſten. Denn fie arbeitet mit De, 
griffen bzw. Stufen ohne Inhalt. 

Zudem würde es eine völlige Verkennung der vorgeſchichtlichen For⸗ 
ſchungsziele bedeuten, wollte man die Diluvialprähiſtorie als eine geologiſche 
Wiſſenſchaft anſehen und in der Einreihung der eiszeitlichen Kulturſtufen 
in ein geologiſches Snitem die Cöſung ihrer Probleme erblicken. Die Frage 
nach der Seitſtellung der diluvialen Kulturen iſt nur eins der vielen Pro- 
bleme, die die Diluvialarchäologie bewegen. Heute — in ihren Anfängen — 
gewiß eins der wichtigſten. Aber daneben darf nicht überſehen werden, daß 
die Diluvialarchäologie die Aufgabe hat, die Kulturen, die Lebensweile und 
— nicht zuletzt — die geiſtige Betätigung und Entwicklung des Eiszeit⸗ 
menſchen zu unterſuchen; dabei kann die Geologie wohl Hilfswiſſenſchaft, 
nicht aber Herrſcherin fein. Ganz abgeſehen von der immer wieder ver: 
geſſenen Tatſache, daß die Dorgeſchichte als eine hiſtoriſch orientierte Geiſtes⸗ 
wiſſenſchaft zwar mit naturwiſſenſchaftlichen Methoden arbeiten, nicht aber 
von einer naturwiſſenſchaftlichen Problemſtellung ausgehen oder in ihr ihr 
Siel finden kann. 

Vverſucht man unter Berückſichtigung dieſer Erwägungen eine Gliede⸗ 
rung des mitteldeutſchen Paläolithikums, ſo wird dieſe in erſter Linie auf 
Grund des archäologiſchen Befundes erfolgen müſſen. Wie bereits erörtert, 
laſſen ſich jedoch aus dem bisher vorliegenden Werkzeugmaterial nur drei 
leidlich umſchriebene und gut gegeneinander abgegrenzte Kulturgruppen 
herausſchälen, die durch die oben beſprochenen drei Fundplätze Seitz, Weimar 
und Markkleeberg charakteriſiert ſind. Inwieweit dieſen jedoch eine tuypiſche 
Bedeutung zukommt, inwieweit ſie nur für kleine Entwicklungsabſchnitte 
bezeichnend ſind, iſt heute — bei dem Mangel an Dergleichsmaterial — noch 
nicht zu überſehen. Damit aber fehlt die wichtigſte Grundlage für die Auf- 
ſtellung einer eigenen mitteldeutſchen Stufenfolge: die Kontinuierlichkeit des 
Entwicklungsablaufs !). 

1) Es liegt wohl im jugendlichen Alter der Dorgeſchichtsforſchung begründet, daß 
man ſich über die Anwendung beſtimmter Begriffe noch immer nicht klar iſt. „Stufe“ 
iſt ein zeitlicher Begriff, der nur dann zur Bezeichnung einer Erſcheinung verwendet 
werden kann, wenn dieſe für einen größeren Seitabſchnitt (eine Entwicklungsdauer) 


charakteriſtiſch iſt. Solange aber ihre zeitliche Gültigkeitsdauer nicht geklärt iſt, hat 
der Begriff „Kultur“ oder „Siviliſation“ zur Anwendung zu kommen. 


7] Sur Gliederung der mitteldeutſchen Altſteinzeit 51 


Nimmt man dazu die Unſicherheit in der geologiſchen Bewertung, ſo 
wird man gut tun, von einer Stufenbenennung nach Fundplätzen für Mittel⸗ 
deutſchland zunächſt abzuſehen und ſich mit einer Eingliederung des Fund⸗ 
materials in die drei großen, typologiſch auch im behandelten Gebiete leidlich 
umſchriebenen Gruppen Alt», Mittel⸗ und Jungpaläolithikum !) zu begnügen. 

Aus ihnen heben ſich die ihrem Werkzeugmaterial nach gut charakteri⸗ 
ſierten Fundplätze von Seitz, Weimar und Markkleeberg heute bereits ſo 
hervor, daß man fie als charakteriſtiſche Eigenkulturen betrachten und von 
einer Zeitzer, Weimarer und Markkleeberger, vielleicht auch noch von einer 
Hundisburger Kultur ſprechen darf. Zur Aufftellung von eigenen Stufen 
wird man jedoch erſt dann übergehen dürfen, wenn man beurteilen kann, 
wieweit das Inventar dieſer Kulturen für größere Entwicklungsabſchnitte 
tupiſch tft. Sie bereits heute vorzunehmen, hieße dem mit dem Material 
weniger Vertrauten eine Sicherheit in der Erforſchung des mitteldeutſchen 
Paläolithikums vortäuſchen, die tatſächlich nicht vorhanden iſt. 

Eine tabellariſche Überſicht unſerer heutigen poſitiven Kenntniffe von 
der Gliederung der mitteldeutſchen Altſteinzeit würde daher (unter Beiſeite⸗ 
laſſen aller Hnpothejen und Unſicherheiten) folgendermaßen ausſehen: 


| Gut umſchriebene Hut, 

Sundplage*) turen, deren typiſche Be⸗ 

in Mitteldeutſchland deutung jedoch vorläufig 
nicht zu beurteilen iſt 


Geologiſche 
Seitſtellung Kulturftufen 


| Steinkirche bei Scharzfeld 


Seit der Herthahöhle bei Ranis 
letzten Jung⸗ Döbritzer Höhle bei Pößneck 
Dereifung 
(im weiteſten lithikum Weſterhauſen 
Sinne) | Ofterode a. Fallſtein (3. C.) 


Seitz, Unterrißdorf, Nebra 


? Weimar 
| Da 1 5 . dE 
Ser isleben 
Altere lithikum | pop ander Höhlen 


Zeitzer Kultur 
Weimarer Kultur 


| 
| 

Paläo-» | Weſteregeln, Thiede, Gröbzig | 
| 


eiszeitliche Ra Nt ee tase ee EE 
Ablage: galt Werdershaujen, Markkleeberg Marnkleeberger Kultur 
rungen p aldo: Wettin, Höchſtedt, Lindentaler | 
| lithikum Fnanenhohle, Hundisburg _ Bundisburger Kultur 
3 ' Wangen, Bilzingsleben | 


| 


Sufammenfaffende Literatur über die Gliederung des mittel. 
deutſchen Paläolithikums 


Bayer, J.: Der Menſch im Eiszeitalter. I. II. Leipzig 1927. 

Boule, M.: Les Hommes Fossiles. Paris 1921. 

Eberts Reallexikon der Vorgeſchichte. Berlin 1924ff. Band II, S. 394—406: Diluvial- 
chronologie (. Obermaier). Band IX, S. 1—6: Norddeutſchland. A. Paldo- 
lithikum (h. Obermaier). 

Engel, C.: Überſicht der altſteinzeitlichen Funde Mitteldeutfchlands. Feſtſchrift zur 
10. Tagung für Vorgeſchichte. Magdeburg 1928. S. 149 — 104. 


— — — — — 


1) Im Jungpaläolithikum ſcheint ſich heute bereits eine Zweigliederung anzu» 
bahnen, indem fic) vielleicht eine feinere Klingenkultur (entfprechend dem Magdalénien) 
der Nacheiszeit zuweiſen bzw. nach der Cößbildung anſetzen laſſen wird. Zu ihr ſcheinen 
die in der Tabelle zuerſt genannten 3 Höhlenfunde zu gehören. 

Y Alle nicht ſicher einzugliedernden Funde wurden hier nicht aufgeführt. 

4* 


52 Carl Engel, Sur Gliederung der mitteldeutſchen Altſteinzeit [8 


Cehmann, 3. u. R.: Die ältere Steinzeit in Mitteldeutſchland. Mannus Bd. 14. 1922, 
S. 269—308. 


Cehmann, h. u. R.: Neue Fundſtellen der älteren und mittleren Steinzeit in Mittel⸗ 
deutſchland. Beiträge zur Geologie Thüringens. Band II, Heft 2. Jena 1928. 

Obermaier, D: Der Menjd der Vorzeit. Berlin [1912]. 

Obermaier, H.: El Homb:e Fosil Madrid 1916. 

Schmidt, R. R.: Die diluviale Vorzeit Deutſchlands. Stuttgart. 1912. 

Soergel, W.: Die Gliederung und abſolute Seitrechnung des Eiszeitalters. Fortſchritte 
der Geologie und Paläontologie. Heft 15. Berlin 1925. 

erg W.: Joſef Baners Chronologie des Eiszeitalters. Mannus Bd. 19. 1927. 

. 225— 250. 

van Wervehe, C.: über die Sahl der Dereifungen in Nord» und Mitteldeutfchland und 
über das Alter des Rabutzer Tones. Mannus Bd. 20. 1928. S. 315—327. 

van Werveke, C.: Ausbildung, Entſtehung und Gliederung des Diluviums der Magde⸗— 
burger Gegend als Grundlage zur Einordnung vorgeſchichtlicher une Feſt⸗ 
ſchrift ur 10. Tagung für W ne Magdeburg 1928. S. 7—14 

Werth, E.: Der foſſile Menſch. Grundzüge einer Paläanthropologie. Berlin 1928. 

Wiegers, ER Diluvialprähiſtorie als geologiſche Wiſſenſchaft. Abhandl. d. preuß. geo: 
logiſchen Landesanjtalt. Berlin 1920. Neue Folge. Heft 84. 

Wiegers, F.: Diluviale Vorgeſchichte des Menſchen I. Stuttgart 1928. 


Die neue Artefaktfunditelle im Löß des Haſen⸗ 
winkels bei Unterrißdorf (Mansfelder Seekreis) 


Don Dr. PD Lehmann, Halle a. S. 


Die Abhängigkeit der Siedlungen von den natürlichen Bedingungen der 
Landſchaft kommt dem modernen Kulturmenſchen kaum noch zum Bewußt⸗ 
ſein. Die heutigen Siedlungen gehen zum größten Teil auf früh. und vor⸗ 
geſchichtliche Gründungen zurück, deren Anlage in hohem Maße von der 
Natur beſtimmt war. Magdeburg als alte Elbefurt und Halle als uralte 
Salzitadt find typiſche Beiſpiele. Dieſe naturnotwendigen Sujammenhänge 
geben dem Forſcher wichtige Fingerzeige, wo er im Gelände nach vor: 
geſchichtlichen Funden zu ſuchen hat. Don beſonderer Bedeutung iſt dies 
auch für die diluvialen Dorgeſchichtsfunde. Ein weiterer Hinweis für Fund— 
möglichkeit in diluvialen Schichten iſt durch häufiges Auftreten von Wirbels 
tierreſten gegeben. Der Diluvialmenſch war vorzugsweiſe Jäger. Wo wir 
Kulturreſte von ihm finden, ſind faſt regelmäßig zahlreiche Knochenreſte 
ſeines Jagdwildes erhalten. Dieſe Geſichtspunkte haben unter anderem zur 
Entdeckung neuer diluvialer Fundſtellen geführt, unter denen als neueſte die 
Fundſtelle im Hafenwinkel bei Unterrißdorf zu nennen it. 

Die Fundſtelle liegt in einem tiefeingeſchnittenen Talkeſſel, etwa 4 km 
öſtlich von Eisleben, wo in einem Steinbruch über Rogenitein führenden 
roten Letten des unteren Buntſandſteins ein bis zu 7 m mächtiges Löhprofil 
aufgeſchloſſen iſt. Auf den Buntſandſteinſchichten liegen zu unterſt 1,5 m 
mächtige Bachſchotter, die in der letzten Swiſchenzeit aufgeſchüttet wurden. 
Darüber folgen 3 m rotbrauner £öß mit zahlreichen Cößſchnecken, und zwar 
Pupa muscorum, Succinea oblonga und Helix hispida. Außerdem ſollen 
die im Eislebener Muſeum aufbewahrten Säugetierreite von Elephas primig., 
Rhinoceros tichorrh., Cervus sp. und Equus sp. vorzugsweiſe aus diejem 
roten Löß ftammen. Darüber folgen rotitreifige Cößſchichten von A m Mäch— 
tigkeit, in denen die Artefakte vorkommen. Su oberſt werden die Schichten 
von einem Um mächtigen, reinen, gelben Löß überdeckt, deſſen Entſtehung 
in das Maximum der letzten Eiszeit zu verlegen iſt. Nach Oſten zu werden 
die diluvialen Schichten diskordant von alluvialem Gehängeſchutt und 
humoſem Auemergel überlagert. Das Profil geſtattet eine eindeutige geo— 
logiſche Eingruppierung der Fundzone. Die Funde gehören an den Ausgang 
der letzten 5wiſcheneiszeit bzw. an den Anfang der letzten Eiszeit. 

Bisher wurden gegen 100 Artefakte aufgefunden, unter denen etwa ein 
Drittel als typiſche Werkzeugformen anzuſprechen find. Beſonders kennzeich— 
nend find ein doppelſeitiger Hockraßer und zahlreiche Stichel, daneben 


54 D. Cehmann, Die neue Artefaktfundſtelle im Löß des Haſenwinkels uſw. [2 


Schaber und Klingen. Die Stücke find meiſt weiß patiniert. Typologiſch 
ſtimmen ſie weitgehend mit den Funden von Breitenbach bei Seitz überein, 
mit denen fie zur Seitzer Stufe zuſammengefaßt werden. Nach D. und R. Ceh⸗ 
mann!) ergibt ſich damit für e folgende Gliederung der 
diluvialen Kulturftufen: 


I. Eiszeit 
1. 5wiſcheneiszeit 
a) Obere Flußterraſſe Wangener Stufe 
b) Untere Flußterraſſe Altere Wettiner Stufe 
II. Eiszeit Steinzeit 
2. 5wiſcheneiszeit Weimarer Stufe 


III. Eiszeit f RE Seißer Stufe 
Alluvium Mittlere Steinzeit Halleſche Stufe 


Der ſcharfe Gegenſatz, der tupologiſch zwiſchen der Weimarer und der 
Zeitzer Kulturſtufe beſteht und fic) vor allem in dem Neuauftreten des Hoch⸗ 
kraßers und Stichels äußert, berechtigt dazu, die Seitzer Kulturſtufe bereits 
zur mittleren Steinzeit zu ſtellen, deren jüngerer nacheiszeitlicher Abſchnitt 
als Halleſche Stufe — nach den Funden vom Galgenberg bei halle a. S. — 
in der angeführten Arbeit eingeführt wird. 


1) HB. und R. Lehmann: Neuere Fundſtellen der älteren und mittleren Steinzeit in 
Mitteldeutſchland. Beiträge zur Geologie von Thüringen. Jena 1928, Band II, Heft 2. 


—— — — — — — 


Zur Charakterijtik der Sirgenſteiner Stufe 
in Weſtfalen und über die Stellung dieſer Stufe 
im Rahmen des Paläolithikums 


Don Privatdozent Dr. Julius Andree, Münſter i. W. 
mit 12 Abbildungen im Text 


Die Sirgenſteiner Stufe (Moufterien bzw. Mouſtérien II = kaltes 
Mouſtérien) gehört zeitlich, was wohl niemand mehr bezweifelt, dem Beginn 
der letzten Eiszeit oder genauer dem erſten Vorſtoß dieſes Glazials an. Sie 
iſt uns aus Deutſchland von einer ganzen Reihe von Fundorten bekannt!). 
Es handelt fic) melt um typiſches Mouſtérien, d. h. ein ſolches mit Hand⸗ 
ſpitzen und EE [= „Kleinmouſtérien“ Obermaiers (15)]; ſeltener 
iſt bei uns ein „Mouſtérien mit Acheul⸗Einſchlag“ [Obermaier (15)]. 

Schon R. R. Schmidt (18) konnte aber feſtſtellen, daß neben dem typi⸗ 
ſchen Mouſtérien noch eine Art „Vorſtufe“, ein „Primitiv⸗Mouſtérien“, out, 
tritt; er wies darauf hin, daß außer im Sirgenſtein auch im Kartſtein eine 
„Sweiteilung“ des Mouſtériens zu beobachten iſt. Die „Vorſtufe“ ijt nach 
unſeren heutigen Kenntniffen viel verbreiteter als ſich früher annehmen ließ. 
Das beweiſen die Sunde aus Bayern, von denen die der Petershöhle (9), der 
Altendorfer Höhle (12) und des Haſenloches (6) hierher zu rechnen find, ferner 
die Funde aus Weſtfalen (Balver Höhle, Feldhof-⸗Höhle, Burſchenhöhle, vgl. 1, 
und Dolkringhaujer Höhle, vgl. 3) 2). 

Aud) in der Balver Höhle muß, wie ich nachweiſen konnte (1), eine 
„Sweiteilung“ des Mouſtériens und eine unmittelbare Überlagerung des 
„Primitiv⸗Mouſtériens“ durch das typiſche Mouſtérien angenommen werden. 
An keiner der drei genannten Stellen läßt ſich zwiſchen den Schich— 
ten mit dem „Primitiv-Mouſtérien“ und dem eigentlichen Mou— 
ſtörien eine zeitliche Lücke nachweiſen. 

Aus dieſen Gründen glaube ich eine zweiſtufige Entwicklung 

1) Elſaß: Achenheim, Dögtlingshofen, Mommenheim; Württemberg: Sirgenftein, 
Irpfelhöhle; Bayern: Hohlefels b. Hppg., Räuberhöhle, Klauſenniſche, Schulerloch, 
Haſenloch, Petershöhle, Altendorfer Höhle; Heſſen: Treis a. d. Lumda, Tämmerſpiel 
(Ur. Offenbach); Rheinland: Kartftein, Buchenloch; Weſtfalen: Herne, Balver Höhle, 
Feldhof- Höhle, Burſchenhöhle, Dolkringhaujer Höhle; Harz: Baumanns-Höhle. 

r) Sur Unteren Sirgenjteiner Stufe gehören noch: Irpfelhähle, Rauberhöhle ()), 
Buchenloch und Tämmerſpiel; auf nichtdeutſchem Boden: Cotencher-Höhle b. Rochefort. 
Drachen⸗Höhle b. Mirnig, Kiſkevély-höhle und Tata b. Budapeſt, Galoska-Höhle 
b. Piekarny, Byet Skila b. Hiritein, Sipka⸗höhle und Certova bro, wahrſcheinlich 
auch Pekärna:Höhle b. Mokrau und Kulna-Höhle b. Sloup. 


56 Julius Andree [2 


des deutſchen Mouſtériens gegenüber der dreiftufigen franzöſi— 
ſchen annehmen zu können: eine Untere und eine Obere Sirgen- 
ſteiner Stufe. 


Kürzlich hat Birkner (Germania, Korr.⸗Bl. d. Röm.⸗Germ. Kom. 1928. XII, Heft 4, 
S. 210) dieſe Zweiteilung der Sirgenſteiner Stufe für nicht gerechtfertigt erklärt, da 
hierzu die ſtratigraphiſche Grundlage fehle. Dagegen iſt zu bemerken, daß für den Sirgen⸗ 
aay und den Kartjtein die Zweiteilung der Sirgenſteiner Stufe einwandfrei feſtſteht. Daß 
ie gleichen Derhältniffe auch in der Balver Höhle vorgelegen haben müſſen, habe ich, 
wie eben erwähnt, in meiner Arbeit über das Paläolithikum des Hönnetales . 
begründet (1, S. 58 ff.). Wenn Birkner meint, daß der Mangel an feiner bearbeiteten 
Spitzen und Schabern (in der Unteren Sirgenſteiner Stufe) auf Sufall beruhen könne, 
ſo müßte das ſchon ein ganz eigenartiger Sufall ſein, 
da im Hönnetale wenigſtens 250 ebm Höhlenablagerungen 
gleichen Inhaltes von mir genau unterſucht wurden und 
ſich daraus ein gut zu charakterifierendes Fundinventar 
ergab, dem eben feinere Spitzen fehlen, das aber mit dem 
„Primitiv⸗Mouſtérien“ vom Sirgenſtein und Kartſtein über⸗ 
einſtimmt. Das Inventar des „Primitiv⸗Mouſterien“ vom 
Sirgenftein umfaßt nach R. R. Schmidt (18, S. 23) faſt 
1000 Stücke, ohne daß ſich darunter „feiner bearbeitete 
Spitzen und Schaber“ befinden. Ganz abzulehnen iſt die 
Auffaffung, daß das Fehlen feinerer Spitzen durch den 
Mangel an geeignetem Rohmaterial hervorgerufen ſein 
könnte. Die Bedingungen für die Herbeiſchaffung von Rob: 
material jeglicher Art waren vom letzten Interglazial an 
bis zum Ende der letzten Eiszeit dauernd die gleichen (vgl. 
1, S. 48). — Das „Primitiv-Moufterien” vom Sirgenſtein 
mit hahne (Mannus, Seitſchr. f. Vorgeſch., VI. Ergän⸗ 
zungsband, 1928, S. 7) als ein „Kümmer⸗Mouſtérien“ (ins 
folge Materialmangels) anzuſehen, vermag ich nicht. Die 
Zahl der Artefakte des „Primitiv⸗Mouſtériens“ ift doppelt 
jo groß wie die des ,Spat-Mouftcriens” vom Sirgenftein. 
Ebenſowenig dürfte im Hönnetale in Weftfalen in der Un, 
teren Sirgenfteiner Stufe ein „Kümmer⸗Mouſtérien“ vor⸗ 
liegen. Hauptrohmaterial war hier der immer reichlich 
Abb. 1. Kleine Mouſtier- vorhandene ſchwarze oder graue Kulm⸗Kieſelſchiefer. Und 
Spitze aus Lieſelſchiefer. aus dieſem gleichen Rohmaterial hergeſtellt, finden ſich in 
Obere Sirgenfteiner Stufe. der Unteren Sirgenſteiner Stufe ganz primitive „Handſpitzen“, 
Balver Höhle. Natürliche in der Oberen Sirgenſteiner Stufe auffallend gut und ele⸗ 
Größe gant gearbeitet Spitzen (ſ. 3. B. Abb. 1, vgl. ferner 1, 
Taf. XIV, 3 und Taf. XV, 1 mit Taf. XVIII, 2. u. 3 und 
Taf. XIX, 2). — Aus allen genannten Gründen halte ich 
es auch nicht für möglich, daß „Primitiv⸗Mouſtérien“ des Sirgenſteins als „ein chrono⸗ 
logiſch fortgeſchrittenes Stadium der Miſchkultur Mouſtérien, jedoch mit techniſchem Rũck⸗ 
ſchritt“ zu bezeichnen, wie dies Beninger tut (Mannus, Seitſchr. f. Vorgeſch., VI Er⸗ 
gänzungsband, 1928, S. 257). Schon Soergel (Fortſchr. d. Geol. u. Pal., Heft 15, 1925, 
anche en daß ſolche „Rückſchläge“ „gar nicht verſtändlich zu machen“ ſeien und 
ehnt ſie ab. 


Das Gerätinventar der Oberen Sirgenſteiner Stufe iſt im übrigen 
bekannt. Charakteriſtiſch find typiſche Mouſtier-handſpitzen und La Quina⸗ 
Schaber, ferner Spitzſchaber, Vielfachſchaber, Kerbſchaber, Kleingeräte uſw. 
Aud) aus Weſtfalen kennen wir jetzt eine Reihe guter Belegſtücke für das 
Auftreten dieſer Kultur. Erſt kürzlich fand ſich in noch nicht veröffentlichtem 
Material aus der Balver Höhle wieder eine kleine, ſehr fein bearbeitete 
Spitze (Abb. 1). 

Weit intereffanter find die Sunde der Unteren Sirgenſteiner Stufe, 
deren Vorkommen in Weſtfalen und deren Inhalt ich in meiner Arbeit über 
die Höhlen des Hönnetales näher beſchrieben habe (1). Das Inventar iſt ein 
recht einfaches: primitive Handſpitzen, primitive Schaber verſchiedenſter Art. 


3] Sur Charakterijtik der Sirgenfteiner Stufe in Weſtfalen uſw. 57 


eine Unmenge von Kleingeräten (bis zu Mikrolithen) und ähnlichem 
(vgl. 2, Taf. 61° und 5). Die weſtfäliſchen Funde waren deshalb von Bedeu⸗ 
tung, weil man bisher die Untere Sirgenſteiner Stufe nur von ganz wenigen 
punkten in Deutſchland kannte und ihr deshalb nur lokale Bedeutung zu⸗ 
ſprach, jetzt aber dieſe Kultur nach ihrer ſehr viel größeren Verbreitung (ſiehe 
oben, S. 55, Anm. 2) und nach einem weſentlich umfangreicheren Material 
beurteilen kann. Eine wertvolle Ergänzung war noch die Oſtern 1928 er⸗ 
folgte Ausgrabung einer kleinen Höhle bei Dolkringhaufen im Hönnetale, 


Abb. 2. „Fauſtkeil“ aus Feuerſtein. Untere Sirgenfteiner Stufe. Feldhof⸗Höhle. 
Etwa ½ der natürlichen Größe 


wobei neben typiſchen Werkzeugen der Unteren Sirgenſteiner Stufe auch vier 
Knochenwerkzeuge zutage kamen (3 und 4). 

Es kommen jedoch unter den Funden der Unteren Sirgenjteiner Stufe 
einige Geräte vor, die aus dem allgemeinen Rahmen etwas herausfallen. 

Das iſt zunächſt der „Fauſtkeil“ aus der Feldhof-Höhle im Hönnetale 
(Abb. 2). Er iſt ſeit langem in der Literatur bekannt, ſeine Stellung ſehr 
umſtritten. Man hielt ihn für Cheléen, Acheuléen, Sriih-Wouftcrien oder 
für Meſolithikum. Da wir Siedlungsipuren, die älter als die letzte Eiszeit 


58 


Julius Andree [4 


Abb. 4. 


„Grands hachoirs“. St. Acheul. Nach Commont (8). ½ der natürlichen Größe 


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Sur Charakteriftik der Sirgenfteiner Stufe in Weſtfalen uſw. 59 


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Julius Andree 


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7 our Charakteriftik der Sirgenſteiner Stufe in Weſtfalen ufw. 61 


find, aus dem Hönnetale bis jetzt nicht kennen, müßte es fich, ſoweit ältere 
Kulturen in Betracht kommen ſollten, bei dem „Fauſtkeil“ um einen völlig 
iſolierten Streufund und um Importware handeln. Es iſt aber unwahrſchein⸗ 
lich, daß Cheléen oder Acheuléen vorliegt, da ſowohl eine interglaziale Sauna 
als auch eine Acheuléenbegleitinduftrie gänzlich fehlen. Gegen Meſolithikum 
ſpricht der Umſtand, daß typiſches Meſolithikum im Hönnetale ebenfalls nicht 
vorhanden iſt. Meinem Ermeſſen nach — und das ſcheint letzthin auch 
R. R. Schmidt anzunehmen (vgl. 1, S. 78) — gehört das Werkzeug der 
Unteren Sirgenſteiner Stufe an (ogl. 2, S. 276). Wir finden ähnliche 
große und verhältnismäßig plumpe Artefakte (Abb. 5 und 4) auch im 
älteſten franzöſiſchen Mouſtérien von St. Acheul und Montieères (vgl. 8), 


Abb. 7. Kleine Handſpitze aus Grauwacke. Untere Sirgenſteiner Stufe. 
Balver Höhle. Natürliche Größe 


und zwar am Beginn des Mouftériens II mit „kalter“ Fauna. Dieſe Geräte 
ſind wohl fauſtkeilähnlich, aber nicht ſo fein bearbeitet; es ſind grobe 
Schlag: und Schabegeräte; Commont (8) bezeichnet fie als „grands 
racloirs“ und „hachoirs“. Ein derartiges Werkzeug liegt auch in dem 
„Fauſtkeil“ vor. 

Fernerhin fanden ſich in dem Material aus dem Höhlenjchutt vor der 
Balver Höhe (vgl. 1, S. 48 und S. 53) einige Werkzeuge aus brauwakke. 
In den Schichten der Unteren Sirgenjteiner Stufe in der Höhle ſelbſt find 
Grauwackengeräte äußerſt ſelten. Die aus einer ziemlich grobkörnigen Grau— 
wacke beſtehenden Artefakte (Abb. 5 bis 9) unterſcheiden ſich von den ſonſt 
vorherrſchenden Artefakten aus Kieſelſchiefer durch ihre Plumpheit und durch 
das geringe Maß ihrer Bearbeitung. Beides hängt wohl zuſammen mit der 
Beſchaffenheit des Rohmaterials, das verwandt wurde. AGbrollungsſpuren 
zeigen die Werkzeuge nicht. Ich hatte in meiner früheren Arbeit (1) zwei 


62 Julius Andree [8 


mir bereits vorliegende derartige Stücke unberückſichtigt gelaſſen, teils weil 
ihr Auftreten im Schichtenverband der Höhle unbekannt ijt, teils weil ich 
mir über die Artefaktnatur der Stücke zunächſt nicht recht im klaren war. 
Sieben weitere Grauwackerartefakte aus mir bisher unbekannten Aufjamm- 
lungen wurden mir ert kürzlich vom Guſtav-Cübcke⸗-Ruſeum in hamm und 
von einem Privatſammler zur Verfügung geſtellt. Es liegen in den Stücken 
in der Tat Artefakte, und zwar primitive Handſpitzen und einfache Schaber 
und Kratzer, vor. 


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Abb. 8. Rechts: Großes Schab- und Schlaggerät aus Grauwacke. Untere Sirgeniteiner 
Stufe. Balver Höhle Links: „Kratzer“ aus Quarzit. Neandertal 


Don den Handſpitzen (Abb. 5,6 und 7) ijt eine (Abb. 5) früher bereits 
abgebildet worden (ſiehe 1, Taf. XVI, Abb. 1, S. 53). Ganz ähnlich iſt die 
Spitze Abb. 6. Es find relativ flache, lange, im Umriß wie im Querſchnitt 
dreieckige Abſchläge von Grauwackengeröllen, 3. T. mit erhaltener Geröll— 
oberfläche, auf der Oberſeite nur grob, auf der Unterſeite faſt gar nicht be— 
arbeitet und mit wenigen Retujchen an den Rändern. Eine dritte Spitze iſt 
die in Abb. 7 dargeſtellte, klein, faſt gleichſeitig-dreieckig, flach, ebenfalls 
nur grob und nur auf der Oberſeite bearbeitet. 

Die übrigen Stücke ſind Schaber und Kratzer, z. T. recht groß wie 
Abb. 8 (rechts), manche kleiner wie Abb. 9. Allen gemeinſam iſt auch hier 
die grobe Bearbeituung. 


9] Sur Charakterijtik der Sirgenſteiner Stufe in Weſtfalen uſw. 63 


Die ſämtlichen Grauwadenartefakte können nach den ganzen Derhält: 
hältniſſen in der Balver Höhle nur der Unteren Sirgenſteiner Stufe 
zugerechnet werden. Sie ſind ſicher altpaläolithiſch; das in der Balver Höhle 
ebenfalls auftretende Aurignacien und Magdalénien kommen alſo gar nicht 
in Betracht. Ebenſo ſcheint mir bei der Einfachheit der Form und der Bearbei— 
tung eine Zugehörigkeit zur Oberen Sirgenjteiner Stufe nicht möglich. 

Zu den Fpitzen und den kleineren Schabern und Kratzern finden Ié 
Parallelen genug unter dem Material der Unteren Sirgenſteiner Stufe aus 
dem Hönnetale. Die größeren Handſpitzen ähneln übrigens auch den großen 
Schab⸗, Kratz⸗ und Schneidewerkzeugen des Schulerloches (Abb. 10 und 11), 


Abb. 9. Schaber aus Grauwacke. Untere Sirgenſteiner Stufe. Balver Höhle. 
Natürliche Größe 


die Birkner (7) als „Levallois-Klingen“ bezeichnet; gleiche Typen finden 
ſich in einigen „Breitklingen“ und „Handſpitzen“ von Treis a. d. Lumda 
(vgl. 17, Abb. 13 und 14). 

Dagegen habe ich im hönnetale noch nichts gefunden, was mit den 
großen Grauwackenwerkzeugen wie Abb. 8 (rechts) verglichen werden könnte. 
Wohl aber ſtimmt das abgebildete Stück außerordentlich mit manchen Fun— 
den des eben erwähnten, eigentümlichen Mouſtériens von Treis a. d. Lumda 
überein (vgl. 17, Taf. VII, VIII. IX und andere), ferner auch mit dem 
Quarzit⸗„Kratzer“ (Abb. 8, links), der 1927 im Neandertal zuſammen mit 
einem Fauſtkeil gefunden wurde (11 und 16) !). Weiterhin find damit 


) Die Altersſtellung dieſer Funde ijt noch umſtritten. 


64 Julius Andree [10 


wiederum „Levallois-Klingen“ vom Schulerloch zu vergleichen (Abb. 11 
und 12). Ahnlich ſind ſchließlich einige der mouſtérienartigen Quarzitwerk— 
zeuge aus China (10, S. 208, Abb. 4). Letztere ſind allerdings kleiner, die 
Geräte von Treis a. d. Lumda dagegen z. T. ſehr viel größer. 

Im allgemeinen ſcheint man die Derwendung von Grauwachke, beſonders 
zu kleineren Geräten, im Hönnetale vermieden zu haben. Don Intereſſe iſt 
es jedenfalls, daß ſich überhaupt größere, plumpe Geräte im Inventar der 
Unteren Sirgenſteiner Stufe finden, in der kleinere und mittlere Werkzeuge 
bei weitem überwiegen. Ich ſehe ſpeziell in den in Abb. 2 und Abb. 8 


Abb. 10. „Cevallois-Klinge“. Schulerloch. Nach Birkner (7). Natürliche Größe 


(rechts) dargeſtellten Artefakten Schlagwerkzeuge, die ſonſt in dieſer 
Kultur ſelten ſind. 

Die Neigung zur Anfertigung ſolcher größeren Stücke war alſo vor— 
handen, aber kein dafür geeigneter Rohſtoff. Die Feuerſteingerölle von den 
Höhen nördlich der Ruhr find im allgemeinen nicht ſehr groß, die Grauwacke, 
die an ſich im Hönnetale leicht zu beſchaffen war, war kein hochwertiges 
Material für Werkzeuge. 

Betrachten wir nunmehr das Inventar der Unteren Sirgenjteiner Stufe 
in ſeiner Geſamtheit, dieſe eigentümliche Miſchung von großen und groben, 
mittleren und allerkleinſten, meiſt primitiven, ganz ſelten etwas feineren Ge— 
räten ſowie das Dorhandenſein echter Knochenwerkzeuge, jo ergeben fic 


11] our Charakterijtik der Sirgenfteiner Stufe in Weſtfalen ufw. 65 


hieraus vielleicht Anhaltspunkte für die Stellung der Unteren Sirgenfteiner 
Stufe im Rahmen der altpaläolithiſchen Kulturen, für ihre herkunft und 
ihren Verbleib bzw. ihr Fortbeſtehen und ihre Weiterentwicklung während 
des Jungpaläolithikums. 

Mit der Frage nach der herkunft der Unteren Sirgenſteiner Stufe habe 
ich mich ſchon in einer anderen Arbeit (3) beſchäftigt. Ergänzend möchte 
ich folgendes bemerken. Nach Obermaier (13) find das „Prämouſtérien“ 
und das „Kleinmouſtérien“ zentral- und oſteuropäiſchen Urſprungs, eine An⸗ 
ſchauung, der unbedingt beizupflichten iſt. Allerdings ſcheint mir der Aus- 
druck „Prämouſtérien“ nicht ganz den Kern der Sache zu treffen. Die zentral» 


Abb. 11. „Cevallois⸗Klinge“. Schulerloch. Nach Birkner (7). Natürliche Größe 


und oſteuropäiſchen früh⸗altpaläolithiſchen Kulturen können höchſtens in 
rein zeitlicher hinſicht als „Prämouſtérien“, d. h. als vor dem Mouſtérien 
auftretend, bezeichnet werden. Kulturell haben dieſe Frühſtufen mit dem 
Mouſtérien natürlich zunächſt nichts zu tun. Zu den frühsaltpaläolithiſchen 
Kulturen rechne ich Halberſtadt-Bilzingsleben, Wangen, Wettin⸗Köchſtedt und 
die beiden „Sonderkulturen“ (vgl. 3) von Hundisburg und Markkleeberg. 
Nach letzteren hat Wiegers ſeinerzeit die Kulturſtufen des ausgehenden 
1. Interglazials und der II. Eiszeit benannt. Beide Kulturen find aber foe 
zuſagen „Spezialiſationen“ gegenüber den „primitiveren“ Kulturen von 
Wangen bzw. Wettin⸗Köchſtedt. Es iſt deshalb zu erwägen, ob man hier 
nicht vorerſt bloß die Bezeichnung „Kultur“ anwenden ſoll, während die Bes 
Mannus, Zeitfchrift für Vorgeſch., VII. Erg. Bd. 5 


66 Julius Andree [12 


zeichnung „Stufe“ nur da verbleibt, wo wirklich eine weitere Derbreitung der 
betreffenden Kultur nachweisbar iſt (vgl. 4a, S. 288). 

Es iſt kaum zu bezweifeln, daß die frühen altpaläolithiſchen Kulturen 
durch die große Ausdehnung des nordiſchen Inlandeiſes im II. (norddeutſchen) 
Glazial ſtark nach Oſten und Südoſten abgedrängt wurden und daß ſich dort 
wahrſcheinlich neue „Kulturzentren“ bildeten. Mit dem letzten Interglazial 
aber wurde der Weg für eine ſtärkere Beſiedlung Zentraleuropas wieder frei. 


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ASIN 


Abb. 12. „Cevallois⸗Klinge“. Schulerloch. Nach Birkner (7). Natürliche Größe 


Es treten nunmehr „mouſtérien“⸗artige Kulturen auf (Krapina, Wildkirchli, 
Wildenmannlisloch, Drachenloch oberhalb Dättis, Rabutz, Schilling bei Poſen) !), 
daneben wieder eine „Sonderkultur“ im Herzen Deutſchlands, die Kultur von 
Weimar⸗Taubenbach⸗Ehringsdorf. Ob in Deutſchland die letztinterglazialen 
Kulturen unmittelbar aus den ſchon früher vorhandenen altpaläolithiſchen 
Kulturen entſtanden, läßt ſich direkt bis jetzt nicht nachweiſen. Es wird jedoch 


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1) In Norwegen erfheint die „Randerskultur“ (bei Randers und Gjermundnes), 
aus Jütland iſt der Fund von Brörup bekannt geworden (vgl. Sch wantes, 19, S. 248). 


13] Sur Charakterijtik der Sirgenſteiner Stufe in Weſtfalen vim. 67 


in dieſer Swilcheneiszeit auch nach Mitteleuropa ein neuer duftrom aus dem 
Oſten gekommen ſein, da wir interglaziale Kulturreſte aus Gegenden kennen, 
in denen zeitlich ältere Funde bis jetzt nicht gemacht worden ſind. Noch vor 
dem Anfang der letzten Eiszeit erreicht ſtellenweiſe eine primitive „mouſtérien“⸗ 
artige Kultur — ſicher vom Often her — bereits Frankreich, 3. B. im fog. 
„Frühmouſtérien“ von Le Mouſtier (mit gemäßigter Fauna). Und mit dem Beginn 
des letzten Glazials finden wir dann auch in Weſteuropa recht häufig — aller⸗ 
dings nicht ausſchließlich!) — die Kultur, die Obermaier als „Klein- 
mouſtérien“ bezeichnet. Auch dieſen Ausdruck möchte ich nicht auf die öſt⸗ 
lichen „mouſtérien“ artigen Kulturen anwenden. Ich würde lieber die Be⸗ 
zeichnung Mouſtérien beſchränken auf die weſteuropäiſche Kultur am Anfang 
der letzten Eiszeit, die in dreiſtufiger Entwicklung als Früh⸗, Hoc und Spät⸗ 
Mouſtérien auftritt. Das „Mouſtérien von Adcheuléenmorphologie” iſt eine 
Miſchkultur, die als ſolche vielleicht durch die Benennung „Acheuléo⸗ 
Mouſtérien“ beſſer gekennzeichnet wäre. In Sentraleuropa ijt das „Moué⸗ 
rien“ zweiſtufig (ſiehe oben, vgl. ferner 1, 2 und 3), es teilt ſich in Untere 
und Obere Sirgenſteiner Stufe. Der Unteren Sirgenſteiner Stufe dürfte wahr⸗ 
ſcheinlich der Charakter einer völlig ſelbſtändigen Stufe zukommen. Doch 
möchte ich vorläufig von einer neuen Benennung abſehen. 

Die Obere Sirgenſteiner Stufe ſcheint mit dem Ende des erſten Dorjtoßes 
der III. (norddeutſchen) Eiszeit in Zentraleuropa auszuſterben. Denn überall 
legt ſich in den bekannten Profilen das ſeinen Formen und ſeiner Technik nach 
grundverſchiedene Aurignacien ohne Übergang der Oberen Sirgeniteiner 
Stufe auf [nur in Frankreich treffen wir als Übergangskultur vom Mouſté⸗ 
rien zum Aurignacien die des Abri-Audi, der jedoch — wie Wiegers mit 
Recht bemerkt (21) — nur lokale Bedeutung zukommt]. Im nördlichen 
Deutſchland iſt das Aurignacien nicht nachzuweiſen?). Ob das Solutréen 
überhaupt über die Mainlinie hinausgegangen iſt, iſt zweifelhaft. Auch das 
Magdalenien hat in Deutſchland ungefähr dieſelbe Verbreitung wie das 
Aurignacien. Man könnte alſo zunächſt an eine Siedlungsleere im nördlichen 
Deutſchland während dieſer Seiten denken. 

Nun erſcheint aber noch vor dem Ende der letzten Eiszeit im Norden 
Deutſchlands die Schaalſee⸗5iviliſation, deren zuſammenfaſſende Dor, 
ſtellung wir Schwantes (19) verdanken. Die Werkzeuge dieſer Kultur 
zeigen eine ganz auffällige Ahnlichkeit mit denen der Unteren 
Sirgenſteiner Stufe, wenn man von den durch den Altersunterſchied beider 
Kulturen bedingten Modifikationen abſieht; nur die „Doppelbuchtſpitzen“ 
fehlen der Unteren Sirgenſteiner Stufe. Schwantes (a. a. O.) betont aus» 
drücklich die engen Beziehungen der Schaalſee-Siviliſation zum Altpaldolithi- 
kum und weiſt auf die Zuſammenhänge hin, die die Schaalſee-Siviliſation mit 
der norwegiſchen „Komja=:Kultur” (Schwantes, a. a. O., S. 248) einerſeits 
und mit der „Kraſnojarſker Stufe“ in Sibirien (a. a. O., S. 180) anderer» 
ſeits verbinden. Letztere Kultur beſitzt jedoch im Gegenſatz zu der Schaalſee— 
Siviliſation Mikrolithen und Knochenwerkzeuge; ebenſo kommen 
„Kleinformen” in der jüngeren Abteilung der Komſa-Kultur, der Tollevik— 
Stufe, vor Schwantes, a. a. O., S. 248). Mikrolithen, Kleinformen und 
Knochengeräte finden ſich aber, wenn natürlich auch in anderer Ausprägung, 
nur „angelegt“, bereits im Inventar der Unteren Sirgenſteiner Stufe (vgl. 
1 und 4). 

) Daneben noch das „Mouftrrien von Acheuléenmorphologie“ (Obermaier, 15). 

) Nördlichſte Vorkommen: Rheinland, mittl. Weſtfalen, Thiede-Weſteregeln. 

5 * 


68 Julius Andree [14 


Das Auftreten einer ſolchen Kultur wie der Schaalſee⸗Siviliſation mit 
ihrem 3. T. durchaus „mouſtérien“ artigen Charakter legt den Gedanken 
nahe, daß es in Oſteuropa zu Beginn des letzten Glazials ein „Mou— 
ſtérien“ gab, das dem deutſchen und ſpeziell der Unteren Sirgen: 
ſteiner Stufe ſehr ähnlich war. Dieſe Kultur wäre als die „Nachfolge“ 
jener früh⸗altpaläolithiſchen Kulturen anzuſehen, die infolge des Dordringens 
der II. (norddeutſchen) Dereifung nach Often und Südoſten abwanderten (ſiehe 
oben); fie iſt vielleicht durch den Druck des von Oſten kommenden Aurigna- 
ciens noch weiter nach Nordoſten (etwa Sentralrußland?) abgedrängt worden. 
So fehlt z. B. in Mähren mancherorts das „typiſche“ „Mouſtérien“ (= Obere 
Sirgenſteiner Stufe), und es folgt auf ein „Primitiv-Mouſtérien“ (= Untere 
Sirgenſteiner Stufe) unmittelbar das Aurignacien!), d. h. alſo, die Untere 
Sirgenſteiner Stufe konnte ſich hier nicht zur Oberen entwickeln, da eine 
neue, offenbar überlegenere Kultur die alte, „primitivere“ zur Abwande⸗ 
rung zwang. Man muß aber auch weiter annehmen, daß dieſe „Oſt“-⸗Kultur 
während der Seit der Oberen Sirgenjteiner Stufe, des Aurignaciens und der 
Dredmolter Stufe ji dort im Often eine gewiſſe Primitivität bewahrte; 
von ihr ſpaltete ſich dann eventuell — wie Breuil vermutet (L’anthropo- 
logie, 1923; vgl. jedoch hierzu Hillebrand, Die Eiszeit, 1926, S. 5 und 
1927, S. 112) — das Solutréen ab (nach Hillebrand, 1926, wenn Ober, 
haupt, nicht in Ungarn, ſondern mehr im Oſten, alſo wohl in Südoſtrußland), 
das weit nach Weſten vordrang, aber nicht nach Nordeuropa kam. Erſt ganz 
allmählich wurde die primitiv gebliebene „Oſt“-Kultur vom Aurignacien (und 
Magdalenien) beeinflußt, ohne ihren altpaläolithiſchen Charakter ganz zu ver⸗ 
lieren. Die ſo etwas modifizierte Kultur ſtieß von neuem nach Weſten 
vor und erſcheint als Schaalſee-Siviliſation in Norddeutſchland 
noch faſt ganz altpaläolithiſch, als Komſa-Kultur in Norwegen mit 
etwas ſtärkerem jungpaläolithiſchen Einſchlag. Gleichzeitig fand wohl 
auch ein Vordringen nach Oſten ſtatt: als Kraſnojarſker Stufe bis Sibirien (13) 
und vielleicht bis China (10, vgl. 19, S. 180). 

Und ſpäter, nach der Schaaljee-divilifation, ganz am Ende der letzten 
Eiszeit, hat ſich ſcheinbar derſelbe Vorgang — das Abſtrömen von Kulturen 
nach Weſten und Oſten von einem oſteuropäiſchen Zentrum aus — noch ein⸗ 
mal abgeſpielt. In Norwegen treffen wir um dieſe Seit die „Foſna⸗Kultur“, 


1) Abfolon (Die paläolithiſche Erforſchung der Pekärna-Höhle in Mähren. 2. Mitt. 
f. d. Jahr 1926. Acta Muſei Moravienſis. Brünn, 1927) bezieht daher die „primitiven“ 
Artefakte auf das Aurignacien und ſpricht von einem „Primitiv-flurignacien“. Ich kann 
ihm hierin nicht folgen. Die Artefakte dieſer primitiven Kultur und des Hod-Aurige 
nacien (3. B. gerade in der Pekärna-Höhle) find doch zu verſchieden voneinander, ſelbſt 
wenn man den Unterſchied im Rohmaterial berückſichtigt. Daß beide Kulturen — in der 
Pekärna⸗ Höhle — im gleichen Horizont vorkommen und daß petrographiſche Unter. 
ſchiede in dieſer Schicht nicht gemacht werden können, iſt kein Beweis o die Suſammen⸗ 
gehörigkeit beider Artefaktgruppen, fondern nur ein Beweis dafür, daß die „Sedimen- 
tation“ in der Höhle längere Seit hindurch gleich blieb. Wie oft kommt es andererfeits 
vor, daß der petrographiſche Charakter der Schichten wechſelt, während die Kulturüber— 
reſte in ihnen die gleichen ſind. 

Ich ſehe eben in mancher primitiven Kultur (3. B. der Unteren Sirgenſteiner Stufe, 
dem „Primitiv-Mouſtérien“ des Sirgenſteins, dem „Primitiv-Aurignacien“ der Pekärna: 
Höhle) etwas Selbſtändiges. Es ſcheint, als habe man ſich zu ſehr daran gewöhnt, in 
jedem Fundkomplex „primitiver“ Werkzeuge (ohne ausgeſprochene Typen!) immer nur 
das Anfangs» und Dorbereitungsſtadium zu einer „höheren“ Kultur (mit „ſchönen“, wohl 
charakteriſierten Typen) zu ſehen. So bezeichnet auch Bayer (Die Eiszeit, 1927, S. 115) 
das „Primitiv-Aurignacien“ der pekärna-höhle als „Ankömmlingsinduſtrie“, eine But 
faſſung, die ich nicht teilen kann. 


15] our Charakterijtik der Sirgenjteiner Stufe in Weſtfalen uſw. 69 


in Norddeutſchland die Siviliſation von Ahrensburg⸗Cavenſtedt, in Polen das 
„Swidérien“, in Sibirien die „Irkutſker Stufe“, alles Kulturen, die, immer 
noch mit altertümlich anmutenden Artefakten ausgeſtattet, nunmehr weit⸗ 
gehendſt vom Aurignacien⸗Magdalénien und 3. T. vom Solutreen beeinflußt 
find, ſich aber andererſeits auch ſchon dem Meſolithikum nähern. 

Die zwiſchen Schaalſee⸗Siviliſation und Kraſnojarſker Stufe geographiſch 
vermittelnden Funde ſtehen, wie Schwantes (a. a. O.) bemerkt, noch aus. 
Ebenſo fehlt eine unmittelbare Derbindung der Unteren Sirgenſteiner Stufe 
mit der Schaalſee⸗Siviliſation. Funde, die dieſe Verbindung herſtellen, 
könnten nur in Gebieten Nord- und Oſteuropas angetroffen werden, 
die während des letzten Glazials eisfrei waren oder allmählich 
eisfrei wurden, und aus denen wir Kulturüberreſte des Aurignaciens, 
Solutréens und Magdaléniens nicht kennen. Dielleiht kommen hier die 
Funde von Schlutup und Roſenkranz, von Mecklenburg⸗Schwerin und Bützow 
in Betracht. Auch der „Fauſtkeil“ von Wuſtrow⸗Nienhagen (5, 14, 20) er, 
ſcheint nunmehr in einem neuen Lichte. 

Ich bin mir bewußt, daß die vorſtehenden Ausführungen noch viel Hnpo- 
thetiſches enthalten. Eine Reihe von Anzeichen ſcheinen aber darauf hinzu⸗ 
weilen, daß eine Löjung der Frage nach dem Verbleib der Unteren Sirgen: 
ſteiner Stufe und nach der Herkunft der Schaalſee-Siviliſation vielleicht auf 
dem angedeuteten Wege zu finden iſt; ich bin wenigſtens der Überzeugung, 
daß durch genauere Forſchungen in Norddeutſchland wie in Rußland die noch 
fehlenden Funde zutage kommen werden. 


Literatur 


1. Andree, Julius: Das Paläolithikum der Höhlen des Hönnetales in Weſtfalen. 
Mannus-Bibl., Nr. 42, 1928. 

2. Andree, Julius: Weſtfalen. A. Paläolithikum. In Ebert, Reallexikon der Vor- 
geſchichte. Bd. XIV. Lief. 3/4. 1928. 

3. Andree, Julius: Ein neuer Fund der Sirgenjteiner Stufe in Weſtfalen und die 
ee der Herkunft dieſer Kultur. Mannus, A f. Vorgeſch., VI. Ergänzungsband. 
1928. 

4. Andree, Julius: Altſteinzeitliche Funde aus Weſtfalen. VI. über Unochengeräte 
aus dem Mouſtérien. Mannus, A f. Vorgeſch., Bd. 2, 1929 (im Druch). 

4a. Andree, Julius, Die Bedeutung der älteren Steinzeit Weſtfalens für die Ur— 
geſchichte Deutſchlands. Volkstum und Heimat (Feſtſchrift für Karl Wagenfeld). 
Münſter i. W., 1929. 

5. Beltz: Einige ſeltenere ſteinzeitliche Sunde aus Mecklenburg. Mannus, A f. Dor, 
geſch., Bd. 1, 1909. 

6. Birkner: Der Eiszeitmenſch in Bayern. Beitr. 3. Anthr. u. Urgeſch. Bayerns. 19, 
1915. 

7. Birkner: Die eiszeitliche Beſiedlung des Schulerloches und des unteren Altmühl— 
tales. Abh. Kgl. Bayr. Ak. d. Wiſſ. Math.⸗Phyſ. Kl., Bd, XXVIII, 1916, 

8. Commont: Le Mousterien ancien a Saint-Acheul et Montieres. Congr. prehist, de 
France. 8. session, Angouleme, 1912. Paris, 1913. 

9. Die Petershöhle bei Delden in Mittelfranken. Abb. Naturhiſt. Gef. Nürnberg. XXI. 
1923. 

10. 1c nt et Teilhard de Chardin: Le paleolithique de la Chine, L'anthropologie. 
35. 1925. 

11. Cöſcheor: Das geologiſche Alter der neuen paläolithifhen Funde im Neandertal. 
Sentralbl. f. Min., Abt. 2. Nr. 7, 1928. 

12. Mayr: Paläolithvorkommen im mittleren Altmühltal. Nachr. Deutſch. Anthrop. 
Geſ., II. Jahrg., Heft 4, 1927. 

13. v. Merhardt: The Palaeolithic Period in Sibiria: Contributions to the Prehistory of 
the Yenisei Region. American Anthropologist. 25, 1923. 


70 Julius Andree, Sur Charakteriftik der Sirgenſteiner Stufe in Weſtfalen ufw. [16 


Obermaier: Der Menfd der Vorzeit. Stuttgart, 1912. 
Obermaier: Moufterien. In Ebert, Reallexikon der Vorgeſchichte. Bd. VIII, 1927. 
Rein: Neue Funde im Neandertal. Neue Dokumente zur Menſchheitsgeſchichte. 


Bd. I, 1928. 


Richter, D: Die altſteinzeitliche höhlenſiedlung von Treis a. d. Cumda. Abh. 


Senckenberg. Naturf. Geſ. Bd. 40, 1 


Schmidt, R. R.: Die diluviale Vorzeit Deutſchlands. Stuttgart. 1912. 
Schwantes: Nordiſches Fathers. f. und Mefolithikum. Feſtſchrift 3. 50 jähr. 


A d. Hamburger Muf. ölkerk. Mitt. a. d. Muf. f. Dölkerk. Hamburg. XIII, 


A Diesers: Diluvialprähiftorie als geologiſche Wiſſenſchaft. Abh. Pr. Geol. Candes⸗ 


anftalt. N. F. Bd. 84, 1920. 


. Wiegers: Diluviale Vorgeſchichte des Menſchen. Bd. I, Stuttgart, 1928. 


Überſicht der jungſteinzeitlichen Kulturen 
im mittleren Elbgebiet 


Don Carl Engel, Königsberg i. Pr. 
Mit 4 Harten und 1 Zeittafel im Text 


Das vorliegende Referat bildet nur einen kurzen Auszug, eine Art Inhaltsangabe 
der umfangreichen Arbeit des gleichen Derfaſſers über „Die jungſteinzeitlichen Kulturen 
Mitteldeutſchlands“, die vorausſichtlich im Laufe des nächſten Jahres im Druck erſcheinen 
wird. Aus dieſem Grunde mußte auf eine Beweisführung der vorgetragenen Anſichten 
ebenſo verzichtet werden wie auf eine Beigabe von Abbildungs- und umfangreicherem 
Kartenmaterial, das die genannte Arbeit in um ſo reicherem Maße enthalten wird. Auch 
die Literaturbelege wurden aus dem gleichen Grunde auf ein unentbehrliches Mindeſt— 
maß beſchränkt. 


Die erſte grundlegende Klärung der mitteldeutſchen Jungſteinzeit iſt 
Koſſinna zu verdanken, der in feiner „Deutſchen Dorgeſchichte“ (1) als erſter 
die Gliederung der dort anſäſſigen Kulturen und ihre vermutliche Seitfolge 
herausgearbeitet hat. Nach ihm haben ſich mit großer Sorgfalt und wachſen⸗ 
dem Erfolg Kupka (2), Niklaſſon (3) und Sprockhoff (4) um die weitere 
Erhellung der ſehr ſchwierigen und verwickelten Verhältniſſe bemüht und ver: 
dient gemacht. Fuſammenfaſſende Überſichten brachten dann Aberg (5) und 
Schuchardt (6). Suletzt hat nochmals Koſſinna (6a) in großzügiger Weiſe die 
jungſteinzeitlichen Kulturen Mitteldeutſchlands im Rahmen der geſamten 
mittel⸗ und nordeuropäiſchen Steinzeit behandelt und ihr Verhältnis zu den 
Nachbargebieten unterſucht und geklärt. Auf Grund dieſer unentbehrlichen 
Vorarbeiten ſcheint heute die Möglichkeit gegeben, eine völlige Klärung der 
zeitlichen und verwandtſchaftlichen Derhältnilie der jungſteinzeitlichen Hut, 
turen Mitteldeutichlands und ihrer gegenſeitigen Beziehungen zu verſuchen. 

Das mittlere Elbgebiet bildet ſeit dem Beginn des Dollneolithikums eine 
ausgeprägte Grenzlandſchaft, in der die verſchiedenartigſten Kulturen zu— 
ſammenſtoßen, ſich gegenſeitig durchdringen und befruchten. Die Grenz— 
natur des Mittelelbgebietes als Übergangslandſchaft zwiſchen Nord- und 
Mitteldeutſchland kommt in ſeiner orographiſchen und geologiſchen Boden— 
geſtaltung ebenſo klar zum Ausdruck wie in ſeinen klimatologiſchen Verhält— 
niſſen. Sie prägt ſich in pflanzen- und tiergeographiſcher Beziehung ebenſo 
ſtark aus wie in der verſchiedenartigen wirtſchaftlichen Struktur ſeiner Einzel— 
landſchaften, deren unterſchiedliche Landesnatur die Grundlage der mannig— 
fachen hier zuſammenſtoßenden Kulturen bildet (Abb. 1). 

Eine Unterſuchung der geographiſchen Derbreitung der einzelnen jung: 
ſteinzeitlichen Kulturen im Mittelelbgebiet läßt erkennen, daß ſich die verſchie— 


72 Carl Engel | (2 


denen Kulturgruppen in ihrer Ausbreitung vielfach ausſchließen bzw. nur in 
den Randgebieten überſchneiden, fo daß fie ſich als lokale Untergruppen oder 
Ableger eines größeren Kulturkreijes erkennen laſſen (vgl. Abb. 3). 

Neben einer Unterſuchung über das zeitliche Nacheinander darf daher 
das räumliche Nebeneinander der einzelnen kulturellen Erſcheinungen nicht — 
wie bisher vielfach — überſehen werden. Erſt durch die Verbindung von 
chronologiſcher, typologiſcher und geographiſcher Methode iſt es möglich, ein 
klares Bild über Herkunft, Entwicklung und Aufipaltung der einzelnen jung⸗ 
ſteinzeitlichen Kulturen zu gewinnen und ihr gegenſeitiges Verhältnis zu be⸗ 
leuchten. Auf dieſe Weiſe ergibt ſich zugleich die Möglichkeit, das bisher völlig 
unüberſichtliche Bild eines kaum zu entwirrenden Chaos verſchiedenartigſter 
Kulturen, die ſich in verhältnismäßig kurzer Seit auf engſtem Raum zu— 
ſammendrängen, zu entwirren und auf wenige große Süge zurückzuführen. 

Grundlage jeder Kultur ijt die Candſchaft, in der fie erwächſt; die Cand⸗ 
ſchaft, die ihrem Weſen den entſcheidenden Ausdruck aufprägt (7). Die Diel- 
geltaltigkeit der jungſteinzeitlichen Kulturen auf verhältnismäßig engen 
Lebensräumen erklärt ſich aus dem Übergang des Jäger-, Fiſcher⸗ und 
Sammlerdaſeins des alte und mittelſteinzeitlichen Menſchen zu der durch die 
Ausübung von Ackerbau und Viehzucht bedingten Seßhaftigkeit der jungſtein⸗ 
zeitlichen Bauernbevölkerung (8). Mit dem Beginn der ſeßhaften Cebensweiſe 
des jungſteinzeitlichen Bauern vermag die umgebende Candſchaft in ihrer 
Eigenart in ſtärkerem Maße auf die Bevölkerung eines Gebietes zu wirken 
und führt zu um fo ſchärferer Ausprägung von kulturellen Sondererſchei— 
nungen, als ein regelmäßiger Austauſchverkehr zunächſt nur in geringer und 
unzuſammenhängender Form beſteht, zudem die ſich ausbildenden Sippen⸗ 
und Stammesbünde die Dereinigung zu Staatengebilden größeren Stils 
noch nicht vollzogen haben. Neben dieſen Einzelerſcheinungen (Ausprägung 
von Kulturgruppen) wirken jedoch bereits weitere geographiſche Räume ver⸗ 
möge ihrer einheitlichen Landesnatur gleichformend auf die Bevölkerung 
größerer Gebiete, ſo daß ſich neben kleinen, landſchaftlich eng begrenzten 
Kulturgruppen (zweiter Ordnung) bereits größere, geographiſch weitere 
Grenzen umſpannende Kulturkreiſe (erſter Ordnung) ausbilden. Wie ſich bei 
der Ausbildung und Derlagerung von Kulturen in neue, bisher nicht oder 
von anderen Kulturen beſiedelte Gebiete zeigt, find die großen Kultur: 
kreiſe (erſter Ordnung) die urſprünglichen Gebilde, die ſich erſt allmählich in 
kleinere Gruppen und Grüppchen (zweiter und dritter Ordnung) auffpal- 
ten (9). Doch verhalten ſich in der Tendenz zur Nufſpaltung die einzelnen 
Kulturkreije verſchieden (3. B. nordiſcher und Donaukreis). 

Das Derſtändnis der jungſteinzeitlichen Kulturen des Mittelelbgebietes 
und ihrer wechſelnden Erſcheinungsformen ſetzt daher die Kenntnis der Einzel⸗ 
landſchaften voraus; denn nur aus deren landſchaftlicher und damit auch 
wirtſchaftspolitiſcher Derſchiedenartigkeit erklärt fic) die ungewöhnliche Diel- 
geſtaltigkeit der in ihm auftretenden Kulturerſcheinungen. Die landſchaftliche 
Buntſcheckigkeit und wirtſchaftliche Grenznatur des mittleren Elbgebietes be— 
dingen eine kulturelle Vielſeitigkeit, die Derlagerung der Kulturen in andere 
Landſchaften einen Formenwechſel von einzigartigem Reichtum. 

Die nördlichen Landſchaften des Mittelelbgebietes (Abb. 1) gehören ihrer 
landeskundlichen Beſchaffenheit nach ganz zu Norddeutſchland, mit deſſen 
diluvialem Bodenaufbau und deſſen Wirtſchaftsſtruktur fie völlig überein- 
ſtimmen. Die Altmark läßt ſich zwanglos an das nordweſtdeutſche Tiefland, 
beſonders die öſtlichen Randgebiete der Lüneburger Heide, das Jerichower 


3] überſicht der jungſteinzeitlichen Kulturen im mittleren Elbgebiet 73 


Cand an das nordoſtdeutſche Flachland, namentlich die waſſer- und ſandreichen 
Gegenden des oberen Havelgebietes, angliedern. 

Durch die ihnen gemeinſame Cößbedeckung ihrer Bodenoberfläche laſſen 
ſich die ſüdlichen SE als nördliches und öſtliches Harzvorland 
zuſammenfaſſen. Ihr wirtſchaftlicher Reichtum wird durch die Fruchtbarkeit 


a 
62. 


(4 
,  Magalebur. 


Abb. 1. Die Einzellandſchaften des Mittelelbgebiets 


des ſchweren, ſtark waſſerhaltenden Schwarzerdebodens bedingt. Im einzelnen 
laſſen fic) hier der wellige, zertalte harzgau (die ſubherzyne Kreidemulde), 
die fruchtbare, aber waſſerarme Hochfläche der Magdeburger Börde und die 
ihrer Candesnatur nach zwiſchen beiden eine Mittelſtellung einnehmende An: 
haltiſche Kulturſteppe unterſcheiden; während das weniger fruchtbare, geo— 
logiſch ſehr buntſcheckige und daher landſchaftlich unruhige Land zwiſchen 
Aller und Ohre ebenſo ein Übergangsgebiet zwiſchen nördlichem und ſüd— 


74 Carl Engel [4 


lichem Candſchaftstypus bildet wie das feiner Candesnatur nach vielfach dem 
Harzgau ähnelnde Braunſchweiger Land. 

Nur als Grenzſcheide iſt die unwirtliche und im Dollneolithikum nur in 
den Tälern und Randgebieten dünn beſiedelte Hochfläche des Harzes von 
Bedeutung; zuſammen mit dem ihr nordweſtlich vorgelagerten Weſerbergland 
ſpielt ſie die Rolle eines Derkehrsriegels gegen Südweſten und Welten zu. 
Im übrigen bedingt die Offenheit des ſonſt nirgends durch größere Boden⸗ 
erhebungen abgegrenzten Mittelelbgebietes ein leichtes Eindringen der ver⸗ 
ſchiedenartigſten Kulturſtrömungen von allen Seiten her. Aud) die ſüdöſtlich 
ſich einſchiebende ſandige Hochfläche des Fläming und die großen Sumpf- 
und Waſſerflächen des havellandes haben nur geringe, leicht zu umgehende 
Derkehrshindernilje gebildet, die ſich freilich in Einzelzügen als ſolche immer 
wieder bemerkbar machen. 

Für die Derbreitung von Kulturſtrömungen und als Wanderwege beſon⸗ 
ders entſcheidend find die großen Stromſyſteme, die den Lebensnerv des 
Mittelelbgebietes bilden und ſeine Einzellandſchaften trotz ihrer Verſchieden⸗ 
artigkeit noch heute zu einer untrennbaren Einheit zuſammenſchweißen. 
Unter ihnen ſcheinen freilich der von fruchtbaren Cößhöhen umgebene Unter⸗ 
lauf der Saale und die Täler ſeiner Nebenflüſſe (Wipper, Bode, Selke) in 
der Steinzeit zunächſt eine größere Rolle als Daniels, und Derkehrsitraßen 
geſpielt zu haben als der vielfach durch weniger fruchtbare Gebiete ſich 
ziehende und wohl auch weniger leicht gangbare Mittellauf der Elbe. 

Der Übergang zwiſchen der mittleren und jüngeren Steinzeit iſt im 
Mittelelbgebiet bisher nur ſehr ſchwach vertreten. In die älteſte I. Stufe 
des mitteldeutſchen Neolithikums ſetze ich die wenigen, hauptſächlich in den 
nördlichen Landſchaften vereinzelt auftretenden, roh bearbeiteten Feuerſtein⸗ 
beile vom LCietzow-Typus und die in der Havelgegend mehrfach vor- 
kommenden Walzenbeile. Eine zuſammenhängende Beſiedlung iſt in dieſer 
Stufe bisher nicht nachzuweiſen. Allem Anſchein nach hat ſich die Entſtehung 
der großen vollneolithiſchen Urkulturen außerhalb des mitteldeutſchen Binnen⸗ 
landes vollzogen (10), in dem ſie erſt als voll ausgebildete, ſcharf umſchriebene 
Kulturgruppen — offenbar verhältnismäßig ſpät — in Erſcheinung treten. 

vermutlich ziemlich gleichzeitig werden die älteſten vollneolithiſchen 
Kulturſtröme von drei verſchiedenen Seiten her in das Mittelelbgebiet ein⸗ 
gefloſſen fein: von Norden bzw. Nordweſten her der nordiſche Kreis der 
Rieſenſteingräberkultur, von Südoſten her der bandkeramiſche Kreis der 
n von Südweſten her der weſtdeutſche Kreis der Pfahlbau— 

ultur. 

Der nordiſche Kreis beſetzt zunächſt den ganzen Nordweſtteil — die 
Altmark — und dringt in ſüdöſtlicher Richtung auch in oſtelbiſches Gebiet vor, 
indem er den Südteil des Jerichower Landes in Beſitz nimmt (Abb. 2). In 
ſeiner Südausbreitung überſchreitet er zunächſt die nördliche Cößgrenze nach 
Süden zu nirgends. Dieſe bildet vielmehr die ſcharf ausgeprägte, wirtſchaft— 
lich bedingte Nord- und Oſtgrenze des ſaaleabwärts vordringenden Donau— 
Rreiles, der ſich in feiner Ausbreitung ſtreng an das lößbedeckte Gebiet hält 
und dieſes nur mit vereinzelten Dorpoiten in nördlicher (Tangermünde) bzw. 
öſtlicher (Gödnitz, Slab) Richtung überſchreitet, dagegen die Ränder der frucht— 
baren Lößhöhen (auch den Nordabhang der Magdeburger Börde) um ſo dichter 
beſiedelt (Abb. 4). Nur mit wenigen Vorpoſten erreicht der ſüdweſtdeutſche 
Dfahlbaukreis am ſüdlichen und ſüdöſtlichen Harzrande die Südgrenze des 
Mittelelbgebietes (11). 


51 Überſicht der jungſteinzeitlichen Kulturen im mittleren Elbgebiet 75 


Ob auch die wenig ſpäter in Mitteldeutſchland in Erſcheinung tretende, 
offenbar von Oſtdeutſchland eingedrungene Noßwitzer Gruppe urſprüng⸗ 
lich mit der ſogenannten weſtdeutſchen „Landpfahlbaukultur” (vgl. die Höhen 
ſiedlungen auf dem Michelsberg) zuſammenhängt, und welcherart dieſe dus 
ſammenhänge ſein könnten, iſt vorläufig nicht zu entſcheiden (12). 


+ = Hünenbetten. @ = Jüngere Megalithgräber (Ganggräber und Steinkiſten) 
Abb. 2. Gegenſätzliche Verbreitung der älteren und jüngeren Megalithgräber 


Den Gleichgewichtszuſtand zwiſchen der nordweſtdeutſchen Altmegalith- 
Kultur (13) und der bandkeramiſchen Donaukultur, deſſen Dauer vorläufig 
nicht abzuſchätzen iſt [und bei dem Héi hünenbetten (Abb. 2) und Altmegalith- 
Keramik (Abb. 4) einerſeits und bandkeramiſche Siedlungen (Abb. 4) anderer⸗ 
feits in ihrer Verbreitung gegenſeitig ausſchließen], bezeichne ich als Stufe II 
des mitteldeutſchen Neolithikums. Bereits in diefer Seitſpanne tritt die wirt: 


76 Carl Engel [6 


ſchaftliche und damit auch kulturelle Bedeutung der nördlichen Cößgrenze in 
ſchärfſter Ausprägung hervor (Abb. 2 und 4). Sie wird auch in der Folgezeit 
nur vorübergehend verwiſcht und bildet ſich nach Kulturverſchiebungen ſtets 
ſchnell wieder in der alten Schärfe heraus. 

Die Altmegalith-Kultur wird gekennzeichnet durch die älteren Mega⸗ 
lithgräber (Abb. 2) und die ihnen zugehörige Tiefſtichtonware, die Alt⸗ 
megalith⸗Keramik. Wenngleich infolge der Ausplünderung der meiſt frei⸗ 
liegenden und jedem leicht zugänglichen Hünenbetten die bisher aus dem nörd⸗ 
lichen Mittelelbgebiet bekannt gewordenen Reſte dieſer Altmegalith⸗Keramik 
verhältnismäßig ſpärlich ſind (ogl. Abb. 4), ſo weiſen ſie doch in allen weſent⸗ 
lichen Punkten ebenſo weitgehende Übereinſtimmung mit der nordweſtdeutſchen 
Tiefitihkeramik (Trichterbecher Weit, Blumentopfbecher und gewölbtwandige 
Näpfe mit grober, primitiver Tiefſtichverzierung, ſpäter auch Amphoren und 
Schulternäpfe bzw. Taſſen mit Bauchknick) auf wie die altmärkiſchen hünen⸗ 
betten mit den Rieſenſteingräbern des weſtlich angrenzenden Hannover. 

Aus der Altmegalith⸗Kultur abzuleiten find drei Tochterkulturen, die ſich 
in ihrer geographiſchen Derbreitung gegenſeitig ausſchließen bzw. nur an den 
Rändern ihrer Derbreitungsgebiete ſich überſchneiden (Abb. 3): die Walter⸗ 
nienburg⸗ Bernburger, die Burg⸗Molkenberger und die Schönfelder Kultur. 

Während die beiden zuletzt genannten Gruppen den Megalithgrabbau 
bald aufgegeben haben, hält ſich dieſer in der reinſten Fortſetzung der Alt- 
megalith⸗Kultur, der Walternienburg- Bernburger oder Mittelelb- 
Megalith-Kultur (wie fie Koffinna ihrer Derbreitung nach mit Recht 
genannt hat) neben der auch hier einſetzenden Sitte der ſteinſchutzloſen Flach⸗ 
beſtattung faſt bis an den Anfang der Bronzezeit. 

Die jüngeren Megalithgräber des ſüdlichen Mittelelbgebietes, überhaupt 
Mitteldeutſchlands, die als Ganggräber, Steinkiſten und Grabbauten mit 
Trockenmauern und falſchen Gewölben (14) gleichzeitig nebeneinander auf⸗ 
treten — melt in Geſtalt großer Hügelgräber mit mächtigem Erdmantel —, 
unterſcheiden ſich ihrem Bauplan nach ſämtlich grundſätzlich von ihren älteren 
Vorfahren, den Hiinenbetten der Altmark, des Neuhaldensleber und Helms 
ſtedter Gebietes und des Jerichower Landes, mit denen fie ſich in ihrer gen, 
graphiſchen Verbreitung faſt ebenſo völlig ausſchließen (Abb. 2) wie die 
Altmegalith⸗Keramik mit der Walternienburg-Bernburger Keramik (Abb. 3). 
Doch finden ſich vereinzelt zwiſchen dieſen Grabtnpen ebenſolche Ubergangs— 
formen (3. B. das Ganggrab bei Wulfen, Kr. CTöthen) wie zwiſchen der Alt» 
megalith⸗-Keramik und der Walternienburg-Bernburger Keramik (15), fo daß 
die Walternienburg-Bernburger Kultur als die nach Süden zu verlagerte Fort— 
ſetzung der Altmegalith-Kultur betrachtet werden darf. Die allmähliche Ab— 
wandlung der Walternienburg-Bernburger Keramik iſt von Niklaſſon (16) 
lo eingehend behandelt und klargeſtellt worden, daß ſich ein weiteres Ein— 
gehen auf fie erübrigt. Dor die Stufe Walternienburg I, deren Ausitrahlungs- 
zentrum im unteren Saalegebiet und im Cöthener Lande (in denen ſich bisher 
die älteſten Formen am häufigſten gefunden haben) zu ſuchen ſein dürfte, ſind 
demnach noch wenigſtens zwei Stufen — eine ältere und jüngere (17) — der 
Altmegalith-Keramik zu ſetzen. 

Die Altmegalith-Kultur hat jedoch in ihrer weiteren Entwicklung nicht 
nur eine Fortſetzung gehabt — die Walternienburg-Bernburger Kultur —, 
ſondern noch zwei andere Ableger erzeugt: die Schönfelder und Burg-Molken— 
berger Kultur (Abb. 4). 

Die Burg-Molkenberger, Nordbrandenburgifhe oder Elb— 


71 Überſicht der jungſteinzeitlichen Kulturen im mittleren Elbgebiet 77 
Havel-Kultur ijt bisher (jo z. B. von Niklaſſon und Sprockhoff) als 
Ableger der Walternienburger Kultur betrachtet worden, läßt ſich jedoch viel 


zwangloſer als deren Schweſterkultur erklären, wobei der Umweg über 
Walternienburg I wegfällt, zumal Dorformen der Elb-Havel-Keramik (Spät: 


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IT Armegasır- Kultur Walternienburg- Bernburger Kultur 
Ai Belo gave Kultur EShönfelder - Auteur (dltere Hufe). 


e mm em Nördliche u. dstlichelossgrence +\|Funaplitee der jüngeren Schönfelder Kultur 
Abb. 5. Derbreitung der Altmegalithkultur und ihrer Tochterkulturen im Mittelelbgebiet 


ſtufen der Altmegalith-Keramik) mehrfach im Derbreitungsgebiet der Elb— 
Havel⸗Kultur gefunden ſind (18) und deren direkte Ableitung aus der Alt— 
megalith-Kultur geſtatten. Wenngleich ſich Elb-Havel-Kultur und Walternien— 
burg, Bernburger Kultur mehrfach überſchneiden und als zwei nahe benach— 
barte Kinder der gleichen Mutter viele gemeinſame Süge aufweiſen, jo ijt doch 


18 Carl Engel [8 


ſchon durch die ausgeprägt nordöſtliche Derbreitung der Elb⸗Havel⸗Kultur im 
Nordteil des Jerichower Landes und dem angrenzenden Nordbrandenburg 
(Abb. 3) ſowie durch die eigenartige Ausbildung ihrer Amphoren, die Be⸗ 
rührungspunkte mit der Kugelflaſchengruppe nicht vermiſſen laſſen, ihre 
Sonderſtellung genügend begründet. 

Wie die Elb⸗Havel⸗Kultur die nordöſtliche, ſo bildet die Schönfelder die 
nordweſtliche Randkultur der Walternienburg⸗Bernburger Gruppe. Ihr Ur⸗ 
ſprung aus der Altmegalith⸗Kultur und ihre Entwicklungsbahnen ſind durch 
die neueren Funde ihrer älteſten Stufe, der Ammensleber Gruppe (10), ge⸗ 
klärt worden. Es iſt hervorzuheben, daß ſich das Derbreitungsgebiet dieſer 
älteſten Stufe mit dem der Walternienburg⸗Bernburger Kultur faſt völlig 
ausſchließt (Abb. 3). Schon die Ausbildung der zweiten, Aſchersleben⸗Wedlitzer 
Gruppe ſcheint in verhältnismäßig ſpäte Seit zu fallen; denn dieſe nimmt bei 
ihrer Ausbreitung ſaaleaufwärts bereits die Verbindung mit der ſächſiſch⸗ 
thüringiſchen Schnurkeramik auf. Die letzte Entwicklungsſtufe, die Schön⸗ 
felder Keramik (in engerem Sinne), aber fällt bereits in oder ſogar nach 
die Kugelflaſchenzeit. 

Die Verbreitung der drei Tochterkulturen der Altmegalith⸗Kultur zeigt, 
daß dieſe ſich geographiſch untereinander und mit ihrer Mutterkultur faſt 
völlig ausſchließen (Abb. 3). Allein die Schönfelder Kultur dringt — und 
zwar auch nur in ihrer Spätſtufe, der Schönfelder Gruppe — teilweiſe in den 
den äußerſten Südoſtzipfel des alten Megalithgebietes — die ſüdöſtliche Alt- 
mark — vor. So erhebt ſich von ſelbſt die Frage nach den weiteren Schick⸗ 
ſalen der Altmegalith⸗Kultur in ihrem alten Heimatlande, der Altmark und 
Nordweſtdeutſchland. 

Aber wir warten in dieſem Urſprungslande vergeblich auf die Antwort; 
denn kein Fund aus dieſen Gebieten läßt eine weitere Entwicklung über die 
Altmegalith-Stufe II hinaus erkennen (20). Vielmehr bricht die Entwicklung 
von Grabform und Keramik im Heimatgebiete überall da ab, wo ſie bei den 
Tochterkulturen im Kolonifationslande einſetzt. Bereits Bummel (21) hat 
darauf verwieſen, daß es für dieſe Erſcheinung nur eine Erklärung gibt: daß 
nämlich die Walternienburg⸗Bernburger Kultur nicht als ein Ableger, ſondern 
als die Fortſetzung der Altmegalith⸗Kultur aufzufaſſen iſt. Nun iſt dieſe Auf- 
faſſung, wie oben erörtert, dahin abzuändern, daß die Altmegalith⸗Kultur 
nicht eine, ſondern drei einander parallel verlaufende und ſich geographiſch 
ausſchließende Fortſetzungen gehabt hat (Abb. 3). 

Aber die Tatſache, daß im alten Heimatlande nicht die Spur einer 
Weiterentwicklung zu finden iſt, daß aber im Kolonifationsgebiete (dem ſüd⸗ 
lichen und öſtlichen Mittelelbgebiet) die Entwicklung gerade da aufgenommen 
wird, wo fie in Nordweſtdeutſchland und der Altmark abbricht, ſpricht über⸗ 
zeugend dafür, daß es ſich bei den Tochterkulturen nicht um Ausitrahlungen, 
ſondern um die Fortſetzung der Altmegalith Kultur handelt. Dieſe verlagert 
ſich in das ſüdliche und öſtliche Mittelelbgebiet, während gleichzeitig die 
Altmark und Nordweſtdeutſchland (22) ſiedlungsleer werden. Der Grund für 
dieſe Verlagerung ijt nicht ſchwer zu erraten. Sie fällt in die Seit des be⸗ 
ginnenden Klimaoptimums der jüngeren Litorinazeit (23). Die gegen Ende 
der Steinzeit zunehmende Wärme und Trockenheit des Klimas werden die 
mageren ſandigen Böden Nordweſtdeutſchlands ſo unergiebig haben werden 
laſſen, daß fie für die Lebensbedürfniſſe der dort anſäſſigen Megalith-Bevölke- 
rung als Ernährungsgrundlage nicht mehr ausreichten. Infolgedeſſen ſah 
ſich dieſe gezwungen, in fruchtbarere Gegenden auszuwandern; ſie fand ſolche 


9] überſicht der jungfteinzeitlichen Kulturen im mittleren Elbgebiet 79 


in dem ſtark waſſerhaltenden Lößboden des ſüdlichen Mittelelbgebietes und 
im waſſerreichen Havellande. 

Mit der Verlagerung der Altmegalith Kultur in das ſüdlichere Mittel: 
deutſchland und ihre Aufſpaltung in die drei Tochterkulturen iſt ein weiteres 
folgenſchweres Moment für den Wandel in der hulturellen Geſtaltung des 


* Liazellunde bandkeramischer Steingeräte 
ain Rande oderausserhalb wes Hedlunggebiees 


© Bandheranische Sredlungen 
wwe fırdliche u. östliche Lössgrente 
B fundplätze der Altmegalıtlh- Keramik 


Abb. 4. Gegenſätzliche Verbreitung der Donau» und Altmegalithkultur im Mittelelbgebiet 


mitteldeutſchen Gebietes gegeben. Die dort anſäſſige bandkeramiſche Kultur 
verſchwindet aus ihm — offenbar verdrängt von der einſtrömenden Megalith⸗ 
Kultur — ohne künftig noch greifbare Spuren zu hinterlaſſen. Ihr bisheriges 
fruchtbares Siedlungsgebiet wird von den einwandernden 1 in 
Beſitz genommen, deren Siedlungen ſich hier und da als jüngere Einſpren⸗ 
gungen in den älteren bandkeramiſchen Wohnſtätten finden (24). 


80 | Carl Engel [10 


Die donauländiſche Bandkeramik tritt im Mlittelelbgebiete in drei 
verſchiedenartigen Formen auf: 1. der Linienband-, 2. der Stichbandkeramik 
und 3. der Verſchmelzung beider zum Plaidter Stil. Ihr zeitliches Verhältnis 
iſt nach den aus dem behandelten Gebiet vorliegenden Beobachtungen ſchwer 
zu klären. Alle Anzeichen ſprechen dafür, daß ſie ſich in der angegebenen 
Reihenfolge ablöſen und daß es ſich bei ihrer Umformung lediglich um einen 
Stilwandel, nicht um einen Bevölkerungswechſel handelt. Denn in den meiſten 
bandkeramiſchen Siedlungen treten Scherben aller drei Stilarten — häufig 
bunt gemiſcht — nebeneinander auf, zuweilen noch bereichert durch das Hinzu⸗ 
treten von Röſſener Scherben (25). Immerhin muß die Frage des bandkera⸗ 
miſchen Stilwandels noch als ungelöſt betrachtet werden, denn ein Übergang 
von der Gefäßform und Derzierungsweile der Linienbandkeramik zu der des 
Hinkelſteinſtils (der Stichbandkeramik) ſcheint in Mitteldeutſchland vorder⸗ 
hand nicht möglich. Die aus dem bandkeramifden Siedlungsgebiet, deſſen 
Nord: und Oſtgrenze ſich mitten durch das behandelte Gebiet zieht (Abb. 4), 
nach Norden und Often zu herausfallenden Funde bandkeramiſcher Stein- 
geräte dürften als Handelsimportſtücke oder durch Formenübernahme ſeitens 
der Megalith⸗Kultur eine zwangloſe Erklärung finden. 

Noch vor die Verlagerung der Altmegalith-Kultur in das Siedlungsgebiet 
der Donaukultur und deren Verdrängung aus Mitteldeutſchland fällt der Ein⸗ 
bruch der Röſſener Gruppe, deren Auftreten im behandelten Gebiet und 
deren Ausbreitung nach Süd- und Weſtdeutſchland bereits durch Koſſinna (26) 
in den hauptzügen geklärt ijt. Die Ableitung der Röſſener Gruppe aus der 
nordweſtdeutſchen Megalith-Kultur ſtößt heute kaum noch auf Schwierig— 
keiten (27). Auch ihre Dermilchung mit der in Mitteldeutſchland anſäſſigen 
Bandkeramik und ihre zeitliche Stellung in dieſem Gebiete dürften kaum 
noch einem Zweifel unterliegen. Sie muß ſich zwiſchen die Blüte der band— 
keramiſchen Kultur und deren Verdrängung durch die einſtrömende Alt⸗ 
megalith⸗Kultur einſchieben. Die Röſſener Wanderung ſtellt ſomit den erſten 
Vorboten der Verlagerung der Altmegalith-Kultur nach Süden zu dar, ge= 
wiſſermaßen den Dortrupp der ins Mittelelbgebiet einwandernden Me— 
galithiker. 

Auf dem Gräberfeld von Rollen tritt zum erſten Male eine neuartige, 
bisher wenig beachtete Kulturgruppe in Erſcheinung, die jedoch für die wei⸗ 
teren Entwicklungsbahnen der mitteldeutſchen Jungſteinzeit von großer Be⸗ 
deutung wird: die Noßwitzer Kultur, wie ich ſie im Anſchluß an Koſſinna 
(vgl. Anm. 12) nennen möchte, obwohl dieſer Name für ihre weite Derbrei- 
tung und ihre folgenſchweren Auswirkungen etwas eng erſcheint. Doch iſt die 
von Niklaſſon (28), dem wir neben Kupka (29) den erſten Hinweis auf 
dieſe Gruppe verdanken, bisher für ſie angewandte Bezeichnung „nordiſche 
Keramik“ zu unbeſtimmt und vielleicht auch nur für Böhmen, wo ſie in großer 
Häufigkeit auftritt (28), ihrem Sinn nach zutreffend. 

Die Noßwitzer Gruppe zeichnet ſich durch die große Dielgeſtaltigkeit 
ihrer Gefäßformen (zu denen Trichterbecher-Südoſt, Trichterſchalen, zwei-, 
vier- und achtöſige Amphoren mit Trichterhals und Schwalbenſchwanzhenkel, 
Baalberger Kannen und vielleicht auch Kragenfläſchchen gehören) ebenſo aus 
wie durch thre Ornamentloſigkeit. Nur ſelten treten altertümliche nordiſche 
Tiefſtichverzierungen (beſonders in Form des Leiterornaments) auf, nament— 
lich auf den Opperſchöner Henkelkannen, die wohl einer Dermiſchung von 
Noßwitzer und Altmegalith-Kultur (bzw. älteſter Walternienburger Kultur) 
ihren Urſprung verdanken. Überhaupt ijt der Noßwitzer Gruppe eine große 


11] überſicht der jungſteinzeitlichen Kulturen im mittleren Elbgebiet 81 


Anpaſſungs⸗ und Dermiſchungsfähigkeit (3. B. mit der Röſſener und Walter— 
nienburg-Bernburger Gruppe) ebenſo eigen wie die Tendenz zur beſchränkten 
Kulturauswahl (d. h. die Weiterbildung oder Bevorzugung nur einzelner der 
ihr eigentümlichen Gefäßtypen) (30). Ihre Zugehörigkeit zur Megalith⸗ 
gruppe beweiſt das häufige Dorkommen von Beſtattungen in Steinkammern, 
ihr hohes Alter das Auftreten in den Zentralgräbern ſteinzeitlicher Grab- 
hügel, die jüngere Nachbeſtattungen (der Walternienburg- Bernburger Kultur 
oder der Schnurkeramik) enthalten (jo im Baalberger Hügel bei Bernburg 
und im derfflinger-hügel bei Kalbsrieth). Das Vorkommen dolmen— 
artiger Bauten (Kalbsrieth) wie der Brauch der Einzelbeſtattung in den Stein— 
kammern verbinden die Noßwitzer Gruppe ebenſo mit der altdäniſchen Dolmen: 
kultur wie die Gleichartigkeit ihrer Gefäßformen (3. B. Trichterbecher und 
zwei⸗ und vielöſige Amphoren) und deren Ornamentik [z. B. das altertüm— 
liche Ceiterornament (31)]. 

Die Noßwitzer Kultur, die, wie Niklaſſon (52) nachgewieſen hat, von 
Südoſtdeutſchland her nach Mitteldeutſchland einſtrömt und dabei fogar 
Jordansmühler Formen mit ſich führt, iſt im ſüdlichen Teile des Mittel— 
elbgebietes weit verbreitet und tritt in ſeiner lößbedeckten Südweſthälfte 
ebenſo häufig auf wie die Walternienburg-Bernburger Kultur, mit der ſie 
ebenſo mannigfache Dermiſchungen (vgl. 3. B. die Trichterſchalen von Tanger— 
münde und Walternienburg) eingeht wie mit der Röſſener Gruppe (3. B. 
Gräberfeld Röſſen und Brumby, Kr. Neuhaldensleben). Ihr erites Ein- 
ſtrömen in das Mittelelbgebiet iſt verhältnismäßig früh anzuſetzen, gleich— 
zeitig mit oder doch unmittelbar nach der Entſtehung der Röſſener Kultur, 
alſo an das Ende der Stufe II, während die III. Stufe durch die Verlagerung 
der Altmegaltth-Kultur und das Aufblühen der Walternienburg-Bernburger 
und Elb⸗Havel⸗Kultur beſtimmt wird. 

Die Noßwitzer Gruppe hat außerdem im ſüdlichen Mitteldeutſchland 
eine hochbedeutſame Weiterentwicklung und Umbildung erfahren: zur ſäch— 
ſiſch⸗thüringiſchen Schnurkeramik. Dieſe ſcharf ausgeprägte Kultur- 
gruppe, die ſich in ähnlicher Weiſe in vier zeitliche Entwicklungsabſchnitte 
aufgliedern läßt, wie Niklaſſon die Walternienburg-Bernburger Kultur in 
fünf aufeinanderfolgende Stufen aufgeteilt hat, zeigt in ihren älteſten Formen 
noch rein Noßwitzer Süge. Die älteſten ſchnurkeramiſchen find von Job, 
witzer Amphoren kaum zu unterſcheiden und zeigen auch noch das in der 
Noßwitzer Gruppe mehrfach auftretende nordiſche Leiterornament (3. B. 
Dardesheim, Kr. Halberſtadt). Auch die älteſten ſchnurkeramiſchen Becher 
(3. B. Quedlinburg) entſprechen noch völlig den Noßwitzer Trichterbechern 
und zeigen an Stelle des Schnurornaments noch die den Trichterbechern Südoſt 
vielfach eigene Riefenverzierung in konzentriſchen Kreiſen. Mögen auch noch 
andere, heute noch nicht klar erfaßbare Elemente bei der Entſtehung der 
ſchnurkeramiſchen Kultur mitgewirkt haben (vor allem die Umbildung der 
Ornamentik durch Übernahme megalithiſcher Muſter aus der benachbarten 
Walternienburg- Bernburger Kultur): der Hauptanteil ihres Kulturgutes 
(namentlich die Gefäßform und der Beſtattungsbrauch — Steinkilten mit 
Einzelgräbern) geht auf die Noßwitzer Gruppe zurück. Daß die ſchnurkera— 
miſchen Gräber ſich häufig als jüngere Nachbeſtattungen in den gleichen 
Grabhügeln über Noßwitzer Gräbern finden (3. B. Capenberg bei Wulfen), 
verſtärkt die ſuſammenhänge zwiſchen beiden Kulturen. 

Erſt verhältnismäßig ſpät tritt die Schnurkeramik von Thüringen aus 
im ſüdlichen Mittelelbgebiet (namentlich in der Anhaltiſchen Kulturſteppe 


Mannus, Seitſchrift für VDorgeſch., VII. Erg.⸗Bd. 6 


82 Carl Engel [12 


und dem Harzgau) ftarker in Erſcheinung. Sie erreicht jedoch in ihrer Hoch⸗ 
ſtufe die nördliche Cößgrenze faſt nirgends, offenbar, weil die hier noch vor⸗ 
handenen Spätitufen der Walternienburg⸗ Bernburger Kultur ihr weiteres 
Vordringen hemmten. 

Bisher noch wenig geklärt find die merkwürdigen Sufammenhänge, die ſich 
zwiſchen der ſächſiſch⸗thüringiſchen Schnurkeramik und der Kugelflaſchen⸗ 
Kultur — nicht nur im Mittelelbgebiet und in Thüringen, ſondern auch in 
Brandenburg — ergeben. Daß beide ziemlich gleichzeitig an das Ende der 
jüngeren Steinzeit zu ſetzen ſind, darüber beſteht heute wohl kaum noch ein 
Sweifel. Aber die Frage nach Herkunft und Heimat des ſo ſcharf umſchrie⸗ 
benen Gefäßſtils der Kugelflaſchen muß heute — trotz der Bemühungen von 
Kupka (33) und Sprockhoff (34) — noch immer als ungelöſt betrachtet 
werden. Es war gewiß eine geniale Idee Kupkas (35), die Kugelflaſchen⸗ 
gruppe als jüngere Stufe der mitteldeutſchen Ganggrabkeramik aus der jüngſten 
Bernburger Stufe herzuleiten. Tatſächlich ſprechen auch viele Umſtände für 
dieſe Auffalfung: die Berührungen zwiſchen Bernburg III und den Kugel⸗ 
flaſchen mehren ſich von Jahr zu Jahr [jo erſt kürzlich in dem großen Grab 
der Kugelflaſchenkultur bei Gotha (36) ]; auch die im Kugelflaſchenkreis ver- 
breitete Beſtattungsſitte der Leichen in Steinkiſtengräbern ergibt Berührungs⸗ 
punkte. Schließlich bietet das am Ende der Steinzeit einſetzende Abſtrömen der 
Kugelflaſchen elbaufwärts nach Böhmen und über Oſtdeutſchland nach Süd⸗ 
ofteuropa [kujaviſche Gräber, vgl. den Kugelflaſchenzug Koſſinnas (87) 
eine zwangloſe Aufklärung über die Schickſale der Mittelelb⸗Megalith⸗Kultur, 
deren Ausklang in ihrem zweiten Heimatlande ſonſt völlig im Dunkel liegen 
würde (fie ſetzt ſich nur in ſchwachen Ausläufern in die frühe Bronzezeit fort, 
die bald von der Aunjetiger Kultur aufgeſogen werden). 

Andererſeits iſt nicht zu verkennen, daß die Herleitung des ſo ſcharf aus⸗ 
geprägten Kugelflaſchentyps aus den verwaſchenen Formen der jüngſten Bern⸗ 
burger Keramik vorläufig noch große Schwierigkeit bereitet; daß im Gegen⸗ 
ſatz zu dem in der Bernburger Gruppe üblichen Brauch der Maſſenbeſtattung 
in Erbgrüften die Einzelbeſtattung vorherrſcht (36). Doch find das nur ge= 
ringfügige Abweichungen, die nicht gegen die Annahme ſprechen, als Träger 
der Kugelflaſchenkultur die jüngſte Bernburger Bevölkerung anzuſehen. 

Wenn daher Kupka, Niklaſſon und Sprockhoff — wie ſchon vor 
ihnen Höfer — einſtimmig Mitteldeutſchland als Heimat und Ausbreitungs= 
zentrum der Kugelflaſchenkultur anjehen, jo kann dieſe Annahme nur dann 
Wahrſcheinlichkeit für ſich in Anſpruch nehmen, wenn man ſie als Abwandlung 
der dort anſäſſigen Walternienburg-Bernburger Kultur auffaßt. 

Sich die Ausbildung eines ſo ſcharf umſchriebenen Typus wie des der 
Kugelflaſchen neben dem der Jung-Bernburger Keramik vorzuſtellen, geht in 
einem mit der Walternienburg-Bernburger Bevölkerung dicht beſiedelten 
Lande nicht an (37a); auch ſprechen keine Anzeichen für die Suwanderung 
einer neuen, die Kugelflaſchenkultur tragenden Bevölkerung. 

Nun ſtößt — wie erwähnt — trotz Kupkas Beweismaterial eine Über- 
leitung der jüngſten Bernburger Formen in den Kugelflaſchentypus vorläufig 
noch auf faſt unüberwindliche Schwierigkeiten, weil geeignete Swiſchenformen 
fehlen. Man wird das vielleicht am beſten mit dem Satze ausdrücken: die 
Kugelflaſche liegt nicht in der Linie des bisherigen zwangloſen Entwicklungs- 
ablaufs der Walternienburg-Bernburger Keramik. Sie ſtellt eine neuartige 
Erſcheinung dar, die zu ihrer Entſtehung ganz beſtimmte Entwicklungsanſtöße 
nötig hatte, und deren Ausbildung darum auch kaum gleichzeitig an allen 


13] überſicht der jungſteinzeitlichen Kulturen im mittleren Elbgebiet 83 


punkten des weiten Bernburger Siedlungsgebietes erfolgt fein kann. Wir 
haben alſo mit einem Stilwandel, gewiſſermaßen einer Formenübernahme zu 
rechnen, bei der die alten, flauen, abgegriffenen Bernburger Typen (Bern- 
burg II und III) durch neue Formen erſetzt werden. 

Wo die Entſtehung dieſes neuen Typus zu ſuchen iſt, der ſich von ſeinem 
Urſprungsgebiete aus ſchnell über die ganze Bernburger Kultur verbreitet zu 
haben ſcheint, iſt vorläufig kaum zu entſcheiden. Am wahrſcheinlichſten iſt es, 
an Randgebiete zu denken, in denen fremde Einflüſſe wirkſam werden konnten. 

Als eine ſolche Randzone rückt der Süden des Mittelelbgebietes, in dem 
Walternienburg⸗ Bernburger und alte Noßwitzer Kultur ſich überſchneiden, um 
ſo ſtärker ins Bereich der Möglichkeit, wenn wir an die oben erwähnten ver⸗ 
wandtſchaftlichen Beziehungen denken, die zwiſchen ſächſiſch-thüringiſcher 
Schnurkeramik und Kugelflaſchengruppe beſtehen. Wie bei der Entſtehung 
des Schnurornaments die Walternienburg-Bernburger Kultur die gebende war, 
ſo wäre es jetzt bei der Entſtehung des Kugelflaſchentypus die Schnurkeramik 
geweſen (37 b). Auf alle Fälle wird man die Herausbildung des Kugel: 
flaſchentypus — der eigentlichen Kugelflaſchen ſowohl wie der weitmündigen 
Begleittöpfe — auf das Durchbrechen ſüdmitteldeutſcher Einflüſſe zurückführen 
dürfen (37), für die ja auch der Übergang von der im Bernburger Kreiſe 
bisher vorherrſchenden Sitte der Maſſenbeſtattung in Erbgrüften zum Einzel— 
grab der Kugelflaſchenkultur ſpricht. 

Die Hugelflaſchengruppe beſchränkt fic) in ihrer Verbreitung nicht auf 
das bisherige Siedlungsgebiet der Walternienburg- Bernburger Kultur — in 
dem ſie in großer Sahl auftritt —, ſondern ſtrahlt in ihren Ausläufern weit 
darüber hinaus. Sie zeigt von vornherein eine entſchiedene Neigung zur Aus» 
breitung. Nicht nur in der bisher ſiedlungsleeren Altmark tritt jie verhältnis» 
mäßig häufig auf: ſogar bis in das alte Megalithgebiet Nordweſtdeutſchlands 
dringen ihre Ausläufer vor. 

Innige Beziehungen und wechſelſeitiges Geben und Nehmen verbinden 
die Kugelflaſchengruppe mit der Schönfelder und Elb-Havel⸗Kultur, von und 
zu denen die Einflüſſe hinüber und herüber fluten (574). 

Mit der Stufe der Kugelflaſchen endet die Blütezeit der Megalith-Kultur 
in Mitteldeutſchland. Wie Koſſinna nachgewieſen hat (Kugelflaichenzug), 
wandert die Hauptmalje ihrer Träger aus dem Heimatgebiete ab. Uber das 
Havelland erreichen fie (3. T. vergeſellſchaftet mit Schönfelder Typen) Oſt— 
deutſchland und ziehen ſich von dort in weit ausholendem Schwunge bis tief 
nach Südoſteuropa hinein (Kujaviſche Graber); eine andere Gruppe erreicht 
elbaufwärts Böhmen; eine dritte nordoſtwärts Weſt- und Oſtpreußen. Ob 
als erregender Anſtoß für dieſe Abwanderung der Megalith-Kultur aus 
Mitteldeutſchland die ſteigende Ausbreitungskraft der ſächſiſch-thüringiſchen 
Schnurkeramik und der durch ſie von Südweſten her ausgeübte Druck in 
Frage kommt, iſt noch nicht zu entſcheiden; ausgeſchloſſen erſcheint es nicht. 

Nur ſpärliche Reſte bleiben von der einſt ſo machtvollen Megalith-Kultur 
in Mitteldeutſchland zurück: die letzten Ausläufer der Schönfelder Brand— 
gruppe und ſchwache Nachklänge der III. Bernburger Stufe, die unmerklich 
von der Aunjetiger Kultur aufgeſogen werden. 

Daß durch den Abzug der Kugelflaſchengruppe ebenſo wie durch den 
Havelzweig der Schönfelder Kultur und die Elb-Havel-Kultur ſelbſt mancherlei 
nordöſtliche Beziehungen in das kulturelle Bild des jungſteinzeitlichen Mittel— 
elbgebietes getragen werden, iſt nicht zu verkennen. Vielleicht find daher 
auch die hohen ſchlanken Henkelkannen mit Winkelbandornament gekommen, 

6 * 


84 Carl Engel [14 


die vereinzelt im Kreiſe Calbe a. S. auftreten, und die der Oderſchnur— 
keramik zuzurechnen ſein dürften. 

Auf den Binnendünen des mittleren Elbgebietes, und von da in breitem 
weſtlich gerichtetem Streifen zeigen Scherbenfunde auf jungſteinzeitlichen 
Wohnplätzen merkwürdige Beziehungen zur nordoſteuropäiſchen Wohn— 
platzkultur, die in dem vereinzelten Auftreten echter Kammkeramik 
gipfeln (58). Doch iſt Klarheit über dieſe merkwürdigen Suſammenhänge, 
die wohl auch mit jenen öſtlichen Beziehungen der Kugelflaſchengruppe zu— 
ſammenhängen, bisher noch nicht zu gewinnen geweſen. 

Auf die IV. Stufe des mitteldeutſchen Neolithikums, die durch die Blüte 
der Schnurkeramik und Kugelflaſchen gekennzeichnet wird, folgt in der V. 
und letzten noch einmal das Einſickern zweier Fremdkulturen. Während 
(vermutlich aus dem benachbarten Nordweſtdeutſchland her) in die Alt⸗ 
mark und das nördliche Jerichower Land die jütiſche Einzelgrabkultur 
(vorläufig nur durch das Auftreten zahlreicher jütiſcher Streit- und Boots- 
äxte ſowie vereinzelter Gefäße belegt; die Skelette ſcheinen in dem leichten 
Sandboden vergangen oder überſehen worden zu ſein) vordringt, erfolgt 
vom Süden her der Einbruch der Glockenbecherkultur, die ſaaleabwärts 
und deren Nebenflüſſe aufwärts in den Harzgau einſtrömt, jedoch — ähn— 
lich der Schnurkeramik — die nördliche Cößgrenze nirgends mehr in voller 
Breite erreicht. Dieſe beiden, in der V. Stufe auftretenden Neuerſchei— 
nungen, die das urſprüngliche Bild zweier polarer, nach Norden und Süd— 
oſten zu gegenſätzlich orientierter Kulturen (wie in der II. Stufe die Alt— 
megalith- und Donaukultur) wiederherſtellen und die alte Grenzſcheide am 
Nordrand des Lößgebietes in ſcharfer Ausprägung wieder hervortreten laſſen, 
find zugleich der beſtimmende Ausgangspunkt für die frühbronzezeit— 
lichen Kulturen des Mittelelbgebietes: im Norden erwächſt aus der jütiſchen 
Becher⸗ und Bootsart: die Feuerſteindolchkultur; im Süden find durch den 
Glockenbechereinbruch die ſeit der Noßwitzer Seit unterbrochenen ſüdoſtdeut— 
ſchen Beziehungen in vollem Umfang wieder aufgenommen und bleiben auch 
in der Folgezeit erhalten. Unter ihrem Einfluß verſchmelzen Glockenbecher— 
kultur und ſächſiſch-thüringiſche Schnurkeramik, zugleich mit Reſten der Bern— 
burger Kultur, zur Doraunjetiger und Aunjetiger Kultur. 

Mögen heute im Bilde der jungſteinzeitlichen Kulturentwicklung des 
Mittelelbgebietes noch viele Unklarheiten und Unſicherheiten (39) beſtehen, 
die zu klären Aufgabe künftiger Forſchung bleiben muß, fo treten doch be— 
reits mit wachſender Klarheit wenige große Grundlinien hervor: ſcheiden 
wir die beiden zuletzt betrachteten Fremdkulturen und die kaum in Erſcheinung 
tretende Michelsberger Pfahlbaukultur aus, ſo läßt ſich die ſchwer zu über— 
blickende Dielheit der Einzelformen auf drei Ausgangspunkte und erregende 
Momente, auf drei Urkulturen zurückführen: die nordweſtdeutſche Megalith— 
Kultur, die oſtdeutſche Noßwitzer Gruppe und die bandkeramiſche Donau— 
kultur, deren Verſchiebung, Abwandlung, Derzahnung und gegenſeitige Be— 
einfluſſung die Grundlagen der mannigfachen Erſcheinungen bilden, die das 
kulturelle Antlitz Mitteldeutſchlands in der jüngeren Steinzeit ſo verwirrend 
bunt geſtaltet haben. 

Eine ſorgfältige Analyſe, verbunden mit ſäuberlicher Scheidung und 
Herausarbeitung der einzelnen Kulturgruppen iſt die Grundlage der bis— 
herigen Erfolge in der Erforſchung der mitteldeutſchen Jungſteinzeit geweſen. 
Dieſe Aufgabe iſt noch keineswegs beendet. Ohne prophezeien zu wollen, 
wird man jedoch heute bereits ſagen dürfen, daß die Bahnen künftiger For— 


15) Uberjidht der jungſteinzeitlichen Kulturen im mittleren Elbgebict 85 


ſchung in weſentlich anderer Richtung laufen werden; daß fie verſuchen wird, 
an Stelle der analytiſchen die ſynthetiſche Methode zu ſetzen (was ja in ein: 
zelnen Fällen bereits mit Erfolg unternommen wurde), und daß ſie ſich be— 
mühen wird, die lebendigen Beziehungen der Kulturen zueinander und zu 
ihrer Umwelt zu verſtehen. Über die Unterſchiede zwiſchen den einzelnen 
Kulturgruppen ſind wir heute leidlich hinreichend unterrichtet. Es gilt jetzt 
die zwiſchen ihnen herrſchenden Beziehungen zu klären und den Gemeinſam— 
keiten nachzugehen, die ſie untereinander verbinden. Dazu müſſen wir frei— 
lich eine grundſätzlich andere Betrachtungsweiſe einſchlagen, als ſie bisher 
üblich war; uns vor allem von dem lange üblichen Schema freimachen, in 
jeder Kultur nur ein ſcharf umſchriebenes Einzelweſen zu ſehen, das gewiſſer— 
maßen mit gläſernen Mauern gegen die Nachbarkulturen abgeſchloſſen iſt. 
nur die Auffaſſung der Kulturen als lebender, gegenſeitig ſich befruchtender 
Organismen und als hinüber und herüber flutender Lebensſtröme wird letzte 
Klarheit über ihr Weſen und ihre Abwandlung zu erbringen vermögen. 
Kulturen find keine abjtrakten Begriffe, ſondern werden getragen von lebens» 
den Menſchen und find wie dieſe wandlungsfähig — in der Vorzeit wie in 
der Gegenwart. 

Zum Schluß ſoll die Seitfrage nicht übergangen werden. Wenngleich 
das Auftreten von Kupfer- und Bronzefunden in faſt allen mitteldeut— 
Iden Steinzeitgräbern nicht überſchätzt werden darf (41) (it doch das 
Kupfer in Agypten ſeit 6000 vor Chriſti bekannt), fo ſprechen doch alle An- 
zeichen dafür, daß ſich die geſamte geſchilderte Entwicklung auf eine ſehr enge 
Seitipanne zuſammendrängt. Entſcheidend für dieſe Frage iſt der Inhalt der 
großen Grabhügel der Walternienburg-Bernburger Kultur [fo z. B. W. Götzes 
Unterſuchung des Heidenberges bei Schortewitz (42)], die zeigen, daß ſich die 
Seitdauer jeder der fünf Einzelſtufen ihrer Entwicklung und Abwandlung auf 
höchſtens eine Generation zuſammendrängt. 

Damit dürfte der Entwicklungsablauf ſeit der Derlagerung der Alt— 
megalith-Kultur ins ſüdliche Mittelelbgebiet den Seitraum von zwei Jahr— 
hunderten kaum überſteigen, vielleicht ſogar auf eine noch geringere Seit— 
ſpanne ſich zuſammendrängen (45). Auch hierüber werden ſorgfältige Beob— 
achtungen bei künftigen Unterſuchungen entſcheidende Aufklärung zu bringen 
vermögen. 

Endlich mag die Frage, wie weit es ſich bei der Verlagerung von Kultur: 
gruppen um Völkerverſchiebungen handelt, wenigſtens noch angeſchnitten 
werden (44, 45). 

In Mitteldeutſchland laſſen ſich heute wohl mit Sicherheit drei urſprüng— 
lich volksmäßig unterſchiedene Kulturgruppen nachweiſen, die als Träger der 
drei alten hauptkulturkreiſe oder Urkulturen in Frage kommen, und die ſich 
auch raſſiſch voneinander abheben (46). Beim nordiſchen, donau- und welt: 
deutſchen Kreis wird man von ethnologiſch gut umſchriebenen „Dolksgruppen“ 
ſprechen dürfen. Die Derlagerung der Altmegalith-Keramik ins ſüdliche 
Mittelelbgebiet und das dadurch bedingte Derichwinden der bandkeramiſchen 
Kultur wird ebenſo einer Bevölkerungsverſchiebung feinen Urſprung ver: 
danken wie die Herausbildung der Röſſener Kultur einer Derihmelzung von 
bandkeramiſchen und megalithiſchen Bevölkerungselementen. 

Aber die Herausbildung und Abwandlung der drei Tochterkulturen der Alt: 
megalithkultur unter z. T. gegenſeitiger Beeinfluſſung läßt ſich zwanglos ohne 
jede Bevölkerungsverſchiebung erklären, während die Entſcheidung dieſer Frage 
ſchon bei den von der Noßwitzer Kultur ausftrahlenden Einflüſſen nicht geringeren 


86 Carl Engel [16 


Schwierigkeiten begegnet als die Erklärung der Herausbildung der Kugel: 
flaſchengruppe und der ſächſiſch⸗thüringiſchen Schnurkeramik. Es muß damit 
gerechnet werden, daß bei der Ausbreitung beſtimmter Kulturformen in ſehr 
viel erheblicherem Maße als bisher angenommen wurde, gegenſeitige Kultur- 
übertragung und wechſelſeitige Befruchtung eine Rolle geſpielt haben; ein 
Problem, bei deſſen Klärung die ſorgfältige Beobachtung der „Kontakt— 
erſcheinungen“, d. h. der Berührungspunkte der einzelnen Kulturen mt, 
einander (3. B. die Übernahme von Schnurornamenten auf die Kugelflaſchen) 
weſentliche Kufſchlüſſe zu geben verſpricht. Es iſt — wie völkerkundliche 
Parallelen zeigen — durchaus möglich, daß auch Sitten und Bräuche (3. B. 
Beſtattungsritus und Wohnbau) in ähnlicher Weile von benachbarten 
Bevölkerungselementen übernommen werden wie die Formen und Derzie— 
rungsweiſen von Gefäßen und Geräten. 

Wo freilich ſporadiſch auftretende Funde von in Sitte und Kulturgut 
ſcharf umſchriebenen Formen in ſchmalen Ausbreitungslinien in fremdes 
Kulturgebiet vordringen (wie z. B. bei der Ausbreitung der Schönfelder 
Brandgräber ſaaleaufwärts, vgl. Abb. 3), wird man auf wandernde Dolks- 
gruppen als Träger ſchließen dürfen. Auch das Vordringen der Glocken- 
becherkultur nach Mitteldeutſchland wird man — ſchon wegen der raſſiſchen 
Sonderſtellung ihrer Träger (46) — als den Ausdruck einer Wanderbewegung 
auffallen dürfen, wie ja auch das Auftreten der jütiſchen Becher- und Seuer- 
ſteindolchkultur in bisher faſt unbeſiedelten Gebieten mit der Ausbreitung 
eines neuen Volkes zuſammenhängen dürfte (47). Immerhin zeigt ſich, welche 
Dorjicht bei der Entſcheidung über Rollen, und Dolksfragen ſowie bei der An⸗ 
nahme von Wanderzügen auf Grund von Kulturausbreitung am Platze iſt, 
wenn man nicht zu Fehlſchlüſſen gelangen will. 

Nach dem Geſagten laſſen Téi die jo verwickelt erſcheinenden Kultur- 
gruppen im mittleren Elbgebiet auf ein verhältnismäßig einfaches und klares 
Bild zurückführen. Don den drei in ihm zuſammenſtoßenden Kulturkreiſen — 
dem nordiſchen, ſüdoſteuropäiſchen und ſüdweſtdeutſchen — übernimmt bald 
der nordiſche die Führung und verdrängt durch feine Verlagerung nach Süden 
(48) die beiden anderen [Donau- (49) und Pfahlbaukultur]. Während er ſich 
im eigentlichen Mittelelbgebiete zu kraftvoller Blüte entfaltet und in mehrere 
lokale Untergruppen aufſpaltet, tritt er zugleich an ſeiner Südgrenze mit dem 
von Oltdeutichland ſich vorſchiebenden, vielleicht ihm urſprünglich verwandten 
Noßwitzer Kreis in Berührung und befruchtet ſich mit ihm wechſelſeitig. 
Dieſer Noßwitzer Kreis läßt im Süden (in Thüringen und Sachſen) die ſchnur— 
keramiſche Kultur aus ſich hervorgehen. Längere Seit blühen beide Kulturen 
eng benachbart nebeneinander. Am Ende des Neolithikums macht die mittel- 
deutſche Megalith-Kultur ihr bisheriges Siedlungsgebiet durch Abwanderung 
(Rugelflaſchenzug) frei, in das nun von Süden her die ſchnurkeramiſche, von 
Norden (bzw. Nordweſten) her die jütiſche Kultur (50) vordringen, erſtere 
bald noch verſtärkt durch die ebenfalls von Süden her wirkſam werdende 
Glockenbecherkultur. Aus der jütiſchen Kultur erwächſt der nordiſche, aus der 
Vermiſchung von ſächſiſch-thüringiſcher und Glockenbecherkultur der Aunjetißer 
Kreis der frühen Bronzezeit. 


Anmerkungen 


1. Koſſinna, G.: Die deutſche ne eine hervorragend nationale Willen: 
ſchaft. 4. Aufl. Leipzig 1925. S. 19 
2. Neben vielen Einzelarbeiten zuletzt in den beiden zuſammenfaſſenden Abhandlungen: 


17] Überſicht der jungſteinzeitlichen Kulturen im mittleren Elbgebiet 87 


Die ſteinzeitliche Beſiedlung Mitteldeutſchlands. Stendaler Beiträge V, S. 109 — 155. 
Alter, Weſen und Verbreitung der mitteldeutſchen Steinzeitkulturen. Nachträgliches 
und Ergänzendes. Stendaler Beiträge V, S. 201— 262. 

3. Neben vielen Einzelabhandlungen bef. in der großen Arbeit „Studien zur Walter: 
nienburg- Bernburger Kultur I“. Sächſ. Thür. Jahresſchr. f. Vorgeſch. Bd. XIII. 

alle 1925. 

4. en E.: Die Kulturen der jüngeren Steinzeit in der Mark Brandenburg. 
Vorgeſchichtliche Forſchungen Bod. I, Heft A Berlin 1926. 

5. berg, N.: Das nordiſche Kulturgebiet in Mitteleuropa während der jüngeren 
Steinzeit, 2 Bde. Uppfala-Leipzig 1918. 

6. Schuchardt, C.: Alteuropa. Berlin und Leipzig 1926. S. 121ff. 

Schuchardt, C.: Vorgeſchichte von Deutſchland. München 1928. S. 31 —99. 

6a. Koſſinna, .: Urſprung und Derbreitung der Germanen in vor, und früh» 
geſchichtlicher Seit. Bd. 2. Mannusbibl. Nr. 6. Leipzig 1927. 

7. Den Derſuch, die Abhängigkeit der einzelnen Kulturen von der fie umgebenden 
Candſchaft nachzuweiſen; ihr Wachſen, Aufblühen und ihre charakteriſtiſche Aus: 
prägung aus ihrer Umwelt zu verſtehen und zu erklären, bezeichne ich als „Cand— 
ſchaftsarchäologie“. Dieſe vorwiegend auf „geopolitiſcher“ Grundlage arbeitende 
Methode, über die ich hoffe in Kürze Genaueres bringen zu können, verſucht eine 
natürliche Erklärung für die mit Hilfe der Siedlungsarchäologie gewonnenen Reſul— 
tate über Kulturgrenzen und Kulturprovinzen zu geben, indem fie den vorgeſchicht— 
lichen Menſchen in Beziehung zu feiner Umwelt ſetzt und einen Teil feiner charakte— 
riſtiſchen Eigenſchaften aus dieſer abzuleiten beſtrebt iſt. Die Methode der Land: 
ſchaftsarchäologie wird in der eingangs erwähnten ausführlichen Arbeit über „Die 
jungſteinzeitlichen Kulturen Mitteldeutſchlands“ eingehendere Anwendung erfahren, 
als dies in dieſem kurzen Abriß möglich war, in dem ich mich auf wenige andeutende 
Hinweiſe beſchränken mußte. Die „Landſchaftsarchäologie“ verbindet ſomit die von 
Koſſinna begründete Siedlungsarddologie mit der von Wahle weiter aus— 
gebildeten prähiſtoriſchen Geographie. 

8. Dal. Wahle: Vorgeſchichte des deutſchen Volkes. Leipzig 1924. S. 28 — 58. 

9. Was 3. B. auch Kupka (Stendaler Beiträge V. S. 116) in der Bezeichnung Ur, 
Kulturen“ und „Tochterkulturen“ zum Ausdrud bringt. 

10. Dal. dazu Wahle: Deutſchland zur jüngeren Steinzeit. hettner-Feſtſchrift. Bress 
lau 1921, S. 9—18. 

11. Catſächlich finden ſich bei Kelbra und Brücken (Kreis Sangerhauſen) am Ufer 
des ehemaligen Sangerhäuſer Sees Reſte von Pfahlbauten mit echter Michelsberger 
Keramik (Tulpenbecher und ſpitzbodige Töpfe mit eingezogenem Hals). Mujeum 
Nordhaufen und Spengler-MRuſeum Sangerhauſen. Dal. die demnächſt im Montags— 
blatt der Magdeburgiſchen Seitung erſcheinende Arbeit: Engel, C., Pfahlbauten in 
Mitteldeutſchland. 

12. dunadjt weiſen die Beziehungen der Noßwitzer Gruppe nach Oſtdeutſchland (val. 
Koſſinna: Herkunft und Ausbreitung der Germanen, Mannusbibl. Nr. 6, Leipzig 
1928, S. 204ff. und Niklaſſon: Neuere Ausgrabungen in Röſſen: Mannus, 
Bd. 11/12, 1920, S. 309— 337) und von dort zur däniſchen Dolmenkcramik (val. 
die Ausbreitung der Trichterbeher und Hragenfläſchchen nach Koſſinna: Mannus 
Bd. 13, 1922, S. 15 ff., 145ff.). Doch ſcheint nicht ausgeſchloſſen, daß es ſich hier um 
eine öſtliche Sonderausprägung einer urſprünglich von Weiten her vorgedrungenen 
weſteuropäiſchen Urkultur handelt (vgl. dazu Kupka: Stendaler Beiträge IV, 
S. 3575 — 383), die ſowohl den Grundſtock für die nordiſche Dolmenkultur wie auch 
für die Mokwiker Gruppe abgegeben, vielleicht ſogar auch die Keimzelle der 
nordweſtdeutſchen Megalithkultur gebildet hat. Sollte ſich dieſe Vermutung be— 
ſtätigen, ſo würde ſich die ſchon von S. Müller ausgeſprochene, neuerdings auch von 
Schuchardt (vgl. Dorgeſchichte von Deutſchland, München 1928, S. 53-50) wieder 
aufgenommene Anjiht vom weſteuropäiſchen Urſprung der geſamten mittel- und 
nordeuropäiſchen Megalith-Hulturen beſtätigen. 

15. Ich bezeichne die nordweſtdeutſche und altmärkiſche Megalithkultur kurz als „Alt 
megalith-Hultur“ im Gegenſatz zu ihren jüngeren mitteldeutſchen Tochterkulturen. 
Entſprechend gebrauche ich den Begriff „Altmegalith-Keramik“ für die nordweſt— 
deutſche und altmärhkiſche Tiefſtichtonware. 

14. Eine zeitliche Aufeinanderfolge dieſer Grabformen, wie fie Montelius (Der Orient 
und Europa I. Stockholm 1899) für Skandinavien nachgewieſen hat und wie fie 
Kupka auch für Mitteldeutſchland annimmt (vgl. Stendaler Beiträge IV. S. 429 
bis 445), läßt ſich im behandelten Gebiete wenigſtens für die jüngeren Formen 
(Ganggräber u. Steinkiſten) nicht nachweiſen. Ganggrab und Steinkijte treten viel— 


88 


15. 


16. 
17. 


18. 
19. 


20. 


21. 


22. 


Carl Engel [18 


mehr gleichzeitig ſchon von der I. Walternienburger Stufe an auf. Auch die von 
Montelius für den Norden angenommene eln Aufeinanderfolge von dünn⸗ 
und dicknackigen Feuerſteinbeilen läßt ſich vorläufig für Mitteldeutſchland nicht 
nachwe iſen. 

Dal. Gummel, h.: Die Rieſenſteingräberkultur in Nordweſtdeutſchland: Mannus, 
Erg.⸗Bd. V, 1927, S. 33, Abb. A 

und Kupka: Stendaler Beiträge Bd. V, S. 61 ff. 

Niklaſſon: Studien zur Walternienburg-Bernburger Kultur I. 

Dol. Gummel wie Anm. 15. Doch rechtfertigen die Übergangsformen zwiſchen Alt: 
megalith-Kultur und Walternienburg I u. U. auch die Aufſtellung einer III. Stufe. 
Näheres darüber in meiner eingangs angeführten Arbeit über „Die jungſteinzeit— 
lichen Kulturen Mitteldeutſchlands“. 

Dal. Kupka wie Anm. 15 und Sprodhoff, wie Anm. 4. 

Dal. Engel: Neues über den Schönfelder Stil. Mannus Bd. 20, 1928, S. 265—314. 
Für die in Kupkas Beſprechung meiner Arbeit (Stendaler Beiträge V, 1929, 
S. 380ff.) enthaltenen Berichtigungen meiner Angaben bin ich aufrichtig dankbar. 
Auf ſeine ſonſtigen Ausführungen einzugehen erübrigt ſich, da ſie an Stelle ſachlicher 
Erörterungen nur fubjektive Werturteile bringen. Weitere Beobachtungen über 
die Schönfelder Kultur, ihre Beziehungen zur ſächſiſch-thüringiſchen und Oderſchnur⸗ 
keramik ſowie ihre weit nach Oſten reichenden Einflüſſe, die geeignet find, ihr 
Delen und ihre Stellung zu den Nachbarkulturen weiter zu klären, werde ich in 
meinen „Jungſteinzeitlichen Kulturen Mitteldeutſchlands“ bringen. 

Ausgenommen Weſtfalen (vgl. Eberts Reallexikon Bd. XIV, S. 285 — 291. Aber 
auch hier zeigt fic) genau die gleiche Derlagerung von Norden nach Süden wie in 
Mitteldeutſchland: Die älteren nördlichen „großen Kammern“ ſchließen ſich in ihrer 
Verbreitung mit den jüngeren „Steinkiſten“ völlig aus, eine Erſcheinung, die auf 
der Karte von Stieren (a. a. O. Tafel 61H) beſonders klar zur Anſchauung 
kommt und eine überraſchende Parallele zu unſerer Karte Abb. 2 bildet. 

gl. Gummel: Die Ricfenjteingräberkultur in Nordweſtdeutſchland in Mannus, 
Erg.⸗Bd. V, 1927, S. 30—40 

und Kupka: Alter, Weſen und Derbreitung der mitteldeutſchen Steinzeitkulturen 
in Stendaler Beiträge V, S. 238 —242. 

Eine Ausnahme macht allein das ſüdliche Weſtfalen, in deſſen fruchtbarem Cap, 
gebiet ſich die Altmegalith-Kultur — parallel zur Walternienburg-Bernburger, Elb— 
Havel: und Schönfelder Kultur — zu einer eigenen vierten CTochterkultur (der Steine 
kiſtenkultur) im alten Heimatgebiete weiterentwickelt zu haben ſcheint (vgl. 
Eberts Reallexikon wie Anm. 20). 


. Dal. E. Wahle: deutſchland zur jüngeren Steinzeit in 12 länderkundlichen Studien 


(Hettner-Feſtſchrift), Breslau 1921, S. 9—18. 


. Dal. Kupka in Stendaler Beiträge V, S. 231—234. 
. Dal. O. Krone: Die bandkeramiſchen Siedlungen im Lande Braunſchweig in Man: 


nus, Erg.⸗Bd. V, 1927, S. 167-188. 


. Urjprung und Verbreitung der Germanen (Mannusbibl. Nr. 6), Leipzig 1928, 


S. 164, Abb. 184. 


. Dal. Schuchardt: Vorgeſchichte von Deutſchland, München 1928, S. 75 — 77. 
. Riklafjon, N.: Neuere Ausgrabungen in Röjjen in Mannus, Bd. 11/12, 1920, 


S. 309 —537. 
Dal. dazu Stock), A., Pravék zemé Ceske I, Prag 1926, S. 94 ff. u. Taf. LXXXVI—CIV. 


. Kupka, P.: Die Wurzeln der mitteldeutſchen Steinzeittonware in Stendaler Bei— 


träge IV, S. 575—383. 


„Beſchränkte Kulturauswahl“ zeigt fic) bef. klar in der Trichterbecherſiedlung von 


Braunsdorf, Krs. Querfurt (muſeum Merſeburg). 


Über die Frage ihrer Ausbreitung von Norden (Dänemark) her nach Oſtdeutſchland 


oder ein gleichzeitiges Einſtrömen in beide Gebiete von Weſteuropa her und über 
die beſ. von Kupka betonten Suſammenhänge mit der weſtdeutſchen Candpfahl— 
baukeramik vgl. Anm. 12. 


. Dal. Anm. 28. 

. Dal. Stendaler Beiträge V, S. 134—141 u. 243—250. 

. Sprodboff, E., wie Anm. 4. 

. Dal. Stendaler Beiträge V, S. 134-141. 

, Dal. dazu Gotha in Uachrichtenbl. f. d. dtſch. Vorzeit, Ig. 4, 1928, S. 150-151. 
. Koffinna, G.: Entwicklung und Verbreitung der ſteinzeitlichen Tridterbedyer, 


Hragenfläſchchen und Uungelflaſchen. III. Hugelflaſchen: Mannus, Bd. 13, 1921, 
S. 259 ff. u. Tafel VIII. 


19] überſicht der jungſteinzeitlichen Kulturen im mittleren Elbgebiet 89 


37a. Gegen die fo vielfach als letzter Ausweg benutzte Erklärung eines längeren gleich— 
zeitigen Nebeneinanderwohnens verſchiedenartiger Bevölkerungen von unterſchiedlicher 
Wirtſchaftsſtruktur im gleichen Siedlungsgebiete habe ich das größte Bedenken und 
halte ſie auf Grund praktiſcher Beobachtungen — wenigſtens auf das Neolithikum 
Mitteldeutſchlands in weiterem Umfange angewendet — für eine Schreibtiſchhapotheſe. 

37b. Wenngleich eine ſichere Entſcheidung über das Herausbildungszentrum des Kugel— 
flaſchentypus vorläufig nicht zu fällen iſt, ſo hoffe ich doch auch dieſe Frage auf 
Grund des vorgelegten Materials in meiner eingangs erwähnten umfaſſenderen 
Arbeit ihrer Töſung näherführen zu können. 

37. Bezeichnend iſt 3. B. auch die übereinſtimmende Henkelbildung der älteren Kugel: 
flaſchenbegleittöpfe und der Noßwitzer bzw. ſchnurkeramiſchen Amphoren. 

37d. Ich kann auch auf dieſe Beziehungen hier nicht näher eingehen und verweiſe 
deshalb auf meine eingangs zitierte Arbeit, die auch zahlreiches Kartenmaterial 
bringen wird. 

38. Damit wäre auch der 4. — nordoſteuropäiſche — Formenkreis — wenigſtens in 
ſchwachen Einſicherungen — im Mittelelbgebiete nachweisbar. Dal. dazu Engel, C.: 
Jungſteinzeitliche Wohnplätze an der mittleren Elbe im 50. Tagungsbericht der 
Deutſchen Anthropologiſchen Geſellſchaft, Hamburg 1929. 

59. Su den bisher noch dunkelſten Problemen der mitteldeutſchen Jungſteinzeit gehören 
3. B. die Entſtehung und Herausbildung des Uugelflaſchentypus ſowie die Schickſale 
der Schönfelder Kultur. Aber auch das zeitliche Verhältnis und die verwandtſchaft— 
lichen Beziehungen zwiſchen den drei bandkeramiſchen Stilgruppen, die Beziehungen 
der Röſſener zur Noßwitzer Kultur, die Herkunft der Noßwitzer Gruppe ſelbſt und 
ihr verhältnis zur däniſchen Dolmens und ſüdweſtdeutſchen pfahlbaukultur, ſchließ⸗ 
lich der Urſprung der ſächſiſch⸗thüringiſchen Schnurkeramik und ihre verwandt— 
ſchaftlichen Beziehungen zur jütiſchen Einzelgrabkultur und zur Oderſchnurkeramik 
bedürfen dringend weiterer Klärung. 

40. Eine Deröffentlichung der auf meinen Reiſen zuſammengeſtellten zahlreichen Metall— 
funde aus mitteldeutſchen Steinzeitgräbern iſt in Kürze geplant. 

41. Allein aus den bandkeramiſchen und Altmegalithgräbern Mitteldeutſchlands find 
m. W. Metallfunde bisher nicht bekannt geworden. Sollten ſolche trotzdem noch 
einmal gemacht werden — was ich nicht für ausgeſchloſſen halte —, ſo dürften ſie 
doch gegen die anderen jungſteinzeitlichen Kulturen zahlenmäßig ſo zurücktreten, 
daß dieſes ungleiche Verhältnis als Kriterium für das höhere Alter der Donau: 
und Altmegalith-HKHultur in Unſpruch genommen werden darf. 

42. Dal. Götze, W.: Prähiſtoriſche Srabſtätten im Kreije Cöthen. Beitr. 3. An: 
haltiſchen Geſchichte, Heft 20. Cöthen 1913. 

Ferner Gorges und Sellmann: Die Rieſenſtube am Bruchberge bei Droſa. Jahres» 
Be für die Dorgeſchichte der ſächſiſch-thüringiſchen Länder, Bd. 4, Halle 1905, 
33-42. 

Ferner Voges, Th.: Die Grabkammer von Oſterode am Fallſtein. Ebenda, Bd. 7, 
Halle 1008, S. 25ff. 

Ferner Niklaſſon, N.: Der ſtratigraphiſche Aufbau des Baalberger Hügels uſw. 
Mannus, Bd. 16, 1924, S. 46 — 54. 

45. Ich komme damit chronologiſch zu dem gleichen Ergebnis wie Sprockhoff in 
enen „Kulturen der jüngeren Steinzeit in der Mark Brandenburg“ (Vorgeſch. For— 
ſchungen Bd. I, Heft 4, Berlin 1926): daß nämlich die meiſten der als voll 
neolithiſch“ bezeichneten Kulturen Mitteldeutſchlands (vielleicht mit Ausnahme der 
Altmeqalith: und Donaukultur, deren Seitdauer bisher nicht zu überſehen iſt) ſich 
auf eine verhältnismäßig enge Seitſpanne am Ende des Neolithikums in ſchnellem 
Wechſel zuſammendrängen. Nach langer, geringe Wandlungen aufweiſender Dor, 
bereitungszeit ſteigert ſich die Entwicklung zu einem überaus ſchnellen, ſich faſt 
überſtürzenden Formenwandel, der offenbar bedingt wird durch die Verlagerung 
von Kulturen in neue Candſchaften, in denen die andere Umwelt zu einer Auf» 
ſpaltung in verſchiedenartige Gruppen und zu einem ſchnelleren Tempo des Form— 
wechſels führt, wozu auch die von den Nachbarkulturen ausjtrablenden Einflüſſe 
beitragen mögen. Dal. hierzu Anm. 7. 

44. Eine ausführliche Behandlung dieſes Problems wird ebenfalls in meiner oben 
. Arbeit über „Die jungſteinzeitlichen Kulturen Mitteldeutſchlands“ 
erfolgen. 

45. a 18 Jacob-Frieſen: Grundfragen der Urgeſchichtsforſchung. Hannover 1928, 

. 149 ff. 
46. Dal. dazu die Unterſuchungen von A. Schliz, 3. B.: „Beiträge zur prähiſtoriſchen 


90 Carl Engel, überſicht der jungſteinzeitlichen Kulturen im mittleren Elbgebiet [20 


Ethnologie“ in Prähiſtoriſche Seitſchrift, Bd. IV, 1912, S. 36—67 und „Die vor⸗ 
geſchichtlichen Schädeltypen“ im Archiv f. Anthropologie, N. F., Bd. VII, Heft A 
und Bd. IX, Heft 3 und A Ferner die Einzelbeiträge von Rede in Eberts Real⸗ 
lexikon. 

47. Das Auftreten von Kugelflafchen-, Schönfelder und jütiſcher Kultur in den ſeit der 
Verlagerung der Altmegalithkultur faſt unbeſiedelten Sandgebieten der Altmark und 
des nordweſtdeutſchen Flachlandes (vgl. auch Anm. 20 und 22) ſpricht u. U. dafür, 
daß der Höhepunkt der Niederfchlagsarmut während des litorinazeitlichen Klimas 
optimums bereits im Dollneolithikum erreicht wurde; doch iſt es auch denkbar, 
daß Bevölkerungszunahme zur Wiederbeſiedlung dieſer wenig fruchtbaren Gebiete 
während des Ulima⸗Optimums führte. Sie ſcheinen übrigens auch im Derlaufe 
der früheſten Bronzezeit nur verhältnismäßig dünn beſiedelt geweſen zu ſein. Die end⸗ 
gültige Entſcheidung dieſer Fragen wird oft eine differenzierte geologiſche und pollen⸗ 
analytiſche Unterſuchung zu erbringen vermögen. Hier mag nur auf die ſich aus 
den vorgeſchichtlichen Beobachtungen ergebenden Probleme hingewieſen und ihre 
Nachprüfung angeregt werden. 

48. Der als Dorwelle die Röſſener Wanderung voraufgeht. 

49. Vielleicht iſt auch die von Oſten her ſich vorſchiebende Noßwitzer Kultur an der 
Verdrängung der Bandkeramik nicht unbeteiligt geweſen. 

50. Die nahe Verwandtſchaft der ſchnurkeramiſchen und jütiſchen Kultur wird heute 
wohl kaum noch bezweifelt. Doch ſcheint mir der jetzige Stand ihrer Erforſchung 
noch nicht weit genug fortgeſchritten, um über ihre gegenſeitigen Beziehungen etwas 
Sicheres ausſagen zu können. 


Zeitalter der jungſteinzeitlichen Kulturenfolge im Mittelelbgebiet 


Stufen im Mittel⸗ 
elbgebiet 


Kulturen im mittelelbgebiet aach L. müller 


Dordolmenzeit 


Stufe I Feuerſteinbeile vom Liegow:Tnpus. Walzenbeile 


SS SSS SS sg Dolmenzeit 
Altmegalith- und Bandkeramik — 


Stufe II Am Ende Röſſener Zug und Einſickern der Hop, 


witzer Kultur eee 


— N ꝶ9& ——— nn | m — — — — — — — 


Verlagerung der Altmegalith-Kultur nach Süden 


Stufe III und Aufipaltung in die Tochterkulturen Ganggrabzeit II 
Blütezeit der Walternienburg-Bernburger und ES EE EE 


Elb-Havel-Kultur Ganggrabzeit III 


Blütezeit der ſächſiſch⸗thüringiſchen Schnurkera⸗ Ganggrabzeit IV 
Stufe IV mik, der Kugelflaſchen und Schönfelder Kultur 


Am Ende: Abwanderung der Kugelflajhenkultur | ` 
erung der Kugelflaſchenku Steinkiſtenzeit 


Stufe V Einſtrömen der Se der Glockenbecher⸗ Jütiſche Obergräber 
JJV)V!!!!.!.!!.;0õ TER SU 
Réier Jütiſche Feuerſteindolchkultur. Doraunjetitzer periode! der Bronze⸗ 


montelius) und Aunjetiger Kultur zeit (nad) Montelius) 


Nordiſcher und donauländiſcher Hausbau 
im jungſteinzeitlichen Mitteleuropa 


(Auszug) 
Don Dr. Werner Radig, Dresden 
Mit 1 Abbildung 


Noch ijt die Seit nicht gekommen, in der man eine wirkliche Entſtehungs— 
und Entwicklungsgeſchichte des nordiſchen und donauländiſchen Hausbaues 
zu geben vermag; wohl aber ſcheint der Derjud) gerechtfertigt, die mannig— 
faltigen Erſcheinungen in ihrer bisher erkennbaren Abfolge zu beſchreiben. 
Suvörderſt muß freilich über die techniſchen und formalen Eigenheiten ganz 
allgemein Klarheit herrſchen, die in meinem Kölner Vortrag 1927 angeſtrebt 
wurde. Als Fortführung der dort vorgelegten in Magdeburg knapp rekapitu— 
lierten Ausführungen !), die eine Grundlage für darauf ſich aufbauende 
Studien innerhalb der einzelnen Kulturgruppen darſtellen, iſt der Vortrag 
über das nordiſche und donauländiſche Haus gedacht. 

Bevor den beiden Kulturgruppen nachgegangen wird, ſeien einige Einzel— 
ergebniſſe der Bautechnik, beſonders des Oberbaues, hervorgehoben. 
Sahlreiche Grubenwohnungen in ganz verſchiedenen Siedlungen auf jetzt 
deutſchem Boden ließen jegliche Pfoſtenreſte unbedingt vermiſſen; dafür wies 
zahlreicher hüttenbewurf auf die allein bleibende Möglichkeit, in ihm die 
Reſte einer CLehmüberwölbung zu erblicken, die als primitives Gewölbe den 
eingeſenkten Wohnraum überzog. Während z. B. aus der Siedlung Carsdorf, 
HD Borna, bei der ſyſtematiſchen Ausgrabung?) noch ſolche Oberbaulehm— 
reſte in situ gleichſam als Horſte angetroffen wurden, bezeugen gleichfalls 
die zuſammengebrochenen und in die Grubenwohnungen 8 und 27 von Jor— 
dansmühl, Kr. Nimptidy?), geſtürzten Lehmreite das neue Ergebnis, dem 
als rekonſtruktiver Vergleich der Oberbau des Backofens in haus I von 
Riedſchachen bei Schuſſenried, O.-A. Waldſee!), zur Seite geſtellt fet. Die 
Sonderbehandlung des Gewölbes im Reallexikon für Dorgeſchichte) kam 


1) Radig, W.: Bauarten und Hausformen im jungſteinzeitlichen Deutſchland. 
In: Tagungsber. d. Dt. Anthropol. Geſ. 43. Derf. in Köln. Leipzig: Habitzſch 1928. 
S. 90-91. 

2) Frdl. Mitteilung aus dem unveröffentlichten Bildmaterial von Direktor Prof. 
Dr. Fr. Krauſe, Leipzig. 
S ) Seger, H.: Die Steinzeit in Schleſien. In: Ard. f. Anthropol. 33. N. F. 5. 

. 116. 

) Reinerth, H.: Die jüngere Steinzeit der Schweiz. Augsburg: Filſer 1926. S. 50. 

5) Behn, Fr.: Gewölbe. In: Realler. f. Vorgeſch. Hrsg. v. M. Ebert. Bod 4. 
S. 318. 


92 Werner Radig [2 


aus anderen Gründen zu dem gleichen beſtätigenden Refultat, dem ſich allge- 
meine Ausführungen ſchon in Köln anſchloſſen. 

Die nächſte große Bauerfindung nach der Errichtung des auf der Erde 
aufſitzenden Schutzdaches iſt die freiſtehende Wand, deren Geſtalt man ſchon 
im Neolithikum in ſehr verſchiedenen Formen begegnet. Don den bekannt- 
gewordenen Mooruntergrundbauten im Federſeemoor !) hat man die Haus- 
wand als proviſoriſch bezeichnete „Palliſadenwand“ mit eng aneinander an— 
ſchließenden, ſenkrechten Pfoſten vorgefunden. Demgegenüber fallen bei den 
Erduntergrundbauten wenigſtens drei Arten der Wandgeſtaltung im Pfoſten— 
bau auf. Gemeinſam iſt dieſem das in mehr oder weniger regelmäßigen Ab— 
ſtänden beſtehende Nebeneinander der Pfoſten, die alſo ſehr aufgelockerte Reihen 
bilden. Bei noch leicht eingeſenkter Wohnfläche befinden ſich in mehreren „Alt— 
heimer“ Häuſern vom Goldberg?) bei Goldburghauſen, O.-A. Neresheim, die 


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Ciniens und ſtichbandkeramiſche Siedlung von Dresden-Cotta: Oſt⸗Weſt⸗Profil 
(Archiv urgeſchichtlicher Funde aus Sachſen) 


Pfoſten in die Wohnfläche hineingerückt, fo daß ringsum ein freier Streifen für 
eine Lehmwand bleibt, die ſich an die Pfoſten anlehnt und die äußere Baus: 
grenze bildet. Aus der Wohnfläche treten indeſſen bei einer zweiten Wandart 
die Pfoſten zur Hälfte heraus, wie aus dem Hausgrundriß von Noßwitz, 
Kr. Glogau), hervorgeht. Die dritte Art der Wandgeſtaltung iſt wohl die 
häufigſte: den Raum zwiſchen den Dertikalpfoften füllen Lehmfelder, die alle 
Pfoſten ganz umſchließen. Don außen und innen erſcheint die hauswand mit 
Lehm verkleidet. Wie in Lißdorf, Kr. Naumburg), viereckige Pfoſten dieſe 
Wandbildung bezeugten, beſtätigen zahlreiche Pfoſtenbauten bis in ſpätere 
Seiten hinein die letztgenannte Bauart. 

Problematiſch bleibt immer noch die Rekonjtruktion des den Wänden 
aufgeſetzten Dachſtuhles. Einzelne von der Wohnfläche aufſteigende Pfoſten, 
die als Firſtträger zu deuten ſind, laſſen z. B. auf dem Goldberg, in Trebus 
und Altfrieſack ein Satteldach vermuten. In Sarmsheim, Kr. Kreuznach, ſteht 

1) Schmidt, R. R.: Neue Ergebniſſe der Unterſuchung der Kichbühler Baukunit. 
Vortrag a. d. 50. Allg. Derſ. d. Dt. Anthropol. Geſ. 3. hamburg 1928. 

») Frdl. Mitt. aus dem unveröffentlichten Bildmaterial von Dir. Dr. 6. Berſu, 
Frankfurt a. m. 

) Seger, h.: Die keram. Stilarten d. j. St. Schleſiens. In: Schleſiens Vorzeit. 
N. F. VII, 1919. S. 1—89. 

) Shudhardt, C.: Lißdorf, eine bandkeramiſche Siedlung in Thüringen. In: 
prähiſt. AL Bd. VI. S. 296. 


3] Nordiſcher und donauländiſcher Hausbau im jungfteinzeitlichen Mitteleuropa 93 


neben einem vermutlichen pultdach eine komplizierte Rekonſtruktion!) eines 
Satteldaches. Für die Mooruntergrundbauten ſind die Unterſuchungen noch 
nicht abgeſchloſſen, verheißen aber ſichere Reſultate?). Jegliche Rekonitruk- 
tionsverſuche müſſen ſich auf der Kenntnis der architektoniſchen Einzelheiten 
aufbauen, weshalb die von einem Architekten geſchickt dargelegte Möglichkeit 
einer Dachentwicklung*) angezogen fei. Vom Spitzdach zum Firſtdach zeigt 
er den ſprunghaften Gang durch Einführung eines zweiten Konſtruktions— 
elementes, nämlich des Firſtbaumes mit den beiden Firſtſäulen. Der nächſte 
Fortſchritt zum Walmdach indeſſen leuchtet ein: Bei dem Derlangen nach 
recht breiter Wohnfläche müſſen lange Dachſparren, was bei kürzeren nicht 
nötig war, durch Swiſchenpfetten geſtützt, dieſe ihrerſeits durch kleine „Pfetten— 
ſäulen“ gehalten werden. Auch die Schmalſeiten erhalten Swiſchenpfetten, 
die beim Holzbalken nur geradlinig ſein können. Hieraus ergeben ſich außer— 
dem Wandlungen vom runden zum viereckigen Hausgrundriß. Dieſe Perſpek— 
tiven mögen von Architekten weiter verfolgt werden!). 

Nach techniſcher Durchdringung wird man mit Erfolg an die einzelnen 
Kulturgruppen herantreten können. Don außerdeutſchen Fundorten wurde 
für das donauländiſche Kulturgebiet der eingetiefte Wohnbau von State— 
nice“) bei Prag gezeigt. Ganz einheitlich über große Räume hin zeigt ſich 
die unterirdiſche Bauweiſe mit den unregelmäßigen oder rundlichen Haus— 
plänen. Eine nach gutem Planmaterial getroffene Auswahl von bandkera— 
miſchen Hausgrundriſſen überraſcht aber zugleich durch das Nebeneinander 
von eingetieften, rundlichen Anlagen und ebenerdigen viereckigen Haujern. 
Die gut bekannten Grubenwohnungen von Eberſtadt, Kr. Gießen“), müſſen 
in ihrem Kurvenkomplex ſo gewollt ſein, wie auch Grabungen in der Wüſten 
Mark Treben, Slur Lölau, Kr. Weißenfels, bekundeten. Oval zeigte fic 
eine Grubenwohnung von helfta, Mansfelder Seekreis. Reich an rund 
lichen „Herd“. und „Wohngruben“ iſt das mittelſächſiſche Cößgebiet; nur 
Leippen und Mauna, beide in A.-. Meißen, ſeien genannt. Als Beiſpiel der 
zahlreichen noch im Archiv ruhenden Pläne, die oft auch im Aufrif vor— 
liegen, mag das Profil der Siedlung Dresden:Cotta‘) (vgl. Abb.) heraus: 
gegriffen fein. — An ganz verſchiedenen, entfernt voneinanderliegenden 
Stellen begegnet eine Nierenform bei den Grubenwohnungen, und zwar nicht 
allein bei ſolchen ohne Pfoſtenſtellungen, wo man die Abgrenzung der Haus: 
fläche anzweifeln könnte, ſondern auch bei Anlagen, bei denen die in Nieren— 
form aufgereihten Pfoſten eindeutig die Hausgrenze feſtlegen. Hierfür ſeien 
Wohnſtätten von den Frauenberg-höfen bei Marburg, Bz. HKaſſel, und von 
Frauenheim, Kr. Frankfurt a. M., genannt. In RNördlingens Umgebung 
treffen wir aber ſchon das Nebeneinander von rundlichen und viereckigen 
bandkeramiſchen Anlagen an. In dem „Grubenhaus“ bei Hönheim, 


— 


1) Nach K. Geib. 
d Schmidt, R. R.: a. a. O. 
3) Gruber, O.: Deutſche Bauern- und Ackerbürgerhäuſer. Karlsruhe 1926. S. 21.22. 

) Srdl. Mitt. von Dir. Dr. A. Kiekebuſch, Berlin, daß von einem Architekten 
hierüber gearbeitet wird. : 

5 Stocky. A.: Pravék zemé Ceske Dil J. Prag 1926. S. 61 

) Die Einzelbelege der folgenden deutſchen Fundorte bleiben der Arbeit „Der 
Wohnbau im jungſteinzeitlichen Deutſchland“, deren Erſcheinen für 1929 in Kusſicht 
genommen iſt, vorbehalten. 

7) Sr, Überlaſſung des Druditoces vom Sächſ. Heimatſchutz aus Bierbaum, G.: 
Die Dorgeihichte des plauenſchen Grundes. In: Mitt. d. Landesver. Sächſ. Heimat, 
ſchutz, Bd. XVI, 1927. S. 150. 


94 Werner Radig [4 


Ckr. Straßburg, legt ſich als Swiſchenform um die rundliche Grube 
ein Pfoſtenviereck. Auch die bekannten unregelmäßigen Gruben von 
Lißdorf, Kr. Naumburg, werden von einem Pfoſtenviereckh umgeben. In 
Sarmsheim überwiegen viereckige Anlagen. Neben Lißdorf laſſen ſich die in 
letzter Zeit entdeckten häuſer in Rechteckkorm von Groß-Ammensleben, Kr. 
Wolmirſtedt!), ſtellen. Eine regelrechte rechteckige Grubenwohnung barg die 
württembergiſche Forſchung in Höfingen, ®.-A. Ludwigsburg; fie ſtimmt ganz 
zu den oft in ihrer ſchematiſchen Aufzeichnungsweiſe angezweifelten Groß— 
gartacher Grubenhäuſern, die gemäß dem Miſchkulturcharakter als ſpätere 
Erſcheinungen ſchon Einflüſſen von außen ausgeſetzt ſein mußten. Während 
die Eintiefung ganz dem donauländiſchen Brauche entſpricht, zeigt der Rechteck⸗ 
plan eine neue Form, die ohne Mühe aus dem Norden abzuleiten ſein wird. 

Da die nordiſchen Kulturen erſt ſpäter auf die bandkeramiſchen ſtießen 
und dieſen ihren Stempel aufprägten, wird wohl mit Recht an zweiter Stelle 
auf ihren Hausformenſchatz eingegangen. Freilich fehlt gerade zunächſt in 
den nördlichen Gebieten die Einheitlichkeit, die man aus anderen Fundkom⸗ 
plexen heraus erwarten zu können glaubt. In zwei Fällen iſt einwandfrei 
das Rundhaus bezeugt: In Räiſälä, Karelien?), läßt ſich aus Pfoſtenſtaken 
ein Spiß= oder Kugelzelt rekonſtruieren, das Swiſchenpfetten mit Pfetten- 
ſäulen und einen Vorbau als Eingang aufweiſt. Die Hauspläne von Morrs- 
kog in Uppland?) zeigen ebenfalls rundlichen Grundriß, wobei allerdings 
der Kreis nicht geſchloſſen ijt, ſondern die hausgrenze mehr hufeiſenförmig 
verläuft. Wirkliche Hufeilen find aus dem oft genannten Kleinmeins- 
dorf, Kr. Plön, mit der ſeltenen Steinfundamentbauweiſe ſchon lange 
bekannt. Mag man auch an weſteuropäiſchen Einfluß glauben, ſo iſt 
doch auffällig, daß eine Übergangsform zu dem Diereckhaus an dem Dous, 
plan II deutlich ſichtbar ijt. In der Tat ijt die Diereckform nun die herr- 
ſchende Grundgeſtalt des nordiſchen Hauſes, die 3. B. in dem obengenannten 
Noßwitz und in Trebus, Kr. Lebus, in recht regelloſen Pfoſtenſtellungen auf— 
tritt. Andererſeits weiſt die letztere Siedlung auch einen Fortſchritt zum ein- 
räumigen Haus mit offener Vorhalle auf, wobei vor die Anten ſchon eine 
ſchützende Wand gebaut iſt. Daß ſich auf unſerem Boden in der Steinzeit die 
Entwicklung zum Megaron vollzogen haben mag, vermögen die drei Pfolten- 
häuſer von Altfrieſack, Kr. Ruppin, aufzuzeigen. Nebeneinander ſtehen ein 
einzelliges haus, ein zweiteiliges mit dem Hauptraum, der den Herd enthält, 
und dem geſchloſſenen Vorraum, und ſchließlich ein drittes Pfoſtenhaus mit 
Dor= und Hinterhalle. Während hier rechte Winkel ganz fehlen, laſſen ſich 
dieſe in Schmergow, Kr. Sauch-Belzig, mit wenig Mühe erſchließen. Mit der 
neuen Erfindung des rechten Winkels, die alſo ebenfalls bei uns im hausbau 
ihre erſte Anwendung fand, ſind die nordiſch beeinflußten, als voll aus— 
gebildete Megara auftretenden Moor- und Pfahlbauten von Riedſchachen und 
Aidbiihl bei Schuſſenried ausgeſtattet. 

Beſondere Berückſichtigung verdient neuerdings der Hausbau des ſchnur— 
keramiſchen Kulturkreiſes, weil er aus völligem Dunkel in ein noch ſpär— 
liches Dämmerlicht geführt werden konnte. Auf dem Schulzenberg bei Fulda, 
R.⸗Bz. Maſſel, met eine rechteckige Steinſetzung ein ebenerdiges Hhausfunda— 


) Im Muſ. f. Natur- und Heimatkunde 3. Magdeburg befindet ſich hiervon ein 
neues Hausmodell (C. Engel). Dol Engel, C.: Steinzeitdorf Sroß-Ammensleben. 
Montagsblatt der Magdeburgiſchen Seitung. 69. Ig. 1927. Nr. 18f. 

2) Pälfi, S.: Suomen Muſeo 25. S. 30. 

) Cindquift: Sorvannen II, 1916. S. 167. 


5] Nordiſcher und donauländiſcher Hausbau im jungſteinzeitlichen Mitteleuropa 95 


ment mit einer offenen, nach Norden gewandten Seite auf. Ebenfalls nach 
einer Seite, und zwar nach dem Oſten, öffnet ſich die ſchon mehr viereckige 
als hufeiſenförmige Hausanlage mit wohlausgebildeten Anten in Haldorf, 
Kr. Meljungen; mit dem Schulzenberger Haus hat fie die Ebenerdigkeit 
gemein. Dieſe ſpricht auch aus den Hausreſten von Doberſchau, A.⸗H. Bautzen, 
die wohl als Pfoſtenlöcher zu werten ſind. Der Pfoſtenbau iſt in der Tat 
neuerdings in ſchnurkeramiſchen Totenhäuſern bezeugt: Sarmenstorf, Kanton 
Aargaut), lieferte in dieſer Technik hufeiſenförmige Anlagen und ein vier- 
eckiges Pfoſtenhaus. Schließlich find auch die halbkreisförmigen Herdanlagen 
von Wieck⸗Cuiſental, Kr. Elbing in Oſtpreußen, Anzeichen für eine eben⸗ 
erdige Bauweiſe. Allen genannten Siedlungsreſten ſtehen zwei Fundorte mit 
eingeſenkter unterirdiſcher Wohnfläche gegenüber. In Polen?) wurden tiefe 
Gruben von mäßig großem Durchmeſſer ausgegraben, die aber oft gleich— 
zeitig als Grabſtätten dienten. Eine wirkliche „Wohngrube“ der Schnurkera- 
mik wurde in Schelditz bei Roſitz, Kr. Altenburg, genau unterſucht. Die ſtatt⸗ 
liche Grubenwohnung, die auf der Nordſeite von ſechs Pfoſten geſäumt wird, 
ſteht als vermutliche Ovalanlage in ihrer Form vereinzelt da, als unterirdiſche 
Behauſung ijt fie neben den polniſchen Gruben eine Seltenheit. Am beiten 
aber hütet man ſich noch, über allzu große Flächen hinweg Schlüſſe zu ziehen. 

Sum Abſchluß der Betrachtung des Hauſes der nordiſchen Kulturen ſei 
auf den neuen Grundriß eines eingeſenkten, rechteckigen Pfoſtenbaues im 
Burgwall dimka*) bei Bohnice hingewieſen, der eine beeinflußte Form dar: 
ſtellt: Donauländiſch mutet die Einſenkung an, während Poſtentechnik und 
Rechteckplan ganz dem nordiſchen Brauche entſprechen. Überraſchend bleibt 
aber die große Ahnlichkeit dieſes Planes mit der Bauweiſe „Altheimer“ 
Häufer auf dem Goldberg, von denen ein Beiſpiel oben im bautechniſchen 
Abjchnitt beigebracht wurde. Methodiſch große Bedeutung können derartige 
Parallelen dann erhalten, wenn durch fie Herkunftsfragen der Keramik bei 
ſonſtiger typologiſcher Unſicherheit entſchieden zu werden vermögen; hier liegen 
erſtrebenswerte noch unerreichte Fiele der Wohnbauforſchung. 

Um das auffällige Nebeneinander von rundlichen und rechteckigen 
Grundplänen der donauländiſchen Kultur auch anderwärts zu erweiſen und 
vor allem die Wahrſcheinlichkeit eines Nacheinander zu erhärten, ſei der 
neuen Feſtſtellungen“) im Bereiche der bemalten Keramik gedacht. Sie be= 
zeugen eine wirkliche Abfolge der rundlichen und ſpäter hinzutretenden, als 
nordiſch gedeuteten rechteckigen Planformen. Selbſt die Tripoljer Kultur 
bietet ja in den eingetieften rechteckigen Anlagen die Verbindung bandkera: 
miſcher und nordiſcher Elemente. Schließlich vermag ein Ausblick nach den 
berühmten Fundſtätten Griechenlands ebenfalls nur Beſtätigungen zu liefern, 
aus denen größte Wahrſcheinlichkeiten erwachſen: Sich gegenſeitig ſtützende 
Kombinationen ſchaffen die jetzt ſchon notwendige Aufbereitung des Haus: 
baumaterials, das wegen ſeines ſporadiſchen Auftretens auf weitem Raume 
heute noch wenig, bald aber auf Grund dichterer Ketten ganz in „Geſchichte“ 
gewandelt werden kann. 


1) Reinerth, h.: Die ſchnurkeramiſchen Käufer von Sarmenstorf. In: Feſtgabe 
f. d. 70 jähr. G. Koſſinna. Mannus-5ſ. Erg.⸗Bd. VI. S. 202 220. 

2) Surowski, J.: Wiadomosci Archeologicznuich, t III, 1925. S. 11,12. (Mad 
fröl. Notiz von A. Möller: Weimar.) 

) Schranil, J.: Die Vorgeſchichte Böhmens und Mährens. Berlin und Leipzig 
1928. S. 71. 

) Schroller, H.: Hausbau in der jungſteinzeitlichen bemalten Keramik. In: 
Tagungsber. d. Dt. Anthropol. Get, 49. Derf. in Köln. Leipzig: Habitzſch 1928. S. 91-95. 


Herkunft und Ausbreitung der früheiſenzeitlichen 
Hausurnen Nord: und Mitteleuropas 


Don Carl Engel, Königsberg i. Pr. 
mit 2 Textabbildungen, 1 Karte und 1 Tabelle 


Über die deutſchen Hausurnen ijt ſeit ihrem erſten Bekanntwerden (1856) 
ſo viel geſchrieben worden, daß das Schrifttum über ſie faſt zu einem eigenen 
Literaturzweig der Dorgeſchichtsforſchung angewachſen ijt. Nachdem jedoch 
die zeitliche Stellung der hausurnenkultur durch die Arbeiten von Höfer und 
Becker!) ſehr bald geſichert, ihre ethnologiſche Zugehörigkeit zu den Ger— 
manen durch Koſſinna?) erkannt und durch die Unterſuchungen Wahles‘) 
beſtätigt worden war, hat man ſich in der Folge faſt ausſchließlich mit der 
Frage beſchäftigt, in welchem Sujammenhange dieſer merkwürdige Gefäßtypus 
mit dem gleichzeitigen hausbau geſtanden habe, und hat verſucht, aus den unter: 
ſchiedlichen Formen der Hausurnen die verſchiedenen Haustypen der früheiſen— 
zeitlichen Germanen abzuleiten. Auch die letzten umfaſſenden Arbeiten von 
Behn in Eberts Reallexikon!) und den Vorgeſchichtlichen Forſchungen“) treten 
an das Material nur von dieſem Geſichtspunkte aus heran, der für die folgen— 
den Betrachtungen, die ſich auf Seitſtellung, Typologie und geographiſche Der, 
breitung beſchränken, vollſtändig ausſcheidet. 

Betrachten wir zunächſt die geographiſche Derbreitung der Haus— 
urnen (Karte Abb. 1), jo überraſcht, daß die merkwürdigen Zuſammenhänge, 
die ſich zwiſchen ihren z. T. weit entfernten Derbreitungsgebieten ergeben, 
noch niemand aufgefallen find. Zwar hat Behn in feinen „Hausurnen“ “) 
bereits die Anſicht ausgeſprochen, daß die nord- und oſtharziſche hausurnen— 
kultur von Norden her gekommen ſei, und daß die großen Flüſſe den Weg 
ihrer Ausbreitung bezeichneten. Eingehendere Unterſuchungen hat er dieſer 
Frage — die ſeiner Problemſtellung ferner liegt — jedoch nicht gewidmet. 

Beginnen wir im Norden, ſo liegen als die abgelegenſten Fundplätze 
Tolleſtrup (Abb. 3c) und Gullev (beide Amt Diborg) in Nordjütland. Der 
hart an der ehemaligen Nordgrenze Schleswigs gemachte Fund von Bram— 


1) Seitſchrift des Harzpereins für Geſchichte und Altertumskunde, 1884 ff. 

2) Germanen am Gebirge „Hercynia“, Beiträge zur Geſchichte d. deutſchen Sprache 
u. Literatur 26. 1900. S. 282f. 

3) Die Kulturen und Völker der älteſten Eiſenzeit im Flußgebiet der Saale. 
oie die Vorgeſchichte der ſächſiſch-thüringiſchen Länder. Bd. X. Halle 
1911. S. 89ff. 

4) Bd. V, S. 221-226. 

5) Bd. I, Heft 1, Berlin 1924. 

6) Vorgeſchichtliche Forſchungen Bd. I, Heft 1, Berlin 1924, S. 47. 


| 
Mannus, deit}d 


Engel, Herkunft 


97 


Herkunft und Ausbreitung der früheiſenzeitlichen Hausurnen uſw. 


2] 


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Mannus, Seitſchrift für Dorgeich., VII. Erg..Bd, 


98 Carl Engel [3 


minge (Amt Ripen, Abb. 3c) leitet über die oſtholſteiniſchen Plätze von See⸗ 
dorf (Kreis Rendsburg) und Braak (Kreis Stormarn, Abb. Je) zu den jüd- 
mecklenburgiſchen und nordweſtbrandenburgiſchen Fundplätzen von Kiekinde- 
mark (Abb. 3m), Gandow, Seddin, Luggendorf und Klein-Gottſchow !), denen 
ſich, wiederum in etwas weiterem Swiſchenraum, als ſüdlichſte Sundgruppe 
die ſogenannte „nordharziſche hausurnenkultur“ vorlagert, in der der Haus: 
urnentnpus feine reichſte und vielſeitigſte Entwicklung erlebt. Don beſonderer 
Bedeutung für die Verbindung der nordweſtbrandenburgiſchen mit der nord- 
und oſtharziſchen Gruppe iſt der erſt neuerdings bekanntgewordene Fundplatz 
Sabakuk im €Elb-Havel-Winkel (Kreis Jerichow II), der genau in der Mitte 
zwiſchen beiden Fundgruppen liegt?). Er deutet darauf hin, daß die Aus- 
breitung öſtlich der Elbe ſtromaufwärts vor ſich gegangen zu ſein ſcheint, um 
an der mittleren Elbe aufzuſpalten und etwa an der Saalemündung aus- 
zuſchwärmen. Don hier aus ſind mulde- und ſaaleaufwärts zunächſt das Ge- 
biet der unteren Saale und Mulde (Anhalt), dann bodeaufwärts das nördliche 
Harzvorland erreicht worden. 

Neben dieſer faſt ſenkrecht von Norden nach Süden gerichteten Linie 
fordert die Lage der Fundplätze jedoch geradezu heraus, eine zweite Derbin- 
dungslinie zu ziehen, die diesmal von Jütland in ſüdöſtlicher Richtung über 
Seeland (Smidſtrup, Abb. 5g), Südſchweden (Stora Hammar) nach Borns 
holm (Robbedale, Nylarſkar) läuft und ſchließlich im nördlichen Pommerellen 
(Obliwitz, Woedtke, Abb. 4b) endet. Don Südſchweden aus würden als drittes 
Ausſtrahlungsgebiet die an und auf Gotland gelegenen Fundplätze (Preſt— 
hagen, Kroks, Fälle, Abb. 3h) erreicht werden. 

Die bei Paterswolde in Holland (Provinz Drenthe) gefundene Hausurne 
laſſe ich ihres ſtark abweichenden Charakters wie auch ihrer ganz dunklen 
Fundumſtände halber außer Betracht. 

Über das zeitliche Derhältnis der einzelnen Fundgruppen iſt wenig 
zu ſagen. Die däniſchen und ſchleswig-holſteiniſchen Gefäße werden allgemein 
und wohl mit Recht der V. Periode der Bronzezeit zugeſchrieben“), ſoweit die 
Fundumſtände ſichergeſtellt find. In die gleiche Periode find die mecklenbur- 
giſch⸗nordweſtbrandenburgiſchen Stücke zu ſetzen“), ebenſo das einzige ſchwe⸗ 
diſche Stück (Stora Hammar)*), deſſen Fundumſtände ſicher find. 

Für die pommerellenſchen Pfahlbautypen iſt die früheſte Eiſenzeit chro⸗ 
nologiſch ſichergeſtellt. Ihnen iſt auch die Abb. Aan) wiedergegebene Haus- 
urne unbekannten Fundorts aus dem Magdeburger Muſeum zuzuzählen, die 
der Sammeltätigkeit des Geh. Rats Bauer nach ſicher von der unteren 
Weichſel ſtammt und auch ihrem Typus nach einen primitiven Vorläufer der 
ar aaa viereckigen Pfahlhausurnen von Obliwitz und Woedtke 
darſtellt “). 


1) Dal. die Karten bei Behn, Hausurnen, Tafel 19a. 

2) Erhalten geblieben ijt nur eine Tür in der Sammlung Stimming, Gr. Wujter- 
witz. Dol. Koffinna im Mannus Erg.-Bd. IV, 1925, S. 51. 

3) Splieth, Tafel XIII, 247; S. Müller, Aarböger, XXII, 1907, S. 109ff; 
Behn, Hausurnen, S. 49—52 und S. 14 ff. 

) Beltz: Doraejd. Altert., S. 263; Götze: Denkmäler des Kreiſes Weſtprignitz, 
S. 7, 17, Oſtprignitz S. 56. 

„) Dal. Montelius, Minnen 1415, Kulturgeſch. Schwedens, S. 135. 

6) Bei Behn: Hausurnen, Tafel lla, b. 

) Meine Vermutung, daß dieſe Urne aus dem unteren Weichſellande ſtammen 
müſſe, wurde mir durch den Direktor des Magdeburger Mufeums für Natur- und 
Heimatkunde, Prof. Dr. Mertens beſtätigt, der mir auf Befragen nach dem Fundort 


99 


Herkunft und Ausbreitung der früheiſenzeitlichen Hausurnen ujw. 


4] 


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Die nordharziſche Gruppe ſchl 


V. periode der Bronzezeit ſetzen wollte 


eiſenzeitlich angenommen, 
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. o.) die Begleitformen ihrer Urnen— 


was ja auch ( 


klärte, daß ſie Geh. R. 


e von einem Offizier erhalten habe, der ſie aus 


ſofort er 


getragen hatte 


— ohne daß ich meine Dermutung vor 
Bauer in arg beſchädigtem 


Zuſtand 


dem unteren Weichſellande mitgebracht hatte. 


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Wir kommen demnach zu dem Ergebnis, daß die geſamten hausurnen⸗ 
funde des nordiſchen Kreiſes nur geringe Altersunterſchiede aufweiſen, daß 
unter ihnen wiederum die nördlichen Fundgruppen älter als die ſüdlichen 
ſind. Siehen wir des weiteren in Betracht, daß eine ſcharfe Grenze zwiſchen 
Periode V (Montelius) der Bronzezeit und Stufe I (Schwantes) der frühen 
Eiſenzeit noch nicht ermittelt iſt, daß — der von Süden her erfolgten Der- 
breitung des Eiſens nach zu urteilen — der letzte Teil der däniſch-ſchwediſchen 


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6] Herkunft und Ausbreitung der früheiſenzeitlichen Hausurnen uſw. 101 


Bronzezeit⸗Periode V ſich vielleicht ſogar mit den erſten Jahrzehnten der erſten 
Eiſenzeitſtufe Norddeutſchlands decken wird, fo ſchrumpft der Seitunterſchied 
zwiſchen den einzelnen Gruppen der Hausurnen auf ein fo geringes Maß zu: 
ſammen, daß ſie als unmittelbar zeitlich aufeinanderfolgend angeſehen wer— 
den können. 

Das gleiche Ergebnis zeitigt der typologiſche Vergleich. Ein Blick 
auf das reichhaltige Abbildungsmaterial bei Behn (Hausurnen) läßt ſofort 
erkennen, daß die typologiſch älteſten Formen die jütiſchen find (Abb. 3c, d 
und Behn, Taf. 21b—c), die in ihrer Geftalt noch ganz den Typus des 
ſchlanken doppelkoniſchen (vgl. Abb. 3b und d) und ſchlauchartigen (vgl. 
Abb. 3a und c) Gefäßes mit Deckel erkennen laſſen, der als Grundtypus 
der Hausurnen anzuſehen iſt, der übrigens — wie hier vorweggenommen wer: 
den mag — auch den Ausgangspunkt für die Gefäßform der Geſichtsurnen 
gebildet zu haben ſcheint: man vgl. die Hausurne von Tolleſtrupp (Abb. Au 
und Behn, Taf. 21b) mit den Geſichtstürurnen Eilsdorf B, A und C (Abb. 4k 
und | und Behn, Taf. 16e, d und f). Aber auch ohne dieſe genaue Analnje 
fällt der archaiſche Typus der jütiſchen Urnen und die Unbeholfenheit ihrer 
Geſtaltung gegenüber den ſüdlichen und öſtlichen Formen ſofort auf. 

Wenn für irgend eine Gruppe, ſo iſt für die jütiſchen Exemplare die Be— 
zeichnung „Türurnen“ beſonders prägnant. Ihnen ſchließen ſich als nächſte 
Entwicklungsſtufen die ſchleswig-holſteiniſch-mecklenburgiſch⸗brandenburgiſchen 
Stücke einerſeits, die Bornholmer Stücke andererſeits an, indem ſie (um die 
von Behn gewählten Namen beizubehalten) !) die Türurne zur „Erdkuppel-“ 
(Abb. Zi) und „Selthütte“ (Abb. Ze), ſchließlich zur „Rundjurte“ (Abb. Sin 
unden) weiterbilden, während die Urne von Seedorf noch dem atchaiſch— 
jütiſchen Typus der Türurne (wie Abb. 3s) entſpricht. 

Dem Typus der ,Rundjurte” entſprechen auch die ſchwediſchen Haus» 
urnen (Abb. 3h), die übrigens eine gewiſſe einheitliche Sonderentwicklung, 
die man vielleicht als „ſchwediſchen Typus“ bezeichnen könnte, nicht ver— 
miſſen laſſen. Er iſt gekennzeichnet durch die trichterförmige Huſpitzung des 
Daches, das glatte, faſt ſenkrechte Aufſtreben des Gefäßkörpers und die reiche 
Bemalung, die allerdings auch in der oſtanhaltiſchen Gruppe mehrfach nach— 
gewieſen iſt (Muſeum Serbſt, z. B. Abb. 5). 

Ihre reichſte und vielſeitigſte Entwicklung aber erfahren die Hausurnen 
in dem ſüdlichſten Sentrum ihrer Ausbreitung, dem nördlichen und öſtlichen 
Harzvorlande. Während die älteſten dort vorkommenden Typen als „Erd— 
kuppelhütte“ [Burgkemnitz, Unjeburg (Abb. 3i), Groß-Kühnau, Swintichöna] 
oder „Rundzelthütte“ [Polleben (Abb. 3k), Deſſau, Tochheim (Abb. Ai noch 
ganz an die Formen der däniſch-holſteiniſch⸗-brandenburgiſchen Funde (Tolle: 
ſtrup, Braak, Seddin, Abb. Ar und e) anknüpfen, die einfachen Rundjurten 
mit Schilddach (Schwanebeck-Wulferſtedt, Klus, Abb. In) den fortgeſchrittenen 
mecklenburgiſch-nordweſtbrandenburgiſchen Typen (Kickindemark, Abb. Im, 
Gandow, Luggendorf) entſprechen, erwächſt in der Folge aus Gielen ver: 


1) Wenngleich ich mit der Ausdeutung und den Folgerungen, die Behn an dieſe 
Bezeichnungen knüpft, keineswegs in allen punkten einverſtanden bin, halte ich es doch 
für zweckmäßig, ſeine einmal eingebürgerten Typenbenennungen hier beizubehalten. 
Nur in der Suteilung der Gefäße zu den einzelnen Typen bin ich in einigen (allerdings 
unerheblichen) punkten deshalb abgewichen, weil für meine Unterſuchung nicht die in 
den Gefäßen geſehenen Hausvorbilder, ſondern allein die innere Derwandtſchaft der 
Gefäßformen maßgeblich war. gl. dazu die Ausführungen von W. Schulz: uber 
Hausurnen in Mannus, Bd. 17, 1925, S. 8üff. und Hintze: Die anhaltiſchen Haus» 
urnen. Anhaltiſche Geſchichtsblätter Heft 1, S. 19ff. Cöthen 1925. 


102 NE Carl Engel [7 


hältnismäßig primitiven Formen nunmehr die ganze Fülle mannigfacher 
Geſtaltungsmotive, die allein in der nordharziſchen Hausurnenkultur vor: 
kommen, und die in dem Ovaljurtentypus (3. B. von hoym D, Abb. 30), 
in den dachverzierten Stücken von hoym (Abb. 5) und Wilsleben (Abb. 3 p) 
und dem „Rechteckhauſe“ von Königsau (Abb. Ir) gipfeln. Als eine recht 
altertümliche Form ijt wohl die Türurne von Nienhagen (Abb. 3s) anzuſehen, 
die nach dem Typus der Deckeldoſe von Klein⸗Gottſchow (Abb. 4c) gearbeitet iſt. 

Eine vollſtändige Sonderſtellung nehmen zunächſt ſcheinbar die Dom, 
merellenſchen Pfahlhausurnen (Abb. 4b) ein, die außer der Idee der haus⸗ 
form und des Türausſchnittes zu keiner anderen Gruppe Beziehungen auf: 
zuweiſen ſcheinen. vergegenwärtigen wir uns aber, daß aus ihrer unmittel⸗ 
baren Nähe — dem unteren Weichſelland — die bereits oben zitierte, ſehr 
primitive Pfahlurne unbekannten Sundorts (Abb. 4a und Behn, Taf. 11a, b) 
ſtammen muß, ſo iſt die Beziehung zu der „Erdkuppelhüttenform“ der Born⸗ 
holmer Stücke (Abb. Sf und Behn, Taf. 21f und g) ſofort gegeben, und 
wir ſehen auch hier eine zuſammenhängende Entwicklungsreihe, bei der frei⸗ 
lich die Übergänge zwiſchen dem Gefäß Abb. 4a und den hoch komplizierten 
„Vierecksbauten“ der Cauenburger Pfahlhausurnen (Abb. 4b) noch nicht 
aufgefunden worden ſind. Allein die ſonſt nirgends vorkommende Erſchei⸗ 
nung der Standfüße genügt völlig, um auch hier die Verbindung herzuſtellen, 
die ſelbſt Behn unbewußt gelungen iſt, obwohl er von ganz anderen Doraus- 
ſetzungen und mit ebenſo verſchiedenen dielen an den Stoff herantrat. 

Auch die tnpologiihe Methode führt zu dem gleichen Endergebnis wie 
die chronologiſche. Aber ſie zeigt nicht nur, daß die älteſten Formen der haus⸗ 
urnen ſich im Norden finden, die jüngeren im Süden: ſie läßt auch erkennen, 
daß der Urtyp der Hausurne im Norden Dänemarks entſtanden iſt und ſich 
von dort in drei Richtungen: 

1. über Schleswig⸗ Holſtein, das untere und mittlere Elbgebiet zum Nord— 
harzlande, 

5 2. über Seeland⸗ Bornholm nach Pommerellen und dem unteren Weichſel⸗ 
gebiet, 

3. über Seeland⸗Südſchweden nach Gotland 
in immer komplizierter werdenden Formen fortgepflanzt hat (vgl. Abb. 2). 
Die Entwicklung umzukehren und die nördlichen Formen als Entartungen 
der ſüdlichen zu deuten, ift tupologiſch unmöglich, da die ſtiliſtiſche Entwicklung 
in der aufgeführten Folge eine natürlich fortſchreitende Reihe ergibt, in der 
die jütiſchen Gefäße als archaiſche Formen am Anfang ſtehen. | 

Als dritte Beweisreihe wäre die geographiſche Verteilung der 
Funde anzuführen (Abb. 1). Die drei ſchmalen Linien von Funden, die von 
dem abgelegenen Jütland nach Süden, Südoſten und Nordoſten führen, 
können nicht in umgekehrter Richtung gelaufen fein. Selbſt dann nicht, wenn 
wir von einer Ausbreitung der „Hausidee“ im Sinne von Montelius!) oder 
Wahle?) ſprächen; auch dann nicht, wenn wir uns ihre Derbreitung auf 
ſchmalen Handelswegen dächten. Eine ſolche Ausbreitung müßte ſich in breiten 
Wellen vollzogen haben; niemals aber wäre ſie über eine ſchmale Inſelbrücke 
oder über die ſchmale Halbinſel Schleswig-Holſtein in Jütland zu ihrem End— 
ziel gelangt, ohne vorher auf die umliegenden Länder der Niederelbe oder 
der ſüdlichen Oſtſee abzufärben. 

Die berbreitung der Hausurnen in den aufgezeichneten Richtungen läßt 


/ Hulturgeſchichte Schwedens, S. 155 ff. 
2) Siche Anm. 3, S. 96. 


— — ——— • üM . —— 7 = 


8] Herkunft und Ausbreitung der früheiſenzeitlichen Hausurnen ujw. 103 


nur eine einleuchtende Erklärung zu: daß fie als Kulturgut oder auch als 
„Idee“ [Begriff des „hausgedankens“ wie Wahle!) jo treffend jagt] 
von auswandernden jütiſchen Stämmen nach Süden, Südoſten und — von 
Südſchweden aus — nach Nordoſten getragen find. Daß fie das Eigentum 
einer ganz beſtimmten und nicht einmal ſehr großen jütiſchen Volksgruppe 
geweſen ſein müſſen, zeigt ihr ſcharf umſchriebenes Vorkommen in geogra— 
phiſch eng begrenzten Gebieten‘). Dieſe jütiſche Dolksgruppe, die den Brauch, 
die Aſche des Toten in einem ſeinem hauſe nachgebildeten Gefäße beizuſetzen, 
bereits am Ausgang der Bronzezeit übte, ſah ſich am Beginn der nordiſchen 
Eiſenzeit aus uns vorläufig noch unbekannten Gründen (wer denkt nicht an 
den Klimaſturz am Anfang der Eiſenzeit, der die Einwohner des exponierten 
Jütland beſonders empfindlich treffen mußte!) veranlaßt, ſich andere, gün— 
ſtigere Wohnſitze zu ſuchen. Sie geriet bei ihrer Wanderſchaft in den Strom 
mehrerer, wohl aus ganz Dänemark nach Süden flutender Germanen|tamme. 
Bei der gegenſeitigen Berührung der wandernden Scharen ſplitterten Stam— 
mesteile ab und gelangten über Seeland nach Südſchweden, von wo aus ſie 
teils das nördlicher gelegene Gotland kolonifierten, teils mit anderen Schwär— 
men der übers Meer ſetzenden Oſtgermanen bis ans Weichſeldelta und nach 
Pommerellen gelangten; während die Hauptmaſſe der Hausurnenleute in 
ſcharf ſüdlicher Richtung über das untere und mittlere Elbgebiet ins nördliche 
und öſtliche Harzland vorſtießen, um hier ſeßhaft zu werden und allmäh— 
lich die ganze Dielgeſtaltigkeit der nord- und oſtharziſchen Hausurnenkultur 
zu entfalten. 

Daß auch im nordweſtlichen Brandenburg und ſüdweſtlichen Mecklen⸗ 
burg geringe Teile von ihnen ſitzen geblieben zu fein ſcheinen, dafür ſpricht 
die dort weiterlaufende Entwicklung der Hausurnen zu „Rundjurten“, wäh- 
rend fie im Harzvorlande wieder an die primitiveren Formen der „Erd— 
kuppel⸗“ und „Selthütte“ anknüpft. 

So bildet die Ausbreitung der Hausurnen ein Einzelbeiſpiel für 
den am Anfang der Eiſenzeit erfolgten nordgermaniſchen duzug 
nach Nordoſt- und Mitteldeutichland°), aus dem fic) bereits der Wan: 
derzug eines einzelnen Stammes und feiner Stammesſplitter herausichälen 
läßt. Wenn bei künftigen Hausurnenfunden im nordiſchen Gebiet die Begleit— 
umſtände beſſer verfolgt und ſchärfer erfaßt werden können als bisher, beſteht 
die Hoffnung, daß fic) auch die Dauer des Suges klarer ermitteln läßt als 
ietzt, daß wir mit anderen Worten feſtſtellen können werden, welche Seit— 
räume zwiſchen dem Auftreten der Hausurnen in den einzelnen Etappen oer: 
ſtrichen ſind. 

Don beſonderem Intereſſe iſt die Auswirkung, die das Erſcheinen der 
früheiſenzeitlichen hausurnen im Nord- und Oſtharzgebiet in kultureller 
Beziehung auslöſt. Tatſächlich treten die Hausurnen hier unvermittelt und 


1) Siehe Anm. 3, SG 96. 

2) Man mag mit Jacob-Frieſen (Grundfragen der Urgeſchichtsforſchung, Hans 
nover 1928, S. 145 ff.) allen Derfuchen, auf Grund der Ausbreitung von Kulturformen 
Stammes» oder Dölkerwanderungen zu konjtruieren, zweifelnd gegenüberſtehen: die auf 
der Karte (Abb. 1) auftretenden, ſcharf umſchriebenen und eng begrenzten Ausbreitungss 
linien dürften ſich weder mit der Derbreitung auf Handelswegen noch mit „Ideen-“ und 
Kulturausbreitung zwanglos erklären laſſen. 

) uber die am Anfang der Eiſenzeit von Dänemark und Schleswig:Holjtein aus 
einſetzende Ausbreitung der Germanen und die damit zuſammenhängende Bevölkerungs— 
zunahme in Norddeutſchland, die übrigens auch in Mitteldeutſchland deutlich zu ſpüren 
iſt, vgl. auch Schwantes, 6: Die Germanen in Volk und Raſſe. Ig. I. 1926, S. 81 82. 


104 Carl Engel [9 


ohne Vorgänger in einem Grenzgebiet auf, das jeit der mittleren Bronzezeit 
beſtändig von verſchiedenartigen Kulturſtrömen beeinflußt wurde und in der 
jüngeren Bronzezeit eine nordiſch-lauſitziſche Miſchkultur von eigenartigem 
Charakter beherbergt. Daß das Auftreten der Hausurnen in ihm den Beginn 
der endgültigen Germaniſierung bezeichnet, iſt von Koſſinna bereits ſeit 
langem erkannt und mehrfach ausführlich gewürdigt worden!). Don einer 
rein lauſitziſchen Kultur kann in dieſen Gebieten freilich ſchon in der letzten 
Periode der Bronzezeit nicht mehr die Rede ſein. Der in ihnen in der zweiten 
Hälfte der Periode III einſetzende, in der Periode IV feinen Gipfel erreichende 
lauſitziſche Einfluß beginnt ſchon mit dem Anfang der Periode V zu Det 
blaſſen. Wenngleich die dieſer zuzurechnende Keramik im nördlichen und öſt⸗ 
lichen Barzvorlande (bis zum Fläming hin) vielfach (jedoch durchaus nicht 
ausſchließlich) noch immer ſpätlauſitziſche Formen aufweiſt, ſo läßt ſich doch 
andererſeits die nordiſche Grundſtimmung der fie tragenden Kultur (die lid 
3. B. in der Errichtung von Hügelgräbern mit Steinkiften zeigt) nicht oer, 
kennen. Suſammenfaſſend wird man ſagen dürfen: der ſeit dem Ende von 
Periode III durch lauſitziſche Einflüſſe unterdrückte nordiſche Charakter der 
nord- und oſtharziſchen Bronzezeitkultur beginnt ſich ſeit dem Anfang von 
Periode V wieder ſtärker durchzuſetzen und die ihr aufgeprägten lauſitziſchen 
Formen immer mehr abzuſtreifen?). Das Erſcheinen der Hausurnen bringt 
den entſcheidenden Wendepunkt und die endgültige Germaniſierung des ſchon 
vorher ſtark nordiſch geſtimmten Gebietes. Seit ihrem Auftreten beginnt die 
lauſitziſche Formenwelt endgültig zu verſchwinden. Noch auf den Hausurnen- 
gräberfeldern treten lauſitziſche Formen — namentlich als Begleitgefäße (3. B. 
Billendorfer Henkelkännchen) — nicht ſelten auf?). Mit dem Ende der Haus: 
urnenzeit gehören fie der Vergangenheit an: die endgültige Germaniſierung 
des Nord- und Oſtharzgebietes ijt vollzogen. 

Nur ſtreifen möchte ich in dieſem Zuſammenhange die engen Be— 
ziehungen zwiſchen haus- und Geſichtsurnenkultur, die bereits ein 
Blick auf die Karte (Abb. 1) erkennen läßt. Daß Geſichtsurnen und Geſichts⸗ 
türurnen (Abb. 41, m) auf den nordharziſchen Hausurnenfeldern auftreten, 
hat bei ihrer Entdeckung zu ihrer zeitlichen Gleichſetzung und damit erſt zur 
klaren Erkenntnis der Seitſtellung der mitteldeutſchen Hausurnen geführt). 

Wie die Verbindung beider räumlich fo weit getrennter Erſcheinungen — 
der nordoſt⸗ und mitteldeutſchen Geſichtsurnenkultur — zu erklären fet, dar: 
über war man ſich bis heute im unklaren. Die Karte (Abb. 1) zeigt auch 
hier deutlich, daß die Suſammenhänge zwiſchen dieſen beiden geographiſch 


1) Sulegt im „Urſprung und Derbreitung der Germanen in vor- und frühgeſchicht— 
licher Seit“ SC 6, Leipzig 1928, S. 35ff. und Karte Abb. 35), vgl. dazu 
Wahle wie Anm. 3, S. 

) Eine ausführlichere Darſtellung dieſer Verhältniſſe mit entſprechendem Karten: 
material findet ſich in Engel, C.: Bilder aus der Vorzeit des mittleren Elbgebietes. 
Bd. I. Burg 1929. 

3) Dal. hierzu beſ. das reiche Abbildungsmaterial bei König, M.: Ein Gräber: 
feld der Hausurnenzeit bei Uleckewitz in Anhalt. Mannus, Bd. 18, 1926, S. 261—284 
mit 75 Textabbildungen u. 7 Tafeln. 

1) Auch Peterſen, der in neuerer Seit am eingehendſten die chronologiſche Frage 
der Geſichtsurnenkultur erörtert hat, ijt (laut brieflicher Mitteilung) der Anſicht, daß 
die Anfänge der oſtdeutſchen Geſichtsurnenkultur mit der mitteldeutſchen Hause und 
Geſichtsurnenkultur zeitlich gleichzuſetzen find, daß ſich jedoch im weiteren Verlauf die 
oſtdeutſche Geſichtsurnenkultur länger hält als die mitteldeutſche Hausurnenkultur. Dal. 
vorgeſchichtliche Forſchungen II, 2: peterſen, E., Die frühgermaniſche Kultur in Ojt: 
deutſchland und Polen, Berlin 1929, beſonders 5. At, 1loff. 


10] Herkunft und Ausbreitung der früheifenzeitlihen Hausurnen ujw. 105 


weit getrennten Gruppen wie auch zwiſchen haus- und Gelidtsurnenkultur 
nicht in oſtweſtlicher Richtung, ſondern in dem gemeinſamen Ausitrahlungs- 
zentrum im Norden (Jütland) zu ſuchen ſind. 

Daß haus- und Geſichtsurnen dem gleichen Grundtyp entſprungen find 
— der hohen haubengedeckelten Urform der jüngſten ſchleswig⸗däniſchen 
Bronzezeit (Abb. 4 i, k) —, hat ebenfalls bereits Kojjinna!) erkannt. Wenn⸗ 
gleich echte Geſichtsurnen bisher meines Wiſſens in Dänemark und Schleswig 
nicht gefunden ſind, ſo treten jedoch unter der Keramik der ausgehenden 
Bronzezeit bereits Formen auf, die eine Andeutung der ſpäteren Geſichts— 
merkmale erkennen laſſen, wie z. B. das Gefäß Abb. 4e, deſſen Verzierungen 
wohl nur als Andeutungen von Geſichtszügen (Mase, Augen) zu verſtehen 
find. In dieſem Zuſammenhange möchte ich auch auf ein von Freſtede (Kreis 
Süder⸗Dithmarſchen) ſtammendes Gefäß (Abb. 4 f)) hinweiſen, deſſen Henkel: 
verzierung kaum anders als als Andeutung eines Geſichtes zu erklären iſt. 
Selbit wenn es aus einer füdlicheren Gegend ſtammt und — wie dies 
Schuchardt?) tut - in eine etwas frühere Seit zu ſetzen fein ſollte, jo be» 
weiſt das doch nur, daß in der nordiſchen Bevölkerung Dänemarks und 
Schleswig-Holfteins ſchon ſeit langem der Gedanke ſchlummerte, der Leichen: 
brandurne, die die Aſche eines Toten barg, Süge eines menſchlichen Geſichtes 
aufzuprägen, wenn er auch erſt mit dem Beginn der Eiſenzeit in der Geſichts— 
urne klar umſchriebene Formen annahm. Daß aber Haus- und Geſichts— 
gedanke bei der Totenbeſtattung auf einen gemeinſamen Urſprung zurück— 
gehen oder — vorſichtiger ausgedrückt — engſte Berührungspunkte auf— 
weiſen“), geht ſchon aus ihrer Dereinigung in der Geſichtstürurne hervor, 
einer Erſcheinung, die wiederum nicht auf das Nordharzgebiet (3. B. Eils— 
dorf, Abb. Al) beſchränkt iſt, ſondern auch in Pommerellen und Weſtpreußen 
[Obliwitz, Klein-Katz, Abb. Am, Dirihau”)] gleichermaßen auftritt. Schließ— 
lich zeigen auch die Begleitgefäße der oſtdeutſchen Geſichtsurnenkultur 
(Abb. 4h) engſte Derwandtichaft mit gleichartigen Gefäßen der ſpäteſten 
Bronzezeit aus Schleswig-Holſtein (Abb. 4x) und Dänemark, was ſich 
namentlich hinſichtlich der eigenartigen Henkelanſätze (vgl. Abb. 4d, If und 
4x mit 4h) zeigt. 

Soviel dürfte aus der vorliegenden Unterſuchung mit Sicherheit hervor— 
gehen, daß der Urſprung der mittel- und oſtdeutſchen haus- und 
Geſichtsurnenkultur im gleichen nordiſchen Urſprungslande (Däne— 
mark) zu ſuchen ijt, und daß ihr Auftreten im Nordharzgebiet und 
in Oſtdeutſchland den mit der frühen Eiſenzeit einſetzenden Beginn 
der endgültigen Germaniſierung dieſer Gebiete bedeuten dürfte. 

Wie die Dermiſchung von Haus- und Geſichtsurnenkultur vor Idi ge: 
gangen ſein mag, iſt vorläufig ſchwer zu beurteilen. Am einfachſten dürfte 
noch die Vorſtellung fein, daß ſich die auf der Wanderung begriffenen Stämme 
berührten und in ähnlicher Weiſe Stammesſplitter austauſchten, wie uns dies 
in geſchichtlicher Seit von den Kimbern und Teutonen bezeugt iſt. Auf dieſe 


1) Die deutſche Vorgeſchichte eine hervorragend nationale Wiſſenſchaft. Mannus— 
bibl. 9, J. Aufl. Leipzig 1925, S. 140--122. 

2) Staats-Muſeum Berlin, I, 1059. 

) Vorgeſchichte von Deutſchland, S. 154. 

) Dal. Behn, hausurnen, S 38f. 

>) Die Dirſchauer Urne iſt, wie ich einer Mitteilung Ta Baumes verdanke, ihrem 
Charakter als Geſichtstürurne nach nicht ſichergeſtellt. Wir kennen das heute ver: 
ſchollene Stück nur aus einer unklaren Abbildung (Schriften d. Phyſik.⸗Hkon. Gef. 
zu Königsberg XIII, 1872, Taf. V, Abb. 2). 


106 Carl Engel, Herkunft und Ausbreitung der früheiſenzeitlichen Hausurnen uſw. [11 


Weije würde ſich zwanglos das Auftreten einiger hausurnen in dem großen 
oſtdeutſchen Geſichtsurnengebiet und einiger Geſichtsurnen in der in Mittel- 
deutſchland vorherrſchenden Hausurnenkultur erklären. 


Verzeichnis der neueren Literatur über hausurnen, 
die ſeit Behns hausurnen (Dorgeſchichtl. Forſchungen, Bd. I, Heft 1, Berlin 
1924) neu erſchienen und in dieſer Arbeit nicht aufgeführt iſt. 


Schulz, W.: Das germaniſche Haus in vorgeſchichtlicher Seit. Mannusbibl. Nr. 11, 
2. Aufl., Leipzig 1923. 
EE Dorgef ichtliche Funde der. 3 Fabre aus dem Kreiſe Cöthen. Mannus, 
Erg.⸗Bd. IV, 1925, S. 44—46, mit 2 
HE G.: Beſprechung neuerer d Mannus, Erg.⸗Bd. IV, 1925, 
51 


Hinze und M. König: Einige bemerkenswerte Funde aus dem Serbſter Schloßmuſeum. 
Mannus, Erg.-Bd. IV, S. 175 — 176, mit 3 Abb. 

Hinze: Die anhaltiſchen hausurnen. Anhaltiſche Geſchichtsblätter I. Cöthen 1925. 
S. a 23, mit 1 Tafel. 

Schulz, W.: über Hausurnen. Mannus, Bd. 17, 1925, S. 81 ff., mit 6 Abb. 

König, M.: Hausurnenfund bei Froſe in Anhalt. Mannus, Bd. 17, 1925, S. 335— 335, 
mit 2 Tafeln. 

König, M.: Ein Gräberfeld der Hausurnenzeit bei Uleckewitz in Anhalt. Mannus, 
Bd. 18, 1926, S. 261—284, mit 75 Abb. und 7 Tafeln. 

Doges, Th.: Hausurnen am Hejeberge bet Jerrheim. Mannus, Bd. 20, 1928, S. 185. 

Kunkel, O.: Eine neue oſtpommerſche Pfahlhausurne. Mannus, Erg.⸗Bd. VI. Koffinna- 
Feſtſchrift 1928, S. 32—35, mit A Abb. 

König, M.: Die Geſichts⸗ und Türurne von Rietzmeck in Anhalt. Mit 6 Abb. Mannus, 
Erg. Bd. VI (Koſſinna-⸗Feſtſchrift), 1928, S. 117-120. 


— —— ————h . . — ͤA— —ꝛ—T: 


Knowiſer Kultur in Thüringen 
und vorgeſchichtlicher Kannibalismus 


Don Studienaſſeſſor Ernſt Lehmann, Erfurt 
Mit 10 Abbildungen im Text 


A. Knowiſer Kultur in Böhmen, Süddeutſchland und Thüringen 


Knowis in Böhmen, der Fundort einer ausgedehnten Siedlung der älteren 
Eiſenzeit, hat der Knowiler Kultur den Namen gegeben. Nach Buchtela (1) 
und Menghin (2) ſaß die einheimiſche Bevölkerung in Böhmen am Ende 
der Bronzezeit vorwiegend im Weſten. Um dieſe Seit gelang der Cauſitzer 
Bevölkerung Oſtdeutſchlands ein Einbruch nach Nordböhmen und Mähren; 
danach breitete ſie ſich auch nach Niederöſterreich und den nördlichen Dit: 
alpen aus. In Böhmen hat alſo die dort ſogenannte ältere Cauſitzer Kultur 
nordöſtliche Verbreitung. Aus ihr entwickelte ſich die jüngere Lauſitzer Kultur 
Böhmens, die von Menghin ſchon als ältere Knowiſer Kultur bezeichnet 
wird. Als der Einbruch der ſchleſiſchen Kultur, die in Schleſien als Abſenker 
der Cauſitzer entſtanden war, nach Nordoſtböhmen erfolgte, wich die jüngere 
Cauſitzer Bevölkerung nach Weſtböhmen aus und erzeugte dort mit der ein: 
heimiſchen Bevölkerung die (jüngere) Knowiſer Kultur, die Menghin von 
1000 bis 850 vor Chriſti datiert (3). Das in Böhmen oſtweſtlich gerichtete 
Ausbreitungsbeftreben der Knowiſer Kultur macht verſtändlich, daß fie teil: 
weiſe auch über die Weſtgrenze Böhmens hinausgedrungen iſt; man hat be— 
ſonders in der Oberpfalz (4) und in Mittelfranken (5), vereinzelt auch im 
Untermaingebiet (6) die für die Knowiſer Kultur bezeichnenden Etagengefäße 
oder Doppelurnen gefunden. Abb. 3, 4 zeigt ein derartiges Gefäß von Alten— 
ſittenbach in Mittelfranken (5). 

Uber das Vorkommen der Knowiſer Kultur in Thüringen habe ich in der 
Literatur nur eine Angabe gefunden: Walther Schulz ſchreibt (7), daß die 
ſpätbronzezeitlichen Siedlungen in Halle, beſonders auf dem Hofe der Landes— 
anſtalt, ihr angehören, wie zuerſt G. Krüger erkannt hat. Ich verdanke 
Herrn Prof. Dr. Schulz auch den Hinweis auf ein bei Köthen als Beigabe 
eines Skelettgrabes gefundenes Gefäß der Knowiſer Kultur (Abb. 3, 5) (8) 
und auf ein Bruchſtück aus einem Steinhügelgrab der Periode V bei Ranis, 
Kreis Siegenrück (0). Ferner beſitzt die Jenaer Sammlung ein ſolches Gefäß von 
Ammerbach bei Jena (Abb. 3, 1) (10). Über Funde von Erfurt-Nord und 
vom Seeberg bei Gotha wird im folgenden berichtet. 


B. Siedlungsfunde mit Knowiſer Kultur von Erfurt⸗Nord 


Bei Erfurt-Nord habe ich eine umfangreiche Siedlung der Unowiſer 
Kultur aufgedeckt, über die ich in Mannus, Bd. 20, S. 74, bereits einige 


108 Ernſt Lehmann [2 


Angaben gemacht habe. Die Hauptfundſtelle liegt in der Geraniederung am 
Nordende von Erfurt-Nord zu beiden Seiten der Mittelhäufer Canditraße, 
eingeſchloſſen von der Riethſtraße und den Grundſtücken von Man, Wenzel, 
Rheinſtahl und Born. Das Gelände bildet dort eine Bodenſchwelle von un— 


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Abb. 2. Kellergruben von Erfurt-Nord 


gefähr 500 m oſtweſtlicher Ausdehnung und geringer Höhe, die oftwärts von 
der Cache, einer jetzt trockenen Bodenſenkung etwas nordweſtlich vom Bahn— 
hof Erfurt-Rord, weſtlich vom Abfall nach der ſchmalen Gera begrenzt wird. 
Jedoch auch das weiter oſtwärts (Gruben: und Teichſtraße) und nordwärts 
(bis zum Roten Berg und Gispersleben) ſich anſchließende Gelände war be— 
ſiedelt, wie Grab- und Grubenfunde beweiſen (11). 

Die beim Kiesgrubenbetrieb freigelegten Siedlungsgruben von Erfurt— 


3] Knowiſer Kultur in Thüringen und vorgeſchichtlicher Kannibalismus 109 


5 


Rz · Roter Berg bei Erfurt 


10 


d Erfurt-Nord 


Abb. 3 


Hehe Stadt 


Erfurt. 


Nord find zu trennen in Kellergruben, Abfallgruben und Seuergruben. Die 
Keller: oder Dorratsgruben (Abb. 2) bilden manchmal eine Front, einen Straßen⸗ 
zug andeutend (Abb. 1, 1 und 7) (12); fie find gewöhnlich nicht über mannstief, 
kreisrund mit geraden, melt ſenkrechten, manchmal auch etwas überhängen— 
den Wänden, die bei der lockeren Beſchaffenheit des Kiesbodens eine ehemalige 


110 | | Ernſt Lehmann | [4 


Holzauskleidung vorausſetzen; in ihrer Umgebung finden fic) oft Pfoſten⸗ 
löcher (Abb. 1, 1 bei b und c; eine Reihe bei Abb. 1, 3, dahinter in 1 m 
Abſtand die Kellergrube). Einmal wurden nach dem Abheben des an dieſer 
Stelle 30 em ſtarken Humus eine noch 35 cm in den Kies hinabgehende 
Seuergrube gefunden und in ihrer Umgebung ſieben 15 bis 20 cm breite 
und noch 10 em eingetiefte Pfoſtenlöcher, deren Abſtand etwa eine Balken⸗ 
oder Rutenlänge beträgt; ergänzt man vier in der Weſtecke, ſo ergibt ſich 
ein zweiräumiges Haus oder ein einräumiges mit Vorhalle (Abb. 1, 4) (13). 
Wandbewurfſtücke zeigen, daß der Oberbau der häuſer aus leichten Flecht⸗ 
wänden beſtand (14). 

Während die Kellergruben meiſtens nur wenige zufällig hineingeratene 
Scherben⸗ und Tierknochen enthalten, ſind die Abfallgruben reich an ſolchen 
Hausgerät⸗ und Mahlzeitüberreſten, Abb. 1, 5 zeigt eine ſolche von ziemlicher 
Tiefe, deren unterer Teil viele Scherben und Tierknochen enthielt; auch alte 
Kellergruben (Abb. 1,6 vom Roten Berg nördlich von Erfurt-Nord) und über⸗ 
haupt alle Bodenvertiefungen füllte man damit aus. 

Die Feuergruben von geringer Tiefe enthalten große Mengen grauer 
Holzaſche, in dieſen wurde Brot gebacken und Fleiſch gekocht oder gebraten. 
Scherben, die ſich in der Aſche als Sufallseinſchlüſſe fanden, waren feſt ge— 
ſintert, zum Teil zerſprungen oder auch geſchmolzen, Tierknochen verkohlt 
oder ſogar weißgebrannt, alles Seichen für wiederholte und ſtarke Seuer- 
wirkung. In der Regel ſind die auf Siedlungen gefundenen Tierknochen nicht 
angebrannt, auch nicht längsgeſpalten, wie es oft heißt, ſondern in kleine 
Stücke quer zerſchlagen, um das Fett herauszukochen. 

Don beſonderen Funden find zu nennen zwei typiſche Gefäße der Knowiſer 
Kultur (Abb. 3, 2 graubraun und 3 ledergelb); ein ſehr großes Gefäß von 
rund 56 Liter Inhalt (Abb. 3, 17); ein Teller, deſſen Rand ſchrägliegende, 
mit einer weißen Maſſe ausgefüllte Kerben hat (Abb. 3, 19); hohe Kochtöpfe, 
geeignet, um in der heißen Aſche der Seuergruben ſtehen zu können (wie 
Abb. 3, 15, die als Beiſpiel ein ſolches Gefäß von der Srüh-Latene-Siedlung 
auf der hohen Stadt vor dem Andreastor bei Erfurt zeigt); ein Siebgefäß 
ſtand ohne Fundort in einer alten Erfurter Sammlung, ſtammt aber ſehr 
wahrſcheinlich auch von Erfurt⸗Nord (Abb. 3, 12); die Feuerböcke (Abb. A 
7 und 8 von Erfurt-Tlord, 9 und 10 vom Roten Berg bei Erfurt) find Re⸗ 
konſtruktionen nach Bruchſtücken; Schlitten- oder Schleifenkufenknochen wur- 
den mehrfach gefunden, ſie haben keine beſonderen Befeſtigungslöcher, müſſen 
daher, wie Abb. 3, 25 (von der Seite) zeigt, in die Kufen eingefügt geweſen 
fein (15); Abb. 8 zeigt außer vier Feuerbockbruchſtücken (das knieförmige 
ſtammt vom Roten Berg) folgende zuſammengefundene Tonfiguren: drei 
Bruchſtücke von vogelförmigen oder pferdekopfähnlichen Gebilden (keine 
Klappern, da nicht hohl), ein armförmiges Stück (links unten), ferner ein 
löffelförmiges Stück (rechts Mitte), das möglicherweiſe eine hand oder einen 
Dogelihwangz ſtiliſiert darſtellt (16). Getreidefunde habe ich im Nachrichten⸗ 
blatt für deutſche Vorzeit, 1928, Heft 6, S. 89 und 90 veröffentlicht: Abb. 7 
zeigt Lehm mit Gerſtenabdrücken und zwei Plaſtilinabdrücke eines Gerſten— 
korns von einer Gefäßſcherbe; Abb. 9 zeigt zuſammengebackene und halb 
verkohlte Leindottenkörner. 

Als Haus- und zugleich Schlachttiere ſind nachgewieſen ein kleinwüchſiges 
Kurzhornrind, Schwein, Schaf und Siege, auch das Pferd und der Hund. 
Mehrfach wurden einzelne hundeknochen als Mahlzeitüberreſte gefunden, ge: 
legentlich auch ſämtliche Knochen eines einzelnen Beines; in einem Falle hatte 


5] Knowifer Kultur in Thüringen und vorgeſchichtlicher Kannibalismus 111 


man ein ‚Dorderbein durch Steinſchläge auf das Ellenbogengelenk zu zer— 
trennen verſucht; aus den Kiefern wurden die Eckzähne herausgebrochen, 
wohl um ſie als Schmuckſtück oder Amulette zu verwerten. In einer Grube 
wurden zwei vollſtändige Hundeſkelette nebeneinander gefunden, ſehr wahr: 
ſcheinlich nicht als verſcharrte Kadaver, ſondern als Tierbeſtattung zu deuten, 
wie ſie mehrfach bekannt geworden ſind (17). 


C. Grabfunde aus der jüngeren Bronze- und älteren Eiſenzeit 
von Erfurt⸗Nord 


Auf dem Siedlungsgelände am Nordende von Erfurt-Nord wurde einmal 
ein leider ſchon teilweiſe zerſtörtes menſchliches Skelett unter Umſtänden be⸗ 
obachtet, die annehmen laſſen, daß es ſich hierbei um eine Beſtattung in einer 
Keller: oder Abfallgrube handelt, wie jie in der Knowiſer Kultur Böhmens 
als Einzel⸗ oder Maſſengräber auch in hockender Lage aus Siedlungen be— 
kannt geworden ſind (18). Auch in Thüringen kommen ſolche Beſtattungen in 
Gruben vor; jo wurden 1925 bei Collenben, Kreis Merſeburg, mehrere 
große Wohn: oder Abfallgruben der ſpäten Bronzezeit aufgedeckt. Darin 
fanden ſich eine große Anzahl von Scherben, Tierknochen, darunter zwei zum 
größten Teil erhaltene Rinderſkelette, und die Skelette und Knochenreſte von 
vier erwachſenen Menſchen und einem Kinde, die in den Gruben unter Beis 
gabe der Scherben und Tierknochen beſtattet oder in dieſe zuſammen mit allem 
möglichen Abfall hineingeworfen waren (19), um ſich der Leichen von Sklaven 
oder anderen Perſonen niederen Standes zu entledigen, was ich für das 
Wahrſcheinlichſte halte (20), da aus dieſer Seit und aus der Knowiſer Kultur 
ſehr wohl auch regelrechte, mit Beigaben ausgeſtattete Brand- und shelett— 
gräber bekannt ſind. 1928 beobachtete ich auf dem Gelände der Früh⸗ 
Latène⸗Siedlung auf der Hohen Stadt bei Erfurt einen Keller von umge- 
kehrter Trichterform, auf deſſen Boden ein menſchliches Skelett lag. Scherben 
eines groben Gefäßes waren einem Skelett beigegeben, das in der Nordoſtecke 
des Flughafens (nicht auf dem ſpätbronzezeitlichen Friedhof) lag. In eigen⸗ 
tümlicher Hockſtellung lag ein 5 Skelett zwiſchen den Kiſten⸗ 
langgräbern auf dem Flughafen (21). 

Um regelrechte Beſtattungen handelt es ſich bei Flachgräbern mit Ske⸗ 
letten, die in früheren Jahren am Nordende von Erfurt-Nord (früher Ilvers⸗ 
gehofen) (22) aufgedeckt wurden; ob dieſe aber zur Kultur der in Rede ſtehen— 
den Siedlung gehören, iſt fraglich; eine Amphore von Erfurt-Nord, die ebenſo 
wie viele andere wertvolle Funde aus der Erfurter Gegend mit der Samm⸗ 
lung Sſchieſche (23) nach halle gewandert iſt, gehört nicht der Knowifer 
Kultur an, ſondern der Kultur des von mir aufgedeckten ſpätbronzezeitlichen 
Friedhofs auf dem Flughafen nördlich von Erfurt-Nord (24). Dagegen ſind 
im Gebiet der Gruben- und CTeichſtraße (s. o. unter B) Brandgräber gefun— 
den, die wohl zu der Knowiſer Siedlung gehören können, die ſich auch nach 
diefer Richtung ausgedehnt hat, denn auch die Etagenurne auf Abb. 3, 2 
wurde daſelbſt vor Jahren unter nicht mehr zu ermittelnden Umſtänden auf: 
gedeckt; ihre tadelloje Erhaltung macht es wahrſcheinlich, daß fie ſelbſt zu 
zu einer Grabausſtattung gehörte. Unter den eben genannten ſchmuckloſen 
und auch in der Form wenig charakteriſtiſchen Leichenbrandgefäßen befindet 
ſich eine mit einem in den Boden geſchlagenen Loch (Abb. 3, 15), das mit 
einer in den Boden paſſenden Scherbe wieder verdeckt war, ein ſogenanntes 


112 Ernſt Lehmann [6 


Seelenloch alſo; derartiges wird neuerdings auch als abſichtliche Beſchädigung 
(Unbrauchbarmachung) des Gefäßes gedeutet (25), ſowie auch ſonſt eine Ser⸗ 
ſtörung („Tötung“ oder Opferung) von Beigaben eine bekannte Erſcheinung 
ijt. Don der Fundſtelle der Brandgräber im Gelände der Gruben- und CTeich⸗ 
ſtraße ſtammt auch eine Amphore der ſpäten Bronzezeit (24). 


D. Kannibalenfunde von Erfurt⸗Nord 


Die Siedlung bei Erfurt-Nord gewinnt eine erhöhte Bedeutung durch den 
Umſtand, daß es mir gelungen iſt, meiner Überzeugung und Erfahrung nach 
ganz einwandfreie Beweiſe für einen ausgedehnten Kannibalismus aufzu⸗ 
decken. Entſcheidend iſt hierbei beſonders der Umſtand, daß nicht nur einmal, 
ſondern in einer ganzen Reihe von Fällen unter dem Siedlungsabfall Men⸗ 
ſchenknochen gefunden wurden, denen keine andere Behandlung zuteil ge- 
worden iſt als den Knochen der Schlachttiere: 


Abb. A Erfurt⸗Rord. Kannibalenmahlzeit. 1/6,9 


1. In der Tiefe einer Grube (an der auf Abb. 1, 1 bei a angekreuzten 
Stelle wurden außer Scherben und Tierknochen und zwei Knochenpfriemen 
drei menſchliche Skelettſtücke gefunden, nämlich zwei Schädelſtücke und ein 
Oberſchenkelſtück. Die Knochenreſte gehören wohl einem einzigen, wahrſchein⸗ 
lich jungen weiblichen Menſchen an. Die Schädelſtücke ſind auf Abb. 6 
unten links und rechts zu ſehen; ihre Ränder ſind ſcharfzackig, zum Teil 
meſſerſchneidenartig dünn, wie beſonders der Querſchnitt des größeren zeigt 
(Abb. 3, 20). Nur ein friſcher Knochen liefert beim Serſchlagen derartige 
Bruchſtücke. Das größere Schädelſtück ijt ferner auf der Innenſeite durch Be⸗ 
rührung mit heißer Aſche angekohlt. Das Oberſchenkelſtück ijt ein auf natür⸗ 
liche Weiſe in der noch nicht verwachſenen Trennungslinie zwiſchen Diaphyſe 
und Epiphyſe abgelöſtes oberes Gelenkende, das auf der Gelenkfläche ſtark 
zerſtoßen und zerſchrammt iſt. 

2. In einer Siedlungsgrube unter Abfall ein einzelnes Schädelſtück 
(Abb. 6 unten Mitte). 

5. Ein handgroßes Scheitelbeinſtück aus einer Grube. 


71 Knowifer Kultur in Thüringen und vorgeſchichtlicher Kannibalismus 113 


4. Das untere Drittel der auf Abb. 1, 5 dargeſtellten Abfallgrube war 
mit Scherben und Knochen reich gefüllt; vor meiner Ankunft war jedoch der 
größte Teil, unter dem fic) angeblich auch Reſte von zwei Menſchenſkeletten 
befanden, herabgeſtürzt und auf dem Boden der Kiesgrube achtlos zertreten 
und zerfahren worden; in dem an der Wand noch erhaltenen Teil ſteckten 
noch einige Tierknochen und ein menſchliches Schädeldach (Cangſchädel), das 
beim Herauslöſen zerbrach; die Ränder, ſoweit ſie unverletzt geblieben ſind, 
zeigen, daß man es vom Schädelunterteil durch ringsherum gehende (Gm, 
ſchläge ablöſte. 

5. Nicht in einer Grube, ſondern in der dem Kies aufliegenden Kultur⸗ 

ſchicht, aber noch außerhalb des Bereichs der Pflugſchar, neben Scherben 
und Tierknochen ein einzelner , 
Menſchenſchädel (Kurzſchädel) ohne 
Unterkiefer; das Gebiß und das 
rechte Jochbein ſind abgeſchlagen; 
in den Sahnfächern ſtecken noch 
Reſte der dahnwurzeln (Abb. 5). 

6. Auf dem Boden einer mit 
grauer Aſche und Scherben erfüllten 
Grube eine große Anzahl zerſchla⸗ 
gener Menſchenknochen, die von 
einem männlichen Erwachſenen her⸗ 
rühren (Abb. 4). Die Knochen und 
ihre Bruchſtellen ſind teilweiſe mit 
Kalk bedeckt und dadurch auch noch 
in ger dE Lagerung 
miteinander verbunden; mit dem . 
Kalk find graue Aſche und Kohle: Abb. 5. Erfurt⸗Nord. Ste mit 
ſtückchen angekruſtet. Man ſieht R 
links unten auf Abb. 4 ein Ellen⸗ 
ſtück; das Handgelenkende iſt abgeſchlagen oder abgeſchnitten; am Ellen⸗ 
bogengelenkende ijt die Speiche angekruſtet, jedoch mit dem Handgelenkende; 
ihr anderes Ende iſt in gleicher Weiſe abgetrennt. Darüber ſind an einem 
Hüftknochenreſt und an einem Stück des rechten Oberſchenkels mehrere Glie— 
der eines Fingers angekruſtet. Auch bei den „Rippenpaketen“ rechts {deinen 
die Rippen vor dem Eingraben teilweiſe noch im natürlichen Zuſammenhang 
geweſen zu fein. Das linke Schienbein (in der Mitte) ijt in drei Stücke Aer: 
ſchlagen, um aus der Markhöhle das Mark herauszulöffeln oder das Fett 
herauszukochen. An dem mittleren Bruchſtück ſind einige Meſſerſchnitte quer 
zur rückwärtigen Kante ſichtbar. Am unteren Gelenkende befindet ſich eine 
ebene, von einem Meſſerſchnitt oder Beilhieb herrührende Fläche (auf Uert, 
abb. 3, 14 ſchraffiert). Auf der rückwärtigen Fläche bemerkt man eine An⸗ 
zahl Vertiefungen (punktiert dargeſtellt). Eine von dem Leiter des Jenaer 
pathologiſchen Inſtituts, herrn Prof. Dr. Berblinger, vorgenommene Unter: 
ſuchung ergab, daß der Knochen in der Umgebung dieſer Stellen vollſtändig 
geſund iſt; die Dertiefungen müſſen demnach auch eine mechaniſche Urſache 
haben; wahrſcheinlich ſind ſie beim Abtrennen der an dieſer Stelle dem 
Knochen ſehr feſt anhaftenden Wadenmushulatur entſtanden. Ein im unteren 
Teil durchgebrochenes Stück des linken Oberſchenkels zeigt eine mitten durch 
die Gelenkkugel gehende Hiebfläche, die den mit der Gelenkpfanne des 
Beckens durch ein kräftiges Band verbundenen Teil des Gelenkkopfes ab— 

8 


Mannus, Seitſchrift für Vorgeſch., VII. Erg.⸗Bd. 


114 Ernſt Lehmann (8 


ſprengte, jo daß lich der Schenkelknochen danach leicht aus dem Gelenk löſen 
ließ (Textabb. 3, 21; die angekreuzten Stellen ſind Schlagſpuren). 

Ein Mittelſtück des rechten Schienbeins (Abb. 6 oben) iſt in der 
Mitte bis zur Markhöhlung angeſchlagen oder angeſchabt, augenſcheinlich, 


Abb. 6. Erfurt⸗Nord. Serſchlagene Menfchenknoden. 172,45 


um den Knochen an dieſer Stelle durchbrechen zu können; da dies nicht ge⸗ 
lang, ſchlug man von dem feſten Röhrenteil das weniger widerſtandsfähige 


Abb. 7. Erfurt⸗NRord. Gerſteabdrücke. 1/1 


untere Gelenkende ab (Abb. 6 oben rechts); nach dem oberen Gelenk⸗ 
ende zu ſchnitt man den Knochen mit einem Meſſer dünn, um ihn dann 
durchzubrechen; das Meſſer iſt am Knochen entlang geglitten und hat eine 
ebene Fläche erzeugt, auf der einige tiefe Schrammen deutlich zu ſehen ſind 
(Abb. 6 oben links; Querſchnitt an dieſer Stelle auf Textabb. 3, 16). 


——2— ——— — — — 


—— 


9] Knowiſer Kultur in Thüringen und vorgeſchichtlicher Kannibalismus 115 


Ein Wadenbeinbruchſtück zeigt an dem einen Ende (Abb. 6 in der 
Mitte nach links zu) eine Reihe tiefer, von Meſſereinſchnitten herrührender 
Kerben; an der Stelle, wo das Durchbrechen gelang, ſieht man, wie das 
Meſſer mehrere Male ruckweiſe angeſetzt wurde, wodurch kleine Stufen auf 
der Schnittfläche entſtanden ſind (nur mit der Cupe ſichtbar). 

7. Auf dem Boden einer Grube, die im mittleren Teil einige Tierknochen 
enthielt, ge Arbeiter zwei Schädeldecken von Kindern und wenige 3u- 
gehörige Extremitätenknochen auf; da angeblich nichts weiter gefunden wurde, 
kann angenommen werden, daß es ſich 
nicht um eine Beſtattung handelt, ſon⸗ 
dern um Reſte einer Kannibalen⸗ 
mahlzeit. 

8. Am Roten Berg, nördlich von 
Erfurt⸗Nord, wurde eine Grube out, 
gedeckt, die dem Scherbeninhalt nach 
auch in die ältere Eiſenzeit gehört. Don 
der Grube (Profil Abb. 1, 6) (26) war 
nur die nördliche Hälfte erhalten, vor 
ihr lagen bei c einige Rippen, die 
aus der Grube herausgefallen waren, 
bei b jteckten eine Beckenhälfte, einige 
Beckenwirbel und eine auf natürliche 
Weiſe abgelöſte Gelenkſcheibe (untere 
Epiphyſe) vom Oberſchenkel noch im 
Erdreich. Im Hintergrund lag bei a 
der Schädel mit dem noch daran ſitzen⸗ 
den Unterkiefer. dwifden b und a Abb. 8. Erfurt⸗Nord. Seuerböce 
wurden keine Rippen, Wirbel und Arm⸗ und Tonfiguren. 1/3, 9 
knochen gefunden. Rechts vom Schädel, 
der wie die anderen Knochen einem 
etwa achtjährigen Kinde angehört und ganz unverletzt iſt (nordiſche Lang» 
form), lagen große Gefäßſcherben und Tierknochen. Wegen der Lage des 
Unterkiefers am Schädel müſſen die feſthaltenden Sehnen beim Eingraben 
noch nicht zerſtört geweſen ſein. 

Sieht man von den beiden zuletzt genannten Fällen ab, bei denen aus 
Analogiegründen mit großer Wahrſcheinlichkeit auch Kannibalismus ange⸗ 
nommen werden kann, ſo liegen immer noch ſechs ſichere Beobachtungen vor, 
eine Fahl, die um fo bedeutungsvoller erſcheint, als während meiner nicht 
nicht vom Beruf ausgefüllten Zeit doch nur verhältnismäßig wenige Gruben 
mit der Genauigkeit unterſucht werden konnten, die für ſolche Feſtſtellungen 
notwendig iſt. Bei der Bergung der Funde, die ſämtlich in das Erfurter 
Muſeum gelangten, hat mich Herr Photograph Lorenz in Erfurt wie bisher 
in dankenswerter Weiſe unterſtützt. 


E. Gleichartige Kannibalenfunde von Knowis 


Außerordentlich überraſchend und zugleich von ſtarker Beweiskraft für 
die Richtigkeit meiner Deutungen iſt es nun, daß in Knowis ſelbſt ganz 
gleichartige Funde gemacht worden ſind, worauf mich nachträglich Herr Prof. 
Dr. Schulz in Halle hinwies (27). Dort wurden 52 Gruben unterſucht, in 
zwölf davon wurden Menſchenknochen gefunden, und zwar ein vollſtändiges 

8 * 


116 Ernſt Lehmann [10 


Skelett eines zweijährigen Kindes (in „geduckter“ Stellung ohne Anzeichen 
eines regelrechten Begräbniſſes) und die zerſchlagenen und teilweiſe angeſeng⸗ 
ten Knochen von weiteren acht Menſchen, beſonders von kleinen Perſonen und 
Kindern. Unter den zerſchlagenen Unochen finden fic) Schädelſtücke, ferner 
eine abgeſchlagene Oberſchenkelgelenkkugel (man vergleiche dazu den oben 
unter D 6 geſchilderten Fund von Erfurt⸗-NMord: Oberſchenkel mit durch⸗ 
geſchlagener Gelenkfläche) und ein Schienbein, bei dem an zwei Stellen ein 
Meißel angeſetzt worden iſt, um die Markhöhle zu öffnen. Ein Kinderſchädel 
war vollſtändig erhalten, äußerlich aber durch Berührung mit heißer Afche 
etwas angebrannt. Don dem vollſtändigen Kinderfkelett nimmt der Bericht⸗ 
erſtatter an, daß irgend ein Umſtand (vorgeſchrittene Serjegung oder Krank⸗ 
heit) das Verzehren der Leiche verhindert hat, die man dann in die Grube 
warf, um ſich ihrer zu entledigen. Daß bei Erfurt⸗-Rord und Knowis ſowohl 


Abb. 9. Erfurt⸗Nord. Ceindotterkörner. 2/1 


zerſchlagene Schädel vorkommen als auch vollſtändig erhaltene, ſtimmt mit 
ethnographiſchen Beobachtungen überein. Andree (Die Anthropophagie, 
Leipzig 1887) teilt mit, daß die neuzeitlichen Kannibalen zum Teil die Schädel 
öffnen, um das Gehirn zu verzehren, teilweiſe ſie aber auch als wertlos weg⸗ 
werfen oder verſchenken (28). Es iſt dabei auch zu berückſichtigen, daß das 
Gehirn ſehr raſch in Derweſung übergeht und ungenießbar wird. Aus 
Andrees Suſammenſtellung geht ferner hervor, daß die Anthropophagie 
auch bei verhältnismäßig hoher Kultur durchaus möglich iſt, und daß in 
vielen Fällen dabei nur die Genußſucht die Triebfeder iſt und animiſtiſche 
Vorſtellungen vollkommen fehlen (29), deren Wirkſamkeit meiner Meinung 
nach von verſchiedenen Seiten übergebührlich betont worden iſt (30). Daß ſie 
vorhanden ſein können, beweiſt ſie noch nicht in allen Fällen als Urſache der 
Anthropophagie, iſt im übrigen ſelbſtverſtändlich, da ja der Animismus bei 
primitiven Kulturen überall vorhanden iſt; genau ſo wie die Seele des ver— 
zehrten Menſchen in den Körper des Kannibalen übergeht, werden aber auch 
die Seelen der Nahrungstiere aufgenommen, und es wird niemand behaupten, 
daß ſie nur aus dieſem Grunde verzehrt würden (30a). 


11] Knowiſer Kultur in Thüringen und vorgeſchichtlicher Kannibalismus 117 


F. Weitere Vergleichsfunde 
Die „Opfergruben“ von Loſſow und Oſſarn 


Im folgenden ſollen von den mir bekannt gewordenen Fällen, bei denen 
Anthropophagie (31) nachgewieſen oder zu vermuten iſt, nur die berückſich⸗ 
tigt werden, die mit den obengenannten Funden in einen Suſammenhang ge— 
oer? werden können aus zeitlichen Gründen oder wegen gleichartiger Sund= 
umſtände: 

Im Nachrichtenblatt für deutſche Vorzeit, 1928, Heft 8, S. 116, teilt 
Carl Engel mit, daß die Unterſuchung einer früheiſenzeitlichen Siedlung bei 
Völpke, Kreis Neuhaldensleben, aus 16 Abfallgruben viele keramiſche Reſte 
und Tierknochen ergab, unter denen fic) auch einzelne Bruchſtücke von menſch⸗ 
lichen Schädeln befanden. Nicht ausgeſchloſſen iſt, daß dabei die Bruchſtücke 
menſchlicher Gliedmaßenknochen unter den Tierknochen nicht erkannt worden 
ſind, und daß es fic) hierbei um Reſte von Kannibalenmahlzeiten handelt. 

Wahle hat im Mannus, II. Ergänzungsband 1911, S. 30, einen Fund 
von Burgisdorf, Mansfelder Seekreis, beſchrieben, bei dem in einer Grube 
Aſche und einzelne Menſchenknochen in defektem Suſtand ohne Ordnung 
lagen; in der Diskuſſion über dieſen Fund hat man die verſchiedenartigſten 
Erklärungen verſucht, die Möglichkeit, daß es ſich um Kannibalismus han: 
delt, iſt — bezeichnenderweiſe — nicht erwogen worden. 

In den Derhandlungen der Berliner anthropologiſchen Geſellſchaft 1883, 
S. 517, und 1884, S. 88, find Funde in einer bronzezeitlichen Höhle beim 
Dorfe Holzen, unweit Eſchershauſen, als Reſte von Kannibalenmahlzeiten - 
nicht ohne Widerſpruch — gedeutet worden. 

Funde in dem großen bronzezeitlichen Grabhügel „Kung Björns hög“ 
bei Upſala hat Almgren als Reſte vom Leichenſchmaus, bei dem ein Menſch 
verzehrt wurde, gedeutet (32). 

Prof. Dr. Schulz in Halle fand 1914 bei Schkortleben, Kreis Weißen⸗ 
fels, ein „völlig zerrupftes“ Menſchenſkelett in einer Kulturſchicht mit Abfall 
der jüngeren Bronzezeit (35). 

Die ſogenannten Opfergruben vom Burgwall an der Steilen Wand bei 
Loſſow enthalten nach Mannus, Bd. 20, S. 212, „Opferſchichten“ mit Men⸗ 
Idien, und Tierknochen, die teilweiſe noch in natürlichem Suſammenhang in 
die Gruben geworfen find, wechlellagernd mit ſterilen Schichten, die nur Su: 
fallseinſchlüſſe enthalten. Wenn nun wirklich einer Gottheit, die man ſich 
doch mit geſteigerten menſchlichen Eigenſchaften vorgeſtellt haben muß, Tier— 
und Menſchenfleiſchportionen geopfert wurden, ſo iſt anzunehmen, daß man 
ſelbſt derartiges als ſchmackhafte Speiſe zu ſchätzen wußte und zum wenigiten 
bei der Opferung davon genoß (30a). Jedoch beſtehen meines Erachtens 
durchaus keine zwingenden Gründe dafür, die Funde von Loffow als Opfer— 
gaben zu deuten. J. Bayer hat im Nachrichtenblatt für deutſche Dorzeit, 
1928, Heft 1, S. 5 Abfallgruben von einer endneolithiſchen Siedlung bei 
Oſſarn beſchrieben, bei denen ſchwarze Abfallſchichten mit Aſche, Scherben 
und Tierknochen abwechſeln mit ſterilen Schichten, mit denen nach jeder Ein— 
ſchüttung der Abfall zugedeckt wurde, nicht etwa, weil es ſich um Opfergaben 
handelt, wie Bayer ſelbſt nach einem Bericht über dieſe Gruben in der „Um: 
ſchau“, Frankfurt 1928, Heft 27, S. 540 (von Adametz) nach dem Beiſpiel 
von Loſſow anzunehmen ſcheint (54), ſondern weil es notwendig tft, noch mit 
Fleiſchteilen behaftete und mit Fett durchtränkte Tierknochen mit Erde zu be— 
decken, um üblen Geruch und die Anlockung von Hunden, Ratten und Fliegen 


118 Ernſt Lehmann [12 


zu vermeiden. Das Auftreten von Menſchenknochen unter Abfall bedeutet bei 
der Annahme von Hannibalismus keine Beſonderheit. Und der Fund eines 
Menſchenſkeletts mit fragmentariſchem Bronzering in einer Grube von Loſſow 
ſpricht durchaus nicht, wie Cinau meint (Mannus, Bd. 16, S. 78), gegen die 
Deutung als Abfallgruben, da Beſtattungen in ſolchen unter Knochen geſchlach— 
teter und verendeter Tiere auch mit Beigaben und mit zerſtückelten Menſchen⸗ 
körpern ſehr wohl bekannt ſind (35). 


G. Doppelkoniſche Gefäße in Thüringen 


Unter den Funden von der Unowiſer Siedlung bei Erfurt⸗-Nord befindet 
lid} neben gelbbraunen bis dunkelbraunen Amphorenhalsteilen, die gerad: 
wandig aufſteigen oder etwas aufgebläht ſind (Übergänge zu Etagenurnen), 


Aplom 


e, EN — . 8 Ba? 


2 4 


Abb. 10 


ein Bruchſtück eines ledergelben doppelkoniſchen Gefäßes, deſſen ſcharfer Knick 
ſchräg gekerbt iſt, eine in der Knowiſer Kultur Böhmens ganz häufige Form 
und Derzierungsart. Bei der Suche nach Dergleichsfunden entdeckte ich im 
Gothaer vorgeſchichtlichen Muſeum die auf Abb. 10 dargeſtellten Gefäße: 
Nr. 1 ein Doppelkonus von graubrauner Farbe, Nr. 2 eine aus dem Doppel: 
konus durch Abrundung des Knicks und Schweifung der Wand entſtandene 
Form von dunkelbrauner Farbe, Nr. 3 und 4 dunkelgraue Amphoren, Nr. 4 
hat einen beſonders hohen, etwas aufgeblähten hals und einige ſchwache hori— 
zontal laufende Kanten auf der Schulter (hier nicht dargeſtellt). Derartige 
Gefäße ſind für die Knowiſer Kultur Böhmens ganz bezeichnend und in den 
betreffenden Deröffentlihungen in großer Sahl dargeſtellt (36); die doppel- 
koniſchen Formen kommen auch in der Cauſitzer Kultur Mittelſchleſiens (Pe— 
riode V) ſehr häufig vor, doch kann es fic) um eigentliche Lauſitzer Kultur bei 
den Gothaer Funden nicht handeln, da ſie aus Kiſtenlanggräbern mit Skelett: 
beſtattung vom Seeberg bei Gotha ſtammen. Dieſe Beſtattungsart ſpricht 
jedoch nicht gegen böhmiſche herkunft, wo neben Brandgräbern auch Skelett: 


- — ) EE, gD, ——— f 


13 Knowiſer Kultur in Thüringen und vorgeſchichtlicher Kannibalismus 119 


gräber mit Knowiſer Kultur vorkommen (nach Buchtela). Auch das Etagen- 
gefäß von Köthen gehört, wie oben (unter A) angegeben, zu einem Skelett: 
grab. Soviel mir bekannt, iſt die Cauſitzer Kultur im engeren Sinne, die in 
Oſtthüringen nachgewieſen ift, nicht bis Mittel: oder Weſtthüringen (Gotha) ge⸗ 
kommen (37). Aud) bei dem von Kraft (38) beſonders hervorgehobenen 
Doppelkonus von Weiſenheim (Rheinpfalz) ſcheint mir aus dieſem Grunde 
böhmiſche Herkunft wahrſcheinlicher zu ſein. Ein Doppelkonus ſtammt auch 
aus den Siedlungsfunden von Ammerbach, die das Etagengefäß auf Abb. 3, 1 
ergeben haben (39), und aus einem Steinkiſtengrab mit Skelettbeitattung 
(wie auf dem Seeberg) von Rudisleben bei Arnſtadt (40). Außer den von 
Kraft aus Thüringen erwähnten Beiſpielen doppelkoniſcher Gefäße möchte 
ich noch hinweiſen auf derartige Funde aus Brandgräbern von Helmsdorf (41) 
und Schkölen, Kreis Weißenfels (42); doch liegen dieſe ſämtlich in dem auch 
unmittelbar von der Cauſitzer Kultur beeinflußten Oſtthüringen. 


H. Bronzezeitliche Kulturen in Thüringen 


In der älteren Bronzezeit ſtand Thüringen (43) in Kulturgemeinſchaft 
mit Böhmen, Mähren, Schleſien und Sachſen; die nach dem böhmiſchen Sund: 
ort als Aunjetitzer bezeichnete Kultur iſt jedoch nur von kurzer Dauer geweſen; 
was nach ihr aus Thüringens mittlerer Bronzezeit bisher bekannt geworden 
iſt, iſt vergleichsweiſe ſo ſpärlich und zuſammenhanglos, daß die in anderen 
Ländern übliche Periodeneinteilung hier verſagt und die Annahme berechtigt 
erſcheint, daß Thüringen in dieſer Seit nur ſchwach beſiedelt geweſen iſt. Daß 
in der jüngeren Bronzezeit Thüringens neben den fortlebenden einheimiſchen 
Elementen fremde Einflüſſe bemerkbar werden, iſt daher zu erwarten. So hat 
Lechler bei der Herausbildung des helmsdorfer Kulturkreiſes in Nordoſt— 
thüringen das Suſammenwirken von ſüddeutſch-thüringiſcher, oſtdeutſcher (44) 
und norddeutſcher Kultur nachgewieſen. In Mittelthüringen hebt ſich die von 
mir als weit verbreitet erkannte Kultur des Friedhofs auf dem Erfurter Flug— 
hafen (45) heraus, deren Kiſtenlanggräber das Vorwiegen der urſprünglich 
anſäſſigen Bevölkerung anzeigen, während die Keramik Anklänge an Süd⸗ 
deutſchland zeigt. Dem entſpricht, daß in dem nördlichen Süddeutſchland (am 
unteren Main und am unteren Neckar) auch Steinkiſtenlanggräber mit Brand— 
und Skelettbeſtattung vorkommen, während die Keramik der Kultur der ſüddeut— 
ſchen Urnengräber angehört (46), bei denen ſich der Beſtattungsform entſprechend 
keine Langgräber finden, die immer auf urſprüngliche Skelettbeſtattung hin— 
weiſen. Kulturbeziehungen (nicht bloß Handelsbeziehungen) zwiſchen Thüringen 
und dem angrenzenden Süddeutſchland in dieſer Seit ſind alſo ſicher vorhanden; in 
welcher Richtung dabei die Bevölkerungsbewegung erfolgte, ob von Thüringen 
nach dem unteren Main oder umgekehrt, iſt jetzt noch nicht zu entſcheiden. In 
der jüngeren Bronzezeit erfolgte auch, wie bereits erwähnt, der Einbruch einer 
neuen Bevölkerung von Often her, die die Lauſitzer und die ſich ſpäter an: 
ſchließende Billendorfer Kultur nach Dit: (und Nordoſt-) Thüringen brachte, 
und während der älteren Eiſenzeit die Einwanderung der Knowiler Kultur 
aus Böhmen, deren geſicherter weſtlichſter Dertreter in Thüringen die oben ge— 
ſchilderte Siedlung bei Erfurt mit Etagenurnen iſt, während ich bei den doppel— 
koniſchen Gefäßen vom Seeberg bei Gotha und Rudisleben bei Arnſtadt vor: 
läufig böhmiſchen Einfluß nur als ſehr wahrſcheinlich annehmen möchte. Daß 
übrigens die Knowiſer Bevölkerung die urſprünglich anſäſſige aufgerieben 
hat, iſt Raum anzunehmen, wenn auch die damaligen politiſchen Derhältnijie 


120 Ernſt Lehmann [14 


Thüringens wohl genug Gelegenheit gaben zu Raubzügen und zur Erbeutung 
von Fleiſchvorräten für Kannibalenmahlzeiten. Möglicherweiſe werden in 
der Folgezeit noch mehr Siedlungen in Thüringen als der Knowiſer Kultur 
angehörig erkannt werden. Don entſcheidendem Einfluß für die weitere Ent⸗ 
wicklung iſt ſie jedoch nicht geworden; Thüringen wurde in der Folgezeit viel⸗ 
mehr Kampfgebiet zwiſchen den von Südweſten her eingewanderten Kelten 
und den Germanen, die in der älteren Eiſenzeit bereits Nordthüringen erreicht 
hatten, um es von der jüngeren Eiſenzeit an dauernd beſetzt zu halten, wie 
die Forſchungen Koſſinnas ergeben haben. 


L Zur Siedlungsgeſchichte von Erfurt⸗Nord 


Don der jüngeren Steinzeit (47) an bis zur älteren Eiſenzeit muß die 
Geraniederung nördlich von Erfurt-RNord bis zum Roten Berg (das Johannes⸗ 
feld) ein günſtiges Siedlungsgelände geweſen fein; um fo auffallender iſt, 
daß die germaniſchen Früh⸗Catène⸗Siedlungen (48) bei Erfurt den Tal⸗ 
boden meiden und ſich auf den umgebenden Randhöhen ausbreiten, deren 
Untergrund aus trockenem, warmen Cöß beſteht. Sicher ſteht dieſe Tatſache 
in Suſammenhang mit dem zu Beginn des erſten Jahrtauſends vor Chriſtus 
erfolgten Übergang des warmen und trockenen Klimas, das während der 
jüngeren Steinzeit und der Bronzezeit geherrſcht hatte, in ein kühles und 
regneriſches (49), das erſt in der hiſtoriſchen Seit ſich wieder etwas gebeſſert 
hat. Dieſer Klimaſturz hatte, was die Erfurter Gegend betrifft, eine Er: 
höhung des Grundwaſſerſtandes und damit eine Derfumpfung weiter Strecken 
des Talbodens zur Folge. So erklärt ſich der ſchwarze Riedboden auf dem 
Gelände des bronzezeitlichen Friedhofs auf dem Erfurter Flughafen (50). Bis 
1850 war auch die Cache am Nordende von Erfurt-Nord (oben unter B) ein 
mit Schilf beſtandener Sumpf (51). Dementſprechend find im Johannesfelde 
nur ganz vereinzelte Funde aus ſpäterer Seit gemacht worden (52). Das Ge⸗ 
lände wird erſt jetzt von der ſich ausbreitenden Stadt wieder beſetzt, nachdem 
in neuerer Seit auch der Grundwaſſerſpiegel auf künſtlichem Wege ſtark ge— 
lenkt (53) worden ijt. Ob der Kern von Erfurt-Nord die Fortſetzung einer 
vorgeſchichtlichen Siedlung darſtellt, läßt ſich wegen der Serſtörung des Unter— 
grunds durch die Bebauung nicht mehr entſcheiden, iſt aber nach dem oben 
Geſagten nicht wahrſcheinlich; die geſtreckte Ortslage deutet vielmehr mit Be— 
ſtimmtheit darauf, daß Erfurt-Nord im weſentlichen eine im frühen Mittel— 
alter von Erfurt her erfolgte Neugründung iſt, die ſich an die Flußmühlen 
längs der Gera anſchloß. 


Anmerkungen 

Jahrbuch der k. k. Sentralkommiſſion, Wien 1906. 
Einführung in die Urgeſchichte Böhmens und Mährens, Reichenberg 1926. 
. Cervinkas Darſtellung der Knowijer Kultur in Eberts Reallexikon unter 
„Böhmen“ weicht hiervon ab. 
Nach Reinecke in „Altertümer unſerer heidniſchen Vorzeit“, Bd. V, Seite 244. 
. Sammlung in Nürnberg, Skizze nach Photographie des Muſeumsleiters Hörmann. 
. Gefäß von Fuchsſtadt bei Odjenfurt a. Main, Abb. bei Kraft in „Bonner Jahr— 
bücher“, Heft 131, Seite 182. 
. Mannus, III. Ergänzungsband, 1923, Seite 45. 
Skizze von Kreiskonjervator W. Götze, der den Fund noch bearbeiten wird. 
Briefliche Mitteilung. 
Skizze von Frl. Hildegard Knack in Jena. 
Mitteilungen des Dereins für die Geſchichte und Altertumskunde von Erfurt, 

Heft 44, 1927, Seite 203 205. 


- Soon ANS une 


— — 


15] Knowijer Kultur in Thüringen und vorgeſchichtlicher Kannibalismus 121 


12. Bei Knowis (pamatky 16, 1893) bildeten fie fic) rechtwinklig ſchneidende 
Parallelzüge. 

13. Nähe von Feuergrube und Wand mit dugkanal unter der Wand ijt bekannt (Eberts 
Reallexikon, Bd. V, Seite 192). 

14. Siehe Anmerkung 11, Seite 205. 

15. Derartige Schleifenkufenknochen ohne Befeſtigungslöcher ſind auch gefunden in 
Knowis (Pamatkn 16, Tafel 14; der Berichterſtatter hebt den Mangel bejonderer 
Befeſtigungsvorrichtungen ausdrücklich hervor), ferner in Siedlungsgruben der 
jüngeren Bronzezeit von Opperau bei Breslau (Mitteilung von herrn Dr. Jahn) 
und in einer eiſenzeitlichen Siedlung von Schkopau, Kreis Merſeburg (muſeum in 
Halle). Die Erfurter Stüche zeigen außer der vollkommen ebenen Schliffläche 
allerſeits eine durch die feinen Erd- und Sandteilchen bewirkte Glättung. Fälſch⸗ 
licherweiſe werden Schleifenkufenknochen oft angeſprochen als Schlittſchuhknochen 
oder als Glättknochen, mit denen das Tuch beim Aufwinden auf den Weberbaum 
geglättet wurde. Es iſt klar, daß die Schlifflächen dieſer Geräte nicht vollkommen 
eben fein können. Aus ſpäteren Perioden find Schleifenkufenknochen häufiger 
bekannt geworden, auch ſolche mit Befeſtigungslöchern. 

16. Nachbildung aus Ton nach einer Skizze; das Urſtück ging beim Umherzeigen in 
einem Kreis intereſſierter Laien durch Diebſtahl verloren. 

17. Mannus, Bd. 20, Seite 78. Eberts Reallexikon unter „Tierbejtattung“. 

18. Eberts Reallexikon, Bd. 2, Seite 86. 

19. „Jahresſchrift“, Halle 1926, Seite 41. 

20. „Iſt er ein Sklave, bleibt er liegen, bis ihn die hunde und die Raubvögel verzehrt 
haben“ (im frühgeſchichtlichen Südrußland, zitiert in Pic: Die Urnengraber Bob, 
mens. Leipzig 1907, Seite 258). Siehe ferner Abſchnitt Fam Ende und Anmerkung 35. 

21. Mannus, Bd. 20, Seite 63, Grab 34 mit Anmerkung 7. 

22. „Altertümer Thüringens“ unter Ilversgehofen. 

23. Faſt unglaublich erſcheint dieſe Tatſache, wenn man bedenkt, daß Sſchieſche 

mehrere Jahrzehnte hindurch Dorfigender des Erfurter Altertumsvereins geweſen 
iſt und demgemäß die Bürgerſchaft und die Behörden, die 5ſchieſche durch Fund— 
meldungen unterſtützten, annehmen mußten, daß die Sammlung in Erfurt bleiben 
würde. Die Bemühungen der Erfurter Muſeumsleitung, des Oberbürgermeiſters 
Dr. Schmidt und des Stadtarchivars Prof. Dr. Overmann ſcheiterten, nicht aus 
ſachlichen, ſondern aus perſönlichen Gründen. Leider haben auch die Erfurter 
Vereinigungen, deren Aufgabe die wiſſenſchaftliche Erforſchung der Heimat iſt, 
ihren Einfluß nicht dringend genug geltend gemacht. Nachdem die Sammlung 
§ſchieſche zunächſt als Leihgabe dem Muſeum in Halle übergeben war, iſt fie 
kürzlich endgültig in deſſen Beſtand aufgenommen worden zu einer Seit, da die 
hieſige vorgeſchichtliche Sammlung von der Fachwiſſenſchaft und der Allgemeinheit 
in verdienter Weiſe gewürdigt wird. Hoffen wir, daß damit die Mißachtung und 
verſchleppung heimatlichen Kulturguts ihr Ende erreicht hat. Das Erfurter Muſeum 
hat übrigens einige Stücke aus der Sammlung Sſchieſche zurückgekauft — in Form 
von Gipsabgüſſen. 

24. Lehmann: der bronzezeitliche Friedhof auf dem Erfurter Flughafen. Mannus, 
Bd. 20, Seite 75. 

25. Eberts Reallexikon unter „Beigabe“: Beſchädigte Laufiger Urnen; ebenſo Bd. 6, 
Seite 151: Urnen der älteren Eiſenzeit von Jaſtorf. 

Daß das Coch im Urnenboden das Gefäß unbrauchbar machen ſoll, beweiſt der Bes 
richt von Findeiſen über die Grabgebräuche der Oſtjaken am Jeniſſei: „Das Grab 
wird mit dem Kreuz verſehen, daneben aber doch die zerbrochenen Peräte nieder— 
gelegt, das Meſſer mit abgebrochener Spitze, der Topf mit eingeſchlagenem 
Boden, die Kleidung zerriſſen“ (Die Naturwiſſenſchaften, Jahrgang 1929, Seite 413). 

26. Grundriß ſiehe Anmerkung 11, Tafel II, 7 mit Erläuterung auf Seite 227. 

27. pamatky 16, Tafel 15. 

28. Andree, Seite 60: Die Sidfchiinfulaner warfen bei Fleiſchüberfluß Köpfe, Hände 
und Eingeweide weg; bei Mangel wurde alles verzehrt. 

29. Andree, Seite 27: Menſchenfleiſch wurde öffentlich zum Verkauf angeboten, 
gerade wie Ochſenfleiſch. 

30. So auch in Eberts Reallexikon unter Kannibalismus. 

An, Wilke hat in den Mitteldeutſchen Blättern für Volkskunde, 1926, Heft 12, einen 
Fall eigenartiger Derbindung von Sauberei, Tier- und menſchenopfer und teil: 
weiſem Kannibalismus mitgeteilt, der ſich am Ende des vorigen Jahrhunderts in der 
Gegend von Haſan ereignet hat. Auch Tomſchik (Anmerkung 31) betont den Su— 
ſammenhang von Kannibalismus und Sauberei. Ob dies für den Kannibalismus 


122 Lehmann, Unowiſer Kultur in Thüringen und vorgeſchichtlicher Kannibalismus [16 


31. 


50. 
51. 


52. 


59. 


von Erfurt:Nord und Knowis zutrifft, wird ſich nicht ermitteln laſſen, erſcheint mir 
auch nach den Fundumſtänden als unwahrſcheinlich. 

Herr Joſef Tomſchik, Urgeſchichtliches Inſtitut in Wien, arbeitet zur Seit an 
einer Diſſertation über den vorgeſchichtlichen Kannibalismus, in der auch die Erfurter 
Funde behandelt werden. 


Eberts Reallexikon unter „Kung Björns hög“. Dagegen Tomſchik! 
Briefliche Mitteilung. 
Auch in einem Brief an mich bezeichnete Bayer die Gruben von Oſſarn als 


Opfergruben. 


. difternen als Graber armer Leute, „Eſelsbegräbnis“ in Paläjtina und Syrien in 


Eberts Reallerikon, Bd. 4, Seite 481 und 484. Siehe aud) oben Anmerkung 20. 


. Befonders in der in Anmerkung 20 erwähnten Arbeit von Pic. Das Flechtband von 


Gefäß Nr. 2 kommt in ähnlicher und gleicher Form in der Laufiger und ihren 
Tochterkulturen ſehr häufig vor, für ſchleſiſche Derhältniffe (Mitteilung von Herrn 
Dr. Jahn und Eberts Reallexikon unter „Cauſitzer Typus“) ſitzt es jedoch hier 
zu tief. Aud) in Böhmen findet es ſich gewöhnlich über der größten Ausbaudung, 
3. B. Pic, Tafel VIII 20 und 18, manchmal aber auch darunter, 3. B. Pic, 
Tafel XXXIII 15, XXXVII 4, XLV 9; pamatky 16, Tafel XII 35. Daß das 
Ornament bei dem Thüringer Fund tief liegt, iſt ſehr wahrſcheinlich durch die 
beſondere Größe des Gefäßes bedingt, die es auch bei dieſer Lage deutlich er: 
kennbar macht; auch bei einem in der Form vollkommen, in der Größe nahezu 
übereinſtimmenden Beiſpiele von Letna bei Prag (Pic, Seite 22) liegt eine doch 
auch als Ornament zu deutende kantige Profilierung an derſelben Stelle des ſonſt 
unverzierten Gefäßes. 


„Altertümer Thüringens“, Seite XXX. 

„Bonner Jahrbücher“, Heft 131, Seite 183. 

Eichhorn: Tafeln zur Dor: und Frühgeſchichte Thüringens, Tafel 2 und 3. 
„Altertümer Thüringens“, Seite 256. 

. Mannus, Bd. 16, Heft 5. 

Eichhorn, Tafel 2. „Altertümer Thüringens“, Seite 371 unter Hainichen. 

. Teilweife nach Mannus, 5. Ergänzungsband, Seite 21. 

. Daß hierbei außer der Laufig auch Böhmen in Frage kommt, haben Götze und 


Cechler ſchon betont (Anmerkung 37 und 41). 


. Mannus, Bd. 20, Seite 54— 78. Es fei hier noch bemerkt, daß auch am Mord: 


abhang des Steigers bei Erfurt ſich eine Scherbe der für dieſe Kultur typiſchen 
Amphorenform gefunden hat, die ſehr wahrſcheinlich aus einem zerſtörten Grabe 
ſtammt. 


Nach Kraft: „Bonner Jahrbücher“, Heft 131, Seite 189. 
. Diefe Funde werde ich noch veröffentlichen. 
. Mitteilungen des Dereins für die Geſchichte und Altertumskunde von Erfurt, 1927, 


Heft 44, Seite 212. 


. Der Derfajfer hatte 1928 Gelegenheit, einer Unterſuchung des Saukopfmoors bei 


Oberhof im Thüringer Wald durch die Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege 
in Berlin beizuwohnen. Auf dem Grunde des Moores, in 3 Meter Tiefe, wurde ein 
Waldhorizont gefunden, der der Warmzeit entſpricht. Erſt danach iſt Moorbildung 
und ⸗ausbreitung auf dem Saukopf erfolgt, um in der Neuzeit, auch ohne die zer— 
ſtörende Tätigkeit der Forſtverwaltung, ſtillzuſtehen. ähnliche Derhältnijje zeigte 
das Schneekopfmoor. 

Anmerkung 45, daſelbſt Seite 55 mit Nachtrag ! auf Seite 75. 

Mitteilung von Herrn Stadtrat a. d. und Mühlenbejiger Albert Naue in 
Erfurt⸗Nord. 

Einige wenige Scherben mit Kammſtrichverzierung find nicht für die jüngere Eiſen— 
zeit bezeichnend, da dieſes Ornament ſchon in der älteren Eiſenzeit vorkommt. 
Typiſche Latenefunde fehlen. Aus der Kiesgrube auf dem Grundſtück Born an der 
Mittelhäuſer Candſtraße ſtammt ein gedrehtes Gefäß aus dem A. Jahrhundert 
nach Chr. (Kultur von Haßleben und Leuna), ſehr wahrſcheinlich die Beigabe eines 
zerſtörten Grabes. 

Anmerkung 50. 


Die römiſche Kaiſer⸗ und Völkerwanderungszeit 
im Elbhavelland 


Don Geh. Studienrat Dr. Otto Felsberg, Brandenburg (Havel) 
Mit 18 Abbildungen und 3 Karten nebſt 3 Fundverzeichniſſen 


Das Elbhavelland, worunter ich hier die weitere Umgebung von Bran— 
denburg (öftlih bis in die Gegend von Potsdam, weſtlich bis an die Elbe, 
nördlich bis an das Havelländiſche Lucy, ſüdlich bis an den Släming) ver: 
ſtehe, hat für die erſten nachchriſtlichen Jahrhunderte, die wir als römiſche 
Kailerzeit zu bezeichnen pflegen, ein reiches Fundmaterial geliefert. Den 
größten Teil desſelben verdanken wir der raſtloſen Ausgrabungstätigkeit der 
beiden Stimmings. Ein Teil ihrer Fundergebniſſe iſt bereits in dem be— 
kannten Werk von A. Voß und G. Stimming ſowie in verſchiedenen Auf: 
lägen von R. Stimming im Mannus und in der Prähiſtoriſchen öeitichrift 
veröffentlicht!). Vieles ruht aber auch noch unveröffentlicht in der Stim⸗ 
mingſchen Privatſammlung?), wie in den großen Berliner Muſeen und in den 
Heimatmujeen der Umgegend, und ich danke es dem freundlichen Entgegen— 
kommen der Leiter bzw. Beſitzer dieſer Sammlungen, daß ich deren Schätze 
für meine Arbeit benutzen und das Wichtigſte auch bildlich wiedergeben konnte. 
Für die aus der Stimmingſchen Sammlung ſtammenden Gegenſtände konnte 
ich Stimmingſche Seichnungen als Vorlage verwerten. Die Lichtbilder ver— 
danke ich herrn Dr. Marſchalleck, dem ich auch ſonſt für manchen wert: 
vollen Hinweis dankbar bin. 

Im folgenden ſoll keine nach jeder Richtung hin erſchöpfende Darſtellung 
des behandelten Seitabſchnittes geboten werden. Dazu reichte ſchon der ver— 
fügbare Raum nicht aus. Es kommt mir vor allem darauf an, eine Überſicht 
über das vorhandene Fundmaterial zu geben, die einzelnen Fundgruppen zeit— 
lich genauer zu umgrenzen und die Siedlungsverhältniſſe im Elbhavelland, 
wie ſie ſich mir für die erſten vier nachchriſtlichen Jahrhunderte ergeben haben, 
zu veranſchaulichen. Daß ich dabei ſo manches nur flüchtig berühren, anderes 
ganz übergehen mußte, war leider nicht zu vermeiden. 

Ich gebe nun zunächſt eine Suſammenſtellung der im folgenden ge— 
brauchten Abkürzungen: 


Almgren oder A. = O. Almgren, Studien über nordeuropäiſche Fibelformen. 2. Aufl., 
1923. 


Barden E. 6. Barden, Geſchichte von Nauen und Oſthavelland. Rathenow, 1892. 


1) R. Stimming: Waffen der röm. Kaiferzeit. Mannus IV, S. 310ff. -- Früh— 
römiſche Funde aus der Mark Brandenburg. Mannus VII, S. 342ff. — Mäanderurne 
mit pferdedarſtellung uſw. p. 5. 1914, S. 194. 

2) Die Sammlung iſt vor kurzem vom Kreismuſeum Genthin erworben worden. 


124 Otto Felsberg [2 


Beſtehorn = O. Beſtehorn, Indogermanen u. Germanen im Potsdamer Havelland. 
Mitteilungen d. Der. f. d. Geſch. Potsdams. N. §. Bd. VI. Heft 2 (1928). 
Bekmann = J. C. Bekmann, Hiſtor. Beſchreibung der Chur» u. Mark Branden- 
burg I. 1751. 

Beiträge = Beiträge zur Geſchichte, Landes: u. Volkskunde der Altmark. Stendal. 

Blume = €. Blume, Die germaniſchen Stämme uſw. I. Mannusbibl. Nr. 8. 

Felsberg = O. Felsberg, Das vorgeſchichtliche Brandenburg a. P. Brandenburgiſches 
Jahrbuch Bd. 3. 1928, S. 17—35. 

Hanfen = A. hanſen, Suſammenſtellung der Münzfunde Oſtfalens. Feſtſchrift des 
Magdeburger Mufeums f. Natur- u. Heimatkunde. 1928, S. 305 ff. 

Jahn, Bewaffnung = M. Jahn, Die Bewaffnung der Germanen uſw. Mannusbibl. 
Nr. 16. 


Jahn, Reiterſporn = DL Jahn, Der Reiterſporn vim. Mannusbibl. Nr. 21. 

Jahresſchrift - Jahresſchrift f. d. Vorgeſch. d. ſächſ. thür. Länder. Halle. 

Koltrzewjki = J. HKoſtrzewſki, Die oftgerman. Kultur der Spät⸗Ca⸗CTône⸗Seit. Man⸗ 
nusbibl. Nr. 18. 

Landeskunde = Landeskunde der Prov. Brandenburg, Bd. III (1912). 

v. TCedebur = v. Cedebur, Die heidniſchen Altertümer des Regierungsbezirks Pots- 
dam. Berlin 1852. 

m. m. = märkiſches Muſeum, Berlin. 

Nachr. = Nachrichten über deutſche Altertumsfunde. Berlin. 

Plettke = A. Plettke, Urſprung und Ausbreitung der Angeln u. Sachſen. C. Schuch⸗ 
hardt, Die Urnenfriedhöfe Miederfadfens, Bod. III, 1. 1919. 

Preidel H. Preidel, Die abſolute Chronologie der germaniſchen Fibeln der frühen 
Haiſerzeit. Mannus 20. 1928. S. 79ff. 

P. A = Prähiſtor. Seitſchrift. Berlin. 

Salin = O. Salin, Die altgermaniſche Tierornamentik. Stockholm 1904. 

St.:M. = Staatsmujeum, Berlin, Prähiſt. Abt. 

Vvorgeſchichte = G. Koffinna, Die deutſche Vorgeſchichte uſw. 4. Aufl. Mannus— 
bibl. Nr. 9. 

Voß u. Stimming = A. Dok u. G. Stimming, Altertümer aus der Mark Branden⸗ 
burg. Brandenburg 1887. 

Wagener = S. Chr. Wagener, Handbuch der vorzüglichſten in Deutſchland entdeckten 
Altertiimer aus heidniſcher Seit. Weimar 1842. 

5. f. Ethn. = Seitſchrift f. Anthrop., Ethnologie u. Urgeſchichte. Berlin. 


Die havelländiſchen Gräberfelder verteilen ſich auf drei aufeinander- 
folgende Seitabſchnitte, die ſich auf Grund der reichlich auftretenden Sibel- 
funde mit hinreichender Sicherheit umgrenzen laſſen. Ich ſtütze mich dabei 
auf die grundlegenden Unterſuchungen von O. Almgren und auf die neueren 
Arbeiten von E. Blume, h. Preidel und A. Plettke, welche gewiſſe Sibel- 
gruppen zeitlich noch genauer zu beſtimmen verſucht haben. 

Der älteſte Abſchnitt wird durch eine Übergangsitufe eingeleitet, die 
gewöhnlich noch zur Spät-La-TLöne=deit gerechnet wird, ſich von dieſer aber durch 
das Auftreten einer Reihe neuer Erſcheinungen beſtimmt abhebt. Kurz vor 
Chriſti Geburt erſcheint im Elbhavelland wie auch in der Altmark und im 
übrigen Elbgebiet eine meiſt tiefſchwarze, fein geſchlemmte und gut gebrannte 
Tonware, deren Formen und Muſter ſich in die frührömiſche Kaiſerzeit hinein 
fortſetzen und z. T. erſt in dieſer zur vollen Entwicklung gelangen. Als die 
beiden wichtigſten Gefäßformen dieſer Stufe heben ſich eine bauchige, kurz— 
halſige Terrine und ein gewöhnlich als „Situla“ bezeichnetes Gefäß mit hohem 
ausgeſchweiftem Fuß und mehr oder minder ſcharf ausgeprägtem Umbruch 
heraus. Die Situla hat ihre Vorläufer bereits in der reinen Spät-Ca-Tône— 
Seit. So erſcheinen auf dem ſpätlateènezeitlichen Gräberfeld von Cammer, 
Kr. Sauch-Belzig, zwei ſitulaähnliche Gefäße!) (Abb. 1a), die mit ihrem ge— 


II K. A. mMarſchalleck: Das La-Tene:bräberfeld von Cammer. P. 3. 1927, 
S. 212ff. Taf. 31, 9 u. 33, 36. 


3] Die römiſche Kaifer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 125 
8 


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+ 


1222 ed 


Abb. 1. a Cammer (nach D 3. 1928, Taf. 33, 36. — b Alten-Plathow (Muf. Genthin). — 

c Garlitz (m. WE — d Börnicke (St.⸗M.). — e Milow (Sig. Stimming). — f, g Grog: 

wuſterwitz (Sig. Stimming). — h desgl. (nach Mannus VII, Taf. XLII, 16). — i Gohlig 

(nach Mannus IV, Taf. XL, 11). — k Gladau (Privatbefig). — 1 Ketzin (M. M.). — 
/ natürliche Größe 


126 Otto Selsberg [4 


rundeten Schulterumbruch noch eine typologiſch ältere Stufe dieſer Gefäßform 
darſtellen. ähnlich weiche Umrißlinien zeigt auch ein Gefäß von Groß— 
Wuſterwitz, Kr. Jerichow II (Abb. 1). Don da ſtammt aber auch eine Situla 
mit ſcharfem Bauchknick (Abb. 1g, 3b), und einige weitere Beiſpiele der aus⸗ 
geprägten Situlaform liegen von Garlitz (Abb. Ic) und Gohlitz (Abb. 11) 
im Kr. Weſthavelland ſowie von Nitzahn (Abb. 3a) und Milow (Abb. 1e) 
im Kr. Jerichow II vor. Eine Situla von Alten-plathow, Kr. Jerichow II 
(Abb. 1b) fällt durch ihre flauen, faſt geradlinig verlaufenden Profillinien 
auf. — Dieſe Gefäße beſitzen meiſt einen kleinen, am Rand und auf der 
Schulter ſitzenden henkel. Nur die Kanne von Garlitz (Abb. 1c) hat einen 
großen, in zwei Sipfel auslaufenden Henkel. Letztere Eigentümlichkeit, die 
auch die Situla von Gohlitz (Abb. 11) aufweiſt, wird dann in der folgenden 
Stufe eine ſehr gewöhnliche Erſcheinung. 

Sehr viel häufiger ijt die zweite Sefäßform vertreten. Sie erſcheint eben⸗ 
falls ſchon in rein ſpätlatènezeitlichen Funden (Reeſen, Abb. 2c, Genthin, 
Abb. 2a) und ſolchen, die zur frührömiſchen Periode überleiten (Ketzin, 
Abb. 1e). In größerer Sahl tritt fie auf dem frührömiſchen Begräbnisplatz 
von Klein-Kreuß, Kr. Weſthavelland, mehr vereinzelt auf den kleineren 
von Schermen (Friedhof), Kr. Jerichow I (Abb. 2h), Groß-Wujterwiß?), 
Kr. Jerichow II (Abb. 1h), Hohenferdhelar?), Kr. Weſthavelland, Plötzin, 
Kr. Sauch⸗Belzig (Abb. 2b, e), Buchow-Carpzow“), Kr. Weſthavelland, 
und börden?) bei Brandenburg auf. 

Das Ornament auf den älteren von dieſen Gefäßen iſt in punktumſäum⸗ 
ten Rißlinien (Abb. 1d, 1) oder in Strichbändern ausgeführt, die mit Punk⸗ 
ten, Schräg⸗ und Cängsſtrichen ausgefüllt ſind (Abb. 1a, c, 4a—d). Die 
Strichfüllung wie auch das auf einer Randjderbe von Plötzin (Abb. 4d) 
auftretende Tannenzweigmuſter deuten auf oſtgermaniſche Einflüſſe hin“). — 
Später fällt die Strichlinie fort (Abb. 1h), und ſchließlich wird das Muſter 
auf weſtgermaniſche Art mit einem gezahnten Rädchen eingedrückt (Abb. 11, k; 
2d—h). Das Gefäß von Buchow zeigt noch die Führungslinie, aber in Der, 
bindung mit Rädchenpunktierung. 

Als Schultermuſter finden wir auf älteren Gefäßen mehrfach ein Band 
von liegenden Kreuzen (Abb. 1c, g), das wohl aus einer Verdoppelung des 
einfachen Sickzackbandes (Abb. 1d) hervorgegangen ijt. Letzteres findet ſich 
häufig auf Situlen der Altmark“), erſteres auch auf einem kleinen braunen 
Krug vom Eckerberg bei Schermen (Abb. 5a, b), der eine typiſche „wanda⸗ 
liſche Krauſe“ daritellt?). Das Kreuzband ſchmückt aber auch noch die typo⸗ 
logiſch jüngere Situla Abb. 1g, und das Tannenzweigmuſter, jetzt in Rädchen⸗ 
technik, ijt auch in der frührömiſchen Seit noch beliebt (Abb. 11, k; 2d. 
Mannus VII, Taf. XXXIX, 9; XL, 15; XLII, 20). 

Weit häufiger tritt im Elbhavelland ein Ornament auf, das wir als Dor, 
läufer des in der römiſchen Seit fo beliebten Mäanders anjehen können: 


1) Mannus VII, Taf. XXXVII- XIII. 

2) Ebenda, Taf. XLII, 26—29. 

) Ebenda, Taf. XIIII, 24, 25. 

) Landeskunde III, S. 421. Abb. 236,7. 

5) Felsberg: Abb. 54. 

6) Dal. Vorgeſchichte, S. 145. — Seger: Schleſiens Vorzeit Bd. VI, S. 420. Abb. 8. 

) P. Kupka: Jahresſchrift XV, S. 65ff. 

) Dal. Koſtrzewſki: 8. 181 ff. — Ein ſehr ähnliches Gefäß mit verwandtem 
Schultermujter ſ. bei Marſchalleck: Das Urnenfeld v. Blönsdorf, Jahresſchrift XIV, 
Taf. XVIII, 59. — Dot, auch Tackenberg: Die Wandalen in Riederſchleſien, Taf. 20, o. 


5] Die römiſche Kaifer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 127 


das Stufens und Zinnenmuſter (Abb. 4b, cl, Es bat Déi ebenfalls ſchon in 
der Spät⸗Ca⸗Tène⸗Seit aus einfacheren Motiven entwickelt (Abb. 4a). 
Der untere Gefäßteil zeigt häufig eine ſenkrechte Feldereinteilung, die 


4 


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Abb. 2. a Genthin (St.«M.). — e Reeſen (St.-M.). — d Klein-Kreug (Muſ. Branden⸗ 
burg). — b, e Plötzin Out, Potsdam). — f Lünow al Brandenburg). — g Klein 
Kreutz (Slg. Stimming). — h Schermen (Mufeum Burg). -- ½ natürliche Größe 


ebenfalls aus der Spät-La-Tüne-deit übernommen ift, wo fie gern durch einen 
wechſel von Matt⸗ und Glanzſtreifen bewirkt wird (Abb. 2c). Soweit man 
ſich nicht mit einfachen ſenkrechten Linien begnügte (Abb. 2b, f, h), wurden 
die Felder durch abwechſelnd leere und ſchraffierte Flächen markiert (Abb. 2e). 


128 Otto Selsberg [6 


Die Fibeln, welche dieſe Tonware begleiten, gehören 3. T. noch der 
reinen Spät-La-Tene=deit an. So enthielt die Situla von Tammer (Abb. 1a) 
eine Fibel wie Koſtrzewski Dar. F, die zweite von da eine Spät-La-Tene-Sibel 
mit eckig geknicktem Bügel!), wie ſich eine ſolche auch in einer Urne vom 
Görden?) und in der „Krauſe“ von Schermen (Eckerberg) vorfanden. 

Für die Frühſtufe der römiſchen Kaiſerzeit ſind Fibeln mit harfenförmig 
geknicktem Bügel charakteriſtiſch, die teils mit unterer Sehne (wie Almgren 2, 
Abb. 5c), teils mit oberer Sehne (wie A. 19, Abb. 5d, e) auftreten. Beide 
Formen finden ſich häufig auf dem Gräberfeld von Klein-Hreutzs) 
(Abb. 5c, e), vereinzelt auch in Gefäßen von Groß-Wuſterwitz (Abb. 12’, h’), 
Gohlitz“), hohenfercheſars) (Abb. 6d) ſowie in einer Brandgrube von 
Schermen (Friedhof) (Abb. 5c). 


Abb. 3. a Nigahn. — b Großwuſterwitz (Slg. Stimming). — Etwa ¼ natürliche Größe 


Recht häufig kommt auf dem Gräberfeld von Klein-Kreutz auch die 
charakteriſtiſche Form der „Augenfibel“ vor, und zwar in einer frühen Ent— 
wicklungsſtufe mit offenen Augenſchlitzen (== A. 45). Sie fand ſich auch 
in einem Grabfund von Lünow°) (Kr. Weſthavelland) und in einem Einzel: 
fund von Trechwitz (Kr. Sauch-Belzig; Abb. 6a). In ihrer früheſten Ge— 
ſtalt (= A. 44) erſcheint jie in dem Grab von Buchow'), während Grab 1 
von Klein:Kreuß*) zwei etwas jüngere Exemplare mit geſchloſſenen Augen- 
löchern enthielt (etwa — A. 48, doch ohne Sehnenhaken). 

Sonſt wäre noch eine ſeltene Fibelform von hohenfercheſar („Fohrde“) 


1) Marſchalleck: Cammer, Abb. 13, 13 u. 18. 

2) Felsberg: a. a. O., S. 28, Abb. 54d. — Daß dieſe Fibel in der Terrine mit 
Rädchenmäander (Abb. 54) gelegen haben ſoll, beruht wohl auf einer irrtümlichen An— 
gabe der Finder. Die Stücke ſind leider verſchollen und nur noch Bleiſtiftſkizzen im 
„Götze-Archiv“ vorhanden. 

) Mannus VII, Taf. XXVII, XLII. 

Mannus IV, Taf. IL, lla. 
Mannus VII, Taf. XLIII, 25a, c. 
Landeskunde III, Taf. XIV, 6. 
Ebenda, Taf. XIII, 12. 

Mannus VII, Taf. XXXVII, Ga, b. 


rs E CN 
— — — — — 


71 Die römiſche Hoer, und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 129 


anzuführen), in der Friſchbier?) eine Vorläuferin der kaiſerzeitlichen Knie⸗ 
fibeln erblickt, ſowie eine frühe Form der „kräftig profilierten Fibeln“ (A. 67 
= Preidel IVa I) von Lünow?). Don Klein-Kreuß bildet R. Stimming 
eine provinzialrömiſche Scharnierfibel ab“). 

Abgejehen von den zuerſt angeführten Sibeln der Spat-La-Tine-deit, ge: 
hören dieſe Sibeln nach Preidel ſämtlich in die Zeit um Chriſti Geburt und 
in die erſte hälfte, überwiegend ſogar in das erſte Drittel des erſten nach— 
chriſtlichen Jahrhunderts. Nach oben reichen dieſe Gräber alſo wohl kaum 
viel über die Mitte des 1. Jahrhunderts nach Chrijto hinaus. Nur von dem 
zerſtörten Gräberfeld von Lünow (Abb. 6f) und von Sdhermen®) liegt je 


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Abb. 4. „Oſtgermaniſche“ Vorläufer des Mäanders. a Groß-Hreutz. — 
b Cammer. — c Götz (a-c Slg. Marſchalleck). — d Plötzin (Mluj. Potsdam) 


eine frühe „Rollenkappenfibel“ (A. 26 = Pr. II, 1) vor, die Preidel dem 
letzten Drittel des 1. Jahrhunderts zuweiſt. Auch iſt zu bemerken, daß die 
Situlen von Nitzahn und von Milow von Gräberfeldern ſtammen, die im 
übrigen der folgenden Stufe angehören, und daß die Fußurne von Klein: 
Kreutz, Grab 23, und das flaſchenförmige Gefäß, Abb. 22, vom felben 
Fundort in ihrer Form wie in dem kräftig eingedrückten Rädchenmuſter eben: 
falls ſchon zu dieſer überleiten. 


1) Mannus, Taf. XLIII, 24a. 

2) Germaniſche Fibeln vim. Mannusbibl. Nr. 28, 1928. S. 98. — Dal. jedoch 
Almgren a. a. O. S. 240 u. Preidel a. a. O. S. 99, Anm. 2. 

2) Almgren: a. a. O. S. 156. — Sie ijt aber unter der angegebenen Nr. II, 
11155 uſw. im Märk. Muſ. nicht zu finden. 

) Mannus VII, Taf. XXXVIII, 6¢. 

H Muf. Burg. — Almgren S 138 führt 2 Exemplare auf, von denen aber nur 
eins noch vorhanden iſt. 

Mannus, Seitſchrift für Vorgeſch., VII. Erg.⸗Bd. 9 


130 Otto Selsberg [8 


Wo haben wir aber die untere Grenze gegen die Spät-La-Tene=deit zu 
ziehen? Nach dem Dorgange Koſſinnas wird die Derwendung eines gezahnten 
Rädchens allgemein als Kennzeichen der frührömiſchen Kailerzeit betrachtet 
und deren Beginn in die Seit um Chriſti Geburt angeſetzt. Nun finden ſich 
aber Fibeln wie A. 2 und A. 19 nicht nur in Gefäßen mit Rädchenornament, 
ſondern auch ſchon in ſolchen, deren Muſter nach älterer Art freihändig aus⸗ 
geführt find (Tangermünde-Tord!), Groß-Wuſterwitz) )). Auch von 


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Abb. 5. a, b Schermen, Eckerberg. — c Schermen, Neuer Friedhof (Muf. Burg). — 
d, e Plötzin (Muſ. Potsdam) 


Krumke?) (Altmark), das nur ältere Tonware geliefert hat, liegt eine 
ſolche vor. Die eiſernen Fibeln von Krumke (Kupka a. a. O., Abb. 16 c, d) 
aus dem Gefäß Abb. 15 entſprechen den Eiſenfibeln von Klein-Kreutz, 
Mannus VII 2c, 3b uſw., nur daß dieſe untere, jene obere Sehne haben. 
Beiden gemeinſam iſt das Fehlen der Bügelſcheibe, welche die verwandten 
Formen A. 2 und A. 19 auszeichnet. Jedenfalls haben wir es hier mit einer 
Übergangsſtufe zu tun, die zweckmäßigerweiſe der frührömiſchen Periode an⸗ 


) Kupka: a. a. O. Abb. 3, 4. 
2) Slg. Stimming: Abb. Ir. Mannus VII, Taf. XLIII, 26. 
) Kupka: a. a. O. Abb. 25. 


H Die römiſche Kaifer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 131 


zuſchließen ijt. Ich bin in dieſer Auffaſſung beſtärkt worden durch eine noch 
unveröffentliche Diſſertation von Dr. K. 5. Marſchalleck über „Die Chro⸗ 
nologie der vorrömiſchen Eiſenzeit im Mittelelbgebiet“, Tübingen 1928, die 
Derfaffer mir freundlichſt zur Einſicht überlaſſen hat. Marſchalleck läßt 
die Spät-La-Tenesdeit im Mittelelbgebiet um 50 vor Chriſto enden, und zwar 
hauptſächlich deshalb, weil in dieſem ganzen Gebiet die ſpätlatènezeitlichen 
Gräberfelder mit ſeiner done D (die nur entwickelte Mittel-La-Tene-Sibeln 
und Spät-La-Tene-Sibeln mit eckigen Fußrahmen enthält), plötzlich abbrechen 
und die Übergangsformen zu den frührömiſchen Fibeln noch fehlen. Dieſelbe 


Abb. 6. a Trechwitz (St.⸗M.). — b, c, e Klein-Kreug (nach Mannus VII, Taf. XXXVII, 
la, 4d; Taf. XXXIX, 11b). — d pohenfercdeſer (nach Mannus VII, Caf. XIIII, 25 b). — 
Lünow (M. M.). — / natürliche Größe 


Beobachtung machen wir auch auf unſerem engeren Gebiet diesſeits der Elbe. 
Die uns hier beſchäftigenden Graberfelder und Einzelgräber ſchließen ſich 
nirgends an ein älteres Urnenfeld an. Eine Ausnahme ſcheint nur das im 
Frühjahr 1928 vom Potsdamer Muſeum erſchloſſene La-Töne-Gräberfeld von 
Plötzin zu machen. Auf ihm kamen auch Gräber der frührömiſchen Seit zu— 
tage, doch iſt diefe Ausnahme möglicherweiſe nur eine ſcheinbare, da die frag— 
lichen Funde an einer anderen Stelle der Feldmark als die übrigen gelegen 
haben ſollen !). 

Ich laſſe alſo den Seitabſchnitt, in den unſere Gräberfelder fallen, ſchon 
einige Jahrzehnte vor Chriſti Geburt beginnen und ſpäteſtens um 75 nach 
Chriſto enden. Wir haben es hier jedenfalls mit einer Gräbergruppe zu tun, 


——— 


1) Genaueres hierüber wird erſt die noch ausſtehende Bearbeitung der Funde 
ergeben. 
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132 Otto Selsberg [10 


die in fic) geſchloſſen ift, und die mit der frührömiſchen Seit inhaltlich enger 
verknüpft ijt als mit der Spät-La-Tene-deit!). Die Anfänge der neuen Kultur 
reichen allerdings noch in die Spat-La-Tene-deit zurück, wie das vereinzelte 
Auftreten der neuen Formen und Muſter auf den älteren Gräberfeldern wie 
Schermen (Eckerberg), Cammer und Börnicke beweiſt. Es find Vorläufer 
der kommenden Entwicklung, die innerhalb der Spät⸗Ca⸗Tene⸗Kultur fremd⸗ 
artig wirken und vielleicht auf Einflüſſen beruhen, die von außen her ein⸗ 
gewirkt haben. Wir ſahen ſchon (ſ. o. S. 126), daß unter den älteſten Fun⸗ 
den einige ſind, die oſtgermaniſche Zuſammenhänge vermuten laſſen. Es 
liegt nahe, dabei an die wandaliſchen Auswanderer zu denken, die ſich 
in dieſer Zeit vorübergehend in den ſüdlich angrenzenden Gebieten nieder⸗ 
gelaſſen haben?). Die weitere Entwick⸗ 
lung weiſt dann aber nach Weſten, be⸗ 
ſonders nach der Altmark, worauf ich noch 
zurückkomme (ſ. u. S. 167). 

Sur Eigenart dieſer Gräbergruppe 
gehört auch das Auftreten von Waffen⸗ 
funden?), und zwar rituell verbogener 
Lanzenſpitzen in den Grabfunden von 
Gorden*), Budow*), Gohlitzé) und 
Sdhermen’) (Friedhof). Von ſonſtigen 
Begleitfunden ſind kleine eiſerne Stiel⸗ 
meſſer mit geſchwungener Klinge, gerade 
Meſſer mit abgeſetztem Griffdorn, Scheren, 
kleine Knochennadeln mit profiliertem 
Kopf, Nähnadeln aus Bronze oder Eiſen 
und eine Halskette aus Bronzeperlen an⸗ 
zuführens). Das Gefäß von Ketzin ent⸗ 
hielt einen halsſchmuck aus kleinen hänge⸗ 
blechen, die an ähnliche Stücke der Hall: 

Abb. 7A. Potsdam (St.-M.) ſtattzeit erinnern (Abb. 11’). An Stelle 
Etwa */, natürliche Größe der Gürtelhaken tritt jetzt die Schnalle 
(Abb. 7a), die aber noch ſelten iſt. Doch 

enthielt das Grab von Buchow einen ſtark gebogenen, profilierten, einhakigen 
Bronzegürtelhaken mit Tierkopf?), und ein ganz ähnliches Stück (Abb. 7 c) 
lag in einem Bronzeeimer römischer Herkunft von Plötzin (Abb. 7b, 5d). Ahn⸗ 
liche Eimer find auch in der Altmark auf Gräberfeldern dieſer Stufe gefunden 
worden 10). Beſonders ein Eimer von Arensberg kommt dem Plößiner ſehr nahe 


1) fluch das nahe verwandte Gräberfeld von Groß⸗Romſtedt bei Apolda 
(6. Eichhorn, Mannusbibl., Nr. 41) ſetzt um 50 vor Chriſto unvermittelt ein und 
leitet ganz allmählich in die frührömiſche Seit hinüber. 

) Dal. u. a. W. Schulz: Funde aus dem Beginn der frühgeſchichtl. Seit. Jahres- 
ſchrift XI (1925). S. 27f., bef. auch die Suſammenſtellung S. 65f. u. die Sundkarte, 
Abb. 13. — Derfelbe: Mannus XX (1928), S. 195f. — H D Marſchalleck: Das 
Urnenfeld von Blönsdorf, a. a. O., S. 87. 

3) Dol W. Schulz: Mannus, 3. Ergänzungsband, S. 49. 

) O. Felsberg: a. a. O. Abb. 53a. 

H Landeskunde III, Taf. XIII, 14. 

) Mannus VII, Taf. XL, IIe. 

) Muſ. Burg. 

) Beiſpiele ſ. Mannus VIII, Taf. XXXVII—XLIM. 

) Landeskunde III, Taf. XIII, 16. 

mm P. Kupka: a. a. O. S. 75, 78. Taf. XVI, 1. Taf. XVII, 1, 2. 


11] Die römiſche Kaijers und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 133 


und hat auch ſehr ähnliche blattförmige Bügelhalter 1). Nach h. Willers?) find 
dieſe Bronzeeimer in Capua in der Seit von etwa 125 —25 vor Chriſto fabrik⸗ 
mäßig hergeſtellt und über Böhmen auf dem Elbweg in das freie Germanien 
eingeführt worden. Es mag aber eine längere Seit gedauert haben, bis ſie 
aus der Fabrik ihren Weg zu den Elbgermanen gefunden haben, und 
auch dann noch werden ſie ihrer Koſtbarkeit wegen noch ſo manches Jahrzehnt 
in Gebrauch geweſen ſein, ehe ſie ausgemuſtert und als Grabgefäße verwendet 
wurden?). Don den aus gleicher Quelle ſtammenden, aber weſentlich jüngeren 


Abb. 7. a Klein⸗Kreutz (nach Mannus VII, Taf. XLI, 190). — b—e Plögin (Muſ. Potsdam) 


Kaſſerollen und Siebgefäßen, die zur Weinbereitung dienten und ebenfalls 
eingeführt wurden“), haben ſich nur Bruchſtücke in einem vermutlich erſt der 
nächſten Stufe angehörigen Urnengrab von Streſow, Kr. Jerichow I 
(Abb. 14, c. e)*), gefunden. Der auf dem Griff angebrachte Fabrikſtempel 
iſt leider nicht mehr zu entziffern. du einer Kelle oder einem ähnlichen 
Metallgefäß hat wohl auch ein in einen Widderkopf endigender Bronzegriff 
(Abb. 74 c) gehört, der zuſammen mit einem ziſelierten Bronzebeſchlagſtück 
(Abb. 7 Ab) und einem an eine Dogelfigur erinnernden Bronzegerät 
(Abb. 7 Aa) in einem Urnengrab bei Potsdam gefunden wurde (St. M. II, 


d re a. a. O. Abb. 37. 

) Neue Unterſuchungen über die römiſche Bronzeinduftrie von Capua. 1907, S. 22. 
3) u ſpricht auch, daß = Henkelöſe an unſerem Stück ganz durchgeſcheuert iſt. 
) Willers: a. a. O. S. 69ff. 

5) Muf. Magdeburg. 


134 Otto Selsberg [12 


1923- 25). Ganz ähnliche Seitenſtücke zu dem Gürtelbeſchlag aus dem 
Römerlager von Hofheim i. T.!) verweiſen das Stück in die Seit um 50 
nach Chrifto. Ein Gegenſtück zu dem Griff mit Widderkopf enthielt ein Grab: 
fund des 1. Jahrhunderts von Rondſen, Kr. Groupen? — Das Plötziner 
Grab dürfte wegen des gleichartigen Gürtelhakens mit dem Buchower gleich⸗ 
altrig ſein (kum Chriſti Geburt oder etwas früher). Etwas älter mögen die 
Bruchſtücke eines zweiten Gürtelhakens von Plötzin fein (Abb. 7e), die in 
einem grauſchwarzen Topf von ſpätlatenezeitlicher Form (Abb. 7d) lagen. 
Zwei ſehr ähnliche Seitenſtücke zu den Giirtelhaken von Buchow und dem 
erſtgenannten von Plößin bildet C. Lindenfchmit?) aus der Provinz Starken- 
u. Gheinheſſen) und von Leimbach bei Salzungen ab. Ein drittes fand 
ich bei Rhoda, Kr. Gifhorn“). Dem zweiten Gürtelhaken von Plötzin ent- 
ſpricht ein ganz gleicher von Traunſtein (Oberbanern)*). Drei weitere 
Gürtelhaken dieſer Art zählt Déchelette®) aus Frankreich, dem Elſaß und 
Niederöſterreich auf. Wir haben es alſo wohl mit Einfuhrware aus dem 
Keltengebiet in Süd⸗ und Mitteldeutſchland zu tun. 

Auf der Fundkarte (Abb. 8) habe ich außer den Fundplätzen der früh: 
römiſchen Seit im engeren Sinne auch diejenigen eingetragen und durch be— 
ſondere Zeichen gekennzeichnet, die ich zur Übergangsſtufe rechne, und jene 
Spät⸗Ca⸗Tene⸗Gräberfelder, auf denen die erſten Anzeichen der kommenden 
Entwicklung bemerkt werden. Die ganze Sundgruppe ijt aber in unſerem Ge- 
biet nur recht ſpärlich vertreten, zumal wenn man bedenkt, daß es ſich meiſtens 
um ganz kleine Friedhöfe oder um Einzelgräber handelt. Nur auf dem Kruſe— 
berg bei Klein-Kreuß ſind einige zwanzig Gräber geöffnet worden. 


Jünger iſt eine zweite Gruppe von Gräberfeldern, die vor allem durch 
die großen Friedhöfe vom Gallberg bei Fohrde“) und 5 . 
vom Moſesberg bei Ketzür“), Kr. Weſthavelland, und von Nitzahn !), 
Jerichow II, vertreten wird. Die Keramik dieſer Gruppe wird am > 
fälligſten durch die bekannte Terrinenform der Mäandergefäße (Abb. 9a, 
e, h, n) gekennzeichnet. Die Situla ijt verſchwunden, lebt aber vielleicht in 
den recht häufigen vaſen- oder pokalförmigen Fußurnen (Abb. 9b und f) 
weiter, die vereinzelt ſchon auf dem Gräberfeld von Klein-Kreuß!!) out 
tauchen. Don den übrigen mannigfachen Formen hebe ich bauchige, flaſchen⸗ 
förmige Gefäße (Abb. 91) und weitmündige Töpfe mit Trichterrand hervor. 
Eine ſehr ungewöhnliche Form zeigt das hohe tonnenförmige Gefäß Abb. 9i. 

Neben dem kräftig in Rädchentechnik ausgeführten Mäander und ſeinen 
Abarten erſcheinen jetzt wieder häufiger Fickzack⸗ und Sparrenmuſter (Abb. 9d, 
e, k, I). Auch das Schachbrettmuſter wird einige Male verwendet (Abb. 9m), 
und das Hakenkreuz iſt ein beliebtes diermotiv (Abb. 9a), das auf einer 


1) Annalen e Geſchichts- u. Altertumsvereins, Bd. 40. Wiesbaden 
1913. Taf. XII, 

2) Kofjinna- Seithrift 1928, S. 43, Abb. 6,7 (Ca Baume). 

3) Altertümer unſrer heidn. Derzeit, IV, Taf. 51, 1, 3. 

) Nachr. 1902, S. 20, Abb. 

) Lindenſchmit: IV, Taf. GR 2: 

6) Manuel d Archéologie II, A 8. 155f. 

) Dok und Stimming: V, Taf. 1—15. 

) Mannus IV, Taf. XLVI—XLVII u. Slg. Stimming. 

) Ebenda. Das Gräberfeld vom Moſesberg pe auf der Feldmark Ketzür und 
wird deshalb richtiger nach dieſem Ort, nicht nach Butzow, benannt. 

15 Slg. Stimming. 

n) Mannus VII, Taf. XLI, 19, XLII, 23. 


Die römiſche Kaifer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 135 


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17] Die römiſche Kaifer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 139 


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Abb. 10. a, d, f Sohrde. — b, g-! hohenfercheſar. — « Kegür. — e Migahn. — 
m Crechwitz (a St.-. — b Muf. Brandenburg. — c, d—k Sig. Stimming. — I Slg. 
Marſchalleck). — ½¼ natürliche Größe 


140 Otto Selsberg [18 


ſchönen Flaſche von Nitzahn!) im Wechſel mit einem gleicharmigen Kreuz und 
einer blumenähnlichen Figur auftritt. 

Die Henkel laufen häufig in zwei oder drei Sipfel aus (Abb. 9h; 10c) 
und werden nicht ſelten von Buckelchen, Zapfen oder Leiſten begleitet 
(Abb. 9c, k), die auch ſelbſtändig auftreten. — Eine eigentümliche Henkel: 
bildung mit enger röhrenförmiger Durchbohrung zeigen zwei Gefäße von 
Fohrde (Abb. 10d und Doß und Stimming V, Taf. 10, 27) und eins von 
Nitzahn (Abb. 10e). Als Dorläufer der „Henkelgußurnen“ der Dölkerwande- 
rungszeit?) kommen fie aber wohl kaum in Betracht. Einhenkelige Kannen 
finden ſich öfters (Abb. 10c); zweihenkelige Töpfe kommen mehrfach auf den 
Gräberfeldern vom Gallberg (Abb. 10a, b) ſowie in einem Einzelfund von 
Ketzin (St. M. If 8312) vor. Sie erinnern an den „Fuhlsbütteler Typ“ der 
Langobardengraber Oſtholſteins (Plettke, S. 37f.). Sie wie auch ein drei⸗ 
henkeliger Topf von Fohrde (Abb. 10f)*) laſſen auf oſtgermaniſche Be⸗ 
ziehungen ſchließen “). 

Der Inhalt dieſer Gräber iſt meiſt recht reichhaltig. Vor allem erſcheinen 
die für die Seitbeftimmung jo wichtigen Fibeln in großer Sahl. Als Material 
wird Bronze, Eiſen und Silber verwendet. Auch Goldbelag kommt vor 
(Abb. 11h). Sie gehören faſt ausſchließlich dem 2. 1 an. Auch 
die Fibel von Fohrde (Voß und Stimmung V, Taf. Ap 156 =Preidel 
IVb, 3), die Preidel dem letzten Drittel des 1. Jahrhundert zuweiſt, fand 
lid) in Begleitung einer Fibel (Taf. 5, 15h=Preidel Vb, 4), die nach 
Dreidel überwiegend dem Anfang des 2. Jahrhunderts angehört. Die große 
Mehrzahl der Sibeln erweilt ſich als Dertreter der Almgrenſchen Gruppen 
IV und V, alſo der kräftig profilierten Fibeln und der von ihnen abgeleiteten 
Sonderformen, häufig erſcheint die „Trompetenfibel“ (Preidel IVb, 4, 5 
= Abb. 11a). Eine ſeltene Abart (Pr. IV e, 2) derſelben fand [ic bei 
Hohenfercheſar (Abb. 11g) und Fohrde (St. M. If, 206 1a), ebenda eine 
provinzialrömiſche Nebenform (Abb. 11e) wie Almgren 101, die Kupka”) 
auch aus der Altmark anführt. — Nicht ſelten iſt die S-Sibel (Pr. IVb, 4) 
mit oder ohne Fußknopf (Abb. 11k; 12a). Eine verwandte Form mit unterer 
Sehne (A. 193 = Pr. Vb, 5), die Almgren zu feiner Gruppe VII rechnet, 
wird von Preidel ebenfalls dem ausgehenden 2. Jahrhundert zugewieſen. 
Sie fand ſich je einmal bei Cammer (Abb. 100) und Kemnitzé) (Kr. Sauch⸗ 
Belzig). — Sehr häufig erſcheinen die verſchiedenen Abarten der Kniefibeln 
(Pr. Wb, 7—9; Abb. 11c, f, h, m, n). Eine ſolche von Gutenpaaren 
(Kr. Weſthavelland) ') mit doppelter Spiralrolle iſt eine Vorläuferin der im 
3. Jahrhundert namentlich bei den Oſtgermanen beliebten Sweirollenfibeln 


1) Koffinna: Dorgeſchichte 4, Abb. 511 („Weſthavelland“). Slg. Stimming. 
2) Dal. F. Roeder: Mannus, 7. Ergänzungsband, S. 190ff. 
3) =- Dok und Stimming V, Caf. 8, 21; hier verzeichnet. 
4) Kofjinna: 5. f. Ethn. 1905, S. 404. Blume: S. 128 ff. Plettke: S. 54. 
5) Altmärkiſche Fibeln, Jahresſchrift 9, S. 28. Abb. 31. (4 Exemplare von Aetb, 
lingen). 


6) G. S. Treverus (Treuer), Anastasis veteris germani germanaeque feminae uſw. 


Helmſtedt 1729. Abb. V. — Als Fundort bezeichnet Treuer das Gut des herrn von 
der Marwitz bei Potsdam. Bekmann, S. 444 nennt Groß-Kreutz oder die filia 
Kemnitz. Nur letzteres kann gemeint ſein, das nach Fidicin, die Territorien der Chur⸗ 
und Mark Brandenburg, III, S. 29, damals in Marwitzſchem Beſitz war, während 
Groß⸗Hreutz der Familie von Hacke gehörte. 

) Almgren, Beilage I, 22, führt dieſe Fibel an unter der Bezeichnung „zwiſchen 
Brandenburg und paretz“, unter der ſie in der Sammlung des M. M. ausgezeichnet 
iſt. Aus den Muſeumsakten konnte ich Gutenpaaren als Fundort ermitteln. 


19] Die römiſche Kaifer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 141 


(Abb. 11d). Auch die breiten Bronzeblechfibeln (Pr. Vc, 6/7) find eine 
häufige Erſcheinung. Eine Nebenform mit doppeltem Sehnenhaken (wie H. 154) 
fand ſich bei Fohrde (Abb. 12h) und Nigahn (Sammlung Stimming). 
Ebenſowenig fehlen die breiten S-formig gebogenen Fibeln (Pr. Ve, 1, 2; 


OF. 

Abb. 11. a, c, k Nigahn (Slg. Stimming, e Muf. Brandenburg). — b Jeſerig (Muſ. 

Brandenburg). — d Gutenpaaren (M. M.). — e— h, I—n hohenfercheſar (Slg. Stimming). — 
i Werder (M. M.). — o Cammer (Muſ. Emmerich). — ½ũ natürliche Größe 


Abb. 121). Auch Einſproſſenfibeln (Pr. Vb, 12 14) find mehrfach gefun⸗ 
den worden (Abb. 11b, 1; 120, n). 

Die Fibeln mit 3weilappiger Rollenkappe (Almgren, Gruppe II) er, 
ſcheinen auf dieſen Gräberfeldern ebenfalls zahlreich und nur in ihren 
ſpäteren, dem 2. Jahrhundert angehörigen Entwicklungsſtufen (Pr. II, 4, 5; 


142 Otto Felsberg 20 


Abb. 12g) 1). Die oſtgermaniſche Form mit Sehnenhülſe (Pr. II, 11) fand 
ſich nur einmal bei Fohrde?). Eine ſpäte oſtdeutſche Form der Augenfibeln 
(Pr. III, 5) wurde in zwei Exemplaren bei Werder (Abb. 11i) und in einem 
bei Kargow 4) (Kr. Ojthavelland) gefunden. 

Selten erſcheinen im Havelland die provinzialrömiſchen Scharnierfibeln 
(Fohrde ), hohenfercheſars) = Abb. 12k). Don Fohrde bejigt das 
Staatsmuſeum auch eine Scheibenfiebel mit Scharniereinrichtung (Abb. 12 m). 
Häufiger kommen die etwas jüngeren germaniſchen Nachbildungen der Schei⸗ 
benfibeln mit Armbruſtkonſtruktion vor [Sohrde P, Nitzahn (Abb. 121, m), 
Hohenfercheſar (Abb. 12e, o)]. Bei der letzteren ijt der ſonſt meiſt ob, 
geſchmolzene Emailbelag noch erhalten. 

Zu einer provinzialrömiſchen Abart der kräftig profilierten Fibeln (A. 86) 
von Fohrde (Doß und Stimming , Taf. 5, 13 b) gibt es ein Seitenſtück 
aus Oberſchleſien “), das den Weg vermuten läßt, auf dem die Fibel aus ihrem 
Urſprungsland Ungarn?) ins Havelland gelangt fein mag. 

Ins 3. Jahrhundert ſetzt Koſſinna“) eine oſtgermaniſche Sonderform 
von Hohenfercheſar, und in die Seit um 200 oder etwas ſpäter dürften 
nach ihm auch die Sonderformen Abb. 12b und d gehören 10). Dagegen find 
die für das 3. Jahrhundert bezeichnenden zweigliedrigen Armbruſtfibeln mit 
hohem Nadelhalter äußerſt ſelten. Die S. 140 ſchon erwähnten Fibeln von 
Cammer und Kemnitz gehören wahrſcheinlich noch dem 2. Jahrhundert an, 
und auch die Fibel von Raben (Seitichr. f. Ethn. 1896, Taf. IX, 2) iſt einer 
frühen Form (= H. 215) verwandt, die Almgren!!) neuerdings in die Seit 
um 200 ſetzt. Die ebenfalls dem 3. Jahrhundert angehörigen Armbruſtfibeln 
mit umgeſchlagenen Fuß fehlen vollſtändig. 

Die zweite Gruppe unſerer Gräberfelder fällt alſo ganz überwiegend in 
das 2. nachchriſtliche Jahrhundert. Einige wenige Gräber mögen noch in den 
Ausgang des 1. Jahrhunderts zurückreichen, etwas mehr ſetzen ſich noch in 
den Anfang des 3. Jahrhunderts fort. Dafür ſpricht auch das Vorkommen 
von Gefäßformen (Abb. 10g, h, i, k), die ſchon zu den Schalen⸗ und Napf⸗ 
urnen der ſpätrömiſchen Seit überleiten. Auch der entartete Mäander auf dem 
Gefäß Abb. 9k und auf einem den Schalenurnen verwandten Gefäß von 
Nedlitz, Kr. Oſthavelland (Landeskunde, Textabb. 244) dt offenbar eine 
ſpäte Erſcheinung. 

In Männergräbern finden ſich jetzt wieder häufiger Waffen, vor allem 
eiſerne Canzenſpitzen mit flachem Blatt, ſeltener Gratlanzen, ferner ein⸗ und 
zweiſchneidige Schwerter und kleine eiſerne Streitäxte 12). In einem Grab bei 
Wachow, Kr. Weſthavelland, hat ſich die Bronzeeinfaſſung eines ſechseckigen 


1) Außer den von Almgren, Beilage I, 4 aufgeführten Fundorten find noch 
zahlreiche Exemplare von hohenfercheſar, nitzahn und Ketzür aus der Stimming: 
ſchen Sammlung zu nennen. 

2) Doß und Stimming V, Taf. 10, 25 a, b. 

3) M. mM. II, 11555. Landesk. III, Taf. XIV 7. 

4) Be und Stimming V, Taf. 11, 3la. 

°) Dal. R. Stimming in P. 5. 1914, S. 199. 

) Doß und Stimming V, Taf. 5, 13b. 

) P. 5. 1918, S. 115, Abb. 23 (M. Jahn). 

) Almgren: 8. 44. 

) Porgeſchichte, S. 199, Abb. 415. 

10) Wad) frol. briefl. Auskunft. 

11) O. Almgren und B. Merman: Die ältere Eijenzeit in Gotland. Stockholm 
1923, S. 133 ff. 

12) Dal. die Suſammenſtellung bei Jahn, Bewaffnung, Beilage I, S. 246 ff. 


21] Die römiſche Kaiſer⸗ und Völkerwanderungszeit im Elbhavelland 143 


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OF - Pr 2 1 Ena . 


Abb. 12. a, b, e, g, i, k, 0 Cake — c, f, b, m Sohrde. — d, I Nigahn. — 

n Werder. — o Bronze mit Email: Rand Bronze, dentrum und Radien weiß auf blauem 

Grund. — (a—e, g. i—l, o Sig. Stimming. — f, m St. — h nach Voß und Stimming », 
Taf. 5, 14b. — n M. M.). — |), natiirlide Größe 


144 Otto Selsberg [22 


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Abb. 15. a—g, i—v Hohenfercheſar (Slg. Stimming). — h Raben (St.-M.). — x, y Sohrde 
(nach Dog und Stimming , Taf. 5, 13a; 6, 16f.). — Etwa ½ natürliche Größe. — i, k, 
n, O etwa ½ natürliche Größe 


23] Die römiſche Kaijer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 145 


Holzſchildes erhalten 1). Häufiger fanden ſich eiſerne Schildbuckel, die teils in 
einen ſpitzen Stachel, teils in eine ſtumpfe Stange auslaufen, und die zuge⸗ 
hörigen Schildfeſſeln?). Wie der germaniſche Reiter ſein Roß aufzäumte, ver⸗ 
anſchaulicht eine einzigartige in Rädchentechnik ausgeführte Seichnung auf 
einer Mäanderurne von Hohenferdejar?). Soweit ſich dieſe Funde da: 
tieren laſſen, beſtätigen ſie das Ergebnis, das wir durch die Betrachtung der 
Fibelfunde gewonnen haben. Die Stachelbuckel kommen in der zweiten hälfte 
des 2. Jahrhunderts auf und reichen nur wenig in das 3. Jahrhundert hin⸗ 
ein. Die Stangenbuckel treten im Elbgebiet ſchon früher auf, halten fic) aber 
ebenfalls bis ins 3. Jahrhundert hinein“). Don den Schildfeſſeln vertritt nur 
ein Exemplar von Fohrde (Voß und Stimming V, 1,1) einen jüngeren 
Typ, der um 200 auftritt und ſich durch das ganze 3. Jahrhundert erhält”). 


Abb. 14. a Ketzin (St.⸗M.). — b Kemnig (Muf. Potsdam). — c—e Strefow (Muf. 
Magdeburg). — a, b /; c—e etwa ½ natürliche Größe 


Aud) die Stuhlſporen von Hohenferdefar’) und die Knopfiporen von 
Sohrde') find ſpäte Formen aus dem Ausgang des 2. oder dem Anfang des 
3. Jahrhunderts. 
ur Ausrüftung des Mannes gehört ferner eine Schere, ein Pfriemen, 
ein Feuerſtahl, ein großes eiſernes Meſſer mit Griffdorn (Abb. 15k) ſowie 
ein halbmondförmiges Raſiermeſſer (Abb. 15m), und ein Wetzſtein. Seltener 
ſind kleine eiſerne Stielmeſſer mit geſchwungener Klinge (Abb. 150). Eine 
ſeltene Meſſerform (Abb. 135i) mit dickem vierkantigem Griff und einer Dor, 
richtung zum Anhängen am Gürtel verſehen, ſtammt aus einem Frauengrab. 
Gürtelſchnallen aus Eiſen oder Bronze finden ſich in Männer- und 


1) Mannus IV, Taf. XLV. 

2) Beifpiele von Waffen bei Doß-Stimming a. a. O. und R. Stimming, Man. 
nus IV, S. 309ff. Taf. XI. IV- II. 

>) Dorgeſchichte, S. 199, Abb. 412. 

) Jahn: a. a. O. 8. 178. 

) Ebenda, S. 190 (Typ 9). 

) Jahn: Reiterfporn, Anhang Nr. 119 — 128. 

) Ebenda, Nr. 441—444. 

mannus, Seitſchrift für Vorgeſch., VII. Erg.⸗Bd. 10 


146 Otto Selsberg [24 


Frauengräbern. Neben den einfachen halbkreisförmigen oder rechteckigen 
eingliedrigen Schnallen iſt auch die „Krempenſchnalle“ mit oder ohne Riemen⸗ 
kappe nicht ſelten 1); vereinzelt ſteht dagegen eine „Ringſchnalle“ von Ketzür 
(Mannus IV, Taf. XLVIII, 9b). Unter den Schnallen mit zweigliedrigem 
Rahmen und Riemenkappe hebe ich eine ſchöne verzierte Bronzeſchnalle mit 
eingerollten Bügelenden aus einem Urnengrab von Ketzin (Abb. 14a) her⸗ 
vor. Auf dem langen Dorn iſt ein plaſtiſcher Tierkopf aufgeſetzt. Eine ähn⸗ 
liche, aber viel einfacher gehaltene Schnalle ſtammt von Wagenitz, Kr. Weſt⸗ 
havelland?). Die dieſe Schnallen begleitenden ſchlanken Riemenzungen liegen 
oft in größerer Sahl in einem Grab. Eine ſpäte flache Form mit durchlochter 
Scheibe nahe dem Ende (Dok und Stimming V, Taf. 13, 37a) fand ſich 
nur einmal bei Fohrde. Nach Blume (S. 55) gehört lie bereits dem 3. Jahr⸗ 
hundert an. 

Die Frauengräber werden vor allem durch Spinnwirtel aus Ton, 
ſelten aus Stein und durch Nähnadeln aus Bronze gekennzeichnet. Knochen⸗ 
kämme mit halbkreisförmigem, meiſt durchbrochenem Griff (Abb. 13 w) mur, 
den von Männern und Frauen getragen, ebenſo kleine Nadeln aus Silber 
oder Bronze (Abb. 131, m), die meiſt in größerer Sahl beieinander liegen. 
Aud) große Schmucknadeln aus Knochen (Abb. 131, s), ſeltener aus Bronze 
(Abb. 15t) kommen vor. Als Haarband dienten verzierte Bronze⸗ oder Silber⸗ 
blechſtreifen mit hakenförmig umgebogenen Enden, die ſich beſonders häufig 
auf den Gräberfeldern des Gallbergs fanden. Bunte Glasperlen (Abb. 13 u, v) 
und kleine S-förmig gebogene ſilberne und bronzene Schließhaken (Abb. 138) 
gehörten wohl zu einem Halsſchmuck. Recht felten find kleine berlockartige 
Anhänger (Abb. 15f, g, x, y), die im 2. Jahrhundert namentlich bei den 
Oſtgermanen in Mode kamen:). Als Anhänger hat wohl auch eine Kauri- 
muſchel gedient, die auf einer Siedlungsſtelle bei Jeſerig, Kr. Sauch-Belzig, 
gefunden wurde. Dieſe aus ſüdlichen Meeren eingeführte Schnecke wurde be⸗ 
ſonders bei den Oſtgermanen in kreuzweis übereinandergelegten Blechſtreifen 
Ku ähnlich wie Abb. 15g; bei unſerem Stück iſt die Faſſung jedoch nicht 
erhalten. 

Aus Frauengräbern ſtammen ferner Armreifen aus Silberdraht mit um⸗ 
gewickelten Enden (Abb. 13e). Sie fanden ſich mehrfach bei hohenfercheſar 
(Sammlung Stimming), wo ſie auch zuſammen mit ſogenannten Tierkopf⸗ 
armbändern!) vorkommen (Abb. 13a — d). Ein ähnliches Paar aus Fohrde 
ijt bereits von Dof und Stimming (, Taf. 1, 2) veröffentlicht. Bruch⸗ 
ſtücke von zwei weiteren ſtammen von Wagenitz, Kr. Weſthavelland (M. M. 
Blume, S. 82) und von Raben, Kr. Sauch-Belzig (Abb. 13h). Ihre 
Seitſtellung wird durch die fie begleitenden Fibeln beleuchtet, die alle der 
erſten hälfte bzw. der Mitte des 2. Jahrhunderts angehören“). 

Sur Husſtattung der Frauengräber gehört nicht ſelten auch ein eiſerner 


’) 5. B. Dok und Stimming V. Taf. 6, 16b. 

2) Landeskunde III, Taf. XVI, 24. 

3) Koffinna: A f. Ethn. 1902, S. 399. 

) Näheres über dicfe intereſſante Armbandgattung ſ. bei Blume, S. 64 ff. und 
6. Koſſinna, Mannus 14, S. 131 ff. 

) Hohenfercheſar (Slg. Stimming), Grab 30 (Abb. 136): 2 Fibeln = Pr. 
IVe, 2 (Abb. 11g); 1 = Pr. Ve, 6/7. — Grab 60 (Abb. 13a): 2= Pr. Vb, 8 (Abb. 11f, m) 
= 1 ähnlich Dr. véi ` (aber ohne Fußknopf). — Grab 98 (Abb. 13d): 1 = Pr. IV e, 4 
(ohne Supknopf). — = Pr. Vb, 13 u 111); Bruchſtücke einer Rollenkappenfibel. 
— Grab 107 (Abb. 13h): 1= pr. IVb, 4; 1 = Pr. Vb, 13. — Raben: 2 Pr. Vb, 4. 
— Wagenitz: 2 = Pr. II, 5. 


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Abb. 15. Funde der mittleren römiſchen Kaiferzeit (etwa 75—225 nach Chr.) im Elbhavelgebiet 


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152 Otto Selsberg [30 


Schlüſſel, mit dem eine Holztruhe mit Schiebedeckel verſchloſſen wurde). Sie 
diente wohl zur Aufbewahrung von Wertſachen. Don den Schloßteilen hat 
ſich bei hohenfercheſar eine Schloßfeder (Sammlung Stimming Grab 53) 
und bei Raben eine Schloßfeder und ein Schloßblech erhalten’). Vereinzelt 
ſteht der ſchon (S. 153) erwähnte Fund eines römiſchen Trinkgeſchirrs von 
Strejow, Kr. Jerichow I. 

Die Gräber der älteren Kaiſerzeit find durchweg Flachgräber mit 
Brandbeſtattung. Die Urnen ſtehen ohne Steinſchutz in der Erde. Beigefäße 
und Deckelſchalen fehlen. Eine ſeltene Ausnahme macht nur ein Kindergrab 
von Hhohenfercheſar, das mit einem Knopfdeckel verſchloſſen war (Abb. 10e) 
und eine Fußurne von Nitzahn, über die eine Schüſſel geſtülpt war (Abb. 9). 

Don der allgemeinen Beſtattungsſitte weichen auch die beiden Hörper⸗ 
gräber von Lünow und Wachow ab, die R. Stimming veröffentlicht hat 
(Mannus IV, Taf. 44, 45). In ihnen ſind zwei germaniſche Krieger in voller 
Waffenausrüſtung beſtattet. Dieſe von den Goten um Chriſti Geburt ein- 
geführte und dann von anderen oſtgermaniſchen Stämmen übernommene Be- 
Itattungsweije?) kommt in der älteren Kaiferzeit vereinzelt auch auf melt, 
germaniſchem Gebiet vor. Vielleicht gehörten die beiden Toten von Cünow 
und Wachow einem fremden Stamme an, der auf der Wanderung das Havel— 
land durchzog. 

Wie die Fundkarte (Abb. 15) zeigt, hat ſich die Sahl der Fundſtellen 
bedeutend vermehrt. Sie liegen durchweg in der Nähe der Waſſerläufe und 
Seen, und namentlich das breite Haveltal zwiſchen Brandenburg und Potsdam 
iſt ſtark beſetzt, wenn auch bei weitem nicht ſo dicht wie in der jüngeren 
Bronzezeit und in der vorrömiſchen Eiſenzeit. Nach Süden zu ziehen ſich die 
Fundſtellen jetzt das Planetal aufwärts bis in den Fläming. Im Hinblick 
auf die Sahl der Gräber wie auf den Reichtum ihres Inhalts kann man 
dieſe Stufe als die Blütezeit der älteren Kaiſerzeit bezeichnen. 

Wie wir ſehen, reicht dieſe Fundgruppe nur mit wenigen Gräbern noch 
in den Anfang des 3. Jahrhunderts hinein. Erſt in der zweiten hälfte des⸗ 
ſelben erſcheinen wieder zahlreiche, z. T. ſehr reichbeſetzte Friedhöfe, die ſich 
in ihrem Fundinhalt nicht unweſentlich von den älteren unterſcheiden. Der 
größte derſelben befand fic) auf dem haſſelberg bei Butzow; er muß weit 
über tauſend Gräber enthalten haben und iſt auch heute noch nicht erſchöpft. 
Aud) das Gräberfeld von Garlitz barg über 500 Gräber !). Die meiſten 
übrigen haben nur geringere Ausbeute geliefert. Sie mögen z. CT. ſchon zer⸗ 
ſtört geweſen ſein, ehe man auf ſie aufmerkſam wurde, wie z. B. das Urnen⸗ 
feld von Henrothsberge, Kr. Jerichow I, das auch ſehr umfangreich ge— 
weſen fein muß). 

Die Leichenbrandurnen ſtehen auch auf dieſen Friedhöfen ohne Beigefäße 
und ohne Deckelſchalen frei in der Erde. Eine auffällige Ausnahme machen 
nur ein paar kleinere Gräberfelder. Auf ihnen taucht plötzlich die längſt ver— 
geſſene Sitte wieder auf, ein oder mehrere Beigefäße mitzugeben und auch 
wohl die Urne mit einem Deckelgefäß zu verſchließen. Mitunter wird auch 
ein großer Topf über das Grab geſtülpt, ſo daß man lebhaft an die ſpät— 
bronzezeitlichen ſogenannten Glockengräber derſelben Gegend erinnert wird. 


1) Dal. P. 5. 1918, S. 140 f. (Jahn). 

2) S. f. Ethn. 1896, Taf. IX, 4, 5. 

3) Dal. Koffinna: 5. f. Ethn. 1905, S. 391. Blume: a. a. O. I. S. 154ff. 
4) Joh. Schmidt-Ketzin (jetzt Saarow) briefl. 

5) Nachr. 1896, S. 81f. 


31) Die römiſche Kaifer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 153 


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Abb. 16. a Bornim. — b, c Kügkow. — d Schmergow. — e, f, g, i, I, m Butzow. — 

h Gatow. — n, o Kegür. — k, p Garlitz. — r, 4 Gorden (a St.-M. — b, c, g, i, I-o 

Slg. Stimming. — d—f Muf. Brandenburg. — h, r, q m. M. — k, p Muf. Potsdam). — 
/ (a b, Ya 4 el natürliche Größe 


154 Otto Selsberg [32 


Die Gruben, in denen dieſe Urnen ſtehen, ſind mit Brandaſche gefüllt. 
Auch kommt es vor, daß die Urne umgeſtülpt über den Leichenbrand ge- 
ſtellt wird. 

Derart iſt die Mehrzahl der Graber von Ketzür (= , Bugow", ſ. o. S. 154, 
Anm. 9)1) und von Kützkow, Kr. Jerichow II (Abb. 16b, c). ähnliche 
Gräber fanden fic) auch bei Phöben?), Rietz (Doß und Stimming VI, 
Taf. 9, 1) und Schmergow (Abb. 16d) im Kreiſe Sauch-Belzig, ſowie von 
Groß⸗ Wuſterwitz (Sammlung Stimming). Dagegen iſt mir von dem großen 
Gräberfeld von Butzow nur ein einziges Grab mit übergeſtülpter Schüſſel 
bekannt (Sammlung Stimming), und ebenſo fehlen dieſe Gräber bei Gar— 
lig’). Aus der Altmark erwähnt Kupka (Beiträge III, S. 105) als ſehr 
auffällige Ausnahme ein Beigefäß von Borſtel“). 

In ihrer großen Mehrzahl ſind die E niedrige weitmündige 
Terrinen, ſogenannte Schalenurnen (Abb. 16e, f, i, m). Häufig find fie 
ganz ſchlicht und unverziert. Iſt Verzierung vorhanden, ſo beſteht ſie in 
ſchrägen oder waagrechten Auskehlungen, großen ovalen Dellen, Sickzack⸗ und 
Sparrenornament, Kammſtrichverzierung, Fingernägeleindrücken, Wulſtringen, 
Buckel⸗ und Warzenbeſatz, ausgezacktem Bauchknick u. a. m. (Abb. 16). 
Recht häufig ſind auch Näpfe mit eingebogenem Rand (Abb. 16 n), ſeltener 
kommen flache Schüſſeln vor (Abb. 166). Ungewöhnliche und wohl ſpäte 
Formen ſtellen die Abb. 16g, k, p dar. Eine Seltenheit ijt auch die „Fenſter⸗ 
urne“ von Bornim, Kr. Ofthavelland (Abb. 16a). Sie beſitzt nicht nur, 
wie die meiſten ihrer Art, ein Bodenfenſter, ſondern auch drei kleinere, durch 
Glasſtückchen verſchloſſene Öffnungen auf der Schulter von derſelben Weite 
wie die eingeſtempelten Ringe, die fie verbinden). Reſte einer Fenſterurne 
ſind auch bei Butzow“) beobachtet worden. Sie kommen auch auf den alt- 
märkiſchen Urnenfeldern dieſer Zeit von Sethlingen, Borſtel, Mechau' und 
Calbe a. M.“) vor. 

Henkeltöpfe find nicht eben häufig. Unter ihnen fallen die „Knopfhenkel“ 
von Butzow (Abb. 161 und boß⸗Stimming VI, Taf. 1, 2) auf, die bei 
Dahlhauſen“) (Oſt⸗prignitz) eine häufige Erſcheinung ſind und auch auf 
den Friedhöfen von Mechau und Boritel in der Altmark!) erſcheinen. Eine 
Henkeltaſſe mit großem, eckig geknicktem Henkel (Abb. 171) von Yeu: 
Derben, Kr. Jerichow II, und eine andere von Butzow (Voß und Stim— 
ming VI, Taf. 6, 45) erinnern an oſtgermaniſche Formen 11). Einen kleinen 
Randhenkel beſitzt der Topf vom Gorden (Abb. 161). Sehr ungewöhnlich in 
Form und Henkelzahl find zwei zweihenkelige Töpfe von Butzow (Voß und 


1) P. 5. 1910, S. 409 ff. 
2 zt dot: Schmidt-Hetzin briefl. 
Desgl. 

d Aud) bei Dahlhauſen 5 kamen ſolche Gräber als große Ausnahme 
vor. Dal. Quente in P. 5. 1911, S. 15 

5) v. Buttel-Reepen: Über 3 Oldenburger Jahrbuch. 1925, S. 355, 
Abb. 26, 27 u. 1927, S. 255. 

6) Ebenda, 1927, S. 238. 

) Ebenda, 1925, S. 351-554. 1927, S. 234. 

) Muſ. Magdeburg. 


) Archiv f. Anthrop. XXII, 1894, S. 219—49 (m. Weigel). — p. 5. 1911, 
S. 157 (Quente). — W. Matthes, Urgeſchichte des Kreiſes Oſt-Prignitz. 1929. S. 52. 
Taf. 48, 3, 4. 


10) Beiträge III, S. 31 (Kupka). 
1) Dal. Koffinna: 5. f. Ethn. 1905, S. 598, Abb. 25, 24. — D Buſſe: Ebenoa, 


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33] Die römiſche Kaijer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 155 


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Abb. 17. a Ceeſt. — b—f, i, m Butzow. — g Kriclow. — h Rietz. — k Garlitz. — 
| Motzen. — n Neu-Derben. — o Buchow-Carpzow. (a Muſ. Potsdam. — b, (, d, E, i, k 
nach Voß und Stimming VI, Taf. 2, 8a, 7b; 6, 44a; IV, Caf. 1, 1b; VI, Taf. 9. — 
e, f, i Sig. Stimming. — k nach Salin, Fig. 1, 108. — n Muſ. Genthin. — o nad Bar: 
den, Geſchichte von Nauen, Fig. 5). — ½ (m ½, D "fy, 0 ½¼) natürliche Größe 


156 Otto Felsberg [34 


Stimming VI, Taf. 6, 46, 47). In der Dreizahl erſcheinen die Henkel bei 
zwei Schalenurnen von Butzow (Abb. 16m und Doß und Stimming VI, 1, 2). 
Der Henkeltopf von Ketzür (Abb. 160), erinnert in Form und Derzierungs- 
weile an Gefäße der vorigen Stufe (vgl. Abb. 9m; 10m). 

Sämtliche Gefäße ſind nach wie vor freihändig gearbeitet. Nur ein Einzel⸗ 
grab von Treuenbrietzen, Kr. Sauch-Belzig, enthielt eine auf der Scheibe 
gedrehte Schale, die vermutlich aus der römiſchen Provinz am Rhein ein⸗ 
geführt worden iſt !). Dom Rhein ſtammt wohl auch ein kleiner gedrehter 
Krug mit ſeitlicher Ausgußtülle, der bei Buchow-Carpzow, Kr. Oſthavel⸗ 
land, gefunden wurde). Sehr ähnliche Krüge bildet u. a. $. Fremersdorf 
aus rheiniſchen Germanengräbern ab, die er dem 3. Jahrhundert zuweilt?). 
Einen größeren Krug, doch ohne Ausguftiille (etwa wie Fremersdorf 
a. a. O. Abb. 17) aus der Umgegend von Brandenburg beſitzt das h.-M. 

Beigaben ſind in dieſen Gräbern nur ſelten zu finden. Sie beſchränken 
ſich meiſt auf ein Stückchen Räucherharz. Fibeln aus Eiſen oder Bronze 
gehören faſt durchweg zur Gruppe der zweigliedrigen Armbruftfibeln mit 
umgeſchlagenem Fuß und ihren Abwandlungen (H., Gruppe VI). Die ältere 
Form (A. 161, 162) iſt durch je eine Eiſenfibel von Kotzen, Kr. Weſthavelland 
(M. M. II, 4653), und vom Breitlingſee („Schmölln“) (St.⸗M.) eine Bronze⸗ 
fibel aus einem Torfſtich bei der Förſterei Malge, St.⸗Kr. Brandenburg 
(Felsberg, S. 29, Abb. 56) und eine gleiche aus einer Siedlungsitelle bei 
Leeſt, Kr. Zauch⸗Belzig (Abb. 17a) vertreten. häufiger erſcheinen die jün⸗ 
geren Entwicklungsſtufen dieſer Fibelgruppe. Dem Ende des 3. Jahrhunderts 
melt plettke die Fibeln mit breit abſchließendem Fuß (Plettke, Typ II) 
zu. Sie fanden ſich bei Butzow (Abb. 176) und Garlitz (M. M. II, 26435). 
Aus ihnen entwickeln ſich um 300 die breiten Fibeln mit RNadelſcheide 
(plettke, Typ III; Abb. 17b, f), die ziemlich häufig auf denſelben Sried- 
höfen auftreten“), ſowie die Fibeln mit kurzem Nadelhalter (Plettke, 
Top IV, 1, 2), die in größerer Sahl von Bußow?) (Abb. 17, d, e), 
außerdem von Garlitz“), Kützkow'), Däwelin®), Kr. Weſthavel⸗ 
land, und Bredow?), Kr. Ofthavelland, vorliegen. Die Fibeln mit umge: 
ſchlagenem Fuß fehlen auch nicht auf den gleichaltrigen Gräberfeldern von 
Heyrothsberge!®) und Schermen !!) im Kreije Jerichow I ſowie in der 
Altmark!?), doch überwiegen auch hier die jüngeren Formen (Typ II—IV) bei 
weitem. Noch häufiger treten in der Altmark die Armbruſtfibeln mit hohem 
Nadelhalter auf, die auffälligerweiſe diesſeits der Elbe ſehr ſelten ſind. Ich 
kenne fie hier nur aus je einem Grabfund bei Krielow, Kr. Sauch-Belzig 


1 ; 1924. S. 81 ff. Abb. 1 (W. nun 
S d S 


riginal war im 

M. Mm. nicht zu finden. 

) P. 5. 1927, S. 255ff. Abb. 25, 1; 26, 14—15. 

) Butzow: Voß und Stimming VI, Taf. 2, 8a; 14a. Slg. Stimming, Grab 
15a, 22a, 30d. — Garlitz: M. M. II, 26 576,7, 26588, 26406. — Kegür: P. 5. II, 
S. 408, Abb. Ae — Ciepe: St.⸗M. II, 16267. 

) Dok und Stimming VI, Taf. 2, 12a, 13a; Taf. 6, 44a, b, 47a. Slg. Stim: 
ming, Grab 10a, 31b. 

) M. M. II, 26553. 

) Slg. Stimming. 

) Muſ. Brandenburg. 

) St.⸗M. If, 7375. 

10) St.⸗M. Ig, 33801. 

11) Nachr. 1890, S. 70. 

1) Kupka: Jahresſchrift 9, S. 29ff. 


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35] Die römiſche Kaijer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 157 


Abb. 18. a—h W — i Gatow. — In, p, q Butzow. — k Prützke. — 0 Paretz. — 
(a—h, o Ster i M. m. — k—n muſ. Brandenburg, — p, 4 Sig. Stimming. a, b, 
e, f, 0 ½; c, h, k, I, m ½; d, g, i /; p / natürliche Größe) 


158 Otto Selsberg (36 
(Abb. 17g =A. 195), und von Pilm, Kr. Jerichow I (Muſeum Magdeburg 
= A. 214). Eine ungewöhnlich große Scheibenfibel mit Armbruſtkonſtruktion 
von etwa 8 em Durchmeſſer wurde bei Butzow (Abb. 17m) gefunden. 


In die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts ftellt Plettke die dreiknöpfigen 
Scharnierfibeln (Typ VI, Ser. J), die ſich als Seltenheiten bei Kotzen (Kr. 
Weſthavelland; Abb. 171) und bei Körbelitzt) (Kr. Jerichow I) gefunden 
haben. Ein ſchönes Exemplar ohne Fundortangabe, das ſich im Muſeum 
Burg befindet, ſtammt wohl auch aus einem der Gräberfelder der Umgegend. 
Aus der Altmark führt Kupka?’) ein Stück von Perver an. — Die germa⸗ 
niſche Nachbildung der Dreiknopffibeln mit Armbruſtkonſtruktion (Plettke, 


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NI, gerede. 
Abb. 19. Prützke (nach einer planſkizze von Lehrer Heinatz, Prützke) 


Typ VI, Ser. 2) fand ſich einige Male bei Bugow?) (Abb. 17i) ſowie bei 
Garlitz“) und Rieß?). — Eine ſeltene Form iſt die Sweirollenfibel von 
Rietz (Abb. 17h), die Koffinna®) gegen das Ende des 4. Jahrhunderts oder 
„um 400“ anſetzt. Aus der Altmark bildet Kupka’) eine Sweirollenfibel mit 
hohem Nadelhalter von Borſtel oder Stendal ab. Als ſpäteſte Fibelform iſt 
wohl eine ſilberne Dreiknopffibel mit halbkreisförmigem Kopfihild von 


1) Muſ. Genthin. 

2) Jahresſchrift 9, Taf. II, Abb. 47. 

3) Doß und Stimming VI, Taf. 2, 10a. — St.⸗M. If, 2346. — Slg. Stimming, 
Grab 6a. 

4) M. m. II, 26283. 

H Dok und Stimming VI, Taf. IX. 

6) 3. f. Ethn. 1905, S. 598 u. brieflich. 


) Jahresſchrift 9, Caf. II, 61. 


37) Die römiſche Kaifer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 159 


Garlitz (Abb. 17k) anzuſehen. Salin (S. 354) ſetzt dieſe Fibelgruppe in 
die Seit von 350 —500 nach Chriſto. Unſere Fibel gehört nach ihrer Knopf: 
form noch einer älteren Entwicklungsſtufe dieſer Gruppe an und würde daher 
ſpäteſtens an den Anfang des 5. Jahrhunderts zu ſetzen ſein. 

Es ergibt ſich alſo, daß die dritte Fundgruppe etwa die zweite hälfte 
des 3. Jahrhunderts und das ganze 4. Jahrhundert umfaßt und kaum noch 
in das 5. hineinragt. 

Waffenbeigaben ſind nicht eben häufig; am reichlichſten fanden ſie ſich 
in Urnengräbern von hoppenrade, Kr. Oſthavelland (Abb. 18a —h). Ich 
hebe daraus eine Lanzenſpitze mit zwei halbmondförmigen Kusſchnitten auf 
dem flachen Blatt (Abb. 186) und eine Speerſpitze mit Widerhaken und ge⸗ 
kanteter Tülle (Abb. 18 b) hervor. Sonſt haben die Gräberfelder faſt nur 
kleine Speer» oder Pfeilſpitzen aus Bronze oder Eiſen geliefert (Abb. 181, m). 


Abb. 20. Hemnitz (nach Treverus, Anaftafis veteris Germani uſw. 
Helmſtedt 1729) 


Don Butzow ſtammt eine ſchöne große Eiſenaxt mit durchbrochenem Blatt !). 
Einem Urnengrab von Gatow, Kr. Oſthavelland, wurde ein Schildbuckel 
(Abb. 18i) entnommen, der wohl ſchon dem 4. Jahrhundert angehört). [Die 
ſchöne, ſilbertauſchierte Eiſenlanzenſpitze von Paretz, Kr. Oſthavelland 
(Abb. 180) hat Do >) zuerſt beſprochen. Er verweiſt auf die Ahnlichkeit der 
eingelegten Figuren mit den eingeſchnittenen Muſtern auf hölzernen Lanzen⸗ 
ſchäften des Moorfundes von Kragehul*) (Dänemark) (um 400 nach Chriſto). 
Sie gehört jedoch einer viel ſpäteren Seit, der Zeit der Wikinger (9.— 12. 
Jahrh.) an“), und ſcheidet ſomit hier aus.] 

Aud) die ſonſtigen Beigaben find ſpärlich und dürftig: mehrteilige 
Knochenkämme, mit Perlen beſteckte eiſerne Ohrringe, eiſerne Schlüſſel, kleine, 


1) Voß und Stimming VI, Caf. 7, 52a. 

) Dal. O. Almgren und B. Merman: Die ältere Eiſenzeit Gotlands. Stockholm 
1923; Abb. 643 aus Stufe V, 2. 

Aa f. Ethn. 1887, S. 409f. 

) Dal. Koſſinna, Mannus 21 (1929), S. 99. 


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an einem Eiſenring hängende Toilettengeräte (Abb. 18q) u. dgl. m. Don Bukow 
ſtammt ein zylindriſcher Bronzeeimer (Abb. 18p), von Dellen eiſernem Bügel 
(oder Handgriffen?) nur ein unbeſtimmbarer Roſtklumpen übrig geblieben iſt. 

Ein Blick auf die Fundkarte (Abb. 21) zeigt, daß die Beſiedelung auch 
in dieſem Seitabſchnitt noch recht dicht war. An einzelnen Stellen, wie Butzo w 
und Garlitz, drängt ſich die Bevölkerung ſogar in einem Maße zuſammen, 
wie in keiner der voraufgehenden Perioden. Dieſelbe Erſcheinung beobachten 
wir auch auf anderen verwandten Friedhöfen dieſer Seit wie dethlingen, 
Borſtel und Stendal in der Altmark!) und Pritzier?) in Mecklenburg⸗ 
Schwerin, die ebenfalls ſehr umfangreich geweſen ſind. 

Siedlungsſpuren aus der römiſchen Kailerzeit find an mehreren Stellen 
beobachtet, aber nur wenige bisher genauer unterſucht worden. Eine Wohn⸗ 
ſtätte der älteren Kaiſerzeit hat das Potsdamer Muſeum 1912 am Kellerberg 
bei Krampnitz, Kr. Oſthavelland, aufgedeckt?) und u. a. auch den Grund- 
riß eines rechteckigen Pfoſtenhauſes freigelegt. Einen ähnlichen Pfoſtenbau 
hat Kiekebujch*) bei Paulinenaue, Kr. Weſthavelland, ausgegraben. Er 
gehört der jüngeren Haiſerzeit an. Don der Bauweiſe dieſer „Vorhallenhäuſer“ 
weicht ein hausgrundriß ab, den ich nur mit Vorbehalt hier anführe. Er 
wurde 1919 von Lehrer Heinatz (Prützke) und Pfarrer Holtz (Brandenburg) 
aufgedeckt’). Der nicht genau rechteckige Grundriß (Abb. 19) wird durch 
zwei Querwände in drei Innenräume geteilt. Der breite Mittelraum enthielt 
eine Cehmdiele und dahinter die Herdſtelle, neben der zwei große rohbehauene 
Steinplatten (Herdſitze?) lagen. Die Türpfoſten ruhten auf zwei größeren 
Steinen, zwiſchen denen ein Pflaſter aus kleinen Steinen die Schwelle kenn— 
zeichnete. In der ſchwarzen Schicht neben der Herdgrube fand ſich ein eiſernes 
meſſer mit Griffdorn (Abb. 18k) ein Wetzſtein, ein großes, mit einfachen 
Längsrillen verziertes Randſtück eines Topfes und ein Schweinezahn. Refte 
von Wandbewurf laſſen erkennen, daß die Wände aus Flechtwerk mit Lehm⸗ 
bewurf beſtanden haben. 

Die beiden Entdecker haben dieſen hausgrundriß auf Grund des Meſſers 
und des Randftückes (das leider nicht mehr aufzufinden iſt), der ſpätrömiſchen 
Kaiſerzeit zugewieſen. Ganz einwandfrei ſcheint mir dieſe Datierung nicht. 
Die Hohe des Görnberges iſt auch zur ſpätſlawiſchen Seit beſiedelt geweſen, 
wie zahlreiche, auf den Ackern herumliegende Scherben beweiſen. Mir ijt 
aber weder aus der römiſchen noch aus der ſlawiſchen Seit ein ähnlicher 
Grundriß bekannt. 

Don einer Siedlungsitelle bei Jeſerig (Kr. Sauch-Belzig), auf der der 
Beſitzer Neie mehrere „Pfahlbauten“ (Hauspfoſten?) beobachtet haben will, 
ſtammt u. a. ein römiſcher Faunkopf aus Bronze‘), der von einem Bronze— 
möbelſtück“) herzurühren ſcheint, an dem er mit einer Bronzeleiſte befeſtigt 
war. Eine kleine Bronzefibel (Abb. 11) und ein leider verſchollener Denar 
des Kaiſers Tacitus (275/76) bezeugen, daß die Stelle von der Mitte des 


1) Kupka: Beiträge III, S. 27. 

2) R. Beltz: Dorgeſchichtl. Altertümer uſw. Schwerin 1910, S. 560f. 

) Bejtehorn: S. 169. 

1) P. 5. 1912, S. 152ff. 

5) 51. Jahresbericht d. hiſt. Dereins zu Brandenburg 1923, S. 58ff. 

6) St.⸗M. If, 9247a. 

) Ein ſolches wurde z. B. zuſammen mit dem Hildesheimer Silberfhaß, ein anderes 
in dem einen der Sakrauer Gräber gefunden; ſ. Grempler: Der Fund von Sakrau. 
Berlin 1887/8. Taf. 5, 1. — Dal. auch Willers a. a. O., S. 90f. 


39] Die römiſche Kaifer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 161 


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45] Die römiſche Kaiſer⸗ und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 167 


2. bis zum Ende des 3. Jahrhunderts bewohnt war. — Ein ähnlicher Fund 
iſt ſchon 1728 bei dem 11 km weiter öſtlich gelegenen Dorfe Kemnitz!)) ge: 
macht worden. Das kleine Meſſingbildwerk (Abb. 20), deſſen Rückſeite eben⸗ 
falls eine Leiſte trägt, ſtellt einen Mann und eine Frau in barbariſcher 
Tracht dar. Treuer ſieht in dieſen Figuren Germanendarſtellungen. Der 
Fund ſoll aus einem Grabhügel (tumulus) ſtammen. Die aus der gleichen 
Urne ſtammenden Fibeln gehören dem 2. Jahrhundert an. — Neuerdings iſt 
bei Kemniß?) auch ein kleiner antiker (?) Frauenkopf aus gebranntem Ton 
(Terrakotta?) (Abb. 14 b) gefunden worden. Näheres über die Fundumſtände 
konnte ich bisher nicht in Erfahrung bringen, der Fund bedarf jedenfalls 
noch der Nachprüfung. 

Daß gelegentlich auch andere Gegenſtände aus den römiſchen Grenz— 
provinzen als Handelsware oder als Beuteſtück ins Havelland gelangten, 
haben wir ja ſchon bei der Beſprechung der Fibeln und anderen Kleingeräts 
erfahren. Hier ſeien noch ein Glasfläſchchen aus einer Urne vom Görden 
(Abb. 18, 9) und eine „opaliſierende Glasflaſche“ von Genthin (St. m. 
II, 6749) s) erwähnt, die wie die häufig gefundenen Glasperlen ebenfalls Ein: 
fuhrware darſtellen. Vor allem aber legen die Funde römiſcher Münzen im 
Elbhavelgebiet Zeugnis von friedlichen oder kriegeriſchen Beziehungen zum 
Römerreich ab. Der reichhaltigſte und zugleich früheſte Fund von Niemegk, 
Kr. Sauch⸗ Belzig, enthielt 74 Denare aus der Seit der Republik bis auf 
Hadrian). Die jüngſten Funde im Havelland find ein bei Kemnitz gefundener 
Denar des Dolufianus (251 —-53)°) und der ſchon erwähnte Denar des Kaiſers 
Tacitus (275,6). Recht zahlreich ſind auch die Münzfunde in den beiden 
Jerichower Kreijen®). 

Allgemein werden die havelländiſchen Gräberfelder der älteren Kailer: 
zeit dem geſchichtlich bezeugten Hauptitamm der Swebenvölker, den Sem: 
nonen, zugeſchrieben, deren Wohnſitze Koſſinna“ genauer in die Altmark 
und nach Nordweſtbrandenburg verlegt. dur Seit des Tacitus (um 100 nach 
Chriſto) muß dieſer Stamm ſehr volkreich geweſen fein, denn er ſoll 100 Gaue 
bewohnt haben. Nun ſind aber die Gräberfelder, die wir den Semnonen zu— 
ſchreiben können, bis in die Mitte des 1. Jahrhunderts noch ſehr ſpärlich und 
ſetzen faſt durchweg neu ein, während andererſeits die Friedhöfe der reinen 
Spat-La-Tene-deit um 50 vor Chriſto unvermittelt abbrechen. Ich möchte da— 
her annehmen, daß die Semnonen erſt kurz vor Chriſti Geburt in die rechts» 
elbiſchen Gebiete zugewandert ſind, und zwar aus der Altmark, wo die gleich— 
artigen Gräber reichlicher auftreten, auch wohl etwas früher einſetzen und früher 
abzubrechen ſcheinen ). Die Altmark hat ſchon D Möller?) als Kerngebiet der 
Semnonen angeſprochen, und W. Schulz!) ſtimmt ihm bei unter Hinweis auf 
eine Notiz des Dellejus Paterculus für das Jahr 5 nach Chriſto, wonach die 
Elbe am Gebiet der Semnonen und Hermunduren vorbeifloß. Letztere haben 


1) FS. S. Treverus: Anaſtaſis uſw. 1729. S. oben S. 140, Anm. 6. 
2) Muf. Potsdam. 
2) Im St.-. nicht aufzufinden. 
4) Märkiſche Forſchungen 1861, Bd. VII, S. 102 (Friedel). 
) Bekmann: a. a. O. S. 442. 
6) hanſen: 8. 305 ff. 
7) Urſprung u. Verbreitung der Germanen vim. Berlin 1928, S. 12. 
) Dal. Kupka: Beiträge III, S. 25 u. a XXV, S. 82. 
o) Anzeiger f. deutſch. Altertum XXII (1896); S 137f. Gitiert nach W. Schulz, 
Mannus, A Ergänzungsband 1923, 8. 33). 
10) Ebenda. 


168 Otto Selsberg [46 


wir uns aber dod) wohl auf dem linken Elbufer zu denken, auf dem fomit 
auch die Hauptſitze der Semnonen gelegen haben müſſen. Die Beſitzergreifung 
der rechtselbiſchen Gebiete kann ſich aber nur ganz langſam vollzogen haben. 
Erit um die Mitte des erſten nachchriſtlichen Jahrhunderts mögen ſtärkere 
Nachſchübe erfolgt fein. Sie werden auch die Urſache zu örtlichen Derjchie- 
bungen der Wohnſitze geweſen ſein, die in dem abermaligen Abbruch der 
Gräberfelder um 50 nach Chriſto ihren Ausdruck finden. Hier fehlen jedoch, 
wie wir ſahen, die Suſammenhänge mit den Gräberfeldern der folgenden Stufe 
nicht ganz (ſ. o. S. 129f.), und auch die kulturelle Fortentwicklung in der 
Keramik wie in der Metallinduſtrie vollzieht ſich ohne Bruch. 

Im 2. Jahrhundert nach Chriſto iſt das Havelland recht gut beſiedelt, 
wenn auch bei weitem nicht ſo dicht, wie es die Angaben des Tacitus er— 
warten laſſen. Aber auch dieſe Graberfelder brechen zu Anfang des 3. Jahr- 
hunderts ab. In dieſe Seit fällt die allgemeine Abwanderung der Sweben— 
völker aus dem Elbgebiet. So wird berichtet, daß im Jahre 213 unter 
Caracalla größere Swebenzüge landſuchend den Thüringerwald überſchritten. 
Dieſem Auge mögen ſich auch die Semnonen angeſchloſſen haben. Nun treten 
aber um die Mitte des 3. Jahrhunderts neue, 3. T. ſehr umfangreiche Fried— 
höfe auf neuen Fundplätzen auf, welche uns wieder vor die Frage ſtellen, ob 
wir es abermals mit einem Bevölkerungswechſel zu tun haben. Übergangs— 
erſcheinungen, welche die ältere Fundgruppe mit der jüngeren verbinden, 
fehlen nicht ganz, ſind aber doch recht ſpärlich. So treten auf dem Gräber— 
feld von hohenfercheſar (Abb. 10g—k) einige Male Gefäßformen auf, 
die ſchon ſtark an die Schalenurnen und Näpfe der folgenden Stufe erinnern. 
Die von M. Weigel und anderen vertretene Anſicht, daß es Langobarden 
geweſen ſeien, die auf ihrem Zuge von der unteren Elbe nach Pannonien 
vorübergehend die verlaſſenen Sitze der Semnonen eingenommen hätten, ſtützt 
ſich vor allem auf die Annahme, daß die von der Unterelbe bis nach Böhmen 
hinein verbreiteten Schalenurnen dieſem Dolksitamm zuzuſchreiben ſeien. Es 
ſcheint aber, daß dieſe Urnenform zwar weſtgermaniſch, aber nicht ſpezifiſch 
langobardiſch iſt. Es könnte alſo auch ein anderer weſtgermaniſcher Stamm in 
Frage kommen. So iſt W. Schulz!) geneigt, als Derfertiger der Schalen— 
urnen in der Altmark und den angrenzenden Gebieten die Angeln in An— 
ſpruch zu nehmen, die ihre heimat auf der kimbriſchen Halbinfel verlaſſen 
hatten und ſpäter in dem Thüringerreich aufgegangen ſind. Das Vorkommen 
von „Fenſterurnen“ in der Altmark wie bei Bornim und Bugow (ſ. o. S. 154), 
das v. Buttel-Reepen?) als ein Anzeichen angelſächſiſcher Wanderzüge auf: 
faßt, könnte dieſe Dermutung ſtützen. Auch iſt es nicht ausgeſchloſſen, daß 
Reſte der Semnonen im Lande zurückgeblieben ſind. Wenn wir von „Nord: 
ſchwaben“ 7) hören, die ſich in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts im 
Gau Suevon in Nordthüringen angeſiedelt haben, nachdem der hier anſäſſige 
Sachſenſtamm dem Suge Alboins nach Italien (567) gefolgt war, ſo können 
das recht wohl Semnonen geweſen ſein, die nach endgültiger Aufgabe ihrer 
alten Wohnſitze im Havelland landſuchend allmählich ſüdwärts gewandert 
waren. 


` e Nik XII 3 
a. O. (1925), S. 305 
3) Dal. mültenhoff: Bade Altertumskunde II, S. 103. — W. Schulz: Jahres» 
ſchrift XII (1925), S. 86f. — B. Crone: Nachrichtenblatt f. Niederſachſens Vorgeſch. 
R. F. Mr. 2 (1925), S. 41. 


47] Die römiſche Haiſer- und Dölkerwanderungszeit im Elbhavelland 169 


Die Frage bedarf jedenfalls noch weiterer Klärung. Ich möchte hier 
nur noch auf die auffällige Abweichung in den Beſtattungsſitten auf einigen 
kleineren Friedhöfen des Havellandes hinweiſen (ſ. o. S. 152), die vielleicht 
auf ein Nebeneinanderwohnen verſchiedener Stämme hindeutet. 

ou Anfang des 5. Jahrhunderts verödet das ganze Gebiet zwiſchen 
Elbe und Oder, und auch die Altmark wird menſchenleer. Doch muß eine 
dünne Reſtbevölkerung in den Landitrichen rechts der Elbe zurückgeblieben 
ſein, worauf vereinzelte, in Mecklenburg, Vorpommern und in der Mark ge— 
mackte Funde ſchließen laſſen !). Im Havelland find Skelettgräber mit Waffen: 
beigaben dieſer Seit bei Boxfelde-Pichelsdorf?), Brunne*) und Hub: 
horſt') im Kreiſe Oſthavelland und bei Deetz“) im Kreiſe Sauch-Belzig ge: 
macht worden. Zwei Skramajare von Ketzin (Muſeum Ketzin) find zweifel⸗ 
hafter Herkunft. — Erwähnung verdient ſchließlich eine Riemenzunge aus 
Kupfer mit Silberbelag, die auf einer Düne bei Michaelisbruch, Kr. Rup: 
pin, dicht an der Nordgrenze des Kreiſes Weſthavelland, zum Dorſchein oe: 
kommen iſt. Sie zeigt ein Tierbild im Stile von Salin II und dürfte etwa in 
die erſte hälfte des 7. Jahrhunderts gehören. Leider ſind die Fundumſtände 
nicht ſo eindeutig, daß die Sunge als ein ſicherer Beweis für eine ſpätgerma— 
niſche Beſiedelung der Gegend gewertet werden kann. Doch iſt die Düne noch 
im 3. Jahrhundert von Germanen bewohnt geweſen, wie eine hier gefundene 
Armbrujtfibel mit umgeſchlagenem Fuß beweilt®). 

Dieſe dünne, im Elbhavelland zurückgebliebene germaniſche Reſtbevölke— 
rung wurde dann von den Slawen, die etwa ſeit dem 7. Jahrhundert lang— 
ſam in das verödete Land einrückten, überflutet und aufgeſogen. Einen er— 
Rennbaren Einfluß auf die ſehr niedrigſtehende ſlawiſche Kultur haben dieſe 
Reſte germaniſchen Dolkstums jedoch nicht ausgeübt, was auch dafür ſpricht, 
daß ihre Sahl nur ſehr gering geweſen iſt. Erſt vom 10. Jahrhundert ab 
wird das oſtelbiſche Land allmählich und unter wiederholten Kückſchlägen 
der germaniſch-deutſchen Kultur zurückgewonnen. 


1) Suſammengeſtellt von G. Krüger in Hahne, 25 Jahre Siedlungsarchäologie. 
1922, S. 150. 

2) S. f. Ethn. 1912, S. 247. 

) v. Sieten, Brunne (Oſthavelland). 

4) m. m. II, 11798. 

„) St.⸗M. If, 7480 7482 (nicht Dreetz, Kr. Ruppin, wie 6. Krüger ſchreibt). 

6) Muf. Brandenburg. — Eine nähere Beſprechung des Fundes findet ſich in der 
Prähiſt. Seitſchrift 1928, Heft 3 J, S. 569 ff. 


Das Jahr 550 als Wendepunkt in der Kultur 
der Völkerwanderungszeit 


Von herbert Kühn 
mit 9 Abbildungen im Text 


Es iſt auffällig, daß die Ornamentik der Fibeln der Dölkerwan⸗ 
derungszeit großen Wandlungen unterliegt. Tragen die frühen Stücke ein 
Ornament, das aus Ranke, Kerbſchnitt, Mäander, Palmette beſteht, dann 
haben die ſpäteren das Flechtband oder den Tierſtil. Flechtband und Tierſtil 
ſind ausgeſprochen germaniſche Formen, die noch lange in das Mittelalter 
hinein fortleben, Palmette, Mäander, Ranke und Kerbſchnitt find fremden 
Urſprungs, der Kerbſchnitt dt möglicherweiſe aus der altnordiſchen Holzkunſt 
erwachſen, die Ranke, die Palmette und der Mäander find antik-bnzantini- 
[cher herkunft. Hinzu tritt das Motiv des Dogelkopfes, das von den Skythen 
ſtammt. So hat die ältere Kunſt der Dölkerwanderungszeit neben dem Nor— 
diſchen, Eigenen, ſüdliche Elemente; die ſpäteren Epochen haben das ausge— 
ſchaltet, ſie ſind wieder zu Eigenem zurückgekehrt. 

Dieſer Wechſel iſt höchſt auffällig und ſonderbar und kann nicht zufällig 
fein, ſondern muß feine tiefe, letzte Entſprechung in dem geiſtigen Leben und 
Erleben der Seit haben; die gleiche Bewegungsrichtung, die die Kunſt zeigt, 
muß auch im Kechtsleben, vor allem in der Politik der Seit erkennbar ſein. 

Und in der Tat iſt die Stellung der Goten gegenüber der antiken Welt 
eine ganz andere als die der Franken, Alemannen und Langobarden. Die 
politiſche Idee der Goten iſt die Derfchmelzung mit der Antike. Theoderichs 
Grundgedanke, in all ſeinem Tun, all ſeiner politiſchen Arbeit erkennbar, iſt 
die Vereinigung der beiden verſchiedenen Elemente. Ihre Gründe hatte dieſe 
politik in der geſchichtlichen Entwicklung. Theoderich war nicht als germa— 
niſcher, gotiſcher König nach Italien gekommen, ſondern als Heerführer des 
Kaiſers, der einen Feldzug gegen Odoakar unternahm. Sein Heer beſtand 
auch nicht ausſchließlich aus Oſtgoten, ſondern auch aus Rugiern und Frei— 
willigen anderer Germanenſtämme. Erſt in Italien, nach der Unterwerfung 
Odoakars, wurde Theoderich von den Soldaten wiederum zum Hönig gewählt, 
und jetzt erſt wieder kann von einem oſtgotiſchen Königtum geſprochen werden. 
Theoderich ſelbſt ſtand in beſonders enger Beziehung zu dem römiſchen Kailer 
in Byzanz. Jordanes berichtet!), daß der Kaiſer Seno ihn in Konitantinopel 


1) Jordanes, § 48. Johannes Bühler, Die Germanen in der Dölkerwande— 
rungszeit. Ceipzig 1922, S. 231. 


2] Das Jahr 550 als Wendepunkt in der Kultur der Dölkerwanderungszeit 171 


in die Sahl der Würdenträger des Reiches aufnahm, daß er ihn adoptierte 
als „Waffenſohn“, daß er ihn zum Konſul des Jahres ernannte und ihn auf 
ſeine Koſten einen Triumph feiern ließ, ja, daß er eine Reiterſtatue Theode⸗ 
richs vor dem palaſt errichten ließ, um, wie Jordanes ſagt, „ſo den Ruhm 
dieſes hervorragenden Mannes in das gehörige Licht zu rücken“. Theoderich 
ſelbſt hat immer die enge Beziehung zum Kaiſer gewahrt, auch in der ſpäteren 
Seit, als er ſelbſtändiger König war. So heißt es in einem Brief von ihm 
an den Kaiſer Anaſtaſius von 508, den Caſſiodor !) überliefert hat: „Dieſe 
beiden Reiche ſollen doch nicht bloß in tatenloſem Wohlwollen freundſchaft⸗ 
lich verbunden ſein, ſondern ſich auch mit gemeinſamen Kräften gegenſeitig 
fördern. Das römiſche Imperium ſoll nur einen Willen, eine Meinung haben. 
Und was immer in unſerer Kraft ſteht, ſoll nach Euerem Willen geregelt 
werden. Deshalb machen wir auch unſere ehrerbietige Aufwartung und er— 
ſuchen ergebenen Sinnes, daß Ihr uns nicht die ruhmvolle Liebe Eurer Huld 
entzieht, auf die wir hoffen zu dürfen glaubten, wenn ſie auch anderen nicht 
zuteil werden konnte.“ Jordanes ſagt weiter, daß Theoderich auf ſeinem 
Sterbebette ſeinem Nachfolger geraten habe, ſtets Senat und Volk von Rom 
zu lieben und immer dafür zu ſorgen, daß fie mit dem oſtrömiſchen Kailer in 
Frieden leben. 

Sehr deutlich wird der Verſuch Theoderichs zur Derſchmelzung beider 
Nationen in der Kechtsſprechung. Die römiſchen Ämter und Verwaltungen 
beſtanden unverändert fort. Die Rechtsſprechung übten die Comites Gotho- 
rum, Beamte, die wohl Goten waren, die aber neben die entſprechenden römi— 
ſchen Beamten geſetzt wurden. Sie entſchieden in den Prozeſſen nach römiſchem 
Recht. Gotiſches Recht galt wie Ludwig Schmidt jagt, nur für Ehe- und 
Erbſachen ?). Die Goten ſelbſt waren in Hundertſchaften und Tauſendſchaften 
gegliedert, die von einem Vorſteher geleitet wurden. Sie unterſtanden einem 
eigenen Recht, dem oſtgotiſchen Recht, das nicht als eigenes Geſetzbuch erhalten 
iſt, das aber offenbar, wie das weſtgotiſche Recht, von dem römiſchen ſtark 
beeinflußt war. So beſtand eine gotiſche Nation neben der römiſchen. Die 
Macht des Königs war im bnzantiniſchem Sinne, entgegen den altgermani— 
[hen Volksrechten, abſolut. Ein rechtlich begründeter Einfluß des Volks: 
willens beſtand nicht. 

Auch das Recht der Weſtgoten, das in den Leges Visigothorum erhalten 
it"), iſt ſehr ſtark von römiſchen Elementen durchſetzt. Es ſtammt von König 
Eurich (466 —485) und ijt ſomit das älteſte Denkmal germaniſcher Geſetz— 
gebung. Auch im weſtgotiſchen Reich beſtand die römiſche Organiſation der 
Behörden fort. Es gab nach der römiſchen Stadtverfaſſung die Curia; der 
Munizipalbeamte, der Defensor, ſprach Recht in geringfügigeren Fällen und 
leitete die ſtädtiſche Derwaltung. Die Weſtgoten waren wie die Oſtgoten in 
Hundertſchaften und Tauſendſchaften gegliedert. Der Führer der Tauſend— 
ſchaft (Thiufadus) führte ſie im Kriege und richtete über ſie zuſammen mit 
dem Führer der betreffenden Hundertſchaft. So beſtand urſprünglich das 
gotiſche Recht ſelbſtändig neben dem römiſchen, allmählich aber gewann ſogar 
die römiſche Rechtſprechung die Oberhand, der Comes civitatis gewann die 
Befugnis, auch über Goten zu richten. Die Gewalt des Königs war wieder 


’) Bühler, S. 276. 

) Ludwig Schmidt, Geſchichte der germaniſchen Frühzeit. Bonn 1925, S. 311. 

2) Monumenta Germaniae historica. Leges nationum germanicarum. Tomus I Leges 
Visigothorum. Edidit Karolus deumer. 1902. 


172 Berbert Kühn [3 


nach byzantiniſchem Vorbild uneingeſchräkt, das Volk oder der Adel ſprach nur 
bei wichtigen Regierungsgeſchäften, allerdings ohne rechtliche Befugnis, mit. 

So macht ſich bei beiden Reichen, bei den Weſtgoten wie bei den Dit: 
goten, deutlich ein antiker Einfluß geltend. Gleichſam zwei Nationen ſtehen 
nebeneinander, die römiſche und die germaniſche, jede mit eigenen Rechten, 
jede mit anderer Geſchichte: die Aufgabe der Könige war es, die Gegenſätze 
zu mildern, eine Einigung zu ſchaffen, und ſo konnte man von Theoderich 
lagen, „ſein Oſtgotenreich war ein Derſuch der Ausſöhnung römiſcher und 
germaniſcher Intereſſen; es war das Streben nach Weiterführung der antiken 
Kultur durch die Germanen“! ). 

Ganz anders iſt das Verhältnis zum römiſchen Reich bei den Franken und 
den Alemannen. Sie haben den Zuſammenhang mit den übrigen germaniſchen 
Stämmen nie aufgegeben, ſie ſtehen nicht losgelöſt von dem Stammesverband 
einer fremden Welt gegenüber, ihre Fürſten waren nie Inhaber römiſcher 
Ämter und Würden. Swar waren die Franken auch urſprünglich „dediticii“ 
[pater nach der zweiten Unterwerfung durch Aetius 428 , foeder: ati“ „das Ent⸗ 
ſcheidende aber iſt, daß ſie nicht das Land der Römer brauchten, der Privat⸗ 
beſitz der Römer in der Provinz wurde in der ſpäteren Seit, nachdem das 
erſte Bedürfnis nach Cand befriedigt war, nicht mehr angetaſtet. So war den 
größten Gegenſätzen zwiſchen Römern und Germanen der Boden entzogen, die 
innere Entwicklungslinie der Politik klarer und feſter. Das Recht, in der 
Lex Salica?) überliefert, nach Brunner?) aus der Seit von 508 —511 ſtam— 
mend, iſt ungleich mehr germaniſch als die Lex Visigothorum. 

Der Hönig iſt bei den Franken nicht ſo abſolut wie bei den Goten, er 
kann nicht über Leben und Eigentum der Dolksglieder frei beſtimmen, er hat 
auch nicht das Beſteuerungsrecht. Dem Dolk ſtand die Einſetzung der Richter 
zu, erſt ſpäter ging dieſe Befugnis auf den König über. 

Die alte römiſche Beamtenorganiſation wurde in der Hauptſache beſeitigt, 
das öffentliche Recht war ganz germaniſch. Die Römer hatten wie die Ger— 
manen denſelben Gerichtsſtand in dem Gerichte des Grafen; eigene Gerichte, 
wie bei den Goten, gab es für fie nicht. Das ganze Land war in Grafſchaften 
gegliedert, der Graf (grafio), der vom König ernannt wurde, war der Führer 
im Krieg, er übte auch die Polizeigewalt und die Finanzverwaltung aus, auch 
das Amt eines Richters lag in den urſprünglich romaniſchen Gebieten in ſeiner 
Hand, während in den germaniſchen Gebieten die Rechtsſprechung zuerſt bei 
dem Thingmann, dem Thunni, der vom Dolke gewählt wurde, verblieb. 

So beſtehen ganz entſcheidende Unterſchiede zwiſchen dem Rechte der 
Goten und dem der Franken, Unterſchiede, die ſich auch in dem prähiſtoriſchen 
Inventar auf das Entſcheidendſte zeigen müſſen. Die Franken übernehmen 
wohl die Formen und Typen der Goten in Schmuck und Gebrauchsgegenſtand, 
genau ſo wie die Lex Salica viele Elemente des Codex Euricianus, des 
älteſten Heſetzbuches unter den Leges Visigothorum enthält, doch bald ver— 
ändern ſie alles entſcheidend, das römiſche Element wird mehr und mehr aus— 
geſchaltet, germaniſche Vorſtellungen treten in den Vordergrund. 

Beſonders Work unterſchieden von dem römiſchen Recht iſt das langobar— 
diſche Recht, der Edietus Langobardorum. Es ijt im Jahre 643 unter König 
Rothari aufgezeichnet worden. Im Epilog wird das ungeſchriebene Recht der 
Vorfahren als Quelle der Geſetzgebung genannt, und obgleich von den Geſetz— 

1) Schulze in Gebhard, Handbuch der Geſchichte. 2. Aufl., 1901, S. 105. 


2) Behrend, Cer Salica. 2. Aufl., 1897. 
3) Brunner, deutſche Rechtsgeſchichte. Leipzig 1906, 2. Aufl., S. 437 und 440. 


4) Das Jahr 550 als Wendepunkt in der Kultur der Völkerwanderungszeit 173 


Abb. 1. Nordendorf, B. A. Do» Abb. 2. Nordendorf, B. A. Donauwörth 
nauwörth (Bayern). Mufeum (Bauern). Bayer. Nationalmuſeum München. 
münchen. Natürliche Größe Natürliche Größe 


Abb. A Nordendorf, B.A. Donauwörth Abb. A Nordendorf, B. A. Donauwörth 
(Bayern). Bayer. Nationalmuſeum München. (Bauern). Muſeum München 
Natürliche Größe 


174 Herbert Kühn [5 


gebern Novellen des Juſtinian ſowie die ältere weſtgotiſche Geſetzgebung in 
der Faſſung von Leovigilds Codex revisus benutzt wurde, iſt das Werk doch 
durchaus einheitlich und geſchloſſen. Brunner!) weiſt ausdrücklich darauf 
hin, daß der Edictus in ſeinen Rechtsſätzen dem römiſchen Recht gegenüber 
eine weitgehende Selbſtändigkeit bewahrt hat. Übernahmen oder Anleh- 
nungen an römiſche Kechtsſätze ſind beſonders felten. 

Mit dieſer Tatſache ſtimmt es nun vollkommen überein, daß die lango⸗ 
bardiſchen Altertümer durchaus germaniſch anmuten und gänzlich frei ſind 
von Übernahmen römiſcher Elemente. Die Gräberfelder von Tlocera Umbra, 
von Caſtel Troſino etwa unterſcheiden ſich ſo ſtark, ſo durchaus von allem 
Römiſchen, daß es noch immer gänzlich unverſtändlich erſcheint, wie eine 
frühere Hunſtgeſchichtsforſchung und Altertumsforſchung dieſe Hunt „ſpät⸗ 
römiſche Kunſtinduſtrie“?) nennen konnte. 

Dieſer langobardiſchen Kunſt gegenüber iſt die gotiſche der Antiken 
näher, wenn auch hier die antiken Einflüſſe bisher bei weitem überſchätzt 
wurden. Immerhin kommt die Palmette vor, die allerdings nur eine kurze 
Lebensdauer hat, ſchon nach 480 iſt ſie vollkommen verſchwunden. In der 
Seit von 450 — 550 liegt die Herrſchaft der drei Ornamentmotive: Kerb- 
ſchnitt, Ranke, Mäander. Möglicherweiſe iſt der Kerbſchnitt dabei altgerma⸗ 
niſcher herkunft, aus der Holzkunft erwachſen, die Ranke, der Mäander aber 
ſind zweifellos antiken Urſprungs. Beide Elemente haben weder Dor, 
noch Frühformen, ſie werden fertig übernommen wie die Palmette. Der 
Mäander, der hauptſächlich auf dem Bügel vorkommt, iſt rein antiken Ur, 
ſprungs, mit dem mäanderornament auf den germaniſchen Tongefäßen der 
La-Tene=öeit hat er keine Beziehung. 

Alle vier Motive aber, Palmette, Kerbſchnitt, Ranke, Mäander, ver⸗ 
ſchwinden im Derlaufe der Entwicklung, die ſpäteren Typen haben nur noch 
das Flechtband und die Tierornamentik, die ſich aus den vorhergegangenen 
Ornamentmotiven, wie ich an anderer Stelle?) glaube nachgewieſen zu haben, 
entwickelt. Dieſe Entwicklung geht ganz allmählich vor ſich, ſo daß von einer 
Übernahme aus einem anderen Ornamentſchatz nicht mehr die Rede ſein kann. 
Der Übergang iſt deutlich zu erkennen, ſogar an einem einzigen Fundort läßt 
er ſich nachweiſen, etwa an Nordendorf. Die ältere Fibel, ein Stück mit rhom⸗ 
biſchem Fuß, alſo mit deutlich gotiſchen Elementen, hat auf der Kopfplatte die 
Ranke, auf der Fußplatte den Kerbichnitt (Abb. 1). Allmählich aber fängt 
die Kerbſchnittverzierung des Fußes an, fic) zu verſchieben (Abb. 2). Eine 
dritte Fibel desſelben Fundortes (Abb. 3) hat die Linienführung noch 
weiter verſchoben, fo weit, daß ſchon die Anfänge des Flechtbandes er: 
kennbar find, eine vierte Fibel (Abb. 4) und fünfte Fibel (Abb. 5) hat die 
Tendenz noch weiter durchgeführt, bei der ſechſten Fibel aus Nordendorf 
(Abb. 6) ijt die Derflechtung der Formelemente voll ausgebildet. So iſt der 
Weg deutlich und klar. Daß die Fibel Abb. 6 die jüngſte iſt, ergibt ſich not- 
wendig daraus, daß ſpäter der Kerbichnitt ganz fehlt, daß nur noch Flecht— 
bandornamentik vorhanden ijt, die Fibeln mit dem am ſtärkſten ausgebil- 


— —ü—äU — 


2) Brunner, a. a. O., S. 532. 

2) Alois Riegl, Spätrömiſche Kunſtinduſtrie. I und II. 1901 und 1925. 

3) Herbert Kühn, die Entſtehung der germaniſchen Flechtbandornamentik. 
KHoſſinna-Feſtſ ſchrift, 1028, S. 368-375. Herbert Kühn, Das Kunſtgewerbe der Dolber, 
wanderungszeit in Bojjert, Geſchichte des Kunjtgewerbes I. 1928, S. 69— 100. 


‘) Äberg, Die Franken und Weſtgoten in der Dölkerwanderungszeit. 1922, 
Abb. 194. Cindenſchmit, Die Altertümer unſerer heidniſchen Vorzeit I. Taf. 7. 


6] Das Jahr 550 als Wendepunkt in der Kultur der Dölkerwanderungszeit 175 


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Abb. 5 


Abb. 5. Nordendorf, B. A. Donauwörth 
nen Bauer. Nationalmuſ. Mins 
chen atürliche Größe. 


Abb. 6. Nordendorf, B. A. Donauwörth 
(Bauern). Muſeum München. Natür⸗ 
liche Größe. 


Abb. 7. Nordendorf, B. A. Donauwörth Abb. 8. Nocera Umbra. Muſeo delle Therme, 
(Bayern). Bayer. Nationalmuſeum München. Rom. 10,2 em Höhe 
Natürliche Größe 


176 Herbert Kühn [7 


deten Flechtbandornamenten müſſen aljo die jüngiten fein. Die Bewegung 
zum Flechtband liegt aber nicht nur bei dem Kerbſchnittornament vor, fie 
iſt auch erkennbar bei der Ranke. Ein Ornament wie bei der Fibel auf 
Abb. 7 zeigt deutlich den Übergang von der alten Ranke, die noch rechts 
und links erkennbar iſt, zum Flechtband, das in der Mitte ſchon auftaucht. 
Die Entwicklung von den beiden verſchiedenen Motiven, Kerbichnitt und 
Ranke, zu dem einen neuen Motiv, der Oerflechtung, vollzieht ſich zeitlich 
durchaus gleichmäßig. Die genaue Datierung dieſer Bewegung von antiken 
Elementen zu dem eigentlich germaniſchen Ornament der Verflechtung dt nun 
ebenfalls möglich. Die gotiſchen Fibeln kennen das Flechtband nicht, fie 
haben nur die fremden Ornamentmotive, genau ſo wie das gotiſche Recht eine 
eine Fülle fremder Züge aufweiſt. 

Die langobardiſchen Fibeln dagegen haben nur in verſchwindenden Fällen 
noch die alten Motive, die überwiegende Mehrzahl hat ein entwickeltes Flecht⸗ 
band, ja ſogar häufig ſchon das daraus erwachſene Tierornament. Nun gibt 
es aber auch einige langobardiſche Fibeln, die genau wie die Stücke aus 
Nordendorf den Übergang zeigen, wie eine Fibel aus Ravenna’), fie müſſen 
alſo die älteſten ſein, und daraus ergibt ſich, daß ſie aus der Seit der 
Einwanderung ſelbſt ſtammen. Das Stück (Abb. 8) aus Nocera Umbra 
iſt den Fibeln aus Nordendorf ſo ähnlich, daß es auch von dort her ſtammen 
könnte. Die Langobarden fallen 568 in Italien ein, um dieſe Seit alſo iſt das 
Flechtband auf einigen Fibeln ſchon ausgebildet. Die Boten werden 553 am 
Defuv vernichtend geſchlagen: fie kannten das Flechtband noch nicht. So muß 
die Seit der Ausbildung bieles Ornaments in der Seit zwiſchen 553 und 568 
liegen, alſo rund um 550. Der Ort der Ausbildung iſt Mitteldeutſchland und 
das Rheingebiet, die Bewegung geht bei den Fibeln mit ovalem Fuß vor ſich, 
die mitteldeutſchen und rheiniſchen Charakters ſind (Abb. 9). 

So bildet die Seit um 550 einen tiefen Einſchnitt in der Kultur der 
Dölkerwanderungszeit. Mit dieſem Seitpunkt erliegen die Goten vollſtändig 
der Antike, die zu ihrem letzten Schlage ausholt. Der Gedanke der Derſchmel— 
zung iſt untergegangen. Es iſt kein Sufall, daß gleichzeitig die antiken Ele— 
mente, Ranke, Mäander auf den germaniſchen Schmuckſtücken ſterben: die 
SE der Verbindung beider Kulturen iſt vorbei, Theoderichs Politik it zer— 

rodjen. 

So wie aus dem gotiſchen Recht, das Römiſches unvermittelt neben das 
Germaniſche ſtellte, das Recht der Franken, das der Langobarden erwuchs, 
erwuchs mit immer größerer Ausichaltung römiſcher Vorſtellungen, mit immer 
ſtärkerem Surückgehen auf überlieferte germaniſche Vorſtellungen: genau jo 
die Kunit, das Ornament, das immer der feinſte, ſublimſte Ausdruck der gei— 
ſtigen Bewegung einer Seit iſt: das Flechtwerk erſtand bei den Franken und 
den von ihnen unterworfenen Dölkern, den Burgundern und Alemannen und 
bei den Langobarden. Es iſt mit dieſer Ornamentik, als wenn Tendenzen 
wieder aufgenommen würden, die die germaniſche Ornamenthunſt ſchon einmal 
in der Periode V der Bronzezeit gehabt hatte. Hier wie dort der gleiche Wille 
zur Durchdringung und Verbindung der Lineamente, hier wie dort der gleiche 
Gedanke der Bildung von Tierköpfen, Tierleibern. 

Im Jahre 558 einigt Chlotachar I. das Frankenreich. Um dieſe Seit 
hat die germaniſche Idee über die römiſche geſiegt, die Völker, die feſter die 


Sp 1) Aberg, a. a. O. Abb. 216. Herbert Kühn, Hoſſinna-Feſtſchrift 1928, S. 372, 
mae 


8] Das Jahr 550 als Wendepunkt in der Kultur der Dölkerwanderungszeit 177 


germaniſche Überlieferung bewahrten, die Franken, die Langobarden, über: 
nahmen nad) dem Untergang der Oſtgoten die Führung. Aus den Franken 
aber erwuchs dann das neue große Keich, das die geſamte abendländiſche 
Kultur auf das Entſcheidendſte beeinfluſſen ſollte. 

So fallen die Daten faſt zuſammen, 553 am Deſuv die vollkommene Der: 
nichtung der gotiſchen Idee der Derſchmelzung, 558 die Einigung des Franken⸗ 


bb. 9. Oberolm. Altertumsmufeum Mainz. Natürliche Größe 


reiches, die Befeſtigung der germaniſchen Staatsbildung im Norden, 568 dann 
mit dem Einfall der Langobarden hatten die Germanen über die Römer end» 
gültig geſiegt, geſiegt auch auf italieniſchem Boden ſelbſt. So iſt es kein 
Sufall, daß die Seit um 550 auch in dem prähiſtoriſchen Fundmaterial als 
der große entſcheidende Wendepunkt erſcheint. Bis 550 herrſchen die ſüdlichen 
Ornamentmotive, die von Skythen und Römern ſtammen, nach 550 beginnt 
das Erwachen einer neuen Kunſt aus den alten fremden Wurzeln, das Er: 
ſcheinen eines eigenen germaniſchen Stils, der begründet liegt in Flechtband 
und Tierornament. Denn ſo wie der Mäander der klarſte Ausdruck des antiken 
Denkens iſt, ſo das Tierornament des germaniſchen Erlebens der Welt. Wenn 
Mannus, Heitſchrift für Vorgeſch., VII. Erg.⸗Bd. 12 


178 Kühn, Das Jahr 550 als Wendepunkt in der Kultur der Dölkerwanderungszeit [9 


die Antike das Ausgeglichene ſucht, das Beruhigte, Geklärte, dann die Dölker: 
wanderungszeit das Unruhevolle, das Verſchlungene, Ungeklärte. Hier Stille 
und Klarheit, dort Bewegung, Leben, Dorwärtstreiben aller Kräfte. Wie die 
Formen wechſeln und wogen, wie ſie auch wellen und vorwärtsdrängen 
wie eine ungebändigte Kraft, das iſt beſonders bezeichnend für die germaniſche 
Kunſt dieſer Zeit. Es ijt etwas Maßloſes in dieſer Hunt, etwas Ungebän- 
digtes, genau ſo wie Maßloſes darin liegt, über den Erdteil zu wandern 
von Nord nach Süd, die ewige Stadt zu erobern, neue Reiche aufzubauen im 
Zentrum der alten großen Kultur. Die geiſtige Welt dieſer Menſchen und ihre 
Kunſt ſpricht dieſelbe Sprache: der ewige Drang, hinter die Dinge zu ſchauen, 
das Weſen der Dinge zu faſſen. Wenn in einer Kunſt der fauſtiſche Drang 
des nordiſchen Menſchen ausgeprägt liegt, dann iſt es in dieſer Kunſt, in der 
alles Spannung, Wirbel, Rhythmus ijt. Das Sich-Durchdringen der Formen, 
das Sich⸗Verſchränken der Flächen, das Sich-Derflechten der Ebenen, das iſt 
letzter Ausfluß einer ſtark geſteigerten Vitalität, einer Vitalität im Erleben 
der Welt und der Kunſt. So wie die ſeeliſche Spannung erkennbar iſt in den 
Stabreimen der Edda, in den Rätjeln der Götter, in den Taten der Helden, 
ſo auch im Ornament. Eines bedingt das andere. Der Seitpunkt aber, in 
dem die Kunſt dieſer Seit erſt wirklich eigen geworden iſt, in dem das Orna⸗ 
ment feinen Ausdruck, ſeinen Formcharakter gefunden hat, das ijt die Seit 
= Sieges über Rom und zugleich die Seit der Niederlage durch Rom, die 
eit um 550. 


Merbetätigkeit 
im Dienſte der Vorgeſchichtswiſſenſchaft 


(Kurzer Auszug) 
Don Fritz Geſchwendt, Breslau 


Wenn eine Wiſſenſchaft wünſcht, nicht nur dienende Helferin anderer 
Wiſſenſchaften zu ſein, wenn ſie der ganzen Nation Kulturgüter zu über— 
mitteln hat, dann muß fie ihr Dornröschen-Daſein verlaſſen und eine Tätig⸗ 
keit ausüben, die bei materiellen Werten als Reklame, bei geiſtigen Gütern 
oft als Propagandatätigkeit bezeichnet wird. Der Forſcher ſträubt ſich häufig 
gegen Propagandierung ſeiner Wiſſenſchaft. Die Urſache dazu kann oft eine 
falſche Einſtellung zu der Werbetätigkeit fein. Dem Kaufmanne, der durch 
Reklame ſeine Waren verbreiten will, geſteht man Werbetätigkeit als ſelbſt— 
verſtändlich zu, obwohl das Endergebnis, die klingende Münze, in die eigene 
Taſche rollt; der Wiſſenſchaftler hält die Werbetätigkeit für unpaſſend, obwohl 
lie aus uneigennützigen Motiven ausgeübt wird, und der Ausübende nie 
perſönlichen Nutzen davon hat. 

Über die Notwendigkeit der Werbetätigkeit für eine junge Wiſſenſchaft, 
die breiteſte Kreiſe als Helfer benötigt, braucht Dorgeſchichtlern nichts geſagt 
zu werden. Nur an das Wort des amerikaniſchen Kaufmanns ſei erinnert: 
Woher ſollen es die Leute willen, daß du ihnen etwas Gutes zu geben halt, 
wenn du es ihnen nicht ſagſt. 

Sympathiſcher wird vielen die ganze wichtige Frage, wenn wir für 
Werbetätigkeit eine andere Bezeichnung wählen und von „Verbreitung vor: 
geſchichtlicher Kenntniſſe“ ſprechen. Um nicht viele theoretiſche Dorichläge 
zu bringen, die in der Praxis noch nicht erprobt find, ſoll am Beilpiel der 
beiden ſchleſiſchen Provinzen gezeigt werden, nach welchen Grundſätzen dort 
vorgeſchichtliche Kenntniſſe verbreitet werden; dabei darf freilich nicht über— 
ſehen werden, daß die Derhältnilie in Niederſchleſien für dieſen Zweck recht 
günſtig liegen; denn die Muſeumsdirektion, die ſtaatliche Denkmalspflege, der 
Dorji des Schleſiſchen Altertumsvereins und der Univerſitätslehrſtuhl find 
in einer Hand vereinigt, ſo daß ein zielbewußtes einheitliches und gleich— 
ſtrebendes Arbeiten gewährleiſtet iſt. Dor allem leiſten der Staatliche Der, 
trauensmann und feine Organe in Derbindung mit dem Schleſiſchen Alter— 
tumsverein die niederſchleſiſche Aufklärungsarbeit. Der Staatliche Dertrauens: 
mann der Provinz Oberſchleſien iſt zugleich Vorſitzender der Arbeitsgemein— 
ſchaft für oberſchleſiſche Ur- und Frühgeſchichte und als ſolcher mit dem 
Schleſiſchen Altertumsverein aufs engſte verbunden und arbeitet zum Teil 
nach ganz denſelben Grundſätzen. 

12* 


180 Fritz Geſchwendt [2 


Der Schleſiſche Altertumsverein, der im Jahre 1928 ſein 70jähriges Be- 
ſtehen feiern konnte, veranſtaltet im Winterhalbjahr in Breslau Dortrags- 
abende mit allgemeinen Themen heimatkundlicher, kunſtgeſchichtlicher uſw. 
Art, die regelmäßig gut beſucht ſind. Im Sommer werden ein bis zwei 
Wanderfahrten veranſtaltet, die häufig als Höhepunkt des Dereinslebens 
bezeichnet werden müſſen. Weil das Intereſſe für ſpezielle Vorgeſchichte aber 
ſehr groß iſt, mußte eine beſondere Abteilung gegründet werden, die allmonat⸗ 
lich ſogenannte prähiſtoriſche Fachſitzungen veranſtaltet!). Hier treffen ſich die 
hauptamtlichen Dorgeſchichtler, verſtärkt durch Dertreter von Nachbarwiſſen⸗ 
ſchaften und Altertumsfreunde; auch die Prähiſtoriker aus Oberſchleſien, der 
Oberlauſitz und der Grenzmark nehmen gewöhnlich teil. Bei dieſen Sad): 
ſitzungen werden in der Hauptſache neue Funde vorgelegt und beſprochen, 
neue Literatur bekanntgegeben uſw. Um auch Laien Gelegenheit zu geben, 
leicht und mühelos in die ſchleſiſche Vorgeſchichte einzudringen, wurde als Dor, 
ſtufe zu den Fachſitzungen die ſogenannte „Arbeitsgemeinſchaft für nieder— 
ſchleſiſche Urgeſchichte“ gegründet, die allmonatliche Sitzungen oder Wander— 
fahrten zu prähiſtoriſchen Fundſtellen veranſtaltet?). Die Beteiligung iſt eben, 
falls außerordentlich ſtark, ebenſo wie bei den Veranſtaltungen der Arbeits- 
gemeinſchaft für oberſchleſiſche Ur- und Frühgeſchichte ). An dieſen bisher 
gekennzeichneten Deranjtaltungen können in der Hauptſache nur Freunde der 
Altertumskunde teilnehmen, die die Dortragsorte ohne größere Derlufte an 
Seit und Geld erreichen. Für auswärtige Mitglieder werden Dortragsabende 
in den Klein⸗ und Mittelſtädten veranſtaltet, an denen gewöhnlich Doppel- 
vorträge gehalten werden, die einerſeits über die Vorgeſchichte des betreffen⸗ 
den Gebietes unterrichten und andererſeits etwaige neue Grabungsergebniſſe 
aus der Nähe den Teilnehmern erläutern ſollen. Außerdem werden regel— 
mäßig in Lehrervereinen, Cand- und forſtwirtſchaftlichen Dereinen, bei Kreis=- 
tagungen verſchiedener Berufsgruppen, Heimatwochen uſw. einſchlägige Dor, 
träge gehalten, und zwar jährlich 30 —40. Etwas Außerliches, aber ſehr 
Weſentliches dabei bedeutet der Umſtand, daß für dieſe Vorträge keine Hono- 
rare verlangt werden, damit auch in kleine Vereine in abgelegenen Gegenden 
„eingedrungen“ werden kann. Der Erfolg all dieſer Deranſtaltungen ijt der, 
daß ſich der Beſuch des Altertumsmuſeums verſtärkt und daß Führungen unter 
fachmänniſcher Leitung gewünſcht werden. 

Um alle Mitglieder des Vereins ſchlingt ſich ein dreigeteiltes, aber ein— 
heitliches Band, nämlich drei Dereinszeitichriften. In erſter Linie ſeien die 
Prachtbände von „Schleſiens Vorzeit in Bild und Schrift“ erwähnt, die dem 
Derein viel neue Freunde gewinnen. Das zweite Organ iſt die Seitſchrift 
„Altſchleſien“, die neuerdings alljährlich erſcheint und abwechſelnd einen Band 
der Vorgeſchichte und je einen Band der Kunſtgeſchichte, der Numismatik vim. 
widmet. Die dritte Schrift, die „Altſchleſiſchen Blätter“, erſcheint zweimonatlich 
und enthält als wichtigſten Teil die Fundmeldungen der genannten Seit; 
außerdem werden kleine einführende Aufläße allgemeineren Inhalts und 
Vereinsnachrichten den Mitgliedern übermittelt. Die beſonderen Unter— 
nehmungen mit Hilfe von Werbeblättern, Merkzetteln, Belieferungen ganzer 
Kreiſe mit Seitſchriften und Werbematerial, über Einladungen zu Gra— 
bungen uſw. ſollen nur angedeutet werden; der Wortlaut zweier Merkblätter 
für den Denkmalſchutz und zur Werbung von Mitgliedern folgt nachſtehend: 

1) Cätigkeitsbericht vgl. Altſchleſien, Bd. 2, H. 1, S. 71, und Bd. 2, H. 2, S. 167. 

) Cätigkeitsbericht vgl. Altſchleſ. Blätter, 1928, H. 5, S. 75. 

3) Cätigkeitsbericht vgl. Altſchleſ. Blätter, 1928, H. 5, S. 74. 


3] Werbetätigkeit im Dienſte der Vorgeſchichtswiſſenſchaft 181 


Merkblatt für Altertumsfunde 


Bei den verſchiedenſten Erdarbeiten (zum Hhäuſer-, Straßen-, Brücken⸗ 
bau, beim Pflügen, Bäumeſetzen und dergleichen) werden oft alte Gefäße, 
merkwürdige, bearbeitete Steine, tönerne Scherben, grünſpanige Geräte, 
roſtige Waffen, Skelette und dergl. gefunden. Alle dieſe Funde unterliegen 
einer geſetzlichen Anmeldepflicht; Finder, Bauführer, Eigentümer uſw. ſind 
zur ſofortigen Anmeldung an den Amtsvorfteher, der für die Weiterleitung 
der Meldung an den Staatlichen Vertrauensmann für hkulturgeſchichtliche 
Bodenaltertümer Sorge trägt, verpflichtet, falls ſie ſich nicht unter Umſtänden 
ſtrafbar machen wollen. 

Dieſer Aufruf wendet ſich aber an den Heimatsſinn aller Schleſier; 
jedermann ſollte daran denken, daß die Bodenaltertümer für die Erforſchung 
der Geſchichte der heimat von großer Wichtigkeit ſind, daß ſelbſt der 
unſcheinbarſte Fund (Scherben uſw.) Aufichluß über vergangene Jahrtauſende 
geben kann. Es wird gebeten, auch die geringfügigſten Reſte zu melden. 


Der Staatliche Vertrauensmann 
für die kulturgeſchichtlichen Bodenaltertümer 


Was bietet der Schlefifhe Altertumsverein feinen Mitgliedern? 


1. Im Winterhalbjahr: allmonatliche Dortragsfigungen und Führungen 
in Breslau. 

2. Im Sommerhalbjahr: Wanderverſammlungen an heimat und 
Kunſtgeſchichtlich wichtigen Orten Schleſiens. 

3. Allmonatlidye prähiſtoriſche Fachſitzungen. (Beſondere Einladungen 
auf Wunſch.) 

4. Allmonatliche Sitzungen der Krbeitsgemeinſchaft für niederſchleſiſche 
Ur» und Frühgeſchichte. (Einladungen auf Wunſch.) 

5. Hllmonatliche Sitzungen der Arbeitsgemeinſchaft für oberſchleſiſche 
Ur und Frühgeſchichte. 

D Freie Lieferung des RNachrichtenblattes „Altſchleſiſche 
Blätter“ mit jährlich 6-8 heften. 

7. Freie Lieferung der Seitſchrift „Altſchleſien“ mit 80 bis 
160 Seiten mit vielen Abbildungen. 

8. Freie Lieferung der prachtbände „Schleſiens Vorzeit in 
Bild und Schrift“. 

9. Lieferung aller bisher erſchienenen Schriften und Sonder— 
veröffentlichungen zu bedeutend ermäßigten Preijen. 

10. Koftenloje Teilnahme an den alljährlich dreimal ſtattfindenden 
mehrtägigen Muſeums-⸗Hurſen. 

11. Sulaſſungen zu amtlichen Ausgrabungen. 

12. Vorträge in der Provinz. 


Wer in den Schleſiſchen Altertumsverein eintritt, fördert die 
heimiſche Altertumsforſchung und ſomit die ſchleſiſche heimat— 
kunde und ⸗ pflege. 


Der Werbung von Mitarbeitern dienen Kurje, über die ſchon in dem 
Nachrichtenblatt für deutſche Vorzeit geſprochen worden iſt!). Wenn zwei bis 
drei Anfängerkurſe veranitaltet worden ſind, ſchließt ſich ein Aufbaukurjus-) 
für Fortgeſchrittene an, bei dem gewöhnlich ein Spezialgebiet behandelt wird. 

1) Geſchwendt, Uurſe zur Pflege vorgeſchichtlicher Denkmäler in Breslau. Mad: 
richtenblatt ir deutſche Vorzeit, Jahrg. II. h. 6. 

>) Dal. Altſchleſ. Blätter, Jahrg. 1927, H. 1, S. 4, Jahrg. 1928, B. 5, S. 77, 
Jahrg. 1929, H. 1, S. 6. 


182 Fritz Geſchwendt, Werbetätigkeit im Dienſte der Vorgeſchichtswiſſenſchaft [4 


Daß fic) auf Grund der geſchilderten Maßnahmen tatſächlich gute Erfolge 
einſtellen, zeigen einige Angaben; es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht 
Freunde der Altertumskunde ſich zum Aktenſtudium einfinden; die Sahl der 
Sammlungsbeſucher, ſowohl von Einzelperſonen als auch ganzen Schulklaſſen, 
nimmt ſtark zu; der Wunſch nach Führungen ijt außerordentlich ange: 
wachſen; in dem erſten Halbjahre 1928 lagen gegen 400 Meldungen vor. 
Die Sahl der Mitglieder im Altertumsverein nimmt jährlich rund um 300 zu!). 
Das Erfreuliche dabei dt nicht die Zahlung des Jahresbeitrages; jedes neue 
Mitglied gilt als Keimzelle, von der aus die gelieferte Literatur weitergeleitet 
wird, und von wo aus erfahrungsgemäß neue Funde gemeldet werden, und 
daß ſomit durch einen einzelnen Menſchen das Verſtändnis für den Denkmal: 
ſchutz in weiten Kreiſen gefördert werden kann. Die Fundmeldungen nehmen 
in ſtattlicher Weiſe zu; in beiden Provinzen ſind während der letzten Jahre 
gewöhnlich 800- 1200 Meldungen eingelaufen. 

Die Urſache zu dieſem Weitergreifen des Intereſſes an der Vorgeſchichts⸗ 
forſchung und der Dorgeſchichte der Heimat, der Vermehrung der ſtillen Mit- 
arbeiter in der Provinz, die ſich zahlenmäßig gar nicht ausdrücken läßt, iſt 
nicht nur die in den vorſtehenden Seiten geſchilderte Aufklärungstätigkeit, nicht 
nur der Umſtand, daß eine Kraft ſich völlig dieſer Aufgabe widmen kann, und zum 
allerletzten die zur Derfügung ſtehenden Mittel, ſondern ganz andere Gründe, die 
kurz dargeſtellt werden ſollen: zunächſt die große Selbſtändigkeit des Poſtens 
der Werbekraft, ferner die ſtete Bereitwilligkeit aller ſchleſiſchen Prähiſtoriker, 
auch außerhalb der ſogenannten Dienſtzeit Arbeiten für die Werbetätigkeit 
und für den Denkmalſchutz auszuführen; außerdem die große Uneigennützig— 
keit aller Beteiligten, Werbevorträge jederzeit ohne Honorar zu halten, was 
wiederum das Eindringen in die fernſten Teile der großen Doppelprovinz und 
auch in die leiſtungsſchwächſten Vereine ermöglicht; und letzten Endes die 
pſychologiſche Einſtellung aller Beteiligten, daß nicht die Wiſſenſchaft für Ein- 
geweihte, ein ſchwacher Aufguß derſelben für die Allgemeinheit beſtimmt iſt; 
die Kreiſe, an die wir uns zunächſt zu wenden haben, können Wiſſenſchaft und 
Pſeudowiſſenſchaftlichkeit ſehr wohl unterſcheiden. Bei den ſogenannten popu- 
lären Vorträgen wird ſtreng beobachtet, daß die Ausführungen wiſſenſchaft— 
lich find, das heißt wiſſenſchaftlich einwandfrei; aber fie müſſen jo om: 
ſchaulich ſein, daß der Hörer auch ohne Vorkenntniſſe für längere Seit inter— 
eſſiert und erwärmt wird. 

Während bei allgemeinen Tagungen häufig ſehr beachtenswerte Dor- 
ſchläge für die Werbetätigkeit vorgelegt werden, hört man ſeltener praktiiche 
Beiſpiele und deren Erfolge. So wie hier am Beiſpiel der Provinzen Nieder— 
und Oberſchleſien die dort benutzte Methode der Werbetätigkeit dargelegt 
wurde, könnten bei der nächſten Tagung vielleicht andere Landesteile ihre 
eigenen Maßnahmen aus der Praxis für die Praxis darlegen. 


1) Dal die Jahresberichte nn den ln Altertumsverein in Altſchleſien 
Bd. 2, H. 1, S. 71, und Bd. 2, h. 2, S. 167. 


Der Landlehrer 
im Dienſte der Vorgeſchichtsforſchung 


Don Bernhard Becker, Beendorf bei Helmſtedt 


Der Lehrer, der aus irgend welchen Gründen, ſeien ſie materieller oder 
ideeller Art, das Dorf als dauernden Wohnſitz wählt, wird naturgemäß im 
Laufe der Jahre mehr und mehr mit der Umgebung verwurzeln. Daß damit 
ein gewiſſer Nachteil verbunden ſein kann, ſoll nicht geleugnet werden: Im 
engen Kreis verengert ſich der Sinn. Die vielfältigen Weiterbildungsmöglich— 
keiten, die die Sroßſtadt mit den öffentlichen Sammlungen, Bibliotheken, 
Leſehallen, Vorträgen uſw. mühe- und koſtenlos bietet, fehlen auf dem Dorfe 
ſo gut wie ganz. Aber an Anregungen zu geiſtiger Betätigung iſt das Dorf 
ganz gewiß nicht arm! Im Gegenteil, wenn der Lehrer ſich an der Er— 
forſchung feiner Heimat beteiligt, wird er bald merken, daß fi ihm durch 
dieſe Tätigkeit ein geradezu unbegrenztes Arbeitsfeld eröffnet. Sein Beruf 
kann ihm dabei niemals ein Hindernis ſein, er fordert vielmehr dieſe Arbeit 
von ihm. Ich erinnere nur an die Beſtrebungen, die ſich um den Begriff 
„Heimatſchule“ gruppieren. — Faſt ausnahmslos wird der Lehrer dabei 
zwangsläufig Bekanntſchaft mit der Dorgeſchichte machen. Er wird feſt— 
ſtellen, daß feine Heimat weit früher beſiedelt geweſen iſt, als Chroniken und 
Urkunden vermuten laſſen. Die immer ſeltener werdenden Beweisſtücke dieſer 
vorgeſchichtlichen Siedelungstätigkeit feſtzuſtellen und zu ſammeln, ſollte eine 
der Hauptaufgaben des Landlehrers fein. Er dient damit nicht nur der Schule, 
ſondern auch der Heimat, der Wiſſenſchaft und dem Dolke. 

Drei Eigenſchaften ſetzt dieſe Tätigkeit voraus: Beobachtungsgabe, damit 
verbunden ein gewiſſer Spürſinn und eine ganz gehörige Gabe von Geduld, 
die auch dann nicht erlahmt, wenn einmal die „Erfolge“ zeitweiſe völlig aus— 
bleiben — eines ſchönen Tages lohnt Entdeckerfreude doch beſtimmt alle 
Mühe und Arbeit! 

Um eine möglichſt gründliche Durchforſchung einigermaßen zu gewähr— 
leiſten, iſt es richtig, von vornherein das Arbeitsfeld nicht zu weit zu faſſen. 
Die heimatliche Dorfmark wird naturgemäß im Dordergrunde ſtehen, ge— 
legentlich wird man ſowieſo zwangsläufig darüber hinausgeführt werden. 

Allgemein bekannt ſind in der Regel nur vorgeſchichtliche Gräber, die 
ſich kenntlich von der Oberfläche abheben. Sie liegen heute in unſerer Gegend 
fait ausnahmslos in Wäldern und Odlandereien, find alſo augenblicklich nicht 
gefährdet und kommen für Grabungen meinerſeits nicht in Frage, und vor 
unberufenem Sugriff find fie geſetzlich geſchützt. Außerdem find fie ja auch 
der Wiſſenſchaft längſt bekannt und in der Literatur erwähnt. Und gerade 
deswegen intereſſieren ſie mich doch! Es liegt meines Erachtens durchaus im 


184 Bernhard Beder [2 


Sntereffe der Vorgeſchichte, einen literariſchen Nachweis vorgeſchichtlicher 
Grabſtätten der Umgegend zuſammenzuſtellen und dem nächſten Heimat- 
muſeum zu überweiſen. Selbſtverſtändlich wird man bei dieſer Arbeit den 
eigentlichen Tätigkeitsbezirk entſprechend erweitern. Ich beſchäftige mich mit 
der Sammlung ſolcher Notizen ſeit längerer Seit. Die Kataloge der Stadt— 
büchereien, die Inhaltsverzeichniſſe der dort gehaltenen Heimatzeitſchriften 
werden gelegentlich daraufhin durchgeſehen. Dor allem iſt es aber ange— 
bracht, die heimiſchen Lokalblätter in den älteren Jahrgängen zu durch— 
forſchen. Nur ſelten wird man in den Redaktionen alle Bände vorfinden. 
Auch fehlt meiſt die Seit, an Ort und Stelle zu arbeiten. Aber früher mußten 
in jedem Orte die Blätter der amtlichen Bekanntmachungen wegen gehalten 
und gebunden werden. Und ſo habe ich beim Durchſtöbern der Dachböden 
ſolcher Bauernhäuſer, in denen vormals das Schulzenamt war, des öfteren 
ſolche Bände gefunden und mancherlei daraus verwertet. Auf dieſe Weile 
konnte ich 3. B. den Literaturnachweis über die Liibbenfteine bei Helmitedt, 
den Grabowsky im „Globus“ (LAV, 23) bringt, nicht unweſentlich erweitern 
und unter anderem feſtſtellen, daß die „Cübbenſteine“ bereits einmal, 1809, 
Gegenſtand eines Vortrags der „Skandinaviſchen Geſellſchaft“ zu Kopenhagen 
waren. Mitunter geben ſolche faſt verſchollenen Notizen wertvolle Anregung 
zu weiterer Arbeit. 

Ebenſo wichtig iſt es, etwaige Funde aus der engeren heimat in 
den Muſeen der näheren und weiteren Umgebung feſtzuſtellen. Man 
a die ſchönſten Überraſchungen — in wörtlicher Bedeutung — er: 
eben! 

So ſtehen Beendorfer Urnen in Halle; Bronzekelte, Schwert, Sichel uſw. 
aus Beendorf, Schwanefeld, Bartensleben uſw. liegen in Braunſchweig; ein 
Wefensleber Bronzefund iſt in Berlin gelandet. Dieſe Aufzählung macht auf 
Vollſtändigkeit keinerlei Anſpruch, da dieſe Arbeit nicht abgeſchloſſen ijt. Der 
Lehrer, der mit ſeinem heimatmuſeum arbeitet, wird fic) bemühen, Nach— 
bildungen verſtreuter Funde von Wert für das Heimatmujeum zu bekommen. 
— Mit dieſer Regiſtrierarbeit hängt eine andere Frage zuſammen: Wie 
kamen dieſe Funde aus heimiſcher Erde in die Muſeen der Städte? 
Wer war der Sammler? Das feſtzuſtellen iſt eine außerordentlich feſſelnde 
und reizvolle Aufgabe und kann für die praktiſchen Arbeiten unter Umſtänden 
von Wert ſein. — In helmſtedt ſtarb vor 109 Jahren der ſeinerzeit weit— 
bekannte Profeſſor Beireis, deſſen umfangreiche und vielſeitige Sammlungen 
Goethe im Jahre 1805 zu feiner Reiſe nach Helmitedt veranlaßten. Ich jah 
die Auktionskataloge durch und fand dort auch allerlei vorgeſchichtliche 
Funde aus der engeren Umgebung verzeichnet, unter anderem „zwölf bron— 
zene Waffenrüſtungen aus Armſchienen, Sichelſchwertern, Bronzebeilen uſw. 
beſtehend; gefunden 1800 bei Walbeck“. — Mögen ſich die Sachen auch heute 
leider nicht mehr nachweiſen laſſen — wo damals ein Depotfund in der Erde 
ſteckte, kann auch heute noch etwas vorhanden fein! Speziell in dieſem Falle 
hat ſich dieſe Annahme tatſächlich erſt wieder vor kurzem beſtätigt. — Da 
handelte es ſich um einen Sufallsfund: ſyſtematiſche Arbeit würde dort ſicher 
von Erfolg gekrönt ſein. 

Don den aus der Heimat entführten Funden weiß man im Dorfe meiſt 
gar nichts mehr. Das Gedächtnis unſerer Landbevölkerung iſt da oft 
erſtaunlich Kurz! Selbſt namhafte Funde aus den 70er Jahren find heute 
total vergeſſen. Es erklärt ſich eben daraus, daß damals niemand für der— 
gleichen Sachen größere Teilnahme beſaß. Aufgabe der Lehrerſchaft 


3] Der Candlehrer im Dienſte der Dorgeſchichtsforſchung 185 


und der Schule iſt es, hierin Wandel zu ſchaffen. Wie das im einzelnen 
im Unterrichte zu geſchehen hat, möchte ich heute nicht weiter erörtern. Bücher 
und Abhandlungen über das Thema „Vorgeſchichte und Schule“ find bereits 
mehrfach erſchienen. Nicht jeder Lehrer wird ſich für eine umfangreiche Er— 
weiterung des Lehrplans ſeiner Dorfſchule begeiſtern. Aber jeder kann die 
Kinder für Funde der heimatlichen Feldmark intereſſieren, ſie anhalten, ſolche 
ſorgfältig zu ſammeln und abzuliefern, den Kindern klarmachen, daß ſie damit 
höchſt wichtige Kleinarbeit im Dienſte der Wiſſenſchaft leiſten. Ich glaube, 
mit ſolch handgreiflichen Reſultaten wäre der Dorgeſchichtsforſchung auch ſchon 
gedient. Freilich, eine genaue Regiſtrierung der Funde nach Ort und Um— 
ſtänden ſeitens des Lehrers iſt unbedingt nötig. Eine Ergänzung der Fund— 
berichte bildet die Eintragung der Fundſtellen in die Flurkarte. Überhaupt 
können die „Flurnamen“ mitunter den Ausgangspunkt vorgeſchichtlicher 
Forſchung bilden. In jedem Dorfe muß ſich bekanntlich eine Flurkarte 
befinden, nämlich beim Gemeindevorſteher und leider nicht in der Schule! 
Dort ſind wir behördlicherſeits erſt bei der Provinzkarte angelangt; eine 
Kreiskarte zu beſchaffen iſt jeder Schule frei geſtellt, und von der heimiſchen 
Flurkarte iſt noch gar keine Rede! Und doch wäre gerade ſie am nötigiten. 
Für den vorgeſchichtlich intereſſierten Lehrer iſt fie jedenfalls unentbehrlich. 

Auf unſerer Flurkarte heißen etliche Gewannen „vor dem heiligen 
Berge“. Am Abhang liegt die ſehr alte Dorfkirche, die dem Berge den Namen 
gegeben haben ſoll. Ich vermute aber, das chriſtliche Kulturzentrum iſt ſeiner— 
zeit bewußt dort angelegt, wo ſchon ein heiliger Berg war. Jedenfalls 
ſind im Pfarrgarten gelegentlich Gefäßſcherben und ein Kornqueticher ge— 
funden worden, und am Gipfel des Berges diverſe Schaber und mehrere 
Steinbeile, darunter eine kleine jütländiſche Axt. Der Berg ſelbſt iſt jedoch 
bewaldet; es ſind alſo hier nur Sufallsfunde zu erwarten. 

Im benachbarten Schwanefeld läßt ſich nun aber der Suſammenhang 
zwiſchen Kirche reſpektive Kapelle und vorgeſchichtlicher Kultſtätte direkt be— 
weiſen. Dort gibt es im Felde einen „Kapellenberg“. Die betreffende 
Meßtiſchblattangabe ijt ungenau: die Kapelle liegt nicht auf dem Gipfel, 
ſondern etwas tiefer. Ihr Grundriß ließe ſich auch heute noch unſchwer 
durch Grabung ermitteln, da die Mauerreſte noch faſt bis zur Oberfläche. 
reichen. Auf dem Berggipfel liegt der Sage nach ein „goldener Sarg be— 
graben“. 

Sage und Kapelle, die erſt durch die Reformation einging, veranlaßten 
mich im Berbit 1926 die Gegend dort einmal mit etwas kritiſcheren Augen 
zu durchwandern. Die ganze Umgebung — die Aller im Tale, Moränen— 
hügel, Kies und Sand in gewiſſen Ackerſtücken — ließ Funde hier herum 
vermuten. Eine dahingehende Nachfrage im Orte verlief allerdings durchaus 
negativ Da das aber nach meinen Erfahrungen gar nichts beweiſt, machte 
ich einen Kollegen dort im Orte aufmerkſam. Der unterwies die im frag— 
lichen Gelände pflügenden Knechte. Nach drei Tagen war pünktlich die erſte 
Steinkiſte dal Und ebenſo pünktlich waren die beiden Gefäße durchaus 
gründlich vom Knecht auf „Gold“ und was weiß ich „unterſucht“ und zer— 
Wort, Auf einem benachbarten Ackerſtück fand ich dann zahlloſe Scherben, 
die, der Größe nach zu urteilen, höchſtens zwei oder dreimal durch den Pflug 
bewegt fein konnten. Nachfrage beim Bejiker des Ackerſtücks ergab, daß 
gerade dieſes Feld erſt drei Jahre urbar war, die „Inflation“ hatte das 
Odland in Acker verwandelt! Friſche Acker find in den Jahren allenthalben 
entſtanden und nicht nur in Schwanefeld fundverdächtig! 


184 Bernhard Becker (2 


Intereſſe der Vorgeſchichte, einen literariſchen Nachweis vorgeſchichtlicher 
Grabſtätten der Umgegend zuſammenzuſtellen und dem nächſten heimat— 
muſeum zu überweiſen. Selbſtverſtändlich wird man bei dieſer Arbeit den 
eigentlichen Tätigkeitsbezirk entſprechend erweitern. Ich beſchäftige mich mit 
der Sammlung ſolcher Notizen ſeit längerer Seit. Die Kataloge der Stadt: 
büchereien, die Inhaltsverzeichniſſe der dort gehaltenen Heimatzeitichriften 
werden gelegentlich daraufhin durchgeſehen. Vor allem iſt es aber ange— 
bracht, die heimiſchen Lokalblätter in den älteren Jahrgängen zu durch— 
forſchen. Nur ſelten wird man in den Redaktionen alle Bände vorfinden. 
Auch fehlt meiſt die Zeit, an Ort und Stelle zu arbeiten. Aber früher mußten 
in jedem Orte die Blätter der amtlichen Bekanntmachungen wegen gehalten 
und gebunden werden. Und ſo habe ich beim Durchſtöbern der Dachböden 
ſolcher Bauernhäuſer, in denen vormals das Schulzenamt war, des öfteren 
ſolche Bände gefunden und mancherlei daraus verwertet. Auf dieſe Weiſe 
konnte ich z. B. den Literaturnachweis über die Cübbenſteine bei helmſtedt, 
den Grabowsky im „Globus“ (LAV, 23) bringt, nicht unweſentlich erweitern 
und unter anderem feſtſtellen, daß die „Cübbenſteine“ bereits einmal, 1809, 
Gegenſtand eines Vortrags der „Skandinaviſchen Geſellſchaft“ zu Kopenhagen 
waren. Mitunter geben ſolche faſt verſchollenen Notizen wertvolle Anregung 
zu weiterer Arbeit. 

Ebenſo wichtig iſt es, etwaige Funde aus der engeren heimat in 
den Muſeen der näheren und weiteren Umgebung feſtzuſtellen. Man 
Bann, babe die ſchönſten Uberraſchungen — in wörtlicher Bedeutung — er: 
leben! 

So ſtehen Beendorfer Urnen in Halle; Bronzekelte, Schwert, Sichel ujw. 
aus Beendorf, Schwanefeld, Bartensleben vim. liegen in Braunſchweig; ein 
Wefensleber Bronzefund ijt in Berlin gelandet. Dieſe Aufzählung macht auf 
Vollſtändigkeit keinerlei Anſpruch, da dieſe Arbeit nicht abgeſchloſſen iſt. Der 
Lehrer, der mit feinem Heimatmujeum arbeitet, wird ſich bemühen, Wad: 
bildungen verſtreuter Funde von Wert für das Heimatmuſeum zu bekommen. 
— mit dieſer Regiſtrierarbeit hängt eine andere Frage zuſammen: Wie 
kamen dieſe Funde aus heimiſcher Erde in die Muſeen der Städte? 
Wer war der Sammler? Das feſtzuſtellen iſt eine außerordentlich feſſelnde 
und reizvolle Aufgabe und kann für die praktiſchen Arbeiten unter Umſtänden 
von Wert fein. — In helmſtedt ſtarb vor 109 Jahren der ſeinerzeit mett 
bekannte Profeſſor Beireis, deſſen umfangreiche und vielſeitige Sammlungen 
Goethe im Jahre 1805 zu ſeiner Reiſe nach Helmſtedt veranlaßten. Ich oh 
die Auktionskataloge durch und fand dort auch allerlei vorgeſchichtliche 
Funde aus der engeren Umgebung verzeichnet, unter anderem „zwölf bron— 
zene Waffenrüſtungen aus Armſchienen, Sichelſchwertern, Bronzebeilen uſw. 
beſtehend; gefunden 1800 bei Walbeck“. — Mögen ſich die Sachen auch heute 
leider nicht mehr nachweiſen laſſen — wo damals ein Depotfund in der Erde 
ſteckte, kann auch heute noch etwas vorhanden ſein! Speziell in dieſem Falle 
hat ſich dieſe Annahme tatſächlich erſt wieder vor kurzem beſtätigt. — Da 
handelte es ſich um einen Sufallsfund: ſyſtematiſche Arbeit würde dort ſicher 
von Erfolg gekrönt ſein. 

Don den aus der heimat entführten Funden weiß man im Dorfe meiſt 
gar nichts mehr. Das Gedächtnis unſerer Landbevölkerung iſt da oft 
erſtaunlich kurz! Selbſt namhafte Funde aus den 70er Jahren ſind heute 
total vergeſſen. Es erklärt ſich eben daraus, daß damals niemand für der— 
gleichen Sachen größere Teilnahme beſaß. Aufgabe der Lehreridaft 


3] Der Candlehrer im Dienfte der Vorgeſchichtsforſchung 185 


und der Schule iſt es, hierin Wandel zu ſchaffen. Wie das im einzelnen 
im Unterrichte zu geſchehen hat, möchte ich heute nicht weiter erörtern. Bücher 
und Abhandlungen über das Thema „Vorgeſchichte und Schule“ find bereits 
mehrfach erſchienen. Nicht jeder Lehrer wird ſich für eine umfangreiche Er— 
weiterung des Lehrplans ſeiner Dorfſchule begeiſtern. Aber jeder kann die 
Kinder für Funde der heimatlichen Feldmark intereſſieren, fie anhalten, ſolche 
ſorgfältig zu ſammeln und abzuliefern, den Kindern klarmachen, daß ſie damit 
höchſt wichtige Kleinarbeit im Dienſte der Wiſſenſchaft leiſten. Ich glaube, 
mit ſolch handgreiflichen Reſultaten wäre der Vorgeſchichtsforſchung auch ſchon 
gedient. Freilich, eine genaue Regiſtrierung der Funde nach Ort und Um— 
ſtänden ſeitens des Lehrers iſt unbedingt nötig. Eine Ergänzung der Fund— 
berichte bildet die Eintragung der Fundſtellen in die Flurkarte. Überhaupt 
können die „Flurnamen“ mitunter den Ausgangspunkt vorgeſchichtlicher 
Forſchung bilden. In jedem Dorfe muß ſich bekanntlich eine Flurkarte 
befinden, nämlich beim Gemeindevorſteher und leider nicht in der Schule! 
Dort ſind wir behördlicherſeits erſt bei der Provinzkarte angelangt; eine 
Kreiskarte zu beſchaffen iſt jeder Schule frei geſtellt, und von der heimiſchen 
Flurkarte iſt noch gar keine Rede! Und doch wäre gerade ſie am nötigſten. 
Für den vorgeſchichtlich intereſſierten Lehrer iſt ſie jedenfalls unentbehrlich. 

Auf unſerer Flurkarte heißen etliche Gewannen „vor dem heiligen 
Berge“. Am Abhang liegt die ſehr alte Dorfkirche, die dem Berge den Namen 
gegeben haben ſoll. Ich vermute aber, das chriſtliche Kulturzentrum iſt ſeiner— 
zeit bewußt dort angelegt, wo ſchon ein heiliger Berg war. Jedenfalls 
find im Pfarrgarten gelegentlich Gefäßicherben und ein Kornquetſcher ge— 
funden worden, und am Gipfel des Berges diverſe Schaber und mehrere 
Steinbeile, darunter eine kleine jütländiſche Axt. Der Berg ſelbſt iſt jedoch 
bewaldet; es ſind alſo hier nur Sufallsfunde zu erwarten. 

Im benachbarten Schwanefeld läßt ſich nun aber der Suſammenhang 
zwiſchen Kirche reſpektive Kapelle und vorgeſchichtlicher Kultſtätte direkt be— 
weilen. Dort gibt es im Felde einen „Kapellenberg“. Die betreffende 
Meßtiſchblattangabe iſt ungenau: die Hapelle liegt nicht auf dem Gipfel, 
ſondern etwas tiefer. Ihr Grundriß ließe ſich auch heute noch unſchwer 
durch Grabung ermitteln, da die Mauerreſte noch faſt bis zur Oberfläche 
1 Auf dem Berggipfel liegt der Sage nach ein „goldener Sarg be— 
graben“. 

Sage und Kapelle, die erſt durch die Reformation einging, veranlaßten 
mich im herbſt 1926 die Gegend dort einmal mit etwas kritiſcheren Augen 
zu durchwandern. Die ganze Umgebung — die Aller im Tale, Moränen- 
hügel, Kies und Sand in gewiſſen Ackerſtücken — ließ Funde hier herum 
vermuten. Eine dahingehende Nachfrage im Orte verlief allerdings durchaus 
negativ Da das aber nach meinen Erfahrungen gar nichts beweiſt, machte 
ich einen Kollegen dort im Orte aufmerkſam. Der unterwies die im frag— 
lichen Gelände pflügenden Knechte. Nach drei Tagen war pünktlich die erſte 
Steinkiſte da! Und ebenſo pünktlich waren die beiden Gefäße durchaus 
gründlich vom Knecht auf „Gold“ und was weiß ich „unterſucht“ und zer— 
Wärt, Auf einem benachbarten ÜAckerſtück fand ich dann zahlloſe Scherben, 
die, der Größe nach zu urteilen, höchſtens zwei oder dreimal durch den Pflug 
bewegt ſein konnten. Nachfrage beim Beſitzer des Ackerſtücks ergab, daß 
gerade dieſes Feld erſt drei Jahre urbar war, die „Inflation“ hatte das 
Odland in Acker verwandelt! Friſche Acker find in den Jahren allenthalben 
entitanden und nicht nur in Schwanefeld fundverdächtig! 


186 Bernhard Becker [4 


Probegrabungen am folgenden Tage ließen an der Entdeckung eines 
umfangreichen Latenefeldes keinen Sweifel. Auf die ſelbſtverſtändliche 
meldung nach Halle kam zwar hilfe, aber wir konnten der Dauerregen 
wegen nicht in Aktion treten. Erſt nach der Ernte 1927 konnte ich die Arbeiten 
wieder aufnehmen. In der Seit vom 4. September bis zum 13. Oktober 
wurde der am meiſten gefährdete Fleck von 30 mal 16 m Größe ſyſtematiſch 
durchforſcht und dabei weit über 200 Gefäße feſtgeſtellt. Allerdings hatte 
der Pflug ſchon böſe Arbeit getan — häufig ſtand nur noch der Urnenboden. 
Daraus erklären ſich auch die vielen Freifunde. — Über die angewandte 
Technik des Grabens möchte ich mich hier nicht weiter verbreiten, will nur 
erwähnen, daß ich die bandagierten, gefüllten Gefäße in mit Heu gepolſterten 
Kartoffelkörben A km weit nach Hauſe ſchleppen mußte. Freundlich angebotene 
Hilfe beim Graben war hier, wie das öfter der Fall ijt, nur mit Vorſicht an- 
zunehmen: der verſtändliche Wunſch, auch etwas zu finden, iſt da oft eine 
nicht zu unterſchätzende Gefahr. — Ich habe allen Grund, anzunehmen, daß 
ich mit meinen vorjährigen Grabungen nur einen Teil des Gräberfeldes durch— 
forſcht habe, wahrſcheinlich wird weitere Arbeit auch noch beſſer erhaltene 
Stücke zutage fördern. 

Hatte ich in Schwanefeld gleich bei meinen erſten Kontrollgängen glück⸗ 
lichen Erfolg, ſo trat er bei dem Gräberfeld im „Sandweg“ bei Beendorf 
erſt nach mehreren Jahren ein. Und da kam mir ein Umſtand zu Hilfe, den 
man bei vorgeſchichtlicher Arbeit dieſer Art von vornherein in Rechnung ſtellen 
muß: der Regen. Ich kontrolliere die fundverdächtigen Stellen der Feld— 
mark regelmäßig vor der Beſtellung und nach der Ernte. Außerdem aber auch 
nach jedem ſtarken Regen. Natürlich ſetzt das eine Fühlungnahme mit den be— 
treffenden Beſitzern voraus. Ich möchte hierbei nicht verfehlen zu bemerken, 
daß ich bei all meinen Arbeiten niemals irgend welche Schwierigkeiten gehabt 
habe. Die Landwirte haben ſtets großes Intereſſe gezeigt, die Beackerung auf 
meinen Wunſch um Tage verſchoben, und genau fo entgegenkommend zeigten 
ſich Waldbeſitzer und Ortsbehörden. — Alſo nach den Wolkenbrüchen Anfang 
Auguft 1927 kontrollierte ich wieder das Sandwegfeld, obgleich die Stein⸗ 
kiſten in den Breiten längſt dem Pflug zum Opfer gefallen ſind. Die letzte 
Kiſte ſoll angeblich 1912 gefunden worden ſein. Auch diesmal war der Be— 
gang auf dem Acker ergebnislos — etliche Scherben — das war alles! Da 
fand ich an einer Stelle, an die ich zu allerletzt gedacht hätte, weit mehr, als 
ich je zu hoffen wagte! Mitten in der Fahrſpur des Feldweges, nur 
dem geübten Auge erkennbar, waren 6 em eines Urnenrandes bloßgeſpült. 
Spät abends, bei Laternenſchein, wurde der Fund geborgen. Die Kiſte mit 
den drei Gefäßen, dem Raſiermeſſer uſw. ſteht in Magdeburg. Deutlich find 
an der Deckplatte, die irgend ein Knecht bereits am Tage zuvor als Fahr— 
hindernis zur Seite geworfen hatte, die Spuren des Wagens zu ſehen. Im 
weiteren Verlauf der Durchforſchung ließen fic) noch etwa 15 Graber er- 
mitteln, alle im Wege. Hier zeigte ſich einmal die Weganlage, die 
doch in der Regel zuerſt ein Gräberfeld anſchneidet und zerſtört, 
als funderhaltend! 

Ein drittes Beiſpiel muß ich kurz erwähnen. Die Klein-Bartensleber 
Feldmark ift beſonders reich an Gelegenheitsfunden, melt handelt es ſich 
um Steingeräte. Scherben finden ſich vielfach. Einen Platz habe ich aus be— 
ſonderen Gründen bereits ſeit Jahren unter Kontrolle. Scherben aller Art 
habe ich von dorther ruckſackweiſe nach Haufe gebracht und dann genauer 
unterſucht. Irgend welche Beigaben fanden ſich nicht. Merkwürdigerweiſe 


5] Der Landlehrer im Dienſte der Dorgeſchichtsforſchung 187 


fehlte auch jedwede Spur von Knochenbrand, die ſich ſonſt immer bei friſch 
ausgepflügten Gräbern nachweiſen läßt. Ich vermutete daher bald, daß es 
ſich um Wohnplätze handeln könnte, zumal die ganze Situation dieſe Annahme 
zuläßt. Bei den diesjährigen Kontrollbeſuchen nach der Frühjahrsbeſtellung 
fand ich nun an der Oberfläche unter anderem einen Spinnwirtel, ein halb 
durchgepflügtes Webgewicht, mehrere Seuerſteinſchaber, Beile und 
Hdinmer, einige davon für meinen Arbeitsbezirk völlig neu, empor: 
gepflügte Brandſtellen mit Holzkohlen vermiſcht und hüttenbewurf 
von gebranntem Lehm. Meine Vermutung, hier Wohnplätze zu haben, iſt 
durch dieſe Funde faſt zur Gewißheit geworden. Freilich, das letzte Wort 
müßte eben auch hier der Spaten erſt ſprechen! 

Syſtematiſche Oberflächenbeobachtung fundverdächtiger Achkerſtücke tit 
alſo die Dorausſetzung des Erfolges. Aber auch dort, wo immer Erd: 
bewegungen großen Stiles vor ſich gehen, hat man auf dem Poſten zu ſein. 
Fundamentarbeiten haben auch mir ſchon mancherlei gebracht. Vor allem 
aber ſind die Sand- und Kiesgruben unſerer Gegend auf etwaige Funde 
hin zu beobachten. Hier fallen die Gräber den Arbeitern meiſt beim 
Böſchungsrutſch auf, leider iſt es dann aber meiſt zu ſpät. Oberflächenbeobach— 
tung der bedrohten Umgebung genügt da nicht; das umliegende Gelände 
iſt zu ſondieren. Wenn es ſich um Steinkiſten, wie meiſt in Beendorf, han— 
delt, iſt das verhältnismäßig leicht. Anderenfalls bleibt nur übrig, den 
Rand der Grube vorſichtig abzuräumen. Ich habe auf dieſe Weiſe etwa 
25 Gefäße gerettet, darunter iſt ein ſchön erhaltenes Gefäß von doppel— 
koniſcher Form mit Falzdeckel, nebſt Raſiermeſſer als Beigabe, das ſich jetzt 
in Halle befindet. 

Wie ich oben ſchon andeutete, ſind natürlich ſämtliche Funde in der Flur— 
karte eingetragen. Bei den Gräberfeldern im „Sandweg“ und in Schwane— 
feld wurden Lagepläne angefertigt. Die Protokolle in Derbindung mit Skizzen 
an Ort und Stelle und Lichtbildern ermöglichten es, daß einige Kilten wieder 
einwandfrei aufgeſtellt werden konnten. So ſtehen auch in Helmftedt zwei 
Gräber — ein Frauengrab und ein Kindergrab. Gerade die ländlichen 
Heimatmujeen müſſen möglichſt anſchaulich aufgebaut werden, eben weil das 
flache Land der Hauptlieferant von Funden iſt und die Bewohner zu inter— 
eſſieren ſind! 

Nicht jedes Gefäß und nicht jeder Scherben eignet ſich zur Schauſtellung, 
auch landen nicht alle zerſtörten Urnen im Muſeum. Deshalb find, ſoweit 
das nur irgend angängig iſt, ſtets ſachlich genaue Seichnungen anzu— 
fertigen, auch von den charakteriſtiſchen Scherben, den Beigaben und ſonſtigen 
Funden. Aus praktiihen Gründen empfiehlt es ſich, zunächſt ein Skizzenheft 
mit karriertem Papier zu benutzen. So können jederzeit Pauſen nad: 
gefertigt werden. 

Hat es ſich bisher lediglich um die Bearbeitung der eigenen Funde ge— 
handelt, ſo ſind doch auch meiſt Gelegenheitsfunde im Privatbeſitz im 
Arbeitsgebiet. Es iſt unbedingt erforderlich, auch dieſe Sachen zu regiſtrieren, 
zu zeichnen und, wenn möglich, mit näheren Angaben zu verſehen. Denn 
gerade dieſe Sunde unterliegen der Gefahr des Derichleppens und der ge: 
legentlichen Serſtörung am allermeiſten! Auf dieſe Weiſe würde nach und 
nach jedes Hheimatmuſeum zu einem Inventarverzeichnis ſeines Gebietes ge: 
langen und dadurch dem Fachwiſſenſchaftler gegebenenfalls ſeine Arbeit nicht 
unweſentlich erleichtern. 

Noch ein Wort über die Aufbewahrung der Funde. Mancher Sammler 


188 Bernhard Becker, Der Landlehrer im Dienſte der Vorgeſchichtsforſchung 6 


hängt an ſeinen Stücken; das iſt, falls er ſie in mühevoller Arbeit erwarb, 
verſtändlich. Aber auf alle Fälle hat er die Pflicht, ſeine Sachen 
pfleglich zu behandeln und fie für alle Zukunft ſicher zu ſtellen. 
Der Einzelſammler wie auch die kleinen Muſeen, die heute allenthalben ent- 
ſtehen, ſollten ſich immer vergegenwärtigen, daß ihre Arbeiten niemals Selbſt— 
zweck ſein dürfen, ſondern daß ſie dem großen Ganzen zu dienen haben. Aus 
dieſen Gründen ſollte man ſolche Funde, die von hohem wilien- 
ſchaftlichem Werte ſind, ruhig den Sentralſtellen überlaſſen. Eine 
einwandfreie Nachbildung erfüllt für den Beſchauer denſelben 
weck wie das Urſtück. Gerade die Nachbildung iſt geeignet, dem 
Beſucher des heimatmuſeums vor Augen zu führen, welche wert— 
vollen Stücke die heimatliche Erde barg. So bilden die Nachbildungen 
örtlicher Funde keine „Derarmung“ der Sammlung, ſondern im Gegenteil 
eine Auszeichnung! 

Ich bin am Schluß meiner Ausführungen und bin mir bewußt, an allge— 
meinen Richtlinien weder etwas abſolut Neues noch abſolut Vollſtändiges 
geboten zu haben. Ich weiß, daß das Arbeitsfeld ſich durch Unterricht, Dor, 
träge und Muſeumsführungen und dergleichen noch beliebig erweitern läßt. 
Mir kam es lediglich darauf an, einmal zu zeigen, wie der Landlehrer auch 
auf abgelegenem Dorfe durch ſyſtematiſche Kleinarbeit ein wenig Material 
herbeiſchaffen kann zum ſtolzen Bau der deutſchen Wiſſenſchaft. 


Siebenbürgen 
als nordiſches Kulturland der jüngeren Steinzeit 


Von hans Reinerth- Tübingen 
Mit 8 Tertabbildungen 


Wer Siebenbürgen im Rahmen der jüngeren Steinzeit erwähnt, ver: 
bindet damit die Begriffe der Kultur der bemalten Keramik, die uns durd 
J. Teutſch und F. Caf3l6 in mehreren ergebnisreihen Ausgrabungen er: 
ſchloſſen worden iſt, und der Tordoſcher Kultur, auf die uns unter den 
deutſchen Fachleuten beſonders hubert Schmidt hingewieſen hat. Dieſe 
beiden Kulturen ſcheinen, ohne daß ihr zeitliches und räumliches Wechſelver— 
hältnis geſichert wäre, ſich in den fruchtbaren Boden Siebenbürgens, nament— 
lich in die breiten Tallandſchaften des Alt, des Maroſch und des Samoſch 
zu teilen. 

Ihrer hinterlaſſenſchaft ſtehen die Funde der ſiebenbürgiſchen Bronze— 
zeit ſchroff gegenüber, die in Form und Derzierung neben einheimiſchen Ele— 
menten überwiegend fremde Beſtandteile enthalten, die ſich nur durch eine 
ſtarke Beeinfluſſung von ſeiten des großen nordiſchen Kulturkreiſes erklären 
laſſen. Die für das Kulturbild des älteſten Siebenbürgen und für die an— 
grenzenden Länder entſcheidende Frage des Wann und Wie dieſer Einwirkung 
iſt bisher nicht beantwortet worden. 

Auf drei Muſeumsreiſen, 1924 und 1926 27, von denen ich die beiden 
letzteren mit Mitteln der Notgemeinſchaft der Deutſchen Wiſſenſchaft durch— 
führen konnte, habe ich das neolithiſche Material der Donauländer, u. a. auch 
Siebenbürgens und Rumäniens, aufgenommen und damit zunächſt verſucht, 
die kulturellen Beziehungen zwiſchen dem Norden und den Kulturländern am 
ägäiſchen Meer zur jüngeren Steinzeit zu klären!). Siebenbürgen erbrachte 
mir bei dieſer Unterſuchung eine der größten Überraſchungen: ſeine Muſeen 
enthielten ſo eindeutige Seugniſſe unverfälſchter, nordiſcher Tonware und 
Arbeitsgeräte der jüngeren Steinzeit, daß nicht nur die Entſtehung der 
eigenartigen bronzezeitlichen Kultur des Landes, ſondern vor allem auch die 


1) Ich denke das neolithiſche Fundmaterial der Donauländer, auch Siebenbürgens, 
in einer größeren Urbeit vorzulegen und beſchränke mich hier auf die Mitteilung einiger 
Ergebniſſe. Sie find zum Teil ſchon in meinem Reiſebericht an die Motqemeinjdyaft vom 
2. 2. 1927 enthalten. Für weitgehende Förderung meiner Arbeit habe ich allen Dors 
ſtänden der ſiebenbürgiſchen Muſeen, im beſonderen aber den herren Dr. von Rofka« 
Klaufenburg, Julius Teutſch-Kronſtadt, Dr. R. Cſäki⸗Hhermannſtadt und Prof. Bo» 
drogisNagnenned zu danken, ebenſo Herrn Direktor Dr. Hillebrand: Budapeft. 


190 Hans Reinerth [2 


Frage der ſtarken Fremdͤbeeinfluſſung und des Unterganges der bemaltkera- 
miſchen Kultur damit auf eine neue Grundlage geſtellt wird. 

Die Kleinfunde, die wir dem nordiſchen Kulturkreis zuteilen müſſen, 
ſetzen fic) aus keramiſchen Reſten, aus Steinbeilen, Streitärten und Feuerſtein⸗ 
geräten zuſammen. Sie liegen beſonders in den Muſeen von Klauſenburg, 
Schäßburg, Kronſtadt, Hermannftadt, Nagnenned, Deva und Budapeſt. 

Für die kulturellen Beziehungen weitaus am aufſchlußreichſten iſt die 
Keramik. Sie läßt ſich typologiſch in eine ältere und in eine jüngere 
Art teilen, die mehrfach auch räumlich ſcharf gefondert in verſchiedenen Sund- 
orten auftreten. 

Die ältere Art der nordiſchen Keramik zeigt in den ganz erhaltenen 
Formen überwiegend hochhenklige Taſſen mit glattem oder gekerbtem, bis⸗ 
weilen faft wagrecht umgebogenem und an der Ausgußjeite überwiegend hoch⸗ 
gezogenem Rande (Abb. 2, Nr. 1—4, 6) und rundbauchige Amphoren mit 
hohem Dalle und Rundhenkeln an der größten Bauchausladung (Abb. 1); aus 
dem Scherbenmaterial ergeben ſich weiter⸗ 
hin Schalen mit ſteilem oder leicht aus⸗ 
wärts gebogenem Rande (wie Abb. 6, 
Nr. 12, 13) und ein Dorratsgefäß mit 
weiter, ähnlich wie bei den Trichterrand⸗ 
bechern ausladender Mündung. Dabei 
muß bemerkt werden, daß an den meiſten 
Fundſtätten nur das verzierte Scherben⸗ 
material der Feingefäße gehoben wor⸗ 
den iſt, und damit die Formen vieler un⸗ 
verzierter, typologiſch wichtiger Gefäße 
noch unbekannt ſind. 

Die Verzierungen beſtehen in 
2 Winkelbändern, zuſammengeſetzt aus meh⸗ 

855 1 Mess reren Linienreihen (Abb. 2, Nr. 4 und 
= Abb. 3, Nr. 1 und 3), hängenden, gefüll- 
ten Dreiecken (Abb. 2, Nr. 2, 5 und 
Abb. 3, Nr. 4, 7—11, 13, 15, 21, 22), unterbrochenen und durchgezogenen 
Linienkränzen (Abb. 2, Nr. 4 und Abb. 3, Nr. 1, 2, 3, 8, 16), Tannenreis⸗ 
muſtern, oft ſehr dicht (Abb. 2, Nr. 6), flächendeckenden, vielfachen linearen 
Dreiecken (Abb. 2, Nr. 1, 4 und Abb. 3, Nr. 12, 18), turbanartig ineinander⸗ 
geſchachtelten, gefüllten Dreiecksflächen (Abb. 35, Nr. 5) und Strichreihen 
(Abb. 3, Nr. 5, 8). Bezeichnend iſt das ſternförmige Muſter, das die hängenden 
Dreiecke auf dem glatten, rund gewölbten Boden der Henkeltaffen frei laſſen 
(Abb. 2, Nr. 5). Vereinzelt begegnen Tonknöpfchen, die zur Belebung der 
Verzierung reihenweiſe oder flächenfüllend (Abb. 3, Nr. 14, 19) aufgeſetzt ſind. 
Die Derzierungstechnik ijt durchweg Stich in der Form des Furchenſtichs 
(Abb. 2, Nr. 2, 4, 6 und Abb. 3, Nr. 1 bis 3) und des Schnurſtichs (Abb. 2. 
Nr. 1, 5 und Abb. 3, Nr. 4, 5, 6—11). Weiße Inkruſtierung war beliebt und 
wohl bei den meiſten Gefäßen urſprünglich angewandt. 

Die jüngere Art der nordiſchen Keramik zeigt die gleichen Henhkeltaſſen, 
nur ſind ihre henkel meiſt höher ausgezogen (Abb. 4, Nr. 1, 4) und der Mün⸗ 
dungsrand vorwiegend gerade. Auch Dorratsgefäße mit etwas ausladendem 
Rand und niedrige, ausgerundete Schalen, bisweilen mit einem Henkel, laſſen 
ſich in Bruchſtücken nachweiſen. Im ganzen ſind alle Formen weicher und 
ſtärker ausgerundet als in der älteren Stufe unſerer nordiſchen Töpferei. Die 


3] Siebenbürgen als nordiſches Kulturland der jüngeren Steinzeit 191 


Abb. 2. Altere nordiſche Keramik aus Siebenbürgen. 1, 4, 5, 6 Siebenbürgen (wahr: 

ſcheinlich Hunnader Komitat); 2, 3 Donnersmark. 2, A Bruckenthal-MRuſeum Hermann: 

ſtadt; 1, 4—6 muſeum Klauſenburg: I= Inv. -Nr. 1945; 4 == Inv. ⸗Nr. V 9967; 5 Inv. 
Nr. V 9966; 6 Inv.⸗Nr. 1987. Etwa ½ natürliche Größe 


192 Hans Reinerth [4 


ZEBEBHEBEER 


Abb. 3. ältere nordiſche Keramik aus Siebenbürgen. 1, 3, 4, 9, 10, 14, 21 Cjäklma; 

6, 15, 16 Kis-Solnmos; 2, 5, 7 Bejjennö; 8, 12, 15, 18, 19, 20, 22, 24, 25, 26 Magnar 

Kapud; 11, 17 Boholt; 25 Seqner. 1—16, 18—22 und 25, 26 Muſeum Haggenyed; 
11, 17, 25 Mujeum Klaujenburg 


5 Siebenbürgen als nordiſches Kulturland der jüngeren Steinzeit 193 


Hauptverzierungsmotive, das Winkelband, die hängenden und ineinander⸗ 
geſchachtelten Dreiecke, ebenſo die Strichreihen haben ſich erhalten. Sie werden 
aber in völlig anderer Technik aufgetragen. Der Stich wird durch eingeritzte 
oder eingeſchnittene glatte Cinien erſetzt (Abb. 4 und 5), die Tiefſtichfurchen 


> 


Abb.4. Jüngere nordiſche Keramik aus Siebenbürgen. 1—5 Siebenbürgen (wahr: 
ſcheinlich Hunnader Komitat). Alles Mufeum Klaufenburg: 1 = Inv. Nr. V 9957; 2 = 
Inv.-Nr. V 9992; 3 = Invellr. V 9593; 4 = Inv. Nr. 16106; 5 = Inv.-Nr. 9991. Etwa 
1, natürliche Größe 
Mannus, Seitſchrift für Dorgefh., VII. Erg.-Bd. 13 


194 Dons Reinerth [6 


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Abb. 5. Jüngere nordiſche Keramik aus Siebenbürgen. 4, 6, 7, 8, 12, 22, 23, 25, 
27 Rev (Dizi barlang); 1—3, 5, 9, 10, 11, 13, 17—21, 24 Magyar:Kapud; 28, 29 Boholt; 
26 Igricz barlang: 14, 16 Cjäklya 


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Abb. 6. altere Aihbühler Keramik aus Mähren. 1—10 Krepice; 11—15 Jaispitz; 
Schicht C. 1—15 Mähriſches Candesmujeum Brünn 


196 Hans Reinerth [8 


durch Strichreihen oder netzartig gefüllte Bander (Abb. 5, Nr. 1, 3, 5, 6, 8). 
Bezeichnend iſt die Umkehr von Grund und Muſter, jo, wenn etwa Winkel- 
bänder ausgeſpart werden (Abb. 4, Nr. 1 und Abb. 5, Nr. 5 und 6). Dieſe 
Eigentümlichkeit der ſpäteſten nordiſchen Keramik der Jungſteinzeit iſt in der 
älteren Stufe unſerer ſiebenbürgiſchen Töpferei noch nicht vorhanden. Die 
Tonknöpfchen finden weiterhin und ſehr viel öfter Derwendung (Abb. 5, 
Nr. 14, 23, 24), manchmal in flächendeckender Form (Abb. 5, Nr. 24). Auch 
die weiße Inkruſtierung (Abb. 5, Nr. 5, 15) wird immer noch angewandt. 
Plaſtiſche Ceiſten, mit und ohne Finger⸗ und Nageleindrücke (Abb. 5, Nr. 26, 29), 
finden ſich ſehr häufig, zumal auf Grobgefäßen, und bilden ein beſonderes 
Kennzeichen der jüngeren Art der nordiſchen Keramik. 

Die beiden Reramijden Stufen, für deren genetiſche Verbindung es 
keiner Beweiſe bedarf, laſſen ſich ſo typologiſch und wiederholt auch nach 
Fundorten räumlich voneinander ſcheiden. Sie bilden den Niederſchlag zweier 
einander ablöſender Perioden. 


Daß die beſprochene Keramik keiner der in Siebenbürgen heimiſchen 
Kulturen (alſo weder der bemaltkeramiſchen noch der Tordoſcher), dagegen in 
Form und Derzierung dem nordiſchen Kulturkreis angehört, braucht 
nicht betont zu werden. Auch die begleitenden facettierten Streitäxte der 
Abart 2, Aichbühler hammeräxte, nordiſche Rechteckbeile, Steinſägen und 
ſelbſt Bruchſtücke nordiſcher vielkantiger Streitäxte ſprechen eindeutig im 
gleichen Sinne. Aber welcher der uns geläufigen Einzelkulturen iſt ſie zu⸗ 
zuteilen? Die nächſte wiſſenſchaftlich erforſchte Fundſtätte, die uns Keramik 
der gleichen Art ergeben hat, iſt Jaiſpitz in Mähren. Ich bilde in Abb. 6 
einige Parallelen zu den Verzierungsmuſtern unſerer älteren ſiebenbürgiſchen 
Keramik ab. In Jaiſpitz iſt aber ſowohl die ältere (ſtichverzierte), als auch 
die jüngere Stufe (mit Strichtechnik) vertreten. Sie entſprechen dort der 
Schicht C2 und der mittleren Schicht C1. Auch andere mähriſche Fund⸗ 
orte, von denen ich hier nur Krepice herausgreife (Abb. 6, Nr. 1— 10), zeigen 
fo vollſtändige Übereinftimmung, daß trotz mancher lokaler Derichiedenheiten 
(zumal in Anbetracht der 600 km Entfernung, die zwiſchen Mähren und 
Siebenbürgen liegen) an einem kulturellen Suſammenhang nicht zu 
zweifeln iſt. Die Jaiſpitzer Keramik Mährens gehört der am Ende der Jung- 
ſteinzeit aus oſtiſchen und weſtiſchen Elementen unter nordiſcher Dorherrichaft 
entſtandenen Aihbühler Kultur an, die ich 1921 erſtmals abgrenzen konnte. 
Wir werden die nordiſche Siebenbürger Keramik, die in ihren beiden Stufen 
die allgemein nachweisbare Entwicklung der Aichbühler Keramik in allen 
Einzelheiten wiederholt, daher als ältere und jüngere Aichbühler Keramik zu 
bezeichnen haben. Die Begleitfunde Rechteckbeile, Streitäxte, Aichbühler 
Hammeräxte usw.) entſprechen ſich ebenfalls im ganzen Derbreitungsgebiet 
der Aichbühler Kultur. 

Die Fundorte der ſiebenbürgiſchen Aichbühler Keramik find, mit einer 
Ausnahme, bei der es ſich um Grabfunde handeln kann, durchweg Sied— 
lungsſtätten. Einzelſtehende, die Talſtraßen beherrſchenden Bergkuppen, 
in das Tal vorſpringende Höhenzungen und ziemlich häufig Höhlen im 
Inneren des Berglandes. 

Der Gegenſatz zu den Fundſtätten der bemalten Keramik und der Tor— 
doſcher Keramik iſt offenſichtlich. Während die Siedlungen der durch die 
beiden genannten Keramiken ausgewieſenen Kulturen in der fruchtbaren 
Ebene oder an ihrem Rande, nie aber auf hohen Bergkuppen oder gar im 


H Siebenbürgen als nordiſches Kulturland der jüngeren Steinzeit 197 


Inneren des Berglandes liegen, entſtammt die Aichbühler Keramik durchweg 
gerade dieſen Stellen. 

Einen Blick auf die beiden (noch nicht vollſtändigen!) Derbreitungs- 
karten (Abb. 7 und 8), in denen ich die ältere und jüngere Hichbühler Keramik 
getrennt habe, ergibt weitere wichtige Einzelheiten. Während die ältere Stufe 


@ Szatmar-Némett 


our 


@Debreczen 


? Klausenburg 


z Fundstätte Älterer 
Aichbühler Keramik 


Abb. 7 


im wefentliden im mittleren Maroſchtal und in ſeinen wichtigeren Nebentälern 
bis tief in das ſiebenbürgiſche Erzgebirge und in das Gebiet der Südkarpathen 
hinein auftritt, greifen die Fundorte der jüngeren Stufe, die ſehr viel zahl⸗ 
reicher ſind, in das Talgebiet des Alts über und ſind auch in der Mitte Sieben⸗ 
bürgens und im Nordweſten, im Gebiet der Kokkeln und der Höröſch vertreten. 

Das Gebiet der jüngeren Aichbühler Kultur geht alſo, zumal im Often, 
weit über den Fundraum der älteren Stufe hinweg. 

Nicht nur tuypologiſch, ſondern auch ſiedlungsarchäologiſch wird damit die 


198 Hans Reinerth 10] 


zeitliche Trennung der beiden keramiſchen Stufen und gleichzeitig thre Aus- 
breitung von Welten nach Often belegt. 

Das Stromgebiet des Maroſch und des Samoſch dt urſprünglich Sied- 
lungsland der Tordoſcher Kultur, die Ebenen am Alt Wohngebiet der Kultur 
der bemalten Keramik. Beide Kulturen ſind durch zahlreiche Fundorte gut 


@Debreczen 


rosswardein 


„ Fundstätte Jüngerer 
Aichbühler Keramik 


Abb. 8 


belegt. Die im ſiebenbürgiſchen Kulturbilde durchaus fremdartigen, nordiſchen 
Elemente treten fo plötzlich und unvermittelt auf und erſcheinen in folder Ur⸗ 
ſprünglichkeit und Geſchloſſenheit, daß wir es zweifellos mit einer Einwande⸗ 
rung nordiſcher Siedler zu tun haben. Dieſe bemächtigen ſich der wichtigſten, 
talbeherrſchenden Berghöhen und werden ſowohl an der Höröſch wie beſonders 
am mittleren Maroſch zu Herren ausgedehnten Kulturlandes. In der jüngeren 
Kichbühler Seit gelingt es ihnen, das Gebiet der bemalten Keramik im Strom: 
gebiet des Alt hinzuzugewinnen und wie einige (genau wie in Oſtſieben⸗ 


11] Siebenbürgen als nordiſches Kulturland der jüngeren Steinzeit 199 


bürgen) die dortigen bemaltkeramiſchen Siedlungen überlagernde Fundſchichten 
lehren, auch das fruchtbare rumäniſche Tiefland zu erobern. Das ſchon in der 
älteren Aichbühler Seit beherrſchte Siedlungsgebiet wird beibehalten und durch 
Anlage neuer Siedlungen weiter ausgebaut. 

Überaus auffällig iſt die Anhäufung der nordiſchen Siedlungen am 
mittleren Maroſch. Gewiß war das hier beidſeitig von Gebirgen begrenzte 
Maroſchtal der Schlüſſel zu dem Inneren Siebenbürgens. Aber daneben 
ſcheint mir auch ein anderer Grund für die Siedlungsdichte in dieſem Teile 
maßgebend geweſen zu ſein, der auch das auffällige Dorwärtsdringen bis 
tief in das Bergland erklärt: es iſt der Abbau der reichen ſiebenbürgi⸗ 
ſchen Metallſchätze. Das Kupfer, das Gold und das Silber des ſieben⸗ 
bürgiſchen Erzgebirges ſcheinen es geweſen zu ſein, die gerade das Gebiet des 
mittleren Maroſch für Jahrhunderte zu einem Mittelpunkt nordiſcher Kultur 
in Siebenbürgen machten. Der ſüdöſtliche Vorſtoß der älteren Aichbühler 
Siedlungen bis in die Nähe von Hhermannſtadt gilt aber wohl dem Salzreich⸗ 
tum des Gebietes um das heutige Salzburg. 

Auf welchem Wege die nordiſchen Siedler nach Siebenbürgen gelangt 
Jind, zeigt das Vorkommen der Kichbühler Keramik: es find die Flußläufe 
des Maroſch und der Schnellen Höröſch, die ſie in das Innere Siebenbürgens 
leiteten. Sehr viel ſchwerer laſſen ſich — bei der immer noch großen Fund⸗ 
armut des ungariſchen Tieflandes — die früheren Wanderwege verfolgen. 
Aichbühler Keramik findet ſich im Stromgebiet des Maroſch unmittelbar 
bis zur Theiß, darüber hinaus fehlen im Weſten aber alle weiteren Spuren. 
Dafür melen Fundorte älterer und jüngerer Aichbühler Keramik in den 
Nordkarpathen (auch wieder in einem erz⸗ und goldreichen Gebiet) auf eine 
Verbindung Mähren bzw. Polen —Rordungarn — Siebenbürgen. Über die 
ungariſche Tiefebene hinweg iſt die Derbindung nicht gegangen. 

Nebenbei erbringt die ſelbſtändig und geſchloſſen vordringende Aid: 
bühler Kultur Siebenbürgens den Beweis, daß die am Ende der Jungſtein⸗ 
zeit nördlich der Alpen entſtandene Miſchkultur nicht nur auf dem Raum ihrer 
Mutterkulturen beſteht, ſondern, wie ich für die Schweiz und Oberitalien zeigen 
konnte und auch für das Balkangebiet zeigen werde, ſich ſelbſtändig als 
Ganzes bewegt. Ihr iſt die Übermittlung nordiſcher Kulturgedanken an die 
weiten Cänder des europäiſchen Oſtens und Südoſtens zuzuſchreiben. 

Für Siebenbürgen wird die ſtarke Beeinfluſſung der Kultur der be: 
malten Keramik durch die nordiſche Aichbühler Kultur (in der Form der 
Gefäße, der Steingeräte und nicht zuletzt in der Art der Wohnbauten), wie ſie 
D Schroller nachweiſen konnte, jetzt ohne weiteres verſtändlich. Auch der 
ſtarke nordiſche Anteil, den die bronzezeitliche Kultur Siebenbürgens aufweiſt, 
hat in den geſchilderten Ereigniſſen ſeinen Urſprung. Manche der Kichbühler 
Hohenfiedlungen im Maroſch- und Kokkelgebict zeigen eine ununterbrochene 
Weiterbefiedlung durch die ganze Bronzezeit. Wie die meiſten der am Ende 
der Jungſteinzeit zu dem großen nordiſchen Kulturgebiet hinzugewonnenen 
Länder, zeigt auch Siebenbürgen nach dem Eindringen der nordiſchen Siedler bald 
das Aufblühen einer neuen bodenſtändigen Miſchkultur, die uns aber erſt die 
Bodenforſchung ſpäterer Jahrzehnte in ihrer vollen Bedeutung erſchließen wird. 


Die Neugeſtaltung 
der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 


Beiträge zur prähiſtoriſchen Muſeumstechnik 
Don Carl Engel, Königsberg i. Pr. 
Mit 9 Abbildungen 


Die Magdeburger vorgeſchichtliche Sammlung iſt in den Jahren 1925 
bis 1928 einer grundſätzlichen Neuordnung und Neugeſtaltung unterzogen 
worden. In ihrem neuen Gewande ſind die Steinzeitabteilung zuerſt im Juni 
19271), die die jüngeren Seitabſchnitte behandelnden Sammlungsteile auf der 
10. Tagung für Dorgeſchichte am 2. September 19282) der Gffentlichkeit 
übergeben worden. Die bei ihrer Neugeſtaltung befolgten Grundſätze weichen 
von der bisher üblichen Ausgeftaltung vorgeſchichtlicher Sammlungen fo er⸗ 
heblich ab, daß es angebracht ſein dürfte, über die Art und Berechtigung ihrer 
Anwendung einiges mitzuteilen, zumal die Meinungen der anweſenden Fach— 
vertreter über die sweckmäßigkeit der eingeſchlagenen Methode nicht unerheb⸗ 
lich auseinandergingen?). Während einige — und unter ihnen gewiß nicht 
die unbedeutendſten — über die Geſamtanlage und ihre Ausführung Worte 
ehrlicher Anerkennung äußerten, andere ſich dankenswerterweiſe bemühten, 
die bei einem jo umfaſſenden Gebäude unvermeidlichen, hier und da unter- 
laufenen Fehler aufzuſpüren, hörte man auch gänzlich ablehnende Urteile, 
unter denen die geringſchätzig hingeworfenen Bemerkungen „Volkshochſchule!“ 
und „Panoptikum!“ gewiß nicht die abfälligſten geweſen ſein dürften. 

Aber abgeſehen von der Surückweiſung perſönlicher Mißgunſt und Eifer⸗ 
ſucht, die ja in der deutſchen Dorgeſchichtsforſchung ein ſchon traditionell 
gewordenes Nonplusultra erreicht haben und von Einſichtigen nur noch mit 
Stillſchweigen übergangen werden, ſcheint eine Erörterung über das Für und 
Wider einer volkstümlichen Ausgeltaltung prähiſtoriſcher Sammlungen und 
die dabei anzuwendenden Grundſätze um ſo mehr am Platze, als die geſamte 


1) Dal. Engel, C., Tätigkeitsbericht der vorgeſchichtl. Abteilg. d. Magdeburger 
Muf. f. Natur- u. Heimatkunde vom 1. I. 26 bis 1. VII. 27. Nachrichtenblatt f. deutſche 
Vorzeit, III, 1927, S. 135 — 140. 

>) Dal. Engel, C., Tätigkeitsbericht uſw. vom 1. VII. 27 bis 30. VI. 28. Ebenda, 
V, 1928, S. 114 119. 

3) Der Derfaſſer glaubt zu dieſen Ausführungen um KR eher berechtigt zu ſein, als 
er in den letzten Jahren nicht nur faſt alle größeren und mittleren ſowie eine große 
Anzahl der kleineren Sammlungen Deutſchlands, ſondern auch einen erheblichen Teil der 
franzöſiſchen, belgiſchen und nordoſteuropäiſchen Muſeen geſehen und in bezug auf ihre 
muſeumstechniſche Seite ſtudiert hat. 


2] Die Meugeftaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 201 


Muſeumstechnik der Gegenwart — nicht nur die vorgeſchichtliche — in einer 
grundlegenden Wandlung begriffen iſt; einer Wandlung, die das Beſtreben 
ausdrückt, aus verſtaubten Raritätenkabinetten moderne Dolksbil: 
dungsſtätten zu machen. Mit anderen Worten: die Bedeutung unſerer 
Mufeen zu erweitern, ſie außer einem kleinen Kreije fachwiſſenſchaftlich 
Intereſſierter auch der Allgemeinheit zugänglich und genießbar zu machen. 

Die „Populariſierung“ wiſſenſchaftlicher Ergebniſſe, die noch vor einem 
Jahrzehnt von der reinen Fachforſchung mit geringſchätzigem Achſelzucken 
abgetan wurde, beginnt plötzlich aktuell zu werden, und ſelbſt die in dieſer 
Hinſicht konſervativſten Kreiſe bequemen ſich langſam, ihre Berechtigung 
anzuerkennen. 

Der Grund für dieſen Wandel der Anſchauung iſt freilich an einer ganz 
anderen Stelle zu ſuchen, als es bei oberflächlicher Betrachtung den Anſchein 
haben könnte. Er iſt weniger in der Erkenntnis der verbrieften, mit Amt 
und Würden abgeſtempelten und darob in nicht geringem Maße von ſich ein⸗ 
genommenen Fachwiſſenſchaft begründet, daß es jetzt an der Zeit ſei, auch 
dem darbenden Volke einmal den Schleier des Bildes von Sais ein wenig zu 
lüften und ihm Einblick zu gewähren in die Geheimniſſe, die ſich dahinter 
abſpielen Wer dem von ſich überzeugten Fachforſcher die Herablaſſung jus 
traut, aus freien Stücken zum gemeinen Volke zu reden, irrt gewaltig. „Odi 
profanum volgus et arceo!“ war von jeher ſein Zeitiprud,, und er hätte ihn 
ſchwerlich aufgegeben, wäre er nicht an einer Stelle getroffen worden, die für 
jeden Menſchen gleich empfindlich iſt: am Jervus rerum! 

Die materiellen Grundlagen und die veränderte ſoziale Geſtaltung der 
Gegenwart haben auch die heilige Fachwiſſenſchaft bemüht, von ihrem hohen 
Throne herabzuſteigen. Solange in Deutſchland die Monarchie und mit ihr 
eine kleine Gruppe höher geſtellter Kreiſe herrſchte, genügte es, dieſe 
gelegentlich für die hohen Ziele der Fachforſchung zu intereſſieren, um die 
notwendigen flüſſigen Mittel zu erhalten. Heute, wo das Dolk herrſcht, 
wenigſtens herrſchen ſollte, reicht das nicht mehr. Da muß man eben das 
Dolksganze von der Notwendigkeit ſeiner Wiſſenſchaft überzeugen. 

Nun iſt es freilich ein mißlich Ding, wenn Kinos und Revuen überlaufen 
werden, die Muſeen aber in gähnender Leere daſtehen. Das ſpricht nicht eben 
ſehr überzeugend für die Notwendigkeit der Wiſſenſchaft für das Dolksganje, 
noch dazu, wenn dieſe nicht praktiſche (wie 3. B. Medizin und Sozialökonomie), 
ſondern rein ideelle Ziele verfolgt. Man könnte fic) zwar mit dem mangeln— 
den Bildungsniveau der Gegenwart entſchuldigen, aber in einer ſo materia— 
liſtiſch denkenden Seit wie der unſeren hilft dieſes beſchwörende Handeringen 
über der Seiten Verderbnis nicht mehr viel. Im Wirtſchaftskampf aller 
gegen alle gilt das reine nützlichkeitsprinzip, und Betriebe, die ſich nicht 
rentieren, werden erbarmungslos ſtillgelegt, auch wenn ſie ſich auf ihre noch 
ſo altväterifche Überlieferung berufen. Es gilt alſo — will man nicht ins 
Hintertreffen kommen — die Muſeen auch gegen Kinos, Bars und Revuen 
und vor allem gegen die tauſend ſich überhetzenden „Ausſtellungen“ durch⸗ 
zuſetzen. 

Es kann nicht meine Aufgabe ſein, hier über die Notwendigkeit fach— 
wiſſenſchaftlicher Popularifierung zu philoſophieren. Das mögen Leute tun, 
die Seit haben, nach einem behaglichen Mittageſſen bei einer Flaſche Wein 
und einer echten Importe über die Leiden und Freuden des menſchlichen Da— 
ſeins nachzudenken, und die bei ihren angeſtrengten Überlegungen doch immer 


202 Carl Engel [3 


wieder in die falt ſchon drei Jahrtauſende alte und allmählich abgegriffene 
Weisheit münden, daß der Menſch das Maß aller Dinge ſei. 

Jedem ſozial denkenden Fachforſcher wird es klar ſein, daß unſeren 
heutigen Anſchauungen entſprechend eine nur für die reine Wiſſenſchaft arbei⸗ 
tende Forſchung ebenſowenig ſinnvoll fein kann wie die l’art pour Dart 
Kunſt. Wiſſenſchaft, und beſonders ideal gerichtete Wiſſenſchaft, hat im Welt⸗ 
getriebe der Gegenwart nur Sinn, wenn ſie der Allgemeinheit zugute kommt 
und nicht nur einem kleinen Kreiſe von Eſoterikern. 

Die Gefahr, zwiſchen die reine Fachforſchung und das Dolksganze noch 
eine beſondere Gruppe von „Populariſatoren“ einzuſchalten, die den Extrakt 
der Wiſſenſchaft erſt umbrauen, um ihn dann in entſprechendem Surrogat an 
die Allgemeinheit weiterzuleiten, hat ihre unheilvolle Wirkung nirgends 
ſchlagender gezeigt als gerade in der Vorgeſchichtsforſchung. Ich brauche keine 
Namen zu nennen. Darum fordert man vom Forſcher der Gegenwart mit Recht, 
daß er nicht nur und ausſchließlich für den Fortſchritt der Wiſſenſchaft arbeite, 
ſondern auch gelernt habe, zum Volke zu ſprechen. Das kann auf ſehr ver- 
ſchiedene Weile geſchehen: durch Vorträge, Führungen, Bücher, Seitſchriften⸗ 
und Zeitungsaufſätze; am ſicherſten aber durch die dem Volke zugänglichen 
öffentlichen Sammlungen. Denn „öffentlich“ heißen ſie, weil ſie nicht nur 
en kleinen Kreiſe von Forſchern zugänglich fein ſollen, ſondern der Allge- 
meinheit. 

Das ſollte auch bei den Öffnungszeiten unſerer Muſeen berüchkſichtigt 
werden. Für gewöhnlich liegen die Beſuchszeiten an Alltagen auf Stunden, 
die von keinem gewöhnlichen Sterblichen, d. h. berufstätigen Menſchen, aus⸗ 
genutzt werden können. Man ſollte daher wenigſtens alle größeren Samm- 
lungen an 1—2 Wochentagen abends — am beiten in der Zeit von 8—10 
Uhr — dem Bejudyer zugänglich machen, wie dies in Amerika ſeit langem 
Brauch iſt. Einige geſchichte Führungen werden das Publikum ſchnell mit 
dieſer neuen Bildungsmöglichkeit bekannt machen und die Sahl der Beſucher 
erheblich ſteigern. Fehlende Beleuchtungsmöglichkeiten find kein Grund zum 
Verzicht. Sie müſſen eben — als moderne Notwendigkeit — geſchaffen wer- 
den. Vor allem aber muß es eigentümlich berühren, daß es ſelbſt heute noch 
Muſeen gibt, die an einem oder beiden Feiertagen der hohen Feſte, ja, ſogar 
an Sonntagen, geſchloſſen ſind! Das ſind die einzigen Tage, an denen ſich 
berufstätige Menſchen in Muße dem Studium der Sammlungen widmen 
können. Muſeen, die dieſen Brauch pflegen, verzichten alſo von vornherein 
auf eine erhebliche Möglichkeit ihrer Wirkung auf breitere Dolkskreije! 

Will man die vorgeſchichtlichen Sammlungen zu den Mittlerſtellen 
machen, die fie zwiſchen Wiſſenſchaft und Dolksganzem darſtellen ſollen, fo 
kommt es darauf an, fie für dieſen Zweck am ſinnvollſten zu geſtalten und 
alle zu Gebote ſtehenden Mittel in vollem Umfange auszunützen. Da Muſeen 
und Sammlungen aber zugleich das Arbeitsmaterial des Forſchers bilden, ſo 
müſſen fie beiden Zwecken gerecht werden. Das iſt eine nicht immer leichte 
Aufgabe. 

Dieſer Sweiteilung der Aufgaben entſpricht die in faſt allen größeren 
Sammlungen durchgeführte Scheidung in Schau- und Studienſammlung oder 
Lehrſammlung und Depot. Ich kann mir Erörterungen darüber ſparen, da 
dieſe Fragen erſt kürzlich von einem unſerer beſten Muſeumstechniker aus— 
führlich behandelt worden ſind !). Nur auf zwei Punkte möchte ich an dieſer 


1) Kiekebuſch, A., Mufeen und Sammlungen in Eberts Reallexikon, VIII, S. 337 
bis 354. 


4 Die Neugeſtaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 203 


Stelle noch einmal hinweiſen, da ſie ſelbſt in größeren Sammlungen teils gar 
nicht, teils nicht genügend beachtet werden: 

1. Die Beſchildung der Gegenſtände. Es iſt unbedingte Pflicht jedes 
Muſeums, die ausgeſtellten Funde hinſichtlich ihres Fundortes und möglichſt 
auch mit einer kurzen Notiz über die Fundumſtände zu kennzeichnen; z. B.: 


Kläden, Kr. Stendal Dahlenwarsleben, Kr. Wolmirſtedt 
Aus dem Hiinenbett Aus einem zerſtörten Skelettgrabe 
1½ km nordöſtl. des Ortes 1929 Wiersdorff 


Lindftedt, Kr. Salzwedel 
Brandgräberfeld mit Steinpackungen 
1928 Grenzdörffer 


Die Ausführlichkeit der beigegebenen Erläuterungen bleibt natürlich 
dem Geſchick und Geſchmack des einzelnen Muſeumsleiters überlaſſen, iſt 
auch abhängig von der Seit, die er dieſer Aufgabe widmen will. Unbedingte 
Notwendigkeit aber iſt eine klare, wenn auch noch jo knappe Kennzeichnung 
der Fundumſtände, die ein langwieriges Nachſchlagen im Eingangskatalog 
oder gar den Fundakten erſpart, und die namentlich dem reiſenden Forſcher, 
der ſich in Kürze über die Eigenart eines Gebietes orientieren will, zeit: 
raubende Mühe erſpart. Man vergeſſe nie, daß er nur ſelten Zeit dazu haben 
wird, erſt in umfangreichen Archiven zu blättern oder gar langatmige, in 
allen möglichen Fachſchriften verſtreute Fundbeſchreibungen zu ſtudieren, ehe 
er über den Charakter des Fundes ins Reine kommt. Als vorbildlich nach 
dieſer Richtung hin darf die Neuaufſtellung und Beſchildung der Heidelberger 
Sammlung durch E. Wahle bezeichnet werden, die alle für den Forſcher not, 
wendigen Angaben enthält, die er braucht, um ſich über die vorgeſchichtlichen 
Derhaltniffe des unteren Neckarlandes in Kürze zu unterrichten !). 

Übrigens iſt die Angabe der Fundorte und Fundumſtände auch für den 
Laien dringend notwendig, der ſich über die vorgeſchichtliche Beſiedlung ſeines 
engeren Heimatgebietes unterrichten will. 

2. Auch die Anordnung der Studienſammlung oder des Depots iſt ſo 
überſichtlich wie möglich zu geſtalten, zumal ja das erhebliche Anſchwellen der 
Funde in den letzten Jahren die Überſicht des vorhandenen Materials ohnehin 
immer mehr erſchwert. Auch hier iſt darauf Rücklicht zu nehmen, daß dem 
reiſenden Forſcher die Arbeit und der Überblick möglichſt erleichtert werden. 
Kleine Sammlungen ſollten deshalb auf eine Sweiteilung in Schau- und Stu— 
dienſammlung nach Möglichkeit ganz verzichten und, ſoweit der Raum dazu 
vorhanden iſt, alle Funde ausſtellen. Aber auch größere Sammlungen ſollten 
der Frage nach leichter Zugänglichkeit und größter Überſichtlichkeit ihres 
Depots größte Beachtung ſchenken. Es wird ſonſt allzu leicht zu einer un- 
zugänglichen und unverwertbaren Rumpelkammer, in der das Material 
ſicherer vor neugierigen Augen geborgen liegt als in der Erde Schoß. 

Natürlich dt die Ausgejtaltung des Depots im Weſentlichen eine Raum⸗ 
und Geldfrage. Aber wo irgend angängig, ſollte es — möglichſt in Glas: 


— EE um 


1) Dal. dazu Wahle, „Die Neuaufſtellung der vorgeſchichtlichen Abteilung der 
ſtädtiſchen Sammlungen in Rede Mufeumskunde, XVI, 1921, S. 101 112. 


204 Carl Engel [5 


ſchränken oder ⸗käſten — ebenſo leicht zugänglich gemacht werden wie die 
Schauſammlung. 

Auch bei dem Depot iſt eine ſachliche und chronologiſche Anordnung 
ebenſo notwendig wie bei der Schauſammlung, da ſonſt eine Überſicht bei der 
Bearbeitung von Einzelfragen — und um dieſe geht es ja heute hauptſäch⸗ 
lich — überhaupt nicht oder nur unter Aufwendung einer erheblichen und 
unnütz vergeudeten Seitſpanne — totes Arbeitskapital! — zu erreichen iſt. 
Die geographiſche Anordnung nach Bezirken, Kreijen und Gemeinden kommt 
erſt in zweiter Cinie in Frage, nach der ſachlichen und chronologiſchen. Nach 
rein geographiſchem Prinzip angeordnete und möglichſt noch in Pappkartons 
untergebrachte Studienſammlungen führen — namentlich in größeren Mu⸗ 
ſeen — die aus der Erde gegrabenen Schätze wieder großen Friedhöfen zu, 
die beſſer noch im Boden ruhen würden. Forſcher, die Material für die Be⸗ 
ſiedlungsgeſchichte eines kleinen geographiſchen Raumes ſuchen, können ſich 
ja nach dem alphabetiſch nach Fundorten geordneten Settelkatalog (Fund⸗ 
archiv) ſchnell und mühelos unterrichten. 

Als vorbildlich für die Ausgeftaltung der Materialſammlung dürfen ſo⸗ 
wohl das Staatsmujeum!) wie das märkiſche Muſeum in Berlin bezeichnet 
werden, die in leicht zu überſehender Anordnung in großen Glasſchränken 
ihre Beſtände den Beſuchern vorführen. Empfehlenswert iſt auch die Unter⸗ 
bringung kleinerer Funde (3. B. Scherben- und Siedlungsfunden) in mit 
Glas überdeckten flachen Schubfächern (ähnlich Inſektenkäſten) unter den 
Schaukäſten, die vom Beſucher nach Belieben ſelbſt herausgezogen werden 
können, eine Einrichtung, die 3. B. in den Muſeen von Kaſſel, Frankfurt a. M. 
(Hiſtoriſches Muſeum) und in mehreren rheiniſchen Muſeen Anwendung ge- 
funden und ſich gut bewährt hat. 

Immer ſollten auch bei der Tätigkeit des Sammelns, Konſervierens und 
Aufitellens die großen Zuſammenhänge gewahrt bleiben: vor allem in der 
zweckmäßigen und leicht zugänglichen Bereitſtellung des Materials für zu⸗ 
ſammenfaſſende fachwiſſenſchaftliche Unterſuchungen. 

Es ſcheint, als ſeien heute manche unſerer größeren Anſtalten allzu ſehr 
auf die einſeitige Bahn des Nur-Sammelns, Nur⸗Bergens, Nur⸗Material⸗ 
aufſpeicherns geraten: man vergeſſe nicht, daß dieſe Maſſen aufgeſpeicherten 
Materials vielfach ſinnloſe Anhäufungen darſtellen, deren Auswertung nach 
menſchlicher Vorausſicht heute ſchon kaum den beiden kommenden Genera— 
tionen möglich ſein wird. Gewiß wird die zuſammenfaſſende Bearbeitung 
größerer Probleme und damit auch die Auswertung des für ſie in Frage 
kommenden Materials immer einzelnen intuitiven Köpfen und enzuyklopädiſch 
veranlagten Naturen vorbehalten bleiben: man erſchwere ihnen aber die 
Arbeit nicht nutzlos; man ſpare mit Kräften, indem man fie möglichſt nub- 
bringend anwende und von unſerer modernen Wirtſchaft immer wieder den 
Grundſatz lerne: mit möglichſt geringen Mitteln möglichſt große Ceiſtungen 
zu erzielen. Intenſität der Nutzung, dieſes Schlagwort moderner Induſtrie, 
gilt auch für die Wiſſenſchaft. 

Die Vorgeſchichtsforſchung der Gegenwart ſteht hinſichtlich ihrer Arbeits- 
weile an einem ſchweren Kriſenpunkte: fie iſt im Begriffe, in vollkommene Ser— 
ſplitterung zu zerfallen, bei der an Stelle der großen Probleme eine Aufldjung 
des Geſamtſyſtems in — nicht felten belangloſe — Einzelfragen tritt. Ein 

1) Dal. dazu Unverzagt, W., die prähiſtoriſche Abteilung des Muſeums für 
Völkerkunde in Berlin. Nachrichtenblatt f. deutſche Vorzeit, III, 1927, S. 49—51. 


6] Die Neugeftaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 205 


verwirrendes Alerandrinertum beginnt auch in unſerer Wiſſenſchaft fein 
natternhaariges Haupt zu erheben. Pflicht jedes einzelnen muß es ſein, dieſe 
gefährliche Entwicklung nach Möglichkeit zu bekämpfen; eine Entwicklung, 
die doppelt gefährlich iſt, weil ſie ſich von ſelbſt ergibt und nur durch die 
geiſtige Energie des einzelnen überwunden werden kann, der ſich beſtändig 
bemüht, in allen weſentlichen Fragen auf dem Caufenden zu bleiben. 

Gewiß werden wir nur durch eine allmähliche Bearbeitung von Einzel⸗ 
fragen weiterkommen. Aber man mache ſie nicht zum Selbſtzweck der For⸗ 
ſchung, ſondern ordne ſie großen Problemen unter. Hier iſt auch ſür den 
Muſeumsfachmann ein dankbares Gebiet, ſeine Fähigkeiten zu erweiſen: ſo 
wie man heute nicht mehr wie unſere Väter aus Neugier oder um Alters 
tumsfunde zu ſammeln, „auf Ausgrabung“ zieht, ſondern nach Problemen 
gräbt, jo erweiſe man auch in der Anordnung und Aufitellung der Sammlung 
die Fähigkeit, nach Problemen zu denken. 

Einfachheit und leichte Überſichtlichkeit ſeien bei der Unterbringung des 
Fundmaterials erſte Dorausſetzung. Nach Möglichkeit vermeide man eine 
faſt immer zur Unüberſichtlichkeit führende Serſplitterung in Spezialabtei- 
lungen, aus denen ſpäter der Leiter das Sundmaterial kaum noch ſelbſt au: 
ſammenfindet. Eine Schauſammlung, ein Depot — beide nach den gleichen 
Grundſätzen geordnet — müſſen in der Hauptſache genügen. Fordern be: 
ſchränkter Platz und aufſtellungstechniſche Gründe dennoch die Einrichtung 
von Sondergruppen, ſo ſei man ſtets darauf bedacht, zuſammengehöriges 
Sundmaterial (3. B. Gefäße und die dazu gehörigen Bronze- oder Eiſen⸗ 
geräte) räumlich jo wenig wie möglich zu trennen und durch auffällig an: 
gebrachte Hinweije als zuſammengehörig zu kennzeichnen. 

Die gleichen Grundſätze wie für die Aufitellung des Fundmaterials 
gelten auch für die Anlage der Kataloge. Schade um das viele Papier, das 
da nutzlos verſchrieben, um die koſtbare Seit und Arbeitskraft, die zwecklos 
vergeudet werden! Auch für größere Sammlungen müſſen zwei Haupt: 
kataloge vollauf genügen: 

1. ein Eingangskatalog, in dem die Funde nach der Reihenfolge 
ihrer zeitlichen Eingänge mit möglichſt kurzen, aber bezeichnenden Fund— 
notizen eingetragen werden; 

2. ein Sundardiv mit genauen Angaben, das am beiten in der Form 
einer leicht zu handhabenden Kartothek angelegt und alphabetiſch nach 
Fundorten geordnet wird. In dieſem müſſen alle wichtigen Angaben zu 
finden und nicht erſt durch Hinweiſe auf dritte oder gar vierte Stellen zu er— 
reichen ſein. In den meiſten Fällen wird eine Abtrennung beſonderer Fund— 
akten mit den Originalberichten nicht zu umgehen ſein; doch muß ihr Inhalt 
hinſichtlich aller weſentlichen Angaben in der Kartothek des Fundarchivs ver: 
arbeitet ſein. Zuſammenſtellungen und Überſichten beſonderer Art, die nach 
ſachlichen oder chronologiſchen Geſichtspunkten geordnet ſind, können zur 
Ergänzung der Kartothek leicht vorgenommen werden und erleichtern ihren 
Gebrauch. Unter allen Umſtänden aber muß vermieden werden, daß der 
Auskunftſuchende fic) erſt durch drei oder vier — möglichſt noch räumlich 
weit voneinandergetrennte — Kataloge durcharbeiten muß, ehe er die 
gewünſchte — vielleicht gar noch negative — Notiz findet. 

Wir kommen damit auf die Schauſammlung zurück, deren Ausgeftaltung 
ja den Ausgangspunkt unſerer Betrachtungen bildete. Und damit zugleich auf 
die Frage nach der Populariſierung der Dorgeſchichte ſelbſt. 

Man wird der Prähiſtorie den Vorwurf einer Ablehnung oder Dernad): 


206 | Carl Engel [7 


läſſigung der Populariſierung ihrer Ergebniſſe in weit geringerem Maße 
machen können als anderen Wiſſenſchaften. Von vornherein war ſie immer 
darauf bedacht, weiteſte Dolkskreije für ihre Aufgaben und Siele zu inter 
eſſieren, weil ſie ja von deren Mitarbeit in nicht geringem Maße abhängig 
war. Denn eine Bergung und Rettung der aufgefundenen Bodenalter tümer 
kann nur dann in die Wege geleitet werden, wenn der Bauer und Arbeiter, 
der auf ſie ſtößt, ſich über ihre Bedeutung klar iſt und die fraglichen Stellen 
verſtändigt. So find die Führer der deutſchen Dorgeſchichtsforſchung faſt 
immer auch die Träger ihrer Populariſierung geweſen, und ihrem Wirken iſt 
die erfreuliche Anteilnahme zu verdanken, das heute die Vorgeſchichtsforſchung 
in weiteſten Kreijen unſeres Volkes genießt. Entſprechend dem Daſeinskampfe 
der Gegenwart reichen freilich die bisher angewandten Methoden nicht mehr 
aus. Nur unter Aufwendung und Ausnutzung aller Propagandamöglich⸗ 
keiten wird es möglich fein, der Vorgeſchichtsforſchung die Stellung im Rahmen 
des modernen Geiſteslebens zu erringen, die ihr gebührt und die ſie nötig 
hat, will ſie in der bisherigen Weiſe vorwärtsſchreiten. Es gilt ein Einſetzen 
aller Kräfte, eine aufs höchſte geſteigerte Rührigkeit, will man die Allgemein⸗ 
heit für ihre Aufgaben und Siele intereſſieren und begeiſtern. 

Auch da ſind tätige Kräfte überall am Werke, und in vielen Gegenden 
Deutſchlands haben ihre Beſtrebungen bereits glänzende und nachahmenswerte 
Ergebniſſe gezeitigt. Es iſt eine völlige Verkennung der Bedeutung der Vor⸗ 
geſchichtsforſchung für die Allgemeinheit, für das moderne Bildungsweſen 
überhaupt, wenn man ſich mit der billigen Weisheit tröſten will, die Dorge- 
ſchichte ſei nun einmal keine volkstümliche Wiſſenſchaft. Das bedeutet nur ein 
Eingeſtändnis der eigenen Unfähigkeit, ſie weiteſten Kreiſen ſchmackhaft zu 
machen, ſie über den Rahmen eines kleinen Spezialfachs zu allgemeiner Gül⸗ 
tigkeit zu erheben. Die bahnbrechenden Beſtrebungen Kiekebuſchs!) haben 
gezeigt, welche Möglichkeiten ſich da ergeben; und welche Erfolge durch die 
Ausnutzung moderner Werbemittel zu erreichen find, zeigt der Stand der Dor, 
geſchichtsforſchung in den Provinzen Schleſien und Oberſchleſien. Ich brauche 
nur auf die beachtenswerten, im gleichen Bande enthaltenen Ausführungen 
F. Geſchwendts?) hinzuweiſen, der mit Recht betont, daß im Daſeinskampfe 
der Gegenwart, in dem verwirrenden Mancherlei der Eindrücke, man es den 
Leuten auch ſagen müſſe, wenn man ihnen etwas zu bieten habe. Törichte 
ſtellen ihr Cicht unter den Scheffel und glänzen als Mauerblümchen. Man 
braucht deshalb nicht zum Jahrmarktsſchreier zu werden. Aber man muß 
es der Allgemeinheit mitteilen, daß die Muſeen aufgehört haben, finſtere 
Leichenſtätten, altväteriſche Raritätenkabinette und langweilige Urnenfelder 
zu fein. Freilich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß man bekennen, 
daß die vorgeſchichtlichen Mufeen und Sammlungen in der Ausnutzung der 
ihnen zu Gebote ſtehenden Hilfsmittel lange zurückgeblieben find’). 


1) Dal. dazu: Kiekebuſch, A., Aufgabe und Einrichtung der vorgeſchichtlichen Samm: 
lungen. Muſeumskunde, 1916. — derſelbe, Die vorgeſchichtliche Abteilung des Mär⸗ 
kiſchen Muſeums als Bildungsanſtalt. Ebenda, 1921. — Derfelbe, Die Derbreitung 
vorgeſchichtlicher Kenntniſſe durch die vorgeſchichtliche Abteilung des Märkiſchen Tu, 
ſeums. Brandenburgia, 1924. — Derſelbe, Die Wanderausſtellung vorgeſchichtlicher 
Sunde aus dem Märkiſchen Muſeum in Berlin. Dorgeſchichtl. Jahrbuch, I, S. 122; 
II. S. 306. - derſelbe, Die Kulturſchutzſtelle des Märkiſchen Muſeums auf den Müggel- 
bergen. Ebenda, II, S. 302 

2) Werbetätigkeit im Dienſte der Vorgeſchichtswiſſenſchaft, oben S. 179ff. 

) Dal. dazu Kiekebuſch, A., Vorgeſchichte im öffentlichen Unterricht. Eberts 
Reallexikon, VIII, S. 557 354. 


8] Die Neugeftaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 207 


Noch heute gibt es Muſeumsleiter, die glauben, daß mit einer ſorgfältigen 
Regiſtrierung und ſauberen Aufitellung der Objekte alles getan fei. Ja, bis 
vor kurzem war dieje Art der Aufſtellung eigentlich die einzig gebräuchliche. 
Heute hat ſich auch hier bereits ein Wandel vollzogen, und man kann in der 
Hauptſache drei verſchiedene Arten der Aufſtellung unterſcheiden, deren 
Grenzen natürlich fließend ſind und ineinander übergehen. 

1. Die rein ſachlich⸗äſthetiſche Aufitellung bringt die Objekte ohne jede 
weitere Erläuterung dem Beſchauer nahe. Sie iſt nur eine Materialſamm⸗ 
lung, zu der der Beſchauer Fleiſch und Blut ſelbſt beiſteuern muß. Für den 
im Gebiete ſelbſt orientierten Fachmann — aber auch nur für dieſen — iſt 
ſie zweifellos die bequemſte, wenn ſie — wie oben angedeutet — die nötigen 
Fundortsangaben enthält. Für den ſie beſuchenden Caien beſitzt ſie meiſt nur 
geringen Wert, weil dieſer heute mit den ausgeſtellten Gegenſtänden einfach 
noch keine Begriffe verbinden kann, und für ihn die ausgeſtellten Schädel 
geheimnisvolle „Totenköpfe“, die Gefäße langweilige „Heidentöpfe“ bleiben, 
die ihm ohne nähere Erläuterung nichts zu ſagen vermögen. Auch kurze Ans 
gaben wie: „Kulturgruppe mit ſchnurverzierten Gefäßen“, „Urnenfelder der 
römiſchen Kaiſerzeit“ vermögen zwar dem Fachforſcher die Überſicht zu er⸗ 
leichtern, dem Laien jedoch kaum die notwendige Aufklärung zu geben, um 
lebendige Begriffe mit den Gegenſtänden zu verbinden. 

Gewiß, die äſthetiſche Wirkung einer fo aufgeſtellten Sammlung kann 
bei geſchickter Anordnung eine nicht geringe ſein. Die Gegenſtände ſprechen 
in ihrer ſtrengen, herben Schönheit, in dem Adel ihrer Geſtaltung für ſich 
ſelbſt. Aber das iſt — in ſeiner Wirkung auf das beſuchende Laienpublikum 
zum mindeſten — Sukunftsmuſik. In zwei Generationen werden wir viel= 
leicht ſoweit ſein, daß auch der Laie ohne weitere Erläuterungen den Sinn 
der Gegenſtände und ihre Schönheit zu begreifen, die Dinge ſelbſt von ſich aus 
mit Leben zu umkleiden vermag. Dorläufig ſteht er ihnen hilflos gegenüber, 
und man erreicht mit einer derartigen Materialſammlung höchſtens, daß er 
verwirrt und beſchämt nach Haufe geht über den Mangel an Derjtändnis, mit 
dem er den Gegenſtänden gegenüberſteht. Seit, dieſe Mängel zu beſeitigen, 
wird er nur in wenigen Fällen finden. Denn er hat in ſeinen Mußeſtunden 
auch noch anderes zu tun als Prähiſtorie zu treiben. 

Auch ein gut geſchriebener „Führer“ vermag nur in wenigen Fällen 
Aushilfe zu bieten: leſen, namentlich aber vor den Schränken leſen, wird 
ihn nur der, der ſich von vornherein entſchließt, eine nicht geringe geiſtige 
Arbeitskraft in das Studium der Dorzeit zu ſtecken. In den günſtigſten Fällen 
einmal ein Lehrer — dem großen Publikum bleibt die Übertragung vom 
Buch zum Gegenſtand viel zu mühevoll und zeitraubend. Es ſoll damit nicht 
der Wert eines ſolchen Führers beſtritten werden, im Gegenteil: fein Dor: 
handenſein iſt — namentlich für den Lehrer, der ſich für ſeinen Unterricht 
vorbereiten will — unbedingte Notwendigkeit. Aber man muß ſich über die 
Kreiſe, die er erfaßt, klar fein: das beſuchende Caienpublikum kauft Führer, 
namentlich wenn ſie mit ſchönen Bildern geſchickt ausgeſtattet ſind, gern als 
„Souvenir“, leſen wird fie kaum der Hundertſte, der fie gekauft hat. 

Auch Führungen durch das Muſeum — ſie mögen noch ſo häufig und 
geſchickt veranſtaltet werden — vermögen ihrer zeitlichen Begrenzung halber 
immer nur einen kleinen Kreis von Beſuchern zu erfaſſen. Das große Publi— 
kum braucht die Erläuterung am Gegenſtand ſelbſt. 

Für die volksbildneriſche Wirkung — die ja doch die Hauptaufgabe der 
Schauſammlung iſt — bleibt alſo der Wert der geſchilderten ſachlich-äſtheti— 


208 | Carl Engel [9 


ſchen Aufitellung gering. Ihre Form entſpricht ganz der unjerer alten Natu- 
ralienſammlungen, in denen in Reih und Glied die Tiere nebeneinanderſtehen, 
ſorgſam mit lateiniſchen Namen etikettiert. Es fehlt das wichtigſte: das 
Leben! Die Schauſammlung bleibt auf der Stufe der Materialſammlung, 
und auch hier und da eingeflickte Modelle und Rekonſtruktionen vermögen 
ihr nicht das farbige Leben zu geben, das ſie braucht, um den Beſucher zu 
reizen und zu feſſeln, in ihm den „Hunger nach mehr“ zu erwecken. 

Eine andere, namentlich in rein wiſſenſchaftlichen Inſtituten und Univer⸗ 
ſitätsſammlungen gern angewandte Methode der Sammlungsgeſtaltung iſt die 
Beſchildung der Gegenſtände in 

2. Form der wiſſenſchaftlichen Erläuterung. Sie iſt bereits oben (S. 205) 
näher gekennzeichnet worden, jo daß hier auf eine nähere Behandlung ver- 
zichtet werden kann. Als vorbildliches Muſter einer derartigen Anordnung 
wurde die Neugeſtaltung der Heidelberger Sammlung durch E. Wahle!) be- 
reits erwähnt. Für den reiſenden Forſcher wie auch für den Studierenden iſt 
dieſe Form der Ausgeltaltung von unſchätzbarem Werte. Sie erſpart ihnen 
das zeitraubende Nachſchlagen vieler Einzelheiten in den Katalogen und ver⸗ 
mittelt auch dem mit den örtlichen Verhältniſſen weniger Vertrauten ein 
leicht erfaßbares Bild der vorgeſchichtlichen Verhältniſſe des betreffenden Ge⸗ 
bietes, namentlich wenn fie ſorgfältige Angaben über Grabformen, Siedlungs- 
weſen und einige gut ausgewählte Derbreitungskarten bringt. Für die volks⸗ 
bildneriſche Auswertung eines Muſeums bringt auch ſie noch nicht das letzte. 
Dieſe wird nur erreicht durch die 

3. volkstümlich-erläuternde Art der Aufſtellung, die es ſich zum Siele 
ſetzt, den Beſucher ausdrücklich über die Art der ausgeſtellten Gegenſtände zu 
belehren, dieſe ſelbſt zu einem Geſamtbild der vorgeſchichtlichen Kultur 
eines Landes zuſammenzufaſſen und zu vergeiſtigen; fie gewiſſermaßen in ein⸗ 
heitliches Syſtem zu bringen, das die derzeitigen Kenntniſſe über die vorge⸗ 
ſchichtlichen Bewohner einer Landſchaft, ihr Leben und ihre Weſensart dem 
Beſucher mühelos und in möglichſter Geſchloſſenheit vermittelt. 

Es iſt eingangs erwähnt worden, daß gerade die gähnende Leere unſerer 
Muſeen hinſichtlich ihrer Beſucherzahl Grund zu jener großen Reform geweſen 
iſt, die ſich heute überall auf dem Gebiete des Muſeumsweſens Bahn bricht. 
Wenn ſich heute ſelbſt die ſpröde Naturwiſſenſchaft bequemt, an Stelle der in 
Reihe und Glied aufmarſchierten Säugetiere und Dögel, der in Gruppen⸗ 
kolonnen aufgeſpießten Käfer und Schmetterlinge in anſchaulichen und zum 
Nachdenken anregenden Lebensbildern zum Beſchauer zu ſprechen, ihn über 
Bau und Wirkungsweiſe der Organe, über die Entwicklung und Abſtammung 
der Organismen, über das Verhältnis der Lebeweſen zu ihrer Umwelt auf: 
zuklären: ſoll da die Vorgeſchichtsforſchung zurückſtehen? Man leſe über diejen 
Wandel in einem ſehr beachtenswerten Auffak C. dimmers?) nad, in dem der 
Direktor des Berliner Soologiſchen Muſeums einen Überblick über den Wandel 
der naturwiſſenſchaftlichen Muſeumstechnik gibt, der auch dem Prähiſtoriker 
manche Anregungen zu bieten vermag und ihn zum Nachdenken über viele 
auch ihn angehende Fragen zwingen wird. 

Gerade die Dorgeſchichtsforſchung hat es doppelt nötig, verſtändlich und 
anregend zu dem Beſucher ihrer Sammlungen zu ſprechen, weil dieſer nicht — 


— 


) Dol. Anm. !), S. 205. 


) Simmer, C., das zoologiſche Mufeum von geſtern, heute und morgen. In „Der 
Naturforſcher“, Ig. 1928 29, 


10] Die Neugeftaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 209 


wie bei der Naturwiſſenſchaft — die ausgeſtellten Gegenſtände kennt, ſondern 
ihnen zunächſt völlig verſtändnislos gegenüber ſteht. Was ſagen ihm die aus⸗ 
geſtellten Töpfe und Geräte anderes, als daß es Kulturüberreſte verſunkener 
Geſchlechter ſind? 

Man muß ihm alſo durch Hinweiſe und Erläuterungen die Möglichkeit 
geben, in den Gegenſtänden das zu erkennen, was er in ihnen ſehen ſoll. 
Man muß ihm erſt die Möglichkeit darbieten, mit den ausgeſtellten Gegen- 
ſtänden Begriffe zu verbinden. 

Mit anderen Worten: es muß Leben in die Bude! Die Muſeen müſſen 
aufhören, tote Mumienkammern zu fein. Sie müſſen von ſelbſt anfangen 
zu reden. 

Die erſten Derſuche nach dieſer Richtung hin, die vorgeſchichtlichen 
Sammlungen für die Allgemeinheit in größerem Umfange auszunutzen, ſind 
ebenfalls durch Kiekebuſcht) getan worden. Dann aber hat Jacob-Frieſen 
in ſeiner Neugeſtaltung der prähiſtoriſchen Abteilung des Provinzialmuſeums 
Hannover einen bahnbrechenden Fortſchritt erzielt, der freilich zunächſt kaum 
Nachfolge gefunden hat. Den Beweis für die Zweckmäßigkeit ſeiner Maß— 
nahmen erbrachte mir ein zufälliger Beſuch ſeines Muſeums an einem der 
Oſtertage: es war für den Muſeumstechniker ungemein lehrreich zu ſehen, 
wie ſich da das Publikum vor den Schaukäſten drängte und mit wirklichem 
Intereſſe die den ausgeſtellten Gegenſtänden beigegebenen klaren und über: 
ſichtlichen Erläuterungen ſtudierte! 


Da Jacob-Frieſen die Grundſätze feiner Neugeſtaltung bereits aus— 
führlich und an Hand vieler Beiſpiele dargelegt hat?), erübrigt es ſich, hier 
näher darauf einzugehen. 

Nach feinen Methoden und Anregungen iſt im weſentlichen auch der Alt: 
ſteinzeitſaal des Magdeburger Muſeums (Abb. 1) aufgeſtellt worden, ſo daß 
nur wenig dazu zu ſagen bleibt. 

Da ja die Altſteinzeit nicht nur bei dem größten Teile des Laienpubli- 
kums, ſondern auch von ſeiten der Schulen erfahrungsgemäß die lebhafteſte 
Beachtung findet, ſo iſt es nicht zu bedauern, wenn in größeren Provinz⸗ 
ſtädten mit Hilfe franzöſiſchen Materials und guter Schädelnachbildungen 
(Abb. 2) ein genauerer Überblick über die kulturellen und hiſtoriſchen Der: 
hältniſſe des Paldolithikums geboten wird, zumal nur wenige deutſche 
Muſeen (wie z. B. Weimar und einige ſüd- und weſtdeutſche Sammlungen) 
in der Lage ſind, ausſchließlich an Hand einheimiſchen Materials einen guten 
Eindruck von den Lebensverhältniſſen und der Umwelt des eiszeitlichen Men— 
ſchen zu geben. Kleinere Heimatmufeen, die zudem meiſt an Raummangel 
leiden, ſollten freilich darauf verzichten, mit Hilfe unzureichenden Materials 
eine derartige Abteilung auszubauen und den ihnen zur Verfügung ſtehenden 
Platz allein den heimatlichen Funden widmen. 

Gegenüber Hannover war in Magdeburg nur nach einer Richtung hin 
die Möglichkeit einer Erweiterung gegeben und geboten: in einer Suſammen— 
ſtellung aller wichtigeren mitteldeutſchen Altſteinzeitfunde, teils ſoweit 
möglich — in Originalſtücken, teils auch in guten Nachbildungen, die in ihrer 
Zuſammenſtellung einen wirklichen Eindruck von den aus Mitteldeutſchland 


1) Dol. Anm. !), S. 206. 
2) Jacob-⸗Frieſen, K. H., Die muſeumstechniſche Auswertung der Sammlungen 
nach dem pädagogiſchen Prinzip. Muſeumskunde, XVI, 1921, S. 50 100 
Mannus, Seitſchrift fur Vorgeſch., VII. Erg. Bd. 14 


210 Carl Engel [11 


bisher bekanntgewordenen paläolithiſchen Geräten geben. Karten der mittel- 
deutſchen Paläolithfundpläße und Profile von der Schichtenfolge der wich⸗ 
tigſten unter ihnen ergänzen und beleben die Funde ſelbſt. Aus Mangel an 
Seit und Mitteln mußte die Darſtellung der Profile zunächſt auf die Wieder⸗ 
gabe von Seichnungen und Lichtbildern beſchränkt werden. Erwünſcht wäre 
hier natürlich eine Darſtellung der Originalſchichten hinter Slasſcheiben, wie 
ſie z. B. in Tübingen durch R. R. Schmidt von der Ofnet und dem Sirgen⸗ 
ſtein in ſehr inſtruktiver Weiſe gegeben worden ſind. 

In den jüngeren Seitabſchnitten iſt zwar den grundſätzlichen Anregungen 
Jacob-Frieſens auch weiterhin gefolgt worden, jedoch ſind hier zugleich 


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Abb. 1. Altſteinzeit⸗Saal des Magdeburger Mujeums für Natur- und Heimatkunde 


fo viele neue Geſichtspunkte in den Kreis der Betrachtungen gezogen worden, 
daß eine zuſammenfaſſende Erörterung der dabei befolgten Grundſätze und 
eingeſchlagenen Wege geboten erſcheint. Bei einer ähnlichen Ausgeſtaltung 
anderer Sammlungen wird eine etwa zu befürchtende Gleichförmigkeit unſerer 
vorgeſchichtlichen Muſeen einmal ſchon durch die Derjchiedenartigkeit des in 
ihnen vorhandenen Materials vermieden; ſodann aber werden dieſe durch die 
verſchiedenartige Berückſichtigung und beſonderer Betonung beſtimmter Er: 
ſcheinungen, die den jeweiligen Muſeumsleiter beſonders intereſſieren, oder 
die durch die Funde des betreffenden Gebietes gegeben find, immer ihr eigenes 
Geſicht behalten. 

Bei der Husgeſtaltung der Magdeburger Sammlung kam es mir vor 
allem darauf an, nicht nur die Gegenſtände mit einigen notdürftigen Erläu⸗ 
terungen und hinweiſen verſehen aufzuſtellen, ſondern fie — ſoweit dies heute 
möglich iſt — im Geſamtrahmen der kulturellen und Lebensverhältniſſe der 
einzelnen Perioden zu zeigen und unter Heranziehung von Dergleichsſtücken 


12] Die Neugeftaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 211 


aus den Nachbargebieten abzurunden. Su dieſem Swecke wurden alle nur 
irgend brauchbaren Hilfsmittel herangezogen, um das an ſich tote, dem Be: 
ſchauer wenig ſagende Fundmaterial an Gefäßen und Geräten zu beleben und 
zu durchgeiſtigen. 

Unerläßliche Vorbedingung nicht nur für den Laien, ſondern auch für 
den reiſenden Fachforſcher ijt in jedem Falle die klare und genaue Kennzeich⸗ 
nung der zeitlichen und kulturellen Stellung der ausgeſtellten Gegenſtände. 
Der Beſchauer muß aus ihr unter allen Umſtänden erſehen können, was er 
vor fic) hat; und die Bezeichnung ſelbſt kleinerer Kulturgruppen und deit- 
abſchnitte muß jo ſcharf umgrenzt werden, daß ein Sweifel über die Su: 
gehörigkeit des einzelnen Stückes nirgends aufkommen kann (ſelbſtverſtändlich 
ſoweit die Forſchung heute dazu in der Lage iſt). Zudem muß die Beſchildung 
ſo überſichtlich angebracht ſein, daß ſie mit einem Blicke die Grundſätze der 
Anordnung überſehen läßt. Der Beſucher ſoll nicht erſt in wiederholten Be, 
ſuchen ſich — womöglich noch erfolglos! — bemühen müſſen, hinter das (e, 
heimnis der Anordnung zu kommen, um ſich in der Sammlung zurecht finden 
zu können. Ein Blick muß ihn zu den gewünſchten Gegenſtänden führen und 
ihm zeigen, daß hier dieſes, dort jenes Stück ſteht. Bis ins kleinſte durch⸗ 
gebildete und ebenſo überſichtliche wie leicht erfaßbare Syſtematik ijt daher 
hier — ſo ſehr ſie ſonſt geſchmäht werden mag — am Platze. 

Das alles ſind eigentlich Selbſtverſtändlichkeiten, die kaum geſagt zu 
werden brauchten — aber man prüfe einmal in dieſer Hinficht die meiſten 
unſerer prähiſtoriſchen Sammlungen nach! Die Mehrzahl unſerer Muſeen — 
und nicht nur der vorgeſchichtlichen — iſt ſich keineswegs klar darüber, daß 
mit einer ſauberen Konſervierung und äſthetiſch einwandfreien Aufitellung 
der Gegenſtände nicht alles getan iſt, ſondern daß es darauf ankommt, das 
ne Material zu durchgeiſtigen und in ein überzeugend wirkendes Syſtem zu 

ringen. 

Stellt man ſich bei der Beſchildung immer auf den Standpunkt des 
ahnungsloſen Beſuchers, der — mit den Anordnungsgrundſätzen nicht Ger: 
traut und von keiner Sachkenntnis getrübt — die geweihten Räume betritt, 
ſo wird man kaum fehlgehen. Natürlich bleibt es dem Geſchmack des einzelnen 
überlaſſen, wie weit er in der Spezialiſierung der Beſchildung gehen will. 
Doch ſcheint mir auch hier ein mehr minder ſchädlich als ein zu wenig. 

Unter Berückſichtigung dieſer Erwägungen habe ich in der Magdeburger 
Sammlung eine Beſchildung in vier ſich abſtufenden Gruppen vorgenommen, 
von denen jede der anderen untergeordnet iſt. Große, weithin ſichtbare 
Schilder (I) über den Türen (Abb. 1) oder (wenn mehrere Seitabſchnitte in 
einem Raume vertreten find) an den Wänden (Abb. 8), geben zunächſt die 
großen Seitabſchnitte an, denen das darunter aufgeſtellte Material angehört. 
Scharf umſchrieben wird ſodann der Inhalt jedes Schrankes (II), jo daß der 
Beſchauer hier unter allen Umſtänden erfährt, welcher Seit und Kulturqruppe 
das in ihm enthaltene Material angehört. Genauere Angaben bringen Schil— 
der, die den Inhalt der einzelnen Fächer kennzeichnen (III). Schließlich erfolgt 
in dieſen wieder eine genaue Beſchriftung des Einzelobjektes bzw. des zu— 
ſammengehörigen Fundes nach Fundort und Fundumſtänden (IV). 


Am Einzelbeiſpiel erläutert, ſieht das ſo aus: 


I Ältere und mittlere Bronzezeit im Mittelelbgebiet 


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212 Carl Engel [13 


Cauſitziſch⸗nordiſche Miſchkultur 


II 
der mittleren Bronzezeit (Montelius⸗Perioden III und IV) 


(rot und grün umrandet)“ 


III Montelius⸗Periode IV (etwa 1100 1000 v. Chr.) 


(rot und grün umrandet) 


Tarthun (Kr. Kalbe) 
IV Gefäße und Bronzebeigaben 


aus einem Steinkiſtengrab 


Je nach Seit und Belieben wird ſich fo der Beſchauer mit einem Tod, 
tigen Überblick begnügen (indem er nur die Schildergruppen I oder I und II 
Delt) oder in Einzelheiten vertiefen können (indem er ſich auch den Schilder⸗ 
gruppen III und IV widmet). Die einzelnen Schildergruppen ſind der Größe 
nach fo deutlich gegeneinander abgeſtuft, daß fie ihrer Sugehörigkeit nach 
nicht verwechſelt werden können. Die Schildergruppe IV, die ja für den 
Fachforſcher in erſter Linie in Frage kommt, weil fie rein ſachliche Angaben 
(Fundort, Fundumſtände) enthält, hebt ſich außerdem durch ihre Farbe deut⸗ 
lich gegen die anderen Gruppen ab. Die auf ihr enthaltenen Notizen find in 
weißer Schrift auf Pappkartons aufgetragen, die mit ſchwarzem Lederpapier 
überzogen ſind. Sie ſtören dadurch weniger als die unſchön zwiſchen den 
Gegenſtänden hervorleuchtenden weißen Settel. Für die Gruppen I-III habe 
ich zuerſt ſchwarze Schrift auf weißem Grunde verwendet. Später bin ich 
nach Möglichkeit zu einem gelbgrünen Grundton (entſprechend der Farbe der 
Muſeumsräume und der Innenwände der Schränke) übergegangen, der 
wärmer wirkt und die äſthetiſche Eigenwirkung der Gegenſtände nicht fo 
ſtörend beeinträchtigt wie das grelle Weiß. | 

Sur Überſicht der in den einzelnen Räumen und Schränken untergebrad)- 
ten Gegenſtände und zur leichteren Orientierung ijt außerdem am Eingang 
jedes Raumes ein Plan angebracht, der angibt, welche Materialgruppen 
die einzelnen Schränke enthalten. Solche Überſichtspläne erleichtern dem Be⸗ 
ſucher das Surechtfinden in der Sammlung und machen ihn nicht ſelten auf 
ſonſt überſehene Abteilungen aufmerkſam. Für Angaben und Hinweiſe in 
einem gedruckten Führer ſind außerdem ſämtliche Schränke eines Raumes 
fortlaufend durchnumeriert und klar und deutlich mit ihrer Nummer gekenn- 
zeichnet (ſiehe oben II). 

Man wende nicht ein, daß eine derartig ins einzelne gehende Beſchildung 
ſehr viel Seit und Geld koſte: wer ſucht, wird immer freiwillige Mitarbeiter 
(Altertumsfreunde, Schüler) genug finden, die ihr zeichneriſches Können oder 
Schreibtalent in den guten Dienſt der Sache ſtellen. Die ganze Steinzeitabtei— 
lung des Magdeburger Muſeums iſt faſt ohne Mittel nur mit hilfe freiwilliger 
Mitarbeiter beſchriftet worden. 

In den meiſten Fällen iſt der Mangel einer ſauber und ſachgemäß durch— 
gebildeten Beſchriftung auf eine geradezu unverſtändliche Gleichgültigkeit 


1) Rot bedeutet nordiſcher, grün oſtdeutſcher Kulturkreis (vgl. unten). 


213 


Die Weugeftaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 


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216 Carl Engel [17 


und — nolens volens — Trägheit der Muſeumsfachleute nach dieſer Rich⸗ 
tung hin zurückzuführen. Man ſchütze nicht Überlaftung vor: wo ein Wille 
iſt, iſt immer auch ein Weg! Dieſer Mangel an Beſchriftung geht in einzelnen 
Anſtalten — wie bereits oben angeführt — bis zu einem Fehlen der Fund⸗ 
ortsangaben, ſofern ſolche nicht gar aus kleinlichen Eiferſuchtsgründen unter⸗ 
bleiben, damit der Beſucher nicht etwa in Derfuchung komme, die ausgeſtellten 
Objekte auf eigene Fauſt „zu veröffentlichen“! Ein feiner Standpunkt, der 
befonders in manchen kleineren Hheimatmuſeen die ſchönſten Blüten treibt. Als 


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Abb. 5. Verbreitung der Oſt. und Weſtgermanen fowie der Kelten in Mitteleuropa 
zwiſchen 400 und 150 vor Chrijtus (hauptſächlich nach Hoſſinna) 
Oſtgermanen braun, Weſtgermanen rot, Kelten blau 


ob wir alle, die wir in der Vorgeſchichtsforſchung heute tätig ſind, uns nicht 
freuen könnten, wenn uns andere einen Teil der nicht zu bewältigenden Auf- 
gaben und Arbeiten abnehmen! 

Don kaum geringerer Wichtigkeit als eine ſorgfältig und gut durch— 
gebildete Beſchildung ſind — wenigſtens für das Laienpublikum — kurz 
gefaßte Erläuterungen, beſonders in Geſtalt klarer und überſichtlicher Seit- 
tafeln. Sie können, wenn ſie in verſtändiger Weiſe für das betreffende 
Lokalgebiet durchgebildet find, ſogar für den Fachforſcher von nicht unerheb- 
lichem Intereſſe ſein. Auch hier genügt es nicht, Seiten aus dem gedruckten 
Führer auszuſchneiden und an die Türen oder Wände der einzelnen Räume 


18] Die Neugeftaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 217 


zu heften. Die Erläuterung muß in klarer und leicht lesbarer Schrift nach 
Möglichkeit in zweifacher Form gegeben werden: 
1. in Geſtalt zuſammenfaſſender Überſichten vor den großen Seit⸗ 
abſchnitten; 
2: d 1 oder Hinweiſen bei den einzelnen Gegenſtänden 
elbſt. 
Nur im letzteren Falle vermitteln ſie dem Beſucher die unentbehrliche 
Fühlung zwiſchen geſchriebenem Wort und Gegenſtand. 


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Abb. 4. Die Feldzüge der Römer im freien Germanien. Farbige Wandkarte aus der 
Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung. Die einzelnen Feldzüge find durch oer, 
ſchiedenartige Farbgebung gegeneinander abgehoben 


Don beſonderem Werte für die erſte Orientierung, namentlich des Laien, 
aber auch für die beſuchenden Schulen, find deittafeln, die einmal in Geftalt 
von Geſamtüberſichten gegeben werden, dann aber bei den einzelnen Unter⸗ 
abſchnitten in ausführlicher Form wiederholt werden. Sie geben das „hiſto⸗ 
riſche Gerippe“, an dem ſich der Beſucher zurechtfinden kann, und das er für 
das Verſtändnis der ausgeſtellten Gegenſtände auch unbedingt braucht. dus 
dem ermöglichen fie eine ſchnelle Orientierung über das Derhältnis der ein: 
zelnen Seitabſchnitte zu einander und den Geſamtablauf der Dorgeſchichte 
eines beſtimmten Gebietes, indem fie eine Kennzeichnung feiner Haupttat— 
ſachen geſtatten, ohne viele Worte zu erfordern. 


918 Carl Engel [19 


Beiſpiele für derartige Seittafeln habe ich in meinen „Bildern aus der 
Vorzeit des mittleren Elbgebietes“ !) mehrfach gegeben. Eine gute Unterlage 
für ihre Suſammenſtellung bietet auch Girkes „öeitvergleichende Tabelle 
für Mittel- und Nordeuropa“ ?). Auch bei ihnen iſt es natürlich von Wichtig⸗ 
keit, daß an allgemeine Erſcheinungen angeknüpft wird, in deren Rahmen 
die heimatlichen Derhältniſſe aber im Vordergrund ſtehen und beſonders be- 
tont werden. 

Ich gebe hier je ein Beiſpiel einer allgemeinen und einer für einen 
kleineren Abſchnitt berechneten beſonderen Seittafel (S. 208 und 200). 


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Abb. 5. Ungefähre Siedlungsgebiete der germaniſchen Stämme um 100 nach Chriftus. 
Farbige Wandkarte aus der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 
Weſtgermanen rot, Oſtgermanen braun, Kelten blau, Italiker violett 


Don nicht geringerer Wichtigkeit als die Seittafeln iſt ein ſorgfältig 
durchgebildetes Kartenmaterial, das dem Beſucher eine Anſchauung über 
die geographiſche Verbreitung der Kulturen und den Gang der Beſiedlung 
in den einzelnen Zeiträumen vermittelt. Zudem beſitzt es — wie die seit: 
tafeln — den Vorteil, mit wenig Worten ungemein viel zu jagen und — 
namentlich wenn es ſich über größere Siedlungsräume erſtreckt — anſchau⸗ 
licher zu wirken als alle Beſchreibungen. 

Freilich darf auch das ausgeſtellte Kartenmaterial nicht auf der Stufe 
der Materialſammlung ſtehen bleiben. Die üblichen „Fundhkarten“, die alle 


1) Band I. Burg 1929. 
2) Mannusbibl. 22. Leipzig 1922, S. 156—157. 


20] Die Neugejtaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 219 


Funde eines Gebietes, wenn auch durch verſchiedene Zeichen und Farben 
gegeneinander abgehoben, auf einer Hartenfläche vereinigen und die ver⸗ 
ſchiedenſten Zeiträume wirr durcheinanderwerfen, find heute gänzlich überholt 
und meiſt nur für den in einem Lokalgebiete arbeitenden Spezialforſcher!) 
zur Orientierung über alle bisher in einem beſtimmten Fundbezirk gemachten 
Funde brauchbar). Für die Schauſammlung müſſen auch fie erſt ausgewertet 
und in zeitlich und kulturell geſchiedene Typenkarten zerlegt werden. Eine 
Karte ſpricht nur dann zum Beſchauer, wenn ſie ihm in ſorgfältiger Auswahl 
das Weſentliche zur Anſchauung bringt, z. B. die Cage der Siedlungen an den 
Flußläufen oder Höhenrändern, die verſchiedenartige Verteilung zweier Kul: 
turen, die handelswege und Derkehrsitraßen oder die Siedlungsdichte eines 
beſtimmten Seitabſchnitts. Beiſpiele für die Ausgeſtaltung derartiger Karten 
geben z. B. die in dieſem Bande enthaltenen Abbildungen S. 75 und S. 79 
die hier allerdings gegenüber ihrer Ausgeſtaltung in der Schauſammlung 
weſentlich vereinfacht wiedergegeben find. Für Ausitellungszwecke reichen 
gedruckte Karten oder ſolche mit Einzeichnung der Fundorte meiſt deshalb 
nicht aus, weil die Fundplätze auf ihnen nicht mit der gewünſchten Deutlich— 
Reit zur Geltung kommen. Ich benutze daher für Ausitellungszwecke ſoge— 
nannte „Markierkarten“, bei denen das Kartenblatt auf eine Torfunterlage‘) 
gelegt und auf dieſer durch einen Rahmen mit Falzdeckel feſtgehalten wird. 
Die Fundorte werden dann durch Marzkiernadeln mit farbigen Glasknöpf— 
chen“) bezeichnet, die bis zum Kopfe in den Torf eingeſtochen werden. Dieſes 
verfahren bietet mehrere Vorzüge: 

1. Bringt es die Fundplätze auf dem Kartenbilde zur gewünſchten Gel— 
tung. Selbſt wenn an ſich für die Schauwirkung weniger geeignete, weil in 
der Fernwirkung unüberſichtliche Kartenblätter (wie z. B. die Blätter der 
Landesaufnahme 1: 200000, 1: 100000 oder 1: 25000) zur Anwendung 
kommen, tritt auf ihnen die Fundverteilung immer noch mit der wünſchens— 
werten Deutlichkeit hervor, während Einzeichnungen im Kartenbilde ganz 
verſchwinden. 

2. Geſtattet es durch Anwendung verſchiedenfarbiger Nadelköpfe (bzw. 
Fähnchen oder Farbplättchen) die Auftragung verſchiedenartiger Kultur— 
gruppen oder anderer Erſcheinungen (Burgwälle uſw.) auf der gleichen Karte 
und bringt z. B. bei Anwendung von Komplementärfarben deren Gegenſätz— 
lichkeit beſonders klar zur Anſchauung. 

3. Geſtattet es ein müheloſes Nachtragen neuer Fundorte. 

Als Kartenunterlage wird man am beiten ein eigens für dieſe Swecke 
hergeſtelltes Kartenbild der in Frage kommenden Gegend verwenden, in das 


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) Nur für ein ganz kleines Fundgebiet (Gemeindeflur, Stadtgebiet) können fie in 
einzelnen Fällen auch für die Allgemeinheit von Intereſſe ſein. 

2) Auch die fo beliebte (ſachlich natürlich berechtigte) Unterſcheidung von Grab- 
und Siedlungsfunden durch verſchiedene Seichen beſitzt nur in Einzelfällen und bei 
kleinen Gebietsausſchnitten praktiſchen Cebrwert. Denn wo Graber ſind, werden faſt 
immer auch Siedlungen geweſen ſein und umgekehrt. Solche müßigen Unterſcheidungen 
überlaſſe man alſo im allgemeinen den Sundkarten im Archiv. 

3) Für die Herftellung folder Torfunterlagen eignen ſich zuſammengeleimte In— 
ſektentorfplatten, die auch die notwendige Stärke beſitzen. Man bezieht ſie am beſten 
von einer größeren Naturalienhandlung (E. A. Böttcher, Berlin oder W. Schlüter, 
Halle a. S.). 

4) In den verſchiedenartigſten Ausführungen zu beziehen vom Hea-Verlag, G. m. 
b. H., Berlin, der auch Muſterblätter verſendet. Es empfiehlt ſich, immer die kürzeſte 
Nadelgröße zu wählen. 


220 | Carl Engel [21 


nur die topographiſchen oder ſonſt für den vorgeſchichtlichen Befiedlungs- 
gang wichtigen Unterlagen eingezeichnet find, alſo in der Hauptſache Fluß⸗ 
läufe, Gebirge uſw. (vgl. hier S. 75 und S. 79) 1). Aber auch wo von der 
Anfertigung eigener Kliſchees für derartige Swecke aus Mangel an Seit und 
Mitteln abgeſehen werden muß, wird man ſich leicht brauchbare Vorlagen 
herſtellen oder durch Schüler und andere freiwillige Mitarbeiter ſelbſt zeichnen 
laſſen können. Zudem wird es für manche Darſtellungen immer notwendig 
werden, andersartige Kartenunterlagen zu benutzen. Denn neben den Be⸗ 
ſiedlungskarten der engeren Heimat, die natürlich im Vordergrunde ſtehen, 
ſollten — wenigſtens in allen größeren Sammlungen — auch einige allge- 
meine Karten nicht fehlen, die dem Beſchauer die größeren Sujammenhange 
(Kulturkreije oder Volksgruppen) einzelner Zeiträume veranſchaulichen, und 
die ihm das vorgeſchichtliche Geſchehen der Heimat gewiſſermaßen „unter 
welthiſtoriſchen Perſpektiven“ zeigen. Auch hierbei muß man ſich ſtets ver⸗ 
gegenwärtigen, daß der Laie nicht die geringſte Vorſtellung über die Der- 
teilung der einzelnen Kulturkreiſe bzw. (in den jüngeren Seitabſchnitten) der 
verſchiedenen Stämme und Dölker mitbringt, daß daher alle dieſe Begriffe 
bei ihm durch das Kartenbild erſt geklärt werden müſſen. 

Zu dieſem Swecke begleiten in der Magdeburger Sammlung eine Reihe 
großer Überſichtskarten die heimatkundlichen Spezialkarten, die die geogra⸗ 
phiſche Derbreitung der Kulturen und ſpäter der Dolksitämme Mitteleuropas 
von der jüngeren Steinzeit bis zum Beginn der geſchichtlichen Seit veran- 
ſchaulichen. Auch ſie geben dem Beſucher — wie die allgemeinen Seittafeln — 
erſt den notwendigen hiſtoriſchen Rahmen, unter dem er Derſtändnis für die 
ausgeſtellten Gegenſtände und für den Gang der Entwicklung in der engeren 
Heimat gewinnt. Beiſpiele aus dieſer Kartenfolge bieten die Abb. 3—5, die 
freilich hier in ihrer einfarbigen Wiedergabe nicht entfernt den Grad der An⸗ 
ſchaulichkeit erreichen wie die farbigen Originale). 

Die wirklich „unbegrenzten“ Möglichkeiten, die die Ausſtattung der 
Schauſammlung mit einem anſchaulichen Kartenmaterial bietet, ſind ſo viel⸗ 
geſtaltig, daß es zuweit führen würde, hier auf Einzelheiten näher einzugehen. 
Die verſchiedenen Bodenverhältniſſe, Siedlungsmöglichkeiten und Sonder 
probleme — die ja in jedem Gebiete andere ſind — werden eine „Uniformie⸗ 
rung“ der Muſeen auch nach dieſer Richtung hin von ſelbſt verhindern. Hin⸗ 
gewieſen fei an dieſer Stelle auch auf die wertvollen Anregungen, die Möte⸗ 
findt?) und kürzlich Radig*t) gegeben haben. Namentlich die Derwen- 
dung von Fliegeraufnahmen und der Ausbau nach ſiedlungs- und volks⸗ 
kundlicher Richtung hin, wie ſie letzterer vorſchlägt, ſcheinen mir viel— 
verſprechende Sukunftsmöglichkeiten zu bieten. 

Erwähnt ſei bei dieſer Gelegenheit auch der Wert von Siedlungskarten, 
die alle Funde eines Seitabſchnittes in einem beſtimmten Gebiete zur Dar— 
ſtellung bringen (wobei man zur Kennzeichnung der verſchiedenen Kultur— 


1) Für beſondere Swecke wird man freilich auch andere Vorlagen benötigen (3. B. 
Karten mit Angabe der verſchiedenen Bodenarten oder der Waldbedeckung), die man 
dann von Fall zu Fall eigens anfertigen muß. 

2) Für die Anfertigung derartiger Harten bieten namentlich die zahlreichen den 
Schriften Koſſinnas beigegebenen Karten geeignete Unterlagen; neuerdings auch der im 
Verlage von Walter de Gruyter & Co. im Erſcheinen begriffene „Deutſche Kulturatlas“. 

3) Mötefindt, h., Dorgeſchichtliche Fundkarten. Nachrichtenblatt für die deutſche 
Vorzeit, II, 1926, S. 73 — 76. 

) Radig, W., Vorgeſchichte und Siedlungskunde im Muſeum. Minervas-Seitſchrift, 
1928, S. 167f. 


22] Die Neugeſtaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 221 


gruppen andersartige Farben, zur Unterſcheidung des Sundcharakters, d. h. 
Grab: und Siedlungs- oder Streufund, verſchiedene Abſtufungen der gleichen 
Farbe wählen kann). Solche Karten ſind namentlich für die Erſchließung der 
Urlandſchaft und der Siedlungsdichte in den einzelnen Seiträumen von großer 
Bedeutung und machen auf manche ſonſt überſehenen Tatſachen aufmerkſam. 


Auch dem Kapitel „Kultur und Landſchaft“, das die natürlichen Der: 
hältniſſe und Wirtſchaftsmöglichkeiten eines Siedlungsraumes als Grund⸗ 
lagen der Kultur zur Darſtellung bringt, ſollten in jeder Sammlung einige 
Karten gewidmet werden!). Beſonders geeignet für derartige Swecke find 
Reliefkarten, freilich nur dann, wenn ſie eine ſo ſorgfältige und anſchau— 
liche Wiedergabe der Candesnatur vermitteln wie die im Kölner prähiſtoriſchen 
Muſeum für dieſe Zwecke verwandten Unterlagen. Weiße Gipsmodelle, noch 
dazu mit ungenügender Überhöhung der Gebirge, werden den Beſchauer 
immer nur verwirren und ihm die Orientierung erſchweren. 

Noch einer beſonderen Möglichkeit mag in dieſem Suſammenhange ge— 
dacht werden, die dem Beſchauer das Surechtfinden ſehr erleichtert und deren 
Anwendung ſich in der Magdeburger Sammlung gut bewährt hat: der ein, 
heitlichen Farbengebung. Innerhalb des Rahmens jedes größeren Seit: 
abſchnittes ſind die einzelnen Kulturen durch einheitliche Farbe auf allen in 
Frage kommenden Schildern, Karten, Seittafeln und Erläuterungen gleich— 
mäßig gekennzeichnet. So ſind z. B. in der Jungſteinzeit die Megalithkultur 
durch rote, die Bandkeramik durch blaue, die Schnurkeramik durch grüne, die 
Glockenbecherkultur durch gelbe Farbe kenntlich gemacht worden; in der 
Bronze- und Eiſenzeit find für den nordiſchen Kreis rote, für den Cauſitzer 
Kreis grüne, für den ſüddeutſchen Kreis blaue Farbe angewandt worden. Der 
Beſucher, der ſich dieſe wenigen Farben an Hand einer „Überſichtsgruppe“ 
(Typenſchrank) leicht einprägt, wird alſo, wenn er vor einer Karte ſteht, jo: 
fort wiſſen: blaue Nadeln bedeuten bandkeramiſche Fundplätze. Das gleiche 
Blau leuchtet ihm auf der Umrandung der Schilder entgegen, wenn er vor 
dem Schranke ſteht, der Funde aus der Donaukultur beherbergt; das gleiche 
Blau findet er auf der Seittafel, die die Überſicht über den Beſiedlungsgang 
des mittleren Elbgebietes in der jüngeren Steinzeit zur Darſtellung bringt. 


Fraglich erſcheint, wie weit man in der textlichen Erläuterung der 
ausgeſtellten Gegenſtände gehen ſoll. Daß man ſich in der Beſchriftung immer 
kurz halten und im Telegrammſtil ſprechen ſoll, iſt ein altbewährter Grundſatz. 
mit Recht macht Solger?) darauf aufmerkſam, daß man für die muſeale 
Praxis in dieſer Hinſicht von den zwiſchen die Filmſtreifen eingeſchobenen 
kurzen Erläuterungstexten bei kinematographiſchen Vorführungen viel lernen 
könne. Doch glaube ich, wird es nicht ſchaden, wenn man dem Bedürfnis des 
lernbegierigen Beſuchers entgegenkommt und ihm hie und da auch aus— 
führlichere Erläuterungen darbietet. Mag die Mehrzahl der ſonntäglichen 
Muſeumsbeſucher auch mehr oder weniger achtlos an ihnen vorübergehen: 
die Seele des einen, der davon erfaßt wird und weiterforſcht, wird tauſend— 
fältig Frucht tragen und die aufgewandte Seit und Mühe reichlich lohnen. 
Gerade in der in dieſer Hinficht ſehr reichlich bedachten Magdeburger Samm: 
lung bin ich immer wieder überraſcht geweſen, wie viele Beſucher die auf— 


1) Dal. dazu Czajka, W., Die Natur der vorgeſchichtlichen Candſchaft. Mad: 
richtenblatt für deutſche Vorzeit, IV, 1928, S. 65 --70. 

Solger, Fr., Geologiſche heimatfammlungen, In Schoenichen, W., Heimat: 
mufeen. Berlin-Cichterfelde 1928, S. 38 — 


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24] Die Meugeftaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 223 


gehängten oder in den Schränken ausgeſtellten Erläuterungs- und Überſichts⸗ 
tafeln mit lebhaftem Intereſſe ſtudierten und ſich Auszüge daraus machten. 

Man ſollte ſich auch bei der Entſcheidung der Frage nach Art und Um⸗ 
fang der Erläuterungen auf den Standpunkt ſtellen, daß der durchſchnittliche 
Muſeumsbeſucher nichts geleſen hat und keinerlei Vorkenntniſſe in der Dor, 
geſchichte mitbringt. Gerade geſchickt gehaltene, beſonders bedeutſame Fragen 
behandelnde Erläuterungen werden ihn am eheſten dazu führen, ſich eingehen- 
der mit der Vorgeſchichte zu beſchäftigen und feine Kenntniſſe auch durch 
häusliche Lektüre zu erweitern und zu vertiefen. Auf dieſe Weile wird der 
Vorgeſchichtsforſchung mancher neue Jünger zugeführt werden. Hinweije auf 
geeignete einführende Schriften, wie fie ſchon Jacob-Frieſen!) vorſchlägt, 
ſind daher auch in der Sammlung durchaus am Platze. 

Man wird vielleicht einwenden, daß eine ſo ausführliche Beſchriftung, 
wie ſie z. B. die Abb. 2 und 6 zeigen, und wie ich ſie im folgenden in einem 
Beiſpiel für die allgemeine Überſicht eines beſtimmten Seitabſchnittes wieder— 
gebe, einen gedruckten Führer überflüſſig mache. Das iſt jedoch keineswegs 
der Fall, ſofern man die verſchiedenartigen Aufgaben beider richtig zu ſcheiden 
verſteht: der Führer!) ſoll die großen Suſammenhänge geben, den Beſchauer 
zum richtigen Sehen und zur Betrachtung der Gegenſtände anleiten, ihn auf be— 
ſondere Einzelheiten aufmerkſam machen“); die Erläuterung in der Sammlung 
ſoll ihm den Gegenſtand ſelbſt näher bringen und ihn auf Fragen aufmerkſam 
machen, die ſich an dieſe oder jene Erſcheinung knüpfen. Mit anderen Worten: 
der Führer gibt das Allgemeine, die Erläuterung in der Sammlung das 
Beſondere. 

Auf kurze, allgemein zuſammenfaſſende Überblicke wird man natürlich 
auch in der Sammlung nicht ganz verzichten. Ich gebe ein Beiſpiel: 


Erſte Berührung zwiſchen Römern und Germanen 


Schon gegen Ende des zweiten vorchriſtlichen Jahrhunderts treten zum erſten Male 
die Germanen in engere Berührung mit den Römern. 113 - 101 v. Chr. gelangen 
Kimbern und Teutonen auf weiten Sügen durch Gallien und zum Teil ſogar durch 
Spanien an die Grenzen des römiſchen Weltreiches und verſuchen ſogar nach Italien 
einzubrechen, werden jedoch von Marius bei Aquae Sertiae (102 v. Chr.) und Dercellae 
(101 v. Chr.) geſchlagen und aufgerieben (vgl. das Wandbild über Schrank 5). 

Eine dauernde Berührung zwiſchen Römern und Germanen wird erſt mit der 
Eroberung Galliens durch Caeſar (58 — 51 v. Chr.) eingeleitet, der nach der Be 
ſiegung Arioviſts bei Mühlhauſen (58 v. Chr.; vgl. das Wandbild über Schrank 6) die 
römiſche Grenze an den Rhein verlegt und ſelbſt zweimal mit feinem heere auf das 
rechte Rheinufer überſetzt (Caeſars Rheinbrücke, vermutlich in der Gegend von Meus 
wied). Durch die dauernde Fühlungnahme zwiſchen beiden Völkern und das Beſtreben 
der Romer, ihre Reichsgrenze bis an die Elbe vorzuſchieben, wird die Periode der Romer: 
Germanenkämpfe eingeleitet, die zu den vielfachen Römerfeldzügen unter Druſus, 
Tiberius, Germanicus führt (vgl. die Karte der Römerfeldzüge), von denen jedoch das 
Mittelelbgebiet nur ſelten berührt wird. 


Als weiteres Beiſpiel diene eine ſpezielle Erläuterung zu den Megalith— 
gräbern der näheren Umgebung von Magdeburg, die neben den aus dem 
Kleinen Silberberg bei Barleben ſtammenden Gefäßen angebracht iſt: 


1) Dal. Anm. ), S. 209. 

2) Aud) hier ſollte man ſtrenger als bisher zwiſchen „Katalog“ und „Führer“ 
ſcheiden. Ein „Hatalog“ iſt eine ſtreng 1 Sufammenjtellung, die mit 
einem für die Belehrung des publikums beſtimmten Führer nicht verquickt werden darf. 

2) Dal. dazu Engel, C., Führer durch die vorgeſchichtliche Abteilung des Magde— 
burger Muſeums für Natur- und Heimatkunde. Erſcheint vorausſichtlich 1930. 


224 Carl Engel [25 


Der Grabfund aus dem Kleinen Silberberge bei Barleben (Kr. Wolmirſtedt) 


Einer der älteſten erhalten gebliebenen Grabfunde der Walternienburg-Bernburger 
Kultur ſtammt aus dem von Wiggert 1831 ausgegrabenen Kleinen Silberberg (un: 
mittelbar weſtlich vor den Toren der Neuen Neuſtadt). Er enthält neben reich verzierter 
Keramik des älteſten Walternienburger Stils drei unverzierte Gefäße, die einer früh⸗ 
bronzezeitlichen Nachbeſtattung angehören dürften. Sie ſtammen nach Wiggert „aus 
einem Grabe, neben dem Skelette ſtehend, das zwiſchen zwei Steinreihen lag“. 

Der Kleine Silberberg gehört zuſammen mit dem „Angelhoch“ bei Ebendorf, dem 
„Cauſehoch“ bei Klein⸗Ottersleben, dem Wartberg bei Schnarsleben und vermutlich auch 
dem Großen Silberberg bei Barleben zu den Megalithgräbern der nächſten Umgebung 
von Magdeburg, die danach von Angehörigen der Walternienburg⸗ Bernburger Kultur 
dicht beſiedelt geweſen ſein muß. 


Eine daneben aufgeſtellte Spezialkarte zeigt die Cage der einzelnen (heute 
melt nicht mehr oder nur noch in Reſten erhaltenen) Megalithgräber in der 
Umgebung von Magdeburg. 

Für die Berechtigung einer (natürlich weiſe beſchränkten) Erläuterung 
von Einzelfunden oder größeren Fundgruppen in der Sammlung ſelbſt ſpricht 
auch die Methode, die man neuerdings ſogar in den naturwiſſenſchaftlichen 
Muſeen in der Beſchildung einzelner Tiere und anderer Naturgegenſtände an- 
wendet, obwohl es ſich dabei met um Gegenſtände handelt, die dem Der: 
ſtändnis des Beſuchers viel näher gerückt find als vorgeſchichtliche Funde 1). 
Immer aber behält die Erläuterung in der Sammlung ſelbſt gegenüber dem 
Führer den bereits oben erwähnten Vorzug, daß fie unmittelbar zum Be— 
ſchauer ſpricht und ihm die Mühe der Übertragung vom Führer zum Gegen- 
ſtand erſpart. 

Jedenfalls machen die Erläuterungen am Gegenſtand den Führer nicht 
überflüſſig. Wir können — namentlich für die Lehrerſchaft — nicht genug 
vorgeſchichtliche Überjichten über die einzelnen Gebietsteile Deutſchlands be— 
ſitzen, wie erſt vor kurzem mit Recht betont worden ilt?). 

Don allergrößter Bedeutung aber für die Belebung des toten Stoffmate- 
rials ſcheint mir das Modell zu fein. Iſt es doch allein in der Lage, dem 
Laien ein anſchauliches Bild von dem Leben, der Siedlung, Tracht und der 
Wirkungsweiſe der Geräte unſerer Vorzeit zu vermitteln und dadurch das 
ausgeſtellte Fundmaterial zu wirklichem Leben zu erwecken. 

Das Modell kann in zweifacher Weiſe zur Anwendung kommen: 

1. in der Form einer naturgetreuen Nachbildung des Originalbefundes 
(3. B. eines Grabes oder einer Siedlungsſtelle); 

2. in der Form der Rekonſtruktion (z. B. von Häuſern, ganzen Sied- 
lungen, Burganlagen, Trachtfiguren, wertvollen, aber nur verſtümmelt er— 
haltenen Gegenſtänden, oder bei der Schäftung von Waffen und Geräten). 

Beide Formen werden in manchen Fällen nebeneinander anzuwenden 
fein, um den Originalbefund als Grundlage der Rekonſtruktion zu zeigen. 
Man vergegenwärtige ſich auch bei der Anwendung von Modellen ſtets, 
daß der Beſucher (namentlich der großſtädtiſche) nur in ſeltenen Fällen einer 
Ausgrabung beigewohnt hat und fic) daher keine klare Doritellung von der 
Anlage und dem wirklichen Ausfehen eines vorgeſchichtlichen Grabes, eines 
Urnenfeldes oder einer „Wohngrube“ machen kann, und ſei deshalb auch auf 


) Man vergleiche auch hierzu den bereits oben erwähnten Auffak von Simmer 
(ſiehe Anm. 2), S. 208), der auch nach dieſer Richtung hin ſehr lehrreiche Beiſpiele und 
Anregungen für den Prähiſtoriker bringt. 

) Geſchwendt, F., Schafft Lehrbücher! In Nachrichtenblatt f. deutſche Vorzeit, 
IV, 1928, S. 115-—114. 


26] Die Neugejtaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 225 


eine Ergänzung und Belebung des ausgeftellten Materials durch Lichtbilder 
von Ausgrabungen und vorgeſchichtlichen Denkmälern bedacht. 

Nicht minder lehrreich ſind Modelle, die die Schäftung und Anwendung 
von Waffen und Geräten zeigen. Auch typologiſche Entwicklungsreihen be— 
ſonders wichtiger oder charakteriſtiſcher Geräte und Waffen (3. B. Beil, Art, 
Dolch, Schwert), die die allmähliche Ausgeſtaltung und Umbildung der be— 
treffenden Formen in zuſammenhängender Folge zeigen, ſollten nicht fehlen. 
Für ihre Suſammenſtellung bieten die zuſammenfaſſenden Behandlungen ein— 
zelner Gerät: und Werkzeugformen in Eberts Reallexikon der Vorgeſchichte 
die beſten Unterlagen. 

Seit einiger Seit iſt auch das Intereſſe für Siedlung und hausbau der 
Vorzeit in erfreulichem Maße geſtiegen. Die muſeumstechniſche Auswertung 
moderner Siedlungs- und Befeſtigungsforſchung bietet ein ungeahntes, heute 
in feiner Dielfeitigkeit noch nirgends in vollem Umfange ausgewertetes An: 
ſchauungsmaterial, das wie kaum ein anderes dazu angetan iſt, das Intereſſe 
des Beſuchers zu feſſeln und ihm wertvolle Einblicke in die Lebensformen der 
Vorzeit zu eröffnen. Bahnbrechend ſind nach dieſer Richtung hin die Modelle 
des Römiſch-germaniſchen Sentralmujeums geweſen, deſſen große Sonderabtei— 
lung für Siedlungs- und Befeſtigungsweſen einen einzigartigen Einblick in 
Hausbau und Derteidigungsformen der Dorzeit eröffnete‘). Daneben haben 
auch die von Kiekebuſch geſchaffenen Modelle des Dorfes Buch äußerſt an— 
regend gewirkt). , 

So angebracht eine Sonderabteilung „Siedlungsweſen“ in einem großen 
Sentralmujeum wie dem Mainzer — ſchon wegen der Möglichkeit der darin 
zu ziehenden Vergleiche auch fein mag, fo habe ich es bei der Neugeſtaltung 
der Magdeburger Sammlung dod) ` den anderen Aufgaben entſprechend, 
die hier dieſer Abteilung zufallen - für beſſer befunden, die Modelle in die 
einzelnen Perioden einzuordnen, um fo ein möglichſt abgerundetes Bild 
der verſchiedenen Zeiträume nach allen Richtungen hin geben zu können 
(Abb. 7). Auch hierfür laſſen ſich allgemeine Grundfake und Regeln kaum 
aufſtellen, und in vielen Fällen wird allein die Raumfrage für die Anord— 
nung und Unterbringung der Modelle entſcheidend ſein. 

Trachtfiguren, wie fie ebenfalls zuerſt vom Römiſch-germaniſchen 
Sentralmufeum, ſpäter auch von der Landesanſtalt für Dorgeſchichte in 
Halle a. S.“) in vorbildlicher Weiſe ausgeführt worden ſind, dienen dazu, 
auch die Menſchen der einzelnen Seiträume dem Beſucher nahezubringen und 
ihm das Derftändnis für die Anwendung vieler vorzeitlicher Geräte (3. B. 
Fibeln, Schmuck) zu eröffnen, deren Sinn ihm ſonſt nur ſchwer erfaßbar iſt. 

nach Möglichkeit ſollten auch die Modelle (Gräber, Siedlungen, Burg— 
wälle) heimatkundliche Funde bevorzugen und nach eigenen Beobachtungen 
hergeſtellt werden“). Freilich wird hierbei eine Heranziehung von Beobach— 
tungen aus anderen Gegenden vorläufig noch um ſo weniger zu vermeiden 

1) Dal. dazu Schumacher, K., Materialien zur Beſiedlungsgeſchichte Deutſchlands. 
5. Katalog des röm.:german. Central-Mujeums. Mainz 1915. 

2) Dal. dazu HKiekebuſch, A., Aufgaben der vorgeſchichtlichen Sammlung im 
heimatmuſeum. In Schoenichen, W., Heimatmufeen. Berlin:Lichterfelde 1928, S. 171 
bis 192. 

EN Dal. dazu Girke, ©. Die Tracht der Germanen in vor- und frühgeſchichtlicher 
Seit. Mannusbibl., Nr. 23 u. 24. Leipzig 1922. Ferner hahne, h., Unſerer Vorgeit. 
Nachrichtenblatt f. deutſche Vorzeit, IV, 1928, S. 33 13. 

) Ob fie beſſer aus Gips, Holz oder pappe hergeſtellt werden, iſt nur von Fall 
zu Fall zu entſcheiden. 

mannus, Seitſchrift fur Vorgeſch., VII. Erg. Ad. 15 


226 Carl Engel [27 


fein, als wir gute, zu Rekonitruktionen brauchbare Funde bisher nur aus 
verhältnismäßig wenigen Gebieten Deutſchlands beſitzen. 

Überhaupt ſtehe ich hinſichtlich der heranziehung von Dergleichsmaterial 
auch aus anderen Gebieten (in Geſtalt von Nachbildungen oder Modellen) 
nicht auf ſo engem Standpunkt, wie er heute meiſt eingenommen wird. 

Hinſichtlich der Arbeitsgebiete ſollte natürlich unter den Muſeen ſtrengſte 
Abgrenzung herrſchen und herrſcht wohl auch heute allgemein (vielleicht mit 
Ausnahme der noch immer nicht geklärten Frage des Arbeitsgebietes der 
einzelnen heimatmuſeen). Vorbildlich find nach dieſer Richtung hin die Aus- 
führungen Lehners!), der für dieſe Fragen in ſeinen Leitjäßen eine allge⸗ 
mein gültige Norm aufgeſtellt hat, an der kaum etwas zu ändern ſein dürfte. 
Aud) das Derhältnis zwiſchen dentral-, Provinzial⸗, Bezirks- und Heimat- 
muſeen dürfte in der von ihm vorgeſchlagenen Faſſung die einzig mögliche 
Form der Cöſung bedeuten. 

Es ſei bei dieſer Gelegenheit darauf hingewieſen, daß gerade heute für 
die Vorgeſchichtsforſchung ein ſelten glücklicher Augenblick gekommen it, dieſe 
Fragen von Grund auf zu klären und in die der Fachforſchung erwünſchten 
Bahnen zu lenken. Ich meine damit die gerade jetzt an vielen Orten neu 
erſtehenden pädagogiſchen Akademien, auf denen heute eine Lehrergeneration 
herangebildet wird, die berufen fein dürfte, künftig der Träger des Heimat- 
gedankens und der heimatforſchung in der Provinz zu werden. Hier ſollte 
von ſeiten der Vorgeſchichtsforſchung von vornherein darauf gedrungen wer⸗ 
den, daß an allen pädagogiſchen Akademien (wie dies in Elbing 3. B. ſchon 
jetzt durch Ehrlich der Fall iſt) durch geeignete Fachforſcher vorgeſchichtliche 
Rule abgehalten werden. Im Rahmen folder Kurſe wird es nicht nur mög⸗ 
lich ſein, die neue Lehrergeneration als wertvolle Hilfskräfte für die Dor- 
geſchichtsforſchung ſachgemäß heranzubilden, ſondern ſie neben der Bedeutung 
der Heimatmuſeen auch über deren Pflichten gegenüber den Provinzial- und 
Zentralmuſeen unter größerem Geſichtswinkel aufzuklären und fo ein reibungs⸗ 
loſes Sufammenarbeiten der großen und kleinen Muſeen in Zukunft von vorn- 
herein zu gewährleiſten. Denn man wird in der Annahme nicht fehlgehen, 
daß die Engſtirnigkeit, mit der heute viele heimatmuſeen in einſeitigſter Weiſe 
ihre privaten Belange vertreten, zum größten Teil (ſofern nicht rein perſönliche 
Intereſſen eine noch unheilvollere Rolle ſpielen) auf mangelnder Geſichtsweite 
beruht, vor allem aber auf der Unfähigkeit, die eigene heimat im Rahmen 
der großen Zuſammenhänge zu ſehen. Hier aufklärend zu wirken und den 
Ausgleich zwiſchen allgemeinen und lokal begrenzten Intereſſen in die rich— 
tigen Bahnen zu lenken, dürfte eine der lohnendſten Aufgaben vorgeſchicht— 
licher Kurje an den pädagogiſchen Akademien fein’). 

Aud) bei der Ausgeftaltung größerer Sammlungen ſollte man eine allzu 
große „heimatliche“ Engſtirnigkeit vermeiden. Es bedeutet keine Konkurrenz 
für die großen Sentralmufeen in Berlin und Mainz, auch keinen „Abklatſch“ 
derſelben, wenn in den großen Provinzial- und Bezirkshauptſtädten eine Lehr— 


) Lehner, D. Das Heimatmufeum, feine Aufgaben und Siele, Formen und 
Organiſation. In Schoenichen, W., heimatmuſeen. Berlin-Cichterfelde 1928, S. 1—24. 

2) Dal. hierzu auch Jacob-Frieſen, VDorgeſchichtliche Lehrgänge im Prov. 
Muſeum Hannover. Dorgeſchichtliches Jahrbuch, II. Berlin und Leipzig 1928, S. 500f. 
Aud) für die Bearbeitung der von demſelben angeregten Flugblätter wird gerade auf 
den pädagogiſchen Akademien in geeigneter Weiſe der Boden bereitet werden können. 
Dal. Jacob-Frieſen, K. h., Flugblätter des Prov.-Muſeums Hannover. Nachrichten⸗ 
blatt f. deutſche Vorzeit, II, 1926, S. 17—20 und 36—38. 


28] Die Meugeftaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 227 


ſammlung zu finden iſt, die in einigen gut ausgewählten Nachbildungen dem 
Beſchauer Haupttypen vorgeſchichtlicher Hegenſtände vor Augen führt, die er 
unter dem heimatlichen Material nicht zu ſehen bekommt, wie etwa im Nor: 
den Deutſchlands ein Gefäß der Spiralkeramik oder der ſüddeutſchen Kerb- 
ſchnittkeramik, oder im Süden ein Gefäß der Tiefſtichkeramik oder eine Dous, 
und Geſichtsurne. 

Selbſtverſtändlich muß hier auf eine ſtrenge Scheidung derartiger „frem— 
der“ Stücke von den heimatlichen Funden gedrungen werden, unter denen ſie 
nicht den Anſchein erwecken dürfen, als käme derartiges auch im eigenen 
Arbeitsgebiete des Muſeums vor. Es empfiehlt fic) daher, wie dies 3. B. in 
Magdeburg geſchehen iſt, die Suſammenſtellung ſolcher Dergleichsitücke in be⸗ 
ſonderen, deutlich gekennzeichneten Typenſchränken. Kleinere Heimatmufeen 
ſollten freilich auf derartige Dergleichsſammlungen überhaupt verzichten und 
ſich ausſchließlich mit heimatlichem Material begnügen. 

Im übrigen bedenke man, daß nur wenige Nichtfachprähiſtoriker oder 
beſonders intereſſierte Altertumsfreunde bei einem Beſuche in Mainz oder 
Berlin die Seit aufbringen werden, ſich den dortigen Sammlungen in dem 
Maße zu widmen, wie es nötig iſt, um einen auch nur notdürftigen Überblick 
über das dort ausgeſtellte Material zu gewinnen. Und man ſollte auch be— 
rückſichtigen, daß gerade einige gut ausgewählte Nachbildungen fremder 
Stücke in Provinzial⸗ und Bezirksſammlungen im Beſucher den Hunger nach 
mehr erwecken und manchen zu einem Beſuche der großen Sentralmuſeen erſt 
veranlaſſen werden. 

Auch unſere größeren naturwiſſenſchaftlichen Sammlungen zeigen mit 
Recht neben der heimatlichen Tier- und Pflanzenwelt, die natürlich im Vorder⸗ 
grunde ſteht (ſtehen follte!), charakteriſtiſche Vertreter fremder Länder und 
Sonen. Soll ſich da die Vorgeſchichtsforſchung engſtirnig nur auf den kleinen 
Kreis der Heimat beſchränken und nicht wenigſtens hier und da den Derjud 
machen, den Blick auch für größere Zuſammenhänge zu eröffnen und die 
Heimat im Spiegel der Welt zu ſehen? 

Für das Magdeburger Muſeum war eine Erweiterung des heimatkund— 
lichen Materials nach dieſer Richtung hin von vornherein durch die reichen 
Beſtände der Sammlung Bauer geboten, in der dieſer als reger Altertums— 
ſammler ein vielgeſtaltiges Material aus den verſchiedenſten Gebieten 
Deutſchlands zuſammengebracht hatte, das nur verhältnismäßig weniger Er» 
gänzungen bedurfte, um eine — wenn auch beſcheidene — Ergänzung der 
heimatkundlichen Sammlung unter größeren Geſichtspunkten zu geſtatten. 

Schwierigkeiten bereitete die ſchon oben angeſchnittene Frage, wo dieſes 
fremde Material unterzubringen ſei. Es ergaben ſich zwei Möglichkeiten: 
entweder es ganz aus der heimatkundlichen Abteilung herauszuziehen und es 
geſchloſſen am Anfang oder Schluß derſelben als eigene Lehrſammlung unter— 
zubringen; oder es in Form von Sonderabteilungen zeitlich zwiſchen die hei— 
matlichen Funde einzuſchalten. Auch hier läßt ſich eine Regel kaum aufſtellen. 
Mir erſchien im gegebenen Falle die zeitliche Einordnung in Beitalt von bez 
ſonderen Typenſchränken am Anfang oder Ende der großen Heitabſchnitte 
ratſam, um das geſchloſſene Kulturbild derſelben zu erweitern und einen be— 
quemen Oergleich mit den heimatlichen Funden zu ermöglichen. So erſchien 
es 3. B. beſonders angebracht, die rein Lauſitziſchen Funde Oſtdeutſchlands der 
lauſitziſch-nordiſchen Miſchkultur des Mittelelbgebietes, Funde aus der oſt— 
deutſchen Geſichtsurnenkultur der mitteldeutſchen Hausurnenkultur gegen— 
überzuſtellen, oder einen ſchnellen Vergleich der heimatlichen Fibeln und 


15 * 


228 Carl Engel [29 


anderer Schmuckſtücke der HKaiſer⸗ und Dölkerwanderungszeit mit gleich⸗ 
zeitigen Formen vom Rhein oder aus Oſtdeutſchland zu ermöglichen. 

Eine weitere Ergänzung des heimatlichen Fundmaterials wurde durch 
ein auf größere Fuſammenhänge hinweiſendes Bildmaterial erſtrebt, das die 
Verbindungen auch zu fernen Ländern aufnehmen und die heimatliche Dor, 
zeit in einen weltgeſchichtlichen Rahmen hereinſtellen ſoll. Der den Altſteinzeit⸗ 
ſaal ſchmückende Wandfries paläolithiſcher Felszeichnungen und höhlenmale⸗ 


Abb. 7. Blick in den Bronzezeitſaal der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 
Modelle und Wandfries 


reien (Abb. 1) ſtellt ja heute nichts Neues mehr dar, da man ſich mit Recht 
bereits an verſchiedenen Stellen bemüht hat, der Allgemeinheit einen Ein— 
blick in die großartigen Kunſtleiſtungen aus früheſter Menſchheitsgeſchichte 
zu vermitteln. Aber auch bei dem den Bronzezeitſaal umlaufenden Fries habe 
ich mich bemüht, Hinweiſe auf die Gleichzeitigkeit der heimiſchen Kultur mit 
anderen bekannten Erſcheinungen zu geben und habe mich dabei nicht ge— 
ſcheut, zu Vergleichszwecken auch Bilder aus der Bronzezeit des Nordens (ſkan— 
dinaviſche Felſenzeichnungen), der ſüddeutſchen hügelgräberbronzezeit, ja, 
ſelbſt der Mittelmeerwelt (Troja, Myken, Thiryns) heranzuziehen (Abb. 7). 
Für den letzten, frühgeſchichtlichen Saal reichten leider die Mittel zur Her— 
ſtellung eines eigenen Bilderfrieſes nicht mehr aus. Trotzdem ſollte auch hier 


30] Die Neugeſtaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 229 


auf eine Ideenverbindung der ausgeſtellten Altertümer mit gleichzeitigen ge: 
ſchichtlichen Ereigniſſen nicht verzichtet werden. So wurde für die Welt der 
klaſſiſchen Antike, der Römer: und Germanenkämpfe, der Dölkerwanderungs: 
zeit, der germaniſchen Hheldenſage und der Chriſtianiſierung auf Schulwand: 
bilder zurückgegriffen, unter denen freilich trotz aller Bemühungen kaum in 
einem Falle ein Bild zu finden war, das ohne ſchwere Bedenken — ſachlicher 
wie äſthetiſcher Art — hätten ausgeſtellt werden können (ein Beweis, wie 


— 2 


Abb. 8. Blick in den frühgeſchichtlichen Saal der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 
Germanen-, Kelten- und Römerbüſten 


dringend notwendig die Schaffung neuer frühgeſchichtlicher Schulwandbilder 
unter gleichzeitiger Berückſichtigung archäologiſcher Sachkenntnis wie mo— 
derner künſtleriſcher Forderungen iſt!). Wenn ſolche Bilder trotzdem zur Be— 
lebung der Sammlung herangezogen wurden, ſo geſchah es mit dem vollen 
Bewußtſein, daß ſolche Bilder nur ſo lange als Aushilfe dienen ſollen, bis 
ſie (hoffentlich recht bald!) durch beſſere erſetzt werden können; dann aber 
auch in der Meinung, daß eine jugendfriſche Wiſſenſchaft wie die Dorgeidhichte 
ſich eher einmal einen äſthetiſchen Capſus erlauben, als auf eine Verbindung 
ihres Stoffmaterials mit den ſchon in der Ideenwelt des Beſuches vorhandenen 
Anknüpfungspunkten (Stoffe der deutſchen Heldenſage uſw.) verzichten darf. 
Zudem bin ich der Meinung, daß ein ſchwächlicher und dekadenter Aſthetizis— 


230 Carl Engel [31 


mus überall anders Raum beanſpruchen darf als in der gerade heute ſich fo 
kraftvoll entwickelnden Dorgeſchichtsforſchung. In ihr kommt es zunächſt 
einmal darauf an, die Tatſachen ſelbſt dem Beſucher nahezubringen und für 
ihre Ausdeutung Deritändnis bei ihm zu erwecken. Und dazu müſſen alle nur 
irgend verfügbaren Hilfsmittel herangezogen werden. 

Zu ſolchen zählen auch einige Modelle, in denen Lebensbilder mit Hilfe 
von Zinnfiguren geſtellt ſind, ein Derjuch, der ſich übrigens gut bewährt hat, 
und der ſtets das lebhafteſte Intereſſe der Beſucher findet. Die in den Mu— 
ſeumsbeſtänden vorhandene Bauerſche Sammlung römiſcher Altertümer for— 
derte geradezu heraus, dem Beſchauer einen anſchaulichen Vergleich zwiſchen 


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Abb. 9. Modell einer Villa rustica im Moſeltal 


der einfachen ländlichen Kultur des naturfriſchen Germanenvolkes und der über— 
feinerten römiſchen Weltſtadtziviliſation am Rhein zu geben, ein Dergleidy, 
der in Geſtalt dreier nebeneinander ſtehender Modelle zum Ausdruck kommt, 
die ein weſtgermaniſches Gehöft zur Römerzeit, den Limes, und eine Villa 
rustica im Moſeltale (Abb. 9) zur Darſtellung bringen. Die von den Sinnfiguren— 
ſammlerbund „Clio“ unter der Leitung von Amtsgerichtsrat Wengert 
(Magdeburg) mit großer Liebe und Sorgfalt nach originalgetreuen Vorlagen 
hergeſtellten Modelle werden durch eigens für dieſen Sweck gegoſſene und 
ebenſo naturgetreu wie künſtleriſch bemalte Sinnfiguren belebt (Abb. 9). 
Huch hier ſind Modell und Lebensbild Führer zum Gegenſtand, zu den „Alter— 
tümern“ ſelbſt. 

Dem gleichen Zwecke dienen auch einige körperliche Darſtellungen: Ger— 
manen-, Gallier- und Römerbüſten aus dem Kreiſe der antiken Kunſt 
(Abb. 8), die keine Konkurrenz, auch kein verkleinertes oder verwäſſertes 
Nachbild der einzigartigen Sammlungen des Römiſch-germaniſchen Sentral— 


32] Die Neugeſtaltung der Magdeburger vorgeſchichtlichen Sammlung 931 


mufeums fein wollen), ſondern Hinweiſe, die das Blickfeld des Beſuchers er, 
weitern, das Geſamtbild reicher, farbiger und bunter machen und den Bez 
ſchauer zum Verweilen einladen wollen, indem fie ihn von Bild, Modell und 
Erläuterung allmählich zum Weſentlichſten führen: zum Derftändnis der Gegen⸗ 
ſtände, der heimatlichen Altertumsfunde ſelbſt. 

Größte Surückhaltung habe ich mir in der Behandlung hypothetiſcher 
Fragen auferlegt, wenngleich ich ihnen nirgends ängſtlich ausgewichen bin. 
Ganz zu vermeiden iſt ihre Berückſichtigung kaum, will man nicht auf viele 
Anknüpfungspunkte, die gerade den Laien beſonders intereſſieren, völlig Ger, 
zichten. Immer aber habe ich es mir zur RKichtſchnur gemacht, alle noch 
unſicheren Derjuche oder hnpothetiihen Ausdeutungen der Forſchung deutlich 
als ſolche zu kennzeichnen. Gerade hier iſt in manchen Muſeen ein nicht 
unbeträchtlicher Wandel erwünſcht: es iſt unſerer Wiſſenſchaft wenig damit 
gedient, wenn dem Laien mit päpſtlicher Sicherheit perſönliche Meinungen 
vorgetragen werden, deren Unfehlbarkeitsglaube vielfach nur auf einer Über— 
ſchätzung unſerer wirklichen Kenntniſſe oder gar auf mangelnder Weitſicht 
beruhen. Auch hier ſollte es erſte Pflicht der Schauſammlung ſein, den Be— 
ſucher zwar mit der Fülle der fic) ergebenden Ausblicke bekannt zu machen, 
aber ihn auch zur Beſcheidung mit den heute geſicherten Forſchungsergebniſſen, 
d. h. zur Beſcheidenheit, zu erziehen. 

Die Wirkung der im vorſtehenden geſchilderten Neugeſtaltung der Magde— 
burger vorgeſchichtlichen Sammlung hat ſich in dem ſeither verfloſſenen halben 
Jahre deutlich gezeigt in dem gegen früher außerordentlich geſteigerten Beſuch 
des Muſeums !). Gegenüber den bisher im Dordergrunde des Intereſſes eben, 
den naturwiſſenſchaftlichen Sammlungen weiſt heute die vorgeſchichtliche Ab— 
teilung bei weitem die größte Beſucherzahl auf. Die Inanſpruchnahme ſeitens 
der die Sammlung beſuchenden Schulen hat derartig zugenommen, daß der 
Andrang an manchen Wochentagen ſchwer zu bewältigen iſt. Auch die Ein⸗ 
richtung beſonderer „vorgeſchichtlicher Arbeitsgemeinſchaften“ an den höheren 
Schulen“) darf wohl in der Hauptſache auf Konto der Neugeſtaltung gebucht 
werden, wenn auch natürlich eine umfangreiche Werbetätigkeit, teils durch 
Führungen), teils durch die Tagespreſſe oder durch Vorträge das ihrige dazu 
beigetragen haben wird. Immerhin ſcheint es mir jedoch ein weſentlicher 
Fortſchritt zu ſein, wenn die Sammlung heute von den Beſuchern nicht mehr 
— wie bisher — in Eile durchlaufen wird, ſondern wenn dieſe ſich Seit 

1) Dal. dazu Schumacher, KH., Verzeichnis der Abgüſſe und wichtigeren Photo: 
graphien von Germanendarſtellungen. 1. Katalog des Römiſch-germaniſchen Sentral— 
mufeums, 3. Aufl. Mainz 1912. Schumacher, H., Verzeichnis der Abguſſe und wid: 
tigeren Photographien von Gallierdarſtellungen. 3. Katalog des Römiſch-germani— 
ſchen Sentralmuſeums. Mainz 1911. 

) Dal dazu v. hammerſtein, Die kulturelle Bedeutung der Dorgeſchichte 
unter beſonderer Berückſichtigung Magdeburgs. In: Die Elbe, Seitſchr. d. Wirtſchafts— 
verbandes für den Regierungsbezirk Magdeburg, 1929, 8. Ig., Heft 4, S. 100 102. 

8) Dal. dazu Dähring, J., Das Magdeburger Muſeum für Natur- und Heimat» 
kunde in feiner Bedeutung für den vorgeſchichtlichen Unterricht. Montagsblatt der 
Magdeburgiſchen Seitung, 1928, 70. Jg., Nr. 56, S. 295 200. Dal. hierzu ferner: 
Gollniſch, Die Vorgeſchichte in der höheren Schule. Nachrichtenblatt für deutſche 
Vorzeit, IV, 1928, S. 97 102 (mit Lehrplänen). — CTetzſch, Die heimiſche Dor: 
geſchichte in Lehrplan und Unterricht des ſtaatl. Pädagogiums in Putbus (Rügen). 
Ebenda, II, 1926, S. 59-61. — Jacob-Frieſen, K. h., Anleitung zur Benutzung 
der prähiſtoriſchen Sammlungen im Unterricht. Hannover 1925. - Gefdpwendt, F., 
Die Urgeſchichte in der Schule. Eine Einführung. Breslau 1926. 

4) So wurden allein in den Monaten November und Dezember 1928 über J00 Ar: 
beiter an Sonntagen durch die Sammlung geführt. 


232 Carl Engel [33 


nehmen, hier und da bei den ausgeſtellten Erläuterungen, Seittafeln und 
Modellen länger zu verweilen und ſich an ihrer Hand mit den Funden ſelbſt 
auseinanderſetzen. 

Es liegt mir ferne, die von mir eingeſchlagene Methode als die allein- 
ſeligmachende hinzuſtellen. Es führen viele Wege nach Rom, und auch andere 
Kufſtellungsgrundſätze haben — wie jede Methode — vieles für und manches 
gegen ſich. Aber vielleicht wirken meine Ausführungen anregend und belebend 
auf den weiteren Ausbau der vorgeſchichtlichen Muſeumstechnink, die ja nichts 
Feſtſtehendes iſt, ſondern — wie alle Dinge — fließt, und hoffentlich in Au: 
kunft einen recht ſchnellen und günſtigen Aufſchwung nehmen wird; einen 
Aufſchwung in dem Sinne, daß fie die Ergebniſſe der vorgeſchichtlichen For— 
[hung auch in weitere Volkskreiſe trägt und in ihnen das Intereſſe an der 
deutſchen Vorzeit fördert und belebt. 

Aud) der heutige Suſtand der Magdeburger vorgeſchichtlichen Samm— 
lung iſt nur etwas Vorläufiges; ein Anſatz zu weiterer Entwicklung, ein erſter 
Wurf zum diel und ein Verſuch, der dringend weiterer Ausgejtaltung und 
Klärung bedarf. Wie alle erſten Derſuche trägt auch er noch die Eierſchalen 
des Experimentes an ſich, und ich darf offen bekennen, daß, wenn ich die Neu⸗ 
aufſtellung heute noch einmal vorzunehmen hätte, ich ſie in vielen Punkten 
anders, vor allem noch einfacher, noch klarer und überſichtlicher geſtalten 
würde; daß ich dabei die wirtſchaftlichen Lebensbedingungen, die erfahrungs⸗ 
gemäß den Laien am meiſten intereſſieren, noch mehr in den Mittelpunkt der 
Darſtellung rücken und ihnen gegenüber die rein geſchichtliche Einzelentwick- 
lung zurücktreten laſſen würde. Aber vielleicht ſind gerade die mannigfachen 
noch vorhandenen Mängel und Fehler ein Anreiz für andere zum Beſſermachen 
und damit ein Weg zum Weiterkommen. 

Die verſchiedenartige Ausgeſtaltung anderer Sammlungen — und die 
Fülle der Möglichkeiten iſt nach jeder Richtung hin unbegrenzt! — wird in 
Zukunft zeigen, welche der eingeſchlagenen Wege hier beſonders zu bevor— 
zugen ſind. Eines aber darf und muß man von jeder vorgeſchichtlichen Schau— 
ſammlung - nicht nur zum Beſten des Laien, ſondern auch des Fachforſchers — 
fordern: daß ſie einen klaren und anſchaulichen Überblick über alle weſent— 
lichen Erſcheinungen des von ihr behandelten Gebietes (ſei es nun Kreis, Be— 
zirk oder Provinz) bietet und auch dem nicht mit dem dortigen Material Der, 
trauten eine ſchnelle Überſicht und Einfühlung in die vorgeſchichtlichen Der: 
hältniſſe der betreffenden Gegend ermöglicht. Um dieſes diel zu erreichen, 
find freilich eine völlige Beherrſchung des in einer Landſchaft vertretenen 
Fundmaterials jowie der darüber vorhandenen Literatur ebenſo unerläßlich 
wie ein gewiſſes pädagogiſches Talent, das es verſteht, aus der Fülle der Er— 
ſcheinungen das Weſentliche auszuwählen, beſonders hervorzuheben und an— 
ſchaulich darzuſtellen. 


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Geſellſchaſt für oͤeutſche Vorgeſchichte 


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Feitſchriſt für Vorgeſchichte 


begründet und herausgegeben von Prof. Ddr. Guſtaf Roſſinna 


VIII. Ergänzungsband 
Bericht über die elfte Tagung für Vorgefchichte 
Königsberg, 24. Juli bis 2. Auguſt 1930 


herausgegeben von 


Guſtaf Roſſinna 


Mit 30 Abbildungen im Text und auf einer Tafel 


Ceipzig -Derlag von Curt Kabitzſch 
1931 


Alle Rechte, insbeſondere das der Überſetzung, vorbehalten 
Printed in Germany 


Drud von Auaujt Pries in Leipzig 


Inhaltsverzeichnis 


I. Wiſſenſchaftliche Vorträge 


Koſſinna, Guſtaf (Berlin): Die Anfänge der Eiſengewinnung und der Eiſen— 
bearbeitung. Mit 12 Abbildungen im Text und auf Tafell . .. l . 
Deb von Wichdorff (Berlin): Neue Unſchauungen über die Diluvialgeologie Oft: 
Reni. 8 
Ziegenſpeck, hermann (Königsberg i. Pr.): Das Waldbild und die Klimaſchwan⸗ 
kungen Oſtpreußens unter der Einwirkung des prähiſtoriſchen Aderbaus . .. 
Engel, Carl (Königsberg i. Pr.): Zur Bauart und Chronologie der oſtpreußiſchen 
Hiigelgraber (Kurzer Auszug). Mit 14 Abbildungen im Gert. ....... 
Ehrlich, D B. (Elbing): Die Toltemita, die erſte nachweislich germaniſche Burg 
Oſtpreußens (Referat). Mit 4 Abbildungen. `, . 2. > 2: 2 2 onen 
Radig, Werner (Dresden): König heinrich I. und die oſtdeutſche Archäologie. 
Mit einer Karte und einem SiegelnnzIQͥaõ .. 
Ca Baume, W. (Danzig): Die vorgeſchichtliche handſpindel und ihr Gebrauch 
(Kurzer Auszug). Mit 4 fbbildungeennnnnsze ww 
Schultz, Wolfgang (Görlitz): Die altgermaniſchen Zwillingsgötter (Auszug) . . . 


II. Außerer Verlauf der Tagung 


Kojjinna, Guſtaf (Berlin): Außerer Verlauf der Tagung. Mit 5 Textabbildungen 
Warum wir nach Oſtpreußen fahrenFmwnwninʒQuimnmUmUU nn 
Donnerstag, den 2 Jul... 
Freitag, den 25. Juli. Geſchäftsſitzunnni Vg v„?et U ne nn 
Sonnabend, den 26. Juli. Begrüßungsanſprachen und Feſtabend in der Stadthalle 
Sonntag, den 27. Juli. Ausflug an die Samland küſ teu. .. 
Montag, den 28. Juli. Ausflug nach der Kurifhen Nehrung. 

Engel, Carl (Königsberg i. Pr.): Zur Dorgeſchichte der Kuriſchen Nehrung. Mit 

16 Abbildungen im Tentt sſdkkkkkkk......f. 

Deh v. Wichdorff (Berlin): Die Maſurenfahrt v. 29.—51. Juli 1950. Mit 1 Ab⸗ 

ef... EE EE 

Ehrlich, D B. (Elbing): Aufenthalt in Elbing. `, 

Schmid, Bernhard (Marienburg): Beſichtigung der Marienburg am 2. Auguft 1930 

Voigtmann, K. (Marienburg): Das Städtiſche Mujeum zu Marienburg. . .. 

Wilcke, R. (Jeitzz Danzig. — 5. ww iu. 2 2 ra wa ame ea 
Verzeichnis der 107 TCeilnehmeeegeukWAMzʒ.ůů ʒl̃UU n 


1208231 


Seite 


71 
74 


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I. Wiſſenſchaftliche Vorträge 


Die Anfänge der Eiſengewinnung und der 
Eiſenbearbeitung 


Don Guſtaf Roſſinna, Berlin-Cichterfelde 
Mit 12 Abbildungen im Text und auf Tafel I 


Wer die Vorgeſchichte Oſtpreußens mit einem Blick überfliegt, ſei es 
bei einem Gang durch die Säle des Pruſſiamuſeums oder an der Hand lite- 
rariſcher Darſtellung, dem wird es auffallen, wie außerordentlich ſtark in 
Oſtpreußen, anders als in den meiſten anderen deutſchen Landſchaften, die 
hinterlaſſenſchaft aus den Perioden der Eiſenzeit in den Vordergrund tritt 
und die der Steinzeit und noch mehr der Bronzezeit an Umfang weit überragt. 
Ja, für viele Jahrhunderte nachchriſtlicher Eiſenzeit bietet Oſtpreußen einen 
archäologiſchen Stoffreichtum, der von keiner Landſchaft in der ganzen Welt 
auch nur annähernd erreicht wird. Deshalb ſcheint es nicht unangebracht, 
bei einer Tagung für Vorgeſchichte in Oſtpreußen eine Sache näher ins Auge 
zu faſſen, die unmittelbar am Eingange dieſes jüngſten Jeitabſchnittes unjerer 
Vorzeit, der Eiſenzeit, ſteht: die Anfänge der Eiſengewinnung und 
der Eiſenbearbeitung. Wir haben es alſo mit zwei Fragen zu tun, deren 
Reihenfolge, wie jie eben gegeben wurde, rein logiſch angeſehen, die richtige 
zu ſein ſcheint. 

Allein die geſchichtliche Betrachtung dieſer Fragen zwingt uns, die 
Reihenfolge umzukehren, aus dem Grunde, weil der Eiſenhandel es ermög— 
lichte, daß mit Ausnahme der Urheimat, des eigentlichen Entdeckungsherdes 
der Eiſengewinnung, die Eiſen bearbeitung überall weit früher einſetzen 
konnte und tatſächlich auch einſetzte, als die Eiſenge winnung. 

Die Eiſenzeit eines Landes beginnt mit dem Zeitabſchnitt, wo eine 
umfangreichere Bearbeitung des Eiſens einſetzt, die vor allem auch mit der 
Herjtellung von ſchneidenden und ſtechenden Geräten und von Waffen aus 
Eiſen vertraut ijt. Eine ſolche Zeit tritt auf dem germaniſchen Gebiete Nord— 
deutſchlands erſt etwa um 700 v. Chr. ein. Dieſe Erkenntnis wurde freilich 
in der Mitte des vorigen Jahrhunderts und noch ſpäterhin von einem Kreiſe 
weſt⸗ und ſüddeutſcher und auch ausländiſcher Gelehrter heftigſt bekämpft, 
ſchließlich aber ohne Erfolg. Von Laien kann man aber auch heute noch den 
Einwurf hören: Warum wurde Kupfer, Zinn, Nickel, Arſen, Antimon, Blei, 
vor allem auch Gold ſo viel eher gewonnen und bearbeitet, als das ſo weit— 
verbreitete und gegenüber jenen ſelteneren Metallen in der Natur doch in 
geradezu gewaltigen Maſſen auftretende und daher heute ſo billige Eiſen? 

Man hat die unumſtößlich feſtſtehende Tatſache des ſpäten Auftretens 
des Eiſens gegenüber dem von Kupfer und Zinn allein damit erklären wollen, 

Mannus, ZJeitſchrift für Vorgeſchichte, VIII. Erg.-Bd. 1 


2 Guftaf Koffinna [2 


daß Kupfer aus Kupfererzen ſehr viel leichter zu erſchmelzen fei, als Eijen 
aus Eiſenerzen, nämlich ſchon bei 800° (nach Neuburger jedoch 1100°) Hitze, 
während für das Erſchmelzen d. h. Slüſſigmachen des Schmiedeeiſens aus 
dem Eiſenerz das Doppelte, alſo 1600“ hike Vorbedingung fei. Es ver⸗ 
ſchlägt wenig dabei, daß für Gußeilen fic) dieſe Zahl auf 1225 ermäßigt. 
Solche Higegrade auch nur annähernd zu erreichen, iſt dem Altertum 
nirgends gelungen. Ein wohl noch wichtigerer Grund für die Unkenntnis 
des Eiſens lag indes darin, daß die unſcheinbaren farbloſen Eiſenerze den 
Menſchen nicht jo ſehr in die Augen fielen, wie 3. B. die bunten, oft 
ſchwefelgelben Kupfererze. 

hin und wieder, freilich äußerſt ſelten, erſcheint in der Natur ein Stück 
reinen Eiſens, ſei es nun Meteoreiſen oder gediegenes irdiſches Eiſen. Meteor: 
eiſen iſt freilich äußerſt ſchwer zu bearbeiten. Man kann es nur auf härteſtem 
Geſtein abſchleifen. 

Warum ſollte aber nicht ein zufällig gefundenes Stück irdiſchen reinen 
Eiſens, das ja verhältnismäßig weich iſt, einmal durch hämmern ebenſo 
bearbeitet worden ſein, wie man Kupfer kalt ſchmiedete und ſpäter auch die 
gegoſſene Bronze mit dem hammer bearbeitete? 

Solch einen Fall haben wir, wenn zu Gerzet, ſüdlich von Kairo, in 
zwei Gräbern der 1. äguptiſchen Dynaltie, alſo noch früher als 3000 v. Chr., 
Eiſenperlen in Form kleiner zulindriſcher Röhren entdeckt wurden. Do aller: 
dings von den Perlen nur noch Oxud übrig geblieben iſt, jo handelt es ſich 
vielleicht nur um Brauneiſenſtein. Mögen die Perlen aber auch gediegenes 
metalliſches Eiſen ſein, ſo liegt hier nur eine ſeltſame Merkwürdigkeit vor, 
keineswegs der Beginn einer Eiſenzeit. Aus dem Norden kennen wir zwei 
Sälle, wo Eiſen in Gräbern aus der 2. Hälfte der 3. Bronzezeitperiode erſcheint, 
alſo aus dem 14. Jahrhundert: 1. in einem Grabhügel auf Seeland, der 
auf dem Boden ein Stück Eiſen nebſt Zeugreſten enthielt; 2. in einem Grab- 
hügel auf Bornholm, worin neben Bronzegegenſtänden eine eiſerne Mlejjer- 
klinge zum Vorſchein kam. In letzterem Salle könnte allerdings das Eiſen 
entweder als fertiges Gerät oder vielleicht als Roheiſen durch den handel 
eingeführt worden ſein. Wir werden ſpäter noch mehr ſolche Salle kennen⸗ 
lernen, wo Eiſengeräte in einem Lande erſcheinen, bevor dort eine richtige 
Eiſengewinnung aufgekommen war. 

Nach gewiß unendlich langen vergeblichen Verſuchen iſt man aber 
ſchließlich doch zu regelrechter Eiſengewinnung gelangt. Freilich konnte man 
im Altertum, wie ſchon bemerkt, das Eiſen nicht flüſſig machen. Das war 
aber auch nicht nötig. Man gewann das Eiſenerz im Orient und in Südeuropa 
aus oberflächlich liegenden Erzlagern oder in Mittel- und Nordeuropa aus 
leicht zugänglichem Raſeneiſenſtein oder Sumpfeiſenerz, wie es in ſumpfigen 
Wieſen oder auf Brüchen im Walde häufig vorkommt, und konnte dies in 
niedrigen Schichtöfen oder Schachtöfen mittels des fog. Rennverfahrens 
bei einer Hitze von 700“ ſo erweichen, daß daraus eine zähe, wachsartige Maſſe 
unreinen Eiſens ſich abſonderte, die ſog. Eiſenluppe. Dieſe Luppe wurde 
dann durch hämmern von den letzten Schlacken befreit und zu annähernd 
reinem Eiſen umgearbeitet. 

Der hammer mußte zwar auch ſchon in der Zeit des alleinherrſchenden 
Bronzeguſſes ſtark angewendet werden, aber im ganzen geſchah dies doch 
in beſchränkterem Maße, wenigſtens bei Bronzegegenſtänden, in vollem Maße 
dagegen bei Bearbeitung des Goldes. Seit Beginn der Eiſenbearbeitung 


3] Die Anfänge der Eiſengewinnung und der Eiſenbearbeitung 3 


ſpielte der hammer aber die größte Rolle; das Schmiedehandwerk im höheren 
Sinne kam erſt jetzt auf. 

Doch lange Jeit hindurch konnte trotzdem das Eiſen im Werkweſen 
keine nennenswerte Bedeutung gewinnen. Es gelang anfangs nur, ganz 
geringe Mengen davon herzuſtellen. Dieſer koſtbare Stoff reichte gerade 
nur hin, ihn zu kleinen Schmuckſachen zu verarbeiten oder gar nur als Schmuck- 
einlage in Bronzegeräte zu verwenden, ſo in Bronzearmbänder oder in 
Bronzegriffe von Bronzeſchwertern. Irgend etwas beſonders Wertvolles ver: 
mochte man in dem neuen Metall anfangs nicht zu ſehen, außer daß es eben 
neu und ſelten war, gewiſſermaßen eine Rurioſität. Das weiche Eiſen war zu⸗ 
nächſt durchaus kein beſſerer Stoff für Waffen als Bronze, denn Bronze über: 
trifft das Eiſen an Elaſtizität wie an Schärfe. 

Zu einer richtigen Eiſenzeit gehört, daß das Eiſen für Werkzeuge 
und bejonders für Waffen in erſter Linie verwendet wird. Aus Schmiede⸗ 
eiſen laſſen ſich wohl gute Schutzwaffen herſtellen; aber Ungriffswaffen aus 
Schmiedeeiſen ſind gegen ſchmiedeeiſerne Panzerung ganz wirkungslos; weit 
beſſer würden dazu die harten, ſcharfen Bronzeſchwerter gedient haben. Dom 
erſten Auftreten des Eiſens als einem „Fortſchritt“ gegenüber der bisherigen 
Bronzeverwendung zu reden, wäre alſo ſo verkehrt wie möglich. 

Erſt ein guter Stahl zeigt ſeine Überlegenheit über Bronze auch für 
Angriffswaffen. Man gelangte erſt ganz allmählich dazu, ſolchen Stahl nicht 
bloß durch Zufall — wenn nämlich das Erz ſehr lange in der Holzkohlenglut 
verweilte —, ſondern in bewußter Abjicht herzuſtellen. Man erreichte dies 
durch mehrmaliges Ausſchmelzen der Eiſenluppe, die dadurch mehr Rohlenſtoff 
aufnahm. Stahl ijt nämlich ein Eiſen mit mehr als 0,6% Kohlenſtoffgehalt. 
Immerhin wurde Eiſen und Stahl bis etwa um Chriſti Geburt nur in recht 
kleinem Husmaß hergeſtellt; an eine Maſſenproduktion, nach unſeren Be— 
griffen gemeſſen, war ſogar im ganzen Altertum nicht zu denken, ſelbſt noch 
nicht im Mittelalter. Wollte man größere Blöcke Roheiſen herſtellen, konnte 
man dies nur in der Weiſe tun, daß man den Ertrag aus öfterem Schmelz— 
verfahren in einem neuen Feuer ſich verkitten ließ. 

Wenn wir nun fragen: Auf welche Weiſe kamen die Germanen Nord— 
deutſchlands zur Eiſenbearbeitung und weiter zu eigener Eiſenerzeugung, ſo 
müſſen wir uns angeſichts des ſo ſpäten Zeitpunktes dieſes Ereigniſſes, nämlich 
erſt etwa 700 v. Chr., nach anderen Ländern umſehen, von denen her die 
Germanen die Unregung hierzu erhielten. 


Die herſtellung des Eiſens in ſolcher Weiſe, daß ſein Gebrauch allgemein 
wurde und die materielle Grundlage der Ziviliſation bildete, war mit ſolchen 
Mühen verbunden, daß dieſe Erfindung ſchwerlich an mehreren Orten erfolgt 
ſein kann. 

Lange Zeit hat man feſt geglaubt, Aqypten fei die heimat der Eiſen— 
technik, ja dieſe ſei dort bereits zur Zeit der erſten Dynaſtien geübt worden. 
Man ſagte ſich: Die Pyramiden und andere gewaltige Bauwerke dieſer Zeit, 
die um 2800 v. Chr. beginnt, könnten nur mit Eiſen- oder vielmehr Stahl— 
geräten errichtet worden fein, nicht etwa mit Bronze-, Kupfer: oder gar Stein: 
geräten. Eine ſolche rein theoretiſche Erwägung beſagt jedoch gar nichts, 
wenn man bedenkt, daß man bei uns im Norden in der Steinzeit ohne An: 
wendung irgnnd eines Metalls, nur mit Geräten aus Stein, Holz uſw., den 
Stein nicht nur zu durchbohren, ſondern auch zu ſägen verſtand. Außerdem 

1* 


4 Guſtaf Roſſinna [4 


bieten das alte Mexiko und Mittelamerika Beiſpiele reichſter Bauten aus 
hartem Stein, ohne daß dort Kenntnis des Eiſens beſtand. 

voll beweiskräftig dagegen iſt das Fehlen jeglicher Eiſengeräte in der 
mittelägyptijchen Urbeiterſtadt Kahun, die König Sefoftris II. von der 12. Dy- 
naſtie um 1900 lediglich für den Bau der nahebei gelegenen Pyramide von 
Illahun angelegt hatte. Dasſelbe ijt bei der Kahun benachbarten Arbeiter: 
ſtadt Gurob der Fall, die von 1500 —1250 beſtand. Umgekehrt kennen wir 
aus der Zeit der 18. Dynaltie (1580 —1550) viele Bronzewerkzeuge und 
Bronzewaffen. Zwar wird in den Reilſchriften der Amarnazeit, alſo im 
15.—14. Jahrhundert, von Eiſen geſprochen, aber nur als einem ſeltenen und 
teuren Metall. Und wenn unter den Geſchenken des hetiterkönigs Tuſchratta 
an den Agupterkönig Amenhotep III. (um 1400) koſtbare Prachtdolche aus 
Eiſen erwähnt werden, ſo waren dieſe ſicher aus gediegenem natürlichem, aber 
nicht aus verhüttetem Eiſen. Und ebenſo wird es ſich mit dem wunderbaren 
Prachtdolch aus dem Grabe Tutanchamons, aus dem 14. Jahrhundert, ver⸗ 
halten, deſſen Eiſenklinge faſt roſtlos und ſtahlartig glänzend ſich erhalten 
hat, freilich m. W. chemiſch noch nicht unterſucht worden iſt. Bezeichnend iſt 
auch der äguptiſche Ausdruck „Eiſen“: baaenepe, was eigentlich „Geſchenk 
des Himmels” bedeutet, alſo offenſichtlich auf meteoriſches Eiſen als älteſt 
verwendetes hinzielt. 

Auch die äguptiſchen Inſchriften beweiſen, daß Eiſen nicht vor der 
19. Dunaſtie, und zwar vor Ramſes II. im 13. Jahrhundert v. Chr. aufge⸗ 
kommen iſt; vorher wird das äguptiſche Wort für Eiſen nie erwähnt. Und 
die ägyptiſchen Wandgemälde, bei denen Bronze rot oder gelb, Eiſen 
aber blau wiedergegeben worden iſt, zeigen, daß ſogar noch unter Ramſes III., 
alſo im erſten Drittel des 12. Jahrhunderts, die Waffen teils noch rot, teils 
ſchon blau gemalt ſind, alſo alte Bronzewaffen immer noch neben neuen 
Eiſenwaffen üblich waren. 

Don beſonderer Bedeutung ijt ein Brief des hetiterkönigs Chattufil 
an König Ramſes II. aus der Zeit von 1275 — 1250, folgenden Inhalts: 
„Deinem Wunſche nach reinem (alſo verhüttetem) Eiſen kann ich jetzt nicht 
nachkommen, da ich in meinem Dorratsipeicher in Kizvadna augenblicklich 
kein reines Eiſen habe; ich habe aber ſchriftlich Befehl gegeben, ſolches für 
Dich herſtellen zu laſſen. Einſtweilen ſchicke ich Dir nur eine eiſerne Schwert⸗ 
klinge.“ Kizvadna war ein hetitiſcher Dafallenjtaat am Südufer des Schwarzen 
Meeres öſtlich von dem Fluſſe Halys, wo ſpäter das Reid) Pontus lag, nord— 
öſtlich von der heutigen Türkenhauptſtadt Angora. Eiſenerze treten dort 
im Gebirge in oberflächlicher, alſo leicht erreichbarer Lage zutage. Nach 
alledem können wir erſt um 1200 den Beginn der vollen Eiſenzeit in Ägypten 
anſetzen. 

Eine andere Lehre aus den letzten Jahrzehnten, die zuerſt in Belck 
verkündete und dann Montelius zu vertiefen verſuchte, wollte Kreta zum 
Ausgangspunkte des Eiſens ſtempeln. Aber die fo gedeuteten Nachrichten 
des Altertums ſind dafür nicht beweiſend. 

Aud) das griechiſche Feſtland kann in dieſer Richtung keine An- 
ſprüche erheben. Man hat dort zwar ſchon aus dem Beginn der jpatmyfe- 
niſchen Periode, alſo bald nach 1400, in Felſenkammergräbern der Unterſtadt 
von Mukenä zwei kleine eiſerne Fingerringe entdeckt; dann auch in Myfenä 
ſelbſt wie auf Kreta je einen ſolchen Ring, der teilweiſe aus Eiſen, teilweiſe 
aus Gold gearbeitet iſt. Beide Metalle galten alſo als gleichwertig. Ebenſo 


5] Die Anfänge der Eiſengewinnung und der Eiſenbearbeitung 5 


enthielt das ſogar aus dem 15. Jahrhundert ſtammende berühmte Kuppelgrab 
von Daphio bei Sparta, jowie ein noch etwas älteres Kuppelgrab von Pylos 
im weſtlichen Peloponnes je einen eiſernen Singerring. Das ſind jedoch 
alles bloße Rurioſitäten, die nur beweiſen, wie koſtbar das Eiſen damals 
war, daß man aber von einer eigentlichen Eiſenzeit noch weit entfernt war. 

Nach unſäglich langen Derjudyen erreichte man es, ſoviel weiches 
Schmiedeeiſen herzuſtellen, um wenigſtens Werkzeuge daraus anzufertigen. 
Das ijt der Zuſtand der Zeit des trojaniſchen Krieges, deſſen Ereigniſſe und 
Rulturverhältniſſe die freilich aus weit jüngerer Zeit ſtammenden homeriſchen 
Geſänge in archaiſtiſcher Derſteinerung ſchildern. Nicht grundlos nennt 
Homer das Eiſen öfters zoAvzuntos „mühſelig zu bearbeiten“. Kenn: 
zeichnend ijt folgender Vorgang: Für die Kampfipiele bei der Leichenfeier 
zu Ehren des beſtatteten Patroklus ſetzt Achill als Preis für den Sieger im 
Diskuswerfen eine eiſerne Scheibe aus. Don ihr heißt es, daß fie für den 
Beſitzer 5 Jahre lang ausreichen würde als Rohitoff für die eiſernen Wert: 
zeuge ſeiner Schäfer und Pflüger. Davon, daß auch Waffen aus dieſem 
Eiſenblock gemacht werden könnten, iſt überhaupt nicht die Rede. Denn die 
Waffen der homeriſchen helden beſtanden ja bekanntlich noch aus Bronze. 
Die Eroberung Trojas durch die Griechen, d. h. die Eroberung der ſechſten der 
dort auf dem hügel bei dem heutigen hiſſarlik erbauten Städte, geſchah in 
ſpätmykeniſcher Zeit, d. h. zwiſchen 1400 und 1200, wahrſcheinlich im Laufe 
des 15. Jahrhunderts. Eine wirkliche Eiſenzeit begann in Griechenland eben 
erſt nach Schluß der mukeniſchen Perioden, zu Beginn des 12. Jahrhunderts. 

In Vorderaſien kann man erſt recht nicht die heimat der Eiſentechnik 
ſehen. Denn die Keilinſchriften aus Chaldäa und ÜUſſyrien erwähnen 
Eiſen ert nach dem Jahre 1000. Und dann wiſſen wir, daß aſſuyriſche Könige 
ſogar des 9. Jahrhunderts, wie Aſſunarſirpal II. (885—860), bei Eroberung 
aſſyriſcher Städte an Rohmetallen neben Gold, Silber und Kupfer zwar auch 
Eiſen erbeuteten, aber in nicht viel größerer Menge als Silber und Kupfer. 
Auch die großen Ruinenhügel, Tells genannt, der uralten Städte Aſſuriens, 
Syriens, Elams uſw. weiſen Eiſen erſt in den Schichten um 1000 v. Chr. auf. 
Sogar noch heeresſtraßen wurden von dem genannten Aſſunarſirpal nach 
ſeinem er Bericht ausſchließlich mit Bronzewerkzeugen erbaut. 
Während alſo in Agypten, Kreta, Griechenland die Eiſenzeit um 1200 herum 
beginnt, geſchieht das in Dorderalien erſt im 10. Jahrhundert. 

Ganz anders liegen die Dinge im Norden Kleinafiens. 

Wir hörten ſchon, daß Ramſes II. beim hetiterkönig Chattuſil um 
Eiſen bat, dieſer es ihm nicht geben konnte, eher wohl nicht geben wollte. 
Es gab alſo im hetiterland eine Gegend Kizvadna, das ſpätere Land Pontus, 
von der es im 15. Jahrhundert allgemein bekannt war, daß dort reines Eiſen 
in größerem Maße hervorgebracht wurde. Dieſelbe Gegend wird auch in der 
hebräiſchen Überlieferung gemeint, nach der im Lande der Tibarener, deren 
Abnherr Tubal ein Kupfer: und Eiſenſchmied war, die Erfindung des Eiſens 
ſtattgehabt hätte (Geneſis 4, 22). Und drittens weiſt dorthin die griechiſche 
Überlieferung, die dafür das Land der Chaluber nennt, die unmittelbar 
weſtlich neben den Tibarenern ſaßen. Mit dem Worte chalvbs bezeichneten 
die Griechen den „Stahl“, ähnlich wie das Rupfer im Altertum den Namen 
der Inſel Zupern erhielt, ſogar zweimal in verſchiedener Weiſe: ais und 
cuprum. Der Urſprung des griechiſchen Fremdwortes für Eiſen %% os iſt 
bisher noch nicht ermittelt worden; vielleicht ſtammt es aus dem hetitiſchen. 


6 Guſtaf Kofjinna [6 


Endlich können wir noch ein viertes Zeugnis für den Oſten Klein= 
aſiens als Urſprungsland des Eiſens aufführen. Es gab in der dortigen 
Candſchaft Tommagene eine Stadt Doliche, wo ein berühmter Tempel des 
hetitiſchen Blitzgottes Teſchub ſich befand, eines Gottes, dem ſehr viel ſpäter, 
in der römiſchen Kaiſerzeit, römiſche Soldaten unter dem Decknamen des 
Iuppiter O. M. Dolichenus Altäre mit Inſchriften weihten. Wir kennen eine 
Anzahl ſolcher Inſchriften und zwei davon kamen auf deutſchem Boden ans 
Licht, eine im rätiſchen Limestajtell Detonianis, dem heutigen Pfünz, Be3.- 
Amt Eichſtätt in Mittelfranken, die andere in der Römerſtadt Nida, dem 
heutigen Heddernheim bei Frankfurt a. M. Dem örtlichen Beinamen Dol. 
chenus wird hier als ſtändige Formel beigefügt: „ubi ferrum nascitur“ oder 
auch „ubi ferrum exoritur“, „wo das Eiſen entſteht“. — Die eigentliche Er⸗ 
findung der Eiſengewinnung fand hier alſo um 1300 v. Chr. ſtatt. 

Um 1200 erkannten wir dann ſchon den Beginn der Eiſenzeit in Ägypten 
und Griechenland. In Süditalien und in Mittelitalien fällt die erſte 
Eiſenperiode in die Zeit um 1000 oder wenig eher. In Oberitalien er: 
ſcheinen Eiſenwaffen zuerſt im 10. Jahrhundert, doch werden Waffen hier, 
wie in Mittelitalien, auch noch im 9. Jahrhundert ebenſo häufig aus alt- 
gewohnter Bronze, wie aus neumodiſchem Eiſen hergeſtellt. In einem 
Grabe von Rivoli bei Derona erſcheint ein Schwert dieſer Zeit mit Eiſenklinge 
und Bronzegriff. 

Volle Eiſenzeit zeigt ſich aber ert in der Ziviliſation von Novilara 
bei Peſaro. Als Ausnahme anzuſehen ijt es, wenn in der fog. „Sliegenhöhle“ 
nächſt Kanzian bei Trieſt ein Griffzungenſchwert von der nordiſchen Geſtalt 
des 11. Jahrhunderts inmitten eines großen Bronzeſchatzes aus der Zeit um 
1000 bereits ganz aus Eiſen hergeſtellt iſt. 


Wir ſteigen nun über die Alpen und betrachten zunächſt die Oſtalpen⸗ 
gegend. hier kommt das Eiſen ſeit 1000 v. Chr. in allgemeinen Gebrauch, 
alſo in einer Zeit, die man als Schlußteil der Bronzezeit, weniger richtig als 
Beginn der Hallitattzeit bezeichnet. Ein Hauptgebiet ijt hier das Krainer 
Land. In den dortigen großen Gräberfeldern, wie St. Michael, Watſch, 
Tichernembl, erſcheinen in der Frühzeit außerordentlich häufig eiſerne Schmuck— 
lachen in Geſtalt von Ringen, Sibeln, Nadeln, dagegen ſind die Waffen, die 
überdies ſpärlich auftreten, noch aus Bronze. Erſt in der ſpäten Ballitattzeit 
kehrt ſich hier das Verhältnis um: Da ſind die Schmuckſachen wieder faſt ſtets 
aus Bronze, dagegen die Waffen aus Eiſen. Ganz anders zeigt ſich der be— 
rühmte und infolge ſeines hervorragenden Salzreichtums ſtark beſiedelte 
Induſtrieort hallſtatt im oberöſterreichiſchen Salzkammergut. hier über- 
wiegen ſchon in der älteren hallſtattzeit die Eiſenwaffen ganz unver— 
hältnismäßig; unter zahlloſen Lanzenſpitzen und Meſſern find nur je 2 aus 
Bronze, unter 157 Beilen nur 22 aus Bronze; unter den 27 Schwertern vom 
log. älteren Halljtatttypus find nur 5 aus Bronze, 22 aus Eiſen. 

In der Schweiz und Süddeutſchland find ähnliche Derhältniſſe 
wie in Krain. Auch hier findet das Eiſen ſeit 1000 v. Chr. allgemeinere Ver- 
wendung, zunächſt an kleineren Schmuckſachen oder als Ziereinlage in Bronze— 
Armbändern oder in Bronzegriffe von Bronzeſchwertern, insbeſondere bei 
den Schwertern vom jog. Möriger und Auverniertypus. Hervorragend ſchön 
Jind hier die Mörigerſchwerter von Unterkrumbach bei hersbruck in Mittel- 
franken, wo das Eiſen in konzentriſcher Kreisform inkruſtiert ijt, (Abb. 1) und 


— e vm nt — — 


7] Die Anfänge der Eiſengewinnung und der Eifenbearbeitung 7 


von Bruck am Alz, Bez.⸗Hmt Altötting in Oberbayern, wo die Eiſeneinlage 
teilweiſe Mäandermuſter zeigt. Sehr einfach dagegen iſt die Eiſeneinlage am 
unteren Griffteil eines Bronzeſchwertes von Mörigen ſelbſt. Don Mörigen 
kennen wir außerdem ein Schwert mit Eiſenklinge und Bronzegriff, ebenſo, 
wie ſchon erwähnt, von Rivoli bei Derona. 

Gehen wir von Ofterreid) nordwärts über die Donau nach Böhmen 
und weiter über das Mittelgebirge nach Schleſien, jo treffen wir hier inners 
halb der Hhallſtattzeit auf denſelben großen Volksſtamm, der auch die Oſt⸗ 
alpenländer erfüllte, nämlich auf die Illyrier. Nordillyrier ſaßen damals 
auch noch in Südpoſen und in der LCauſitz. Auch dort haben wir in der älteren 
Hallſtattzeit überall denſelben Eiſenſchmuck, Hals- und Armringe, dieſelben 
Eiſenwaffen, Schwerter, Lanzenſpitzen, Speerſpitzen, dieſelben Eiſengeräte, 
Meſſer, Tüllen- und Flachbeile, Pferdetrenjen 
wie in den Oſtalpen. 


Dieſe illuriſche Hallſtattziviliſation Mittel⸗ 
oſtdeutſchlands ſtrahlte nun ihre Einflüſſe nord- 
wärts zu den Germanen Norddeutſchlands 
und bald auch Skandinaviens aus. Es geſchah 
dies hauptſächlich auf dem Oderwege. Zu 
diefen Einflüſſen gehörte auch die Dermitt- 
lung des Eiſens, gewöhnlich wohl nur als 
Rohſtoff, doch vielfach auch in Geſtalt fertiger 
Schmuckſtücke; ſchließlich auch die Runde des 
Eiſenſchmiedens, die fo vollendete Bronze: 
ſchmiede, wie die Germanen, fic) raſch an: 
geeignet haben werden. 

Eiſen müſſen die Germanen ſehr früh, 
ſchon längere Zeit vor dem Jahre 1000, von 
Süden her eingehandelt haben. Denn wir abb. 1. unterkrumbach, B.-A. 
ſtoßen hier auf heimiſche Eiſenverarbeitung hersbruck, Mittelfranken (nach 
ſchon in der 4. Periode der Bronzezeit, die Roſſinna: Mannus IX) 
von 1150 bis 1000 dauerte. Es handelt ſich 
aber wiederum teils nur um winzige Schmuckſachen, wie eiſerne Nadeln, 
teils nur um Eiſeneinlage in kleine Bronzegeräte, nicht um Waffen. So 
iſt zweimal, in Schleswig wie auf der Inſel Möen, ein Bronzeraſier— 
meſſer von germaniſchem Typus gefunden worden, in deſſen Klinge unter 
dem Kücken zunächſt ein Goldſtreifen und darunter eine längslaufende 
Wellenlinie in Eiſen inkruſtiert. ut Aus Gräbern der 5. Periode nor: 
diſcher Bronzezeit, alſo von 1000 —750 v. Chr., wurden in holſtein wie 
in Mecklenburg mehrmals Meſſer mit Bronzegriff und Eiſenklinge gehoben, 
bei Lübed einmal ein halbmondförmiges Rafiermeffer aus Eiſen in einer 
oberitaliſchen Bronzeziſte dieſer Zeit, dann wieder eine Anzahl von Eiſen— 
nadeln, unter denen beſonders bekannt iſt die im ſog. Rönigsgrabe bei 
Seddin im nordbrandenburgiſchen Kreiſe Weſtprignitz als Beigabe in der 
Urne der Königin aufgedeckt worden iſt. 

Ich könnte noch auf die ſehr häufige Art kleiner JZeremonial-Miniatur— 
ſchwerter aus Gräbern derſelben Zeit hinweiſen, bei denen der Griffknauf 
nach außen umgerollte Antennen aufweiſt. Sie ſind ſtets aus Bronze; eine 
Ausnahme macht nur ein eiſernes Stück aus Bjärsgärd im ſchwediſchen 


8 Guſtaf Koffinna [8 


Schonen. Aus dieſer Aufzählung, die ſich leicht Wort vermehren ließe, erſieht 
man, daß es auch bei den Germanen im weſentlichen Schmuckſachen, kleine 
Toilettengeräte ſind, für die Eiſen zuerſt verwendet wurde, nicht Waffen. 
Zwar fand ſich in zwei Fällen auch ein eiſernes Langjchwert, beidemal von 
demſelben öſterreichiſch-ſüddeutſchen Typus des 9.—8. Jahrhunderts, den man 
älteres Hallſtattſchwert genannt hat und den wir oben bereits erwähnten, 
einmal in einem Grabhügel in der Nähe von 
Cübeck und einmal im inneren Schweden, 
im Rirchſpiel Dretakloſter in Oftergdtland. 
Aber dieſe beiden Stücke find klärlich von Oſter⸗ 
reich oder Süddeutſchland her fertig eingeführt 
worden. 

Das Eiſen war eben noch ſehr koſtbar, weil 
ſelten. Es beſtand damals in Germanien noch 
nicht das, was man „Eiſenzeit“ nennen kann. 

Zwiſchen 750 und 700 kann man eine 
Übergangszeit von der ausgehenden Bronzezeit 
zu dem Beginn einer wirklichen Eiſenzeit er: 
kennen. Es ſtellen ſich nun einheimiſche Waffen— 
funde ein. So enthielt ein Steinhügelgrab zu 
Billerbeck im Kr. Puritz, Oſtpommern, zwei 
Schwerter mit Eiſenklingen und Bronzegriffen 
(Abb. 2). Die noch ſpätbronzezeitliche Geſtalt 
dieſer Bronzegriffe, bei dem einen ein glocken⸗ 
förmiger unterer Ubſchluß nach nordoſtdeutſcher 
Art, bei dem anderen eine beſonders gegoſſene, 
ſchmale manſchettenartige untere Bronzeein— 
faſſung, wie fie häufig im norddeutſch-ſkandina⸗ 
viſchen Germanengebiet vorkommt, beweiſt ein— 
heimiſch germaniſchen Urſprung dieſer Schwerter, 
die ſpäteſtens ins 8. Jahrhundert zu ſetzen ſind. 

Ein größerer Weihefund kam zu Wemmin, 
Kr. Schivelbein, ebenfalls Oſtpommern, zutage: 
6 Bronzelanzenſpitzen und 11 ihnen völlig gleiche 
eiſerne, die in der orm auch noch ganz bronze: 
zeitlich geſtaltet find, indem fie als Sortfegung der 
Tülle eine bis an die Spitze des Blattes durch— 
laufende kreisrunde Mittelrippe beſitzen, während 
Eiſenſchmiedetechnik bald dazu führte, entweder 

Abb. 2. Billerbeck, das Lanzenblatt vollkommen flach zu hämmern 

Kr. Pyrig, Pommern oder einen durchlaufenden ſcharfen Mittelgrat 

ſtehen zu laſſen. Ein Fund von 5 Eiſenlanzen— 

ſpitzen derſelben frühen Form wurde gleichfalls im öſtlichen Pommern, zu 
Naſeband, Kr. Neuſtettin, gemacht. 

Ziehen wir noch in Betracht, daß ſich im Kreiſe Pyriß, alſo innerhalb 
des damals rein germaniſchen Gebietes, noch mehrere größere Sunde rein 
illuriſchen Gepräges zeigen, darunter auch illuriſche Eiſenwerkzeuge, jo ſehen 
wir, daß die pommerſche Gegend öſtlich der unteren Oder ein Gebiet ſtarker 
Einfuhr illuriſchen Eiſens war. 

In welcher Form das Eiſen damals von Krain oder Bosnien aus über 


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Koffinna, Die Anfang 


9 Die Anfänge der Eiſengewinnung und der Eiſenbearbeitung 9 


Schleſien zu den Germanen verhandelt wurde, können wir auch noch erkennen. 
In der mit hallſtättiſchen Funden des 8. Jahrhunderts erfüllten jog. Byci- 
ſkala, zu deutſch: „Stierfelshöhle“, in Mähren fand ſich auch ein Vorrat 
von Robeijen in Geſtalt von doppelpyramidenförmigen Spitzbarren, fog. 
„Maſſeln“. Sie treten im Allgemeinen in zwei Formen auf, einer kürzeren, 
gedrungeren, dabei ſchwereren, von durchſchnittlich / m Lange und 7 ku 
Gewicht (Abb. 4), und einer leichteren, in längere Spitzen ausgezogenen von 
durchſchnittlich / m Länge, aber nur 6—8 cm Stärke und 3—6 ka Gewicht 
(Abb. 5). Von derſelben Art Eiſenbarren fand ſich eine gewaltige Menge in 
einem wohlgeordneten Schatz⸗ oder Tributvorrat von etwa 160 000 kg ſchwerer 
Eiſengeräte, der in einer Nebenkammer der Palaſtruine von Rorſabad bei 
Niniveh aus dem Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. aufbewahrt war. Ebenſo 
hat man ſolche in dem berühmten Suſa im Lande Elam gefunden. Ein wei— 
teres Seitenſtück zu dieſen Eiſenbarren bildet ein 1914 zu Wahren an der 
Eliter bei Leipzig gehobener Sund, worin die hälfte eines ſolchen doppel⸗ 
puramidenförmigen Eiſenbarrens im Verein mit einem großen, reich verzierten 
eiſernen Halsringe nebſt 13 kleineren ſchmuckloſen Eiſenringen erſcheint: Alles 
aus dem Ende der hallſtattzeit, alſo dem 7.—6. Jahrhundert (Abb. 6). Die 


Abb. A Rolmar i. Elf. Abb. 5. Oberbergheim 
Abb. 4, 5. Eiſenbarren des Muſeums zu Straßburg i. Elſ. (nach Sorrer) 


Sunditelle liegt ebenſo wie die mähriſche auf nordillyriichem, nicht auf fel- 
tiſchem Gebiete, denn letzteres beginnt ert an der Saale und erftredt ſich 
von dort aus weſtwärts, wie eine Karte veranſchaulicht, auf der die keltiſchen 
Stelettgräber dieſer Zeit durch Kreuze bezeichnet ſind (Abb. 3). 

Wir können mit Sicherheit annehmen, daß das Roheijen in dieſer Form 
von den Illuriern zu den Germanen kam und damit auch das illuriſche Wort 
für Eiſen. Letzteres ſelbſtverſtändlich ſchon zu der früheſten Zeit der Eiſen— 
einfuhr, alſo mindeſtens ums Jahr 1000. Nun wurde aber das urgermaniſche 
Wort für Eiſen „isarnon“, das auch das altkeltiſche Wort für Eiſen iſt, ſtets 
als aus dem RKeltiſchen entlehnt angeſehen. Dem mußte ich nunmehr auf Grund 
des archäologiſchen Befundes widerſprechen: Ich half mir mit der Aufitellung, 
daß das Wort „isarnon“ ein den Jllyriern mit den Kelten gemeinſamer 
Beſitz geweſen ſei. Kaum aber hatte ich dieſe Anficht veröffentlicht, als ein 
hervorragender helt vom rein ſprachwiſſenſchaftlichen Standpunkte aus 
nachwies, daß „isarnon“ urſprünglich ein illuyriſches Wort geweſen fei, daß 
alſo von den Kelten nur entlehnt worden iſt. 

Langes i in isarnon iſt nämlich aus indogermaniſch ei entſtanden, fo 
im Illyriſchen, Cateiniſchen und Germaniſchen. Im Keltiſchen dagegen wird 
idg. ei zu lang €. 3. B. idg. Reinos „Rhein“, keltiſch Renos. germaniſches 
Rinas, Als einheimiſch urverwandtes Wort hätte das Eiſen im Keltiſchen 
alſo esarnon heißen müſſen. Da es aber auch keltiſch isarnon heißt, muß 
das Wort entlehnt ſein. 


Guſtaf Roſſinna 


10 


—— 
— * 
d ye 
ge” hat 


— 


Eiſenſchatzfund. Nat. Größe 


Wahren bei Leipzig. 


Abb. 6. 


11] Die Anfänge der Eiſengewinnung und der Eiſenbearbeitung 11 


Dieſe ſprachliche Feſtſtellung ſtimmt vortrefflich zu meinem archäolo— 
giſchen Beweiſe, daß die kulturellen Zuſammenhänge, die den Germanen 
das Eiſen brachten, zu den Illyriern und nicht zu den Kelten führen. Ja, 
es geht daraus ſogar hervor, daß die Illyrier das Eiſen früher gekannt haben 
müſſen, als die Kelten, denen fie ihr Wort für Eiſen erſt überlieferten. 

Solche Eiſenſpitzbarren, wie wir fie ſoeben kennengelernt haben, er: 
ſcheinen, wie ich hier gleich anfügen will, in mehreren hundert Stücken auch 
noch in ſpäterer Zeit, nämlich während der letzten Jahrhunderte v. Chr., 


<-- -49 Sem ---> 


Abb. 7. Niederkleen, Kr. Wetzlar (nach Kofjinna, Mannus VII), 


in der ſog. Latenezeit, auf einem Gebiet zu beiden Seiten des Mittel- und 
Oberrheins, doch überwiegend linksrheiniſch, alſo in der Rheinprovinz (Hbb. 7), 
in Dellen, Rheinpfalz, Elſaß-Cothringen, Vorarlberg, Schweiz, weniger häufig 
rechtsrheiniſch und ſüdlich der oberen Donau, in Baden, Württemberg, Baur. 
Schwaben, Oberbayern. Alſo nur auf damals keltiſchem Boden. Aud) dieſe 
ſpäteren keltiſchen Eiſenbarren werden zu den Germanen gekommen ſein. 
Bisher gefunden iſt auf Germanengebiet aber nur ein einziger, und zwar 
in Nordjütland, leider ganz ohne zeitbeſtimmende Begleitfunde. 


Abb. 8. Südengland. Taleae ferreae 


Es gab bei den Kelten im letzten Jahrhundert v. Chr. noch eine andere 
Art von Eiſenbarren; das find die von Cäſar erwähnten ſchmalen, langen, 
meißel⸗ oder ſchwertförmigen tale ae ferreae. die auf ein beſtimmtes 
Gewicht abgemeſſen, von den Britten zugleich als Geld benutzt worden wären. 
Im mittleren Südengland hat man zahlreiche Sunde ſolcher Barren, bis zu 
mehreren Hunderten an einer einzigen Verſteckſtelle, aufgedeckt, alle aus 
der Spätlatènezeit, d. h. dem letzten Jahrhundert v. Chr. (Abb. 8). Auch aus 
Deutſchland kennen wir drei ſolche Funde: Der größte von 11 ſolchen Schwert— 
barren wurde in einem Felſenloch auf dem Hof der Wartburg gemacht (Abb. 9), 
dann ein Fund von 5 Stücken zu heiligenſtadt im nordthüringiſchen Eichs= 
felde und ein ſolcher von 6 Stück zu Niedenftein im kurheſſiſchen Kreiſe Fritzlar. 


12 Guſtaf Roſſinna 112 


An den Barrenfund von der Wartburg knüpft fic) eine artige Ge⸗ 
ſchichte, deren Hufdeckung wir Prof. Alfred Götze verdanken. Um den 
Erbauer der Wartburg, den Landgrafen Ludwig den Springer, fclingt fic 
bekanntlich ein reicher Kranz ſchöner Sagen, der gleich mit der um 1070 er: 
folgten Gründung der Burg einſetzt. Der Wartberg gehörte damals den 
herren von Frankenſtein. Ludwig aber wollte ſich dort eine Burg bauen; 
er ließ nun Erde von ſeinem Grund und Boden in Rörben nachts auf den 
Berg tragen und auf dieſer Erde die Burg erbauen. Don den herren von 
Frankenſtein deswegen verklagt, ſchwur der Landgraf nebſt 12 von ihm zu 
Eideshelfern erkorenen Rittern, indem jeder von ihnen auf dem Berge ſein 
Schwert in die zuvor heraufgetragene Erde ſteckte, daß dieſer Boden von 
alters her zur herrſchaft Thüringen gehört habe. Als nun 1846 die Baulich⸗ 
keiten der Wartburg durch Großherzog Carl Alexander von Weimar erneuert 
und beim Sorträumen des Schuttes jene 11 Schwertbarren in dem Felſenloch 
entdeckt wurden, glaubte man in ihnen die mittelalterlichen „Schwurſchwerter“ 
von 1067 wiedergefunden zu haben. Statt 13 Schwerter hatte man aber 
nur 11 entdeckt und ſo wurden wohl, um dem Großherzog eine Freude zu 
machen, heimlich zwei den echten Barren gleiche neu hergeſtellt und das 
Ganze dem Großherzog als die ſagenhaften „Schwurſchwerter“ überreicht. 
Götze hat bei einer Unterſuchung der 13 Stücke erkannt, daß 11 von 
ihnen eine ungemein ſtarke, tiefgehende Derrojtung und dadurch hervor- 
gerufene Abſplitterung ihrer Oberfläche aufweiſen, alſo ſehr alt ſein müſſen, 
während die beiden Stücke 12 und 15 keine Rauheit auf der Oberfläche und 
nur geringe Verroſtung beſitzen und daher einen weſentlich friſcheren Eindruck 
machen, alſo aus neuer Zeit ſtammen müſſen. 


Nachdem wir geſehen haben, daß ſchon in der hallſtattzeit die Ger⸗ 
manen ſo viel Eiſen beſaßen, daß ſie ſo große Gegenſtände wie Schwerter in 
dem ihnen eigenen Stile aus Eiſen ſchmieden konnten, iſt es ſehr auffallend, 
daß wir in der Folgezeit bis etwa zum Jahre 100 v. Chr. zwar immer noch 
reichlich eiſernen Schmuck und eiſerne Geräte, aber fo gut wie keine Glen: 
waffen auf germaniſchem Gebiete antreffen. Ich ſehe darin nur eine Folge 
der Ungunſt der Überlieferung. Schatz und Weihefunde bieten in der früheſten 
germaniſchen Eiſenzeit faſt nur weiblichen Schmuck, Pferdegeſchirr und ähn⸗ 
liches, aber keine Waffen. Die Sitte, der Erde Schätze und Weihegaben anzu— 
vertrauen, in denen ja oft auch Schwerter auftreten, hörte nämlich ſehr bald 
nach Beginn der Eiſenzeit auf. Der Begräbnisbrauch der Germanen in der 
frühen Eiſenzeit mied die Beigabe von Waffen auch vollkommen, ähnlich 
wie dies bei den Goten und Burgunden und manchen weſtgermaniſchen 
Stämmen noch in der Kailerzeit ebenſo der Fall war. Daher die Code in 
unſerer Kenntnis germaniſcher Waffen dieſer Zeit. Wenn wir nun mit 
Beginn des letzten Jahrhunderts v. Chr. plötzlich reichſte Hinterlaſſenſchaft 
von Eiſenwaffen antreffen, ſo danken wir dieſen günſtigen Umſtand der um 
dieſe Zeit vollzogenen Bildung neuer germaniſcher Stämme, wie der Bur— 
gunden, Rugier, Wandalen, Langobarden, die zum Teil von Norden her bei 
uns eingewandert ſind und im Zuſammenhang mit anderem Götterkult 
anderen Grabbräuchen huldigten, ſolchen, die für Männergräber Waffen— 
beigabe vorſchrieben. 

Dieſer auffallend große plötzliche Reichtum an jederlei Eiſenſchmuck, 
Eiſengerät und beſonders an großen Eiſenwaffen, der um 100 v. Chr. einſetzt, 


Koſſinnafeſtſchrift 1928) 


ö tz e: 


“von der Wartburg bei Eiſenach (nach G 


Die 15 „Schwurſchwerter 


Abb. 9. 


14 Guſtaf Roſſinna [14 


wäre aber ſchwer erklärlich, wenn wir nicht annehmen, daß in dieſem Zeitpunkt 
die Germanen zur Kenntnis und Fähigkeit eigener Eiſenerzeugung gelangt ſind. 


Wir wollen nun in kurzer Betrachtung ſehen, welchen Gang die Aus- 
breitung der Kenntnis der Eiſenerzeugung genommen hat. 

Hier war natürlich ebenfalls das Land Rizvadna oder Pontus die Ur: 
heimat. Wir übergehen hierbei den Orient. Über Griechenland hören 
wir die früheſte Nachricht erſt aus ſpäterer Zeit. Den Stahl bezogen fie ja 
von den Chalybern, aber Eiſengruben wurden doch ſchon frühzeitig in Cafonien 
ausgebeutet. bier iſt auf das Cykurgiſche Eiſengeld hinzuweiſen, das lange, 
bevor es, um 400 v. Chr., gemünzt wurde, in Geſtalt roher Eiſenbarren er- 
ſchien, die im handel als Wertmeſſer dienten. Es waren das die ſparta⸗ 
niſchen zédavor „Eiſenfladen“, wie fie durch Ausgrabungen in Sparta feft- 
geſtellt worden find. Im ganzen Peloponnes waren außerdem im Klein— 
verkehr, ſogar noch um 400 v. Chr., kleine Eiſenſpieße, etwa 1,20 m lang, 
die fog. oßeAoi oder He, & o, als Geld üblich; daher der Name „Obelos“ 
noch in ſpäter Zeit für kleine Münze. Einen Vorläufer hatten die ſpartaniſchen 
Eiſenbarren übrigens ja ſchon anderthalb Jahrtauſende früher in den gleich 
falls tafel⸗ oder fladenförmigen Kupferbarren der Kupferzeit der öſtlichen 
Mittelmeergegenden gehabt. 

Italien iſt im Allgemeinen ſehr eiſenarm. 

Ziemlich früh tritt die bunt der Eiſengewinnung in Unteritalien 
auf. An feiner Oſtküſte, nahe beim Monte Gargano, find zu Coppa Nevi- 
gata bei Manfredonia neben einer einheimiſchen bemalten Tonware etwa 
des 10. Jahrhunderts Eiſenſchlackenreſte aufgedeckt worden. 

Was Mittelitalien angeht, ſo haben wahrſcheinlich die Etrusker an der 
Küfte von Toskana und auf der Inſel Elba die dortigen Roteiſenerzgruben 
entdeckt und durch Tiefenbau ausgenutzt, obwohl Roteiſenerz außerordentlich 
ſchwer verhüttbar iſt. Bei der Etruskerſtadt Populonia, gegenüber Elba, 
liegt ein Schladenfeld von mehr als ½ km Lange, das ſicher aus der Der: 
hüttung von Elba⸗Eiſenerz ſtammt. In den fog. Caſtellieri im iſtriſchen 
Küjtenlande, das find Wallburgen aus Steinblöden auf den Kalkhügeln des 
RKarſt, ſind Eiſenſchlacken bis in die tiefſten Unſiedlungsſchichten hinab, d. h. ſchon 
aus der früheſten dortigen Eiſenzeit, angetroffen worden. Eiſenſchlacken, die 
ja zumeiſt als Reſte von Verhüttung anzuſehen find, kaum als Reſte bloßen 
Eiſenſchmiedens, ſind ja ſtets ſichere Zeugen für bodenſtändige Eiſenerzeugung. 
| Schon im Altertum durch fein vorzügliches Eiſen weit berühmt war das 
von illuyriſcher Bevölkerung bewohnte öſterreichiſche Alpenland Norikum, 
d. i. Krain, Kärnten, Steiermark, Salzburg und Oberöſterreich, wo ja auch im 
Salzkammergut der ſchon fo früh mit Eiſenreichtum ausgeſtattete Ort Hallſtatt 
liegt. Wir wiſſen, daß Norikum nicht erſt in der Römerzeit, ſondern ſchon in 
der vorausgehenden Latènezeit ein Mittelpunkt der Eiſengewinnung war, 
von wo Eiſen weithin verhandelt wurde. Auf den vorgeſchichtlichen Wall- 
burgen in Krain, den Gradiſches, find Eiſenſchlacken, genau wie auf den 
iſtriſchen Caſtellieri, bis in die tiefſten Kulturſchichten hinab feſtgeſtellt worden. 

Vom kärntniſchen Erzberg bei hüttenberg iſt Eiſen ſehr früh bis 
nach Mittelitalien ausgeführt worden, ebenſo vom ſteiriſchen Erzberg 
bei Eiſenberg nach Norden hin, letzteres allerdings erſt in römiſcher hoer: 
zeit. In Noreja, der Hauptſtadt des alten Yoriferlandes, gelegen nahe 
Bad Einöd bei Neumarkt in Steiermark, wurde kürzlich ſogar hallſtattzeitliche 


15] Die Anfänge der Eiſengewinnung und der Eiſenbearbeitung 15 


Eiſenerzeugung mit Sicherheit feſtgeſtellt, ebenſo im Salzburgiſchen früh: 
latenezeitliche, vom Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. 

Don hier aus nahm die Kenntnis der Eiſengewinnung ihren Weg nach 
Süddeutſchland, inſonderheit nach Bayern. hier haben ſich freilich die 
Spuren obertägiger Eiſengewinnung ert aus der ſpäten Lateènezeit, alſo dem 
letzten vorchriſtlichen Jahrhundert, allerdings maſſenhaft gefunden. So im 
oberbayriſchen Tertiärhügellande, während in den Talebenen und Sumpf: 
geländen Oberbayerns Raſen- und Sumpfeiſenerz häufig vorkommt. In den 
Sorten des niederbayriſchen Bezirksamts Kelheim und der anſtoßenden ober: 
pfälziſchen Bezirksämter Beilngries (Riedenburg) und Parsberg find vor⸗ 
geſchichtliche Eiſenſchürfgruben von gewaltiger Ausdehnung entdeckt worden, 
oft begleitet von zahlreichen Ofenſtellen und Schlackenhalden. In einem 
ſolchen Grubenfeld von 7 km Länge konnte einwandfrei ſpätlateènezeitliche 
Entſtehung nachgewieſen werden. 

Auf dem Mitterfelde am Fuße des durch die auf ihm errichtete Befrei⸗ 
ungsfalle bekannten Michelsberges bei Kelheim a. d. Donau erſtand zu die⸗ 
ſer Zeit infolge des auf den dortigen höhen im Tagebau gewonnenen Eiſens 
eine keltiſche Stadt und auf dem Michelsberge ſelbſt die zugehörige Burg. 
Schlackenfelder und Schmelzöfen find auch hier eine Hhinterlaſſenſchaft der 
Spätlatenezeit. Schladenhalden erſcheinen allenthalben auf der oberfläche- 
deckenden Schicht des fränkiſchen Jura. 

In Dollnſtein, Mittelfranken, ſcheinen Eiſenſchlacken bereits aus der 
Hallſtattzeit vorzuliegen: nebſt einer Tondüſe wurden fie dort im Verein mit 
Hailſtattſcherben bei einem hausbau aufgedeckt. 

In vorrömiſche Zeit, ſogar bis in die hallſtattzeit hinauf, geht auch die 
Eiſengewinnung zu Ramſen bei Eiſenberg in der Rheinpfalz zurück. 

Zur ſelben Zeit wie nach Süddeutſchland kam die Kenntnis der Eiſen⸗ 
gewinnung auch nach der Schweiz, wo der Berner Jura reiche Jeugniſſe für 
Eiſenverhüttung in der Spätlatenezeit liefert. Es wurden dort nicht weniger 
als 230 Eiſengruben aufgedeckt. Ganz bejonderer Art find die Derhältniſſe 
in Nordoſtfrankreich, d. h. in Lothringen, Burgund, und im Lande Berry 
im Dep. Cher. Überall erſcheinen hier in großer Menge dieſelben frühen 
Hallſtatt⸗Eiſenſchwerter des 8. Jahrhunderts, wie in Süddeutſchland und 
in Dallftatt. Überall findet ſich gerade hier die reichſte Hinterlaffen- 
ſchaft hallſtättiſcher Ziviliſation Frankreichs und zugleich die wichtigſten 
Eiſengruben der vorrömiſchen Zeit, wobei das burgundiſche Dep. Cote d'Or 
an der Spitze ſteht. Es iſt in hohem Maße wahrſcheinlich, um nicht zu ſagen 
gewiß, daß die Eiſengewinnung mittels Grubenbaues in Berru bereits in der 
Hallſtattzeit begonnen habe, alſo weit früher als in der Schweiz und in Bayern 
bisher nachgewieſen worden ift, aber ebenſo früh wie in Hallſtatt und im 
nördlich der Donau gelegenen Nordillyrierlande. 

Die frühe Unſetzung nicht bloß der Eiſenbearbeitung, ſondern auch der 
Eiſengewinnung, die ich auch für Schleſien vermutete, wird glänzend be— 
ſtätigt durch die dort aufgedeckten Eiſenſchmelzöfen. In Mittel- und Nord— 
deutſchland, außerhalb des Mittelgebirges, wo es keine leicht zugänglichen 
Eiſenerzgruben gibt, konnte Eiſen nur aus den Kaſen- und Sumpfeiſen— 
erzlagern gewonnen werden. Waren dieſe Lager auch in ausgedehntem 
Maße vorhanden, jo mußte ihre Ausnußung doch erſt erlernt werden. 

Raſeneiſenerz iſt ein ſchwarzbraunes, etwas poröſes Steingebilde 
mit eingeſprengten Eiſenockerlagerungen, die bis 35% reines Eiſen enthalten. 


16 Guſtaf Roſſinna [16 


Es bildet ſich an niedrigen, ſumpfigen Stellen dort, wo Grundwaſſer in von 
Natur ſchwach eiſenhaltigen Sanden und Rieſen reichlich ſickert. Tritt dies 
mit Eiſenlöſung geſättigte Grundwaſſer an die Luft und verdunſtet es dort, 
ſo ſcheidet es den aufgenommenen Eiſengehalt aus, wenn dort humusreiche 
Adererde, humoſer Sand oder humushaltige Cehmablagerungen vorhanden 
ſind. Die bevorzugten Stätten für Raſeneiſenerz find demnach nicht tief- 
gründige Torfwieſen, ſondern die Ränder ſolcher Wieſen und beſonders die 
niedrigen Stellen zwiſchen Wieſenſchlänken, ſowie auch niedrige Sandflächen 
mit humusreicher Oberfläche und ganz flachem Grundwaſſerſtand. 

Wie wurde nun aus dem ergrabenen Rajeneijenerz reines Eiſen ber: 
geſtellt? Ehe ich dies im allgemeinen kurz beſchreibe, will ich zwei Beiſpiele 
von ergrabenen Schmelzöfenreſten vorführen, die uns zwar nicht vollkommen, 
aber doch halbwegs klar das Verfahren des Eiſenſchmelzens zeigen. 

Zunächſt behandle ich den zur illuriſchen Ballitattzivilifation gehörigen 
Ofen von Tarxdorf im mittelſchleſiſchen Kreiſe Steinau. 

Dort fanden ſich auf einem Gelände von nur 68 qm nicht weniger als 37 
zulindriſche Ofen dicht nebeneinander geſtellt, und die urſprüngliche Menge auf 
dem ganzen in Frage kommenden Gebiete von 63 000 qm wird auf die gewaltige 
Zahl von 30 000 Gfen geſchätzt. Jeder Ofen wurde eben nur einmal benutzt. 

Der Bau der Ofen wird ſo geweſen ſein: Erſt wurde eine Grube für den 
unteren Ofenteil hergeſtellt: 60 cm tief und 60 cm im Durchmeſſer. Dann 
wurde der Ofenboden und die Ofenwand in Stärke von 10 cm aus Ton 
geformt und dicht über dem Boden das Abſtichloch hergeſtellt, das ſowohl den 
nötigen Luftzutritt für das Feuer als auch das ſchließliche herausholen der 
fertigen Eiſenluppe ermöglichte. Dann wurden zur Befeſtigung des Ofens 
1—1½ Dutzend Holzſtäbe von 5 em Stärke ſenkreicht in die ſeitliche Tonwand 
getrieben. In dieſem Unterofen befand ſich der heizſtoff; über der oberen 
Offnung des Unterofens wurde eine Schale aus Lehm geſetzt mit einem 
Mittelloch nach dem Unterofen hin. Über der Schale lagen dann abwechſelnde 
Schichten von ganz klein geſchlagenem Eiſenerz, Holztohlen und Kalk, dieſer 
als der nötige Schmelzzuſchlag zur Flüſſigmachung der Schlacke; zuoberſt 
dann wieder eine hohlkohlenſchicht. Daher der Name Schichtöfen für dieſe 
Art Schmelzöfen. Wenn nun die Füllung über der Schale ſchmolz, drängte das 
ſchwerere Eiſen abwärts durch das Mittelloch der Schale in den Seuerungsteil 
und backte dort mit dem ſchwereren Teil der Schlacke zu einem Kuchen 3u- 
ſammen, während der leichtere Teil der Schlacke über der Schale als Schlacke n⸗ 
pflajter zurückblieb. Schließlich wurde die noch ſehr ſchlackenreiche, teigartige 
Eiſenluppe unten herausgeholt (wobei der Ofen meiſt zerſtört wurde), die ihr 
anhaftenden Schlacken abgeſchlagen und die innerlichen Schlackenteile durch 
anhaltendes Schmieden der immer neu erhitzten Cuppe beſeitigt, jo daß nun 
ein gutes, ziemlich reines Eiſen erzielt wurde. Völlig reines, d. h. chemiſch 
reines Eiſen, das die Eigenſchaft hat, überhaupt nicht zu roſten, wie es in 
der Wikingerzeit erzielt wurde, iſt in älterer Zeit aber noch unbekannt. 
Die erſte, noch unvollkommene Ausgrabung in Tarxdorf rührte von 1903 
her, die hauptgrabung, die ert eine klare Anſchauung verſchaffte, von 1909. 

Den Tarrdörfern ähnliche Schmelzöfen wurden ſpäter auch auf damals 
ſchon germaniſchem Boden zu Sangerhauſen aufgedeckt. Leider war es 
hier nicht möglich, zeitbeſtimmende Mitfunde zu machen. 

Ungemein wichtig dagegen für die Frage der Zeitſtellung ijt die Ent— 
deckung von vier kleinen zulindriſchen Schmelzöfen der germaniſchen Spät— 


17] Die Anfänge der Eiſengewinnung und der Eiſenbearbeitung 17 


latene-3ivilijation zu Siedlemin im ſüdpoſenſchen Kreije Jarotſchin. Sie 
hatten etwa 60 cm höhe und 20—35 cm Durchmeſſer. 

Einer von ihnen, deſſen Oberteil von einem über ihm errichteten Hügel- 
grab ſpäter Kaijerzeit zerſtört worden ijt, wurde ſenkrecht durchgeſchnitten, in 
Gips gepackt und ins Poſener Muſeum gebracht (Abb. 10). Man ſieht hier zu un: 
Iert eine Tonſchicht, die den gewachſenen Boden darſtellt, darüber eine Kohlen: 
ſchicht, darüber den Schlackenkuchen mit herabgetropften Schlacken und zu 
oberſt die Rulturſchicht. Dom 
unteren Teile des Ofens omg TL "mees 
ſchräg hinauf an die Erdober— Bee 
fläche ein Kanal für den Luft- | 
zutritt. Da der Ofen keinen 
TCehmmantel beſitzt, kann er nur 
in einer Erdgrube, nicht auf der 
Bodenoberfläche geſtanden ha— 
ben. Vielleicht oder wahrſchein— 
lich iſt der Ofen nur der Boden— 
teil eines Schmelzofens geweſen, 
der Herd für das untere Kohlen: 
feuer, für Schlackenabfluß und 
vielleicht auch zur Anfammlung 
der Luppe, falls dieſe nicht in 
dem über dem herd befind— 
lichen eigentlichen Schmelzofen 
liegen geblieben iſt, der dann 
durch das ſpäter erbaute hügel— 
grab zerſtört ſein muß. Daneben 
ſehen wir die Oberſeiten von 
zwei Schlackenkuchen aus der 
Oberſchicht von Schmelzöfen. 
Das kleinere Stück (Abb. 11) 
ſtammt aus einem der kleinen 
Schmelzöfen, das größere 
(Abb. 12) iſt auf dem be— 
nachbarten Selde ausgepflügt 


worden. Abb. 10. Siedlemin, Jarotſchin, Poſen. 
Der Caténe-Ofen von Sied- Kleiner Eiſenſchmelzofen, denne durchſchnitten; 
lemin hat ſeine beſondere Wich— in Gips. Etwa , nat. Größe 


tigkeit, weil durch ihn meine 

lediglich aus der Fülle der Zeugniſſe für damalige oſtgermaniſche Eiſen— 
bearbeitung auf die gleichzeitige oſtgermaniſche Eiſengewinnung gezogene 
Schlußfolgerung ſchlagend und unwiderleglich beſtätigt wird. 

Neuerdings ſind auch bei den Weſtgermanen, und zwar im rechtsrhei— 
niſchen Rölniſchen Stadtgebiet, Schlackenhügel, ſowie auf der fog. „Heide— 
terraſſe“ (Wahner heide) in dem Gräberfeld von Altenrath und in der Siede— 
lung am Sliegenberge Schlacken aus der Mittel-Tatenezeit feſtgeſtellt worden. 

Die von Chr. Hojtmann vor 50 Jahren veröffentlichten Mitteilungen 
über Eiſenſchlackenhalden in hannover ſind für uns darum weniger wert— 
voll, als die Zeit der Entſtehung dieſer Schlacken nicht feſtzuſtellen iſt. 
Dagegen kennen wir aus dem jüölihen Holjtein Gruben mit gebrannten 

Mannus, ZJeitſchtift für Vorgeſchichte, VIII. Erg.:Bd, 2 


18 Guſtaf Kojlinna [18 


Steinen und Eiſenſchlacken, die in die Zeit der Urnenfriedhöfe des 3.— 1. Jahr- 
hunderts vor Chr. gehören. 

Wenden wir uns weiter nordwärts, nach Dänemark, ſo hat neuerdings 
eine fachmänniſch genaue Unterſuchung der bisher bekannten 92 alten Eiſen— 
ſchlackenplätze Jütlands ergeben, daß die Eiſenverhüttung dort mindeſtens 
bis in die erſten Jahrhunderte n. Chr. zurückgeht. Über Norwegen gehen 
die Unſichten der beiden hervorragendſten dortigen Forſcher ſehr Wort aus— 
einander, indem der eine von ihnen die Eiſengewinnung bereits um 600 vor Chr., 
der andere erſt im 5.—6. Jahrhundert nach Chr. beginnen läßt. 

Von Schweden iſt nur ein erſchrecklich unvollkommener Eiſenſchmelz— 
ofen aus der Zeit um Chr. Geburt, der zu Bjärsgaard in Schonen entdeckt 
wurde, erwähnenswert. 

Die Eiſenverhüttungsöfen vorgeſchichtlicher Zeit beſtanden alſo entweder 
aus bloßen Erdgruben, die am beiten an 
einem nach Weiten gelegenen Abhang an— 
gelegt wurden, damit das am Gruben— 
boden befindliche Loch genügenden Luft- 
zug erhielt. Andernfalls half man mit 
einem Blaſebalg nach, der ſchon in der 
ſpäten Bronzezeit bekannt war. Dieſe Art 
kann man Schachtöfen nennen. Oder 
— und das wird nur wenig ſpäter der 
Fall geweſen ſein — man legte über der 
Erde zulindriſche Ton- oder Lehmöfen von 
höchſtens 1 m höhe an. 

Die weitere Erhöhung diejes Ofens 
zum jog. Studofen oder Blauofen, der 
etwa A m hoch war, geſchah auch ſchon 
in früher, nicht näher zu beſtimmender 
Zeit und hielt ſich in manchen zurück— 
Abb. 11. Siedlemin, Kr. Jarotſchin, gebliebenen Gegenden bis ins 18. Jahr— 
poſen. Oberſter Schlackenkuchen eines hundert hinein. Im Siegerlande und 
kleinen Eiſenſchmelzofens. / nat. Gr. im Elſaß dagegen erhöhte man die Öfen 

| Jhon im 15. Jahrhundert noch weiter 
und hielt jie unter Anwendung mechaniſcher Blaſebälge in ununterbrochenem 
Betrieb. Das waren die jog. Hochöfen, in denen es möglich war, eine jo 
hohe hitze zu erzeugen, daß Gußeiſen hergeſtellt werden konnte, d. h. ein 
Eiſen, das einen noch weit ſtärkeren Kohlengehalt beſitzt, als Stahl, nämlich 
2,55%. 

Sollen wir nun mit einem Worte noch Oſtpreußen berühren, ſo 
ſind Beweiſe für einheimiſche Eiſenverhüttung aus vor- oder frühgeſchicht— 
licher Zeit von hier nicht bekannt. Erſt der Deutſche Orden hat, wie 
er von Gilgenburg aus oſtwärts Maſuren in Beſitz nahm, das Vorkommen 
von Raſeneiſenerzlagern längs der ganzen maſuriſch-polniſchen Grenze ſo— 
fort erkannt und alsbald dort eine Reihe von Eiſenhütten angelegt, die 
nur mit deutſchen Eiſenhüttenleuten beſetzt wurden und ſo zu Mittel— 
punkten deutſcher Kultur wurden. Das währte vier Jahrhunderte lang, 
bis 1800. Um 1800 wurde zu Wondollek ſüdlich von Johannisburg ein 
ſtaatliches Eiſenhüttenwerk mit Hochöfen errichtet, das erſt 1875 den Betrieb 
einſtellte. 


19] Die Anfänge der Eiſengewinnung und der Eijenbearbeitung 19 


Wir fragen nun zum Schluß: Worin liegt die Bedeutung der 
Kenntnis des Eiſens für den vorgeſchichtlichen Menſchen? 

Schon die Entdeckung und Verwendung der Bronzemiſchung war ein 
ungeheurer Fortſchritt gegenüber der reinen Steinzeit. Man konnte nun in 
Waffen, Werkzeugen und Schmuckſachen einen ungemein viel reicheren Formen— 
ſchatz, auch weit größere Formen ſchaffen, die Gegenſtände leicht und ſehr 
raſch herſtellen, beim Schadhaftwerden noch leichter ausbeſſern. Und dennoch 
hatte die Bronze nicht vermocht, die allgemeine Grundlage der ſtofflichen 


Abb. 12. Siedlemin, Kr. Jarotſchin, Doten, Schlackenkuchen aus einem größeren 
Schmelzofen 


Ziviliſation in ihrer Zeit zu bilden. Die Seltenheit von Kupfer und Zinn, 
die im Altertum nur an ſehr wenigen Stellen vorkamen und daher ſehr teuer 
waren, machten es der Bronze unmöglich, unterſchiedslos allen Bedürfniſſen 
des menſchlichen Lebens zu dienen. Darum wurde während der Bronzezeit 
in ganz Europa und beſonders in Nordeuropa Stein, hauptſächlich Seuerſtein, 
aber auch Knochen, neben Bronze als zweiter und dritter Rohſtoff, namentlich für 
kleinere Waffen und Geräte für den Tagesgebrauch andauernd weiter benutzt. 

Dagegen ijt die Verbreitung des Eiſens in der Natur geradezu unbe— 
grenzt. hatte man alſo einmal die große Schwierigkeit der erſten Eiſen— 
erzeugung überwunden, ſo war man nicht mehr an die Einfuhr zweier in 
weit entlegenen Bezugsquellen fertig geſtellter Metalle, des Kupfers und des 
Zinns, oder einer aus beiden bereits zubereiteten Miſchung, der Bronze, 

2* 


20 Guſtaf Roſſinna, Die Anfänge der Eiſengewinnung und der Eifenbearbeitung [20 


gebunden, ſondern konnte das nötige Metall, das Eiſen, im Lande ſelbſt 
erzeugen. Der gewaltige Einfluß der Beſitzer jener fernen Metallquellen 
auf ihre Abnehmer war damit ausgeſchaltet. So verſtehen wir es beſſer wie 
die Gallier, als ſie ihre Waffen aus eigenem Stoff anzufertigen gelernt 
hatten, zu einer derartig überlegenen Kriegstüchtigkeit gelangten, daß ſie dann 
bald ihre großen Eroberungszüge nach Südeuropa und oſtwärts ins Hlpen⸗ 
und Balkanland, nach Südrußland und bis nach Kleinaſien auszuführen be⸗ 
fähigt wurden. 

Wenn unſere Wiſſenſchaft mit dieſem Zeitpunkt den Beginn einer ganz 
neuen Periode anſetzt, ſo hatte das zunächſt zwar rein äußere Gründe, nämlich 
die dadurch ermöglichte Aufitellung des Gebäudes einer relativen und dann 
einer abſoluten Chronologie der Vorgeſchichte. Wenn über dieſe angeblich 
rein mechaniſche, geiſtloſe Periodenteilung — Stein-, Bronze-, Eiſenzeit — 
nicht nur in Laienfreijen, ſondern neuerdings vereinzelt ſogar von Fach— 
leuten geſpottet worden iſt, ſo beſteht dafür nicht einmal ein geringer Schein 
der Berechtigung angeſichts der einſchneidenden Wirtſchaftsänderungen, die 
das Eiſen herbeiführte. Wir haben es bei dem Eintritt der Eiſenzeit und der 
bodenſtändigen Eiſenerzeugung mit einem Fortſchritt zu tun, der vielleicht 
der wichtigſte in der ganzen materiellen Entwicklung der Menſchheit geweſen 
iſt, ein Fortſchritt, der Bahn geſchaffen hat für alle höheren Ziviliſationsſtufen. 
Man braucht nur an die ungeheure Umwälzung zu denken, welche die Er— 
findung der Dampfmaſchine und in ihrem Gefolge die der Eiſenbahn herbei⸗ 
geführt hat. Im heutigen Leben iſt das Eiſen eine der wichtigſten Größen, 
wenn nicht die wichtigſte, in der geſamten Technik der Welt. Dank der 
Herrſchaft der Steinkohle, welche die Holzkohle verdrängte, und Dank der 
großartigen Verwendung der Dampfkraft ſtehen wir jetzt im Zeitalter der 
Maſſenſtahlbereitung. 

Aber auch heute noch wie ſchon 1000 Jahre vor Chr. ijt eines der be- 
deutendſten Gebiete der Eiſentechnik die Hherſtellung von Eiſenwaffen, jenen 
Werkzeugen, die kein Volk entbehren kann, am wenigſten das deutſche Volk, 
wenn es ſeine Freiheit wahren will. Huch das ringsum bedrohte Oſtpreußen 
will das und wird es hoffentlich durchſetzen: 


„Der Gott, der Eiſen wachſen ließ, der wollte keine Knechte!“ 


Wichtigſte Literatur 


. Bed, L.: Geſchichte des Gens 12. Braunſchweig 1890. 

Beld, W.: Die Erfinder der „ insbeſondere auf Grund von Bibeltexten 

Geitſchr. f. Ethnol. 1907, S. 3 

. — Die Erfinder der Eſſentechnit (ebd. 1908, 45 ff.). 

. Olshaujen, O.: (Ebd. 1907, 691ff.). 

— Eiſengewinnung in vorgeſchichtlicher Zeit Geitſchr. f EN. 1909, S. 60 ff.). 

. — Uber Eiſen im Altertum (Prähiſt. Zeitſchr. VII, 1015, S. 1ff.). 

Cuſchan, F.: Eiſentechnik in Afrika (Zeitſchr. f. Ethnol. 1909, S. 22 ff.). 

: Montelius, G.: Wann begann die allgemeine Verwendung des Eiſens (Prähiſt. 

Zeitſchr. 1913, S. 280 ff.). 

9. — Wann und wo wurde das Eiſen entdeckt? (Aarböger f. nord. Oldk. 1920, S. 3ff.). 

10. Blinkenberg, C.: Urſprungsland des Eiſens (Aarböger f. nord. Oldk. SC S. 159 ff.). 

11. Blume, €.: Eiſenſchmelzofen von Siedlemin (Mannus III, 1911, S. 295 ff.). 

12. RKoſſinna, G.: Eijenjpigbarren (Mannus VII, 1915, 8. 117ff.; 539 ff. XI/XII, 
1919,20, S. 412f.). 

15. Götze, A.: Die . 5 Wartburg. — Taleae ferreae (Koſſinnafeſtſchrift 
1928, Mannus Erg.⸗Bd. VI, S. 158ff.). 


5 Ne 


Neue Anjdhauungen über die Diluvialgeologie 
Oſtpreußens 


Don Landesgeologen Prof. Dr. Heh von Wichdorff in Berlin 


Es iſt eine recht merkwürdige, in Geologenkreiſen allmählich ſich durch⸗ 
ſetzende Tatſache, daß ausgerechnet eine der allerjüngſten geologiſchen Sor- 
mationen, das Diluvium mit feinen eiszeitlichen Ablagerungen, dem Sad): 
mann ungewöhnlich viele Rätſel und Schwierigkeiten darbietet. Immer 
mehr hat ſich herausgeſtellt, daß vergleichende Studien an den heutigen 
Alpengletjchern zur Erklärung der Erſcheinungen und gewaltigen Ablage- 
rungen der diluvialen Inlandeismaſſen keineswegs zureichen. Erreichen doch 
in Oſtpreußen die zur Diluvialzeit abgeſetzten Schichten von Lehmmergel 
(Geſchiebemergel), Tonmergel, Kies, Sand und erratiſchen Steinblöcken in 
gewiſſen Landſtrichen bis 200, ja bis 250 Meter Mächtigkeit. Infolgedeſſen 
erſcheint es als dringende Notwendigkeit, zur Klärung all der vielſeitigen 
Probleme der Diluvialgeologie an Stelle der bisher oft angewendeten Theorien 
neue Wege zu beſchreiten. Zwei Forſchungsmethoden find es namentlich, von 
denen man ſich verſprechen kann, daß ſie der Erkenntnis der geologiſchen 
Ereigniſſe während der diluvialen Eiszeiten neue Anregungen und Ergebniſſe 
bringen dürften. Einmal die ſorgfältigen Erforſchungen der heutigen Inland- 
eisgebiete in arktiſchen Gegenden, auf Grönland, Spitzbergen und auf der 
nördlichen hälfte von Nowaja-Semlja, wie ſie ſo erfolgreich in den letzten 
Jahren durch R. Gripp auf Spitzbergen durchgeführt worden ſind ), 2). Die 
einzelnen Vorgänge bei der Ablagerung der verſchiedenartigen Abjäße des In— 
landeiſes, namentlich auch die häufige Bildung von Staumoränen am Rande 
des Eiſes, hat Gripp durch ungemein ſorgſame und kritiſche Unterſuchungs— 
reihen an Ort und Stelle immer wieder von neuem beobachtet und in ge— 
ſchickter Weiſe für die Erklärung der norddeutſchen diluvialen Erſcheinungen 
ausgewertet. Seine zahlreichen ausgezeichneten und anſchaulichen Bilder— 
aufnahmen aus der Welt des Inlandeiſes ſind ungemein wertvoll als untrüg— 


OO EO on 


1) Dr. Karl Gripp und Dr. Emmy Todtmann: Die Endmoranen des Green 
Bau-Gletſchers auf KEE eine Studie zum Derftandnis norddeutſcher Diluvialgebilde. 
mit 14 Zaun und 6 Tertfiguren. (Mitteilungen der Geograph. Geſellſchaft in hamburg, 
Bd. 37, 43— 

2) Prof. 195 Gau Gripp: Glaciologiſche und geologiſche Ergebniſſe der ham— 
burgiſchen Spitbergen-Erpedition 1927. Mit 32 Tafeln und 39 Certfiguren. (Abhand- 
ungen, des Naturwiſſenſchaftlichen Dereins zu hamburg, Bd. 22, 2.—4, heft, S. 145 
bis 249.) 


22 heß von Wichdorff 2 


liche Grundlagen für die Unſchauungen über die Entſtehung des norddeutſchen 
Slachlandes und feiner verſchiedenartigen Landſchaftsformen. Endlich find 
wir durch die hervorragende Forſchertätigkeit Gripp's in die angenehme 
Lage verſetzt worden, beſtimmte geologiſche Derhältniſſe der diluvialen Ab- 
lagerungen auf ſicher beobachtete Vorgänge während der Inlandeisbedeckung 
Norddeutichlands zurückführen zu können. An der Hand der Bilder von 
Spitzbergen können wir uns ſogar eine lebendige Unſchauung von den damals 
an dieſer Stelle vorhandenen Landſchaftsformen und Einzelvorgängen machen 
und find damit der rein theoretiſchen und unfruchtbaren bisherigen Betrach— 
tungsweiſe erfreulicherweiſe vielfach enthoben. 

Die zweite Forſchungsmethode, die in Norddeutſchland bei diluvial- 
geologiſchen Unterſuchungen Platz zu greifen hat, muß auf ebenſo ſorgſamen 
und kritiſchen Beobachtungen beruhen. Es gilt hier, nach eingehender Seit- 
ſtellung des genauen geologiſchen Aufbaus einer Gegend die geologiſch— 
morphologiſchen Landſchaftselemente überſichtlich genau zu erfaſſen und in 
allen ihren Einzelheiten zu einem Geſamtbild der Vorgänge zur Zeit der 
diluvialen Inlandeisbedeckung Nordeuropas zuſammenzuſtellen. Wohl find 
auch bisher ſchon bei den geologiſchen Flachlandsaufnahmen dieſe tupiſchen 
Candſchaftselemente kartographiſch ſcharf ausgeſchieden worden. Es fehlte 
aber bei der geraumen Zeit, welche die ſorgfältige Aufnahme der verjchie- 
denen Meßtiſchblätter erforderte, an der notwendigen Überſicht über eine 
hinreichend große Geſamtlandſchaft. Nun ſtellte ſich bei den umfangreichen 
Überſichtsaufnahmen eines größeren Teiles von Maſuren, der ganzen Grad- 
abteilung 36, welche nicht voll 34 Meßtiſchblätter umfaßt und in den Jahren 
1921 bis 1930 vom Derfaſſer aufgenommen wurde, heraus, daß die bejon- 
deren Landſchaftsformen in den einzelnen Gegenden durchaus nicht alle zur 
genauen Erkennung der eigentlichen Vorgänge zur Eiszeit erforderlichen 
Grundlagen boten. Infolge der von Gripp beobachteten dauernden Os— 
zillationsvorgänge am Eisrande werden vielfach bereits abgelagerte Abſätze 
von neuem überdeckt und find daher nicht mehr ſichtbar. Bei den Überſichts⸗ 
aufnahmen wurden daher bei jeder Landichaftsform immer wieder die ein- 
zelnen Kriterien feſtgeſtellt und bei neu aufgefundenen gleichartigen geolo— 
giſchen Gebilden ſtets erneut eingehend nachgeprüft und ergänzt. Dieſe 
Arbeitsform mußte ſchließlich dazu führen — infolge der über außerordentlich 
weite Slächenräume des Landes ſich erſtreckenden und gleichmäßig ausgeführten 
Unterſuchungen — ſozuſagen ideale Landſchaften aufzufinden, in denen alle 
Sormenelemente durch einen beſonderen Glücksumſtand noch bis heute ſich 
erhalten haben, ohne durch ſpätere Oszillationen wieder teilweiſe verwiſcht 
zu ſein. 

Huf dieſe Weiſe iſt nun gelungen, ein wirklich ideal erhaltenes dilu— 
viales Stauſeebecken in Maſuren nachzuweiſen, an dem man alle Einzelheiten 
in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge beobachten kann. Damit iſt aber gleich— 
zeitig das bisher immer noch beſtehende Dunkel über die Entſtehung unſerer 
ſo verſchiedenartigen maſuriſchen Seen gelichtet. War man doch bisher in 
manchen Kreilen geneigt, das Werden unſerer Seen in die Zeit der endgültigen 
Abſchmelzung des Inlandeiſes zu verlegen. Man verband damit die recht 
einleuchtende Erklärung, daß eben die Schmelzwäſſer des Inlandeiſes am 
Schluſſe der Eiszeiten alle tiefen Bodenſenken mit Waſſer erfüllt und auf 
dieſe Weiſe die Seen geſchaffen hätten. Ganz ſo einfach iſt allerdings der 
Bildungsvorgang unjerer Seen nicht geweſen. Vielmehr ſtellt ſich heraus, 


3] Neue Unſchauungen über die Diluvialgeologie Oſtpreußens 23 


daß alle unſere Seen ſchon während der vollen Inlandeisbedeckung Maſurens 
in der Diluvialzeit inmitten des Eiſes entſtanden ſind und urſprünglich von 
hohen Eismauern umgeben waren, die in dieſem urſprünglichen Juſtand 
ihre Ufer gebildet haben. Erſt bei der endgültigen Abſchmelzperiode des Eiſes 
ſank der bisherige weit höhere Waſſerſpiegel des größeren Seebeckens ruckweiſe 
und die Schmelzwäſſer erfüllten die tiefſten Senken mit ihren Waſſern und 
ſchufen an Stelle des bisherigen großen Staubedens die heute noch vorban- 
denen kleineren Einzelſeen. 

Die allmählichen Entwicklungsſtufen dieſer Seenbildung enthüllt uns 
nun das Muſterlehrbeiſpiel des diluvialen Stauſeebeckens von Woszellen und 
Grabnick weſtlich von Cyd in Maſuren, deſſen grundlegende Bedeutung erſt 
im Jahre 1929 erkannt wurde. Hier liegt der in der Diluvialgeologie fo ſeltene 
Sall vor, daß man durch genaue Beobachtung und ihre logiſche Auswertung 
an Ort und Stelle alle diluvialen Erſcheinungen ohne Anwendung von hupo— 
theſen erklären kann, daß man an allen Punkten des ausgedehnten Dor- 
kommens im Gelände immer wieder alle Einzelheiten kritiſch feſtſtellen kann 
und ſtets zu den gleichen Ergebniſſen gelangt. 

Die äußere Umgebung dieſes großen, ſich ſcharf abhebenden ovalen 
Stauſeebeckens bildet überall die charakteriſtiſche kuppige Grundmordnen- 
landſchaft. Don W. Ule wurde diefe für Maſuren fo tupiſche Landichaftsform 
mit ihren rotbraunen, fo mannigfaltig geſtaltenen Cehmbergen und ſteilen 
buppen und den vielen unregelmäßig begrenzten Moorzipfeln und kleinen 
wie größeren Torfmooren dazwiſchen treffend als „Buckelige Welt Maſurens“ 
bezeichnet. Rings umſchloſſen von dieſem fruchtbaren hügeligen Lehmgebiet 
erſtreckt ſich nun ein völlig ebenes, kieſiges Sandgebiet, das in einer weſtlichen 
Bucht in ein ebenes fettes Tongebiet übergeht, der Bereich des Stauſeebeckens, 
in dem noch einige eingeſenkte kleinere Rinnenſeen als letzte Reſte des ehe⸗ 
maligen größeren eiszeitlichen Stauſeebeckens erhalten geblieben ſind. An der 
Grenze zwiſchen der äußeren bergigen Cehmlandſchaft und dem ebenen kieſig— 
ſandigen Inneren des früheren Stauſees zieht ſich nun ein landſchaftlich ſehr 
auffällig ſich heraushebender ſchmaler Ring eines grobkieſigen ſtark gebogenen 
Bergkammes dahin, der die ausgeſprochene Randendmoräne des Stauſee— 
beckens darſtellt. Gewaltige Blodpadungen von wollſackähnlich auf einander 
getürmten erratiſchen Steinblöcken, wie ſie z. B. in einer Steingrube unmittel— 
bar am Eiſenbahneinſchnitt bei Chrzanowen und an anderen Stellen der 
Umrandung des Stauſees nördl. von Grabnick und im Dorfe Czerwonken 
vorzüglich ſtudiert werden können, kennzeichnen dieſe das Staubecken um— 
rahmende Randendmoräne als eine einwandfreie und ſichere Endmoränen— 
bildung, wie ſie nicht charakteriſtiſcher ausgebildet ſein kann. Dieſer hinweis 
auf die echte Endmoränennatur dieſer Randendmoränen von diluvialen 
Stauſeebecken muß um fo ſtärker betont werden, als auch am Rande des 
großen diluvialen Mauerſeeſtaubeckens, vor allem am Oſtrand des Goldap— 
garſees bei Jeſziorowken, dieſe ausgezeichneten, Worf gebogenen Randend- 
moränen mit ihren ſchönen Blockpackungen vorhanden ſind, aber irrtümlich 
im Jahre 1904 als gewöhnliche Endmoränen, die am Rande des eisfreien 
ſüdlichen Dorlandes bei der endgültigen Abſchmelzung des Inlandeiſes zu 
entſtehen pflegen, aufgefaßt wurden, obwohl fie eine deutlich ſüd nördliche 
Richtung aufweiſen. Ihr unmittelbarer Zuſammenhang mit den Stauſee— 
terraſſen wurde eben außer vom Derfafjer bisher nicht erkannt. Bereits 
im Jahre 1914 hat der Derfaſſer in feiner umfaſſenden Abhandlung 


24 Heb von Wichdorff [4 


über „Das maſuriſche Interſtadial“!) folgendes darüber gejagt (S. 350 
bis 351): 

„Alle dieſe Erſcheinungen find aber ſofort verſtändlich durch die Theorie 
der Entſtehung der Seen aus iſolierten Staubecken, die ſich im ſtilliegenden 
Eiſe in der Umgebung größerer Eisſpalten allmählich bildeten. Noch kurz 
mag auf die Tatſache hingewieſen werden, daß die Stauſeebecken Maſurens 
mit ihren heutigen hochgelegenen ehemaligen Strandterraſſen oft an mehreren 
Seiten umſäumt werden von einem Kranz einer ſchmalen, modellſcharfen 
Endmoränenkette, die durch ihre vorzügliche Erhaltung und Geſtalt bereits 
verrät, daß ihre Entſtehung unter beſonders günſtigen Umſtänden erfolgt iſt. 
Solche Endmoränenketten umgeben 3. B. als Halbring den Goldapgarſee 
und in noch größerem Umfange die Seen des Haaszner Seengebietes. Sie 
ſind auch im Gebiete des großen Mauerſeebeckens in ihren weiten, den 
ehemaligen Uferrändern des Mauerſee⸗Staubeckens folgenden Bogen überall 
erkennbar, wie dies die in dieſem Jahrbuch (1904) erſchienene „Überſichtskarte 
des Mauerſeegebietes in jungdiluvialer Zeit“ vorzüglich wiedergibt. Wie 
ſind nun dieſe Stauſee-Randendmoränen zu erklären? Sie ſtimmen durchaus 
nicht überein mit den großen Kückzuglinien des Inlandeiſes, mit denen fie 
ſich vielfach winkelig und oft auch ſenkrecht ſchneiden. Sie verwirren in ihrer 
großen Fülle und Mannigfaltigkeit derart, daß es bisher nicht möglich war, 
in den Seengebieten des Baltiſchen höhenrückens in Maſuren die Haupt- 
rückzugslinien des Inlandeiſes von ihnen zu ſcheiden. Die Stauſeebecken 
waren mitten im geſchloſſenen ſtilliegenden Inlandeiſe auf Spalten als 
kleinere wie große Eislöcher entſtanden und beſtanden als ſolche längere 
Zeiten. Als das Inlandeis ſpäter immer mehr abſchmolz und der ſüdliche 
Eisrand ſich den Stauſeebecken immer mehr näherte, begann das Eis in der 
Umgebung der Stauſeen ebenfalls Worf abzuſchmelzen und hinterließ an 
der Stelle des alten Eisrandes um den Stauſee einen ſchmalen Endmoränen⸗ 
wall. In Gegenden, wo keine Stauſeen in Eislöchern vorhanden waren 
und eine eigene getrennte Abjchmelzung im Inlandeis erfuhren, hat das 
ſchmelzende Inlanideis nur an den größeren Stillitandslagen einheitliche 
Endmoränenzüge größeren Stils hinterlaſſen, die in ihrer Cage die allgemeine 
Rückzugslinie des Inlandeiſes wiedergeben. In den Stauſeegebieten erfolgte 
das Abſchmelzen des Eiſes entſprechend den vielgeſtaltigen Umriſſen dieſer 
gewaltigen Eislöcher nach allen möglichen Richtungen, vielfach ſogar vor⸗ 
warts auf den Haupteistand zu und auch ſenkrecht zu ihm. In den großen 
Zwiſchengebieten zwiſchen den einzelnen Staubecken erfolgte der Rüdzug 
des Inlandeiſes regelmäßig von Süden nach Norden und hinterließ örtlich 
die Sanderflächen und Urſtromtäler, welche neue Verbindungen zwiſchen 
den getrennten Staubecken ſchufen, ſowie den Ablauf der angeſtauten Daller: 
mengen und die Trockenlegung der Strandterraſſen ſowie die Entſtehung 
zahlreicher Einzelſeen zur Folge hatten. Es erfolgt ſtufenweiſe derſelbe 
Vorgang in umgekehrter Reihenfolge, der einſt zur Bildung der Staubecken 
geführt hatte. Das Staubecken zerfällt wieder in ſeine urſprünglichen Ele— 
mente, die die Eroſion auf den Eisſpalten geſchaffen hatte und die heute 
als Einzelſeen in ihrem Bau und ihrer Geſtalt die Geſchichte ihrer Entſtehung 
widerſpiegeln.“ 


1) H. Heß von Wichdorff: Das maſuriſche . (Jahrbuch der Preußiſchen 
Geologiſchen Landesanſtalt für 1914 (Bd. 55, Teil II), S. 298—353.) 


5] Neue klnſchauungen über die Diluvialgeologie Oſtpreußens 25 


Seit dieſer Zeit hat die wiſſenſchaftliche Erkenntnis des Werdeganges 
unſerer maſuriſchen Stauſeen durch ſorgſame Einzelſtudien an den verſchie⸗ 
denen Eisſtaubecken des Landes erhebliche Sortichritte gemacht und das bis⸗ 
herige Problem der Entſtehung der verſchiedenartigen Seengebiete Maſurens 
nunmehr reſtlos zur Cöſung gebracht. Auf die einzelnen wiſſenſchaftlichen 
Beweiſe näher einzugehen, würde an dieſer Stelle zu weit führen. In dieſer 
Beziehung ſei auf die ausführliche amtliche Darſtellung dieſer verwickelten 
Derhaltnijje beſonders hingewieſen, die auch dort gemeinverſtändlich dar⸗ 
geſtellt ſind !). 

Freuen wir uns, daß es in dreißigjähriger entſagungsreicher Forſcher— 
tätigkeit nunmehr gelungen iſt, dieſe Grundprobleme der maſuriſchen Land- 
ſchaft und vornehmlich ihrer Seen zu einer klaren und einwandfreien Cöſung 
zu führen! 

1) h. heß von Wichdorff: „Diluvialgeologiſche Beobachtungen und Ergebniſſe in 
Maſuren. — Geſchichtliches. — Das glaziale Staubecken von Wos3ellen—Grabnid. 
(Sitzungsberichte der Preuß. Geologiſchen LCandesanſtalt, heft 6 (1931), 5. 100— 117.) 


Das Waldbild und die Ulimaſchwankungen Oſt⸗ 
preußens unter der Einwirkung des prähiſtoriſchen 
Ackerbaus 


Don hermann Ziegenſpeck, Königsberg / pr. 
(Vortrag auf der Tagung der Geſellſchaft für deutſche Vorgeſchichte in Königsberg) 


Zur Beurteilung der Klimaſchwankungen nach der Eiszeit haben wir in 
Oſtpreußen verſchiedene Möglichkeiten: Die Waldböden des F-Geſtelles kurz 
vor Sarkau auf der Kurifchen Nehrung, die Waldböden der Kurifchen Dünen, 
die Seenſpiegel und überſchwemmten Wälder, die Moore mit ihrem Bliiten- 
ſtaub von Waldbäumen und nicht zuletzt die menſchlichen Artefakte. 

Betrachtet man zunächſt die Hufſchlüſſe am F-Geftell, fo iſt das Bild 
in dieſem Jahre nicht mehr ſo leicht zu erſehen, wie im vorhergehenden. 
Ich will mich daher an die damaligen Zuftände halten. Sie find eingehend 
unterſucht und beſchrieben worden. Auf dem Geſchiebelehm lagert ein 
Riedgras- und ein Mooshorizont mit hochnordiſchen Mooſen. Blütenſtaub iſt 
in dieſer Schicht nicht allzuviel vorhanden. Wir konnten Birken und Kiefer 
vorfinden. Schon in dieſer ſehr frühen Schicht war die Ulme ſpärlich ver⸗ 
treten, wie das ja im Often oft der Fall ijt. Man kann alſo die Horizonte in die 
präboreale Zeit oder arktiſche Zeit verlegen und bis zum Beginn der Ein—⸗ 
wanderung der Ulme alſo Anfang der borealen Zeit ausdehnen. Man kann 
die Bezeichnungen ſelbſtredend auch abweichend vom Blytt Sernanderſchen 
Schema mit Ende Yoldia Anfang Ancylus bezeichnen. Unſerer Unſicht nach 
iſt das ebenſo wie die Bezeichnung Dormeſolithiſch viel glücklicher. 

Es kommt nun ein Anitieg der Dünenbildung mit Sandaufſchüttungen. 
Dazwiſchen ſind feinſte Torfſchichten eingeſtreut. Dieſe Schicht wird durch 
eine oder zwei dickere Horizonte beendigt. In dieſen finden wir die Kiefer 
und Birke, daneben aber {don Erlen. Haſelpollen konnten wir nicht finden. 
Man kann die Bildungszeit als Boreal, Meſolithikum oder Ancylus bezeichnen. 
Die Trockenheit hat wohl den Transport des Sandes begünſtigt. Wir machen 
vornehmlich auf den fehlenden Ortſtein aufmerkſam. Das Ausbleiben der 
Hajel wird noch zu behandeln ſein. 

Inwieweit die folgenden Schichten durch das Sinken unter Waſſer in 
der Litornazeit verändert ſind, darüber iſt hier nicht zu diskutieren. Jeden 
Salles erfolgt eine weitere Sandaufſchüttung. Eine ſtarke Bindung des Sandes 
kam wohl nicht in Frage, da noch das heidekraut in der erſten Litorinazeit 
fehlte bzw. in Seenähe nicht an exponierten Orten gedieh. Die heide als 
Pioniergeſellſchaft zur heidedüne fehlte offenbar noch. 

Man könnte höchſtens an eine Bindung wie auf Juiſt durch eine Moos— 
düne mit Sanddorn denken. 


2] Das Waldbild und die Klimaſchwankungen Oſtpreußens uſw. 27 


Nach einer mächtigen Sandaufſchüttung folgt der atlantiſche Horizont, 
durch die Litorinahebung wohl etwas überhöht. Dieſer ins Neolithikum 
fallende Horizont weiſt ungeheure Ortſteinbildungen mit kräftigen Bleich: 
landen auf. Die Calluna, die wir geneigt find als Ortſteinbildner anzuſehen, 
iſt fraglos hier weit verbreitet geweſen. Prachtvolle Baumtöpfe durchbrechen 
die Bildung. Dieſe Böden beherbergen die Reſte mancher Pflanzen mit tupiſch 
atlantiſcher Verbreitung wie den Gagelſtrauch, der heute in dieſer Gegend 
völlig fehlt. Mit der Citorinaſenkung iſt das Haff entſtanden oder zum mins 
deſten ausgedehnt worden. Auch heute bildet ſich der Ortſtein beſonders in 
baumfeindlichen atlantiſchen Regionen, zumal wenn der Menſch die Bäume 
beſeitigt (beſonders durch Kohlenmeilerei oder heidebrennen, dem Reſte 
einer alten Brandkultur). Das Klima muß im allgemeinen feucht geweſen fein 
und dabei mild. Aber kleinere Trockenzeiten ſind immer im jahreszeitlichen 
Wechſel eingeſtreut. Wir möchten die Klimafurve von Werth anführen. 
Das transgredierende Meer hat alſo ein anderes Klima und Pflanzen mit⸗ 
gebracht. Wir müſſen uns in Oſtpreußen an der See etwa ein Klima wie in 
Rügen vielleicht ſogar Schleswig denken. Dort haben wir die ausgeſprochenen 
heidedünen und Moosdünen, die uns heute hier fehlen, aber damals, wie 
die Ortſteine zeigen, auch bei uns da waren. 

Wie ſind nun dieſe mächtigen Ortſteine entſtanden. heute beobachten 
wir auch in ſolchen Klimaten nur dieſe Bildungen, wo der Menſch das Baum— 
wachstum unterbindet. Das iſt erſt neuerdings wieder durch Mager gezeigt 
worden. Im ſich ſchließenden Walde hindert die Beſchattung das zeitliche 
Austrodnen, das unſerer Unſicht nach zur Ortſteinbildung gehört. Es kommen 
die Heidelbeer= oder Schmielenwälder an trockenen, die Haſelkiefernwälder 
an feuchteren Stellen heraus. Un die Eichenmiſchwälder iſt weniger auf dieſen 
Böden zu denken. In Niederungen aber müßte die Erle hier weite Strecken 
bedeckt haben. Die Böden hatten fraglos die Neigung zu ſtarker Säuerung 
und die meiſte Zeit im Jahre, beſonders im Winter, ein fluswaſchen der oberen 
Schichten. Ob dieſes ſtarke Auswaſchen und die Derfilzung durch die Heide 
allein die Schuld an dieſer Beſchaffenheit des Bodens trägt, oder ob nicht doch 
der Menſch hier eine wichtige Rolle durch Abholzen oder Abbrennen geſpielt 
hat, das iſt ſchwer zu entſcheiden. Die Nehrungen waren immer in dieſen 
Zeiten beſiedelt. 

In dieſen Waldböden über dem Ortſtein hat meine Schülerin Werner 
das Vorkommen von Erlenpollen als herrſchenden nachweiſen können. Es 
ijt uns dieſer Fund wegen der Zeitſtellung der Moore ſehr wichtig. 

Es kommen, nur von geringen humuslagen unterbrochen, mächtige 
Sandaufſchüttungen, die aber an anderen Stellen fehlen. Es müſſen Dünen— 
bildungen eingeſetzt haben. In dieſen ſubatlantiſchen bis rezenten Horizonten 
fehlt der Ortſtein und wo er weiter einwärts auf wirklichen heideſtrecken 
da iſt, ijt der Derdacht einer geringen Tiefe der atlantiſchen Horizonte nicht von 
der hand zu weiſen. Wir find in den ſubatlantiſchen Schichten. Dem vollen 
Winde der „RKahlfröſte“ ausgeſetzt, gedeiht heute die heide nicht mehr, wohl 
aber im Windjchatten. (Wälder zwiſchen Cranz und Sarkau.) 

Das Vorkommen des heidekrautes (Calluna vulgaris) iſt von ſehr großer 
Bedeutung für die Beurteilung des Klimas in der Vorfrühjahrszeit und 
beſonders für das Vorkommen einer Schneebedeckung. Auf das deutlichite 
können wir auch an anderen Stellen, Mooren, Küſtenabſtürzen, beobachten, 
daß die Heide nicht die Kahlfröjte verträgt. An der windgeſchützten Küjte 


28 Hermann Ziegenſpeck [5 


oder an den weniger den herrſchenden Winden ausgeſetzten Stellen finden wir 
dasſelbe, nicht hingegen an den freien und ungünſtig exponierten. Die Be- 
obachtungen am Wachbudenberg, an der Küſte des Samlandes von Palm⸗ 
nicken bis Neukuhren, in der Rominter heide und im Skaliſcher Sorft find hier 
ſehr kennzeichnend. Dagegen geht die heide in voller Entwicklung weit nach 
Finnland hinauf, wo der Schnee länger liegt. Aud) hier ijt z. B. bei Coimola 
und am Ladogaſee das Fehlen an windausgſetzten Stellen deutlich zu beob⸗ 
achten. Der Wald beſteht heute in der Nachbarſchaft aus Kiefern mit Adler- 
farn, Erle, Birke, Schmiele und anderen Pflanzen. Die Fichte iſt auf der 
Nehrung nicht gerade häufig. 

Das Klima iſt offenbar im Winter kälter geworden. Die heidebildung 
iſt nicht mehr begünſtigt. Sie kann zwar an geſchützteren Stellen durch den 
Eingriff des Menſchen noch herauskommen (Katzengründe!), aber die Klimar, 
d. h. der Endzuſtand der Pflanzenbeſiedlung ijt nicht fie, ſondern der Kiefern- 
wald ohne Heidekraut. Die Brandkultur, das Schlagen des Waldes, die Koblen- 
meilerei und heidebrand, müſſen abgenommen haben. Der Wald ijt aber an 
exponierten Stellen nur metaſtabil, er kann ſich, wenn er da iſt, halten, aber 
kaum ſelber daſelbſt erzeugen, das geht nur in tieferen Lagen. Das Gelände 
vor Eingreifen des Rüſtenſchutzes muß eine große Ähnlichkeit mit dem Dünen⸗ 
gelände am Rigaer Meerbuſen gehabt haben. Ahnliche Stellen ſind z. B. auf 
der Steilküſte bei Palmnicken —Groß⸗Dirſchkeim anzutreffen. Der Wald fängt 
die Dünen, die aus labilen Weidendünen am Meere entſtehen, je nach ſeiner 
Lage in allen möglichen Richtungen auf. Da aber der Wald nicht ausgerottet 
iit, jo kann er fic) halten und große Wanderdünen kommen wegen der ge: 
ringeren Sandmaſſe nicht heraus. Nur an vereinzelten Stellen kommen einmal 
mehrere Dordünen ins Wandern, dann gibt es größere Wanderdünen örtlicher 
Lage, die höher als der Wald find und damit unabhängig von ſeinem Verlaufe 
werden und ſich nach der Windrichtung einſtellen. 

Kommt es aber zu einem Waldbrande, ſei es durch den Menſchen oder 
durch Blitzſchläge, dann kann einmal eine Wanderdüne größeren Umfanges 
entſtehen. Dieſe aber wird verweht und verebbt. Der Wald kommt in tieferen 
Lagen wieder heraus. 

Wenn jedoch der Menſch in einem ſolchen Gelände ſich mit zu ſtarkem 
Abholzen, Kahlſchlägen, Kohlenmeilerei, Teerbrennen oder Anlage von 
Dauerweiden befaßt, dann kommt der Wald zum Ausiterben. Er war ja nur 
metajtabil. Als Beweis hierfür diene das Dünengelände der Nehrung. Unten 
haben wir die atlantijde Waldzone mit geringem Ortſtein. Darüber kommen 
oft, jedoch nicht immer, neue Sandlagen, die ſehr mächtig ſein können und in 
hiſtoriſcher Zeit den ſubatlantiſchen Wald getragen haben. Ob es hier eine 
Trockenheit war, die den Sand weiter aufgeſchichtet hat, iſt nicht ſicher. Man 
hat als ſolche das Subboreal vermutet. Das fällt etwa in die Bronzezeit, 
die in Oſtpreußen ja auch in ihren erſten Kulturniederſchlägen recht ſelten iſt, 
ja ſogar ſtrichweiſe fehlen könnte. Das Schlagen des Waldes in hiſtoriſcher 
Zeit, ſogar die durch Holzfohlen auf den Dünen und durch Ausfagen alter 
Überlieferungen bezeugte Kohlenmeilerei und Teerbereitung haben die ſeit 
Jahrtauſenden ſtehenden Sandmaſſen wegen der unmöglichen oder erſchwer— 
ten Bindung durch die verfilzende heide und Krähenbeere in größeren höhen 
zum Wandern gebracht. Man findet überall dort auf der Nehrung, wo 
mächtige nackte Wanderdünen ſtehen, kaum heidekraut im Wald oder Wind— 
ſchutze, nie aber im Freien. Auch der Sanddorn iſt nur in Nähe des Grund— 


4] Das Waldbild und die Klimaſchwankungen Oſtpreußens uſw. 29 


waſſers mehr am Anfang anzutreffen. Erſt da, wo die Wanderdünen mehr 
ſchwinden (Sarkau, Preil), erſcheinen die Sandverfeſtiger. Die Weite der 
Waſſerfläche des haffes muß dabei eine nicht zu unterſchätzende Rolle ſpielen. 
Ergänzend möchte ich hervorheben, daß in den atlantiſchen Böden Neolithiker⸗ 
funde gemacht ſind. Es kann hier nicht der Ort ſein, dieſe in einer anderen 
Arbeit ausgeführten Dinge weiter auszuführen. 

Nur kurz will ich in dieſem Zuſammenhange die Ortſteine und auch 
„Schwarzerdeböden“ im Süden Oſtpreußens erwähnen. Die erſteren kenne ich 
genauer. Sie liegen zum Teil im Skaliſcher Sort unter mächtigen Fichten⸗ 
beſtänden, ja ſelbſt Erlenbeſtände und hochmoorbildungen bauen ſich auf ihnen 
auf. Aud da könnte man atlantiſche und ſubatlantiſche Zeiten vermuten. 
Zur Vorſicht gemahnt aber der Umſtand des früheren Röhlerei- und Teerofen⸗ 
betriebes in dieſer Gegend. Vielleicht noch mehr die Eiſenbereitung, die ja 
eine Begleiterin der Köblerei in hiſtoriſcher Zeit noch war, kann das Waldbild 
und damit das Klima einer Gegend ganz gewaltig beeinfluſſen. Wenn der 
Wald geſchlagen oder durch ſtändiges Abzapfen und Krüpplig⸗machen nieder⸗ 
gehalten wird, dann ſchwinden die Waſſerſpeicher, das Klima wird dann an 
lich ſchroffer in den Gegenſätzen. An ſolche Momente muß bei der Betrachtung 
der Waldſiedlung in der Eiſenzeit bei dichterer Bevölkerung gedacht werden. 

Ein gutes Licht werfen die Unterſuchungen meiner Schülerin Urbſchat 
auf die Waldbeſiedlung der Rominter Heide. Dieſe iſt durch Quellenſtudien 
und Pollenanalutik des jog. Igterſees geſtützt. Wir haben hier ein ſehr dent: 
würdiges Bild. In der alten Zeit war die Fichte zum Klimaxbaum geworden 
und beherrſchte das Waldbild. Etwa in der Eiſenzeit (durch Sunde menſchlicher 
Artefakte im Vorkommen belegt) vermindert ſich die Fichte zum erſten Male, 
um ſofort wieder mächtig aufzutauchen. In hiſtoriſcher Zeit hat der Menſch 
wieder Teerbetrieb und Kohlenmeilerei angefangen. Die Fichte ſinkt im 
Waldbilde. Es ijt eine „Heide“ entſtanden, d. h. ein lichter Kiefernwald. Erſt 
in neuerer Zeit kommt wieder die Sidjte zum Durchbruch. Der fo unverjtand- 
liche Name iſt durch den früheren Zuſtand verſtändlich. Ahnliche Bezeich⸗ 
nungen kennt man auch aus BayerijchSchwaben. Die Gegend der früheren 
Erzeugung des bayeriſchen Eiſens trägt heute noch den unverſtändlichen 
Namen „d' Staude“, obwohl fie mit Hochwald met Fichten, ſeltener Laub: 
wald, bedeckt iſt. Die Kohlenmeilerei, Töpferei und die Eiſenhütten hatten einen 
Krüppel⸗ und Staudenwald erzeugt. 

Ich will nun auf die jetzigen und ehemaligen Seen eingehen. Dielfach 
(Mauerſee) finden wir unter dem Seejpiegel Torfſchichten als ein Zeichen 
für ſpätere Überflutung eines ſchon verlandenden Sees. Man könnte bei 
geringem Steigen auch an ein Verwachſen der Abflüſſe denken. Aber die 
Steighöhen find zu hoch. Ein ſehr intereſſanter Fall ijt mir durch Bohrungen 
mit Herrn Lehrer Büchle im ehemaligen Stirlater See dem jetzigen Gudeller 
Moor bekannt. Am Grunde desſelben ſind bei Bohrungen an vielen Stellen 
regelmäßig Baumſtämme und ausgeſprochene Waldböden mit Sarnjporen uſw. 
zum Vorſchein gekommen. Fichtenpollen iſt hier gar nicht fo ſelten. Wir 
verweiſen auf dieſes Vorkommen von borealen Sichtenwäldern in ſehr früher 
Zeit auf ſpäter zu Sagendes. Es handelt ſich um einen in borealer oder meſo— 
lithiſcher Jeit vorhandenen Wald, der von Waſſer überſchwemmt wurde. Dar— 
auf lagert 7 m Faulſchlamm, aljo Seeſediment. Ebenſo haben wir am Grunde 
des Igterſees mitten in der Rominter heide Wurzeltorf gefunden auf dem 
6.5 m Faulſchlamm lagert. Beide Seen ſind erſt in neueſter Zeit zu Schwing— 


30 Hermann 3iegeniped [5 


mooren von Übergangsmoorcharakter verlandet. Der Anftieg des Waſſer⸗ 
ſpiegels ijt alſo auch bei uns eine weit verbreitete Sache. Dieſe Dinge können 
nur durch Feuchtwerden des Klimas entſtanden ſein. Das boreale Klima als 
Trockenzeit iſt ſomit ſicher belegt. 

Anders zu werten find die Sunde in Schwendlund (Werner). Hier 
haben wir unter dem heutigen haffſpiegel in 9 m Tiefe Erlenſtubben. Dar: 
unter Moorhorizonte mit Birken und Kiefern, alſo „arktiſchere“ Zonen. Die 
Erlen kommen in der „Borealzeit“ in großen Maſſen. Der Anſtieg des Waſſers 
ijt hier durch die Citorinaſenkung bedingt, die ja auch die Baumſtämme unter 
dem Spiegel der Oſtſee bedingt, wie dieſe auch Torf auswirft (welcher 
Provenienz?). Das Wichtige hierbei iſt außer der tiefen Lage vielmehr der 
Charakter des ganzen Moores als Bruchwaldmoor. Es kann alſo nur eine 
langſame Senkung geweſen ſein. Bis in etwa 2 m Tiefe baut ſich der Bruchtorf 
auf. Dann kommt der hochmoortorf in normaler Entwicklung als ombrogener 
Wald, wie er ja heute noch an den Rändern zu finden iſt. Es muß alſo auch hier 
ein Abändern nach der Litorinahebung erfolgt ſein. Das Klima ijt durch „Sub⸗ 
atlantiſchwerden“ für die Bildung des Wollgrasmoores günſtig geworden. 

Zu den Mooren überleitend gebe ich Ihnen ein Bild von der Kakſchen 
Balis. In 6 m Tiefe fanden wir Schilftorf. Dieſer kann auch nicht in ſolcher 
Tiefe gebildet ſein, ſondern in einem ſeichteren Waſſer. Dann kommt Sphag⸗ 
numtorf. Waſſerkiſſen mit etwa 1 m Mächtigkeit Jind eingebettet. Wir hatten 
keine Baumſtämme am Grunde, es ijt ein meſotroph verlandender See. Die 
Bohrung war hier nur orientierender Natur. Huch hier handelt es ſich um eine 
langſam erfolgende Überſchwemmung eines wohl ſeichteren Waſſerbeckens. 
Einen Trockenhorizont haben wir nicht angetroffen. 

Bei anderen Mooren wie z. B. die Jehlau haben wir auch keinen echten 
Trockenhorizont angetroffen. Das Moor iſt ombrogener Natur. Am Grunde in 
etwa 7 m Tiefe find Baumſtämme. Dann kommen Kiefern mit Schilftorf, 
Wollgras, Rekurvumtorf. Auf dieſe Bildung folgt auch heute an ungeſtörten 
Stellen des Randes gut ſtudierbar ein Reiſerwald, in dem die Torfmooſe 
vorübergehend ganz verſchwinden können. Solange nämlich der Kiefern: 
beſtand den Boden beſchattet, können nur gewiſſe Mooſe gedeihen, die weniger 
Licht brauchen. Dieſe aber brauchen entweder Waſſerzufuhr von außen, alſo 
andere Blutbildner, oder ſie ſind nur meſotroph. Es kommt ein Moment, wo 
die Nährſtoffe ſo ſchwinden, daß die Blutbildner zum Stehen kommen, dann 
wird der Wald wieder trockener. Es kommen die Heidelbeere und andere 
Reiſer heraus, die noch mehr beſchatten. Wenn dann der Wald ſtirbt, kommen 
zunächſt Lichtreifer (Porſt), aber letztere können nicht den ſich inſelartig ein- 
ſchiebenden Lichtbultmooſen widerſtehen, ſie werden umwallt und erdrückt. 
Das lebendige Wollgrasmoor kommt heraus. hierdurch entſteht ein „Trocken- 
horizont“. In unſerem „ſubatlantiſchen“ Klima des Oſtens kommt die Moor: 
heide nicht ſo recht zur Geltung, aber in atlantiſchen Mooren ſiedelt ſich das 
Heidekraut an und ijt dort gegen die Kablfrdjte durch das Klima geſchützt. Es 
beſchattet die oligotrophen Lichtſphagnen. Es wechſelt der Charakter. Würde 
das Klima Kahlfröjte zeigen, wie in Oſtpreußen, jo würde die heide nicht jo 
herrſchend werden können. Wir bekämen durch die Aufeinanderfolge ſolcher 
Klimaten als Kennzeichen der Grenze von atlantiſcher und ſubatlantiſcher 
Zeit einen heidegrenzhorizont. Da die Moorheide 3. B. Schwarze Moor in 
Hinterpommern mit Wald beſtanden iſt, jo kann ſich von neuem ein om— 
brogener Wald einſtellen. Eine ſubboreale Trockenheit brauchen ſolche Moore 


mn — 


— — — —— 


6] Das Waldbild und die Klimaſchwankungen Oſtpreußens uſw. 31 


gar nicht durchgemacht zu haben. Unſere bis jetzt unterſuchten Moore hatten, 
wie mir auch Dr. Groß, Allenſtein, mitteilte, gar keinen echten Trocken— 
horizont. 

Nicht vergeſſen darf aber hierbei werden, daß es gar nicht ausgeſchloſſen 
iſt, daß der Bronze- und Eiſenzeitmenſch auch ſchon ſeine Brandkultur auf das 
Moor ausgedehnt hat. Zum mindeſten iſt an eine Vernichtung der Wälder der 
Umgebung auf dieſem Wege zu denken. Das iſt fraglos nicht ohne Einfluß 
auf das Moor ſelbſt. Es kann durch Trodenlegen in Übergangsklimaten das 
lokale ſubatlantiſche Moor atlantiſch gemacht werden. Wir haben dann ein 
Emporſchießen von heide oder von Renntierfledyten. 

Um Ihnen die Moorentwicklung etwas verſtändlicher zu machen, will ich 
Ihnen ein Schema eines oberſchwäbiſchen Moores wiedergeben. 

Wir brauchen aber bei dieſen Filzen die Grenzhorizonte nicht unbedingt 
als Trockenzeit deuten. Das Latſchenhochmoor oder Filz iſt in märmeren 
Klimaten auch anders entwickelt als in ſubatlantiſchen. Beſonders iſt das 
Schlagen oder Abbrennen des Waldes der Umgebung nicht ohne Einfluß. 
Die Latſchen wachſen hier gerne in der Mitte bei einer gewiſſen höhe des 
Moores zur Breite höher. Es iſt ein Gleichgewicht von Flächen- und höhen- 
wachstum. Das Waldſchlagen und das atlantiſche Klima hindert aber die 
ombrogene Ausbreitung. Aud) fo kann ſich das Wiederbewalden und der 
Klimaſturz auswirken, ohne daß eine echte Trockenzeit da ſein müßte. 

Daß eine Überſchwemmung ſchon verlandeter Moore ſtattfand, können 
wir für die Litorinaſenkung deutlich bei den Niedermooren des Pregeltales 
erjehen, hier fanden wir 3. B. Saulſchlamm auf Niedermooren. 

Mit den Mooren ſind wir nun ſchon zur Pollenanalytif übergegangen, 
die ja dank der Arbeiten von Bertſch am Sederjee in der Prähiſtorik keine 
unbekannte Sache mehr ſind. 

Zum Derſtändnis der oſtpreußiſchen Verhältniſſe möchte ich einige Be 
griffe der Sukzeſſionsbiologie, die Ihnen weniger geläufig ſind, hier einführen: 
die edaphiſchen und klimatiſchen Sukzeſſionen, Pioniere und die Klimar oder 
klimaktiſche Formation. Am beiten laſſen fic) dieſe Dinge beim Waldſchlage 
klar machen. Sobald der Hochwald geſchlagen oder niedergebrannt wird, 
machen ſich eine Unzahl von eigenartigen Pflanzen großen Salpeterbedürfniſſes 
breit. Es ſind das vielfach Ruduralpflanzen und das anthropochore Element 
der Flora. Der austrocknende Boden erhält entweder nur allein deshalb 
oder durch die Ulkalidüngung der Afche eine andere Waſſerbilanz. Dieſe wird 
negativer, es verdunſtet mehr als vorhanden war. Der Boden wird dadurch 
mehr durchlüftet und nun wird er auch dadurch reicher an Salpeter und auch an 
Alkali. Wir finden unter dieſen anthropochoren Gewächſen vielfach medi— 
terrane und pontiſche Pionierpflanzen, weil der Standort auch in nördlichen 
Gegenden ſüdlichen Charakter bekommt. Dort ſind bekanntlich die Sodaböden 
zu Hhauſe. Unſere Getreidepflanzen gehören in gewiſſem Sinne auch zu dieſen 
neutralere oder ſchwach alkaliſche Böden bevorzugenden Gewächſen, weshalb 
die Bodenbearbeitung bei uns im Norden und Nordoſten eine fo große Rolle 
ſpielt. Wir ſchaffen, oder unſere Vorfahren ſchafften durch dieſe Behandlung 
gewiſſermaßen ein Stück Steppe in nördlichen oder öſtlichen Lagen. 

Nach und nach beſiedelt ſich der Schlag mit anderen Gemeinſchaften. 
Der Boden ſchlägt um und wird nunmehr für die Pionierpflanzen nördlicher 
Gegenden frei, die ſich dort auf unbeeinflußtes Neuland anſiedeln. Es voll— 
zieht ſich nun eine allmähliche Wandlung der Mikrolebewelt, die aber noch 


32 Hermann Ziegenſpeck [7 


im höchſten Maße von der Bodenbeſchaffenheit abhängig ijt. Iſt der Boden 
kalkſchüſſig, jo haben wir mehr pontiſche Formen, iſt er ſandig, jo rücken mehr 
die nördlichen ein. Die Bodengebundenheit und feine Derwitterungsfähigteit 
haben das Wort edaphiſch von edaphon geſchaffen. Es dauert nicht lange, 
dann kommen Stauden, Büſche und allmählich die Vertreter des edaphiſchen 
Waldes. Dieſer wächſt nun hoch. 

Im Schutze des Waldes bereitet ſich nun der humöſe Boden vor, der von 
der Beſchaffenheit des Mineraluntergrundes immer unabhängiger wird, weil 
der humus ſich anſammelt und das Huswaſchen anfängt. Wir bekommen 
die Lebewelt der Bodenklimax. Erſt dann ſiedelt ſich der Wald von größerer 
Eintönigkeit an, der für das jeweilige Klima die Spitzenentwicklung, den höhe⸗ 
punkt der Leiter, die Klimax darſtellt. Die ganze Reihe wechſelt natürlich 
ungemein. Es gibt Gegenden, in denen ſich die Bodenklimax fo raſch ein- 
ſtellt, daß unmittelbar der klimaktiſche Wald als erſter erſcheint (manche 
Gegenden Finnlands). Der Wechſel von Wäldern mehr ſüdlicher Art und nörd⸗ 
licherer, öſtlicherer, ja atlantiſcherer Beſchaffenheit, kann uns nur zu leicht 
eine Klimaſchwankung vortäuſchen, wo es doch nur eine Entwicklung des 
Bodens iſt. Ganz im Norden und Oſten gibt es keinen edaphiſchen Wald 
mehr, da gibt es auch faſt keine edaphiſche Beſiedlung, ſondern es kommt 
gleich die Bogenklimax des Fichtenwaldes heraus. Dieſe Dinge ſind geo⸗ 
graphiſch ſehr verſchieden, man muß daher vor einer Übertragung warnen. 

Ich möchte Ihnen nur ſchlagwortartig ein paar ſolche Sukzeſſionen 
wiedergeben, deren Schematiſierung niemandem ſo bewußt iſt, wie mir ſelber. 

Slr Sandböden hätten wir etwa eine ſubatlantiſche Sukzeſſionsreihe, 
Sandfänger (Psamma, Calamagrostis), Sandbinder, Thymianheide, Silber- 
weide, Birken, Kiefern, Fichten. 

Diejelben Böden erhalten unter atlantiſchem Klima folgende Befied- 
lung: Sandfänger, Sandbinder, Weiden, heidefraut, Wacholder, Kiefern, 
Heidelbeeren, Buche. 

Die beſſeren Böden haben unter anderem in ſubatlantiſchen Klimaten 
eine Siedlung: Pontiſche Anfommlinge, Roſen, Schlehen, Brombeeren, 
Wacholder, Kiefern, Birke, Hajel, Eichen⸗-Miſchwald mit viel Linde. Daneben 
kann an etwas friſcheren Stellen die Sichte als Klimar kommen; im aus⸗ 
geſprochen ſubatlantiſchen Klima iſt das immer der Fall. Wir ſehen bier 
mehr die ſüdlicheren edaphiſchen Eichenmiſchwälder hereinkommen, wenn 
auch nicht fo bald wie im atlantiſchen Klima: Pontiſche hügel, Brombeeren, 
Roſen, Schlehen, Hajel, weniger Kiefern als Zitterpappeln, Ulmen, Linden, 
Eichen, Eichen-Miſchwald, Buchenwald. Je weiter wir in das trockenwarme 
Klima kommen, deſto mehr kommt die Eiche heraus und die Kaſtanie kann 
dann ſogar die Buche als Klimax zurückdrängen. In manchen feudteren 
Lagen kommt die Tanne heraus. 

Solche Verſchiedenheiten hat es früher unter dem Klimawechſel auch 
bei uns gegeben. Um gefährlichſten iſt in ſolchen Dingen jegliches Schemati— 
ſieren, das ſich nicht den lokalen Derhältniſſen anpaßt. 

Viel größere Mannigfaltigkeit als die Beſiedlung dieſer Böden zeigt die 
der Erblindung der Seen. Der Nährſtoffgehalt und die Bodenreaktion kommen 
hier ES viel ſchlagender heraus. 

Ich will ein paar Ketten herausnehmen, die für das ſubatlantiſche 
Rlima gelten. Ich hebe hier hervor, daß die nördlicheren Siedlungsfolgen 
hier ſchon wegen der ſchlechten Bodendurchlüftung dieſer Standorte weiter 


8] Das Waldbild und die Klimaſchwankungen Oſtpreußens vim, 33 


nach Süden gehen, nach dem alten Satze, daß humusböden im Süden die 
Reliktplätze des Nordens, Kalk und leicht verwitternde Geſteine die Dorpoften 
oder Reſte der Südpflanzen im Norden find. 

Eutrophe Derlandung: Schilf und ähnliche Bultſeggen mit viel Caub⸗ 
mooſen, Riedwieſen, Weiden, Erlen. Nun ſchlägt die Siedlung unter Säuerung 
häufig in Birken⸗ und Kiefernwälder um. Die Fichte ſtellt ſich gern auch in 
ſüdlicheren Gegenden als lokale Klimax ein. 

Meſotroph: Schilf nur kurz oder fehlend, Calla, Sieberflee. Junächſt 
Laubmoofe, bald Torfmooſe, Zwergweiden, Birken, Reiler, Kiefern, Fichten 
oder Hochmoor. 

Sauer und meſotroph: Beſtimmte Seggen, Blumenbinſe, Moorros⸗ 
marin, Torfmooſe, Wollgras, Kieferntrüppel neben wenigen Birken, Reiler, 
Hochmoor. 

An Waldbäumen gemeſſen geht die Folge häufig beim allmählichen 
Derarmen des Sees oder der edaphiſchen Wälder: Erle, wenig Fichte, Birke, 
Kiefer, Hochmoor. Das eignet ſowohl dem atlantiſchen wie ſubatlantiſchen, 
nicht allzu extremen Klima. Wird das Klima recht kalt, dann weicht die 
Schwarzerle der Grauerle, die Birke und Kiefer, ſowie weiter nach Norden 
die Birke und Sichte allein kommen heraus. 

Nachdem wir uns jo etwas Handwerkszeug geſchmiedet haben, wollen 
wir unter dieſen Gedanken umgekehrt aus der Art der Derlandung des ZJedmar⸗ 
bruches uns Nückſchlüſſe auf das Klima erlauben. (Es handelt ſich hier um 
die Ergebniſſe meines Schülers Matthes.) 

Das Bild des Pollenſpektrums wird durch zwei Faktoren beeinflußt: 
Erſtens durch die Derlandung in wechſelnden Klimaten und Nährſtoffgehalten. 
Zweitens durch das Waldbild der Umgebung. Ich kann wohl als bekannt 
die Methode der Pollenanalytif vorausſetzen. Es geht alle Frühjahr be⸗ 
kanntlich ein Regen von Pollenſtaub der Windblütler nieder; dieſer erhält 
ſich im Moor und kann leicht erkannt und beſtimmt werden. 

In den kalkhaltigen tiefſten Schichten finden wir die Birke und dann 
die Kiefer; obwohl alſo die Entwicklungsmöglichkeit für andere eutraphentere 
Pflanzen, z. B. die Erle, vorhanden wäre, fehlt ſie den Standorten. Es 
kommt nun mit Macht zur Einwanderung der haſel, die auch in Gebüſchen 
in der Nähe des Sees vorkommen konnte. Die Fichte und die ebenfalls bald 
auftauchende Ulme kommen wenig in Betracht. Huf die Unterſchiede im 
Hafeleintritt je nach Beſiedlung durch Meſolithiker und ohne dem werden 
wir noch zu ſprechen kommen. 

Wohl noch durch die Kälte oder richtiger durch die weite Wanderſtraße 
entfernt gehalten, erſcheint plötzlich die Erle. Es kommt nun die eutrophe 
Derlandung der wärmeren Klimaten. In den trocken kontinentalen Teilen 
iſt die Erle nicht die herrſchende Derlandungspflanze wie in den ſeenäheren 
Schwendlunder Horizonten, wo fie mit Allgewalt alle anderen Pflanzen 
überflügelt. Es muß aber die eutrophe Verlandung wieder rückgängig werden, 
denn wir ſehen die Erle etwas zurücktreten und dafür die Birke und mehr 
die Kiefer wieder herauskommen. Die Derlandung wird eben allmählich 
mejo= und oligotropher, und dieſe beherrſchen ſelbſt in einem borealen, alſo 
ſommerwarmen, Klima die Birke und Kiefer. 

War bisher die Fichte in der Zedmar ſelten, fo wird fie etwas häufiger. 
Gleichzeitig kommt mit Macht die Erle zu einem neuen Dorjtoke. Es iſt 
eine etwas pulſierende, aber in der Geſamtſumme aufſteigende Richtung, 

Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſchichte, VIII. Erg.⸗Bd. 3 


34 Hermann Ziegenſpeck [9 


die die Erle nimmt. Die Hafel geht deutlich zurück. Die Birke wird etwas 
geringer. Es kann das nur mit einem Seuchterwerden des Klimas erklärt 
werden. Wir gehen kaum irre, in dieſer Zeit die atlantiſche Zeit zu ſehen. 
Es bildet ſich gegen das Ende ein etwas ſtationärer Zuſtand heraus. Der 
Seeſpiegel mag für das Klima einen gewiſſen Grad von Ausgleich erhalten 
haben. Aber von einer Trockenzeit ſehen wir im Diagramm nichts. 

Es kommt nun erneut zu einem ungemeinen Anſtieg der Erle, der 
von einem Abfall der Birke wie der Kiefer begleitet ijt. Es kann das nur 
auf erneuten Unſtieg des Seeſpiegels zurückgeführt werden und auf ein noch 
ſtärkeres Durchnäſſen des Bodens. Die ſubatlantiſche Zeit bricht herein. Ein 
Teil der Erle und der haſelnüſſe wird aber noch andere Gründe haben. Zugleich 
beginnt ein Anjteigen der Fichte auf nun merkliche höhe, was ebenfalls für ein 
kontinentaleres und friſcheres Klima ſpricht. Auf dieſe Dorberrichaft der 
Erle kommt ein ebenſo rapides Übſinken, jo daß, wie ja auch heute am Stand- 
orte, die Erle direkt ſelten wird. Sie muß der Birke das Feld räumen und 
endlich ſogar der Kiefer. 

Die Klimaſchwankungen laſſen ſich bisher ſehr gut erkennen, nur kann 
ich mit beſtem Willen keine Trockenzeit auffinden, wie ja auch die frühe Bronze: 
zeit in den Funden fehlt. 

Sehr nahe bei der Jedmar ijt die Rominter heide gelegen (Urbſchat). 
hier haben wir ein anderes Bild inſofern, als die haſel in der borealen Zeit 
fehlt. Sie kommt ſpäter. Die Erle iſt deutlich zu finden wie in der Zedmar. 
In der atlantiſchen Zeit erſcheint der Eichenmiſchwald deutlich. Das ungeſtörte 
Pollenbild erinnert an die Vorbilder in Eſtland. 

vergleichen wir hiermit die Spektren von Schwendlund, ſo finden wir 
ein im ganzen weſentlich anderes Bild. Die Fichte tritt von Anfang an 
ſtärker hervor. Ein Maximum iſt im Boreal da; das mag durch Seenähe 
bedingt ſein. Die Erle iſt nun zur Zeit des Boreal ganz ungeheuer vorhanden; 
dann folgt aber ein jäher Abfall. Es muß ſich die Derlandung in gewiſſen 
ausgeglichenen Grenzen gehalten haben. Wir dürfen nicht vergeſſen, daß 
durch den Einbruch des Meeres in die Gegend des Haffes in der Litorina- 
ſenkung ſich keine ſehr großen Derlandungsmöglichkeiten ergaben. Das See: 
waſſer im Cranzer Tief war dieſer offenbar ebenſo wenig günſtig wie das Dh: 
ſinken. Dagegen finden wir in der Mitte der Atlantik ein ebenfalls pulfie- 
rendes, aber kräftiges Anjteigen der Erle. Das hängt offenbar mit der Der: 
beſſerung der Derlandung und Ausbreitung der Erle in der Litorinahebung 
zuſammen. Auch dieſe Erlenzeit erreicht einen gewiſſen höhepunkt, um 
dann ſich in beſcheidenen Grenzen zu halten. Das Moor iſt langſam in ein 
Hochmoor übergegangen; nur am Rande hat ſich der Erlenbruch noch heute 
gehalten. Die Kiefer ſteigt mit der Birke an. Die Subatlantik kann ſich hier 
wegen der Abflupmoglicteit nicht als Waſſeranſtieg auswirken, wir finden 
daher von ihr im Pollenſpektrum keine deutlichen Spuren außer im Einſatz 
des ombrogenen hochmoores. Die Seenähe mag dabei auch etwas aus— 
gleichend gewirkt haben. Don einer Fichtenzeit uſw. ijt nicht viel zu ſpüren. 
Große Wälder in der Umgebung fehlen. 

Der Eichenmiſchwald aus Linden und Ulmen neben wenigen Eichen 
erlangt etwas größere Ausdehnung. 

Nachdem wir ſo die Bilder der Derlandung für Schwendlund und den 
Zedmarbruch ausgeführt haben, wollen wir nun zur Behandlung des Wald— 
bildes übergehen. 


— — — 


10] Das Waldbild und die Klimaſchwankungen Oſtpreußens uſw. 35 


Hier bezeugt ſich im Meſolithikum ein ſtark lokaler Einſchlag ſchon im 
Miſchwald. Im Jedmardiagramm ijt ein ſolcher nicht in nennenswerter 
Menge in Moornähe dageweſen. Die Ulme kommt ſehr früh. Auch die 
Linde läßt nicht ſehr lange auf ſich warten. Die ſchwerer verbreitbare Eiche 
hinkt nach. Auf dieſe Wandergeſchwindigkeit hat vor allem mein Schüler 
Meinke aufmerkſam gemacht. 

In Rominten iſt das Einwandern ebenfalls ſehr langſam für die Eiche, 
raſch für die Ulme und noch mehr für die Linde. Die Miſchwälder kommen 
in der Atlantif zu größerer Entfaltung. Später müſſen fie der Fichte mehr 
oder minder weichen. 

In Schwendlund kommt der Miſchwald ebenfalls ſtärker heraus. Be⸗ 
ſonders bald kommt die Ulme, die ja auch aus den ſicher datierbaren Böden 
des F-Geſtelles bekannt ijt. Die Miſchwälder bekommen hier erſt heute ihr 
Maximum. Das entſpricht dem häufigen Gedeihen der Miſchwälder in 
Seenähe. 

Die Hafel ijt in der Zedmar der Bote des eindringenden Meſolithikers 
und erſcheint ſehr früh. Kaum kommt es dazu in dem ſeenahen Schwendlund 
und in dem hochgelegenen Rominten. Es liegt der Verdacht einer Befied- 
lung infolge des Menſchen vor, die an den anderen Stellen fehlt. Wir heben 
das häufige Vorkommen von haſelnußreſten in den Siedlungsſpuren hervor. 
In der Zedmar nehmen der Hajel ſpäter die Birke und Erle etwas Lebens⸗ 
traum, dennoch bleibt fie ein weſentlicher Beſtandteil des Waldbildes. 

Die Fichte erſcheint in allen unterſuchten Horizonten ſehr früh. Aber 
jie ijt nie ein großer Gemengteil. Am wenigſten in der Zedmar im Boreal. 
Mehr iſt fie in Schwendlund und in Rominten vorhanden, wo fie ein kleines 
Maximum erlangt. Jedoch ſelbſt hier muß ſie eine nur örtlich beſchränkte 
lokale Klimax friſcher Stellen geweſen fein. 


Neolithikum — Atlantikum. 


Mit der Atlantik wird die haſel zunächſt in der Sedmar ſehr ſtark zurück— 
gedrängt. Sie erholt ſich wieder. Es mögen viele überſchwemmten Stellen 
ſich wieder ausgefüllt haben. Die Fichte kommt etwas mehr heraus. Das 
ijt uns in einem feuchteren Klima wohl verſtändlich; eine lokale Fichtenklimax 
wird etwas häufiger an friſchen Stellen vorhanden ſein. 

In Schwendlund iſt der Miſchwald ebenſo wie in Rominten beſonders 
kräftig. Die Fichte kommt etwas ins hintertreffen. 

Die Kiefer in der Zedmar ſinkt am Anfang der Atlantik plötzlich mit 
der Haſel ſtark. Auch das wird uns aus der Überſchwemmung klar. Aud 
ſie erholt ſich wieder. Wenn die Riefer auch ſtark pulſiert, ſo merkt man 
deutlich einen gewiſſen Antagonismus kleinen Ausmaßes mit der haſel. 
Es muß da eine gewiſſe Lichtung der Wälder erfolgt ſein. Auch ein Teil 
der Schwankungen der Erle und Birke dürfte durch zeitweiſes Lichten der 
Wälder bedingt fein. 


Bronzezeit — Eiſenzeit — Subatlantitum — Klimaſturz. 
Gegen Ende der Atlantif kommt nun eine ganz eigene Wirkung. Die 
Kiefer ſinkt ganz ungemein, dafür ſteigt die Erle und haſel. Da die Kiefer 
als Trockenheitspflanze ſinkt, die Erle aber als Feuchtigkeit liebende Pflanze 
3* 


36 Hermann Ziegenſpeck [11 


fteigt, jo kann das niemals auf eine ſubboreale Trockenzeit zurückgeführt 
werden. Das muß andere Gründe haben. Der Abfall der Hafel jedoch ver⸗ 
eint mit einem Unſtiege der Fichte und Erle ſowie der Birke, läßt ſich teil⸗ 
weiſe wieder auf die Subatlantif deuten. Der Sichtenwald kommt offenbar 
aus der lokalen Klimar in die mehr regionalere. Weniger die beiden anderen 
Profile als vielmehr das von Rominten zeigen das herannahen der mehr 
regionalen Fichtenklimax. 

Aber nun kommt wieder ein Abjinfen der Fichte, begleitet von einem 
Auftrieb der Birke und auch Kiefer. Das muß einen anderen Grund als 
Klimaſchwankungen haben. In Schwendlund find dieſe Dinge nur ganz 
ungenau zu finden. Hier ijt kein großer Raum für Wälder da. Am ſtärkſten 
zeigt das Rominten. 

Wir dürfen nicht vergeſſen, daß mit dem Abfinfen der Fichte ebenſo 
wie der Kiefer immer der Anjtieq der Pioniere des Waldes auftritt. Die 
Hajel, die Erle und die Birke, vielleicht auch die Kiefer, zum Teil find ſolche. 
Endlich in neuerer Zeit kommt auch der Anjtieg der Kiefer und Fichte, wie es 
ja die geringe Beſiedlung dieſer Gegenden in hiſtoriſcher Zeit begreifen läßt. 
Der Abfall der Fichte kann leicht durch den Meilereis und Teerbetrieb in der 


Nähe (Stalijd und Rominten) erklärt werden. Heute ijt dort offenkundig 


die Fichte nach dem langen Niederhalten durch den Menſchen im Vordringen. 
Der Klimaxbaum des ſubatlantiſchen kontinentalen Klimas kommt erſt jetzt 
zu der herrſchaft, wobei ihn der Waldbau noch begünſtigt. 

Merkwürdig ijt ein Knick in der Kieferfurve in Schwendlund im Boreal. 
Mit der Senkung in der Atlantif erfolgt ein Anjtieg derſelben nach dem vorüber⸗ 
gehenden Abfall. Man kann das verſtehen, wenn man das Anjteigen der 
Dünen in der Atlantif in Rechnung zieht. Die Kiefer ijt der Baum der Dünen⸗ 
heiden. Die hebung bringt wieder eine regere Derlandung, und fo wird 
die Kiefer zurückgedrängt. Mitten in der Hebung iſt ein Abſinken der Erle 
und ein Unſtieg der Kiefer und Fichte, auf den aber ſehr bald ein Abfall kommt. 
Dafür ſteigen wieder Erle, Birke und haſel und Miſchwald. In der Sub— 
atlantik ſteigt die Erle nur kurz, dafür aber die Kiefer wieder ſtark. In der 
Subatlantif haben ſich die Dünen ſtark erhöht und für die Kiefer iſt wieder 
eine Siedlungszeit. Die Horizonte ſind hier in Schwendlund durch die Meeres⸗ 
bewegung und Dünenbildung ſtark beeinflußt. hier haben wir einen Einfluß 
des Meeres. 

Wie aber iſt das eigenartige Bild in der Zedmar und Rominten und 
mancher Stellen von Schwendlund zu verſtehen? Wir dürfen nämlich nicht 
vergeſſen, daß der Menſch mit dem Neolithikum ſchüchtern beginnend, aber 
immer mehr den Aderbau treibt. Gerade in der Zedmar haben wir die 
beiten Kulturfunde, jo daß wir fo ziemlich über die Beſiedlung im Klaren 
ſind. In der borealen Zeit haben wir, wie die Funde zeigen, keine geeig⸗ 
neten Geräte für einen ausgedehnten Ackerbau. Es wird, nach den hacken 
zu ſchließen, Hackfruchtbau geweſen fein. Sicherlich hat die haſel eine große 
Rolle geſpielt. Man könnte faſt verſucht ſein, in der raſchen Wanderung 
dieſer Pflanze, die doch ſonſt nur durch Dögel uſw. als Depot langſam Ger: 
ſchleppt wird, eine Tätigkeit des Menſchen zu erblicken, der ſie ebenſo mit 
ſich gebracht haben kann wie die Waſſernuß. Meſolithiſche Pfahlbaureſte 
haben oft viel haſelſchalen gebracht. Die an fic) ſchwer wandernde Dolel 
wird darin durch den Menſchen unterſtützt. Im Meſolithikum kann aber 
von einem regelrechten umfangreichen Ackerbau kaum die Rede ſein. 


12] Das Waldbild und die Klimaſchwankungen Oſtpreußens ujw. 37 


Das wird mit dem Neolithikum anders. Gerade in der Jedmar finden 
wir Geräte, die man als Sohlenpflug gedeutet hat. Ich will dieſes Stück wie 
andere Pfluggeräte nicht in Bildern wiedergeben, die Ihnen ja geläufiger 
ſind wie mir. Aud Mahlſteine find häufiger anzutreffen als Zeichen für 
bedeutend mehr Aderbau. Leider konnte ich keinerlei Aufzeichnungen über 
die Getreideſorten finden, die für Oſtpreußen angegeben ſind. 

Bedenken wir nun, daß die Getreideſorten des damaligen Menſchen 
recht ſchlechte Erträge lieferten, fo müſſen es doch ganz große Flächen ge- 
weſen fein, die der Menſch anbaute, zumal die Kultur doch ziemlich mangel⸗ 
haft war. 

Wie war nun der Menſch mit ſolchen erbärmlichen Pflügen imſtande, 
eine nur irgendwie nennenswerte Unbaufläche zu bekommen? 

Das kann nur 

die Brandkultur 
geweſen ſein. 

Ich will Ihnen nun dieſe Aderbaumwirtichaft vor Augen führen, wie 
id) jie in Grenzkarelien geſehen habe. Die Karelier find zudem ſprachlich 
mit den Eſten nahe verwandt, und man iſt vielleicht etwas berechtigt, die 
Aesti als die Neolithiſche Bevölkerung anzuſehen. Ich möchte mich aber 
hierin als Nichtfachmann jeglichen Urteils enthalten. 

Im Winter geht man in den Wald; dort ijt es faſt immer der Sidten- 
oder Kiefernwald; ſeltener geht man in die Grauerlenwälder. Man ringelt 
die Bäume, und bis zum Frühjahr find fie trocken. Mit den Stein- und Bronze: 
werkzeugen war man nicht imſtande, weite Gefilde zu roden dadurch, daß 
man die Bäume umſchlug. Erſt der Neolithiker aber hatte die Werkzeuge, 
um den Bäumen in ſolchem Umfange beizukommen; von einem Waldſchlagen 
kann aber keine Rede ſein. Den Winter über vertrockneten die Bäume und 
man kann die ganze Sache im Frühjahr anzünden. Es brennen die Bäume 
bis auf die Stubben nieder; die ſind heute tiefer, aber in alten Zeiten ließ 
man ſie etwa in Mannshöhe ſtehen, wie heute in entlegenen Gegenden die 
Sunde im Walde bezeugen. Ich habe ſelbſt einen ſolchen Stubben bei Coimola 
geſehen. herr Profeſſor Cinfola hatte auch die Güte, an Ort und Stelle die 
entſprechenden Angaben über dieſe Kulturform zu machen. 

Die ÜUſche des niedergebrannten Waldes düngt den Boden und erzeugt 
einen ſüdlicheren Zuftand für die Mikrolebewelt, die ja für die Steppen— 
gewächſe des Ackerbauern günſtigere Bedingungen ſchaffen. Nun pflanzt 
man dort Roggen. Aber der Buchweizen und Emmer kann natürlich ebenſo 
gezogen werden wie Gerſte und Hafer. Zuvor aber hat man den Boden 
etwas durch Auslejen von Steinen geſäubert. Um das Erdreich vom Graſe 
und anderen Reiten zu befreien, wird gepflügt. Der ganz aus holz be: 
ſtehende Pflug iſt wirklich nicht viel beſſer als der des Pfahlbaumenſchen. 
Man kann auch einen beſſeren Pflug gar nicht auf ſolchem mit Wurzeln durch— 
ſetzten Boden brauchen. Die Egge, die nun zum weiteren Hufreißen und 
Zerteilen gebraucht wird, gibt an Primitivität wahrlich nichts nach. Die 
Stubben und beſonders die Laubbaumſtümpfe kann man nicht herausholen. 
Es bleiben auch immer einige Bäume ſtehen. Un den Laubwald geht man 
nicht ſo gern; dieſer brennt viel ſchlechter. 

Man bekommt fo ganz eigenartig ausſehende Selder. Ich mache auf 
die Stubben beſonders aufmerkſam. Mehr wie zwei Roggenernten liefert 
der Branddung nicht. Andere Düngung iſt dort noch heute unbekannt oder 


38 Hermann Ziegenſpeck [13 


war es bis vor kurzem. Eine Haferernte geht vielleicht noch, dann läßt man 
den Ader liegen. 

Er überzieht ſich mit einer Grasnarbe. Hatte man Grauerlenbeſtände 
gebrannt, dann kommen jetzt ſchon neue Wurzelausſchläge. Dieſe irgend⸗ 
wie zu roden geht nicht an. Auf dieſe Flächen kommt dann das Dieh zum 
Weiden. Die Erlen und auch die leicht flüchtigen Birkenſamen fliegen an 
und werden höher. Die Erle beſonders wird ſehr bald mannbar und ver⸗ 
breitet ſich raſch. Das Vieh weidet dazwiſchen. Es verbeißt ja die Bäume, 
aber ganz herr wird es nicht mit dem Gebüſche. Es entſtehen ſo die eigen⸗ 
artigen Buſchweiden, deren Reſte noch in der Parkweidenkultur Litauens, 
Cettlands, Eſtlands ihren Ausläufer hat. Immer höher und höher werden 
die Gebüſche. In dieſen ſiedeln ſich die Gebüſchpflanzen an, die vielfach 
ſüdlicheren Charakter tragen und ſicher noch mehr in unſeren Gegenden 
trugen. Allmählich wird der Wald zu dicht. Die Weide wird aufgegeben 
und nun ſich ſelbſt überlaſſen. Es iſt nun der edaphiſche Wald hochgekommen. 
In dieſen wandern die Kiefern und die Fichte dort ein. In ortsnahen Ge: 
genden werden dieſe Wälder aber durch die fortgeſetzte Brandkultur ſelten; 
wir haben auf weiten Strecken nichts als Erlenwälder. So dünn die Gegend 
bevölkert iſt, ſo ungeheuer iſt doch die Wirkung der Siedlung auf die Gegend. 
Der urſprüngliche Sichtenwald iſt an allen etwas beſſeren Gegenden völlig 
ausgerottet und macht nur Erlen- und Birkenwäldern Platz. 

In unſeren Klimaten bzw. in atlantiſchen Klimaten hat ſich die Brand⸗ 
kultur anders ausgewirkt. Da iſt die Ulme und die Eiche häufig mit der 
Hajel der Pionier. Man könnte auch an ein Setzen von Haſeln denken. Das 
Gebüſch derſelben mußte noch in ſpäterer Zeit ſehr häufig bei uns geweſen 
as Schon die vielen Ortsnamen, die ſich mit der Nuß beſchäftigen, deuten 

arauf. 

Eine weitere Folge ſolcher Kultur iſt fraglos in vielen Gegenden die 
Erzeugung von Ortſtein. Der Kiefernwald mag dazu noch niedergebrannt 
und ausgerottet ſein. . 

Wie Sie ſehen, kann man viele Dinge der Pollenanalytif auf dieſem 
Wege erklären. 

Ich bringe Ihnen zunächſt ein Diagramm eines Fundortes einer 
Knochenhacke, die wir vom Pruſſia-Muſeum (Dir. Gaerte) bekommen haben. 
hier haben wir einen borealen Fundplatz; man kann keine Brandkultur⸗ 
ſpuren im Pollendiagramm finden. 

Anders aber ein Kulturprofil, das einem Pfahlbau entſpricht. Mit 
geradezu klaſſiſcher Schärfe iſt das Sinken der Kiefer und der Anjtieg von 
Erle, Birke und haſel zu beobachten. Wir dachten bei der Unterſuchung 
nicht an die Brandkultur. Die nähere Ausführung ijt der Arbeit von Det: 
ſchalies vorbehalten. 

Sie ſehen, wir können mit hilfe dieſer Anſichten von der Brandfultur 
und ihrer ausgedehnten Wirkung viele Dinge der Diagramme und auch des 
Waldbildes verſtehen. Ich bringe Ihnen zwei Diagramme aus Eſtland 
von Thompſon, dem ſolche Gedanken völlig fern lagen, als er ſeine Dinge 
behandelte. 

Die Diagramme zeigen einige Wandlungen gegen unſere. Die Fichte 
kommt dort viel ſpäter, aber dann gleich kräftig. Die Erle und der Eichen— 
miſchwald leiten die Atlantik ein. Die haſel kommt offenbar ſpäter, eigentlich 
jo recht erſt mit der Atlantik. Man könnte ſchier glauben, es fet eine Ein— 


14] Das Waldbild und die Klimaſchwankungen Oſtpreußens uſw. 39 


führung durch Einwanderer aus unſeren Jonen oder aus dem Süden vor⸗ 
handen. Mit der Litorina kommt bei uns bekanntlich eine andere Bevölkerung, 
die die Toten ebenſo verbrennt, wie den Wald. 

Das Subboreal iſt hier wegen des Fichtenanſtieges hineingezeichnet. 
Es kann aber eine Folge des feuchteren Klimas ſein, das dort oben viel kälter 
war, als bei uns, und dann ſchon ſubatlantiſcher in der Atlantit geweſen 
ſein könnte. Mit dem Auftreten der ſpäteren Litorina und der, ſoweit meine 
Kenntniſſe reichen, auch dort recht ſpärlichen Bronzezeit kommt die Der: 
nichtung des Waldes, auch des Miſchwaldes; Erle, haſel, Ulme und Birke 
ſteigen empor, ein Bild, wie es ein Uberhandnehmen der Brandkultur un⸗ 
fehlbar mit ſich bringen muß. 

Nun kommt die Zeit der Dolfermanderungen. Der Fichten- und an der 
Küfte in nährſtoffarmem Sande auch der Kiefernwald ſteigen empor, wie 
es einer Entvölkerung leicht entſpricht. 

Nun kommt wieder das Bevölkern. Im Inneren ſinkt die Fichte mit 
Macht. Die Pioniere: Riefer, Erle und Birke ſteigen an. 

An der Küſte hat man deutlich nur die Fichte abgebrannt. Es ſteigt 
der Pionier ärmerer Böden: die Birke und die Riefer gedeiht. 

Aus dem Süden, der Klimax der Buche, habe ich ebenfalls eine Reihe 
von Belegen. Junächſt einmal ein völlig ungeſtörtes Diagramm. Ich kann 
Ihnen Birke, Kiefer, haſel, Miſchwald, Buche und Tanne in prächtiger Folge 
zeigen, wie fie das Einwandern durch Klima und Wandergeſchwindigkeit 
zwanglos ergibt. Es iſt eine gebirgige Gegend. 

Nun kommen wir zu einem jungſteinzeitlichen Pfahlbauprofil. Die 
erſte Zeit iſt ungeſtört; da geht alles normal. Die Birke, Kiefer, der Eichen⸗ 
miſchwald, ja ſogar ſchon die Buche ſchicken ſich zum Einwandern an. Da 
kommt die erte Rulturſchicht heran, deutlich durch einen Hiatus gekenn⸗ 
zeichnet, im Miſchwald und in der Buche. Die Birke, einer der Pioniere, 
dagegen ſteigt an. Weniger auch die Hajel. Der Pfahlbau verſinkt; es wächſt 
wieder Wald. Es geht dem Miſchwald nun an den Kragen. Die haſel ſteigt 
zuſehends. Mit der Buche iſt ſchwerer fertig zu werden. 

Der Pfahlbau verſinkt und die Buche, weniger der Miſchwald, ſteigen 
wieder an. Die obere Pfahlbauſtufe iſt nicht angegeben. 

Als klaſſiſcher Horizont iſt fraglos der Federſee durch feine prachtvolle 
Bearbeitung durch Bertſch anzuſehen. 

In dieſem Diagramm hat das Spätneolithitum feine Spuren hinter» 
laſſen. Birke, Kiefer, wenig mehr die haſel, ſteigen mit dem Sinken des 
Eichmiſchwaldes an. 

Der Eichenmiſchwald nimmt zu, raſch in der Bronzezeit ab. Aber 
die Buche geht mit Macht hoch. Auch hier ſehen wir den Menſchen in 
der Bronzezeit und auch frühen Eiſenzeit nicht mit dem dichteſten unſerer 
Waldbäume, der Buche, fertig werden. Das Bild ergänzt gut das Dorher— 
gehende. 

Mit der Latenezeit und mehr noch Römerzeit wird mit dem Buchen— 
walde aufgeräumt. Alle Pioniere: Hafel, Birke, Kiefer und der edaphiſche 
Wald ſteigen an. Es folgt die Zeit der Dolferwanderung. Wieder kommt 
der Wald in den öden Strecken zur Herrſchaft. 

Allmählich kommt neue Kultur. Bertſch ſchreibt die Signatur um 
das Jahr 1000 an dieſer Stelle. Die Kiefer iſt nun in der kühleren Zeit mehr 
Dionierwald. Es dauert nicht lange. Die Zeit des ausgehenden Mittel— 


40 Hermann Jiegenſpeck, Das Waldbild und die Klimaſchwankungen ufw. [15 


alters bringt den Wald wieder höher, allerdings nicht in dem früheren Aus- 
maße. Mit der Waldfultur jteigen Kiefer und Fichte. Der Buchenwald fällt. 

Möchte ich alſo meine Gedankengänge kurz zuſammenfaſſen, ſo kann 
ich ſagen: In der erſten Zeit iſt die Waldbildentwicklung wenig von Menſchen 
beeinflußt. Es mag höchſtens mit dem Meſolithiker die Hafel eingeführt 
ſein. Der Neolithiker und noch mehr der Bronzezeit und ſpätere Menſch 
beeinflußt das Waldbild ungemein durch ſeine Brandkultur. Der 
Menſch, der aus dem gebrannten Walde neues Leben erſtehen ſah, verbrannte 
auch feine Toten. An den Buchenwald kam offenbar der Bronzezeitmenſch 
noch nicht ſo recht heran. Das iſt erſt dem eiſenzeitlichen Menſchen vor⸗ 
behalten geweſen. 

Reſte ſolcher Brandkultur in Mitteleuropa haben wir im heide⸗ und 
Moorbrennen und im Niederreißen der Auen in Bayern. Die moderne 
Bodenkultur hat durch die Brache und ſpäter durch die Düngung andere, beſſere 
Wirtſchaftsmethoden eingeſchlagen. Sie brauchte daher nicht mehr die alles 
austaubende Brandkulutr. Schon der Menſch der Römerzeit im Süden hatte 
eine beſſere Kultur im Hochäckerbau. 

Ich möchte dieſe Gedankengänge mehr als ein Programm und eine 
Arbeitshypotheje anſehen, als etwas Endgültiges und Fertiges. Über ich 
glaube doch ſchon jetzt der hoffnung Ausdrud verleihen zu können, daß die 
Pollenanalutik berufen iſt, nicht nur unſichere Funde zu datieren und das 
Waldbild ſowie Klimaſchwankungen zu ermitteln, ſondern auch einen Einblick 
in die Kultur und Beſiedlung zu gewähren. 

Gleichzeitig möchte ich der Unterſtützung gedenken, die dieſe Urbeiten 
durch meine Schüler Meinke, Matthes, Werner, Petſchalies, Urb- 
ſchat, ſowie durch herrn Studienrat Dr. Groß in Allenjtein und herrn Lehrer 
Büchle in Rauhen, herrn Dir. Gärte gefunden haben. 


dur Bauart und Chronologie der oſtpreußiſchen 
Hiigelgraber 
(Kurzer Auszug) 


Don Carl Engel 
mit 14 Abbildungen im Tert 


Die oſtpreußiſche hügelgräberkultur der vorrömiſchen Eiſenzeit nimmt 
gegenüber derjenigen der weſtlichen Nachbargebiete eine durchaus ſelbſtändige 
Stellung ein. Während in dieſem Zeitabfchnitt auf weſtpreußiſchem Gebiete 
faſt ausſchließlich Slachgräber mit unterirdiſchen Steinkiſten errichtet werden!), 
herrſcht in Oſtpreußen während der ganzen vorchriſtlichen Eiſenzeit eine 
ausgeprägte hügelgrabkultur mit durchaus eigenartigem Geſicht. Ihre 
Grenzen im Oſten und Süden ſind noch nicht ermittelt, da die anſchließenden 
litauiſchen und nordpolniſchen Gebiete vorläufig Forſchungslücken bilden, 
über die ein begründetes Urteil nicht gefällt werden kann. Im benachbarten 
Südoſtbaltikum laſſen ſich dagegen verwandte Erſcheinungen feſtſtellen?). 

Aud) in Oſtpreußen liegt nur aus den Landſchaften Samland und 
Natangen fo ausreichendes Sundmaterial vor, daß die allmähliche Entwicklung 
und Abwandlung der hügelgrabbauart und der zu ihr gehörigen Keramik 
mit einiger Sicherheit verfolgt werden können. Hus dem Ermland, dem 
Oberland und Maſuren geben nur wenige Stichproben Unhaltspunkte, ge 
ſtatten jedoch noch keine abſchließende Beurteilung der dortigen Entwicklung. 

Der oſtpreußiſche hügelgrabbau der frühen Eiſenzeit iſt nicht ohne 
Vorläufer in älteren Jeitabſchnitten geweſen. In der Steinzeit ſcheint das 
Slachgrab die übliche Beſtattungsform in Oſtpreußen geweſen zu fein. 
Doch mögen am Ende des Neolithikums oder in der Übergangszeit zwiſchen 
Neolithikum und früheſter Bronzezeit ſchon vereinzelt hügelgräber errichtet 
worden fein, wie 3. B. bei Klein-Babenz (Kr. Roſenberg) “)). Bei dem be: 
kannten Steinzeithügel in der Kaup“) ijt es allerdings zweifelhaft, ob die 
beiden neolithiſchen Skelette (und ein vielleicht noch unter ihnen in einer 
Grube gelegenes, aber vergangenes drittes Skelett) bereits als Hügelgrab- 
beſtattungen aufzufaſſen ſind. Mit Sicherheit darf jedoch das über ihnen 
liegende frühbronzezeitliche Skelett als Beſtattung über Bodenniveau in Un— 
ſpruch genommen werden. Ein im Frühjahr 1930 unterſuchtes Hügelgrab 
bei Grok-Labehnen (Kr. Preußiſch-Eulau), deſſen Jentralgrab unter manns— 
langer Steinpadung (Abb. 1) eine Beſtattung in geſtreckter Rückenlage im 
Baumſarg barg, die von einer ovalen Steinſetzung umgeben war, iſt durch 


1) Dal. Peterſen, E.: Die frühgermaniſche Kultur in Oſtdeutſchland und Polen 
(Vorgeſchichtliche Sorſchungen II, 2). Berlin 1929. 

2) Dal. Sußnote 9 auf SG 42. 

3) Dal. Amtl. Bericht d. Weſtpreuß. Provinzial-muſeums 1903. S. 24 (Kumm), 

) Dol. Pruſſia⸗Bericht IV, S. 5ff. XVIII, S. 40 ff. (heyded). 


42 Carl Engel [2 


den Mangel an zeitbeſtimmenden Beigaben nicht mit Sicherheit zu datieren. 
Es kann entweder dem Ausgange der Steinzeit oder der älteren Bronzezeit 
angehören. 

Sämtliche aus Oſtpreußen bekannt gewordenen, allerdings ſehr ſeltenen 
Grabanlagen der älteren Bronzezeit (Montelius Periode II-III) find Hügel⸗ 
gräber mit Skelettbeſtattung: So Rantau!), Alknicken?), Marjcheiten?) (ſämtlich 
Kr. Siſchhauſen), Poſeggen (Kr. Johannisburg)*) und Schlaſzen (Kr. Memel)s). 
Wann ſich in Oſtpreußen der Übergang von der Rörperbeſtattung zur Leichen= 
verbrennung vollzogen hat, ijt noch nicht mit Sicherheit ermittelt: Vermutlich 
im Verlaufe der IV. Periode Montelius. Die älteſten bekannt gewordenen 
Brandbeſtattungen fallen jedenfalls in dieſen Zeitabſchnitt, gehören jedoch 
einer landfremden, von Südweſten her einſtrömenden jungbronzezeitlichen 
Slachgräberfultur®) bzw. einem Miſchergebnis zwiſchen dieſer und der landes- 
anſäſſigen hügelgrabkultur an; denn als ein ſolches iſt wohl das hügelgrab 
von Workeim (Kr. Heilsberg)') aufzufaſſen, das bei einem Durchmeſſer von 
13 m und einer höhe von 1,8 m über 500 dicht bei dicht neben- und übereinander 
angeordnete Urnenbeſtattungen und Leichenbrandhäufchen unter Stein- 
packungen barg (Abb. 9 und 10). 

In Samland und den Nachbargebieten ſcheinen in hügelgräbern mit 
zentraler Brandbeſtattung von Skelettgrabform (Georgenswalde, Kr. Fiſch⸗ 
hauſen, Hügelgrab III, Abb. 2 und 3, und Drusker Sorjt, Kr. Wehlau, Aß⸗ 
lader Hügelgrab in Übergangsformen zwiſchen Rörperbeſtattung und 
Leichen verbrennung vorzuliegen, die in die IV. oder V. Periode der Bronze⸗ 
zeit fallen dürften. 

Don der frühen Eiſenzeit an läßt ſich in Oſtpreußen nur noch Brand⸗ 
beſtattung feſtſtellen, während im benachbarten Südoſtbaltikum noch Körper: 
beſtattung herrjcht?). In der Periode VI Montelius 10) gipfelt der hügelgrabbau 
des nördlichen Oſtpreußens in gewaltigen hügelgräbern mit zentraler Ring⸗ 
mauer und Blockkiſte (Abb. 4). Er erfährt in der Folgezeit verſchiedene 
Abwandlungen und einen allmählichen Verfall, der mit Nachbeſtattungen im 
Augenrand des Grabhügels beginnt und ſchließlich um die Wende unſerer 
Zeitrechnung in die Flachgräberkultur der nachchriſtlichen Eiſenzeit ausmündet. 

Die Hauptentwicklungsphaſen der nordoſtpreußiſchen n) Hügelgrabkultur 
laſſen ſich — wenigſtens in groben Umriſſen — durch folgende, tupologiſch 
und chronologiſch begründete Entwidlungstypen kennzeichnen !): 


1) Dal. Literaturangaben bei Hollad S. 127. 

2) Dal. ebenda S. 4. 

3) Hollad S. XXIXf. 

) Dal. Pruſſia-Bericht XXVI, 8. a (Gaerte). 

5) Literaturangaben bei Hollad S. 144 

6) Dal. Pruſſia-Bericht XXIX, S. 164f. (Gaerte). 

) Dal. Pruſſia-Bericht XXV i, S. 279 (Gaerte). 

*) Dal. Pruſſia-Bericht XV, S. 143 und Taf. WII (Bujad). 

») Dal. Eberts Reallexikon XIII, S. 5ff. (Sturm). — Senatne Nr. 2. 1930. S. 55 
(Jatoblon Sturm). — Beiträge zur Kunde Eſtlands XIII, S. 47ff. (Sriedenthal). — 
Sitzungsberichte der Gelehrten Eſtniſchen Geſellſchaft 1925. S. 121ff. (Shmiedehelm). — 
Callgren, A. M., Zur Archäologie Eejtis. Dorpat. 1922. S. 76ff. 

10) Zum Teil vielleicht auch ſchon in Periode V Montelius. 

11) Unter „nordoſtpreußiſch“ find hier die Tandſchaften Samland, Natangen und das 
nördliche Ermland verſtanden. 

12) Die die Einteilung begründenden und druckfertig vorgelegten Unterſuchungen 
und Fundberichte mit zahlreichen Plänen, Skizzen und Abbildungen konnten aus Raummangel 
im vorliegenden Bande nicht veröffentlicht werden. 


3] Zur Bauart und Chronologie der oſtpreußiſchen Hügelgräber 43 


I. Typus: hügelgtrab mit zentra- 
let Stelettbeftattung in Baumſarg unter 
Steinpadung. Beiſpiel: Groß⸗Cabehnen, Kr. 
Preußiſch⸗Culau (Abb. 1). Wie oben aus⸗ 
geführt, vielleicht bereits im Endneolithikum 
und der frühen Bronzezeit (Montelius⸗ 
periode I) auftretend. hauptbeſtattungs⸗ 
form der älteren Bronzezeit (Montelius⸗ 
periode II und III). Möglicherweiſe noch bis 
in den Unfang der jüngeren Bronzezeit (Mon⸗ 
telius⸗Periode IV) fortlebend !). Beigaben 
felten?). Nur in wenigen Fällen zeitbeſtim⸗ 
mende Bronzen (Rantau?) und Schlaszen “)). 


II. Typus: hügelgrab mit zentra⸗ 
ler Brandbeftattung von Sfelettgrab- 
form. Beiſpiel: Georgenswalde, Kr. Sijdy 
haufen, Hügelgrab 3 (Abb. 2 und 5). Ohne 
datierende Beigaben. Auf Grund ge Bauart 
und der Beſtattungsform vermutlich in die gp 1. Groß-Labehnen, Kr. Pr.» 
jüngere Bronzezeit (Montelius - Periode IV Eulau. Berger des le 
und W zu fegen. Sfelettgrabes. Typus I 


1) Dal. Sußnote 9 Seite 42. 

2) Hinfidtlid) der Bronze: und Eiſenbeigaben ver leihe man für diefen und die 
Be Uypen die grundlegenden Unterſuchungen Tif dlers (Grabhügel I—III) und 
ie knappen, aber erſchöpfenden Zuſammenfaſſungen La Baumes in Eberts Reallexikon IX, 
S. 269 ff. (Oſtpreußen B) und 314f. (Oftpreußifche Hügelgräber). 

3) Dal. Jußnote 1 Seite 42. 

) Dal. Fußnote 5 Seite 42. 


44 Carl Engel [4 


Abb. 2b 


Abb. 2. Georgenswalde, Kr. Siſchhauſen. Hügelgrab III. Typus II. I = Zentrale Brand- 
grube von Stelettgrabform. In 2b ijt die vordere Hälfte der ovalen Steinſetzung bereits ab- 
getragen und durch eine geſtrichelte Linie bezeichnet. II - Hußenkiſte 


Abb. 3. Georgenswalde, Kr. Siſchhauſen. hügelgrab III. Typus II. Querſchnitt durch 
das Zentralgrab. 1 = ovale Brandſchicht (älteſte Beſtattung). II = trichterförmige Brand⸗ 
grube, die I durchbricht (Nachbeſtattung) 


— 


—— — —:t' — 


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5] Zur Bauart und Chronologie der oſtpreußiſchen Hiigelgraber 45 


III. Typus: hügelgrab mit zentraler Ringmauer und Blod- 
kiſte, in der nur eine oder wenige Beſtattungen. Beiſpiel: Adl. Diedersdorf 
(Kr. Heiligenbeil) (Abb. 4). Dieſer beſonders im Samland recht häufige Typus 
wird durch Reramik und Bronzebeigaben!) in die frühe Eiſenzeit (Montelius— 
Periode VI) datiert. Einzelne Vertreter könnten ihrer Keramik nach noch 
bis in die jüngere Bronzezeit (Montelius-Periode V) zurückreichen. Die Ke- 
ramik (Abb. 12a—d) ſteht unter dem Einfluß der von Südweſten her ein: 
ſtrömenden jungbronzezeitlichen und früheiſenzeitlichen Slachgräberfultur?). 


Abb. A. Adl. Diedersdorf, Kr. Heiligenbeil. hügelgrab I. Typus III. Zentrale Ringmauer 


IV. Typus: hügelgrab mit langer, gangförmiger Platten- 
kiſte, in der zahlreiche Beſtattungen (met Urnenbeſtattungen). Beiſpiel: 
Hügelgrab 1 von Sanditten, Kr. Wehlau (Abb. 5)°). Die gangförmige Platten- 
kiſte iſt urſprünglich durch Anbauten an die Blockkiſte des vorhergehenden 
Typus entſtanden. Die Keramik (Abb. 12e—k) ſteht jtarf unter dem Einfluß 
der benachbarten weſtpreußiſchen frühgermaniſchen oder Geſichtsurnenkulturc); 
bezeichnend ſind gedeckelte, vaſen- oder flaſchenförmige Gefäße ohne Stand— 
fläche. Dieſer Bautypus hat ſich — vermutlich unter Beeinfluſſung durch die 
weſtpreußiſchen Steinkiſtengräber von Nord-Ermland und Natangen aus — 
über faſt ganz Oſtpreußen verbreitet; er iſt im ſüdlichen Ermland ebenſo nach— 
zuweiſen wie in Maſuren und im Oberland; nur im Samland iſt er bisher nicht 
in tupiſchen Vertretern feſtgeſtellt; an Stelle der langen gangförmigen Platten— 
ae treten hier meiſt jüngere Blockkiſten. Zeitlich fällt Typus IV wie auch 


) Tijchler, Grabhügel I, S. 125ff. (Birkenhof uſw.). Dal. auch als bezeichnendes 
Beiſpiel das Hügelgrab von Dammwalde, Pruſſia-Bericht XXIX, S. 98ff. (Gaerte). 

2) Dal. Fußnote 6 Seite 42. 

) Dal. Pruſſia-Bericht XXIX, S. 47ff. (Engel). Dal. auch als bezeichnendes 
Beifpiel das hügelgrab von Grünwalde, Pruſſia-Bericht XX, S. 67 ff. (Heyded). 

) Dgl. Fußnote 1 auf S. 41. 


46 Carl Engel [6 


der folgende Typus V in die Übergangszeit zwiſchen Montelius-Periode VI 
und die Mittel- und Spätlateènezeit. 


V. Typus: Natürlicher Grabhügel mit von außen her ein— 
gebauter Steinkiſte und runden oder halbkreisförmigen Stein: 
ſetzungen (Abb. 6) oder in ältere hügelgräber in Form von ſeitlichen Stein— 
kiſten (Abb. 2, II) und am hügelrande gelegenen Steinſetzungen eingebaute 
Nachbeſtattungen. Dieſer Typus, der nur eine andere Anwendungsform des 
Bauprinzipes des vorhergehenden Typus (IV) darſtellt, zeigt bereits die 
beginnende Aufldjung des hügelgrabgedankens. Gewöhnlich werden in 


zw 


f Se ars — e, S 2 ge; 


Abb. 5. Sanditten, Kr. Wehlau. Hügelgrab 1. Tupus IV. Lange, gangförmige Platten= 
fijte (nach der Wiederherſtellung) 


dieſem Zeitabjchnitt keine neuen Hügel mehr aufgejchüttet!), ſondern Nach— 
beſtattungen in älteren, bereits vorhandenen hügelgräbern vorgenommen 
durch: 

a) Derlängerung einer bereits vorhandenen älteren Blockkiſte zu einer 
gangartigen Plattenkiſte (Typus IV, Abb. 5); eine Bauform, die dann aller— 
dings ſelbſtändig weiterlebt (vgl. Typus VI, Abb. 7). 

) Einbau einer oder mehrerer jüngerer Blockkiſten oder runder bzw. 
halbkreisförmiger (und dann nach dem Augenrand des hügels zu offener) Stein- 
ſetzungen. Beiſpiel: Steinkiſte im hügelgrab III Georgenswalde (Hbb. 2, II). 


1) Dieſe Angabe gilt jedoch nur für das Samland und Teile Natangens. In der 
Südhälfte Oſtpreußens entſtehen gerade in dieſer Zeit zahlreiche neue hügelgräber vom 
Tupus IV. 


* 


SO ˙ . M 


7] Zur Bauart und Chronologie der oſtpreußiſchen Hügelgräber 47 


| 
— | 


2 7 
* — = — 


Abb. 6. Mörderberg bei Preußifch-Arnau, Kr. Königsberg. Typus V. Don außen ber 
in den natürlichen Hügel eingebaute halbkreisförmige Steinſetzung 


= AR 


Abb. 7. Sanditten, Kr. Wehlau, Grab 54. Typus VI. Rechteckige Steinfesung mit Urnen— 
gruppe auf Steinpflajter („Latèene-Pflaſter“). Die Steinpadung abgetragen 


48 Carl Engel [8 


c) Gleichartige Einbauten wie bei b, aber in natürliche Kufſchüttungs⸗ 
oder Hufpreſſungshügel. Beiſpiel: Mörderberg bei Pr.-Arnau, Kr. Rönigs⸗ 
berg (Abb. 6). 


VI. Typus: hügelgrab mit rechteckiger Steinſetzung und 
Urnengruppe auf Steinpflaſter. Beiſpiel: Sanditten, Kr. Wehlau, 
Grab 54 (Abb. 7). Dieſer Typus, der oft ſchon als Flachgrab (wie auch das 
hier gewählte Beiſpiel Abb. 7) in Erſcheinung tritt, ſtellt baulich die Ent— 
artungsform der gangartigen Plattenkiſte (Typus IV, Abb. 5) dar. An Stelle 
der Steinkiſte iſt eine ihr in der Form entſprechende rechteckige Steinſetzung 
getreten; die meiſt zu einer Gruppe vereinigten Urnen ſtehen ſtatt unter 


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Abb. 8. Grabnid, Kr. Cyd. Hügelgrab I. Steinpadung nach Abtragung der Grasnarbe. 
Typus VII 


den Deckplatten einer Steinkiſte jetzt unter einer Packung von Kopfiteinen 
auf einem Pflaſter von Fauſtſteinen („Catène-Pflaſter“). Typus VI tritt ſo⸗ 
wohl als ſelbſtändiges Hügelgrab (3. B. Warnicken, Kr. Fiſchhauſen, Jagen 300) 
wie als jüngerer Einbau („Catène-Pflaſter“) in älteren hügelgräbern (3. B. 
Warſchken, Kr. Fiſchhauſen, Hügel 12)) auf. 

Die Zeitſtellung dieſes Typus wird durch Eiſenbeigaben (Sibeln vom 
Mittel- und Spätlatésneſchema) klar beſtimmt. Keramik: Doppelkoniſche, 
meiſt mehrgriffige Spätlatene-Gefäße (Abb. 13a —d und wie Gaerte, Abb. 101 
und 102). Am Ende dieſes Abſchnitts bereits ſtarke Einflüſſe aus der benach— 

1) Dal. Pruſſia-Bericht XXII S. 386ff. (Remke). 

2) Tiſchler, O., Grabhügel 1, S. 164ff. 


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9] Zur Bauart und Chronologie der oſtpreußiſchen Hügelgräber 49 


barten oſtgermaniſchen Kultur Weſtpreußens und Nordpolens (Situlen oder 
ſitulenähnliche Terrinen, Abb. 13e—h). Die nachträglichen Randbeſtattungen 
a Tupus leiten bereits in die römiſche Kaiſerzeit (Tiſchler, Periode A) 
über. 

Die nachſtehend aufgeführten Typen VII und VIII ſchließen ſich weder 
chronologiſch noch typologijd der Entwicklungsreihe vom Typus I bis VI an, 
ſondern ſtellen landſchaftlich begrenzte Sonderfälle dar, die zeitlich und baulich 
neben den Typen I—VI ſtehen. 


VII. Typus: Steinhügel. Beiſpiel: Grabnick, Kr. Cyd, Hügelgrab I 
(Abb. 8). Ein ſtrukturloſer Hügel aus einem regelloſen Gemiſch von größeren 
und kleineren Steinen, zwiſchen denen nur wenig Erde. Unter der Stein⸗ 


Abb. 9. Workeim, Kr. heilsberg. Typus VIII. Hügelgrab 1 nach Abdeckung der Grasnarbe 


packung auf dem gewachſenen Boden meiſt eine ausgebreitete Knochenſchicht, 
in der fic) an einzelnen Stellen die kalzinierten Knochen zu Knochenhäufchen 
verdichten; bei dieſen Gefäße. 

Anfcheinend eine landſchaftlich begrenzte Sonderentwidlung im ſüd⸗ 
öſtlichen Maſuren (Kr. Cuck) mit eigenartiger, zeitlich vorläufig nicht ſicher zu 
datierender Keramik (Abb. 14) ohne zeitbeſtimmende Metallbeigaben. 


VIII. Typus: Steinhügel mit Maſſenbeſtattungen (meiſt in 
Urnengruppen, die häufig mehrſchichtig etagenförmig übereinander an⸗ 
geordnet find). Beiſpiel: Das bereits oben gekennzeichnete Hügelgrab von 
Workeim, Kr. Heilsberg (Abb. 9, 10) ). Die mit Steinpackungen umgebenen 
Urnen (ſeltener Knochenhäufchen) ſtehen dicht gedrängt neben- und nicht ſelten 
auch etagenförmig übereinander (Abb. 10). Die Keramik (Abb. 11) läßt ſogen. 
„lauſitziſche“ Einflüſſe erkennen (vgl. Gaerte, Abb. 55). Datierend iſt eine 
in der unterſten Urnenſchicht gefundene Plattenfibel der Periode IV Montelius 


— — 


1) Dgl. Sußnote 7 Seite 42. 
mannus, 3Zeitfchrift für Dorgeſchichte, VIII. Erg.⸗Bd. 4 


50 | Carl Engel [10 


(vgl. Gaerte, Abb. 52). Die oberen Schichten dürften bis weit in die vor— 
chriſtliche Eiſenzeit hineinreichen. Eine wiſſenſchaftliche Bearbeitung des 
Fund materials liegt noch nicht vor. 


Abb. 10. Workeim, Kr. Heilsberg. Typus VIII. Querſchnitt durch hügelgrab 1. Die etagen— 


weiſe angeordneten Urnenſchichten 


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Abb. 11. Gefäße aus dem hügelgrab Workeim, Kr. Heilsberg. 


a = Grab 41. b = Grab 551. ce = Grab 324. d = Grab 7. e = Grab 211. Gefäß e = 
15cm hoch. Pruſſia-MRuſeum, Königsberg. Aus Urne a ſtammt die Plattenfibel M IV 


Unſcheinend handelt es ſich um einen beim Zuſammentreffen der jung— 
bronzezeitlichen Slachgräberfelderfultur mit der einheimiſchen hügelgrabkultur 
entitandenen MRiſchtypus, wie er in ähnlicher Form auch im nordweſtlichen Rand- 
gebiet der Cauſitziſchen Kultur (Hügelgräber bei Belitz, Kr. Arneburg) !) auftritt. 


1) Dal. Stendaler Beiträge II S. 75—78 (Kluge). 


— — . — 


11] Zur Bauart und Chronologie der oſtpreußiſchen Hügelgräber 51 


Auf Grund der Entwicklung von Grabbau und Keramik!) läßt fic) die 
vorrömiſche Eiſenzeit Oſtpreußens in drei große, deutlich gegeneinander ab- 
gegrenzte Zeitſtufen gliedern: 


I. Stufe: Frühe Eiſenzeit (Montelius-Periode VI)): Im Norden 
Hügelgräber mit zentraler Ringmauer. Altere Blockkiſten. Die Keramik ſteht 
unter dem Einfluß der von Südweſten her einſtrömenden Flachgräberkultur 
(Abb. 12a—d). Blütezeit der hügelgrabbaues. Im mittleren und ſüd⸗ 
lichen Oſtpreußen Slachgräberfelder und hügelgräber vom Typus VIII. 


II. Stufe: Übergangszeit zwiſchen dem Ende der Periode VI 
Montelius und dem Beginn der Mittel- und Spätlatenezeit. 
Einbauten in ältere hügelgräber oder natürliche Hügel in Form jüngerer 
Blockkiſten und runder oder halbkreisförmiger Steinſetzungen. Hügelgräber 
mit langer, gangförmiger Plattenkiſte. Die Grabbauart und Keramik (faſt 
ausſchließlich Gefäße ohne Standboden, Abb. 12e—k) ſtehen unter dem Ein⸗ 
fluß der weſtlich benachbarten frühgermaniſchen Gefidtsurnen-Kultur. Be: 
ginnender Verfall des hügelgrabbaues. 


III. Stufe: Mittel⸗ und Spätlatenezeit. Hügelgräber mit recht: 
eckiger Steinſetzung und Urnengruppe unter Steinpackung auf Steinpflaſter 
(„Latène-Pflaſter“, auch als Gm: 
bau in älteren hügelgräbern). Über: 
gang zur Einzelbeſtattung in Sorm 
einzelner unter Steinpackung im 
Hügel verſtreut ſtehender Urnen— 
beſtattungen s). Nachbeſtattungen 
unter flachen, ovalen oder runden 
Steinpadungen. Keramik: Zu An: 
fang ausgeprägte Sonderentwid- 
lung (doppelkoniſche, mehrgriffige 
Latenegefäße; Abb. 15a -d) am 
Ende (in den Randbeſtattungen) “ 
Einflüſſe aus dem oſtgermaniſchen gë 
Kulturfreije (Situlen und Utulen: ——— s: 
ähnliche Terrinen; Abb. 13e—h). Abb. 14. Gefäß aus Hügelgrab I Grabnik, Kr. Cyd. 
Eifenbeigaben: Sibeln vom Mittel: heimatmujeum Cyd 
und Spätlatèneſchema. Ausflan 
des hügelgrabbaues und Übergang zur Einzelgrabkultur der 
nachchriſtlichen Slachgräberfelder. 

Der allmähliche Übergang von der hügelgrab- zur Slachgräberfelder 
kultur iſt heute durch zahlreiche Beiſpiele belegt: So durch das beſonder 
wichtige Gräberfeld von Sanditten (Kr. Wehlau s)), jo durch das Nachleben 


1) Hinſichtlich der Metallbeigaben vgl. die grundlegenden chronologiſchen Unter: 
ſuchungen Tiſchlers in Grabhügel I—III. 

2) Vermutlich wird auch der größte Teil der periode V Montelius zur Stufe I zu 
rechnen ſein. Doch iſt ein abſchließendes Urteil hierüber noch nicht zu fällen. 

3) So 3. B. in Sorgenau, Kr. Siſchhauſen, Hügel 1. Dal. Pruſſia-Bericht XXII 
S. 296ff. (Remke). 

) Diefe Endſtufe wäre bei einer genaueren Gliederung zweckmäßig abzutrennen 
und der durchaus berechtigten Periode Tiſchler A (50 vor — 50 nach Chriſtus) gleichzuſetzen. 

5) Dal. Sußnote 7 Seite 45. 

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54 Carl Engel, Zur Bauart und Chronologie der oſtpreußiſchen Hügelgräber [14 


von Einzelgliedern des hügelgrabbaues (Steinkreis, Steinfijte) auf mehreren 
B-⸗ Gräberfeldern der frührömiſchen Kaiſerzeit, beſonders im Kreiſe Labiau 
(Klein⸗Fließ !), Perdollen ?)). Im benachbarten Südoſtbaltikum lebt dagegen 
der hügelgrabbau noch bis tief in die römiſche Kaiſerzeit fort?). 

Don der Behandlung einer — heute bereits möglichen — Unter- 
gliederung der hier aufgeſtellten hauptſtufen der oſtpreußiſchen vorchriſtlichen 
Eiſenzeit muß hier aus Raummangel abgeſehen werden. 


Citeratur-Abfiirzungen: 


Gaerte = Gaerte, W., Urgeſchichte Oſtpreußens. Königsberg 1929. 

Hollad = hollad, E., Erläuterungen zur vorgeſchichtlichen Überſichtskarte Oſtpreußens. 
Glogau-Berlin 1908. 

Tiſchler, Grabhügel I-III = Tiſchler, O., Oſtpreußiſche Grabhügel I—III. Schriften 
der Phuſikaliſch-Okonomiſchen Geſellſchaft zu Königsberg. XXVII (1886) S. 115 ff. 
XXIX (1888) S. 106 ff. XXXI (1896) S. 1 ff. 


1) Dal. Pruſſia⸗Bericht XXI S. Son, 75 ff. (heydeck, Brinkmann). 

2) Nicht veröffentlicht. Fundbericht im Pruſſia-Muſeum. 

3) Dal. Eberts Reallexikon XIII S. 7ff. (Friedenthal, Jakobſen). — Moora, M., 
Ausgrabungen ältereiſenzeitlicher hügelgräber im Kreije Jetabpils. Archaiologijas ratiti I 3. 
Riga 1928. — Eurasia Septentrionalis Antiqua III S. 93 ff. (Schmiedehelm). — Sprek⸗ 
kelſen, H., Das Gräberfeld Caakt. Derhandl. der Gelehrten Eſtn. Gef. XXIV. Dorpat 1927. 
— Friedenthal, A., Das Gräberfeld Cournal. Reval 1911 u. a. m. — bereinzelte kaiſer— 
zeitliche hügelgräber ſind auch aus Oſtpreußen bekannt, fo 3. B. von Wiekau, Kr. Siſch— 
haufen (Pruſſia-Ber. XXII, S. 217 ff. Heyded), hermannlöhnen, Kr. Heydetrug (Prujjia- 
Ber. XVIII, S. 8Uff. Bezzenberger) und aus der Druffer Forſt, Kr. Wehlau (Prujjia- 
Ber. XV, S. 139f. Bujack). Aud) im weſtlich benachbarten pommerelliſchen Gebiet treten 
ſolche neben den vorherrſchenden Flachgräberfeldern auf, 3. B. in der Tucheler Heide 
(val. Koſtrzewſki, J., Kultura przedhistoryezna wojewodztwa Pomorskiego. Torun. 
1929. S. 20f.; Derſelbe, Kurhany i kregi kamienne w Odrach. Z Otchlani Wieköw 
La 1926. S. 17 ff.). 


Die Tolkemita, die erſte nachweislich germaniſche 
Burg Oſtpreußens 


(Referat) 
Don Prof. Dr. Ehrlich, Elbing 
Mit 4 Abbildungen 


Etwa 2 km ſüdöſtlich von dem am Friſchen Haff gelegenen Städtchen 
Tolkemit, Kr. Elbing, das vorgeſchichtlich durch die wichtigen neolithiſchen 
Siedlungsfunde in ſeiner Umgebung bekannt geworden iſt, erhebt ſich, die 
Stadt und ihren von Lommen und Kuttern belebten hafen überragend, die 
Tolkemita, im Doltsmunde die „alte Burg“ genannt. Auf einem Plateau: 
vorſprung zwiſchen zwei Bachſchluchten gelegen, ſchaut fie weit ins Land 
und über das Haff und die Sriſche Nehrung hinweg auf das weite Meer (Abb. 1); 
in ihrem Kücken iſt ſie geſchützt durch die ſchluchten- und waldreichen diluvialen 
Gebilde der Elbinger höhe. 

Die Ausgrabungen auf der Burg fanden in den Jahren 1926, 1928 und 
1930 ſtatt; 1926 und 1928 beteiligte ſich an denſelben noch Max Ebert. 
Durch dieſe Ausgrabungen iſt die Anlage der Burg und ihre Zeitſtellung im 
weſentlichen aufgeklärt worden. Über die erſten Ergebniſſe hat ſchon Ebert 
in ſeiner Abhandlung „Caſtrum Weclitze, Tolkemita, Truſo“ (Elbinger Jahr— 
buch, heft 5 6, 1927, S. 100 ff.) kurz berichtet. 

Die ganze Burganlage (Abb. 2) ijt annähernd von M nach O gerichtet 
und umfaßt eine Släche von etwa 340 m Lange und bis zu 110 m Breite. 
Die Stirnjeite der Burg, das „Horn“, iſt gegen Weſten gerichtet. Der Seind 
war alſo vom haff her zu erwarten. Ziemlich in der Mitte der ganzen Be— 
feſtigungsanlage liegt das Rernwerk. Ein Innenhof, der etwa die Form 
eines unregelmäßigen Diereds mit abgerundeten Ecken hat, nimmt eine 
Slade von etwa 60x45 m ein. Er wird von mächtigen, noch gut erhaltenen 
Wällen umſchloſſen. Der höhenunterſchied zwiſchen der Wallkrone und dem 
vorgelagerten Planum beträgt gegenwärtig bis zu 7 m. Im Innenhof iſt 
mit Anlehnung an den Nordwall ein erhöhtes Planum ausgeſpart, das wohl 
dadurch entitanden ijt, daß man um dasſelbe herum die Erde zur KAufſchüttung 
der Wälle und zum Bau der Mauern entnommen hat. Dieſes Planum iſt 
durch Erdbrücken mit den Teilen der Umwallung verbunden, wo die Wall— 
krone durch Einſchnitte unterbrochen iſt, d. h. in der Nähe der SW- und der 
SO-Ede, wo ſich Tore befunden haben. Auf dem erhöhten Planum des 
Innenhofes haben, wie durch die Ausgrabungen des Jahres 1926 feſtgeſtellt 


56 Ehrlich 2 


wurde, kleine Holzhäuſer geſtanden. Es waren jedenfalls Schwellenbauten. 
Grundriſſe konnten wegen vielfacher Überſchneidungen nicht feſtgeſtellt werden. 

Das Rernwerk war nach W und O durch weitere Derteidigungsabichnitte 
geſichert. Nach W waren es deren drei, von denen der dem Kernwerf zunächſt 
gelegene als Slankenſchutz nur den Abjchnitt von der Weſtecke des Rernwerks 
bis zum ſüdlichen Schluchtenrand abriegelte, während die beiden weiter nach 
W vorgejchobenen das ganze Plateau von Schluchtenrand zu Schluchtenrand 
ſicherten. Auch nach O lagerte dem Kernwerf ein geräumiger Außenhof vor, 
der durch einen Wall mit davorliegendem Graben abgeriegelt war. 


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Abb. 1. Blick von der Tolfemita auf die Stadt Tolkemit, das Friſche Haff und die 
Friſche Nehrung. 


Durch die verſchiedenen Teile der ganzen Burganlage wurden in den 
drei Ausgrabungsfampagnen bisher 22 Schnitte gelegt. Das Ergebnis ijt 
folgendes: 

Bei allen Wällen des Kernwerfs wie der beiden Außenwerfe wurde 
feſtgeſtellt, daß ihnen Gräben vorgelagert waren und daß fie Holzeröbefeiti- 
gungen auf der Wallkrone getragen haben. dieſe Holzeröbefeitigungen 
beſtanden offenbar nur aus Plankenwänden, die im Innern mit Steinen und 
Erde ausgefüllt waren und auf Hol3fundamenten ruhten. Solche Holzfunda— 
mente beſtanden bei den Wällen der Außenhöfe nur aus einzelnen Schwellen, 
während im Wallinnern des Nordwalles des Kernwerfs roſtartige Hol3- 
packungen in 5—6 Schichten übereinander und in weiteren Abjtanden von— 
einander als Unterſtützungen der Mauern aufgedeckt wurden. Ob bei dem 
Bau der Holzerdmauern auch Pfoſten Verwendung gefunden haben, hat bisher 
noch nicht einwandfrei feſtgeſtellt werden können. Zwar zeigten ſich an der 
Augen und Innenſeite der Holzmauern Gruben, die den Eindruck von Pfoſten— 


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97 


Die Tolkemita, die erſte nachweislich germaniſche Burg Oſtpreußens 


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58 Ehrlich [4 


löchern machten. Doch erwieſen ſich einige von ihnen deutlich als Abfallgruben, 
da fie reichlich mit Scherben, auch ganzen Gefäßen, Tierknochen und Siſchſchuppen 
und Fiſchgräten gefüllt waren. Offenbar iſt die Burg über einer vorher ſchon 
dort befindlichen früheiſenzeitlichen Siedlung erbaut worden, die auch im 
Innenhof und im öſtlichen Außenhof nachgewieſen wurde, und zum mindeſten 
gehört ein Teil dieſer Gruben, zumal da ſich ſolche auch ſonſt i im Burggelände 
fanden, zu dieſer alten Siedlung. Die Unterſuchung des Nordwalles des Rern⸗ 
werkes ergab aber, daß es ſich bei der Burg um mehrere, wahrſcheinlich 3 Bau⸗ 
perioden handelt. Beſonders ſcharf hoben ſich im Nordwalle in Schnitt F 
zwei Hbſturzſchichten ab, die durch eine etwa ½ m ſtarke Hufſchüttung getrennt 
übereinander lagen. Dieſelben zwei Schichten wurden 1926 auch am SW-Tor, 
das eine ſteinerne Einfaſſung hatte, und an einem der Derteidigungsabichnitte 
des weſtlichen Außenhofes (Schnitt E) beobachtet. Nicht ganz fo ſcharf, aber 
doch deutlich erkennbar, traten dieſe beiden Schichten auch in dem Wall⸗ 
ſchnitte N zutage, der als Parallelſchnitt zu Wallſchnitt F 1928 angelegt und 
1930 weſentlich erweitert wurde (Abb. 3 und 4). In dieſem Schnitt, der am 


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Abb. A Wallſchnitt N. 1928 


1. Augujt 1930 auch von der Geſellſchaft für Deutſche Vorgeſchichte beſichtigt 
wurde, konnte die bemerkenswerte Beobachtung gemacht werden, daß die Wall⸗ 
kronen der verſchiedenen Bauperioden nicht ſenkrecht übereinander lagen, 
ſondern daß die oberen jüngeren nach dem Burghofe zu, d. h. nach Süden 
verſchoben waren. 

Über die Zeitſtellung der verſchiedenen Bauperioden können die Scherben 
leider keine Auskunft geben, da fic) in allen Schichten Tat nur Scherben der 
frühen Eiſenzeit finden, die aus dem umliegenden Gelände ſtammen, das immer 
wieder die Erde zu den Befeſtigungswerken hergeben mußte. Die Datierungen 
werden aber durch Metall- und andere Funde verſchiedener Perioden ermög⸗ 
licht. Die früheſte Schicht wird durch den Fund einer bronzenen Rollenfibel 
und eines Bronzedrahtringes mit blauer Glasperle als früheiſenzeitlich, die dar⸗ 
über befindliche durch eine D-Sibel und durch ein Bronzearmband und mehrere 
eiſerne Streitäxte der Wikingerzeit als dieſer zugehörig erwieſen. Die früheſte 
Anlage iſt demnach oſtgermaniſch, die ſpätere gehört der Wikingerperiode an. 
Nur ganz vereinzelt ſind Scherben von Drehſcheibengefäßen gefunden worden, 
die die dritte Bauperiode, die wir neben jenen beiden noch anzunehmen 
haben, der jüngſten heidniſchen Zeit zuweiſen. 

Es iſt von Bedeutung, daß auf der Tolfemita in ihrer älteſten Anlage 
zum erſten Male in Oſt- und Weſtpreußen eine oſtgermaniſche Burg nach— 
gewiejen werden konnte. Aud) an andern vorgeſchichtlichen Burgen im Kreiſe 


5] Die Toltemita, die erſte nachweislich germaniſche Burg Oſtpreußens 59 


Elbing, ſo auf dem Burgwalle bei Cenzen, der Eigentum der Elbinger Alter— 
tumsgeſellſchaft ijt und gleichfalls von der Geſellſchaft für Deutſche Dor- 
geſchichte beſucht wurde, ſind unter der Wallkrone Rulturſchichten der frühen 
Eiſenzeit aufgedeckt worden. Es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß es ſich auch in 


Abb. 4. Tolkemita. Wallſchnitt N. 1950 


dieſen Fällen um frühgermaniſche ältere Burganlagen unter den ſpätheid— 
niſchen der alten Preußen handelt. 

Die Ausgrabungen auf der Toltemita ſind noch nicht abgeſchloſſen. 
Mehrere wichtige Fragen bedürfen noch der Klärung. Wegen Mangels an 
weiteren Mitteln mußten die Unterſuchungen aber zunächſt abgebrochen 
werden. Eine ausführliche Darſtellung der bisherigen Ausgrabungsergebniſſe 
wird 1951 im Mannus erfolgen. 


König Heinrich I. und die oſtdeutſche Archäologie 


Don Dr. phil. Werner Radig, Dresden 
Mit einer Karte und einem Ziegel 


Dem fünfundzwanzigjährigen Seminar für Landesgeschichte und Siedlungskunde 
an der Universität Leipzig gewidmet 


Die gebildeten Deutſchen kennen ſchon aus den hiſtoriſchen Schul: 
atlanten jene berühmten Stätten des klaſſiſchen Altertums, an denen Schlachten 
geſchlagen und Cänderſchickſale entſchieden wurden, fie finden die Wege ver- 
zeichnet, auf denen mit „ruhmbeſchwingter Sohle“ die fernen Feldherrn 
geritten. Aber die alten Straßenzüge, auf denen von Gau zu Gau der erſte 
deutſche König (und Kaifer) oſtmärkiſchen Boden wiedergewann, und die 
wehrhaften Stätten vordeutſcher Zeit, die es zu bezwingen galt, kennen ſie 
nicht. Es hat ſich die Wiſſenſchaft bisher kaum bereit gefunden, Aufzeichnungen 
dieſer Art zu ſchaffen. 

Bis vor kurzem war dem hiſtoriker die neue Grundlage zu unſicher, 
die die heimiſche Urchäologie aufrichtet, und ſeine eigenen Quellen ſchienen 
ihm zu ſpärlich zu fließen, — nicht gehaltvoll genug, um daran Leben wieder 
aufſprießen zu laſſen. Dieſe Zeit muß vorbei ſein; es gilt, früheſte ſchriftliche 
Überlieferung, Gau- und Urlandſchaftslehre und Burgwallarchäologie 
fruchtbar zu verknüpfen. 

Das Itinerar heinrichs hat zuletzt für eine gewiſſe Zeit W. Lippert!) 
umriſſen, während die ganze Lebens- und Sahrtenzeit des Königs ſeit G. Waitz) 
im Jahre 1885 nicht wieder behandelt worden iſt. Einen verfaſſungsgeſchicht⸗ 
lichen Überblick gab R. Rötzſch ker) und eine lebensvolle Erzählung J. O. Plaß⸗ 
mann’). Alle anderen Arbeiten allgemeinen Inhaltes, wie vor allem auch die 
Ausgaben der Chronik Thietmars von Merjeburgt) und der ſächſiſchen 
Geſchichten Widukindss) liegen 40 und mehr Jahre zurück. Es verſteht ſich 
von ſelbſt, daß neue Ausgaben gefordert werden müſſen, die fruchtbare Wirkung 
zeigt z. B. die Neuherausgabe der arabiſchen Berichte des Ibn Jakub u. a. 
von D Jacobs). — Die Frage des Itinerars führt zur Literatur der Straßen- 


1) Lippert, W.: Die Aufrichtung der deutſchen herrſchaft im Meißener Lande 929. 
In: Meißniſch-Sächſ. Forſchungen. Dresden 1929. — Ferner ebenda: Köͤtzſchke, R.: Die 
Anfänge der Markgrafſchaft Meißen. 

..) Waitz, G.: Jahrbücher des Deutſchen Reiches unter König heinrich I. 3. Aufl. 

Leipzig 1885. 

) Plaßmann, 3. O.: König heinrich der Doaler. Deutſche Dolfheit. Jena 1928. 

) Thietmari Merseburgensis Episkopi Chronicon. Ed. v. J. M. Lappenberg u. 
Sr. Kurze. Hannover 1889. 

) Widukindi Rerum Gestarum Saxonicarum, Hrsg. v. G. Waitz. Hannover 1882. 

) Jacob, g.: Krabiſche Berichte von Geſandten an germaniſche Fürſtenhöfe. Berlin 
und Leipzig 1927. 


2] König heinrich I. und die oſtdeutſche Archäologie 61 


forſchung, die man für den ganzen deutſchen Oſten als noch völlig unzureichend 
bezeichnen muß. Ja, man hat mit einer ins einzelne eingehenden topographi⸗ 
ſchen Wegeforſchung noch gar nicht den Anfang gemacht: Für Deutſchland 
eine ſummariſche Karte von Rauers!) und 3. B. für Sachſen zwei Arbeiten 
von Simon?) und Wiechel?), die 30 Jahre zurückliegen. 

Als Fixpunkte find zunächſt die urkundlich genannten Namen der Burgen 
(urbes, civitates, oppida) auf der Itinerarkarte einzutragen. Das Flußnetz 
mit den ſiedlungsfeindlichen Sumpfniederungen iſt ebenfalls gegeben. Die 
Urlandſchaftslehre vermag das Bild der Freilandſchaften vor tauſend Jahren 
anzugeben. Dieſe Freilandſchaften werden als Siedlungsgaue weiterhin in die 
Karte eingetragen. Als neue Kombination wären nun die erforſchten Straßen⸗ 
züge einzutragen, wenn fie in ihrem genauen Derlauf bereits bekannt wären. 
Darauf muß vorläufig verzichtet werden, aber ihre ungefähre Linienführung 
mit Berückſichtigung der jeweiligen Richtung und der jeweils wahrſcheinlich 
gemachten oder erwieſenen Furt und des ebenſo erhärteten Paſſes iſt ſchon 
zu ermitteln. Dieſe Linie wird in der Wegſignatur jedes einzelnen Seldzuges 
zum Ausdrud gebracht. Es werden alſo der leichteren Überficht wegen und in 
Rückſicht auf den Wiſſensſtand nur dann weitere Wegzüge eingetragen, wenn 
ſie eine Wahrſcheinlichkeit des Begangenſeins haben. Es ergibt ſich folgendes 
Bild (vgl. Karte): 

I. Die geſchichtliche Forſchung hatte Heinrichs Kuftauchen in Püchau für 
924 (2) feſtgelegt, das er von Merſeburg, das ſchon für 906 erwähnt wird, 
erreicht haben wird. Es gilt hierfür das gleiche wie unter III (ſ. u. Ia). 

II. Im Winter 928/29 zog Heinrich von Quedlinburg aus, das meiſt als 
Ausgangspuntt anzuſehen iſt, gen Brandenburg, dabei überſchritt er bei 
Staßfurt die Bode und bei Magdeburg die Elbe an ihrem wohl älteſten Über⸗ 
gang, den 3. B. 780 Karl der Große benutzte. Er hatte jo freien Weg durch 
offenes Gauland weſtlich und durch Moraciani öſtlich des Stromes, welches 
ſich im ſchmalen Streifen gerade in der Zielrichtung nach der Havel hinzieht. 
Nach Überqueren der Plane erreicht er das umwehrte Gebiet der heutigen 
Dominſel (ſ. u. IIa). 

III. Don Brandenburg wandte ſich heinrich geradezu nach Süden, 
wobei allerdings anzunehmen ift, daß das Wald- und Sumpfgebiet des Klein⸗ 
gaus Ploni weſtlich umgangen wurde und im rechtselbiſchen Gauſtreifen 
Moraciani zunächſt bis Deſſau marſchiert wurde, wo nur der Strom zu über: 
winden war und nicht weitere linkselbiſche Nebenflüſſe. Die Richtung auf 
Halle wird die bekannteſte und der Weg der beſte geweſen ſein. Über Schkeu— 
ditz (Skudici) oder Leipzig (Libzi) bog er nach Oſten, wo er die Mulde, 
die hier nun freilich nicht ſo mächtig, an einzelnen Stellen geradezu ſchmal und 
oft flach war, zu überwinden hatte. Man iſt durchaus geneigt, daß er ſeinen 
alten Stützpunkt Püchau (ſ. u.) als Rückendeckung in feiner Hand gehalten hat. 
Dann würde er dort ſelbſt an der dortigen Furt nach „Rennwieſe“ über die 
Mulde gegangen ſein, oder er hat dieſe bei Wurzen überſchritten, wie dieſe 
Stelle uns zweimal in gleicher Eigenſchaft früh begegnet. Nach letzter Edition 


1) Rauers: Derjud) einer Karte der alten Handelsſtraßen in Deutſchland. In: 
Petermanns Mitt. 1900. S. A0 59. Mit einer Karte. 

) Simon, A.: Die Derkehrsſtraßen in Sachſen. Mit einer Karte. Stutt— 
gart 1892. 

2) Wiechel, C.: Die älteſten Wege in Sachſen. In: Iſis Abhandl. Dresden. Mit 
einer Karte. Dresden 1901, I. 


62 Werner Radig [3 


des Ibn Jakub hat der arabiſche Jude etwa 50 Jahre ſpäter bei Wurzen!) die 
Mulde auf feinem Wege überſchritten, und Thietmar?) weiß für die Zeit 
von 1017, daß die Slawen beim Übergang über die Mulde bei Wurzen ihr Götter⸗ 
bild in den Fluten verloren und in böſen Uhnungen ihren Weiterzug aufgaben. 
Der Muldenweg führt über Nerchau zur von Grimma kommenden „alten 
Salzſtraße“, die ſich in geradem Zuge nach Iſchaitz im Jahnatale wendet. 

IV. Weiter führt dieſer Weg in genauer Oſtrichtung über Glaucha 
und das bedeutende Leuben (burgwardus Luvine) zu dem Elbſtrom nach 
Meißen; man kann ſagen, daß dieſer Weg geradezu auf den Burgfelſen von 
Meißen hin zielte. 

V. Nun kann man ſich fragen, ob heinrich ſich genau ſüdwärts nach 
Böhmen wandte oder den Bogen durch den Gau Niſan nahm, deſſen Name 
nicht genannt wird. Freilich iſt der Rechenberg-Durer Paß über das Erz⸗ 
gebirge weniger bekannt und geſichert wie die uralte Dölferjtraße des Dohna- 
Kulmer Paſſes, die beide nach Prag führen (erſtgenannter unſicher, vgl. 
Karte). 

VI. An dem folgenden Feldzuge, der die Eroberung von Walsleben 
ſühnen ſollte, nahm heinrich nicht perſönlich teil (deshalb andere Wegſignatur, 
val. Karte); er entſandte aber den Bernhard und den Thiatmar, von denen 
zumindeſtens Thiatmar mit Kriegsvolk von Quedlinburg aus in die Prignitz 
marſchierte. Sein Weg wird durch die Furt von Staßfurt und durch den Lauf 
der Mittelelbe zu bezeichnen ſein. Freilich wird man die weſtelbiſchen Gaue 
von Südoſten nach Nordweſten durchſchritten haben, einmal um den getretenen 
Pfaden zu folgen, ohne die Elbniederungen fürchten zu müſſen, andrerſeits 
um an der „uralten Brücke“ des Hohbuofi die Elbe überwinden zu können. 
Wir wiſſen, daß Karl der Große 789 ins Wilzenland vom Stützpunkt des 
Kaftells höhbeck aus, das gegenüber Lenzen gelegen ijt, vordrang. Nordöſtlich 
von höhbeck ijt eine Fähre über die Elbe und nur noch ein Kilometer Weges 
nach der Cöcknitz, über der ſich die Burg von Lenzen erhebt. 

VII. Man könnte bei dem Zuge nach der Cauſitz an einen mittelbaren 
Vorſtoß von dem vorgeſchobenen, ſeit drei Jahren gegründeten Meißen denken, 
aber da heinrich ſeit 929 nicht in Meißen war, muß er den Weg von Quedlin= 
burg her genommen haben; übrigens war er zu Jahresanfang in Pöhlde bei 
Oſterode a. h. So ift es auch wahrſcheinlich, daß er wieder wie vor 4 Jahren 
bei Magdeburg die Elbe überſchritten hat und den Siedlungsitreifen des rechts- 
elbiſchen Gebietes durchzog, um von Nordweſten her in Loficin einzufallen. 
Dom Fläming her und nicht von der Elſterniederung aus wird er in die wald— 
reiche Candſchaft von Cebuſa und Schlieben eingedrungen fein. 

VIII, IX. Noch immer liegt Riade in rätſelhaftes Dunkel gehüllt. Cage 
es an der Unſtrut, ſo wäre heinrich von Weſten her gen Merſeburg gezogen, 
liegt es aber in unmittelbarer Nähe von Merſeburg, ſo wird er ſeinen Weg 
ganz einfach faaleaufwärts genommen haben. Da ſich an Rüſtermanns 
Theſes) neue Stützen knüpfen, muß mit dem Nord-Südͤzug über Halle und Merje- 
burg vor die Rippachmündung gerechnet werden. 

X. Nicht in das Sorbenland, ſondern nach Norden richtete ſich Heinrichs 
letzter Zug. Man wird ohne weiteres an die Gewohnheiten ſeit den Zeiten 


) Jacob betr. Ibn Jacub ſtatt Nerchau. 

2) Thietmari Chronicon VIII. 64. 

3) Rüſtermann, O.: Die Schlacht bei Riade i. J. 955. Mit 4 Karten. In: Sf. d. 
Darzver. f. Geſch. u. Altert. Ig. 29, 1886. S. 520 —549. 


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64 Werner Radig [5 


Karls des Großen glauben können und mit Recht annehmen müſſen, daß 
Heinrich zunächſt im befriedeten linkselbiſchen Gebiet bis Bardowiek zog und 
in der Nähe dieſes alten Handelsplatzes die Elbe überſchritt. Ob die „erdene 
Burg“, die rechteckige, hochumwallte Ertheneburg gegenüber Artlenburg, die 
Schuchhardt bis in die karolingiſche Zeit zurückführen möchte, zu dieſer Zeit 
unverſehrt war, ſei dahingeſtellt. Jedenfalls hat Otto der Große auch bei 
Bardowiek zwei Jahre darauf 936 die Elbe überquert. Nach Schleswig⸗hHolſtein 
ging der Weg bis haithabu bei Busdorf am Haddebyer Hoor. 

In Derbindung mit den vereinzelten topographiſchen Studien der 
Lofalhijtorifer und den Kartenunterlagen verſchiedener Maßſtäbe, zu min⸗ 
deſtens der Meßtiſchkarte 1: 25000, wurden die folgenden wehrhaften Stätten 
vom Archäologen beobachtet. 

Ia In püchau, Ab. Grimma, das zwiſchen Wurzen und Eilenburg 
gelegen ijt, erhebt ſich am hochterraſſenrand des linken Muldenufers das heutige 
Schloß, deſſen Fundament auf einer ausgeſprochenen Terraſſenzunge ruht. 
Die ſteilen Böſchungen ziehen fic) im Dreiviertelkreisbogen in ſtattlicher Wehr⸗ 
haftigkeit um dieſen Berghang, dem aber im ungeſchützten Hinterland heute 
ein Ubſchnittswall oder graben fehlt. Es ijt indeſſen anzunehmen, daß diefer 
in der Linie des jetzigen Rittergutshofeinganges gelegen hat und ſpäter 
überbaut ijt, wie dies der Grabeneinſchnitt in der genannten Linie am Nord⸗ 
weſtende des Gutes andeutet. Im Süden tut ſich die Wehrhaftigkeit beſonders 
kund: Es läuft zwiſchen dem ebenfalls auf drei Seiten mit Steilhängen aus⸗ 
geſtatteten Kirchberg und dem Schloßberg ein tiefer hohlweg, der von Natur 
durch ein früheres Rinnfal vorgeſchaffen fein mag, der aber künſtlich jo eingetieft 
iſt, daß von Kirche zu Schloß ſich die Anlage einer Landbrücke nötig machte. 

Die Ortsform von Püchau iſt durch das Rittergut mit den einzelnen lang⸗ 
gezogenen Böſchungen auffällig zerteilt, wobei wohl die weſtlich hinter dem 
Gute befindliche Gehöftegruppe im Halbkreis angeordnet und als urtümlich 
anzuſprechen iſt; gerade hier müßten Flurkartenſtudien einſetzen, um den früh 
erwähnten Platz zu klären. 924 flüchtete heinrich vor den Ungarn und rettete 
ſich nach der urbs Püchaut), einer ſchon wehrhaften Stätte; den urbani 
verleiht er beſondere politiſche Rechte, deren Inhalt man ſich nicht recht vor⸗ 
ſtellen kann?). Jedenfalls erkannte er hier wie anderwärts den Wert der 
hochragenden Feſte. 1017 iſt bereits von burgwardis Bichni et Vurcin?) 
die Rede, und dieſelbe Quelle ſpricht 1018 von einer civitast). Wir beachten 
1040 die urkundliche Bezeichnung castellum, quod dicitur Bichnis), und 
müſſen von neuem®) die Forderung erheben, daß dieſe Begriffe einer ver⸗ 
gleichenden Studie unterzogen werden. Für Püchau überraſcht nun ſchließlich 
der deutſche Terminus „burchstal, quod dieitur Bichin,“ aus einer in dieſem 
Zuſammenhange durchaus frühen Zeit zwiſchen 1063 und 10667). Bekanntlich 


1) Thietmari Chron, I, 15. R. Kötzſchke a. a. O. denkt an das 1. Jahrzehnt. 

2) Waitz, G., a. a. O. S. 77 u. 99. 

3) Thietmari Chron, VIII, 52. 

4) Thietmari Chron, VIII, 64. 

5) Cod. dipl. Sax. reg. I, 1, Nr. 88. 

6) Radig, W.: Burgwälle im öſtlichen Daleminzien. In: Mitt. d. Candesver. Sächſ. 
Heimatſchutz. Bd. XVIII, 5/8 = Feſtſchr. f. Meißen 1929. S. 208—213. — Ferner: Radia, 
W.: Meißen (ſ. u.) passim. 

7) Cod. dipl. Sax. reg. II, 1, Nr. 46. — Ferner: Bönhoff: Die Burgwarde Wurzen 
und püchau und das „Wurzner Land“. In: Mitt. d. Wurz. Geld, u. Altert.⸗Ver. Bd. I. 2. 
1912. S. 1ff. 


— —— — . — . — 


6] König Heinrich I. und die oſtdeutſche Archäologie 65 


lebt dieſes Wort heute noch im Volksmund als Burgitall, Burgſtadel, Burg 
ſtädtl fort. 

Ila. Brandenburg an der Havel ijt in ununterbrochenem ſtädtiſchen 
Leben mehr überbaut, als es dem Archäologen und Topographen geeignet 
ſein kann; nur an der Form der ſog. Dominſel und an den Böſchungen zeigen 
ſich die Zpuren von der Brennaburg. Man kann vorausſchicken, daß dieſer 
Candſchaft nur ein Ringwall entſpricht, wie er denn auch aus den Reiten zu 
rekonſtruieren iſt: Im Nordweſten und Norden des Domgeländes beſpült das 
Havelwaſſer die wehrhafte Stätte. Während in den Wieſen gegenüber des 
Grillendammes nahe des Bootshauſes die Ufer die normale Hobe der Inſel 
haben, erheben ſich im Norden, wo Gärten den Jutritt ſperren, die Ufer— 
ränder zu einer regelrechten Böſchung, die ſich bis zur Brücke hinzieht. Im 
Zuge der hauptſtraße läuft in der Nordrichtung nun im Oſten die hohe Mauer, 
die den Domplatz von der Straße trennt. Schon die höhe dieſer Mauer zeigt, 
daß wir uns auf dem Verlaufe des öſtlichen Beringes befinden. Beſtätigt wird 
dieſe Annahme von der Catſache, daß das jenſeitige Domterrain höher liegt, 
die Mauer heute etwa die damalige Böſchung erſetzt. Aber auch im Süden 
bemerkt man den Anſtieg zum Wall oder eben die Spuren des breitgezogenen 
überbauten Beringes, indem das Gelände ſanft anſteigt bis zu den Kietzhäuſern, 
deren Zug ſich in flachem, aber ſichtbarem Bogen um die Domkurie legt. Es 
iſt hier nicht der Raum, in vollem Maße die bedeutende Verkehrslage von 
Brandenburg darzulegen !); es genügt zu jagen, daß hier rings vom Waſſer 
umgeben die einzige Brücke war, die in den Slawengau der heveller hinein- 
führte und daß die Brennaburg eine Sperrfeſte war wie keine andere?). Im 
Winter 928/29 bezwang heinrich die Hevellers), denen er in Kämpfen vorher 
ſchon begegnet war. Im Bunde mit einem eiſigen Winter, der ihm viele 
Brücken ſchlug, nahm er Burg (urbs) und Land (regio). — Die Dominſel 
hat zahlreiche mittelſlawiſche und ſpätſlawiſche Keramik aus frühdeutſcher 
Zeit geliefert. Die Domkurie ſelbſt hat außer mittel- und ſpätſlawiſchen 
Stücken einige recht frühe, d. h. ſchwach profilierte, mit dem Wellenornament 
ausgeſtattete Gefäßfragmente hinterlaſſen ). 

IIIa. Don einer großen Waffentat zum anderen großen Kampfe führte 
der Zug nach Daleminzien. Im Jahnatal iſt die Burg der Daleminzier zu finden, 
zwar nicht in Jahna, Ah. Oſchatz, ſelbſt, ſondern im etwas mehr ſüdlich gele— 
genen Zjchait, Ah. Döbeln, wie ich anderwärts erhärtet habe?). Der Burg: 
berg wird von der Jahna umfloſſen, die hier in einem breiten Sumpfſtreifen 
die Bachterraſſenzunge umzieht. Die hochſtrebende Zunge wird von einem 
Außenwall, der ſich im Norden in einem ÜGbſchnittsgraben fortſetzt, abgeriegelt 
und weiterhin von einem inneren Abjchnittswall umſchirmt. Der Weſtoſtweg 
zog von alters hier vorüber und „unterhalb der Burg“ liegt heute noch das 
Dorf Baderitz, das in ſeinem Namen ebenſo die Beziehung zu der Burg 
im Jahnatale bekundet wie auf der Inſel Rügen das unterhalb des Burg— 
walles von Arkona gelegene Dorf Puttgarten (= unter der Burg) zu der 


1) Curſchmann, Fr.: Die Diözeſe Brandenburg. Leipzig 1906. 5.7, 8. 

2) Iſchirch, O.: Geſchichte der Chur- und Hauptitadt Brandenburg a. d. Havel. 
Seſtſchrift 1928.29. S. 13 ff. 

3) Widukinds God, Geld IJ, 35. 

) Felsberg, O.: Die Wenden im Havelland. In: 59. —62. Jahresber. d. Dit. Der. 
3. N. 1929. — Bejonders frdl. Mitt. v. Geh.-Rat Dr. O. Selsberg mit Abb. 

5) Radig, W.: Der Burgberg Meißen und der Slawengau Daleminzien. Augs— 
burg 1929. S. 48 -50 mit Plan. 


Mannus, Zeitſchrift für Dorgeſchichte, VIII. Erg.⸗Bd. 5 


66 Werner Radig [7 


hervorragenden Burg der Inſel. Erſt nach zwanzig Tagen bezwang heinrich 
die orbe Gana!), deren Inſaſſen harter Kriegsbrauch beſchieden war. An 
Funden kennen wir Billendorfer Ware und mittelſlawiſche Scherben; Einzel⸗ 
heiten vgl. Führer zur Urgeſchichte Bd. 8, Der Burgberg Meißen?) und der 
Slawengau Daleminzien. 1929. 

IVa. Der Burgberg Meißen im herzen von Sachſen hat als tauſend⸗ 
jährige Stätte ſchon mehrfach Würdigung gefunden. Die Natur hat die Form 
dieſer Wehranlage durchaus beſtimmt. Zwei Nebenbäche der Elbe ließen 
ein dreiediges Plateau entſtehen, das nun eben von der Meiſa, der Triebijch 
und dem Elbſtrom ſelbſt umgrenzt iſt. Steile hänge und uneinnehmbare 
Felswände waren natürlicher Schutz, dem man nur mäßige Randbefeltigungen 
anzufügen brauchte. Nach der rand geſicherten Plateauform (wie Seußlitz, 
Hohe Eifer und Staupenberg bei Weſtewitz), und nach den Funden ließ ſich 
die Billendorfer Wehranlage (800 —500 v. Chr.) erweiſen. Die gleiche Erd⸗ 
bewegung im Domchor 1910 führte zu mittel- und ſpätſlawiſcher Topfware, 
deren Dorhandenſein mit der chroniſtiſchen Quelle des Thietmar?), der von 
dichtem Waldbeſtande beim Eintreffen heinrichs ſpricht, in Einklang gebracht 
werden muß. Den aufgeſtellten Thefent): 1. Slawiſche Warte vor heinrich, 
feine Dolksburg, und 2. Nur deutſche Burg mit flawiſchen hörigen, die die 
Tonware hinterließen, ſchließe ich neuerdings die Erwägung an, daß bei 
der allgemeinen Neigung zu einer ſpäten Anjegung der Scherbenfunde dieſer 
Zeit dann allerdings das Gründungsjahr 929 ein weſentlicher terminus post 
quem mit weitgehenden Solgerungen fein würde. Über die Einzelheiten 
und die landbefriedende Burgengründung unterrichtet wiederum der Führer 
zur Urgeſchichte, Bd. 8, 19295. 

Va. Da heinrich im Anſchluß an die Meißener Schöpfung im Böhmer⸗ 
land den Herzog Wenceslaus mit großer heeresmacht überwand, mag 
von Prag ſelbſt, das er zwar erreichte), von deſſen Belagerung oder Be- 
ſtürmung aber nicht ausdrücklich die Rede iſt, nur der berühmte Hradfdin 
genannt werden, dem die tſchechiſche Archäologie erneut mit Erfolg zu Leibe 
gegangen iſt. Über der Moldau thront heute noch die langgeſtreckte Burg mit 
ihren alten Reſten. „Der Unterbau der Wälle der Prager Burg war aus mëch: 
tigen, doppeltgeſchichteten Balken hergeſtellt, welche durch Querbalken mit⸗ 
einander verbunden waren; und erſt auf dieſen Unterbau wurde der eigent⸗ 
liche Wall aus Lehm geſchichtet. Die Randbalfen des Walles wurden durch 
mächtige Pfoſten verſtärkt, um das Rutjchen des Ausjchüttungsmaterials zu 
verhüten.“ — „Huf der Prager Burg iſt der Teil einer hölzernen Pfahlbrücke 
bloßgelegt worden; über die Pfähle waren Eichenbalken in drei Schichten gelegt. 
Der Rand der Brücke war auf der einen Seite mit einem niedrigen Geländer 
aus e ee Reilig verſehen““). 


d Widukinds Sächſ. Geſch. I, 35. 

2) Radig, W., a. a. O. — Ferner: Ceipoldt, Joh.: Die Eroberung des Daleminzier- 
landes und die Anfänge des Dorfes Jahna (Manufkript). 

3) Thietmari Chronicon I, 16. 

9 Radig, W., a. a. O. 5. 15—19. 

5) Radig W., a. a. O. S. 1—19. — Ferner Sr. Rauda: Der Burgberg zu 
Meißen. Sächſ. an EE Nr. 1 und h. Gröger: Caujend Jahre Meißen (Stadt: 
geſchichte) 1929. 

6) Widukinds Sächſ. Geld. I, 35. 

e 7) Schränil, J.: Die vorgeſchichte Böhmens und Mährens. Berlin u. Leipzig 1928. 
316, 318. 


8] König heinrich I. und die oſtdeutſche Archäologie 67 


Via. Cenzen (Elbe) in der Weſtprignitz beſitzt ſeinen Hügel über der 
Cöcknitz, der mit dem Stadtbild untrennbar verbunden ijt. Es gibt nur noch 
einen hügelzug in dieſer Elbniederung, den höhbeck am jenſeitigen Ufer, 
der hier beſonders zu beachten iſt. 

C. Schuchhardt)) hat wahrſcheinlich gemacht, daß der Burgwall auf 
dem höhbeckrand, der ſpäter höhbuoki genannt wird, bereits von Karl dem 
Großen benutzt und zu einem hotel! ausgebaut wurde. Die langgeſtreckte, 
rechteckige Anlage iſt von Koldewey?) genau aufgezeichnet worden. Es war 
ein Stützpunkt gegen das Wilzenland, wurde jedoch von den Wilzen 810 
erobert, 811 bereits von den Franken wiedergewonnen. Slawiſche Scherben 
werden von hier auf 810/11 datiert). Später iſt von dem höhbeck nicht mehr 
die Rede, obwohl er ſicherlich auch bei heinrichs Zug gegen die Redarier eine 
Rolle geſpielt hat. Für 789 berichten die karolingiſchen Annalen aber noch 
von einer zweiten Burg, dem höhbeck gegenüber; das kann nur der Hügel 
von Lenzen fein. Uusſchlaggebend war der Elbübergang an der Stelle der 
heutigen Fähre, der oben ſchon erwähnt wurde. Rein Wunder, daß auf 
dem Hügel eine mittelalterliche Burg entſtand, die wegen der Überbauungen 
heute keine Wälle mehr zeigt, aber die Böſchungen ringsum zu erkennen gibt. 
Im Oſten ſchützte außerdem der der Cöcknitz von Norden zuſtrebende Bach, 
im Süden die Löcknitz ſelbſt. Heinrichs Befehlshaber aber nahmen dieſe 
urbs Lunkini‘), die „Bogenburg”5) heißt. Sunde von ihr kennt man bisher, 
— auch ſeit der Herrichtung der neuen Gartenanlagen — nicht'). 

Vila. Cebuſa, Kr. Schweinitz, am Oſtende der heutigen Provinz 
Sachſen, — altes wettiniſches Gebiet, liegt in einer heideumſchloſſenen Srei- 
landinſel und wird als Namensträger der von Thietmar ſelbſt geſehenen 
urbs Liubusua’) nach feinem Burgcharakter, der ſich irgendwo in der Slur 
oder in der Nachbarſchaft bekunden muß, eingehend unterſucht. Die Haupt- 
anſatzpunkte wären zunächſt Schloß und Kirche. Letztere entfällt jedoch, da 
weder an ihr noch an ihrem Kirchhof wehrhafte Teile oder Wallreſte bemerkt 
werden können. Schon auffälliger iſt das Herrenhaus des Rittergutes, das 
ſehr wohl auf einer Waſſerburg ſtehen könnte, die eingeſenkten Flächen um 
das haus ſind nicht ohne weiteres als künſtliche Parkerdbewegungen abzutun. 

Wichtiger iſt die Geſamtanlage des Dorfes ſelbſt, das 3. B. von Südoſten 
her einen ſehr geſchloſſenen Eindruck macht, der durch deutlich ſpürbare, lang— 
geſtreckte Geländewellen hinter den Gehöftgärten verſtärkt wird. Weſentlich 
ijt hierzu die Feſtſtellungs) der beiden Flurnamen: „Die große Landwehr“ 
nördlich und „Die kleine Landwehr” ſüdlich des Dorfes Lebuja. Da die beiden 
die Dorflage einſchließen — das Dorf liegt gleichſam in einer waſſerſpendenden 
Mulde —, jo wäre das heutige Dorf die Fortſetzung der großen urbs. die als 
eine zwölftorige bewundernd geſchildert wird. Sogar das Meßtiſchblatt 
1: 25 000 vermerkt beide Landwehrzüge; der Name der Landwehr erinnert 


1) Schuchhardt, C.: Vorgeſchichte von Deutſchland. 1928. S. 307310. 
2) Koldeweys Plan zuletzt bei Schuchardt a. a. O. S. 309. 
3) Schuchhardt, C.: Slaw. Scherben a. d. J. 810 n. Chr. In: Bezzenberger-⸗Feſt⸗ 
ſchrift 1921. S. 140143. 

4) 99 Sächſ. Geld I, 36. 

) hop W.: Lenzen 92019029. Lenzen (Elbe) 1929. S. 166 nach Gutachten v. 
D. Selir Schmid. — Ferner froͤl. Mitt. v. Bibliotheksdir. Prof. Dr. W. hoppe-Berlin. 
6) hoppe, W., a. a. O., S. 148. 
7) Thietmari Chronicon J, 9. 


) Sröl. Mitt. v. Hauptlehrer Stig Stoy, Schmerkendorf, Bez. Halle. 
5* 


68 Werner Radig [9 


freilich an ganz andere, jüngere Grenzziehungen. — Dem Topographen fällt 
aber weiterhin eine andere Stelle ins Auge: Der jog. Weinberg ijt die 
einzige größere Erhebung auf der Slur Lebufa, der durch feine bisweilen recht 
ſteilen Böſchungen den Eingriff von Menſchenhand ſehr nahelegt. Freilich 
haben große Sandgruben der Kuppe viel geſchadet; indeſſen ſcheint man bei 
den Erdaufſchlüſſen nicht auf Funde geſtoßen zu ſein, oder man hat ſolche 
nicht als äußerſt wertvoll erkannt. Die beherrſchende Lage bewog mich zu 
der Theſe einer Lofalijation der urbs an dieſer Stelle, ohne eine beachtliche 
Notiz von O. E. Schmidt!) eingeſehen zu haben. Ihre nachträgliche Kenntnis 
beſtätigt die unvoreingenommene Geländebeobachtung aufs beſte. Schmidt 
kam von Dahme und vermutete ebenfalls auf dem Weinberg die urbs, die 
lid) ſeines Erachtens aber bis zum Dorfe in einer ſtadtähnlichen Flächenaus⸗ 
dehnung erſtreckt haben ſollte. Wenn man auch dem letzten Gedanken nicht 
folgen kann, jo iſt eher die weitere, von Thietmar’) genannte kleinere 
Seite hier zu ſuchen. Dieſe ſoll durch ein Tal?) von der urbs getrennt liegen. 
Da aber für dieſe Angabe der Weinberg reichlich nahe liegt, wäre an das noch 
weiter nördlich — auch dies iſt überliefert“) — gelegene Schöna, Kr. Schweinitz, 
mit feinem „Burgelt“ zu denken, in deſſen Sumpfniederung der „Ringel: 
berg“ oder „Ringelpuhl” in Geſtalt einer kleinen Waſſerburg liegt. Don allen 
genannten Stellen ſind mir bisher keine Funde bekannt. 

Schließlich iſt zu bedenken, daß man in der Umgebung von Lebuſa manchen 
ſtattlichen Burgwall findet, der unter Umſtänden auch eine oder gar die große 
Rolle geſpielt haben könnte: der mächtige doppelſchichtige Ringwall bei 
Schlieben und der kegelförmige „Schloßberg“ von Schlieben ſelbſt. Der 
benachbarte Wall von Colodyau?) ijt heute abgetragen, — heinrich II. aber 
ließ Lebuja wieder aufbauen‘). 

VIIIa. Riade muß in der Nähe von Merſeburg geſucht werden. Küſter⸗ 
mann?) erhärtet mit großem flurgeſchichtlichen Geſchick das Gebiet der wüſten 
Mark Oglitzſch als die Stelle des Ortes Riade, weil ſich dort Flurnamen wie 

„der Rieth“, der „Rieth-Anger” und der Riedbrunnen finden. Er ſtützt dieſe 
Erſcheinung mit der benachbarten „Leichenmark“ (Lichicho?) und dem „Hof 
zu der Debjten” (1348) in der Slur Goddula. Der Burgwallbefund beſtätigt 
eine Schanze von faſt vierediger Sorm®) nahe der Saale, die aber jünger fein 
könnte. Man hat nur hochmittelalterliche Sunde geborgen. Jedenfalls 
verlegt Küſtermann den Lagerplatz zwiſchen den Keuſchberg von Dürren— 
berg und die Rippachmündung. Der Keujchberg”) met in der Tat Erdwerke 
und keramiſche Sunde auf; erſtere ſind leider durch das Gradierwerk und 
ihre Salinen mit den Schmuckanlagen beträchtlich verändert, aber die alte 


1) Schmidt, O. E.: Kurſächſ. Streifzüge. Bd. 2. 2. Aufl. 1922. S. 317ff. 

Si 5 Chronicon V, 9. 

3) Behla, R.: Die vorgeſch. Rundwälle im öſtl. Deutſchland. Berlin 1888. S. 159. 

4) Thietmari Chronicon VI, 39. 

Sr. Stou teilt weiterhin in dantenswerter Weiſe mit, daß in der Gegend auch Colochau, 
Kr. Schweinitz, ferner ſogar Hohenleipiſch, Kr. Liebenwerda, als Platz der urbs Liubussa 
angeſehen werden. — Ferner teilt Dr. W. Hülle: halle freundlichſt folgendes mit: Der 
Grunichsberg (Hohe 147 m) öſtl. v. Gut Strieſa bei Lebuſa trägt eine kleine Befeſtigung, indem 
die Spitze des Berges durch einen kleinen Graben abgetrennt iſt. Scherben ſind dort nicht 
gefunden. Holzmann: halle hat dort, nachdem die Lokalgeſchichte ſchon darauf hingewieſen 
hatte, Cebuia zu finden geſucht. Indeſſen macht die Anlage einen recht jungen Eindruck. 

5) Rüſtermann, O., a. a. O. S. 528ff. 

6) Albrecht, Chr.: Beitrag 3. flaw. Keramik. Leipzig 1925. S. 33. 

*) Albredt, a. a. O. S. 54. 


10] König heinrich I. und die oſtdeutſche Archäologie 69 


Planſkizzen) von Krufe zeigt noch das Weſentliche: Abriegelung des Terraſſen⸗ 
ſporns über der Saale. Dieſer Keuſchberg kommt ebenſo als Stützpunkt bei 
der Schlacht von Riade in Frage wie ein anderer Burgwall. Dieſer am Einfluß 
der Rippach in die Saale gelegene Burgwall iſt nun freilich der große und 
landbeherrſchende Burgwall dieſes Gaugebietes. Der mächtige Zug des 
halbkreisförmigen Ubſchnittwalles ijt heute noch eindrucksvoll und ſchutz— 
gewährend. Im Weiten von dieſer Slur Cöſau heißt ein ſüdlicher Nebenbach 
der Rippach wieder Riedebach. hier ſuche ich das Lager von Riade. Zur 
Slur Cöſau gehört heute auch die Wüſte Mark Treben, auf der eben der 
Wall liegt. Was iſt außer der Mächtigkeit das Beſondere dieſes Boden— 
denkmales? In ihm liegt heute noch die Kirche des einſtigen Dorfes Treben 
(Burgward Tribuni), und der heutige Friedhof im Wallbering ſetzt einen 
ſlawiſchen Friedhof fort. Dort wurde durch eine ſyſtematiſche Grabung!) 
ein Skelettgräberfeld mit langgeſtreckten Skeletten und Schläfenring- und Perlen: 
ſchmuck erſchloſſen, das ſich ſchon ankündigte: Mächtige längliche Selsblöde 
ruhen ebenerdig auf den Gräbern, die einzige Parallele übrigens zu Sobrigau, 
Ah. Dresden, deren Grabmäler mit dem Kreuz ausgeſtattet find. — In dieſem 
Bereich ſchlug heinrich die Ungarn?) und ſchirmte das bedrohte Merſeburg. 

IXa. Merſeburg an der Saale erſtreckt ſich auf einem langgezogenen 
Selsriiden in norödſüdlicher Richtung. Im Oſten ſäumt die Klie den Suk, 
im Weſten die Saale, der am Südende unterhalb des heutigen Schloſſes die 
Geiſel zufließt. Wir knüpfen an die ausgezeichneten topographiſchen Dar— 
legungen von Rademacher“) an, der das Beſtmögliche herausſtellt, ohne 
den archäologiſchen Befund vor 30 Jahren vorausſehen zu können. Der 
Sachbefund beſtätigt die Theſe, daß die bereits für 906 von Thiet mar genannte 
antiqua civitas®) in dem Gelände der fog. Altenburg zu ſuchen ijt. Alſo 
das Nordende von Altenburg zeigt das urtümliche Gepräge eines flawifden 
Burgwalles, deſſen Bering an der mächtigen, mehrere Meter hohen Kirchhofs: 
mauer zu ſehen iſt. Der Platz der Kirche iſt zugleich die höchſte Stelle, und 
der Friedhof nimmt den ganzen Wallkeſſel ein. Nördlich der Kirche iſt 
ein tiefer Einſchnitt zu ſehen, an den ſich weiter nördlich ein kegelförmiger 
Erdturm (heute mit einem Neubau) anſchließt. — Auf dem Gelände des Fried— 
hofes förderten die Materialgrabungen, die im Auftrage der Frau Baumann: 
Seyd (jetzt in Hamburg)*) ausgeführt wurden, zahlreiche ſlawiſche Keramik 
aus mittel- und ſpätſlawiſcher Zeit zutage. Jetzt gräbt der Architekt Koch— 
Halle auf dem Boden, der für fachwiſſenſchaftliche Grabungen gerettet werden 
ſollte. — Erſt ſpäter entſtand die Ummauerung des Felſenrückens, deren Un— 
fänge heinrich anordnete’), noch ſpäter das heutige Schloß und feine Dor: 
gänger am Südende der Stadt. 

Xa. 933 ſtand unter dem Zeichen der Ungarn, 934 aber unter dem 
der Dänen. Am Haddebyer Moor liegt auf der Slur Busdorf die Olden— 
burg in Geſtalt eines halbbogenförmigen Wallberinges mit einem Dorwall 


d Krufe: Deutſche Altertümer Bd. I, h. 3. 

2) Niklaſſon, N.: Ein flaw. Sriedhof des 12. Jhdts. b. Treben, Kr. Weißenfels. 
In: Mannus Bd. 11/12. S. 358— 346. Mit einem Plan. 

3) Widukinds Sächſ. Geſch. I, 58. 

) Rademacher: Die urbs Mersburg im X. Jhöt. Merſeburg 1898. 

5) Thietmari Chronicon I, 5. 

8) Funde im heimatmuſeum Merſeburg. Ferner Albrecht, Chr.: Die Slawen in Tht 
ringen. In: Jahresſchr. f. d. Vorgeſch. d. ſächſ. thuͤr. Lander Bd. XH, 2, 5.47.48, Caf. IN, XL. 


*) Thietmari Chronicon 1, 10. 


70 Werner Radig, König Heinrich I. und die oſtdeutſche Archäologie [11 


und einer „Hochburg“ im Norden davon. Der 28 Hektar große Innenraum 
umſchloß Hafenplatz und Handelsſtadt der Wikinger, die hier ihre gewaltigſte 
Seſte uns hinterlaſſen haben. Über alle Einzelheiten unterrichtete bisher nur 
C. Schuchhardt y), der auch den Plan des Dannewerfes*) benutzt. Neuer⸗ 
dings haben neue Grabungen vortreffliche Hausgrundriſſe in Geſtalt von 
rechteckigen Schwellenbauten und verſchiedenartige Beſtattungen ans Licht 
gebracht. Hier liegen noch ſtattliche Aufgaben, die jetzt vom Muſeum vater- 
ländiſcher Altertümer in Kiel voll in Angriff genommen werden)). Es war 
Heinrichs letzter großer Zug!) gegen den Dänenkönig Cnob (Chnuba), deſſen 
Stützpunkt haithabu ſein mußte. — 

Uberliden wir nunmehr die Schickſale der einzelnen Wehranlagen, jo 
ergibt ſich die Regel, daß die ſlawiſchen Plätze met in frühdeutſcher Zeit 
wieder benutzt wurden. Ausnahme wäre nur das neugeſchaffene Meißen. 
Meiſt war die Fortſetzung einer Anlage kontinuierlich; als Ausnahme haben 
wir nur das lange als Ruine daliegende Cebuſa kennengelernt. 

kin die Darſtellung dieſer Cokaltopographien ſchloß ſich im Vortrag (mit 
Cichtbildern) die Behandlung der Probleme der flawiſch⸗frühdeutſchen Miſch⸗ 
kultur an hand des Fundmaterials. Die Zuftromszeiten der Weſtſlawen 
wurden umriſſen; die Keramiks) und Gerätſchaften bieten Anhaltspunkte dafür. 
Dann wurde aber die Methodik der ſiedlungsgeſchichtlichen Bearbeitung der 
Gaue, die von der Slawenzeit in die frühdeutſche Zeit hinein ihre verfaſſungs⸗ 
geſchichtliche Feſtigung erfahren, an Karten der Urlandſchafte) vor 1000 Jahren 
aufgerollt. Abſchließend wurde der Burgwardsverfaſſung gedacht, die als 
eigentliche Schöpfung Heinrichs I. von der Burgwallforſchung geſichtet werden 
muß. — Den hier vorgelegten groben Umriſſen der neuen Srageſtellung ſoll eine 
ſelbſtändige Arbeit folgen: Oſtlandburgen und heinrich I. (In Vorbereitung). 


1) Schuch hardt, C.: Vorgeſchichte Deutſchlands. 1928. S. 351-335. 

2) Mestorf, J.: Danewerk und Haithabu (Hedeby). In: Mitt. Anthropol. Der. 
H. 14, 1901. S. 19 ff. (Mit plan nach P. G. Thorſen.) 

3) Knorr, $.: Schleswig und Haithabu. In: Schlesw.⸗Holſt. Kunſtkal. Riel 1924. 
— Schwantes, G.; Nachrichtenbl. f. dt. Vorzeit. Ig. 6, 11. S. 214—217. — Derſ.: 
Tagungsber. Riga 1930. — Derſ. in: Jahrbuch 1930 d. Schlesw⸗Holſt.⸗Univerſitätsgeſellſch. 
S. 95—99. Mit 5 Abb. Ebenda O. Scheel: Die Vorgeſch. d. neuen Ausgrabung. Mit 1 Plan. 

4) Widukinds God. Geſch. I, 40. 

5) Albrecht, Chr., a. a. O., Taf. I. — Radig, W., a. a. O., S. 36—38, 45. — Fren⸗ 
zel, W.: Ein Brandgrab der awariſch⸗flaw. Kultur. In: Bautzener Geſchichtsh. Bd. VII, A 
1929. S. 165— 171. — Sernet: Götze, f.: Archäol. ken, im Urwalde v. Bialowies. 
In: Beitr. 3. Natur- u. Kulturgeſch. Lithauens u. a. Geb. München 1929. 

6) Radig, W., a. a. O., Karte, Abb. 23. 


Siegel Heinrichs I. in 
den Jahren 926- -955 


(Meißniſch⸗ſächſiſche 
Forſchungen, Taf. Ib) 


Die vorgeſchichtliche Handſpindel und ihr Gebrauch 


(Kurzer Auszug) 
Don W. Ca Baume 
mit 4 Abbildungen 


Der Vortragende gab eine Beſchreibung der vorgeſchichtlichen Spindel und 
erläuterte den Vorgang des Spinnens mit der Hand ſowohl durch Lichtbilder 
wie durch praktiſche Vorführung einer von ihm refonjtruierten Spindel, auf die 
ein vorgeſchichtlicher Spinnwirtel aufgeſteckt war (Abb. 1—4). Er konnte dabei 


W. Ca Baume phot. 


Abb. 1. Gebrauch der Handſpindel. der Saden, der vom Rocken kommt, wird am 
oberen Ende der Spindel mit hilfe einer Schleife befeſtigt. Phaſe I: Die Schleife wird 
über der Spitze des rechten Daumens gebildet 


die von ihm im Jahre 1929 veröffentlichten Mitteilungen über den Gebrauch 
der Handſpindel (Blatter für deutſche Vorgeſchichte, h. 6, 1929) in einigen 
weſentlichen Punkten ergänzen. Der Zufall hatte es nämlich mit ſich gebracht, 
daß er kurz zuvor eine aus Georgien gebürtige Dame, die Gattin des Studien— 
rates Dr. Baumhauer in Mfterode (Oſtpreußen) kennengelernt hatte, die 
auf Grund eigener Anſchauung — ihre Mutter und Großmutter haben noch 
mit der hand geſponnen — anzugeben vermochte, wie die Spindel von den 
Georgierinnen gehandhabt wird. Danach geſchieht dies im weſentlichen ebenſo, 
wie es der Dortragende a. a. O. 1929 auf Grund eigener Derjuche mit einer 


172 W. La Baume 2 


rekonſtruierten Spindel beſchrieben hatte, jedoch mit einer kleinen Abweichung, 
welche die letzte Phaſe des Spinnvorgangs betrifft und offenbar ethniſch be— 
dingt iſt. Wenn der Faden ſo lang geworden iſt, daß die rotierende Spindel 
den Boden berührt, wird das Spinnen unterbrochen und der geſponnene 
Faden in folgender Weiſe „aufgeſpult“ (auf den Spindelſtab gewickelt): der 
geſponnene Faden wird einige Male um die linke hand (über Daumen und 
kleinen Singer) geſchlungen, damit man bequemer wickeln kann und den 
Urm nicht ſo weit auszuſtrecken braucht. Jetzt wird die Spindel mit der unteren 
Spitze auf den Oberſchenkel geſetzt, die Schleife wird gelöſt und nun die Spindel 


Ka 


N 
3 
* d 


W. La Baume phot. 
Abb. 2. Gebrauch der Handſpindel. Befeſtigung des Sadens an der Spindel mittels 
Schleife, Phaſe II: Die Schleife iſt von der Daumenſpitze auf die Spindelſpitze geſchoben 
worden; ſie zieht ſich, wenn die Spindel daran hängt, von ſelbſt ſo feſt, daß der Faden 
nicht abrutſcht, und kann jederzeit wieder gelöſt werden 


mit dem Daumen gedreht, ſo daß der Faden ſich von unten nach oben auf die 
Spindel wickelt (Abb. 4). 

Nach Mitteilung von Frau Baumbauer find die Spindeljtabe der 
Georgierinnen oben ganz glatt (haben aljo keine Kerbe); die Schlinge zur Be— 
feſtigung des Fadens an der Spindel wird doppelt gemacht, und zwar, indem 
man ſie über die rechte Daumenſpitze legt und von dieſer auf die Spindelſpitze 
hinübergleiten läßt (Abb. 1 u. 2). Die Schlinge ijt genau die gleiche, die der 
Vortragende bei ſeinen Derjuchen herausgefunden hatte (Blätter für deutſche 
Vorgeſch. 6, S. 4, Abb. 2). 

Frau Baumhauer wird weiter die Mitteilung verdankt, daß die Ar— 
menierinnen, Griechinnen und Tartarinnen in Georgien die Spindel in der 
Weiſe in Umdrehung ſetzen, daß fie jie auf dem Oberſchenkel rollen; ſie haben 
zu dieſem Zweck ein Lederſchürzchen um. Bei ihnen wird ferner der Wirtel 
jo aufgeſteckt, daß er oben auf der Spindel ſitzt, und beim Aufwickeln des 
Fadens auf die Spindel wird dieſe in der hand gehalten (nicht auf den Schenkel 
aufgeſetzt) und in der hand (nicht mit dem Daumen) gedreht. 


3] Die vorgeſchichtliche handſpindel und ihr Gebrauch 73 


W. Ca Baume phot. 


Abb. A Gebrauch der Handfpindel. Die Spindel hängt am Saden und wird „angedreht“, 

d. h. mit Hilfe der Singerjpigen, die am oberen Ende angreifen, in Rotation verſetzt. 

Man kann die Spindel auch andrehen, indem man den Singer am unteren Spindel: 

ende anſetzt. — Der Wirtel ſitzt in den e abgebildeten Sällen unten am Spindelitab; 
er kann auch oben angebracht worden 


i 


FF 


W. La Baume phot. 


Abb. 4. Gebrauch der Handjpindel. Aufipulen des Sadens auf die Spindel. Wenn der 
Saden beim Spinnen ſo lang geworden iſt, daß die daran hängende Spindel den Boden 
berührt, muß das Spinnen unterbrochen werden; man nimmt die Schleife ab und wickelt 
den bisher geſponnenen Faden auf die Spindel auf. Danach beginnt der Dorgang des 
Spinnens von neuem mit Befeſtigung des Sadens an der Spindel durch eine neue 
Schleife u. ſ. f. — Zum Auffpulen ſetzt die Georgierin die Spindel mit der unteren Spitze 
auf den Oberſchenkel auf (Abb. 4), während 3. B. die Griechinnen in Tiflis die Spindel 
beim Aufipulen frei in der rechten hand halten 


Die altgermaniſchen Swillingsgötter 
(Auszug) 
Don Dr. Wolfgang Schultz, Görlitz i. Schl. 


Die Verehrung eines göttlichen Brüderpaares oder insbeſondere gött⸗ 
licher Zwillingsbrüder, die ſich in ſehr verſchiedenen Ausprägungen ſchon in 
den älteſten Zeiten und in allen Erdteilen findet, hat ohne Zweifel tiefe Wurzeln 
in der Seele der Menſchheit: das Staunen über die Geburt von Zwillingen, 
beſonders über miteinander verwachſene, die Beobachtung des Spiegelbildes 
und Schattens, den Glauben an feine Wirklichkeit, das Grauen vor dem Doppel⸗ 
gänger, das Aufmerfen auf die Paarigkeit der Glieder am Leibe und an wich⸗ 
tigen Gegenſtänden, das Spielen mit der Identität der Gegenſätze, auch in 
den himmliſchen Erſcheinungen. hie und da geht das Brüderpaar in ein 
göttliches Geſchwiſterpaar über, das Urelternpaar himmel und Erde, das oft 
geradezu von einem göttlichen Urzwitter hergeleitet wird. Dieſer Glaube be⸗ 
ſtand bei zahlreichen indogermaniſchen Völkern, und es wird von ihm her 
verſtändlich, daß bei den Indogermanen die Zwillingsgötter mit dieſen beiden 
großen Urgottheiten, dem Gotte der Waſſerwelt (3. B. Poſeidon), des Himmels 
(3. B. „Okeanos“ bei den Kelten), des Gewitters (3. B. Tyndareos bei den 


Griechen, Tunaras-Donar-Thorr bei den Germanen) einerſeits und der Göttin: 


der Erde und Unterwelt andererſeits in uraltem Zuſammenhange ſtehen. Eine 
ſehr merkwürdige und noch wenig aufgeklärte, höchſt altertümliche Beziehung 
des Pferdes zur Unterwelt und den Waſſern (vgl. den Pferde-Poſeidaon) 
bringt es dann mit ſich, daß die Zwillinge bei Indern, Germanen, Griechen 
und Thrakern beſonders nachdrücklich als Pferde oder auf Pferden reitend 
(aber auch als Siſche, Dögel uſw.) aufgefaßt werden, zugleich jedoch als Retter 
und heilbringer, da fie als Nebenbuhler um das Weib ſterben, aber wieder, 
meiſt abwechſelnd, aufleben, und nicht ſo ſehr Schatten der Unterwelt (3. B. 
Schlaf und Tod) als vielmehr himmliſche Lichterſcheinungen find, Tag und 
Nacht, Winter und Sommer, zwei Sterne und dgl. Sie veranſtalten Wettrennen 
und helfen den Schiffern aus Todesnot. Sie find die Heilande der indoger— 
maniſchen Dorzeit, ihr älteſter, ſchon für die Inder von Boghazköi in Klein: 
aſien um die Mitte des 2. Jahrtauſends v. Chr. keilſchriftlich bezeugter Name 
Naſatja bedeutet die beiden Heilande’ und ijt unſerem ‚genejen‘ und go: 
tiſchem nasjands Retter, Heiland‘ ſtammverwandt. Im Rigweda heißen fie 
auch Aswina ‚die Zwei zu Pferde‘, die beiden ‘Ritter’ und find Gegenſtand 
zahlreicher Hymnen. Die Hymne des Alfaios (Hnf. d. 6. Jahrhunderts v. Chr.) 
an die Dioskuren atmet denſelben Get, eine ſtarke humniſche Dichtung muß 
ſeit alters die Zwillingsgötter gefeiert haben. Nun ſtehen die germaniſchen 
Zeugniſſe über den alten Kult der Zwillingsgötter, die nach Takitus auf dem 


2] Wolfgang Schultz 75 


Silingberge (Zobten) in Schlejien unter dem Namen Alkis verehrt wurden, 
der Zeit und dem ganzen Gepräge nach zwiſchen den altindiſchen Zwillings⸗ 
göttern von Boghazköi (und dem Rigweda) und den griechiſchen Zwillingen 
(Dioskuren, Aloaden, Molioniden, Aktorione uſw.), ihr Name iſt zu griechiſch 
alke Stärke, Schutz' zu ſtellen, und die breiteſte Entfaltung der archäologiſchen 
Zeugniſſe für jie in Südſchweden, Dänemark und Norddeutſchland fällt in die 
beiden letzten Perioden der Bronzezeit, liegt alſo den älteſten griechiſchen knapp 
voran und ftellt ſich uns dar auf dem Grunde damaliger Kultur, die durch 
ihre Cure, jene kunſtreichen, berühmten Blasinſtrumente, eine hohe Ausbil- 
dung der kultiſchen Muſik und zugehöriger humniſcher Dichtung vorauszu⸗ 
ſetzen nötigt. Germaniſche humnen auf die Zwillingsgötter wird man ſich 
im weſentlichen den wediſchen und dem Hymnos des Alkaios gleichartig 
vorſtellen müſſen. Sehr eigenartig iſt es, daß am Ende der germaniſchen 
Bronzezeit die Zwillingsgötter auf Schermeſſern dargeſtellt werden, und zwar 
im Boote, das eine Mal mit Axten in den händen, wie auch ſchon früher in 
den Felsritzungen der ſüdweſtſchwediſchen Candſchaft Bohuslän, und ein on: 
deres Mal mit Strahlenhäuptern (alſo als „Stern“ ⸗Gottheiten) oder als zwei 
nach entgegengeſetzten Seiten gebogene Stabe (in den Selsrigungen und im 
Kivit-Grabe ſchon früher als 2 Arte, 2 Pferde uſw.). Das kann vielleicht der 
Grieche Theokritos erläutern, wenn er die Dioskuren Retter der Menſchen, 
denen ſchon das Schermeſſer an der Gurgel ſitzt, nennt (vgl. unſer: Es ſteht 
auf des Meſſers Schneide). Der Prieſter der wandaliſchen Alfis in Weiber: 
tracht ijt ein adding, d. h. einer mit langem Haare (hadd), an den das Scher⸗ 
meſſer nicht heran darf, das auch bei den Chatten eine bedeutſame Rolle ſpielt, 
da fie es erſt nach Erlegung des erſten Seindes verwenden durften. In engſtem 
Zuſammenhange mit dem Rulte der Zwillingsgötter ſteht bei den germa⸗ 
niſchen Wandalen ebenſo wie in Sparta ein Doppelkönigtum, und die Stamm: 
lage der Winniler (Cangobarden) von deren Kampfe mit den Wandalen 
ſpiegelt in ihren Namen und Einzelheiten dieſe altgermaniſchen Anfchauungen 
wider. Die göttlichen Brüder' treten auch ſonſt unter ſehr verſchiedenen 
Namen in Götterſage und heldenſage auf. Eine der wichtigſten dieſer Hus— 
prägungen ijt Starkadr (‘jtarfer hödr'), offenbar ein altes, den griechiſchen 
Aftorione vergleichbares Doppelweſen, dem Thorr die überzähligen Arme ab— 
haut, und ſpäter hödr im Gegenſatze zu Balder. Aber auch andere Götter 
wurden alkishaft aufeinander bezogen, jo Ullr und Steyr, die nach der Edda 
beide, wohl abwechſelnd, Alfheim bewohnen, oder Ullr und Odinn, die ab— 
wechſelnd den Sleipnir reiten. Schon in den Felsritzungen läßt ſich ein ähn— 
licher Gegenſatz zwiſchen einer fünffingrigen und einer dreifingrigen Gottheit 
erkennen, die meiſt zu beiden Seiten eines zwiſchen ihnen aus der Erde auf— 
tauchenden (weiblichen) Oberkörpers oder Ropfes wie die Dioskuren zu 
Seiten der zwiſchen ihnen ſtehenden, aus demſelben Eie wie ſie entſproßten 
Helena dargeſtellt werden. So erweiſt fic) der Glaube an die heilbringenden 
Zwillinge wegen der zahlreichen und mannigfaltigen Zeugnijje als ſehr wichtig 
für die germaniſche Religionsgeſchichte und als verwurzelt in indogermaniſchen 
oder noch älteren Dorausſetzungen. Die Zwillinge des Tierfreijes gehören 
aber nicht oder nur ſehr bedingt zu dieſen Dorausſetzungen; denn fie find 
geradezu die Dioskuren, die in Hellas und im helleniſtiſchen Aqupten an Stelle 
des Drachenpaares der akkadiſch ſumeriſchen (babuloniſchen) Grenzſteine in 
den Tierkreis eindrangen. Wie weit aber hinter dieſen Drachen Dorjtellungen 
ſtehen, die ihrerſeits auf noch älteren Zwillingsgedanken beruhen und auf die 


76 Die altgermaniſchen Zwillingsgötter E 


Geſchichte der indogermaniſchen Zwillingsgottheiten von der Serne her Licht 
werfen können, iſt ſchwer zu entſcheiden. Paarige Tiere, Löwen, Schlangen, 
Skorpionmenſchen, Vögel, auch verknüpft mit den himmelstoren und himmels⸗ 
bergen find mehrfach auf Rollſiegeln im Zweiſtromlande und in altagyptijden 
Bildwerken nachzuweiſen, und einzelnes davon könnte auch auf die indoger- 
maniſchen Zwillingsgötter hinübergewirkt haben, 3. B. wenn die Dioskuren 
in Hellas durch die Türflügel oder Säulen verſinnlicht werden. Auch finden 
ſich im vorindogermaniſchen alten Orient ſchon mehrfach gegenſätzliche, paarig 
gedachte Götter. Un problematiſchen Beziehungen fehlt es alſo nicht, aber 
ſie reichen nicht aus, die indiſchen, germaniſchen, helleniſchen, thrakiſchen uſw. 
Zwillingsgötter aus ſolchen Unſätzen herzuleiten. Dazu ſind dieſe indoger⸗ 
maniſchen Zwillingsgötter, Pferdegötter, Sterngötter, Eidhelfer und heilande 
viel zu eigenartig. Die germaniſchen Alkis aber ſind eine beſonders alte und 
in ſich geſchloſſene Ausprägung dieſer Gottheiten, die uns durch neueſte, ins: 
beſondere auch vorgeſchichtliche Forſchung auf der Grundlage der zu ihr ge— 
hörigen bronzezeitlichen und ſpäter auch noch völkerwanderungszeitlichen 
Kultur der Germanen deutlich geworden iſt und die wir in ihrem mannigfachen 
Verlaufe durch mehr als zwei Jahrtauſende germaniſchen Kulturgeitaltens 
verfolgen können. 


II. Augerer Verlauf der Tagung 


Geſchildert von Guſtaf Koffinna 
mit 5 Tertabbildungen 


Warum wir nach Oſtpreußen fahren 


Wenn die Geſellſchaft für deutſche Vorgeſchichte ſich entſchloſſen hat, 
in dieſem Jahre ihre Tagung im äußerſten Oſten des Reiches, in Königsberg 
zu veranſtalten, ſo iſt das vornehmlich aus drei Erwägungen heraus geſchehen. 
Die erſte hängt auf das Engſte mit unſerem ureigenſten Arbeitsgebiet, der 
Vorgeſchichte, zufammen. Man kann Oſtpreußen als das „wahre Goldland“ 
des Dorgeſchichtlers bezeichnen. Kaum eine andere Provinz hat eine fo lücken⸗ 
loſe Beſiedlung durch alle Perioden der Vorgeſchichte hindurch aufzuweiſen, 
wie Oſtpreußen. Die Bodenſtändigkeit ſeiner Bewohner zeigt ſchon ſeit der 
Steinzeit, abgeſehen von der gotiſchen Bewegung, eine höchſt bemerkens— 
werte Stärke. Dieſer feſten, wurzelhaften Landesverbundenheit ijt es zu 
verdanken, daß die von der jüngeren Bronzezeit ab bisher nachgewieſenen 
Grabſtätten zahlenmäßig den aus andern Ländern bekannten Umfang weit 
überſchreiten. In der Unzahl der Gräber aus der nachchriſtlichen Zeit, be— 
ſonders aus der römiſchen Kaiſerzeit, kann ſich vollends kein anderes Gebiet 
unſeres Reiches mit Oſtpreußen meſſen. Das Samland iſt „ein großes Gräber— 
feld“ (Bezzenberger). Eine Belegſchaft von 500—600 Gräbern auf dem 
einzelnen Friedhof iſt keine Seltenheit. Stellt man daneben die über das Land 
verſtreuten 500 nachchriſtlichen Burgwälle, dann kann man ermeſſen, welche 
Bedeutung die Provinz Oſtpreußen in Vorgeſchichtszeiten gehabt haben muß. — 
Dieſem einzigartigen Reichtum an Grabſtätten entſpricht anderſeits der 
ebenſo reiche, dieſen entnommene Beigabenſtoff. Es gibt heute wohl keine 
vorgeſchichtliche Provinzialſammlung in Europa, die ſich ihrem Beſtande 
nach mit dem Pruſſia-Muſeum in Königsberg vergleichen ließe. Leitende 
Männer, wie Tiſchler, Bujad, Bezzenberger, Deier und Gaerte 
haben das Muſeum zu dieſer Dormadıtitellung emporgehoben, die ihm um 
ſo weniger wird entriſſen werden können, als hunderte von bereits bekannten 
urgeſchichtlichen Friedhöfen und Siedlungen noch im Boden ruhen und der 
Ausgrabung harren. Was das vorgeſchichtliche Material Oſtpreußens be— 
ſonders auszeichnet, iſt die dadurch aufzeigbare Mannigfaltigkeit der kulturellen 
Erſcheinungen mit mindeſtens vier großen Kulturkreiſen in der nachchriſtlichen 
Eiſenzeit. Hier eröffnen ſich ebenſo vielſeitige beſiedlungs- und ſtammes— 
geſchichtliche Probleme. 

Die zweite Erwägung, die uns für den Beſuch Oſtpreußens beſtimmte, 
entſprang gleichſam einem Gefühl der Derpflichtung gegenüber dem alten 


78 Derlauf der Tagung [2 


Deutſch⸗Ordenslande, das in diefem Sommer auf 700 Jahre deutſcher Ge- 
ſchichte zurückblicken kann. Soviel Bereicherung unſeres Wiſſens wir als 
Vorgeſchichtler dem Kulturboden Oſtpreußens verdanken, ſoviel verdanken 
wir als Deutſche dem Lande des Deutſchen Ritterordens, der heimat eines 
Koppernikus, eines Kant und eines Schopenhauer, der Wiege des preußiſchen 
Staates, dem Ausgangspuntte der Erhebung Preußens gegen die napoleoniſche 
Zwingherrſchaft, dem Schauplatze der erſten großen Siege des letzten Krieges. 
Wir glauben dieſem Dank nicht beſſer Ausdruck geben zu können, als durch 
einen Beſuch, in dem wir alle unſere Wünſche für eine beſſere Zukunft 
Oſtpreußens und damit unſerer deutſchen Heimat gleichſam verſinnbild⸗ 
lichen! 

Das wird uns eine um ſo liebere Pflicht ſein, als wir — und dies war 
die dritte Erwägung — außer Gräbern und Burgwällen auch ein landſchaftlich 
überaus geſegnetes und reizvolles Stück deutſchen Landes werden kennen lernen 
können. Die romantiſchen Partien der ſamländiſchen Steilküſte werden wir 
beſuchen und das Reid) der höchſten Wanderdünen Europas, die Ruriſche 
Nehrung. Wir werden auf dem heldenfriedhof von Ungerburg jener deutſchen 
Brüder gedenken, die 1914 für uns in den Tod gingen, und in Stunden reiz⸗ 
vollſter Dampferfahrt die Schönheiten Maſurens vorübergleiten ſehen, jenes 
Landes, das uns durch die Abjtimmung vor gerade 10 Jahren erhalten blieb. 
Friedlichen Fußes werden wir über die kriegeriſchen Gefilde Tannenbergs 
ſchreiten, die das Blut zweier Schlachten tranken: jener verhängnisvollen 
Schlacht des Jahres 1410, in der die Blüte des Deutſchen Ritterordens dahin⸗ 
ſank, und jener anderen des Jahres 1914, die Oſtpreußen von den Ruſſen 
befreite. Unter Führung heimatkundiger Männer werden wir Elbing beſuchen 
und die Marienburg, das Wahrzeichen des Deutſchtums im Oſten. Und 
wir werden in Danzig verweilen, der fo einzigartig ſchönen alten Hanje- 
ſtadt, die für uns wie für alle Deutſchen eine deutſche Stadt iſt und immer 
bleiben wird! 


Entgegen früherem Brauch werden wir uns in dieſem Jahre nicht auf 
den Beſuch einer einzigen Stadt beſchränken. Vielmehr wollen wir diesmal 
noch mehr als ſonſt zeigen, wie wanderluſtig wir fein können. Daß wir Der: 
gangenheit und Dorvergangenheit in Einklang zu bringen vermögen mit Gegen: 
wart und Zukunft! Der Tagungsplan beweiſt, daß wir darüber hinaus 
unſere Unternehmungsluſt auch mit dem Geldbeutel in Einklang zu bringen 
verſtehen. Wir hoffen daher, daß unſer Ruf zu reger Teilnahme recht leb- 
haften Widerhall findet, in den Reihen der Geſellſchaft wie bei denen, die ihr 
nahe ſtehen! G. K. 


Donnerstag, den 24. Juli 
Paſſagierliſte 


der 27 „Seefahrer“ unſerer Geſellſchaft, welche ſich bereits in Berlin getroffen 
hatten und dort um 2 Uhr mittags vom Stettiner Bahnhof nach Swinemünde— 
hafen gefahren waren. Nur wenige ſind erſt in Swinemünde zu uns geſtoßen. 
Unter den Teilnehmern befanden ſich auch einige Gäſte: 


Stau v. Auerswald (heiligengrabe), Braune nebſt Frau (Leipzig), 
Becker (Staßfurt), Siddide (Bad Sreienwalde), Götze (Römhild i. Thür.), 


3] Verlauf der Tagung 79 


Grützmacher (Kammin), Langer nebſt Frau (Bad Freienwalde), Matz 
(Zehdenick i. Mark), Moſchkau (Leipzig), Nitſchke (Breslau), Pätzold 
(Kottbus), Quiliſch (Bad Freienwalde), Radig nebſt Frau (Dresden), 
Richter (Neuſtadt a. d. Orla), Schrage (Raun i. Thür.), Schoener (Bremen), 
Schübeler (Weſermünde), Snethlage (Berlin), v. Strantz (Berlin), 
Tierſch (Bad Röſen), Ventzke (Berlin), Derje (Berlin), Wilke (Zeitz), 
Windt (Röthen), Wrede (Berlin). 


Bei ſtrömendem Regen ging es in Swinemünde an Bord der „Preußen“, 
die pünktlich nachmittags 612 Uhr die Anker lichtete. Kaum war das Schiff 
aus der Mole des hafens von Swinemünde, begann es zu tanzen. „Wann 
dat noch een Stunn fo biebliwt, dann wirds’ all ſlimm!“ erklärte ein ſee⸗ 
kundiger Mitreiſender. Kein Wunder, daß bald allen Meeresgöttern reichlich 
geopfert wurde. Zum Glück legte ſich bald des Sturmes Gewalt. Die Küſte 
war bereits außer Sicht. Spaßmacher verkürzten die Zeit. Noch goß es in 
Strömen; da fragte ein ulkiger Berliner den vorbeikommenden Steward: 
„Hat det Schiff hier oben och keen Pappdach?“. Als wir in die Nähe der Land- 
zunge Hela kamen, ging es ſeewärts, denn wir durften „polniſches Hoheits— 
gebiet“ nicht durchfahren. So manche deutſche Sauft ballte ſich vor Ingrimm. 
In Zoppot legte der Dampfer an. Paſſagiere ſtiegen von Bord, neue kamen; 
darunter auch etliche Polen. 

Die letzte Strecke: Joppot—pillau konnte nicht ſchnell genug zurück⸗ 
gelegt werden. Voller Erwartung auf das Wiederſehen unſeres allverehrten 
Altmeilters wurde dann endlich der hafen von Pillau geſichtet. Friſch, wie 
ein Jugendlicher, empfing uns unſer Erſter Vorſitzer, der von dem nahen 
Seebad Neuhäuſer dazu herübergekommen war. Nach freudiger allſeitiger 
Begrüßung, beſtiegen wir den Zug, der uns ans nächſte Ziel, Königsberg, 
brachte. 

Stanz Langer 


Sreitag, den 25. Juli 


Mit dem Pillauer Mittagszuge trafen die Teilnehmer kurz nach 12 Uhr 
auf dem neuen Königsberger hauptbahnhof ein, wo ſie von den Königsberger 
Herren empfangen und herzlich begrüßt wurden (Abb. 1). Nachdem man 
ſich in die Quartiere begeben und von der langen Reije erholt hatte, fand 
man ſich am Nachmittag im Bibliothekszimmer des Pruſſia-Muſeums ein, 
wo von 5.30 bis 6.30 die VDorſtandsſitzung ſtattfand, in der über die Dor: 
ſchläge Beſchluß gefaßt wurde, die der Geſellſchaft hinſichtlich der Anderung 
des Wortlautes der Satzung und der Neuwahl des Dorſtandes gemacht werden 
ſollten. 


In der unmittelbar anſchließenden hauptverſammlung die im Großen 
Saale des Pruſſiamuſeums ſtattfand, gab der 1. Dorſitzer Geheimrat 
Koſſinna den 


Geſchäftsbericht: 
Was unſere Geſellſchaft ſeit der letzten Tagung in Magdeburg im Sep— 


tember 1928 erlebt hat, iſt den Mitgliedern aus den Nachrichten des Mannus 
bekannt. Unſere Mitgliederzahl hat infolge des ungeheuern Niedergangs 


80 Derlauf der Tagung [4 


der Wirtſchaft im Deutſchen Reiche weitere Einbuße erfahren. Wir find von 
630 Mitgliedern im Jahre 1925 über 591 im Jahre 1927 und 565 im Jahre 
1928 jetzt auf 502 geſunken. Die jährliche Abnahme um etwa 25—30 Mit⸗ 
glieder ſetzt ſich alſo weiter fort. Beſonders ſtark war die Abnahme innerhalb 
Großberlins: 14%. Vorläufig können wir aber mit der Geſamtzahl doch noch 
ganz zufrieden ſein. Iſt ſie doch noch erheblich höher als in der letzten Zeit 
vor dem Kriege. 

Ein Stein ſchweren Anjtoßes ijt, wie ich ſchon vor 2 Jahren berichten 
mußte, wieder das Nachrichtenblatt für Deutſche Vorzeit geweſen. Ohne 
mich zu befragen hat der Herausgeber des Blattes zu Anfang des Jahres 1929 
mit dem Kultusminijterium Abmadungen getroffen, die unſerer Geſellſchaft 
an dem von mir gegründeten und unſerer Geſellſchaft zu eigen gegebenen 
Blatte jedes Eigentum nehmen ſollten. Ich hätte kraft des Eigentums: 
rechtes unſerer Geſellſchaft am Nachrichtenblatt jenes Dorgehen 
zum Scheitern bringen können, wie es das wegen ſchwerer Schädi- 
gung unſerer Geſellſchaft verdient hätte. Die Überlegung indes, daß dann 
die Unterſtützung des Kultusminijteriums fortgefallen wäre und das Nach— 
richtenblatt in der alten Form hätte eingehen müſſen, veranlaßten mich, 
alle Eigentumsrechte unſerer Geſellſchaft am Nachrichtenblatte dem Verlage 
Kabitzſch abzutreten. Ich konnte dies auf mich nehmen, da der Verlag auf 
meine Deranlafjung als Entgelt dafür unſerer Geſellſchaft eine ausreichende 
Entſchädigung zukommen ließ. Unſere Geſellſchaft hat alſo jede Verbindung 
mit dem Nachrichtenblatt ſeit 1929 gelöſt. 


Der Schatzmeiſter Snethlage (Berlin) erſtattete dann den Raſſen⸗ 
bericht. 


Reichsmark 


1928 1929 

g Einnahmen: 
Beſtand vom Dor jah“ 3504,90 2942,98 
Mitglieder beiträge ſꝙ w. 8692,70 8203,36 | 
Verſchiedenesssse 455,50 12633, 10 74,70 11221, 04 

Ausgaben: 

Sür den Mannus. . 2 2 2 22m nenn 8164,30 7580,50 | 
Derichiedenes. . . 2: 2 2 non nn. 1584,72 748,42 
Zuſchuß zur Berliner ZIweiggeſellſchaft ... 141,10 9690, 12 77,50 8406,42 
Beſtand am Ende des Jahres | 2942,98 | 2814,62 


Auf Antrag der Kaffenprüfer wurde dem Schaßmeilter Entlaſtung 
erteilt. 


Geheimrat Koffinna gab die Dorjchläge zur Anderung der Satzung 
bekannt. Sie fanden in nachſtehender Faſſung die einſtimmige Annahme der 
Verſammlung. 

85 
Die Geſellſchaft hat einen Dorftand und einen Beirat. 
Dorjtand im Sinne des Geſetzes ($ 26 BOB) ijt der Erſte Dorfiger. 


5] Derlauf der Tagung 81 


§ 6 


Der Vorſtand der Geſellſchaft beſteht aus dem Erſten Dorfißer, zwei 
ſtellvertretenden Vorſitzern, drei Schriftführern und einem Schatzmeiſter. 

Der Vorſtand wird von der Tagung auf feds Jahre gewählt, hat inner⸗ 
halb der Amtszeit das Recht der Zuwahl und beſtimmt ſeine Geſchäftsordnung. 


87 
Der Beirat beſteht aus acht Mitgliedern, die auf Vorſchlag des Vorſtandes 
von der Tagung auf ſechs Jahre gewählt werden. Innerhalb der Amtszeit 
eintretende Tücken des Beirats ergänzt der Vorſtand. 


"TR? 


Abb. 1. Ankunft der Teilnehmer auf dem Königsberger Hauptbahnhof 
1 Sonder, 2 Schübeler, 3 Grützmacher, 4 Moſchkau, 5 Windt, 6 Richter, 7 Zippel, 8 Schrage, 
9 Wilde, 10 Gaerte, 11 Grunwald, 12 Engel, 13 Schoener, 14 v. Strang, 15 Siddide, 
16 Götze, 17 ?, 18 Ventzke, 19 ?, 20 Koffinna, 21 v. Auerswald, 22 Stau Braune, 
23 Braune, 24 Pätzold, 25 Matz, 26 Wrede, 27 Verſe, 28 Snethlage, 29 Becker 


88 
Die Mitgliedſchaft wird durch Anmeldung beim Vorſtand nachgeſucht, 
der über die Annahme entſcheidet. die Ernennung von Ehren-Mitgliedern 
erfolgt auf Antrag des Erſten Vorſitzers durch Vorſtand und Beirat. 


89 
Die Mitgliedſchaft erliſcht: 
a) durch Tod; 
b) durch Austritt, der ſchriftlich vor Schluß des Geſchäftsjahres 
erklärt werden muß; 
c) durch Unterlaſſung der Beitragszahlung; 
d) durch Beſchluß einer Zweidrittelmehrheit des Dorjtandes. 


Mannus, Feitſchrift für Vorgeſchichte, VIII. Erg.⸗Bd. 6 


82 Dezlauf der Tagung [6 


9 10 


Jedes Mitglied zahlt einen Jahresbeitrag von 16 (ſechzehn) Reichsmark. 
Der Beitrag kann vom Erſten Vorſitzer nach Anhörung des Vorſtandes für 
die folgenden Jahre erhöht werden, wenn es die allgemeinen Derhältniffe 
erfordern. ö , 
Jedes Mitglied erhält dafür den Mannus. 


§ 13 


Vereinigungen von Mitgliedern der „Geſellſchaft für Deutſche Dor: 
geſchichte“ zu Zweiggeſellſchaften haben das Recht, fic) eine eigene Satzung 
ten aa die jedoch nicht in Widerſpruch zu der Satzung der Hauptgeſellſchaft 
tehen darf. 

Mitglieder der Hauptgeſellſchaft, die ihren Wohnſitz in Groß Berlin, 
Spandau, Potsdam und in den Kreiſen Tebtow, Niederbarnim, Ofthavelland 
haben, ſind verpflichtet, der Berliner Zweiggeſellſchaft beizutreten. Die 
Berliner Zweiggeſellſchaft erhält zur Beſtreitung von Dortragsfoften auf 
Anforderung eine Jahresbeihilfe bis zu 200 (zweihundert) Reichsmark. 


Es erfolgten die Wahlen zum Vorſtand und Beirat. 


Auf Vorſchlag von Geheimrat Roſſinna wurden einſtimmig in den 
Dorjtand der Geſellſchaft gewählt: 


Kofjinna (Berlin), Erſter Vorſitzer 

Götze (Berlin), ſtellvertretender Dorliger 

Deb v. Wichdorff (Berlin), ſtellvertretender Vorſitzer 
Langer (Sreienwalde bei Berlin), 1. Schriftführer 
Cechler (Berlin), 2. Schriftführer 

Schultz (Görlitz), 5. Schriftführer 

Snethlage (Berlin), Schatzmeiſter. 


Zum Dorjtand im Sinne des Geſetzes (§ 26 BOB) wurde ein⸗ 
ſtimmig Geheimrat Roſſinna wiedergewählt. 


In den Beirat wurden gewählt: 


Undree (Münſter) 
Gaerte (Rönigsberg) 
Gandert (Görlitz) 
Günther (Roblenz) 
Kühn (Röln) 
Matthes (Beuthen) 
Stampfuß (Hamborn) 
Wilcke Geitz). 


Der Schatzmeiſter Snethlage (Berlin) führte aus, daß einige Bücher, 
welche ſ. 3. von den Derfaſſern und ſonſt der Geſellſchaft geſtiftet und vorher 
im Vorgeſchichtlichen Seminar der Univerſität Berlin aufgeſtellt waren, bei 
ihm in Gewahrſam lagern. Er bat, ihn von dieſer Sorge zu befreien, da ſeine 
Räume beſchränkt ſind und es auch untunlich ſei, erſt bei ſeinem Tode oder 
Ausſcheiden aus der Geſellſchaft Beſtimmung zu treffen, wohin die Bücher 


7] Derlauf der Tagung 83 


überzuführen wären. Der Vertreter des Verlags Rabitzſch, Prokuriſt Melzer, 
welcher als Mitglied an der Tagung teilnahm, erklärte, daß der Verlag wohl 
bereit fein würde, die Bücher für die Geſellſchaft in Verwahrung zu nehmen 
und den mitgliedern die Gelegenheit zur Benutzung ermöglichen würde. 
Die Derfammlung war einverſtanden, daß der Vorſtand darüber mit dem 
verlage Vereinbarungen trifft. 


Unmittelbar vom Pruſſia⸗Muſeum aus begab man ſich zum Abend⸗ 
eſſen und gemütlichen Beiſammenſein in ein Geſellſchaftszimmer der 


Schultz Dep v. Wichdorff Snethlage 
Gaerte Koſſinna Götze 


Langer 
Abb. 2. Der neu gewählte Dorjtand nebſt dem Ortsgeſchäftsführer 


Stadthalle. Daß bei dieſer Gelegenheit zahlreiche alte Bekanntſchaften 
erneuert und neue geknüpft wurden, bedarf kaum der Erwähnung. 

Im Derlaufe des Abends ſprach Freiherr von Gaul, der Bevollmächtigte 
für Oſtpreußen zum Reichsrat und zugleich Mitglied des preußiſchen Staats⸗ 
rats, über die gegenwärtige Wirtſchaftslage Oſtpreußens. Aus- 
gehend von dem Worte Adalbert Bezzenbergers, daß „die Geſchichte 
Oſtpreußens zwar eine Geſchichte des Ruhmes, aber auch des Elends“ fei, 
zeigte er in ſchlichter und ſachlicher, aber um fo ergreifenderer Weiſe, wie 
dieſes Wort gerade in der Gegenwart durch die Abtrennung Oſtpreußens 
vom Reiche und die dadurch bedingte wirtſchaftliche Zwangslage eine grau: 
ſame Beſtätigung erfahre. 


6 * 


84 Derlauf der Tagung [8 


Oſtpreußen ijt das einzige Gebiet Deutſchlands geweſen, das durch 
den Weltkrieg in Mitleidenſchaft gezogen wurde und das auch durch die ruhm⸗ 
vollen Schlachten, die auf ſeinem Boden geſchlagen wurden, ſchwere Aer: 
ſtörungen erlitt. der Wiederaufbau Oſtpreußens und die glänzend 
verlaufene Abftimmung Maſurens und des ſüdlichen Ermlands 
für Deutſchland ließen noch einmal hellen Sonnenſchein des Ruhmes über 
das alte Preußenland ſtrahlen. Dann aber begann infolge der ungünſtigen, 
durch den Schmachfrieden von Derfailles bedingten Verhältniſſe die Kette 
der Prüfungen. Der Handel Oſtpreußens ging durch feine Abtrennung 
vom ruſſiſchen Hinterlande verloren. Die Landwirtſchaft verlor durch die 
Schaffung des Korridors und die Abtrennung vom Reide ihre Hauptabſatz⸗ 
gebiete. Gerade durch dieſe ungünſtige Lage der Landwirtichaft, die billig 
verkaufen, aber teuer einkaufen muß, um ſich am Leben zu erhalten, muß 
ein ausgeprägtes Agrarland, wie es Oſtpreußen darſtellt, in ſchwerſte Be⸗ 
drängnis geraten, die ſich durch die ſchlechte Welt-Konjunttur der Candwirt- 
ſchaft immer mehr zur Kataltrophe verſchärft. Davon werden die großen 
Güter ebenſo ſchwer betroffen, wie die kleinen landwirtſchaftlichen Betriebe, 
und auch die heutigen Siedlungsbeſtrebungen vermögen keine dauernde 
Beſſerung der Wirtſchaftslage Oſtpreußens zu erzielen. In einem wirtſchaft⸗ 
lich todkranken Lande iſt auch die Kultur ſchwer gefährdet, weil für ſie nicht 
die notwendigen Mittel bereit geſtellt werden können. 

Zwar hat die zähe, unbeugſame Natur des Oſtpreußen bisher tapfer 
alle Nöte und Entbehrungen ertragen. Aber eine Bevölkerung, die trotz 
aller Opfer, trotz aller Arbeit ſich langſam dem Ruin entgegenſteuern ſieht, 
muß allmählich der Verzweiflung zutreiben, an der eigenen Widerſtandskraft 
gegen das Unglück zweifeln. So ſteht Oſtpreußen heute nicht nur im Zeichen 
einer wirtſchaftlichen, ſondern auch einer ſeeliſchen Kriſe, die eine groß— 
zügige Hilfsaktion von Seiten des Reiches zur Pflicht macht, will Deutſchland 
nicht eine ſeiner treueſten und wertvollſten Provinzen, die durch ihren Be⸗ 
völkerungszuſchuß für die friſche Blutzufuhr feiner Großſtädte ſorgt, zer— 
mürben und ſeine Widerſtandsfähigkeit gegen die polniſchen Unnektions⸗ 
beſtrebungen erlahmen laſſen. Oſtpreußen iſt ein urdeutſches und kerndeutſches 
Land, das immer ſeine enge Verbundenheit mit dem Reide bewieſen hat. 
Darum aber iſt es Pflicht des Reiches, ſich dieſes abgetrennten Gliedes mit 
beſonderer Sürjorge anzunehmen. 

Mit lebhaftem Beifall ſtimmte die Derſammlung den warmherzigen 
und überzeugenden Ausführungen des Redners bei, dem Geheimrat Roſſinna 
mit folgenden Worten dankte: 

Dor anderthalb Jahren hatte ich die Ehre und Freude, in der Berliner 
Oſtpreußen-Geſellſchaft herrn Freiherrn v. Gaul bei ſeinem Vortrag über 
die wirtſchaftliche Not Oſtpreußens als hervorragenden Kenner dieſer Provinz 
und als glänzenden Redner kennen zu lernen. 

Als wir Rönigsberg zum Ort unſerer diesjährigen Tagung gewählt 
hatten, lag es daher für mich nahe genug, den herrn Freiherrn für einen 
Vortrag bei unſerer Tagung zu gewinnen, was er ſogleich freundlichſt zuſagte, 
obwohl er gerade in dieſen Wochen durch ſeine andauernde Betätigung bei 
den langen Ubſtimmungsfeiern außerordentlich ſtark in Anſpruch genommen 
ſein würde. 

Wir ſind wohl alle erſchüttert durch das Bild, das der Herr Freiherr 
von der Not Oſtpreußens entworfen hat. Dies Bild iſt noch weit trüber, als 


9] Derlauf der Tagung 85 


dasjenige, das er ſ. 3. in Berlin vorführte. Hinzugekommen iſt nämlich der 
Peſſimismus in feiner Auffafjung von der ſinkenden Widerſtandskraft und 
ſogar von dem ſinkenden Widerſtandswillen der oſtpreußiſchen Bevölkerung. 
Ganz ſo ſchwarz möchte ich aber doch nicht ſehen. 

Ich habe in dieſen Tagen Gelegenheit gehabt, mit einem oſtpreußiſchen 
Landrat zu verkehren und dabei manches gehört, was weniger ſchlimm klingt. 
Freilich die finanzielle Not der oſtpreußiſchen Landwirtichaft iſt zweifellos 
groß. Aber es gibt bekanntlich niemand, der zäher iſt im Nichtherausrücken 
von Bargeld, als der Landwirt, beſonders der Großgrundbeſitzer. Er zahlt 
die Steuern oft erſt, wenn es zur Zwangsverſteigerung kommen foll. 

Ich habe mir nun in den letzten 14 Tagen, wo ich mich im ſamländiſchen 
Seebade Neuhäuſer aufhielt, die oſtpreußiſche Bevölkerung ſelbſt genau on: 
geſehen und war freudig überraſcht über ihre Kernhaftigkeit: alles kräftige 
und geſunde Geſtalten, groß und ſtark und ſehr überwiegend von rein nordiſcher 
Raffe. Eine ſolche Bevölkerung wird fic) nicht fo leicht unterkriegen laſſen. 
Ich wenigſtens habe zur Lebensfraft meiner Landsleute trotz allem Schweren, 
das auf ihr jetzt laſtet, noch immer das größte Zutrauen. 

Bedauerlicherweiſe leidet Oſtpreußen noch weit mehr als die anderen 
oſtdeutſchen Provinzen in weiteſtgehendem Maße unter dem Geſchick, einen 
erſtaunlich großen Teil feiner glücklicherweiſe raſch ſich vermehrenden Be: 
völkerung nach dem Weiten des Reiches abgeben zu müſſen. Die Abſtimmung 
von 1920, der ſtarke Zuſammenſchluß der ausgewanderten Oſtpreußen im 
Reichsverband, die unabläſſigen Beſuchsreiſen dieſer Oſtpreußen nach dem 
heimatlande bezeugen dennoch das unzerſtörbar kräftige Heimatgefühl unferer 
Landsleute. Mögen ſie dies ſtändig bewahren. 

Für die vielen Einſichten, die der Vortrag des herrn Freiherrn v. 
Gayl uns vermittelt hat, find wir ihm zu großem Danke verpflichtet. Ich 
denke, im Sinne des herrn Freiherrn zu ſprechen, wenn ich Sie bitte mit mir 
einzuſtimmen in den Ruf: Das kerndeutſche Land Oſtpreußen hoch, hoch, hoch! 


Sonnabend, den 26. Juli 


Der zweite Königberger Tag war ausſchließlich wiſſenſchaftlichen 
Vorträgen und Führungen durch die Sammlungen des Pruſſia-Muſeums 
gewidmet. Die Tagung begann 9.30 Uhr im Körtejaal der Stadthalle wie 
üblich mit dem Sejtvortrag des 1. Dorligers. Geheimrat Roſſinna ſprach 
über „Die Anfänge der Eiſenerzeugung und der Eiſenbearbei— 
tung“. 


Im Anſchluß an feinen Vortrag eröffnete Geheimrat Koffinna die 
11. Tagung für Vorgeſchichte mit folgenden Ausführungen: 

Ich eröffne nunmehr die 11. Tagung für Vorgeſchichte. 

Unſere 10 bisherigen Tagungen haben ſich zumeiſt in Mitteldeutſchland 
abgeſpielt, beſonders in der Provinz Sachſen, in Anhalt und Thüringen, wo 
der Hauptitamm unſerer Mitglieder zu Haufe ijt, einigemal auch am Rhein 
und in Weſtfalen, aber zu Berlin nur in den erſten Nachkriegsjahren zwangs— 
weiſe, wegen der durch die damalige Geldentwertung hervorgerufenen Keiſe— 
not. Denn wir Berliner find ja ſtets heilfroh, wenn wir aus dieſem Stein— 
meer, dieſem wild durcheinander flutenden raſſengemiſchten Menſchengewühl 
und dieſem jetzt ſo undeutſch gewordenen geiſtigen Waſſerkopf, der ſich Berlin 


86 Derlauf der Tagung [10 


nennt, herauskönnen in Gegenden, wo deutſches Volkstum und deutſche 
Candſchaftsnatur in unverfälſchter Treue und Echtheit uns entgegen tritt. 

So war denn aus den Reihen unſerer Mitglieder in den letzten Jahren 
ſchon öfter der Wunſch an mich herangetreten, wir möchten einmal im rechts⸗ 
elbiſchen Deutſchland, in der echten deutſchen Oſtmark unſere Jelte aufſchlagen. 
Wiederholt hatten wir ſchon von der Stadt Breslau Einladungen zu einer 
dort zu veranſtaltenden Tagung erhalten; für 1950 war dieſe Einladung 
beſonders warm und dringlich erneut worden. 

Aber das herz zog uns doch zuerſt zu dem alleröſtlichſten Teile unſerer 
Oſtmark, dem wir infolge feiner Vereinſamung, ſeiner wirtſchaftlichen Not 
und feiner politiſchen Gefährdung mit ganz beſonderer Liebe zugetan find. 
Dazu kam noch die hohe Denkwürdigkeit gerade Dieſes Jahres für Oſtpreußen, 
wo ſich die glänzende Abſtimmung für die Deutſchheit dieſes Landes „Dies 
Land bleibt deutſch“ zum 10. Male jährt und durch die großen Tannen⸗ 
bergfeiern dem ganzen deutſchen Volke eindringlichſt vor Augen und zu (Ge: 
müte geführt wird. So haben wir uns denn trotz mancher Bedenken Dank 
der liebenswürdigen und herzlichen Einladung der Stadt Königsberg 
diesmal für Oſtpreußen entſchieden. Wir fangen das mittelalterliche Kolo- 
niſtenlied: nach Ooſtland wollen wir riden, nach Ooſtland wollen wir ge, 
da iſt eine gute Ste. 

Freilich mußten wir von vornherein damit rechnen, daß der ſonſt bei 
unſeren Tagungen gewohnte kräftige Zuſtrom unſerer Mitglieder aus dem 
ganzen Reiche diesmal ſtark hintangehalten werden würde. Einmal durch 
die jetzt bis zur Unträglichkeit geſteigerte allgemeine deutſche wirtſchaftliche 
Not und dann durch den Umſtand, daß bei aller erfreulichſt ſteigenden Beliebt⸗ 
heit Oſtpreußens als Reileziel dies Land infolge feiner Übgeſchiedenheit 
und weiten Entlegenheit für die Mehrzahl unſerer Mitglieder, die mit Glücks⸗ 
gütern weniger geſegnet ſind, kaum erreichbar iſt. Dieſer Schade wird aber 
auf der anderen Seite ausgeglichen durch die uns ehrende zahlreiche Teilnahme 
der Gäſte aus Königsberg und aus ganz Oſtpreußen, die eine Gewähr zu 
geben ſcheint für ein gutes Gelingen der Tagung. 

Unſer Programm iſt diesmal nicht, wie bisher ſtets, mit wiſſenſchaftlichen 
Vorträgen überladen — wir hatten ſonſt 20 und noch mehr Vorträge zu be- 
wältigen — ſondern will uns hauptſächlich in die Natur Oſtpreußens hinein- 
führen, in die Candſchaften, die teils durch ihre geologiſche Entſtehung und 
ihre bloße Eigenſchaft als Boden des vorgeſchichtlichen Menſchen, teils durch 
die dort über und unter der Erde noch erhaltenen baulichen Anlagen der 
Vorzeit wie 3. T. auch des Mittelalters den Vorgeſchichtler feſſeln, endlich 
auch in ſolche Gebiete, die hauptſächlich als Landſchaften durch ihre teils 
ſchöne, teils großartige Natur jedermann erquiden, entzücken oder auch zu 
ſtaunender Begeiſterung erheben und darum jedem Deutſchen bekannt ſein 
oder bekannt werden müſſen. Möge denn dieſe Tagung ſich ebenbürtig 
anreihen unſeren letzten großen Tagungen zu Deſſau 1924, zu Braunſchweig 
1926, zu Magdeburg 1928. 

Mögen auch unſere Ausflüge einen günſtigen Verlauf nehmen und der 
urgermaniſche himmels- und Sonnengott unſer Tun gnädig und ſegnend 
beleuchten. 


Sodann erteilte Geheimrat Kofjinna den Vertretern der Behörden 
und Vereinen das Wort zu Begrüßungsanſprachen. 


11] Derlauf der Tagung 87 


Der Oberpräſident Dr. e. h. Siehr hatte es fic) nicht nehmen laſſen 
ſelbſt zu erſcheinen und die Tagung aufs herzlichſte zu begrüßen. In längeren 
Ausführungen rühmte er die Derdienite und die hohen wiſſenſchaftlichen 
Ceiſtungen unſerer Geſellſchaft. 


Sodann brachte Landesrat Beſſel als Vertreter des am Erſcheinen 
leider verhinderten Landeshauptmanns der Tagung ſeine Glückwünſche mit 
folgenden Worten dar: 

Der herr Landeshauptmann der Provinz Oſtpreußen, der zu ſeinem 
großen Bedauern leider verhindert iſt, hier perſönlich zu erſcheinen, hat mich 
gebeten, Ihnen einen herzlichen Willkommengruß zu entbieten und Ihnen 
dafür zu danken, daß Sie die weite und beſchwerliche Reiſe zu uns nach Oſt⸗ 
preußen nicht geſcheut haben. Ihr Vorſitzender, herr Geheimrat Dr. Koffinna, 
den wir mit Stolz und Freude als einen Sohn unſerer oſtpreußiſchen Heimat 
begrüßen dürfen, hat bereits in der Einladung zu dieſer Tagung mit freund⸗ 
lichen Worten zum Ausdrud gebracht, welche Gründe Sie beſtimmt haben, 
Ihre Tagung diesmal in Oſtpreußen zu veranſtalten, und dabei hervorgehoben, 
daß Oſtpreußen gerade dem Renner der deutſchen Vorgeſchichte unendlich 
viel Bedeutſames zu bieten vermag, ja „das wahre Goldland“ des Vorgeſchicht⸗ 
lers ſei. Wir ſind ſtolz auf dieſes Urteil und empfinden in dieſer Stunde eine 
ſtille Genugtuung darüber, daß es der Provinz trotz der Ungunſt der Zeit 
gelungen iſt, den koſtbaren Schätzen an glücklichen Funden aus dem Reichtum 
unſerer uralten Gräberfelder nun endlich in dem altehrwürdigen Ordens⸗ 
ſchloſſe die Stätte und die Aufftellung zu bereiten, die ihm ſeit langem gebührt. 
Wir wünſchen Ihnen und dürfen zuverſichtlich hoffen, daß Sie als Cohn für 
die weite und beſchwerliche Reiſe hier im alten Prußenlande viel reiche und 
ſchöne Anregungen auf Ihrem ureigenſten Urbeitsgebiet finden möchten. 


Zum Schluß ſprach der Dorliger der Ultertumsgeſellſchaft Pruſſia und 
Provinzialkonſervator der Provinz Oſtpreußen Profeſſor Dr. e. h. Richard 
Dethlefſen: 

Mit ganz beſonderer Freude, ja mit Genugtuung begrüßt die Altertums- 
geſellſchaft Pruſſia Sie und Ihre Tagung heute hier im alten Königsberg. 
So lange ich die Ehre habe, dem Dorjtande der Pruſſia anzugehören, und das 
iſt doch ſchon eine recht ſtattliche Reihe von Jahren her, ſo lange haben wir 
auch den Wunſch gehabt, einmal eine Mehrzahl von Fachgelehrten bei uns 
begrüßen zu können, um ihnen unſere Sammlungen vorzuführen und ange— 
ſichts der einzelnen Objekte gemeinſam Meinungen und Erfahrungen aus— 
zutauſchen, Pläne zu beſprechen, Gedanken zu klären, Erkenntniſſe zu ver 
tiefen und an dem weiteren Ausbau unſerer Wiſſenſchaft gemeinſam zu 
arbeiten. 

Einmal ſchien es ſchon, als ſollte unſer Aller Wunſch in Erfüllung gehen. 
Auf der jo ausgezeichneten Tagung in Stockholm im Jahre 1912 wurde der 
Zuſammenſchluß der Altertumsgeſellſchaften der Uferſtaaten des baltiſchen 
Meeres beſchloſſen und vereinbart, daß in zweijähriger Wiederkehr regelmäßige 
Tagungen abgehalten werden ſollten. Und als nächſter Tagungsort wurde 
gleich Königsberg beſtimmt und das Jahr 1914. Wir waren hier mit unſeren 
Vorbereitungen gerade fertig, da kam der Krieg und vereitelte alle Pläne 
und zerriß auch dieſes kaum geknüpfte Band, wie er ſo viele, viele andere 
auch zerriſſen hat. 


88 Derlauf der Tagung [12 


Um fo größer ijt unſere Befriedigung, daß wir nun, nachdem wieder 
weitere 16 Jahre ins Cand gegangen ſind, Sie, die Geſellſchaft für deutſche 
Vorgeſchichte bei uns begrüßen dürfen. In rein äußerlicher Beziehung ijt 
inzwiſchen allerdings mit uns, der klltertumsgeſellſchaft Pruſſia, eine Änderung 
geſchehen. Die übermäßigen wirtſchaftlichen Erſchwerniſſe, die mit dem Kriege 
einſetzten und auch heute noch nichts weniger als abgeklungen ſind, machten 
es uns, der Privatgeſellſchaft, zur völligen Unmöglichkeit, das große Muſeum 
aus eigenen Kräften weiter zu unterhalten. Wir haben das Runſtgewerbliche 
und die Kantſachen an die Städtiſchen Sammlungen, die Muſikinſtrumente 
an das Muſikwiſſenſchaftliche Zeminar der Univerſität abgegeben. Das Weſent⸗ 
liche, den Hauptbeftand unſerer Schätze, die prähiſtoriſche Sammlung, dann 
auch das Zeughaus und die in- und ausländiſchen volkskundlichen Sammlungen 
wie das Freiluftmuſeum, ſind von der Provinz übernommen worden. Das 
Freiluftmuſeum hat ſeinen eigenen nebenamtlichen Leiter. Die übrigen 
haben einen hauptamtlichen Direktor und beide einen eigenen Haushalt 
bekommen. Dieſe Leiter find aber Mitglieder unſeres Vorſtandes, und der 
Name Pruſſiamuſeum wird den Sammlungen auf alle Dauer verbleiben. 

Wir ſelber ſind auch nach dieſer Neuordnung ſelbſtverſtändlich genau 
die Alten geblieben. Wir haben unſere Arbeit mit dem Augenblid des Über⸗ 
ganges der Sammlungen in andere hände keineswegs eingeſtellt. Die Neu⸗ 
ordnung iſt lediglich eine wirtſchaftliche Maßnahme. Unſere Stellung zu 
unſeren Sammlungen und insbeſondere unſere Arbeiten an der Vorgeſchichte 
ſind nach wie vor durchaus die gleichen geblieben. 

Sie werden das aus der Feſtſchrift erſehen, die wir Ihnen anläßlich der 
Tagung haben überreichen laſſen und aus den Grabungen bei Mednicken, 
bei Georgenswalde und bei Rauſchen, die wir Ihnen am Sonntag vorzuführen 
gedenken. 

Möge Ihnen dieſe Tagung eine Fülle der Anregungen bringen und für 
unſere Ultertumswiſſenſchaft reiche Früchte bringen, möge ſie Ihnen neben 
einem wiſſenſchaftlichen Gewinn auch ein Bild von unſerem Lande vermitteln 
und davon, wie notwendig ſeine Erhaltung für die ganze deutſche Nation iſt. 
Möge die Reife Ihnen aber auch eine Fülle von ſchönen Bildern geben und 
auch fo viel einfaches Reijebehagen, daß Sie ein ehrliches Gefallen finden 
an dem Land und daß der Wunſch und die Überzeugung bei Ihnen feſte 
Wurzel faſſen, daß Sie recht bald wieder nach Oſtpreußen kommen müſſen. 


Geheimrat Roſſinna dankte den freundlichen Begrüßungen mit folgen- 
den Worten: 


Ich habe in erſter Linie dem herrn Oberpräſidenten für die freundlichen 
Worte, die er namens der Staatsregierung unſerer Wiſſenſchaft im allgemeinen 
und unſerer Geſellſchaft im beſonderen gewidmet hat, ergebenſten Dank zu 
ſagen. Wir ſind ja bei allen unſeren Tagungen von der Regierung begrüßt 
worden, ſei es der preußiſchen, der anhaltiſchen oder braunſchweigiſchen. 
Gegenüber der preußiſchen Regierung war ich beim Ausdrud meines Dankes 
aber ſtets in einiger Verlegenheit, weil, wenn man von Berlin und aller— 
neueſtens Marburg abſieht, wenig ſich anführen ließ, was Preußen für unſere 
Wiſſenſchaft getan hat und tut. Anders hier in Rönigsberg. Da haben wir 
von herzen zu danken, daß die Regierung über die Altertumsgeſellſchaft 
Pruſſia und ihr Muſeum in ihren ſo wechſelvollen Geſchicken ſtets eine ſchützende 
Hand gehalten hat. Dor allem aber dadurch, daß jie dem Muſeum, wie ſchon 


13] Derlauf der Tagung 89 


früher einmal, jo von neuem nach dem Kriege im Schloß ausreichende Räum⸗ 
lichkeiten zu freier Benutzung zur Verfügung geſtellt hat. Hoffentlich wird 
die Regierung auch in Zukunft und für alle Zeit ein warmes Herz für unſere 
Wiſſenſchaft behalten. 

Den größten Dank in dieſer Beziehung ſchulden wir aber der Provinzial⸗ 
verwaltung. Sie hat ja ſchon lange vor dem Kriege der Pruſſiageſellſchaft, 
als dieſe noch alleinige Beſitzerin des Muſeums war, namhafte Unterſtützungen 
zukommen laſſen, damit ſie ihren Aufgaben in genügender Weiſe nachgehen 
konnte, und ſie betreut jetzt das Muſeum, das ſie von der Pruſſiageſellſchaft 
übernommen hat, in nicht genug anzuerkennender Weiſe. Ich irre wohl 
nicht, wenn ich bet dieſem hocherfreulichen Umſchwung und Aufichwung ein 
großes Verdienſt dem herrn Regierungsrat Bezzenberger zuſchreibe, der 
als Sohn meines verſtorbenen Freundes Adalbert Bezzenberger gewiſſer⸗ 
maßen das Vermächtnis dieſes hochverdienten Meiſters oſtpreußiſcher Dor: 
geſchichtsforſchung übernommen und weitergeführt hat. Wir danken der 
Prov.⸗Derwaltung von herzen für das, was ſie trotz der oſtpreußiſchen Not 
für die Inſtandhaltung und ſtändige Erweiterung des Pruſſiamuſeums getan 
hat. Wenn wir bei der Gelegenheit noch einen Wunſch äußern dürfen, ſo 
wäre es der, daß die wiſſenſchaftlichen Beamten des Pruſſiamuſeums ver⸗ 
mehrt würden, damit die beiden vorhandenen Beamten, der Direktor und 
ſein Aſſiſtent, nicht teils in Derwaltungsgeſchäften, teils in Ausgrabungs- 
arbeiten und Reiſen völlig auf- und untergehen, ſondern auch zu literariſchen 
Deröffentlichungen, zur wiſſenſchaftlichen Auswertung der alten und neuen 
Schätze des Muſeums Jeit übrig behalten, was bisher leider in nur zu be⸗ 
ſchränktem Maße der Fall war. 

Endlich haben wir auch der Stadt Rönigsberg lebhafteſten Dank 
auszuſprechen, als auch fie ihre warme Teilnahme für die Vorgeſchichtsforſchung 
betätigt durch eine namhafte jährliche Geldüberweiſung an das Muſeum 
und dadurch, daß ſie den Stadtſchulen den Beſuch des Pruſſia-Muſeums 
zur Pflicht macht. Auf der Jugend beruht ja die Zukunft unſeres Volkes, 
aber auch gerade unſerer Wiſſenſchaft, deren bisher noch viel zu wenig be: 
kannte hohe Bedeutung für unſer ganzes Volk immer weiteren Kreiſen ver: 
mittelt werden muß. Unſere Geſellſchaft im beſonderen iſt dann der Stadt 
Königsberg noch beſonderen Dank ſchuldig dafür, daß wir durch die freund— 
liche Einladung der Stadt in die angenehme Cage verſetzt worden ſind, die 
11. Tagung unſerer Geſellſchaft in dieſer berühmten preußiſchen Reſidenz⸗ 
und Krönungsitadt abhalten zu können. Doch hiervon werden wir ja am 
heutigen Seſtabend noch weiter zu reden Gelegenheit haben. 

Am Schluß danke ich für die freundliche Begrüßung durch die Pruſſia— 
geſellſchaft. Wenn ich hier von mir perſönlich ſprechen darf, ſo kann ich 
zunächſt verraten, daß in den Akten der Pruſſia kürzlich feſtgeſtellt worden iſt, 
daß ein gewiſſer Koſſinna in Tilfit, vielleicht einer meiner Ahnen, bereits 
vor 100 Jahren ſich als Prähiſtoriker betätigt hat. Don mir ſelbſt kann ich 
ſagen, daß erſt die ſtreng wiſſenſchaftliche Arbeitsweiſe des Rönigsbergers 
Otto Tijchler, des hervorragendſten deutſchen Prähiſtorikers des 19. Ihts., der 
der Pruſſia ja ſehr nahe ftand, mich etwa um 1890, als ich noch in Bonn lebte, 
bewogen hat, von der rein philologiſch-hiſtoriſchen Erforſchung des Altertums 
zur archäologiſchen überzugehen. In ein engſtes Freundſchaftsverhältnis 
trat ich dann zu Adalbert Bezzenberger, mit dem ich 1897 vierzehn Tage 
lang in Riga beim 10. ruſſ. Archäologenkongreß intimſt verkehrt habe. Es 


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90 Derlauf der Tagung 14] 


war für mich ſelbſtverſtändlich, daß ich bei Begründung unſerer Geſellſchaft 
im Jahre 1909 Adalbert Bezzenberger bat, den ſtellvertretenden Vorſitz 
in unſerem Dorjtande zu übernehmen. Huch [pater waren meine Beziehungen 
zur Pruſſia ſtets beſonders enge, zur Zeit, da Felix Deier ihr Vorſitzer war 
und auch nach deſſen Tode, als Dr. Gaerte Muſeumsdirektor wurde. Die 
Vorbereitungen zu unſerer jetzigen Tagung haben naturgemäß neue enge 
Fäden zwiſchen der Pruſſiageſellſchaft und der Geſellſchaft für deutſche Dor: 
geſchichte geknüpft. Möge das freundſchaftliche Verhältnis der beiden Geſell⸗ 
ſchaften weiterhin beſtehen. 


Darauf wurden folgende wiſſenſchaftlichen Vorträge gehalten: 


Muſeumsdirektor Dr. Wilhelm Gaerte (Königsberg): „Die Kultur: 
entwicklung Oſtpreußens in vorgeſchichtlicher Zeit”. 

Landesgeologe Bergrat Profeſſor Dr. hans heß von Wichdorff 
(Berlin): „Neue Unſchauungen über die Diluvialgeologie Oſtpreußens“. 

Muſeumsdirektor Univerſitäts⸗Profeſſor Dr. Wolfgang Ca Baume 
(Danzig): „Die vorgeſchichtliche Spindel und ihr Gebrauch“. 


Nach Schluß der Vorträge fand ſich vor dem Eingang zur Stadthalle 
eine größere Anzahl von Teilnehmern zuſammen behufs einer photographiſchen 
Geſamtaufnahme (Hbb. 3). 

Nach kurzer Mittagspauſe beſichtigten die Teilnehmer im Schlojje die 
reichen vorgeſchichtlichen Sammlungen des Pruſſia-Muſeums unter 
der Führung von Muſeumsdirektor Dr. Gaerte und Muſeumsaſſiſtent Dr. 
Engel. Trotz der Kürze der zu Gebote ſtehenden Zeit, die eine eingehende 
Würdigung des faſt unermeßlichen Stoffes unmöglich machte, wurde den 
Beſuchern auch noch ein kurzer Blick in die erſt im Entſtehen begriffene Oſt⸗ 
preußiſche Ruhmeshalle im Moskowiterſaal des Schloſſes und in die ſtändige 
Ausitellung des Pruſſia-Muſeums „Bevölkerung in Altpreußen“ gewährt. 
Namentlich die letztere iſt von um ſo größerer nationaler Bedeutung, als ſie 
an Hand eines überaus lehrreichen Kartenmateriuls die berechtigten Unſprüche 
F auf die ihm gewaltſam entriſſenen Oſtgebiete überzeugend 
nachweiſt. 


Im Anſchluß an die Muſeumsbeſichtigung wurden im Körtejaal der 
Stadthalle folgende wiſſenſchaftlichen Vorträge gehalten: 

Privatdozent Dr. hermann Ziegenſpeck (Königsberg): „Die poſt⸗ 
glazialen Klimaſchwankungen Oſtpreußens“. 

Muſeumsaſſiſtent Dr. Carl Engel (Königsberg): „Die oſtpreußiſchen 
Hügelgräber“. 

Profeſſor Dr. Bruno Ehrlich (Elbing): „Tolkemita, die erſte nachweis⸗ 
lich frühgermaniſche Burg Oſtdeutſchlands“. 


Gegen 8 Uhr begaben fic) die Teilnehmer ſogleich vom Dortrags- 
raum in den Gebauhr-Saal der Stadthalle, in den fie die Stadt Königsberg 
zum Begrüßungs- und Feſtabend geladen hatte. Oberbürgermeiſter 
Dr. h. c. Lohmeyer begrüßte perſönlich die Gäſte und brachte die Freude 
der Stadt darüber zum Ausdruck, daß Geheimrat Koffinna als gebürtiger 
Oſtpreuße nun endlich das ſchon vor Jahren gegebene Wort, die deutſche 
Geſellſchaft für Vorgeſchichte in Königsberg tagen zu laſſen, eingelöſt habe. 
Im weiteren Derlauf ſeiner Rede entrollte er ein eindrucksvolles, durch lehr— 
reiches Kartenmaterial erläutertes Bild von dem wirtſchaftlichen Niedergang 


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92 Derlauf der Tagung [16 


Oſtpreußens infolge der unſinnigen Grenzziehung durch den Derfjailler Srie- 
densvertrag. Nur die tatkräftige Unterſtützung des Reiches und die Wieder- 
gewinnung der alten Grenzen, ſo ſchloß er ſeine eindrucksvollen Worte, könnten 
Oſtpreußen vor noch größerer wirtſchaftlicher Not, als ſie gegenwärtig ſchon 
in ihm herrſche, bewahren. In höchſt willkommener Weiſe wurden ſeine 
Ausführungen ergänzt durch den Oſtpreußenfilm, der in beredten Bildern 
den Gäſten einen anſchaulichen Eindruck von der Schönheit und dem wirt⸗ 
ſchaftlichen Werte der nordöſtlichſten Grenzmark des Reiches vermittelte. 

Anſchließend dankte Geheimrat Koffinna dem Oberbürgermeiſter mit 
folgenden Worten: 

Wir haben vorhin ſtaunend die Herrlichkeiten oſtpreußiſcher Candſchaft, 
oſtpreußiſcher Baukunſt und oſtpreußiſcher Geſchichte an uns vorüberziehen 
ſehen. Uls ich den Oſtpreußenfilm im Frühjahr vorigen Jahres in Berlin zum 
1. Male ſah, kamen mir ſtellenweiſe die Tränen in die Augen, teils aus Be⸗ 
geiſterung für Oſtpreußens große Vergangenheit, teils in Erinnerung an die 
Jugendzeit, wo ich bis zum 18. Jahre die Sommerferien über ſtets irgendwo 
am herrlichen oſtpreußiſchen Oſtſeeſtrande zugebracht habe. 

Wohl iſt Oſtpreußen, wie es herr Freiherr v. Gaul geſtern ſo er⸗ 
greifend ausgeführt hat, in vieler Beziehung ein Schmerzenskind, gewaltſam 
losgeriſſen von der Bruſt der Mutter Germania, aber wir ſind heute mehr 
als je Wolz auf dies Land und feine Bewohner, nicht bloß innerhalb Oſtpreußens, 
ſondern auch überall im Reiche. Die Oſtpreußen reiſen heute zwar mehr 
als ſonſt in die Ferne nach Weſten und Süden, aber dafür mehrt ſich auch der 
Fremdenverkehr aus dem Reiche in Oſtpreußen. Man fängt im Reiche an, 
Oſtpreußen kennen zu lernen und damit auch zu lieben. Was man nicht kennt 
oder was man gar ſchwer verkennt, kann man nicht lieben. Hier hat der Krieg 
mit ſeiner Durcheinanderwürfelung der Krieger aller deutſchen Stämme 
990 ihrer Verteilung auch über unſere Oſtmark eine große günſtige Wandelung 
geſchaffen. 

Vor dem Kriege war das anders und je weiter zurück, deſto ſchlimmer. 
Daß in Oſtpreußen die Wölfe an den Strakeneden ſich gute Nacht ſagen, 
war zwar eine in meiner Jugend verbreitete Redensart; allein im Ernſt 
glaubte doch wohl kein Gebildeter an ihre Berechtigung. Doch war man 
ſogar in Norddeutſchland, ſelbſt in dem von wenig kultivierten heiden und 
Mooren durchſetzten hannover, feſt davon überzeugt, daß Berlin der öſtliche 
Grenzpunkt deutſcher Kultur ſei; alles was oſtwärts dahinter kam, ſei kraſſe 
Barbarei. So wurde es mir, als ich 1876 in Göttingen meine erſten Studien- 
ſemeſter verlebte, mehr als einmal verſichert und da half fein Widerſprechen. 
Als ich einmal im Kreiſe meiner Korpsbrüder die Eiſenbahnkarte von Deutſch⸗ 
land vorlegte, auf der die beiden langen Schienenſtränge gezeichnet waren, 
die nach Oſtpreußen führten, der eine über Bromberg-Dirfchau (die Abfürzungs- 
linie über Konitz war damals noch nicht gebaut) und der andere über Thorn- 
Inſterburg, da ſpottete man, indem man ſagte: na ja, die eine Linie iſt die 
Landſtraße und auf der anderen kürzeren geht die Botenfrau. Ich wurde 
ſpäterhin ſchließlich ſo eingeſchüchtert, daß ich bei Streitereien über deutſche 
Candſchaften und Stämme, wie fie damals noch weit häufiger waren, als 
heute, gar nicht mehr wagte, mich als Oſtpreußen zu bekennen. 

Das iſt nun Gott ſei Dank anders geworden. Es muß aber noch viel 
beſſer werden. Ich habe dabei vor allem den oſtpreußiſchen Menſchenſchlag 
im Sinne und ſeine Leiſtungen. Es iſt nicht genug, daß man immer bloß 


17] Derlauf der Tagung 93 


Kant, Herder, Hamann und Schopenhauer, vielleicht auch noch Theod. 
Amad. Hoffmann anführt. Das iſt alles ſchon lange her. Daß die dichteriſche 
Ader in Oſtpreußen nicht blos in der Zeit unſerer klaſſiſchen Literaturperiode 
reichlich floß, ſondern heute noch eben ſo wenig verſiegt iſt und weit ſtärker 
iſt, als in den meiſten anderen Deutſchen Landen, beweiſen die Namen ſo 
hervorragender Größen, wie der tiefgründige Dichter Arno Holz, der leider 
es nicht erleben durfte, daß er mit dem wohlverdienten Nobelpreiſe bedacht 
worden iſt, obwohl mehrere 100 Univerſitätsprofeſſoren eine dahin lautende 
Eingabe gemacht hatten. Ich nenne ferner die Dichter Max halbe, Agnes 
Miegel nebſt dem ausgezeichneten oſtpreußiſchen Dertoner ihrer Gedichte 
Georg Dollerthun, ich nenne Siegfried v. d. Trend und endlich meinen 
Tilſiter Schulkameraden hermann Sudermann, den klaſſiſchen Darſteller 
des Memellandes, ſeines deutſchen wie ſeines litauiſchen Bevölkerungsteiles. 
Wer kennt nicht ſeine unübertrefflich ſchöne und ergreifende Geſchichte von der 
„Keiſe nach Cilſit!“. 

Ebenſo wie von Dichtern könnte man von anderen Rünſtlern reden, 
von Gelehrten, hohen Beamten, Militärs uſw. Es iſt ein Verhängnis für 
Oſtpreußen als vorwiegend landwirtſchaftlicher Provinz, daß alle ſeine Söhne, 
die einen größeren Wirkungskreis erſtreben und auszufüllen in der Lage ſind, 
Oſtpreußen verlaſſen und im ſog. „Reiche“ ſich feſtſetzen. Es iſt geradezu 
erſtaunlich, wieviel Oſtpreußen in hohen Stellungen ſich befinden, ſei es 
im preußiſchen Beamtentum, ſei es als Gelehrte in ganz Deutſchland. 

Aber niemand weiß das, am allerwenigſten weiß man das in Oſtpreußen. 
Einer freilich wußte es, das war mein ganz kürzlich verſtorbener Kollege, 
der hervorragende Paläontologe und Geologe Pompecki, auch ein Oſtpreuße. 
Als dieſer von Tübingen nach Berlin berufen war und wir uns kennen lernten 
und ich mich dabei ſtolz als Oſtpreußen bekannte, da ſagte Pompecki zu mir: 
Na ja, alles was ein bischen was iſt, iſt Oſtpreuße. 

Ich bringe bei der Gelegenheit für die „Geſellſchaft für preußiſche 
Geſchichte“ einen Antrag: möge ſie eine oſtpreußiſche Biographie ſchaffen, 
d. h. ein Werk über die Lebensgeſchichte ſämtlicher Oſtpreußen, d. h. nur der 
in Oſtpreußen geborenen, nicht etwa auch der aus anderen deutſchen Land— 
ſchaften hergezogenen, die auf irgend einem Gebiete hervorragendes geleiſtet 
und als Führer ſich bewieſen haben. Ein ſolches Werk herzuſtellen iſt gar 
nicht jo ſchwer, erfordert nur einigen Fleiß. Eine glänzende Vorarbeit ijt don 
die vielbändige Allgem. Deutſche Biographie, die bis etwa 1900, glaube ich, 
fortgeführt worden iſt. Für die neueſte Zeit ſind Kürſchners Literaturkalender 
und die vielen Auflagen von „Wer ijt es?“ weitere gute Vorarbeiten. Gibt 
es erſt ein ſolches Werk über Oſtpreußen, dann würde wohl jeder Gebildete 
vor den geiſtigen Leiſtungen der Oſtpreußen den hut ziehen. 

Doch ich bin in Gefahr zu weit abzuſchweifen von dem, was ich heute 
vor allem auszuſprechen habe. Das iſt der herzliche Dank an die Stadt Rönigs— 
berg für Alles, was fie für unſere Tagung getan hat. Junächſt die freundliche 
Einladung hierher, dann die Bewilligung der Säle der Stadthalle für unſere 
Vorträge. Wie ich hore, hat die Stadt auch den Druck der Feſtſchrift finanziell 
unterſtützt. Und die Krone von allem: dieſer herrliche Feſtabend, deſſen 
ſchöner, harmoniſcher Verlauf allen Teilnehmern unvergeßlich bleiben wird. 
Caſſen Sie mich dieſen Dank dahin zuſammenfaſſen, daß ich Sie bitte, mit 
mir zu rufen: die Stadt Königsberg und ihre Spitze herr Oberbürgermeiſter 
Dr. Cohmeyer hoch! 


94 Derlauf der Tagung [18 


Sonntag, den 27. Juli 


Aud) der Sonntag Vormittag war noch wiſſenſchaftlichen Dor: 
trägen gewidmet. Noch vor ihrem Beginn benutzten einige Teilnehmer die 
Gelegenheit, die einzigartige Bernſteinſammlung des Geologiſchen In⸗ 
ſtituts zu beſichtigen, in der ſich auch die zahlreichen eigenartigen ſteinzeitlichen 
Schnitzereien und Menſchenfiguren befinden, die bei Schwarzort aus dem 
Kurifhen Haff gebaggert wurden. Um 9.30 Uhr ſprachen in der Stadthalle: 

Privatgelehrter Dr. Wolfgang Schultz (Görlitz): „Die altgermaniſchen 
Iwillingsgötter“. 


Abb. 4. Mednicken, Samland. Durchſchnitt durch den 8 m hohen vorordenszeitlichen 
Burgwall 


Muſeumsaſſiſtent Dr. Werner Radig (Dresden): „König heinrich I. 
und die oſtdeutſche Urchäologie“. 

Das von dem erkrankten Generaloberarzt a. D. Dr. Georg Wilke (Rochlitz) 
als Erſatz für ſeinen angekündigten Vortrag eingeſandte Manuffript: „Alväo, 
Seltſch und Glozel“ konnte wegen Zeitmangels leider nicht mehr verleſen werden. 

Der angekündigte Vortrag von Univerſitätsprofeſſor Dr. herbert 
Kühn: „Die vorgeſchichtliche herkunft der Bourbonenlilie“ mußte wegen 
Behinderung des Vortragenden ausfallen. 

Der für den Nachmittag geplante Ausflug an die Samlandküſte, 
der den Teilnehmern einen Eindruck von der überwältigenden Mannigfaltig⸗ 
keit an Bodenaltertümern und dem unerſchöpflichen Reichtum des oſtpreußiſchen 
Bodens an Grab- und Siedlungsfunden vermitteln ſollte, war von herrlichſtem 
Sommerwetter begünſtigt, ſo daß er ſich zu einem reinen Genuß geſtaltete. 
Das Samland, nach Bezzenbergers treffendem Wort „ein einziges großes 
Gräberfeld“, zeigte ſich den Gäſten in ſeiner ganzen Schönheit. Das Pruſſia— 
Muſeum hatte anläßlich der Tagung eine Unzahl von Grabſtätten und Sied- 


19] Derlauf der Tagung 05 


lungsplätzen freigelegt, um den Teilnehmern einen anſchaulichen Eindruck 
von dem inneren Aufbau der altpreußiſchen Kulturitätten zu erſchließen. 

76 Teilnehmer trafen ſich auf dem neuen Nordbahnhof, um mit der 
Samlandbahn zunächſt das nahe gelegene Medniden zu erreichen. Nach 
kurzer Fußwanderung durch üppige Felder und ſchattigen hochwald wurde 
der auf einer Landzunge des Wargener Kirchenteiches gelegene vorordens⸗ 
zeitliche Burgwall erreicht, durch deſſen mächtigen, faſt 8 m hohen Stirnwall 
Privatdozent Dr. Karl heinz Claſen (Königsberg) einen 30 m langen 
2 m breiten Schnitt gelegt hatte, der das Profil des Walles, einer mit Steinen 
geſtützten Holzerdmauer bis zum gewachſenen Boden erſchloß (Abb. 4). An 
die Erläuterungen Dr. Claſens über die Schidjtenfolge und dem ehemaligen 


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Abb. 5. Rauſchen⸗Cobjeiten, Samland. Slachgräberfeld 


Aufbau des Stirnwalles ſchloß fic) eine lebhafte Ausipradye der Fachleute 
über die Zahl der Bauperioden. Dom Bahnhof Mednicken erreichte man 
mit dem nächſten Zuge der Samlandbahn ſchnell das herrlich gelegene Oſtſeebad 
Georgenswalde, wo man ſich zunächſt im Rurhaus an einer Kaffeetafel 
ſtärkte und ſich mit Freude dem Genuß der zauberhaften Samlandſteilküſte 
hingab. Eine kurze Strandwanderung gab Bergrat Profeſſor Dr. Heß von 
Wichdorff Gelegenheit, den eigenartigen geologiſchen Aufbau der welt— 
berühmten Bernſteinküſte zu erläutern. 

Ein kurzer Hufſtieg durch die ſchattige Gauſup⸗-Schlucht führte die Teil- 
nehmer zu dem von Dr. Engel im Warnicker Sort inmitten einer Gruppe 
von 13 Hügeln freigelegten hügelgrabe (vgl. Abb. 2 und 3 auf Seite 43f.), 
an dem Muſeumsdirektor Dr. Gaerte den Teilnehmern und zahlreichen 
Kurgajten, die ſich aus Rauſchen und Georgenswalde eingefunden hatten, 
den Aufbau der oſtpreußiſchen hügelgräber erläuterte. 

Ein kurzer Fußmarſch, deſſen die älteren herrſchaften durch das Privat: 
auto Direktor Gaertes enthoben wurden, führte die Beſucher am Rauſche— 


96 Derlauf der Tagung [20 


ner Mühlenteich vorbei zu dem großen, auf der höhe zwiſchen Rauſchen und 
Cobjeiten gelegenen Slachgräberfeld, das von den erſten nachchriſtlichen 
Jahrhunderten bis in den Beginn der Deutſchordenszeit (13. Ihdt.) belegt 
worden iſt (Hbb. 5). An Hand einer Unzahl von Lehrer Rösler (Rauſchen) 
freigelegter Gräber erläuterte Direktor Dr. Gaerte die eigenartige Doppel⸗ 
ſchichtigkeit dieſes Graberfeldes und konnte bei dieſer Gelegenheit den Be— 
ſuchern auch den erſt vor kurzem freigelegten bisher beſt erhaltenen Baumſarg 
Oſtpreußens vorführen. 

Der Abend dunkelte ſchon ſtark herauf, als man ſich zum Rückweg über 
die Düne entſchloß, um im Kaltbadreſtaurant und in den Seehallen des Oſtſee⸗ 
bades Rauſchen unmittelbar am Strande in angeregter Unterhaltung den 
Reſt des Tages zu verleben. Erſt kurz vor Mitternacht führte die Samland⸗ 
bahn die Teilnehmer in die Mauern der Stadt Königsberg zurück. 


Montag, den 28. Juli 


Ausflug nach der Kurifden Nehrung 
Don Carl Engel 

Mit dem Morgenzuge verließen die Teilnehmer um 8 Uhr Königsberg, 
um durch die an Hügelgräbern reiche Srigener Sort und die ſanftwelligen 
höhen des öſtlichen Samlands das Oſtſeebad Cranz zu erreichen. Kurz vor 
dem Einlaufen in den Cranzer Bahnhof grüßte zur Linken die dunkle Wald⸗ 
gruppe der Kauk herüber, deren hundertjährige Fichten ſchirmend ihre Zweige 
über einen der größten Wikingerfriedhöfe des europäiſchen Feſtlands breiten. 
Nach kurzer Fahrt wurde von Cranz aus das am Haffufer gelegene Cranzbeck 
erreicht, wo man den großen Haffdampfer beſtieg, der die Teilnehmer zum 
Ausflugsziele Nidden tragen ſollte. Während der Fahrt erläuterte Profeſſor 
Dr. heß von Wichdorff auf dem Oberdeck Bauart und Entſtehung der 
gelben Wanderdünenketten, die zwiſchen Kunzen und Widden in langer Reihe 
vorüberzogen und wenigſtens aus der Ferne den Teilnehmern einen Eindruck 
von der ſeltſamen Welt dieſes oſtpreußiſchen „Weltwunders“ vermittelten. 
KUnſchließend gab Dr. Carl Engel einen kurzen überblick über die vorgeſchicht⸗ 
liche Beſiedlung dieſes ſchmalen Landjtreifens deſſen reiche Steinzeitfunde 
immer wieder die Hufmerkſamkeit der neolithiſchen Forſchung auf dieje welt— 
abgeſchiedene Gegend gelenkt haben. Oftmals wurden die Vortragenden durch 
Gewitterregen unterbrochen, während deſſen alles in die ſchützenden Kabinen 
flüchten mußte. 

Zum Glück hatte es ſich abgeregnet, als gegen 1 Uhr das freundliche 
Bauerndorf Nidden erreicht wurde. Das Reijebüro Meyerhofer hatte aber 
hier für ein ſo ausgiebiges Mittageſſen Sorge getragen, daß zu einer Nehrungs— 
wanderung nur wenig Zeit blieb. So mußte fic) Profeſſor Heß von Wich— 
dorff darauf beſchränken, den Teilnehmern die unmittelbar hinter dem 
Ort gelegenen bewaldeten Parabeldünen zu zeigen, während der Ramm 
der hohen Wanderdüne nur von wenigen unentwegten Läufern wenigſtens 
für einen Augenblick erreicht wurde. 

Schon gegen 16 Uhr mußte die heimfahrt angetreten werden, um 
noch am Abend über Cranzbeek und Cranz Königsberg wieder zu erreichen. 
Immerhin ließen es ſich einige Teilnehmer nicht verdrießen, in Cranz noch 
einen kurzen Aufenthalt einzulegen, um des Genuſſes eines nächtlichen See— 
bades teilhaftig zu werden. 


Sur Vorgeſchichte der Kuriſchen Nehrung 


(Kurzer Bericht über die auf dem Ausflug am 28. Juli 1930 gegebenen 
Erläuterungen) 


Don Carl Engel 
Mit 16 Abbildungen im Tert 


Ebenſo merkwürdig wie Landſchaft und Entſtehung der Kurifchen Neh⸗ 
rung ijt auch ihre Vorgeſchichte, die aus zwei Zeitabſchnitten beſonders reiche 
Funde aufweiſt: aus der jüngeren Steinzeit und der frühen Ordenszeit. Es 
iſt unzutreffend, wenn man zeitweilig geglaubt hat, daß die Nehrung in dem 
drei Jahrtauſende währenden Jeitabſchnitt zwiſchen dieſen Perioden nicht 
oder doch nur vorübergehend beſiedelt geweſen ſei. Die aus ihm vorliegenden 
Sunde find zwar ſpärlich, belegen jedoch alle hauptabſchnitte der Bronze-, 
der vor- und nachchriſtlichen Eiſenzeit. 

Allerdings machen gerade die beiden erſtgenannten Jeitabſchnitte, das 
Neolithikum und die frühe Ordenszeit, die vorgeſchichtliche Eigenart der 
Nehrung aus; übertrifft doch das von der Nehrung ſtammende Material an 
neolithiſcher Keramik ſowohl an Zahl wie an Sormenmannigfaltigteit die 
geſamten aus dem binnenländiſchen Oſtpreußen bekannt gewordenen Funde 
dieſer Art. Und die frühordenszeitlichen Grabfunde einer zweifellos ſchon 
chriſtlichen, jedoch noch mit heidniſchen Beigaben und Bräuchen beſtattenden 
Bevölkerung gehören zu den merkwürdigſten ihrer Art. 

Überblidt man die Zahl der auf der Nehrung nachgewieſenen neolithiſchen 
Wohnplätze, ſo erſcheint es zunächſt überraſchend, daß dieſer 98 km lange, 
durchſchnittlich nur 11 bis 2 km breite, aus feinem Seejand aufgeſchüttete 
Candſtreifen, gegen den im Weiten die Gſtſee brandet, während ihn im Oſten 
die weite Waſſerfläche des Haffes begrenzt, in der Steinzeit fo überaus dicht 
beſiedelt geweſen iſt. 

Dieſe Tatſache wird wohl nur dadurch verſtändlich, daß gerade die 
zwiſchen zwei großen Waſſerflächen gelegene ſchmale Nehrung einer ſtein— 
zeitlichen Sijcherbevolferung überaus günſtige Lebens möglichkeiten geboten 
hat, wie fie ja auch heute größtenteils nur von Siſchern bewohnt wird. Zudem 
iſt auch der Umſtand in Rechnung zu ziehen, daß in dem leicht zu überblickenden 
Dünenſand die Scherbenplätze ungewöhnlich deutlich hervortreten (Hbb. 9) 
und bei einiger flufmerkſamkeit gar nicht überſehen werden können, während 
die Feſtſtellung derartiger Wohnplätze im Binnenlande met einem glücklichen 
Zufall überlaſſen bleibt. Aber auch bei Berückſichtigung dieſes Umſtandes 
muß doch die ſteinzeitliche Beſiedlung der Nehrung gegenüber der des binnen— 
ländiſchen Oſtpreußens als eine ungewöhnlich dichte bezeichnet werden, und 
höchſtens die an manchen Punkten (3. B. Colfemit, Kr. Braunsberg'); 


9 Berendt, G. Altpreufifche Küchenabfälle am Sriſchen Haff. Schrift. an Oekon. 
Geſ. XIV, 8. 117ff. Serner Tiſchler in Schrift. Phuſ. Oekon. Gef. XXIII, 18ff. 


mannus, Jeitſchtift für Dorgeſchichte, VIII. Erg. Bd. = 


98 Carl Engel [2 


Zimmerbude, Kreis Siſchhauſen!)) als Wohnplätze gleich günſtigen Sandufer 
des Friſchen haffs mögen bei genauerer Unterſuchung vielleicht noch ähnlich 
reichhaltige neolithiſche Fundſtätten liefern wie die Nehrung. 

Wenn man ſomit die zahlreichen neolithiſchen Siedlungsplätze?) — es 
gibt nur wenige Kilometer am Weſtrand der hohen Düne zwiſchen Sarkau 
und Memel, auf denen fie nicht nachgewieſen find (Abb. 21) — als die viel— 
leicht nur vorübergehenden Wohnplätze einer ziemlich unſteten Fiſcherbevöl— 
kerung wird anſehen dürfen, ſo iſt doch nicht zu bezweifeln, daß dieſe bereits 
Ackerbau gekannt und wahrſcheinlich auch Viehzucht ausgeübt hat. Wenigſtens 
beweiſen die in den Wohnplätzen gefundenen Rornmühlen und Reibjteine, 


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Abb. 6. Rnochengerät (a) und W (b- d) von der KRuriſchen Nehrung 
15.5 


a) hafen von Memel. Inv. 17950. b—d) Ruriſche Nehrung (ohne UE Sundorts= 
angabe). b) Inv. V 81/82 Nr. 7214. c) Inv. 4476. d) Inv. 559 


daß man zum mindeſten Getreide zu Mehl gemahlen hat. Ob im Neo— 
lithikum auf der Nehrung ſelbſt Korn gebaut wurde, iſt freilich nicht mit Sicher— 
heit zu erweiſen; ausgeſchloſſen ſcheint es keineswegs, da ja der alte Wald— 
boden (Abb. 8), auf dem noch heute die Wohnplätze liegen, eine ausreichende 
humuskrume für das Gedeihen des Getreides abgegeben haben dürfte, ſofern 
nicht damals ein weſentlich trockeneres und wärmeres Klima geherrſcht hat 
als heute, wofür allerdings in Oſtpreußen bisher keine Anzeichen ſprechen?). 
Ebenſogut dentbar ijt freilich auch, daß das Brotkorn gegen Siſche vom benach— 


1) Noch unveröffentlichter ſteinzeitlicher Scherbenplatz. Inv. im Pruſſia-Muſ. 

e) Dal. E. hollack, Karte und Erläuterungen S. 80 ff. Ferner die beifolgende Karte 
Abb. 16 auf Seite 112. 

3) Dal. die Ausführungen Ziegenſpecks im vorliegenden Bande 8. 26ff. 


3] Zur Dorgeſchichte der Kurifchen Nehrung 99 


barten Feſtland eingetauſcht wurde, wie ja auch noch heute der Aderbau auf 
der Nehrung ſehr gering ijt). 

Zum Derftändnis der Lage der neolithiſchen Wohnplätze ſind wenige 
Worte über die ehemalige und jetzige Bodengeſtalt der Ruriſchen Nehrung 
nicht zu umgehen?). 

Nachdem aus den Ablagerungen der in das Haff mündenden Flüſſe und 
den ausgeworfenen Sandmaſſen der Oſtſee die Nehrungsplatte gebildet war, 
begannen auf der jo entſtandenen Slugjandebene die Dünen vom Meer zum 
haffe zu wandern. Als ſie am haffufer zu einer gewiſſen Mächtigkeit angewachſen 
waren, wurden fie, ſchon in vorneolithiſcher Zeit, durch Bewaldung feſtgelegt. Bis 
in die zweite hälfte des 18. Jahrhunderts ſcheint der größte Teil der Nehrung un: 
unterbrochen bewaldet geweſen zu ſein. Infolge umfangreicher Abholzungen in 
der Zeit des 7jährigen Krieges bildeten ſich die heutigen Wanderdünen, die den 
alten Waldboden verſchütteten und zu weit größerer Mächtigkeit anwuchſen als 
die in vorneolithiſcher Zeit am Haffufer feſtgelegte Dünenkette (Abb. 7). 

Saft alle bis jetzt feſtgeſtellten ſteinzeitlichen Scherbenplätze liegen auf 
der haffſeite der Nehrung an dem dem Meere zugekehrten Weſthang der 


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Abb. 7. Querprofil der Ruriſchen Nehrung (etwas ſchematiſiert nach heß von 
Wichdorff) zur Deranſchaulichung der Cage der ſteinzeitlichen Siedlungspläße 


Hohen Düne auf dem alten Waldboden (Abb. 7, 8), der zugleich die Ober: 
fläche der Lupfeite der älteren (vorneolithiſchen) Dünen darſtellt, daher im 
allgemeinen dem Profil der heutigen Düne folgt (Abb. 7), jedoch meiſt von 
jüngeren Sandanwehungen (d. h. der heutigen Düne) überdeckt iſt. Durch 
das beſtändige Vorrücken der heutigen Düne nach dem haffe zu wird er durch 
Abwehung an der Grenze zwiſchen Kupjengelände?) und Wanderdüne in 
größeren Sladen freigelegt (Abb. 8). Die neolithiſchen Wohnplätze liegen 
aljo teils unmittelbar am Weſthange der alten Düne auf dem Kupfengelände 
(an der Grenze zwiſchen dieſem und der Wanderdüne), nicht ſelten aber auch 
auf 14 bis 12 höhe des Hanges auf der Lupfeite der alten (und zugleich auch 
der heutigen) Düne (Abb. 7). Auf der Palwe, d. h. unmittelbar am haffufer 
auf der grasbewachſenen ebenen Fläche zwiſchen der Leeſeite der Wander: 
düne und dem haff ſind ſie nur ganz vereinzelt beobachtet worden, ſo im 
verfloſſenen Sommer durch Pfarrer Hildebrand (Koſſitten) und den Derfaſſer 
zwiſchen Kunzen und Roſſitten. 


1) Dal. A. Bezzenberger, die RKuriſche Nehrung und ihre Bewohner. Stutt— 
gart 1899. f 

2) Man vergleiche zu dieſen Ausführungen heß von Wichdorffs „Geologie der 
Ruriſchen Nehrung“, Berlin 1919, ein nach jeder Richtung hin aufſchlußreiches und für jede 
Beſchäftigung mit den Fragen der Nehrungswelt unentbehrliches Werk. 

S ö. dem von der wandernden Dune an ihrer Luvjeite freigegebenen Gelände. 


SCH 


100 Carl Engel [4 


Aus dieſer Cage geht hervor, daß die ſteinzeitlichen Nehrungsbewohner 
nicht wie die heutigen Silder unmittelbar am Haff gewohnt haben, ſondern 
durch den Kamm der damaligen (und heutigen) hohen Düne von ihm getrennt 
waren. Für die Annahme, daß trotzdem nicht die See, ſondern das Haff ihr 
Cebenselement geweſen iſt, ſpricht einmal der Umſtand, daß ihre Wohnplätze 
auch bei dieſer Lage meiſt näher dem Haff als der See zu liegen; außerdem 
die Tatſache, daß noch heute die Silder der Ruriſchen Nehrung ausſchließlich 
das Haff befahren, weil die See für den Sifchfang zu ſtürmiſch und gefährlich iſt. 

Die auf den freigewehten neolithiſchen Wohnplätzen (Abb. 9) zutage 
tretenden Kulturrefte find, wie aus ihrer Lagerung im reinen Dünenjande 


Abb. 8. Rejte alten Waldbodens auf der Cupſeite der Wanderdüne ſüdlich Pillfoppen. 
Die beiden elo Sick Sockel a und b ſind bezeichnende Beiſpiele für die Lage der 


höheren ſteinzeitlichen Siedlungsplätze. Gewöhnlich liegen fie tiefer an der Grenze zwiſchen 

Rupſengelände (die grasbewachſene Släche im Dordergrunde) und Wanderdüne. Die fait 

horizontal verlaufende ſchwarze Linie bei c bezeichnet einen durch Abwehung entſtandenen 
Cängsſchnitt durch die Oberfläche des alten Waldbodens 


verſtändlich, recht ſpärlicher Art: es ſind Anhäufungen von Tongefäßſcherben, 
unter denen häufig ſchwarze Rohleflecken die Stätten ehemaliger Herdfeuer 
erkennen laſſen. Zwiſchen ihnen finden ſich vereinzelt Tierknochen!), Slint- 
ſplitter, Slintgeräte und Steinbeile oder Bruchſtücke von ſolchen, zuweilen auch 
zahlreiche Bernſteinſtückchen; ferner durch Waſſerſchliff gerundete Gerölle, 
auffällig gefärbte, beſonders ſchön rund geſchliffene Kieſel und Bruchſtücke von 
Kalfjteinen, die der Steinzeitmenſch zu irgendwelcher Verwendung (vielleicht 
in der Abſicht, fie als Polierſteine oder Werkzeuge zu benutzen) in feine Sied— 
lungsſtätten geſchleppt hat; ſchließlich aus flachen Geröllſteinen durch ſeitliche 

) Die von Hollad zwiſchen Nidden und Grabſcher haken unterſuchten neolithiſchen 
Siedlungsplätze (B. P. XIX. S. 140 ff.) enthielten nach der Beſtimmung von Braun und 
Zander Knochen von Seehund (ſehr zahlreich), Pferd, hund, hirſch, Wiederkäuern, Biber, 


Suds, Vögeln und Brachſen (Siſchart). An anderen Stellen wurde auch Rind nachgewieſen 
(Ciſchlet). 


5] Zur Dorgeſchichte der Kurijden Nehrung 101 


Einkerbungen hergeſtellte Netzſenker (Abb. 11e), wie fie noch heute in gleicher 
Sorm von den Nehrungsfiſchern zum ſelben Zwecke verwendet werden: eins 
der intereſſanteſten Beiſpiele für das Fortleben einfacher Gerättypen von der 
Steinzeit bis zur Gegenwart. 
| Leider ijt noch keiner der neolithiſchen Wohnplätze durch eine ſuſtematiſche 
Siedlungsgrabung erſchloſſen worden!), jo daß man über ihren Inhalt bisher 
nur durch Leſefunde unterrichtet ijt. Mag auch der Erfolg einer planmäßigen 
Grabung zunächſt zweifelhaft erſcheinen, jo wäre doch der Verſuch dazu ſehr 
erwünſcht, zumal die verhältnismäßig gute Erhaltung der auf der Nehrung 


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Abb. 9. Durch Abwehung freigelegter ſteinzeitlicher Scherbenplag am Supe der Wander: 

diine (Kajpalage-Berg nördlich Pilltoppen). Die weißen Gegenſtände vorn in der Mitte find 

Trümmer eines zerſchlagenen Kalkſteins, die dunklen Sleden am rechten unteren Bildrand 
Reſte alten Waldbodens 


gefundenen Steinzeitſkelette, des alten Waldbodens, der Herdjtellen und die 
von Hollad bei einer unſuſtematiſchen Grabung an den „fünf Hügeln“ ſüdlich 
Nidden erzielten Ergebniſſe ein ſolches Unternehmen als durchaus nicht hoff- 
nungslos hinſtellen. 

Auf die Einzelheiten der auf den Wohnplätzen gemachten Beobachtungen 
einzugehen, kann ich hier um ſo leichter verzichten, als Tiſchler alles Wiſſens— 
werte darüber in der ihm eigentümlichen klaſſiſchen Form gejagt hat?) und 
feine Ausführungen auch bei Bezzenbergers) — um deſſen eigene Erfah— 
rungen bereichert — abgedruckt und daher leicht erreichbar ſind. 


1) Die bereits vor längerer Zeit von Tiſchler und hollack vorgenommenen Gra— 
bungen, 3. B. an den „5 hügeln“ bei Nidden (B. P. XIX, S. 140 ff.), haben infolge des dort 
angewendeten Grabungsverfahrens nur ſehr unvollkommene Ergebniſſe geliefert. 

2) Schrift. Phuſ. Okon. Gel, XVIII. S. 259 ff., XXIII. S. 18ff. 

3) A. Bezzenberger, Die Ruriſche Nehrung und ihre Bewohner. Stuttgart 1889. 


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102 Carl Engel [6 


Aud die aus den Wohnplätzen geborgene Keramif ut jo eingehend be⸗ 
ſchrieben und abgebildet worden!), hat zudem erſt neuerdings durch Gaerte?) 
eine jo erſchöpfende und reich bebilderte zuſammenfaſſende Behandlung er: 
fahren, daß ich hier auf ein weiteres Eingehen verzichten kann. Die hauptmaſſe 
der Gefäße weiſt ſowohl hinſichtlich ihrer Form wie ihrer Verzierung auf ſo 
ſtarke kulturelle Einflüſſe aus dem Kreiſe der mitteldeutſchen Schnurkeramik 
hin, daß man geradezu von einem ſchnurkeramiſchen Stil ſprechen kann; aber 
auch geſchweifte Becher mit Strichzonenverzierung ſind in nicht unerheblicher 
Zahl vertreten, während Einflüſſe aus dem Kreiſe der Oderſchnurkeramik und 
der Kugelflajchenfultur (tonnenförmige Becher, die Wort den Begleitbechern 
der Schönfelder Kultur ähneln) erheblich zurücktreten. 

Allgemein unterſchätzt werden wohl die Einflüſſe aus dem nordofteuro- 
päiſchen Kreiſe, die zwar weniger auffällig (3. B. in Form der Grübchenver⸗ 
zierung) hervortreten, im Unterton jedoch faſt überall mitſchwingen und 
gerade die beſondere Eigenart der Nehrungskeramik ausmachen. Nach dieſer 
Richtung hin hat alſo der von Gaerte geprägte Begriff der „Haffküſten⸗ 
kultur“ ſeine Berechtigung; doch darf man nicht überſehen, daß auch an der 
ganzen benachbarten Oſtſeeküſte gleichartige Erſcheinungen anzutreffen find, 
ſo im Gebiete der Danziger Bucht (wie z. B. in der jüngſt von Roſtrzewſki 
gegrabenen Siedlung von Rzucewo), denen auch große Gebrauchsgefäße mit 
Fingerkniff⸗ und Ringwulſtkeramik, wie fie auf der Nehrung häufig find, nicht 
fehlen. 

Nicht minder ſtark treten Einflüſſe des nordoſteuropäiſchen Kreiſes in 
dem zahlloſen Bernſteinſchmuck hervor, der in den Jahren 1880/91 aus einer 
Haffmergelbank bei Schwarzort ausgebaggert wurde, deſſen zahlreiche eigen- 
artige Schmudformen und Menſchenfiguren von Klebs?) ſehr eingehend be- 
ſchrieben und abgebildet und von Tiſchler)) als ſteinzeitlich nachgewieſen 
worden ſind. hinſichtlich ihrer Zugehörigkeit zum nordoſteuropäiſchen Kreiſe 
haben fie von verſchiedener Seite hers) eine eingehende Behandlung erfahren. 

Auch ein geſchliffenes, von Roffitten ſtammendes Steingerät (Abb. 11 f., 
Inv. VII, S. 250, Nr. 11495) darf wohl der Gruppe der Schiefergeräte des 
nordoſteuropäiſchen Rulturkreiſes zugerechnet werden, während die zahlreich 
auf der Nehrung gefundenen Steinbeile, Arbeitshämmer und Streitäxte von 
den im übrigen Oſtpreußen vorkommenden Tupen ) nicht weſentlich abweichen. 
Als eigenartige Sonderformen, zu denen allerdings aus den anderen neolithiſchen 
Küjtenfieölungen Parallelen vorliegen, verdienen die kleinen, ſauber geſchlif— 
fenen Miniaturbeilchen aus Feuerſtein (Abb. 11a, b) und Meißel aus Sels- 
geſtein (Abb. llc, d) Erwähnung. Im Verhältnis zur Zahl der ſteinzeitlichen 
Siedlungsplätze recht ſpärlich ſind die bisher vorliegenden Feuerſteinkleinwerk— 
zeuge in Form von Meſſern, Schabern oder Spitzen mit ſorgfältiger Randretuſche 
(wie Abb. 11g—i), während wiederum gemuſchelte herzförmige Pfeilſpitzen 
und namentlich formvollendete Doppelſpitzen (Abb. 11k—v) zu den charak- 
teriſtiſchſten Sonderformen der Nehrung zählen, zu denen entſprechende Paral— 


1) W. Gaerte, Oſtpreußen 4 (Steinzeit) in Eberts Reallexikon IX, S. 247ff. 

2) W. Gaerte, Die ſteinzeitliche Keramik Oſtpreußens. Königsberg 1927. 

) K. Klebs, Der Bernſteinſchmuck der Steinzeit. Königsberg 1882. 

4) O. Ciſchler, in Schrift. Phuſ. Ofon. Gel XXIV. S. 102ff. 

5) G. Roſſinna, Die Indogermanen. 1921, S. 59f. Ferner Mannus II. S. 59 ff., 
XIII. S. 15 ff., 145 ff., 259 ff. E. Sturms, Schwarzort in Eberts Reallexikon XI, S. 575 ff. 
(mit weiteren Lit.-Angaben). 

6) Dal. Gaerte, Oſtpreußen A in Eberts Realleriton, Bd. IX, S. 247ff. 


7] Zur Dorgejchichte der Ruriſchen Nehrung 103 


lelen aus dem binnenländiſchen Oſtpreußen bisher nur in ſehr beſchränkter 
Zahl vorliegen. 

Die von heß von Wichdorff ausgeſprochene Dermutung, daß ſich 
auf Grund der kulturellen Zugehörigkeit der ſteinzeitlichen Nehrungsbewohner 
die Frage entſcheiden ließe, ob das Cranzer Tief in neolithiſcher Zeit bereits 
verlandet geweſen ſei, kann ich nicht beſtätigen; zwar läßt ſich feſtſtellen, daß 
die Kultur der neolithiſchen Nehrungsbewohner vorwiegend weſtliche (d. h. 
hier ſchnurkeramiſche Züge) aufweiſt, und daß gegenüber dieſen die allerdings 
faſt immer wahrnehmbaren nordoſteuropäiſchen Einflüſſe zurücktreten; daß 
das neolithiſche Fundmaterial der Nehrung in allen weſentlichen Zügen dem 
von der weſtlich benachbarten Oſtſeeküſte (3. B. Rzucewo) bekannt gewordenen 
gleicht; daraus jedoch eine Entſcheidung der Frage nach dem Schonvorhanden- 
ſein oder Nochfehlen des Cranzer Tiefs herleiten zu wollen, erſcheint mir nicht 
angängig, wenn man bedenkt, welch geringe Schwierigkeiten ſelbſt die Breite 


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Abb. 10. Freigelegte Gefäßgruppe am Südweſtabhang des Lepas-Kalns nördlich Pillkoppen 
(aufgenommen 1913 durch Apotheker S. Beyrodt, Dresden-Gitterſen) 


der Oſtſee dem hin- und herfluten neolithiſcher Kultureinflüſſe (3. B. zwiſchen 
Oſtſchweden und Sinnland !)) entgegengeitellt hat. Sie wird daher kaum anders 
als auf Grund der in jüngſter Zeit ſo bedeutungsvoll gewordenen pollenana— 
lutiſchen Sorſchung zu erzielen ſein. 

Schließlich möchte ich auf eine ſehr merkwürdige, mir vorläufig nicht 
deutbare Beobachtung hinweiſen, die von Apotheker §. Beyrodt (Dresden— 
Gitterſen) bei einer Unterſuchung am Weſtabhange des Lepas-Kalns (Cinden— 
berges) hart nördlich Pillkoppen im Jahre 1915 gemacht wurde, und die ich 
hier durch freundliche Vermittlung von Pfarrer Hildebrand (Roffitten) 
in Bericht und Bild (Abb. 10) wiedergeben kann. Apotheker §. Beyrodt be- 
richtet darüber: „hart an der bereits wieder eben gewordenen Stelle der 
Düne hob ſich ein kleiner hügel ab, der zu Grabungen Mut machte. Man ſtieß 
bald auf die auf dem Bilde ſichtbaren 10 Gefäße (Abb. 10), die mit der Offnung 
nach unten im Kreije zuſammengeſtellt waren. Die meiſten Gefäße zerfielen 


I) Dal. Eberts Reallerifon III. S. 324ff. (Tallgren, Sinnland) und 8. 355f. 
(Europaeus, Finnländiſch-ſchwediſche Beziehungen im Neolithikum). 


104 Carl Engel [8 


bald in Trümmer, nur eins foll heute noch im Niddener Muſeum aufbewahrt 
werden!). Die Gefäße waren unverziert. Unter ihnen befand jid) eine große 
Menge ſchwarzer Aſche, die nicht den Eindruck von Holzaſche, ſondern von 
animaliſcher Ajche machte. Auf dieſer Ode lagen einige Fiſchſchuppen und 
Gräten. Die Gefäße waren etwa 50 em hoch, keines war dem anderen gleich.“ 
Da ſich weder verbrannte noch unverbrannte Menſchenknochen fanden, ſo 
liegt kein Grund zur Annahme eines Beſtattungsplatzes vor. Aber auch eine 
Erklärung dieſer merkwürdigen Fundſtelle als Töpferofen oder Siedlungsſtätte 
bereitet Schwierigkeiten, ſo daß die Deutung dieſes merkwürdigen Befundes 
bis auf weiteres einem glücklichen Parallelfunde überlaſſen bleiben muß. 

Steinzeitliche Grabfunde find von der Ruriſchen Nehrung bisher nur 
fünf bekannt geworden. Bei ihnen allen handelt es ſich um Flachgräber in 
Hockerſtellung, anſcheinend ſogar um Siedlungsbejtattungen. Die Beigaben 
ſind ſpärlich und beſtehen nur aus einigen faſt immer beſchädigten Steingeräten, 
ſpärlichen Gefäßſcherben und in einem Falle (Roſſitten) dem Bruchſtück einer 
Knochennadel 2). 

Die auf der Kurilchen Nehrung gemachten neolithiſchen Sunde ſind durch⸗ 
weg ſehr jungen Alters. Weitaus die Mehrzahl von ihnen gehört dem End⸗ 
abſchnitt der jüngeren Steinzeit, der IV. Monteliusſchen Periode an, einige 
mögen auch in die III. Periode zurückreichen. Stücke, die mit Sicherheit älter 
datiert werden könnten, liegen m. W. — auch unter den Steingeräten — bisher 
nicht vor. 

Dagegen ſcheint es keineswegs ausgemacht zu ſein, daß die neolithiſchen 
Siedler die erſten Bewohner der Nehrung geweſen ſind. Es liegen einige 
Knochenhacken und andere Geweihgeräte (Abb. 6) vor, die vorneolithiſchen 
Alters fein könnten. Zwar ijt ihre meſolithiſche Zeitſtellung vorläufig nicht 
mit Sicherheit zu erweiſen, doch iſt ein bei Cindenwiefe (früher Cipinsken, Kr. 


1) Dies trifft leider nicht zu. Doch ſoll es fic) noch in Rarkeln oder Ruß in Private 
beſitz befinden. Ermittlungen find vom Heimatmujeum in Nidden in die Wege geleitet. 

2) Da die auf der Ruriſchen Nehrung gefundenen Steinzeitgräber bisher nirgends 
zuſammengeſtellt find, jo mag hier eine kurze Überſicht vorgelegt werden: 

1. Roſſitten (Tiſchler, Schrift. Phuſ. Okon. Gef. XVIII, S. 264): Skelett in hocker⸗ 
ſtellung, von Arbeitern zerſtört. Bei ihm Bahnende einer Steinart, Feuerſteinſpitze mit 
Randbearbeitung, ſtumpfe Knochennadel, ein halber Bernſteinring, eine runde Steinſcheibe, 
eine kleine verſteinerte Koralle (abgebildet Berliner photogr. Album 1880, Taf. V, Nr. 164, 
Katalog S. 415). Dal. auch B. P. XIV, S. 11 (Heyded); A. Bezzenberger, Die Ruriſche 
Nehrung, Leipzig 1889, S. 249. Zeitſchr. für Ethnol. XXIII, S. 754 (Dirch o w). 

2. Dumſchlen (Bezzenberger, B. p. XVIII. S. 56): Auf einer Scherbenftelle 
etwa 6 km ſüdlich Nidden und I km nördlich des Pillkoppener Friedhofes N-S gerichteter 
Hocker mit Kopf im S und nach O gewandtem Geſicht. Dabei zwei Feuerſteinſtücke und eine 
SE Gefäßſcherben. Ringsum zahlreiche Scherben, ein Seuerſteinmeſſer und mehrere 

lintſpäne. 

A Nördlich von Schwarzort (Bezzenberger, B. p. XVIII, S. 41ff.), etwa 
Ukm ſüdlich vom ſogenannten Bärenkopf auf altem Waldboden unbedeutender Scherben— 
platz, darin Heite eines N—8 gerichteten Hoders mit Kopf im S und nach O gewandtem 
Geſicht. Dor dem Geſicht eine beſchädigte Steinart. Dabei ein Randſcherben. 

4. Ebenda, 13 m nordöſtlich von 3: Reſte eines zweiten, S0 NW gerichteten 
Stelettes mit Kopf in SO und nach W egerichtetem Geſicht. 60 cm weſtſüdweſtlich des Kopfes 
ein großes, hammerartiges Steingerät ohne Schaftloch. 1½ m weſtnordweſtlich eine kleine 
beſchädigte Steinart. Unmittelbar beim Skelett noch einige Gefäßſcherben, Literatur wie 3. 

5. 11 km ſüdlich Süderſpitze auf einem teils ſteinzeitlichen, teils jüngeren Sied— 
lungsplatz Rejte eines menſchlichen Sfelettes; in der Nähe kalzinierte Menſchenknochen und 
Scherben, die auf jungbronzezeitliche oder eiſenzeitliche Beftattungen ſchließen laſſen; dabei 
auch Rohleſpuren, Tierknochen und -zähne. Literatur wie 3. 


9] Zur Vorgeſchichte der Kuriſchen Nehrung 105 


Abb. 11. Miniaturbeilchen (a—d), Netzſenker (e), Steingerät (f), Seuerſteinkleingeräte (g—i) 
und gemuſchelte Seuerſteinpfeilſpitzen (k—v) von der Kuriſchen Nehrung (1: 1,75), 


Cötzen) 1,2 m tief im Torf gefundenes Stück vom Typus Abb. 6b auf Grund 
pollenanalutiſcher Unterſuchung eines vom berfaſſer ſelbſt abgenommenen 
profiles der Sundſtelle durch das botaniſche Inſtitut der Univerſität Königsberg 
von Privatdozent Dr. Ziegenjped!) unzweideutig in die ſpät-boreale Zeit, 


1) Laut freundlicher perſönlicher Mitteilung des Herrn Dr. Ziegenſpeck. 


106 Carl Engel [10 


d. h. die frühe Ancylus-Periode, datiert worden. In diefem Zuſammenhang 
möchte ich auch auf das im hafen von Memel gefundene Knochengerät (Abb. 6a) 
hinweiſen, das offenbar das Endſtück einer langen Knochenhacke bzw. eines 
„Rommandoſtabes“ darſtellt und die von Gaerte bejchriebenen!) oſtpreußiſchen 
Knochengeräte mit Kitzzeichnungen um ein weiteres Stück vermehrt. Ob es 
freilich noch in meſolithiſche Zeit zu ſetzen fein dürfte, erſcheint mir zweifel⸗ 
haft; denn auf Grund von Dergleichsjtüden ſcheint mir auch ſeine Zuteilung 
zum nordoſteuropäiſchen Kulturkeiſe des Neolithikums durchaus möglich. 

Schließlich ſei auf ein erſt kürzlich bekannt gewordenes, in Privatbeſitz 
befindliches Stück einer bei Pillkoppen gefundenen Geweihhacke hingewieſen, 
von dem ich nur eine flüchtige Skizze (Abb. 20) anfertigen konnte, das aber 
ſeinem Typus nach allgemein in die Frühlitorinazeit geſetzt wird.) 

Aud) das mit viereckiger Durchbohrung verſehene Stück (Abb. 6d) könnte 
unter Umſtänden ziemlich alt ſein; die in ſeinem Schaftloch noch vorhandenen 
Heite von Haffmergel könnten bei einer pollenanalutiſchen Unterſuchung 
vielleicht einmal eine poſitive Ulterbeſtimmung ermöglichen, wenn wir über 
die Waldgeſchichte der Ruriſchen Nehrung ert einmal genauer unterrichtet 
ſein werden. 

verhältnismäßig ſpärlich — gegenüber der ungewöhnlich reichen Hinter- 
laſſenſchaft aus der jüngeren Steinzeit ſogar verſchwindend geringfügig — 
ſind die aus der Bronzezeit vorliegenden Sundjtüde. Doch kann dieſe Sund- 
armut kaum überraſchen, wenn man in Erwägung zieht, daß ſie im binnen— 
ländiſchen Oſtpreußen?), ja, im ganzen übrigen Südoſtbaltikum!) in nicht 
geringerem Maße in Erſcheinung tritt als auf der Nehrung. 


Die von der Kurijchen Nehrung ſtammenden bronzezeitlichen Fundſtücke find : 

1. ein Randbeil vom oſtbaltiſchen Typus (Inv. Nr. 2046), gefunden nördlich 
Pillkoppen (Abb. 7c); 

2. eine leider nur teilweiſe erhaltene (auf Abb. 12a ergänzte) Bronze- 
lanzenſpitze, ihrer verwaſchenen Form nach wohl ein recht ſpätes Stück 
(Montelius-Periode IV bis V), gefunden nördlich Schwarzort (Inv. Nr. 
2066). Erwähnt ſei noch ein bei Memel (Inv. VII Nr. 10 482) gefundenes 
frühes oberſtändiges Lappenbeil, deſſen genauerer Fundort jedoch nicht 
bekannt iſt. 


Aus der vorrömiſchen Eiſenzeit find bisher nur zwei Fundſtücke 
bekannt geworden: ein ſehr verwaſchenes Tüllenbeil mit leicht gewölbtem 
Kopf und 3 ſchwach ausgeprägten Längsrillen (Abb. 12 b), das nördlich von 
Nioͤden gefunden it (Inv. Nr. 2031) und unter Umſtänden noch in die jüngſte 
Bronzezeit (Montelius-Periode V) zurückreichen könnte; ferner eine Schwanen— 
halsnadel „von der Kuriſchen Nehrung“ ohne genauere Sundortsangabe 
(Ratalog des Pruſſia-Muſeums I. Königsberg 1906. S. 47, Nr. 187). 

hügelgräber find auf der Nehrung bisher nicht bekannt geworden: kein 
Wunder, da ſie ja durch den Widerſtand, den ſie dem Winde bieten würden, 


) W. Gaerte, Ein meſolithiſcher verzierter „Kommandoſtab“ aus Oſtpreußen. 
B. p. XXIX, S. 92ff. 

2) Dal. G. Kojjinna, Die Indogermanen. Leip:ig 1921, S. 28 ff. Ferner in 
Mannus I, S. 5U ff. — P. Reinecke, Zur Kenntnis der frühneolithiſchen Zeit in Deutſch— 
land. Mainzer Zeitſchrift III. S. 44ff. 

3) M. Ebert, Zur älteiten Bronzezeit in Oſtpreußen. Götze-Seſtſchrift, S. 90 ff. 
Leipzig 1925. 

) E. Sturms, Südoſtbaltikum B in Eberts Reallexikon XIII, S. 5ff. 


11] Zur Dorgeſchichte der Ruriſchen Nehrung 107 


immer zur Bildung einer Düne Anlaß geben dürften und nur bei einer vorüber: 
gehenden Freiwehung für kurze Zeit bloßgelegt werden würden, wahrſcheinlich 
aber auch dann in dem beſtändig bodenbewegten Gelände kaum auffällig 
in Erſcheinung treten dürften. Sollten ſie aber nur aus Sand errichtet geweſen 
ſein, 15 wäre die Gefahr frühzeitiger Abwehung von vornherein gegeben 
geweſen. 

Huch die ſchon oben erwähnten „5 Hügel” ſüdlich von Nidden haben fic 
auf Grund der Unterſuchungen Tiſchlers und Hollads!) als ſteinzeitliche 
Siedlungsſtätten oder Abfallhaufen erwieſen, obwohl ihre Struktur auch auf 
Grund des Holladfchen Berichtes!) keineswegs ausreichend geklärt erſcheint 
und noch immer in mehrfacher hinſicht rätſelhaft bleibt. 


Abb. 12. Bronzegeräte von der Ruriſchen Nehrung. — 1:3 


a) Nördlich 9 (Inv. 2066); b) Nidden (Inv. 2051): c) Nördlich Pilltoppen 
Inv. 2046). — Bei a) iſt die Tülle größtenteils ergänzt 


Wie die Zeugnijje aus der Bronze- und vorrömiſchen Eiſenzeit, fo find 
auch die Fundſtücke aus dem erſten nachchriſtlichen Jahrtauſend ſpärlich, be: 
weiſen jedoch, daß auch während ſeiner Dauer die Nehrung an mehreren Stellen 
von Menſchen bewohnt geweſen iſt. 

Das einzige bisher mit Sicherheit feſtgeſtellte Gräberfeld der früh— 
römiſchen Kaiſerzeit liegt nach Hollad?) zwiſchen Alt- und Meulatten- 
walde, d. h. in der Mitte zwiſchen Sarkau und Kunzen nahe der Oſtſee. Als 
es Hollad beſuchte, war es ſchon „völlig verweht“. Immerhin ſammelte er 
auf dem Scherbenplatze, der ſeinen ehemaligen Standort bezeichnete, noch 
eine ſpäte Augenfibel (Abb. 13d) und eine Anzahl grober Gefäßſcherben. Die 
Sibel EES wie zu erwarten, ſamländiſchen Typen des 2. Jhdts. Daß 


1) Dal. Anm. 1 auf Sette 5. 
2) Dal. Hollad, Erläuterungen 8. 81. 


108 Carl Engel [12 


die Sunodftelle den Flurnamen „die Gegend der lehmernen Töpfe“ führt, 
deutet darauf hin, daß hier im Laufe der Zeit ein größeres B-Gräberfeld zer⸗ 
ſtört iſt. Wahrſcheinlich ſtammt von ihm auch eine in der Sammlung Giſevius 
(S. 1 Nr. 3) befindliche Fibel von Typus Tiſchler-KRemke, Oſtpreußiſche 
Altertümer (Königsberg 1902) Tafel II, Abb. 1 mit der Sundortsangabe „bei 
Lattenwalde (1869)”. 

Im Zuſammenhang mit dieſem Fundplatz iſt es nicht unwichtig, daß 
mir der Waldarbeiter Bojahr aus Roſſitten mitteilte, daß unmittelbar ſüd⸗ 
ſüdweſtlich der alten Dorfſtelle Neulattenwalde (100 m weſtlich km 77, alſo dicht 
nördlich Punkt 7,1) ſchon vor einer Anzahl von Jahren bei Aufforjtungsarbeiten 
mit Leichenbrand gefüllte Urnen gefunden, aber zerſtört worden ſeien. Es 
erſcheint ausgeſchloſſen, daß es ſich dabei um Teile des von hollack beobach⸗ 
teten Gräberfeldes handelt. 

Ohne genauere Sundortsbezeichnung find leider ein bronzener Knopf— 
ſporn (Abb. 13e) der B-Periode (Inv. III, S. 69, Nr. 791) und eine eiſerne 
C⸗Schnalle (Inv. V, S. 67 Nr. 7068) „von der Kuriihen Nehrung“. 

Bemerkenswert iſt ſchließlich ein im „Erleuterten Preußen“ Bd. III, 
S. 545 (Rönigsberg 1725) erwähnter vorgeſchichtlicher Fundplatz bei Sarkau, 
ein „Sandberg nahe der Baacke“, in dem viele Urnen, die Bernſteinſpinnwirtel, 
allerhand Bronze- und Eiſenbeigaben, bef. „Angeln“ (?) enthielten, vom 
Winde ausgeweht wurden. Zweifellos handelt es hier um eine damals in 
der Zerſtörung begriffenes Gräberfeld der nachchriſtlichen Eiſenzeit, deſſen 
genauere Zeitſtellung freilich auf Grun dder dürftigen Fundnotizen nicht mehr 
zu ermitteln iſt. 

Aud die Sunde aus der Dolferwanderungs3eit (5.—8. Ihdt.) und 
dem jüngſten heidniſchen Zeitalter (9.— 12. Ihdt.) ſind gering an Zahl, 
dafür jedoch um ſo bedeutungsvoller. Nördlich von Schwarzort iſt eine eiſerne 
Canzenſpitze gefunden, die der älteren Dölferwanderungszeit angehören 
dürfte (Inv. V, S. 67, Nr. 6842). 

Ohne genauere Fundortsangabe iſt eine völkerwanderungszeitliche (wohl 
E-) Schnalle aus Bronze (ähnlich Gaerte S. 248, Sig. 15) von der „Ruriſchen 
Nehrung“ (Inv. III, S. 60, Nr. 791). 

Ein aus Perwelk ſtammender bronzener Handring mit Trompetenenden 
(Inv. V, S. 290 Nr. 8391f) aus dem 9. Ihdt. (Abb. 13a) ſowie eine Armbruſt⸗ 
fibel mit Sproſſenanſatz und Kopfplatte (Inv. V, S. 290 Nr. 8391 g) vom glei⸗ 
chen Fundort (Abb. 150), die ins 8. Ihdt. zu ſetzen fein dürfte, deuten auf ein 
dort zerſtörtes Gräberfeld der ſpäten Dölferwanderungszeit, ebenſo ein wohl: 
erhaltener Armring mit Tierkopfenden (Abb. 13b, Inv. V, S. 80 Nr. 7208), 
der ſüdlich Pillkoppen gefunden wurde, und der ſchon der frühen Wikingerzeit 
angehören dürfte (9.— 10. Ihdt.), zumal er ſeine Geſtalt ſtiliſtiſchen Einflüſſen 
aus Skandinavien verdanken dürfte. Wenig älter (etwa 8.—9. Ihdt.) dürfte 
auch ein aus Schwarzort ſtammender Hohlring mit geſchwollenen Enden 
(Inv. 2043, Abb. 15) anzuſetzen fein. 

Spärlich ſind auch ſpätheidniſche Einzelfunde vertreten, die auf 
Siedlungen oder zerſtörte Gräberfelder aus oer H-Periode Bezzenbergers 
deuten. 

Die im folgenden für fie angeführten Sundftüde find nicht einmal mit 
Sicherheit zu datieren, da ſie durch ihr langes Fortleben auch der I-Stufe, 
d. h. der frühen Ordenszeit, angehören könnten. Nur ein plattenförmiger 
Anhänger von langlich-ovalem Umriß mit Hafenöje (Abb. 16k, Inv. III 


13 Zur Dorgeſchichte der Ruriſchen Nehrung 109 


S. 65 Nr. 791), der ohne genaue Sundortsangabe „von der Kurifchen Nehrung“ 
ſtammt, ijt m. W. noch nicht in der I-Stufe beobachtet worden. 

Als weitere Sunde, die vermutlich der ſpätheidniſchen Zeit, d. h. der 
H-Periode Bezzenbergers angehören und auf Siedlungen oder zerſtörte 
Gräberfelder derſelben ſchließen laſſen, kommen in Betracht: 

Einige Meſſer und Steigbügel (ähnlich Gaerte Abb. 278e, Inv. V,. 
S. 67 Nr. 7068, ohne genauere Fundortsangabe), die unter Umſtänden bis 
in die Wikingerzeit (10.— 11. Ihdt.) zurückreichen, unter Umſtänden aber 


Abb. 15. Bronzegeräte und -ſchmuck von der Kurijchen Nehrung (1: 2) 
a) Armring mit Trompetenenden. 9. Ihdt. perwelk (Inv. V, 290, Nr. 8591 f.). b) Arm⸗ 
ring mit Tierkopfenden. 9.— 10. Ihdt. Südlich Pillkoppen (Inv. V, 80, Nr. 7208). c) Bügel 
einer Armbrujtfibel mit Sproſſenanſatz. 7.—8. Ihdt. Perwelt (Inv. V, 290, Nr. 8391 g). 
d) Augenfibel. 2. Ihdt. Zwiſchen Alt- und Neulattenwalde aus der „Gegend der lehmernen 
Opfe” (Inv. V, 133, Nr. 7591). e) Knopfiporn. 1.—2. Ihdt. „Ruriſche Nehrung“ (Inv. 
III, 61, Nr. 791). f) Hoblring mit geſchwollenen Enden. 8.—10. Ihdt. Schwarzort 
(Inv. 2043) 


auch jünger ſein könnten; eine vom Möwenhaken zwiſchen Sarkau und Runzen 
ſtammende Hufeijenfibel mit altertümlichen Rollenenden (ähnlich Abb. 15 b; 
Inv. III, S. 216 Ze. 1088), 


eine nördlich Schwarzort gefundene ſpätheidniſche Schnalle (Inv. V, 
S. 62, Nr. 6974), 

eine maſſige Singerſpirale (in der Form ähnlich den Armipiralen Abb. 
12 b), die von den Korallenbergen bei Rojjitten (Inv. II, S. 3, Nr. 27) ſtammt, 

ſowie eine in ſchmale Tierkopfendzungen auslaufende Krmſpirale aus 
dreifantigem Bronzedraht (Inv. V, 5.462, Nr. 8956) aus dem Kurijchen 
Haff bei Schwarzort. 


110 Carl Engel [14 


Da dieſe Funde jedoch ſämtlich nicht geſchloſſenen Grabinventaren 
angehören, ſo iſt ihre Abgrenzung gegen die I-Stufe der frühen Ordenszeit 
nicht mit Sicherheit möglich. 

Schließlich ſind noch 2 früher bei Roſſitten gefundene Silberbarren 
(„Silberrollen“) der Hackſilberzeit zu erwähnen ). 

Zweifellos zu den eigenartigſten vorgeſchichtlichen Erſcheinungen der 
Kuriſchen Nehrung gehören die zahlreich von ihr bekannt gewordenen Sunde 
aus der I-Stufe, d. h. jenem Abſchnitt der oſtpreußiſchen Frühgeſchichte, 
der das Fortleben heidniſcher Beſtattungsbräuche und Grabbeigaben in der 
frühen Ordenszeit (13. bis Anfang 15. Ihdt.), alſo die ſchon frühchriſt⸗ 
liche Zeit, umfaßt. Zwar handelt es ſich keineswegs um eine auf die Nehrung 
beſchränkte (und etwa auf dieſer durch die Riidjtandigfeit der Bevölkerung 
oder die Abgelegenheit des Gebietes von den Zentren der Ordensherrſchaft 2) 
bedingte) Erſcheinung; wir kennen jo zahlreiche Salle aus dem binnen⸗ 
ländiſchen Oſtpreußens), daß der Begriff einer beſonderen I-Stufe der nach⸗ 
chriſtlichen Graberfelder für das ganze altpreußiſche Gebiet ſeine Berechtigung 
hat‘). Aber nirgends tritt dieſe bisher mit jo reichen Funden und in fo all⸗ 
gemeiner Verbreitung auf wie gerade auf der Ruriſchen Nehrung. 

Der bekannteſte Jundplatz ijt der nördlich des ſagenhaften Dorfes Stangen⸗ 
walde, etwa eine halbe Meile ſüdlich von Roſſitten gelegene Friedhof aus dem 
14. Jhödt., der 1869/70 von mehreren Forſchern unterſucht und von P. Schief⸗ 
ferdeder {don damals jo muſtergültig und ſorgfältig beſchrieben wurde, 
daß ſeine Berichte noch heute kaum beſſer und ſachkundiger abgefaßt werden 
könnten. Da nent jedoch kaum überall leicht erreichbar fein dürften, jo fet 
hier eine knappe Überſicht der wichtigſten Ergebniſſe angefügt, zumal dieſe 
für unſere Kenntnis der I-Stufe der oſtpreußiſchen Gräberfelder neben den⸗ 
jenigen der Beſtattungsplätze von Gerdauen-Kinderhof*) und Tilfit-Splitter 7) 
von grundlegender Bedeutung ſind. 

Der anſcheinend nicht ſehr große Friedhof von etwa 30 x 40 m Durch⸗ 
meſſer enthielt durchweg Skelettbeſtattungen, die in Holzjärgen beigeſetzt 
waren. Dieſe waren durch eine das Skelett umgebende dünne, durch verwitter- 
tes Holz dunkel gefärbte Sandſchicht noch deutlich nachzuweiſen; zudem hatten 
ſich in der e der Metallbeigaben Reſte der aus Rottannenholz hergeſtellten 


1) Dal. l. Ledebur, Das Muſeum vaterländiſcher Altertümer, Berlin 1838, S. 213 
ur abb nd Analyje). Herrn Kujtos Kemfe bin ich für den hinweis auf dieſen Fund zu 

ank verpflichtet. 

2) Im Gegenteil wird die Nehrung ſeit Gründung der Burg Memel 1252 von den 
Ordensherren regelmäßig als Marſchſtraße benutzt; auch die wohl hauptſächlich zum Schutze 
dieſer heeresbewegungen errichteten Ordensburgen oder feſten häuſer in Roſſitten (ſeit 
1560 nachweisbar) und Neuhaus dürften zur Unterwerfung der Bevölkerung unter die 
Ordensherrſchaft und das Chriſtentum nicht unerheblich beigetragen haben. 

3) Abgejehen von den hier zuſammengeſtellten Funden auf der Ruriſchen Nehrung 
find mir im Laufe der Zeit 25 Fundplätze der I-Stufe aus den Regierungsbezirken Königs- 
berg und Gumbinnen rein zufällig bekannt geworden; eine Jahl, die auf Vollſtändigkeit 
keinen Unſpruch machen kann, und die bei ſuſtematiſcher Durchſicht des Fundmaterials 
und der Fundberichte vermutlich erheblich vermehrt werden könnte. 

1) Dgl. C. Engel, Beiträge zur Gliederung des jüngſten heidniſchen Zeitalters in 

Oſtpreußen. Bericht über den II. baltiſchen Archäologenkongreß. Riga 193 

5) P. Schiefferdecker, Der Begräbnisplatz bei Stangenwalde. Schrift Phuſ. Ofon. 
Gel. XII. S. 42ff. Dal. auch desſelben Bericht über eine Reiſe zur Durchforſchung der Ru— 
riſchen, 1 in archäologiſcher hinſicht. Ebenda XIV, S. 32ff. 

B. P. W. 9 ff. (Hennig). 
d B. P. XXII, S.556ff. (Peiſer). 


15] Zur Dorgeſchichte der Ruriſchen Nehrung 111 


Sargbretter erhalten. Schließlich lagen rings um die Skelette vier Reihen 
trapezförmig angeordneter eiſerner Sargnägel. 

Die Toten waren in ihren Kleidern lang ausgeſtreckt in Rückenlage 
beigeſetzt; die hände waren teils über der Bruſt oder dem Unterleib gekreuzt 
oder waren längs an die Rörperſeiten angelegt. Überaus bezeichnend iſt es, 
daß ſie teils noch in altheidniſcher, teils ſchon in chriſtlicher Richtung in die 
Erde gebettet waren: altpreußiſch ijt die Richtung Nord-Süd (Kopf im Süden, 
Geſicht nach Norden gerichtet) oder Nordweſt-Südoſt (Köpfe in beiden Ridy- 
tungen); chriſtlich die Richtung Oſt-Weſt (Kopf im Weſten, Geſicht nach Oſten 
gerichtet); alle drei Richtungen waren vertreten. Mehrfach waren zwei Tote 


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Abb. 14. Durch Abwehung freigelegter frühordenszeitlicher Siedlungsplatz mit Scherben, 

Kalkſtein⸗ und Ziegelbrocken am Südweſthange des Lepas-Kalns nördlich Pilltoppen. 

Im Bintergrunde das Rupſen-Gelände. Die dunklen Flecke im Dordergrunde find Heite 
des alten Waldbodens 


übereinander beigeſetzt; ſogar drei Schichten von Gräbern übereinander ließen 
ſich nachweiſen !). Unter den Stoffreſten der Kleidung fanden ſich neben Leinen 
auch gröberes und feineres Wollzeug, zum Teil farbig geſtreift oder mit Bronze— 
draht und Bronzeſpiralen durchwirkt; mehrfach waren Heite von müßenartigen 
Ropfbedeckungen nachzuweiſen. Die Gürtel waren teils aus bunter Wolle 
gewebt und mit Rinafibeln (wie Abb. 15h—k und 11m) oder farbigen Glas— 
und Tonperlen beſtickt; teilweiſe beſtanden fie aus Lederriemen, die mit 
einem Mittelſtreifen von Bronzebuckeln oder Bronzeplättchen beſetzt waren. 


1) Mehrſchichtige Friedhöfe haben ſich im Laufe der letzten Jahre mehrfach nachweiſen 
laſſen, fo 3. B. in Linkuhnen, Kr. Niederung (val. Anm. 4 S. 14), in Rauſchen-Cobjeiten 
(Kr. Siſchhauſen, vgl. den „Außeren Derlauf der Tagung“ im vorliegenden Bande, Ausflug 
vom 27. 7. 30) und in Sobpen, Kr. Wehlau (Periode D—I; unveröffentlicht). Im Gebiete der 
memelländiſchen Küjtentultur gehören ſie anſcheinend ſogar zu den typiichen Crſcheinungen. 


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112 Carl Engel [16 


Mehrfach fanden fid) an den Schädeln Büſchel blonder oder hellbrauner 
Haare. 

Beſonders bezeichnend für das Nachleben heidniſcher Beſtattungsbräuche 
iſt die Tatjache, daß bei der hälfte der Gräber die Leichen mit einer 4—6 cm 


Abb. 15. Hufeilen- (a—g) und Ringfibeln (h—k) vom frühordenszeitlichen Bejtattungs- 
platz Stangenwalde. Bronze (1: 2) 
a) Hufeiſenfibel mit geſchwollenen Enden (Inv. 11053). b) Hufeijenfibel mit Rollenenden 
(Inv. 11048). c) hufeiſenfibel mit Mohnkopfenden (Inv. 11015). d) Hufeijenfibel mit End- 
ſtollen und gedrehtem Bügel (Inv. 11 022). e) Hufeijenfibel mit Endjtollen (Grab 12, Inv. 
10 827). f) hufeiſenfibel mit Drachenkopfenden und gedrehtem Bügel (Inv. 10 996). 
g) hufeiſenfibel mit barocken Drachenkopfenden und geflochtenem Bügel (Grab 27, Inv. 
10 900). h) Ringfibel mit gewölbtem Bügel (Grab 20, Inv. 10 864). i) al mit plattem 
Bügel (Grab 11. Inv. 10 822). ) Rinafibel mit durchbrochenem Bügel (Grab 20. Inv. 
10 868). 


ſtarken Holskohleſchicht überhäuft waren, die offenbar den Zwiſchenraum 
zwiſchen Sargdeckel und Leiche ausgefüllt hatte. Zweifellos handelt es ſich 
hier um eine ſumboliſche Andeutung der vom Orden ſtreng verbotenen alt— 
heidniſchen Brandbeſtattung, die ja in Altpreußen während der ſpätheidniſchen 
Zeit bis zum endgültigen Siege des Ordens (Ende des 13. Jhöts.) ausnahms- 
los ausgeübt worden war. 


17] Zur Dorgeſchichte der Ruriſchen Nehrung 113 


Unter den zahlreichen Beigaben, die den Toten nach altheidniſchem 
Brauche ins Grab gelegt wurden, ſind als zeitbeſtimmend von beſonderer 
Wichtigkeit mehrere Ordensbrakteaten des 14. Ihdts. (aus der Zeit Winrichs 
von Kniprode) ſowie eine deutſche Silbermünze des 12. Ihdts., die mit an⸗ 
gelöteter Schlaufe als Anhänger getragen worden war. 

Unter den übrigen Bronze: und Eiſenbeigaben finden ſich zahlreiche 
Stücke, die ſchon in der ſpätheidniſchen Zeit (Bezzenberger, Periode H) ge⸗ 
bräuchlich waren; die meiſten ſind jedoch für die I-Stufe bezeichnend, jo nament⸗ 
lich die zahlreichen Ringfibeln mit glattem (Abb. 151) oder gewölbtem Bügel 
(Abb. 15h), auf dem ſich teilweiſe ſchon chriſtliche Inſchriften wie AVE MARIA 
(Abb. 16f) oder AMOR VINCIT finden; ferner die zahlreichen hufeiſenfibeln 
mit geflochtenem Bügel und barock entarteten Drachenkopfenden (Abb. 15 g), 
während Formen mit geſchwollenen Enden, mit gedrehtem Bügel (Abb. 15 a, f), 
mit Mohnkopf- (Abb. 15 c), Rollen: (Abb. 15 b) oder Stollenenden (Abb. 15a, e 
und 17d) bereits der Wikinger: und ſpätheidniſchen Zeit geläufig find. Aud 
zierlich durchbrochene kreuzförmige Unhänger deuten auf chriſtliche Einflüſſe, 
nicht minder eine flache, ſcheibenförmige Bronzeplatte, die in primitiver 
Linienführung die Figur eines bewaffneten Mannes mit erhobenem Arm, 
der durch feine Tracht und ein Kreuz auf der Bruſt offenbar als Ritter 
gekennzeichnet werden ſoll, zur Darſtellung bringt (Oberflächenſtreufund 
auf dem Gräberfeld). 

fin Bronzeſchmuckſachen find ferner vertreten: 

Halsſpiralen (fog. „Totenkronen“), die aus 3 Drähten zuſammengeflochten 
ſind (Abb. 171); 

maſſige Urmſpiralen mit Strichverzierung (Abb. 17b) oder aus ſchmalem 
kantigem Draht; 

geflochtene Urmringe mit platten, punktverzierten Endzungen oder glatte 
Armreifen von der Form Abb. 17, Singerjpiralen (Abb. 160) und Singer 
ringe der verſchiedenſten Form, unter denen für die I-Stufe beſonders 
charakteriſtiſch ſind ſolche mit teilweiſe geflochtener (Abb. 166, d) oder 
geferbter (Abb. 16 b) Schauſeite ſowie ſolche mit blaſenförmigem hohlkopf, 
in dem ein Steinchen klappert. („Klapperringe“, Abb. 16e); 

in Bronzeblech gefaßte Bärenklauen mit anhängenden dreieckigen Klapper— 
blechen (Abb. 161); 

bronzene Schellen mit kreuzförmigem Schlitz (Abb. 161); 

blaue Glasperlen. 

An Eiſenwaffen find den Toten nur eiſerne Streitarte (Abb. 18 a, b), 
Canzenſpitzen von frühordenszeitlicher Form (Abb. 18c—e) ſowie ordens— 
zeitliche vierkantige Pfeilſpitzen mitgegeben. In den Schaftlöchern und Tüllen 
der erſteren fanden ſich teilweiſe noch Reſte von Stielen aus Birkenholz. 

An Ausrüſtungsgegenſtänden finden fic) ferner: Eiſerne Meſſer und 
Dolche mit hölzernen oder bronzedurchwirkten Lederſcheiden (Abb. 17a), 
eiſerne Gürtelſchnallen verſchiedener Form, Seuerſtahl verſchiedener Formen 
(3. B. Abb. 17e), Trinkhörner mit bronzenen Kandbeſchlägen (Abb. 16a), 
Waagebalken, tönerne Spinnwirtel und ovale Wetzſteine, ſchließlich Ketten 
aus Bronzedraht (Abb. 16m). 

Beſonders erwähnenswert find ferner zwei goldene Singerringe von 
glatter Reifenform und mehrere ſilberne, 3. T. verzierte Gürtelbeſchlags— 
platten, ſchließlich zwei völlig erhaltene Beigefäße (frühordenszeitliche Dreh— 
ſcheibenkeramik) und mehrere Scherben. 

Mannus, Jeitſchrift für Vorgeſchichte, VIII. Erg.-Bd. 8 


—— 


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[18 


Carl Engel 


114 


19] Zur Dorgeſchichte der Kuriſchen Nehrung 115 


Ob die ebenfalls auf dem Friedhofe gefundenen Feuerſteinſplitter wirk⸗ 
lich zu den Gräbern gehören, erſcheint mir nicht ſicher, obwohl keineswegs 
unmöglich; doch könnten fie auch aus einer älteren Siedlungsſchicht, die zu: 
fällig am gleichen Platze lag, ſtammen. 

Als beſonders eigenartiger Fall verdient eine Beobachtung angeführt 
zu werden, die auf ein Tieropfer ſchließen läßt: An der einen Ede des Sried- 
hofes fand ſich eine Brandgrube, in der mit holzkohlen vermiſcht zahlreiche, 


Abb. 17. Beigaben aus Grab 29 (a — e) des frühordenszeitlichen Friedhofs Stangen⸗ 
walde. — f) ohne Grab-Mummer (1: 3) 


a) Meſſerſcheide aus Leder, mit ſternförmigen Verzierungen aus Bronzedraht (Inv. 10 922). 

b) Armipirale aus Bronze, darin noch ulna und radius (Inv. 10913). e) Bronzenes Arm⸗ 

band (Inv. 10915). d) Bronzene hufeiſenfibel mit gedrehtem Bügel, Endſtollen und Ge⸗ 

webereſten (Inv. 10916). e) Seuerſtahl (Eiſen) (Inv. 10 924). f) Bronzene Halsſpirale 
mit haken und (abgebrochener und fehlender) Oſe (Inv. 11139) 


teilweiſe kalzinierte Tierknochen lagen, u. a. Beckenknochen und Rippen vom 
Pferd ſowie Unterkiefer und Gelenke vom Edelhirſch. 


Weitere Sunde der I-Stufe, die aus zerſtörten Gräberfeldern ſtammen 
dürften, liegen von folgenden Nehrungsorten vor: 

Lattenwalde: Ring: und Hufeijenfibeln, geflochtene und gedrehte Singer: 
ringe, ein dreiöſiger bronzener Riemenverteiler (vielleicht wikinger⸗ 
zeitlich?), mehrere eiſerne Streitäxte, Canzenſpitzen, Steigbügel, Sporen, 
Sichelmeſſer, Schnallen. 

Korallenberge bei Roſſitten: hufeiſenfibeln mit Drachentopfenden, Bron- 
zeſchellen mit Kreuzſchlitz, Anhänger mit Bärenklaue. 

Roſſitten: Spätheidniſche und frühordenszeitliche Canzenſpitzen, frühordens— 
zeitliche Drehſcheibenkeramik, Perlen und Doppelperlen aus Bronze, 

Ch 


116 Carl Engel [20 


Bernitein und blauem Glas, bronzener Riemenjentel, Seuerjtahl, {pate 

Ring und Hufeijenfibeln, durchbrochene Ringfibeln und Zierſcheiben, 

Bronzeſchellen mit Kreuzſchlitz, Halsipiralen, Klapperring, geflochtene 

Singerringe, Hufeijenfibeln mit Rollen- und Mohnkopfenden ſowie mit 

gedrehten Bügel- und Drachenkopfenden. 

Zwiſchen Pillfoppen und Roffitten: Spätheidniſche und frühordenszeit⸗ 
liche Canzenſpitzen, Schnalle, eiſerner Beſchlag, eiſerne Sargnägel. 

Pillfoppen: Späte eiſerne Trenſe und Meſſerklinge. 

Nördlich Pillfoppen: hufeiſenfibel vom Weſthang des Caſpalege-Berges 

(in Privatbeſitz), wahrſcheinlich Siedlungsfund. 

Zwiſchen Preil und pillkoppen: Späte Ringfibel, Nadel einer Hufeijenfibel. 

Schließlich ſtammen von der Kuri⸗ 
ſchen Nehrung mehrere Bronzege— 
wichte mit Würfelaugen (ähnlich 
Gaerte Abb. 269 c). 

Aus dieſer Jundzuſammenſtellung 
geht hervor, daß die Nehrung im 13. 
und 14. Jahrhundert an zahlreichen 
Punkten von einer zweifellos ſchon 
chriſtlichen Bevölkerung bewohnt war, 
die ähnlich derjenigen von Stangen⸗ 
walde ihre Toten zwar unverbrannt 
in Holzſärgen beiſetzte, im übrigen 
jedoch noch zähe an altheidniſchen Be⸗ 
ſtattungsbräuchen und Grabbeigaben 
feſthielt. 

Vereinzelt läßt ſich der Brauch, den 


Abb. 18. Eiſerne Streitäxte (a — b) und 
en (c—e) vom frühordenszeit⸗ 
lichen Friedhof Stangenwalde. (1:6) 
a) Inv. 1259. b) Inv. 1238. c) Inv. 1213. 


Toten Beigaben mit ins Grab zu 
legen, noch tief bis in die hiſtoriſche 
Zeit hinein verfolgen. Auf den wohl 


d) Inv. 1220. e) Inv. 1222 meiſt zu unter dem Sande verſunkenen 
Dörfern gehörigen, heute an manchen 
Stellen (3. B. bei Pillkoppen) wieder freigewehten Friedhöfen aus neuerer Zeit 
führen die Skelette nicht ſelten Münzen als Beigaben, u. a. auch däniſches 
und ſchwediſches Geld, das von den an der Nehrung geſtrandeten Schiffen 
ſtammen dürfte. 

Übrigens find uns teilweiſe auch die Siedlungsſtätten jener frühordens⸗ 
zeitlichen Nehrungsbewohner bekannt; gleich den ſteinzeitlichen Wohnplätzen 
treten ſie nicht ſelten am Weſthang der Dünenketten in Geſtalt großer Scherben— 
plätze hervor, die mit Bruchſtücken frühordenszeitlicher Drehſcheibenkeramik, 
Ziegelbrocken und Tierknochen überſät ſind (Abb. 14). 

Das Volkstum der Nehrungsbewohner und deren Stammesherkunft 
iſt ſchon mehrfach behandelt worden, am eingehendſten und ſachlichſten von 
Adalbert Bezzenberger, deſſen Buch über die Ruriſche Nehrung!) nicht 
nur durch zahlreiche eigene Beobachtungen, ſondern auch durch die erſchöpfende 
Sammlung eines umfaſſenden Urkundenmaterials über die Namen, die ſprach— 
lichen und die Bevölkerungsverhältniſſe der Nehrung in alter und neuer Zeit 
einen unvergänglichen Wert beſitzt. 


1) A. Bezzenberger, Die Kurifche Nehrung und ihre Bewohner. Stuttgart 1889. 


21] Zur Vorgeſchichte der Ruriſchen Nehrung 117 


Die heutigen Bewohner der Nehrung ſind völkiſch und ſprachlich ſtark 
gemiſcht: auf dem Südteil (bis zur Candesgrenze nördlich Pillkoppen) über⸗ 
wiegen Deutſche, auf dem Nordteil bilden Litauer und lettiſche Kuren einen 
nicht unerheblichen Anteil der Bevölkerungsziffer. hiſtoriſch laſſen ſich außer⸗ 
dem (beſonders auf dem Südteil der Nehrung) zahlreiche altpreußiſche Sa- 
milien nachweiſen. 

Für die Frage nach der Urbevölkerung der Nehrung ſcheiden die erſt 
ſeit der Ordenszeit zugewanderten Deutſchen und Litauer!) von vornherein 
aus. Es bleibt alſo nur die Frage, ob die vorgeſchichtlichen Bewohner der 
Nehrung Altpreußen oder Kuren geweſen ſind. 

Bezzenberger hat dem Ruriſchen Volkstum und der kuriſchen Sprache 
auf der Nehrung ſehr eingehende Unterſuchungen gewidmet und iſt zu dem 
Ergebnis gekommen, daß die kuriſchen Dialekte auf der Nehrung zum Teil 
recht altertümlich ſind. Um ſo ſchwieriger ſchien ihm die Erklärung der 
kuriſchen Einwanderung, da er noch in dem Irrtum befangen war, daß 
ſowohl die Nehrung wie das angrenzende Memelgebiet, ja ſogar das 
ganze nordöſtliche Oſtpreußen in jungheidniſcher Zeit von einer litauiſchen 
Urbevölkerung bewohnt geweſen ſei. Dieſer Irrtum iſt inzwiſchen durch 
G. heinrich⸗mortenſen) und Pp. Karge!) gründlich berichtigt worden, 
die auf Grund archivaliſcher Quellen einwandfrei nachgewieſen haben, daß 
in allen dieſen Gebieten Litauer erſt ſeit und nach der Ordenszeit ein: 
gewandert ſind. 

Vorgeſchichtlich bildet das ganze Memelgebiet mit dem ſüdlichen Kurland 
zuſammen ſeit dem zweiten nachchriſtlichen Jahrhundert eine einheitliche, 
ſcharf umgrenzte Kulturprovinz, deren Südgrenze durch den Memelſtrom 
gebildet wird, ja teilweiſe noch deſſen Südufer umfaßt!). Da dieſe „memel⸗ 
ländiſche Rüſtenkultur“ in Lettland in frühgeſchichtlicher Zeit unmittelbar in 
die kuriſche ausmündet5), jo darf fie wohl ohne Bedenken als „altkuriſch“ be: 
zeichnet werden, zumal noch andere ſehr weſentliche Argumente für dieſe 
Gleichſetzung ſprechen: einmal die nahen ſprachlichen Beziehungen, die Bleſe 
zwiſchen dem Altkuriſchen und Altpreußiſchen ermittelt hats); ſodann der 
geſchichtliche Nachweis, daß zu Beginn der Ordensherrſchaft Letten im ganzen 
Nordteil des Memelgebietes anſäſſig waren?); ſchließlich die zahlreichen alt— 
kuriſchen Ortsnamen, die ſich in dieſem Gebiet findens) (3. B. bedeutet 


1) D. Rarge, Die Litauerfrage in Altpreußen in geſchichtlicher Beleuchtung. Königs 
berg 1925. — G. Hheinrich-Mortenſen, Beiträge zu den Nationalitäts- und Siedlungs— 
verhältniſſen von Preußiſch Litauen. Berlin-Rowawes 1927. 

. Anm. 1 oben und A. Bezzenberger, Bemerkungen zu dem Werke von 
H. Bielenitein, Über die ethnolog. San des Lettenlandes. Bulletin de PAcadémie 
Imperiale des Sciences. Nouvelle Série IV (XXXVI). St. Petersburg 1895. — Derſelbe, 
Tettiſche Dialett-Studien. Göttingen 1885. — Derſelbe, Über die Sprache der preußiſchen 
Letten. Göttingen 1888. 

3) Dal. Anm. 1 oben. 

) Dal. die Karte Abb. 6 in C. Engel, Beiträge zur Gliederung des jüngſten heid— 
niſchen Zeitalters in Oſtpreußen. Bericht üb. d. II. Balt. irchäologenkongreß. Riga 1031. 

) Dal. S. Balodis, Lettiſche Vorgeſchichte, S. 89 ff. in „Die Letten“, Riga 1950. 
Semer in Aue ſenci, Daugava 1928 und Senlatviedi, Daugava 1920. 

Bleſe, Catvie-u perſonu värdu un HAD irdu ſtüdijas. Riga 1929. 

5 Karge wie Anm. 1 oben 

) Dal. p Lorenz, Das Nlemelland im Kampf um die deutſche Sprache. In: Mutter: 
ſprache, Seitjrbrift des deutſchen Sprachvereins, 45. Ig., heft 11 (November 1950), S. 387 f. — 
Don bejonders jchlagender Beweiskraft für die Gleichſetzung der Memelländiſchen Küſten— 
kultur mit dem Kuriſchen Dollsjtamme iſt auch ein Dergleich der von Engel (vgl. Anm. 4 


118 Carl Engel [22 


Klaipéda kuriſch „Slachgrund“; Nimerjatt lettiſch nemers = Unfriede und 
ſata = Umzäunung). Schwierigkeiten nach dieſer Richtung hin bereiten allein 
die im ſüdlichen Memelgebiet geſchichtlich bezeugten Schalauer, die man auf 
Grund allerdings recht ſpärlicher Sprachreſte dem altpreußiſchen Volke zuzählen 
will !). Die vorgeſchichtlichen Zeugniſſe ſprechen freilich entſchieden gegen 
dieſe Huffaſſung: kulturell gehört — wie ſchon Oudler erkannte?) — das 
vorordenszeitliche Schalauergebiet durchaus der „memelländiſchen Küjten- 
kultur“) an. 

Wie aber auch künftige §orſchungen dieſen Widerſpruch aufhellen werden, 
für die Klärung der vorgeſchichtlichen Bevölkerungsverhältniſſe auf der Neh⸗ 
rung bildet er keine Schwierigkeit, da ja, wie wir geſehen hatten, das ihrer 
Nordſpitze gegenüberliegende Sejtland auf Grund ſprachgeſchichtlicher, hiſto⸗ 
riſcher und vorgeſchichtlicher Jeugniſſe übereinſtimmend als altkuriſches Ge: 
biet angeſehen werden muß. Ziehen wir ſchließlich in Betracht, daß die auf 
dem Nordteil der Nehrung gefundenen Altertümer der Dolfermanderungs- 
und Wikingerzeit (Abb. 13a—c, f) eindeutig der altkuriſch⸗memelländiſchen 
Rüſtenkultur angehören, jo ergibt ſich, daß wenigſtens ſeit dem 8. Ihdt. auf 
dem Nordteil der Nehrung (nach Süden zu wenigſtens bis in die Gegend von 
Pillkoppen) Kuren gewohnt haben. Daß dagegen der Südfuß der Nehrung 
von Hltpreußen bewohnt geweſen zu ſein ſcheint, machen die in der „Gegend 
der lehmernen Töpfe“ bei Lattenwalde gefundenen B-Sibeln wahrſchein⸗ 
lich, die, wie zu erwarten, der benachbarten ſamländiſchen Kultur angehören. 
Nur für die Gegend zwiſchen Kunzen und Pillkoppen muß eine Entſcheidung 
über die kulturelle Zugehörigkeit in vorgeſchichtlicher Zeit der Zukunft über⸗ 
laſſen bleiben, da zur Beurteilung geeignete Sunde aus dieſem Ubſchnitt bis- 
her nicht vorliegen. Jedenfalls ergibt ſich aus dieſen Betrachtungen, daß 
die Stammesbezeichnung „kuriſch“ für die Urbewohner der Nehrung durch⸗ 
aus zutreffend iſt, wenn fie auch heute zum größten Teile längſt einge⸗ 
deutſcht ſind. 

Nur wenige Worte ſeien in dieſem Zuſammenhang der Vorgeſchichte 
des Kuriſchen haffes gewidmet. Aud) dieſe Waſſerfläche hat ihre eigene 
vorgeſchichtliche Glanzzeit, die mit dem Namen der Wikinger untrennbar 
verknüpft ijt. Die zahlloſen Wikingerfunde, die überall im Küftengebiet des 
Kurifchen Haffs, ganz beſonders aber auf den altbaltiſchen Friedhöfen des 
Memelgebietes, am Unterlauf der Memel und im öſtlichen Samland gemacht 
worden find4), find ohne Zweifel auf die überaus rege Handelstätigkeit zurück⸗ 
zuführen, die die Wikinger auf dem Kurifchen Dote ausgeübt haben. Eine 
ihrer feſten Niederlaſſungen, die offenbar mehrere Jahrhunderte lang von 
N beſiedelt geweſen iſt, iſt uns in dem großen Wikingergräberfeld in der 


oben) gegebenen Derbreitungskarte der Memelländiſchen Küſtenkultur mit der von 
K. Buga (vgl. Streitberg- Seitgabe, Leipzig 1924, S. 22—35 und Aisciy praeitis vietu 
vardy Sviesoje. Kaunas 1924) auf Grund ſeiner ſprachlichen Unterſuchungen gezeichneten 
Karte der altbaltiſchen (aiſtiſchen) Stämme um's Jahr 1201. Auf beiden Karten decken 
ſich die fraglichen Gebiete faſt völlig. 
G. Gerullis, Baltiſche Dalter in 1 Realler. I. S. 335 ff. — R. Trautmann, 
Die date Perjonennamen. Göttingen 1925. 
Dal. Tiſchler in zu Pbyf. Ofon. "Bel XVIIL, S. 253 ff. 
3) Dal. Anm. 4 8. 11 
1) Dal. die Karte 1110 Sundverzeichnis Abb. 5 in C. Engel, Beiträge zur Gliederung 
des jüngſten heidniſchen Zeitalters in Oſtpreußen. Bericht über den zweiten baltiſchen 
AUrchäologenkongreß. Riga 1931. 


23] Zur Vorgeſchichte der Kurifden Nehrung 119 


Kaup bei Wiskiauten!) erſchloſſen worden; der in ihr gelegene große Beitat- 
tungsplatz birgt neben einer Unzahl einheimiſcher Gräber aus den verfchie- 
denſten Abjchnitten der altpreußiſchen Vorzeit?) auch zahlreiche rein ſkandi⸗ 
naviſche Grabhügel mit Brandbeſtattung. Daß die Wikinger auch hier — wie 
faſt überall — nicht die offene Meeresküſte, ſondern einen geſchützten Binnen⸗ 
hafen als Candungsplatz bevorzugt haben, geht aus einem Blick auf Heß von 
Wichdorffs Karte des ehemaligen Cranzer Tiefs (Abb. 19) deutlich hervor. 
Wie erſichtlich, reichte in früherer Zeit das Kuriſche Haff weit in die Beet 
mündung hinein bis unmittelbar an den Sub jenes höhenrückens, den die 
Kaup krönt. Wie bereits oben erwähnt, ijt leider vorerſt nicht zu entſcheiden, 
ob das Cranzer Tief zu jener 
Zeit bereits verlandet war, 
oder ob dort noch eine offene 
Einfahrt zwiſchen Meer und 
e See Haff beitand. Sollte das letz⸗ 

7 tere der Fall geweſen fein, jo 
wäre der Wikingerkolonie bei 
Wiskiauten als Stützpunkt und 
Sicherung für die Einfahrt ins 


DCH Chem. Cremer Tief — — Crenrzer Dahn 


u + Abb. 20. Geweihhade, gefunden 
ut, Ges Fee ht: GEES bei Pillfoppen (im "di des 


Abb. 19. Karte des Cranzer Tiefs und der Lage der Pfarrers Hildebrand, Roſſitten) 
Kaup b. Wiskauten. Ergänzt nach Heb v. Wichdorff (etwa 1:4) 


Haff eine beſondere Bedeutung zugekommen. Doch muß die Entſcheidung 
auch darüber der Zukunft überlaſſen bleiben. 

Übrigens fällt durch einen erſt in jüngſter Zeit in der Kaup beim Stubben⸗ 
roden gemachten Wikingergrabfund neues Licht auf die handelsbeziehungen, die 
die Wikinger zwiſchen Samland und Kurland angebahnt hatten. Zuſammen mit 
zwei Wikingerlanzenſpitzen, einem ſilbertauſchierten, mit Inſchrift verſehenen 
Wikingerſchwert des 10. Jhdts., einem eiſernen Meſſer und einer bronzenen 
Hufeiſenfibel mit Stollenenden fand ſich eine breite, flache Urmbruſtfibel mit 
ſchmalem Tierkopffuß (ähnlich Aberg, Oſtpreußen in der Dölkerwanderungs— 
zeit, Upſala 1919, Abb. 200 und Katalog der Ausitellung zum X. archäologiſchen 
Kongreß in Riga 1896, Taf. 6, Abb. 5) von echt memelländiſcher bzw. fur: 


1) heudeck in B. P. XIX, S. 71ff, XXI, S. C0ff. 
2) Dal. Hollad, Erläuterungen S. 184ff. 


120 Carl Engel [24 


P) Rossitten 


Horallen Berge 


I Stengenwald 
Neu Lallenwald 


4 AU Ladlenuakle 
Lseisse Berge 
CT sarhat gurisches 


Half 


* ssleinzeilicher Siedlungsplata 4°Cinaelfund od. Zonge a. vorchristl. Eisenzeit 
00 = H  Shelettfund tlirdberleld der nachehr. Eisenzeit 

T = Bern sleinfund BSvedlung " " e 

% = Burgual t= Lirabervedd der frühen Ordenszeit (J Stufe) 


Abb. 21. Karte der vorgeſchichtlichen Sundpläke auf der Ruriſchen Nehrung. Ergänzt 
nad) hollack 


25] Zur Vorgeſchichte der Kurifchen Nehrung 121 


ländiſcher Art: das erſte aus dem Samland bekannt gewordene Einfuhrſtück 
dieſer Art. 


Nachtrag. 


Erſt nach UÜbſchluß der Arbeit werde ich auf einen wichtigen Fund auf: 
merkſam, der gerade das bisher fo ſpärliche Sundmaterial aus der vorrömiſchen 
Eiſenzeit der Nehrung in willkommener Weiſe bereichert: im Provinzial⸗ 
Muſeum zu halle liegen 2 bronzene Mittellatenefibeln, die wohl mit der 
Laténefultur des benachbarten Samlandes in unzweideutigem Zuſammen⸗ 
hang ſtehen dürften!) . 

In der Münz⸗Sammlung des Pruſſia-Muſeums konnte ich nachträglich 
noch einen weiteren Fund ermitteln, der bei dem bisher ſo ſpärlich bekannt 
gewordenen kaiſerzeitlichen Material für die Beſiedlungsgeſchichte der Nehrung 
von Wichtigkeit iſt. Es handelt ſich um eine durchlochte römiſche Bronze— 
münze des Kaijers Trajan, die im Haff bei Schwarzort gefunden wurde 
(O. P. M. 8474). 


1) Dol Roſtrzewſki, Die oſtgermaniſche Kultur der Spätlatenezeit II (Mannus⸗ 
(k. Bel) Leipzig 1919, S. 84. — Zeitſchrift für Ethnologie 1911, S. 787, Nr. 509—570 
(R. Beltz). 


TCiteraturabkürzungen. 


B. p. Sitzungsberichte der Altertumsgefellfchaft Pruſſia, Königsberg Iff. 

Gaerte = W. Gaerte, Urgeſchichte Oſtpreußens, Königsberg 1929. 

hollad, Erläuterungen — = €. Hollad, . zur vorgeſchichtlichen Überſichtskarte 
von Oſtpreußen, Berlin-Glogau 1908. 

an Karte = €. Hollad, Vorgeſchichtliche Überſichtskarte von Oſtpreußen. Berlin: 

ogau 1908. 

Schrift. an Gef. = Schriften der Phuſikaliſch⸗Okonomiſchen Geſellſchaft, Kö- 

nigsberg 1 


Die Majurenfahrt 
(29. bis 31. Juli 1930) 
Don Landesgeologen Prof. Dr. Heß von Wichdorff 


Nach der Tagung in Königsberg mit ihren Ausflügen nach der Samland- 
Steilküſte und nach der Kurijchen Nehrung begann am Dienstag, den 29. Juli 
die dreitägige Reiſe nach dem Süden der Provinz, die den Teilnehmern die 
maſuriſchen Seen zeigen und gleichzeitig einen möglichſt vielſeitigen Eindruck 
von Land und Leuten in Maſuren übermitteln ſollte. Nach 3°/, ſtündiger 
Eiſenbahnfahrt von Rönigsberg aus langten wir um 2 Uhr in Ungerburg, 
der „Pforte Maſurens“, an. Autos führten uns zu dem idulliſch am Schwen- 
zaitjee, einer Seitenbucht des großen Mauerſees, im Kiefernwald gelegenen 
Kurhaus Jägerhöhe, wo Mittagsraſt gehalten wurde. Unweit davon an der- 
ſelben Seebucht ragt hoch auf einem der ſteilen Randberge der eindrucksvolle 
Heldentirdhof am Schwenzaitſee, in feiner Cage und Anlage einer der ſchönſten, 
wenn nicht der ſchönſte. Von hier ſchweift der entzückte Blick über den viel⸗ 
armigen, im Sonnenglaſt ſtrahlenden Mauerſee, an deſſen Ufern im Winter 
1914/15 jo zähe Kämpfe mit den in Oſtpreußen eingedrungenen Rullen ſich 
abſpielten. Gerade hier am Wege von Jägershöhe nach dem heldenkirchhof 
gaben deutlich wahrnehmbare, hoch über dem heutigen Waſſerſpiegel gelegene 
ältere Seeterraſſen dem unterzeichneten Führer Deranlaſſung, in kurzen 
Umriſſen ein geologiſches Entſtehungsbild des Mauerſeebeckens zu entwerfen. 
Dieſe alten Seeterraſſen am Steilufer des heutigen Sees find Wafferftands- 
marken des einſt viel höheren diluvialen Mauerſeebeckens, ehemalige Ufer: 
ränder eines viel gewaltigeren eiszeitlichen Staufees, deſſen Waſſerſpiegel 
etwa 15 m höher als jetzt lag. Innerhalb dieſer Terraſſen, die der eiszeitlichen 
Uferſchar — was man heute Badeſtrand nennt — entſprechen, findet man 
ausgeſtorbene eiszeitliche Schnecken und Muſcheln bei Aufgrabungen in den 
einzelnen Schichten. Bei Jeſziorowken am Goldapgarſee konnte im Jahre 
1906 in den gleichen Schichten ſogar ein foffiler Barſch — der älteſte Fiſch 
Maſurens — geborgen werden. Nach den jetzigen geologiſchen Unſchauungen 
war dieſes älteſte Mauerſeebecken rings von Eismauern umgeben. Erſt in 
der endgültigen Abſchmelzperiode des Inlandeiſes fiel der Waſſerſtand dieſes 
ausgedehnten Seebedens ruckweiſe annähernd bis auf das gegenwärtige 
Niveau, ſogar noch 3 m tiefer. Un Stelle des einheitlichen großen Mauerſee— 
beckens traten nunmehr viele, durch breite Landzungen getrennte Einzelſeen 
hervor, die ſich bis in geſchichtliche Jeit hinein erhielten. Jeder dieſer einzelnen 
Seen beſaß ſeinen eigenen Namen (Mauerſee, Schwenzaitſee, Groß-Strengeler 
See, Goldapgarſee, Kirſaitenſee uſw.). Im Mittelalter oder ausgangs des— 
ſelben wurde nun das engere Mauerſeegebiet um eine Lanzenlänge (5 m) 
wieder künſtlich angeſtaut, um den Burggraben, der das Ordensſchloß Unger— 
burg umgab, mit Waſſer zu ſpeiſen und vor allem der dortigen Ordensmühle 
ein ſtärkeres Gefälle zu verleihen. Die Einzelſeen wurden durch dieſe künſt— 


2] Die Mafurenfabrt 123 


liche Aufitauung wieder offene Buchten des Mauerſees, die Namen der einzelnen 
urſprünglichen Seen haben ſich aber bis heutigentags erhalten. Der gegen: 
wärtige Mauerſee ſtellt demnach bereits das dritte Stadium in der Entwicklung 
dieſes Seebeckens dar. 

Ein flinkes Motorboot brachte die Teilnehmer bei herrlichem Sonnen- 
ſchein auf fröhlicher Waſſerfahrt von Jägershöhe nach der idulliſchen Inſel 
Upalten inmitten des Mauerſees. Unterwegs boten zunächſt die unendliche 
Fülle und der auffällige Urtenreichtum der Vogelwelt des Mauerſees den 
zahlreichen zoologiſch geſchulten Teilnehmern lebhafte Anregungen. Man 
gedachte des bedeutenden Dogeltenners, der in Stobben am Mauerſee wohnt, 
des Lehrers August Quednau, der gleichzeitig überhaupt ein hervorragender 
Mauerſeeforſcher ijt. Im Jahrgang 1929 (Band 21, S. 185—186) des Mannus 
hat der Unterzeichnete eines ſeiner ſchönen Mauerſeebücher lobend beſprochen, 
in dem er den wiſſenſchaftlich ſehr wichtigen Nachweis der weiten Verbreitung 
von §ladmoortorf-Ablagerungen auf dem Grunde des Mauerſees — und 
zwar gerade in den oben erwähnten vom Aufitau betroffenen Gebieten inner: 
halb der 3 m-Waſſerkurve — erbringt. Das Vorkommen dieſes Unterſee⸗ 
torfes ſpricht am ſchlagendſten für den ſpäteren künſtlichen, 3 m hohen Aufitau. 
Allmählich rückte bei lebhaften Beobachtungen und bei vielſeitigem Gedanken⸗ 
austauſch der Teilnehmer die herrlich bewaldete Inſel Upalten immer näher. 
Der Landungsiteg an der Inſel zeigt im ganz flachen Waſſer die unterſeeiſchen 
ausgedehnten Charawieſen, zuſammenhängende Teppiche von Kalkalgen oder 
ſog. Urmleuchtergewächſen. Ihr hoher Kalkreichtum (50 Prozent der Pflanze 
beſtehen aus kohlenſaurem Kalk) lagert ſich beim alljährlichen Abjterben und 
Derwefen im Waſſer unter Luftabihluß als gelblichweiße bis ſchneeweiße 
Seekalklager in unſeren Seen ab. Solche Seekalkabſätze ſah man am Landungs⸗ 
ſteg zwiſchen den Charazeen auf dem Seeboden hellgelb aufleuchten. Die 
Seen verkalken allmählich. Derfaſſer verglich dieſe merkwürdige Seen-Erſchei⸗ 
nung ſcherzhaft mit der in höherem Alter beim Menſchen auftretenden Arterien: 
verkalkung. Er wies ferner darauf hin, daß nicht nur dieſe Kaltalgen, ſondern 
auch alle anderen an den Seeufern entlang wachſenden Sumpfpflanzen, 
die ſcharf getrennte, beſtimmte Pflanzengürtel — auch um die Inſel Upalten 
herum — bilden, ebenfalls einen hohen Kalkgehalt aufweiſen (das Sumpf— 
rohr, der Kalmus, Binſen, der Froſchbiß, die Ranadiſche Waſſerpeſt uſw.). 
Woher der in dieſen Sumpfpflanzen aufgeſpeicherte hohe Kalkgehalt kommt, 
wurde gleichfalls erörtert. Der Regen wäſcht den Kaltgehalt an den hohen 
Steilufern der Seen teils aus dem Lehmmergel (9—12 Prozent Kalk), teils 
aus den groben Kiejen (bis 20 Prozent Kalk) aus, löſt ihn auf und trägt das 
kalkhaltige Waſſer in den See. Zwar wird durch den auf die Seeoberfläche 
ſelbſt fallenden Regen dieſer eingeſchwemmte Kalkgehalt ſtark verdünnt, 
andererſeits wird er durch die Derdunſtung des Oberflächenwaſſers an warmen 
und windigen Tagen wieder erheblich konzentriert. Die Waſſerverdunſtung 
unſerer maſuriſchen Seen iſt recht bedeutend. Nach längeren Trockenperioden 
pflegt der Waſſerſpiegel der Seen, am Ufer deutlich wahrnehmbar, zu fallen 
(15—40 em). Letztere hohen Beträge waren natürlich nur in bejonders 
trockenen Sommern (1911 und 1921) zu beobachten. Der ſtarke Kalfgebalt 
unſerer Seen bedingt nun, daß ſich kalkliebende Pflanzenarten (wie die oben 
erwähnten) an den Ufern unſerer Seen mit Vorliebe anſiedeln — man be: 
trachtet ſie nur aus Unkenntnis als einfache Sumpfpflanzen, während in 
Wirklichkeit nur der hohe Kalfgehalt des Waſſers jie anlodt und jo üppig 


124 Heß von Wichdorff [3 


gedeihen läßt. Aud) den Zoologen unter den Teilnehmern ward die Bedeutung 
dieſes hohen Kaltgehaltes biologiſch klar durch die unendliche Menge von 
Schnecken und Muſcheln am Strande. Ohne ſtarken Kalkvorrat für den Aufbau 
der Gehäuſe und Schalen wäre ein fo ſtarkes Konchulienleben undenkbar. 
Nach dieſen wiſſenſchaftlichen Auseinanderjegungen, die Manchem Neues 
boten und die Kenntnis der maſuriſchen Seen vertieften, ging es dann ans 
Land. Tiefer Schatten vielhundertjähriger Bäume umfing uns und unter 
den gewaltigen Domen hoher Ulmen- und Eichenalleen ſchritten wir welt- 
entrückt langſam dem Inneren des kleinen Eilandes Upalten zu. Eine Kaffee- 
tafel im gemütlichen Inſel-Gaſthaus erfriſchte uns und fröhliche Stimmung 
herrſchte allenthalben. Nach einer prächtigen Fahrt um die ganze Inſel 
Upalten — die ſchon tiefſtehende Sonne zauberte bereits tiefviolette Schatten 
auf die randlichen Seeteile von den bewaldeten Ufern aus — trug uns dann 
das große Motorboot über den nördlichen Teil des Mauerſees in die Mündung 
des Angerapp-Sluffes hinein und zwiſchen grünenden Moor- und Wieſen⸗ 
flächen und Sumpfwald-Partien wieder nach Ungerburg zurück. 

In Ungerburg geweſen ſein und keinen klal gegeſſen haben iſt beinahe 
ſo undenkbar, wie in Rom geweſen zu ſein, ohne den Papſt geſehen zu haben. 
Unfer herr Erſter Vorſitzer Geheimrat Roſſinna machte uns daher ſogleich 
bei der Landung am altersgrauen Ordensſchloß Ungerburg darauf aufmerkſam, 
daß der Name des Fluſſes Angerapp der altpreußiſchen Sprache entſtamme 
und „Hal-Sluß“ bedeute (anger = Aal, ape = Fluß). Der Name der Ordens⸗ 
burg und der Stadt Angerburg fei demnach Aal-Burg. Herr Bürgermeiſter 
Caudon aus Angerburg zeigte uns dann noch den altberühmten „Aalfang“ 
am Schloſſe Angerburg, der ſchon im Mittelalter einen großen Ruf in den 
Ordenslanden genoß und, wie der Name des Fluſſes verrät, bereits längſt ſchon 
der heidniſch-preußiſchen Urbevölkerung der Gegend bekannt war. Das war 
„die wiſſenſchaftliche Einführung“ zu dem, was nachher kam — dem ge— 
waltigen „fHaleſſen“, das bald danach im hotel anhub und in einen äußerſt 
vergnügten Abend im Kreiſe einer Reihe einheimiſcher Stadtväter unter Füh⸗ 
rung des gewandten Bürgermeiſters Laudon auslief. Es waren ungemein 
anregende Stunden in der biederen, aufſtrebenden Stadt Angerburg an der 
Eingangspforte Maſurens. Die Begrüßungsrede des herrn Bürgermeiſters 
und die Antwort unſeres Erſten Dorfigers folgen in ihrem Wortlaute am 
Schluſſe der Beſchreibung der „Maſurenfahrt“ (S. 132). 

Am Morgen des 30. Juli begann dann die große Dampferfahrt auf den 
maſuriſchen Seen, die den Teilnehmern einen großen Teil Maſurens in der 
Kürze der gegebenen Zeit zeigen ſollte. Dom alten Ordensſchloß Angerburg 
ging es wieder bei ſchönem Wetter durch den Angerapp-Sluk hinaus auf den 
Mauerſee. Wieder trat die Einrichtung in Tätigkeit, daß da, wo landſchaft— 
liche Schönheiten zu beobachten waren, der Hauptwert auf die eigenen Ein— 
drücke der Teilnehmer gelegt wurde. Nur in Pauſen bei weniger reizvollen 
Teilen der vielſtündigen Fahrt, die ohne einheimiſchen Führer leicht ermüdend 
wirken kann, trat dann wieder die Cätigkeit des Unterzeichneten hervor, 
um fortlaufend den Zuhörern ein lebendiges Bild Maſurens, des Landes 
und ſeiner Leute, auch der Kriegsereigniſſe 1914/15 zu vermitteln. Die zahl— 
reichen bewaldeten Inſeln des Mauerſees wurden gezeigt, darunter auch die— 
jenige mit dem klangvollen maſuriſchen Namen „Rermuſa“. Beſonders feſſelnd 
war der Anblick der Inſel Doben, auf deren waldiger Hochfläche gelegentlich 
Waffenfunde aus bisher nicht näher beſtimmter Zeit gemacht worden. Suſte— 


d Die Maſurenfahrt 125 


matiſche ſpätere Ausgrabungen müſſen dieſen wichtigen Punkt noch näher 
aufklären. Weiter wurde dann noch darauf hingewieſen, daß in dieſem Jahre 
400 Jahre vergangen ſind, ſeit zwei Geſchlechter an den Ufern des Mauerſees 
begütert ſind, die Grafen von Lehndorff auf Schloß Steinort und die Freiherrn 
Schenk von Tautenburg auf Doben. Ihnen wurden im Beginn der herzog— 
lichen Zeit die großen Ländereien verliehen, nachdem dieſe Udelsgeſchlechter vor: 
her dem Deutſchen Orden als Ordensritter erfolgreiche Dienſte geleiſtet hatten. 

Schon tauchten die hohen Wälle der Seite Boyen vor Loken auf, der 
im Jahre 1844 erbauten Seftung, die mit ihren neuen Außenwerten im Welt: 
krieg dem Anfturm der Rullen ftandgehalten hat. Am Landungsſteg am Kur: 
haus gegenüber dem alten Ordensſchloß Cötzen vom Jahre 1340 legte der 
Dampfer an. Die Reijeteilnehmer wurden hier namens der Stadt Loken 
von dem Magiſtratsmitglied Stadtrat Jeſek und dem Leiter des ſtädtiſchen 
Nachrichten- und Verkehrsamtes Schriftſteller Gnadt empfangen, die ihre 
Genugtuung zum Ausdrud brachten, daß die Geſellſchaft für deutſche Dor: 
geſchichte Loken beſuche, in dem Profeſſor heß von Wichdorff im 
Jahre 1915 die umfangreiche Ausgrabung des oſtgermaniſchen Gräberfeldes 
an der Kullabrüde bewirkt und im Unſchluß daran im Jahre 1916 gemeinſam 
mit dem Verteidiger der Seite Boyen Oberſt Buſſe und dem Amtsgeridtsrat 
John (jetzt in Berlin-Cichterfelde) das heimatmuſeum der Daterländiſchen 
Gedenkhalle eingerichtet und geſtiftet habe. In der im Marſtallgebäude 
des nahen Ordensſchloſſes Cötzen befindlichen Gedenkhalle nahmen die Maſuren— 
fahrer alsdann neben den zahlreichen kriegeriſchen Andenken aus dem Welt- 
krieg und der Belagerung Lößens 1914/15 vor allem die ein ganzes Zimmer 
einnehmenden Funde von den Ausgrabungen an der Kullabrüde eingehend 
in Augenfcein, die aus der Zeit vom Jahre 50 n. Chr. bis 550 n. Chr. ſtammen 
und ein überſichtliches Bild der oſtgermaniſchen Bevölkerung dieſer Gegend, 
ihrer Waffen und ihres Schmuckes gewähren. Sie ſpiegeln die hohe oſt— 
germaniſche Kultur wider, die ein halbes Jahrtauſend hier in Maſuren zu 
hauje war. Beſonderer Wertſchätzung erfreute ſich auch bei den Beſuchern 
das köſtliche Wikingerſchwert vom Nordufer des Spirdingſees bei Tuknainen, 
das aus der Zeit um 850 n. Chr. ſtammt, und mit Gold, Silber und Kupfer 
tauſchiert ut (vgl. Koſſinna, Mannus, Bd 21, S. 105— 104, ſowie Tafel III). 
Nach einer Mittagspauſe im Kurhaus Lößen rief der Dampfer, um uns 
von der aufſtrebenden Stadt Cötzen weiter nach Süden, nach der Johannis: 
burger Heide hin, zu tragen. Über den breiten Cöwentinſee hinweg, am 
traulichen Dörfchen Rotwalde mit ſeinem weithin ſichtbaren, weißen Kirdytum 
vorbei ging es durch den Saitenſee nach der Kullabrücke, wo vom Dampfer 
aus die Stelle des oſtgermaniſchen Gräberfeldes gezeigt wurde, von dem die 
Funde in der Daterlandijden Gedenkhalle herrühren. Dorbei an den Artillerie— 
ſtänden des Forts Kullabrüde, die im Weltkrieg von Bedeutung waren. Schon 
an der Landungsbrücke in Cötzen trafen wir übrigens eine andere feſſelnde 
Erinnerung aus dem Weltkrieg, den Dampfer Barbara, der unter Leitung 
von Hauptmann Möllmann während der Einſchließung Cötzens mit einer 
10 em-Seſtungskanone bewaffnet, zu einem Kriegsſchiff umgewandelt war 
und eine recht bedeutſame Rolle ſpielte. Mit dieſem Geſchütz von 10 km 
Reichweite war es der winzigen Cötzener Kriegsflotte möglich, überall längs 
der Seefront in ſich entwickelnde Kämpfe einzugreifen, bald in die Gefechte 
bei Ungerburg von einer geſchützten Stellung an der Inſel Upalten aus, bald 
in die Schlacht bei Poſſeſſern und ſchließlich in die wichtige Wiedereroberung 


126 heß von Wichdorff E 


der von der Golk-Blodhauslinie bei Rudczanny. Auf dem Jagodner See, 
den unſer Dampfer dann durcheilte, wandte ſich das Geſpräch wieder natur⸗ 
kundlichen Dingen zu. Das anmutige Spiel der Taucher feſſelte die Teil: 
nehmer und ebenjo der Anblid eines Paares wilder Schwäne. hinſichtlich der 
letzteren wurde darauf hingewieſen, daß auf dem kreisrunden Lufnainer See 
bei Nifolaifen 300 wilde Schwäne in einer Kolonie zuſammen haufen. Dor 
uns tauchte nun das ſchmucke Kirchdorf Schimonken auf und damit gleid- 
zeitig das ſüdliche Ende der großen Seenrinne, die der Dampfer bisher verfolgt 
hatte. Deutlich konnte man den halbkreisförmigen Endmoränenwall vom 
Dampfer aus beobachten, der die Seerinne nach Süden bogenartig abſchneidet. 
Dieſe Töpferberge bei Schimonken haben bei der Einſchließung der Feſtung 
Loken im Winter 1914/15 mit ihren ſchweren Haubitzbatterien die ausſchlag⸗ 
gebende Schlüſſelſtellung der Sejtung gebildet, nachdem am Bußtage 1914 
es den Ruſſen gelungen war, die wichtige Stellung bei Seehöhe durch einen 
Handſtreich einzunehmen. Ungehemmt ſtürmten damals die Ruſſen gegen 
die wenigen Landſturmkompagnien bei Wosnitzen und Gurkeln an, an den 
Töpferbergen bei Schimonken aber ward ihr Angriff erfolgreich abgeſchlagen. 
Aus jenen ſchweren Kampftagen um Schimonken ragt die Heldentat einer 
maſuriſchen Bauernfrau jo ſtrahlend hervor, daß fie, weil faſt ganz unbekannt, 
hier der Dergefjenbeit entriſſen werden mag, auch als Beiſpiel dafür, daß die 
maſuriſchen Frauen ihren auf den heimiſchen Schlachtfeldern und überall 
ſonſt äußerſt tapferen Männern an Mut keineswegs nachſtanden. Der haupt- 
mann und bekannte Dichter Ernſt v. Wohlzogen aus Darmſtadt hatte ſich vor 
der Übermacht der Rullen mit dem Reft feiner heſſiſchen Candſturmkompagnie 
befehlsmäßig nach dem Dorfe Gurkeln zurückgezogen und ſollte ſchleunigſt 
vor den nachrückenden Ruſſen den Schutz der Töpferberge aufſuchen. Die 
höchſte Gefahr war, daß er vorher noch von den Rujjen abgeſchnitten wurde. 
Während ihre blinde Tochter den Hauptmann und feine völlig erſchöpften 
Landiturmleute mit einem ſchon vorſorglich rechtzeitig zubereiteten Eimer 
Kaffee erquidte, fing die greiſe Mutter Gardlo in Gurkeln ihre beiden Fohlen, 
die noch nie einen Wagen gezogen, ein — die älteren Pferde waren ja längſt 
zu Kriegszwecken requiriert worden — und ſpannte die naturgemäß ſtör— 
tijden Jungtiere vor den großen Erntewagen. Und angeſichts der nach— 
dringenden Kuſſen fuhr fie ſelbſt mit fliegenden weißen haaren in Windes- 
eile den Hauptmann und ſeine Leute hinüber nach Schimonken in Sicherheit. 
Echte maſuriſche Treue zum Deutſchtum, die fic) ja auch bei der Abjtimmung 
im Juli 1920 jo glänzend bewährt hat. In bitterer Armut iſt die tapfere 
Greiſin wenige Jahre nach dem Weltkrieg geſtorben. Frau Gardlos Heldenmut 
ſoll aber unvergeſſen bleiben! 

Aus dem Seengebiet heraus zieht nun der Dampfer in einem künſtlich 
in den Jahren 1760—1767 gegrabenen Kanal entlang, in dem ſeine Bug— 
welle die Waſſer am Ufer auf und nieder tanzen läßt. Weite Moorflächen, 
Wieſen und erlenbewachſene Sümpfe begleiten die beiden Ufer, hie und da wird 
ein noch nicht verlandeter Einzelſee durchfahren. Am Großen Schimonſee 
ſehen wir, wie der ſtarke Seekalkabſatz, der durch die üppige Kalfalgenflora 
immer mehr anwächſt, den See zwangsläufig zu einer ſchnellen Derlandung 
bringen will; überall wuchern bereits die Sumpfpflanzen in weiten zuſammen— 
hängenden Beſtänden auf großen Slächen des Sees hoch über den Waſſerſpiegel. 
Dauernde Baggerungen halten zwar noch immer die Sabrtrinne für den Dampfer— 
verkehr frei, aber der Kampf der Natur gegen den aufgelegten menſchlichen 


6] Die Mafurenfahrt 127 


Zwang geht weiter. In abſehbarer Zeit wird auch dieſer See völlig zugewachſen, 
vermoort und verlandet fein und der Kanal wird hier dann ſpäter genau 
durch ſolche Torfmoorwieſenflächen entlang ziehen, wie ſie ſonſt den Schimonker 
Kanal umfäumen. Übrigens ſieht man auch dort, wo der Kanal Moore durd- 
ſchneidet, unter der ſchwarzbraunen Torfdede vielfach ſchneeweißen Seekalk 
aus dem Untergrund hervorleuchten. Noch ein langgeſtreckter See, der Talto- 
wisko⸗See, wird gekreuzt, dann wieder ein kürzeres Stück Kanal, dann geht 
es wieder heraus aus dem Ranalſuſtem auf eine neue große Rinnenjeentette, 
die uns nun bis zum Ende unſerer Fahrt, bis nach Rudzanny, aufnehmen wird. 
Der Blick wandert dem nun erreichten Rheiner Gewäſſer entlang nach Norden 
bis zu ſeinem dortigen Ende, das uns der hochgelegene Kirchturm der Stadt 
Rhein als Candwahrzeichen verrät. Dort liegt auch das hochgelegene Ordens⸗ 
ſchloß Rhein, das im Jahre 1377 von dem bekannten Hodmeijter Winrich 
von Kniprode erbaut wurde und noch mit ſeinen 41% m Starten Grundmauern 
gut erhalten ijt. Die ſtarke Ordenskomturei wurde als feſtes deutſches Boll- 
werk errichtet, nachdem in den Jahren 1361 und 1367 bei den ſchweren Gm: 
fällen des litauiſchen Großfürſten Kinjtute die beiden in Maſuren gelegenen 
Ordensburgen Johannisburg und Eckersberg (am Nordrand des Spirding- 
ſees) zerſtört und weite Flächen bereits beſiedelten und angebauten Landes 
verheert worden waren. Bemerkenswert iſt übrigens der wirtſchaftliche 
Scharfblick Winrich von Kniprodes, der im Unſchluß an den Beſuch der neu 
erbauten Ordensfeſte Rhein im Jahre 1377 eine umfangreiche Waſſerinſpek— 
tionsreije von Rhein entlang erſt auf dem gleichen Wege nach Süden, den wir 
ſelbſt benutzen, dann über den Spirdingſee nach Johannisburg und von da 
die Pilfa und den Narew abwärts bis zur Weichſel und auf dieſer bis nach 
Marienburg unternahm, um ſich ſelbſt von der Möglichkeit der Schiffbar- 
machung dieſer Waſſerſtraße zu überzeugen. Die flache Piſſa ſcheint aber dieſer 
Abſicht ſchwere hinderniſſe in den Weg gelegt zu haben, denn wenig ſpäter, 
in den Jahren 1391 und 1392, finden wir an anderer Stelle, bei dem Ordens— 
ſchloß Willenberg am Omuleffluß in Maſuren, zwei Weichſelkähne urkundlich 
als dort beheimatet erwähnt. Man hatte alſo inzwiſchen die kürzere und 
waſſerreichere Schiffahrtslinie, den Omuleff und den Narew abwärts zur 
Weichſel, vorgezogen. 

Kurz nach der Einmündung des Kanals in das Rheiner Gewäſſer war 
unſer Dampfer über die tiefſte Stelle dieſer Rinnenſeenkette — Waſſertiefe 
51 m — hinweggefahren. Dieſer Umſtand gab Deranlajjung, darauf bm: 
zuweiſen, daß in dieſen großen Tiefen auch in heißen Sommern das Waſſer nur 
wenige Grad Wärme beſitzt. In ſolchen tiefen Seen lebt nun mit Vorliebe eine 
beſondere Siſchart, die Maräne, die wegen ihrer Schmackhaftigkeit beſonders 
geſchätzt wird. Geräucherte Maränen werden als beſondere Delikateſſen von 
den Fremden wie Einheimiſchen namentlich im nahen Städtchen Nikolaiken 
geſchätzt. Auch im Roſchſee bei Johannisburg werden ſie viel gefangen. Unſer 
Dampfer gleitet nun in der Mitte des langgeſtreckten Rinnenſees entlang 
zwiſchen zwei großen maſuriſchen Dörfern Talten und Schaden. Leider 
können wir die für Maſuren fo tupiſchen grauen holzhäuſer mit ihren Stroh: 
oder Schilfdächern und ihrer eigentümlichen Bauart nur aus der Ferne ſehen. 
Bei längerem Aufenthalt in Maſuren würde man gar bald mit dieſen gemüt— 
lichen häuschen, die ſtets mit ihrem Giebel nach der Dorfſtraße ſtehen, vertraut 
werden. Man könnte dann die eigentümlichen hölzernen Giebelzierate, die 
Dachreiter auf den bemooſten Strohdächern, die geſchnitzten Senjterrahmen 


128 heß von Wichdorff 7 


beobachten und, wenn man Glück hat, nod jene hölzernen Haustürriegel an- 
treffen, aus der Zeit vor der Einführung eiſerner Schlöſſer und Schlüſſel. Solche 
heimatkundlichen Studien und die damit zuſammenhängenden Forſchungen über 
das Volkstum der Maſuren erfordern einen längeren Aufenthalt im Lande, 
es ſei daher in dieſer Beziehung auf des Unterzeichneten Buch: „Maſuren, 
Land und Leute“ hingewieſen. — Un bewaldeten höheren Uferbergen, unter 
anderem dem Olzowirog, vorbei find wir bald im maſuriſchen Städtchen Niko— 
laiken gelandet. Nun beginnt der landſchaftlich ſchönſte Teil der Reife. Zur 
Rechten zeigen ſich jetzt die ſtolzen hohen Söhrenwälder der Johannisburger 
heide, ſtellenweiſe als Miſchwald mit weißſtämmigen Birken und duntel: 
grünen Erlen durchſetzt, der größte zuſammenhängende Forſt Deutſchlands, 
der von 22 Oberförſtereien und 88 Sörftereien gehegt und bewirtſchaftet wird. 
Der Dampfer gleitet zwiſchen vielen Segelbooten hindurch, denn hier iſt der 
Segelſport, ebenſo wie in Lößen und Angerburg, hochentwickelt. Nach einer 
köſtlichen halben Stunde Fahrt biegt der Rinnenſee jäh rechtwinklig nach Süd⸗ 
weiten um. Hier erhebt ſich am Ufer ein 15 m hoher Hügel, der einen einzig: 
artigen Rundblick über drei Seengebiete bietet, der ſog. „Dreiſeenblick“. Nach 
Nordweſten der Wifolaifer See mit dem dunklen Wald auf der einen Seite 
und dem freundlichen Städtchen Nikolaiken mit feinen roten Ziegeldächern 
auf der anderen. Nikolaiken ſcheint auf dem Waſſer zu ſchwimmen. Nach 
Oſten ſchweift der entzückte Blick über die ſchier endloſe Waſſerfläche des ge⸗ 
waltigen Spirdingſees, des zweitgrößten Sees Deutſchlands, der bei Sturm 
über 2 m hohe gletſchergrüne Wogen mit ſchneeweißen Schaumkronen aufwirft, 
ein erhabenes, unvergeßliches Landſchaftsbild. Und nach Südweſten öffnet 
ſich ein beiderſeits bewaldeter, gleichbreiter Fjord mit 20 m hohen ſandigen 
Steilufern, der Beldahnſee mit dem lieblichen bewaldeten ſtillen Eiland im 
Vordergrund. Das ijt die köſtliche Candſchaft von Wiersba, einer kleinen 
reizenden Siedlung am Rande der unermeßlichen dunkelen Johannisburger 
Heide. Immer gleich breit, ſchlängelt fic flußartig der Rinnenfee des Beldahns 
zwiſchen den hohen Wäldern dahin. Unwillkürlich kommt bei dem ausgeſpro⸗ 
chenen Flußcharakter dieſer ſchmalen Seen die Frage nach der Entſtehung dieſer 
ſeltſamen Naturgebilde, die wir auf unſerer langen Seenfahrt nun ſchon fo oft 
in allen möglichen Ausbildungsformen angetroffen haben. Sie find zur Eis- 
zeit entſtanden, als das hohe Inlandeis noch in gewaltiger zuſammenhängender 
Decke ganz Maſuren wie ein Leichentuch bedeckte, ähnlich wie dies heute noch 
im Inneren Grönlands und Spitzbergens der Fall iſt. Wir wiſſen ſchon von 
unſeren kleinen Alpengletjchern, daß jie von breiten, bis auf die Sohle des Eiſes 
hinabgehenden Eisſpalten durchzogen ſind. In viel gewaltigerem Ausmaße 
finden ſich dieſe oft viele Kilometer langen und meiſt recht breiten Eisſpalten 
im unbeweglich gewordenen „Toteis“ der Inlandeisbedeckung. Im Sommer 
ſchmilzt die Sonnenwärme das Eis an der Oberfläche und gewaltige Schmelz— 
waſſermengen ſtürzen ſich ſtrudelnd in die Gletſcherſpalten hinab bis auf den 
Grund des Eiſes. Dieſer Untergrund, die Lehmmergel-Grundmoräne des 
Inlandeiſes, die infolge des gewaltigen Druckes desſelben auf ſeine Unter— 
lage — Druck erzeugt Wärme — nicht in gefrorenem, ſondern in aufgeweichtem 
Zuſtande ſich befindet, wird infolge der mit ſtarker Gewalt aus beträchtlicher 
Höhe herabſtürzenden Schmelzwaſſerbäche bis in große Tiefen hinab völlig 
ausgewaſchen und ausgeſtrudelt. Der Tongehalt des Lehmmergels geht als 
Flußtrübe von dannen, der Sand- und Kiesgehalt wird von den unter dem 
Eiſe auf dem Spaltenzuge entlangeilenden Schmelzwäſſern bis zum Gletſcher— 


8] Die Mafurenfahrt 129 


ende mit fortgeriſſen und ſtürzt aus hohen Gletſchertoren in das eisfreie 
Vorland, um hier aus dem herangebrachten unterirdiſchen Ries- und Sand: 
material die gewaltige ſog. Sanderebene aufzuſchütten. Hus den Ergebniſſen 
der geologiſchen Landesaufnahme wiſſen wir, daß die zu dieſer Rinnenjeen= 
kette oder Gletſcherſpalte gehörigen Gletſchertore nicht ſehr weit entfernt, 
vielmehr bereits bei Rudczanny lagen. Don dort breitet ſich die aus dem 
unterirdiſch ausgeſtrudelten Kies- und Sandmaterial aufgeſchüttete Sander: 
ebene in ganz flachem Abfall nach Süden bis zur deutſch-polniſchen Grenze 
und dann weiter bis nach Oſtrolenka in Nordpolen aus. In Berückſichtigung 
dieſer klar erſichtlichen Vorgänge und ihrer Auswirkungen ijt es mithin durch— 
aus verſtändlich, daß im Bereich der ehemaligen Gletſcherſpalten durch das 
herabſtürzende Schmelzwaſſer gewaltig tiefe Ausſtrudelungen in den Lehm: 
mergel- und Kiesablagerungen im Untergrund des Inlandeiſes entſtanden, 
Kolte von 30 und 40 m Tiefe. Als dann am Ende der Eiszeiten die umgebenden 
Eismauern endgültig abſchmolzen, füllten die entſtehenden Schmelzwäſſer 
die ausgehöhlten tiefen Kolfe mit ihren Waſſermengen an — fo entſtanden 
dann die Rinnenjeentetten an der Stätte der urſprünglichen Eisſpalten. 

Die ungewöhnliche Tiefe der Rinnenſeen hat nun noch eine aukerordent- 
lich wichtige Bedeutung für die dauernde Erhaltung des Waſſervorrats unſerer 
Seen. Es war ſchon darauf hingewieſen worden, daß die Oberflächenver⸗ 
dunſtung der Seen namentlich im Sommer recht ſtark ſich geltend macht und 
daß die Regengülfe und Schneeſchmelzwäſſer durchaus nicht imſtande find, 
dieſen ſchweren Waſſerverluſt völlig auszugleichen. Die Seen würden alſo, 
ohne anderweitige Juflüſſe, allmählich immer waſſerärmer werden und infolge 
ihres Seekalkabſatzes recht ſchnell verlanden. Dadurch, daß ſie aber ſo tief 
in den Untergrund hinabreichen, und zwar hinein in den erſt nach der Eiszeit 
entſtandenen hauptgrundwaſſerhorizont ganz Maſurens, der in den unter 
dem Lehmmergel lagernden mächtigen Bänken von grobem Ries und kieſigen 
Sanden entlangläuft, werden ſie von unten dauernd aus dieſen unterirdiſchen 
gewaltigen Waſſervorräten von neuem geſpeiſt. Jeder Schwimmer in den 
Seen kennt dieſe Erſcheinung, ohne ſich über ihren Urſprung klar werden zu 
können. Plötzlich gerät er im heißen Sommer bei 20 Grad Waſſerwärme in 
eine Zone aufſteigenden Kaltwaſſers von nur 6—8 Grad Wärme — er nennt 
es Quellen im See — und ebenſo frieren im Winter dieſe Stellen nie zu, da 
lie eben dauernd Zuflüſſe von 6—8 Grad Wärme von unten erhalten. Dieſen 
im Sommer wie im Winter gefahrbringenden Stellen in unſeren heimiſchen 
Seen verdanken wir aber andererſeits ihre dauernde Erhaltung. 

Huf der linken Uferſeite taucht jetzt das kleine Dörfchen Piasken auf. 
Es iſt eine der elf Philipponen-Siedlungen in der Johannisburger heide, 
die gerade in dieſem Jahre auf ein Jahrhundert ihres Beſtehens zurückblicken 
können. Im Jahre 1830 und in dem folgenden Jahrzehnt wanderten nämlich 
800 Philipponen, Angehörige einer griechiſch katholiſchen, recht fanatiſchen 
Sekte vornehmlich aus dem ruſſiſch polniſchen Gouvernement Grodno aus 
und wurden inmitten der Johannisburger heide von der Preußiſchen Re- 
gierung in elf Dörfern nach Rodung des Waldbodens angeſiedelt. Ihr Hauptort 
wurde Eckertsdorf unweit von Alt ÜUkta. Noch heute haben fie ihre Religion 
und ihre ruſſiſche Sprache ſtreng bewahrt, nur die aus runden Baumſtämmen 
im Gehrſaßbau errichteten urſprünglichen hölzernen Blockhäuſer verſchwinden 
jetzt nahezu vollſtändig und machen neuzeitlichen deutſchen häuſern Platz. 
Eckertsdorf beſitzt zwei Philipponenkirchen mit dem griechiſch katholiſchen 

Mannus, Jeitſchrift für Vorgeſchichte, VIII. Erg. Bd. 9 


130 Heh von Wichdorff [9 


Kreuz mit ſchrägem Balken als Symbol auf den Türmen. Am nahen Dußſee 
aber ijt noch das einzige griechiſch-katholiſche Kloſter, ein Nonnenkloſter, auf 
deutſchem Boden erhalten. Dieſe Philipponenkolonie bietet allen denjenigen, 
die die Johannisburger heide ihrer Schönheiten und ihrer erhabenen Stille 
wegen aufſuchen, etwas völlig Sremdartiges in der heimat, etwas, von dem 
man nie recht weiß, ob man ſich darüber freuen ſoll oder nicht. 

Inzwiſchen iſt der Dampfer am Südende des Beldahnſees angelangt 
nahe der Oberförſterei Guſzianka. hier befindet ſich eine Kanalſchleuſe, 
in der der Dampfer in einer halben Stunde auf den 2 m höheren Waſſerſpiegel 
des Guſziankaſees hinaufgebracht wird. Dieſer höhenunterſchied zwiſchen 
zwei benachbarten Seen iſt indeſſen in Maſuren, überhaupt in Oſtpreußen, 
nichts Merkwürdiges und Seltenes. Der Deutſche Orden hatte bereits vor 
vielen Jahrhunderten die verſchiedenen Gefälleverhältniſſe unſerer ein- 
heimiſchen Seen richtig erkannt und mit dem bei ihm beſonders gut entwickelten 
praktiſchen Sinn für die Anlage ſeiner Ordensmühlen ausgenutzt. Es iſt bisher 
immer noch nicht in voller Bedeutung erkannt worden, von welcher grund— 
legenden Wichtigkeit die Anlage der Ordensmühlen war. Die Ordensburgen 
waren — und dazu waren fie ja eigentlich erbaut — Seftungen, die in Kriegs: 
zeiten nicht nur die militäriſche Beſatzung, ſondern auch die unendlich vielen 
zinspflichtigen Bauern mit ihren Diehherden und ihren ganzen Getreide⸗ 
vorräten aufnehmen und — ernähren mußten. Aus den noch erhaltenen, 
umfangreichen Inventarverzeichniſſen der einzelnen Ordensſchlöſſer erſehen 
wir, welche ungemeſſenen Vorräte an Fleiſch und Getränken ein folder 
Ordenshof für den Kriegsfall barg. Die wichtigſte Nahrung, das Brot, mußte 
aber als Mehl von der Ordensmühle in ausreichenden Mengen beſchafft 
werden. Daher wurde in kluger Erwägung der Bau einer neuen Burg nicht 
allein von ſtrategiſchen Geſichtspunkten abhängig gemacht, wie man bisher 
immer glaubte, ſondern von dem Dorhandenfein einer ſtarken Waſſerkraft, 
eines natürlichen Waſſergefälles, das zur Anlage einer größeren Ordensmühle 
zureichte. Da aber ein ſtarkes Gefälle und das Vorhandenſein von Waſſer— 
armen bereits gleichzeitig günſtige ſtrategiſche Vorbedingungen ſchufen, waren 
dann ſtets beide Bauten günſtig gelegen. Un der bereits erwähnten Ordens⸗ 
burg Rhein iſt vom Deutſchen Orden ein natürlich vorhandenes Waſſergefälle 
von 7 m höhe zwiſchen zwei 500 m voneinander liegenden Seen durch ein 
geſchicktes Kanalſyſtem zur Anlage der Ordensmühle und zur ſtrategiſchen 
Sicherung des Ordensſchloſſes ausgenützt worden. Bei der Ordensburg und 
Ordensmühle von Ungerburg mußte man, wie erwähnt, den Mauerſee erſt um 
eine höhe von A m künſtlich anſtauen, um das notwendige größere Gefälle 
zu erzielen. Wir ſehen alſo, wie man durch geſchickte Auswertung der Be- 
obachtungen an unſeren Seen gleichzeitig auch hinter die Geheimniſſe der 
großen Erfolge der deutſchen Ordensritter im oſt- und weſtpreußiſchen Ordens- 
lande kommt. . 

Noch eine köſtliche Rundfahrt auf dem lieblichen, waldumkränzten Gu- 
ſziankaſee, dann gehen wir nach vielſtündiger Dampferfahrt, auf der wir 
einen großen Teil Maſurens kennenlernten, an der Landungsbrücke von 
Rudczanny ans Land. Rudczanny "H mit feinen großen Schneidemühlen 
der hauptverwertungsplatz für die gewaltigen holzvorräte, die die Johannis— 
burger Heide in ihren ausgedehnten Forſten in fic) birgt. Bei der Waſſerfahrt 
ſahen wir längs der Steilufer an den Jagenkreuzen bereits die zahlreichen 
ſteilen ſog. Ablagen, auf denen die gefällten Bäume der anſtoßenden Wal— 


10] Die Maſurenfahrt 131 


dungen geſammelt und nach dem Übſchälen ihrer Rinde in den See gerollt 
werden. Am Seeufer werden fie dann zu großen Holzflößen verbunden und 
nach den Holzſchneidemühlen Maſurens geſchafft. Was unterhalb der Guſzi⸗ 
ankaſchleuſe liegt, wird nach den Holzſchneidemühlen von Nikolaiken, Rhein 
und Cötzen geflößt, was oberhalb der Guſzianka liegt, wandert in die Schneide⸗ 
mühlenwerke von Rudczanny und mit der Eiſenbahn nach Johannisburg und 
Peitſchendorf. hier in Rudczanny ijt gleichzeitig der Hauptitapelplak der 
Grubenhölzer für die Steinkohlenbergwerke Weſtfalens und des Rheinlandes; 
ganzen Zügen von Grubenholz begegnen wir auf unſerer Eiſenbahn-Weiter⸗ 
fahrt, die alle gen Weſten rollen. 

Rudczanny iſt aber nicht nur Hauptort der maſuriſchen Holzinduftrie. 
Es iſt gleichzeitig der Mittelpunkt des maſuriſchen Fremdenverkehrs. Leider 
geſtattete es unſere Zeit nicht, den wundervollen Niederſee mit feinen lieb⸗ 
lichen bewaldeten Inſeln zu ſehen, der ſich in einem gewaltigen Bogen bis 
nahe an die Stadt Johannisburg hinzieht. Derſelbe Zeitmangel erlaubte auch 
nicht, die unendlich reizvolle Bootfahrt auf der Kruttinna zu unternehmen, 
auf der ſtahl⸗ und himmelblaue wie auch ſmaragdgrüne Libellen uns para: 
dieſiſch umgaukeln und der Rahn über Millionen Perlmutterſchalen von Slup- 
muſcheln lautlos dahingleitet, rings umgeben von den Baumrieſen der dunklen 
Kruttinner Sort, Der unerbittliche Fahrplan ruft uns zum Einſteigen in den 
Zug nach Allenftein, der uns wenigſtens einen ſehr lehrreichen Einblick in die 
gewaltigen Sorſten der Johannisburger heide und in ihren Seenreichtum 
gewährt. Ein reichhaltiges Abendeſſen in Jakobsruhe bei Allenjtein ergötzt 
uns nach den vielen Beobachtungen des Tages und entſchädigt die Hörer für 
die recht anſtrengenden vielſeitigen Belehrungen, die während der Dampfer⸗ 
fahrt jo vielfältige Aufmertjamfeit erforderten. Das mit allen Anforderungen 
der Neuzeit ausgeſtattete Bahnhofshotel gewährte uns dann die Möglichkeit 
eines geſegneten Schlafes. Nur einigen wenigen unentwegten Teilnehmern 
war es vergönnt, in grauer Morgenfrühe das herrliche Ordensſchloß Allen: 
Hein noch zu ſchauen, in dem der berühmte Uſtronom Koppernifus als Dom: 
herr wirkte. 

Am nächſten Morgen brachte uns die Eiſenbahn nach der maſuriſchen Stadt 
Hohenſtein, die im Mittelpunkt der dreitägigen berühmten Schlacht von Tannen: 
berg ſtand. Das benachbarte gewaltige Tannenberg-Nationaldenkmal 
war unſer nächſtes Ziel. Hier empfing uns der Leiter des Denkmals, Herr 
Hauptmann von hatten, der uns eine glänzende und dabei allgemeinver: 
ſtändliche Schilderung des Derlaufes der Schlacht von Tannenberg gab und 
dazu den hohen Sinn des Denkmals ſelbſt mit ſeinen wuchtigen Wehrtürmen 
erklärte. Seine tiefgründigen Studien und fein gerechtes Urteil über v. Pritt— 
witz⸗Gaffron gingen uns allen tief zu herzen und ſchufen aus dem Beſuch 
des Tannenberg-Denfmals ein unvergeßliches Erlebnis! Die photographiſche 
Aufnahme eines Teiles der Teilnehmer bringt Abb. 5. 

Nach Rückkehr in die Stadt hohenſtein führte der Unterzeichnete die 
Teilnehmer noch in einem Rundgang um die rechteckig angelegte Altſtadt 
hohenſtein und ihre mittelalterliche Stadtmauer herum, die an der Nordweſt— 
ſeite mit ihren ſechs vorſpringenden Mauertürmen in urſprünglicher höhe noch 
vollſtändig erhalten iſt. Einer dieſer Mauertürme iſt, wie eine Inſchrift beſagt, 
im Jahre 1684 als Hoſpital eingerichtet worden. Die in diefer Zeit hergeſtellten 
Dachfirſthalter Wellen wohl eine der älteſten erhaltenen maſuriſchen Hol3- 
Ichnißerei-Arbeiten dar. Die Stadtmauer ijt 1,60 m Wort und beſteht aus hori— 

dh 


132 Heb von Wichdorff 11 


zontalen Lagen von fußgroßen erratiſchen Steinblöden mit ſtarken ebenen 
Zwiſchenlagen von Kalk mit eingeſchloſſenen Ziegelbroden. Auf je 33 m Mauer: 
länge folgt jedesmal ein 4 m nach außen vorſpringender Mauerturm von 
15 m Länge, worauf ſich die Mauer in alter Richtung fortſetzt. Die rechteckige 
Stadtumwallung weiſt zwei Längsjeiten von je 250 m Lange und zwei Breit- 
ſeiten von je 170 m Lange auf. An jeder der vier Eden der Stadtmauer war 
je ein 2 m dicker runder Eckturm vorhanden, der halbrund aus der Stadt⸗ 
mauer hervorſpringt, da er ſo angelegt iſt, daß ſein Mittelpunkt im Schnitt⸗ 
punkt der beiden Richtungen der Stadtmauer liegt. Nur der Nordoſt⸗Eckturm 
iſt noch erhalten. In die Stadtmauer durch Vorbau einbezogen ijt noch das alte 
Ordensſchloß Hohenitein, das im Jahre 1359 von dem damaligen Komtur 
von Oſterode, Graf Günther von hohenſtein, erbaut wurde und ebenſo wie 
die Ordensburg Oſterode nach ſeinen heimatlichen Städten im harz benannt 
wurde. Die großen Keller zeigen noch die gewaltigen Bogengewölbe der 
Ordenszeit, auch die Mauern des erſten Stockwerkes ſtammen trotz ſpäteren 
Umbaus des Schloſſes zur Schule noch aus der Ordenszeit. 

Don Hobenjtein führte uns dann die Eiſenbahn zu kurzer Mittagsraſt 
nach Oſterode und dann weiter nach Elbing, wo wir um 155 Uhr nachmittags 
eintrafen. 


Unſprachen in Angerburg am Begrüßungsabend des 29. Juli 


Bürgermeiſter Laudon begrüßte die Teilnehmer der Maſurenfahrt mit 
folgender Anſprache: 


Meine ſehr verehrten Damen und Herren! 


Wenn ich die Ehre habe, Sie namens der Stadt Angerburg zu Ihrem 
Ausflug nach Maſuren in unſeren Mauern auf das herzlichſte willkommen 
zu heißen, ſo bitte ich dieſen Gruß ganz beſonders herzlich aufzufaſſen, da er 
den Vertretern einer wiſſenſchaftlichen Geſellſchaft gilt, deren Aufgabe die 
Erforſchung der Geſchichte des Vaterlandes und damit auch unjerer Heimat iſt. 
Dankbar begrüßen wir jeden Beſuch aus dem Mutterlande über den trennenden 
und untragbaren Korridor nach unſerem ſchönen, aber abgeſchnürten Oſt⸗ 
preußen, insbeſondere nach ſeinem gefährdetſten Teile, Maſuren. Wir er⸗ 
blicken darin ein Jeichen der inneren Verbundenheit mit unſerer heimat und 
ein Treugelöbnis des großen Mutterlandes. Wir ſind uns bewußt, daß wir 
hier im Oſten eine große nationalpolitiſche Aufgabe zu erfüllen haben und 
werden trotz aller Schwierigkeiten des Derfehrs und der Trennung feſt per: 
ankert bleiben in der Liebe zum Daterlande, voll Stolz auf unſer Deutſchtum. 

Meine Damen und herren! Ich habe Ihnen vorhin auf der Fahrt mit 
unſerem Motorſchiff die Schönheiten unſerer maſuriſchen Heimat zeigen 
dürfen. Ich habe mit Ihnen empfunden, wie Sie auf den blauen Fluten des 
Mauerſees die weite und einzigartige Schönheit dieſes Gebietes in ſich auf— 
nahmen. Schauen durften wir die Inſel Upalten mit ihrem wunderbaren 
Miſchwald von uralten Eichen, Tannen, Linden und Küſtern, den ſtummen 
Zeugen einer großen geſchichtlichen Vergangenheit, und zeigen konnte ich 
Ihnen die einzigartige Stätte, wo auf hoher Kuppe des Schwenzaitſees die 
dankbare heimat das Ehrenmal gegraben hat für all die teuren Toten, die freudig 
ihr Höchites, ihr Leben, hingaben für den Schutz von heimat und Daterland. 
Unterſchiedslos ruhen hier all die ſtummen Schläfer aus allen Teilen unſeres 
lieben deutſchen Daterlandes. 


12 Die Maſurenfahrt 133 


Die engere Heimat, unjere Stadt, pflegt und hegt dieſe Stätte als heiliges 
Kleinod, zu dem ſie gewallfahrt kommen zu hunderten und aber Hunderten. 
Schlicht und einfach iſt dieſer Ehrenfriedhof gehalten, die Gräber geſchmückt 
mit Blumen und Pflanzen der freien Natur, eingefaßt das Ganze terraſſen⸗ 
artig mit Findlingsſteinen der Umgebung, knorrig die Kiefern, die dem Sturm 
ausgeſetzt ſind, und über allem hochragend und ſegnend das ſchlichte Holz⸗ 
kreuz. Weit iſt von dieſer heiligen Stätte der Blick über die Maſuriſchen Seen 
und es wird auch Ihnen an dieſer Stätte allen die Erkenntnis geworden ſein, 
daß dieſes ſchöne Land nie anders als deutſch bleiben und deutſch ſein darf, 
daß wir nichts Sehnlicheres herbeiwünſchen als den Tag, an dem wir uns 


Abb. 22. Cine Gruppe von Teilnehmern am Tannenberg-Tationaldentmal 


1 Siddide, 2 v. Auerswald, 3 Sonder, 4 Grunwald, 5 ?, 6 Matz, 7 Schübeler, 8 v. Strang, 

9 2, 10 Götze, 11 Wilcke, 12 Donner, 13 Schoener, 14 Koffinna, 15 Richter, 16 Nitichte, 

17 Windt, 18 Snethlage, 19 Becker, 20 re 21 Ventzke, 22 Schrage, 23 Moſchkau, 
24 Pätzold 


nach Cöſung der ungerechten Seſſeln des Korridors in einem großen und 
geeinigten deutſchen Daterlande wieder mit unſeren Brüdern und Schweſtern 
die hand reichen dürfen. Ich glaube wohl auch in Ihrem Empfinden zu ſprechen, 
wenn ich annehme, daß dieſes der ſchönſte Wunſch iſt, mit dem ich die Ehre 
habe, Sie zu Ihrer Tagung in Ungerburg auf das herzlichſte zu begrüßen. 


Geheimrat Kofjinna hielt darauf folgende Dankrede: 


Als ich mich entſchloß, unſeren Ausflug nach Maſuren nicht von 
Loken, fondern von Ungerburg aus einzurichten, wurde mir von Königsberg 
aus dringend abgeraten, denn in Angerburg „ſei nichts los“, namentlich 
nichts Urchäologiſch-Vorgeſchichtliches. Nun, da war ich anderer Meinung. 
Wir wollen auch die oſtpreußiſche Landſchaft kennenlernen und da kann ſich 
auch Ungerburg ſehen lajjen. Aber wie iſt es mit der Vorgeſchichte. Auch da 


134 heß von Wichdorff [13 


bietet Angerburg allerlei. Zunächſt das „Wichtigſte“: Aus Angerburg ſtammen 
nämlich meine Abnen und erſt mein Großvater iſt von hier nach Marien⸗ 
werder ausgewandert. 

Doch — ernſter geſprochen — wenn auch archäologiſch hier jetzt nichts 
zu ſehen (es gibt hier aber ein paar wichtige kaiſerzeitliche Graberfelder, fo 
bei Gr. Strengeln), fo bildet doch Angerburg eine naheliegende Unknüpfung 
an die Vorgeſchichte, nämlich an die Frage der Urheimat der Indogermanen, 
wenigſtens an die Geſchichte dieſer Frage. Denn die Frage ſelbſt iſt ja längſt 
zugunſten der ſüdlichen Oſtſeeländer, alſo Norddeutſchlands und Südſchwedens, 
entſchieden. 

Unter den ſprachwiſſenſchaftlichen Erwägungen auf Grund der Pflanzen- 
und Tiergeographie, die dieſe Anjicht ſtützen ſollen, ſpielte früher auch der 
Aal eine ziemliche Rolle, ähnlich wie der „Lachs“. Der Aal hat nämlich die 
Eigentümlichkeit, daß er, wie Brehm angibt, nur in den Gewäſſern vorkommt, 
die zur Nord- und Oſtſee fließen, dagegen in den Gewäſſern fehlt, die zum 
Schwarzen und Kaſpiſchen Meere fließen, alſo im Dnieſtr und Dniepr und 
in der Wolga, vor allem auch in der Donau. Nun ſoll neuerdings der fal 
auch einigemal im Schwarzen Meere gefangen worden ſein. Das iſt aber 
ohne jede Bedeutung, da man weiß, daß die deutſche Siſchzucht neuerdings den 
Aal in der oberen Donau heimiſch zu machen verſucht hat. Don Haufe aus fehlt 
er aber dem geſamten Donaugebiet. Nun gibt es für den Aal drei Arten Be⸗ 
zeichnungen 1. deutſch Hal", das Wort ſteht ganz allein, 2. eine Wortgleichung, 
die urindogermaniſch fein muß: lat. anguilla gleich griech. ZT e e, 3. eine 
zweite idg. Wortgleichung: dialektgriechiſch 81s, ruſſ. ugori, litt. unguris. 
Hierher gehört auch altpreußziſch angeris. Angerap ift der Aalfluß. Diefe 
2. 10g. Wortgleichung ſcheint aljo ein hinweis, wenn auch kein ſchlagender 
Beweis für Mitteleuropa als idg. Urheimat zu fein. Sie beweiſt, daß der Aal- 
fang in der Angerap wahrſcheinlich ſchon bis in die Steinzeit zurückgeht. Herr 
Bürgermeiſter Caudon hätte alſo nicht bloß von einem „hiſtoriſchen“, ſondern 
von einem vorgeſchichtlichen Aalfang ſprechen können. Der Name Ungerap 
ijt verſteinerte Dorgeichichte. Wir find hier in der Urheimat des Goals Wir 
haben hier den Aal nicht am Schwanze gefaßt, was eine ungeſchickte, ja er: 
folgloſe Art iſt, ſich ſeiner zu bemächtigen — es gibt ja ein Sprichwort: den 
Aal am Schwanze faſſen —, ſondern gewiſſermaßen an ſeinen Hörnern, 
oder wenn Sie der Anjicht find: es gebe keine gehörnten kale, fo ſagen wir: 
an ſeinem Kopfe gefaßt (es gibt übrigens in Dorderajien gehörnte Schlangen !). 
Das herrliche Hlaleſſen war es wohl wert, daß wir uns mit dieſem ſchlangen⸗ 
artigen Sid näher beſchäftigten. Aber nicht das Eſſen ijt uns die hauptſache, 
ſondern das von echter oſtpreußiſcher Gemütlichkeit getragene Beiſammenſein, 
Dellen Vorbereitungen wie überhaupt die glänzende Führung durch die genuß— 
reichen Sehenswürdigkeiten des heutigen Nachmittags wir der Liebenswürdig— 
keit und Umſicht des herrn Bürgermeiſters Laudon verdanken. Trinken wir 
alſo dankbaren Herzens auf das Wohl des herrn Bürgermeiſters! 


Aufenthalt in Elbing 


Don Prof. Dr. Ehrlich 


Am 31. Juli nachmittags traf die Geſellſchaft für Deutſche Dorgejchichte 
in Elbing ein. Hier wurde zunächſt dem Städtiſchen Muſeum ein längerer 
Beſuch abgeſtattet, das ſeit 1924 in einem alten Patrizierhaus untergebracht 
und von Prof. Dr. Ehrlich, dem Nachfolger Robert Dorrs, neu geordnet 
worden iſt. Beſonders eingehend wurde unter Führung von Prof. Ehrlich 
die reiche vorgeſchichtliche Sammlung beſichtigt, die in ihrer Schauſammlung 
eine klare Überſicht über die vorgeſchichtliche Entwicklung im Kreiſe Elbing 
bietet. Unter den Gräberfunden find beſonders die von dem gepidiſchen Gräber: 
felde von Neuſtädterfeld bei Elbing und von den Preußiſchen Gräberfeldern 
der Völkerwanderungszeit und der jüngſten heidniſchen Zeit bemerkenswert. 
vielleicht noch größeres Intereſſe erweckten aber die durch Pläne und Photo- 
graphien veranſchaulichten Ergebniſſe der Elbinger Siedlungsforſchung. Sind 
doch im Kreiſe Elbing die erſten vorgeſchichtlichen Burgen Oſtpreußens unter: 
ſucht und die erſten germaniſchen und preußiſchen Hausgrundriſſe entdeckt 
worden. Nach einem Rundgang durch die Altſtadt Elbing mit ihren altertüm⸗ 
lichen Straßenbildern, ihren altehrwürdigen gotiſchen und Barockhäuſern, 
ihren Beiſchlägen und Portalen begab ſich die Geſellſchaft nach dem Kaſino, 
wohin fie von der Stadt und der Elbinger Altertumsgeſellſchaft zu einem 
zwangloſen Bierabend eingeladen war. Zur Begrüßung hatten ſich die Spitzen 
der Behörden und zahlreiche Mitglieder der Elbinger Altertumsgeſellſchaft 
eingefunden. Oberbürgermeiſter Dr. Merten hieß die Geſellſchaft namens 
der alten Ordens- und Hanſeſtadt Elbing herzlich willkommen und betonte, 
daß die Beſtrebungen der Geſellſchaft, zumal auch dank der erfolgreichen 
Tätigkeit der Elbinger Altertumsgefellfchaft in der Stadt Elbing immer Worten 
Widerhall gefunden hätten. Er wies auf die bedrängte Lage des Oſtens hin 
und gab der Hoffnung Ausdrud, daß die Geſellſchaft für Deutſche Vorgeſchichte 
durch ihre wiſſenſchaftliche Arbeit auch weiterhin dem Nachweis und der Auf: 
hellung der germaniſchen Vorzeit des Oſtens dienſtbar ſein und dem Oſten 
damit helfen möge. Als Vorſitzender der Elbinger Altertumsgeſellſchaft be: 
grüßte ſodann Prof. Dr. Ehrlich die Gäſte. Er wies auf die enge Verbindung 
der Elbinger Ultertumsgeſellſchaft mit der Geſellſchaft für Deutſche Dor- 
geſchichte hin, die auch dadurch zum Ausdruck gebracht ſei, daß Geheimrat 
Dr. Roſſinna Ehrenmitglied der Elbinger klltertumsgeſellſchaft fet. Er be: 
dauerte lebhaft, daß herr Geheimrat Dr. Roſſinna durch Ülberanftrengung 
von der bisherigen Reije leider verhindert worden fei, auch nach Elbing zu 
kommen und gedachte der angenehmen perſönlichen Beziehungen, die Geheim— 
rat Koſſinna mit Prof. Dr. Dorr und mit ihm ſelbſt durch wiederholten 
Beſuch in Elbing und auch durch einen Vortrag in der Elbinger Altertums— 


136 Aufenthalt in Elbing 2 


geſellſchaft gepflegt habe. Er ſchloß ſeine Begrüßungsrede mit einem Doch 
auf Geheimrat Roſſinna, an den auch ein Begrüßungstelegramm geſandt 
wurde. Der jtellvertretende Vorſitzende, Prof. Götze, überbrachte Grüße 
von herrn Prof. Roſſinna und ſprach der Stadt Elbing und der Elbinger 
Hltertumsgeſellſchaft den Dank der Geſellſchaft für die Aufnahme aus. Er 
verſicherte, daß die Geſellſchaft für Deutſche Vorgeſchichte und die Fahrtteil⸗ 
nehmer im Reiche gern in vaterländiſchem Sinne für Oſtpreußen wirken 
würden, liege doch die praktiſche Bedeutung der Geſeliſchaft darin, die wiſſen⸗ 
ſchaftliche Grundlage zu ſchaffen, um feindlichen politiſchen Beſtrebungen 
erfolgreich entgegen treten zu können. Nachdem Lyzeallehrer Windt (Köthen) 
Danfesworte an Prof. Dep v. Wichdorff, den geologiſchen Führer der 
Tagesausflüge, gerichtet hatte, gedachte Prof. Heß v. Wichdorff noch der 
verdienſtvollen Arbeit der Elbinger Altertumsgeſellſchaft, deren wiſſenſchaft⸗ 
liche Zeitſchrift, das Elbinger Jahrbuch, beſondere Unerkennung verdiene. 

Am 1. Huguſt wurde ein Tagesausflug nach der haffküſte unternommen, 
an dem ſich auch eine größere Anzahl von Mitgliedern der Elbinger Altertums- 
geſellſchaft beteiligte. Zunächſt wurde der Srauenburger Dom unter Führung 
des Domvikars Graw eingehend beſichtigt und dem Coppernikus-Denkmal 
ein Beſuch abgeſtattet. Dann fuhren die Teilnehmer nach der Tolkemita, wo 
Prof. Dr. Ehrlich die Burganlage und vor allem den großen Schnitt durch den 
Nordwall des Kernwerks ausführlich erläuterte. Die Ausgrabungen vom 
14. bis 19. Juli haben beſtätigt, daß es fic) bei der Burg um mehrere vorge- 
ſchichtliche Bauperioden handelt, von denen die älteſte der frühen Eiſenzeit, 
die jüngſte der Wikingerzeit angehört. Die Burg iſt alſo von Germanen erbaut 
und ſpäter von den alten Preußen neu befeſtigt worden. 

In Cadinen, dem Landfik Kaijer Wilhelm II., wurde das Nittageſſen 
eingenommen, bei dem Landrat Cichorius die fremden Gäſte im Kreiſe 
Elbing willkommen hieß. Nach der Beſichtigung des Parkes von Cadinen ging 
die Fahrt weiter nach Sorjthaus Panklau. Hier wurden die auf dem Wege 
nach Cadinen liegenden herrlichen Husſichten mit ihren entzückenden Blicken 
über die bewaldeten Schluchten, das Friſche haff und über die Nehrung hinweg 
auf das weite Meer beſucht, worauf ſich eine Wanderung durch den Pruzzen— 
grund über den der Elbinger Altertumsgeſellſchaft gehörigen Burgwall bei 
Lenzen nach dem Haffichlößchen anſchloß. Bei dem bendeſſen im haff— 
ſchlößchen wurde noch manche Unſprache gehalten, in der der Not des Oſtens 
gedacht wurde. Beſonders wies in geradezu erſchütternder Weiſe Graf Eulen— 
burg-Wicken auf die Huswirkung der unſinnigen Grenzziehungen im Oſten 
hin. In herzlicher Weile dankten Prof. Götze und Prof. heß v. Wichdorff 
noch einmal für die liebenswürdige Aufnahme und die vielen wiſſenſchaftlichen 
Anregungen in Elbing. Allgemein aber herrſchte unter den Teilnehmern 
Begeiſterung über die unvergleichlich ſchönen Landſchaftsbilder, die ihnen der 
Ausflug nach der haffküſte geboten hatte. 


Marienburg 


Am 2. Auguft wurde Marienburg i. Weftpr. beſucht. Auf dem Bahn⸗ 
hofe empfing der Leiter des Städtiſchen Muſeums, Herr Stadtrat Doigtmann, 
die Teilnehmer und geleitete ſie zum Ordensſchloſſe. 


Beſichtigung der Marienburg am 2. Augujt 1930 
Don Oberbaurat Dr. h. ce. Bernhard Schmid, Marienburg 


Der einleitende Vortrag wies zunächſt darauf hin, daß Marienburg ſchon 
in vorgeſchichtlicher Zeit ein uralter Siedelungsplatz geweſen war. Huf der 
Feldmark des Dorfes Willenberg, das jetzt nach Marienburg eingemeindet iſt, 
ſind von der Steinzeit an Funde aus faſt allen Perioden gemacht, zum Teil 
in ausgedehnten Gräberfeldern. 

Die Lage am hochwaſſerfreien höhenrande, doch nahe dem bequemen 
Flußübergange, führte wohl die Menſchen zu dieſer Siedelungsſtätte. Als der 
Orden um 1274 hier eine Burg gründete, waren dieſelben Eigenſchaften der 
Lage für ihn entſcheidend. Zugleich lag Marienburg an der Kreuzung zweier 
wichtiger Straßen, des Stromlaufes der Weichſel-Nogat und einer ebenfalls 
alten Candſtraße, die von Pommern nach dem Preußenlande führte. Hier 
entſtand zunächſt eine Komturei, d. h. eine Burg und ein Derwaltungsſitz 
für den Konvent, der ein kleines Gebiet von etwa drei heutigen Kreiſen zu 
verwalten hatte. Im Jahre 1509 wurde die Marienburg Sitz des Hochmeiſters 
und der Ordensregierung, und damit der Mittelpunkt der Ordenspolitik, 
deren Wirkſamkeit ſich über das ganze Ordensland Preußen erſtreckte, in den 
äußeren Beziehungen aber den ganzen Nordoſten umfaßte. Der Orden wollte 
zunächſt als Miſſionar bekehren, er führte das Chriſtentum ein. Er wollte 
aber deutſche Kultur zur Geltung bringen. Die ſeit den Tagen Heinrichs J. 
an der Elbe begonnene deutſche Oſtſiedelung fand hier ihre Fortſetzung in 
einer planvoll und erfolgreich durchgeführten Staatsſchöpfung. Deutſche 
Bürger, Gutsbeſitzer („Freie“ genannt) und Bauern kamen ins Land, alle 
perjönlich frei, mit weitgehender Selbitverwaltung. Es entſtanden allmählich 
an die 80 Städte und mehrere Tauſend Dörfer. Der Handel vermittelte 
zwiſchen dem Oſten und dem Weſten, Flandern, Holland und England, und die 
Candwirtſchaft nahm das Land in Kultur und hatte guten Abſatz für ihre 
Erzeugniſſe. Don der Blüte des Landes zeugen die alten Kirchen, Rathäuſer 
und Stadtmauern, vor allem auch die Ordensburgen. — Das Hochſchloß der 
Marienburg, 1280 in der erſten Anlage fertiggeſtellt, zeigt ſchon eine vorge: 
ſchrittenere Entwickelungsſtufe, das rechteckige Kaſtell mit Ecktürmen, die fortan 


138 Bernhard Schmid [2 


bezeichnend für die Ordenshaujer wurde. Am älteſten ijt der Mordfliigel, mit 
der Kirche und einem Saal, der Ausbau der drei anderen Slügel war aber von 
Anfang an geplant und er wurde bis etwa 1340 hin durchgeführt. Hier waren 
die Räume für die gemeinjame Lebensführung der Brüder, die Schlaffäle, 
die Remter für die Beratungen des Kapitels und für die Mahlzeiten und 
endlich die Kirche: Räume die auch in Mönchsklöſtern notwendig waren, hier 
aber in die Enge des Kajtells eingezwängt waren. Dorratsfeller, Küche und 
Malzhaus und Dorratsipeicher waren daher ebenfalls im hauſe. Die herren, 
teils Ritterbrüder, teils Prieſter walteten in den Amtern als höhere Offiziere 
oder Derwaltungsbeamte. 

Die Hochmeiſterwohnung im Mittelſchloß, zuletzt Ende des 14. Jahr⸗ 
hunderts um- und neugebaut, enthielt in freierer Anordnung die Wohnräume 
mit einer Kapelle, große Slurhallen und Repräſentationsräume. Hier liegen 
Meiſters Großer Remter und das Zwillingspaar des Sommer: und Winter⸗ 
remters, vielbewunderte Meiſterwerke als Raumgebilde von vornehmer 
Schönheit. „ für die Ordensbaukunſt iſt die ſchlichte, doch vornehme 
Behandlung des Außeren, unter Verwendung der tief dunkelroten Backſteine 
und die reiche Durchbildung des Inneren. Alte Plaſtik und Malerei von 1280 
bis 1344 ijt beſonders in der Marienkirche und der Unnenkapelle erhalten. 
Das rieſengroße Liebfrauenbild außen am Chor, mit Moſaik überzogen, iſt 
einzigartig. Wir erkennen in dieſen Bauten auch die geiſtige höhe der Brüder. 
Sie pflegten die religiöſe Dichtung und die Geſchichtsſchreibung, ſie waren 
Förderer der bildenden bunt aber auch kluge Staatsverwalter, wovon uns 
jetzt noch die Reſte ihres Archives Kunde geben. Ihr Sebler war es, daß fie 
im 15. Jahrhundert noch auf den Unſchauungen des 13. Jahrhunderts ſtehen 
geblieben waren. 

Nach der Schlacht von Tannenberg (15. Juli 1410) konnte heinrich von 
Plauen durch die erfolgreiche Verteidigung der Marienburg den Ordensſtaat 
noch einmal retten. Seine Nachfolger waren aber nicht imſtande, die inneren 
Spannungen zwiſchen dem Orden und den großen Städten und dem Kulmer 
Landadel zu löſen und fie hatten nicht mehr die Kraft zu erfolgreicher Aupen- 
politik mit Litauen und Polen. Im Dreizehnjährigen Kriege (1454 — 1466) 
verlor der Orden fein halbes Land. Die Marienburg wurde ſchon 1457 von 
den Ordensſöldnern an den Rönig von Polen verkauft und ſie blieb über 
dreihundert Jahre lang in fremder Hand. Dernachläſſigung und ein Dach— 
brand von 1644 wurden dem Bauwerke nachteilig. In den Schwedenkriegen 
wurde die Burg als wichtige Seſtung wiederholt belagert. 

Erſt 1772 konnte Friedrich der Große das verlorene Land zurückgewinnen 
und in Meiſters Großem Remter huldigten ihm die Stände des nunmehrigen 
Weſtpreußen. In der Burg richtete freilich der Nützlichkeitsſinn der damaligen 
Behörden Zerſtörungen an, man baute fie zu Kajernen und ſpäter zum Maga— 
zin um, und ſchlug alte Gewölbe ein, brach Giebel und Türme ab und verputzte 
das Ziegelmauerwerk. Der Einſpruch des jugendlichen Dichters, Max von 
Schenkendorf, brachte 1805 die Umkehr; man wollte nun die Burg erhalten 
und 1817 begann der Gberpräſident von Schön die Wiederherſtellung, die 
zunächſt nur den hochmeiſterpalaſt umfaßte. 1882 ſetzte die Preußiſche Staats- 
regierung das Werk fort; in vierzigjähriger Arbeit hat Conrad Steinbrecht das 
Hochſchloß, das Mittelſchloß und große Teile der Dorburg wieder hergeſtellt. 
Jetzt erſcheint die ganze Schloßanlage wieder in ihrer alten Geſtalt. Die in 
übergroßer Zahl erhaltenen alten Bauteile fügen ſich organiſch dem Ganzen 


3] Beſichtigung der Marienburg 139 


ein, als Denkmal der Kultur der Ordenszeit, und als Kunjtwert von hohem 
Range. Für alle die Deutſchen, die im alten Ordenslande auf dem Land 
ihrer Väter wohnen, ijt die Marienburg das Dolfsheiligtum, der Sammelpunkt 
in Stunden, die vaterländiſcher Erinnerung geweiht ſind. Dadurch hat die 
Burg noch Bedeutung für unſer Leben, wie einſt vor ſechshundert Jahren 
für die Männer damaliger Zeit. 


** * 
* 


Die Führung zeigte die haupträume im Hochſchloß, in dem ſich das 
Konventsleben abſpielte, vor allem die 1344 geweihte Marienkirche, mit ihren 
alten Wandmalereien und Bildwerken, Glasmalereien und Chorſtühlen. 
Dann den Kapitels-Remter, die Schlafſäle und den Ronvents-Remter. Der 
innere hof bietet ein Bild klöſterlichen Friedens und zugleich die hohen 
Mauern einer vielgeſchoſſigen Burg. Im Hodymeilterpalaft wurde Meiſters 
Sommer-Remter, 1398 etwa fertig geworden, beſichtigt: hier feſſelte die 
Rühnheit der alten Gewölbe, die in der Mitte auf einem Pfeiler ruhen und 
die Fülle des Lichtes, das die zehn Fenſter hineinlaſſen; an dieſer Stelle fing 
1817 die Wiederherſtellung an. Dann folgten der Winter-Remter und die 
anderen Räume der Meiſterwohnung, auch die zierliche Kapelle zum heiligen 
Kreuz. Zum Schluß ſammelte ſich die Geſellſchaft in Meiſters Großem Remter, 
deſſen Wölbung, auf drei ſchlanken Pfeilern, von unerreichter Dornehmbeit iſt, 
das Werk eines ausgezeichneten Baumeiſters von etwa 1320. In dieſem 
ſtolzen Raume ſchloß die Führung mit kurzem ÜUbſchiedsgruß. Hier bewirtete 
der Orden einſt ſeine Gäſte aus deutſchen Landen. Möge das deutſche Dolt 
es nie vergeſſen, was es den Männern ſchuldet, die dieſes Land einſt mit 
ihrem Blute erſtritten, mit ihrem Schweiße erarbeitet haben. Dom Rhein 
bis zur Memel joll das Bewußtſein innerer Derbundenheit, heute wie zu 
jenen Zeiten, alle Männer und Frauen erfüllen. 


Die vorgeſchichtliche Sammlung in der Marienburg 


Dieſe Sammlung wurde während des Aufenthaltes im Schloſſe am 
2. Auguft 1929 zwar nicht beſucht, aber ihre Eigenart rechtfertigt es, daß ihrer 
an dieſer Stelle kurz gedacht wird. Über die bedeutenderen Stücke aus vor: 
geſchichtlicher Zeit hat Guſtaf Koſſinna im IX. Mannus-Bande 1917 aus: 
führlich berichtet, in der Abhandlung „Meine Hee nach Weit: und Oſtpreußen 
und meine Berufung zu Generalfeldmarſchall von Hindenburg im Augujt 1915“. 
Dort ijt auch über Theodor Blell und die Entſtehung feiner Waffenſammlung 
— denn um eine ſolche handelt es ſich — mehreres geſagt und es ſei hier noch— 
mals darauf verwieſen. Es kam Blell nicht darauf an, beſonders ſchöne, 
reich verzierte oder ſeltſame Stücke zu ſammeln, ſondern er wollte den Gebrauch 
der Kampfwaffe und das handwerkliche ihrer herſtellung durch die Jahr: 
tauſende, von denen wir Kunde haben, verfolgen. Daher ſammelte er Waffen 
aus Alien oder Afrika, die dortigen helme, Ringpanzer, Schwerter oder Bögen 
boten ihm Vergleichsſtoff zu den europäiſchen Waffen des Mittelalters. Und 
ebenſo durften die vorgeſchichtlichen Waffen nicht fehlen, um ſo Entwickelungs— 
reihen der einzelnen Waffengattungen von den früheſten Zeiten an beobachten 
zu können. Er erwarb geſchloſſene Sunde, auch mit friedlichen Geräten, 
um den Fund nicht zu zerreißen, aber er hatte auch keine Scheu vor Nachbil— 


140 K. Doigtmann [4 


dungen, die offen als ſolche bezeichnet, dazu dienten, die Reihen vollſtändiger 
zu machen. Gerade feine Nachbildungen beruhen auf eingehenden Dorjtudien 
nach Originalen und nach ſchriftlichen Quellen. Es liegt zweifellos ein univer- 
ſaler Gedanke hierin. Wer heute in einer Großſtadt die Entwickelung der 
Waffe ſtudieren will, braucht dazu drei bis vier Muſeen, Blell zog den Stoff 
zuſammen. heute erfordert jedes Zweiggebiet ſeinen Spezialgelehrten und 
das vorgeſchichtliche Muſeum birgt lediglich die Dokumente älteſter menſch⸗ 
licher Kulturperioden. Man wird alſo Blells Verfahren nicht wiederholen, 
aber als einmalige Leiſtung eines bedeutenden Mannes behält es bleibenden 
Wert und bietet auch dem Dorgeſchichts-Forſcher einige Anregungen. Deshalb 
wird aber jetzt in der Schloßſammlung vorzugsweiſe die geſchichtliche Abteilung 
vermehrt, während die Pflege der Vorgeſchichte anderen Muſeen überlaſſen 
bleibt. 

Die vorgeſchichtliche und die außereuropäiſche Abteilung kann nach vor- 
heriger Anmeldung bei der Schloßbauverwaltung jederzeit beſichtigt werden. 


Das Städtiſche Muſeum zu Marienburg 


Don Stadtrat R. Voigtmann, Muſeumsvorſtand 


Nach der Schloßbeſichtigung und einem kurzen Gange durch die „alte 
Ehrenſtraße der Stadt“, die Cauben, vereinigte ein gemeinſames Mittagsmahl 
die Teilnehmer im „König von Preußen“. Als ein beſonderer Ausdrud für 
das Derſtändnis und die Sörderung, die auf dem geſchichtlich bedeutſamen 
Boden der Stadt neben der ordenszeitlichen auch der vorgeſchichtlichen Der: 
gangenheit entgegengebracht wird, wollte die Begrüßung durch den Erſten 
Bürgermeiſter der Stadt, herrn Pawelcik, gewertet werden. Seinem fraft- 
vollen Vorgehen verdankt das Städt. Muſeum feine Begründung und die 
Möglichkeit zu dauernder ſuſtematiſcher Forſchungsarbeit. 

Leider war die Zeit, die für die Beſichtigung des Muſeums noch zur 
Verfügung ſtand, fo kurz, daß der Muſeumsleiter fic) darauf beſchränken 
mußte, innerhalb einer halben Stunde in nur ganz großen Zügen die Hus— 
grabungs- und Sammeltätigkeit des Muſeums in der Zeit ſeines fünfjährigen 
Beſtehens an der Schauſammlung zu erläutern. Vorweg ſoll bemerkt werden, 
daß der bisherigen Arbeit des Muſeums ein voller Erfolg beſchieden geweſen 
iſt, der nicht dadurch verkleinert wird, daß Marienburg durch ſeine günſtige 
Cage im Drehpunkt uralter Zugſtraßen geradezu ideale VDorausſetzungen für 
die Vorgeſchichtsforſchung bietet. 

Die ſüdlich der Stadt am Nogatjteilufer liegenden Grabungsgebiete 
ſind an Bodenfunden beſonders ergiebig geweſen. Aus ihnen ſind dem 
Mufeum zwei recht beachtliche Sonderſammlungen zugewachſen. Grab— 
und Siedlungsfunde aus der germaniſchen Kultur der frühen Eiſen- und 
Srüblatenezeit (Braunswalde-Willenberg) füllen einen faſt ſaalgroßen Raum. 
Viel umfangreicher iſt das aus dem großen Gräberfelde von Willenberg 
„Heidniſche Preußen“ geborgene Inventar. Nur ein Bruchteil davon iſt 
zur Ausitellung gelangt. Im Magazin lagert noch das Material aus über 
1400 Gräbern. Es gehört zur gotiſch-gepidiſchen Kultur der römiſchen Kaijer- 
zeit und macht den wertvollſten Teil des Muſeums aus. An einem aus- 
gezeichnet erhaltenen Material wird ein faſt lückenloſer Überblick über die 


5] Das Städtiſche Muſeum zu Marienburg 141 


Entwicklung der Kleingerätformen gewährt. Zahlreiche Prachtſtücke laſſen 
den Kunſtſinn und die Runſtfertigkeit der in den erſten nachchriſtlichen Jahr: 
hunderten im Weichſelmündungsgebiet anſäſſigen Goten-Gepiden erkennen. 
Die Keramik dieſer Zeit ijt in einer Fülle und einem Sormenreidtum vor: 
handen, wie ſie in keinem der beſtehenden oſtdeutſchen Muſeen zu finden 
iſt. Es war ſicher keine Übertreibung, wenn der Mufeumsleiter darauf hin⸗ 
wies, daß Dorgeſchichtler, die ji mit der nachchriſtlichen Kultur der Ger: 
manen in Oſtdeutſchland befaſſen wollen, die Marienburger Sammlung 
fortan nicht mehr übergehen können. Da das Willenberger Gräberfeld 
noch nicht erſchöpft iſt, werden Magazin und Schauſammlung noch weiteren 
wertvollen Zuwachs erwarten dürfen. 

Die Nebenräume enthalten die Sunde aus der Jungſteinzeit, der Spät- 
late ne⸗, der preußiſchen und der Ordenszeit. Die Bronzezeit iſt nur in De 
riode V (Mont.) einzeln belegt. 

Infolge der ſchnellen Entwicklung des Mufeums geht der Wunſch 
feines Leiters dahin, recht bald andere Räume zu erhalten. Der derzeitigen 
Unterkunft — es handelt ſich um zwar große, leider aber zu tief gelegene 
Gewölbe unter dem ehemaligen alten Gymnalium — wird eine eindruds: 
volle Eigenart und Romantik nicht abgeſprochen werden können, aber ſelbſt 
bei Beſchränkung auf nur wichtiges und anſchauliches Husſtellungs material 
iſt die Unterbringungsmöglichkeit heute ſchon zu beſchränkt und wohl auch 
für eine längere Unterkunft nicht geeignet. Im Intereſſe der Erhaltung 
der prächtigen und wertvollen vorgeſchichtlichen Sammlung wäre dem Muſeum 
die Erfüllung ſeines Wunſches recht zu wünſchen. 

Den Beſuch dieſes in aller Stille herangewachſenen Muſeums haben 
die Fahrtteilnehmer ſicher nicht zu bereuen gehabt und mancher „zünftige 
Prähiſtoriker“ hätte gern noch verweilt — wäre nicht die Abfahrt in zu be— 
drohliche Nähe gerückt. Ein von der Muſeumsleitung vorſorglich bereit: 
geſtellter Autobus brachte die Teilnehmer rechtzeitig zur Bahn. 


Danzig 


Don Schulrat Dr. Wilcke, 3eiß 


Don Marienburg führte uns der Zug auf den beiden großartigen Eiſen⸗ 
babnbriiden über die Nogat und die Weichſel durch den polniſchen Korridor 
mit ſeiner Gepäd- und Paßreviſion in etwa zweiſtündiger Fahrt nach Danzig, 
dem Endziel der Tagung, von dem ſchon aus weiter Serne ſonnenbeſtrahlt die 
herrlichen Türme ſeiner wunderbaren Kirchen uns einen freundlichen Will⸗ 
kommensgruß zuwinkten. 

Nach kurzem Aufenthalt in den Quartieren fanden ſich die Mitglieder 
der Geſellſchaft mit ihren neuen Danziger Freunden vor der gewaltigen 
Marienkirche zuſammen, deren weite Ballen in der Erhabenheit ihres riejen- 
haften Ausmaßes den Beſucher mit ehrfürchtigem Staunen erfüllen. Ihre 
weltberühmten Schönheiten erſchloß uns unſer Führer, herr Studienrat 
Dr. Rühle, in einer lehrreichen, feinſinnigen Führung. Dann ging es weiter 
durch die ſchöne Langgafje über den Langen Markt zu dem herrlichen Rathaus 
mit feinen Koſtbarkeiten und geſchichtlichen Erinnerungen an die großen 
Tage der alten hanſeſtadt und zu dem Prachtbau des Artushofes mit ſeinen 
herrlichen Gemälden und plaſtiſchen Kunjtwerfen. Der Abend fand dann 
die Geſellſchaft in einzelne Gruppen zerſtreut bei einem Glas Bier oder 
Wein in dem alten Ratskeller und anderen berühmten Schankſtätten. 

Den höhepunkt des Danziger Aufenthalts aber bildete für uns Dor- 
geſchichtler der folgende Tag, ein ſelten ſchöner Sonntag, mit ſeinem Beſuche 
des im „Grünen Tor“ untergebrachten naturkundlichen und vorgeſchichtlichen 
Muſeums der Stadt, deſſen Schätze uns fein Leiter, herr Profeſſor La Baume, 
in feſſelnder Weiſe vorführte. Aus der reichen, ſehr überſichtlich angeordneten 
Sammlung des naturkundlichen Muſeums möchte ich hier nur als beſonders 
bemerkenswert die zahlreichen Reſte eiszeitlicher Säugetiere ſowie ſolcher 
aus Moorfunden und unter dieſen wieder die Schädel von Ur und Wiſent 
hervorheben, nicht zu vergeſſen der herrlichen Bernſteinſammlung, der zweit⸗ 
größten der Welt. 

In dem ſchön geordneten Muſeum für Dorgefchichte, deſſen Altertümer 
wegen Raummangels leider nur zum kleinſten Teile im Saale haben Auf: 
ſtellung finden können, erweckten unſere Hufmerkſamkeit außer den ſchönen 
meſolithiſchen Knochengeräten und den eigenartigen neolithiſchen Bernſtein— 
artefaften, zahlreichen Waffen aus latenezeitlihen Gräbern und Funden 
aus der römiſchen Kaiſerzeit, einem Wikingerboot und Wikingergrab vor 
allem eine ſtattliche Unzahl von wohlerhaltenen Geſichtsurnen, unter denen 
eine größere Unzahl bildliche Darſtellungen aufwies. Nur ſchade, daß 
der größte Teil dieſer wertvollen Gefäße, um die Danzig den Neid manch' 
anderer Stadt erwecken könnte, nicht, wie es ihre Eigenart und Schönheit 


2] Danzig 143 


verlangen könnte, in dem hauptraume des Muſeums aufgeſtellt iſt, ſondern 
in dem abgelegenen Depotraume hat untergebracht werden müſſen. Der 
Derfaffer dieſes Schlußberichtes ſprach daher in feinen kurzen Dankesworten 
an den Leiter des Muſeums auch den Wunſch aus, daß die ſchöne Sammlung 
bald eine ihrer Bedeutung und ihrem Wert entſprechende vollſtändige Auf- 
ſtellung in größeren Räumen finden möchte. 

An dieſe Beſichtigung ſchloß ſich dann ein Rundgang durch die ſchönſten 
alten Straßen Danzigs mit ihren eigentümlichen altanartigen Vorbauten, 
den fog. Beiſchlägen, und ihren hervorragenditen Baulichkeiten an, von 
denen ich hier nur das hohe Tor, das alte Krantor und die Große Mühle, 
das Zeughaus und die ſchöne St. Katharinen= und St. Trinitatiskirche hervor: 
heben möchte. Einen ſeltenen Einblick in die Eigenart eines alten vornehmen 
Patrizierhauſes gewährte uns das berühmte Uphagen-haus mit feiner mert, 
würdigen Diele, der ſonderbaren hängeſtube und ſeinen zahlreichen prächtig 
und geſchmackvoll ausgeſtatteten Wohnräumen. 

Der Nachmittag führte einzelne von uns nach dem berühmten Oliva 
mit feinem herrlichen Park und feiner alten ſehenswerten Kathedrale, alle 
Anwefenden dann aber noch in das benachbarte Weltbad Zoppot, in deſſen 
Straßen und Strandanlagen ſich eine geradezu erdrückende Maſſe von Be: 
ſuchern hin und her bewegte, darunter zu unſerem Leiöwejen auch in unan— 
genehmer Aufdringlichkeit viele polniſcher Nationalität. 

Den Reit des Tages verbrachten wir dann zuſammen mit den neu: 
gewonnenen Danziger Freunden in dem wunderbar auf beherrſchender 
höhe gelegenen, gaſtlichen heim der Frau Senator Suds bei einer Tajje 
Kaffee und einem Glas Bowle — bei manchen ſollen es auch mehrere ge— 
weſen ſein — in ſchönſter, gegen das Ende hin vielleicht ſogar etwas aus— 
gelaſſener Stimmung. 

Die Letzten führte dann am Abend des folgenden Tages durch eine 
herrliche Mondſcheinnacht und diesmal auch bei ſtiller, ruhiger See unſer 
altes ſtolzes Schiff nach Swinemünde, zum Ausgangspuntt unſerer Fahrt 
zurück. Das war der harmoniſche Abjdlug einer Hee, die mit ihrer Fülle 
einzigartiger und wunderbarſter Eindrücke und Erlebniſſe wohl jedem, der 
an ihr teilnehmen durfte, bis an ſein Lebensende unvergeßlich bleiben wird. 


Derzeichnis der 107 Teilnehmer 


*) v. Auerswald, Annemarie, Stifstdame, 


Sreiherr v. Gaul, Bevollmächtigter für 
Leiterin des Mufeums in Heiligengrabe, 


Oſtpreußen Er Reichsrat, Mitglied des 


*Ehrlich, Profeſſor Dr., 1. Vorſitzer der 
Elbinger Altertumsgeſellſchaft, Elbing. 
*Engel, Karl, Dr., Muſeumsaſſiſtent am 

pruſſiamuſeum, Königsberg i. Pr. 
Graf v. Eulenburg, Rittergutsbeſitzer, 

Widen bei Schönbruch, Oſtpr. 
*Siddide, Sanitatsrat Dr. med., Bad 


geol., Königsberg i. Pr. 

*heym, Waldemar, Studienrat, Leiter des 
heimatmuſeums in Marienwerder, Ma⸗ 
rienwerder, Wpr. 

hockemeyer, Fräulein, Großbehringen, 
Thür. 

i Dr., Rechtsanwalt, Bartenſtein, 


Oſtprignitz | preußiſchen Staatsrats, Königsberg i. Pr. 
Bador, paul, Lehrer, Waſchulken, Kreis | Gentkant, Lehrer, pfleger der Boden⸗ 
Neidenburg. atertimer Ss Kreiſes Gerdauen, Norden⸗ 
Bartſch, d arlotte, Lehrerin, Rönigs⸗ 
berg i. Pr. Die? Schriftsteller, Leiter des ſtädtiſchen 
Becker, f., Gumnaſiallehrer, Staßfurt. Rachrichten⸗ und Verkehrsweſens in Cötzen, 
Beſſel, Landesrat, Königsberg i. Pr. Lößen. 
*Braune, Kurt, Cebrer, Leipzig. *®Goke, Alfred, Profeſſor Dr., Muſeums⸗ 
Braune, Frau Doris, Leipzig. direktor, Berlin. 
Cichorius, Landrat des Kreiſes Elbing, *Grügmadher, herbert Hans, Studienrat, 
Elbing. Kammin, Domm. 
Clasen, Privatdozent Dr., Königsberg i. Pr. „Grunwald, Gerhard, Dr. med., Berlin. 
*Dethlefien, Richard, Prof. Dr., Pro- Guntram, Srida, Zoppot. 
vinzial i 1. Vorſitzer der Alter⸗ Guttzeit, Lehrer, Pfleger der Bodenalter⸗ 
tumsgeſellſchaft Pruſſia, Königsberg i. Pr. ne des Kreiſes Heiligenbeil, Heiligen- 
ee HALA Srau Profeſſor Emma, Kö: 
nigsberg i. Pr. nahnte Studienrat, Pfle ch der Boden⸗ 
Dobbert, Studienrat, Glogau, Schleſ. tertümer des Kreiſes oldap, Goldap. 
Donner, Sranz, Lehrer, Pfleger der Boden⸗ v. Hatten, Hauptmann, Leiter des Tannen⸗ 
altertiimer des Kreiſes Wehlau, Dons: berg⸗ Nationaldentmals, hohenſtein, Ditpr. 
walde, Kr. Weblau. *hek v. Wichdorff, hans, Bergrat Profeſ⸗ 
Ebert, Bürgermeiſter, Leiter des heimat⸗ ſor Dr., Candesgeologe, Berlin. 
muſeums in Friedland, Friedland, Oſtpr. *heg v. wichdorff, Hans Wolfgang, cand. 


Freienwalde a. d. Oder. Oſtp 
Srant, Lehrer, Pfleger der Bodenalter— Jeſet. Stadtrat, n der 


tümer des Kreijes Braunsberg, Mehl— Stadt Loken, Lößen. 
ſack, Oſtpr. *p. Kleijt, Hauptmann, wendiſch Cuchow, 
Fröhlich, Profeſſor, 1. Dorſitzer der Alter: Domm. 
tumsgeſellſchaft Inſterburg, Inſterburg. Köhler, W., Studiendirektor, Leiter des 
Sromm, Lehrer, Pfleger der Bodenalter— heimatmuſeums und Pfleger der Boden- 
tümer des Kreiſes Allenſtein, Allenſtein. altertümer des Kreiſes Pr. Holland, Pr. 
*Suchs, Frau Senator Klara, Danzig. holland. 
*Gaerte, W., Dr., Direktor des Pruſſia- v. Königsegg, Adda, Schweſter, Königs 
muſeums, Königsberg i. Pr. berg i. Pr. 
Gallinat, W., Labiau. *Roſſinna, Guſtaf, Geheimer Reg.-Rat 
Gallus, Regierungsbaumeiſter, Neukirch, Univ.⸗Profeſſor Dr., 1. Dorfiger der Ge— 
Oſtpr. ſellſchaft für Deutſche Dorgeſchichte, Berlin. 


)) Ein Stern * bezeichnet die Migltieder der Geſellſchaft für Deutſche Vorgeſchichte 
und ihre Angehörigen. 


2] 


*Rotzan, Franz, Lehrer, Pfleger der Boden: | 
altertümer des Kreijes Lud, Grabnid, | 
Kr. Luck. 

Krauſe, Rektor, Pfleger der Bodenalter⸗ 
tümer des Kreiſes Darkehmen, Dar: 
kehmen. 

Krollmann, ne der Stadtbibliothet, 
Königsberg i. Pr. 

So Baume, Wolfgang, Univ.⸗Profeſſor 
Dr., Muſeums direktor, Danzig. 

Sanger, Franz, ln a. D., 
Bad Freienwalde a. d 

»Canger, Stau Hermine, Bad Sreienwalde 


a. d. Oder. 

Capſchies, Rektor, Pfleger der Boden: 
altertümer des Kreifes Roſenberg, Rojen- 
berg, Wpr. 

Laudon, Bürgermeiſter, Angerburg. 

Lemte, Paul, Lehrer, Pfleger der Bodens 
altertümer des Kreijes Niederung, Grün: 
dann. 

Cerique, Studienrat, Angerburg. 

*Cied, Walther, Lehrer, Leiter des Heimat: 
muſeums und Pfleger der Bodenalter- 
tümer des Kreiſes Labiau, Labiau. 

Lohmeyer, hans, Dr. „Oberbürgermeiſter, 
Königsberg i. Pr. 

Mattern, Erzprieſter, Leiter des heimat⸗ 
muſeums in Röſſel, Röjjel. 

Mattukat, R., Inſterburg. 

Matz, hermann, Amtsgeridtsrat a. D., 
Berlin. 

Mauer, Karl Ludwig, Sundikus, Rönigs⸗ 
berg i. Pr.; als Dertreter des Direktors 
Max Opitz, Görlitz. 

Melzer, Augujt, Prokuriſt, Leipzig. 

Merten, Dr., Oberbürgermeiſter, Elbing. 

*Mofdtau, Rudolf, Lehrer, Leipzig. 

Moslehner, Hermann, Lehrer, Lyd. 

Nitſchke, Richard, Dr., Breslau. 

*pätzold, Alfred, Oberſtudiendirektor Dro: 
feſſor Dr., Kottbus. 

*pokrandt, Lehrer, Pfleger der Boden— 
altertümer des Kreiſes Mohrungen, Alt⸗ 
ſtadt, Oſtpr. 

Prep, Neubaufen, Oſtpr. 

*pumplün, Hartwig, Osnabrück. 

Quiliſch, heinrich, Rektor, Bad Freien— 
walde a. d. Oder. 

*Radig, Werner, Dr., Dresden. 

*Radig, Stau Ilſe, Dresden. 


„Richter, Martin, Poſtinſpektor, Neuſtadt 
a. d. Orla. 

Roflius, Karl Otto, Königsberg i. Pr. 

Rühle, Dr., Danzig. 


Sachs, Eliſabeth, Neidenburg. 


Scheibert, Landesrat, Königsberg i. Pr. 


Mannus, Jeitſchtift fue Vorgeſchichte. VIII. Erg. 


Verzeichnis der Teilnehmer 


EN — — 


Streich, 


——ͤ ä — ßH— — — — 


145 


i Kurt, Kaufmann, Rö⸗ 
nigsberg i. Pr. 
un Bernhard, Geheimer Oberbaurat, 
Dr. e. h., Wiederherſteller der Marien: 
burg, Marienburg, Wpr. 
*Schoener, Ludwig, Großkaufmann, Bre— 


men. 
Schrage, Ewald, Lehrer, Raun i. Dogt: 
d 


land. 
*»Schübeler, Oberſtudienrat Profeſſor, Lei⸗ 
ter des Morgenſtern⸗Muſeums, Weſer⸗ 


münde. 

Schultz, Wolfgang, Dr., Privatgelehrter, 

Görlitz. 

Schwarz, Erwin, Lehrer, Pfleger der 
Bodenaltertümer des Kreiſes Bartenſtein, 
Langendorf. 

Siehr, Dr. h. e., Oberpräſident der Provinz 
Oſtpreußen, Königsberg i. Pr. 

Sierfe, Studienrat, Königsberg i. Pr. 

Sievers, Studiendireftor, Dertreter des 
heimatmuſeums in Pr. Gen Dr. Eylau. 

*Snethlage, Ernit, Reg.⸗Inſpektor a. D., 
Berlin. 

Sonder, Wolfgang, Apotheker, Oldesloe, 
Din. 

Stark, Dr., Leiter des heimatmuſeums in 
Mühlhauſen, Mühlhauſen, Oſtpr. 

Steinhauſen, Regierungsrat, Dertreter 
des heimatmuſeums in Pr. Eylau, Pr. 
Eulau. 

Stertau, Lehrer, Mierunsken bei Treu- 


burg, Oſtpr. 
=D: SC Kurd, Wirklicher Rat, Berlin. 
Konigsberg i. Dr. 

*Tierid), Erich, Lehrer, Bad Röſen a. d. 
Saale. 

Uffhauſen, Dr., Stadtrat, Elbing. 

*Dentzke, Richard, Geſchäftsführer, Berlin. 

*Derie, hanna, Berlin. 

Vogt, Kataſterdirektor, Pfleger der Boden- 
altertümer des Kreiſes Sensburg, Sens— 
burg. 

Doigtmann, Stadtrat, Leiter des Städt. 
Muſeums und pfleger der Bodenalter⸗ 
tümer des Kreiſes Marienburg, Marien— 
burg, Wpr 

Weber, S Berlin-Spandau. 

Wilcke, Max, Kreisſchulrat, Zeitz. 

Windt, Mar, Cuzeallehrer, Vertreter des 
Köthener malen Köthen, Ans 
hal 


Wrede, hermann, Bankprokuriſt der Deut: 
ſchen Bank i. R., Berlin. 

Wüſtendörfer, Charlotte, Königsberg i. Pr. 

* Jiegenſpeck, hermann, Privatdozent Ur., 
Rönigsberg i. Pr. 


Bd. 10 


FR — 


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Mannus. Er 


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