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Full text of "Max Stirner's kleinere Schriften und seine Entgegnungen auf die Kritik ..."

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Max Stirner's 

Kleinere Schriften 

und 
seine Sntgeg'nuiig'eii 

auf die Kritik seines Werkes: 

„Der Einzige und sein Ei^enthum". 
Aus den Jahren 1842—1847. 



Herausgegeben 

John Henry Maekay, 

Verfssser von: „Mai Stimer. Sein Leben und sein Werk." 



Berlin 1898. 
Verli^ von Schuster & Loeffler. 



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HW 
121« 



Alle Rechte vorbehalten. 



1 A. Biet^ & Sohn, Naambarg a 



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LABADIE „ f ^ 

COLLECTIQN 1-"e J *^ 

' ' ■■. Coil. 






Vorwort. 



Zugleich mit meiner Biographie Mas Stimer'a») veranstalte 
ich diese Heranagabe seiner kleineren Schriften und seiner 
Entgegnungen auf die Kritik seines unsterblichen Werkes. Sie 
nmfosat Alles, was er ausser ihm und seiner „Geschichte der 
Beaction" — einem compUatorischen Sammelbuch, in dem leider 
nur das Wenigste seiner Feder entstammt — an selbststSndigen 
Arbeiten je veröffentlicht hat, und bildet gewissennasaen Torwort 
nnd Nachtrag zu dem „Einzigen und sein Eigenthum". Es liegt 
nicht in meiner Absicht, in den einleitenden Bemerkungen zu 
diesen seinen Studien nnd Betrachtungen mehr als die noth- 
wendigsten Thatsachen zu geben — die Wucht seiner eigenen 
Worte kann durch keine fremden erhöht, höchstens abge- 
schwächt werden, — um so mehr, als ich wohl mit Recht 
annehmen darf, dass denen, die sich mit ihnen und ihrem Schöpfer 
beschäftigen, auch meine Geschieht« seines Lebens nicht fremd 
sein oder bleiben wird, in der der bedeutungsvolle Inhalt dieses 
Bandes natürlich die eingehendste Beachtung gefunden hat. 

Wie Stimer's „Kleinere Schritten" die natürlichen Vor- 
arbeiten zu seinem Lehenswerke sind, so sind seine „Entgegnungen" 
dessen letzte Ergänzungen nnd die Eenntniss beider erscheint 
mir unerlässlich für jeden Bewunderer und jeden Hasser jeuer 
unvergleichlichen That, mit der eine neue Epoche in dem Leben 
des Menschengeschlechtes mit ebenso stiller, wie zwingender 
Macht eingeleitet wurde. 



Im Herbst 1897. John Henry Hackay. 



□ John Heury Mackay . — 



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Inhalt. 



Vorwort 

Erster Teil: Kleinere Schriften. 

Einleitnng 

Das unwahre Prinzip naserer Erziehung oder der 

Hnmanismua und Bealismna 

Knnst nnd Religion 

ESnigsherger Sliizzen von Karl Rosenkranz . . 

Einiges Vorläufige vom Liebesstaat 

Die Mysterien von Paris. Von Eugene Sue ... 

Zweiter Teil: EntgesnUBgeD auf die Kritik deH 
„Einzigen nnd sein Elgeuthnm." 

Einleitung 

Becenaenten Stirnera. Entgegnung an Feuerbach, 

Szeliga und Hess 

Die philnsophiacben Beactioiiäre. Entgegnung anf 
„Die modernen Sophiaten" von Kuno Flacher . . . 



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Erster Teil. 

Kleinere Schriften. 

> 
Aus den Jahren 1842—44. 



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Einleitung 

zu den 
„Kleineren Schriften". 

Was Max Stirner an selbständigen, kürzeren 
Arbeiten hinterlassen hat, ist entstanden und veröffent- 
licht vor dem Erscheinen des „Einzigen und sein 
Eigentum", also vor 1845. Drei von den fünf Auf- 
sätzen, die wir nun wieder besitzen, hat er in der 
Zeitung, an der er in den Jahren 1842 und 1843 von 
Berlin aus als Korrespondent thätig war, veröffentlicht; 
zwei weitere seinem Bekannten Ludwig Buhl für ein 
problematisches Unternehmen gegeben. Die „Rhei- 
nische Zeitung" ist heute von fast unnachweisbarer 
Seltenheit; meines Wissens existiert sie überhaupt nur 
noch in zwei Exemplaren. Der kleine Band der „Berliner 
Monatsschrift" ist wohl noch antiquarisch aufzutreiben, 
aber auch so nur noch sehr selten zu finden. — Zwei 
von den fünf Arbeiten habe ich bereits wieder drucken 
lassen; die anderen drei erstehen hier zum ersten Male 
wieder aus ihrer völligen Vergessenheit. 

Von grosser Verschiedenheit des Vorwurfs und 
des Inhalts zeigen sie alle den kühnen und überlegenen 
Denker wie er vorbereitend die Schärfe seiner Waffen 
prüft für die nahende, grosse Schlacht. Jetzt, wo er 
sie geschlagen, machen sie uns die Sicherheit ver- 
ständlich, mit der er in ihr siegte. Er vertraute ihnen 
mit Recht. 



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Das unwahre Prinzip nnserer Erziehung 

oder 

der Humanismus und Realismus. 



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Der Aufsatz über „das unwahre Prinzip unserer 
Erziehung" war der erste und umfangreichste, den 
Stimer der „Rheinischen Zeitung" übergab. Er er- 
schien in den Beiblättern zu den vier Nummern 100, 
102, 104 und 109 vom 10., 12., 14. und 19. April 1842 
und wurde zum ersten Male von mir wiedergedruckt 
in dem ersten Heft des sechsten Jahrganges der „Neuen 
deutschen Eundschau*" (Freie Bühne) in Berlin vom 
Januar 1895. Unterzeichnet war er: „Stimer". 



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W eil unsere Zeit nach dem Worte ringet, womit- 
sie ihren Geist ausspreche, so treten viele Namen in 
den Vordergrund und machen alle Anspruch darauf, 
der rechte Name zu sein. Auf allen Seiten zeigt unsere 
Gegenwart das bunteste Parteiengewühl, und um den [ 
verwesenden Nachlass der Vergangenheit sammeln sich 1 
die Adler des Augenblicks. Es giebt ahw der politischen, i 
socialen, kirchlichen, wissenschaftlichen, künstlerischen, 
moralischen und anderer Leichname überall eine grosse 
Fülle, und ehe sie nicht alle verzehrt sind, wird die 
Luft nicht rein und der Athem der lebenden Wesen 
bleibt beklommen. 

Ohne unser Zuthun bringt die Zeit das rechte 
Wort nicht zu Tage; wir müssen Alle daran mit- 
■ arbeiten. Wenn aber auf uns dabei so viel ankommt, 
so fragen wir billig, was man aus uns gemacht hat 
und zu machen gedenkt, wir fragen nach der Erziehung, 
durch die man uns zu befähigen sucht, die Schöpfer 
jenes Wortes zu werden. Bildet man unsere Anlage, i 
Schöpfer zu werden, gewissenhaft aus, oder behandelt ' 
man uns nur als Geschöpfe, deren Natur bloss eine 
Dressur zulässt? Die Frage ist so wichtig, als es eine 
unserer socialen nur ii^end sein kann, ja sie ist die 
wichtigste, weil jene auf dieser letzten Basis ruhen. 
Seid etwas Tüchtiges, so werdet ihr auch etwas Tuch- ■ 
tiges wirken; sei „Jeder vollendet in sich", so wird 
eure Gemeinschaft, euer sociales Leben, auch vollendet 
sein. Darum kümmern wir uns vor Allem darum, was 
man aus uns macht in der Zeit unserer Bildsamkeit;: 



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— 10 — 

die Schulfrage ist eine Lebensfrage. Das springt aoch 
jetzt genugsam in die Augen, und seit Jahren wird 
auf diesem Felde mit einer Hitae und Offenheit ge- 
focht«n, die jene auf dem Giehiet der Politik darum 
weit übertrifft, weil sie nicht auf die Hemmnisse eigen- 
mächtiger Gewalt stösst. Ein ehrwürdiger Veteran, der, 
Professor ITieodor Heinsius, der wie der verstorbene 
Professor Krug sich Kraft und Strebsamkeit bis in sein 
hohes Alter bewahrt hat, sucht neuerdings wieder durch 
eine kleine Schrift das Interesse für diese Sache an- 
zufachen. Er nennt sie ein „Konkordat zwischen 
Schule und Leben oder Vermittlung des Humanismus 
und Realismus, ans nationalem Standpunkte betrachtet. 
Berlin 1842." Zwei Parteien kämpfen um den Sieg, 
und wollen jede ihr Erziehungsprinzip unserem Be- 
dürfnisse als das beste und wahrhafte empfehlen: die 
Humanisten und Realisten. Ohne es mit den einen 
oder andern verderben zu wollen, redet Heinsius in 
dem Büchelehen mit jener Milde und Versöhnlichkeit, 
die beiden ihr Recht widerfahren zu lassen meint und 
dabei der Sache selbst das grösste Unrecht thut, weil 
dieser nur mit schneidender Entschiedenheit gedient 
ist. Es bleibt nun einmal diese Sünde wider den Geist 
der Sache das unablösbare Erbteil aller weichmütigen 
A'ermittler. „Konkordate" bieten nur ein feiges Aus- 
kunftsmittel: 

Nur offen wie ein Mann: Für oder Wider! 
Und die Parole: Sklave oder frei! 

Selbst Götter stiegen vom Olympe nieder, 
Und kämpften auf der Zinne der Partei. 

Heinsius entwirft, ehe er an seine eigenen Vor- 
schläge kommt, eine kurze Skizze des historischen Ver- 
laufes von der Refonnation an. Die Periode zwischen 
der Reformation und Revolution ist — was ich hier 
ohne Begründung nur behaupten will, weil ich es bei 
einer anderen Gelegenheit ausführlicher darzustellen 
gedenke — die des Verhältnisses zwischen Mündigen 



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und Unmündigen, zwischen Herrsclienden undDlenenden, 
Gewaltigen und Machtlosen, kurz die rnterthänigkeits- 
periode. Abgesehen von jedem anderen Grunde, der 
zu einer t'berlegenheit berechtigen mochte, hob die 
Bildung, als eine Macht, den, der sie besass, über 
den Ohnmächtigen, der ihrer entbehrte, empor, und der 
Gebildete galt in seinem Kreise, so gross oder klein 
derselbe war, als der Mächtige, der Gewaltige, der 
Imponirende: denn er war eine Autorität. Nicht 
alle konnten zu dieser Herrschaft und Autorität be- 
rufen sein; darum Avar auch die Bildung niclit für 
Alle und eine allgemeine Bildung widei^prach jenem 
Prinzipe. Die Bildung vei-schafft Überlegenheit und 
macht zum Herrn: so war sie in jenem Herrn-Zeit- 
alter Mittel zur Herrechaft. Allein die Revolution 
durchbrach die Herrn- und Diener-AVirthschaft, und der 
Grundsatz trat in's Leben: Jeder sei sein eigener 
Herr. Damit war die notwendige Folge verknüpft, 
dass die Bildung, die ja zum Herrn macht, forthin 
eine universelle werden musste, und die Aufgabe 
stellte sich von selbst ein, nunmehr die wahrhaft uni- 
verselle Bildung zu finden. Der Drang nach universeller. 
Allen zugänglicher Bildung musste zum Kampfe gegen 
die hartnäckig behauptete exklusive anrücken, und die 
Bevolution musste aucli auf diesem Felde gegen das 
Herrentum der Reformationsperiode das Schwert zücken. 
Der Gedanke der allgemeinen Bildung stiess zu- 
sammen mit der ausschliesslichen, und durch manche 
Phasen und unter allerhand Namen zog sich Krieg 
und Schlacht bis in den heutigen Tag herein. Für die 
Gegensätze, die in feindlichen Lagern einander gegen- 
über stehen, wälilt Heinsius die Namen Humanismus 
und Realismus, und wir wollen sie, so wenig zu- 
treffend sie auch sind, doch als die gewöhnlichsten 
beibehalten. 

Bis im 18. Jahrhundert die Aufklärung ihr Licht 
zu verbreiten anfing, lag die sogenannte höhere 



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— 12 — 

Bildung ohne Einspruch in den Händen der Huma- 
nisten und beruhte fast allein auf dem Verständniss 
der alten Klassiker. Daneben ging eine andere 
Bildung einher, welche ihr Muster gleichfalls im Alter- 
thum suchte und der Hauptsache nach auf eine erkleck- 
liche Kenntnis der Bibel hinauskam. Dass man in 
beiden Fällen die beste Bildung der antiken Welt zu 
seinem einzigen Stoff ausersah, beweist genugsam, wie 
wenig das eigene Leben noch etwas Würdiges darbot, 
und wie weit wir noch davon entfernt waren, aus 
eigener Originalität die Formen der Schönheit, aus 
eigener Vernunft den Inhalt der Wahrheit erschaffen 
zu können. Wir hatten Form und Inhalt erst zu 
lernen, wir waren Lehrlinge. Und wie die antike 
Welt durch Plastiker und Bibel als Herrin über uns 
gebot, so war — was sich historisch beweisen lässt — 
das Herr- und Dienersein überhaupt das Wesen unseres 
gesammten Treibens, und lediglich aus dieser Natur des 
Zeitalters erklärt es sich, warum man so unbefangen 
nach einer „höheren Bildung" trachtete und vor dem 
gemeinen Volke sich durch sie auszuzeichnen beflissen 
war. Mit der Bildung wurde ihr Besitzer ein Herr 
der Ungebildeten. Kine volkßthnmliche Bildung würde 
dem entgegen gewesen sein, weil das Volk den ge- 
lehrten Herrn gegenüber im Laienstande verharren 
und die fremde Herrlichkeit nur anstaunen und ver- 
ehren sollte. So setzte sich der Eomanismus in der 
Gelehrsamkeit (ort, und seine Stützen sind Latein und 
Griechisch. Femer konnte es nicht fehlen, dass diese 
Bildung durchgehends eine formelle blieb, sowohl 
deshalb, weil von dem verstorbenen und längst be- 
grabenen Alterthum ja nur die Formen, gleichsam die 
Schemen der Literatur und Kunst, sich zu erhalten 
im Stande waren, als besonders deshalb, weil Herr- 
schaft über Menschen gerade durch formelles Über- 
gewicht erworben und behauptet wird: es bedarf nur 
eines gewissen Grades von geistiger Gewandtheit zur 



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— 13 — 

Überlegenheit über die Ungewandten. Die sogenannte 
höhere Bildung war daher eine elegante Bildung, ein 
sensus omnis elegantiae, eine Bildung des Geschmacks 
und Formensinns, die zuletzt gänzlich zu einer gram- 
matischen herabzusinken drohte, und die deutsche 
Sprache selbst so sehr mit dem Gerüche Latiums par- 
filmirte, dass man heute noch z. B. in der soeben er- 
schienenen „Geschichte des brandenburgisch-preussi- 
schen Staates. Ein Buch für Jedermann. Von 
Zinunermann" die schönsten lateinischen Satzbildungen 
ZQ bewundern Gelegenheit hat. 

Indessen richtete sich allgemach aus der Auf- 
klärung ein Geist des Widerspruchs gegen diesen For- 
malismus auf, und zu der Anerkennung unverlierbarer 
und allgemeiner Menschenrechte gesellte sich die 
Forderung einer Alle umfassenden, einer menschlichen 
Bildung. Der Mangel einer reellen und in das Leben 
eingreifenden Belehrung war an der bisherigen Ver- 
fahrungsweise der Humanisten einleuchtend und er- 
zeugte die Forderung einer praktischen Ausbildung, 
Fortan sollte alles Wissen Leben, das Wissen gelebt ' 
werden; denn erst die Realität des Wissens ist seine 
Vollendung. Gelang es, den Stoff des Lebens in die 
Schule einzuführen, durch ihn etwas Allen Brauchbares 
zu bieten, und eben darum Alle für diese Vorbereitung 
aufs Leben zu gewinnen und der Schule zuzuwenden, 
so beneidete man die gelehrten Herren nicht mehr 
um ihr absonderliches Wissen, und das Volk be- 
endete seinen Laienstand. Den Priesterstand der 
Gelehrten und den Laienstand des Volkes aufzuheben, 
ist das Streben des Realismus, und darum muss es den 
Humanismus überflügeln. Aneignung der klassischen 
Formen des Alterthums begann zurückgedrängt zu 
werden, und mit ihr verlor die Autoritäts-Herr- 
schaft ihren Nimbus. Die Zeit sträubte sich gegen 
■den althergebrachten Respekt vor der Gelehrsamkeit, 
wie sie denn überhaupt gegen jeden Respekt sich auf- 



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— 14 — 

lehnt' Der wesentliche Vorzug der Gelehrten, die 
allgemeine Bildung sollte Allen zu Gute kommen. 
Was ist aber, fragte man, allgemeine Bildung anders, 
als die Befähigung, trivial ausgedruckt, „über alles 
mitreden zu können", ernster gesprochen, die Befähigung, 
jedes Stoffes Herr zu werden? Man sah, die Schule 
war hinter dem Leben zurückgeblieben, indem sie sich 
nicht nur dem Volke entzog, sondern auch bei ihren 
Zöglingen über der exclusiven Bildung die universelle 
versäumte, und sie anzuhalten unterliess, eine Menge 
Stoff, der uns vom Leben aufgedrungen wird, schon 
auf der Schule zu bemeistern. Hat ja doch die Schule, 
dachte man, die Grundlinien unserer Versöhnung mit 
Allem, was das Leben darbietet, zu ziehen und dafür 
zu sorgen, da^ keiner der Gegenstände, mit welchen 
wir uns dereinst befassen müssen, uns völlig fremd und 
ausser dem Bereich unserer Bewältigung sei. Daher 
wurde aufs eifrigste Vertrautheit mit den Dingen und 
Verhältnissen der Gegenwart gesucht und eine Pä- 
dagogik in Aufnahme gebracht, welche auf Alle An- 
wendung finden musste, weil sie das Allen gemeinsame 
Bedürfnis, sich in ihre Welt und Zeit zu finden, be- 
friedigte. Die Grundsätze der Menschenrechte ge- 
wannen in dieser Weise auf dem pädagogischen Gebiete 
Leben und Realität: die Gleichheit, weil jene Bildung 
Alle umfasste, und die Freiheit, da man in dem, was 
man brauchte, bewandert, mithin unabhängig und selbst- 
stäudig wurde. 

Indess das Vergangene zu fassen, wie der Huma- 
nismus lehrt, und das Gegenwärtige zu ergreifen, worauf 
es der Realismus absieht, führt beides nui" zur Macht 
I über das Zeitliche, Ewig ist nur der Geist, welcher 
1 sich erfasst Deshalb empfingen Gleichheit und Frei- 
heit auch nur ein untergeordnetes Dasein. Man konnte 
wohl Andern gleich, und von ihrer Autorität emancipirt 
werden; von der Gleichheit mit sich selbst, von 
der Ausgleichung und Versöhnung unseres zeitlichen 



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und ewigen Menschen, von der Verklärung unserer 
Xatürlichkeit zur Geistigkeit, kurz von der Einheit 
und der Allmacht unseres Ichs, das sich selbst genügt, 
weil es ausser ihm nichts Fremdes stehen lässt — : 
Davon liess sich in jenem Prinzip kaum eine Ahnung 
erkennen, Nur die Freiheit erschien wohl als Un- 
abhängigkeit von Autoritäten, war aber noch leer an 
Selbstbestimmung und lieferte noch keine Thaten eines 
in sieh freien Menschen, Selbstoffenbarungen eines 
rücksichtslosen, d. h. eines aus dem Fluktuiren der Re- 
flexion erretteten Geistes. Der formell Gebildete sollte 
freilich nicht mehr über den Meeresspiegel der all- 
gemeinen Bildung hervorragen und verwandelte sich 
aus einem „höher Gebildeten" in einen „einseitig 
Gebildeten" (als welcher er natürlich seinen unbe- 
strittenen Werth behält, da alle allgemeine Bildung be- 
stimmt ist, in die verschiedensten Einseitigkeiten 
specieller Bildung auszustrahlen); allein der im Sinne 
des Eealismus Gebildete war auch nicht über die Gleich- 
heil mit andern und die Freiheit von andern, nicht 
über den sogenannten „praktischen Menschen" 
liinausgekommen. Zwar konnte die leere Eleganz des 
Humanisten, des Dandy, der Niederlage nicht ent- 
gehen; allein der Sieger gleisste vom Grünspane der 
Materialität und war niclits Höheres, als ein ge- 
schmackloser Industrieller. Dandismus und In- 
dustrialismus streiten um die Beute lieblicher Knaben 
und Mädchen und tauschen oft verführerisch ihre 
Rüstungen, indem der Dandy im ungeschliffenen Cynis- 
mus und der Industrielle mit weisser AVäsche erscheint. 
Allerdings wird das lebendige Holz industrieller Streit- 
kolben die trockenen Stecken dandistischer Entmarkung 
zerbrechen; lebendig aber oder tot, Holz bleibt Holz, 
imd soll die Flamme des Geistes leuchten, so muss das 
Holz in Feuer aufgehen. 

Warum muss inzwischen auch der Realismus, wenn 
er, wozu ihm doch die Fähigkeit nicht abzusprechen, 



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— 16 — 

•das Gute des Humanismus in sich aufnimmt, gleich- 
wohl m Grunde gehen? Gewiss kann er das Unver- 
-äusserliche und Wahre des Humanismus, die formelle 
Bildung, in sich aufnelimen, was ihm mehr und mehr 
durch die möglich gewordene Wissenschaftlichkeit und 
vernünftige Behandlung aller Lehrobjekte leicht ge- 
macht wird (ich erinnere nur beispielsweise an Beckers 
Leistungen für die deutsche Gratomatik), und durch 
diese Veredlung seinen Gegner aus der festen Position 
verdrängen. Da der Eealismus so gut als der Humanis- 
mus davon ausgeht, dass es die Bestimmung aller Er- 
ziehung sei, dem Menschen Gewandtheit zu ver- 
schaffen, und beide z. B. darin übereinkommen, dass 
man sprachlich an alle Wendungen des Ausdrucks 
gewöhnen, mathematisch die Wendungen der Beweise 
einschärfen muss u. s. w., dass man also auf Meister- 
schaft in Handhabung des Stoffes, auf Bemeisterung 
desselben hinzuarbeiten habe: so wird es gewiss nicht 
ausbleiben, dass auch der Realismus endlich als letztes 
Ziel die Geschmacksbildung anerkenne und die for- 
mirende Thätigkeit obenan stelle, wie das schon jetzt 
zum Theil der Fall ist. Denn in der Erziehung hat ja 
doch aller gegebene Stoff nur darin seinen Werth, dass 
die Kinder lernen, etwas damit anzufangen, ihn zu 
gebrauchen. Wohl darf nui' Nützliches und Brauch- 
bares, wie die Realisten wollen, eingeprägt werden; 
allein der Nutzen wird doch einzig im Formiren zu 
suchen sein, im Verallgemeinern, im Darstellen, und 
man wird diese humanistische Forderung nicht abweisen 
können. Die Humanisten haben darin Recht, dass es 
vornehmlich auf die formelle Bildung ankommt — darin 
Unrecht, dass sie diese nicht in der Bewältigung jedes 
Stoffes finden; die Realisten verlangen das Richtige 
darin, dass jeder Stoff auf der Schule angefangen 
werden müsse, das Unrichtige dann, wenn sie nicht 
die formelle Bildung als hauptsächlichen Zweck an- 
:sehen wollen. Der Realismus kann, wenn er die rechte 



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~ 17 — 

Selbstverläügnung übt und sich niclit den materia- 
Jistischen Verfühningen hingibt, zu dieser Ueber- 
windung seines Widersachers und zugleich zur Ver- 
söhnung mit ihm konmien. Warum feinden wir ihn 
nun dennoch an? 

bf Wirft er denn wirklich die Schale des alten 
Prinzips von sich, und steht er auf der Höhe der Zeit? 
Damach ist ja doch Alles zu beurteilen, ob es sieh zu 
der Idee bekennt, welche die Zeit als ihr Theuerstes 
errungen hat, oder oh es liinter ihr einen stationaii'cn 
Platz einnimmt. — Es muss jene unvertilgbare Furcht 
auffallen, mit der die Realisten vor der Abstraktion 
und Spekulation zurückschaudern, und ich will deshalb 
ein paar Stellen aus Heinsius hierhersetzen, der in 
diesem Punkte st«ifen Realisten nicht nachgibt, und 
mir Anführungen aus diesen erspart, die leicht zu geben 
wären. Seite 9 heisst es: „Man hörte auf den höheren 
Bildungsanstalten von philosophischen Systemen der 
Griechen, von Aristoteles und Plato, auch wohl der 
Neuern, von Kant, dass er die Ideen von Gott, Frei- 
heit, Unsterblichkeit als unerweislich hingestellt, von 
Fichte, dass er die moralische Weltordnung an die 
Stelle des persönlichen Gottes gesetzt, von Schelling, 
Hegel, Herbart, Krause, und wie alle die Entdecker 
und Verkünder überirdischer Weisheit heissen mögen. 
Was, sagt man, sollen wir, soll die deutsche Nation 
mit idealistischen Schwärmereien anfangen, die weder 
den empirischen und positiven Wissenschaften, noch 
dem praktischen Leben angehören, und dem Staate 
nicht frommen? was mit einer dunkeln Erkenntniss, 
die nui' den Zeitgeist verwirrt, zu Unglauben und 
Atheismus führt, die Gemüter spaltet, die Studirenden 
selbst von den Lehrstühlen ihrer Apostel verscheucht, 
und sogar unsere Nationalsprache verdunkelt, da sie 
die klarsten Begriffe des gesunden Menschenverstandes 
in mystische Räthsel umwandelt? Ist das die Weisheit, 
die unsere Jugend zu sittlich guten Menschen, denkenden 

Uackmy, Mu SUmer'B Kleinere flchiiftcD. 2 



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— 18 — 

Vernunftwesen, treuen Bürgern, brauchbaren und tüch- 
tigen Arbeitern in ihrem Beruf, liebenden Gatten und 
sorgsamen Vätern für die Begründung häuslichen Wohl- 
seins heranbilden soll?" Und Seite 45: „Sehen wir 
auf die Philosophie und Theologie, die als Wissen- 
schaften des Denkens und Grlaubens für das Wohl der 
Welt oben an gestellt werden, was sind sie durch ihre 
gegenseitigen Reibungen geworden, seit Luther und 
Leibniz die Bahn dazu brachen? Der Dualismus, 
Materialismus, Spiritualismus, Naturalismus, Pantheis- 
mus, Realismus, Idealismus, Supernaturaiisraus, Ratio- 
nalismus, Mysticismus und wie alle die abstrusen — ismen 
überspannter Spekulationen und Gefühle heissen mögen: 
was haben sie denn nun dem Staate, der Kirche, den 
Künsten, der Volkscultur für Segen gebracht? Das 
Denken und Wissen ist freilich in seinem Umfang er- 
weitert, ist aber jenes auch deutlicher und dieses sicherer 
geworden? Die Religion, als Dogma, ist reiner, aber 
der subjektive Glaube ist verworrener, geschwächt, in 
seinen Stützen gebrochen, durch Kritik und Hermeneutik 
erschüttert, oder in Schwärmerei und pharisäische 
Scheinheil^keit umgewandelt, und die Kirche? — ach, 

— ihr Leben ist Zwiespalt oder Tod. Ist es nicht so?" 

— Weshalb zeigen sich denn die Realisten der Philo- 
sophie so abhold? Weil sie ihren eigenen Beruf ver- 
kennen und mit aller Gewalt beschränkt bleiben wollen, 
statt unumschränkt zn werden! Warum hassen sie die 
Abstraktion? Weil sie selbst abstrakt sind, weil sie 
von der Vollendung ihrer selbst, von dem Aufschwung 
zur erlösenden Wahrheit abstrabiren! 

Wollen wir etwa die Pädagogik den Philosophen 
in die Hände spielen? Nichts weniger als das! sie 
würden sich ungeschickt genug benehmen. Denen 
allein werde sie anvertraut, die mehr sind, als Phi- 
losophen, darum aber auch unendlich mehr, als Hu- 
manisten oder Realisten. Die letzteren haben den rich- 
tigen Geruch, dass auch die Philosophen untergehen 



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— 19 — 

müssen, aber keine Ahnung davon, dass ihrem Unter- 
gange eine Aufersteliung folgt: sie abstrahiren von 
der Philosophie, um ohne sie in den Himmel ihrer 
Zwecke zu gelangen, sie überspringen sie und — 
fallen in den Abgrund eigener Leerheit, sie sind, gleich 
dem ewigenJuden, unsterblich, nicht ewig, Nur I 
die Philosophen können sterben und finden im Tode 
ihr eigentliches Selbst ; mit ihnen stirbt die Beformations- 
Periode, das Zeitalter des Wissens. Ja, so ist es, das | 
Wissen selbst muss sterben, um im Tode wieder auf- I 
zublnhen als Wille; die Denk-, Glaubens- und Ge- ' 
Wissensfreiheit, diese herrlichen Blumen dreier Jahr- 
hunderte, werden in den Mutterschooss der Erde zn- 
rUcksinken, damit eine neue Freiheit, die des Willens, 
von ihren edelsten Säften sich nähre. Das Wissen t 
und seine Freiheit war das Ideal jener Zeit, das auf 
der Höhe der Philosophie endlich erreicht worden ist: j 
hier wird der Heros sich selbst den Scheiterhaufen i 
erbauen und sein ewiges Teil in den Olymp retten. I 
Mit der Philosophie schliesst unsere Vergangenheit ( 
ab, und die Philosophen sind die Raphaele der Denk- 
Periode, an welchen das alte Prinzip in leuchtender 
Farbenpracht sich vollendet und durch Verjüngung 
aus einem zeitlichen ein ewiges wird. Wer hinfort ' | 
das Wissen bewahren will, der wird es verlieren; wer ■ 
es aber aufgibt, der wird es gewinnen. Die Philo- 
sophen allein sind berufen zu diesen Aufgaben und 
diesem (Jewinnste: sie stehen vor dem flammenden 
Feuer und müssen, wie der sterbende Heros, ihre ir- 
dische Hülle verbrennen, wenn der unvergängliche 
Geist frei werden soll. 

So viel als möglich muss verständlicher gesprochen 
werden. Darin nämlich liegt noch immer der Fehler i 
unserer Tage, dass das Wissen nicht vollendet und ■ 
zur Durchsichtigkeit gebracht wird, dass es ein ma- 
terielles und formelles, ein positives bleibt, ohne sich 
zum absoluten zu steigern, dass es nns befrachtet als 



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I eine Bürde. Ähnlich jenem Alten muss man Vergess- 
lichkeit wünschen, muss aus der beseligenden Lethe 
trinken: sonst kommt man nicht zu sich. Alles Grosse 
muss zu sterben wissen und durch seinen Hintritt 
sich verklären; nur das Klägliche sammelt, gleich 
dem starrgliedrigen Reichskammergerichte, Akten auf 
Akten und spielt Jahrtausende in zierlichen Porzellan- 
figuren, wie die unvergängliche Kinderei der Chinesen. 
[ Das rechte Wissen vollendet sich, indem es aufhört, 
Wissen zu sein, und wieder ein einfacher, mensch- 
/ licher Trieb wird. — der Wille. So wird z. B. der, 
welcher Jahre lang über seinen „Benif als Mensch" 
nachgedacht hat, alle Sorgen und Pilgerschaften des 
Suchens in demselben Augenblicke in die Lethe eines 
einfachen (Jefühles, eines von Stund an allmählich 
leitenden Triebes versenken, in welchem er jenen ge- 
funden hat. Der „Beruf des Menschen", dem dieser 
auf tausend Pfaden und Stegen der Forschung nach- 
spürte, schlägt, sobald er erkannt worden, in die Flamme 
des sittlichen Wissens aus und durchglüht die Brust 
des nicht mehr im Suchen zerstreuten, sondern wieder 
frisch und n ai v gewordenen Menschen. 
Auf, bade, Schüler, unTerdrosaeii, 
Die ird'ache Bniat im Morgenrot. 
Das ist das Ende und zugleich die Unvergäng- 
lichkeit, die Ewigkeit des Wissens: das Wissen, das 
wieder einfach und unmittelbar geworden, als Wille 
sich (das Wissen) in jeder Handlung von neuem und 
in neuer Gestalt sagt und offenbart. Nicht der Wille 
ist von Haus aus das Rechte, wie uns die Praktischen 
gerne versichern möchten, nicht überspringen darf 
man das Wissen-wollen, um gleich im Willen zu stehen, 
sondern das Wissen vollendet sich selbst zum Willen, 
wenn es sich entsinnlicht und als Geist, „der sich den 
Körper baut", sich selbst erschafft. Darum haften an 
jeder Erziehung, die nicht auf diesen Tod und diese 
Himmelfahrt des Wissens ausgeht, die Gebrechen der 



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— 21 — 

Zeitlichkeit, die Formalität nnd Materialität, der DaH- 
dismus und Industrialismus. Ein Wissen, welches sich 
nicht so läutert und concentrirt, dass es zum Wollen 
fortreisst, oder mit anderen Worten, ein Wissen, welches 
mich nur als ein Haben und Besitz beschwert, statt 
ganz und gar mit mir zusammengegangen zn sein, so 
dass das frei bewegliche Ich, von keiner nachschlep- 
penden Habe genirt, frischen Sinnes die Welt durch- 
zieht, ein Wissen also, das nicht persönlich ge- 
worden, giebt eine ärmliche Vorbereitung aufs Leben 
ab. Man will es nicht zur Abstraktion kommen lassen, 
worin doch erst die wahre Weihe allem concreten 
Wissen verliehen wird : denn durch sie wird der Stoff 
wirklich getödtet und in Geist verwandelt, dem Men- 
schen aber die eigentliche und letzte Befreiung gegeben. 
Nur in der Abstraktion ist die Freiheit: der 
freie Mensch nur der, welcher das Gegebene über- 
wunden und selbst das aus ihm fragweise Heraus- 
gelockte wieder in die Einheit seines Ich's zusammen- 
genommen hat. 

Ist es der Drang unserer Zeit, nachdem die D e n k- 
freiheit errungen, diese bis zu jener Vollendung zu 
verfolgen, durch welche sie in die Willensfreiheit 
umschlägt, um die letztere als das Prinzip einer neuen 
Epoche zu verwirklichen, so kann auch das letzte 
Ziel der Erziehung nicht mehr das Wissen sein, 
sondern das aus dem Wissen geborene Wollen, und 
der sprechende Ausdruck dessen, was sie zu erstreben 
hat, ist: der persönliche oder freie Mensch, Die 
Wahrheit selbst besteht in nichts Anderem, als in dem 
Offenbaren seiner selbst, und dazu gehört das Auf- 
finden seiner selbst, die Befreiung von allem Fremden, 
die äusserste Abstraktion oder Entledigung von aller 
Autorität, die wiedergewonnene Naivität. Solehe durch- 
aus wahre Menschen liefert die Schule nicht; wenn 
sie dennoch da sind, so sind sie es trotz der Schule. 
Diese macht uns wohl zu Herrn über die Dinge, allen- 



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falls auch zu Herrn über unsere Natur; zu freien Naturen 
macht sie uns nicht. Kein noch so griindliches und 
ausgebreitetes Wissen, kein Witz und Scharfsinn, keine 
dialektische Feinheit bewahrt uns vor der Gemein- 
heit des Denkens und WoUens. Es ist wahrlich nicht 
das Verdienst der Schule, wenn wir nicht die Selbst- 
sucht aus ihr mitbringen. Jede Art entsprechender 
Eitelkeit und jede Art der Gewinnsucht, Aemtergier, 
mechanischer und serviler Dienstbeflissenheit, Achsel- 
trägerei u. 8. w. verbindet sich sowohl mit dem ausge- 
breiteten Wissen, als mit der eleganten, klassischen 
Eildung, und da dieser ganze Unterrieht keinerlei 
Einfluss auf unser sittliches Handeln ausübt, so ver- 
fällt er häufig dem Loose, so weit vergessen zu werden, 
als er nicht gebraucht wird: man schüttelt den 
Schulstaub ab. Und dies Alles darum, weil die Bil- 
dung nur im Formellen oder im Materiellen, höchstens 
in beiden gesucht wird, nicht in der Wahrheit, in der 
Erziehung des wahren Menschen, Die Realisteu 
machen zwar einen Fortschritt, indem sie verlangen, 
der Schüler solle das finden und verstehen, was er 
lernt; Diesterweg z. B. weiss viel von dem „Erlebungs- 
princip" zu reden; allein das Object ist auch hier 
nicht die Wahrheit, sondern irgend ein Positives (wo- 
hin auch die Religion zu rechnen), das der Schüler 
mit der Summe seines übrigen positiven Wissens in 
Uebereinstimmung und Zusammenhang zu bringen an- 
geleitet wird, ohne irgend eine Erhebung über die 
Vierschrötigkeit des Erlebens und Anschauens, und 
ohne allen Anreiz mit dem Geiste, welchen er durch 
Anschauung gewonnen, weiter zu arbeiten und aus 
ihm zu prodnciren, d. h. spekulativ zu sein, was prak- 
tisch so viel sagen will, als zu sein und sittlich zu 
handeln. Im Gegentheil, verständige Leute zu er- 
ziehen, das soll genügen; auf vernünftige Menschen 
ist's nicht eigentlich abgesehen; Dinge und Gegebenes 
zu verstehen, dabei hat's sein Bewenden, — sich zu 



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— 23 — 

vernehmen, scheint nicht Jedermanns Sache zu seinD 
So fördert man den Sinn für das Positive, sei es nach 
seiner formellen oder zugleich nach seiner materiellen 
Seite, uiid lehrt: sich in das Positive schicken. Wie ' 
in gewissen anderen Sphären, so lässt man auch in 
der pädagogischen die Freiheit nicht zum Durchbruch, 
die Kraft der Opposition nicht zu Worte kommen: 
man will Unterwürfigkeit. Nur ein formelles und 
materielles Abrichten wird bezweckt, und nur Gelehrte 
gehen aus den Menagerien der Humanisten, nur „brauch- ■ 
bare Bürger" aus denen der Realisten hervor, die 
doch beide nichts als unterwürfige Menschen sind, r 
Unser guter Fond von Ungezogenheiten wird gewalt- 
sam erstickt und mit ihm die Entwicklung des Wissens 
zum freien Willen. Resultat des Schullebens ist dann 
das Philisterthum. Wie wir uns in der Kindheit in 
Alles zu finden gewöhnten, was uns aufgegeben wurde, 
fo finden und schicken wir uns später ins positive 
Leben, schicken uns in die Zeit, werden ihre Knechte 
and sogenannte gute Bürger. Wo wird denn an Stelle 
der bisher genährten Unterwürfigkeit ein Oppositions- 
geist gestärkt, wo wird statt des lernenden Menschen 
ein schaffender erzogen, wo verwandelt sich der Lehrer 
in den Mitarbeiter, wo erkennt er iss Wissen als um- 
schlagend in das Wollen, wo gilt der freie Mensch 
als Ziel, und nicht der blos gebildete? Leider nur 
erst an wenigen Orten. Die Einsicht muss aber all- 
gemeiner werden, dass nicht die Bildung, die Civili- 
sation, die höchste Aufgabe des Menschen ausmacht, 
sondern die Selbstbethätigung. Wird darum die Bildung 
vernachlässigt werden? Gerade so wenig, als wir die 
Denkfreiheit einzubüssen gesonnen sind, indem wir sie 
in die Willensfreiheit eingehen und sich verklären 
lassen. Wenn der Mensch erst seine Ehre darein 
setzt, sich selbst zu fühlen, zu kennen und zu be- 
thätigen, also inSelbstgefühl, Selbstbewusstseinund Frei- 
heit, so strebt er von selbst, die Unwissenheit, die 



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ihm Ja den fremden, undurchdrungenen GiegeHstand 
zn einer Schranke und Hemmung seiner Selbster- 
kenntniss macht, zu verbannen. Weckt man in den. 
Menschen die Idee der Freiheit, so werden die Freien 
sich auch unablässig immer wieder selbst befreien; 
macht man sie hingegen nur gebildet, so werden sie 
sich auf höchst gebildete und feine Weise 
allezeit den Umständen anpassen und zu unterwür- 
figen Bedientenseelen ausarten. Was sind unsere geist- 
reichen und gebildeten Subjekte grösstenteils? Hohn- 
lächelnde Sklavenbesitzer und selber — Sklaven. 

Die Realisten dürfen sich des Vorzugs rühmen, 
dass sie nicht blosse Gelehrte erziehen, sondern ver- 
ständige und brauchbare Bürger; ja ihr Grundsatz^ 
„man lehre Alles mit Beziehung auf das praktische 
Leben" könnte sogar als das Motto unserer Zeit gelten, 
wenn sie die wahre Praxis nur nicht in gemeinem 
Sinn auffassten. Die wahre Praxis ist aber nicht die, 
sich dnrch's Leben durchzuarbeiten, und das Wissen 
ist mehr werth, als dass man es verbrauchen dürfte, 
um damit seine praktischen Zwecke zu erjagen. Viel- 
mehr ist die höchste Praxis die, dass ein freier Mensch 
sich selbst offenbart, und das Wissen, das zu sterben 
weiss, ist die Freiheit, welche Leben gibt. „Das 
praktische Leben !" Damit glaubt man sehr viel gesagt 
zu haben, und doch führen selbst die TMere ein durch- 
aus praktisches Leben, sobald die Mutter sie ihrer 
theoretischen Säuglingschaft entwöhnt haS, und suchen 
entweder nach Lust in Feld und Wald ihr Futter, 
oder werden ins Joch eines — Geschäftes eingespannt. 
Der thierseelenkundige Scheitlin würde den Vergleich 
noch viel weiter führen, bis in die Religion hinein, 
wie zu ersehen aus seiner „Thierseelenkunde", einem 
gerade darum sehr belehrenden Buche, weil es das 
Thierdera civilisirten Menschen und den civilisirten 
Menschen dem Thiere so nahe rückt. Jene Intention 
„fürs praktische Leben zu erziehen", bringt nur Leute, 



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_ 25 — 

TOB G-rundsätzen hervor, die nach Maximen han-^ 
dein und denken, keine principiellen MenscbeQ; I 
legale Geister, nicht freie. Etwas ganz anderes./ 
aber sind Menschen, in denen die Totalität ihres- 
Denkens nnd Handelns in steter Bewegung und Ver- 
jüngung wogt, und etwas anderes solche, die ihren 
Ueberzeugungen treu sind: die Ueberzeugungen selbst 
bleiben unerschüttert, pulsiren nicht als stets erneutes 
Arterienblut durch das Herz, erstarren gleichsam als 
feste Körper und sind, wenn auch erworben und nicht 
eingelernt, doch etwas Positives und gelten noch ' 
obenein als etwas Heiliges, So mag die realistische 
Erziehung wohl feste, tüchtige, gesunde Charakter& 
erzielen, unerschütterliche Menschen, treue Herzen^ 
und das ist für unser schleppenträgerisches Geschlecht 
ein unschätzbarer Gewinn; allein die ewigen Cha- 
raktere, in welchen die Festigkeit nur in dem unab- 
lässigen Fluten ihrer stündlichen Selbstschöpfung be- 
steht, und die dämm ewig sind, weil sie sich in jedem 
Augenblicke selbst machen, weil sie die Zeitlich- 
keit ihrer jedesmaligen Erscheinung aus der nie 
welkenden und alternden Frische und Schöpfungs- 
thätigkeit ihres ewigen Geistes setzen — die gehen nicht 
aus jener Erziehung hervor. Der sogenannte gesunde. \ 
Charakter ist auch im besten Falle nur ein starrer; \ 
Süll er ein vollendeter sein, so muss er zugleich ein i 
leidender werden, zuckend und schaudernd in der 1 
seligen Passion einer unaufhörlichen Verjüngung und 
Neugeburt, ' 

So laufen denn die Hadien aller Erziehungen in 
dem Einen Mittelpunkte zusammen, welcher Persön- 
lichkeit heisst. Das Wissen, so gelehrt und tief, 
oder so breit und fasslicJi es auch sei, bleibt so lan^e 
doch nur ein Besitz und Eigenthum, als es nicht in 
dem unsichtbaren Punktdes Ich's zusammengeschwunden 
ist, um von da als Wille, als übersinnlicher und un- 
fassücher Geist allgewaltig hervorzubrechen. Das. 



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"Wissen erfährt diese Umwandlung dann, wenn es auf- 
hört, nur an Objekten zu haften, wenn es ein Wissen 
von sich selbst, oder, falls dies deutlicher scheint, ein 
Wissen der Idee, ein Selbstbewusstsein des Geistes ge- 
worden ist. Dann verkehrt es sich, sozus^en, in 
den Trieb, d^n Instinkt des Geistes, in ein bewusst- 
loses Wissen, von dem sich jeder wenigstens eine 
Vorstellung zu machen vermag, wenn er es damit ver- 
gleicht, wie so viele und umfassende Erfahrungen bei 
ihm selbst in das einfache Gefühl sublimirt wurden, 
das man Takt nennt: alles aas jenen Erfahrungen 
gezogene weitläufige Wissen ist in ein augenblick- 
liches Wissen koncentrirt, wodurch er im Nu sein 
Handeln bestimmt. Dahin aber, zu dieser Imma^ria- 
lität, muss das Wissen durchdringen, indem es seine 
sterblichen Theile opfert und als Unsterbliches — 
Wille wird. 

In diesem Umstände liegt grossenteils die Noth 
unserer seitherigen Erziehung, dass das Wissen nicht 
zum Willen, zur Bethätigung seiner selbst, zur reinen 
Praxis sich läuterte. Die Eealisten fühlten den Mangel, 
halfen ihm jedoch auf eine elende Weise dadurch ab, 
dass sie ideenlose und unfreie „Praktiker" ausbildeten. 
Die meisten Seminaristen sind ein lebendiger Beleg 
dieser traurigen Wendung, Zugestutzt aufs Trefflichste 
stutzen sie wieder zu, dressirt dressiren sie wieder. 
Persönlich aber muss jede Erziehung werden, und 
vom Wissen ausgehend doch stets das Wesen des- 
selben im Auge behalten, dies nämlich, — dass es 
nie ein Besitz, sondern das Ich selbst sein soll. Mit 
einem Worte, nicht das Wissen soll angebüdet werden, 
sondern die Peraon soll zur Entfaltung ihrer selbst 
kommen; nicht vom Civilisiren darf die Pädagogik 
ferner ausgehen, sondern von der Ausbildung freier 
Personen, souverainer Charaktere; und darum darf 
der Wille, der bisher so gewaltthätig unterdrückte, 
nicht länger geschwächt werden. Schwächt man ja 



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— 27 — 

doch auch den Wissenstrieb nicht, warum denn den 
WUlenstrieb? Pflegt man jenen, so pflege man auch 
diesen. Die kindliche Eigenwilligkeit und Ungezogen- 
heit hat 80 gut ihr Recht, als die kindliche Wissbe- 
gierde. Die letztere regt man geflissentlich an; so 
rufe man auch die natürliche Kraft des Willens her- 
TOr, die Opposition. Wenn das Kind sich nicht 
fühlen lernt, so lernt es gerade die Hauptsache nicht. 
Man erdrücke seinen Stolz nicht, seinen Freimuth. 
Gegen seinen ITebermuth bleibt meine eigene Freiheit 
immer gesichert Denn artet der Stolz in Trotz aus, 
so will das Kind mir Gewalt anthun; das brauche ich 
mir, der ich ja selbst so gut als das Kind ein Freier 
bin, nicht gefallen zu lassen. Muss ich mich aber durch 
die bequeme Schutzwehr der Autorität dagegen ver- 
theidigen? Nein, ich halte die Härte meiner eigenen 
Freiheit entgegen, so wird der Trotz der Kleinen von 
selbst zerspringen. Wer ein ganzer Mensch ist, braucht 
keine — Autorität zu sein. Und bricht der Freimuth 
als Frechheit aus, so verliert diese ihre Kraft an der 
sanften Gewalt eines ächten Weibes, an ihrer Mütter- 
lichkeit, oder an der Festigkeit des Mannes; man ist 
sehr schwach, wenn man die Autorität zu Hilfe rufen 
muss, und sündigt, wenn man glaubt, den Frechen zu 
bessern, sobald man aus ihm einen Furchtsamen macht. 
Furcht und Respekt fordern, das sind Dinge, die mit 
der heimgegangenen Periode dem Roccocostil an- 
gehören. 

Worüber klagen wir also, wenn wir die Mängel 
unserer heutigen Schulbildung ins Auge fassen? 
Darüber, da^ unsere Schulen noch im alten Principe 
stehen, in dem des willenlosen Wissens. Das 
junge Princip ist das des Willens, als der Verklärung 
des Wissens. Darum kein „Konkordat zwischen 
Schule und Leben", sondern die Schule sei Leben, 
und dort, wie ausser ihr, sei die Selbstoffenbarung 
der Person die Aufgabe. Die universelle Bildung der 



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Schule sei Bildung zur Freiheit, nicht zur Unterwürfig- 
keit: Freisein, das ist das wahre Leben. Die Einsicht 
in die Leblosigkeit des Humanismus hätte den Kealismus 
zu dieser Erkenntniss treiben sollen. Indess gewahrte 
man an der humanistischen Bildung nur den Mangel 
aller Befähigung zum sogenannten praktischen (bürger- 
lichen — nicht persönlichen) Leben, und wendete sich, im 
Gegensatze wider jene bloss formelle Bildung, einer ma- 
tenellen Bildung in der Meinung zu, dass man durch 
Mittheilung des im Verkehr brauchbaren 8toffes, nicht 
nur den Formalismus überwinden, sondern auch das 
höchste Bedürfniss befriedigen werde. Allein auch die 
praktische Bildung steht noch weit zurück hinter der 
persönlichen und freien, und gibt jene die Geschick- 
lichkeit, sich durch's lieben zu schlagen, so verschafft 
diese die Kraft, den Feuerfunken des Lebens aus sich 
herauszuschieben; bereitet jene darauf vor, sich in 
einer gegebenen Welt zu Hause zu finden, so lehrt 
diese, bei sich zu Hause zu sein. Wir sind noch nicht 
Alles, wenn wir uns als Glieder der Gesellschaft be- 
wegen; wir vermögen vielmehr selbst dies erst dann 
vollkommen, wenn wir freie Menschen, selbstschöpfe- 
rische (uns selbst schaffende) Personen sind. 

Ist nun die Idee und der Trieb der neuen Zeit 
die Willensfreiheit, so mass der Pädagogik als 
Anfang und Ziel die Ausbildung der freien Persön- 
lichkeit vorschweben. Hununisten wie Realisten 
beschränken sich noch auf's Wissen, und wenn's 
hoch kommt, so sorgen sie für das freie Denken und 
machen uns durch theoretische Befreiung zu freien 
Denkern. Durch das Wissen werden wir indess nur 
innerlich frei (eine Freiheit übngens, die nie wieder 
aufgegeben werden soll), äusserlich können wir bei 
aller Gewissens- nnd Denkfreiheit Sklaven und in 
Unterthänigkeit bleiben. Und doch ist gerade jene für 
das Wissen äussere Freiheit für den Willen die 
innere und wahre, die sittliche Freiheit. 



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In dieser darum univeraellen Bildung, weil in ihr 
der Niedrigste mit dem Höclisten zusammentrifft, be- 
gegnen wir erst der wahren Gleichheit Aller, der 
Gleichheit freier Personen: nur die Freiheit ist 
Gleichheit. 

Man kann, wenn man einen Namen will, über die 
Humanisten und Realisten die Sittlichen (ein deut- 
sches Wort) stellen, da ihr Endzweck die sittliche 
Bildung ist. Doch kommt dann freilich gleich der 
Einwand, dass uns diese wieder für positive Sittlich- 
keitsgesetze werden ausbilden wollen, und dass das 
im Grunde schon bisher immer geschehen sei. Weil 
es aber bisher geschehen ist, so meine ich das auch 
nicht, und dass ich die Kraft der Opposition geweckt, 
den Eigenwillen nicht gebrochen, sondern verklärt 
wissen will, das könnte den Unterschied hinreichend 
verdeutlichen. Um indess die hier gestellte Forderung 
selbst noch von den besten Bestrebungen der Eealisten, 
wie eine solche z. B. in dem eben erschienenen Pro- 
gramm Diesterwegs Seite 36 so ausgedrückt wird: 
„In dem Mangel an Charakterbildung liegt die Schwäche 
unserer Schulen, wie die Schwäche unserer Erziehung 
überhaupt. Wir bilden keine Gesinnung." — zu unter- 
scheiden, sage ich lieber, wir brauchen fortan eine 
persönliche Erziehung (nicht Einprägung einer Ge- 
sinnung). Will man diejenigen, welche diesem Principe 
folgen, wieder — isten nennen, so nenne man sie meinet- 
wegen Personalisten. 

Daher wird, um noch einmal an Heinsius zu er- 
innern, der „lebhafte Wunsch der Nation, dass die 
Schule dem Leben näher gerückt werden möchte," 
nur dann erfüllt, wenn man in der vollen Persönlich- 
keit, Selbständigkeit und Freiheit das eigentliche Leben 
findet, da^ wer nach diesem Ziele strebt, nichts des 
Guten, weder aus dem Humanismus noch aus dem 
Realismus aufgibt, wohl aber beides unendlich höher 
rückt und veredelt. Auch kann der nationale Stand- 



Do,: .cd b/GoogIc 



— 30 — 

punkt, welchen Heinaius einnimmt, nocli nicht als der 
richtige gepriesen werden, da dies vielmehr erst der 
persönliche ist. Erst der freie und persönliche 
Mensch ist ein guter Bürger (Realisten), und selbst 
bei dem Mangel specieller (gelehrter, künstlerischer 
n. s. w.) Kultur ein geschmackvoller Beurtheiler (Hu- 
manisten). 

Soll daher am Schluss mit kurzen Worten aus- 
gedrückt werden, nach welchem Ziele unsere Zeit zu 
steuern hat, so Hesse sich der nothwendige Untergang" 
der willenlosen Wissenschaft und der Aufgang des 
selbstbewussten Willens, welcher sich im Sonnenglanz 
der freien Person vollendet, etwafolgendermassen fassen : 
das Wissen muss sterben, um als Wille wieder auf- 
I zuerstehen, und als freie Person sich täglich neu zu 
schaffen. 



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Kunst nnd Religion. 



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Der zweite Beitrf^ von Bedeutung, den Stirner 
für die „Rheinische Zeitung" über „Kunst und Reli- 
gion" schrieb, erschien bald nach dem ersten in dem 
Beiblatt zu der No. 165 vom 14. Juni 1842. Auch er 
ist mit „Stimer" unterzeichnet. Zum ersten Male 
wieder veröffentlicht wurde er von mir in dem „Ma- 
gazin für Litteratur" in Berlin, und zwar in der No. 52 
des 63. Jahrgangs vom 29. Dezember 1894. 



17, Hu SUrncr'» KMnere Schriften. 



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riegel behandelt die Kunst vor der Eeligion; diese 
Stellung gebührt ihr, sie gebührt ihr sogar unter dem 
geschichtlichen {Gesichtspunkte. Sobald die Ahnung er- 
wacht, dass der Mensch in sich selbst ein Jenseits 
habe, d. h., dass er im thierischen und natürlichen Zu- 
stande sich nicht genüge, sondern ein anderer werden 
müsse (und für den gegenwärtigen Menschen ist 
doch wol der andere, der er werden soll, ein Zu- 
künftiger, der erst jenseits seines dermaligen Befindens 
erwartet werden muss, — ein jenseitiger: so ist ja 
der Jüngling die Zukunft und das Jenseit^ des Knaben, 
in welches er erst hineinwachsen muss, und so ist der 
sittliche Mensch das Jenseits des blos unschuldigen 
Kindes): sobald jene Ahnung in dem Menschen er- 
wacht und er darauf hindrängt, sich zu theilen und zu 
entzweien in das, was er ist, und das, was er werden 
soll, so strebt er sehnsüchtig nach dem letzteren, nach 
diesem zweiten und anderen Menschen, und rastet nicht 
eher, als bis er die Gestalt dieses jenseitigen Menschen 
vor sich sieht. Lange wogt es in ihm hin und her; 
er fühlt nur, dass sich eine Lichl^estalt in der Finster- 
niss seines Innern erheben wolle, aber die sicheren 
Konturen und die feste Form fehlen ihr noch. Mit 
dem im Dunkel ungewiss tappenden Volke tappt auch 
der Genius eine Zeit lang nach dem Bilde ihrer Ahnung 
suchend umher; was aber keinem gelingt, ihm gelingt 
es: er gibt der Ahnung Form, er findet die Gestalt, 



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— 36 — 

er erschafft das — Ideal. Was ist der vollkommene 
Mensch, des Menschen eigenste Bestimmung, von der 
Alle eine Anschaunng zu erhalten sich sehnen, anders, 
als der ideale Mensch, des Menschen Ideal? Der 
Künstler hat endlich das rechte Wort, das rechte 
Bild, die rechte Anschauung für das entdeckt, wo- 
nach alle verlangten; er stellt es auf: es ist das Ideal. 
„Ja, das ist es! Das ist jene Gestalt des Vollkom- 
menen, das ist der Ausdruck für unser Sehnen, die 
frohe Botschaft (Evangelium); welche unsere längst 
ausgesendeten Kundschafter, die labungsdurstigen Fra- 
gen unseres Geistes, heimbringen!" So ruft das Volk 
bei der Schöpfung des Genies und fällt — anbetend 
nieder. 

Ja, anbetend! Der heisse Drang des Menschen, 
nicht allein zu sein, sondern sich zu verdoppeln, nicht 
zufrieden zu sein mit sich, dem natürlichen, sondern 
den zweiten zu suchen, den geistigen Menschen, dieser 
Drang ist befriedigt durch das Werk des Genius, und 
die Entzweiung ist vollendet. Jetzt erst atmet der 
Mensch befriedigt auf; denn die Wirren seines Innern 
sind gelöst, die beunruhigende Ahnung — hinaus- 
geworfen als Gestalt: Der Mensch steht sich selbst 
gegenüber. Dieses Gegenüber ist er selbst und ist 
es nicht: er ist sein Jenseits, auf das alle Gedanken 
und Gefühle hinfluten, ohne es ganz zu erreichen, und 
er ist sein Jenseits, eingehüllt und unzertrennlich ver- 
woben mit dem Diesseits seiner Gegenwart. Es ist 
der Gott seines Innern, aber er ist draussen; darum 
kann er ihn nicht fassen, nicht begreifen. Verlangend 
breitet er seine Arme aus, aber das Gegenüber ist 
nicht zu erreichen; denn wäre es zu erreichen, wo 
bliebe dann das „Gegenüber"? Wo bliebe die Ent- 
z weiung mit all ihren Sehmerzen und all ihrer Wonne? 
Wo bliebe — sprechen wir es aus, wie diese Ent- 
zweiung mit einem anderen Worte heisst! — wo bliebe 
die Religion? 



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— 37 — 

Die Kunst schafft Entzweiung, indem sie den 
Menschen das Ideal entgegenstellt, der Anblick des 
'Ideales aber, der so lange dauert, bis vom unver- 
wandten gierigen Auge das Ideal wieder eingesogen 
und verschlungen worden, heisst Religion. Darum, 
well sie ein Anblicken ist, bedarf sie eines Gegen- 
standes oder Objektes, und der Mensch verhält sich 
als Religiöser zu dem durch die Kunstschöpfung hinaus- 
geworfenen Ideal, zu seinem zweiten, äusserlich ge- 
wordenen Ich, als zu einem Objekte. Hier liegen 
alle Qualen, alle Kämpfe von Jahrtausenden; denn 
fürchterlich ist es, ausser sich zu sein, und ausser 
sich ist jeder, der sich selbst znm Objekte hat, ohne 
dies Objekt ganz mit sich vereinigen und als Objekt, 
als Gegen- und Widerstand vernichten zu können. 
Die religiöse Welt lebt in den Freuden und Leiden, 
die sie von diesem Objekte erfährt, sie lebt in der 
Entzweiung ihrer selbst, und ihr zeitiges Dasein ist 
nicht ein vernünftiges, sondern ein verständiges. 
Die Religion ist eine Verstandes-Sache! So hart, 
als das Objekt, das kein Frommer ganz für sich ge- 
winnen kann, dem er sich vielmehr unterwerfen muss, 
so spröde ist auch sein eigener Geist, diesem Objekte 
gegenüber: er Ist Verstand. „Kalter Verstand!?"* — 
So kennt ihr nichts als jenen „kalten" Verstand? 
Wisst nicht, dass nichts so glühend heiss, so helden- 
mütig ist, als der Verstand? Censeo, Carthaglnem esse 
delendam sprach Catos Verstand und er blieb unver- 
rückt dabei; die Erde bewegt sich um die Sonne, 
sprach Galileis Verstand, selbst während der schwache 
Greis knieend die Wahrheit abschwur; und als er auf- 
stand, sagte er wieder: „Und sie bewegt sich doch 
um die Sonne." Keine Gewalt ist gross genug, uns 
den Gedanken zu verrücken, dass zweimal zwei vier 
ist, und des Verstandes ewiges Wort bleibt dies: „Hier 
stehe ich, ich kann nicht anders!" Und die Sache 
eines solchen Verstandes, der nur unerschütterlich ist, 



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weil sein Objekt (2x2=^4 u. s. w.) sich nicht er- 
schüttern lässt, die Sache eines solchen Verstandes 
sollte die Religion sein? Ja, sie ist es. Auch sie hat 
ein unerschütterliches Objekt, dem sie verfallen ist: 
der Künstler hat es ihr erschaffen, nur der Künstler 
könnte ihrs wieder nelimen. Denn sie selbst ist ohne 
Oenialität. Es gibt kein religiöses Genie, und nie- 
mand wird behaupten, dass man in der Religion Ge- 
nies, Talente und Talentlose unterscheiden dürfe. Zur 
Eeligion hat jeder gleiche Fähigkeit, so gut als zum 
Verständniss des Dreiecks und des py thagoräischen Lehr- 
satzes. Man verwechsele nur nicht Religion und Theo- 
logie; zu dieser hat freilich nicht jeder die gleiche 
Befähigung, so wenig als zur hohem Mathematik und 
Astronomie; diese Dinge erfordern einen seltenen Grad 
von — Scharfsinn. Nur der Religionsstifter ist genial, 
er ist aber auch der Schöpfer des Ideals, mit dessen 
Schöpfung jede weitere Genialität unmöglich wird. Wo 
der Geist an ein Objekt gebunden ist und alles Maass 
seiner Bewegung ihm von eben diesem Objekte be- 
stimmt wird (denn wollte der Religiöse durch einen 
entschiedenen Zweifel am Dasein Gottes über die Un- 
übersteiglichkeit dieses Objektes dennoch hinaussteigen, 
so würde er damit eben aufhören ein Religiöser zu 
sein, etwa wie ein Gespenstergläubigar, wenn er am 
Dasein der Gespenster, dieser Objekte, entschieden 
zweifelte, kein Gespenstergläubiger mehr wäre. Der 
Religiöse erbaut sich nur darum „Beweise für das Da- 
sein Gottes", weil er, festgebannt in dem Kreise des 
Glaubens an dieses Dasein, innerhalb desselben sich 
eine freie Bewegung des — Verstandes und Scharf- 
sinns vorbehält), wo, sage ich, der Geist von einem 
Objekte abhängig ist, das er zu erklären, zu erforschen, 
zu fühlen, zu lieben u. s. w. sucht, da ist er nicht 
frei und, weil Freiheit die Bedingung der Genialität, 
auch nicht genial. Eine geniale Frömmigkeit ist ein 
eben so grosser Unsinn, als eine geniale Leineweberei. 



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Die EeligJOQ bleibt auch den Schalsten zugänglich, 
und jeder fantasielose Tropf kann und wird doch immer 
noch Religion haben, weil ihn die Fantasielosigkeit 
nicht hindert, in Abhängigkeit zu leben. 

„Ist denn nicht aber die Liebe das eigenste We- 
sen der EeÜgion, sie, die doch ganz eine Sache des 
Greföhls und nicht des Verstandes ist?" Wenn sie 
eine Herzenssache ist, muss sie darum weniger eine 
Verstandessache sein? Eine Herzenssache ist sie, wenn 
sie mein ganzes Herz einnimmt; das schliesst nicht 
aus, dass sie auch meinen ganzen Verstand einnehme, 
und macht sie überhaupt zu nichts besonders Gutem: 
denn der Hass und Neid kann auch Herzenssache 
sein. Die Liebe ist in der That nur eine Verstands- 
sache, wobei sie übrigens in ihrem Titel als Herzens- 
sache unbeschädigt bleibt: eine Sache der Vernunft 
ist sie nicht, denn im Reiche der Vernunft gibts' eben 
so wenig eine Liebe, als im Himmel, nach Christi be- 
kanntem Worte, gefreit wird. Allerdings lässt sich 
von einer „unverständigen" Liebe sprechen. Sie ist 
entweder so unverständig, dass sie wertlos und nichts 
weniger als Liebe ist, wie manches Vergaffen in ein 
hübsches Gesicht oft schon Liebe genannt wird, oder 
sie erscheint nur zur Zeit noch ohne ausdrücklichen 
Verstand, kann aber zum Ausdruck desselben kommen. 
So ist die Kindesliebe zunächst zwar nur an sich 
veretändig ohne bewusste Einsicht, allein nichts desto 
weniger von vornherein Verstandessache, weil sie nur 
so weit geht, als der Verstand des Kindes, und mit 
ihm zugleich entsteht und wächst. So lange das 
Kind noch keine Zeichen von Verstand gibt, zeigt es 
auch — wie jeden die Erfahrung gelehrt haben kann 
— noch keine Liebe. In dem Maasse erst, als es die 
Objekte — wozu ja auch die Menschen gehören — 
sondert, schliesst es sich an einen Menschen mehr an, 
als an den andern, und mit seiner Furcht — oder, 
wenn man es so nennen will, seinem Respekte — be- 



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— 40 — 

ginnt seine Liebe. Das Kind liebt, weil es von einem. 
Gegenstände oder Objekte, also von einem Menschen, 
in dessen Machtbereich oder Zauberkreis gezogen 
wird: es versteht das mutterliche Wesen seiner Mutter 
wohl von anderem Wesen zu unterscheiden, wenn es 
sich darüber auch noch nicht verständig auszu- 
sprechen weiss. Vor jenem Verständniss liebt kein 
Kind, und seine hingehendste Liebe ist nichts als — 
das innigste Verständniss. Wer Kinderliebe sinnig be- 
obachtet hat, dem wird die Erfahrung diesen Sata 
bestätigen. Aber nicht blos Kindesliebe steigt und 
sinkt mit dem Verständniss des „G^enstandes" (so 
hört man ja oft, wenn auch ungeschickt, so doch be- 
zeichnend die Geliebten nennen), sondern jede Liebe, 
Tritt ein Missverständniss ein, so verliert die Liebe 
während seiner Dauer mehr oder weniger, und man 
braucht sogar das Wort Missverständniss geradezu für 
Misshelligkeit, womit eine Störung der Liebe bezeichnet 
wird. Die Liebe ist unhaltbar und unwiederbringlich 
verloren, wenn man sich in einem Menschen vollstän- 
dig getäuscht hat: das Missverständniss ist dann 
vollkommen und die Liebe erloschen. 

Der Liebe ist ein Objekt, ein „Gegenstand" un- 
entbehrlich. Dieselbe Bewandtniss hat es mit dem Ver- 
stände, der eben darum die eigentliche und einzige 
Geistesthätigkeit des Eeligiösen ist, weil dieser nur 
Gedanken über und an ein Objekt hat, nur Betrach- 
tungen und Andacht, nicht freie, objektlose, „vernünf- 
tige" Gedanken, welche letztere er vielmehr für „philo- 
sophische Himgespinnste" ansieht und verurteilt. 

Ist aber dem Verstände ein Objekt nothwendig, 
so hört seine Wirksamkeit immer da auf, wo er ein 
Objekt so ausgenossen hat, dass er nichts melir daran 
zu thun findet und damit fertig ist. Mit seinerThätig- 
keit erlischt sein Antheil an der Sache, weil, soll er 
sich liebend hingeben und ihr alle Kräfte widmen, sie 
ihm ein — Mysterium sein muss. Auch hierin er- 



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_ 41 — 

gehts ihm, wie der Liebe. Eine Elie ist nur dann 
unvergänglicher Liebe versichert, wenn die Gatten 
sich täglich neu erscheinen, und jeder in dem andern 
einen unerschöpflichen Born frischen Lebens er- 
kennt, d. h. ein Mysterium, ein Unerforschliches, Un- 
begreifliches. Finden sie nichts Neues mehr aneinander, 
so löst sich die Liebe unaufhaltsam in die Langeweile 
und Gleichgiltigkeit auf. So auch ist der Verstand 
nur, indem er thätig ist; und wo er seine Kräfte nicht 
mehr üben kann an einem Mysterium, weil das Dunkel 
desselben verschwunden ist, da entfernt er sich von 
dem ganzverstandenen und dadurch schaal gewordenen 
Gegenstände. Wer von ihm geliebt sein will, der 
muss sich, wie eine kluge Frau, wohl hüten, ihm alle 
seine Reize auf einmal zu bieten; jeden Moi^en einen 
neuen, und die Liebe währt Jahrtausende! Ganz 
eigentlifeh das Mysterium ist es, was die Verstandes- 
sache zur Herzenssache ausbildet: der ganze Mensch 
ist mit seinem Verstände bei der Sache, das macht 
sie zur Herzenssache. 

Hat nun die Kunst der Menschen das Ideal er- 
schaffen und ihnen damit ein Objekt gegeben, mit 
welchem der Geist lange Zeiten hindurch ringt und 
in diesem Ringen mit Objekten die blosse Verstandes- 
thätigkeit geltend macht, so ist die Kunst die Schöp- 
ferin der Religion und darf in einem philosophischen 
Systeme, wie das Hegels es ist, ihren Platz nicht 
hinter der Religion einnehmen. Nicht bloss die Dichter 
Homer und Hesiod „haben den Griechen ihre Götter 
gemacht", sondern auch andere haben als Künstler 
Religionen gestiftet, wenngleich man ihnen den Künstler- 
Namen als zu geringfügig beizulegen verschmäht. Die 
Kunst ist der Anfang, das A der Religion; sie ist 
aber auch ihr Ende, ihr Ü; ja noch mehr, sie ist auch 
ihre Begleiterin. Ohne die Kunst und den ideal- 
schaffenden Künstler entsteht die Religion nicht; durch 
ihn vergeht sie wieder, indem er sein Werk zu sich 



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— 42 ~ 

zurftcknimnit, und durch ihn erhält sie sich auch, in- 
dem er sie stets erfrischt. Wenn die Kunst in ihr» 
ganzen Ener^e auftritt, so erschafft sie eine Religion 
und steht am Anfange derselben: niemals ist die 
Philosophie Schöpferin einer Religion, denn nie er- 
zengt sie eine Gestalt, die dem Verstände als Objekt 
dienen könnte, sie erzeugt überhaupt keine Gestalt, 
und ihre bildlosen Ideen lassen sich nicht im religiösen 
Kultus anbetend verehren. Dagegen folgt die Kunst 
jederzeit dem Triebe, das Eigenste und Beste des 
Gieistes oder vielmehr den G«ist selbst in möglichster 
Fülle als eine ideale Gestalt hervorzutreiben, ihn aus 
dem Dunkel, das ihn umhüllt, so lange er noch in der 
Brust des künstlerischen Subjektes schlummert, zu 
erlösen, und durch Gestaltung ein Objekt aus ihm 
zu bilden. Diesem Objekte, dem Gotte, steht der 
Mensch dann gegenüber, und selbst der Künstler fällt 
vor ihm, der Schöpfung seines Geistes, auf die Kniee. 
Im Verkehr und Kampfe mit dem Objekte verfolgt 
die Religion nun einen der Kunst entgegengesetzten 
Weg, indem sie das Objekt, welches der Künstler da- 
durch hervorbrachte, dass er die ganze Kraft und 
Fülle seines Innern zu einer herrlichen Gestaltung 
koncentrierte und sie, die mit eines jeden eigenstem 
Bedürfniss und Verlangen harmonierte, der Welt als 
Objekt vor Augen stellte, wieder in das Innere, wohin 
sie gehört, zurückzunehmen und wieder subjektiv 
zu machen sucht. Sie trachtet, das Ideal und den 
Gott mit dem Menschen, dem Subjekte, zu versöhnen 
und ihn seiner harten Gegenständlichkeit zu entkleiden. 
Der Gott soll innerlich werden („Nicht Ich, sondern 
Christus lebet in mir"), die Entzweiung will sich selbst 
auflösen und loswerden, der mit dem Ideal entzweite 
Mensch strebt seinerseits dieses wieder zu gewinnen 
(Gott und Gottes Gnade zu gewinnen und endlich 
Gott ganz zu seinem Ich zu machen), und der vom 
Menschen noch getrennte Gott sucht andrerseits jenen 



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für das Hmunelreich zu gewinnen: sie ergänzen und 
suchen sich beide. ' Aber sie finden sich nie und 
werden nie eins; die Religion selbst verschwände, 
wenn beide jemals eins würden, da sie nur in ihrer 
Trennung besteht. Daher hofft der Gläubige auch 
nichts mehr, als dass er einst znm „Schauen von 
Angesicht zu Angesicht" kommen werde. 

Doch die Kunst begleitet auch die Religion, in- 
dem das menschliche Innere, durch den Kampf mit 
dem Objekte bereichert, bald wieder in einem Genius 
zu neuer Gestaltung ausbncht und das seitherige Ob- 
jekt durch frische Bildung verschönert und verklärt 
. Schwerlich vergeht ein Menschenalter ohne eine solche, 
der Kunst zu dankende Verklärung. Endlich aber 
steht die Kunst auch am Ende einer Religion. Heiteren 
Muthes nimmt sie ihr Gebilde wieder in Anspruch, und, 
als das ihrige es behauptend, raubt sie ihm die Ob- 
jektivität, erlöst es aus der Jenseitigteit, in welche es 
die Zeit der Religion hindurch verfallen war, und 
verschönert es nicht mehr bloss, sondern vernichtet es 
gänzlich. Ihr Geschöpf, die Religion, zurückfordernd, 
erscheint die Kunst beim Untergange einer Religion, 
und indem sie tändelnd die ganze Ernsthaftigkeit des 
alten Glaubens darum, weil er den Ernst des Inhalts, 
den er an den fröhlichen Dichter zurückgeben musste, 
eingebüsst hat, als eine lachende Komödie aufstellt, 
hat sie sich selbst und damit neue Schöpfungskraft 
wiedergefunden. Denn — erlassen wir ihr den Vor- 
wurf ihrer Grausamkeit nicht! — so grausam als sie 
in der Komödie vernichtet, so unerbittlich stellt sie 
wieder her, was sie von neuem zu vernichten ge- 
denkt. Sie schafft ein neues Ideal, ein neues Objekt 
und eine neue Religion. Die Kunst kommt nicht dar- 
über hinaus, wieder Religion zu machen, und Raphaels 
Christusbilder verklären den Christus dergestalt, dass 
er die Basis einer neuen Religion, der Religion des 
„von allen Menschensatzungen geläuterten" bibli- 



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— 44 — 

sehen Christus wird, Von frischem beginnt der Ver- 
stand seine unermüdliche Eeflektionsthätigkeit, indem 
er auf und ilher das neue Objekt so lange reflektirt» 
bis er es durch immer tieferes Verständniss ganz inne 
geworden ist: mit der hingehendsten Liebe versenkt 
er sich in dasselbe und lauscht seinen Offenbarungen 
und Eingebungen. So heiss er aber, dieser religiöse 
Verstand, sein Objekt liebt, so glUhend hasst er auch 
alle, die es nicht lieben: ßeligionshass ist von reli- 
giöser Liebe unzei-trennllch. Wer nicht an sein Objekt 
glaubt, der ist ein Ketzer, und der ist wahrlich nicht 
fromm, der Ketzerei duldet. Wer will es leugnen, 
dass Philipp II. von Spanien unendlich frömmer war 
als Joseph II. von Deutschland, und dass Hengsten- 
berg wahrhaft fromm ist, Hegel aber nicht? In dem, 
Maasse als in unserer Zeit der Hass abgenommen hat 
ist auch die religiöse Gottesliebe matt geworden und 
einer hun^anen Liebe gewichen, die nicht fromm, 
sondern sittlich ist, weil sie mehr für Menschenwohl, 
als für Gott „eifert". Der tolerante Friedrich der 
Grosse kann wahrlich nicht für ein Musterbild der 
Frömmigkeit gelten wohl aber für ein erhabenes 
Vorbild der Menschlichkeit, der Humanität. 

Wer seinem Gott dient, der muss ihm ganz dienen. 
Es ist darum z. B. eine verkehrte Zumutimng an den 
Christen, dass er dem Juden keine Fesseln anlegen 
soll: auch der Christ mit dem mildesten Herzen kann 
nicht anders, wenn er nicht gegen seine Religion 
gleichgiltig sein will oder eben gedankenlos verfährt. 
Denkt er verständig über die Forderungen seiner 
Religion nach, so muss er den Juden ausschliessen 
von christlichen Rechten, oder, was dasselbe ist, von 
den Rechten der Christen, und das vor allen Dingen 
im Staate. Denn die Religion ist für jeden, der ihr nicht 
blos lau anhäi^t, ein Verhältniss der Entzweiung. 

Dies also ist die Stellung der Kunst zur Religion. 
Jene erschafft das Ideal und gehört an den Anfang; 



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diese hat am Ideal ein Mysterium, und wird in jedem 
zu einer um so innigeren Frömmigkeit, je fester er 
an dem Objekte hängt und von ihm abhängt. Ist 
aber das Mysterium aufgeklärt, die Gegenständlich- 
keit nnd Fremdheit gebrochen und eben damit das 
Wesen einer bestimmten Eeligion vernichtet, dann 
hat die Komödie ihre Aufgabe zu lösen, und durch 
den anschaulichen Beweis von der Leerheit oder besser 
Ausgeleertheit des Objektes den Mensehen von seiner 
altgläubigen Anhänglichkeit an das Verödete zn be- 
freien. Diesem ihrem Wesen gemäss greift die Ko- 
mödie auch in jedem Gebiete das Heiligste heraus und 
benutzt z. B. die heilige Ehe, weil die von ihr dai- 
ge^t9llts Ehe' nicht mehr — heilig ist, sondern eine 
leergewordene Form, an welcher man nicht länger 
haften soll. Aber selbst die Komödie geht der Reli- 
gion vorher, wie die gesammte Kunst: sie macht nur 
Raum für das Neue, dem die Kunst selbst wieder Ge- 
stalt zu geilen vorhat. 

Macht die Kunst das Objekt und lebt die Religion 
nur in der Ankettung an das Objekt, so unterscheidet 
sich die Philosophie von beiden sehr deutlich. Ihr 
steht weder ein Objekt gegenüber, wie der Eeligion, 
noch macht sie eines, wie die Kunst: sondern sie legt 
vielmehr ebensowohl auf alleObjektmacherei, als auf 
die ganze Objektivität selbst die zermalmende Hand 
und athmet die Freiheit. Die Vernunft, der Geist 
der Philosophie, beschäftigt sich nur mit sich selbst, 
und kümmert sich um kein Objekt. Dem Philosophen 
ist Gott so gleichgiltig, als ein Stein: er ist der aus- 
gemachteste Atheist. Wenn er sich mit Gott beschäf- 
tigt, so ist das keine Verehrung desselben, sondern 
eine Verwertbung: es sucht dann nur die Vernunft 
nach dem Funken von Vernunft, der sich in jene 
Form verborgen hat; denn die Vernunft sucht nur 
sich selbst, bekümmert sich nur um sich selbst, liebt 
nur sich selbst, oJei liebt sich eigentlich nicht, da sie 



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— 46 ~ 

an ihr kein Objekt hat, soadem sie selbst ist. Neander 
hat daher mit richti^m Instinkte dem „Grott der 
Philosophen" sein „pereat" gebracht. 

Allein, über die Philosophie haben wir uns nicht 
vorgenommen, hier weiter zu sprechen: sie liegt jen- 
seits des Themas. 



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KöBigsberger Skizzen 

von 
Karl Rosenkranz. 



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Mit den beiden vorhergehenden Beiträgen war 
leider die selbstständise Mitarbeiterschaft Stimers 
an der ^Rheinischen Zeitung" erschöpft. Noch einmal 
nur folgt die wichtige Besprechung über Rosen- 
kranz' „Königsberger Skizzen", die in dem Beiblatt 
zu No, 207 am 26. Juli 1842 erschien und hier zum 
ersten Male wiedergednickt wird. Sie ist gleichfalls 
mit „Stimer" signiert. 

Schon einige Zeit vorher, in der No. 132 vom 
12. Mai, hatte Stimer in einer kleinen Notiz, die ohne 
Überschrift, aber unter seinem Namen im Feuilleton er- 
schienen war, auf das demnächst erscheinende Buch 
aufmerksam gemacht, dessen Yorrede ihm vorgelegen 
hatte. 

Eine weitere eingehende Besprechung erfuhr das 
Rosenkranz'sche Werk im AugTist in zwei weiteren 
Nummern der „Rheinischen Zeitung", doch stammte 
diese nicht aus der Feder Stirners. — Hier folgt 
zunächst die Vorbesprechung Stimers, dann — durch 
einen Strich von ihr getrennt — seine Besprechung 



Mackajr, Max Stinier's Kldoere 3chrifl«D. 



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„ W enn fröherhin die banale Formel lautete: von 
dem Rhein bis zur Weichsel, so ist man jetzt in 
Deutschland so gnädig, zu sagen: vom Ehein bis zum 
Pregel. Der Königsberger Huldigungslandtag von 1840 
und der Danziger Landtag von 1841 erinnerten das 
übrige Deutschland wieder lebhaft daran, dass jenseits 
der Weichsel Freiheit und Intelligenz noch keines- 
wegs zu existiren aufgehört haben." Dies sind Worte 
eines nicht bloss in der philosophischen, sondern in 
der gebildeten Welt hochgeachteten Mannes, ent- 
nommen aus der Vorrede zu seinem nächstens er- 
scheinenden Buche; „Königsberger Skizzen von Karl 
Rosenkranz. Danzig bei Gerhard." Nur wenige 
■würden noch vor zwei Jahren an diesem Buche, so weit 
es wenigstens den Ort und seine Eigenthümlichkeit zum 
Inhalte hat, ein besonderes Interesse gefasst haben; 
wie ganz anders jetzt, seit der Königsberger Freimuth 
und Hochherzigkeit durch ganz Deutschland in allen 
biederen Herzen wiederklang. An grossen, wie an 
befreundeten Menschen kümmert uns Alles, selbst das 
Unbedeutendste, und wer uns Kunde von ihnen bringt, 
erfreut uns sicherlich und verdient sich unsem vollsten 
Dank. Ist aber der Bote gar um seiner eigenen Per- 
son willen ein so willkommener, wie es Rosenkranz 
ohne Zweifel Allen ist, die um kennen, wer lauschte 
da nicht mit Lust und Freude seinen harmlosen Worten! 
Wir kennen erst das Vorwort zu dem, was kommen 
soll; so mag denn einstweilen Einiges schon aus diesem 
verrathen werden, damit sich durch zeitigen Zuruf die 



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neugierigen Hörer zahlreich versammeln. „Ich würde 
diese Skizzen vielleicht nicht drucken lassen, hätte 
sich mir das Material dazu nicht ganz ohne Absicht 
gesammelt Ich setze den Werth meiner Beobachtungen 
in ilire Unbefangenheit, Nur die öffentlichen Ge- 
heimnisse sind meine Domaine. Ich werfe wohl im 
Vorübergehen einen Blick in Euere Stuben; ich kenne 
in den meisten Quartieren der Stadt den gestickten 
Wandkorb, die Pendula, die Blumenvase, den Nähtisch, 
das Familienportrait am Fenster; ich kenne die stereo- 
typen Physiognomien an denselben; ich sehe jeden 
neuen Laden ausbrechen, ein neues Schild befestigen, 
eine neue Tünche des Hauses vornehmen. — Aber 
ich thue das Alles ganz harmlos. Ich bezwecke nichts 
damit, und Ihr habt mich also nicht als einen Ver- 
rüther zu scheuen, etwa gar wie einen Beamten, der 
eine Conduitenliste Eueres Betragens zu schreiben ver- 
pflichtet wäre." 

„Ostpreussen, Westpreussen und Litthauen sind 
freilich nicht Glieder des deutschen Bundes. Das ist 
aber kein Grund, sie nicht in dem Princip ihrer Kultur, 
im Wesen ihrer Entwickelung für germanisch zu 
halten. Dass Preussen sich sein Stammland unab- 
hängig von dem deutschen Bund erhalten hat, dünkt 
mich eher eine lobenswurdige Klugheit zu sein und 
nur darüber wundere ich mich, dass man diese Son- 
dernug so oft zu vergessen und alle Maassnahmen des 
deutschen Bundes sofort als auch für uns geltende 
anzusehen scheint. Das Interesse, welches man seit- 
her von auswärts an Königsberg zu nehmen ange- 
fangen hat, ist daher gross und allgemein. Nur ein 
geringes Nachdenken muss schon dazu führen, einer 
Stadt nähere Aufmerksamkeit zu schenken, ans wel- 
cher Männer wie Kant, Hamann, Kraus, Hippel, Här- 
der, Schaffner, Werner, Hoffmann u. A. hervorgegangen, 
aus welcher von Zeit zu Zeit, der übrigen Kulturwelt 
so nachhaltige Impulse gekommen sind," 



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Allein „diese Skizzen berühren auch allgemeine 
Fragen der Zeit, Die eigentlich religiös-kirchlichen 
Probleme berühre ich als Aufgaben der Wissenschaft 
in dieser Schrift nirgends. Um so mehr wird man 
dagegen in politischer Beziehung mich der Kritik unter- 
wmen." Es führt nun der Herr Verfasser seine 
„politische Beichte" mit den Worten des Freiherrn 
August von Haxthausen ein, aus dessen „ländlicher 
Verfassung Preussens S. 7 ff.", die zum Auszuge zu 
weitläufig, recht wohl bis zum Erscheinen des Buches 
selbst verspart werden kann, wo sie in eigenen Wor- 
ten weit bessere Gelegenheit zu Betrachtungen dar- 
bieten dürfte. Genug, dass Deutschland im Voraus 
erfährt, das Portrait eines seiner besten und edelsten 
Individuen werde ihm nächstens, von sinniger Künstler- 
hand entworfen, voi^elegt werden. 



Da. 



_/as Buch ist, nachdem schon mannigfach die Er- 
wartungen gespannt waren, nun erschienen. Erfüllt 
es die Erwartungen? Ich glaube, ja! Man kann diese 
nach zwei Seiten hin gehegt haben, entweder, was 
die Hauptsache ist, dass wir ein gelungenes Bild von 
dem uns in neuester Zeit so liebgewordenen Königs- 
berg erhalten werden, oder dass Hosenkranz auf 
manche intressante Tagesfrage näher eingehen werde. 
Was zunächst den ersteren Punkt betrifft, so habe 
ich mich zwar in reichem Maasse befriedigt gefunden, 
muss jedoch hinzusetzen, dass ich selbst in Königs- 
berg zu kurze Zeit lebte, und über meinen dortigen 
Aufenthalt schon zu viele Jahre vergangen sind, als 
dass ich, namentlich im Einzelnen, dem Verfasser mit 
einer Kritik folgen könnte. So weit ich das aber 
vermag, musste ich ihm überall vollkommen beipflichten. 



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und ich zweifle nicht, dass auch für diejenigen, welche 
Königsberg nie gesehen haben, eine überraschend 
deutliche Anschauung aus diesen Skizzen resultiren 
wird. Aber man muss es ganz lesen und nicht diese 
oder jene Skizze nur auswählen wollen. Suchte man 
einen oder den andern besonders schlagenden Effekt, 
so wäre es leicht, deren viele zur Mittheilung aufzu- 
finden; es scheint mir indess zweckmässig, nur aus 
der allgemeinen Charakteristik Königsbergs Einiges 
, herauszunehmen, damit bei recht Vielen sich mit dieser 
Stadt ein bestimmter Gedanke verknüpfe. Rosenkranz 
sagt: „Mir scheint der Hauptzug Königsbergs in einer 
durch den nüchternsten Verstand beherrschten 
Universalität zu liegen. Die Universalität ver- 
sammelt in ihm fast alle bedeutenden Culturelemente, 
jedoch wegen der Isolirung der Stadt in einer eigen- 
thümlichen Verkürzung. Es fehlt nicht leicht etwas. 
Jedes Gewerbe, jede Kunst, jede Wissenschaft, jede 
Lebensart, jede politische oder kirchliche Richtung 
haben ihre Vertreter. Aber oft ist auch ein Element 
eben nur repräsentirt. Es wurzelt nicht tiefer, es 
ist nur da, um an sich zu erinnern. Es ist mehr als 
eine Möglichkeit, denn als Wirklichkeit vorhanden. 
Ein Spötter könnte daher Veranlassung nehmen, Königs- 
berg als die Stadt zu bezeichnen, in welcher alles im 
Zustande des Beinahe existirt u. s. w." — „Nichts- 
destoweniger ist es sehr wichtig, dass Königsberg eine 
solche Allseitigkeit der Culturelemente besitzt. Es 
beweist dadurch seine Anlage zum Fortschritt. 
Es schliesst von vornherein nichts von sich aus, son- 
dern kommt auch dem Fremdartigsten mit Empfänglich- 
keit entgegen, — Aber in seiner Universalität ist es 
zugleich von unerbittlicher Verständigkeit. Die 
Deutlichkeit der Begriffe, die Klarheit der Urtheüe 
sind eines der ersten Erfordernisse für den Königs- 
berger u. s. w." — „Diese Verständigkeit ist in Ver- 
bindung mit jener Universalität der G-rund einer 



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— 55 — 

seltenen Gerechtigkeit des Urtheils. Der Verstand 
allein würde zu dem äussersten Prosarigorismus führen. 
Alles ihm nicht sogleich Begreifliche würde er von 
sich abweisen. Aber die Mannigfaltigkeit der Inter- 
essen, die sich in Königsbei^ bewegen, verhindert 
eine solche Verödung. Wofür der Eine mit seinem 
Verstände nicht ausreicht, dafür findet sich einAnderer. 
Di^er weiss seinen Gegenstand zu rechtfertigen und 
vor dem Verstände zur Geltung zu bringen. Man 
kann daher oft beobachten, wie bei gegebener Ver- 
anlassung zu urtheilen zunächst zwei entgegengesetzte 
Parteien da sind, eine verwerfende und eine aner- 
kennende. Die Dialectik ihres Streites fördert aber 
bald ein Urtheil heraus, worin die Heftigkeit des 
Tadels durch bessere Einsicht gemildert, die Ueber- 
treibUEg der Gunst durch Aufdeckung wirklicher 
Schwächen der Sache herabgestimmt ist. Dies als 
Resultat gewonnene Urtheil wird dann gewöhnlich in 
die allgemeine Tradition aufgenommen. Allerdings ist 
der eben geschilderte Process der, welcher überall in 
der Welt vorkommt. Aber in Königsberg ist er so 
zu sagen organisirt. Auch da, wo man es nicht 
erwarten sollte, wird in Königsberg eine Opposition 
laut werden." 

So viel über die erste Erwartung, die, wie ich 
meine, sich nicht getäuscht sehen wird. Sogar eine 
Karte mit Figuren ist dem Buche hülfreich beigegeben. 
Auch das zweite Versprechen, „allgemeine Fragen der 
Zeit zu berühren", hat der Verfasser gehalten, und 
über manche durch geistreiche Wendung erhellendes 
Licht verbreitet. Hierbei kommt nun der Autor noth- 
wendig selbst in Betracht, weil von seinem Stand- 
punkte sein ganzes Urtheil abhängt, und ihn die Welt 
nicht anders anschaut, als er sie anschaut. Wenn wir 
Rosenkranz nun immer noch so liebenswürdig wie 
sonst, so heiter, offen, freimüthig, so anmuthig und zart- 
sinnig finden, so soll es doch auch nicht verschwiegen 



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— 66 — 

werden, dass er dem Zeitgeist, wie er ihn selbst in 
dem Einen Worte: „Eklekticismus" auszusprechen 
glaubt, in seiner eigenen Person darzustellen scheint. 
An mehreren Orten handelt er von diesem Zusammen- 
laufen des Einzelnen mit der Strömung des Allge- 
meinen, und wird gewiss keinen Tadel darin sehen, 
wenn man ihn ein Kind seiner Zeit, d, h, des Ek- 
lekticismus nennt. Allein man kann auch in dem Flusse 
der Zeit zurückbleiben, und wird dann ein Bewohner 
des Binnenwassers, ohne je in die Fluthen des Oceanes 
hinauszuschwimmen, Wo Strom und Meer zusammen- 
kommen, da schaut man in die Weite, betrachtet 
gelassen und mit Interesse die vorbeiziehenden See- 
gestalten und — hält sich iein zu Hause. Wohl sehen 
unsere T^e noch sehr eklektisch aus, doch sind sie 
es nicht mehr. Ein Bruch ist durch sie hingegangen, 
wie über Nacht die Eisdecke des Haffs zerreisst, und 
ohne ihn zu kennen, wird mancher soi^lose Wanderer 
heim dämmernden Morgen hineinstürzen, weil er von 
dem krachenden Donner der Nacht nichts vernommen 
hat und wähnt, er müsse von einem Bruche doch 
etwas wissen, da er noch vor Kurzem dieselbe Strasse 
ungefährdet hin- und hergezogen sei. Unsere Zeit 
ist nicht mehr eklektisch und parteilos ; aber Tausende 
sind es noch und woUen es noch bleiben. Schöne Un- 
parteilichkeit, wer deinen idyllischen Frieden genösse! 
Ich aber mag dich nicht, nicht die Fülle deiner Ge- 
nüsse, nicht deine wunderselige Allseitigkeit, nicht 
deinen Frieden, nicht deine Unschuld! So lange das 
Wesen unserer Zeit eklektisch war, galt Rosenkranz 
unbestritten als einer ihrer Vordermänner; seitdem 
aber nur ihr trügerischer Schein eklektisch geblieben 
ist, mtisste er kühner ausschreiten, als er es thut, um 
nicht zu einem Nachzügler zu werden. 

Die vorliegenden beiden Bände geben reichlichen 
Stoff, auf diese Gefahr des Zurückbleibens hinzuweisen. 
Der Leser, welcher in seiner eigenen Brust es fühlt, 



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— 57 — 

das8 der Eklekticismus vorüber ist, wird von selbst 
darauf stoasen; ich meinerseits will gerade eine sehr 
unscheinbare Stelle hervorheben, iamit gutmuthigen 
Beurtheilem eine liebevolle Entschuldigung offen bleibe. 

I. 286. „Wenn ich im Bilde den Juden sehe, wie 
er dem Landpfleger ruft: Kreuzige, kreu2ige ihn! 
Sein Blut über uns und unsere Kinder ! und trete aus 
der Kirche oder von dem Steinbilde der Station zurück, 
um auf der Strasse dieselbe Physiognomie zu treffen, 
so gehört eben schon eine festere Ohristlichkeit dazu, 
mich zu erinnern, dass Christus den Juden vei^eben 
hat, vergeben musste, weil sie nicht wussten, was sie 
thaten. Der Pöbel vermeint wohl, sich darin christ- 
lich zu zeigen, wenn er eä^och jetzt dem Juden nicht 
vergisst, was er einst gethan." 

So muss man also ein Christ sein, und zwar ein 
„festerer Christ", um die Juden nicht zu hassen? Es 
ist zwar richtig, dass die christliche Religion die 
Feindesliebe als einen ethischen Satz in sich aufge- 
nommen und dadurch vor anderen Religionen etwas 
voraus hat; allein dieser Vorzug vor anderen Reli- 
gionen kann nicht für einen Vorzug vor der Hu- 
manität angesehen werden und dazu dienen, die 
Feindesliebe dem Christentum als etwas Eigenes zu- 
zusprechen. Sie ist durchaus etwas Menschliches, und 
man braucht nicht nur kein „festerer Christ", sondern 
überhaupt kein Christ zu sein, um seine Feinde zu 
lieben. David liebte Saul, Sokrates sein Volk, das 
ihn vergiftete, wie das jüdische Christum kreuzigte, 
und Seume's wilder Canadier einen — (Christen. Und 
nun gar einem unzurechnungsfähigen Feinde, wofür 
Christus selbst die Juden ansah („Vei^ieb ihnen, denn 
sie wissen nicht, was sie thun!") und seinen späten 
Enkeln nichts nachzutragen, dazu soU eine „festere 
Christlichkeit" gehören? So entrückt man das ein- 
fach Menschliche von seinem Boden, um es in den 
christlichen Himmel zu verpflanzen, und so kommt 



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— 68 — 

man consequenter Weise zu einem cliriatUchen Staate 
nnd wohl auch zu einer christlichen Philosophie. Im 
GegentheU, eben die „Christlichkeit des Pöbels" ist ea, 
die ihn zum Judenhasse treibt. Wenn ein Christ in 
das Gesicht eines Neugriechen blickt, so wird es ihm 
nicht einfallen, denselben als den Nachkommen derer, 
die Sokrates vei^fteten, zu hassen; bei einem Juden 
aber erinnert er sich des Mordes Christi, Weil er ein 
Christ ist, darum ist sein erstes Gefühl gegen den 
Juden Hass, Lässt er dann aber die Menschlichkeit 
in sich zu Worte kommen und empfindet" er die In- 
humanität des Hasses, so kann er sich dabei freilich 
wieder auf das Christeuthum berufen, aber nur darum, 
weil dasselbe aus der HuSianität dje Feindesliebe in 
sich aufgenommen und gleichsam entlehnt hat. Daher 
wird es wohl so sein, dass man, um der Versuchung, 
die Juden für die Missethat ihrer Ahnen zu hassen, 
nicht zu unterliegen, ein „festerer Christ" sein, d. h. 
sich des aus der Humanität in die Keligion hinüber- 
gegangenen christlichen Gesetzes von der FeindesUebe 
erinnern muss; dass man hingegen, um eine solche 
Versuchung sich gar nicht einmal, an wandeln zu lassen, 
nichts als ein wahrer Mensch zu sein braucht. Auch 
die „festeren Christen" sind dieser Versuchung er- 
legen, wie das Mittelalter beweist, und erliegen ihr 
noch, wie der ^.christliche Staat" zeigt; ein freier 
Mensch, von edlem Selbstgefühl durchdrungen, er- 
würgt, diese Schlange durch die Macht der Humanität 
schon in der Wiege. Und so ist es in unzähligen an- 
deren Fällen, dass das Christenthum uns in Versuchung 
führt und uns dann nur durch einen von der Humanität 
erborgten und zu einem religiösen Gesetze ausgepreß- 
ten Satz errettet. 

Ich wählte diese an sich wenig bedeutende Stelle 
auch darum, weil man den Löwen an der Klaue er- 
kennt, und weil sie eine hinreichende Andeutung ent- 
hält, dass Rosenkranz nicht rein und ungetrübt von 



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— 59 — 

der Höhe der Humanität aus die Welt betrachtet, 
wenn er auch im gewöhnlichen Sinne des Wortes ge- 
wiss einer der humansten und liberalsten Menschen 
ist. Die Humanität leitet ihn wohl, wie unzählige 
Andere, auf allen seinen Wegen, allein sie ist nicht 
in ihm persönlich geworden, nicht die Idee-, die sich 
zur Welt seines Selbstes ausbaute, sie ist nicht sein 
alleiniges Selbstbewusstsein, sein volles Ich, und hat 
darum keine andere Energie, als die, dass sie ihn be- 
herrscht. Der Beherrschte kann es aber nicht lassen, 
dass er nicht zuweilen seine eigenen Capricen hinter 
dem Rücken des Herrn hätte: der Herr ist doch 
immer nicht Er selbst, und der Diener der Humanität 
bleibt - — für sich ein Christ. Im Leben bestimmt 
seinen WiUen der Herr, die Humanität, in seinem 
Kämmerlein bestimmt er sich selbst und ist — Christ. 
Ad Versuchen wird er es überdem nicht fehlen lassen, 
den Herrn zu seinem Glauben zu bekehren. — ■ Mit 
seinem guten Glauben, dass Alles zur Verherrlichung 
des Christentums dienen müsse, erinnerte mich Eosen- 
Icranz lebhaft an die Leich^läubigkeit Marheineke's, 
der „kein Bedenken trägt, zu behaupten, dass wenn 
man den Kern des Buches von Bruno Bauer (die 
Synoptiker) in's Auge fasst, dasselbe auf die Verherr- 
lichung des Christentums abzweckt," wie er in mir 
— da ich einmal beim Tadeln bin, so sei auch das 
noch hinzugesetzt — durch die Spielerei seiner Symbolik 
(z. B. in dem Artikel „Kant's Haus") die Erinnerung 
an Gflschel wieder weckte. 

Aber bei allem dem, wie viel Herrliches bietet 
das Buch! Man lasse sich durch mein Bekritteln den 
grossen Genuss nicht stören, der in seiner Leetüre 
üegt, sondern nehme es nur als eine Zuthat von bittern 
Mandeln, die Alles um so schmackhafter macht. Es 
ist nun einmal so des Kritikers Sache : er denkt seine 
Pflicht nicht zu thun, wenn er nicht ein wenig auf 
den Autor loszieht und Ausstellungen macht. Dafür 



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sollen auch für den freundlichen Leser noch ein paar 
Citate aus dem Buche hier nachfolgen, weil sie in einer 
Zeitung willkommen sein werden. 

I. 288: „Interessant ist es, zu sehen, in welche 
Bedrängniss die christlichen Feudalherren unter uns 
ihrerseits mit dem Judenthum kommen. Da sie an 
die Bibel alten Testaments nicht weniger eifrig, als 
an die neuen Testaments glauben, so müssen sie das 
jüdische Volk sehr hoch halten. Sie citiren auch, 
wenn sie ii^end einmal eine ülaubenswahrheit beweisen 
wollen, ohne alle Kritik die Psalmen und Paulinischen 
Briefe, Genesis und Apostelgeschichte durcheinander. 
Es ist ihnen Alles Wort Gottes, Alles Offenbarung, 
Alles inspirirt; auf den Zusammenhang kommt es 
nicht an. Sie reden daher auch stets von dem Volk 
Gottes, aus dessen königlichem Stamme Jesus hervor- 
gegangen, welche fürstliche Verwandtschaft sich bei- 
läufig doch diejenigen merken sollten, die in Christus 
immer eine absolut demokratische Natur zu erblicken 
unhistorisch genug sind. Sie gestehen sich, dass, wenn 
sie so einen schönen Judenkopf mit hoher Stirn, 
sinnenden Augen, edler Nase, feinen und doch kraft- 
vollen Lippen und dunklem Bart vor sich haben, Jesus 
wohl ganz ähnlich ausgesehen haben könne. Aber 
dennoch wollen sie nichts vom Juden wissen. Als 
Hausirer ist er ihnen zu schmutzig, zu gewinnsüchtig, 
in seinen Manieren zu lächerlich. Als wohlhabender 
Handelsmann, der die Messen bereist, der sein Lager 
hat, ist er ihnen zwar leidlich, aber doch nur nothge- 
drungen, beim Kauf und Verkauf, oder im Postwagen. 
Er riecht noch zu stark nach Knoblauch und hängt gar zu 
sehr an seinem alten Testament. Als Banquier, der in 
modernster Toilette dort mit den herrlichsten Voll- 
blutpferden zur Börse eilt, dessen Haus ein Muster von ' 
Eleganz ist, der täglich ,,bei sich empfängt" und so 
trefflichen Champagner hält, dessen Bücherschränke 
Schiller und Goethe, Byron und Scott, Victor Hugo 



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— 61 — 

und Balzac in englischen Einbänden dir entgegen- 
strahien, dessen Tochter zur Begleitung des wiener 
Flügels die neuesten Opemarien aus Meyerbeer's 
Hugenotten singt, als Banquier, der den Erlöserorden 
von einem christlichen Monarchen geschenkt bekommen 
hat, der eine Art von Diplomat, eine politische Macht 
ist; als Banquier ärgert der Jude den Aristokraten 
durch seinen Reichthum, durch seinen Luxus, seine 
Bildung und seinen Einfluss. Und so ist auch dieser 
ihm nicht recht. Als aufgeklärter wissenschaft- 
licher Arzt kann er den Juden vielleicht nicht ent- 
behren, allein er hasst an ihm die Aufklärung, er be- 
schuldigt ihn, zu sehr sich entnationalisirt zu haben. 
Als Schriftsteller aber, wie Eiesaer, ist er ihm vollends 
ein Greuel. Für den Juden, der Joumalartikel achreibt 
oder gar ein Journal redigirt, hat er nur noch Schimpf- 
wörter. „Judenjunge" ist hier sein technischer Aus- 
druck." 

I. 320. „Zwischen Preussen (der Provinz) und 
Schwaben besteht ein tiefer Zusammenhang. In der 
Diagonale deutschen Lebens von Südwest nach Nord- 
ost bilden sich die Pole, die mit einander in geheimer 
Wechselwirkung stehen, wie dies die Literaturge- 
schichte nachweisen kann. Wie nun Kant einst die 
Tübinger Theologen, Storr, Flatt, gegen sich in die 
Schranken rief, bis in Strauss doch der Rationalismus 
über den Supernaturalismus siegte, so schlägt nun 
Strauss gerade hier wieder mächtiger ein, wie irgendwo. 
Mit Erstaunen habe ich im Kreise meiner beschränkten 
Erfahrung wahrgenommen, dass preussische Gutsbe-- 
sitzer einen ganzen Winter consequent Seite für Seite ■ 
durchgelesen, durchgesprochen haben, ja nachher für 
ihre abweichenden Ansichten mit einander in Brief- 
wechsel getreten sind*). Die Geistlichen sind bei uns, 

*) Es mag hierbei bemerkt werden, daaa viele Ontabesitzer 
der dortigen Qegend sich gleich nach der Kunde von dem Verein 
der „Freien" bereit erklärten, demselben sich znzugeaellen. 



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— 62 — 

wie ich nicht anders glauben kann, aus dem wohl- 
meinendsten Interesse heraus oft terroristiscli gegen 
die Strauss'schen Lehren anfgetreten. Hier nnd da, eine 
Zeitlang, wird dies wirken, aber nicht auf die Länge, 
denn die Freiheit der Forschung ist vom 
Protestantismus unzertrennlich. Wollten sich die Straussi- 
aner, was übrigens anzunehmen gar keine Thatsachen 
vorliegen,alsConfessionen constituiren, so würde keine 
MachtderErde sie daran hindern können. AnFanatis- 
mus, also auch an Freudigkeit, zu leiden, sich zu opfern, 
würde es ihnen so wenig fehlen, wie jemals einer be- 
drängten Sekte. Die Hengstenbergische Kirchenzeitui^ 
hat diesenPunkt oft Inder Weise hervorgehoben, aiszwei- 
felte sie bei denStraussiauem an dem Muth, irdischen Be- 
sitz, irdische Ehre für die Ueberzeugung in die Schanze 
zu schlagen. Sie irrt. Für viel untergeordnetere 
Dinge sind die Menschen standhaft in den Tod ge- 
gangen, immer aber löwenkühn, wenn es sich darum 
gehandelt hat, durch ihr Blut einem neuen Glauben 
Bahn zu brechen. Die Märtyrerpalme ist die süsseste. 
Wie noch jüngst erst die Prediger der Altlutheraner, 
von den Ihrigen getrennt, nur immer höheren Muth 
gewonnen, so würde es auch bei den Straussianem 
sein." 

II. 65. „Dem ungestümen Drange, uns der franzö- 
sischen Bühne der Gegenwart sogleich zu bemächtigen, 
muss etwas Tieferes zu Grunde liegen. Es muss eine 
Sympathie der Nationen sein, welche diesen Zauber be- 
wirkt und diese Sympathie muss wiederum durch den Ge- 
gensatz bewirkt werden, den dieFranzosen und Deutschen 
zu einander machen, den sie aber auch zu versöhnen 
trachten. Die Zeit des Hasses ist für beide Völker vorüber. 
Sie sagen es sich zwar oft noch sehr nachdrücklich, dass 
sie höchst unabhängig von einander seien und sich, ihre 
Selbstständigkeit zu wahren, einander sogleich mit 
allen Mordinstrumenten der modernsten Kriegstührung 
todtschlagen würden. Herr Becker hat diesen Trotz 



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— 63 — 

der Nationalität den Franzosen, und Herr Alfred 
de Musset den Deutschen erst neuerlichst zugesungen. 
Allein viel mehr als auf den Krieg sind sie auf den 
Frieden mit einander gestellt und wir haben das 
merkwürdige Schauspiel erlebt, dass eine Armee von 
600,000 Mann, die vor Schlachtenruhm zu brennen 
schien, nach einigen Monaten wieder in die fried- 
lichste Stimmung zurückging, dass Rüstungen, die 
allem menschlichen Urtheil nach in einem kriegerischen 
Ausbruch endigen mussten, ruhig wieder zurückge- 
nommen werden konnten. Der Deutsche hat an dem 
Franzosen Alles, was ihm fehlt, äusserliche Glätte, ■ 
gesellige Vielseitigkeit, persönliche Unbefangenheit 
gepaart mit grossem pereönlichen Selbstgefühl, National- 
bewusstsein, Öffentlichkeit des Lebens, Raschheit der 
That. Umgekehrt hat der Franzose an dem Deutschen 
die Innigkeit des Gefühls, die Nachhaltigkeit der 
Bildung, die Humanität des Bewusstseins, die Uni- 
versalität des Lebens und Strebens, die Reife der 
Handlung. Aber eben weil nun der Deutsche der uni- 
versellere ist, weil ihn kein Nationaldttnkel hemmt, 
so ist er der geschäftigere, sich das französische Element 
anzueignen." 

n. 100. „Der Germane ist von den ältesten Zeiten 
her dem Trünke leidenschaftlich ergeben. Deutsch- 
land ist das Land, in welchem Wein, Bier und Brannt- 
wein herrschen. Der Deutsche trinkt Alles. Und diese 
Sucht hat er durch die Kolonieen weiter verpflanzt. Aber 
bei ihm- geht die Neigung zum Trunk aus einem ganz 
anderen Grunde hervor, als bei Völkern, denen die 
Vegetatioii des Bewusstseins, die halbe Bewusst- 
losigkeit noch die grösste Wonne gewährt. Bei ihm 
ist es der Übermuth des Selbstgefühls, der sich mit 
dem Trunk gleichsam als mit einem Feinde einlässt, 
der ihm nichts soU ansehen können. Er ist die bis 
zum Frevel kühne Freiheit des Selbstbewusstseins, 
die ein schauerliches Gelüsten empfindet, mit der Natur 



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— 64 — 

sich einzulassen, zu sehen, wie weit sie es wohl zwingen 
könne." 

„Der Germane hat, so zu s^en, einen Überschuss 
von Kraft in sich, dem er abermals durch einUnmaass 
begegnet. Der Romane, wie der Araber, weiss nichts 
von diesem seltsamen Drange. Er ist ohne Kampf 
gegen eine Vereuchung massig, weil es ihm nothwendig 
ist, mit sieh und der Welt im Gleichgewicht zu 
leben. Der Germane aber hat um so mehr einen Trieb 
nach einem Zustande in sich, der ihn ihm selbst zu 
entreissen vermag, je mehr er seiner selbst im In- 
nersten gewiss und daher auch von vornherein mit der 
Welt zu spielen geneigt ist. Nicht der momentane 
Selbstmord, auf den der Finne und Slave im Trunk 
ausgeht, nicht der sinnliche Kitzel als solcher, sondern 
die Macht des Geistes ist es, die den Germanen reizt, 
Glas auf Glas zu leeren. Es liegt eine Verachtung 
der Natur als Kraft in seinem maasslosen Trinken. 
Das Trinken, nur um sich zu berauschen, nur um be- 
wusstlos aussehnarchen zu können, um die Seligkeit 
des Nichtseins zu gemessen, würde ihm gar keinen 
Genuss gewähren, aber als eine Macht, gegen die er 
sich frei erhält, indem er sie unmittelbar in sich 
aufnimmt, sie mit seinem Blut sich vermählen lässt, 
hat das Trinken für ihn einen grauenhaften Keiz. Es 
liegt in ihm dieselbe Keckheit, mit welcher der See- 
könig Regnar Lodbroki, als im Thurme die Schlangen 
ihn zernagten, seine Thaten mit dem Refrain sang: 
„lachend werde ich sterben," Ohne diese dämonische 
Tiefe der Versuchung würde es kaum zu erklären 
sein, mit welcher Lust der Germane trinkt. Viel 
trinken zu können ist bei ihm eine Art Ehrensache 
geworden." 

Ich erlaube mir hierzu eine Note beizufügen, die 
ich vor Jahren zu Taeitus Germania 24 machte , und 
die ich ohne weitere Verbesserung als Parallele geben 
will: Die Spielsucht der Germanen liess sie selbst 



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Freiheit und Leben opfern. Es ist dies die stärkste 
Abstraction, zu der es der Mensch, der das ihm 
Eigene opfert, zu bringen vermag. Das Substantielle, 
was bei diesem Aufgeben der höchsten persönlichen 
Güter zurückbleibt, ist die Treue im Vertrage, das 
verpflichtete Wort Hierin erscheint der Grermane, 
nach der äussersten Abstreifung alles Zufälligen, wo- 
zu selbst Alles, was an der Freiheit Verlierbares ist, 
gehört, rein in seinem Wesen. Nur das reine, un- 
zerstörbare Selbst, hier in der Gestalt der Treue 
oder des Wortbaltens, bleibt übrig, nachdem Weib 
und Kind, die Freiheit, ja selbst das Leben in die 
Schanze geschlagen worden. Der Germane stellt sich 
selbst, seine Unverbrüchlichkeit, muthwillig auf die 
Probe, um damit in jeder Probe zu bestehen. Diese 
Leidenschaft, AUes auf's Spiel zu setzen, Gewinn- und 
"Verlierbares ganz zu gewinnen oder ganz zu verlieren, 
war äusserst heftig, war Spielsueht, Sucht, dasjenige, 
was sonst als ein höchst Positives galt, auch in seiner 
höchsten Negativität darzustellen. In der Kampfs- 
und Kriegslust setzten sie dieselben Güter auf's Spiel 
und das oft aus keinem andern Grunde, als der aben- 
teuerliebeu Begierde, sie daran zu wagen. 

Was an Vorstehendem undeutlich ist, das erklärt 
sich hinlänglich aus Rosenkranz' lichtvollerer Dar- 
stellung. 



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Einiges Vorläufige vom Liebesstaat. 

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Nachdem Ludwig Buhl's UnternehmeE, das dieser 
unter dem Titel „Berliner Monatsschrift" im Juli 1843 
in Berlin geplant hatte, für Preussen, wie er voraus- 
gesehen, an der Censur gescheitert war, gab er das 
„erste und einzige" Heft desselben in Mannheim 1845 
im Seibatverlage heraus. Der kleine, über zwanzig 
Bogen starke Band — heute sehr selten — enthält 
zwei Aufsätze Stimers; der erste: „Einiges Vorläufige 
vom Liehesstaat" eröffnet ihn nach einem „Offenen 
Bekenntniss" , den Urtheilen des Ober-Censm^erichts 
und dem ursprünglichen „Prospectus" Buhl's auf den 
Seiten 34 — 49. Er ist unterzeichnet: „Stirner". 



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/Yllbekannt ist das sogenannte Sendschreiben des 
Freiheim von Stein. Man hat daraus die Meinui^ 
gefasst, dass die später eintretende Reactionsperiode 
sich den im Sendschreiben ausgesprochenen Grundsätzen 
entfremdet und einer anderen Sinnesart zugewendet habe, 
so dass der Liberalismus vom Jahre 1808 nach kurzer 
Dauer in einen bis auf nnsere Tage hinausgezogenen 
Schlaf gesunken sei. An dem angebliehen Verkennen 
jener Principien lässt sich jedoch zweifeln, und es 
müsste auch schon äusserlich sehr auffallend erscheinen, 
dass dieselben kraftvollen Menschen, welche wenige 
Jahre zuvor unter den stürmischesten Umständen eine 
freisinnige Ansicht aufstellten, kurz darauf so ohne 
weiteres von ihr abgefallen sein sollten, um einen 
entgegengesetzten Weg einzuschlagen. Hat man es doch 
endlich erkannt, dass die langgehegte Meinung, die 
französische Revolution sei durch das Umschlagen der 
Napoleonischen Kaiserherrschaft sich selbst untreu ge- 
worden, auf einem Urtheil*) und oberflächlichen Urtheil 
beruhe ; warum sollte nun nicht zwischen dem Stein'schen 
Liberalismus und der spätem, sogenannten Reaction 
ein ähnlicher Zusammenhang stattfinden? Sehen wir 
das Sendschreiben daraufhin etwas näher an. 

Zwei Zielpunkte hat, wie sogleich in die Augen 
springt. Stein mit der französischen Revolution gemein, 



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— 72 — 

nämlicli die Gleichheit und Freiheit, und es kommt 
nur darauf an, wie er die eine und andere bestimmt. 
Was zunächst die Gleichheit betrifft, so erkannte 
er, dass die Übermacht der am ihres Standes willen 
Bevorzugteu, der Privilegirten, gebrochen werden, 
und an die Stelle der Vielherrschaft eine vollständige 
Centralisation treten müsse. Daher soUte diejenige 
„Erbunterthänigkeit", welche über die Unterthanen 
des einen Herrn, des Königs, noch viele kleinere Herren 
herrschen liess, ein Ende nehmen; nur die Eine Erb- 
nnterthänigkeit Aller sollte bleiben und gerade 
durch die Entsetzung der vielen Herren gestärkt 
werden. Gleicher Weise sollte die „Polizeigewalt" 
Einzelner verschwinden, damit Eine Polizei aber 
alle Unterthanen wache. Die „Patrimonialgerichts- 
barkeit", wenden durch alte Gerechtsame Bevorzugten 
gehörig, sollte durch Eine monarchische Justiz 
abgelöst werden, und die Richter allein „von der 
höchsten Gewalt abhängen". Durch diese Centralisation 
wird das Interesse Aller auf Einen Punkt hin- 
gezogen, auf den König: man ist fortan nur ihm unter- 
than, ohne sonstige Erbunterthänigkeit gegen andere 
Unterthanen des Königs; man steht nur unter Seiner 
Polizeigewalt; man empfängt nur von fürstlicher Justiz 
den Eechtsspruch; man hängt nicht mehr vom WiUen 
der „höher Geborenen" ab, sondern allein von dem 
der „höher Gestellten" d. h. derer, welche der König 
um seinen WiUen zu vollziehen, an Seiner Statt ein- 
setzt und über diejenigen stellt, für welche sie in 
Seinem Namen zu sorgen haben, der — Beamten. — 
Die Lehre von der Gleichheit, wie sie in dem 
Sendschreiben vorliegt, kommt also darauf hinaus, 
Alle auf das gleiche Niveau der Unterthänigkeit 
zu bringen. Kein Unterthau des Königs sei in 
Zukunft zugleich der Unterthan eines Unterthanen.; 
die Standesdifferenzen der Abhängigkeit seien aus- 
geglichen, und Eine Abhängigkeit die allgemeine. 



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— 73 — 

Diesen Grundsatz der Gleicheit kann man un- 
möglich mit dem der französiachen Revolution ver- 
wechseln. Die letztere verlangte eine Gleichheit der 
Burger, die des Sendschreibens eine Gleichheit der 
Unterthanen, eine gleiche ünterthänigkeit. 
Einen geeigneten Ausdruck findet jener Unterschied 
auch darin, dasa die im Sendschreiben verlangte 
^iNationalrepräsentation" die „Wünsche" der nivellirten 
Unterthanen vor den Thron bringen soll, während in 
Frankreich die Bürger mittelst ihrer Repräsentanten 
einen „Willen", freilich nur einen Biii^erwillen, keinen 
freien, haben. Der „Unterthan" darf mit Recht nur 
„wünschen". 

Zweitens will aber das Sendschreiben nicht bloss 
die Gleichheit, es wiU auch die Freiheit Aller. Daher 
der Aufruf: „Sorget, dass Jeder," (mit diesem Worte 
wird die Geichheit der Unterthanen ausgedrückt) 
„seine Kräfte frei in moralischer Richtung entwickeln 
könne." In moralischer Richtung? Was soll das 
heissen? Als Gegensatz kann die physische Richtung" 
nicht gedacht werden, da das Sendschreiben ein 
„physisch und moralisch kräftigeres Geschlecht erzielen 
will". Auch die inteUectuelle Richtung wollte man 
wohl schwerlich von der moralischen ausschliessen, 
da man die Wissenschaft ja möglichst begünstigte. 
Am einfachsten bleibt als Gegensatz der moralischen 
die unmoralische Richtung übrig. Unmoralisch ist aber 
ein Unterthan, wenn er aus dem Kreise seiner Unter- 
thanen-Eigenschaften hinausgeht. Ein Unterthan, der 
im Staatsleben, in der Politik sich einen „Willen" an- 
maasste, statt des „Wunsches", der wäre offenbar un- 
moralisch ; denn in der Ünterthänigkeit besteht allein 
der moralische Werth des Unterthanen : im Gehoraam, 
nicht iti der Selbstbestimmung. So scheint also die 
„moralische Richtung" sich für unvereinbar mit der 
„spontanen Richtung", der Richtung auf den freien 
Willen, auf Selbstständigkeit und Souveränetät des 



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_ 74 — 

Willens za erklären, nod da das Wort ^moralisch" 
anf die Verpflichtnog hindeutet, so wird numwohl 
eine Erweckong des Michtgefötüs gewollt nnd dies 
nnter „freier Kraftentwicklnng'' verstanden haben. Ihr 
seid frei, wenn ihr eure Pflicht thnt! ist der Sinn 
der raoralist^hen Kichtang. Worin besteht aber die 
Pflicht? Das Sendschreiben drückt sie klar nnd be- 
stimmt mit den zur Uevise gewordenen Worten ans: 
„In der Liebe zn Gott, König und Vaterland !■* Frei 
in moralischer Richtang entwickelt sich, wer sich za 
dieser Liebe entwickelt; der Erziehung war dadurch 
ihr bestimmtes Ziel gesteckt, sie war von Stnnd' an 
eine moralische oder, loyale, eine Erziehung des 
Pflichtgefühls, wohin natürlich auch die religiöse 
Erziehung gerechnet werden muss, weil auch sie die 
Pflicht gegen Gott einprägend, nichts anderes als 
eine moralische Erziehung ist. Und allerdings ist man 
moralisch frei, sobald man seine Pflicht erfUUt; das 
Gewissen, diese Gewalt der Moralität über die Im- 
moralität, die Gebieterin des moralischen Menschen, 
sagt dem pflichtgetreuen Menschen, dass er recht ge- 
handelt habe; „mein Gewissen sagt mirs!" Darüber 
freilich, ob die befolgte Pflicht wirklich — Pflicht 
sei, sagt das Gewissen nichts; es spricht nur, wenn 
das, was für Pflicht gilt, verletzt wird. Daher em- 
pfiehlt das Sendschreiben, das Gewissen zu wecken, 
die Pflicht „gegen Gott, König und Vaterland" ein- 
znscbärfen, den religiösen Sinn des Volkes zu beleben 
und die Erziehung und den Unterricht der Jugend zu 
pflegen," — Dies ist die Freiheit, mit welcher nach 
dem Sendschreiben das Volk beglückt werden soll: 
die Freiheit in der Pflichterfüllung, die moralische 
Freiheit. 

Wie oben die Gleichheit des Sendschreibens von 
jener, welche die französische Revolution verkündigte, 
sich wesentlich unterschied, so hier die Freiheit. Frei 
ist der souveraine Bürger des souverainen Volkes — 



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— 75 — 

80 lehrte die Revolution; frei ist, wer Gott, König 
und Vaterland Uebt — so lehrt das Sendschreiben: 
dort ist der souveraine Büi^er frei, hier der liebe- 
volle Unterthan, dort bürgerliche Freiheit, hier 
moralische. 

und dies Prinzip der Gleichheit und Freiheit als 
— Unterthanengieichheit und moralische Freiheit war 
nicht etwa nur der Sinn jenes Sendschreibens und 
seiner Verfasser, sondern es war das herrschende Ge- 
fühl des gesammten Volkes, war das neue begeisternde 
Princip selbst, mit welchem es gegen die Napoleoni- 
sche Uebermacht anstürmte: es war die revolutionäre 
Freiheit und Gleichheit , umgewandelt zur christ- 
lichen Freiheit und Gleichheit, Es war mit einem 
Wort das Prinzip des deutschen und insbesondere des 
preussischen Volkes von seiner Erhebung gegen die 
Fremdherrschaft an, durch die sogenannte Reactions- 
oder Bestaurationsperiode hindurch bis — nun bis es 
ein Ende hat. Deshalb muss man die Meinung, als 
hätte ein politischer Freiheitsdrang, dem revolutio- 
nären ähnlich, das Volk zum Siege über Napoleon 
geführt, als irrig verwerfen. Wäre sein Prinzip das 
politische gewesen, es würde dasselbe nicht auf- 
gegeben oder in seine Verkümmerung gewilligt haben. 
Man thut der Regierung Unrecht, wenn man glaubt, 
sie habe dem Volke etwas entzogen, wonach dieses 
mit Bewusstsein trachtete. Abgesehen von der Un- 
möglichkeit solcher Entziehung, so waren Regierung 
und Volk wirklich einhellig in der Abwehr der poli- 
tischen Freiheit, dieser „Ausgeburt der Revolution". 
Das eben erwarb ja Friedrich Wilhelm III, so viel 
Hingebung und Liebe, dass er gleichsam die vollendete 
Personification jener moralischen Freiheit darstellte, 
dass er durch und durch ein Mann der Pflicht, ein 
gewissenhafter Mensch war: „der Gerechte!" 

Den Mittelpunkt der moralischen Freiheit bildet, 
wie wir sehen, die Pflicht der — Liebe. Wie ohne 



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— 76 — 

Widerspruch zugegeben zu werden pflegt, ist das 
Christenthum seinem innersten Wesen nacli die Eeligion 
der Liebe. Darum wird denn auch die moralische 
PVeiheit, die sich in dem Einen Gebote der Liebe cou- 
centrirt, die reinste und bewussteste Erfüllung des 
Christenthums sein. Wer nichts als Liebe ist, der hat 
das Höchste erreicht, der ist wahrhaft frei! — so lautet 
das Evangelium der moralischen Freiheit. Als diese 
Überzeugung in den Herzen erwachte, und sie mit der 
Seligkeit einer triumphirenden Wahrheit erfüllte, da 
mnsste die Kraft des Despoten zu klein sein gegen 
die Gewalt eines solchen Gefühls, und das Christen- 
thum in seiner verklärtesten Gestalt, als Liebe, die Völker 
entzündend, rückte mit Siegesgewissheit heran gegen 
den Geist der Revolution, Dieser hatte das Christen- 
thum von der Erde vertilgen wollen, aber es raffte 
sich auf mit der ganzen Kraft seiner Natur, es trat 
als — Liebe gegen ihn in die Schranken, und es siegte, 
siegte über einen Geist, der zwar viel an ihm zu er- 
drücken vermocht hatte, aber das Eine nicht erdrücken 
konnte, — die Liebe, Denn wie viel des Christlichen 
auch gefallen war unter den Streichen der Revolution, 
die Liebe — sein innerstes Wesen, — war in dem 
Busen der revolutionären IiYeiheit stecken geblieben, 
Sie hegte die Feindin in sich selbst, darum musste 
sie vor der Feindin, als diese von Aussen heranzog, 
erliegen. 

Doch lernen wir ein wenig diese Feindin der 
revolutionären Freiheit, die Liebe selber, kennen! Man 
pflegt der Liebe die Selbstsucht gegenüber zu steilen, 
weil es die Natur der Letzteren mit sich bringt, dass, 
wer ihr folgt, ohne Rücksicht auf den Andern, 
oder unbarmherzig verfährt. Setzen wir nun den 
Werth des Menschen in die Selbstbestimmung d. h. 
darin, dass nicht eine Sache oder eine andere Person 
ihn bestimmen, sondern er selbst der Schöpfer seiner 
selbst, mithin Schöpfer und Geschöpf in Einem sei, 



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so wird der Selbstsüchtige wahrscheinlich am weitesten 
hinter diesem Ziele zurückbleiben. Sein Grundsatz 
lautet SO: die Dinge und die Menschen sind für mich 
da! Vermöchte er hinznzusetzen: ich bin auch für 
sie da, — so wäre er eben der Selbstsüchtige nicht 
mehr. Er geht nur darauf aus, den Gegenstand seiner 
Begierde zu haschen, läuft z. B. in der Brunst einem 
Mädchen nach, um dies allerliebst« „Ding" (denn für 
mehr als ein Ding gilt es ihm nicht) zu — verführen 
u. 8. w. Um dieses Mädchens willen ein anderer 
Mensch zu werden, selbst etwas aus sich zu machen, 
um sie dadurch zu verdienen: das fällt ihm nicht 
ein, wie er ist, so ist er. Das eben macht ihn so ver- 
ächtlich, dass keine Selbstgestaltung und Selbstbe- 
stimmung an ihm zu entdecken ist. 

Ganz anders der Liebende. Die Selbstsucht ändert 
den Menschen nicht, die Liebe macht einen andern 
Mensehen aus ihm. „Seit er liebt, ist er ein ganz 
anderer Mensch geworden" pflegt man zu sagen. 
Aber er macht als Liebender auch wirklich selbst 
etwas aus sich, indem er Alles an sich tUgt, was dem 
Geliebten widerspricht; willig und hingebend lässt 
er sich bestimmen, und durch die Passion der Liebe 
umgewandelt, richtet er sich nach dem Andern. 
Sind in der Selbstsucht die Gegenstände nur für 
mich da, so bin ich in der Liebe auch für sie: wir 
sind für einander. 

Überladen wir jedoch die Selbstsucht ihrem 
Schicksal und vei^leichen wir lieber die Liebe mit 
der Selbstbestimmung oder Freiheit. In der Liebe 
bestimmt sich der Mensch, giebt sich ein gewisses Ge- 
präge, wird zum Schöpfer seiner selbst. Allein er 
thut das Alles um eines Andern, nicht um seinet- 
willen. Die Selbstbestimmung ist noch abhängig 
von dem Andern: sie ist zugleich Bestimmung durch 
den Andern, ist — Passion: der Liebende lässt sieh 
bestimmen, bestimmen durch den Geliebten. 



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— 78 — 

Der freie Mensch dagegen bestimmt sich weder 
durch noch für einen Andern, sondern rein aus sich; 
er vernimmt sich und findet in diesem SelbstvemehmeQ 
den Antrieb zur Selbstbestimmung: nur sich ver- 
nehmend, bandelt er vernünftig und frei. Es ist ein 
Unterschied, ob man durch einen Andern oder durch 
sich bestimmt wird, ob man ein Liebevoller ist 
oder ein Vernünftiger. Die Liebe lebt von dem 
Grundsätze^ dass Jeder, was er thut, um des Andern 
willen thue, die Freiheit von dem, dass er es um 
seinetwillen thue; dort treibt mich die Rücksicht 
auf den Andern, hier treibe ich mich. Der Liebe- 
volle handelt um Gottes wülen, um der Brüder 
willen u. s. w. und hat überhaupt keinen eigenen 
Willen: „nicht mein Wille, sondern dein Wille ge- 
schehe" — das ist sein Wahlspruch; der Vernünftige 
will' keinen andern Willen verwirklichen als den seinen, 
und achtet auch Denjenigen, der seinen eigenen Willen 
hat, nicht den, der den Willen eines Andern befolgt. 
So hat die Liebe wohl recht gegen die Selbstsucht, 
da es edler ist, den Willen eines Andern zu dem 
seinigen zu machen und auszuführen, als willenlos 
von der durch irgend ein Ding angeregten Begierde 
gestachelt zu werden, edler, sich nach einem Ändern 
zu bestimmen, als sich gar nicht zu bestimmen, sondern 
sich gehen zu lassen; gegen die Freiheit aber hat 
die Liebe nicht Recht, weil in der Freiheit erst die 
Selbstbestimmung zur Wahrheit wird. Die Liebe ist 
zwar die letzte und schönste Unterdrückung seiner 
selbst, die glorreichste Weise der Selbstvemichtung 
und Aufopferung, der wonnereichste Sieg über die 
Selbstsucht; aber indem sie den Eigenwillen bricht, 
der nur Eigensinn und Begierde heissen dürfte, lässt 
sie auch zugleich den Willen nicht aufkommen, der 
dem Menschen erst die Würde des freien Menschen 
verleiht. Darum müssen wir an der Liebe zweierlei 
unterscheiden. Ge-gen die Selbstsucht gehalten, feiert 



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— 79 — 

der Mensch m ihr seine Verherrlichung, denn der 
LiebeyoUe hat, wenn auch nicht seinen eigenen, so 
doch einen Willen, der Selbstsüchtige hat keinen; 
der Liebevolle übt eine Selbstbestimmung aus, weil 
er um des Andern willen etwas aus sich macht und 
sich in die diesem angemessene Form umbildet, der 
Selbstsüchtige kennt die Selbstbestimmung nicht und 
verharrt in seiner Eohheit, ohne in ii^end einem 
Grade sein eigener Schöpfer zu werden ; der Liebevolle 
ist ein Gebilde seiner selbst, indem er sich im Andern 
sucht und findet, der Selbstsüchtige ein Gteschöpf der 
Natur, eine — Creatur, die sich nicht sucht noch 
findet. — Wie aber erscheint die Liebe Angesichts 
der Freiheit? Die Braut von Korinth spricht jene 
grausenvollen Worte aus, mit denen das entsetzliche 
Verbrechen der Liebe gegen die Freiheit enthüllt 
wird: 

„Opfer fallen hier 

Weder Lamm noch Stier, 

Aher Menschenopfer unerhört!" 

Ja, Menschenopfer unerhört! Denn was den 
Menschen erst zum Menschen madit, der freie Wille, 
das schmettert die Liebe, ihr Reich für das allein- 
seligmachende erklärend, von ihrem souverainen Throne 
aus, donnernd nieder, und auf Sklaven-Schultern hoch 
emporgehoben, proclamirt sie die Alleinherrschaft der — 
Willenlosigkeit. 

Weil nicht in jeder Zeit Jegliches gesagt werden 
kann, so brechen wir hier ab und überlassen es 
einer günstigeren Gelegenheit, die Erscheinungen des 
Liebesstaates im Einzelnen darzulegen*). Überall 
werden wir dabei dem Grundsatze begegnen, dass der 
Liebevolle nicht Willen, sondern Wünsche hat, und 
werden sehen, wie prophetisch das grosse Wort des 



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Oouverneurs von Berlin, Grafen von Sclinleiibnr^ war: 
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! In den Armen der 
Liebe ruht und schläft der Wille, und nur die Wünsche, 
die Petitionen, wachen. Ein Kampf durchzieht aller- 
dings auch diese Zeit desLiebesregimentes: es ist der 
Kampf gegen die Lieblosen. Da EinmUthigkeit das 
Wesen der Liebe ist, da Fürsten und Völker in Liebe 
verbunden sind, so müssen sie ausscheiden, was den 
Iiiebesbund lockern will: die Unzufriedenen 

g)emagogen, Carbonari's, Cortes in Spanien, Adel in 
ussland und Polen u. s. w.). Sie stören das Ver- 
trauen, die Hingebung, die Eintracht, die Liebe; „un- 
ruhige Köpfe" rühren die Ruhe des Vertrauens auf, 
und — ^ Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! 



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Die Hysterien von Paris. 
Von Eugene Sne- 



Jiiciij, Mai SCInier's Eleiaera Schritten. G 



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Der zweite Aufsatz, den Stimer für die Bnhl'sche 
„Bpi'lißer Monatsschrift" schrieb, eine Besprechung der 
damals so grosses Aufsehen erregenden „Mysterien 
von Paris" von Eugene Sue, ist der letzte in dem 
Bande und füllt dort die Seiten 302—332. Er ist 
unterzeichnet mit „Max Schmidt" ^ einer offenbar irr- 
thümlichen Verbindung des Pseudonyms und Familien- 
namens Schmidt-Sttmers; dass er von Stimer her- 
rührt, ist fraglos. 



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LJie Mysterien haben grosses Aulsehen in der 
Welt gemacht, und schon drängen sich die Nach- 
ahmungen in Masse. Man will den verborgenen Grund, 
die „unterste Schicht" der Gesellschaft kennen lernen, 
und neugierig blickt man sich in den finsteren, grauen- 
vollen Winkeln um. Aber mit welchen Augen schaut 
man hinein? Mit dem Äuge der gesicherten Sittsam- 
keit, des tugendhaften Schauders. „Welch' ein Ab- 
grund des Verderbens, welche Greuel, welche Tiefe 
des Lasters! Herr Gott, wie darf es in deiner Welt 
so ruchlos zugehen!" Aber bald erwacht die christ- 
liche Liebe und rüstet sich zu allen Werken des Mit- 
leids und der thätigeu Hülfe. „Hier muss gerettet, 
hier muss der List des Satans entgegengearbeitet 
werden; o gewiss, hier ist viel zu retten, und dem 
Reiche des Guten manche Seele zu gewinnen!" 

Nun beginnt die Eührigkeit der Gedanken, und 
auf tausend Mittel und Wege wird gesonnen, wie dem 
TIebel abzuhelfen, der grenzenlosen Verderbtheit zu 
steuern sei. Kerker mit abgesonderten Zellen, Leih- 
häuser für heruntergekommene Arbeiter, Stifter für 
gefallene und reuige Mädchen, und unzähliges Andere 
wird nicht nur vorgeschlagen, sondern auch sogleich 
unternommen. Es werden auch ganze Wohlthätigkeits- 
Gesellschaften zusammentreten, wie man sie nie zu- 
vor in solcher Ausdehnung gesehen hat und an Auf- 
opferung und Mildthätigkeit wird kein Mangel sein. 



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Kudolph, der Grossherzog von Gerolstein, ist von Eu- 
gene Sue als leuchtendes Vorbild dieser ersichtlich 
erstarkenden Nächstenliebe aufgestellt worden. 

Welches Uebel will man denn heben? Das Laster, 
die Sündenlust! Ihm sollen die Quellen durch nütz- 
liche Reformen abgeschnitten, die verführten Seelen 
entrissen und zur Lust an der Sittlichkeit bewogen 
werden. Und wer will diess grosse Werk, die Sünde 
um ihre Opfer und Diener zu bringen, verrichten? 
Wer anders als diejenigen, welche die Tugend lieben 
und einen sittlichen Lebenswandel für den wahren 
Beruf des Menschen erkennen! 

Also die Tugendhaften wollen die Lasterhaften 
auf den rechten Weg bringen, die Diener im Eeiche 
des Guten wollen das Reich des Bösen zerstören. 

Seid ihr nicht Alle damit einverstanden, dass es 
nichts Grösseres und Edleres geben könne, als die 
Verherrlichung des Guten, und habt ihr wohl etwas 
anderes an euch zu tadeln und zu bereuen, als dass 
ihr nur allzuoft noch vom Wege des Guten ab- 
weicht und „sündiget"? Fällt es einem von euch je- 
mals ein, zu fragen, ob das Gute wohl werth sei, dass 
man darnach strebe, und ob das Gute wirklich dasjenige 
sei, was der Mensch durch sein Leben zu verwirklichen 
suchen müsse? Ihr zweifelt ebensowenig daran, als 
die Lasterhaften und Gottvergessenen etwas Gründ- 
liches dagegen einzuwenden wissen, wenn sie auch 
noch so viel dagegen — sündigen. 

Ihr, die ihr die Sünder bekehren und bessern 
wollt, ihr seid ja selbst unbekehrbar und unverbesserlich. 
Ihr lasst den Zweifel gar nicht an euch kommen, ob 
das Gute nicht eben ein — leerer Wahn sei, und wenn 
ihr euch eingestehen müsst, dass ihr selbst es gleich 
den Philosophen, die auch nur „Liebhaber der Weis- 
heit" bleiben, niemals erreicht, ihr meint doch, die 
Sünder müssten zum Guten vermocht und dahin ge- 
bracht werden, „gut zu thnn". Ihr wollt die Sünder 



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— 87 — 

bekehren von der Lust am Bösen, mögt ihr euch viel- 
leicht nicht selbst von der Lust am Guten bekehren? 
Fragt euch nicht, was das Gute sei, sondern ob es 
überhaupt sei, oder woUt ihr durchaus wissen, was es 
sei, so fragt euch zu allererst, ob es nicht eure — 
Einbildung sei. — 

Doch ihr seid schlagend mit euren Beweisen, 
indem ihr ja nur auf Beispiele hinzuweisen braucht: 
„die Lüge ist böse, die Aufrichtigkeit aber ist gut, 
die Unbussf ertigkeit ist böse, die Bussfertigkeit und Keue 
ist gut, die Unkeuschheit eine Sünde, die Keuschheit 
eine Tugend u. s. w," 

Wohlan denn, blicken wir in die Mysterien und 
sehen dem Spiele zu, das Tugend und Laster in diesem 
Romane mit einander treiben. Ich werde von dem Zu- 
sammenhange und Verlaufe dieser Geschichte nichts 
sagen, denn ich setze voraus, dass ihr's gelesen habt 
Eben so wenig will ich von dem sogenannten Kunst- 
werthe des Buches sprechen. Wenn ein sogenannter 
Jongleur die halsbrechendsten Stücke produeirt, odOT 
ein Taschenspieler das Erstaunlichste leistet, so wird 
man doch am letzten Ende sagen, es waren eben 
Jongleur- und Taschenspielerkünste, ausgezeichnet iu 
ihrer Art; aber über die Art spricht man ohne be- 
sondere Achtung. So will ich auch unserem Verfasser 
nicht über die Kunstfertigkeit im Abschildern der 
socialen Kontraste und Charaktere zu nahe treten, 
wenn gleich er feineren Kunstkennern schwerlich 
überall ein Genüge gethan haben mag; über das Ab- 
schildern selbst aber denke ich nicht gross genug, um 
mich durch das darin bewiesene Talent gegen den 
Mangel an aller tieferen und gewaltigeren Einsieht 
in das Wesen der Gesellschaft blind machen zu lassen. 
Görres hat auch ein schönes Talent an die Verstockt- 
heit eines dummen Gedanken versehwendet und muss 
in diesen Kindereien sich zu Tode gängeln lassen, wie 
er, so viele Andere. 



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Obwohl der GrossherzogTon Gerolstein nicht als der 
Held des Eomans gelten kann, so wird doch nicht 
allein das ganze Getriebe desselben durch ihn in Be- 
wegung gesetzt, sondern er repräsentirt auch die 
Höhe der Äuschauungen und Gedanken, zu welcher 
der Dichter selbst sich emporschwingt. Diese Höhe 
ist aber keine andere, als die Idee der Sittlichkeit, 
und an jeden Gedanken nnd jede That wird ein für 
allemal dasselbeEllenmaass angelegt : das der Sittlichkeit. 

Wir haben also ein dichterisches Kunstwerk vor 
uns, das, ganz von dem Standpunkte der Sittlichkeit 
aus gearbeitet, zeigen wird, welcherlei Menschen dieser 
Standpunkt erzeugt, und was überhaupt unter der 
Herrschaft dieses Princips zu Tage kommt. 

Durch eine Versündigung gegen das geheiligte 
Haupt seines Vaters und Herrn, auf den er in einem 
Augenblick der Liebeswuth das Schwert gezückt, 
ist Rudolph (der Grossherzog) zu dem Entschlüsse reu- 
müthigster Busse getrieben worden, die er nach seiner 
Meinung nur dadurch bethätigen kann, dass er 
„nach Kräften Gutes wirkt". Dieser Vorsatz bringt 
ihn nach Paris, wo er die Spelunken der Armuth und 
desVerbrechens aufsucht, umLeiden zu lindern, verhärtete 
Herzen zu erweichen, oder durch ein fürchterliches 
Strafgericht in Verzweiflung zu stürzen, und um zu 
helfen, wo geholfen werden kann. Bei seinen fürst- 
liehen Mitteln gelingt es ihm leicht, mancher physischen 
Noth zu steuern, und die Familie Morel unter Anderen 
verdankt ihm ihr Lebensglück; näher indess, als die 
Beseitigung physischer Leiden, liegt ihm die Entfernung 
moralischer Gefahren am Herzen, und dieses Bestreben 
führt ihn mit der eigentlichen Heldin dieses Romanes 



Fleur de Marie (Marien-Blume), oder wie wir sie 
schlechtweg nennen wollen, Marie, das Kind seiner 
ersten Liebe, von dessen Existenz Rudolph keine 
Ahnung hat, ist in der Haft, unter den grässlichen 



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Händen der Eule (Chouette) und in anderen traurigeit 
Verhältnissen zu einem blähenden Mädchen aufge- 
wachsen, und muss endlich, von Amiuth gepresst und 
von Kupplerinnen beschwatzt, sich entschliessen, das 
Gewerbe eines Freudenmädchens zu ergreifen. Noch 
unergriffen von der Lust an dieser Lebensweise, wird 
sie befleckt, ohne sich selbst zu beflecken: sie ist un- 
betheiligt und noch keine Sklavin der Begierde, die 
ihrem Stande erst die rechte Bekräftigung geben 
würde. So findet sie Rudolph, und was das Laster 
an ihr nicht zu leisten vermocht hatte, das versucht 
jetzt die Tugend: sie versucht das arme Kind, das 
eine Beute des Lasters zu werden droht, zur Tugend 
zu führen. Rudolph bietet alle Versprechungen und 
Verlockungen auf, durch die er die leicht erregbare 
Phantasie des Mädchens zu bestechen hoffen darf. 
Sie, die mitten in einem taumelnden Lasterleben nicht 
„gefallen" war, sie widersteht den einschmeichelnden 
Verheissungen des Tugendwerbers nicht und — fällt. 
Doch möchte sie immerhin fallen, wenn sie sich nur 
wieder erhöbe. Wie aber soll ein E. Sue, der Dichter 
des tugendreichen und liberalen Bürgerwesens, sie zu 
einer weiteren Erhebung kommen lassen? Ist sie 
nicht gerettet, wenn sie in den Schooss der allein 
seligmachenden Sittlichkeit sich geflüchtet hat? Meint 
man etwa, sie sollte sich zur Frömmigkeit erheben, 
so geschieht das ja in vollem Maasse, wie denn wahre 
Sittlichkeit und wahre Frömmigkeit sich niemals ganz 
von einander trennen lassen; denn selbst diejenigen 
Sittlichen, welche den persönlichen Gott leugnen, be- 
halten ja am Guten, am Wahren, an der Tugend 
ihren Gott und ihre Göttin. 

Doch ich meine nicht, dass Marie nach jenem 
FaUe sich zur Frömmigkeit erheben sollte; ich meine 
nur, dass, wenn es etwas WerthvoUeres gäbe, als Sittlich- 
keit und Frömmigkeit, unser Dichter davon nichts 
wissen könnte, weil es nicht in seinem Gedankenkreise 



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— 90 — 

liegt^ und seine Personen sich nie dazu erheben könnten, 
weil die Beaten darunter doch nicht besser zu sein 
vermögen, als ihr Schöpfer. Marie, die von Rudolph 
für den Dienst der Sittlichkeit angeworben wurde, 
wird darin fortan in Treue und Gehorsam, als ein er- 
gebener und folgsamer Dienstbote verharren, und welche 
Geschichte auch ihr nun folgendes Leben aufweisen 
möge, sie wird immer nur die Schickungen enthalten, 
welche der strenge Dienst ihrer Gottheit über Marien, 
die treue Magd, verhängt. 

Den Klauen der Eule, die nur den Leib ver- 
derben konnte, entronnen, geräth Marie in die Macht 
des Priesters, der ihre zarte Seele mit der frommen 
Lehre verdirbt, dass ihr Leben von nun an ein Leben 
der Busse sein müsse, um bei Gott sich dafür die 
künftige Vergebung zu erkaufen. Das entscheidet 
über ihre ganze Zukunft. Dieser Wurm, den ihr der 
Priester ins Herz setzte, nagt fort und fort, bis er sie 
zur Entsagung und Zurückziehung aus der Welt ge- 
zwungen, und endlich gar das gottergebene Herz zer- 
fressen und zerbröckelt hat. Und doch ist jene 
fromme Lehre des Priesters die wahre Lehre der Sitt- 
lichkeit, gegen welche zuletzt alle „vernünftigen" Ein- 
wendungen Rudolphs verstummen müssen, 

Rudolph nämlich giebt sich der süssen Hoffnung 
hin, am Hofe zu Gerolstein mit Marien, seinem reizen- 
den Tßchterchen, die Wonne eines innigen Familien- 
lebens und die Freuden eines Vaters kosten zu können, 
der sein von Allen verehrtes und angebetetes Kind, 
die sittsame und tugendreiche Prinzessin, täglich mit 
neuen Gaben der Liebe überhäufen, und für die einst 
erduldeten Qualen eines verstossenen Daseins fürstlich 
und vät*'rlieh entschädigen kann. Alle Lust der Welt, 
wie sie ein grossherzoglicher Hof nur bieten kann, 
soll ihr von nun an offen stehen. 

Aber um welchen Preis müsste Marie die Lust 
der Welt erkaufen? Nur wenn Niemand ihre ü-ühere 



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— 91 — 

Aufführung erfährt, wird mau' die Liebenswüi'dig'keit 
ihres gegenwärtigen Betragens anerkennen; er^hre 
man sie, so schützte kein Glanz der Krone die arme 
T^inzesain vor den giftigen Blicken und dem verächt- 
lichen Achselzucken dieser unerbittlichen Verehrer der 
Sittenreinheit. Das weiss Rudolph sehr wohl, und 
tr%t desshalb auch nicht das leiseste Bedenken, 
seine gesammte Umgebung über Mariens Jugendr- 
gahre zu belügen. Welcher vernünftige Mensch 
wird auch anders handeln? Nur kein Ultra, selbst 
nicht in der Sittlichkeit! So spricht der sittliche 
Liberale. 

Allein Marie, die reine Priesterin des sittlichen 
Princips, kann die, statt alle Folgen ihrer Missethat 
jetzt, da sie in die sittliche Welt eingetreten ist, buss- 
lertig zu tragen, die Busse durch eine Lüge von sich 
weisen? Darf sie durch Täuschung sich eiuschleichen 
und reiner erscheinen wollen, als sie ist? „Täuschen, 
immer täuschen , ruft sie verzweifelnd aus , immer 
fürchten, immer lügen, immer beben vor dem Blicke 
desjenigen, den man liebt und achtet, wie der 
Verbrecher zittert vor dem unerbittlichen Blick seines 
Kichters!" Darf Marie, die Dienerin am Altare der 
Sittlichkeit, darf sie — lügen? — 

Die Lüge ist eine Sünde, die kein sittlicher Mensch 
sich vergeben kann. Er mag sich mit der Noth ent- 
schuldigen, so viel er will, auch die Nothlüge bleibt 
eine Lüge. Wie kann der der Wahrheit dienen 
unter allen Versuchungen, der sich in mancher Ver- 
suchung zur Unwahrheit verleiten lässt? Kein 
Sittenlehrer kann die Lüge rechtfertigen, und wird 
dennoch von sittlichen Menschen so viel gelogen, so 
beweist dies eben nur, dass das Princip der Sittlich- 
keit oder des Guten zu kraftlos ist, um das wirkliche 
Leben zu leiten. Denn in diesem wird der Mensch 
unbewusst zu Thaten geführt, die seinem schwächlichen 
Principe Hohn sprechen, und ihn ermuntern könnten, 



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sich von dem Gängelbande desselben loszureissen; aber 
man reisst sich von einem "Wahne nicht anders los, 
als wenn man ihn theoretisch iiberwindet. 

Marie, einmal gewonnen für den Cultus des Guten, 
ist zu feinfühlend, um sich zu einer Ausnahme von 
seiner Regel zu bereden. Sie kann nicht lügen. Aber 
wie, könnte sie der Welt, dieser „unerbittlichen 
Kichterin" nicht gestehen, was sie verbrochen? Sie 
könnte es gestehen, aber dann wäre sie auch „ge- 
richtet". Die Welt des Guten könnte nicht bestehen, 
wenn sie nicht „Güter" hätte, und unter diesen 
Gütern ist die Keuschheit ein Gut, dessen Einbusse 
sie keinem — Weibe verzeiht. Eine nachfolgende 
dauernde Züchtigkeit kann die ursprünglich, der sitt- 
lichen Ehre geschlagene Wunde vernarben lassen, 
aber den Schandfleck der Narbe wäscht keine Zeit ab. 
DieWelt, welche an die Sittlichkeitund ihre Güter glaubt, 
kann — nicht vergessen; für sie haben diese Güter 
einen Werth, und sie mag es anstellen, wie sie will, 
die Empfindung eines Mangels und Gebrechens kann 
sie da, wo eines dieser Güter, an denen ihr Wahn 
klebt, verloren gegai^en ist, nicht gänzlich unter- 
drücken. Ein Weib, das seine Keuschheit preisgege- 
ben, das unter dem „Auswurf der Gesellschaft" gelebt, 
das sich „entwürdigt" hat, wird für alle Zeit sebeel 
angesehen werden; denn es ist „befleckt, vergiftet, 
berührt von Schändlichkeiten", es ist — „geschändet". 
Und für die zugezogene Schande fordert die Welt 
als Busse eine unausgesetzte Scham, eine Scham, die 
sie stets in der Büsserin wach zu erhalten beflissen 
sein wird. 

Vielleicht meint man aber, es sei das nur eine 
Ueberspanntheit und falsche Scham, die jeder nicht 
zu reizbare Mensch leicht überwinden würde. Wir 
müssen aber doch fragen, was in dem sittlichen Ur- 
theil der Welt denn eigentlich Geltung habe, ob der 
Mensch als solcher oder — seine Güter. Es ist nicht 



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ohne den innigsten Zusammenhang, dass gerade die 
Zeit des Liberalismus und der Bourgeoisie so viel 
auf Sittlichkeit hält: ein Banquier und ein Sittlicher 
beurtheilen den Menschen aus ein und demselben Ge- 
sichtspunkte, nämlich nicht nach dem, was er durch sich 
ist, sondern nach dem, was er durch seinen Besitz ist. 
„Hat er Geld?" Mit dieser Frage läuft die andere 
parallel: „Hat er Tugenden?" Wer kein Geld hat, 
mit dem befasst sich der Banquier nicht: er „macht 
ihm Schande" ; wer die Tugenden eines ehrbaren 
Bürgers nicht „besitzt", der muss ihm nicht zu nahe 
kommen. Nach Gütern misst der eine wie der andere, 
und der Mangel eines Gutes ist und bleibt ein Mangel. 
Wie ein Pferd, das alle Tugenden' des besten Pferdes, 
aber eine schlechte Farbe hat, einen Mangel behält, 
80 haftet an einem Weibe, das um die unbefleckte 
Eeinheit gekommen ist, auf Zeit ihres Lebens ein 
Flecken. Und mit Eecht, denn es fehlt ihr eines der 
hauptsächlichsten Güter, die einem sittlichen Weibe 
Ehre machen. Ist Marie auch jetzt keusch, so ist sie 
es doch nicht immer gewesen, ist sie auch jetzt un- 
schuldig, so war sie es doch vorher nicht. Die Un- 
schuld ist so zarten Wesens, dass sie niemals berührt 
worden sein darf; einmal verletzt, ist sie auf immer 
verschwunden. Unschuld ist eine so fixe Idee, dass 
Morel an ihr zum Wahnsinnigen wird und Marie zur 
Betschwester, — Es muss auch so sein. Ist der Ab- 
stand der Verworfenen von den Reinen, der Unsitt- 
lichen von den Sittlichen, einmal ein fixer, so 
drückt Marie nur zart, innig und unverholen das Ge- 
fühl dieses unauflöslichen Gegensatzes aus. Sie ist — 
„entweiht". 

Was soll die Einwendung beweisen, dass man ja 
längst nicht mehr so penibel sei und gegen früher 
einer grossen Nachsicht in diesem Punkte huldige? 
Erstlich liesse sich diese Behauptung überhaupt be- 
streiten, weil man zwar keine Kirdienstrafen mehr 



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— 94 — 

yerhängt, sittlich aber weit weniger lax urtheilt, (Us 
in den Zeiten des ancien re^me; sodann aber hat die 
grosse Masse von jeher an vielen Stellen ihrer Haat 
harte Schwielen gehabt und gegen die strengen Conse- 
qnenzen ihrer Glaubensartikel sich unempfindlich ge- 
zeigt. SoU darum ein zarter empfindendes und 
strenger denkendes Wesen, wie Marie, dem Schlendrian 
der Aütagsmenschen verfallen müssen? 

Vielmehr müssen wir anerkennen, für sie, die 
den Anforderungen der Sittlichkeit ein volles Genüge 
zu thun sich gedrungen fühlte, war die Zurückziehung 
aus der Welt unvermeidlich. Denn belügen durfte 
sie die Welt nicht,, ohne unsittlich zu handeln, und 
eingestehen durfte sie's nicht, wenn sie nicht, statt des 
Genusses, den Hohn und Spott der Welt ernten 
wollte. Jede PYeude, die sich ihr künftig darbieten 
konnte, würde sogleich durch den Stachel der Scham 
vergiftet worden sein. In diesem Gefühl ruft sie 
aus, als ihr Vater dem Prinzen Heinrieh, ihrem Ge- 
liebten, Eröffnungen zu machen gedenkt: ,,Sie wollen, 
dass ich sterbe, mich in seinen Äugen so erniedrigt 
zu sehen!" Sie hatte von der Welt, vor der sie ent- 
weder etwas auf dem Gewissen behalten, oder von 
der sie sich etwas nachtragen und gedenken lassen 
musste, nichts mehr zu hoffen: sie hatte es mit ihr 
verdorben. 

Warum aber flüchtet sie sich zu Gott? Weil 
weder die Welt noch sie selbst ihre Sünde ihr ab- 
nehmen können. Nur Gott kann ihr vergeben. Die 
Menschen müssen sich nach dem Gesetzbuche des Guten 
richten und sind nur Unterthanen im Reiche des 
Guten; (Jott allein ist der absolute König, dem auch 
das Gute unterworfen ist, und er fragt nicht, wo er 
begnadigen will, nach dem Gnten, sondern nach seinem 
unumschränkten Willen, — Was liegt nun in dieser 
Hinwendung Mariens zu dem Herrn? Wiederum diess, 
dass sie fühlt, wie nach dem sittlichen Maaässtabe ilu- 



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nimmermehr (Jerechtigkeit werden könne, und wie sie 
darum eines anderen Maasses und Urtheils bedürfe. 
Dass sie die Lossprechnng gerade von Gott durch ein 
reuevolles Leben zu erkaufen sucht, das ist gleichfalls 
das Werk des frommen Priesters, der ihr freUich nicht 
sagen konnte noch durfte: Wer sich selbst bindet, der 
ist gebunden, und wer sich selbst löset, der ist gelöst. 
Was sie selbst sich zu leisten vermöchte, das sucht 
sie ausser sich zu erflehen; aber sie wäre eben weder 
sittlich noch fromm, wenn sie anders verführe. 

Wie konnte auch das sittliche Mädchen sich erst 
die Unkeuschheit und hernach gar die Lüge vei^eben? 
DhZü gehört mehr als Sittliclieit, und könnt« sie's, 
so fiele ja das ganze hübsche Bauwerk E. Sue's in 
ein lächerliches Nichts zusammen, so wäre das Gute 
nicht mehr das Höchste, so wäre der Mensch erhaben 
über Tugend und Laster, über Sittlichkeit und Sünde. 

Die ganze CoUision besteht darin, dass ein Paar 
Bomirte es mit einander zu thun haben, bornirt beide 
durch den Wahn des Guten und Bösen. Wie die 
Welt urtheilt: das und das dürfen wir thun, denn es ist 
gut, jenes aber, z. B, lüg«n, dürfen wir nicht, weil es böse 
ist, so denkt auch die durch Rudolph der Tugend zu- 
geführte Marie. 

Legte der Dichter an Marie nicht das Richtscheit 
der Tugend und Sittlichkeit, sondern mässe sie nach 
ihr selbst als ihrem eigenen Maasse, wie man gescheidter 
thäte, wenn man den Löwen nicht nach einermenschlichen 
Eigenschaft, derGrossmuth, benrtheilte, sondern nach der 
thierischen Löwennatur, so käme vielleicht das wunder- 
bare Resultat znm Vorschein, dass Marie erst von dem 
Augenblick an ein elendes, verlorenes Kind wurde, wo 
sie die Tugend kennen lernte und ihrem Dienste sich 
weihte, während sie in der Zeit ihres unehrlichen Wan- 
dels ein gesunder, freier und hoffnungsvoller Mensch 
gewesen war. Diess soll nicht etwa nur den oberfläch- 
Uchen Sinn haben, dass die mit der Tugend zusammen- 



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häng'ende Reue das arme Mädchen unglücklich 
stimmte und um seinen Frohsinn brachte, sondern 
den schärferen, dass sie eine gedrückte Sklavin werden 
mnsste, sobald sie in die sittliche Welt eintrat und 
ihren Pflichten sich zu unterwerfen begann. Als der 
Wüi^engel der Bekehrung es einmal erfasst hatte, da 
war es um diess zarte Kind geschehen. Unter dem 
Druck der Verhältnisse, in welche ihr Schicksal sie 
geworfen hatte, hätte der offene sinnige Geist dieser 
Bajadere das starke Zomfeuer ansammeln können, 
das dazu gehört, um die la.stende Erdwucht einer 
erstarrten Gesellschaft zu durchbrechen, und aus dem 
.Stande der Erniedrigung heraus sieh zu — empören. 
Was lag am Verluste der Keuschheit bei einem 
MMchen, diis diesen und jeden Verlust an der ganzen 
schuldigen Welt zu rächen Muth und Geist hatte? 

Aber ein E. Sue kennt kein anderes Glück als 
das der ehrlichen Leute, keine andere Grösse als die 
der Sittlichkeit, keinen anderen menschlichen Werth 
als den der Tugendhaftigkeit und Gottergebenheit. 
Ein Menschenkind, aus dem ein freier Mensch werden 
konnte, musste zum Tugenddienste verfuhrt, ein noch 
unverdorbenes Gemüth musste mit dem Wahn der 
„guten Menschen" vergiftet und verderbt werden. 
Wenn ein Dichter darzustellen vermag, wie seine Heldin, 
die mitten im Gewühl der schmutzigsten Laster ihr 
Leben führen und selbst die Blüthe ihres Leibes ihm 
zur Beute lassen muss, nicht gleich der Chouette oder 
dem Schulmeister, oder auch ihren weiblichen Alters- 
genossen zu einer Dienerin des Lasters wird, sondern 
ähnlich einer Atheistin, welche die kirchlichen Ge- 
bräuehe zwangsweise erfüllt, völlig frei bleibt: 
sollte man da nicht meinen, er musste sie auch über 
den Einfluss der Tugend erhaben halten können? 
Aber nein, der schwächliche, vom Ideale des „rechten 
Bürgerthums und wahren Staates" träumende Poet 
macht aus ihr, statt eines gestählten Charakters, ein 



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— 97 — 

seatimentales, vom Wahne des „Guten" leicht berilek- 
barea Gemüth, macht dasselbe Mädchen, das sich gegen 
das Laster behauptete, zu einem sehwachen, kraftlosen 
Geschöpf, das sich mit Leib und Seele in die Sklaverei 
der Tugend anheim g:iebt. 

Auch nicht Eine Person findet sieh in dem ganzen 
Bomane, die man einen selbstgeschaffenen Menschen 
nennen könnte, einen Menschen, der, rücksichtslos so- 
wohl gegen seine Triebe als gegen den Antrieb eines 
Glaubens (Glauben an Tugend, Sittlichkeit n. s. w. 
und Glauben an das Laster) sich Kraft der eigenen 
schöpferischen Allmacht selbst erschüfe. 

Die Einen nämlich folgen blindlings der Leitung 
ihres Herzens, ihrer G^müthsart, ihrer Natürlichkeit. 
So die Kigolette (Lachtaube): sie ist eben so, wie sie 
ist, ein zumedenes Gemüth und eine glöckliehe Mittel- 
mässigkeit, und was sie ist, das wird sie immer bleiben, 
ein Wesen ohne alle Entwicklung, wie eben ihre 
Canarienvögel auch; sie können nur Schicksale er- 
fahren und erleiden, aber sie können nicht anders 
werden. Die Kehrseite zur Rigolette giebt der kleine 
Lahme ab, ein schadenfrohes Kind, das eben immer 
von seiner Lust, der Schadenfreude, die natürlich mit 
dem Alter an hämischem Wesen zunimmt, sich be- 
stimmen lassen wird, bis es einmal auf dem Schaffet 
endet, und so gesehichtlos in die Grube kommt, wie 
Rigolette in ein ehrsames Grab. — Welche Art von 
IMeb eine lebenswierige Herrschaft über das Individuum 
ausübt, macht hierbei keinen wesentlichen Unterschied; 
bei Ferrand ist's der Geiz , bei dem Spitzigen die 
energielose Sehwatzhaftigkeit u. s. w. 

Für die zweite Gattung entwickelungsloser und 
unfreier Menschen, derjenigen nämlich, welche weniger 
von ihrem natürlichen Triebe, desto mehr aber von 
einem Glauben, einer fixen Idee abhängen, hat 
E, Sue, der selbst ein Knecht unter diesen Knechten 
nichts Besseres kennt, besonders auf die Tugendbe- 



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flisseneneinepathologischeGenauigkeit verwendet. Oben- 
an steht sein tugendgläubiger Grossherzog, der zu dem 
grossen Orden der „Wohlthäter der leidenden Mensch- 
heit" gehört und sein Ordenszeichen nicht auf, sondern 
in der Bnist trägt. Dieser „barmherzige Bruder' 
Rudolph, milde und streng und ganz dazu gemacht, 
die Menschen zu „bemuttern", will die im Sünden- 
pfuhl verkommenden Unglücklichen physiscli und 
moralisch bessern und — belohnen, die hoffnungslos 
Verdorbenen aber unschädlich machen, und durch aus- 
gesuchte Seelenmartem — bestrafen. So zieht er in 
Paris ein und so zieht er, ungeheilt von seinem Wahn- 
sinn, wieder hinaus, nachdem er seine Tochter in das 
Gotteshaus der Tugend eingeführt, und um die letzte 
Möglichkeit gebracht hat, ein eigener Mensch zu 
werden. Als die Tugend diess Kind endlich ganz um 
den Verstand und ums Leben bringt, da gehen dem 
barmherzigen Bruder zwar die Augen auf, aber nicht 
etwa über den Götzen, für dessen Priesterdienst er 
die Ui^Iückliehe geopfert, sondern über die „Gerechtig- 
keit des unerforsehÜchen Gottes", der seinen Angriff 
auf den Vater jetzt an ihm als Vater durcli den Ver- 
lust der Tochter rächt. So scliwaehsinnig ist dieser 
Kämpfer für Tugend und Eeligion, dass er in der 
consequenten Dnrcliführung seines eigenen Princips, 
die er in der Handlungsweise der Tochter anzuerkennen 
und zu bewundern nicht umhin kann, nichts sieht, als 
ein „Zomgericht" Gottes. Marie erfüUt ganz und 
vollständig das, was Sittlichkeit und Religion fordern; 
ihr Vater mnss selbst bekennen, dass „sein unglückliches 
Kind in allem, was das Zartgefühl des Herzens er 
der Ehre betrifft, mit einer so unerbittlichen Logik 
begabt sei, dass man ihr niclits erwidern könne", — er 
„giebt es auf, sie zu überreden, da alle Vemnnft- 
gründe zu ohnmächtig sind gegen eine so unüber- 
windliche Ueberzengung, die aus einem edlen und er- 
habenen Gefühle herstammt," — ja er gesteht, dass 



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— 99 — 

er in Mariens Namen auch „so würdig, so muthig" 
gehandelt haben würde : — und nun, was erkennt er 
in dieser unbeugsamen, vollendeten Sittlichkeit seiner 
Tochter? Eine „Züclitigung" Gottes, der ihm diese 
Erhabenheit seines Kindes zur „Strafe" schicke! 
Wahrlich, man kann das feige Juste-milien unserer 
liberalen Zeit nicht graosamer, nicht hohnlachender 
zeichnen, als ein weichmilthiger Anhänger desselben 
es unfreiwillig hier selber gethan hat. — Der gute 
Fürst hat bei seiner Bussfahrt „nichts gelernt und 
nichts vergessen," Als Mensch ohne Entwicklung und 
Selbstschöpfung erfälirt er nur die harten Schicksale, 
welche der Dienst der Tugend ihren Gläubigen be- 
reitet: er macht nur theologische Erfahrungen, keine 
menschlichen. Oder unterwirft er jemals den Herrn, 
welchem er dient, der Kritik, und fäUt es ihm auch 
nur einmal ein, die Ideen der Sittlichkeit, Religiosität, 
Ehrlichkeit u. s. w., für deren Dienst er wirbt, nach 
ihrem Kern zu fragen? An ihnen steht ihm, als an 
festen Grenzen, der Verstand still, und jede weitere 
Erhebung, jede Erlösung und Befreiung von diesem 
absoluten Herrn ist dem von diesem Punkte an urtheils- 
vollen Fürsten unmöglich. So scharfsinnig er sich 
auch erweisen mag, als sittlicher Mensch, so durchaus 
geistlos ist er im tirtheil über den Menschen, ein 
treues Abbild seines tugendpriesterlichen, armseligen 
Dichters. 

im entgegengesetzten Glauben eingekerkert und 
mit Fanatismus ihm ei^eben, ist die Mutter Martial. 
Auch das Verbrechen hat und muss seine Fanatiker 
haben, die daran glauben, und es zu Ehren bringen 
wollen: die Mutter Martial ist eine — Lasterheldin. 
Sie lebt und stirbt für ihr Ideal, das Verbrechen. 
Wie die Tugendgläubigen, so ist anch sie, die Laster- 
gläubige, von einer fixen Idee um alle Entwicklung 
und Schöpfung ihrer selbst gebracht; sie muss nuter- 
gehen mit diesem Pathos, weil sie nicht lieraus kann. 



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— 100 — 

Auch für sie gilt jenes ,4iier steh ich, ich kann nicht 
anders." Erstarrt und ergraut in ihrem Glauben, ist 
sie der Kritik, der einzigen Erlösung von jedem bis 
zur unnahbaren Heiligkeit anschwellendem Wahne so 
unfähig, wie irgend ein anderer Gläubiger; ja alle 
Gründe, welche sie daraus erretten könnten, dienen 
ihr vielmehr, wie es bei Wahnsinnigen der Fall ist, 
zur Bestärkung. Für sie giebt es keine andere Er- 
fahrung, als die der Schickungen, welche der Wahn, 
der ihr Leben abspinnt und zu realisiren sucht, auf sie 
hereinbrechen lässt: sie macht nur unsittliche und 
heillose Erfahrungen, wie ihre Gegenfüssler nur 
sittliche und fromme machen. 

Der Glaube an die Tugend zur festen Gesinnung 
geworden, ist der Geist Rudolphs; das Laster als feste 
Gesinnung repräsentirt die Mutter Martial. Welch' 
fürchterliches strenges Gericht lässt sie über ihren 
„miasrathenen" Sohn ei^ehen, der von der strengen 
Gesinnung des Lasters nichts wissen will. Sie 
handhabt das Hausregiraent, als eine iYau von Grund- 
sätzen, erfüllt von Grundsätzen des Verbrechens, 
wie andere Pamilienhäupter von Grundsätzen des 
Guten erfüllt, eine schneidende Herrschaft üben, und 
gleich Brutus das Vatei^eftthl ersticken. Ist die 
Majestät der Tugend eine wesentlich andere, als die 
Majestät des Lasters, und die eine feste Satzung er- 
träglicher, als die andere? An seinem früheren Roman 
Atar Gull hätte E. Sue lernen können, wie Rachgefühl 
und Rechtsgefühl identisch sind, wie das Gute und 
Böse in Eins zusammenfallen, wie der schwarze Mohr 
des Teufels ist, nur wegen seiner Schwärze, der weisse 
Pariser aber, der jenem den Tugendpreis zuerkannt, 
Gottes, nur wegen seiner undurchglühten Weisse; 
aber an dem guten Dichter ist so wenig mehr zu 
bessern, als an seinen Romanfiguren, die, wenn sie 
sieh bekeliren, nur jämmerlicher und sklavischer 
werden, und werden müssen, als sie zuvor waren. 



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— 101 — 

Da wir an den Hauptpersonen und einigen andern 
sehen, dass sie gebundene, geknechtete Charaktere 
sind, die durch ihre Triebe und durch ihren Glauben 
beherrscht, und um alle Selbstschöpfung und Selbst- 
angehörigkeit gebracht werden, so brauchen die unter- 
geordneten nicht besonders erwähnt zu werden; Es 
ist klar, der Dichter brachte es -zu nichts, als zu 
bornirten Menschen, deren ungebildete Natürlichkeit 
oder unnatürliche Bildung, Begierden, oder Satzungen, 
die und die Schicksale bereiten. So ist allerdings die 
Welt, und E. Sne hat nur bewiesen, dass er sich das 
Wohlgefallen dieser Welt erwerben, aber nicht, dass 
er sie aus ihren Angeln heben und — erlösen kann. 

Kein Wunder, dass die Mysterien so grossen An- 
klang fanden. Die sittliche Welt empfängt ja an 
ihnen die gelungenste Ausgeburt der PhiUsterhaftig- 
keit; das getreue Abbild ihrer eigenen Menschen- 
freundlichkeit, das volle Echo derselben Klagen, in 
welche auch sie ausbricht, die gleiche Reformsucht ,in 
Dingen, an denen so wenig melir zu reformiren ist, als 
am Törkenthum. Mahmud H. war nicht der einzige 
woMwoUende und unnütze Reformator unserer Zeit; der 
gesammte Liberalismus — und wer wäre heute nicht, 
er stehe hoch oder niedrig, liberal! — veredelt unter 
grossen Hoffnungen ein Türkenthum. „Unsere Zeit 
ist krank!" so redet betrübten Blickes der Freund 
den Freund an, und alsbald machen beide einen 
botanischen Streifzug, um unter den lieblichen Kräutern 
des Landes das „rechte Heilmittel" zu suchen. 

Ihr Freunde, eure Zeit ist nicht krank, sie ist 
abgelebt; darum quält sie nicht mit Heilversuchen, 
sondern erleichtert ihr letztes Stündlein durch Be- 
schleunigung und lasst sie — genesen, kann sie 
nicht mehr — lasst sie sterben. 

„üeberall Mängel, Gebrechen!" Das räumt ihr 
selbst ein, und hegtet ihr etwa noch Zweifel, so schlagt 
dieMysterien auf, um das ganze Elend der Gebrechlichkeit 



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— 102 — 

anzuschauen. Versucht's einmal, das Türkenthum zu 
„reformiren". Indem ihr hofft, es zu heilen, werdet ihr's 
— zersetzen. Es hat keine Mängel, so wenig als ein 
Greis, als Greis deren hat. Freilich geht dem Greise die 
Kraftfiille der Jagend ab, aber er wäre eben nicht Greis, 
wenn er sie hätte, und wer diesem „Mangel" des Greisen- 
alters abhelfen wollte, der wäre ein wohlmeinender Refor- 
mator, wie Mahmud IE. und unsere Liberalen. Der 
Greis geht der Auflösung entgegen, ihr aber, mochtet 
ihn verjüngen, sein schlotterndes Gtebein wieder straff 
ziehen. Nicht krank ist unsere Zeit, um geheilt zu 
werden, sondern alt ist sie und ihr Stündlein hat ge- 
schlagen. Dennoch springen Tausende von E. Sue's 
herbei und bieten ihre heilsamen Quacksalbereien an. 
Soll man schliesslich noch ein Wort verlieren 
über die vortrefflichen Einrichtungen des Fürsten aus 
dem Wohlthäterorden und die philanthropischen Vor- 
schläge des Romanschreibers selber? Sie laufen ja 
alle darauf hinaus, die Mensclien durch Belohnung 
oder Bestrafung so lange zu „treten", bis sie die Tugend 
zu ihrer Herrin machen! Es sind Anträge zu Staats- 
verbesserungen, wie man vor der Reformation deren 
unzählige zur Kirchenverbesserung machte: Ver- 
besserungen, wo nichts mehr zu verbessern ist. 



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Zweiter Teil. 

Entgegnungen 

auf die Kritik des „Einzigen u. sein EigentJium". 

Aas den Jahren 1845 — 1847. 



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Einleitung 



„Entgegnungen", 

Die erste Antwort, mit denen Max Stirner der 
Kritik seines Werkes begegnete, gab er iast augenblick- 
lich ; zu der zweiten wurde er erst fast zwei Jahre später 
verajilasst. Beide Hess er in denselbenBlättem erseheinen, 
in denen auch die Angriffe auf ihn stattg'efunden 
hatten (der zweite, zuerst an anderer Stelle erfolgte 
wnrde wenigstens in einem von ihnen dnrch einen Ab- 
druck erneuert) — : der „Viertel jahrschrift" und den 
„Epigonen" seines Verlegers Otto Wigand in Leipzig. 

Die erste stammt unbedingt von ihm; die zweite 
lässt Zweifel an seiner Urheberschaft zu. Wahr- 
scheinlichkeit und Zweifel einander gegenüberstellend 
neigen wir uns der ersteren zu, da viel fttr jene und 
wenig für diesen spricht 

Beide zeigen Stimer, wie er durch das Schlacht- 
feld seines Sieges nach beendetem Kampfe schreitet: 
die Waffe noch in der Hand und nur hier und da 
noch zu neuem Streiche ausholend. Und wissend, 
dass — obwohl er den Kampf nur für heute hemmen, 
nicht für immer den morgen wieder ausbrechenden 
beenden kann — .er es doch ist, der aus ihm zum ersten 
Male als Sieger hervorgegangen war. 

Er hat die Aufgabe, die er sich gestellt, erfüllt. 
Alles Andere überlässt er von jetzt ab — den Anderen. 



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Recensenten Stirners. 

Entgegnung 

an 
Fenerbach, Szeliga and Sess. 



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Von den drei Kritiken, die bald oach Erscheinen 
des „Einzigen" laut wurden und denen Stimer die 
erste Ehre einer Entgegnung angethan hat, er- 
schien die erste in der Zeitschrift des Verlegers beider 
Kontrahenten, die zweite als Broschüre und die dritte 
in einem kritischen Oi^an der Bruno Bauer'schen 
Schule, das nur kurze Zeit bestand. 

Ludwig Feuerbach, der von Stirner so scharf An- 
gegriffene, veröffentlichte seine kurzen Aphorismen 
anonym in dem zweiten Bande von „Wigand's Viertel- 
jahrschrift" auf den Seiten 193—205 unter dem Titel: 
„lieber das „Wesen des Cliristenthums" in Beziehung 
auf den „Einzigen und sein Eigenthum"." Er naiim 
diesen Auisatz bald darauf unverändert in den ersten 
Band seiner „Sämmtlichen Werke", den „Erläuterungen 
und Ergänzungen zum Wesen des Christenthums", auf, 
wo er ihn mit folgender Bemerkung versah: „Ich be- 
merke zu dieser UeberscLrift, dass ich hier; wie ander- 
wärts, nicht meine Schrift als Schrift im Auge 
habe und in Schutz nehme. Ich stehe in einem höchst 
kritischen Verhältniss zu meiner Schrift; ich habe 
es immer nur mit ihrem Gegenstande, ihrem Wesen, 
ihrem Geiste zu thun. Die Beschäftigung mit ihren 
Buchstaben überlasse ich den Kindern Gottes oder 
des Teufels." 

Die Broschüre von M. Hess betitelt sich: „Die 
letzten Philosophen", und erschien ebenfalls 1845 im 



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Verlage von 0. W. Leske in Darmstadt. Sie nmfasst 
28 kleine Seiten und ist mit einer kurzen Einleitung 



Szeliga, der dritte, liess seine umfangreiclie Kritik: 
„Der Einzige und sein Eigentimm" 1845 im Märzheft 
der ,.Nor(ldeutsehea Blätter für Kritik, Litteratnr 
und Unterhaltung", die später auch unter dem Titel: 
„Beiträge zum Feldzuge der Kritik. Norddeutsche 
Blätter für 1844 und 1845. Mit Beiträgen von Bruno 
und Edgar Bauer, A. Fi-änkel, L. Koppen, Szeliga u. A." 
im Verlage von Adolph Kiess in Berlin erschienen, 
veröffentlichen, wo sie im IX. Hefte des zweiten 
Bandes- als einleitender Artikel des Heftes steht 

Sind die Fenerbach'schen Auslassungen, vor Allem 
durch den "Wiederahdmck in seinen sämmtlichen Werken, 
für Jeden leicht erreichbar, so sind die „Norddeutschen 
Blätter" eine antiquarische Seltenheit und die Bro- 
schüre von Hess dürfte nur noch in ganz wenigen 
Händen und antiquarisch kaum mehr zu finden sein. Ob- 
-.vohl aus diesem Grunde zuerst an eine wörtliche Wieder- 
gabe der Kritiken von Szeliga und Hess gedacht wurde, 
ist die Absicht doch fallen gelassen worden, da ihre 
Ausführung diesen Band zu sehr belastet hätte und 
zudem die Stimer'schen Entgegnungen mit der ihrem 
Verfasser eigenthümlichen Gewissenhaftigkeit die An- 
sicht des Gegners stets mit dessen eigenen Worten 
wiederzugeben bemüht sind. 

Die Antwort Stimer's: „Recensenten Stimers" er- 
schien in,, Wig'and'sVierteljaiirschrift", im dritten Bande 
vom Jahre 1846, steht dort auf den Seiten 147—194, 
ist unterzeichnet mit M. St. und stammt also von ihm. 



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Üs sind gegen den „Einzigen und sein Eigenthum 
von Max Stirner'' folgende drei grössere Aufsätze er- 
schienen: 

1) Kritik von Szeliga im Märzhefte der Nord- 
deutschen Blätter. 

2) Ueber das Wesen des Christenthums in Be- 
ziehung auf den Einzigen und sein Eigenthum — 
im vorigen Bande von Wigand's Vierteljahrs- ■ 
Schrift. 

3) Eine Broschüre: Die letzten Philosophen von 
M. Hess. 

Szeliga tritt als Kritiker auf, Hess als Socialist, 
und der Verfasser des zweiten Aufsatzes als — Feuer- 
bach. Wenn auch vielleicht nicht den genannten Re- 
censenten, so mag doch manchem anderen Leser des 
Buches eine kurze Erwiderung von Nutzen sein. 

Ueber diejenigen Worte, welche in Stirners Buche 
die auffälligsten sind, über den „Einzigen" nämlich 
und den „Egoisten", stimmen die drei Gegner unter- 
einander überein. Es wird daher am dienlichsten 
sein, diese Einigkeit zu benutzen und die berührten 
Punkte vorweg zu besprechen. 

Nachdem Szeliga den Einzigen in allem Ernste 
hat „werden" lassen und ihn mit dem Manne identi- 
fieirt (S. 4 „Der Einzige ist doch nicht immer Ein- 



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ziger, aicht immer Mann, sondern einst Kind und daraui 
Jüngling gewesen"), macht er ein „Wellgesehiehta- 
individuum" aus ihm und findet endlich nach einiger 
Definition von Gespenstern (wobei herauskommt, dass 
„ein gedankenloser Greist ein Leib, und dass der blosse, 
blanke Leib die Gredankenlosigkeit ist"), es sei der 
Einzige „folglich das Gespenst aller Gespenster". 
Zwar fügt er hinzu: „Für den Kritiker, der in der 
Weltgeschichte nicht bloss fixe Ideen einander ab- 
lösen, sondern schöpferische Gedanken sich fort und 
fort entwickeln sieht, für den Kritiker ist der Ein- 
zige dennoch kein Gespenst, sondern eine That des 
schaffenden Selbstbewusstseins, welche zu ihrer, un- 
serer Zeit auftreten und ihre, eine bestimmte Auf- 
gabe erfüllen rausste" — allein diese „That" ist doch 
nur ein „Gedanke", ein „Princip" und ein Buch. 

Feuerbach lässt * sich auf den „Einzigen" nicht 
genauer ein, als dass er ihn ohne Weiteres für ein 
„einziges Individuum" ansieht, welches „aus einer 
Klasse oder Gattung ausgewählt und als heilig, un- 
verletzlich den übrigen Individuen gegenübergestellt 
wird." In diesem Auswählen und Gegenüberstellen 
„bestehe das Wesen der Religion. Dieser Mensch, 
dieser Einzige, Unvergleichliche, dieser Jesus Christus 
ausschliesslich und allein ist Gi)tt, diese Eiche, die- 
ser Ort, dieser Hain, dieser Stier, dieser Tag ist 
heilig, nicht die übrigen." Er sehliesst: „Schlage Dir 
den Einzigen im Himmel, aber schlage Dir auch den 
Einzigen auf Erden aus dem Kopfe." 

Hess spielt eigentlich nur auf den Einzigen an. 
Erst identificirt er „Stirner" mit dem „Einzigen", 
dann sagt er von letzterem, „er ist der köpf- und 
herzlose Rumpf, d. h. er hat eben diese Illusion — 
denn er ist in der That nicht nur geistlos, sondern 
auch leiblos, er ist nichts, als seine Elusion", und 
endlich spricht er über Stimer, „den Einzigen", das 
Urtheil: „er renommirt nur." 



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— 113 — 

Der Einzige erscheint hiernach als „das Gespenst 
aller Gespenster", als das „heilige Individuum, welches 
man sich aus dem Kopfe schlagen müsse", und als 
der blasse „Renommist". 

Stimer nennt den Einzigen und sagt zugleich: 
Namen nennen Dich nicht; er spricht ihn aus, indem 
er ihn den Einzigen nennt, und fügt doch hinzu, der 
Einzige sei nur ein Name; er meint also etwas An- 
deres, als er sagt, wie etwa derjenige, der Dich Lud- 
wig nennt, nicht einen Ludwig überhaupt, sondern 
Dich meint, für den er kein Wort hat. 

Was Stimer sagt, ist ein Wort, ein Gedanke, 
ein Begriff; was er meint, ist kein Wort, kein Gedanke, 
kein Begriff. Was er sagt, ist nicht das Gemeinte, 
und was er meint, ist uns^bar. 

Man schmeichelte sich immer, dass man vom 
„wirklichen, individuellen" Mensehen rede, wenn man 
vom Menschen sprach ; war das aber möglich, so lange 
man diesen Menschen durch ein allgemeines, ein 
Prädicat auzudraeken begehrte? Musste man nicht, 
um diesen zu bezeichnen, statt zu einem Prädicate, 
vielmehr zu einer Bezeichnung, einem Namen, seine 
Zuflucht nehmen, wobei die Meinung, d. h. das Un- 
ausgesprochene, die Hauptsache ist? Die Einen 
beruhigten sich bei der wahren, ganzen Individuali- 
tät", die doch nicht von der Beziehung auf die „Gat- 
tung" frei wird; Andere bei dem „Geiste", welcher 
gleichfalls eine Bestimmtheit ist, nicht die völlige 
Bestimmungslosigkeit. Im „Einzigen" nur scheint 
diese Bestimmungslosigkeit erreicht zu sein, weil er 
als der gemeinte Einzige gegeben wird, weil, wenn 
man ihn als Begriff, d. h. sds Ausgesprochenes, fasst, 
er als gänzlich leer, als bestimmungsloser Name er- 
scheint, und somit auf seinen Inhalt ausserhalb oder 
jenseits des Begriffes hinweist. Fixirt man ihn als 
Begriff ^ und das thun die Gegner — so musa man 
eine Definition desselben zu geben suchen und wird 



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— 114 — 

dadurch nothwendig auf etwas Anderes kommeu, als 
auf das gemeinte; man wird ihn von anderen Be- 
griffen unterscheiden und z. B. als das „allein voll- 
kommene Individuum" auffassen, wodurch es dann leicht 
wird, seinen Unsinn darzuthun. Kannst Du Dich 
aber deflniren, hist Du ein Begriff? 

Der „Mensch" als Begriff oder Prädicat erschöpft 
Dich nicht, weil er einen eigenen Begriffsinhalt hat, 
und weil sich sagen lässt, was menschlich und der 
Mensch ist, d. h. weil er einer Definition fähig ist, 
wobei Du ganz aus dem Spiele bleiben kannst. Aller- 
dings hast auch Du als Mensch Deinen Antheil an 
dem Begriffsinhalt des Menschen, aber Du hast ihn 
nicht als Du daran. Der Einzige hingegen hat gar 
keinen Inhalt, ist die Bestimmungslosigkeit selber ; 
Inhalt und Bestimmung wird ihm erst durch Dich, 
Es giebt keine Begriffsentwickelung des Einzigen, es 
kann kein philosophisches System aus ihm, als aus 
einem „Principe" erbaut werden, wie aus dem Sein, 
dem Denken oder dem Ich; es ist vielmehr alle Be- 
griff sentwickelnng mit ihm zu Ende. Wer ihn als 
ein ,',Princip" ansieht, der denkt ihn philosophisch 
oder theoretisch behandeln zu können und fuhrt noth- 
wendiger Weise nutzlose Lnfthiebe gegen ihn. Sein, 
Denken, leh, — sind nur unbestimmte Begriffe, 
welche durch andere Begriffe, d, h. durch Begriffs- 
entwiekelung, Bestimmung erhalten; der Einzige aber 
iat bestimmungsloser Begriff und kann durch keine 
anderen Begriffe bestimmter gemacht werden oder 
einen „näheren Inhalt" bekommen: er ist nicht das 
„Princip einer Begriffsreihe", sondern ein als Wort 
oder Begriff aller Entwickelung unfähiges Wort oder 
Begriff, Die Entwickelung des Einzigen ist deine 
und meine Selbstentwickelung, eine ganz e innige 
Entwickelung, da deine Entwickelung durchaus nicht 
meine Entwickelung ist. Nur als Begriff, d. h. nur 
als „Entwickelung", sind sie ein und dasselbe; dagegen ist 



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— 115 — 

deine Entwjekelung so verschieden und einzig als 
die meinige. 

Es ist, indem I> u der Inhalt des Einzigen bist, 
an einen eigenen Inhalt des Einzigen, d, h. an einen 
Begriffsinhalt nicht mehr zu denken. 

Durch das Wort Einziger soU nicht gesagt werden, 
was Du bist, wie man dadurch, dass man bei der Taufe 
Dir den Namen Ludwig zulegt, nicht sagen wUl, was 
Du bist. 

Mit dem Einzigen ist das Reich der absoluten Ge- 
danken, d. b. der Gedanken, welche einen eigenen Ge- 
dankeninhalt haben, abgeschlossen, wie mit dem inhalts- 
leeren Namen der Begriff und die Begriffswelt ausgeht: 
der Name ist das inhaltsleere Wort, dem ein Inhalt nur 
durch die Meinung gegeben werden kann. 

Es wird aber im Einzigen nicht etwa nur, wie 
die genannten Gegner sich's vorstellen, die „Lüge der 
bisherigen egoistischen Welt" offenbar; nein, in seiner 
Nacktheit und Kahlheit, in seiner schamlosen „Auf- 
richtigkeit" (a. Szeliga S. 34) kommt die Nacktheit 
und KahUieit der Begriffe und Ideen ans Tageslicht, 
wird der eitle Pnink seiner Gegner offenbar, wird es 
klar, dass die grösste „Phrase" diejenige ist, die das 
inhaltsvollste Wort zu sein scheint. Der Einzige ist die 
aufrichtige, unleugbare, offenbare ■ — Phrase; er Ist 
der Schlussstein unserer Phrasenwelt, dieser Welt, in 
deren „Anfang das Wort war". 

Der Einzige ist eine Aussage, von welcher mit 
aller Offenheit und Ehrlichkeit eingeräumt wird, dass 
sie — Nichts aussagt. Der Mensch, der Geist, das wahre 
Individuum, die Persönlichkeit u. s. f. sind Aussagen 
oder Prädicate, welche von einer Fülle des Inhalts 
strotzen, Phrasen mit höchstem Gedankenreichthum; 
der Einzige ist, gegenüber jenen heilten und erhabenen 
Phrasen, die leere, anspruchslose und ganz gemeine 
Phrase. 

So etwas ahnten die Recensenten am Einzigen; 



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— 116 — 

sie hielten sicli daran, dass er eine Phrase sei. Aber 
sie meinten, er machte wieder darauf Anspruch, eine 
heilige, erhabene Plirase zu sein, und bestritten ihm 
diesen Anspruch. E^ soll jedoch nichts, als die ge- 
meine Phrase sein, nur dass er eben dadurch das 
wirklich ist, was die hochtrabenden Phrasen der 
Gegner nicht zu sein vermögen, und dass er so die 
Phraseuniacherei zu Schanden macht. 

Der Einzige ist ein Wort, und bei einem Worte 
müsste man sich doch etwas denken können, ein 
Wort mässte doch einen Gedankeninhalt haben. Aber 
der Einzige ist ein gedankenloses Wort, es hat 
keinen Gedankeninhalt. — Was ist aber dann sein 
Inhalt, wenn der Gedanke es nicht ist? Einer, der 
nicht zum zweiten Male dasein, folglich auch nicht 
ausgedrückt werden kann; denn könnte er ausge- 
druckt, wirklich und ganz ausgedruckt werden, so 
wäre er zum zweiten Male da, wäre im „Ausdruck" da. 

AVeil der Inhalt des Einzigen kein Gedanken- 
inhalt ist, darum ist er auch undenkbar und unsagbar, 
weil aber unsagbar, darum ist er, diese vollständige 
Phrase, zugleich — keine Phrase. 

Erst dann, wenn Nichts von Dir ausgesagt und 
Do nur genannt wirst, wirst Du anerkannt als Du. 
So lange Etwas von Dir ausgesagt wird, wirst Du 
nur als dieses Etwas (Mensch, Geist, Christ u. s. f.) 
anerkannt. Der Einzige sagt aber nichts aus, weil er 
nur Name ist, nur diess sagt, dass Du Du, und nichts 
anderes als Du bist, dass Du ein einziges Du oder 
Du selber bist. Hierdurch bist Du prädicatlos, 
damit aber zugleich bestinunungslos, beruf los, ge- 
setzlos u. s. w. 

Es war die Speeulation darauf gerichtet, ein 
Prädicat zu finden, welches so allgemein wäre, dass 
es Jeden in sich begriffe. Ein solches durfte doch 
jedenfalls nicht ausdrücken, was Jeder sein soll, 
sondern was er ist. Wenn also „Mensch" diess Prädicat 



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— 117 — 

wäre, so mässte darunter nicht etwas verstanden 
werden, was Jeder werden soll, da sonst Alle, die es 
noch nicht geworden, davon ausgeschlossen wären, 
sondern etwas, was Jeder ist. Nun, „Mensch" drückt 
auch wirklich aus, was Jeder ist. Allein dieses Was ist 
zwar Ausdruck für das Allgemeine in Jedem, für 
das, was Jeder mit dem Andern gemein hat, aber es 
ist nicht Ausdruck für den „Jeder", es drückt nicht 
aus, wer Jeder ist. Bist Du damit erschöpft, dass 
man sagt, Du seiest Mensch? Hat man damit auch 
ausgesprochen, wer Du bist? Erfüllt jenes Prädicat 
„Mensch" die Aufgabe des Prädicats, das Subject ganz 
auszudrücken, und lässt es nicht im Gegentheil am 
Subjecte gerade die Subjectivität weg und sagt nicht, 
wer, sondern nur, was das Subject sei? 

Soll daher das Prädicat einen Jeden in sich be- 
greifen, so muss ein Jeder darin als Subject erscheinen 
d, h. nicht bloss als das, was er ist, sondern als der, 
der er ist. 

Wie aber kannst Du auftreten als der, der Du 
bist, wenn Du nicht selber auftrittst? Bist Du ein 
Doppelgänger oder bist Du nur einmal da? Du bist 
nirgends ausser Dir, bist nicht zum zweiten Male in 
der Welt, Du bist — einzig. Du kannst nur auftreten, 
wenn Du leibhaftig auftrittst. 

„Du bist einzig" — ist das nicht ein Urtheil? 
Wenn Du in dem Urtheil „Du bist Mensch" nicht als 
der, der Du bist, auftrittst, trittst Du dann in dem 
Urtheil „Du bist einzig" wirklich als Du auf? Das 
Urtheil „Du bist einzig" heisst nicht anders als ,,Du 
bist Du", ein Urtheil, welches der Logiker ein wider- 
sinniges Urtheil nennt, weil es nichts urtheüt, 
nichts sagt, weil es leer oder ein Urtheil ist, das kein 
Urtheil ist. — (Im Buche S. 232 ist das widersinnige 
Urtheil so genommen, wie es als „unendliches" oder 
unbestimmtes erscheint; hier hingegen nach der Seite, 
wie es das „identische" Urtheil ist.) 



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Was dpr Logiker verächtlich behandelt, das ist 
freilich nnlugLsch oder nur .formell Ic^isch": aber 
es ist ancb, logisch betrachtet, nor noch eine Phrase; 
e« wt die als Phrase Ter^ndende Logik. 

Der Einzige stjU nnr die letzte, die sterbende Ans- 
sage CPrädicat) von Dir und Mir. soll nur diejenige 
Aas-sage sein, welche in die Meinimg umschlägt: eine 
Aussage, die keine mehr ist, eine verstaininende, stnnune 
Anssage. 

])n — Einziger! Was ist hierin noch für ein Ge- 
dankeninhalt, für ein Inbalt des Urtheils? Keiner! — 
Wer aas dem Einzigen als ans einem Begriffe noch 
einen eigenen rredankeninhalt ableiten wollte, wer da 
meinte, mit dem „Einzigen" sei von Dir ausgesagt, 
was Dn seist; der würde eben beweisen, dass er an 
Phrasen glanbt, weil er die Phrasen nicht als Phrasen 
erkennt, er würde zeigen, dass er in der Phrase 
einen eigenen Lihalt sucht. 

Du, Undenkbarer und Unaussprechlicher, bist der 
Phraseninhalt, der Phraseneigner, die leibhaftige Phrase, 
Du bist der Wer, der Der der Phrase. 

Im Einzigen kann die Wissenschaft als Leben 
aufgehen, indem ihr Das zum Der und Der wird, 
der sich dann nicht mehr im Worte, im Logos, im 
Prädicate sucht. 



Szeliga nimmt sich die Mühe, zu zeigen, dass der 
Kinzige, „mit seinem eigenen Princip, überall Gtespen- 
8ter zu sehen, gemessen, zum Gespenst aller Gespen- 
ster wird." Es schwant ihm, dass der Einzige die 
liiere Phrase sei; dass er selbst aber, Szeliga, der 
Pliraseninhalt sei, lässt er ausser Acht. 

Der Einzige im Himmel, welchen Feuerbach dem 
Einzigen auf Erden zur Seite stellt, ist die Phrase 
ohne Phraseneigner. Der gedachte Einzige heisst Gott 



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— 119 — 

Das hat eben der Eeligion ihre Dauer gesichert, dass 
sie den Einzigen wenigstens in Gedanken oder aJs 
Phrase hatte, dass sie ihn im Himmel sah. Aber der 
Einzige im Himmel ist eben ein Einziger, dessen sich 
Keiner annimmt, wogegen sich des Stimer'schen Ein- 
zigen Feuerbach noleas volens annimmt, da er es 
wunderlich anstellen müsst«, wenn er sich seinen 
Einzigen aus dem Kopfe sehlagen wollte. Wäre der 
Einzige im Himmel einer, da- in seinem eigenen Kopfe, 
statt in Feuerbach's Kopfe, steckte, so sollt' es ihm 
schwer werden, sieh den Einzigen aus dem Kopfe zu 
schlagen. 

Hess sagt vom Einzigen : „er renommirt". Ohne" 
Zweifel ist der Einzige, diese offenkundige Phrase, 
eine leere Renommage ; er ist Feuerbach's Phrase ohne 
Phraseneigner. Ist es aber nicht eine klägliche Re- 
nommage, damit ein Langes und Breites zu renommi- 
ren, dass man die Renommage und weiter nichts aus 
ihm herausgefunden hat? Ist denn Hess, dieser ein- 
zige Hess, auch nichts weiter, als eine Renommage? 
Doch wohl nicht 



Mehr Aergemiss noch als an dem Einzigen nehmen 
die Recensenten an dem „Egoisten". Statt auf den 
Egoismus, wie er von Stirner aufgefasst wird, näher 
einzugehen, bleiben sie bei ihrer von Kindesbeinen an 
gewohnten Vorstellung von demselben stehen und 
rollen sein allem Volke so wohlbekanntes Sündenregister 
auf. Seht hier den Egoismus, die gräuliche Sünde — 
den will uns Stimer „empfehlen"! 

Gegen die christliche Definition: „Gott ist die 
Liebe" konnten die Recensenten im alten Jerusalem 
aufstehen und rufen; Da seht ihr, dass es ein heid- 
nischer Gott ist, der von den Christen verkündet wird; 
denn ist Gott die Liebe, so ist er der Gott Amor, der 



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— 120 — 

Liebesgott! — Was braucMen die jüdischen EeceiKen- 
ten sich weiter auf die Liebe und den Gott, welcher 
die Liebe ist, einzulassen, da sie den Liebesgott, den 
Amor, längst anspieen? 

Szeliga charakterisirt den Egoisten so: „der Egoist 
hofft auf ein sorgenfreies, glückliches Leben. Er hei- 
rathet ein reiches Mädchen — und hat nun eine eifer- 
süchtige, keifende Frau, d. h. seine Hoffnung ist re- 
alisirt, getäuscht worden." 

Feuerbach sagt: „Es ist ein begründeter Unter- 
schied zwischen dem, was man selbstsüchtige, eigen- 
nützige und dem, was man nneigennütaige Liebe nennt. 
Welcher? in Kürze dieser: in der eigennützigen Liebe 
ist der Gegenstand Deine Hetäre, in der uneigennützigen 
Deine Geliebte. Dort befriedige ich mich wie hier, 
aber dort unterordne ich das Wesen einem Theil, 
hier aber den Theil, das Mittel, das Organ dem Ganzen, 
dem Wesen, dort befriedige ich eben deswegen auch 
nur einen Theil von mir, hier aber mich selbst, 
mein voUes, ganzes Wesen. Kurz: in der eigen- 
nützigen Liebe opfere ich das Höhere dem Niederen, 
einen höheren Genuss folglich einem niedrigeren, in 
der uneigennützigen aber das Niedere dem Höheren 
auf." 

Hess fragt: ,,Was ist zunächst der Egoismus 
überhaupt, und worin besteht der Unterschied zwischen 
dem egoistischen Leben und demLeben in der Liebe? — " 
Schon diese Frage zeigt seine Verwandtschaft mit den 
beiden Vorhergehenden. Wie kann gegen Stirner ein 
solcher Gegensatz von egoistischem Leben und Leben 
in der Liebe geltend gemacht werden, da sieh bei ihm 
beide vielmehr vollständig vertragen? Hess fährt 
fort: „Das egoistische Leben ist das mit sich zer- 
fallene, sich selbst verzehrende Leben der Thierwelt. 
Die Thierwelt ist eben die Naturgeschichte des mit sich 
zerfallenen, sich selber zerstörenden Lebens über- 
haupt, und unsere ganze bisherige Geschichte ist 



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— 121 — 

nichts als die Geschichte der socialen Thierwelt. — 
Wodurch unterscheidet sieli aber die sociale Thier- 
welt von der Thierwelt im Walde? Durch nichts, 
als ihr Bewusstsein. Die Geschichte der socialen 
Thierwelt ist eben die Geschichte des Bewusstseins 
der Thierwelt, und ist die letzte Spitze der natür- 
lichen Thierwelt das Raubthier, so ist der Höhe- 
punkt der socialen Thierwelt eben das bewusste 
Raubthier. — Wie der [Egoismus die gegenseitige 
Entfremdung der Gattung ist, so ist das Bewusst- 
sein dieser Entfremdung (das egoistische Bewusstsein) 
das religiöse Bewusstsein. Die Thierwelt im Walde 
hat lediglich deshalb keine Religion, weil ihr das Be- 
wusstsein ihres Egoismus, ihrer Entfremdung d. h. 
weil ihr das Sündenbewusstsein fehlt. Das erste 
Bewusstsein in der Menschheit ist das Sündenbewusst- 
sein, — Als die egoistische Theorie, das egoistische 
Bewusstsein, Religion und Philosophie, ihren Gipfel- 
punkt erreicht hatten, musste auch die egoistische 
Praxis ihren Gipfelpunkt eireicht haben Sie hat ihn 
erreicht in der modernen, christlichen Krämerwelt. 
Diese ist die letzte Spitze der socialen Thierwelt. — 
Die freie Concurrenz unserer modernen Krämerwelt 
ist nicht nur die vollendete Form des Raubmordes, 
sie ist zugleich das Bewusstsein der gegenseitigen, 
menschlichen Entfremdung. - Die heutige Kräraer- 
welt ist die vennitt«lte, ihrem Wesen entsprechende, 
bewnsste und principielle. Form des Egoismus," 

Das sind höchst populäre Chai-akteristiken des 
Egoismus, und es ist nur zu verwundem, dass Stimer 
nicht selbst dergleichen einfache Reflexionen anstellte 
und sich durch die Betrachtung, wie einfältig, wie ge- 
mein und wie raubraörderisch der Egoismus sei, be- 
stimmen liess, dem hässlichen Ungethüm abzusagen. 
Hätte er, wie Szeliga, bedacht, dass der Egoist nichts 
als ein Einfaltspinsel sei, der ein reiches Mädchen 
heirathet und eine keifende Frau bekommt, hätte er. 



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— 12-2 — 

■wie Feuerbach, gesehen, dass der Egoist keine „Ge- 
liebte" haben kann, oder hätte er, wie Hess, in dem 
Egoisten den Ttiiennenschen richtig erkannt oder gar 
den „Raubmord" an ihm gewittert, wie sollte er denn 
nicht gegen ihn einen „tiefen Abscheu" und eine „ge- 
rechte Kntriistung" getasst haben! Der Raubmord 
allein ist ja schon eine solche Infamie, dass Hess 
eigentlich nur diess einzige Wort gegen Stirners Ego- 
isten auszurafen brauchte, um alle „guten Menschen" 
gegen ihn aufzubringen und auf seiner Seite zu haben: 
das Wort ist gut gewählt und — ergreifend für ein 
sittliches Herz, wie ohngefähr der Ausruf ,^etzer!" 
für einen rechtgläubigen Haufen. 



Stirner erkühnt sich zu sagen, Feuerbach, Hess, 
Szeliga seien Egoisten. Er bescheidet sich freilich, 
hiermit nichts als ein identisches TJrtheU auszusprechen, 
indem er sagt, Feuerbach thue platterdings nichts als 
Feuerbachisches, Hess nichts als Hessisches, Sze- 
liga nichts als Szeligasches ; allein er hat ihnen doch 
einen gar zu anrüchigen Titel gegeben. 

Lebt Feuerbach in einer anderen als in seiner 
Welt? Lebt er etwa in Hess', in Szeligas, in Stimers 
Welt? Ist die Welt nicht dadurch, dass Feuerbach 
in ihr lebt, die ihn umgebende, die von ihm d. h. 
Feuerbachisch empfundene, angeschaute, gedachte 
Welt? Er lebt nicht bloss mitten in ihr, sondern ist 
ihre Mitte selbst, ist der Mittelpunkt seiner Welt. 
Und wie Fenerbach, so lebt Niemand in einer andern, 
als in seiner Welt, wie Feuerbach, so ist Jeder das 
Centrum seiner Welt. Welt ist ja nur das, was er 
nicht selber ist, was aber zu ihm gehört, mit ihm in 
Beziehung steht, für ihn ist. 

Um Dich dreht sich Alles, Du bist die Mitte der 



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— 123 — 

Auasenwelt und die Mitte der Gedankenwelt. Deine 
Welt reicht so weit, als Dein FassungsvermSgen reicht, 
und was Du umfassest, das ist durch das blosse Fassen 
Dein eigen Du Einziger bist „Einziger" nur zu- 
sammen mit „Deinem Eigenthum". 

Indessen entgeht es Dir nicht, dass, was Dein 
eigen ist, zugleich sein eigen ist oder ein eigenes 
Dasein hat, ein Einziges ist gleich Dir. Hier- 
über vergissest Du Dich selbst in süsser Selbstver- 



Wenn Du Dich aber vergessen hast, bist Du 
dann ganz verschwunden, wenn Du nicht an Dich 
denkst, hast Du dann überhaupt aufgehört zu sein? 
Wenn Du in das Auge Deines BYeundes blickst oder 
Über eine Freude sinnst, welche Du ihm bereiten 
möchtest, wenn Du zu den Sternen aufschaust, ihrem 
Gesetze nachgrübelst oder auch Grüsse ihnen zusendest, 
die sie in dein einsames Stübchen tragen sollen, wenn 
Du mikroscopisch Dich in das Treiben der Infusions- 
thierehen verlierst, wenn Du einem Menschen in Feuers- 
oder Wassemoth, ohne der eigenen Gefahr zu denken, 
zu Hülfe eilst: so „denkst" Du gewiss nicht an Dich, 
so „vergissest" Du Dich. Bist Du aber nur, wenn 
Du an Dich denkst und verkommst Du, wenn Du 
Dich vergissest; bist Du nur durch das Selbstbewusst- 
sein? Wer vei^ässe sich nicht ^le Augenblicke, wer 
verlöre sich nicht tausendmal in einer Stunde aus den 
Augen? 

Diese Selbstvergessenheit, dieses Selbatverlieren 
ist ja nur eine Weise unserer Befriedigung, ist nur 
Genuss unserer Welt, unseres Eigenthnms, d. h. Welt- 
genuss. 

Nicht in diesem Selbstvergessen, sondern in dem 
Vergessen dessen, dass die Welt unsere Welt ist, hat 
die Uneigennützigkeit, d. h. der düpirte Egoismus, 
ihren Grund. Vor einer absoluten, einer „höheren" 
Welt wirfst Du Dich nieder und wirfst Dich weg. 



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— 124 — 

Die UueigenuütÄigkeit ist nicht ein Selbstvergessen 
in dem Sinne, daas man nicht an sich denkt und sich 
mit sich beschäftigt, sondern in dem anderen, dass 
man an der Welt das „Unsere" vergisst, dass man 
vergisst, man sei der Mittelpunkt oder Eigner dieser 
Welt, sie aber unser Eigenthum. Die Furcht und 
Scheu vor der Welt als einer „höheren" Welt ist der 
entmuthigte, der „demUthige" Egoismus, der Egois- 
mus in Knechtsgestalt, der sich nicht zu mucken ge- 
traut, im Stillen schleicht und „sich verleugnet", — 
ist Selbstverleugnung. 

Unsere Welt und die heilige Welt — darin liegt 
der Unterschied des aufrichtigen und des selbstver- 
leugnenden, uneingeständigen, incognito kriechenden 
Egoismus. 

Wie verhält es sich etwa mit Feuerbachs Beispiel 
von der Hetäre und Geliebten? Im ersteren Falle 
ein Geschäftsverhältniss ohne persönliches Interesse 
(und wird es nicht in unzähligen anderen, ganz ver- 
schiedenen Fällen beim Geschäftsverhältniss sein Be- 
wenden haben müssen, wird man immer ein Interesse 
für die Person, mit der man's zu thun hat, ein 
persönliches Interesse, fassen können?), im zweiten ein 
persönliches Verhältniss. Was ist aber der Sinn des 
letzteren Verhältnisses? Doch wohl das gegenseitige 
Interesse an der Person. Verschwände dies Personen- 
Interesse aus dem Verhältnisse, dann wäre dasselbe 
sinnlos geworden; denn diess Interesse ist ja allein, 
1 sein Sinn. Was ist nun die Ehe, die man als ein „heiliges 
[ Verhältniss" preist, anders als die Fixirung eines 
! interessanten Verhältnisses trotz der Gefahr, dass es 
I uninteressant und sinnlos werde? Man sagt wohl, sie 
dürfe nur nicht „leichtsinnig" geschieden werden. Aber 
warum nicht? Weil der Leichtsinn „Sünde" ist, wenn 
es sich um eine „heilige Sache" handelt. Der Leicht- 
sinn soll nicht sein! Da steht dann ein Egoist, der 
um seinen Leichtsinn geprellt wird und sich selbst 



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— 125 — 

verdammt, in einem uninteressanten, aber heiligen 
Verhältniss fortzuleben. Aus dem egoistischen Vereine 
ist eine „heilige Verbindung" geworden; das Interesse 
der Personen an einander hört auf, aber die uninter- 
essante Verbindung bleibt. 

Ein anderes Beispiel des Uninteressanten ist die 
Arbeit, welche für eine Lebensaufgabe, einen Beruf 
des Menschen gilt. Aus ihr schreibt sich der Wahn 
her, dass man sein Brod verdienen müsse, und dass 
es eine Schande sei, Brod zu haben, ohne etwas dafür 
gethan zu haben: es ist der Stolz des Verdienstes. 
Das Arbeiten hat für sich gar keinen Werth und 
macht keinem Menschen Ehre, wie das arbeitslose 
Leben des Lazaroni diesem keine Schande macht. 
Entweder nimmst Du an der Arbeitsthätigkeit selbst 
ein Interesse, und es lässt Dir keine Ruhe, Du rausst 
thätig sein. Dann ist die Arbeit Deine Lust, Dein 
specielles Vergnügen, ohne darin höher zu stehen, als 
die Faulheit des Lazaroni, die eben auch seine Lust 
ist. Oder Du verfolgst durch die Arbeit ein anderes 
Interesse, ein Eesultat oder einen „Lohn", und unter- 
2iehst Dich ihr nur als einem Mittel, das zum Zwecke 
führt: dann ist sie zwar für sieh nicht interessant, 
macht aber auch keinen Anspruch darauf, das für sieh 
Interessante zu sein, und Du kannst es wissen, dass 
sie nicht etwas für sich WerthvoUes oder Heiliges, 
sondern eben nur eine dermalen unvermeidliche 
Sache ist, um das beabsichtigte Ergebniss, den Lohn, 
zu gewinnen. Aber die Arbeit, die als eine „Ehre 
des Menschen" und als sein „Bemf" betrachtet wird, 
ist Schöpferin der Nationalökonomie geworden, und 
bleibt Herrin des heiligen Sociallsmus, wo sie als 
„menschliche Arbeit" die „menschlichen Anlagen aus- ,\ 
bilden soll", und wo diese Ausbildung eine mensch- 
liche Berufssache, ein absolut Interessantes ist. (Hier- . 
über später einmal ein Mehreres). ' 

Der Glaube, dass irgend etwas Anderes als ein 



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Interesse das Zugewandtsein zu einer Sache recht- 
fertigen könne, — der über das Interesse hinansgeheude 
Glaube, erzeugt die Uninteressirtheit, ja die „Sünde", 
als ein Hangen am eigenen Interesse. 

Erst vor dem heiligen Interesse wird das 
eigene Interesse zum „Privatinteresse", znm ver- 
abscheuten „Egoismus", zur „Sünde". Stirner sig- 
nalisirt S. 224 den Unterschied des heiligen und des 
eignen Interesses in Körze so: „Gegen jenes kann Ich 
Mich versündigen, dieses nur verscherzen." 

Das heilige Interesse ist das Uninteressante, weil 
es ein absolutes oder ein Interesse für sich ist, gleich- 
viel ob Du daran ein Interesse nimmst oder nicht. 
Du sollst es zu Deinem Interesse machen; es ist 
nicht ursprünglich Dein, ist nicht aus Dir geboren, 
sondern ein ewiges, ein allgemeines, ein rein mensch- 
liches. Es ist uninteressant, weil auf Dich und Dein 
Literesse dabei keine Rücksicht genommen wird; es 
ist ein Interesse ohne Interessenten, weil es ein all- 
gemeines oder ein Interesse des Menschen ist Und 
weil Du nicht Eigner desselben bist, sondern sein 
Anhänger und Diener werden sollst, dämm hört ihm 
gegenüber der Egoismus auf und die „Uninteressirt- 
heit" beginnt. 

Nimm Dir nur ein heiliges Interesse zu Herzen, 
so bist Du gefangen und wirst um Deine eigenen 
Interessen betrogen werden. Sprich das Interesse, 
welches Du heute verfolgst, heilig, so bist Du morgen 
sein Sklave. Alles Verhalten zu einem absolut Inter- 
essanten oder zu einem an und für sich Werthvollen 
ist religiöses Verhalten oder schlechtweg Religion. 
Das Interessante kann nur durch Dein Interesse 
interessant, das WerthvoUe nur durch Dein Werth- 
beilegen werthvoll sein, wogegen das trotz Dir Inter- 
essante ein Uninteressantes, das trotz Dir WerthvoUe 
ein Unwürdiges ist. 

Das Interesse jener Geister, wie das der Gesell- 



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— 127 — 

Schaft, des Menschen, des menschliclien Wesens, der 
Menschen als Aller, ihr „wesentliches Interesse", ist 
fremdes Interesse und soll Dein Interesse sein. Das 
Interesse der Geliebten ist Dein Interesse and nur 
so lange es Dein Interesse ist, interessirt es Dich. 
Erst dann, wenn es anfhört, Dein Interesse zu sein, 
kann es zn einem heiligen Interesse werden, zn einem 
Interesse nämlich, welches sein soll, obgleich es nicht 
Dein ist. Das bis dahin interessante Verhältnisa 
wird nun zn einem uninteressirteii und uninter- 
essanten. 

Im Geschäftsverhältniss und im persönlichen Ver- 
hältniss ist Dein Interesse das Erste, und alle Auf- 
opierungeu geschehen lediglich zum Besten dieses 
Deines Interesses, wogegen im religiösen Verhältniss 
das religiöse Interesse, das Interesse des Absoluten 
oder des Geistes, d. h. das Dir fremde Interesse, das 
Erste ist, und Deine Interessen diesem fremden Inter- 
esse geopfert werden sollen. 

Der betrogene Egoismus besteht daher in dem 
Glauben an ein absolut Interessantes, an ein nicht 
aus dem Egoisten, d. h. dem sich Interessirenden, ent- 
springendes, sondern gegen denselben gebieterisches 
und für sieh festes, an ein „ewiges" Interesse. „Be- 
trogen" ist hierin der Egoist, weil sein eigenes Inter- 
esse, das „Privatinteresse", nicht nur unberücksichtigt 
gelassen, sondern sogar verdammt wird, und „Egois- 
mus" bleibt es dennoch, weil er auch dieses fremden 
oder absoluten Interesses sich nur in der Hoffnung 
annimmt, es werde ihm Genuss gewähren. 

Dies absolut Interessante, welches ohne den Inter- 
essenten interessant sein soll, welches also, statt Sache 
eines Einzigen zu sein, sich vielmehr erst „Gefässe 
seiner Ehre", oder Menschen, weiche seine „Rüstzeuge 
und Werkzeuge" sein sollen, sucht, nennt Stimer 
schlechtweg „das Heilige". Das Heilige ist in der 
Tliat das absolut Uninteressante, da es das Inter- 



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— 128 — 

essante zu sein Auspmch macht, selbst wenn sich 
kein Mensch dafür interessirte; es ist zugleich das 
„allgemein", d, h. subjectlos Interessante, weil es nicht 
ein einzig Interessantes, ein Interesse eines Einzigen 
ist. Mit andern Worten: „Diess „allgemeine Interesse" 
ist mehr als Du — ein „Höheres"; ist auch ohne Dich 

— ein „Absolutes"; ist ein Interesse für sich — ein 
Dir Fremdes; stellt an Dich die Forderung, ihm zu 
dienen, uud findet Dich bereitwillig, wenn Du Dich 

— bethören lassest. 

Um bei Feuerbachs rührender Darstellung von 
der Hetäre zu bleiben, so ist da Einer oder Eine, die 
gerne unkeusch sein möchten, weil der Naturtrieb 
ihnen keine Ruhe lässt. Aber, sagen sie sich, weisst 
Du wohl, was Unkeuschheit ist? Sie ist eine Sünde, 
eine Gemeinheit, sie schändet uns. Sagten sie. Wir 
würden durch Unkeuschheit andere Interessen, die 
nna noch wichtiger sind als dieser Siuneugenuss, ver- 
scherzen, so wäre das kein religiöses Bedenken, und 
sie brächten ihr Opfer nicht der Keuschheit, sondern 
andern Vortheilen, um welche sie sich nicht brii^en 
mögen. Versagen sie sich hingegen die Stillung des 
Naturtriebes um der Keuschheit willen, so geschieht 
es aus religiösen Bedenken. Was für ein Interesse 
haben sie an der Keuschheit? Ohne Zweifel kein 
natürliches, denn ihre Natur räth ihnen zur Unkeusch- 
heit; ihr wirkliches, unverkennbares und unleugbares 
Interesse ist die Unkeuschheit Aber die Keuschheit 
ist ein Bedenken ihres Geistes, weil sie ein Inter- 
esse des Geistes, ein geistiges Interesse ist: sie ist 
ein absolutes Interesse, vor welchem die natürlichen 
und „Privatinteressen" schweigen müssen, und welches 
den Geist bedenklich macht. Diess Bedenken nun 
werfen die Einen durch einen „Ruck", durch den Aus- 
ruf: „dummes Zeug!" von sich, weil ihnen, so be- 
denklich oder religiös sie auch sonst sein mögen, 
hier ein Instinet sagt, dass der Geist gegen den Natnr- 



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— 129 — 

trieb ein griessgrämiger Despot sei, — während An- 
dere das Bedenken selbst durch weiteres Denken 
überwinden und sieb auch theoretisch sicher stellen: 
jene schlagen die Bedenken nieder, diese lösen — 
vermöge ihrer Virtuosität im Denken*) — die Be- 
denken auf. — Die Unkeuschheit und die Hetäre 
sehen also nur desshalh so schrecklich aus, weil sie 
gegen das „ewige Interesse" der Keuschheit Verstössen. 
, Es hat nur der Geist die Schwierigkeiten erhoben, 
die Bedenken geschaffen, woraus zu folgen scheint, 
dass sie nur geistig oder durch's Denken wieder weg- 
geschafft werden können. Wie übel wären da die 
armen Seelen daran, die sich jene Bedenken haben 
aufschwatzen lassen, ohne die Kraft des Denkens zu 
besitzen, durch welche sie derselben Herr werden 
könnten! Wie übel, wenn sie darauf warten müssten, 
bis die reine Kritik ihnen die Freiheit wieder giebt. 
Sie helfen sich aber einstweilen durch einen gesunden, 
hausbackenen Leichtsinn, der fttr ihr BedUrfniss 
gerade so gut ist, als für die reine Kritik das freie 
Denken, da der Kritiker als Virtuose im Denken 
einen unabweislichen Drang hat, durchs Denken die 
Bedenken zu überwinden. 

Die Bedenken sind etwas eben so Alltägliches, als 
das Reden und Plaudern; — was wäre also dagegen 
zu sagen? Nichts — nur sind alltägliche Bedenken 
kein heiliges Bedenken. Die alltäglichen Bedenken 
kommen und gehen, die heiligen Bedenken aber bleiben 
und sind absolut, sind absolute Bedenken (Dogmen; 
Glaubenssätze, Grundsätze). Gegen sie lehnt sich der 
Egoist, der Entheiliger auf und versucht seine ego- 
istische Kraft gegen ihre heilige Macht. Alles „freie 
Denken" ist Entheiligung der Bedenken und ein ego- 
istisches Treiben gegen die heilige Macht derselben. 

1 ÜKilUrfnisa und interesaaiit 

HBckaj, Hu Sürner'a Kleinere aduiften. 9 



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— 130 — 

Macht auch so manehes freie Denken nach einigen 
Sturmschritten Halt und bleibt wieder vor einem 
neuen heiligen Bedenken stehen, vor welchem der 
Egoismus zu Schanden wird; so rastet doch das freie 
Denken in seiner freiesten Form — die reine Kritik 
— vor keinem absoluten Bedenken und entheiligt mit 
egoistischer Ausdauer eine bedenkliche Heiligkeit nach 
der andern. Weil aber diess freieste Denken nur 
egoistisches Denken, nur Denkfreiheit ist, so wird 
es selbst zu einer heiligen Macht des Denkens und 
verkündet das Evangelium, dass nur im Denken die 
Erlösung zu finden sei. Es tritt nur das Denken 
selbst als eine heilige Sache, als ein menschlicher 
Beruf, als heiliges — Bedenken auf: nur das Be- 
denken (Erkennen) löst hiernach die Bedenken auf. 

Könnten die Bedenken nur durch das Denken 
aufgelöst werden, so würden die Menschen niemals 
„reif" dazu, sie loszuwerden. 

Die Bedenklichkeit ist, wenn sie auch bis zum 
reinen Bedenken oder zur Reinheit der Kritik gelangt 
ist, dennoch nur Religiosität; der Religiöse ist der 
Bedenkliche. Eine Bedenklichkeit aber bleibt es, wenn 
man meint, nur durch Bedenken mit dem Bedenken 
fertig werden zu dürfen, wenn man also die „bequeme" 
Unbedenklichkeit als „egoistische Arbeitsscheu der 
Masse" verachtet. 

Dem bedenklichen Egoismus felilt nur die An- 
erkennung des unbedenklichen, um den Accent auf 
den Egoismus, statt auf die Bedenklichkeit, zu legen, 
und den Egoisten als den Ueberwinder zu erkennen, 
gleichviel ob er durch's Denken oder durch Unbedenk- 
lichkeit überwindet. 

Wird hierdurch etwa das Denken „verworfen"? 
Nein, nur seine Heiligkeit wird ihm abgesprochen, 
nur als Zweck oder Beruf wird es verneint; als 
Mittel wird es Jedem überlassen, der dieses Mittels 
mächtig ist. Zweck des Denkens ist vielmehr die 



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— 131 — 

Unbedenklichkeit, wie ja ein Denkender in jedem 
einzelnen Falle mit seinem Denken darauf ausgeht, 
endlich den richtigen Punkt zu finden, oder des Nach- 
denkens überhoben zu sein und mit der Sache fertig 
zu werden. WiU man aber „die Arbeit des Denkens" 
heilig sprechen, oder, was dasselbe ist, „menschlich" 
nennen, so giebt man den Menschen nicht minder 
einen Beruf, als wenn man ihnen den GTlauben vor- 
schreibt und führt von der Unbedenklichkeit ab, statt 
zu ihr, als zu dem eigentlichen oder egoistischen Sinn 
des Denkens hinzuführen. Man verleitet die Menschen 
zur Bedenklichkeit und Bedächtigkeit, indem man 
ihnen ein „Heil" im Denken verheisst; die Denk- 
schwachen, die sich dazu verleiten lassen, können aber 
nicht anders, als sich wegen ihrer Denkschwäche bei 
irgend einem Gedanken — beruhigen, d. h. gläubig 
werden. Statt sich's mit den Bedenken leicht zu 
machen, werden sie vielmehr bedenklich werden, weil 
sie wähuen, im Denken liege das Heil*). 

Doch die Bedenken, durch das Denken erschaffen, 
sind einmal da und können allerdings auch durch das 
Denken gehoben werden. Allein diess Denken, diese 
Kritik kommt nur dann zum Ziele, wenn es egoisti- 
sches Denken, egoistische Kritik ist, d. h. wenn der 
Egoismus oder das Interesse gegen die Bedenken oder 
das Uninteressante geltend gemacht, wenn das Inter- 
esse offen eingestanden wird, und der Egoist vom 
Egoisten aus kritisirt, statt vom Christen, vom So- 
cialisten, vom Humanisten, vom Menschen, vom freien 
Denken, vom Geiste aus**) zu kritisireu. Denn das 
Interesse des Einzigen, also Dein Interesse, wird ge- 
rade in der heiligen oder menschlichen Welt mit 
Füssen getreten und diese selbe Welt, der z. B. Hess 
und Szeliga vorwerfen, sie sei eine egoistische, hat im 

*) Die religiösen Wirren unserer Tage haben hierin ihraa 
Unmd; ja sie sind unmittelbar ÄeuMeningen dieser Bedeaklichkeit. 
**) D. h. christlich, socialistisch etc. 



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Gregentheil seit Jahrtausenden den Egoisten an den 
Schandpfahl gebunden und den Egoismus jedem aus 
dem Grebiete des Denkens oder G-laubens hergelaufenen 
„Heiligen" fanatisch geopfert. Wir leben nicht in einer 
egoistischen, sondern in einer bis auf den geringen 
Eigenthumslappen herunter durchaus heiligen Welt. 

Es könnte scheinen, als müsse es zwar jedem 
Einzelnen anheim gestellt werden, wie er mit den Be- 
denken fertig zu werden wisse, sei aber nichts desto 
weniger die Aufgabe der Geschichte, die Bedenken 
durch kritisches Bedenken aufzulösen. Gerade diess 
jedoch bestreitet Stimer, gerade gegen diese „Aufgabe 
der Geschichte" behauptet er, dass die Geschichte der 
Bedenken und ihres Bedenkens zu Ende gehe. Nicht 
die Arbeit des AuflÖsens, sondern die Willkühr, welche 
nicht viel Federlesens mit den Bedenken macht, nicht 
die Kraft des Denkens, sondern die Kraft der Un- 
bedenklichkeit scheint im Anzüge zu sein. Das Denken 
kann nur dazu dienen, die Unbedenklichkeit zu stär- 
ken und zu sichern. Das „freie Denken" nahm seinen 
Ausgang von der egoistischen oder unbedenklichen 
Auflehnung gegen die heiligen Bedenken, es begann 
mit der Unbedenklichkeit: wer frei denkt, der 
macht sich unbedenklich über die heiligsten Bedenken 
her, — die Unbedenklichkeit ist die Seele und der 
egoistische Werth des freien Denkens. Der Werth 
dieses Denkens liegt nicht im Denker, sondern im 
Egoisten, der seine Macht, die Denkkraft, egoistisch 
über die heiligen Bedenken steUt und sie mir nichts 
dir nichts angreift. 

Stimer hat S. 197 für eben diese Unbedenklich- 
keit Ausdrücke gebraucht, wie „Ruck, Aufspringen, 
aufjauchzendes Juchhe" und sagt: „Die ungeheure Be- 
deutung des gedankenlosen Jauchzens konnte in der 
langen Nacht des Denkens und Glaubens nicht er- 
kannt werden." Er hat damit nichts Geringeres be- 
zeichnet, als erstlich den verborgenen, egoistischen 



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— 133 — 

Grund aller und jeder Kritik eines Heiligen, selbst der 
blindesten und besessensten , f üi's zweite aber die 
einfache Form der egoistischen Kritik, die er 
mittelst seiner Denkkraft (einer blossen Virtuosität) 
durchzufahren den Versuch machte: er bemühte sich 
zu zeigen, wie ein Unbedenklicher vom Denken „Ge- 
brauch machen" könne, indem er die Bedenken von 
sich, dem' Einzigen, aus kritisirt. Stirner lässt nur 
die „Erlösung der Welt" nicht mehr in der Hand der 
Denkenden und Bedenklichen. 

Das Jauchzen und Juchhe lässt sich leicht lächer- 
lich machen, wenn man die Masse und Grösse der 
tiefen Bedenken ihm entgegenhält, die doch wahrlich 
nicht mit so geringer Mühe zu überwinden seien. 
Allerdings kann die Masse der in der Geschichte auf- 
gehäuften und durch die Denkenden stets von neuem 
erweckten Bedenken nicht durch ein blosses Juchhe 
gehoben werden. Die Denkenden können sich nicht 
darüber hinwegsetzen, wenn nicht zugleich ihr Denken 
volle Befriedigung erhält; denn die Befriedigung ihres 
Denkens ist ihr wirkliches Interesse. Das Denken 
darf nicht etwa durch das Jauchzen unterdrückt 
werden, wie es vom Standpunkte des Glaubens aus 
durch den Glauben unterdrückt werden soll. Ohne- 
hin wird es als ein wirkliches Interesse, also als dein 
Interesse, sich uicht unterdrücken lassen. Du, der Du 
das Bedürfniss des Denkens hast, kannst Dir die Be- 
denken nicht bloss wegjauchzen; Du musst sie auch 
wegdenken. Aber aus eben diesem Bedürfnisse ist 
gerade Stirners egoistisches Denken entsprungen, 
und ein Anfang, wenn auch noch ein sehr unbeholfener, 
von ihm gemacht worden, dem Interesse des Denkens 
durch den unbedenklichen Egoismus zu entsprechen, 
sein Buch sollte darthun , dass das rohe Juchhe 
nöthigenfalls auch die Potenz hat, ein kritisches Juchhe, 
eine egoistische Kritik zu werden. 

Dem Egoismus liegt das Interesse zu Grunde. 



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— 134 — 

Ist aber das Interesse nicht in gleicher Weise ein 
blosser Name, ein inhaltsleerer und aller Begriffs- 
entwickelung baarer Begriff, wie der Einzige? Die 
Gegner sehen das Interesse und den Egoismus für 
ein „Princip" an. Dazu würde gehören, dass das 
Interesse als absolutes begriffen würde. Das Denken 
kann „Prineip" sein, aber dann muss es als das ab- 
solute Denken, als die ewige Vernunft, sich selbst 
entwickeln; das Ich, soll es „Prineip" sein, muss als 
das absolute Ich einem darauf erbauten Systeme zu 
G-runde liegen. So könnte man auch das Interesse zu 
einem absoluten machen, und von ihm, als dem 
„menschlichen Interesse" aus, eine Philosophie des 
Interesses herleiten; — ja, die Moral ist wirklich das 
System des menschlichen Interesses. 

Die Vernnft ist eine und dieselbe: was vernünf- 
tig ist, bleibt trotz aller Thorheiten und Irrthümer 
vernünftig; die „Privatvernunft" hat kein Recht gegen 
die allgemeine und ewige Vernunft. Du sollst und 
musst Dich der Vernunft unterwerfen. Das Denken 
ist ein uud dasselbe: was wirklich gedacht wird, ist 
ein logisch Wahres und trotz des entgegengesetzten 
Wahnes von Millionen Menschen doch das unverän- 
derlich Wahre; das „private" Denken, die Meinung, 
muss vor dem ewigen Denken schweigen. Du sollst 
und musst Dich der Wahrheit unterwerfen. Jeder 
Mensch ist vernünftig, jeder Mensch ist Mensch nur 
durch das Denken (^,üas Denken unterscheidet den 
Menschen vom Thiere," sagt der Philosoph). So ist 
nun auch das Interesse ein Aligeraeines, und 
jeder Mensch ist ein „interessirter Mensch". Das ewige 
Interesse tritt als „menschliches Interesse" dem „Pri- 
vatinteresse" entgegen, entwickelt sich als „Prineip" 
der Moral und unter Änderm auch des heiligen So- 
cialismus, und unterwirft Dein Interesse dera Gesetze 
des ewigen Interesses. Es figurirt unter mancherlei 
Formen, z. B. als Staatsinteresse, Kircheninteresse, 



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— 13Ö -- 

Menschheitsinteresse, Interesse „Aller", kurz als 
das wahre Interesse. 

Hat nun Stirner an diesem Interesse, an dem 
Interesse, sein „Princip"? Keizt er nicht im Gegen- 
theil Dein einziges Interesse gegen das „ewig 
Interessante", gegen das — Uninteressante? Und ist 
Dein Interesse ein „Princip", ein logischer — Gedanke? 
Es ist, gleich dem Einzigen, eine Phrase— im Reiche 
des Gedankens; in Dir aber einzig wie Du selber. 

Es ist nßthig, noch ein Wort über den Menschen 
zn sagen. Wie es scheint, ist Stimers Buch gegen 
den Menschen geschrieben. Dadurch, wie auch 
durch das Wort Egoist hat er sich die schlimmsten 
Urtheile zugezogen oder die hartnäckigsten Vornrtheile 
r^e gemacht. — Ja, es ist wirklich gegen den Men- 
schen geschrieben, und gleichwohl hätte Stimer auf 
dasselbe Ziel losgehen können, ohne die Leute so arg 
vor den Kopf zu stossen, weun er die Kehrseite her- 
ansgewendet und gesagt hätte: er schreibe gegen den 
Unmenscheu. Nur hütte er dann selbst die Schuld 
getragen, wenn man ihn in entgegengesetzter, nämlich 
in sentimentaler Weise missverstanden und in die 
Reihe derer gestellt hätte, welche für den „wahren 
Menschen" ihre Stimme erheben. Stimer aber sagt: 
Mensch ist der Uuraensch, was der eine ist, das ist 
der andere, was gegen den einen gesagt wird, wird 
gegen den andern gesagt. 

Misst man ein Wesen an einem Begriffe, so wird 
es niemals diesem Begriffe vollkommen entsprechend 
gefunden: misst man Dich an dem Begriffe Mensch, 
so wird sich stets herausstellen, dass Du etwas Apar- 
tes bist, etwas, was mit dem Worte Mensch nicht aus- 
gedrückt werden kann, also jedenfalls ein aparter 
Mensch. Muthete man Dir nun zu, durchaus Mensch 
und nichts als Mensch zu sein. Du aber könntest 
dein Apartes nicht abstreifen, so wärest Du durch 
«ben diess Aparte ein Unmensch, d. h. ein Mensch, der 



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— 136 -— 

nicht wahrhaft Mensch, oder ein Mensch, der eigent- 
lich Unmensch ist. Der Begriff Mensch hätte seine 
Realität gerade im Unmenschen, 

Dass an dem Begriffe Mensch gemessen, jeder 
wirkliche Mensch ein Unmensch ist, hat die Religion 
durch den Sata ausgedrückt , dass alle Menschen 
„Sünder" seien (das Sündenbewusstsein); heute nennt 
man den Sünder einen „Egoisten". Und wozu ent- 
schlosa man sich in" Folge dieser Einsidit? Dazu, dea 
Sünder zu erlösen, den Egoismus zu überwinden, den 
wahren Menschen zu finden und zu reaüsiren. Man 
verwarf das Aparte, d. h. das Einzige, zu Gunsten 
des Begriffes, verwarf den Unmenschen, zu G-unsten 
des Menschen, und erkannte nicht, dass der Unmensch 
die richtige und allein mögliche Realität des Men- 
schen ist ; man wollte durchaus eine wahrhaft mensch- 
liche Realität des Menschen. 

Man verlangte aber eine Widersinnigkeit. Der 
Mensch ist real und wirklich im Unmenschen; jeder 
Unmensch ist — der Mensch. Aber Unmensch bist 
Du nur als die Realität des Menschen, Unmensch 
nur im Vei^leich mit dem Begriffe Mensch. 

Du bist Unmensch, und darum bist Du vollkommen 
Mensch, realer, wirklicher Mensch, bist vollkommener 
Mensch. Aber Du bist eben mehr als vollkommener 
Mensch, Du bist ein aparter, ein einziger Mensch. 
Mensch und Unmensch, diese Gegensätze der religiösen 
Welt, verlieren ihre göttliche und teuflische, also ihre 
heilige oder absolute Bedeutung, in Dir, dem Einzigen. 

Der Mensch, nach dessen Anerkennung unsere 
Heiligen so sehr schmachten, indem sie allezeit eifern, 
man solle in den*) Menschen den Menschen aner- 
kennen, wird erst dann vollständig und wirklich an- 
erkannt, wenn er als der Unmensch anerkannt wird. 
Wird er als solcher anerkannt, so hören alle religiösen 

*) MuEis otfenbar „dem" heissen. Anmerkung des Heraus- 
gebers. 



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— 137 — 

oder „menschlichen" Zamuthungen auf, und die 
Herrschaft der Guten, die Hierarchie, hat ein Ende, 
weil der Einzige, der ganz gemeine Mensch (nicht 
Feuerbachs tugendhafter „Gemeinmensch"), zugleich 
der vollkommene Mensch ist. 

Indem also Stimer gegen den Menschen schreibt, 
schreibt er zugleich und in einem Äthemzuge gegen den 
Unmenschen, als den Gegensatz zum Menschen; er 
schreibt aber nicht gegen den Menschen, welcher "Un- 
mensch, nicht gegen den Unraensclien, welcher Mensch 
ist — d. h. er schreibt für den ganz gemeinen Ein- 
zigen, der dadurch, dass er Unmensch ist, ohnehin 
und von selbst vollkommener Mensch ist. 

Nur lYomme, nur heilige Socialisten u. s. w., nur 
Heilige aller Art verhindern, dass der Mensch im 
Menschen anerkannt und gewürdigt wird; nur sie 
hemmen den reinen, menschlichen "Verkehr, indem sie 
den gemeinen egoistischen Verkehr allezeit eingeschränkt 
haben und einzuschränken trachten. Sie haben einen 
heiligen Verkehr eingeführt und möchten daraus 
womöglich einen allerheiligsten machen. 



Szeliga sagt zwar noch mancherlei darüber, was 
der Egoist und Egoismus sei , hat aber in der 
That alles in seinem Exempel vom reichen Mädchen 
und der keifenden Frau erschöpft. Er schildert den 
Egoisten als „arbeitsscheu", als einen Menschen, der 
„auf gebratene Tauben hofft, die ihm in den Mund 
fliegen sollen", der sich „keine wahren, des Namens 
allein würdige Hoffnungen macht" u. dgt: er versteht 
einen Menschen darunter, der sich's bequem machen 
will. Hätte er gleich so deflnirt: „Egoist-Schlafmütze", 
so wäre das noch deutlicher und einfacher gewesen. 

Wie Szeliga bereits verräth, dass sein Egoist nur 
an einem Absoluten gemessen werden könnte, indem 



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— 138 — 

er ihn an „wahren Hoffnungen" misst, so spricht 
diess Feuerbach, der überhaupt des treffenden Wortes 
mächtiger ist, schon entschiedener aus, indem er vom 
Eigennützigen (Egoisten) sagt, „er opfere das Höhere 
dem Niederen"; vom Uneigennützigen, „er opfere das 
Niedere dem Höheren". ^ Was ist „Höheres und 
Niederes?" Doch wohl nicht etwas, das sich nach 
Dir richtet und wofür Du das Maass bist? Gälte 
etwas Dir und zvs^ar Dir in diesem Augenblicke — 
denn nur im Augenblicke bist Du Du, nur als 
Augenblicklicher bist Du wirklich; als „allgemeines 
Du" wärest Du vielmehr in jedem Äugenblick ein 
„Anderer" — gälte also etwas Dir in diesem Augen- 
blicke „höher" als etwas Anderes, so würdest Du's 
nicht dem Letzteren opfern; vielmehr opferst Du in 
jedem Augenblicke nur das, was Dir in eben diesem 
Augenblicke als „Niederes" oder als minder wichtig 
gilt. Soll hiemach das Feuerbachsche „Höhere" einen 
Sinn haben, so muss es ein von Dir, dem Augenblick- 
lichen, getrenntes und freies Höheres, es muss ein 
absolut Höheres sein. Ein absolut Höheres ist ein 
solches, bei welchem Du nicht erst befragt wirst, ob 
es Dir das Höhere sei, welches vielmehr trotz Dir 
das Höhere ist. So allein kann von einem Höheren 
und einem „höheren Genüsse", welcher „geopfert werde", 
die Rede sein. Ein solch Höheres ist im Feuerbachsehen 
Beispiele der Genuss der Geliebten gegen den Genuss 
der Hetäre, oder die Geliebte gegen die Hetäre: jene 
ist das Hohe, diese das Niedere. Dass Dir vielleicht 
die Hetäre der höhere Genuss ist, dass Dir es in 
diesem Ängenblicke der einzige Genuss ist, den Du 
begehrst: — was kümmert das grosse und edle Herzen, 
wie Feuerbach, die nur an der ,.Geliebten" Gefallen 
finden und nach dem Massstabe ihres reinen Herzens 
decretiren, dass die Geliebte das „Höhere" sein müsse! 
Nur wer an einer Geliebten, nicht wer an einer He- 
täre hängt, „befriedigt sein volles, ganzes Wesen". 



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— 139 — 

Und worin besteht diess volle, ganze Wesen? Eben 
nicht in Deinem augenblicklichen Wesen, nicht in dem, 
was Du augenblicklich für ein AVesen bist, ja nicht 
einmal in dem, was D u überhaupt für ein Wesen bist, 
sondern im „menschlichen Wesen". Für das mensch- 
liche Wesen ist die Geliebte das Höhere. — Wer ist 
also in Feuerbachs Sinne der Egoist? Derjenige, der 
sieh ge^en „das Höhere", das absolut Höhere (d. h. 
das trotz Deinem entgegengesetzten Interesse Höhere), 
das Uninteressante versündigt, also der Egoist ist 
der — Sünder. Hierauf würde auch Szeligas Egoist 
hinausgekommen sein, wenn Szeliga den Ausdruck 
besser in seiner Gewalt hätte. 

Am unzweideutigsten spricht erst Hess es aus, 
dass der Egoist der Sünder sei. Freilich gesteht hier- 
durch auch erst Hess vol^tändig und unbemäntelt ein, 
dass er nicht im entferntesten begriffen hat, woranf 
es in Stimers Buche ankommt. Läugnet etwa Stimer, 
dass der Egoist der Sünder und dass der „bewusste" 
Egoismus („bewusst" so, wie es Hess auffasst) das 
Sündenbewusstseln sei? Wenn der Europäer ein 
Crocodill tödtet, so handelt er als Egoist gegen das 
Crocodill, macht sich aber kein Gewissen daraus oder 
rechnet es sich nicht als „Sünde" an; hätte hingegen 
ein alter Aegypter, der das Crocodill für heilig 
hielt, dennoch eines aus Nothwehr ersehlagen, so hätte 
er zwar als Egoist sich seiner Haut gewehrt, zugleich 
aber auch eine Sünde begangen: sein Egoismus wäre 
Sünde, — er, der Egoist, ein Sünder. — Hieraus dürfte 
es einleuchten, dass der Egoist gegenüber dem „Heiligen", 
gegenüber dem ,fHöheren", nothwendiger Weise ein 
Sünder ist; macht er gegen das Heilige seinen Egois- 
mus geltend, so ist das ohne Weiteres Sünde, Aber 
es ist anderseits auch nur so lange Sünde, als es am 
Heiligen gemessen wird, und nur derjenige Egoist 
schleppt sich mit dem „Sündenbewusstseln" herum, 
der zugleich von dem Heiligenbewusstsein besessen ist. 



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— 140 — 

Ein Europäer, der am Crocodill zum Mörder wird, ist 
sich seines Egoismus dabei gleichfalls bewusst oder 
handelt als bewusster Egoist; aber er bildet sich nicht 
ein, dass sein Egoismus Sünde sei und verlacht das 
Sündenbewusstsein des Ägypters. 

Gegentiber dem „Heiligen" ist der Egoist mithin 
allezeit ein Sünder, am Helligen kann er zu nichts 
anderem werden, als zum — Verbrecher. Das 
hell ige Crocodill stempelt den egoistischen Menschen 
zum sündigen Menschen. Allein der Egoist kann 
den Sünder und die Sünde von sich abthun, wenn er 
das Heilige entheiligt, wie der Europäer das CrocodiÜ 
ohne Sünde todtschlägt, weil Seine Heiligkeit, das 
Crocodill, für ihn ein Crocodill ohne Heiligkeit ist. 

Hess sagt: ,J)ie heutige Krämerwelt ist die ver- 
mittelte, ihrem Wesen entsprechende, bewusste und 
principielle Form des Egoismus." Diese heutige Welt 
voll Philanthropie, die im Princip mit dem Socialismus 
ganz einverstanden ist (man sehe z. B. im Gesell- 
schaftsspiegel und im Westphälischen Dampfboot, wie 
die „Principien" der Socialisten ganz dasselbe sind, als 
die „Sonntagsgedanken" und Ideale aller guten Bürger 
oder Bourgeois) diese Welt, in der die Allermeisten 
sich durch Heiligkeiten um ihren Vortheil bringen 
lassen, und in der die Ideale von Bruderliebe, Menschen- 
liebe, Eecht, Gerechtigkeit, von „Fureinandersein" und 
Füreinanderthun u. s. f. nicht bloss von Mund zu Munde 
gehen, sondern schrecklicher, verderbenvoller Ernst 
sind — diese Welt, die nach wahrer Menschlichkeit 
schmachtet und bei Socialisten, Communisten, Menschen- 
freunden aller Art endlich die rechte Erlösung zu 
finden hofft, — diese Welt, in der die socialistischen 
Bestrebungen nichts als der offenbare Sinn jeder 
„Krämerseele" sind und bei allen Wohldenkenden 
Anklang finden, — diese Welt, deren Princip das 
„Wohl aller Menschen", das „Wohl der Menschheit" 
ist, und die nur deshalb von diesem Wohle erst träumt. 



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— 142 — 

und „vereinzelfzu jagen. Was nützlicher sei, darüber 
liess sich streiten. Jetzt freilich stellt es sich heraus 
— was übrigens nicht erst die Socialisten entdeckt 
haben — dass bei der Concurrenz nicht jeder seinen 
Gewinn, seinen gewünschten „Privaterwerb", seinen 
Nutzen, sein eigentliches Interesse findet. Aber es 
stellt sich wieder nur durch egoistische oder inter- 
essirte Berechnung heraus. 

Indess man hat sich nun einmal so seine 
Vorstellung vom Egoismus zurecht gemacht und denkt 
sich schlechtweg die „Isolirung" darunter. Was in 
aller Welt hat aber der Egoismus mit der Isolirtheit 
zu schaffen? Werde Ich (Ego) dadurch z. B. ein 
Egoist, dass Ich die Menschen fliehe? Ich isolire oder 
vereinsame Mich allerdings, aber egoistischer bin Ich 
dadurch nicht um ein Haar mehr, als Andere, die unter 
den Menschen bleiben und ihres Umgangs sich freuen. 
I Isolire Ich Mich, so geschieht es, weil Ich in der Ge- 
I Seilschaft keinen Genuss mehr flnde; bleibe Ich aber 
unter den Menschen, so bleibe Ich, weil sie Mir noch 
Vieles bieten. Das Bleiben ist nicht weniger egoistisch, 
als die Vereinsamung. 

In der Concurrenz steht freilich Jeder isolirt; 
wenn aber die Concurrenz einst fallen wird, weil man 
einsieht, dass Zusammenwirken nützlicher sei als 
Isolirtheit, wird dann in den Vereinen nicht gleich- 
wohl Jeder Egoist sein, und seinen Nutzen wollen? 
Man erwidert, man wolle ihn aber auf Kosten Anderer. 
Ja, zunächst aber nur darum nicht auf Kosten An- 
derer, weil die Anderen keine solchen Narren mehr 
sein wollen, ihn auf ihre Kosten leben zu lassen. 

Doch „ein Egoist ist, wer nur sich allein be- 
denkt!" — Das wäre ein Mensch, der all die Freuden 
nicht kennt und schmeckt, die aus der Theilnahme an 
Andern, d. h. daraus entspringen, dass man auch An- 
dere „bedenkt", ein Mensch, der unzählige Genüsse 
entbehrte, also eine — arme Natur. Weshalb aber 



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— 143 — 

soll dieser Verlassene und Isolirte im Vergleich mit 
reichern Naturen ein Egoist sein? Wir könnten uns 
freilich längst daran gewöhnt haben, dass die Ärmuth 
für eine Schande, ja für ein Verbrechen gilt, und die 
heiligen Socialisten haben es schlagend nachgewiesen, 
dass der Arme als Verbrecher behandelt wird. Die 
heiligen Socialisten machen es aber mit denen, die in 
ihren Äugen verächtliche Arme sind, gerade so wie 
die Bourgeois es mit ihren Annen machen. 

Warum soll aber, wer um ein Interesse ärmer 
ist, „egoistischer" heissen, als wer das Interesse hat? 
Ist die Auster egoistischer als der Hund, der Mohr 
egoistischer als der Deutsche, der arme verachtete 
"fi-ödeljude egoistischer als der begeisterte Socialist, 
der Vandale, welcher Kunstwerke zerstört, für die er 
keinen Sinn hat, egoistischer, als der Kunstkenner, 
der dieselben Kunstwerke mit grösster Sorgfalt und 
Liebe pflegt, weü er Sinn und Interesse dafür hat? 
Und wenn nun Einer — wir lassen es dahingestellt,, 
ob so Einer nachweisbar ist — kein „menschliches" i 
Interesse an den Menschen fände, wenn er sie als 
Menschen nicht zu schätzen wüsste, wäre er da nicht 
ein um ein Interesse ärmerer Egoist, statt, wie die 
Feinde des Egoismus sagen, ein Ausbund von Egoist 
zu sein? Wer einen Menschen liebt, ist um diese 
Liebe reicher, als ein Anderer, der keinen liebt; aber 
ein Gegensatz von Egoismus und Nicht-Egoismus ist 
darin keineswegs vorhanden, da beide nur ihrem Inter- 
esse folgen. 

Allein es soll Jeder Interesse für die Menschen, 
Liebe zu den Menschen haben! 

Nun, seht zu, wie weit Ihr mit diesem Soll, mit 
diesem Liebesgebote kommt. Seit zwei Jahrtausenden 
wird es den Menschen zu Herzen geführt, und gleich- 
wohl klagen die Socialisten heute, dass unsere Prole- 
tarier liebloser behandelt werden, als die Sclaven der 
Alten, und gleichwohl erheben dieselben Socialisten 



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— 144 — 

noch einmal recht laut ihre Stimraen für dieses — 
Liebesgebot. 

Wollt Ihr, dass die Menschen ein Interesse an 
Euch nehmen, so zwingt ilinen eins ab und bleibt 
nicht uninteressante Heilige, die ihr heiliges Menschen- 
thum, wie einen heiligen Rock, hinhalten und bettler- 
mässig rufen: „Respect vor unserer Menschheit, die 
heilig ist!" 

Der Egoismus, wie ihn Stimer geltend macht, ist 
kein Gegensatz zur Liebe, kein Gegensatz zum Denken, 
kein Feind eines süssen Liebeslebens, kein Feind 
der Hingebung und Aufopferung, kein Feind der 
innigsten Herzlichkeit, aber auch kein Feind der 
Kritik, kein Feind des Socialismus, kurz, kein Feind 
eines wirkliehen Interesses: er scMiesst kein 
Interesse aus. Nur gegen die Uninteressirtheit und 
das Uninteressante ist er gerichtet: nicht gegen die 
Liebe, sondern gegen die heilige Liebe, nicht gegen 
das Denken, sondern gegen das heUige Denken, nicht 
gegen die Socialisteu, sondern gegen die heiligen So- 
cialisten u. s. w. 

Die „Ausschliesslichkeit" des Egoisten, die man für 
„Isolirtheit, Vereinzelung, Vereinsamung" ausgeben 
möchte, ist im Gegentheil volle Betheiligung am 
Interessanten durch — Ausschliessung des Uninter- 



Den grössten Abschnitt des Stimerschen Buches, 
den Abschnitt ,Jtfein Verkehr", den Weltverkehr und 
Verein von Egoisten, hat man Stimer nicht zu Gute 
kommen lassen mögen. 



Was die Besonderheit der genannten drei Gegnei' 
betrifft, so wäre es eine langweilige Arbeit, sich bei 
allen schiefen Stellen aufhalten zu wollen. Es kann 
aber eben so wenig für dieses Mal meine Absicht sein, auf 
■diejenigen Principien näher einzugehen, welche die 



b/ Google 



— 145 — 

Gegner vertreten oder vertreten möchten, nämlich auf 
die Feuerbaclische Philosophie, auf die reine Kritik 
und auf den Socialismus, Jedes derselben verdient 
eine eigene Abhandlung, zu der sich wohl eine andere ■ 
Gelegenheit finden wird, Daher nur einiges Einzelne. 

Szeliga. 

Szeliga fängt gleich an: „Die reine Kritik hat 
gezeigt n. s. w.", als hätte Stirner von diesem „Subjecte" 
nicht gesprochen (z. B. Einz. S. 469). Auf den beiden 
ersten Seiten giebt sich Szeliga als den „Kritiker zu 
erkennen, welchen die Kritik veranlasst, sich als Eins 
mit dem zu betrachtenden Gegenstand zu setzen, ihn 
als Geist vom Geiste geboren anzuerkennen, sich in 
das Innere des zu bekämpfenden Wesens hinein zu 
begeben" u. s. w. Ins Innere des Stimerschen Buches 
wenigstens bat sich Szeliga, wie gezeigt, nicht hinein 
begeben, und so wollen Wir ihn hier auch nicht als den 
reinen Kritiker, sondern blos als Einen aus der Masse 
ansehen, der das Buch recensirt. Was Szeliga die 
Kritik thun lässt, das sehen Wir als von Szeliga ge- 
than an, ohne zu beachten, ob „die Kritik" eben das- 
selbe thun würde, und so sagen Wir z. B. statt „die 
Kritik wird dem Lebenslauf des Einzigen folgen" — : 
„Szeliga wird .... folgen." 

Wenn Szeliga einen seiner Gredanken ganz begriffs- 
mässig durch das Wort „Affe" ausdrückt, so könnte 
es ja sein, dass die reine Kritik einen solchen Ge- 
danken durch ein anderes Wort wiedergäbe, Worte 
sind doch gewi^ weder der Kritik noch Szeliga gleich- 
gültig, und es geschähe der Kritik Unrecht, wenn man 
ihr für ihren vielleicht anders schattirten Gedanken 
durchaus den Szeliga'schen Affen aufdrängen wollte ; 
der Affe ist der wahre Gledankenausdruck nur für Sze- 
liga's Gedanken. 

Von Seite 24 bis 32 fuhrt Szeliga espress die 
Sache der reinen Kritik. Könnte aber die reine Kritik 

Mack>i7, Mai Slimer'i Kl<4nei¥ Schrifton. 10 



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— 146 — 

nicht diese poetische Art, ihre Sache zu führen, ziem- 
iich ungeschickt finden? 

Wir nehmen seine Berufung auf die Muse Kritik, 
die ihn inspirirt oder „veranlasst" habe, nicht an und 
übergehen alles, was er zum Preise seiner Muse sagt, 
selbst die „neue That der Selbstvervollkommnung, zu 
welcher der Einzige (nämlich Stimer, den Szeliga, 
Feuerbach und Hess den „Einzigen" nennen!) ihr die 
Gfelegenheit gegeben hat." 

Wie Szeliga dem Lebenslaufe des Einzigen zu 
folgen weiss, das wird man sehen, wenn man z. B. 
Seite 6, erster Absatz seines Aufsatzes, mit dem Einz. 
S. 468^478 vergleicht Der Stimersehen „Gedanken- 
losigkeit" stellt Szeliga als einer Feigheit den „Muth 
des Denkens" entgegen. Warum „begiebt er sich denn 
nicht in das Innere dieses zu bekämpfenden Wesei^", 
warum untersucht er nicht, ob jene Gedankenlosigkeit 
sich nicht vollkommen gut mit dem Muthe des Denkens 
vertrage? Er hätte es gerade an diesem Gegenstande 
versuchen sollen, „sich als Eins mit dem zu betrach- 
tenden Gegenstand zu setzen." Wer wird sich aber 
mit einem so verächtlichen Gegenstande, wie die Gre- 
dankenlosigkeit ist, in Eins zu setzen Lust haben! 
Man braucht sie ja nur zu nennen, so spuckt gleich 
Jeder von selbst aus. 

Stimer hatte von der reinen Kritik gesagt : „Vom 
Standpunkte des Gedankens aus giebt es keine Macht, 
die der ihrigen überlegen zu sein vermöchte, und es 
ist eine Lust, zu sehen, wie leicht und spielend dieser 
Drache alles andere Gedankengewürm verschlingt." 
Da es nun Szeliga so vorkommt, als wenn Stimer 
gleichfalls kritisirte, so meint er, „der Einzige locke 
(als Affe) den Drachen — die Kritik — herbei und 
stachle ihn an, das Gedankengewüim zu verschlingen — 
zunächst das der Freiheit und Uneigennützigkeit." 
Welche Kritik wendet Stirner denn an? Die reine 
Kritik doch wahrscheinlich nicht, da diese ja nach 



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— 147 — 

Szeliga's eigenen Worten nur die „besondere" Freiheit 
im Namen der „wahren" Freiheit bekämpft, um sich 
„zur Idee der wahren, menschlichen Freiheit oder zu 
der Idee der Freiheit überhaupt erst fortzubilden." 
Was hat Stimers egoistische, also duixbaus nicht 
„reine" Kritik, mit der ,Jdee der uneigennützigen, 
wahren, menschlichen Freiheit" zu schaffen, mit der 
Freiheit, welche keine fixe Idee ist, weil [ein scharf- 
sinniges Weil!] sie sich nicht in den Staat oder die 
Gesellschaft oder einen Glauben oder sonst in welche 
Besonderheit es immer sei, festsetzt; sondern sich in 
jedem Menschen, in jedem Selbstbewusstsein anerkennt, 
an diesem und in diesem Jedem das Maass seiner 
Freiheit selbst überlässt, ihn aber auch zugleich nach 
diesem seinem eigenen Maasse misst?" [Die Idee der 
Freiheit, welche sich anerkennt, und jeden Menschen 
nach dem Maasse misst, in welchem er sie in sich auf- 
genommen hat! Gerade wie Gott sich anerkennt und die 
Menschen nach dem Maasse, wie sie ihn aufnehmen, — 
wobei er auch „Jedem das Maass seiner Freiheit selbst 
überlässt" — in Verstockte und Auserwählte scheidet.] 
Wiederum soll „der Einzige den Drachen, die 
Kritik, gegen ein anderes Gedankengewürm: Recht 
und Gesetz, losgelassen haben." Aber wieder ist es ja 
nicht die reine, sondern die interressirte Kritik, üebte 
Stimer die reine Kritik, so müsste er ja, wie Szeliga 
sich ausdrückt, „das Aufgeben des Privilegiums, des 
gewaltthätigen Rechtes, das Aufgeben des Egoismus 
fordern"; er müsste also das „wahre, menschliche" 
Recht gegen das „gewaltthätige" in den Kampf führen 
und die Menschen ermahnen, dass sie sich doch ja an 
das wahre Eecht halten möchten. Stimer wendet die 
reine Kritik nirgends an, stachelt diesen Drachen auf 
nichts an, braucht sie nirgends und erreicht seine 
Resultate niemals durch „die fortschreitende Reinheit 
der Kritik", Sonst müsste er sich auch z. B, wie 
Szeliga einbilden, „dass die Liebe erst eine neue 
10* 



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— 148 — 

Schöpfung sein muss, welche die Kritik herauffuhren 
will." Solche Szeligasche Herrlichkeiten, wie „wahre 
Freiheit, Aufgeben des Egoismus, neue Schöpfung der 
Liebe" schweben ihm gar nicht vor. 

Ueber die Stellen, in' denen Sze%a eigens die 
Sache der Kritik gegen Stirner fuhrt, gehen Wir, wie 
gesagt, hinweg, obgleich fast jeder Satz angegnffen 
werden müsste. Eine besonders schöne Eolle spielen 
darin die „Arbeitsscheu, Faulheit, faules Wesen, Ver- 
wesung"; dann aber wird von der „Wissenschaft des 
Menschen" gesprochen, welche der Mensch aus dem 
Begriffe Mensch schaffen soll, und es heisst S. 32: 
„Der zu findende Mensch ist keine Kategorie mehr, 
darum auch nicht noch etwas Besonderes ausser den 
Menschen." Hätte Szeliga verstanden, dass der 
Einzige, weil die völlig inhaltslose Phrase oder Kate- 
gorie, darum keine Kategorie mehr ist, so hätte er 
ihn vielleicht als „den Namen dessen, was ihm noch 
namenlos ist", anerkannt. Aber es steht zu fürchten, er 
weiss nicht, was er damit sagt : „keine Kategorie mehr." 

Schliesslich besteht „die neue That der Selbst- 
vervollkommnung, zu welcher der Einzige der reinen 
Kritik die Gelegenheit gegeben hat", darin, dass „die 
Welt, welche der Einzige vollendet, sich in ihm und 
durch ihn das vollständigste Dementi gegeben hat, 
und dass die Kritik nur von ihr, dieser alten, zer- 
trümmerten, zersetzten, verwesenden Welt Abschied 
nehmen kann." Eine artige Selbst-Vervollkommnung. 

Fenerbach. 

Ob Stimer Feuerbachs Wesen des Christenthums 
gelesen und verstanden hat, das könnte nur durch 
eine besondere Kritik desselben dargethan werden, die 
hier nicht geliefert werden soll. Wir beschränken 
Uns daher auf einiges Wenige. 

Feuerbach glaubt in Stimers Sinne zu reden, 
wenn er sagt: „das ist ja eben ein Zeichen von der 



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— 149 — 

Religiosität, von der Gebundenheit Feuerbaehs, dass 
er noch in einen Gegenstand vernarrt ist, dass er 
noch Etwas will, Etwas liebt — ein Zeichen, dass 
er sich noch nicht znm absoluten Idealismus des 
Egoismus emporgeschwung'en hat." Hat Feuerbach 
dabei auch nur etwa folgende Stellen betrachtet? 
Einz.: S. 381. „Der Sinn des Gesetzes der Liebe ist 
etwa der: Jeder Mensch muss ein Etwas haben, das 
ihm über sich geht." Dieses Etwas der heiligen 
Liebe ist der Spuk. S. 383. „Wer voll heiliger 
(religiöser, sittlicher, humaner) Liebe ist, der Hebt nur 
den Spuk u. s. w." Femer S. 383 - 395 — z. B. 
„Nicht als meine Empfindung ist die Liebe eine 
Besessenheit, sondern durch die Fremdheit des Gegen- 
standes — durch den absolut liebenswürdigen 
Gegenstand u. s. w." „Mei eigen ist meine Liebe 
erst^ wenn sie durchaus in einem eigennützigen und 
egoistischen Interesse besteht, mithin der Gegenstand 
meiner Liebe wirklich mein Gegenstand oder mein Eigen- 
thum ist." „Ich bleibe bei dem alten Klange der Liebe 
und liebe meinen Gegenstand," also mein „Etwas." 

Aus Stirners „Ich hab' mein' Sach' auf Nichts ge- 
stellt" macht Feuerbach „das Nichts" und bringt dann 
heraus, dass der Egoist ein frommer Atheist sei. Das 
Nichts ist allerdings eine Definition Gottes. Feuer- 
bach spielt hier mit einem Worte, mit welchem sich 
(Nordd. Bl. S. 33) Szeliga Feuerbachisch abmüht. 
Uebrigens heisst es im Wesen des Christenth. S. 31: 
„Ein wahrer Atheist ist nur der, welchem die Prädi- 
cate des göttlichen Wesens, wie z. B. die Liebe, die 
Weisheit, die Gerechtigkeit Nichts sind, aber nicht 
der, welchem nur das Subject dieser Prädicate nichts 
ist." Trifft das nicht bei Stimer ein, zumal wenn ihm 
nicht das Nichts für Nichts aufgebürdet wird? 

Eeuerbach fragt: „Wie lässt Feuerbacb die (gött- 
lichen) Prädicate bestehen?" und antwortet: „Nicht so, 
wie sie Prädicate Gottes, nein, so wie sie Prädicate 



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— 150 — 

der Natur tind Menschheit — Batürliehe, menschliche 
Eigenschaften sind. Werden sie aus Gott in den 
Menschen versetat, so verlieren sie ehen den Character 
der Göttlichkeit." Stimer antwortet dagegen: Feuer- 
bach lässt die Prädicate als Ideale bestehen: — als 
Wesensbestimmungen der Gattung, welche im indivi- 
duellen Menschen nur „unvollkommen" sind und erst 
„im Maasse der Gattung" vollkommen werden, als 
„Wesensvollkommenheiten des vollkommenen Men- 
schen", also als Ideale für den individuellen Menschen, 
Nicht als Göttlichkeiten lässt er sie bestehen, insofern 
er sie um ihr Subject, Gott, bringt, sondern als Mensch- 
lichkeiten, insofern er sie „ans Gott in den Men- 
schen versetzt". Nun richtet sich Stimer gerade 
gegen den Menschen, und Feuerbach kommt hier 
ganz unbefangen wieder mit „dem Menschen" an und 
meint, wenn die Prädicate nur „menschliche" oder in 
den Menschen versetzt wären, würden sie gleich ganz 
„profan, gemein". Die menschlichen Prädicate sind 
aber um nichts gemeiner und profaner, als die gött- 
lichen, und Feuerbach bleibt weit davon entfernt, ein 
„wahrer Atheist" nach seiner eigenen obigen Beschrei- 
bung zu sein; er will es auch nicht sein. 

„Die Grundillusion, sagt Feuerbach, ist Gott als 
Subject." Stimer hat aber gezeigt, dass die Grund- 
illusion vielmehr der Gedanke der „Wesensvollkommen- 
heiten", und dass Feuerbach, derdiess „Gmndvomrtheil" 
mitaller Machtvertritt, geradedamra einwahrer Christist 

„Feuerbach zeigt, heisst es weiter, dass das Gött- 
liche nicht Göttliches, Gott nicht Gott, sondern nur 
das, und zwar im höchsten Grade, sich selbst liebende, 
sich selbst bejahende und anerkennende menschliche 
Wesen ist." Wer ist aber dieses „menschliche Wesen"? 
Stirner hat bewiesen, dass das menschliche Wesen 
eben jener Spuk ist, welcher auch der Mensch heisst, 
und dass Du, einziges Wesen, durch den Sparren 
dieses menschlichen Wesens um Deine „Selbstbejahung", 



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um Feuerbachisch zu reden, gebracht wirst. Der 
Streitpunkt, welchen Stimer aufgenommen, wird also 
wiederum gänzlich umgangen. 

„Das Thema, der Kern der Feuerbachschen Schrift 
sei, heisst es weiter, die Aufhebung der Spaltung in 
ein wesentliches und unwesentliches Ich — die Ver- 
götterung d. h. die Position, die Anerkennung des 
ganzen Menschen vom Kopfe bis zur Ferse. Wird 
denn nicht ausdrücklich am Schlüsse die Gottheit des 
Individuums als das aufgelöste Geheimniss der Ee- 
ligion ausgesprochen?" „Die einzige Schrift, in welcher 
das Schlagwort der neueren Zeit, die Persönlichkeit, 
die Individualität aufgehört hat, eine sinnlose Floskel 
zu sein, ist gerade das Wesen des Christenthuras." 
Was aber „der ganze Mensch", was „das Individuum, 
die Persönlichkeit, die Individualität" sei, geht aus 
Folgendem hervor: „Das Individuum ist dem Feuerbach 
das absolute d. i. wahre, wirkliche Wesen. Warum 
sagt er aber nicht: dieses ausschliessliche Individuum? 
Darum, weil er dann nicht wiisste, was er will — auf 
den Standpunkt, welchen er negirt, den Standpunkt 
der Eeligion zurücksinken würde." — Es ist also „der 
ganze Mensch", nicht „dieser Mensch", nicht der ge- 
meine., verbrecherische, selbstsüchtige Mensch. Gewiss 
sänke Feuerbach auf den von ihm negirten Standpunkt 
der Religion zurück, wenn er von diesem ausschliess- 
lichen Individuum aussagte, es sei „das absolute Wesen"; 
aber nicht desshalb, weil er von diesem Individuum etwas 
aussagte, sondern weil er von demselben etwas Reli- 
giöses („absolutes Wesen") aussagte oder sein reli- 
giöses Prädicat darauf anwendete, und weil er zweitens 
ein „Individuum" als „heilig, unverletzlich den übrigen 
Individuen gegenüberstellte." G«gen Stimer ist daher 
mit obigen Worten wieder gar nichts gesagt, da Stimer 
nichts von einem „heiligen, unverletzlichen Individuum" 
sagt, nichts von einem „ausschliesslichen, unvergleich- 
lichen Individuum, welches Gott ist oder werden 



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— 1Ö2 — 

könnte"; es fällt ihm nicht ein, dem „Individuum" zu 
bestreiten, dass es ein „Communi8t"sei. ZwarhatStimer 
die Wörter „Individuum", „Einzelner", gelten lassen, 
weil er sie in dem Ausdruck „Einziger" ja doch zugleich 
untergehen Hess; aber er that damit nur, was er in dem 
Abschnitt „Meine Macht" ausdrücklich bekennt, wenn 
er sagt S. 275: „Zum Schlüsse muss ich nun noch die 
halbe Äusdrucksweise zurücknehmen, von der Ich nur 
so lange Gebranch machen wollte, als u. s. w." 

Wenn gar Feuerbach gegen das Stimersehe: 
„Ich bin mehr als Mensch" — die Frage aufwirft: 
„Bist Du aber auch mehr als Mann?" so muss man in 
der That diese ganze männliche Stelle abschreiben. Er 
fährt nämlich fort: „Ist Dein Wesen oder vielmehr — 
denn das Wort: Wesen verschmäht der Egoist, ob es 
gleich dasselbe sagt — [Vielmehr reinigt es Stimer 
nur von der Doppelzüngigkeit, die es z. B. bei Feuer- 
bach hat, bei dem es scheint, als spräche er wirklich 
von Dir und Mir, wenn er von unserem Wesen spricht, 
während er doch von einem ganz untergeordneten, 
nämlich vom menschlichen Wesen redet, das er da- 
durch zu einem übergeordneten und erhabenen macht. 
Statt Dich — Wesen, Dich, der Du ein Wesen bist, 
vor Augen zu haben, macht er sich vielmehr mit den 
Menschen als „Deinem Wesen" zu schaffen und thut 
dabei stets, als habe er Dich vor Äugen. Stimer 
wendet das Wort „Wesen" z. B. S. 56 an, wenn er 
sagt: „Du selbst mit deinem Wesen bist Mir werth, 
denn dein Wesen ist kein höheres, ist nicht höher und 
allgemeiner als Du, ist einzig wie Du selber, weil Du 
es bist"] — Dein Ich nicht ein männliches? Kannst 
Du die Männlichkeit absondern selbst von dem, was 
man Geist nennt? Ist nicht dein Hirn, das heiligste, 
hochstgestellte Eingeweide des Leibes, ein männlich 
bestimmtes? Sind deine Gefühle, deine Gedanken 
unmännlich? BistDuaberein thierischesMännchen, 
ein Hnnd, ein Affe, ein Hengst? Was anders ist 



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— 153 — 

also dein einziges, unvergleichliches, dein folglich 
geschlechtsloses Icli als ein anverdauter Kest des alten 
christlichen Supranaturalismus ?" 

Hätte Stirner gesagt; Du bist mehr als lebendiges 
Wesen oder animal, so Messe das doch, Du bist zu- 
gleich animal, wirst aber durch die Animalität nicht 
erschöpft. Ebenso sagt er nun: Du bist mehr als 
Mensch, daher bist Du auch Mensch; Du bist mehr 
als Mann, aber auch Mann: die Menschlichkeit und 
die Männlichkeit drücken Dich nur nicht erschöpfend 
aus, und es kann Dir daher alles, was man als „wahre 
Menschlichkeit" oder „wahre Männlichkeit" Dir vor- 
hält, gleichgültig sein. Mit diesen prätentiösen Auf- 
gaben hast Du Dich aber von jeher martern lassen 
und selbst gemartert: mit ihnen denken die heiligen 
Leute Dich heute noch zu fangen. Feuerbach ist 
zwar kein „thierisches Männchen", aber ist er auch 
nicht mehr als ein menschlicher Mann? Hat er sein 
Wesen des Christenthums als Maun geschrieben, und 
brauchte er nichts mehr, als Mann, zu sein, um diess 
Buch zu schreiben? War nicht im Gegentheil der 
einzige Feuerbaeh dazu nöthig, und hätte selbst ein 
anderer Feuerbach, z. B. Friedrich — doch auch ein 
Mann — die Sache prästiren können? Da er dieser 
einzige Feuerbach ist, so ist er ohnehin zugleich 
ein Mann, ein Mensch, ein lebendiges Wesen, ein 
Franke u. dergl.; aber er ist mehr ds alles das, da 
diese Prädicate erst durch seine Einzigkeit ^Realität 
haben: er ist ein einziger Mann, ein einziger 
Mensch u. s. w., ja er ist ein unvejgleichlicher 
Mann, ein unvergleiehlicher Mensch. 

Was will also Feuerbach mit seinem „folglieh 
geschlechtslosen Ich?" Ist Feuerbaeh, wenn er mehr 
als Mann ist, „fo^llch" geschlechtslos? Feuerbach's 
heiligstes, höchstgestelltes Eingeweide ist ohne Zweifel 
ein männliches, ein männlich bestimmtes, wie es unter 
Andern auch ein kaukasisches, ein deutsches u. dergl.. 



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— 154 — 

ist; aber alles diess ist es nur dadurch, dass es ein 
einziges, ein einzig bestimmtes, ist, ein Eingeweide 
oder Hirn, wie es in der ganzen Welt nicht zum 
zweiten Male vorkonunt, so voll die Welt auch von „Ein- 
geweide", Eingeweide als solchem oder absolutem Ein- 
geweide, vorgestellt werden mag. 

Und dieser einzige Feuerbach sollte „ein unverdauter 
Rest des alten, christlichen Supranaturalismus" sein? 
Hiemach ist auch wohl klar, dass Stirner nicht 
„sein Ich, wie Feuerbach meint, in Gedanken von 
seinem sinnlichen, männlichen Wesen absondert", wie 
auch die auf Seite 200 der Viertel]ahrsc]irift gegebene 
Widerlegung wegfallen würde, wenn Feuerbach sich den 
Einzigen nicht verkehrter Weise als individualitätslos 
vorstellte, wie er ihn eben als „geschlechtslos" schilderte. 
I „Die Gattung realisiren heisst eine Anlage, eine 

; Fähigkeit, eine Bestimmung überhaupt der mensch- 
i liehen Natur verwirklichen." — Vielmehr ist die 
■ Gattung bereits durch diese Anlage realisirt; was Du 
hingegen aus dieser Anlage machst, das ist eine Reali- 
sation Deiner. Deine Hand ist vollkommen realisirt 
im Sinne der Gattung, sonst wäre sie nicht Hand, 
sondern etwa Tatze; wenn Du aber deine Hand aus- 
bildest, so vervollkommnest Du sie nicht im Sinne der 
Gattung, realisirst nicht die Gattung, die bereits da- 
durch real und vollkommen ist, dass deine Hand voll- 
kommen dasjenige ist, was die Gattung oder der 
Gattungsbegriff „Hand" besagt, also vollkommen Hand 
ist, — sondern Du machst aus ihr das, was und wie 
D u sie haben willst und machen kannst, bildest deinen 
Willen und deine Kraft in sie hinein, machst die 
Gattungsharud zu einer einzigen, eigenen und eigen- 
thümlichen Hand. 

„Gut ist, was dem Menschen gemäss ist, entspricht; 
schlecht, verwerflich, was ihm widerspricht. Heilig 
sind also die ethischen Verhältnisse, wie z. B. die 
Ehe, nicht um ihrer selbst willen, heilig nur um des 



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— 155 — 

Menschen willen, heilig nur, weil sie Verhältnisse des 
Menschen zum Menschen — also Selbstbejahungen, 
■Selbstbefriedigungen des _ menschlichen Wesens sind." 
Wenn nun aber Einer solch ein Unmensch wäre, diese 
ethischen Verhältnisse nicht als i h m gemäss anzusehen ? 
Feuerbach wird ihm beweisen, dass sie dem Menschen, 
dem „■wirkliehen, sinnlichen, individuellen, mensch- 
lichen Wesen" gemäss sind, und folglich auch ihm ge- 
mäss sein mti^en. Dieser Beweis ist so gründlich und 
praktisch, dass er schon seit Jahrtausenden die Ge- 
fängnisse mit „Unmenschen", d. h. mit Leuten, die 
nicht sich gemäss finden wollten, was doch dem 
„menschlichen Wesen" so gemäss ist, bevölkert hat. 

Feuerbach ist allerdings nicht Materialist (Stirner 
sagt das auch nicht, sondern spricht nur von seinem 
mit dem Eigenthnm des Idealismus bekleideten Mate- 
rialismus); er ist nicht Materialist, denn er bildet sich 
zwar ein, er spräche vom wirklichen Menschen, aber 
er spricht nicht davon. Er ist auch nicht Idealist, 
denn er spricht zwar stets von dem Wesen des 
Menschen, einer Idee, aber er bildet sich doch ein, 
vom „sinnlichen, menschlichen Wesen" zu sprechen. 
Er behauptet, weder Jdealist, noch Materialist zu sein, 
und es ■wird ihm hiermit zugegeben. Aber es wird 
ihm auch zugegeben, was er selbst sein -will und wofür 
er sich am Schlüsse ansgiebt: „er ist „Gemeinmensch, 
Communist". Stirner hat ihn auch schon so angesehen, 
z. B. S. 413. 

Um den Punkt, auf welchen es allein angekommen 
wäre, nämlich um die Behauptung Stimere, dass das 
Wesen des Menschen nicht Feuerbachs oder Stirners 
■oder irgend eines Menschen Wesen ist, so wenig als 
die Karten das Wesen eines Kartenhauses sind, um 
diesen Punkt geht Feuerbach herum, ja er ahnt ihn 
nicht einmal. Er bleibt bei seinen Kategorieen von 
Gattung und Individuum, 'Ich und Du, Mensch und 
menschlichem Wesen in völliger Ungestörtheit stehen. 



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Hess hat die „geschichtliche Entwicklung der 
deutschen Philosophie" hinter sich, in der Broschüre 
„die letzten Philosophen" aber „die vom Leben ab- 
gezogene Entwicklung der „Philosophen" Feuerbach, 
Br. Bauer und Stimer" vor sich und weiss durch seine 
eigene nicht vom Leben abgezogene Entwicklung 
genau, dass jene „in diesen Unsinn auslaufen musste", 
Ist aber eine vom Leben abgezogene Entwicklung nicht 
ein „Unsinn", nnd ist nicht eine vom Leben nicht ab- 
gezogene Entwicklung gleichfalls ein „Unsinn"? Doch 
nein, sie hat Sinn, denn sie schmeichelt dem Sinne des 
grossen Haufens, der unter einem Philosophen sich stets 
einen Menschen denkt, welcher vom Leben nichts versteht. 

Hess fängt tolgendermaassen an: „Es fällt keinem 
Menschen zu behaupten ein, dass der Astronom das 
Sonnensystem sei, welches er erkannt hat. Der ein- 
zelne Mensch aber, der die Natur und Geschichte er- 
kannt hat, soll, nach unsem letzten deutschen Philo- 
sophen, die Gattung, das All sein." Wie aber, wenn 
letzteres auch keinem Menschen einfiele? Wer hat 
denn gesagt, dass der einzelne Mensch dämm die 
Gattung sei, weil er Natur und Geschichte „erkannt" 
hat? Hess hat es gesagt, weiter keiner. Er führt 
dafür auch von Stimer eine Belegstelle an, nämlich 
diese: „Wie der Einzelne die ganze Natur, so ist er 
auch die ganze Gattung." Sagt Stimer etwa, der 
Einzelne müsse erst erkannt haben, um die ganze 
Gattung zu sein? Vielmehr ist Hess, dieser Einzelne, 
wirklich die ganze Gattung „Mensch", und kann mit 
Haut und Haaren als Gewährsmann für den Stirnerschen 
Ausspruch dienen. Was wäre denn Hess, wenn er 
nicht einmal vollkommen Mensch wäre, was wäre er, 
wenn ihm auch nur das Geringste am Menschsein 
fehlte? Alles andere, nur eben kein Mensch; — er 
könnte ein Engel, ein Thier oder ein menschähnliches 



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— 157 — 

Bild sein, aber ein Mensch kann er nm- dann sein, 
wenn er vollkommener Mensch ist. Der Mensch kann 
nicht vollkommener sein, als Hess ist; es giebt keinen 
vollkommeneren Menschen, als — Hess: Hess ist der 
vollkommene, ja, wenn man einen Superlativ gerne 
hört, der vollkommenste Mensch. In Hess ist alles, 
alles — was zum Menschen gehört; dem Hess 
fehlt auch nicht ein Titelchen von dem, was den 
Menschen zum Menschen macht. Freilich ist das auch 
derselbe Fall mit jeder Gans, jedem Hunde, jedem Pferde. 

So gäbe es keinen vollkommeneren Menschen, als 
Hess? ids Mensehen — keinen. Als Mensch ist Hess 
so vollkommen, wie — jeder Mensch, und die Gattung 
Mensch enthält nichts, was Hess nicht auch enthielte: 
er trägt sie ganz mit sich herum. 

Ein ganz anderer Umstand ist der, dass Hess 
nicht bloss Mensch , sondern ein ganz einziger 
Mensch ist. Diese Einzigkeit kommt jedoch dem 
Menschen niemals zu Gute, da der Mensch nicht voll- 
kommener werden kann, als er ist. — Wir wollen in- 
zwischen hier keine weitere Ausführung geben, da 
Obiges genügt, zu zeigen, wie schlagend Hess bloss 
durch ein „erkanntes Sonnensystem" den Stimer des 
„Unsinns" überführen kann. Auf eine noch anschau- 
lichere Weise deckt erStimers „Unsinn" auf Seite 11 
seiner Broschüre auf, und ruft dann gesättigt aus: 
„Das ist die Logik der neuen Weisheit!" 

Die Expositionen über die Entwicklung des 
Christenthums , welche Hess giebt, sind als socia- 
listische Geschichtsanschauungen hier nicht von Belang; 
seine Charakteristik Feuerbaehs und Br. Bauers ist 
ganz so, wie sie Einer liefern muss, der „die Philo- 
sophie bei Seite liegen lässt". 

Vom Socialismus sagt er, „er mache mit der Ver- 
wirklichung und Negation der Philosophie Ernst, er 
spreche nicht bloss aus, dass, sondern wie di« Philo- 
sophie als blosse Lehre zu negiren und im gesell- 



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— 158 — 

schaftlichen Leben zu verwirklichen sei." Er hätte 
hinzusetzen können, der Socialismus wolle nicht bloss die 
Philosophie, sondern auch die Religion und das Christen- 
thuni „verwirklichen". Nichts leichter ah das, wenn man, 
wie Hess, das Leben, namentlich das Elend des Lebens 
kennt. Der Fabrikant Hardy im Ewigen Juden ist, als er 
im Elende steckt, den Jeauit«nlehren ganz zugänglich, be- 
sonders in dem Augenblicke, als er von dem „mei^chlichen" 
Priester Gabriel ganzdieselben Lehren, nur in „mensch- 
licher" und einschmeichelnder Form, sich hat vorsageu 
lassen. Diese Gabriels sind verderblicher, als die Eodins. 
Aus Stirners Buche führt Hess eine Stelle, 
Seite 341, an, und folgert aus ihi", dass jener nichts 
gegen den „bestehenden praktischen Egoismus einzu- 
wenden habe, als dass ihm das Bewußtsein des Egois- 
mus fehle." Aber Stimer spricht gar nicht davon, 
dass, wie Hess ihn reden lässt, „der ganze Fehler der 
bisherigen Egoisten nur darin bestehe, dass sie kein 
Bewusstsein von ihrem Egoismus hätten." In der 
citirten Stelle sagt Stirner: „Wenn nur das Bewusst- 
sein darüber vorhanden ist." Worüber? Nicht über 
den Egoismus, sondern darüber, dass das Zugreifen 
keine Sünde ist. Und nachdem nun Hess Stirners 
Worte verdreht hat, widmet er seinen ganzen zweiten 
Abschnitt demKampie gegen den „bewussten Egoismus". 
Stimer sagt mitten in der von Hess angeführten Stelle: 
„Wissen soll man's eben, da^ jenes Verfahren des 
Zugreifens nicht verächtlich sei, sondern die reine That 
des mit sich einigen Egoisten bekunde." Diess 
lässt Hess aus, weil er von dem mit sich einigen 
Egoisten nichts weiter versteht, als was Marx über 
den Krämer und die allgemeinen Menschenrechte 
(z. B. in den deutsch-französischen Jahrbüchern) früher 
ausgesprochen hat; er wiederholt das, ohne jedoch im 
mindesten die scharfsinnige Gewandtheit seines Vor- 
gängers zu erreichen. — Stirners „bewusster Egoist" 
haftet nicht bloss nicht am Sündenbewusstsein, sondern 



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— 169 — 

auch nicht am Rechtsbewusstsein, nicht am Bewusst- 
sein der allgemeinen Menschenrechte. 

Hess fertigt den Stirner auf folgende Weise ab: 
„Nein, da altkluges Kind, ich schaffe und liebe keines- . 
wegs, um zu geniessen , sondern liebe aus Liebe^ 
schaffe aus Schöpferlust, aus Lebenstrieb, aus unmittel- 
barem Naturtrieb. Wenn ich liebe, um zu geniessen, 
dann liebe ich nicht nur nicht, dann geniesse ich auch 
nicht u. s. w." Bestreitet ihm aber Stirner irgendwo 
dergleichen Trivialitäten? Schiebt Hess ihm nicht viel- 
mehr einen „Unsinn" unter, um ihn ein altkluges Kind 
nennen zu können? „Altkluges Kind" nämlich ist 
das Schlussurtheil, zu welchem es Hess bringt und 
welches er auch am Ende wiederholt Durch der- 
gleichen Schlussurtheile gelangt, er dahin, „die 
geschichtliche Entwicklung der deutschen Philosophie 
hinter sich zu haben." 

Hess lässt (S, 14) „die Gattung auseinanderfallen 
in Individuen, Familien, Stämme, Völker, Eacen." 
Dieses Auseinanderfallen, sagt er, „diese Entfremdung 
ist die erste Existenzform der Gattung. Um zur 
Existenz zu kommen, muss die Gattung sich indivi- 
duaJisiren." Woher nun Hess alles das weiss, was 
die Gattung ,,muss", „Existenzform der Gattung, 
Entfremdung der Gattung, Sichindividualisiren der 
Gattung", das holt er sich alles aus der Philosophie 
hinter ihm und begeht noch obenein seinen beliebten 
„Raubmord" daran, indem er es z.B. Feuerbach „raubt" 
und zugleich Alles, was daran wirklich Philosophie ist, 
„mordet". Er hätte gerade aus Stimer lernen können, 
dass die pomphafte Redensart von der „Entfremdung 
der Gattung" ein „Unsinn" ist; aber wo hätte er die 
Waffen gegen Stirner hernehmen sollen, wenn nicht 
aus der Philosophie hinter ihm, natürlich mittelst eines 
socialistischen Raubmordes — ? 

Seinen zweiten Abschnitt schliesst Hess mit dem 
Fund, dass „das Ideal Stimers die bürgerliche Ge- 



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Seilschaft ist, welche den Staat xa sich nimmt." Hegel 
hat gezeigt, dass der Egoismus in der bürgerlichen 
Gesellschaft zu Hause sei. Wer nun die Hegeische 
Philosophie hinter sich hat, der weiss auch aus dieser 
Philosophie hinter ihm, dass Einer, der den Egoismus 
„empfiehlt", an der bürgerlichen Gesellschaft sein Ideal 
hat, Es wird sich später einmal eine Veranlassung 
darbieten, über die bürgerliche Gesellschaft ausführlich 
zu sprechen; dann wird sich zeigen, dass sie eben so 
wenig die Stätte des Egoismus ist, als etwa die Familie 
die der Uneigennützigkeit. Ihr Sinn ist vielmehr das 
Geschäftslehen, ein Leben, welches sowohl von 
Heiligen und auf eine heilige Weise betrieben werden 
kann — wie es heute durchweg geschieht — , als auch 
von Egoisten und auf egoistische Weise — wie es 
heute nur von Wenigen und verdeckt geschieht. Dem 
Stimer liegt die bürgerliche Gesellschaft ganz und gar 
nicht am Herzen, und er gedenkt sie keineswegs so 
auszudehnen, dass sie Staat und Familie versehUnge. 
So etwas konnte Hess nur darum in ihm argwöhnen, 
weil er mit Hegelsehen Kategorien an ihn trat. 

Eine besondere gewinnreiche und einträgliche 
Wendung hat der uneigennützige Hess sich angewöhnt, 
indem er zu wiederholten Malen merken lässt, dass 
die armen Berliner sich ihre Weisheit vom Eheine, 
respective von Hess und den dortigen Socialist«n, auch 
wohl aus Frankreich holen, leider aber aus Dummheit 
die schönen Sachen verderben. So sagt er z. B. „Man 
hat in der jüngsten Zeit bei uns so viel vom leib- 
haftigen Individuum, vom wirklichen Mensehen, von 
der Verwirklichung der Idee gesprochen, dass man 
sieh nicht darüber wundem darf, wenn die Kunde 
davon auch nach Berlin gedrungen ist und da philo- 
. sophische Köpfe aus ihrer Seligkeit aufgerüttelt hat. 
Aber die philosophischen Köpfe haben die Sache 
philosophisch verstanden." — Diess mussten Wir 
■ erwähnen , um , so viel an Uns ist, einen wohl- 



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— 161 — 

verdienten Ruhm gebührend zu verbreiten; Wir setzten 
noch hinzu, dass auch schon in der Rheinischen 
Zeitung, obwohl nicht „in jüngster Zeit", viel vom 
wirklichen Menschen und dergl. „g:esprochen" wurde, 
und zwar lediglich vom rheinischen Correspon- 
denten. 

Gleich darauf „will Hess es dem Philosophen be- 
greiflich machen, was er unter dem wirklichen lebendigen 
Menschen versteht." Indem er's hegreiflich machen 
will, spricht er's aus, dass sein wirklicher Mensch 
ein Begriff ist, also kein wirklicher Mensch. Hess 
selbst ist zwar ein wirklicher Mensch, aber was Hess 
unter dem wirklichen Menschen versteht, das wollen 
Wir ihm schenken, da ja am Rheine („bei uns") genug 
davon gesprochen wird. 

Stirner sagt: „Wenn Du das Heilige verzehrst, 
dann hast Du's zum Eigenthum gemacht! Verdaue die 
Hostie und Du bist sie los!" Hess erwidert: „Als ob 
wir nicht längst unser heiliges Eigenthum verzehrten!" 
Ja, Wir verzehrten das Heiligthum als ein heiliges, 
ein heiliges Eigenthum; aber Wir verzehrten die 
Heiligkeit daran nicht. Stimer sagt: „Wenn Du das 
Heilige verzehrst (Hess nimmt's einmal nicht so 
genau und lässt ihn statt „das Heilige" sagen „heiliges 
Eigenthum"), dann hast Du's zum Eigenthum gemacht" 
d, h, dann ist es Dir ein Etwas (z. B. Dreck), das 
Du wegwerfen kannst. 

„Vernunft und Liebe sind überhaupt ohne Realität" 
lässt Hess den Stimer sagen. Spricht dieser aber 
nicht von meiner Vernunft, meiner Liebe? In Mir 
sind sie real, haben sie „Realität". 

„Wir dürfen unser Wesen, unsere Eigenschaften 
nicht von Innen heraus entwickeln" soU Stimer sagen. 
Dein Wesen darfst Du schon entwickeln, aber „unser 
Wesen", das „menschliche Wesen'*, das ist ein ander 
Ding, von welchem der ganze erste Theil des Buches 
handelt. Gleichwohl macht Hess wieder zwischen 



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— 162 — 

deinem Wesen und unserem Wesen keinen Unterschied, 
und thut's darin dem Feuerbach nach. 

Es wird Stirner vorgeworfen, er kenne vom 
Socialismus nur die Anfänge, und diese „nur vom 
Hörensagen, sonst mUsste er z. B. wissen, dass der auf 
dem Boden der Politik stehende Communismus selbst 
schon in die beiden G-egensätze des Egoismus (interet 
personel) und des Humanismus (dövouement) längst 
aus einander gegangen ist." Dieser für Hess, der 
vom Socialismus vielleicht tausend Dinge mehr weiss 
als Stimer, wenngleich letzterer den Socialismus 
besser durchschaut hat, wichtige Gegensatz war für 
Stimer ein untergeordneter und hätte ihm nur be- 
deutungsvoll scheinen können, wenn er über den 
Egoismus so unklar dachte, wie Hess durchweg. 

Dass Stimer übrigens „von der Gesellschaft nichts 
weiss", versteht sich für alle Socialisten und Commu- 
nisten von selbst und braucht von Hess nicht erst be- 
wiesen zu werden. Hätte Stirner von ihr gewusst, 
wie hätte er's dann wagen können, gegen Ihre Heil^- 
keit zu schreiben, und obenein so ausfilhrlieh und 
rücksichtslos zu schreiben! 

Wie richtig ferner Hess urtheilt und wie wenig 
er nöthig hatte, folgende8Urthei]:„Stimer8 Opposition 
gegen den Staat ist ganz gewöhnliche Opposition der 
freisinnigen Boui^eois, welche es ebenfalls dem Staate 
in die Schuhe schieben, wenn das Volk verarmt und 
verhungert" — zu rechtfertigen, sieht unstreitig Jeder 
augenblicklich ein, der Stimers Buch nicht gelesen hat. 

Stimer wird von Hess folgendermassen apostrophirt : 
„Einziger, Du bist gross, originell, genial! Aber ich 
hätte Deinen „Verein von Egoisten" gerne, wenn auch 
nur auf dem Papiere, gesehen. Da mir diess nicht 
vei^önnt ist, erlaube ich mir, den eigentlichen Ge- 
danken Deines Vereines von Egoisten zu characte- 
risiren." Er wiU den „Gedanken" dieses Vereines 
characterisiren, ja er charaeterisirt ihn, indem er 



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— 163 — 

apodictisch sagt, es sei „der Gedanke, die rolieste 
Form des Egoismus, die Wildheit, jetzt ins Leben 
einführen zu wollen." Da es ihm um den „Gedanken" 
dieses Vereins zu thun ist, so erklärt sich's auch, 
dass er ihn auf dem Papiere sehen möchte. Wie er 
im Einzigen nichts als einen Gedanken, eine Kategorie, 
sieht, so musste ihm jener Verein, in welchem ja 
gerade der Einzige Lebenspunkt ist, natürlich auch zu 
einem Gedanken werden. Wie, wenn man nun Hess 
seine eigenen Worte wiederholte : „Man hat in 
jüngster Zeit bei uns vom Einzigen gesprochen, und 
die Kunde davon ist auch nach Köln gedrungen ; aber 
der philosophische Kopf in Köln hat die Sache 
p hi 1 OSO p h i seh verstanden", hat sich einen „Gedanken" 
darans präparirt? 

Er fährt aber fort und beweist, dass „unsere 
ganze bisherige Geschichte nichts war, als die Ge- 
schichte von egoistischen Vereinen, deren Früchte — 
die antike Sklaverei, die romantische Leibeigenschaft 
und die moderne, principielle, universelleLeibeigenschaft 
' — uns Allen bekannt sind." Zunächst setzt Hess 
hier — wozu braucht er's auch so genau zu nehmen ! — 
„egoistischer Verein" statt des Stirnerschen Aus- 
drucks „Verein von Egoisten". Seine Leser, die er 
überzeugen will — man sieht ja aus seiner Vorrede, 
was für Leute er zu überzeugen hat, nämlich Männer, 
welche Werke, wie die Br. Bauer'schen, von einem 
„Anstiften der Reaction" ableiten , also ungemein 
pfiffige und politische Köpfe — diese Leser finden es 
gewiss auf der Stelle richtig und unzweifelhaft, dass 
das lauter „egoistische Vereine" waren. — Ist aber 
ein Verein, in welchem sieh die Meisten um ihre 
natürlichsten und offenbarsten Interessen prellen lassen, 
ein Verein von Egoisten? Haben sich da „Egoisten" 
vereint, wo Einer des Ändern Sklave oder Leibeigener 
ist? Es sind zwar Egoisten in einer solchen Gesell- 
schaft, und in sofern könnte sie mit einigem Anschein 
11' 



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— 164 — 

ein „egoistischer Verein" genannt werden; aber die 
Sklaven haben wahrlich nicht aus Egoismus diese 
Gesellschaft aufgesucht und sind vielmehr in ihrem 
egoistischen Herzen gegen diese schönen „Vereine", 
wie sie Hess nennt. — Gesellschaften, in welchen die 
Bedürfnisse der Einen auf Kosten der Andern be- 
friedigt werden, in denen z, B. die Einen- das Be- 
dürfniss der Euhe dadurch befriedigen können, dass 
die Andern bis zur Erschlaffung arbeiten müssen, 
oder ein Wohlleben dadurch führen , dass Andere 
kümmerlich leben, ja wohl gar verhungern; oder 
prassen, weil Andere so thöricht sind zu darben 
H. s. w. — die nennt Hess egoistische Vereine, ja 
identiflcirt, da er „von der geheimen Polizei seines 
kritischen Gewissens" frei ist, unbefangen und polizei- 
widrig diese seine egoistischen Vereine mit dem 
Stirnerschen Verein von Egoisten. Stirner braucht 
wohl auch den Ausdruck „egoistischer Verein"; er ist 
aber erstlieh durch „Verein von Egoisten" erklärt und 
zweitens richtig, während, was Hess so benannt, viel- 
mehr eine religiöse Gesellschaft, eine durch Recht, 
Gesetz und alle Förmlichkeiten oder Ceremonien 
der Gerchtigkeit in heiligem Bespeet gehaltene Ge- 
meinde ist. 

Ein Anderes wäre es freilich, wenn Hess egoistische 
Vereine nicht auf dem Papiere, sondern im Leben 
sehen wollte. Faust befindet sich mitten in solchen 
Vereinen, als er ausruft: Hier bin ich Mensch, hier 
darf ich's sein; — Göthe giebts hier sogar Schwarz 
auf Weiss. Sähe Hess das wirkliehe Leben, worauf 
er doch so viel hält, aufmerksam an, so würde er Hun- 
derte von solchen theils schnell vorübergehenden, theils 
dauernden egoistischen Vereinen vor Augen haben. 
Vielleicht laufen in diesem Augenblicke vor seinem 
Fenster Kinder zu einer Spielkameradschaft zusammen; 
er sehe sie an und er wird lustige egoistische Vereine 
erblicken. Vielleicht hat Hess einen Freund, -eine 



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. — 165 — 

Geliebte; dann kann er wissen, wie sich das Herz 
zum Herzen findet, wie ihrer zwei sich egoistisch 
Yereinen, um an einander Genuas zu haben, und wie 
keiner dabei „zu kurz kommt". Vielleicht begegnet 
er ein Paar guten Bekannten auf der Strasse und 
wird aufgefordert, sie in ein Weinhaus zu begleiten; 
geht er etwa mit, um ihnen einen Liebesdienst zu 
erweisen, oder „vereint" er sich mit ihnen, weil er 
sich Genuss davon verspricht ? Haben sie sich wegen 
der ,fA.ufopferung" schönstens bei ihm zu bedanken, 
oder wissen sie's, dass sie zusammen auf ein Stündchen 
einen „egoistischen Verein" bildeten? 

Freilich wird Hess es diesen trivialen Beispielen 
nicht ansehen, wie inhaltsschwer und wie himmelweit 
verschieden sie von den heiligen Gesellschaften, ja 
von der „bruderlichen, menschlichen Gesellschaft" der 
heiligen Soeialisten sind.' 

H^s sagt von Stirner „er stehe fortwährend 
unter der geheimen Polizei seines kritischen Ge- 
wissens". Was ist damit weiter gesagt, als dass er, 
wenn er kritisirt, nicht ins Gelag hinein kritisiren, 
nicht faseln, sondern eben wirklich kritisiren will? 
Hess möchte dadurch aber zeigen, wie Recht er hat, 
dass er keinen eigentlichen Unterschied zwischen Stimer 
und Br. Bauer herausfinden kann. Wusste er aber 
überhaupt einen andern Unterschied zu finden, als 
den zwischen den heiligen Soeialisten und den „selbst- 
süchtigen Krämern"? Und ist selbst dieser Unter- 
schied mehr als ein pathetischer? Wozu braucht er 
also einen Unterschied zwischen Br. Bauer und Stimer 
zu suchen, da doch Kritik ohne Zweifel — Kritik ist? 
Wozu, möchte man fragen, braucht sich Hess überhaupt 
mit so wunderlichen Käuzen abzugeben, in denen er 
schwerlich jemals anders einen Sinn finden wird, als 
wenn er ihnen, wie er's in der Broschüre gethan hat, 
seinen Sinn unterschiebt, die also, wie er's im Vor- 
worte sa^t, auf einen „Unsinn auslaufen mnssten", — 



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wozu, da er doch ein so weites menschliches Feld 
menschlichsten Wirkens vor sich hat? 



Zum Schlüsse dUrfte es nicht unpassend sein, die 
Recensenten an Feuerbachs Kritik des Antihegels 
Seite 4 zu erinnern. 



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Die philosophischen Reactionäre. 

Entgegnung 

auf 

„Die Modernen Sophisten" 

von 
Kuno Fischer, 



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Kuno Fischer hatte seinen Aufsatz: „Moderne 
Sophisten", der sich in der Hauptsache gegen Stimer 
wendet, zunächst an die „Leipziger Kevue" gegeben, 
die bald darauf einging. Er Hess ihn in dem fünften 
Bande der „Epigonen" von Otto Wigand von 1848 
auf Seite 277—316 wieder abdrucken, wo er ihn mit 
folgender Fussnote versah: „Diesen Aufsatz, der das 
Schicksal einer schiffbrüchigen Zeitschrift theilte, über- 
gebe ich hier auf den Wunsch Herrn Otto Wigand's, 
ihres Herausgebers, den Epigonen. Ich lasse ihn un- 
verändert abdrucken, um ihn so zu erhalten, wie man 
ihn angegriffen und ich ihn vertheidigt habe. Ich 
bin diese Rücksicht den Gegnern desselben schuldig, 
die ihn zu einem corpus delicti gemacht haben. Ohne 
diese Hücksicht würde ich denselben Stoff jetzt kürzer 
behandeln und werthlose Objecte nur dadurch beur- 
theilen, dass ich sie nicht beurtheüe. Ich beziehe 
diese Bemerkung namentlich auf die letzten Partien 
meiner Darstellung, in denen ein unberechtigtes Inter- 
esse an „Die Kleinen von den Meinen" verschwendet 
ist. Im Uebrigen sind die Missverständnisse, die viel- 
leicht aus der Art meiner Auffassung entstehen können, 
in der Erwiderung auf die Polemik Herrn Edward's 
im letzten Bande der Epigonen berichtigt worden. 
Ich bitte den Leser, darauf Eücksicht zu nehmen." 

Wie aus dieser Bemerkung ersichtlich, war unter- 
dessen eine Entgegnung erfolgt. Wir finden sie in 
dem vorhergehenden, vierten Bande der „Epigonen" 



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— 170 — 

von 1847 auf Seite 141—161 unter dem Titel: „Die 
philosophischen Reactionäre, Die modernen Sophisten 
von Kuno Fischer", Sie ist unterzeichnet mit dem 
Namen G. Edward. Ob sie aus Stirner's Feder stammt, 
kann mit voller Sicherheit nicht behauptet werden, 
jedoch ist es wahrscheinlich; jedenfalls ist sie unter 
seinem directen Einfluss entstanden. Kuno Fischer 
nimmt ohne Weiteres G. Edward für Stirner und 
dieser hat der Annahme nie widersprochen. 

Die Antwort Fischer's schliesst sich unmittelbar 
an die Entgegnung an; unter dem Nebentitel: „Ein 
Apologet der Sophistik und ein „philosophischer Re- 
aetionär"" reicht sie noch bis Seite 165. 

Von einer Wiedergabe der Arbeiten Kuno Fischer's 
musste um so mehr abgesehen werden, als die „Epi- 
gonen" noch erlangbar sind und der Verfasser ihren 
Abdruck wahrscheinlich gamicht gestattet hätte. 



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Il,iii fruchtbarer Maler wurde in semem Atelier 
von seiner Fran zum Mittagsmahl gerufen. Er ant- 
wortete: „Warte noch einen Augenblick; ich habe nur 
noch die zwölf Apostel in Lebensgrösse, einen Christus 
und eine Madouna zu malen." Diess ist auch die 
Weise des philosophischen- Reactionärs Kuno Fischer 
— ich wählte diese Phrase, weil man ohne den Frack 
einer philosophischen Phrase nicht im Salon der 
Philosophie erscheinen darf — die mühsame Titanen- 
arbeit der modernen Kritik, welche den philosophischen 
Himmel, den letzten Himmel unter den Himmeln, zu 
erstürmen hatte, fertigt er mit grossen Pinselstrichen 
ab. Einer wird nach dem Anderen construirt. Es ist 
eine Freude zuzusehen. Strauss, Feuerbach, Bruno 
Bauer, Stimer, die griechischen Sophisten, die Jesuiten, 
die Sophisten der Romantik, Alles wird mit derselben 
Schablone construirt. 

Der Gute macht J&gi auf Sophisten, wie unsere 
Lichtfreunde und Deutschkatholiken auf Jesuiten. 
Hängt ihm einen Denkzettel an; schmäht ihn einen 
„Sophisten!" und jeder respektable Philosoph macht 
ein Kreuz vor ihm. Schon Hegel hat darauf auf- 
merksam gemacht, dass das Wenige, was uns von den 
griechischen Sophisten übrig geblieben ist, zeige, wie 
weit überlegen sie dem griechischen Idealismus ge- 
wesen, dessen ganze .Herrlichkeit uns in den Werken 
Plate's erhalten ist. Am Ende ist Hegel auch ein 



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— 172 — 

„Sophist". Bringen Sie Ihre Schablone, Herr Kuno 
Fischer, mich gelüstet, Hegel einen „Sophisten" zu 
nennen. Doch hören wir unsern gloriosen Sophisten- 
jäger selbst. „Die Sophistik ist das Spiegelbid der 
Philosophie — ihre verkehrte Wahrheit" Also ganz 
dieselbe Wahrheit, nur in entgegengesetzter Stellung? 
Ei, auf die Stellung kommt es uns nicht an. Wir 
betrachten das Bild von oben und nennen es einen 
„Sophisten"; wir betrachten es von unten und nennen 
es einen „Philosophen" „tel est notre plaisir." 

„Das sophistische Subject, das sich zum Herrn, 
zum Despoten des Gedankens macht, und damit alle 
objectiven Mächte der Welt dem te! est mon plaisir 
preisgiebt, kann unmöglich die denkende Subjectivität 
sein". „Herr, Despot des Gedankens" wessen Ge- 
dankens? meines Gedankens? Deines Gedankens? oder 
des Gedankens an sich? Wenn das „sophistische 
Subject sich zum Herrn meines Gedankens, oder des 
Gedankens an sich, eines Dinges, was keinen Sinn 
hat, macht, so ist es doch wohl mächtiger, und dazu 
berechtigt; denn es kann sieh nnr durch Denken des 
Gedankens bemächtigen, und das ist doch gewiss eine 
ehrenfeste, gentleman'sehe Waffe. Ist es aber Herr 
seines eigenen Gedankens, so ist das nichts Besonderes. 
Bist Du es nicht, so bist Du ein Wahnsinniger; der 
Spielball Deiner fixen Idee. Doch gemach, da kommen 
die „objectiven Mächte der Welt", eine sublime Ge- 
sellschaft. Wer seid ihr? Seid ihr das Licht, „das 
durch gemalte Scheiben bricht", und mir trotz meinem 
Plaisir die Nase blau färbt, wenn ich in einer gothi- 
schen Kirche stehe? Ja selbst mein betender Nach- 
bar, von der Objectivitfit des gegenwärtigen Gottes 
durchdrungen, muss über die blaue Nase lachen. Oder 
seid ihr die vernichtende Macht eines fallenden 
Körpers, der entladenen Elektricität, der raschen 
Ausdehnung eines verdunstenden Stoffes? 

Nein! das Alles nicht. Ich sehe den Philosophen 



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— 173 — 

lächeln. Die geistlose Natur soll eine objective 
Macht der AVeit sein? Die Natur, welche nicht „ist", 
wen ich sie nicht „denke", welche nur ein „Gedanken- 
ding" ist. Nein! Denn diese ist bis jetat mächtiger, 
als der Philosoph; und deshalb desavouirt er sie; 
aber seinen mit Phrasen geschmückten Gott, das 
bekränzt« goldene Kalb ist eine „objective Macht der 
Welt". Die vergangene Geschichte ist null und 
nichtig, insoweit sie nicht den dialektischen Process 
seines aparten Denkens zeigt, und die Zukunft ^ 
hat er bereits „construirt". Also „das sophistische 
Subject" „der Despot des Gedankens" „kann unmöglich 
die denkende Subjectivität sein". „Die denkende 
Subjeetivität!" Wenn es noch hiesse „das denkende 
Subject", so wäre bloss der einfache Unsinn in diesem 
Satz vorhanden, dass „das sophistische Subject nicht 
dadurch denkendes Subject ist, dass es Herr des Ge- 
dankens ist, also denkt, sondern etwa dadurch, dass 
es von einem Gedanken gedacht wird, dass es das 
willenlose Organ des absoluten Geistes ist, oder wie 
diese weisen Definitionen sonst ausfallen." So aber 
ist die geforderte „denkende Subjectivität" zu einer 
vielköpfigen Hydra des Unsinns geworden. 

„Das Subject, das sich von seinen Gedanken als 
selbstständig unterscheidet, ist vielmehr das particulare, 
das zufällige Subject, das in dem Gedanken Nichts 
weiter erblickt, als ein plausibles Mittel für seine 
Zwecke, und nur unter dieser Kategorie die natür- 
liche und sittliche Welt auffasst" 

Von meinen Gedanken unterscheide ich mich, und 
unterscheide mich nicht; dort erfüllen mich meine Ge- 
danken so, dass kein Gefühl, keine Empfindung eine 
Differenz zwischen mir und meinen Gedanken er- 
zeugen kann. — Aber ich bediene mich der un- 
geschickten Sprache meines Gegners — kann ich denn 
dann von „Gedanken" überhaupt sprechen? Ein 
„Gedanke" ist etwas Fertiges, etwas Gedachtes, und 



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— 174 — 

vott diesem unterscheide ich mich immer, wie der 
Schöpfer vom Geschöpf, der Vater vom Sohn. Von 
meinen Gedanken, die ich gedacht habe, oder denken 
werde, unterscheide ich mich doch gewiss; die einen 
sind mir Object , die andern — ungelegte Eier. 
Deshalb bin ich auch nur „das particulare, das zu- 
fällige Subject". Wer sich aber „nothwendiges Subject" 
zu sein dünkt, legitimire. sich als Solches. Er mag 
sich die Legitimation aas dem Monde holen. Absurde 
Frage, ob ein Subject zufällig, oder nothwendig ist, 
ob es „ein" Subject oder, „das" Subjeet ist. Es ist 
nothwendig, weil es da ist, und wenn es sich noth- 
wendig macht ; zufällig , weil kein Hahn darnach 
krähen würde, wenn es nicht da wäre. Die denkbar 
grösste Nothwendigkeit eines Welteroberers, eines die 
Zeit beherrschenden Gelehrten, oder Staatsmannes, ist 
doch nur illusorisch. Für „particulare" Interessen, 
aJs „plausible Mittel zu ihren Zwecken" fesseln alle 
diese die Leidenschaften und Ideen der Zeit an ihren 
Triumphwagen. Mag ihr Zweck ein reeller sein, 
oder eine Idee; es ist immer ihre Idee eine „particu- 
lare" Idee, die sie lieb haben , mit der sie das 
Anatheraa schleudern auf Den, an dessen Trotze und 
ungebrochener Persönlichkeit sie deutlich gewahren, 
dass sie doch nur „zufällige, particulare Subject«" 
sind. Was die Auffassung „der natürlichen und sitt- 
lichen Welt" betrifft, so gestehe ich, dass ich nicht 
begreife, wie man die natürliche Welt anders erfassen 
kann , denn als natürliches „particulares" Subject. 
Eure „sittliche Welt" überlasse ich euch gern; diese 
stand von jeher nur auf dem Papiere, ist die ewige 
Lüge der Gesellschaft, und wird stets an der reichen 
Mannigfaltigkeit und Unvereinbarkeit der willen- 
kräftigen Einzelnen zersplittern. Ueberlassen wir den 
Dichtem diess „verlorne Paradies". 

Nun macht unser Held im Nu einen Kitt durch 
die Geschichte. „Hurrah! die Todten reiten schnell." 



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— 175 — 

„Der Gredankenidealismus der Eleaten befruchtete 
die griechische Sophistik." Ei das ist ein grosser 
Ruhm der Eleaten. Als ob nicht einen Irrenarzt 
ebenso „der &edankenidealismus" seiner Irren be- 
fruchtete, zumal, wenn „System in ihrem Wahnsinn ist." 

„Die Sophistik des katholischen Christenthums 
war der Jesuitismus, Die katholische Dogmatik, die 
dem gläubigen Subject sich änsserlich gegenüber stellt, 
brachte dasselbe eben so änsserlich in seine Gewalt". 
„Aeusserlich" wohl, aber auch faktisch? Oder haben 
nicht etwa die Schüler Loyolas von jeher den Vatikan 
beherrscht? In Oesterreich und Baiem Legitime, in 
Belgien Sansculotten, in Frankreich Commnnisten 
ziehen die Vielgewandten stets die Masse am Narren- 
seil einer populären Idee mit sich fort. Selbst das 
Innere von Asien, wo der Hunger der Wüste und die 
Uebermacht wilder Nomaden alle Expeditionen scheitern 
machte, hat ihr unerschrockener Fuss durchwandert. 
Heute sitzt ein Jesuitenzögling auf dem päpstlichen 
Thron, und regiert im Sinne des religiösen und 
politischen Liberalismus; und es jauchzen ihm Katho- 
liken und Protestanten zu. 

„In der romantischen Sophistik stürmte das 
particulare Subject die Absolutheit des Fichte'schen 
Ich's." Hört, hört! ihr Romantiker, ihr kunstbegeisterten 
Schlegel und Tiek, du geistvoller Theosoph, Novalis, 
hör' es im Grabe, ihr seid auch nur ganz gemeine 
„particulare" Subjecte. Wahrlich! mit Phrasen kann 
man Alles zu Allem machen. „Die Sophistik emancipirt 
das Subject von der Macht des Gedankens; also — 
ist das sophistische Subject das gedankenlose, das 
rohe, particulare Subject, das hinter dem Gedanken 
sich verkriecht, um sich so seine Macht vom Leibe 
zu halten." Also weil ich Gedanken habe und die 
Gedanken mich nicht haben, weil ich frei denke, und 
nicht der Affe eines gedachten Gedankens bin, bin ich 
„gedankenloses" „particulares" ja sogar „rohes" 



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Snbject? Doch nein! Die Sophisten sind nicht ganz 
„gedankenlos", sie sind sogar „philosophisch" so etwa 
„das umgekehrte Spiegelbild der Philosophie", aber 
in welcher Weise? „Das plumpe Subject athmet 
philosophische Luft; das giebt ihm jenen eigenthüm- 
lichen Sauerstoff, wodurch es zu einer formellen 
Volubilität dialektisch begeistert wird." Habt ihr 
Philosophen wirklich eine Ahnung davon, dass ihr mit 
Euren eigenen Waffen geschlagen seid? Aber nur 
eine Ahnung. Wa.s könnt Ihr Gesundes dagegen 
erwiedem, wenn ich das dialektisch wieder auflöse, 
was Ihr bloss dialektisch gesetzt habt? Ihr habt mir 
gezeigt,mit welcher,, Volubilität" man Alles zu Nichts nnd 
Nichts zu Allem, Schwarz zn Weiss und Weiss zu 
Schwarz machen könne. Was habt Ihr dagegen, wenn 
ich euch Euere saubere Kunst zurückgebe? Aber mit 
dem dialektischen Kunststück einer Naturphilosophie 
werdet weder Ihr, noch ich die grossen Thatsaehen 
der modernen Naturforschung auflösen, so wenig, als 
es Schelling und Hegel gethan hat. Gerade hier hat 
sich der Philosoph als „plumpes" Subject gezeigt; 
denn er ist als Ignorant in eine Sphäre „geplumpt", 
in der er keine Macht hatte, ein Gulliver ohne Witz 
unter die Riesen. 

Der „Sophist" ist das „stabile", das „zufällige" 
Subject, gehört dem „reaktionären" „in der Philo- 
sophie bereits überwundenen Standpunkte" an, und 
ist zum Ueberfluss von Kuno Fischer noch einmal 
„construirt". Es hat wahrscheinlich die Philosophen 
nicht verstanden; denn „der natürliche Mensch ver- 
steht Nichts vom Geiste Gottes". AVollen wir aber 
sehen, wie Herr Fischer diejenigen verstanden hat, 
die er philosophisch construirt, so können wir wenigstens 
seine „Volubilität" bewundem. „In diesem Procesae 
der „reinen Kritik" bringt es das Subject nicht zu einer 
wirklichen Empfindung seiner Souveränität; es bleibt 
auf die Illusioneu, die es bekämpft, kritisch bezogen." 



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— 177 — 

Es wird hiemit der „reinen Kritik" nur der absurde 
Vorwurf gemacht, dass sie eben „Kritik" ist; denn 
wie wollte Jemand eine Sache kriüsiren, ohne sich 
„kritisch auf sie zu beziehen?" Es fragt sich doch 
wohl bloss, zu wessen Vortheil diese Beziehung aus- 
fällt; das heisst, ob der Kritiker die Sache kritisch 
überwindet oder nicht „Diese kritische Beziehung 
T)richt das Subjeet ab; es ist das entschiedene Nichte 
aller weltbewegenden Gedanken; sie sind dem absoluten 
Egoismus des Einzigen verftdlen. Peter Schlemihl 
hat seinen Schatten verloren." 

Wie unglücklich, wenn Jemand ein Bild wählt, 
durch das er gerade am Evidentesten geschlagen wird. 
Der Schatten Peter Schlemihls ist gerade das Bild 
seiner Einzigkeit, seine individuelle Contur, bildlich 

febraucht, die Erkenntniss und das Gefühl seines 
elbstes. Eben wenn er diess verloren, ist er die 
unglückliche Beute des Goldes, in das er sein Wesen 
verlegt hat, der Meinung des Pöbels, die er nicht zu 
verachten weiss, der Liebe zu einem thöriehten 
Mädchen, der er nicht zu entsagen versteht, der Spiel- 
ball eines Dämons, der ihm nur so lange fürchterlich 
ist, als er ihn fürchtet, als er im Contractverhältnisa 
mit ihm steht. Er hätte eben so gut die Beut« der 
PhilosopMe werden können. 

Doch lassen wir die Bilder, In gleicher Weise, 
wie oben Herr Bischer, spricht sieh die Bauersche 
Literaturzeitung im achten Hefte aus. 

„Welche Plumpheit und Frivolität, durch ein 
Abbrechen die schwierigsten Probleme lösen , die 
umfassendsten Aufgaben erledigen zu wollen." 

Darauf entgegnet Stirner: 

„Hast Du aber Aufgaben, wenn Du sie Dir nicht 
stellst? So lange Du sie stellst, wirst Du nicht von 
ihnen lassen und Ich habe ja Nichts dagegen, dass Du 
denkst und denkend tausend Gedanken erschaffest" 

Bricht hier „der Einzige etwa den Denkprocess 

Mscksy, Mu Sürnei's Kleinere Scbrilien. 12 



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— 178 — 

ab? Nein! Er lässt ihm ruhig seinen Laof; lässt aber 
auch sieh nicht in seiner „Einzigkeit" abbrechen, 
und lacht der Kritik, so bald sie ihn zwingen will, 
ein Problem lösen zu helfen, das Er nicht gestellt hat, 
lacht eurer „weltbewegenden Gedanken", Die Welt 
hat lange genug geschmachtet unter der Tyrannei des 
Gedankens, unter dem Terrorisraus der Idee; sie 
erwacht aus dem schweren Traume, und folgt dem 
fröhlichen Interesse des Tages. Sie schämt sich des 
Widerspruchs, in dem sie die Kirche, der Staat und 
die Philosophen gefangen hielten, des Widerspruchs, 
den diese zwischen Interesse und Pi'incip gesetzt 
haben. Als ob man ein Princip haben könnte, an 
dem man kein Interesse hat, ein Interesse, das nicht 
im Momente Princip würde. Aber Du sollst, Du musst- 
ein „reines" Princip haben, das Interesse ist „schmutzig". 
Du musst Dich bloss „philosophisch" oder „kritisch" 
verhalten; sonst bist Da ein „plumpes", „rohes", „zu- 
fälliges", „particulares" Subject. 

Höre es Naturforscher, der Du mit Vergnügen 
das Werden des Hühnchens im bebrüteten Ei be- 
obachtest, und nicht daran denkst, es zu kritisiren; 
höre es Alexander, der Du den gordischen Knoten 
zerhau'st, den Du nicht geknüpft hast. Du musst 
sterben Jüngling zu Sais unter den Händen der 
Priester, weil Du gewagt hast, „unbedenklich" den 
Schleier heiliger Bedenklichkeit zu lüften; und die 
Pfaffen haben noch die freche Stirn zu sa^en, „der 
Anblick der Gottheit habe Dich getödtet." 

Doch eine Probe von der idealen, ätherischen 
Haltung der Sprache, die ein nicht „plumpes", „noth- 
wendiges", „weltbewegendes" Subject fuhrt. 

„Das sophistische Subject, das von seinem des- 
potischen Dünkel sich immer wieder zu Eunuchen er- 
niedrigt sieht, zieht sich endlich hinter die Vor- 
haut seiner Individualität zurück" u. s. w. 

Nachdem Kuno Fischer „die philosophischen Vor- 



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— 179 — 

aussetzungen der modernen 8ophistik Hegel, Strausa, 
Bruno Bauer, Feuerbach," einen schon historisch ge- 
wordenen Process der Philosophie, der aber doch noch 
zu nahe liegt, um in so trivialer Weise wieder als 
Neuigkeit exponirt zu werden, mit einer breiten Ex- 
position gewürdigt, kommt er auf Max Stimer selbst 
zu sprechen. Was die Subsummirung Stirners unter . 
die Sophisten, einen Namen, durch den er sich weder 
beschimpft, noch geschmeichelt glauben wird, betrifft, 
so mag es genügen, ein Urtheil desselben über die 
griechischen Sophisten dagegen zu stellen. „Aller- 
dings musste das Princip der Sophistik dahin führen, 
äass der unselbstständigst« und blindeste Sklave seiner 
Begierden doch ein trefflicher Sophist sein, und mit 
Verstandesschärfe alles zu Gunsten seines rohen 
Herzens auslegen, und zustutzen konnte. Was gäbe 
es wohl, wofür sich nicht ein „guter Grund" auffinden, 
und was sich nicht durchfechten liesse." 

Ich habe schon oft die Bemerkung gemacht, dass 
Kritiker, die mit grossem Talent und Verstandesschärfe 
die Objecte ihrer Kritik gesichtet und analysirt haben, 
gewiss an Stimer irre geworden sind, und Jeder zu 
den verschiedensten Consequenzen ihres Missversfänd- 
niases oft zu wahrhaften Betisen fortgerissen wurden, 

So giebt sich Kuno Fischer die vergebliche Mühe, 
Stirners Egoismus und Einzigkeit als Consequenz des 
Bauerschen Selbstbewusstseins und der „reinen Kritik" 
zu entwickeln. Das Subject, das es „in dem Processe. 
der reinen Kritik nicht zu einer wirklichen Empfin- 
dung seiner Souveränität bringt," wird in Stimer zum 
„entschiedeuen Nichts aller weltbewegenden Gedanken". 
Und diess Kunststück wird vollbracht durch das „Ab- 
brechen der kritischen Beziehung auf die Illusionen, 
die es bekämpft." 

Aber das Kunststuck ist bloss ein Kunststück 
Kuno Fischer's; in Stirners Buche selbst findet sich 
Nichts davon. Das Buch Stiraers war sogar bereits. 
12* 



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vollendet, ehe Bruno Bauer seiner theologischen Kritik, 
als einer abgethanen Sache, den Rücken ^kehrt 
hatte, und jener Proclamation der „absoluten Kritik" 
in der allgemeinen Literaturzeitung erwähnt Stimer 
nur in einem Nachtrage, der nicht nothwendig in den 
Organismus des ganzen Werkes gehört. Viel näher 
' lag der „Humanismus" Feuerbachs, der in den deut- 
schen Communisten und Socialisten zu einer allge- 
meineren Greltung gekommen war, zu einer Eealisirung, 
die deutlich geni^ das „Inhumane" des „Humanismus", 
den im Systeme liegenden Widerspruch zu Tage ge- 
bracht hatte. Der Bekämpfung des Humanismus hat 
daher Stirner die meiste Soi^alt zugewendet Feuer- 
bach hat in Wigands Vierteljahrsschrift 1845, 
ni. Band, darauf geantwortet, und Stimer hat diese 
Antwort widerlegt Von Allem dem scheint Kuno 
Fischer Nichts zu wissen und zu kennen, sonst würde 
er sich die Mühe gespart haben, folgenden geistreichen 
Fund zu machen. 

„Der Egoismus des Einzigen ist kein beliebiger 
Gredanke; er ist vielmehr objectiv; er übt eine dog- 
matische Gewaltthätigkeit aus ; er ist ein Sparren, em 
Spuk, ein hierarchischer Gedanke und Max Stimer 
sein Pfaffe." „Stirner ist der Dogmatiker des Egoismus" 
In der Objectivität, die Stimer dem absoluten 
Egoismus giebt (von einem „absoluten" Egoismus ist 
im Buche Stimers keine Spur zu finden) ist dieser 
ein Gedankending, ein Dogma geworden." 

Hätte Herr Fischer jenen Aufsatz gelesen, so 
würde er nicht zu dem komischen Missverständniss 
gekommen sein, in dem ,, Egoismus" Stimers ein 
„Dogma", einen ernstlich gemeinten „kategorischen 
Imperativ", ein ernstlich gemeintes „Soll" zu ünden, 
wie es der ,, Humanismus" provocirt, Du sollst „Mensch" 
und nicht „Unmensch" sein, und darnach den moralischen 
Katechismus der Humanität construirthat Dort hat 
Stimer den „Egoismus" selbst als „Phrase" bezeichnet; 



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— 181 — 

aber als letzte mögliclie „Phrase", die geeignet ist, 
dem Phrasenregiment überhaupt ein Ende zn machen. 
Ekrasiren wir aus Feuerbachs Wesen des Ohristen- 
thums und seinen kleineren Schriften, überhaupt aus 
seiner „Humanitätsphilosophie" den kategorischen 
Imperativ, also das positiv Gewollte; das heisst, fassen 
wir sein „Gattnngsideal" mit seinen mysteriösen 
„Mächten": „Vernunft", „Wille", „Herz" und ihrer 
Uealisation: „Erkenntnis", „Charakter", „Liebe", als 
psychologische Darstellung der Fähigkeiten und Eigen- 
schaften, die in der realen menschlichen Gattung 
als solcher, in der menschlichen Organisation, abge- 
sehen von den historischen Veränderungen und Com- 
plicationen, immanent sind, so ist schon in Feuerbaeh 
ein gewaltiger Fortschritt gegeben; er zeigt, zurück- 
gehend aui die einfachen grossen Züge unserer 
Organisation, schon genügend, wie unsinnig es ist. 
Einer Seite, Einer Eigenschaft, wie der des Verstandes, 
oder des Denkens ein solches üebergewicht zn geben, 
dass es die anderen zu verschlingen droht; kurz er 
will den ganzen Menschen in der gleichen Be- 
rechtigung aller seiner Eigenschaften, also auch der 
Sinne und der Willenskräfte. Aber hier angelangt 
vergisst er, dass „der Mensch" nicht existirt, dass er 
eine willkürliche Abstraction ist. Aber er stellt ihn 
als Ideal hin. Was Wunder, wenn er zu einem un- 
persönlichen mysteriösen Gattungswesen wird, aus- 
gestattet mit mysteriösen „Mächten", die polytheistisch 
sich, wie die griechischen Götter zu Zeus, verhalten. 
Consequent hiermit tritt ein Soll ein; Du sollst der 
Mensch sein. Dem „Menschen" tritt „der TJnmenseb" 
entgegen. Nun wird aber Niemand ein „Unthier" für 
kein „Thier" halten. Ebenso schwer möchte es Feuer- 
bach sein zu beweisen, dass ein „Unmensch" kein 
wirklicher „Mensch" sei. Ein „Unmensch" ist und 
bleibt ein wirklicher „Mensch", mit einem moralischen 
Anathema behaftet, mit einem Affect des Abscbeu's, 



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— 182 — 

aus menschlicher Gemeinschaft gewiesen von dem 
^- der ihn „Unmensch" nennt. 

Dieser Phrase des ,^umanismus" setzt Stimer 
diePhrase des „Egoismus" entgegen: Wie? Du forderst 
von mir, ich solle „Mensch" sein, näher, ich solle 
„Mann" sein? Ei! „Mensch", „nacktes Menschlein" 
and „Mann" war ich schon in der Wiege; ich bin das 
zwar; aber hin mehr als diess, bin, was ich durch mich, 
durch meine Eutwickelung, dnrch Aneignung der 
äusseren Welt, der Geschichte u. s. w. geworden; 
bin „Einziger". Aber das willst Du nicht eigentlich. 
Du willst nicht, dass ich ein wirklicher Mensch sei, 
Du giebst für meine Einzigkeit keinen Pfifferling. Da 
willst, dass ich „der Mensch" sein solle, wie Du ihn 
construirt hast, als Musterbild für Alle. Du willst 
■ das „pöbelhafte Egalitätsprincip" zur Norm meines 
Lebens machen. Princip um Princip! Forderung um 
Forderung! Ich setze Dir das Princip des Egoismus 
entgegen. Ich will bloss Ich sein; Ich verachte die 
Natur, die Menschen und ihre Gesetze, die menschliche 
Gesellschaft und ihre Liebe, und sclineide jede allge- 
meine Beziehung, selbst die der Sprache mit ihr ab. 
Ich setze allen Anmuthungen Eures Solls, allen Bezeich- 
nungen Eures kategorischen Urtheils die „Ataraxie" 
meines Ichs entgegen; Ich bin schon nachgiebig, wenn 
Ich mich der Sprache bediene. Ich bin das „Unst^- 
bare", „Ich zeige Mich bloss". Und habe ich mit dem 
Terrorismus meines Ichs, der aUes Menschliche zurück- 
stösst, nicht eben so Recht, wie Ihr mit Eurem 
Terrorismus der Humanität, der mich gleich zum 
„Unmenschen" stempelt, wenn ich mich gegen Euren 
Katechismus versündige, wenn ich mich in meinem 
Selbstgenusse nicht stören lasse? 

Ist hiemit etwa gesagt, dass Stimer mit seinem 
„Egoismus" alles Allgemeine negiren, als nicht vor- 
handen hinstellen, alle Eigenschaften unserer Organi- 
sation, der sich also kein Einzelner entziehen kann, 



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— 183 ~ 

■durch blosses Wegleugnen hinwegräumen will? Dass 
er alle Gemeinschaft mit Menschen aufgeben, selbst- 
mörderisch sieh in sich verpuppen will? Wahrlich, diess 
Missverständniss ist nicht weniger plump, als jenes 
der deutschen Liberalen und Conservativen, die sich 
noch heute über den Ausspruch Börnes empören: 
„Wenn Euch an Eurem König die Nase nicht gefällt, 
80 jagt ihn davon," als ob es Börne je eingefallen 
wäre, die Nase eines Königs zum Verbrechen gegen 
4ie Demokratie zu machen. Mau muss sich wirklich 
schämen, dergleichen den Herren Oonfuaionsräthen 
noch begreiflich zu machen. 

Aber es liegt ein gewichtiges „Deshalb", eine ge- 
waltige Folgerung in dem Buche Stirners, die freilich 
-oft zwischen den Zeilen zu lesen, die aber den Philo- 
sophen gänzlich entgangen ist, weil sie die wirklichen 
Menschen und sich, als wirklichen Menschen, nicht 
kennen, und nur immer mit „dem Menschen", „dem 
Geiste" an sich, a priori, immer bloss mit dem Namen, 
nie mit der Sache und der Person zu thun haben. 
In negativer Weise spricht diess Stimer ans durch 
seine scharfe, unwiderstehliche Kritik, mit der er 
alle Illusionen des Idealismus analysirt, alle Lügen 
uneigennütziger Hingebung und Aufopferung enthlUlt; 
was freilich seine gloriosen Kritiker wieder verstanden 
haben als eine Apotheose des blinden Eigennutzes, des 
„geprellten Egoismus", der sich um den Besitz eines 
ganzen Menschen bringt, um ein paar Pfennige von 
ihm zu gewinnen. Stimer hat sein Buch selbst als 
theilweise „unbeholfenen" Ausdruck dessen, was er 
wollte, bezeichnet. Es ist das mühsame Werk der 
besten Jahre seines Lebens; und doch nennt er es 
theilweise „unbeholfen". So sehr hatte er mit einer 
«Sprache zu kämpfen, die von Philosophen ver- 
derbt, von Staats-, Beligions- und anderen G-läubigen 
gemissbraucht, und einer grenzenlosen Begriffsver- 
wirrung fähig gemacht worden war. 



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— 184 — 

Doch zurück za unserm Kritiker. Wenn Stirner 
sa^: „Die Liebe ist meine Empfindung, mein Eigen- 
thum u. 8. w.," oder „Mein eigen ist meine Liebe 
erst, wenn sie durchaus in einem eigennützigen und 
egoistischen Interesse besteht, mithin der Gegenstand 
meiner Liebe wirklich mein Gegenstand oder mein 
Eigenthum ist" und dasselbe gesetzten Falles in einem 
Liebesverhältnisse, vom wiederliebenden, geliebten 
Gegenstande aussagt, so erhebt sich trinmphirend 
unser Idealist: „Also doch Dalailamacultus! das heisst, 
sich zweimal verspeisen. Ich verzehre mein eignes 
Verzehrtwerden." „Mas und Marie gehören somit in 
der Naturgeschichte der Liebe zu den Wiedeitänem." 

Doch da Herr Euno Fischer so persönlich und 
pitoresk wird, wollen wir die Sache doch umkehren. 
Kuno liebt die Kunigunde und Kunigunde liebt Kuno. 
Aber Kuno liebt die Kunigunde nicht, weil er in 
dieser Liebe seinen Genuss findet, er geniesst die Ge-. 
liebte nicht zu seiner Freude, sondern aus purer Auf- 
opferung, weil sie geliebt werden will ; er duldet auch 
etwaige Leiden ihrer Liebe nicht, weil die Liebe zu 
ihr ihn hinreichend entschädigt, also nicht aus diesem 
eigennutzigen Grunde, sondern Alles ohne sich zu 
berücksichtigen ans purer Uneigennützigkeit. Kunigunde 
macht es mit Kuno ebenso. So hätten wir das ideale 
Paar einer Narrenehe, zwei Menschen, die sich in 
den Kopf gesetzt haben, ohne sich selbst im Andern 
zu geniessen , aus purer Aufopferung Eines das- 
Andere zu lieben. Eine solche sublime philosophische 
Liebe mag Kuno Fischer für sich behalten, oder sich 
ein Pendant im Irrenhause suchen. Wir andern 
„rohen", „particularen" Subjecte wollen lieben, weil 
wir Liebe empfinden, weil die Liebe unserm Herzen 
und unsem Sinnen wohlgefällt, und wir in der Liehe 
zu einem andern Wesen einen höheren Selbstgenuss 
erfahren. 

Weiterhin verwickelt sich unser Kritiker in seine 



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— 185 — 

eigenen Widersprüche. Der „staatsanflösende Egoismus 
des Einzigen" ist zugleich „der solideste Mässigkeits- 
verein", „in Wahrheit die Begründung der scham- 
losesten Despotie", deren „klirrenden verhängnissvoUen 
Säbel" der Kritiker schon hört. Der „klirrende 
Säbel" wäre uns längst nicht mehr „verhängniasvoU", 
wenn wir ihn nicht zu unserem Verhängniss gemacht, 
und mit närrischem Beginnen in seinen Stahl 
Schiboleths eingegraben hätten, die dem Säbel die 
Macht geben, uns um der „Idee" willen zu knechten. 
Weiter können wir nicht folgen; wir hoffen, daas 
man honett sein wird, uns nicht zuzumuthen, von 
einem Buche, wie „Verstandesthum und Individuum" 
mehr, als Eine Seite zu lesen, geschweige noch eine 
Kritik desselben anzuhören. Doch wollen wir Herrn 
KuQO Fischer zur gefälligen Kenntnissnahme mit- 
theilen, dass der Verfasser von „Verstandesthum imd 
Individuum" eine Kritik in der evangelischen Kirchen- 
zeitung gegen sich selbst geschrieben. Vielleicht aber 
ist Herrn Kuno Fischer dieses burleske Handeln eines 
Mannes, der k tont prix berühmt werden will, besser 
bekannt, als uns. 



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geheim gehaltene Material, indem er aus ihm das 
Leben Max Stirners erzJUilt, wie es in Einfachheit 
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katlen Inhalt dieser Dichtungen dadurch erklären zu können, dass er annimmt, 
nicht der Schanspleler Shakespeur« sei der Dichter, eondcni der StaaUmann 
lud Gelehrte Fruds Bacon. Somit Uuft das Wprkchen auf die Theoiieeu 
hinaus, fDr die in neuester Zeit nsmBiitlich Edwin Bormann in iieinem Bucbe: 
„Da» Shakespeare-Gebeininis" eingoireten ist. Man wird die geschickt 
lomiulicrleo Deduktionen nicht ohne Intereaae lesen, selbst wenn m»n mltdem 
EudergebnlA nicht einverstanden ist. 

äeseUiehan: Mit iDdaueindcDi , gespannieiii luieresse folgt roui den 
AusfOhrungen lUftera. Sie fesseln Bilenibalbea durch die gelHtreichen Ideen, 
Beibat da, wo man sie für irrig halt. Auch ist die Schrift so yerf»iist, dua «!o 
von allen UtteATiscb gebildeten Kreisen gelesen werden kjuui. 

Redend« klna(«i Ich mochte das BachlE 
— wie im Toraus bemerkt sein mOge — des Vi 

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Berner Bund: In gedrtngler Dar§t*llHng giebt uni dia klelue'BBclildii- 
eluea Ueberblict nicht nur Ober die Entwicklung uQd die Ziele des ,,Bbyrenth«r- 

ZD^sttebt wird. Grossem Gewicht wird auf den Tfachweis gelegt, du& seit de«- 



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247 Seiten, Broachirt Mark 2.—. 
Ans deo Urteilen: 

DntBChe Warte : Der VcrfsMcr dio»ea Baehca vcraucht in ruhiger, objek- 
rer Dur^UsUung dpn Wqg zu tiuer Verat^udigung in der Judenfnge uizubabnen. 
r z«rgUedert £e Forderungeu der heutigen Anuaemiten nach aliea RichluDgen 
n und kommt ihnen gegenüber zu einem abweijienden Urtheil. 

MOnelieaer Freie PreHe: Dsa Buch ist fOr ADliaemiteD nicht n*Diger wie 



n lehrreich. 
SuBborcer Fl^ 

• -61 Werk ! 



beneckt, ^ne mCglichBt TollalAndige m 
Ltisohen Bewegung von "'" — ^-^-' — 
in die neueste Zät zu 
TorwleHnd bistofiech. 



acht der sutJeemltiBchen Bewegung von ihren Jahrhunderte zuracliliegendeD 
Auffingen «n bil in die neueste Zät zu gebnn. Ee ixt tüsn weniger kritisch 



suhlektlT, all Tonriegend hiatotiech. Und d* es eiECntlich bisher an einer 
rtfilsch-hletorlsohen Darstellung der Entwicklung des Antiseniltismiu ge- 
hat. lat das Erschauen d«s Meuzinger'achen Werkes als ein werthToUer 
ür das VerstindnlB der ButiaEmitischen Bewegung zu begrUasen. 
ner Tag^latl; Du Buch iat keine Streit- und kein« ParleiKbiift; ea 
ich nicht sowohl tui daa AufreizungsbedDrlnii Mi Ungaen, als vlel- 
den nüchternen erwAgend, kritlach prüfenden Sinn des ■ufimerkaHDien 

{ Zu beziehen durch jede Buchhandlung. ^- 



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TerlAK von Schuster & Loeffler, Berlin» SW. 40. 

Willy Pastor. 

Wanderjahre. Sociale Essais. 

211 Seiten. Broachirt Mark 3.—, geb. in Halbfranz Mark 4.50. 
Ans den Urteilen: 

Me Zelt (Otto StoCBBl): In dieaeu ilarken, figeDtDmlicbeD Measchen 
Dich langer Zeit wieder den OoetheH ~ 



die Kiinet, dnrch die Erkenntnisse dei WiesenBchift lu vertiefen und Ihr eine 
weitere BcbwimgkiHft eq n^bcn , diu WiBBCnKluIt wieder durch die Knust 
beredt, weltschaiiend und gedDgelt lu mBcben. 

Ken« Berte: Du kuizelchnende Merkmal diesee Buchee liegt in der Ur- 
sptüngBehteit und Frische seiner Beobachtungen und Ged»iiJten. 

ToMlsehe ZeltDIg: Wer die „Sodalen Essais" Pastors liest, wird dch Aber 
Mangel an Anregung nicht beklagen kSnnen. 

Keae FrcoH. Kr«H-Zeitin« ; Uan merkt es den Im vorliegenden BRndchen 
Terelnten Essais an, wie umfassend der Verfasser daran gearbeitet hat, erat sich 
selbst klare Überschau und einen selbstAndlgen Blandpunkt au erobern gegeaQber 
den vielen schwierigen Protdemen, die sich ihm beim tieferen EUndringen in 
seinen Ocgenstand aufdrCngten, 



Ernst Ziel. 

Das Princip des Modernen in der heutigen deutschen 

Dichtung. 

Zeitgemäase Betraohtnngen. 31 Seiten. Broachirt Mark —.50. 
Ans den Crtellea: 

Breslaaer ^etUnE; In gedrängter Welse giebt nns der Verfiiseer oloen 
BChuell und glOcklich orienUerenden Überblick aber die diobterische PioduktioD 
unserer Tage, Indem er mit kriCitchem DUek die Fähigkeiten der Hauptmann, 
Liliencron, Bierbaum, Heuckell, Sudennson ausspielt gegen die absterbende 
Generation eines Dlhn, Ebers, Eckstein. Ber Leser gewinnt einen Einblick in 
das allmfihlicbe Emporwachsen unserer realistlHchen Kunst, von deren Ausbau 
der Verfasser noch viel Schflnes erwartet. 

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JrC J/^ 



L Bleu h Sohn, HmimbaTg >. S, 



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